Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung: Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II [1 ed.] 9783428523801, 9783428123803

Georg Manten beschreibt und würdigt die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II., Nach

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German Pages 595 Year 2007

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Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung: Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II [1 ed.]
 9783428523801, 9783428123803

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Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Band 32

Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Von Georg Manten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

GEORG MANTEN

Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch und Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer

Band 32

Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Von Georg Manten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 978-3-428-12380-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 als Dissertation vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier angenommen. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2006 abgeschlossen. Besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor em. Dr. Peter Krause, für die gleichermaßen fördernde wie fordernde Unterstützung während der Bearbeitungszeit und darüber hinaus. Von seiner kenntnisreichen Begeisterung für die untersuchte Epoche und Materie habe ich mich gerne anstecken lassen. Herrn Professor Dr. Gerhard Robbers danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Professor Dr. Franz Dorn für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes im Rigorosum. Für großzügige Zuschüsse zu den Druckkosten bin ich der Union Evangelischer Kirchen in der EKD sowie der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz dankbar. Daß hierdurch auch ein Zeichen ökumenischer Verbundenheit gesetzt werden konnte, freut mich besonders. Nicht zuletzt schulde ich all jenen Dank, die im Wege praktischer und logistischer Unterstützung – etwa durch Beschaffung von Literatur oder beim Korrekturlesen – sowie durch ihre persönliche Zuwendung zur Fertigstellung der Arbeit und zu ihrem Gelingen beigetragen haben. Ihnen allen ein herzliches „Vergelt’s Gott“! Aachen, am Karlsfest 2007

Georg Manten

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E r s t e r Te i l Landesherrliches Kirchenregiment und evangelisches Kirchenwesen in Brandenburg-Preußen – Entwicklungsgeschichte und Verfassungsformen

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Erstes Kapitel Die Entstehung und Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen A. Begriff und theoretische Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zeitlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das landesherrliche Kirchenregiment und die Reformation: Luther und Melanchthon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Juristische Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Episkopalsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territorialsystem: Frühe Ausprägung und „rationaler Territorialismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollegialsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Reichsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Augsburger Religionsfriede (1555) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Friede von Münster und Osnabrück (1648) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Augsburger Religionsfriede, Westfälischer Friede und die kaiserlichen Wahlkapitulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Statische Regelung und dynamisches Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Kerngebiete Kurmark Brandenburg und Herzogtum Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Anfänge der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Epoche des Luthertums und das bischöfliche Recht des Landesherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

24 24 25 27 27 29 32 33 33 35 37 38

40 40 43 52

8

Inhaltsverzeichnis IV.

Die Konversion Johann Sigismunds und das „unschädliche Simultaneum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die Rahmenbedingungen des Bekenntniswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die „Confessio Sigismundi“ und die bekenntnismäßigen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Das Verbot der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen . . . . 62 4. Die Reformation der Universität Frankfurt an der Oder . . . . . . . . . . . 65 5. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6. Die Fortsetzung des „Simultaneums“ bis zum Westfälischen Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 V. Die Regierung des „Großen Kurfürsten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Stabilisierung des Bekenntnisstandes durch den Westfälischen Frieden und religiöse Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Flankierende Maßnahmen des landesherrlichen Kirchenregiments . . 70 3. Bekenntnispluralismus und Staatspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Die Ausübung der Episkopalrechte im protestantischen Kirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5. Die Ausübung der Episkopalrechte gegenüber den Katholiken . . . . . 78 6. Vom „Notbischofsrecht“ zum „Summepiskopat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 7. Faktische Schranken des landesherrlichen Kirchenregiments . . . . . . . 80 8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 VI. Die Frühzeit der preußischen Könige: Friedrich I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Pietismus und Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Unionsbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Sonstige Betätigung des landesherrlichen Kirchenregiments, insbesondere die Generalvisitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Die Situation der Katholiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 VII. Die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Allgemeines und Bekenntnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Union durch Pragmatismus: Gottesdienst – Liturgie – Kirchenzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Initativen auf Reichsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Tatsächliche Grundlage des landesherrlichen Kirchenregiments . . . . 96 5. Landesherrliches Kirchenregiment und intermediäre Gewalten . . . . . 97 6. Die Situation der Katholiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 VIII. Die Kirchenpolitik Friedrichs des Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Zur Lage des Kirchenwesens im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Die persönliche Einstellung Friedrichs II. zu religiösen Fragen und die Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Der Einfluß der persönlichen Einstellung Friedrichs II. zu religiösen Fragen auf die Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis 4. Das Verhältnis Friedrichs II. zu den katholischen Untertanen sowie den „neuen Sekten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments im lutherischen und reformierten Kirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Gesangbuchstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 104 112 123 128

Zweites Kapitel Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen von der Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – Territoriale und konfessionelle Entwicklung und Rechtsquellen

130

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Die Entstehung des preußischen Staates: Territoriale Zersplitterung . . . . . . . . . 131 C. Quellen des preußischen Kirchenrechts: Zwischen Kodifikation und Zersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesamtstaatliche Regelungen: Vom alten gemeinen Recht zum Allgemeinen Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Provinzialrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Provinz Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Provinzialrechte in der Provinz Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Provinzialrechte in der Provinz Pommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Provinzialrechte in der Provinz Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Provinzialrechte in der Provinz Posen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Provinzialrechte in der Provinz Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Provinzialrechte in der Provinz Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Provinzialrechte in der Rheinprovinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die gemeinsame Kirchenordnung für die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lokale und andere partikulare Rechte: Statutarisches Kirchenrecht . . . . IV. Ungeschriebenes Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zum Anwendungsverhältnis der verschiedenen Rechtsquellen . . . . . . . . . D. Konsequenzen: Die Verfassung des evangelischen Kirchenwesens in Preußen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vermischung von weltlichem und geistlichem Regiment . . . . . . . . . . II. Die Entstehung der Konsistorialverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Kern der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anfänge der Konsistorialverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entstehung der Konsistorialverfassung in den preußischen Herrschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 134 140 140 141 142 143 144 145 149 155 161 162 164 166 168 168 170 170 170 172

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Inhaltsverzeichnis 4. Die weitere Entwicklung der Konsistorialverfassung in Preußen bis zum Beginn der Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Konsistorialverfassung in den Anfangszeiten der Monarchie . . . III. Die historische Rolle der Presbyterial-Synodal-Verfassung . . . . . . . . . . . 1. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Anfänge der Synodalverfassung in Rheinland-Westfalen . . . . . . 4. Die Anfänge der Synodalverfassung in den östlichen Provinzen . . . IV. Die Verfassung des Militärkirchenwesens im 18. Jahrhundert – ein Beispiel für Verstaatlichungstendenzen und konfessionellen Pragmatismus in der preußischen Kirchenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung des evangelischen Militärkirchenwesens für die zivile Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anfänge des Militärkirchenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die erste Militärkirchenverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Militärkirche und zivile Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das evangelische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm I. im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das evangelische Militärkirchenwesen zur Zeit Friedrichs des Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das evangelische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm II. . . 8. Das katholische Militärkirchenwesen im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . 9. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm I. . . . 10. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich dem Großen . . 11. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm II. . . 12. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Die evangelische Landeskirche im aufgeklärt-absolutistischen Preußen sowie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ressortverhältnisse zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Konsistorialverfassung zur Zeit des Allgemeinen Landrechts . . . . . 1. Die Rezeption der bestehenden Konsistorialverfassung durch das Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Konsistorialverfassung in der Frühzeit des Allgemeinen Landrechts (1794–1815) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konsistorialverfassung in ihrer erneuerten Gestalt von 1815 bis 1850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die einzelnen Organe der Konsistorialverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der evangelische Landesherr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ministerien sowie die kirchlichen Zentralbehörden . . . . . . . . . . . 3. Die Provinzialkonsistorien und die Regierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Konsistorien der Standesherren (Mediatkonsistorien) . . . . . . . . .

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193 193 194 195 197 199 202 206 208 208 213 219 221 222 222 223 223 226 232 236 236 238 239 242

Inhaltsverzeichnis

11

5. Die Superintendenten – Allgemeine Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Superintendenten als Verwalter des landesherrlichen Kirchenregiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die General-Superintendenten (Bischöfe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die presbyterial-synodal verfaßten Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in Rheinland-Westfalen im frühen 19. Jahrhundert: Einführung konsistorialer Elemente . . . . . . . 2. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in den östlichen Provinzen im frühen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in den östlichen Provinzen nach 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Kirchenverfassung der Französisch-Reformierten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entstehung der französisch-reformierten Gemeinden . . . . . . . . . . 2. Die Gemeindeordnung der Französisch-Reformierten im 18. und 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Militärkirchenwesen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 1. Das evangelische Militärkirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das katholische Militärkirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Union von Lutheranern und Reformierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Situation ausgangs des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorbereitung der Union unter Friedrich Wilhelm III. . . . . . . . . . . 4. Die Durchführung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Flankierende Maßnahmen zur Durch- und Umsetzung der Union: Reverse und Agenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Separation der schlesischen Lutheraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Dom- und Stiftskapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nach der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Zeit des Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Das Patronatsrecht des Landesherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Bemerkungen und geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . 2. Das Patronatsrecht im Verhältnis zum Staat: Die Auseinandersetzung zwischen Svarez und Carmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriff und Erwerb des Patronatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausübung des königlichen Patronatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Bekenntnisse außerhalb der Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die konzessionierten und geduldeten evangelischen Bekenntnisse . . 2. Katholiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dissidenten und Nichtchristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 246 248 252 252 255 263 270 270 272 273 273 278 283 283 285 287 290 293 297 300 301 301 303 311 312 312 315 318 323 325 325 326 327

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Inhaltsverzeichnis

F.

Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Nebeneinander von Konsistorial- und Presbyterial-Synodal-Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die evangelische Landeskirche Preußens im Verhältnis zum Staat zur Zeit des Allgemeinen Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Stellung der Geistlichen im Allgemeinen Landrecht als Ausdruck der Verstaatlichung der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kirchliche Gesetzgebung durch staatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . .

328 328 329 336 337

Z w e i t e r Te i l Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. als Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments

338

Erstes Kapitel Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

340

A. Das Religionsedikt – eine umstrittene Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 B. Das Zustandekommen des Religionsedikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Erlaß: Keine Beteiligung des Justizdepartements und der geistlichen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rolle Woellners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Der Inhalt des Religionsedikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewissensfreiheit und Staatskirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kirchliches Dienst- und sonstiges Innenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351 351 353 357 362

D. Das Religionsedikt – Kirchenrecht oder Staatsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Schwierigkeit der juristischen Einordnung des Religionsedikts . . . . II. Die Problematik vor dem Hintergrund der kirchen- und staatskirchenrechtlichen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgewählte Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Religionsedikt im Spiegel der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Religionsedikt und landesherrliches Kirchenregiment . . . . . . . . . . . . . 4. Das Religionsedikt als „weltliche“ Maßnahme – die These Hubrichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtmäßigkeit des Religionsedikts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Religionsedikt – Allgemeines Gesetzbuch – Allgemeines Landrecht . . . IV. Religionsedikt und Reichsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

362 362

344 347

363 363 366 367 370 373 377 378

Inhaltsverzeichnis E. Mögliche Quellen des Religionsedikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Woellners Abhandlung über die Religion vom 15. September 1785 . . . . II. Die Zöllnerfrage, Mendelssohns „Jerusalem“, Zöllners Gegenschrift und Kants Aufklärungsaufsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten. Zweyte Abteilung. Von den Rechten und Pflichten der verschiedenen Stände des Staates. 1785 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.

13 379 379 386

391

Exkurs: Hatte Woellner ein persönliches Interesse am Religionsedikt? . . . . . . . 393

G. Die Remonstration des Oberkonsistoriums gegen das Religionsedikt . . . . . . . . I. Die Kritik der Oberkonsistorialräte und die Funktion des Oberkonsistoriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bitte Tellers um Entbindung von der Predigtverpflichtung . . . . . . . . III. Die Eingabe des Hofpredigers Sack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Antrag der geistlichen Oberkonsistorialräte auf Erlaubnis zum Immediatvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Immediateingabe der Oberkonsistorialräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die ergänzende Eingabe der Oberkonsistorialräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Resolution der Ministerialkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Reaktion der Remonstranten und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 396 398 399 400 403 405 406 408

Zweites Kapitel Die kirchenpolitischen Kontroversen der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. im Anschluß an das Religionsedikt A. Der Katechismusstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kontakt zwischen Woellner und Diterich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Ersten Gründe der christlichen Lehre“ und die Anordnung ihrer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der reformierte Landeskatechismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Befassung des Oberkonsistoriums mit den „Ersten Gründen der christlichen Lehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Intervention des Domkapitels und der Landstände zu Halberstadt . . VII. Die verbindliche Anordnung der „Christlichen Lehre im Zusammenhang“ sowie die Überprüfung und Überarbeitung durch das Oberkonsistorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fortsetzung der Überarbeitung durch die Mitglieder der ExaminationsKommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Rezeption des neuen Landeskatechismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Verwendung des Landeskatechismus in Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . .

410 410 411 413 417 418 420 422

423 425 427 428

14

Inhaltsverzeichnis

B. Der Streit um das Schema Examinis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingaben aus dem Oberkonsistorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reaktion Woellners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erneute Vorstellung der Oberkonsistorialräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Erneute Reaktion Woellners und Immediateingabe der Oberkonsistorialräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beendigung des Konflikts von höchster Stelle aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Konsequenzen der Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Die geistliche Immediat-Examinations-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Potsdamer Konferenz vom 6. Mai 1791 und die Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Instruktion vom 31. August 1791 und das Verhältnis der Examinations-Kommission zur Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Verselbständigung und Vorrangstellung der Berliner ExaminationsKommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Woellners Versuche der Gegensteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die weitere Verselbständigung der Berliner Examinations-Kommission VII. Aufsehenerregende Maßnahmen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Erweiterung der Machtposition im Frühjahr 1794 . . . . . . . . . . . . . . . IX. Der Anfang vom Ende: Die Visitation der Schulen und Universitäten im Sommer 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Das Verfahren gegen Hermanni als Beispiel für den Niedergang der Immediat-Examinations-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Das Ende der Immediat-Examinations-Kommission und die Entlassung Woellners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

436 436

D. Der Zopfschulzenprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgeschichte bis zum Erlaß des Religionsedikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Erlaß des Religionsedikts zum Schulz-Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Beginn des Verfahrens in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Beweisbeschluß des Kammergerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das erstinstanzliche Urteil und seine Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Maßregelung der Kammergerichtsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz: Die „weitere Verteidigung“ . . VIII. Nachwirkungen des Schulzprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Das Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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433 434 435

440 444 451 455 457 459 460 471 473 476

E. Zusammenfassende Würdigung der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms II. . . . 505 I. Ein vernichtendes Urteil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 II. Korrekturbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506

Inhaltsverzeichnis Friedrich Wilhelm II. und das landesherrliche Kirchenregiment vor dem Hintergrund der Geschichte: Die historisch gewachsene Überforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Friedrich Wilhelm II. und das landesherrliche Kirchenregiment vor dem Hintergrund der Praxis des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die spezifische Problematik der Konsistorialverfassung: Institutionelle Unklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Irrationalität der preußischen Kirchen- und Religionspolitik unter Friedrich Wilhelm II.? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Religionspolitik Friedrich Wihelms II. als Ausdruck einer gewandelten Staatsauffassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

III.

510 516 518 522 525 527

Drittes Kapitel Staat und Kirche in den Kronprinzenvorträgen von Carl Gottlieb Svarez

529

A. Die Kronprinzenvorträge als Unterweisung im Allgemeinen Staatsrecht und im positiven preußischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 B. Der Standort des Staatskirchenrechts im Allgemeinen Staatsrecht . . . . . . . . . . . 530 C. Der Ort des Staatskirchen- und Kirchenrechts im Vorlesungsverlauf . . . . . . . . 534 D. Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften . . . . . . II. Besondere Rechte des Staates über bestimmte Religionsgesellschaften . . III. Das Recht der Kirchen und geistlichen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . 1. Religions-, Kirchen- und geistliche Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 2. Religions- und Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsichtsrechte über die Kirchen und Kirchenrecht im eigentlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

534 534 538 542 542 542 543

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589

Einleitung In der Einleitung zum Edict die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend vom 9. Juli 1788 schrieb Friedrich Wilhelm II., der seit dem 17. August 1786 König von Preußen war: „Wir Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden, König von Preußen p. Thun kund und fügen hiemit jedermann zu wissen, daß, nachdem Wir lange vor Unserer Thronbesteigung bereits eingesehen und bemerket haben, wie nöthig es dereinst seyn dürfte, nach dem Exempel Unserer Durchlautigsten Vorfahren, besonders aber Unsers in Gott ruhenden Großvaters Majestät darauf bedacht zu seyn, daß in den Preußischen Landen die Christliche Religion der Protestantischen Kirche, in ihrer alten ursprünglichen Reinigkeit und Aechtheit erhalten, und zum Theil wieder hergestellet werde, auch dem Unglauben eben so wie dem Aberglauben, mithin der Verfälschung der Grundwahrheiten des Glaubens der Christen, und der daraus entstehenden Zügellosigkeit der Sitten, so viel an Uns ist, Einhalt geschehe; und dadurch zugleich Unsern getreuen Unterthanen ein überzeugenden Beweis gegeben werde, wessen sie in Absicht ihrer wichtigsten Angelegenheit, nehmlich der völligen Gewissensfreyheit, der ungestörten Ruhe und Sicherheit bey ihrer einmal angenommenen Confession und dem Glauben ihrer Väter, wie auch des Schutzes gegen alle Störer ihres Gottesdienstes und ihrer kirchlichen Verfassungen, zu Uns, als ihrem Landesherrn sich zu versehen haben: Wir nach bisheriger Besorgung der dringendsten Angelegenheiten des Staates und Vollendung verschiedener nöthigen und nützlichen neuen Einrichtungen, numehro keinen fernern Anstand nehmen, an diese Unsere anderweitige wichtige Regentenpflicht ernstlich zu denken, und in gegenwärtigem Edict Unsere unveränderliche Willensmeynung über diesen Gegenstand öffentlich bekannt zu machen.“1

Am 16. November 1797 starb Friedrich Wilhelm II. im Alter von 53 Jahren; ihm folgte sein Sohn, der bisherige Kronprinz, als Friedrich Wilhelm III. nach. Über diesen Zeitpunkt schrieb Erich Foerster 1905: „Als König Friedrich Wilhelm III. kurz vor Beginn des 19. Jahrhunderts am 16. November 1797 den Preußischen Thron bestieg, befand sich das protestantische Kirchenwesen in seinen Staaten in einem Zustande völliger Auflösung.“2

Nimmt man diese Einschätzung ernst, so scheint die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. im Hinblick auf die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in der preußischen Landeskirche nicht nur unergiebig, sondern geradezu desaströs gewesen zu sein: Aus einem Zustand des Unglaubens, des Aberglau-

1 2

NCC VIII, Sp. 2175–2184, hier Sp. 2175 f. Foerster, Entstehung der Landeskirche I, S. 1.

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Einleitung

bens, der Verfälschung der christlichen Glaubenswahrheiten und der Zügellosigkeit der Sitten, wie ihn der König höchstselbst in seiner Bestandsaufnahme festgestellt hat, soll nach Foerster nichts als ein Zustand völliger Auflösung geworden sein. Dies steht im Einklang mit der bislang bei weitem überwiegenden Auffassung in der Historiographie, welche über die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. im Hinblick auf das evangelische Kirchenwesen3 ein bestenfalls skeptisches, meist ablehnendes, mitunter gar vernichtendes Urteil fällt. Neutrale, abwägende oder gar positive Einschätzungen finden sich praktisch nicht. So fällt es keineswegs aus dem Rahmen, wenn Paul Schwartz seine 1925 erschienene Darstellung des kirchen- und schulpolitischen Wirkens Friedrich Wilhelms II. unter Ziehung überdeutlicher Parallelen zur Bismarck-Ära unter dem Titel „Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788– 1798)“ und mit Kapitelüberschriften wie „Der Kriegsplan“, „Der Ausbruch des Kampfes“, „Das rote Gespenst“ und „Der heilige Schrecken“ veröffentlichte. Übereinstimmend stützen sich die negativen Stimmen aus Kirchen- und Rechtsgeschichte auf die zahlreichen großen und kleinen kirchenpolitischen Konflikte, die sich während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. ereignet und die sie zweifelsohne geprägt haben. An besonderer Stelle zu nennen sind der Erlaß des Religionsedikts, dem eine heftige Kontroverse zwischen dem König und dem lutherischen Oberkonsistorium und lange Zeit anhaltende Diskussion in der Öffentlichkeit folgte, die Einführung des neuen lutherischen Landeskatechismus, die Auseinandersetzung um die neue Prüfungsordnung für Predigerkandidaten, das Schema Examinis, und schließlich die Einsetzung der sogenannten Immediat-Examinations-Kommission, deren Wirken in Angelegenheiten der Kirchen-, Religions- und Zensurpolitik unbestrittenermaßen zu einer staatsrechtlichen, staatskirchenrechtlichen und kirchenrechtlichen Lage geführt hat, die in einem solchen Maße von Unklarheit und Verwirrung gekennzeichnet war, daß die Schlußfolgerung, das Kirchenwesen sei in völlige Auflösung geraten, auf den ersten Blick nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden kann. Die Ursache für die „Mißstände“ im preußischen evangelischen Kirchenwesen des ausgehenden 18. Jahrhunderts wird gemeinhin in einer Kombination persönlicher Unzulänglichkeiten des Monarchen sowie eines ausgeprägten Despotismus des während der fraglichen Zeit amtierenden Ministers im Lutherischen Geistlichen Departement, Johann Christoph (von) Woellner, gesehen, der in kollusivem Zusammenwirken mit seinen „Günstlingen“, vor allen den Mitgliedern der Immediat-Examinations-Kommission Hermann Daniel Hermes und Gottlob Friedrich Hillmer unter weitgehender Ausschaltung des Königs seine 3 Das Verhältnis des preußischen Staates zur katholischen Kirche spielte in jener Epoche – anders als im darauffolgenden Jahrhundert, insbesondere in dessen letztem Drittel – eine deutlich nachrangige Rolle.

Einleitung

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eigenen, rückwärts gewandten religiösen und religionspolitischen Vorstellungen durchgesetzt haben soll. Konsequenterweise wird dieser Sicht der Dinge nach nicht nur das Religionsedikt nach Woellner benannt, sondern die gesamte Regierungszeit des Königs als „Ära Woellner“ bezeichnet. Daß die sogenannte „Ära Woellner“ sich jedoch nicht nur durch Maßnahmen auszeichnet, welche der Korrektur der am Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen angetroffenen und als unbefriedigend empfundenen Situation dienten, sondern auch durch gesetzgeberische Entscheidungen, die als ausgesprochen liberal und innovativ zu bezeichnen sind, wird kaum zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt für tatsächliche Indizien, welche die These vom Despotismus Woellners und seiner angeblich entscheidenen und alles andere dominierenden Stellung im lutherischen Kirchenwesen in Frage stellen. Darüber hinaus hat – soweit ersichtlich – bisher keine Berücksichtigung gefunden, welche Bedeutung die Art und Weise, in der sich das aus dem provisorischen „Notbischofsrecht“ hervorgegangene landesherrliche Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen seit der Reformation entwickelt hat, direkt oder indirekt für die kirchenpolitische und kirchenregiminale Praxis im aufgeklärt-absolutistischen Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts gehabt hat. Die vorliegende Arbeit unternimmt daher den Versuch, die bisherige Auffassung von der Religionspolitik der „Ära Woellner“ unter Berücksichtigung ihrer historischen und politischen Voraussetzungen einer Neubewertung zuzuführen. Zu diesem Zweck wird zunächst die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch König Friedrich Wilhelm II. in den Kontext der historischen Entwicklung dieses Rechtsinstituts gestellt.4 Dabei zeigt sich, daß Friedrich Wilhelm II. an eine Staatspraxis anzuknüpfen hatte, die sich – aus mannigfaltigen Gründen, die teils in vorreformatorische Zeiten reichen, teils mit den politischen Verhältnissen der jeweiligen Epochen zusammenhängen – alles andere als kontinuierlich und in sich stimmig, mitunter geradezu in zufälliger Weise entwickelt hat. An diese prinzipielle Diskontinuität hat die Kirchen- und Religions-

4 Die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments und seiner Praxis in Brandenburg-Preußen wird von den vorreformatorischen Wurzeln bis hin zur Regierungszeit Friedrichs des Großen geschildert und im jeweiligen gesellschaftspolitischen und geistesgeschichtlichen Kontext gedeutet. Die Gliederung der – schwerpunktmäßig auf die Mark Brandenburg als das Kernland der preußischen Monarchie ausgerichteten – Darstellung orientiert sich im wesentlichen an den Regierungsdaten der brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige (Teil I, Kapitel 1). Da sich die Entstehung und allmähliche Entwicklung der in die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments eingebundenen Konsistorien praktisch über den gesamten untersuchten Zeitraum hinzieht, wurde die diesbezügliche Darstellung der besseren Übersicht halber in das zweite Kapitel des Ersten Teils verlagert, welches detaillierte Informationen über den – gleichfalls historisch gewachsenen – territorialen und kirchenverfassungsrechtlichen Hintergrund der brandenburgisch-preußischen Kirchen- und Religionspolitik enthält.

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politik Friedrich Wilhelms II. nahtlos angeknüpft, und auch unter den nachfolgenden Regierungen Friedrich Wilhelms III. und Friedrich Wilhelms IV. hat sich die unstetige Entwicklung fortgesetzt, vor allem bis zum Inkrafttreten der preußischen Verfassung von 1850. Daß die vorliegende Untersuchung keine systematische Konzeption des landesherrlichen Kirchenregiments und seiner brandenburgisch-preußischen Praxis hat herausarbeiten und entwickeln können, versteht sich daher von selbst: Eine solche Konzeption hat schlichtweg nicht existiert. Vielmehr stellen gerade die weitgehende Abwesenheit von Kontinuität und die Ersetzung einer systematischen Dogmatik und Praxis durch die „normative Kraft des Faktischen“5 die charakteristischen Merkmale der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen dar. Darüber hinaus wird im Rahmen einer Detailanalyse wichtiger und konfliktträchtiger kirchenpolitischer Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. das Verhältnis der maßgeblichen religionspolitischen Akteure jener Zeit untereinander näher beleuchtet. Die Arbeit gelangt so zu einer Neubewertung des Einflusses, den insbesondere König, Minister, kirchliche Oberbehörden und außerhalb der Staatsverfassung stehende Gremien wie die Immediat-Examinations-Kommission auf die Gestaltung des preußischen Religionswesens im allgemeinen sowie auf die lutherische Landeskirche im besonderen gehabt haben. Schließlich stellt die kommentierte Zusammenfassung der Ausführungen, die Carl Gottlieb Svarez während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. in den Vorträgen für den seinerzeitigen Kronprinzen und nachmaligen König Friedrich Wilhelm III. zum Verhältnis von Staat und Kirche gemacht hat, eine – unvermeidbar subjektive – „Momentaufnahme“ des preußischen Staatskirchenrechts am Ende des 19. Jahrhunderts aus der Perspektive der Rechtswissenschaft dar. Insgesamt kommt die Arbeit zu dem Ergebnis, daß die Ursachen für das Gelingen oder Scheitern der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. anders zu beurteilen sind, als dies insbesondere in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts – der die spätere Historiographie geradezu blind gefolgt ist – 5 Diese schlagwortartige Verkürzung ist durchaus auch im Sinne Georg Jellineks zu verstehen, der über das Verhältnis des Faktischen zum Normativen in der Entstehung des Rechts ausgesagt hat: „Die fortdauernde Übung erzeugt die Vorstellung des Normmäßigen dieser Übung, und es erscheint damit die Norm selbst als autoritäres Gebot des Gemeinwesens, also als Rechtsnorm.“ (Allgemeine Staatslehre, S. 339, ausführlich zur „normativen Kraft des Faktischen“ S. 337 ff.). Die von der Staatspraxis faktisch in Anspruch genommenen kirchenregiminalen Befugnisse der Landesherren erhielten aufgrund ihrer stetigen Wahrnehmung normativen Charakter. Darüber hinaus hat das Faktische im Hinblick auf die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments insoweit normative Kraft gehabt, als die brandenburgisch-preußischen Herrscher die aus den faktischen Gegebenheiten der jeweiligen Epoche resultierenden Grenzen und Schranken ihrer kirchenregiminalen Befugnisse respektiert und im Ergebnis auch akzeptiert haben. In diesem Sinne wirkt sich die „Kraft des Faktischen“ nicht unmittelbar auf den Norminhalt, sondern auf deren Durchsetzbarkeit aus, was im Ergebnis jedoch einer – faktischen – Verkürzung des Norminhalts gleichkommt.

Einleitung

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beinahe einstimmig behauptet worden ist. Die Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen im ausgehenden 18. Jahrhunderts ist vielmehr – so die These dieser Untersuchung – ein komplexes Produkt zahlreicher zusammenwirkender Faktoren, unter welchen die Handhabung des Kirchenregiments durch die brandenburgisch-preußischen Landesherren in früheren Zeiten einen besonderen Rang einnimmt. Es ist diese sprunghafte, oft fragwürdige Praxis, welche zu den von zahlreichen und erheblichen Irrungen und Wirrungen geprägten Verhältnissen im preußischen Kirchenwesen, insbesondere in der lutherischen Landeskirche geführt hat, die Friedrich Wilhelm II. bei der Thronbesteigung vorgefunden hat. Daher ist auch die terminologische Bezugnahme auf das „Notbischofsrecht“ im Titel dieser Arbeit bewußt erfolgt: Sie soll darauf hinweisen, daß die von den preußischen Königen wahrgenommene kirchliche Funktion in der Tradition des „Notbischofsrechts“ steht, und daß gerade dessen Entwicklung von einem „Provisorium“ hin zu einem „Definitivum“ für die Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist. Sicherlich haben persönliche Unzulänglichkeiten auf allen Seiten und mancherlei Zufälligkeiten, die im tagespolitischen Geschehen nie auszuschließen sind, ihren Teil zu der zweifelsohne insgesamt fragwürdigen Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. beigetragen. Ein pauschales moralisches Urteil über sie verbietet sich jedoch, da als das wesentliche und entscheidende Moment für die Beurteilung des landesherrlichen Kirchenregiments und damit auch seiner Ausübung durch Friedrich Wilhelm II. der unklare Standort der preußischen Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung anzusehen ist.

E r s t e r Te i l

Landesherrliches Kirchenregiment und evangelisches Kirchenwesen in Brandenburg-Preußen – Entwicklungsgeschichte und Verfassungsformen Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Preußen ist ausgesprochen kompliziert und verworren. Es ist insbesondere gekennzeichnet durch vielfältige Unklarheiten und Mißverständnisse hinsichtlich der Rolle der Landesherren – Kurfürsten und Könige – in der protestantischen Landeskirche; diese Funktion ist mit dem Ausdruck „landesherrliches Kirchenregiment“ ebenso umfassend wie vage umschrieben. Ansonsten war die Terminologie uneinheitlich: Der Landesherr wurde in seiner Beziehung zur Landeskirche bald als – prinzipiell vorläufiger – „Notbischof“, bald als „vornehmstes Glied der Kirche“ (praecipuum membrum ecclesiae) oder als „christliche Obrigkeit“, bald als – mehr oder weniger dauerhafter – „oberster Bischof“ (summus episcopus) oder sonst als Kirchenoberhaupt bezeichnet und angesehen. Ebenso uneinheitlich, sprunghaft und bisweilen widersprüchlich stellt sich daher die Praxis der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch die brandenburgisch-preußischen Landesherren dar. Dies liegt einerseits daran, daß die Fortentwicklung des staatsrechtlichen, theologischen und kirchenrechtlichen Denkens nicht synchron verlief. Für die dogmatische Entwicklung der Schnittstelle dieser Bereiche – des Staatskirchenrechts1 – gilt dies geradezu in verschärftem Maße. Hinzu kommt, daß die tatsächliche historische Entwicklung auf der einen Seite und der Fortschritt des wissenschaftlichen Diskurses auf der anderen Seite ebenfalls weitgehend unabhängig voneinander verliefen.2 Da der Begriff der Kirche infolge der Reformation für den protestantischen Bereich in hohem Maße unklar geworden war, gab 1 Der Begriff ist modern und war im 18./19. Jahrhundert – erst recht früher – noch keineswegs etabliert. Begriffe wie „Kirchen-Staats-Recht“ und „Kirchenrechtsgelahrtheit“ etc. wurden synonym verwendet. 2 Cf. etwa Brandes, Geschichte I: „zu welcher sich der unklare Episkopalismus, wie er aus der Reformationszeit hervorgegangen, allmälig unter der Wirkung der factischen Verhältnisse entwickelt hatte“ (S. 437); „der sogenannte Territorialismus, der [. . .] nur aussprach, was eigentlich längst schon der factische Zustand geworden war“ (S. 439). Ähnlich Hellmar, Patronat, S. 16.

1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

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es auch kein „authentisches“ System des Kirchenrechts und keine „amtliche“ Auffassung des landesherrlichen Kirchenregiments. Statt dessen war die Entwicklung des Kirchenregiments in entscheidender Weise von faktischen Gegebenheiten, insbesondere von den gesellschafts- und machtpolitischen Umständen der jeweiligen Epoche abhängig. Das „Faktische“ besaß also in dem bereits dargelegten Sinne „normative Kraft“.3 Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die Geschichte der Reformation in den zahlreichen Territorien und Herrschaften, die nach und nach den preußischen Staat gebildet haben, eine Vielzahl von Kirchenverfassungen, in denen die Elemente der beiden hauptsächlichen Verfassungstypen, der Konsistorial- und der Presbyterial-Synodal-Verfassung in höchst unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert sind. Auch diese kaum zu überblickende Vielfalt hat eine systematische Handhabung des Kirchenregiments durch die preußischen Herrscher und die Entstehung einer kontinuierlichen Staatspraxis erschwert. Eine zusätzliche Verkomplizierung ergab sich aus den reichsrechtlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen. Eine einheitliche, kontinuierliche, systematische und kohärente Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments läßt sich daher nicht nachweisen; sie kann folglich auch nicht das Produkt der vorliegenden Untersuchung sein. Vielmehr ist das hauptsächliche Charakteristikum der Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen darin zu sehen, daß sie gerade nicht kontinuierlich verläuft. Die zahlreichen kirchen- und religionspolitischen Maßnahmen der Kurfürsten und Könige ergeben kein einheitliches und systematisches Bild, sondern stellen lediglich unterschiedliche Facetten des landesherrlichen Kirchenregiments dar, die in ihrer Gesamtheit nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Erst bei einer Betrachtung der unzähligen Details, aus denen sich die Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen zusammensetzt, erschließen sich letztlich auch die problematischen Umstände, unter denen im ausgehenden 18. Jahrhundert König Friedrich Wilhelm II. Kirchen- und Religionspolitik betrieb und als Oberhaupt der lutherischen Landeskirche agierte.

3

Cf. supra Einleitung, Fn. 5.

Erstes Kapitel

Die Entstehung und Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen A. Begriff und theoretische Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments I. Zeitlicher Überblick Im hier interessierenden Bereich des deutschen Protestantismus1 kann das landesherrliche Kirchenregiment, das für das Verhältnis von Staat und Kirche in Preußen in seiner historischen Entwicklung von zentraler Bedeutung ist, als eine spezifische Frucht der religiös-theologischen Entwicklung seit der Reformation sowie der besonderen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten gelten. In seiner späteren Gestalt wesentlich bestimmt durch die zunächst faktische, später auch juristisch legitimierte Dominanz der evangelischen Landesherren, war es schon im vorreformatorischen Landeskirchentum des ausgehenden Mittelalters vorgebildet, als die Staatsgewalt mehr und mehr von der geschwächten Reichsgewalt auf die Territorialherren überging, die mit den Mitteln des Patronatsrechts und der Kirchenvogtei zunehmend auf zahlreiche Bereiche des kirchlichen Lebens Einfluß nahmen.2 Obsolet wurde das landesherrliche Kirchenregiment erst mit der Abdankung der Fürsten und der Begründung der Weimarer Republik nach 1918.

1 Eine wie auch immer geartete Regelung der Beziehungen zwischen politischer Gewalt und Religion existiert in nahezu allen Gesellschaftsordnungen und Kulturen. Ein landesherrliches Kirchenregiment im weiteren Sinne existiert insbesondere in jenen Ländern, in denen eine Staatskirche gleich welcher Ausprägung besteht (z. B. Vereinigtes Königreich, Skandinavien). Cf. Krumwiede, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, S. 59; Liermann, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, Sp. 1952. 2 Einige deutsche Fürsten besaßen Nominationsrechte bei der Besetzung bischöflicher Stühle; cf. Liermann, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, Sp. 1953. Ausführlich hierzu Hintze, Epochen, S. 67 f., sowie von Mühler, Geschichte, S. 96. Speziell zur Entwicklung in den brandenburgischen Marken infra Teil I, Kapitel 1, C.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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II. Das landesherrliche Kirchenregiment und die Reformation: Luther und Melanchthon Das landesherrliche Kirchenregiment „im engeren Sinne“ hat seinen Ursprung in den reformatorischen Ideen Martin Luthers. Es ist zwar Ausfluß seiner Rechtstheologie, d. h. seiner Vorstellung von Kirche, Staat sowie dem Verhältnis beider Rechtskreise, jedoch war das landesherrliche Kirchenregiment in seiner späteren Gestalt von Luther nicht so vorhergesehen und gewollt.3 Luthers sogenannte „reformatorische Hauptschriften“ aus dem Jahr 1520 enthalten das Kernstück seiner Forderung nach einer konsequenten Reform der katholischen Kirche des späten Mittelalters. Seine Forderung nach der Beseitigung des Vorrangs der geistlichen Gewalt gegenüber der weltlichen4 ist in diesem Zusammenhang als Appell an die weltliche Obrigkeit zu verstehen, die Initiative für die Kirchenreform zu ergreifen. Bei den Mitgliedern der katholischen Hierarchie fanden Luthers Anregungen kein Gehör, so daß – als ekklesiologische Konzeption – der Gedanke des „allgemeinen Priestertums der Gläubigen“ in den Vordergrund rückte, ohne verfassungsmäßig ausgereift zu sein. Zunächst sollten die weltlichen Fürsten und städtischen Magistrate – als evangelische Laien gewissermaßen „Mitpriester“, aber noch nicht „besonders angesehene Glieder der Kirche“ (praecipua membra ecclesiae)5 in der nach dem Wegbrechen der Hierarchie regimentlosen Kirche – im Namen der in der Entstehung begriffenen Gemeinden lediglich die Kirchenreform durchführen. Die Zuständigkeit für die von ihr wahrgenommenen Funktionen verblieb bei der Kirche selbst; die Regelung ehemals kirchlicher, nun aber weltlich gewordener Fragen – etwa Ehegesetze, Schulwesen, Armenfürsorge – wurden von Obrigkeit und Theologen gemeinsam wahrgenommen, so daß Kirche und Staat nach wie vor eng miteinander verflochten waren. Unter Rückgriff auf die von Luther konzipierte und später von Melanchthon und Calvin übernommene Zwei-Reiche-Lehre wurde aber schon bald – noch vor dem Augsburger Religionsfrieden 1555 – der weltlichen Herrschaft die Sorge und Mitverantwortung für die äußere Existenz der Kirche (sog. cura religionis) anvertraut. Das allein durch Christus als Haupt der Kirche ausgeübte geistliche Regiment sollte hiervon freilich unberührt bleiben. 3 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 41 mit ausführlicher Begründung anhand der Augsburger Confession und der ersten Apologie Melanchthons, ibid., S. 35–41; ferner J. Heckel, Lex charitatis, S. 312 („Zu den Ahnherren des Landesherrlichen Kirchenregimentes zählt Luther nicht.“); ders., Cura religionis, S. 48 („Eine Theorie des landesherrlichen Kirchenregiments ist der lutherischen Theologie des 16. Jahrhunderts völlig fremd.“). S. aber auch Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 258 f., der auf Luthers Bekenntnis zum fürstlichen Summepiskopat verweist. 4 Cf. Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520), passim. 5 s. dazu sogleich infra.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Indem die weltliche Obrigkeit nunmehr für Staat und Kirche Sorge trug, hatte sie das Wächteramt über beide Tafeln des Dekalogs6, die custodia utriusque tabulae, inne. Handelte die Obrigkeit dabei zunächst nur als von der Kirche solchermaßen beauftragter „christlicher Bruder“, als membrum ecclesiae, so brachte es die dynamische Entwicklung zum frühneuzeitlichen Staat mit sich, daß die evangelischen Fürsten eine immer stärkere Vorrangstellung in der Kirche einnahmen.7 Dieser faktischen Stellung trägt die auf Melanchthon zurückgehende Bezeichnung des Landesherrn als praecipuum membrum ecclesiae8, als vornehmstes Glied der Kirche, Rechnung. Der gleichen Epoche entstammt der von Luther geprägte Begriff des „Notbischofs“9, welcher gleichfalls die weltliche Obrigkeit nicht etwa als „evangelischen Oberhirten auf Zeit“ anerkennen, sondern lediglich die ihr „aus wilder Wurzel“10 zwangsläufig zugefallene Aufgabe umschreiben sollte: Der Landesherr sollte dem geistlichen Notstand abhelfen, der infolge des Wegfalls der überkommenen kirchlichen Autoritäten entstanden war, er war jedoch nicht von Amts wegen Oberhaupt der evangelischen Kirche.11 Die Aufgaben des „Notbischofs“ – als Wächter über die Erste Tafel des Dekalogs12 – waren daher auch pragmatisch und nicht spezifisch geistlich umschrieben: Er hatte die heilige Pflicht, die Kirche zu schützen13, sie mit Gütern auszustatten und das Kirchengut zu verwalten, das Bekenntnis zu hüten und die Ketzer zu bestrafen, einen einheitlichen Gottesdienst zu gewährleisten14, rechtgläubige Lehrer der Religion zu bestellen sowie die Kirchendisziplin aufrechtzuerhalten.15 Der „Notbischof“ sollte also unter Einsatz der ihm als 6 „Dekalog“ meint die in den Büchern Exodus (Kapitel 20) und Deuteronomium (Kapitel 5) des Alten Testaments in unterschiedlicher Zählweise zusammengefaßten „Zehn Gebote“, die der biblischen Überlieferung zufolge auf zwei Steintafeln eingraviert waren. Die erste Tafel enthielt die Pflichten des Menschen gegenüber Gott, die zweite die Pflichten gegenüber den Mitmenschen. 7 Cf. Krumwiede, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, S. 60–62 (mit Nachweisen aus Luthers Schriften). 8 Melanchthon, Sendschreiben an Veit Theodor vom 25. Oktober 1543 (Corpus Reformatorum, Band V, S. 210): „Principes et senatores dupliciter habend jus vocandi: primum quia praesunt et vult Deus gubernatores curare ministerium evangelii, deinde quia sunt praecipua membra ecclesiae.“ (Hervorhebung hinzugefügt). 9 Näher hierzu Krumwiede, Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments, S. 109 ff. 10 Liermann, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, Sp. 1953. 11 Der Begriff des summus episcopus findet sich erst ab der Zeit des Westfälischen Friedens. Näher hierzu infra Teil I, Kapitel 1, C. V. 6. 12 Das Wächteramt über die Zweite Tafel des Dekalogs verpflichtete den Landesherrn dazu, eine dem Frieden und der Gerechtigkeit dienende Ordnung zu schaffen und zu erhalten. Hiermit korrespondierte eine Pflicht der Untertanen zum Gehorsam gegen die Obrigkeit. Krumwiede, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, S. 61. 13 Diese Aufgabe stand in der Tradition der schon in vorreformatorischen Zeiten ausgeübten Schutzrechte der Territorialfürsten über die Kirche (advocatia ecclesiae). 14 Ein Land mit mehreren Bekenntnissen galt seinerzeit als unregierbar, cf. Krumwiede, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, S. 61.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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Landesherrn zu Gebote stehenden Mittel den äußeren Bestand des Kirchenwesens und die Aufrechterhaltung der kirchlichen Grundfunktionen vorläufig sicherstellen. Das Amt sollte daher ebenso ein Provisorium darstellen wie die durch die Reformation hervorgerufene äußerliche Kirchenspaltung auch.16 Es war nur deshalb erforderlich geworden, weil der Wunsch der Reformatoren, die katholischen Bischöfe sollten die evangelische Lehre annehmen und von ihrer im göttlichen Recht begründeten Stellung in den Bereich der menschlichen Ordnung heruntersteigen, nicht in Erfüllung gegangen war.17 III. Juristische Erklärungsmodelle Angesichts der kontinuierlich zunehmenden Einflußnahme der Territorialfürsten auf das evangelische Kirchenwesen wurden in der kirchen- und staatsrechtlichen Literatur seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert verschiedene Begründungsversuche erarbeitet, welche die von den Landesherren in den jeweiligen Landeskirchen faktisch ausgeübte Funktion juristisch legitimieren und so das kirchenverfassungsrechtliche Defizit der reformatorischen Lehren beheben sollte. Gleichzeitig wurde – im Zuge der Säkularisierung des Staatsverständnisses sowie der Entwicklung territorialstaatlicher Souveränität im Rahmen der Reichsverfassung – der Versuch unternommen, ein Staatsbild zu entwerfen, das mit einem christlichen Kirchenverständnis in Einklang gebracht werden mußte. Staats- und Kirchenbegriff sollten in einem dialektischen Prozeß aufeinander hin entwickelt und zu einer scheinbar bruchlosen Gesamtkonzeption zusammengefügt werden.18 1. Episkopalsystem Eine juristische Festigung erfuhr die Stellung des „Notbischofs“ infolge des Augsburger Religionsfriedens (1555) zunächst im Episkopalsystem (Episkopalismus), als dessen Begründer und Hauptvertreter die Brüder Stephani anzusehen sind.19 Durch den Religionsfrieden erhielt die Augsburger Konfession ne15 Cf. im einzelnen Richter, Grundlagen der Kirchenverfassung, S. 34 ff., Krumwiede, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, S. 61. 16 Ein dauerhaftes Schisma war von den Reformatoren nicht beabsichtigt, am wenigsten von Luther. Wie der Begriff „Reformation“ zeigt, ging es um eine Erneuerung der Kirche im ganzen unter Wahrung der kirchlichen Einheit, nicht um die Schaffung und Herausbildung einer unabhängigen kirchlich-konfessionellen Alternative. 17 Näher hierzu Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, S. 31, 38 m. N. 18 Ausführlich hierzu Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 417. 19 Joachim Stephani, Institutiones Iuris Canonici (1604, evtl. bereits 1599); ders., De iurisdictione Iudaeorum (1604, evtl. bereits 1582; die hier relevanten Ausführun-

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

ben dem Katholizismus reichsrechtliche Anerkennung; die Landesherren erhielten ihrerseits kraft Reichsrechts das Privileg, den Bekenntnisstand gemäß ihrer jeweiligen persönlichen Überzeugung für ihr Territorium festzulegen.20 Auf diese Weise übernahmen die evangelischen Landesherren (nach der Confessio Augustana) die geistliche Jurisdiktion anstelle der von deren Ausübung suspendierten katholischen Bischöfe, wobei die Kirchengewalt nicht in der Territorialgewalt aufging, sondern auf einem besonderen – nämlich reichsrechtlichen – Rechtsgrund beruhte. Die Fürsten hatten demnach eine doppelte Rechtsstellung („duplex persona“) als Landesherr und Bischof inne; die Rechtsgewalt war in die – iure divino unvermischbare – geistliche und weltliche Jurisdiktion unterteilt.21 Der im Laufe des 17. Jahrhunderts aufkommende Begriff „Summepiskopat“, bisweilen – sachlich ungenau – synonym für „Landesherrliches Kirchenregiment“ verwendet22, wurzelt also in besonderer Weise in der episkopalen Deutung der obrigkeitlichen Position. Kennzeichnend für das Episkopalsystem ist seine historisch pragmatische rein staatsrechtliche, nicht etwa ekklesiologische oder sonst rechtstheologische Argumentationsweise, die zwar das evangelische Kirchenregiment in die Reichsverfassung integriert und reichsrechtlich legitimiert, jedoch in einer eigentümlichen Fremdheit zum reformatorischen Kirchenverständnis steht. Auch wenn hierdurch in einer staatsrechtlich turbulenten Zeit die Rechtskontinuität partiell gewahrt werden konnte, ist es eine Ironie, daß die geistliche Jurisdiktion der Fürsten gerade auf einer modifizierten Fortgeltung kanonischen Rechts beruhen sollte. Denn ein solchermaßen gestärktes obrigkeitliches landesherrliches Kirchenregiment ist selbst mit den reformatorischen Lehren von der custodia

gen befinden sich im Vierten Buch); Mathias Stephani, Tractatus de iurisdictione (die hier relevanten Ausführungen aus dem ersten Teil des Dritten Buchs sind 1609 erstmals erschienen). Näher hierzu Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 215 ff., sowie K. Müller, Zur Geschichte und zum Verständnis des Episkopalsystems, S. 1 ff. 20 Die in diesem Zusammenhang gebräuchlichen Wendungen ius reformandi sowie cuius regio, eius religio entstammen nicht dem Augsburger Religionsfrieden selbst, sondern wurden in der Folgezeit von Juristen formuliert. Als Urheber der letztgenannten Wendung ist Joachim Stephani (s. vorhergehende Fn.) anzusehen, der im Zusammenhang mit der Entwicklung des Episkopalsystems formulierte: „Hodie religionem regioni cohaerere dici potest, ut cuius sit Regio, hoc est ducatus, principatus seu ius territorii, eius etiam sit Religio, hoc est ius episcopale seu iurisdictio spiritualis.“ (Institutiones Iuris Canonici, p. 52). Ausführlich hierzu J. Heckel, Cura religionis, S. 232 ff. Maier, Warum das Alte Reich ein Hort der Toleranz war, Sp. 3, datiert die Entwicklung der Cuius-Regio-Formel durch Stephani bereits auf das Jahr 1576. 21 M. Heckel, Art. Episkopalsystem, Sp. 728 f. Anfängliche Einschränkungen der fürstlichen Episkopalgewalt – etwa dergestalt, daß die bischöflichen Rechte dem Landesherrn nur vorläufig und treuhänderisch anvertraut sein sollten – wurden später fallengelassen. M. Heckel, Art. Episkopalsystem, Sp. 729. 22 So offensichtlich von Thadden, Kirche im Schatten des Staates, S. 148. Für eine differenzierende Betrachtung und Terminologie mit Recht bereits früher etwa J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 266 ff., passim.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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utriusque tabulae sowie vom praecipuum membrum ecclesiae nicht in Einklang zu bringen.23 Gleichwohl war die dauerhafte Beibehaltung des landesherrlichen Kirchenregiments nicht aufzuhalten; das Provisorium entwickelte sich zum Definitivum. 2. Territorialsystem: Frühe Ausprägung und „rationaler Territorialismus“ Die „Restitutionstheorie“, wonach die originär beim Staat liegenden und zwischenzeitlich von der Kirche usurpierten bischöflichen Rechte durch den Augsburger Religionsfrieden dem Landesherrn „restituiert“ worden seien, bildet den Übergang zum sogenannten Territorialsystem (Territorialismus). Diese – in ihrer Frühform um die Wende zum 17. Jahrhundert vertretene – Theorie24 sieht die Rechtsgrundlage des Kirchenregiments nicht im kanonischen Recht und im Reichsrecht, sondern in der Territorialherrschaft, der weltlichen Souveränität als solchen.25 Nach dem Territorialsystem hat die evangelische Obrigkeit in vollem Umfang Zugriff auf den kirchlichen Bereich, begrenzt lediglich zunächst durch das ius divinum, welches später durch die – ihrerseits bekenntnisbestimmte – Natur der Sache als Leitlinie für die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments abgelöst wurde.26 Das Recht der Vorgabe des Bekenntnisses und das Kirchenregiment sind damit Bestandteil der fürstlichen Souveränität. Als ius maiestatis ecclesiasticum ist das Kirchenregiment „pars territorii“, „höchstes Regal“.27 Konsequenterweise wird auch die Kirche als in den Staatsapparat eingefügt oder als in diesem aufgehend angesehen. Wie das Episkopalsystem stellt auch das Territorialsystem eine pragmatische Antwort auf faktische Gegebenheiten dar: Es handelt sich nicht um eine – rechtstheologische – Theorie der Kirchenverfassung, sondern um eine staatsrechtliche bzw. staatskirchenrechtliche Konstruktion. In der Praxis hat es schon im 16. Jahrhundert weite Verbreitung erfahren und ist im Westfälischen Frieden als ius territoriale in ecclesiasticis ausdrücklich anerkannt, wenn auch durch den Normaljahrstatus von 1624 beschränkt.28 23

M. Heckel, Art. Episkopalsystem, Sp. 729 f. Ausführlich zum sogenannten „frühen Territorialismus“ M. Heckel, Staat und Kirche, S. 109 ff. 25 M. Heckel, Art. Episkopalsystem, Sp. 730, weist mit Recht darauf hin, daß im Kirchenregiment des frühen Territorialismus Reichsrecht, Territorialstaatsrecht, kanonisches und römisch-byzantinisches Recht miteinander in Einklang gebracht werden, spricht aber mit gleicher Berechtigung von einer „gewaltsamen theoretischen Harmonie“. 26 s. im einzelnen Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 422 ff. 27 Zum ius reformandi als Regal s. Stutz, Höchstes Regal, sowie J. Heckel, Höchstes Regal, S. 518 ff. 28 M. Heckel, Art. Territorialsystem, in: EvStL, Sp. 3601. 24

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

An die Stelle der historisch-pragmatischen und juristisch-positivistischen Argumentation der frühen Territorialisten29 trat im Zeitalter der Aufklärung ein rational-deduktiver Begründungsansatz.30 Insbesondere Christian Thomasius und Justus Henning Boehmer gelten – in der geistigen Nachfolge Samuel Pufendorfs – als Hauptvertreter des „rationalen Territorialismus“ als einer Disziplin des aufgeklärten säkularen Naturrechts. Von der nicht mehr theologisch, sondern säkular-individualistisch aus dem Gesellschafts- und Unterwerfungsvertrag – welcher das religiöse Moment aus der sozialisierten Sphäre ausschied31 – begründeten Staatsgewalt ist kein Individuum, keine Vereinigung, kein sozialer Vorgang ausgenommen, so daß auch keine kirchliche Autonomie bestehen kann und kirchliche Betätigung nur in den Grenzen politischer Tunlichkeit zulässig ist.32 Kirche und Staat sind nicht länger verschmolzen, sondern stehen in innerer Distanz: „Ecclesia non est pars rei publicae“.33 Nicht länger ist die custodia utriusque tabulae als Ausdruck der cura religionis Staatszweck, vielmehr hat der Staat die säkular aufgefaßte Bestimmung, für Ruhe, Sicherheit, Wohlfahrt und Toleranz zu sorgen.34 Wie schon seit Pufendorf die Kirche vornehmlich als ein Collegium religiös Gleichgesinnter und weniger als eine göttlich gestiftete, transzendente, universal-absolute Institution angesehen wurde, tritt an die Stelle des theologischen Kirchenbegriffs zunehmend der Begriff der – in einem pluralistisch-toleranten Gesamtsystem gleichwertig nebeneinander stehenden – Religionsgesellschaften.35 Diese religiösen Korporationen regeln ihre inneren Angelegenheiten in koordinationsrechtlichen, d. h. nicht von Über- und Unterordnung geprägten Strukturen. Auch der Landesherr genießt insoweit – anders als noch im Episkopalismus und Frühterritorialismus – keine Sonderstellung. Da die Kirche „nur ein Collegium“36 und kein Gebilde mit konkurrieren29 Die Argumente entstammten dem römisch-byzantinischen Staatskirchenrecht, dem mittelalterlichen Kaiserrecht, dem gallikanischen Staatskirchenrecht und insbesondere dem modernen Staatsrecht auf der Grundlage der Souveränitätslehre Jean Bodins. Cf. M. Heckel, Art. Territorialsystem, Sp. 3601. 30 Ausführlich hierzu Schlaich, Der rationale Territorialismus, S. 269 ff., sowie Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 418 ff. 31 Cf. Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 419. 32 M. Heckel, Art. Territorialsystem, Sp. 3602. 33 J. H. Boehmer, Jus parochiale, sec. 1 cap. 2 § 46 p. 29. Cf. auch Fleischer, Einleitung zum Geistlichen Recht, 1. Buch § 29 S. 10: „Denn ob es zwar falsch ist, daß [die Kirche] ein Teil der Republic sey, so ist sie doch in der Republic.“ Näher hierzu Schlaich, Der rationale Territorialismus, S. 277 ff., 297 ff.; ders., Kirchenrecht und Vernunftrecht, S. 17 ff. 34 M. Heckel, Art. Territorialsystem, Sp. 3602. 35 M. Heckel, Art. Territorialsystem, Sp. 3602. 36 So die klassische Formulierung J. H. Boehmers in: Jus ecclesiasticum Protestantium I, lib. 1 tit. 31 § 44 p. 745 („Sunt ecclesiae nihil aliud, quam coetus particulares [. . .]“). Ebenso Thomasius, Kirchenrechtsgelahrtheit, 1. Theil zu § 41, p. 302 („nur ein collegium“). Die zweite Grundformel des Territorialismus, wonach alles Kirchenregiment Teil der Landeshoheit ist („jus sacrorum pars summae in repulica potestatis“; s.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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der Souveränität37 ist, steht dem Staat eine weltliche Ordnungsbefugnis („Vereinsaufsicht“) wie gegenüber sämtlichen Collegia, religiösen wie profanen, zu38; im Zusammenhang mit den Religionsgesellschaften ist der Begriff ius circa sacra gebräuchlich. Gleichzeitig erblickt der rationale Territorialismus in der säkularen Staatsbestimmung und -begründung den Grund der – bei Abschluß des Gesellschaftsvertrags keineswegs zugunsten des Staates aufgegebenen, sondern vielmehr aus der staatlichen Direktionsbefugnis a priori ausgeklammerten39 – inneren Glaubens- und Gewissensfreiheit als eines Individualrechts.40 Zu Recht wird jedoch bemerkt, daß der korporationsrechtliche Status der Kirchen de facto nicht etwa deren Selbständigkeit oder Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, sondern „im Gegenteil die volle Abhängigkeit von diesem“ bewirkt.41 Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß auch das territorialistisch verstandene landesherrliche Kirchenregiment die Verpflichtung des Landesherrn zu Schutz und Fürsorge für die Kirche aufrecht erhielt und dessen aktives Tätigwerden im kirchlichen Alltag erforderlich machte. Das ursprüngliche Konzept der cura religionis wurde nur notdürftig säkularisiert.42 Aufgrund der regelmäßig vorhandenen, aus dem Primat des Glaubens gegenüber der Vernunft43 resultierenden christlich-religiösen Bindung der jeweiligen Fürsten sollte das landesherrliche (staatliche) Kirchenregiment jedoch nicht den Charakter einer Fremdherrschaft besitzen.44

etwa Wildvogel/Hirsch, Dissertatio Inauguralis, § 14 p. 27), ist die staatsrechtliche Konsequenz hieraus. Cf. Schlaich, Der rationale Territorialismus, S. 317 f. m.w. N. 37 Ein status in statu, cf. Schlaich, Kirchenrecht und Vernunftrecht, S. 18. Cf. auch Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 416 f.: „Auch Territorial- und Kollegialsystem lösen sich in der historischen Abfolge nicht einfach ab, sondern konkurrieren nicht nur im Aufklärungszeitalter miteinander.“ 38 Cf. hierzu auch Schlaich, Der rationale Territorialismus, S. 333. 39 Der oft zitierte Kernsatz lautet: „Die Staaten sind nicht um der Religion willen gegründet.“ Cf. Pufendorf, De habitu religionis ad vitam civilem, bei Thomasius, Kirchenrechtsgelahrtheit, Teil 1, § 5 (p. 37), § 54 (p. 377). 40 M. Heckel, Art. Territorialsystem, Sp. 3603; Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 419 f. 41 Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 254; Schlaich, Kirchenrecht und Vernunftrecht, S. 17 f. 42 Cf. Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 429. 43 Cf. Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 427 f. 44 Cf. Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 429, der den „wohlmeinend-obrigkeitlichen Beglückungsoptimismus“ des absolutistischen Wohlfahrtsstaates als nach wie vor „stark religiös grundiert“ kennzeichnet.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

3. Kollegialsystem Das Kollegialsystem (Kollegialismus) ist gleichermaßen „Nachfolger“ wie „Gegner“ des Territorialsystems.45 In seinen Grundzügen schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelt46, geht es – insofern mit dem rationalen Territorialismus übereinstimmend – von der Annahme aus, die sichtbare Kirche sei eine „freie und gleiche Gesellschaft“ (collegium; societas libera et aequalis) religiös Gleichgesinnter, die wie jede andere Korporation Kollegialrechte zur Verfolgung ihres Zweckes besitze, wozu etwa die Aufstellung eines Bekenntnisses, der Erlaß von Kirchenordnungen, die Kirchenzucht und die Verwaltung des Kirchenvermögens zähle.47 Diese Rechte könne die Kirche einer oder mehreren Personen zwecks ordentlicher Verwaltung übertragen48, auch der Obrigkeit, die ansonsten – wenn überhaupt – nur einfaches Mitglied der Kirche sei.49 Tatsächlich hätten die deutschen evangelischen Kirchen die Kollegialrechte im Zuge der Reformation dem ursprünglichen Träger, dem Klerus, entzogen und auf den Landesherrn übertragen, sofern und solange dieser Mitglied der Kirche sei.50 Da der Obrigkeit ohnehin das Recht der Vereinsaufsicht – das ius inspectionis generalis über sämtliche freien Gesellschaften im Interesse des öffentlichen Wohls – zustehe, seien also die äußeren iura sacrorum maiestatica, die der Obrigkeit als Obrigkeit gebühren (Kirchenhoheit, Landeshoheit), sowie die internen iura sacrorum collegialia (Kirchenregiment im engeren Sinne, Kirchendirektion), die der Kirche als Kirche zukommen und der Obrigkeit lediglich übertragen sind, in der Hand des Landesherrn vereint.51 Gemeinsam ist dem rationalen Territorialismus und dem Kollegialismus die Unterscheidung zwischen Kollegialrechten und staatlichen Aufsichtsrechten. Doch will letzterer die Kirche dem Zugriff des Vernunftsrechts und der politischen Souveränität entziehen und ihr eigene kirchliche Verfassungsprinzipien zuerkennen. Wenngleich der Kollegialismus das landesherrliche Kirchenregiment legitimiert und es – historisch betrachtet – bis 1918 „gerettet“ hat, so hat er doch die Befugnisse des Landesherrn als Kirchendirektion an die Interessen der Kirchengesellschaft (salus ecclesiae) gebunden und damit von einer Herr45

Ausführlich hierzu Schlaich, Kollegialtheorie. Pfaff, Origines Juris Ecclesiastici. Ebenso ders., Akademische Reden, sowie ders., Institutiones. Daß letzteres Werk wörtlich identisch ist mit Keuffel, Elementa iurisprudentiae ecclesiasticae universalis, ändert nichts daran, daß es die Ansichten Pfaffs zum Ausdruck bringt. Cf. Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 266, Anm. 1. 47 Pfaff, Akademische Reden, S. 159; ders., Origines, p. 331. 48 Schlaich, Art. Kollegialismus, Sp. 1810 f. 49 Pfaff, Akademische Reden, S. 39, 93. 50 Schlaich, Art. Kollegialismus, Sp. 1811. 51 Pfaff, Akademische Reden, S. 90 ff. Cf. die ähnliche Terminologie bei Schlaich, Art. Kollegialismus, Sp. 1811. 46

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schaftsgewalt im bisherigen Sinne des staatlichen Unterwerfungsvertrags, der zur societas inequalis führt, unterschieden. Im 19. Jahrhundert hat sich für die Unterscheidung zwischen staatlicher Kirchenhoheit und Kirchengewalt das Begriffspaar ius (iura) in sacra und ius (iura) circa sacra herausgebildet.52 Von der traditionellen Unterscheidung zwischen einer potestas ecclesiastica interna (Predigt, Sakramente, Schlüsselgewalt) und einer das äußere Kirchenwesen umfassenden, dem Landesherrn zukommenden potestas ecclesiastica externa hat sich der Kollegialismus insofern abgewendet, als die iura circa sacra gerade keinerlei Kirchengewalt umfassen, sondern nur ein Aufsichtsrecht zur Wahrung der staatlichen Interessen nach säkularen Maßstäben darstellen sollte.53

B. Reichsrechtliche Vorgaben Bis zum Untergang des Alten Reichs 1806 war die staatskirchenrechtliche Situation in den einzelnen deutschen Territorien von der reichsrechtlichen Lage überlagert und beeinflußt. Auch die brandenburgisch-preußischen Kurfürsten und Könige waren als Reichsfürsten an das Reichsrecht gebunden54, auch wenn – gerade zum Ende des Alten Reiches hin – eine immer stärker werdende Emanzipation Brandenburg-Preußens von den reichsrechtlichen und -politischen Bindungen und Beschränkungen festzustellen ist.55 Dieser Umstand ist daher bei der Betrachtung der Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen mit zu berücksichtigen. I. Der Augsburger Religionsfriede (1555) Nachdem den protestantischen Reichsfürsten im Passauer Vertrag von 1552 erstmals vorläufig die freie Religionsausübung zugesichert worden war56, erfuhr die rechtliche Stellung der protestantischen Kirche auf Reichsebene im Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 eine erste dauerhafte reichsverfassungsrechtliche Regelung.57 Der Ewige Landfriede vom 7. August 149558 wurde auf Religionsstreitigkeiten ausgedehnt (§ 13) und die Angehörigen des 52

Ausführlich hierzu J. Heckel, Cura religionis, passim. Schlaich, Art. Kollegialismus, Sp. 1813. 54 Hiervon war lediglich das Herzogtum Preußen als nicht zum Reich gehöriges Territorium ausgenommen, was ab dem 17. Jahrhundert die zunächst auf Preußen begrenzte Zulassung reichsrechtlich illegitimer Bekenntnisse ermöglichte. 55 Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 142, der von einer „Reichsfremdheit, ja gelegentlichen Reichsfeindlichkeit des brandenburgisch-preußischen Staatswesens“ spricht. 56 Cf. W. Becker, Art. Passauer Vertrag, S. 1442 f., sowie aus neuerer Zeit ausführlich Drecoll, Der Passauer Vertrag (1552). 57 Es handelt sich um die §§ 7–33 des Augsburger Reichsabschieds vom gleichen Tag. Der Text ist abgedruckt bei Schmauß, Corpus iuris publici, S. 153 ff., Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und 53

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Augsburger Bekenntnisses59 feierlich in den Landfrieden einbezogen; gleichzeitig erhielten die Reichsstände das Recht zur Festlegung des Bekenntnisses für ihr jeweiliges Territorium, das ius reformandi (§ 15), wobei Zwangsbekehrungen ausdrücklich untersagt wurden (§ 23). Denjenigen Ständen, die beim katholischen Glauben verblieben, wurde Bestandsschutz zugesichert (§ 16). Im Falle eines Bekenntniswechsels genossen diejenigen Untertanen, die bei ihrem bisherigen Glauben verbleiben wollten, das Recht freier Auswanderung (beneficium emigrandi, § 24). Außer der katholischen und der augsburgischen (Augsburger) Konfession sollten keine weiteren Bekenntnisse zulässig, sondern vielmehr „gäntzlich ausgeschlossen seyn“ (§ 17). Die bisherige geistliche Gerichtsbarkeit der katholischen Autoritäten über die Angehörigen der Augsburger Konfession wurde suspendiert (§ 20). Insgesamt hoffte man nach wie vor auf eine Versöhnung der beiden Bekenntnisse und rief deshalb zu Ausgleich und Verständigung auf (§ 25). Die bedeutendste rechtliche Neuerung bestand für die Protestanten darin, daß die Anhänger der Augsburger Konfession aufgrund der nunmehr auch rechtlichen Suspendierung der faktisch bereits fortgefallenen geistlichen Jurisdiktion der katholischen Hierarchie über die Protestanten nicht länger den Status reichsrechtlich geächteter Ketzer besaßen. Gleichzeitig erfuhren die evangelischen Reichsstände eine ausdrückliche Sicherung ihrer persönlichen Rechtsstellung und ihrer Güter- und Herrschaftsrechte unabhängig von ihrer konfessionellen Präferenz, weshalb sie in ihrem Territorium den Bekenntnisstand festlegen und das Kirchenwesen entsprechend organisieren konnten.60 Indem das Nebeneinander mehrerer sich gegenseitig prinzipiell ausschließender Religionsparteien erstmals geregelt wurde, bildete der Augsburger Religionsfriede die Rechtsgrundlage für die religionsrechtliche Parität im Reich und das landesherrliche Kirchenregiment in den einzelnen Territorien bis zum Ende des Alten Reiches. Dabei stützten sich die neutral-paritätische reichsrechtliche Verfassungsordnung und das streng konfessionelle territoriale Staatskirchenrecht in der Zeit nach 1555 gegenseitig. Gleichzeitig förderte der Kompetenzzuwachs auf Seiten der Landesherren – insbesondere im Bereich von Kirchen- und Schulverwaltung so-

Neuzeit, S. 341 ff., und Buschmann, Kaiser und Reich I, S. 215 ff. Ausführlich hierzu M. Simon, Der Augsburger Religionsfriede. 58 Text bei Buschmann, Kaiser und Reich I, S. 157 ff. 59 Auch die Augsburger Konfession trägt dem Umstand Rechnung, daß die Reformation eine Volks- und keine Fürstenbewegung war. Die Reichsstände, welche die Confessio Augustana unterzeichneten, traten nicht mit einem lehramtlichen Anspruch auf, sondern mußten sich dafür rechtfertigen, die Anhänger der Reformation geduldet oder unterstützt zu haben. Ob sie sich als Fürsten persönlich zur reformatorischen Lehre bekannten, war eine ganz andere Frage. Cf. Henke, Beurteilung, S. 22. 60 Cf. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 15, der auch die Ausnahmeregelungen zugunsten der römisch-katholischen Kirche darstellt.

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wie im Ehewesen – die Entwicklung hin zum späteren absolutistischen Territorialstaat.61 II. Der Friede von Münster und Osnabrück (1648) Den nächsten wesentlichen Schritt in der reichsverfassungsrechtlichen Regelung der protestantischen Bekenntnisse stellen die Vereinbarungen des Westfälischen Friedens von 1648, insbesondere Art. V und VII des in Osnabrück abgeschlossenen Teils des Friedensvertrags (Instrumentum Pacis Osnabrugensis, IPO) dar.62 Die durch den Augsburger Religionsfrieden entstandene und gestaltete Rechtslage erfuhr dabei nur geringfügige Modifikationen, der Augsburger Religionsfriede wurde wie auch der Passauer Vertrag ausdrücklich bestätigt (rata habetur, sancteque et inviolabilita servetur, Art. V § 1). An der Fiktion eines auf die Einheit von Glaube und Recht gestützten Reiches wurde ungeachtet der tatsächlichen, staats- und religionsrechtlich partikularen Entwicklung festgehalten63; aus der einfachen religiös-kirchlichen Basis wurde eine zweifache.64 So wurde die bisherige Bedingung und Befristung der Tolerierung der Augsburger Konfessionsangehörigen zugunsten einer dauerhaften Legitimation aufgegeben, die Reformierten als gleichberechtigter Teil der protestantischen Religionspartei anerkannt, während sonstige Bekenntnisse ausgeschlossen wurden (sed praeter religiones supranominatus nulla alia in sacro imperio Romano recipiatur vel toleretur, Art. VII §§ 1–2).65 Die Legitimierung des reformierten Bekenntnisses war dabei lediglich eine Frage der Binnendifferenzierung innerhalb der protestantischen Religionspartei, so daß es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach wie vor zwei – und nicht etwa drei – Religionsparteien gab.66 An die Stelle der bestehenden faktischen Parität der Religionen im Reiche trat eine 61

Cf. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 14, 16. Der Text ist abgedruckt bei Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Auflage 1913, S. 395 ff., und Buschmann, Kaiser und Reich II, S. 11 ff. Ausführlich hierzu Schlaich, Art. Westfälischer Frieden, Sp. 3970 ff., sowie – speziell zur religionsrechtlichen Bedeutung – Robbers, Religionsrechtliche Gehalte des Westfälischen Friedens, passim. 63 Cf. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 17. 64 Ausführlich hierzu Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 277. 65 Cf. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 17. Die Vorschrift richtete sich insbesondere gegen Wiedertäufer, Socinianer und Mennoniten; der Schutz der Juden blieb aufgrund besonderer reichsgesetzlicher Regelung bestehen. Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 277 ff. 66 So zu Recht etwa Robbers, Religionsrechtliche Gehalte des Westfälischen Friedens, S. 75, 79, der auf die rechtsterminologische Abstufung zwischen Lutheranern und Reformierten hinweist. Ungenau dagegen beispielsweise Maier, Warum das Alte Reich ein Hort der Toleranz war, Sp. 4, der von der „religiös dreigeteilten Nation“ spricht. 62

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rechtliche Gleichstellung (sit aequalitas exacta mutuaque, Art. V § 1).67 Das ius reformandi wurde als „Regal“, d. h. in der Landeshoheit als solcher wurzelndes Recht, ausdrücklich bestätigt (cum iure territorii et superioritatis ex communi per totum imperium hactenus usitata praxi etiam ius reformandi exercitium religionis competat, Art. V § 30). Für den Fall divergierender Bekenntnisse von Obrigkeit und Bevölkerung zur Zeit des Friedensschlusses wurde der Beginn des Jahres 1624 als Stichtag („Normaljahr“) festgelegt und der damals gewährleistete Umfang an religiöser Toleranz fortan garantiert (Art. V § 2).68 Eine weitere Einschränkung des ius reformandi bestand darin, daß der Landesherr beim Wechsel vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis oder umgekehrt die „öffentliche Religion“ nicht antasten durfte (Art. VII § 1).69 Auf Reichsebene sollten Mehrheitsentscheidungen künftig unzulässig sein; zu diesem Zweck wurden getrennte Beratungen der katholischen Stände sowie der Stände der Augsburger Konfession (itio in partes) vereinbart (Art. V § 52); 1653 wurden das Corpus Catholicorum sowie das Corpus Evangelicorum als Reichstagsbehörden konstituiert.70 Im übrigen verblieb es bei der Suspendierung des Diözesanrechtes und der geistlichen Gerichtsbarkeit jeglicher Art gegenüber den Kurfürsten, Fürsten, Ständen und Untertanen der Augsburger Konfession (Art. V § 48). Auch die advocatia ecclesiae des Kaisers blieb formal bestehen, wenngleich reduziert auf das Recht, die Einhaltung des Verbots der Zulassung anderer als der reichsrechtlich anerkannten Religionen zu überwachen. In der Folge erwies sich die Reichsgewalt hierzu bereits als zu schwach; die Landesherren setzten sich über die entsprechende Regelung des Friedensschlusses in zahlreichen Fällen hinweg und gewährten auch „Ketzern“ Duldung in ihren Territorien.71 Zu bemerken ist noch, daß der Westfälische Friede die katholische und evangelische Kirche noch nicht als Rechtssubjekte ansieht; als 67

Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 276. Die Parität bestand in erster Linie auf Reichsebene; es war jedoch den Landesherren nicht verwehrt, auch auf territorialer Ebene eine paritätische Regelung zu treffen, wovon aber kaum Gebrauch gemacht wurde. Ibid., S. 283. 68 Cf. auch Art. V §§ 13, 15, 23, 25, 26, 29, 31–34, 36, 42, 43, 46–49. Der 1. Januar 1624 wurde so auch zum Stichtag für die Zuordnung des Besitzes an Kirchen und Kirchengut. Cf. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 17. 69 Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 279 ff. Der Landesherr war jedoch berechtigt, „ohne Beschwerung seiner Unterthanen Hofprediger seiner eigenen Konfession zu halten. Ibid., S. 281. 70 Das Corpus Evangelicorum stand unter der Leitung Sachsens; nach dem Bekenntniswechsel in Sachsen behielt dieses die formale Leitung, während die faktische Führungsrolle an Brandenburg-Preußen fiel. Näher dazu Schlaich, Maioritas – protestatio – itio in partes – corpus Evangelicorum, passim. 71 So auch in Brandenburg-Preußen, cf. infra Teil I, Kapitel 1, C. V. 3. Ausführlich hierzu auch Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 281 ff., der die abgestuften Formen öffentlicher und privater Religionsausübung nach Maßgabe des IPO schildert.

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solche kommen lediglich die Reichsstände in Betracht. Folglich werden auch nie den Kirchen als solchen, sondern nur den Ständen oder – über die Stände vermittelt – deren Untertanen Rechte und Befugnisse zuerkannt; der naturrechtlich herausgebildete Kirchenbegriff ist noch nicht vorhanden.72 Die Religionsfreiheit als Individualrecht wird erst „im Umriß“73 erkennbar, ist aber immerhin schon angelegt. Freilich ist die teilweise Einräumung religiöser Freiheit vor dem Hintergrund der im 17. Jahrhundert noch als prinzipiell fortbestehend empfundenen Katholizität des Glaubens sowie der Hoffnung auf die Wiedervereinigung der Bekenntnisse als den „Sieg der göttlichen Wahrheit“ zu sehen. Ein aus skeptischem Zweifel an der Erkennbarkeit des wahren Glaubens erwachsender Toleranzgedanke oder die Vorstellung selbständiger, miteinander konkurrierender und kontrahierender Kirchen liegen ihr nicht zugrunde.74 III. Augsburger Religionsfriede, Westfälischer Friede und die kaiserlichen Wahlkapitulationen Die Aufrechterhaltung des Augsburger Religionsfriedens wurde – vor allem zum Zwecke der Klarstellung, daß er von der fortbestehenden Verpflichtung des Kaisers zur kirchlichen Advokatie nicht berührt werde – in den seither verfaßten kaiserlichen Wahlkapitulationen ausdrücklich bestätigt.75 Auch der Westfälische Friede war nicht nur für den Augenblick des Friedensschlusses gedacht, sondern sollte fortan als Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches dienen.76 Zu diesem Zweck wurde festgelegt, daß der Vertrag77 als ein dauerndes Verfassungsgesetz des Reiches (perpetua lex et pragmatica imperii sanctio) wie alle anderen Gesetze und Grundgesetze des Reiches (leges et constitutiones fundamentales imperii) Bestandteil des nächsten Reichsabschiedes sowie der nächsten kaiserlichen Wahlkapitulation werden und darüber hinaus als geltendes Recht vorgeschrieben sein sollte (Art. XVII § 2). An dieser Übung wurde in der Folgezeit – insbesondere bei den darauffolgenden Wahlkapitulationen – 72

Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 286. Maier, Warum das Alte Reich ein Hort der Toleranz war, Sp. 1. 74 Cf. Maier, Warum das Alte Reich ein Hort der Toleranz war, Sp. 1. 75 Allerdings zeigt die Wortwahl in den ab 1558 verfaßten Wahlkapitulationen, daß der Religionsfriede – im Unterschied zu anderen reichsrechtlichen Vereinbarungen – nicht „konfirmiert“ wurde, da sein rechtlicher Fortbestand gerade nicht von der kaiserlichen Bestätigung abhängig sein sollte. Cf. Kleinheyer, Die kaiserlichen Wahlkapitulationen, S. 144. 76 Ausführlich zur reichsstaatsrechtlichen Bedeutung des Westfälischen Friedens Buschmann, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Reichsverfassung nach 1648, sowie Krause, Die Auswirkungen des Westfälischen Friedens auf das Reichsstaatsrecht (jeweils passim). Speziell zum Charakter des Westfälischen Friedens als „Reichsgrundgesetz“ Krause, Die Auswirkungen des Westfälischen Friedens auf das Reichsstaatsrecht, S. 23 ff. 77 Gemeint war in diesem Zusammenhang das IPO. 73

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

festgehalten. Auch das von den Reichsfürsten gebilligte, jedoch nicht formell beschlossene Projekt einer beständigen Wahlkapitulation von 171178 hielt an der Verpflichtung zur getreuen Einhaltung der religionsrechtlichen Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens sowie des Westfälischen Friedens fest. Als Herrschaftsverträge zwischen dem Kaiser und den Ständen dokumentierten und perpetuierten die Wahlkapitulationen auch die Verpflichtung der Reichsfürsten zur Aufrechterhaltung und Konservierung des Bekenntnisstandes. Die brandenburgisch-preußischen Landesherren waren als Mitglieder des Kurkollegiums in besonderer Weise daran gebunden.79 Auch Svarez geht in den Kronprinzenvorträgen im Rahmen der Darstellung der Reichsverfassung auf die Bedeutung des Westfälischen Friedens und der Wahlkapitulationen ein.80

IV. Statische Regelung und dynamisches Bekenntnis Die reichsrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der Religion und des Bekenntnisstandes brachten jedoch ein wichtiges Problem mit sich. Der Rechtssicherheit halber war mit der geradezu enumerativen Festlegung der Bekenntnisse auch deren Inhalt verbindlich festgeschrieben worden. Exklusiv zulässig waren das katholische und die beiden protestantischen Bekenntnisse. Dabei wurde – mittels einer impliziten Fiktion – unterstellt, daß diese Bekenntnisstände in statischer Weise erhalten blieben. Augenscheinlich nicht bedacht wurde die Möglichkeit, daß beide Bekenntnisse sich in der Zukunft fortentwickeln könnten, obwohl diese Vorstellung nichts unerhört Neues war. So ist der Inhalt des katholischen Symbolum im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder fortgeschrieben worden, sei es infolge neuer theologischer Erkenntnisse, aus politischen Erwägungen oder aus Anpassung an den Zeitgeist. Diese Änderungen wurden durch das katholische Lehramt legitimiert und somit die innere Einheit des katholischen Bekenntnisses gewahrt. Für den evangelischen Bereich stellte sich das Problem, daß weder solches übergreifendes Lehramt noch eine sonstige Institution existierte, die eine Fortentwicklung des augsburgischen Bekenntnisses hätte vornehmen oder legitimieren können. Eine dynamische Entwicklung nicht nur des katholischen Glaubensinhalts, sondern auch der protestantischen Bekenntnisse war jedoch nicht aufzuhalten, wie sich an der Revision bestehender (Confessio Augustana variata 1555) und der verschiedentlichen Erarbeitung neuer Bekenntnisschriften (Konkordienformel 1577) und der

78 Text bei Buschmann, Kaiser und Reich II, S. 273 ff. Zu den Umständen des Projekts s. auch Schmauß, Corpus iuris publici, Anm. auf S. 141 f. 79 Näher zur Bindungswirkung der Wahlkapitulationen für die Reichsstände Kleinheyer, Die kaiserlichen Wahlkapitulationen, S. 125 f. m. N. 80 Vorlesungsabschnitt „Deutsches Staatsrecht“, fol. 195 v. und 196 r. (Oktavfassung), fol. 355 v. und 356 r. (Foliofassung), fol. 47 v. (Schriftliche Zusammenfassung).

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Pluralität der im Konkordienbuch von 1580 vereinigten symbolischen Bücher81 erkennen läßt. Darüber hinaus begünstigte die fehlende Möglichkeit der Abänderung und Weiterentwicklung der überkommenen Konfessionen die Entstehung neuer Bekenntnisse (Sekten). Die protestantischen Landesherren und Reichsstände gerieten hierdurch in eine schwierige Lage: Nach innen mußten sie als Inhaber des Kirchenregiments und als „Notbischöfe“ den religiösen Frieden wahren und zu diesem Zweck eine Politik behutsamer religiöser Toleranz im Kleinen pflegen, so wie es zuvor auf reichsrechtlicher Ebene im Großen geschehen war, nachdem sich gezeigt hatte, daß an der Einheit des Bekenntnisses für das gesamte Reich nicht länger festgehalten werden konnte. Nach außen hin waren den protestantischen Territorialfürsten jedoch durch das Reichsrecht mit der statischen Festschreibung des Bekenntnisinhalts die Hände gebunden; sie durften weder eine Veränderung des Inhalts der bisherigen Bekenntnisse vornehmen oder gestatten82 noch die Entstehung und Entwicklung neuer Bekenntnisse oder die Ansiedlung von Angehörigen reichsrechtlich illegitimer Glaubensrichtungen zulassen. Dieses letztlich nicht auflösbare Spannungsverhältnis ist für die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in den evangelischen Territorien und damit auch in Brandenburg-Preußen virulent geblieben. Es tritt noch im Religionsedikt von 1788 zutage, in dem einerseits der Inhalt des lutherischen Bekenntnisses unter Zugrundelegung der symbolischen Bücher in betont konservativer Weise definiert wird, andererseits aber in einer für die damalige Zeit einzigartigen Liberalität eine Vielfalt von Glaubensrichtungen zugelassen wurde, welche die reichsrechtlichen Grenzen erheblich strapazierte, wenn nicht gar sprengte; das Religionsedikt ließ sogar Entwicklungsmöglichkeiten für weitere Bekenntnisse zu.

81 In dem am 25. Juni 1780 in Dresden erschienenen Konkordienbuch waren als symbolische Bücher der lutherischen Kirche enthalten: die drei ökumenischen Glaubensbekenntnisse (Apostolicum, Nicaenum, Athanasium) sowie die lutherischen Partikularsymbole (die unveränderte Augsburger Konfession, die Apologie des Augsburger Bekenntnisses, die Schmalkaldischen Artikel mit dem Anhang Melanchthons über das Papstamt, der Kleine und Große Katechismus Martin Luthers einschließlich des Trauund Taufbüchleins sowie die Konkordienformel). 82 Das Problem stellte sich aufgrund des päpstlichen Lehramts für das katholische Bekenntnis nicht; der Inhalt des katholischen Bekenntnisses war prinzipiell dynamisch, ohne daß die Landesherren damit etwas zu tun hatten.

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C. Die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Kerngebiete Kurmark Brandenburg und Herzogtum Preußen I. Vorgeschichte Das landesherrliche Kirchenregiment in Preußen hat sich weitgehend unabhängig von der zuvor dargestellten Entwicklung theoretisch-dogmatischer Konstruktionen herausgebildet. Es ist bereits in den mittelalterlichen Herrschaftsverhältnissen der Mark Brandenburg angelegt, nämlich im stetigen und zunehmend erfolgreichen Streben der Markgrafen, über das Kirchenwesen eine landesherrliche Gewalt auszuüben.83 Auf diese Weise konnte sich die bischöfliche Gewalt in der Mark und in den anderen ostelbischen Territorien nicht in gleichem Maße entfalten wie in den Ländern des alten Reiches.84 Schon vom 12. bis zum 14. Jahrhundert waren die von den Askaniern in der Mark Brandenburg ausgeübten Besitz- und Herrschaftsrechte im Verhältnis zu den Bischöfen von Brandenburg, Havelberg und Lebus besonders kompliziert. Während Heinrich der Löwe und die bayrischen Herzöge gegenüber den Bischöfen ihres Territoriums königliche Rechte besaßen – so waren die Bistümer Ratzeburg, Mecklenburg und Oldenburg/Wagrien in Abweichung vom Wormser Konkordat von 1122 mediatisiert –, war dies für die in der Mark herrschenden Askanier zunächst nicht der Fall. Zu Zeiten Albrechts des Bären hatte das Bistum Havelberg seit 1150 ohne Zweifel reichsunmittelbaren Status; aus der Urkunde Friedrichs I. für das Bistum Brandenburg von 1161 ergibt sich nichts anderes.85 Seit 1249/50 besaßen die Askanier gemeinsam mit dem Erzbistum Magdeburg den größten Teil des Landes Lebus, wo seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein Bistum existierte. Wie die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg waren auch jene von Lebus de iure Reichsfürsten; sie alle hatten jedoch nur einen unvollkommenen Herrschaftsapparat ausgebildet, und ihre Besitzungen lagen wie Inseln innerhalb der Mark Brandenburg. Die Askanier strebten daher nach dem Vorbild Heinrichs des Löwen die Mediatisierung der Bistümer an, kamen jedoch über eine Erweiterung der seit dem 12. Jahrhundert ausgeübten Schutzfunktionen gegenüber den nach wie vor reichsunmittelbaren Bistümern nicht hinaus; eine landesherrliche Gewalt konnten sie daraus nicht ableiten.86 83 Cf. hierzu auch J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 269, sowie Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, S. 39 f. 84 Cf. Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 38. 85 Assing, Landesherrschaft, S. 85, 89. 86 Die zunächst überwiegend den Markgrafen zustehenden Patronatsrechte gelangten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts größtenteils an den Adel. S. im einzelnen Assing, Landesherrschaft, S. 102, 118.

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Dies änderte sich im 14. Jahrhundert, nachdem der letzte Wittelsbacher Markgraf und Kurfürst87, Otto (der Faule), die märkischen Besitzungen an die Söhne Kaiser Karls IV. abgetreten hatte, die wenig später mit diesem Kurfürstentum belehnt wurden.88 Bei der Straffung und Erweiterung der kaiserlichen Hausmacht wurden auch zuvor unabhängige Territorien einbezogen. So verloren die Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus de facto die Reichsunmittelbarkeit; ihnen verblieb nur die Bezeichnung als principes.89 Nachdem die Bischöfe in der Zeit des Zerfalls der politischen Ordnung gegen Ende des 14. Jahrhunderts vorübergehend wieder eine größere Selbständigkeit erlangt hatten90, nahm die politische Abhängigkeit der – rechtlich betrachtet weiterhin reichsunmittelbaren – Bischöfe von den Kurfürsten seit dem frühen 15. Jahrhundert wieder deutlich zu. Um in den Konflikten zwischen den sie umgebenden, wesentlich größeren weltlichen Territorien nicht zerrieben zu werden91, erkannten sie die Oberhoheit der Markgrafen und Kurfürsten an, die ihnen umgekehrt – auch dies ein Zeichen der Abhängigkeit – die hergebrachten Rechte bestätigten.92 Aus dem Jahre 1427 ist ein auf Aufforderung des Kurfürsten abgelegtes Treuegelöbnis des Havelberger Bischofs Konrad von Lintorff erhalten.93 Die mächtige Stellung der Landesherren wurde durch päpstliche Privilegien verstärkt, mit welchen sich die Päpste die politische Gefolgschaft der Landesherren sichern wollten.94 Ob schon Friedrich I. das Präsentationsrecht für die drei märkischen Bistümer besaß, mag unklar sein; die massive Einflußnahme der Kurfürsten auf die Besetzung der Bischofsstühle schon um 1420 ist aber im

87 Gemäß der Goldenen Bulle von 1356 war die Mark Brandenburg eines der sieben Kurfürstentümer mit eigener Stimme bei der Königswahl. 88 Cf. Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, B 3, S. 1–3, Nr. 1138, sowie S. 19–22, Nr. 1148. 89 Der Bischof von Lebus fungierte als Landeshauptmann; der Bischof von Brandenburg war einer der Räte des Kurfürsten. Cf. im einzelnen Assing, Landesherrschaft, S. 147 f. 90 Sie ordneten sich aufgrund der Übermacht des Adels de iure in die Landstände ein, nutzten dies jedoch zur intensiveren Wahrnehmung ihrer Territorialinteressen; der Bischof von Lebus legte sein Amt als Landeshauptmann 1402 eigenmächtig nieder. Näher hierzu Assing, Landesherrschaft, S. 165. 91 Cf. P.-M. Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft S. 206; G. Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit der Bischöfe in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter, S. 53 f. 92 Cf. Ahrens, Verfassungsrechtliche Stellung S. 23. Die Urkunden, welche den Bischöfen ihre Rechte bestätigen, was bei politischer Unabhängigkeit überflüssig gewesen wäre, datieren aus den Jahren 1414, 1416 und 1440 (abgedruckt bei Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, A 2, S. 476 f.; A 8, S. 391; A 8, S. 411). 93 Abgedruckt bei Riedel, Codex dipomaticus Brandenburgensis, A 2, S. 487. 94 Es handelt sich um nicht weniger als 37 Bullen der Päpste Eugen IV. und Nikolaus V. Cf. Böcker, Festigung und Ausbau, S. 193 ff. m.w. N.

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wesentlichen unbestritten.95 Urkundlich erwiesen ist die Verleihung des Präsentationsrechts an Kurfürst Friedrich II. für die Bistümer seines Landes durch Papst Nikolaus V. am 10. September 1447.96 Im darauffolgenden Jahr wurde den brandenburgischen Untertanen Freiheit von der kirchlichen oder ausländischen Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Angelegenheiten gewährt.97 Selbst die Verfolgung von Ketzern lag in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht mehr in den Händen der Kirche, sondern des Landesherrn.98 Insgesamt waren die Bistümer in der Mark Brandenburg dem Landesherrn zwar nicht völlig untergeordnet, der Handlungsspielraum der Bischöfe war jedoch in wesentlichen Bereichen stark eingeschränkt.99 Auch wenn etwa das Nominationsprivileg nur ad personam verliehen worden war, blieb der starke Einfluß der Landesherren auf das Kirchenwesen auch unter den Nachfolgern Friedrichs II. erhalten.100 Zu beachten ist freilich, daß die kirchenpolitische Entwicklung durch die Privilegien von 1447 noch nicht abgeschlossen war; die märkischen Bistümer wurden 1507 wieder in der Reichsmatrikel erwähnt101 und waren auch – trotz des Protests seitens des Kurfürsten ebenso wie der Bischöfe – in der Wormser Matrikel von 1521 enthalten.102 Insgesamt aber hatten sich in Brandenburg – mehr als in anderen Gegenden des deutschen Reiches – schon einige Zeit vor der Reformation deutliche Frühformen eines landesherrlichen Kirchenregiments und einer Landeskirche gebildet103; „der kurfürstliche Hof des Kurfürsten war kirchenpolitisch das Zentrum der Mark“.104 Gleichzeitig hatten sich die staatlichen Verhältnisse in einer Art 95 Cf. Böcker, Festigung und Ausbau, S. 193 und Anm. 97. m. N. Ausführlich zur Lage der märkischen Bistümer im 15. und 16. Jahrhundert Hädicke, Reichsunmittelbarkeit und Landsässigkeit; Schultze, Landstandschaft und Vasallität in der Mark Brandenburg, S. 179–220. 96 Der Text der Bulle ist abgedruckt bei Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, A 2, S. 501 f. Näher dazu Hennig, Kirchenpolitik und Privilegien, bes. S. 85 f., 92 f. 97 Ausführlich dazu Böcker, Festigung und Ausbau, S. 195 m. N. 98 Näher dazu Kurze, Historische Übersicht, S. 7. 99 Cf. Böcker, Festigung und Ausbau, S. 196. 100 Cf. Böcker, Festigung und Ausbau, S. 216. Ob die brandenburgischen Bistümer im späten 15. Jahrhundert staatsrechtlich gesehen reichs- oder landständig waren, ist nicht definitiv zu klären. Die faktische Dominanz des Kurfürsten war jedoch unbestritten. Cf. P.-M. Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft, S. 189, Anm. 48 sowie S. 192. 101 Cf. Hädicke, Reichsunmittelbarkeit und Landsässigkeit, S. 57 f. 102 Näher zum Ganzen Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 31 m.w. N. 103 Cf. hierzu auch Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 3 ff.; Friedberg, Die Gränzen zwischen Staat und Kirche, S. 104 ff.; von Mühler, Geschichte, S. 17 ff. Freilich ist zu beachten, daß die Befugnisse der Landesherren zu jener Zeit deutlich weniger weitreichend und umfassend waren als nach der Reformation. Cf. Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, S. 39 f. 104 So Rudersdorf/Schindling, Kurbrandenburg, S. 37.

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gefestigt, die es rechtfertigen, von einer zunehmenden Ablösung der Landesherrschaft durch den Territorialstaat zu sprechen.105 II. Die Anfänge der Reformation Vom 16. Jahrhundert an zog in Deutschland die Reformation zunächst als spontane Volksbewegung106 übers Land, sie ergriff – in regional unterschiedlicher Weise – Fürst und Volk. Dabei traten die evangelischen Landesherren als Protektoren der Reformation erst nach einer Periode des „Wildwuchses“107, in welcher die Reformation in volkstümlicher Weise Verbreitung fand, in Erscheinung. Durch Visitationen, die an die alten bischöflichen Visitationen anknüpften, griffen sie helfend und schützend ein, wo die Gemeinden in den Wirren der Zeit zu einer sachgerechten Organisation nicht in der Lage waren und auch Luther selbst sich gedrängt sah, die christliche Obrigkeit um einen „brüderlichen Notdienst“ zu bitten. Die Reformation war auf das Bündnis mit dem jeweiligen Territorialherrn angewiesen, um Bestand haben zu können.108 Allerdings kann die Tatsache, daß die Landesherren zunehmend als dienende Träger der Reformation wirkten und damit den ursprünglichen, von den Gemeinden her gedachten Ansatz der Reformation in sein Gegenteil verkehrten, den Charakter der Reformation als Volksbewegung nicht grundsätzlich in Frage stellen.109 In Brandenburg nahm die Reformation einen eigentümlichen Verlauf. Dies liegt insbesondere daran, daß der Wechsel vom katholischen zum lutherischen Bekenntnis in der Mark Brandenburg kein punktuelles Ereignis, sondern ein sich über eine längere Übergangszeit hin erstreckender Prozeß war, während dessen sich die religiösen Anschauungen, die gottesdienstlichen Formen und die kirchliche Organisation nach und nach veränderten.110 Hatte Kurfürst Joachim I. die Reformation Luthers – obwohl er von der Reformbedürftigkeit der alten Kirche überzeugt war111 – noch mit Entschiedenheit bekämpft112, wozu er als Reichsfürst auch verpflichtet war, so öffnete sich Joa105 Cf. Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLII. Für eine zurückhaltende Einschätzung der Geschlossenheit des vorreformatorischen landesfürstlichen Flächenstaates nach innen auch P.-M. Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft, S. 198 f. 106 So zutreffend Lau, Art. Reformation, Sp. 494 f. 107 Lau, Art. Reformation, Sp. 494. 108 Cf. M. Heckel, Art. Reformation, So. 2919. 109 Cf. im einzelnen M. Heckel, Art. Reformation, Sp. 2901 ff. Ausführlich zur Reformationsgeschichte in den später zu Preußen gehörenden Territorien infra Teil I, Kapitel 2, A. und C. II./III. 110 Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 268. 111 Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 32 m. N. 112 Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 258. Laut Buchholtz, Geschichte der Mark III, S. 303, meinte sogar die Gemahlin des Kurfürsten,

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chim II. zögerlich der neuen Lehre. Auf dem Landtag im September 1538 bestätigte er zunächst noch den auf Initiative seines Vaters von den Ständen 1527 gefaßten Beschluß, die überkommenen geistlichen Institutionen und die bischöfliche Verfassung beizubehalten.113 Da das neue Bekenntnis reichsrechtlich nicht legitimiert war, erscheint die vorsichtige Haltung des Kurfürsten durchaus verständlich. Jedoch hatten die Landstände zwischenzeitlich ihre Meinung geändert und drängten – wenn auch nicht alle, so doch überwiegend – zur Reformation. Am 1. November 1539 nahmen der Kurfürst und zahlreiche Vertreter der Stände am ersten Abendmahlsgottesdienst nach evangelischem Ritus teil, den der Brandenburger Bischof Matthias von Jagow feierte.114 Jedoch wollte der Kurfürst den Bruch mit der katholischen Kirche und damit auch den Verstoß gegen geltendes Reichsrecht hierdurch noch nicht vollzogen wissen, da er nach wie vor politische Ziele verfolgte, die ohne die Unterstützung des Kaisers und anderer katholischer Mächte nicht durchsetzbar gewesen wären.115 Da sich von den drei Bischöfen des Landes jedoch lediglich der Bischof von Brandenburg der neuen Lehre anschloß116, ordnete der Kurfürst selbst in seiner Eigenschaft als christliche Obrigkeit – der Tradition gemäß betrachtete er sich als weltlicher oberster Advokat des Kirchenwesens in seinem Territorium117 – die Kirchenverfassung und erließ 1540 eine eher an Melanchthon als an Luther orientierte118 Kirchenordnung119, die der Bischof von Brandenburg sogleich ap1528 ihrer evangelischen Überzeugung wegen nach Sachsen ins Glaubensexil gehen zu müssen. Näher dazu Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 33 m.w. N. 113 Cf. Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Band 1, S. 48 f.; von Ranke, Deutsche Geschichte IV, S. 121 f. 114 Ausführlich dazu Ribbe, Der Reformationstag der Mark Brandenburg, S. 59 ff. 115 Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 269 f. 116 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 52. 117 Cf. die Erklärung des Kurfürsten an die Stände 1540 (abgedruckt bei Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, C 3, S. 489 f.). 118 Martin Luther scheint Joachim II. kritisch gesehen und daher Brandenburg auch nicht besucht zu haben. Für die religiöse Einstellung des Kurfürsten hat die lutherische Gnadenlehre wohl erst gegen Ende seines Lebens eine stärkere Rolle gespielt. Auch an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Frankfurt/Oder, bei deren Besetzung Melanchthon den König beraten hatte, wurden zwar die Werke Erasmus’ und Melanchthons, nicht aber jene Luthers verwendet. Erst ab 1599 besaß die Universität eine von Kurfürst Joachim Friedrich erlassene dezidiert lutherische Ordnung. Näher dazu Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 271 ff. m. N. Andererseits hat Luther gegen die Kirchenordnung von 1540 keinen Widerspruch erhoben. Cf. Heinrich, Luther, S. 42, sowie von Mühler, Geschichte, S. 44; Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 34 f. m.w. N. 119 „Kirchen-Ordnung im Churfurstenthum der Marcken zu Brandenburg, wie man sich beide mit der Leer und Cermonien halten sol“; abgedruckt in Mylius, CCM I/1, Sp. 5–248. Ausführlich dazu Weichert, Die Anfänge des märkischen Summepiskopats, S. 124.

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probierte. Auch hierbei ging es dem Kurfürsten in erster Linie um die Bewahrung des Friedens und die Vermeidung eines Konfliktes mit Kaiser und Reich; er suchte daher einen Kompromiß zwischen den Lehrsätzen der Reformation und den Erfordernissen der politischen Realität120, was als „diplomatische Meisterleistung“ bezeichnet worden ist.121 So machte der Kurfürst in der Vorrede der Kirchenordnung von 1540 deutlich, daß es ihm in erster Linie um die Fortsetzung der – aufgrund der Säumnis und fehlenden Kooperationsbereitschaft der kirchlichen Hierarchie gescheiterten – kaiserlichen Bemühungen um die Beseitigung von Irrtum, Mißbrauch und Zwietracht in der Kirche gehe, und erklärte ausdrücklich, daß er von „der heiligen, rechten und wahrhaften christlichen Kirche“ keineswegs abweichen wolle, sondern die von ihm vorgenommene Erneuerung (Reformation) und Neuordnung des Kirchenwesens im Einklang mit dem Wort Gottes, der Lehre Christi und der Apostel, der urkirchlichen Praxis sowie dem Zeugnis der Heiligen und der Kirchenväter, d. h. mit der kirchlichen Überlieferung, sehe. Außerdem hoffe er nach wie vor, daß die kirchliche Krise durch „ein Heiliges Gemeines, freyhes unpartheyischs Christlichs Concilium in Deutscher Nation, oder aber dergleichen ein National versamlung, oder sonst ein Christlichs gesprech“ gelöst werden könne.122 Vor allem hielt sich der Kurfürst in liturgisch-zeremonieller Hinsicht so eng wie möglich an die katholischen Traditionen und Übungen.123 Obwohl der Kurfürst im Einvernehmen mit den Landständen handelte124, fand in der Kirchenordnung von 1540 die freie landesherrliche Gewalt und gleichzeitig die traditonell starke Stellung der brandenburgischen Landesherren im territorialen Kirchenwesen ihren Ausdruck. Denn der Kurfürst berief sich nicht auf ein Mandat der Stände, sondern nahm das ihm als pius magistratus, als christlichem Landesherrn, zustehende Recht in Anspruch, die kirchlichen Verhältnisse anstelle der als Träger des Kirchenregiments weggefallenen Bischöfe zu ordnen.125 Als christliche Obrigkeit hatte der Kurfürst nämlich das Recht und die Pflicht, nicht nur Recht und Frieden zu wahren, sondern – im Zusammenwirken mit den Bischöfen – auch für das geistige Wohl der Bevölkerung Sorge zu tragen. Die Reformatoren mußten sich ihrerseits mit der in der christlichen Gesellschaft vorhandenen politischen Organisation samt ihrer kir120 Ausführlich hierzu Hintze, Epochen, S. 74 ff. Cf. auch die diesbezüglichen Äußerungen des Kurfürsten selbst, wiedergegeben bei von Mühler, Geschichte, S. 48 f. 121 s. Heinrich, Luther, S. 40. 122 Cf. die Vorrede zur Kirchenordnung von 1540 (supra Fn. 119 dieses Kapitels), hier Sp. 7 f. 123 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 46. 124 In den von G. Winter veröffentlichten Akten des Landtages von 1540 (Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde, Band 19, S. 306 – Artikel der Prälaten und Geistlichen) gibt es sogar Hinweise darauf, daß die Initiative von den Ständen selbst ausgegangen sei. 125 Hintze, Epochen, S. 80.

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chenregiminalen Befugnisse arrangieren, da ohne Einbindung der Obrigkeit der Erfolg der Reform gefährdet gewesen wäre.126 Dies ändert freilich nichts daran, daß die Reformation im Ursprung eine Volksbewegung war, welche von den Landesherren nicht initiiert, sondern nur in unterschiedlichem Umfang geduldet und gefördert oder aber unterdrückt wurde.127 Dem „einfachen Volk“ war die „neue Lehre“ gepredigt worden und dort auf fruchtbaren Boden gefallen; der Landesherr konnte darauf nur reagieren und die Bevölkerung entweder gewähren lassen oder sie unterstützen, soweit er die Reformation selbst als „gerechte Sache“ ansah oder sich von deren Gelingen politische Vorteile versprach.128 So fiel dann auch im damals noch kleinen Staat der Hohenzollern – der Mark Brandenburg – dem Landesherrn die zunächst provisorische Funktion eines „Notbischofs“ zu.129 Hieraus sollte sich im Laufe der Zeit – unter gleichzeitiger Herausbildung der evangelischen Landeskirche – der Summepiskopat der evangelischen Obrigkeit, noch später das eher territorial aufgefaßte landesherrliche Kirchenregiment ohne dezidiert bischöflichen Charakter als dauerhafte Einrichtung entwickeln.130 Daß sich die brandenburgischen Landesherren bereits im Zeitalter der Reformation als „oberste Bischöfe“ des reformatorischen Kirchenwesens verstanden haben, ist jedenfalls – auch mit Blick auf die diesbezüglichen Aussagen Luthers – alles andere als wahrscheinlich, auch wenn dies in der juristischen Literatur131 wie auch in der späteren Historiographie132 in teilweise glorifizierender Rückschau behauptet worden ist. Die Frage ist im wesentlichen eine akademische und danach zu beurteilen, ob man den Ursprung des Summepiskopats als sol-

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Cf. Hintze, Epochen, S. 68 f., 71 f. Cf. auch Henke, Beurteilung, S. 21. 128 Cf. Henke, Beurteilung, S. 22. 129 Cf. von Thadden, Kirche im Schatten des Staates, S. 148. 130 Cf. bereits supra Kapitel 1, A. II./III. sowie von Mühler, Geschichte, S. 47 ff. 131 Cf. etwa Zorn, Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 153: Schon zur Zeit der Reformation „übernahmen die Fürsten das bischöfliche Amt. [. . .] Die evangelische Kirchenverfassung wurde ein landesherrliches Kirchenregiment, ein landesherrliches Oberbischoftum (Summepiskopat).“ Ähnlich bereits Zorn, Die Reform der evangelischen Kirchenverfassung in Bayern, S. 5, sowie Schnaubert, Grundsätze des Kirchenrechts der Protestanten in Deutschland, S. 50, Anm. e; von Wiese, Kirchenrecht III/1, S. 56 f., 78; Feuerbach, Eine längst entschiedene Frage über die obersten Episkopalrechte der protestantischen Kirche, S. 47; Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Band 1, S. 154. Zurückhaltend dagegen Stutz, Kirchenrecht, S. 381; J. Hekkel, Entstehung des Summepiskopats, S. 266 ff., passim. 132 Cf. etwa Droysen, Geschichte der preußischen Politik II/2, S. 188: „Joachim II. war nicht mehr bloß Notbischof, wie die Reformatoren es bezeichnet hatten, sondern in Wahrheit summus episcopus.“, sowie Heidemann, Reformation, S. 261: „Die Mark erhielt ein konsistoriales Kirchenregiment, an dessen Spitze der Kurfürst als summus episcopus stand.“ S. ferner Landwehr, Kirchenpolitik, S. 139, sowie Gebauer, Zur Geschichte der Reformation im Bistum Brandenburg, S. 40. 127

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chen in der Staatspraxis oder in der Rechtstheorie sehen will133; im ersteren Fall ist er früher, im letzteren Fall später anzusetzen. Für die Staatspraxis und deren Interpretation im historischen Kontext besitzt diese Differenzierung jedoch, wie noch zu sehen sein wird, keine Relevanz. De facto behielten die Bischöfe, soweit sie die Kirchenordnung akzeptierten, die Rechte des bischöflichen Ordo (Ordination, Confirmation), das Kirchenregiment – im Sinne der inneren Kirchenleitung – sowie die kirchliche Jurisdiktion wesentlich im bisherigen Umfang.134 So wurde in den ersten Jahren nach Erlaß der Kirchenordnung das Kirchenregiment im wesentlichen von den in dieser vorgesehenen Visitatoren ausgeübt, die gewissermaßen mit der Feststellung des bekenntnismäßigen und verwaltungstechnischen status quo in den einzelnen Gemeinden betraut waren.135 Durch die Kirchenvisitation von 1540 bis 1545 wurde die neue Kirchenordnung im ganzen Land auf der örtlichen Ebene eingeführt.136 Auf die nach dem vorläufigen Abschluß der Visitation 1541/42 getroffene Feststellung der Visitatoren hin, daß die Bischöfe der Diözesen Havelberg und Lebus aufgrund ihrer Weigerung, sich der Reformation anzuschließen, als Organe des Kirchenregiments nicht mehr zur Verfügung standen, wurde für diese Gebiete 1543 nach kursächsischem Vorbild das geistliche Konsistorium zu Köln an der Spree gegründet, dem unter Leitung eines Generalsuperintendenten drei oder vier Beisitzer angehörten137, bei denen es sich um „gottesfürchtige Theologen und Rechtsgelehrte“ handeln sollte; sämtliche Mitglieder waren vom Kurfürsten ernannt.138 Für das der Reformation zugeneigte Bistum Brandenburg wurde die bisherige bischöfliche Jurisdiktion bestätigt.139 In Lebus wurde 1550 noch einmal ein katholischer Bischof gewählt140; in den beiden anderen Bistümern hatte der Kurfürst dies zuvor schon verhindert und statt dessen 1548 seinen Sohn Friedrich als Bischof von Havelberg postuliert. Später wurde der Enkel des Kurfürsten, Joachim Friedrich, zum Bischof von Havelberg (1553), Brandenburg (1560)

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Cf. J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 268 m. N. s. von Mühler, Geschichte, S. 51. 135 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 55. 136 Die zunächst von der Visitation ausgenommenen Hochstifter wurden später noch visitiert, zuletzt 1545 das Hochstift Havelberg. Näher zum Ganzen Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 36. 137 In wichtigeren Fällen wurden der Kanzler des Kammergerichts und weitere Gerichtsmitglieder hinzugezogen. 138 Ausführlich hierzu, einschließlich der Schilderung der Verhältnisse in Kursachsen, von Mühler, Geschichte, S. 52–63, 87–89, insbes. 59–61. 139 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 141. Ungeachtet der teilweisen Beibehaltung der bischöflichen Verfassung blieb der Bischof von Brandenburg jedoch an die Autorität des Landesherrn gebunden. Cf. Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, S. 38 m.w. N. 140 Cf. Teichmann, Von Lebus nach Fürstenwalde, S. 108. 134

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und Lebus (1555) gewählt, so daß die Bistümer – obwohl formal noch bis 1598 fortbestehend – in den Besitz des Landesherrn eingegliedert waren.141 Hinzu kam, daß Kurfürst und Kammergericht zunehmend mit der Entscheidung von Streitigkeiten und Rechtsproblemen befaßt wurden, die bisher in die Zuständigkeit der wegen tatsächlichen Verfalls oder Verschiedenheit des Bekenntnisses nicht mehr zur Verfügung stehenden kirchlichen Gerichte gefallen waren. Die weltlichen Instanzen waren hiermit überfordert, so daß der Kurfürst sich gewissermaßen genötigt sah, in seiner Eigenschaft als Landesherr durch Schaffung einer entsprechenden Behörde Abhilfe zu schaffen und eine funktionierende Rechtspflege zu gewährleisten.142 Das neu eingerichtete märkische Konsistorium übte die ihm übertragene oberste Aufsicht als „selbständige Landes- und Kirchenbehörde“ aus; der Landesherr behielt sich seinerseits die Aufsicht über das Wirken der Behörde sowie das Recht vor, erforderlichenfalls höchstpersönlich tätig zu werden.143 Die in der Kirchenordnung als Träger der ordnenden, gesetzgebenden Gewalt144 vorgesehenen, jedoch – soweit ersichtlich – niemals zu praktischer Bedeutung gelangten Landes- und Kreissynoden hatten im Hinblick auf Festlegung und Fortschreibung des Bekenntnisses lediglich beratende Funktion. Der Kurfürst konnte ihnen keinesfalls ein Mitbestimmungsrecht einräumen, welches er „selbst einem allgemeinen Concile nicht zugestehen konnte“.145 Durch die prinzipielle und unter den Vorbehalt der Treue zur Reformation gestellte Beibehaltung der bischöflichen Verfassung sollte das Recht des Landesherrn zu kirchlichem Handeln, das vorher schon bestanden hatte und anerkannt worden war, nicht ausgeschlossen sein. Dies läßt sich an der Kirchenordnung von 1540 eindeutig ablesen. Ihre Vorrede erging im Namen des Kurfürsten, der darin zu verstehen gab, was „Unser Begehr“, „Unser Gemüt und Meinung“, „Unser Gemüt Meinung und ernstlicher Befehl“ oder „Unser ernstliches Gebot und Meinung“ war und mit dieser Autorität die verbindliche Einhaltung der Kirchenordnung gebot.146 Es steht daher außer Zweifel, daß das landesherrliche Kirchenregiment in Brandenburg nicht erst durch den völligen 141

Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 277 f. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 69 f. 143 So von Mühler, Geschichte, S. 89. Cf. hierzu auch den Abschnitt „Von Berufung und Ordination“ der Kirchenordnung von 1540, Nr. 31 der Kirchenordnung von 1558, sowie Abschnitt 9 und Schluß der Visitationsordnung von 1573. 144 Zu den Elementen der Kirchenverfassung, Lehramt, Aufsichtsamt, Richteramt und ordnende, gesetzgebende Gewalt insgesamt von Mühler, Geschichte, S. 81–95. 145 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 92 f. 146 Als „urkundliche[r] und authentische[r] Nachweis der Motive“, die den Kurfürsten bei seinem Vorgehen leiteten, kann ergänzend die ältere Fassung der Vorrede zu der nachmals gedruckten Kirchenordnung von 1573 herangezogen werden. Näher dazu von Mühler, Geschichte, S. 64 (Abdruck der genannten Vorrede: S. 64–68). 142

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Wegfall der bischöflichen Amtsautorität entstanden ist, sondern mit der Amtsgewalt der Bischöfe zumindest vorübergehend konkurriert hat.147 Das solchermaßen reformierte Kirchenwesen in der Mark Brandenburg stellt sich demnach als ein Werk des Landesherrn dar: Er gestattete – wie er 1542 bei Erlaß der Kirchenordnung formulierte – aus Liebe zu seinen Untertanen „ihrer Seelen Seeligkeit nach allem Vermögen zu fördern“148 die Verkündigung der neuen Lehre, die das Kirchenwesen betreffenden Ordnungen und Erlasse ergingen in seinem Namen, er berief das Konsistorium und legte fest, welche Angelegenheiten in der Kirchenregierung und in der kirchlichen Jurisdiktion ihm persönlich vorbehalten blieben. So erscheint der Landesherr als in wesentlich unbeschränkter Machtvollkommenheit regierendes eigentliches Oberhaupt der Landeskirche149, auch wenn die Nachweise für die ausdrückliche Inanspruchnahme eines spezifisch bischöflichen Rechts durch Joachim II. spärlich sind.150 Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings die Bedeutung der persönlichen religiösen Bindung des Fürsten. So rührte die „rechtsbildende Thätigkeit“ evangelischer Fürsten nicht allein aus ihrer obrigkeitlichen Stellung her, sondern konnte vom Landesherrn „nur in und mit der Kraft des Evangeliums vollbracht werden“; sie setzte die evangelische Religionszugehörigkeit des Fürsten voraus. Damit bildete – zusätzlich zur Territorialgewalt – die Heilige Schrift gleichermaßen Ursprung und Schranke des religionsrechtlichen und -politischen Handelns des Landesherrn.151 Daß die Visitationsinstruktion von 1540 erst nach Verhandlungen zwischen dem Kurfürsten und den Ständen erging152, deutet darauf hin, daß Brandenburg damals – obwohl die Entwicklung zum frühmodernen Fürstenstaat zweifelsohne 147

Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 179. Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 75. 149 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 73 f. 150 Anzuführen ist, daß sich der Kurfürst 1548 gegenüber den brandenburgischen Geistlichen angeblich als „Ordinarius“ bezeichnet hat (cf. H. Schmidt, Brandenburgische Reformationshistorie, S. 215; Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 12, Anm. 2) sowie die Äußerung gegenüber den Ständen in der Geistlichen Polizei-, Visiation- und Consistorialordnung von 1561, er sei ihnen gegenüber genauso unabhängig wie die früheren Bischöfe, deren „geistliche Expedition [. . .] an Uns kommen“. Beide Zitate belegen nicht, daß sich der Kurfürst wie ein Bischof fühlte. Ob er sich solchermaßen benahm, war eine andere Frage. Cf. auch J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 271 f., Anm. 6. 151 So zutreffend von Mühler, Geschichte, S. 77. Zu bedenken ist zwar, daß von Mühler aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts schreibt und eine bestimmte evangelisch-kirchliche Absicht verfolgt. Er ist gewissermaßen ein „frommer“ und daher nicht absichtsloser Autor. Gleichwohl ist ihm hier zuzustimmen: Die Epoche, in der Kirche und Staat eins waren, lag noch nicht so lange zurück. Die persönliche religiöse Bindung des Fürsten war daher auch im Bewußtsein der Bevölkerung noch von größerem Einfluß als in späteren Zeiten, etwa im 18. und 19. Jahrhundert. Einen Meilenstein im Rahmen dieser Entwicklung stellt die Konversion Johann Sigismunds 1614 dar; cf. dazu infra Teil I, Kapitel 1, C. IV. 148

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begonnen hatte – von einer souveränen Staatlichkeit im modernen Sinne noch weit entfernt war. Die Landstände verstanden ihre Rechtsposition originär und leiteten sie nicht aus der souveränen Staatsgewalt des Monarchen, mit dem sie in der Regel eine „symbiotische Zusammenarbeit“ – statt dualistischer Konfrontation – pflegten, ab. Darüber hinaus war Brandenburg weiterhin in die Strukturen des Alten Reiches eingebunden; dort trat es noch 1540 als katholisches Land auf.153 Diese Umstände weisen auf die Relativität und Vorläufigkeit der kurfürstlichen Machtposition sowie auf die im Umbruch begriffenen herrschaftlichen Verhältnisse hin, unter denen sich das landesherrliche Kirchenregiment zu entwickeln hatte.154 Richtigerweise ist die Beurteilung des kurfürstlichen Handelns nicht in erster Linie nach rechtlichen Kriterien vorzunehmen, sondern zunächst pragmatisch unter dem Aspekt geschichtlicher Notwendigkeiten zu betrachten. Die aus den Wirren der Reformation hervorgegangene vorläufige Verfassung der Kirche war in vielfacher Hinsicht „[g]anz planlos, und mehr ein Werk des Zufalls, als der Überlegung“.155 Niemand hat seinerzeit die Frage aufgeworfen, ob dem Landesherrn das Recht zugestanden habe, ein Glaubensbekenntnis aufzustellen. Vielmehr ist der Landesherr „als ein vornehmstes Glied der Kirche [vorangegangen], Zeugniß von seinem Glauben abzulegen, und Alles folgte.“ Das in der Kirchenordnung enthaltene Glaubensbekenntnis des Landesherrn war „nicht ein Gebot weltlicher Obrigkeit, sondern ein freies Zeugnis der gesamten Kirche des Landes von dem Inhalte ihres Glaubens, das seine Berechtigung nicht in äußeren Formen und Regeln, sondern in seiner unmittelbaren, lebendigen Wirklichkeit trug“.156 Obwohl der Kurfürst die Bekenntnisangelegenheiten nicht im Wege der Gesetzgebung zu regeln beabsichtigte, hatte er sich als Landesherr in Fragen von Liturgie, Kirchenverfassung und kirchlicher Rechtsprechung die derzeitige und künftige Regelungsbefugnis vorbehalten. Die rechtliche Grundlage dafür ist vielfältig: Die kirchliche Gerichtsbarkeit bildete, wie aus der Vorrede zum Entwurf der Konsistorialordnung von 1561 und später im Beschluß der Konsistorialordnung von 1573 zu ersehen ist, einen Teil der allgemeinen Rechtspflege und resultierte somit aus der Pflicht des Landesherrn, in seinem Territorium Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen. Daß sich der Kurfürst vorbehielt, die Ausübung der Rechtsprechung künftig anderen Institutionen als dem Konsistorium zuzuweisen oder Entscheidungen des Konsistoriums persönlich revidieren 152 So ausdrücklich Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation in der Mark Brandenburg 1540–45, S. 38. 153 Cf. Koser, Geschichte, S. 234; Delius, Kurfürst Joachim II. von Brandenburg und das Konzil von Trient, S. 112. 154 Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 37 f. 155 Cf. Henke, Beurteilung, S. 21. 156 s. von Mühler, Geschichte, S. 80, 90 (Hervorhebungen im Original).

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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zu wollen, erschien insofern rechtlich unbedenklich. Das landesherrliche Vorgehen deckte sich zudem mit Art. 7 des zweiten Teils der Augsburger Konfession, welcher von der kirchlichen Jurisdiktion als von einem weltlichen, von der bürgerlichen Obrigkeit erworbenen Recht der kirchlichen Behörden spricht.157 Die Regelungsbefugnis in liturgischen und kirchenregiminalen Fragen158 hingegen läßt sich aus der landesfürstlichen Gewalt als solcher nicht ableiten. Sie hängt vielmehr mit dem bischöflichen Amt zusammen, das der Landesherr zum Schutze des evangelischen Glaubens als christliche Obrigkeit notgedrungen ausüben mußte, nachdem die bisherigen Bischöfe ihre diesbezüglichen Pflichten nicht mehr erfüllten. Der Fürst wurde insofern in seiner Eigenschaft als evangelischer Landesherr und vornehmstes Glied seiner Kirche – im Sinne Melanchthons – tätig. Dabei unterlag er – wie die Bischöfe – ganz selbstverständlich den sich unmittelbar aus dem Evangelium ergebenden Beschränkungen des ius divinum.159 Im damaligen Herzogtum Preußen vollzog sich eine ähnliche Entwicklung. Zunächst behielten die evangelisch gewordenen Bischöfe von Samland und Pomesanien im wesentlichen die bisherige geistliche Verwaltung, doch suchte Herzog Albrecht das bischöfliche Amt nach und nach abzuschaffen. Nachdem einige Jahrzehnte lang die bischöflichen Stühle nur unregelmäßig besetzt worden waren, wurden in Königsberg und Saalfeld Konsistorien als landesherrliche Collegia eingerichtet, welche die Aufgaben der bischöflichen Offizialate übernahmen.160 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß auch dort der Landesherr „im Bewußtsein eines Rechtes, aber auch einer Pflicht“ zu kirchlichem Handeln vorging, obwohl das bischöfliche Amt zunächst noch bestand.161 Die Reformation der Kirche galt als eine Landesangelegenheit, zu deren Regelung in erster Linie die Landesobrigkeit berufen war und an welcher die Landstände ihren jeweiligen Rechten gemäß allenfalls mitwirkten.162 Auch die Entwicklung in Pommern unterschied sich nicht wesentlich von dem Verlauf der märkischen Reformation. Dort existierten seit 1556, einem frü157

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 93 f. Zur „inneren Kirchenregierung“ zählten die Aufsicht über Lehre, Gottesdienst, Lebenswandel der Geistlichen sowie die Verwaltung der Kirchengüter. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 94. 159 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 94. Es ist nur konsequent, daß auch für die in die Ausübung des Kirchenregiments eingebundene Behörde ausschließlich evangelische Mitglieder gefordert werden (cf. von Mühler, Geschichte, S. 94). 160 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 141 m.w. N. 161 Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 36. Auch hier ist darauf hinzuweisen, daß die im Rahmen einer zeitweiligen evangelischen bischöflichen Verfassung agierenden Bischöfe zwar „Lenker und Aufseher des kirchlichen Lebens“ waren, aber an die Autorität des Landesherrn, durch den sie eingesetzt worden waren, gebunden blieben. Cf. Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, S. 38 m. N. 162 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 50 ff. 158

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

heren Vorschlag gemäß, Konsistorien in Stettin, Greifswald und Colberg, zudem schon seit 1525 ein kirchliches Gericht in Stralsund; der nur anfänglich der reformatorischen Kirchenverfassung zugeneigte Bischof wurde durch einen Generalsuperintendenten ersetzt.163 In den später zur Provinz Sachsen gehörenden Gebieten war naturgemäß die Wittenberger Konsistorialverfassung prägend; im wesentlichen hielten sich die örtlichen Ausarbeitungen mehr oder minder daran.164 III. Die Epoche des Luthertums und das bischöfliche Recht des Landesherrn Unter Joachims II. Nachfolger Johann Georg165, der 1572 eine gemeinsame Kirchenordnung für die bisher getrennten Landesteile166 und 1573 eine neue Visitations- und Konsistorialordnung167 erließ, wurde das bisherige Brandenburger Sonderbekenntnis durch die Augsburger Konfession und den Lutherischen Katechismus abgelöst und mit Hilfe der 1577 verabschiedeten Konkordienformel gegen die reformierte Lehre Jean Calvins abgegrenzt. Dieser Schritt verdient insofern Beachtung, als sich an ihm zum einen die unruhige, ja unkoordinierte Entwicklung des in Brandenburg-Preußen vorherrschenden Bekenntnisses ablesen und zum anderen eine spezifische Art landesherrlicher Einflußnahme auf die Landeskirche konstatieren läßt, die in späteren Entwicklungen ihre Entsprechung findet. In der neuen Konsistorialordnung hatten jedenfalls die landespolitischen Forderungen Vorrang gegenüber den kirchlichen.168 Hatte Joachim II. – vom erwähnten Sonderbekenntnis einmal abgesehen – noch in einer vielzitierten Antwort an remonstrierende brandenburgische Geistliche kundgetan, er glaube weder an die römische, noch an die wittenbergische, sondern an die christliche allgemeine Kirche169, und zudem auf einer Versamm163

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 141 f. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 142. Zu der Entwicklung in Schlesien, Posen und Rheinland-Westfalen siehe id., S. 143 f. 165 Genau genommen folgte Johann Georg nicht nur Joachim II., sondern auch dessen über die Neumark und die Landesteile Sternberg, Krossen, Cottbus und Peitz herrschenden Bruder Johann nach. Dieser hatte die Reformation unter noch stärkerer Anlehnung an das sächsische Vorbild durchgreifender und rascher durchgeführt. Näher dazu von Mühler, Geschichte, S. 99. 166 Es handelt sich dabei um die revidierte und neu publizierte Kirchenordnung von 1540. Abdruck: Sehling, Kirchenordnungen III, S. 94–104. 167 „Visitation und Consistorial Ordenunge von 1573“; Mylius, CCM I/1, Sp. 273– 340. 168 Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 288 m. N. 169 Zitiert etwa bei H. Schmidt, Brandenburgische Reformationshistorie, S. 214; Jacobson, Kirchenrecht, S. 4. Es stellt eine – für die unionsgeneigte kirchengeschichtliche Literatur des späteren 19. Jahrhunderts überaus typische – Überinterpretation der Bemerkung dar, unionstheologische Tendenzen in sie hineinzulesen. Joachim II. kam 164

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lung protestantischer Fürsten in Naumburg dagegen protestiert, daß der zum Calvinismus konvertierte Friedrich III. von der Pfalz den Schutz des Augsburger Religionsfriedens verlieren sollte170, so war Johann Georgs Kirchenordnung von 1572 streng lutherisch. Gegen den zum Teil ausdrücklichen Rat der Geistlichkeit171 legte die neue Ordnung die Augsburger Konfession in ihrer ursprünglichen, unveränderten Fassung zugrunde; das Publikationspatent sprach von der „rechten, reinen Lutherischen Lehr“.172 Da der Staat dabei als christliches Gemeinwesen angesehen wurde, dessen erster und oberster Zweck die reine Lehre und die Förderung der reinen Lehre darstellte, die zur ausschließlichen Anerkennung zu bringen Pflicht der christlichen Obrigkeit war, sah sich der Kurfürst ob der Tatsache, daß sich „der Calvinische Irrthum einschleichet [. . .] Uns aber als christlicher Obrigkeit das gar nicht nachzusehen stehet“173, zum Eingreifen genötigt und veranlaßte die Unterzeichnung der 1577 in Leipzig erarbeiteten Konkordienformel, in der die reine lutherische Lehre in Form eines Bekenntnisses zusammengefaßt und von der nicht-lutherischen evangelischen Lehre scharf abgegrenzt war.174 Er selbst und die führenden märkischen Theologen unterzeichneten als erste; in der Geistlichkeit regte sich kein nennenswerter Widerstand, was sicherlich auch auf die faktische Vorbildfunktion des Landesherrn zurückzuführen ist.175 Auf den ersten Blick ähnelt diese Vorgehensweise der ersten Einführung der Reformation unter Joachim II.: Der Landesherr trat nicht als Gesetzgeber in Glaubenssachen auf, sondern ging mit seinem Beispiel voran; Geistlichkeit und Volk folgten im wesentlichen augenscheinlich freiwillig. Indessen hatte sich die Lage grundlegend verändert. Die Reformation war inzwischen weiter fortgeschritten und auf eine höhere Entwicklungsstufe geraten, so daß das Vorgehen des Landesherrn in einen inneren Widerspruch geriet: Auf der einen Seite sollte – dem evangelischen Verständnis gemäß – äußerer Zwang in Glaubensangelees nicht darauf an, das Verhältnis zwischen den nicht-katholischen Bekenntnissen zu gestalten; er wollte lediglich die Kontrolle über die Fortentwicklung des Kirchenwesens in seinem Territorium behalten und sich daher keine auswärtigen Modelle überstürzt aufdrängen lassen. 170 Buchholtz, Geschichte der Mark III, S. 485. Auch dieses Verhalten war keineswegs unionstheologisch motiviert. 171 H. Schmidt, Brandenburgische Reformationshistorie, S. 231, erwähnt die Bedenken des Propstes Georg Buchholtzer. 172 Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 103. 173 So Johann Georg im Ausschreiben zur Neuunterzeichnung der Konkordienformel; ebenso im Ausschreiben und in der Instruction zur abermaligen Generalvisitation; Mylius, CCM I/1, Sp. 343–352. 174 Von der lutherischen Hochorthodoxie abgelehnt wurden nicht nur die reformierten Lehren von Jean Calvin und Ulrich Zwingli, sondern auch die der lutherischen Lehre näher stehende Auffassung Philipp Melanchthons. Zum Inhalt der Konkordienformel s. von Mühler, Geschichte, S. 107–110. 175 s. hierzu von Mühler, Geschichte, S. 110 f.

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genheiten vermieden werden, andererseits erschien es kaum realistisch, einer so unübersehbaren Vielzahl von Geistlichen und Gemeinden verschiedener Auffassungen und Bildungsstufen die volle und freie Annahme eines so exakt ausgearbeiteten Lehrsystems zuzumuten. Obwohl die Bindung der göttlichen Wahrheit durch menschliche Satzung selbstverständlich vermieden werden sollte, ließ das durch die Konkordienformel definierte Lehrsystem keinen Raum für wissenschaftliche Fortentwicklung, jedenfalls wenn man das mit der Unterschrift verbundene Versprechen, nichts gegen die in der Formel enthaltene Lehre schreiben zu wollen, ernst nahm. Auch war – aus reformatorischer Perspektive – die Freiheit des Evangeliums durch die seinerzeit herrschenden kirchlichen Zustände bedroht, so daß es – wiederum aus Sicht der Reformatoren – Aufgabe der christlichen Obrigkeit war, bei der Befreiung aus dieser Situation helfend voranzugehen. Bei der Abfassung der Konkordienformel hingegen ging es weniger um die Freiheit des Evangeliums, sondern um die Feststellung eines aus dem Evangelium heraus entwickelten Lehrbegriffs. Selbst wenn der Landesherr von der Richtigkeit des Lehrsystems überzeugt war, konnte er kaum die landesherrliche Autorität dafür in Anspruch nehmen, dieses nur mit dermaßen deutlicher faktischer Kraft zu schützen; vielmehr war es weiterhin seine Aufgabe, die Freiheit des Evangeliums auf der bereits gewonnenen Grundlage zu bewahren und das dem System innewohnende wissenschaftliche Potential zu erhalten.176 Im übrigen entsprach die aus der Konkordienformel resultierende statische Konservierung des lutherischen Bekenntnisses den strikten Vorgaben des Reichsverfassungsrechts.177 Die Ursache für das Verfahren Johann Georgs ist wohl darin zu sehen, daß die ursprüngliche reformatorische Idee von der „rechten“ Aufgabe und Funktion der christlichen Obrigkeit bereits nach kurzer Zeit unklar geworden war. Zunächst war es keineswegs die Intention der Reformatoren gewesen, die Einheit von Kirche und Staat zu lösen; vielmehr sollte die Reformation die gesamte Kirche durchdringen. Zu diesem Zweck sollte die christliche Obrigkeit der Predigt des Gotteswortes und den Sakramenten freie Bahn schaffen und so eine Freiheit des Glaubens sowie eine im Evangelium gegründete christliche Gemeinschaft bewirken.178 Inzwischen lebte die Idee einer Einheit der gesamten Christenheit in Kirche und Staat, die auf Reichsebene und darüber hinaus durch die faktischen Auswirkungen der Reformation zerbrochen war, auf der Ebene der einzelnen Landesgebiete und Territorien wieder auf. Für die Landesherren war es im Hinblick auf die integrative Kraft der Religion schon aus innenpolitischen Gründen selbstverständlich, daß es in ihrem Herrschaftsgebiet nur ein Bekenntnis geben 176 177 178

Ausführlich von Mühler, Geschichte, S. 111 ff. s. dazu bereits supra Kapitel 1, B. s. von Mühler, Geschichte, S. 114.

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konnte. Diesen Zustand suchten sie mit allem Eifer aufrechtzuerhalten. Dabei trat die Mahnung Luthers, die Einheit des Glaubens dürfe nur durch die freie Kraft der Predigt und der Sakramente geschaffen werden, in den Hintergrund. Während in Brandenburg Joachim II., wie geschildert, noch eine milde Herangehensweise an den Tag legte, war man, wie schon das Beispiel Sachsens zeigt, anderenorts erheblich schärfer mit der katholischen Kirche umgegangen.179 Dieses Verständnis der Funktion der christlichen Obrigkeit wurde durch die überlagernden Prinzipien der deutschen Reichsverfassung, insbesondere durch das formelle ius reformandi noch verstärkt, wie sich vor allem anhand des Vergleiches zwischen katholischen und evangelischen Territorien zeigen läßt. Nur die evangelischen Fürsten konnten überhaupt die Aufgabe christlicher Obrigkeit, dem Evangelium freie Bahn zu verschaffen, in ihrer vollen Bedeutung erfassen und in Angriff nehmen. Die katholisch gebliebenen Fürsten sahen dies naturgemäß nicht als ihre Aufgabe an und konnten das Vorgehen der evangelischen Landesherren – bis zu den Religionsfrieden – auch nicht als theologisch und juristisch rechtens anerkennen, sondern die Reformation nur als faktische Gegebenheit wahrnehmen und ihrerseits die Reformation für ihr Territorium ausschließen. Nachdem sich durch den Passauer Vertrag und den Augsburger Religionsfrieden das formale ius reformandi herausgebildet hatte, waren in den katholischen Ländern alle reformatorischen Bekenntnisse per se ausgeschlossen. In den evangelischen Territorien jedoch ging man insofern nicht spiegelbildlich vor, als nicht nur die Ausübung der katholischen Religion ausgeschlossen und religiöse Meinungen unterdrückt wurden, die – wie etwa die Wiedertäufer – der bürgerlichen Ordnung gefährlich wurden, sondern man begann nun auch, mit der Autorität der christlichen Obrigkeit die eine oder andere der auf dem gemeinsamen evangelischen Boden erwachsene Richtungen als die allein richtige zu verteidigen und die anderen als schädlichen Irrtum abzuwerten.180 Dabei stützte man sich auf die – ebenfalls mit der ursprünglichen Idee des Berufes christlicher Obrigkeit nicht in Einklang zu bringende – Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments oder Summepiskopats. In diesem Rechtsinstitut konnte sich das höchst vorläufige „Notbischofsrecht“ der protestantischen Landesherren verfestigen und einen dauerhaften Charakter gewinnen; das Provisorium wurde – wie erwähnt – zum Definitivum. Wie schon das Notbischofsrecht war die Idee des Summepiskopats gewissermaßen aus der Not geboren und von evangelischen Juristen in Ermangelung bestehender rechtlicher Strukturen geradezu „erfunden“ worden.181 Da der evangelische Begriff vom „Berufe christlicher Obrigkeit“ nämlich im staatli179 180 181

s. von Mühler, Geschichte, S. 114 f. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 115 ff. Siehe hierzu bereits supra Kapitel 1, A. III.

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chen Rechtssystem gar nicht vorkam, suchte man ihn mit einem der vorhandenen traditionellen Rechtstitel zu verbinden und auf diesen zu stützen. Es lag nahe, sich dabei zu erinnern, daß die Landesherren an Stelle der Bischöfe als Reformatoren aufgetreten waren, und daher die evangelischen Fürsten als Erben und Nachfolger der Bischöfe anzusehen und ihnen ein bischöfliches Recht (ius episcopale) in ihrer Landeskirche sowie den Titel eines obersten Bischofs (summus episcopus) zuzuerkennen, obwohl das Amt eines Bischofs und die Position eines Landesfürsten ganz unterschiedlichen Zusammenhängen entstammten.182 In der Mark Brandenburg finden sich erste Anzeichen der Rechtstheorie von der bischöflichen Gewalt des Landesherrn vor allem unter Joachim II. jedoch nur spärlich183; auch Johann Georg und Joachim Friedrich lehnten die bisweilen an sie herangetragene Bezeichnung als „wahrer, rechter, oberster Bischof“ stillschweigend ab.184 Als Blütezeit des Summepiskopats kann vielmehr das 17. und 18. Jahrhundert angesehen werden. Ganz deutlich wird dies etwa in dem Edict vom 16. November 1698185, in welchem der Landesherr aus „oberbischöflicher Macht“ über die Ordnung der Beichte in der evangelischen Kirche, also über eine rein geistliche Handlung, „verordnet und decidiret“.186 Auf diese Weise entstand auch in Brandenburg ein insofern halb geistlicher, halb weltlicher Staat, als geistliches und weltliches Regiment zwar hinsichtlich der letztendlich ausübenden Organe unterschieden waren, jedoch in der Person des Landesherrn zusammengeführt wurden.187 Auch die frühen Visitations- und Konsistorialordnungen von 1543188, 1551 und 1573189 sind Ausdruck eines solchen freien, von den Landständen unabhängigen landesherrlichen Regiments über die Kirche.190 Die Selbstbezeichnung als „oberste Bischöfe“ durch die brandenburgisch-preußischen Herrscher läßt sich noch in der Regierungszeit Friedrichs des Großen nachweisen191; freilich verwendete dieser den Titel vornehmlich in ironischen Marginalien.192 182

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 117. s. bereits supra Kapitel 1, C. II. 184 Cf. den Hinweis auf die Praxis der evangelischen Domkapitel von Brandenburg und Havelberg bei J. Heckel, Dom- und Kollegiatstifter, S. 230. 185 Mylius, CCM I/1, Sp. 419–422. 186 Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 118 f. 187 Hintze, Epochen, S. 78 f. 188 Das Konsistorium war vermutlich im Jahre zuvor gegründet worden; cf. Hintze, Epochen, S. 83. 189 Die Ordnung von 1551 ist eine nach dem Vorbild der Wittenbergischen Ordnung (Sachsen) verbesserte Fassung jener von 1543; die von 1573 beruht maßgeblich auf einem nicht publizierten Entwurf von 1561. Hintze, Epochen, S. 83. 190 Nähere Begründung und Nachweise bei Hintze, Epochen, S. 80 f. Die Organisation des Kirchenwesens folgte weitgehend dem Vorbild Sachsens; zu den Einzelheiten cf. Hintze, Epochen, S. 82 ff. 183

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Bei konsequenter Übertragung der iura episcopalia hätten die brandenburgischen Landesfürsten auch die Aufgaben der Wortverkündigung (Predigt), Sakramentenverwaltung und der Ordination der Geistlichen übernehmen müssen.193 Dies ist aber zu keinem Zeitpunkt geschehen oder ernsthaft erwogen worden. Auch unter diesem Aspekt konnte die Theorie vom bischöflichen Amt des evangelischen Landesherrn letzten Endes die Wirklichkeit nicht recht erfassen. Ebensowenig stützten sich die brandenburgischen Landesherren in ihrer Funktion gegenüber der evangelischen Landeskirche aber auf das – spätere – Territorialsystem, welches dem Fürsten in „seiner“ Kirche Rechte politischen Charakters zugesteht, noch auf das Kollegialsystem, das einen stillschweigenden, erforderlichenfalls zurücknehmbaren Auftrag der Kirche an den Landesherrn zur Übernahme der Kirchenleitung fingiert. Vielmehr fühlten sie sich aufgrund ihrer Glaubenserkenntnis verpflichtet, dem Evangelium freie Bahn zu schaffen, freie Predigt und Sakramentenverwaltung zu ermöglichen und die dazu erforderlichen Institutionen mit ihrer landesherrlichen Macht und Autorität zu pflegen und zu stärken, ohne aufgrund ihrer weltlichen Macht Herren des evangelischen Glaubens zu sein oder ein kirchliches Amt zu bekleiden. Dabei blieben sie jedoch nicht stehen. Statt aus dem „befreienden“ Charakter des Evangeliums zu folgern, als christliche Obrigkeit jeden Zwang des Glaubens und der Religion zu vermeiden und in der Konsequenz hieraus denjenigen, der sich nicht zum Evangelium bekennen wollte, nur dem bürgerlichen Gesetz zu unterwerfen, trat während des 16. Jahrhunderts und danach eine ihrerseits inkonsistente Vermengung des „Berufs christlicher Obrigkeit“ einerseits sowie des ius episcopale sowie dem ius reformandi andererseits ein. Die letzteren wurden dabei als lediglich formelle Rechtsbegriffe, d. h. ohne Reflexion über ihren materiellen Inhalt verwendet.194 Joachim Friedrich, der 1605 die Administration und die Regierung sowohl in der Mark Brandenburg als auch im Herzogtum Preußen übernahm, änderte nichts am bestehenden Verbot des „Calvinischen Irrtums“.195 Dies sollte sich unter seinem ab 1608 regierenden Nachfolger Johann Sigismund in entscheidender Weise ändern.

191

s. von Mühler, Geschichte, S. 119. Es wird berichtet, daß sich Friedrich der Große in einem freilich ironisch-sarkastisch gehaltenen Marginal als „vicarius Jesu Christi und Erzbischof von Magdeburg“ bezeichnete und damit nicht nur ein jus episcopale, sondern geradezu ein jus papale in Anspruch nahm. Hintze, Epochen, S. 90 f. 193 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 119. 194 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 119 f. 195 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 3. 192

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IV. Die Konversion Johann Sigismunds und das „unschädliche Simultaneum“ 1. Die Rahmenbedingungen des Bekenntniswechsels Während der Regierungszeit Johann Sigismunds sah sich das Verhältnis von Landesherr und Landeskirche einer bisher nicht dagewesenen Belastungsprobe ausgesetzt. War nach der damals im Schrifttum noch vorherrschenden Theorie des Episkopalismus das landesherrliche Kirchenregiment auf das ius episcopale gegründet, so lag dieser Auffassung die ebenso selbstverständliche wie selten ausdrücklich ausgesprochene Voraussetzung zugrunde, daß der Landesherr selbst Mitglied derjenigen Kirche sei, in der und über die er die Funktion des summus episcopus ausübte. Überdies war das Episkopalsystem aus der Gedankenwelt des Luthertums entstanden und knüpfte den Ehrentitel und die kirchlichen Rechte des pius magistratus daran, daß der jeweilige Fürst ein Reichsstand augsburgischen Bekenntnisses war.196 Dies war in Brandenburg, nachdem Kurfürst Johann Sigismund am Weihnachtstag 1613 den Übertritt zum reformierten Bekenntnis bekanntgegeben hatte197, nicht länger der Fall.198 Für die Entscheidung des Kurfürsten dürften sowohl religiöse als auch politische Motive ausschlaggebend gewesen sein.199 Die – über die persönliche Frömmigkeit hinausgehende – politische Relevanz der Konversion lag insbesondere darin, daß der Kurfürst zu gerade jenem evangelischen Bekenntnis übertrat, welches in Europa zunehmend die Vorreiterrolle im Wettstreit mit der Gegenreformation übernommen hatte. Die allgemeine geistige und politische Anziehungskraft des reformierten Wesens und auch die territoriale Ausdehnung der Herrschaft des Hauses Hohenzollern auf calvinistisch 196

Cf. J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 273. Cf. das „Calvinische Abendmahl gehalten zu Cöln an der Spree in der Domkirche, genannt zur Heiligen Dreyfaltigkeit, Anno Chr. 1613 am Heiligen Christtage“. 198 Für die „Weiterführung und Vollendung“ der lutherischen Reformation hat sich in der historischen Forschung seit Jürgen Moltmann der Ausdruck „zweite Reformation“ eingebürgert (cf. dens., Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen). 199 Unstreitig ist, daß Religion und Politik zu jener Zeit untrennbar verbunden waren. Wie hier etwa Hintze, Epochen, S. 85, ders., Kalvinismus und Staatsräson, passim, bes. S. 266 f. sowie aus neuerer Zeit Beeskow, Konfessionswechsel, S. 10; Rudersdorf/Schindling, Kurbrandenburg, S. 53 f.; Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 42 f.; stärker zu religiösen Motiven tendierend Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 93, 95, sowie ders., The Second Reformation in Brandenburg: Aims and Goals, S. 173 ff. Ausführlich zum Werdegang Johann Sigismunds und der persönlichen Vorgeschichte der Konversion von Mühler, Geschichte, S. 121 f. Ob die vermuteten politischen Motive letztlich den gewünschten Erfolg gezeitigt haben, ist eine andere Frage. Die Bedeutung des Konfessionswechsels für die Geschichte Brandenburgs im allgemeinen mag nicht überragend sein (Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 42 f.); die Bedeutung für die Geschichte der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen läßt sich jedoch nicht ernsthaft bestreiten. 197

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geprägte Gebiete (z. B. das Herzogtum Kleve) ließen das reformierte Bekenntnis für Johann Sigismund und seine Nachfolger attraktiv erscheinen200, auch wenn er durch die Annahme eines reichsrechtlich nicht anerkannten Glaubens das Risiko einging, den Schutz des Reichsfriedens zu verlieren. Für das Kirchenregiment ergab sich freilich eine sonderbare Situation: Johann Sigismund und die nachfolgenden Kurfürsten forderten im Ergebnis unter Verzicht auf die Ausübung des ius reformandi von ihren Untertanen keinen Bekenntniswechsel; die Annahme des calvinistischen Bekenntnisses erstreckte sich lediglich auf den Hof201, die Domkirche sowie die Landesuniversität Frankfurt/ Oder, an der nunmehr immerhin ein reichsrechtlich nicht anerkanntes Bekenntnis unterrichtet wurde.202 Ein Bekenntniswechsel des gesamten protestantischen Kirchenwesens des Landes scheiterte schon am Widerstand der Landstände, die – nicht zuletzt den Verlust ihrer Patronate befürchtend203 – den Konfessions200 Brandes, Geschichte I, S. 29 ff., weist zwar darauf hin, daß sich für diese Motivation keine schriftlichen Belege finden. Daran dürfte richtig sein, daß die Konversion sicher nicht nur mit der Absicht erfolgte, den reformierten Niederlanden einen Gefallen zu erweisen. Eine politische Motivation wird dadurch aber nicht ausgeschlossen. Auch das von Brandes (Geschichte I, S. 34, Anm. 1) zitierte Schreiben des Kurfürsten an die Landstände zwingt nicht zur Annahme rein religiöser Motive. Zwar schreibt Johann Sigismund: „Dies ist unser Glaube und Confession von den streitigen Religionsartikeln, denen wir albereit vor 8 Jahren und länger zugethan gewesen, die wir aus dem Brunnen Israels, ohne einiges Menschen Zuthun oder Persuasion – wie wir dessen Gott zum Zeugen anrufen – geschöpft und die wir, damit wir Ruhe in unserem Gewissen hätten, öffentlich zu bekennen gezwungen wurden.“ Hier ist aber zu berücksichtigen, daß sich das Schreiben gerade an den Personenkreis richtete, welcher der Konversion des Kurfürsten kritisch gegenüberstand und nur gegen Erteilung von Reversen bereit war, diese zu dulden, ohne daß der Kurfürst das Kirchenregiment verlor. Eine andere als die hier schriftlich gegebene Begründung wäre in einer Zeit, in der – insoweit ist Brandes, Geschichte I, S. 33 f., zuzustimmen – die Frage des Bekenntnisses eine Gewissensfrage war, nicht akzeptabel gewesen. 201 Auch die Mitglieder des 1604 von Joachim Friedrich gegründeten Geheimen Rates waren nicht nur – wie in Brandenburg für die engen Vertrauten des Kurfürsten üblich – weit überwiegend landfremd, sondern gehörten zum Teil auch dem reformierten Bekenntnis an, zu dessen geistigen Zentren sie aufgrund ihrer jeweiligen Herkunft persönlichen Kontakt hatten. Cf. Escher, Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, S. 290; Beeskow, Konfessionswechsel, S. 8 f. (jeweils m. N.). 202 Cf. Spitz, The Importance of the Reformation for the Universities. Culture and Confession in the Critical Years, S. 56: „From the death of Melanchthon until the end of the Thirty Year’s War, the universities became increasingly agents of confessionalism. [. . .] These changes in the confessional position of established universities were particularly significant since Calvinism was not to receive official recognition and tolerance in the Empire until the Peace of Westphalia and could not therefore receive imperial credentials for new universities.“ Zur Charakterisierung der Universität Frankfurt/Oder als „Ostbastion des Kalvinismus“ s. Mühlpfordt, Die Oderuniversität Frankfurt (1506–1811), S. 29. 203 Die Landstände hatten die Konversion scharf kritisiert und mit dem Hinweis, der Kurfürst drohe den Schutz des Reichsfriedens zu verlieren, zunächst die Rückkehr zur Augsburger Konfession gefordert. Cf. Croon, Die kurmärkischen Landstände 1571–1616, S. 188–198.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

wechsel nur unter Garantien für den Fortbestand des lutherischen Kirchenwesens zu dulden bereit waren. Auch die lutherische Geistlichkeit protestierte scharf204; in Berlin, Brandenburg, Lindow und Stendal kam es zu mitunter gewalttätigen Auseinandersetzungen.205 2. Die „Confessio Sigismundi“ und die bekenntnismäßigen Konsequenzen Johann Sigismund, der nach erfolgtem Übertritt den neuen Inhalt seines eigenen Glaubens in der Confessio Fidei Jo(h)annis Sigismundi206 niederlegte und veröffentlichte, war freilich nicht der Auffassung, er trenne sich von der Kirche seines Landes und stifte für sein Territorium eine von dieser verschiedene neue Kirche.207 Er hatte lediglich den Vorsatz, die in früheren Zeiten begonnene Reformation fortsetzen und vorantreiben, indem er diejenigen Bekenntnissätze annahm, die ihm moderner und fortschrittlicher – da reiner und ursprünglicher – erschienen. Dies wird in seiner Confessio deutlich, der zufolge er nicht die Absicht hatte, „etwas Neues oder was in Gottes Wort nicht ausdrücklich gegründet, anzuordnen und seinen Unterthanen beizubringen“.208 Hierfür spricht auch, daß das neue Bekenntnis des Kurfürsten sich nicht nur auf die Heilige Schrift, sondern ausdrücklich auch auf die – in ihrem Wesen lutherische – Augsburger Konfession209 stützte und in verschiedenen theologischen Streitfragen zwischen dem lutherischen und dem calvinistischen Standpunkt zu vermitteln versuchte. Andererseits versuchte der Kurfürst durchaus, die konfessionellen Grundlagen der lutherischen Kirche zu modifizieren, indem er die Geistlichen durch das Edikt vom 24. Februar 1614210 anwies, „das Wort Gottes lauter und rein, aus den Prophetischen und Apostolischen Schriften, den Vier Haupt-Symbolis, der Augsburgischen verbeßerten confession, und deroselben Apologien, und ohne 204

Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 100 f., 117 m. N. Näher dazu Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 110 ff. 206 Abgedruckt bei Mylius, CCM I/1, Sp. 464–474, als Anlage zur Inspections-, Presbyterial-, Classical-, Gymnasien- und Schulordnung vom 24. Oktober 1713 (Mylius, CCM I/1, Sp. 447 ff.). Abgefaßt wurde das Dokument wahrscheinlich vom neuen reformierten Hofprediger Martin Füssel. Cf. bereits Hintze, Kalvinismus und Staatsräson, S. 278. 207 Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 218 f. 208 Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 123. 209 Allerdings in der von Melanchthon überarbeiteten Fassung, bei der im 10. Artikel (Abendmahl) die Exklusivformel et improbant secus docentes weggelassen wurde, was einen Einigungspunkt für Lutherische und Reformierte darstellte und zunächst keinerlei Anstoß erregte. Erst später – zu kontroverstheologischen Zeiten – wurde die Frage zu einem „Zankapfel“ zwischen den evangelischen Konfessionen. Cf. Köllner, Symbolik der lutherischen Kirche, S. 361; D. H. Hering, Historische Nachricht, S. 141–168, 227. 210 Mylius, CCM I/1, Sp. 353–356. 205

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alle verfelschung und ohne etzlicher müßigen, vorwitzigen und hoffertigen Theologen [. . .] selbst ertichtete Glossen und neue Lehr Formuln vorzutragen“.211 Hierzu berief sich der Kurfürst, der die übliche Einleitungsformel weltlicher Gesetze verwendete, ausdrücklich auf seinen Status als „von Gott gesatzte[] Obrigkeit dieser Lande“ und auf die Regentenpflicht zur custodia utriusque tabulae, nicht jedoch – insoweit dem Beispiel seiner Vorgänger folgend – auf das bischöfliche Recht. Ohne die Ernsthaftigkeit des landesherrlichen Vorgehens in Zweifel ziehen zu wollen, muß davon ausgegangen werden, daß hierbei für Johann Sigismund eher staats- und kirchenpolitische als religiöse Motive im Vordergrund gestanden haben. Die Confessio und das seinem Regelungsgehalt nach ungeachtet des widersprüchlichen Wortlautes auf eine Veränderung des Bekenntnisses der Landeskirche abzielende Edikt vermitteln den Eindruck, daß sich der Kurfürst über die theologische Berechtigung und Relevanz seines Handelns nicht vollständig im klaren war.212 Natürlich mußte ihm klar sein, daß er nach dem traditionellen Verständnis seiner Funktion als „Inhaber“ oder „Verwalter“ der bischöflichen Rechte über die evangelische Landeskirche die Übereinstimmung des Bekenntnisses prinzipiell wahren mußte. Solange er die zwei evangelischen Bekenntnisse als eine Konfession ansah, diente dies sowohl auf der Ebene des Reichsrechts (Augsburger Religionsfrieden) als auch auf territorialstaatsrechtlicher Ebene zur weiteren Legitimierung seiner Stellung in der Kirchenverfassung213, auch wenn die notbischöfliche Funktion in den einschlägigen Dokumenten keine Erwähnung fand. Immerhin akzeptierten die Landstände auf der Grundlage der ihnen erteilten Reverse die weitere Inanspruchnahme des landesherrlichen Kirchenregiments durch den Kurfürsten.214 211

Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 99. Die im 19. Jahrhundert etwa von Friedrich Brandes, Geschichte I und II, sowie Heinrich von Mühler, Geschichte, jeweils passim, geäußerte These, die Vorgehensweise stehe bereits im Zusammenhang mit der späteren evangelischen Union von 1817, basiert eher auf kirchenpolitischen und evangelikal-religiösen Wunschvorstellungen jener Zeit denn auf historischen Tatsachen. Zwar ist es historisch und theologisch richtig, daß die sächsische und die schweizerische Reformation auf denselben Grundgedanken beruhen und insofern einander ergänzend eine Einheit bilden. Dessen ungeachtet konnten den seit 1525 bestehenden Dissens in der Abendmahlslehre weder das Marburger Colloquium 1529, die Wittenberger Concordia 1536 noch die modifizierte Augsburger Confession 1540 ausräumen. Daß die brandenburgischen Herrscher in der Regel wenig geneigt waren, auf diese Spaltung Rücksicht zu nehmen, hat aber keine religiösen Gründe. Wenn etwa Joachim II. 1549 den Geistlichen, die von ihm die Einführung des sächsischen Cultus begehrten, geantwortet hatte, er wolle weder an die römische, noch an die Wittenberger Kirche gebunden sein, „denn ich nicht spreche, credo S. Romanam oder Wittebergensem, sondern Catholicam ecclesiam, und meine Kirche allhie zu Berlin und Cölln ist eben eine solche rechte christliche Kirche, wie die Wittenberger Kirche“, so war dies Ausdruck seines politischen Selbstbewußtseins als Landesherr und keine theologisch-dogmatische Aussage. 213 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 143 f. 212

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die hier vertretene Ansicht wird durch einen Vergleich mit den späteren Vorgängen in Sachsen bestätigt. Als Friedrich August I. (der Starke) von Sachsen nach dem Erwerb Polens zum katholischen Glauben übertrat, delegierte er die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments über die evangelisch-lutherische Landeskirche – soweit dies über die allgemeine Kirchenhoheit hinausging – an eine im wesentlichen unabhängig agierende protestantische Behörde. Im Unterschied zur Konversion Johann Sigismunds, der nur „innerhalb der einen evangelischen Konfession“ das Bekenntnis gewechselt hatte, lag hier aber ein „echter“ Konfessionswechsel vor, so daß der katholische Kurfürst nicht länger als summus episcopus im vollen Sinne fungieren konnte.215 3. Das Verbot der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen Eher „innenpolitischen“ Charakter hatte auch eine flankierende Maßnahme Johann Sigismunds. Um seiner in die Praxis umgesetzten These von den zwei gleichberechtigten Bekenntnissen der einen evangelischen Konfession zur Durchsetzung zu verhelfen, enthielt das Edikt vom 24. Februar 1614 das ausdrückliche an die Geistlichen gerichtete Verbot, von den Kanzeln herab über die jeweils andere Konfession zu lästern oder zu schmähen; auf diese Weise sollte die geradezu feindselige Konfrontation gleichsam aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt werden. Zudem wurde in der Verordnung der Versuch unternommen, die Geltung derjenigen Bekenntnisschriften, welche die gegensätzlichen Auffassungen der Konfessionen am deutlichsten hervortreten ließen, zurückzudrängen. Auf lutherischer Seite waren dies vor allem die Konkordienformel und der originale Wortlaut der Augsburger Konfession. In der Confessio und in dem Edikt wurde daher die verbesserte Augsburger Konfession als die vom Kurfürsten präferierte – und daher für die lutherische Geistlichkeit des Landes maßgebliche – Richtschnur der Lehre offiziell eingeführt.216 Noch einschneidender waren die Initiativen des Kurfürsten, die Bedeutung der Konkordienformel zurückzudrängen, indem unter anderem die Unterzeichnung durch neu ordinierte Geistliche wegfiel und den bereits im Amt befindlichen die Berufung auf die Formel untersagt wurde.217 Diese Maßnahme stieß jedenfalls hin214 In Braunschweig hatte dagegen Herzog Heinrich Julius 1597 gegenüber den Ständen von Wolfenbüttel für den Fall des Konfessionswechsels auf sein bischöfliches Recht verzichten müssen: „Wenn einige Änderung der Religion geschehen, und etwas, so der Kirchenordnung zuwider wäre, fürgenommen werde, sollen die drei Stände von der in der Kirchenordnung gesetzten Jurisdiction und des juris episcopalis an- und zugehörigen Rechte, wenn und so lange ihnen dadurch eine andere Lehre aufgedrungen, oder dadurch eingeführt sein sollte, befreiet sein.“ Cf. von Kamptz, Über das bischöfliche Recht, S. 55. 215 Näher hierzu infra Teil II, Kapitel 3, Fn. 17. 216 s. von Mühler, Geschichte, S. 126. Cf. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 5 m.w. N.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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sichtlich der bereits ordinierten Geistlichen auf Widerstand, da diese, bei ihrer Ordination auf die Konkordienformel verpflichtet, sich zum Bruch ihrer Ordinationsgelübde gedrängt sahen. Auch die Besetzung lutherischer Pfarrstellen landesherrlichen Patronats mit reformierten Predigern erregte erheblichen Unmut.218 Verstärkt wurde dies noch dadurch, daß die calvinistischen Geistlichen jedenfalls zum Teil nicht von den lutherischen Superintendenten, sondern von den örtlichen kurfürstlichen Beamten eingesetzt wurden.219 Auch hier erscheint der Versuch der „Calvinisierung“ des Landes eher als landesherrliche Maßnahme und nicht als Ausübung bischöflicher Befugnisse. Nachdem ein Kolloquium mit protestierenden Geistlichen in Berlin 1614 nicht zustande gekommen war220, kam es zu erbitterten Verhandlungen zwischen Johann Sigismund und den Landständen. Erst nachdem diese mit der Verweigerung dringend benötigter Geldzahlungen gedroht hatten, erteilte der Kurfürst am 5. Februar 1615 den Landständen einen die Rechte der lutherischen Kirche sichernden Revers.221 Insbesondere gestand er die Beibehaltung der lutherischen Lehre einschließlich der Konkordienformel sowie den Gebrauch der Formel bei der Ordination lutherischer Geistlicher zu und sagte zu, die landesherrlichen Patronatsstellen nicht gegen den Willen der örtlichen Gemeinden mit „verdächtigen“, d. h. mit reformierten Kandidaten zu besetzen. Eine ähnliche Zusicherung machte er hinsichtlich der Besetzung von Lehrstühlen an der Universität Frankfurt.222 Wenig später, am 6. Februar 1615, erteilte Johann Sigismund den Reformierten einen Gegenrevers mit der Zusicherung der offenen und freien Ausübung ihrer Religion. Auf diese Weise entstand ein – nach den später entwickelten Maßstäben des Allgemeinen Staatsrechts jedenfalls nach dem Westfälischen Frieden zulässiges – „unschädliches Simultaneum“223, welches vor allem eines deutlich macht: 217

Ausführlich hierzu von Mühler, Geschichte, S. 127 f. m. N. Cf. Beeskow, Konfessionswechsel, S. 13 m. N. 219 So im Falle des Predigers Georg Henckel in Lindow (Grafschaft Ruppin), dessen Amtseinführung von dem Amtshauptmann Zechlin vorgenommen wurde. Cf. D. H. Hering, Historische Nachricht, S. 320 f. 220 s. hierzu von Mühler, Geschichte, S. 133. 221 Mylius, CCM VI/1, Sp. 257–264. Ausführlich zur Vorgeschichte Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 121 ff. 222 Resolution vom 3. November 1615 Nr. 8; Mylius, CCM VI/1, Sp. 263–268. 223 Prominente Autoren des Allgemeinen Staatsrechts des 18. Jahrhunderts (etwa Majer, Teutsches geistliches Staatsrecht, Teil 2, S. 260; Pütter, Historische Entwicklung II, S. 203 ff.; J. H. Boehmer, Jus ecclesiasticum Protestantium III, tit. 36, §§ 8 ff.; Wiese, Kirchenrecht III/2, S. 104) hielten es unter der durch den Westfälischen Frieden gegebenen Rechtslage für zulässig, wenn der gegenüber der bestehenden Landeskirche infolge Bekenntniswechsels bekenntnisfremde Territorialherr seiner eigenen, auch unter Berücksichtigung der Normaljahrregelung bisher nicht berechtigten Religionspartei die Religionsübung gestattete, soweit diese neue Religionspartei für ihre Kultuseinrichtungen und Bedürfnisse mit eigenen Mitteln zu sorgen hatte oder 218

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Das vom Kurfürsten hauptsächlich zu lösende Dilemma224 bestand vor allem darin, daß einerseits ein Konfessionswechsel des gesamten etablierten lutherischen Kirchenwesens zum Calvinismus nicht möglich war225, schon gar nicht gegen den Widerstand der Landstände, daß aber andererseits die Religion des Landesherrn und seines Hofes nicht Gefahr laufen durfte, von geringerer Berechtigung und Würde zu sein als die des Volkes. Kontroverstheologische Äußerungen wider die reformierte Konfession von der Kanzel herab mußten schon deshalb unterbunden werden, weil dies angesichts der weitestgehenden Beschränkung dieses Bekenntnisses auf den kurfürstlichen Hof einer Majestätsbeleidigung gleichgekommen wäre.226 Auch mit der Einrichtung des Kirchenrates (1614), der unter Umgehung des lutherischen Konsistoriums die Calvinisierung des gesamten Territoriums betreiben sollte227, konnte sich der Kurfürst aufgrund des hartnäckigen Widerstands der lutherischen Geistlichen, welche einen illegitimen Eingriff in die Rechte der Kirche konstatierten228 und damit die geistliche Legitimation des Landesherrn bestritten, nicht durchsetzen.229 lediglich leerstehende oder unbenutzte Kirchengebäude der bisher herrschenden Konfession zugewiesen erhielt. Dagegen sollte es unzulässig sein, der neuen Religionspartei die Kirchen und Güter der bislang herrschenden Religionspartei zuzuweisen. Ausführlich hierzu Hinschius/Sehling, Art. Simultaneum, S. 374 f. Zum Zeitpunkt der Konversion Johann Sigismunds – vor dem Westfälischen Frieden – war die Situation freilich noch brisanter, da nach geltendem Reichsrecht (Augsburger Religionsfriede) ein Simultaneum nicht vorgesehen war, schon gar nicht unter Einbeziehung des nicht legitimierten reformierten Bekenntnisses. Dem Kurfürsten blieb unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als die Einheitlichkeit des reformatorischen Bekenntnisses zu behaupten. 224 Daß der Kurfürst darüber hinaus das Problem hatte, durch den Konfessionswechsel gegen ein 1593 seinem Großvater Johann Georg gegebene Versprechen, bei der durch die Konkordienformel festgestellten Lehre zu bleiben, soll nicht in Abrede gestellt werden. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 42. 225 Die zunächst verfolgte Strategie, den Lutheranern einen schnellen und störungsfreien Übertritt zum Calvinismus zu ermöglichen und den erwarteten Widerstand einiger weniger schnell und konsequent zu brechen, war nicht aufgegangen. Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 99. 226 Hierin – wie etwa von Mühler – frühe Ansätze einer späteren religiösen Toleranzpolitik der brandenburgisch-preußischen Herrscher sehen zu wollen, erscheint daher nicht angemessen. Die – wie dargelegt – anders motivierte Vorgehensweise Johann Sigismunds hat dem später praktizierten Toleranzgedanken faktisch den Weg geebnet, aber nicht bewußt bereitet. 227 Diese Intention tritt deutlich hervor in dem Memorandum des Geheimen Rates vom 23. März 1617, in welchem die Wiederabschaffung des Kirchenrates empfohlen wurde: „Zu der Zeit wie [der Kirchenrat] ernstlich angesagt wurde, hatte man noch die Hoffnung, die Religion im gantzen Lande einzuführen. Welches aber itzo woll verbleiben wird. [. . .] Es kehret sich auch niemands weder an des Kirchen Raths Gebott noch verbott. Indeß aber gebieret es E. Churf. G. eine merkliche invidiam bei Ihren Unterthanen unnd dazu ohne allen nuzen. [. . .] Also meinten wir unterthänigst, es konnte der Kirchenrhatt ohne allen schaden der izigen Kirchen [. . .] woll abgeschafft werden.“ Das Memorandum vom 23. März 1617 ist abgedruckt bei Wangemann, Johann Sigismundt und Paulus Gerhardt, S. 95 (hiernach zitiert), sowie bei Stutz, Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg und das Reformationsrecht, S. 36, Nr. 9.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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4. Die Reformation der Universität Frankfurt an der Oder Sonderbar nahmen sich auch die Maßnahmen aus, mit denen während der Regentschaft Johann Sigismunds die Universität Frankfurt reformiert wurde. Nachdem schon bei der Erteilung neuer Statuten für die gesamte Universität 1610 die Bezugnahme auf die Konkordienformel weggefallen war230, wurden 1616 die Gesetze der theologischen Fakultät bestätigt; dabei wurden – ungeachtet der Reverse von 1615 – alle kontroverstheologischen Formulierungen und Reminiszenzen, insbesondere auch der Verweis auf die Konkordienformel, getilgt.231 1617 wurden unter dem eigentlich dem lutherischen Bekenntnis zugehörigen, aber als reformiert geltenden Generalsuperintendenten Professor Pelargus fünf reformierte Theologen zu Doktoren promoviert; im Jahr darauf bestand die Theologische Fakultät an der Universität Frankfurt nur noch aus dem faktisch reformierten Pelargus sowie drei anderen reformierten Theologen. 1624 schließlich kam es – theologisch höchst fragwürdig, staatspolitisch aber konsequent – zur Ordination zweier reformierter Prediger durch Pelargus unter Assistenz dreier lutherischer Geistlicher.232 5. Zusammenfassende Würdigung Insgesamt hat sich unter der Regierung Johann Sigismunds die unstete Entwicklung des protestantischen Kirchenwesens und damit auch des Verhältnisses von Kirche und Staat fortgesetzt. Nicht zugestimmt werden kann positiveren Bewertungen der Epoche, wonach die Auffassung vom „Berufe christlicher Obrigkeit“ in dieser Zeit „wieder mehr in das richtige Licht getreten“ sei.233 Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil durch das Vorgehen Johann Sigismunds das traditionelle Konzept der Glaubenseinheit im Territorium aufgegeben wurde. Der Kurfürst verzichtete nämlich insoweit auf eine Maßnahme, die vorzunehmen nach der reformatorischen Idee vom „Beruf christlicher Obrigkeit“ seine heilige Pflicht gewesen wäre. Offensichtlich war ihm die Erreichung politischer Ziele wichtiger als die Erfüllung religiöser Pflichten234, da eine stärkere konfessionelle Prägung oder gar Bindung im konfessionell so unterschiedlichen Deutschland des 17. Jahrhunderts territoriale Erwerbungen und damit den Weg 228

Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 95. Zum Kirchenrat s. auch infra Teil I, Kapitel 2, D. II. 4. 230 Leges & Statuta Academiae Viadrinae, cum confirmatione Electoris Johannis Sigismundi vom 13. April 1610; Mylius, CCM I/2, Sp. 31–50. 231 Cf. D. H. Hering, Historische Nachricht, S. 325. 232 Ausführlich hierzu – auch mit biographischen Angaben zu Pelargus – von Mühler, Geschichte, S. 130 f. 233 So aber von Mühler, Geschichte, S. 135 f. 234 Cf. Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 141 f. 229

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

zu einer späteren Großmachtstellung Brandenburg-Preußens wesentlich erschwert hätte.235 Zwar dürfte Johann Sigismund nicht aus rein politischen Gründen zum Calvinismus konvertiert sein, doch war die Nichtausübung des ius reformandi maßgeblich politisch bedingt und nicht etwa religiös motiviert. In den Ereignissen der „zweiten Reformation“ waren religiöse und politische Interessen eng verflochten.236 Die exakte Gewichtung ist im Nachhinein nicht deutlich auszumachen237; ob sie den handelnden Personen deutlich war, ist fraglich. Diese Unklarheit übertrug sich auf die Legitimation des kurfürstlichen Handelns: Die zeitgenössischen Dokumente zeigen eine undeutliche Gemengelage von politischen und religiösen Maßnahmen, von spezifisch landesherrlichen und spezifisch bischöflichen Funktionen und Amtshandlungen. Hinweise darauf, daß diese Problematik dem Kurfürsten und seinen Beamten bewußt gewesen wäre, finden sich nicht. Im übrigen ist die „zweite Reformation“ ein charakteristisches Beispiel für die Divergenz von wissenschaftlicher Theorie („Episkopalsystem“) und Staatspraxis. Daß der Kurfürst durch das Verbot der Kontroverstheologie und die Doktrin von der einen evangelischen Konfession mit zwei Bekenntnissen schon früh eine „Unionsidee“ verfolgt habe238, läßt sich den zeitgenössischen Quellen nicht entnehmen.239 Realistischerweise konnte Johann Sigismund bestenfalls auf eine friedliche Koexistenz des calvinistischen Hofes und der lutherischen Volkskirche hoffen.240 Der Weg zur späteren religiösen Toleranz und „Polykonfessionalität“241 des brandenburgisch-preußischen Staates war hierdurch vorgezeichnet, jedoch als faktische Konsequenz der nachträglichen Abschwächung der „zweiten Reformation“ aufgrund der politischen Gegebenheiten, insbesondere des Einflusses der Landstände. Andererseits bedeutete der partielle Erfolg der „zweiten Reformation“ – die dauerhafte Einbindung des reformierten Bekenntnisses und die Behauptung der landesherrlichen Autorität trotz der Bekenntnisverschiedenheit – eine Emanzipation des Landesherrn von den Ständen und damit einen wichtigen Schritt in Richtung des späteren politischen Absolutismus.242

235 236 237 238 239 240 241 242

Cf. Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 16. Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 114. Cf. Beeskow, Konfessionswechsel, S. 10. So – aus unionsgeschichtlicher Perspektive – von Mühler, Geschichte, S. 135. Cf. auch von Thadden, Hofprediger, S. 130 sowie infra Teil I, Kapitel 2, Fn. 840. So zutreffend Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 125 f. Cf. Heinrich, Art. Brandenburg II, S. 114. Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 133.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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6. Die Fortsetzung des „Simultaneums“ bis zum Westfälischen Frieden Der von Johann Sigismund eingeschlagene kirchen- und religionspolitische Kurs wurde unter seinem Nachfolger Georg Wilhelm fortgesetzt; aufgrund des anhaltenden Kriegszustandes kam es jedoch kaum zur Bildung reformierter Gemeinden außerhalb von Berlin.243 Allerdings erhielt dort mit der Domgemeinde zum ersten Mal eine reformierte Gemeinde die Parochialrechte und staatlichen Immunitäten, d. h. die gleichen Rechte wie die lutherischen Gemeinden, was zu heftigen Protesten seitens des Reiches und Sachsens führte.244 Gelegentlich kam es zu wenig sensiblen Eingriffen in das lutherische Kirchenwesen, etwa als 1624 durch landesherrliche Verordnung das Weglassen des Exorzismus im Taufritus – eines aus der katholischen Tradition stammenden, von den Lutheranern beibehaltenen Elementes – angeordnet wurde.245 Außerdem empfahlen die reformierten Theologen der Universität Frankfurt/Oder 1633 eine Weiterführung des „Reformationswerkes“ durch eine – aufgrund des ihrer Ansicht nach bedenklichen Zustandes des märkischen Kirchenwesens erforderliche – erneute Visitation.246 Der Kurfürst war angesichts der durch die Konversion seines Vorgängers eingetretenen Legitimationskrise des landesherrlichen Kirchenregiments – es bestand die Gefahr, daß die Toleranzerklärung Johann Sigismunds von 1614 als Verzicht auf die Ausübung der notbischöflichen Rechte mißdeutet wurde247 – durchaus daran interessiert, die obrigkeitliche Ordnung in Staat und Kirche zu festigen. Da die Position des märkischen Generalsuperintendenten gerade vakant war, erschien die Gelegenheit günstig, durch die Besetzung der Stelle mit dem reformierten Hofprediger Johann Bergius sowie durch eine Generalvisitation unter gleichzeitiger Revision der Konsistorial- und Visitationsordnung ohne großes Aufsehen entscheidende Veränderungen zu bewirken, „damit wider einreißende unchristliche Ruchlosigkeit, Schande und Laster die hochnöthige Kirchenzucht in bessere Übung gebracht und Kirchen und Schulen besser bestellt würden“.248 Die Umsetzung dieser Pläne scheiterte jedoch sowohl an den Unru243

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 136 f. Der Stiftungsbrief, durch den die reformierte Domgemeinde zu Berlin Pfarrkirche mit allen Rechten wurde, datiert vom 9. Juni 1632. Zu der Kritik von außerhalb des Landes s. von Mühler, Geschichte, S. 138 ff. 245 „Churfurstliches Brandenburgisches Edict, betreffend den Exorcismum bey der heiligen Taufe“, vom 18. Juli 1624; Mylius, CCM VI/1, Sp. 325–330. 246 Cf. das „Consilium Facult. Theol. Francofurt. ad Oderam de Anno 1633 de Visitatione generali et Reformatione in Marchia instituenda“, S. 27 ff. In der Mark Brandenburg war es seit über 30 Jahren – zunächst aus Nachlässigkeit, nach 1613 aus kirchenpolitischen Gründen – zu keiner Visitation mehr gekommen. Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 106. 247 Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 107. 248 So die kurfürstliche Anordnung vom 16. September 1637, abgedruckt bei D. H. Hering, Beiträge I, S. 148. 244

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

hen des Dreißigjährigen Krieges als auch an der Wachsamkeit der lutherischen Geistlichen sowie der Landstände.249 Allerdings kam es 1637 zu der theologisch fragwürdigen Aufnahme eines reformierten und damit bekenntnisfremden Geistlichen in das zur Durchführung der kirchenregiminalen Maßnahmen des Landeshern eingerichtete Konsistorium.250 Dieses Vorgehen brach mit der traditionellen Auffassung, wonach, wenn reformierte Landesfürsten über die Reformierten das ius episcopale ausübten, dies nur unter der Bedingung zulässig sein sollte, daß die Verwaltung durch ein Konsistorium desselben Bekenntnisses geführt werde.251 Zwar läßt sich schon für das 16. Jahrhundert in einem anderen deutschen Territorium das Versprechen zur Einrichtung eines mit lutherischen und reformierten Räten paritätisch besetzten „kombinierten“ Konsistoriums nachweisen.252 Diese – freilich noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts nicht in die Praxis umgesetzte253 – Ausnahme bestätigt jedoch nur die Regel. Ein weiteres, theologisch weniger problematisches Beispiel für die zunehmend politisch motivierte brandenburgische Konfessionspolitik des 17. Jahrhunderts war die 1639 erfolgte Ernennung des lutherischen Predigers von Frankfurt, Simon Ursinus, zum Professor an der dortigen calvinistisch geprägten Universität. Im übrigen erschwerten die Kriegswirren um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine stetige und geordnete Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments. Auffällig ist, daß in der Regierungszeit Georg Wilhelms die terminologischen Bezüge auf eine bischöfliche Funktion des Landesherrn im Sinne des Episkopalsystems im Bereich des lutherischen Kirchenwesens zunahmen254, was gerade darauf zurückzuführen sein konnte, daß der Landesherr aufgrund der Bekenntnisverschiedenheit ein Legitimationsdefizit verspürte und dieses auszugleichen suchte. 249 Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 108. Ausführlich zum Ganzen auch von Mühler, Geschichte, S. 144–147, dessen Darstellung der kurfürstlichen Pläne als landesväterliche Ordnungsbestrebungen von Thadden (Hofprediger, S. 108, Anm. 428) zu Recht als „etwas zu arglos“ charakterisiert. 250 Die Entstehung und Entwicklung der evangelischen Konsistorien als integraler Bestandteil der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments verlief in höchst komplexer Weise. S. dazu die ausführliche Darstellung der Organisationsgeschichte infra Teil I, Kapitel 2, D–F. 251 Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 218. 252 §§ 29, 30 des Ostfriesischen Konkordats. Cf. Moser, Landeshoheit, S. 217 ff. 253 Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 218. 254 So etwa das Reskript der kurfürstlichen Räte vom 1. April 1719, wonach „vor mehr als 70 Jahren die Jurisdiktion der Geistlichkeit auf den Landesfürsten [. . .] transferirt“ und dieser „zum superior über Capittel, Kirchen und Klöster constituirt worden“ sei (GStA PK, Rep. 58, 6), sowie die kurfürstliche Resolution vom 11. März 1629, derzufolge auf den Kurfürsten „alle jura episcopalia vor alters transferirt“ worden seien (Archiv des Domstifts zu Brandenburg, Sektion I, Tit. III, lit. G, Nr. 22). Näher hierzu J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 275 ff. m. N.

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V. Die Regierung des „Großen Kurfürsten“ 1. Stabilisierung des Bekenntnisstandes durch den Westfälischen Frieden und religiöse Toleranz In der Regierungszeit Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten (1640– 1688), konnte sich das Nebeneinander der beiden evangelischen Bekenntnisse stabilisieren. Hierfür war vor allem maßgeblich, daß die reformierten Evangelischen durch den Westfälischen Frieden eine gesicherte Rechtsstellung erhielten.255 Gerade für Brandenburg-Preußen wirkte sich entscheidend aus, daß die Reformierten jedoch nicht als eine dritte Religionspartei neben Katholiken und Lutherische traten, sondern als Augsburgische Konfessionsverwandte das Recht zur Religionsausübung erhielten.256 Dabei sollte die Differenz der evangelischen Konfessionen das Episkopalrecht des Landesherrn nicht berühren, da die allgemeine Garantie für die bestehenden Einrichtungen die Pflicht der Untertanen einschloß, die von ihnen gewählten Geistlichen von dem existierenden Konsistorium und Ministerium prüfen zu lassen, sofern beides derselben Konfession angehörte.257 Die in Brandenburg unter Johann Sigismund begonnene Praxis wurde auf diese Weise reichsrechtlich legitimiert. Da die konfessionelle Situation somit nach außen legitimiert war, blieb den brandenburgischen Kurfürsten im Interesse eines geordneten Gemeinwesens nichts anderes übrig, als den Bekenntnisstand auch nach innen zu stabilisieren, da ein einheitliches Bekenntnis nicht mehr wiederherzustellen war – nicht innerhalb der Augsburger Konfession und erst recht nicht unter Einschluß der Katholiken. Daß Kurfürst Friedrich Wilhelm – ungeachtet seiner persönlichen Religiosität – eine tolerante Haltung gegenüber anderen Bekenntnissen in einer Konsequenz an den Tag legte, die für die in nachfolgender Zeit sprichwörtlich gewordene religiöse Toleranz in Preußen als grundlegend angesehen wird258, und auch von seinen Untertanen Mäßigung im theologischen Diskurs forderte, war daher eine Frage der Staatsklugheit259, auch wenn er dafür zum Teil drastische Maßnahmen ergreifen mußte.

255 Wäre es anders gekommen, so hätte der Kurfürst aufgrund seiner fortdauernden Abweichung vom orthodoxen Luthertum den Schutz des Reichsfriedens verloren. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 477. 256 Cf. statt aller Pütter, Der Geist des Westphälischen Friedens, S. 376 ff. 257 IPO Act. VII, § 1, 2. Cf. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts I, S. 768. 258 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 151. 259 Ein konfessionspolitischer Aktivismus im Hinblick auf eine Union der beiden evangelischen Bekenntnisse, wie ihn von Mühler, Geschichte, S. 171, zu erkennen glaubt, läßt sich hier nicht feststellen.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

2. Flankierende Maßnahmen des landesherrlichen Kirchenregiments Zunächst bestätigte der Kurfürst 1653 auf Betreiben der Landstände ausdrücklich die von Johann Sigismund 1611 und 1615 ausgestellten Recesse, welche den Lutheranern die wohlerworbenen Rechte und die Berufung auf die unveränderte Augsburger Konfession zusicherten. Gleichzeitig behielt er sich zwar die Besetzung der Professorenstellen in Frankfurt vor, sicherte aber unter bestimmten Voraussetzungen die Ernennung eines lutherischen Professors zu.260 Hieran schloß sich eine Reihe von Maßnahmen an, mit denen Friedrich Wilhelm die Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Streitigkeiten zwischen den Angehörigen der beiden evangelischen Bekenntnisse zu unterbinden suchte. Im Rahmen einer Konferenz mit Theologen, Superintendenten und Predigern sollten diese „in Gegenwart landesherrlicher Commissarien“ und ohne Aussprache hierüber ihre eigene Konfession, die Unterschiede zu den jeweils anderen und die ohne Verletzung des Gewissens bestehenden Möglichkeiten einer gegenseitigen Duldung aus ihrer Sicht darlegen. Die landesherrlichen Commissarien sollten sodann auf dieser Grundlage festlegen, was die Konfessionen ohne Verletzung ihres jeweiligen Bekenntnisses in gegenseitiger Achtung lehren und predigen könnten; diese Feststellung sollte vom Kurfürsten sanktioniert und ihre Einhaltung von Predigern und Professoren bei Strafe der Amtsenthebung gefordert werden. Die Konferenz kam jedoch nicht zustande, da die konfessionellen Gegensätze unüberbrückbar waren.261 Statt dessen wurde durch Verordnung vom 3. Dezember 1656 das Edikt Johann Sigismunds vom 24. Februar 1614 erneuert: Die Konkordienformel wurde beseitigt; lutherische Geistliche sollten fortan nur unter Verpflichtung auf die Heilige Schrift, die frühchristlichen Symbola sowie auf die Augsburger Konfession ordiniert werden.262 Anläßlich einer erneuten Bestätigung dieses Edikts am 2. Juni 1662 wurde das Verbot des Streitens und Zankens von den Kanzeln herab bekräftigt; die reformierte Kirche in der Mark Brandenburg wurde auf die Confessio Sigismundi sowie die von den brandenburgischen Theologen unterzeichneten Konfessionen von Leipzig und Thorn verpflichtet.263 Der lutherische Konsistorialpräsident Kemnitz, der die Berufung eines Diakons mit unbeschränkter Verpflichtung auf die Konkordienformel bestätigt hatte, wurde seines Amtes enthoben.264 In Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments – freilich ohne ausdrücklich ein bischöfliches Recht in Anspruch zu nehmen – griff 260

Landtagsreceß vom 26. Juli 1653. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 153 f. 262 Mylius, CCM I/1, Sp. 365 f. Hinsichtlich der Augsburgischen Konfession dürfte hier die modifizierte Fassung gemeint sein. 263 Mylius, CCM I/1, Sp. 375–382. 264 s. von Mühler, Geschichte, S. 155 f. 261

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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der Kurfürst, um kontroverstheologische Tendenzen soweit wie möglich zu unterbinden, auch in die Ausbildung der Geistlichen ein. So veranlaßte er ein Rundschreiben des Konsistoriums, wonach bei der Prüfung der Kandidaten nicht auf „subtile Streit- und Schulfragen“ zu achten sei, sondern darauf, daß die Kandidaten „fest seien im Worte Gottes und stark darin, tüchtig das Reich Gottes zu bauen“.265 Am 21. August 1662 verbot Friedrich Wilhelm seinen Untertanen den Besuch der lutherischen theologischen Fakultät im sächsischen Wittenberg bei Strafe des Ausschlusses von allen geistlichen und weltlichen Ämtern.266 In der Begründung des Edikts heißt es, der Kurfürst „habe in seiner einundzwanzigjährigen Regierung dahin gestrebt, daß alle seine Unterthanen geistlichen und weltlichen Standes in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit ein geruhiges, christliches und stilles Leben führen, aller unzeitiger, unchristlicher Haß und Verbitterung und absonderlich das untheologische Verketzern, Verdammen, Verfolgen und Verlästern in der Kirchen Gottes eingestellt bleiben, der hochnöthige Kirchenfrieden, oder bis derselbe erlanget, eine christliche Toleranz und evangelische Bescheidenheit gesucht und befördert, und das wahre Christenthum, die Gottesfurcht und die Liebe gegen die Obrigkeit und den Nächsten gemehret werde“.267 Auf den ersten Blick stellte sich Friedrich Wilhelm lediglich in die Tradition der Landesherren, die als christliche Obrigkeit ein gottesfürchtiges Leben in ihrem Territorium ermöglichen und erhalten wollten. Andererseits beanspruchte der Landesherr in seiner Eigenschaft als weltliche Autorität – im Interesse der Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens, also aus säkularen Motiven – das Recht zu definieren, was theologisch oder untheologisch, was christlich oder unchristlich, evangelisch oder unevangelisch sei. Dies entsprach nicht der traditionellen Auffassung vom Beruf christlicher Obrigkeit; vielmehr wurden hier Religion und Bekenntnis von staatlichen Interessen überlagert. Nachdem auch das zur Schlichtung der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen anberaumte Berliner Religionsgespräch 1662/63 ohne Ergebnis geblieben war268, wurde am 16. September 1664 durch ein erneutes Edikt das Schmähen auf den Kanzeln unter Bekräftigung der Edikte von 1614 und 1662 verschärft verboten; gleichzeitig wurde der Befehl zur Elimination des Exorzis-

265

Abdruck des Rundschreibens bei Mylius, CCM I/1, Sp. 373–376. Der Kurfürst von Sachsen protestierte gegen die Maßnahme Friedrich Wilhelms, weil er in ihr einen Verstoß gegen die Bestimmungen des inzwischen abgeschlossenen Westfälischen Friedens erblickte. Friedrich Wilhelm hielt dem entgegen, daß er den Universitätsbesuch in Wittenberg nicht um der Religion willen verboten habe, sondern aufgrund der dort herrschenden, ebenfalls gegen Reichsrecht verstoßenden Diskrimination von Reformierten durch die Lutheraner. Näher dazu von Mühler, Geschichte, S. 159 f. 267 Abdruck bei Mylius, CCM I/2, Sp. 79–82. 268 Ausführlich hierzu D. H. Hering, Beiträge II, S. 116–160 (aus den Akten). 266

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

mus aus dem Taufritus erneuert.269 Rund zweihundert Geistliche unterzeichneten Reverse auf dieses Edikt; gleichwohl holte die Berliner Geistlichkeit Gutachten ein, die zum Teil das Vorgehen des Landesherrn guthießen, zum überwiegenden Teil aber bemängelten, ein von einem reformierten Fürsten an die lutherische Landeskirche ergehender Befehl gefährde die Kirchenfreiheit, und zwar selbst dann, wenn es um eine unwesentliche liturgische Detailfrage gehe.270 Man bestritt also, daß dem bekenntnisfremden Kurfürsten das bischöfliche Recht über lutherische Gemeinden zustehe. Die Berliner Geistlichen verweigerten daraufhin die Unterschrift.271 Fest entschlossen, seine Autorität zu wahren, ließ Friedrich Wilhelm am 28. April 1665 den betagten Berliner Propst Lilius und den Erzdiakon Reinhardt vor das Konsistorium zitieren, beiden die Amtsenthebung ankündigen und wenige Tage später öffentlich vollziehen. Die Absetzung Lilius’ wurde nach einer Intervention des Berliner Magistrates unter Auflagen zurückgekommen, die Reinhardts blieb in Kraft. Auch der an St. Nicolai zu Berlin tätige Diakon Paul Gerhardt, der sich durch sein Ordinationsund Vokationsgelübde an die Konkordienformel gebunden und somit an der Unterzeichnung des Reverses gehindert fühlte, wurde seines Amtes enthoben; in seinem Fall blieb – wie bei Reinhardt – die Intervention des Magistrates zunächst ohne Erfolg. Erst nachdem sich gezeigt hatte, daß die im Falle Gerhardts aufgetretene Konstellation kein Einzelfall war, lenkte der Kurfürst ein.272 Später verloren unter anderem noch der Garnisonsprediger Hanisius, der spätere Bischof von Stockholm Helwig sowie Propst Fromm von St. Petri aufgrund ihres Widerstandes gegen die Edikte ihre Ämter.273 Die Aufregung in der Bevölkerung war groß; auch die Stände ersuchten am 9. Juni 1665 den Landesherrn, auf die Reverse zu verzichten.274 Der Kurfürst gestand daraufhin zu, die Konkordienformel nicht ausdrücklich zu verwerfen275, 269 „Edict, daß die Evangelischen Religions-Verwandte Reformirte und Lutheraner weder mit Schmähen und Lästerungs-Nahmen, noch mit denen aus der Lehre gemachten Consequentien ein ander angreiffen sollen, und daß frey stehen solle, den Exorcismum auszulassen“, Mylius, CCM I/2, Sp. 381–386. 270 Man berief sich wohl auf die Schriften von Abraham Calov (eigentlich Kalau), der als einer der führenden Kontroverstheologen gilt und beim Thorner Religionsgespräch die lutherische Delegation geleitet hatte. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 267. Zu Calov s. auch Bautz, Art. Abraham Calov, Sp. 865–866. 271 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 161 f. 272 Gerhard wurde zwar Anfang 1667 rehabilitiert, trat aber – da er an der Konkordienformel festhalten wollte – aus Gewissensgründen ein neues Amt in Lübben an. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 264 ff. 273 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 266. 274 Ihre Argumentation lautete, es bestehe die Gefahr, daß die Zahl der Geistlichen im Land zu stark zurückgehe. Zuvor hatten die Pröpste und Superintendenten die Frage, ob sie mit gutem Gewissen und Bekenntnistreue („salva fidei confessione et conscientia“) bei ausdrücklicher Verwerfung der Konkordienformel den Revers unterzeichnen konnten, ausdrücklich verneint. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 266 f.

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doch der Widerstand dauerte an. Erst am 6. Juni 1667, nach viermaliger erneuter Intervention der Landstände, modifizierte der Kurfürst die Forderung nach Reversen dahingehend, daß nur noch neu anzustellende Geistliche Reverse auszustellen hätten, nicht jedoch die bereits im Amt befindlichen, meist auf die Konkordienformel verpflichteten Geistlichen.276 Hierzu stellte er in einer Verfügung vom 6. Mai 1668 klar, daß er keineswegs den Predigern die Widerlegung abweichender religiöser Auffassung verbieten wolle, sondern ihnen nur hinsichtlich der Art und Form Mäßigung auferlege.277 Von den Geheimen und Konsistorialräten verlangte Friedrich Wilhelm Reverse, in welchen diese zu versichern hatten, daß sie die Einhaltung des Friedens zwischen den Konfessionen überwachen und Verstöße verfolgen würden.278 Im gleichen Jahr wurde allerdings noch Diakon Lorenz von St. Nicolai, der nach wie vor gegen die kurfürstlichen Edikte agitierte, seines Amtes enthoben. Auch die lutherischen Berliner Kammergerichtsräte Reinhardt, Seidel und Luther, welche die Unterzeichnung der von ihnen geforderten Reverse verweigerten, verzichteten auf ihre Ämter.279 Die kontroverstheologischen Streitigkeiten setzten sich ungeachtet der strengen landesherrlichen Maßregelungen noch bis ins 18. Jahrhundert fort und traten erst unter dem Einfluß von Pietismus und Rationalismus in den Hintergrund.280 3. Bekenntnispluralismus und Staatspolitik Das Neben- und Miteinander der Bekenntnisse erweist sich unter Friedrich Wilhelm als eine nicht primär religiöse, sondern politische Frage.281 Hier wirft der absolutistische Staat des 18. Jahrhunderts seine Schatten voraus; das Vorgehen des Kurfürsten ist demnach charakteristisch für die Entwicklung Brandenburg-Preußens von der traditionellen monokonfessionellen Territorialherrschaft unter Beteiligung der Landstände hin zum modernen Zentralstaat, vom Kleinstaat zur Großmacht. Hier spielte die stärkere Verbreitung der reformierten Kon275 Das Reskript vom 3./13. April 1666 über die Vorlage eines Reverses an die Inspektoren und Prediger der Mark Brandenburg (Mylius, CCM I/1, Sp. 389–394) und die entsprechenden Verpflichtungsformulare erwähnen die Konkordienformel nicht mehr. 276 Mylius, CCM I/1, Sp. 393–396. Die Verordnung nimmt ausdrücklich auf die Intervention der Landstände Bezug. 277 „Edict, daß die Reformirte und Lutherische Priester sich aller Anzüglichkeiten auf der Cantzel gegen einander enthalten sollen“; Mylius, CCM I/1, Sp. 395–398. 278 Der Wortlaut des Reverses ist abgedruckt bei D. H. Hering, Beiträge II, S. 260 f. 279 Ausführlich hierzu D. H. Hering, Beiträge II, S. 189–329. 280 Ausführlich hierzu Hintze, Epochen, S. 92 f. 281 Cf. auch Brandes, Geschichte I, S. 356 f., der darauf hinweist, daß Friedrich Wilhelm „sich damit begnügte, die confessionellen Verhältnisse als Landesherr zu ordnen und den Streitenden jene Schranken anzuweisen, welche die Erhaltung des öffentlichen Friedens nothwendig machte.“ (Hervorhebung hinzugefügt).

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

fession neben der lutherischen Staatskirche – sei es im Zusammenhang mit den niederländischen Siedlungen seit 1647282 oder durch die Gründung reformierter Gemeinden in den Residenzorten, wo zum Teil eigene Hofprediger wirkten283 – eine wichtige Rolle. Wo – wie in Kleve und Magdeburg – die Möglichkeit der Anknüpfung an ältere reformierte Traditionen bestand, diente die Ernennung führender reformierter Geistlicher zu Hofpredigern dazu, das landesherrliche Kirchenregiment deutlich sichtbar zum Ausdruck zu bringen.284 Auch die vom Kurfürsten 1663 durchgesetzte Aufhebung einer im orthodox-lutherischen Ostpreußen geltenden Regelung, welche die Reformierten von allen Staatsämtern ausschloß285, ist Ausdruck dieser Tendenz. Gleiches gilt für die Duldung der nach Preußen geflüchteten Anhänger des Arianismus286, bei der man sich mit einer „mildere[n] Interpretation“ der reichsrechtlichen Regelungen behalf287, sowie für die Aufnahme der französischen Reformierten (Hugenotten), die man als Augsburgische Konfessionsverwandte behandelte, so daß ihre stillschweigende Duldung reichsrechtlich unbedenklich war.288 Der Status der Katholiken hingegen war nur dort gesichert, wo bereits vor dem Normaljahr entsprechende, auf vertraglichen Vereinbarungen beruhende Rechte bestanden, nämlich in der Erbschaft Kleve-Mark sowie im Herzogtum Preußen.289 Auch den Katholiken in den Bistümern Magdeburg, Halberstadt und Minden gewährte der Große Kurfürst ab 1648 die öffentliche Religionsübung.290 In der Mark Brandenburg besaßen die Katholiken kein Recht der Religionsausübung.291 Gleichwohl gab es auch dort Katholiken, die man – ungeachtet der scharfen Formulierungen des zitierten Reskripts – weitgehend in Frieden ließ292; sogar der Kurfürst selbst hatte einen katholischen Pagen.293 Schließlich gab es noch 1671 im inzwischen protestantischen Domkapitel zu 282

s. dazu Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 68 m. N. s. dazu von Thadden, Hofprediger, S. 18 ff. 284 Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 17, 20. 285 Hintze, Epochen, S. 94. 286 s. das „Rescriptum, daß die Arriani als eintzele Familien, so lange sie stille und friedlich, und ihre Irrthümer andern nicht beyzubringen suchen, im Lande zu dulten“ vom 5. Januar 1683; Mylius, CCM I/1, Sp. 403–406. 287 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 184 f. 288 Ausführlich hierzu von Mühler, Geschichte, S. 185 f. 289 Friedrich Wilhelm betonte ausdrücklich, die Katholiken genössen „meinen Schutz und meine Liebe und werden zu Ehren und Ämtern befördert, gleich den Anderen, die mit mir eines Glaubens sind [. . .]“. Schreiben an Herzog Victor Amadeus II. von Savoyen, übersetzt zitiert nach D. H. Hering, Beiträge II, S. 19 (Original in lateinischer Sprache). 290 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 121. 291 „Rescript, daß denen Papisten kein Exercitium Religionis zu verstatten“ vom 24. Oktober 1685; Mylius, CCM I/1, Sp. 409 f. Aus einem Reskript von 1650 erhellt, daß die Katholiken auch kein privates Recht zur Religionsausübung zustand. Cf. von Mühler, Geschichte, Anm. ** auf S. 187. 283

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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Brandenburg einen katholischen Domherrn.294 Die Praxis stand auch hier in deutlichem Gegensatz zur schriftlich fixierten Rechtslage.295 Friedrich Wilhelm beschränkte sich darauf, das friedliche Zusammenleben von Katholiken und Protestanten zu gewährleisten; eine Wiedervereinigung zwischen der römischen und der evangelischen Kirche wurde als unerreichbar angesehen. Der Große Kurfürst hat vereinzelte dahingehende Initiativen weder gefördert noch gebilligt.296 Die Juden, die im 13. und 14. Jahrhundert in den Marken Aufnahme gefunden hatten, nach der Reformation jedoch vertrieben worden waren, wurden 1653 mit eingeschränkten Rechten wieder aufgenommen. 1671 erhielten zunächst fünfzig Familien das Recht zu Aufenthalt und Privatgottesdienst, später wurde auch der Bau von Synagogen gestattet.297 4. Die Ausübung der Episkopalrechte im protestantischen Kirchenwesen Das bischöfliche Recht übte der Große Kurfürst im protestantischen Kirchenwesen sowohl gegenüber den reformierten als auch gegenüber den lutherischen 292 Schon vor 1685 wurden in der königlichen Residenzstadt katholische Gottesdienste abgehalten. Die Gesandten Österreichs und Frankreichs am brandenburgischpreußischen Hof waren in der Regel katholisch und genossen die Freiheit der Religionsausübung. Diese umfaßte die Abhaltung katholischer Gottesdienste in den Gesandtschaftsresidenzen und die Anwesenheit katholischer Geistlicher in der Hauptstadt – der Kurfürst wollte ja auch für seine in Wien und Paris tätigen Gesandten die gleichen Rechte beanspruchen. Die katholischen Gottesdienste waren grundsätzlich dem katholischen Gesandtschaftspersonal vorbehalten, wurden aber zunehmend auch von in Berlin oder in der Mark ansässigen Katholiken aus Militär und Zivilbevölkerung besucht, was stillschweigend geduldet wurde. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 wurden die Bedingungen für die katholischen Gottesdienste durch Erlaß an den Hofmarschall von Grumbkow vom 19. Oktober 1685 allerdings verschärft, um einem Mißbrauch des aus diplomatischen Gründen gewährten Religionsprivilegs durch nicht zum diplomatischen Corps gehörige Fremde sowie durch königliche Untertanen und der verdeckten Einführung eines öffentlichen katholischen Religionsexerzitiums in Brandenburg-Preußen entgegenzuwirken. Den katholischen Gesandtschaftsgeistlichen war es fortan untersagt, in Abwesenheit des Gesandten die Messe zu feiern. 1686 wurde zwar den auswärtigen und durchreisenden fremden Katholiken die Teilnahme am katholischen Gesandtschaftsgottesdienst wieder gestattet, doch blieb das Teilnahmeverbot für einheimische Katholiken von Militär und Zivilbevölkerung bestehen. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 121 f. 293 Die Schwester des Kurfürsten, die Landgräfin von Hessen, wandte sich deswegen sogar schriftlich an den Hofprediger Bergius. Cf. D. H. Hering, Beiträge II, S. 34. 294 Cf. Schröder, Kurzer Abriß einer Geschichte der hohen bischöflichen Stifts- und Dom-Kirche und des damit verbundenen Dom-Capituls zu Burg Brandenburg, S. 19. 295 Cf. D. H. Hering, Beiträge II, S. 34, der berichtet, daß die Katholiken „in dem Besitz der Rechte und Freiheiten, die sie hatten“, belassen und „nach Verdiensten“ befördert wurden. 296 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 334–337. 297 Cf. hierzu Beckmann, Historische Beschreibung I, S. 187 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Gemeinden298 aus. So bezog der Kurfürst in dem auf der Dordrechter Synode der reformierten Kirche ausgetragenen Streit um die Lehre von der Gnadenwahl Stellung und gebärdete sich damit als theologische Autorität.299 Er plädierte für die der lutherischen Auffassung weniger scharf widersprechenden universalistische Lesart der Synodenbeschlüsse und verordnete Entsprechendes in der 1664 zunächst für die Domkirche in Berlin erlassenen, aber auch für die übrigen reformierten Kirchen des Landes maßgeblichen Ordnung.300 Daß die symbolischen Bücher der reformierten Kirche in der Mark Brandenburg auf die Confessio Sigismundi und die Ergebnisse der Religionsgespräche von Leipzig und Thorn beschränkt waren, beruhte vor allem auf der Autorität des Landesherrn. Im Bereich des reformierten Kirchenwesens stellte das bischöfliche Recht des Landesherrn insofern eine Fiktion dar, als die calvinistische Kirchenverfassung im Unterschied zur lutherischen das Amt und die Position eines Bischofs nicht kannte. Den Großen Kurfürsten und seine Nachfolger scheint dies nicht gekümmert zu haben.301 Hinsichtlich der lutherischen Gemeinden nahm Friedrich Wilhelm bischöfliche Befugnisse insbesondere in Fragen der Liturgie wahr. Hierunter fallen etwa die Anordnungen zur Eliminierung des Taufexorzismus, zur Beseitigung lateinischer Gesänge sowie zur Abschaffung der Chorröcke und Kreuze, ferner die Anordnung öffentlicher Buß- und Bettage bei besonderen Anlässen.302 Auch wurde die ausschließliche Verwendung des lutherischen Katechismus in den Kirchen und Schulen untersagt.303 Darüber hinaus ergingen verschiedene Verordnungen über die Ordnung des geistlichen Amtes, etwa über die Art des Exa298 Die Zahl der reformierten Gemeinden überwog bei weitem; neben einer verfassungsmäßig voll ausgebildeten lutherischen Landeskirche existierten einzelne reformierte Gemeinden. 299 Zum Inhalt der synodalen Verhandlungen cf. van Dooren, Art. Dordrechter Synode, S. 140 ff. Von den Beschlüssen der Dordrechter Synode (November 1618 bis Mai 1619), die für den Calvinismus während des ganzen 17. Jahrhunderts Richtschnur des theologischen und kirchlichen Lebens waren, existieren zwei Lesarten: die strenge partikularistische und die der lutherischen Auffassung nicht so scharf entgegenstehende universalistische. Da brandenburgische Deputierte an der Synode nicht teilnahmen, wurden deren Beschlüsse in Brandenburg auch nicht förmlich angenommen und in Kraft gesetzt. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 164 ff. Zur Auswirkung der Lehrauseinandersetzungen auf das kurmärkische Konsistorium Themel, Berliner Konsistorium II, S. 58 ff. 300 Cf. D. H. Hering, Beiträge II, S. 107. 301 Cf. auch J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 275 f. m. N. 302 Edikt vom 16. September 1664, Mylius, CCM I/1, Sp. 381–386; Edikt vom 7. September 1686, Mylius, CCM I/2, Sp. 101 f.; Verordnungen vom 10. Oktober 1663 und 28. März 1671, Mylius, CCM I/1, Sp. 381 f., 397 f.; Verordnungen vom 29. Juni 1658, 26. August 1659, 9. April 1664 und 3. August 1683, Mylius, CCM I/2, Sp. 67– 70, 73–76, 81–84, 91–94; Verordnung vom 9. Juni 1683, Mylius, CCM I/1, Sp. 407 f. 303 Verordnungen vom 29. Februar 1683 und 14. Dezember 1683, Mylius, CCM I/1, Sp. 405 f., 407–410.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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mens, über die Notwendigkeit landesherrlicher Bestätigung für die von Privatpersonen berufenen Geistlichen sowie über die Ordination durch die Berliner Pröpste.304 Außerdem traf der Kurfürst Anordnungen auf den Gebieten der Kirchenpolizei, der Kirchenzucht und der geistlichen Disziplin.305 In den Verordnungen über die kirchliche Inspektion vom 16. Februar 1660 und vom 3. Oktober 1673306 machte der Kurfürst ausdrücklich sein ius episcopale geltend, ebenso in der Begründung der Anordnung über die Examina ordinandorum.307 Die Verordnungen in geistlichen Angelegenheiten ergingen häufig unmittelbar im Namen des Landesherrn. Waren sie vom Konsistorium erlassen, so enthielten sie meist den Hinweis, daß sie durch den Kurfürsten persönlich angeregt seien. Von einem selbständigen Tätigwerden des Konsistoriums kann daher nicht die Rede sein; als landesherrliche Behörde war das Konsistorium eher staatlicher als kirchlicher Natur. Überdies wurden die Geistlichen zunehmend Staatsbeamten gleichgestellt, etwa indem man sie mit der Bekanntmachung polizeilicher oder sonstiger rein bürgerlicher Vorschriften sowie mit deren Durchführung betraute.308 Auch hier deutet sich die für den preußischen Absolutismus des 18. Jahrhunderts charakteristische Inanspruchnahme der Kirche für das allgemeine staatliche Wohl und deren vornehmliche Betrachtung unter dem Aspekt der Staatsraison bereits an. Hiermit ging eine allgemeine Stärkung der landesherrlichen Autorität einher. So konnte sich der Kurfürst zunehmend von den Landständen emanzipieren, was etwa unter Johann Sigismund noch nicht der Fall gewesen war. Zwar respektierte Friedrich Wilhelm die von Johann Sigismund 1615 erteilte Garantie für die Erhaltung des Bekenntnisstandes, doch wurde die 1653 erneut gegebene Zusicherung, nötigenfalls Deputierte der Landstände zum Konsistorium hinzuzuziehen, nicht angewendet. Als der seit 1644 erarbeitete Entwurf der neuen Konsistorial- und Visitationsordnung den Ständen zur Kenntnisnahme vorgelegt wurde, wies man aufgrund einer Verfügung des Kurfürsten vom 12. November 1660 ausdrücklich darauf hin, daß es auf das Einverständnis der Landstände 304 Verordnungen vom 30. März 1662, 28. Oktober 1679, 26. Mai 1682, Mylius, CCM I/1, Sp. 373–376, 401 f., 403 f.; Verordnungen vom 16. Februar 1660 und 25. November 1669, Mylius, CCM I/1, Sp. 367–370, 397 f.; Verordnungen vom 22. (12.) März 1641, 3. Dezember 1656, 3. März 1657 und 6. Juli (26. Juni) 1666, Mylius, CCM I/1, Sp. 359 f., 365 f., 365–368, 393 f. 305 s. etwa die Sonntagsordnungen vom 10. Juli 1649 (Mylius, CCM VI/1, Sp. 393– 396), 22. Februar 1676, 1. März 1683 (Mylius, CCM I/2, Sp. 85–88, 89–92), sowie die Disziplinarordnung für Frankfurt vom 20. Januar 1662. 306 Mylius, CCM I/1, Sp. 367–370, 399 f. 307 Verordnung vom 3. Dezember 1656, Mylius, CCM I/1, Sp. 365: „da wir doch der Macht, solche actus ecclesiasticos von einer Kirche zur anderen, wen es auch gleich keine Propsteyen wären, jure episcopali zu transferiren wohl befugt seyn“ (Hervorhebung hinzugefügt). 308 Beispiele bei von Mühler, Geschichte, S. 173 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

nicht ankomme und der Kurfürst als der Landesfürst, „dem die jura episcopalia alleinig zustehen“, die Ordnung frei erlassen könne.309 5. Die Ausübung der Episkopalrechte gegenüber den Katholiken Von Bedeutung für die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments als eines oberbischöflichen Rechts war jedoch auch das Verhältnis des Kurfürsten als eines protestantischen Landesherrn zu seinen katholischen Untertanen. Nachdem die in den Gebieten von Kleve, Mark und Ravensberg ansässigen Katholiken 1609 zunächst provisorisch an Brandenburg gelangt waren, folgten die Kurfürsten der zuvor von den dortigen Herzögen geübten Praxis, die geistliche Jurisdiktion auswärtiger katholischer Bischöfe so weit wie möglich zu eliminieren und statt dessen eigene Organe zur Wahrnehmung des Kirchenregiments einzusetzen. Hierzu erließ der seinerzeitige Kurprinz Georg Wilhelm bereits 1616 ein Edikt, welches die „Cognition“ der ausländischen katholischen Hierarchie verbot.310 Bis zum Westfälischen Frieden nahm Kurbrandenburg jedoch kein eigenes förmliches bischöfliches Recht gegenüber den katholischen Untertanen in Anspruch.311 Nachdem jedoch infolge des Westfälischen Friedens das Erzbistum Magdeburg sowie die Bistümer Minden und Halberstadt als weltliche Territorien cum omnibus iuribus saecularibus et ecclesiasticis, eingeschränkt nur durch die religionsrechtlichen Bestandsschutzregelungen des Westfälischen Friedens, an Brandenburg gelangt waren312, nahm der Kurfürst als neuer Landesherr Halberstadt und Minden sogleich in Besitz und nahm dabei als Nachfolger der Bischöfe ausdrücklich das bischöfliche Recht sowohl über Evangelische als auch über Katholiken in Anspruch.313 Einige Jahre später bezeichnete sich der Kurfürst dann auch in anderen Landesteilen als episcopus seiner katholischen Untertanen.314 Daß dieses bischöfliche Recht in der Praxis nur mit Mühe durchgesetzt werden konnte, war eine andere Frage. Papst Innozenz X. hatte den Westfälischen Frieden, durch den die Jurisdiktion der katholischen Bischöfe in den Territorien der protestantischen Reichsstände aufgehoben worden war, feierlich für nichtig erklärt.315 Da dies für die katholischen Gläubigen natürlich bindend war, konn309 Akten des Geheimen Ministerialarchivs zu Berlin (heute GStA PK), Geistliches Departement Kurmark, Nr. 134, Visitationen. S. auch Hintze, Epochen, S. 94 f. 310 Edikt vom 14./24. August 1616; abgedruckt bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 135. 311 Cf. J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 278 m. N. 312 Art. XI IPO. 313 Mindischer Homogialreceß vom 22. Februar 1650; Halberstädter Homogialreceß vom 2./12. April 1650 (teilweise abgedruckt bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 92, Anm. 3 und 4, S. 93, Anm. 1 und 2, S. 95, Anm. 3). 314 So etwa in Kleve und Mark durch das Edikt vom 7. September 1661 (bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 64, Anm. 1).

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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ten die brandenburgischen Katholiken den Landesherrn nicht als ihren Bischof anerkennen und bemühten sich daher, die Einheit mit den auswärtigen katholischen Autoritäten heimlich aufrechtzuerhalten. Hiergegen wehrte sich der Kurfürst, indem er für sich ausdrücklich die Funktion eines alleinigen ordinarius ecclesiasticus316 sowie eines episcopus perpetuus317, summus318 bzw. supremus319 beanspruchte. 6. Vom „Notbischofsrecht“ zum „Summepiskopat“ Nachdem nun der Große Kurfürst zum ersten Mal als oberster Bischof, und zwar gegenüber seinen katholischen Untertanen aufgetreten war, wurde diese Terminologie auch für den Bereich des evangelischen Kirchenwesens gebräuchlich320 und fand sodann von Brandenburg-Preußen aus Eingang in das evangelische Kirchenrecht überhaupt.321 Der Begriff summus episcopus und die vom Großen Kurfürsten beanspruchte Stellung im Kirchenwesen standen damit zwar in der Nachfolge des „Notbischofs“ der Reformationszeit, inhaltlich jedoch nicht in dessen Tradition, da – anders als bei Luthers Notbischof – die oberbischöfliche Funktion des Kurfürsten nicht mehr konfessionell gebunden, sondern interkonfessionell ausgestaltet war. Außerdem war die von Luther vorausgesetzte theokratische Tendenz des Notbischofsrechts praktisch nicht mehr vorhanden; der Summepiskopat wurde vielmehr als ein Instrument zur Beförderung des Staatswohls und damit nach den Geboten der Staatsraison eingesetzt322, was im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer deutlicher werden sollte.323 315 Bulle Zelo domus Dei vom 20. November 1648; auszugsweise abgedruckt bei Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, S. 294 f. (Nr. 440). 316 Edikt vom 7. September 1661 (bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 64, Anm. 1). 317 Instruktion der Kurbrandenburger Kommissare zur Visitation der Halberstädter Klöster vom 16./26. April 1663 (bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 287). 318 Reskript vom 1./11. Dezember 1687 (bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 331). Cf. auch die katholische Relation über Minden von 1694 bei Hiltebrandt, Preußen und die römische Kurie, Band 1, S. 78 f. 319 Politisches Testament des Kurfürsten von 1667 (bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche I, S. 58, sowie bei Küntzel/Haß, Politische Testamente I, S. 46. 320 Näher dazu J. Heckel, Dom- und Kollegiatstifter, S. 233 m. N. 321 J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 280. Von Brandenburg-Preußen aus scheint der Begriff des summus episcopus zunächst von den fränkischen Hohenzollern übernommen worden zu sein. Cf. von Kamptz, Über das bischöfliche Recht, S. 93, 104. 322 Cf. J. Heckel, Entstehung des Summepiskopats, S. 280. 323 Noch 1797 beanspruchte König Friedrich Wilhelm II. ein ius episcopale über die katholischen Untertanen und Stifter in Magdeburg und Halberstadt (Erlaß vom 25. Juni 1797; bei Mejer, Die Propaganda, ihre Provinzen und ihr Recht, Teil 2, S. 296,

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Der Große Kurfürst duldete somit drei Bekenntnisse im Bereich seines gewachsenen Territoriums, über die er eine mehr oder minder ausgedehnte Kirchengewalt ausübte. Als deren Titel sah man zunächst noch das immer mehr zur Fiktion gewordene ius episcopale an; seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gewannen die naturrechtlichen Überlegungen des rationalen Territorialismus324 an Bedeutung. Dies hätte – nach den Lehren Pufendorfs, Pfaffs und Boehmers – die Ausübung einer äußerlichen Kirchenhoheit, nicht aber eines Kirchenregiments im engeren Sinne durch den Kurfürsten bedeutet, während das ius episcopale die Identität des Bekenntnisses verlangt hätte. Mit der bloßen Kirchenhoheit über die bekenntnisfremden Evangelischen haben sich Friedrich Wilhelm und die späteren Kurfürsten jedoch nicht begnügt und – gemäß der seit der Reformation geübten Praxis – nicht nur das ius circa sacra, sondern auch ein ius in sacra ausgeübt.325 Auch wenn man die Stellung des Landesherrn in der Landeskirche auf das ius episcopale stützte, wurde aber nicht deutlich, daß die Einflußnahme des Landesherrn in kirchlichen Angelegenheiten auf einer anderen Rechtsgrundlage als der Territorialgewalt beruhen sollte. Anders als die brandenburgischen Landesherren der Reformationszeit, die über vergleichsweise kleine und im wesentlichen rein lutherische Territorien geherrscht hatten, trat Friedrich Wilhelm nicht mehr als ein „erster Helfer, Schutz- und Schirmherr“ der Kirche auf, sondern repräsentierte geistliche und weltliche Obrigkeit in einer Person. Im entstehenden modernen, aus verschiedenen Territorien zusammengesetzten Flächenstaat, rückte die säkulare salus publica, die Staatsraison, in den Mittelpunkt. Zur Verwirklichung dieses Staatszwecks bedurfte es politischer und militärischer Macht, so daß Militär und Finanzen die Religionspolitik in den Hintergrund drängten. Gleichwohl behielt man das landesherrliche Kirchenregiment als Teil der politischen Autorität bei.326 7. Faktische Schranken des landesherrlichen Kirchenregiments Zu bedenken ist jedoch, daß die absolutistische Herrschaftsgewalt noch nicht – im Sinne des modernen, „starken“ Staates – gleichmäßig und flächendeckend ausgebildet war. Dies galt insbesondere für Marktbeziehung, Agrarverfassung und soziale Strukturen, aber auch für das Kirchenwesen.327 Auf der örtlichen

Anm. 1). Erst nach der preußischen Verwaltungsreform werden die bischöflichen Rechte des Monarchen über die Katholiken durch (nicht spezifisch bischöfliche) iura circa sacra ersetzt (Publicandum, betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie, in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung vom 16. Dezember 1808, Gesetz-Sammlung 1808, S. 361 ff.). 324 s. hierzu supra Kapitel 1, A. III. 2. 325 Hintze, Epochen, S. 88 ff. 326 Cf. Hintze, Epochen, S. 90. 327 Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 97.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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Ebene stieß das landesherrliche Kirchenregiment bisweilen an seine Grenzen. Adel und Städte hatten sich bereits im Landtagsreceß von 1653 die wohlerworbenen Patronatsrechte bestätigen lassen; darüber hinaus gelang es einflußreichen Adelsfamilien, das Kirchenwesen in ihren Herrschaften der Kontrolle durch die hauptstädtischen Kollegien, insbesondere durch das Konsistorium, sowie der Geltung der Inspektoratsordnung zu entziehen. Zum Teil erließen sie – wie etwa die Schulenburgs und die Edlen Herren Gans zu Putlitz in der Prignitz – für ihre Herrschaften sogar eigene Kirchenordnungen.328 Ob dort „eigentlich“ die landesherrliche Kirchenordnung von 1573 gegolten hätte, konnte in solchen Fällen de facto dahinstehen. Auch die hauptstädtische Kirchenpolitik, die vor allem durch die sich aus der konfessionellen Divergenz ergebende Problematik geprägt war, entfaltete auf dem Lande keine nennenswerte Wirkung; die örtliche Kirchenpolitik betrieben die Herrschaften selbst.329 Insgesamt darf nicht davon ausgegangen werden, daß die kurfürstlichen Anordnungen in kirchlichen Angelegenheiten landesweit konsequent umgesetzt wurden. Dies zeigt etwa das Beispiel der Chorröcke: An der 1703 eröffneten Berliner Garnisonskirche etwa – also in der königlichen Residenz – blieb der Chorrock bis zur Einführung des Garnisonspredigers Jakob Baumgarten 1713 erhalten, und noch während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. mußte das Verbot der Chorröcke und anderer Relikte der katholischen Liturgie ausdrücklich erneuert werden.330 Die faktisch nur eingeschränkte Verbindlichkeit landesherrlicher Anordnungen – sei es aufgrund a priori eingeschränkten Autoritätsanspruchs, sei es aufgrund mangelnder Konsequenz in der Umsetzung – wird hier abermals deutlich. 8. Fazit Ob das seitens des Kurfürsten in Anspruch genommene bischöfliche Recht Wirklichkeit oder juristische Fiktion war, konnte für die Staatspraxis rechtlich und faktisch dahinstehen. Zwar stießen die Anordnungen des Kurfürsten sowohl wegen ihres Inhalts als auch deshalb, weil man die Legitimation des Landesherrn bestritt, gelegentlich auf Widerstand. In der Regel wurden die landesherrlichen Befehle jedoch mit Hilfe staatlicher Autorität durchgesetzt. Nur ausnahmsweise wurden Anordnungen, deren zwangsweise Durchsetzung man nicht mehr für opportun hielt, zurückgenommen oder modifiziert, wie der Verlauf der Auseinandersetzung um das Verbot der kontroverstheologischen Äußerungen zeigt. Der Verzicht auf die Durchsetzung wurde aber stets als Akt der Klugheit 328 Cf. Landwehr, Kirchenpolitik, S. 184 f., 246; Neugebauer, Absolutistischer Staat, S. 135 f., 140 f. m.w. N. 329 Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 98. 330 s. dazu infra Teil I, Kapitel 1, C. VII. 2.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

dargestellt, keinesfalls räumte man eine fehlende Berechtigung des Landesherrn ein. Auf diese Weise blieb unklar, ob die Machtstellung des Landesherrn rechtlich oder eher faktisch begrenzt war. Von einer territorialistischen Praxis des Kirchenregiments zu sprechen, ist jedoch ungenau: Versteht man darunter die Verbindung von Kirchenhoheit und Kirchenregiment durch den protestantischen Landesherrn im Sinne des Territorialismus, so ist diese Aussage dahingehend zu präzisieren, daß die juristische Theorie des Territorialismus nie so weit ging wie die Ausdehnung der landesherrlichen Befugnisse in der Staatspraxis.331 VI. Die Frühzeit der preußischen Könige: Friedrich I. Im 17. Jahrhundert war das evangelische Kirchenwesen Brandenburg-Preußens332 dadurch gekennzeichnet, daß neben einer lutherischen, verfassungsmäßig voll ausgebildeten und flächendeckend vorhandenen Landeskirche einzelne reformierte Gemeinden existierten. Der reformierte Landesherr mußte vor allem die Ausübung bischöflicher Rechte über die lutherischen Gemeinden rechtfertigen. Kontroverstheologische Auseinandersetzungen mußten aus staatspolitischen Gründen unterbunden werden. 1. Pietismus und Rationalismus Am Anfang des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Versuche seitens der Staatsleitung, das rechtlich unklare Verhältnis der beiden evangelischen Bekenntnisse zu formalisieren333 und die Funktion des Landesherrn im evangelischen Kirchenwesen dauerhaft zu klären. Dies war überhaupt nur möglich, weil die kontroverstheologischen Auseinandersetzungen im Verlauf des 17. Jahrhunderts unter dem Eindruck des Pietismus sowie der Theologie der Aufklärung (Rationalismus) zurückgegangen waren.334 Hinzu kam, daß die Autorität der 331

Cf. Hintze, Epochen, S. 91. Die Mark Brandenburg bildete ab der Begründung des preußischen Königtums 1701 die zentrale Provinz des Staates Preußen. Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 105. 333 Am vorläufigen Ende sollte die Union von 1817 stehen, die aber ihrerseits noch manche Unklarheit hinsichtlich ihres Regelungsumfangs beinhaltete. Näher hierzu infra Teil I, Kapitel 2, E. VII. 334 Zu Recht weist von Thadden, Hofprediger, S. 139 f., darauf hin, daß Pietismus und Aufklärung nicht die einzigen Wurzeln der Vereinigung von Lutheranern und Reformierten seien: „Jede politische Rücksichtnahme und jeder persönliche Überredungsversuch im Konsistorium oder Geistlichen Departement, die ihren Urhebern contre coeur gingen, die diese aber nicht unterlassen, geschweige denn wegdiskutieren konnten, waren eine Sandschaufel in den Graben zwischen den Konfessionen, der damit 332

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brandenburgisch-preußischen Herrscher, in Bekenntnisfragen Einfluß zu nehmen, sowohl durch die Übernahme der Führungsrolle im Corpus Evangelicorum nach dem Übertritt Sachsens zum Katholizismus335 als auch durch den Erwerb der Königswürde gestärkt wurde. Hierbei fällt auf, daß dieser Autoritätszuwachs aus äußeren Gegebenheiten, nicht jedoch aus dem landesherrlichen Kirchenregiment selbst und aus seinem Verständnis resultierte. Den Ausgangspunkt des Pietismus, dessen Hauptvertreter der sächsische Oberhofprediger zu Dresden und spätere Berliner Propst Philipp Jakob Spener (1635–1705) war336, bildete die Auffassung, daß das materielle Prinzip der Reformation, die Lehre von der Rechtfertigung durch den im alltäglichen Leben geübten Glauben, von der theoretischen theologischen Wissenschaft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Gegenüber dieser „Weisheit“ der Wissenschaft sowie der Strenge des dogmatischen Lehrsystems sollte die persönliche und praktizierte Frömmigkeit des Individuums stärker akzentuiert werden. Die Theologie der Aufklärung kann vereinfachend als ein System natürlicher Theologie bezeichnet werden, welches den „gesunden Menschenverstand“ in den Mittelpunkt rückte und diesen anstelle der göttlichen Offenbarung als Grundlage des Lehrgebäudes ansah. Der Sache nach handelte es sich eher um eine Schule rational-kritischer Philosophie als um ein theologisches System. Sowohl der Pietismus als auch der Rationalismus, so unterschiedlich sie auch hinsichtlich ihrer Grundlagen gewesen sein mögen, richteten sich gegen die lutherische Orthodoxie und entsprachen daher dem konfessionspolitischen Kurs der brandenburgischen Landesherren, insbesondere des Großes Kurfürsten, der weder die Lutheraner zum reformierten Glauben noch die Reformierten zum Luthertum bekehren wollte, sondern aus politischen Gründen eine Ausprägung des evangelischen Lehramtes favorisierte, in welcher bei der Auseinandersetzung in dogmatischen Einzelfragen „das Gemeinsame der evangelischen Grundauffassung und der practische Zweck des christlichen Glaubens“ vorrangig berücksichtigt werden sollte.337

zwar zu keinem durchgängig fruchtbaren Ackerboden, aber doch wenigstens zu einer betretbaren Grasnarbe wurde.“ (S. 140). 335 Sachsen behielt pro forma die Führung des Corpus Evangelicorum auf dem Reichstag, die faktische Leitung ging jedoch an Brandenburg-Preußen über. Näher dazu Rudersdorf/Schindling, Kurbrandenburg, S. 38; von Mühler, Geschichte, S. 193; Erdmannsdörffer, Deutsche Geschichte I, S. 175. 336 Ausführlich zur Geschichte des Pietismus sowie zur Biographie Speners etwa Hoßbach, Philipp Jakob Spener und seine Zeit; Schmid, Die Geschichte des Pietismus; Tholuck, Geschichte des Rationalismus, Band 1. Einen lesenswerten Überblick bietet auch Brandes, Geschichte I, S. 358 ff. m.w. N. 337 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 189.

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Kurfürst Friedrich III., der spätere König Friedrich I., förderte beide Strömungen aktiv. Er nahm die im orthodox lutherischen Sachsen unliebsam gewordenen Pietisten auf und berief 1691, nachdem er im Jahr zuvor das Verbot des Besuchs der Universität Wittenberg erneuert hatte338, den am sächsischen Hof in Ungnade gefallenen Spener als Propst nach Berlin. Im folgenden Jahr erging eine Verordnung, die das Lästern und Schmähen von den Kanzeln herab wider die Pietisten in gleicher Weise verbot wie vorher gegen die Reformierten.339 Die Schule der kritischen Philosophie und aufgeklärten Theologie wurde durch die Gründung der Universität Halle 1694 maßgeblich gestärkt. Die dortige theologische Fakultät war im Gegensatz zu jener in Frankfurt lutherisch, neigte jedoch weniger der lutherischen Orthodoxie als vielmehr dem Pietismus zu, aus dessen Anhängerschaft auch die Berufungen auf die Hallenser Lehrstühle erfolgte.340 Unter den Gründungsprofessoren war mit Christian Thomasius als Professor der Jurisprudenz einer der bedeutendsten Vertreter des kritischen Rationalismus. Die neue Universität sollte lutherische Prediger hervorbringen, die den Reformierten friedfertig gegenüberstanden, und gleichzeitig zur Durchsetzung des Verbots der lutherischen Universität Wittenberg beitragen. 2. Unionsbestrebungen Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es erstmals zu einer auf die Vereinigung (Union) der beiden protestantischen Konfessionen abzielenden Kirchenpolitik der brandenburgischen Territorialherren. Maßgeblich beeinflußt durch das Engagement Leibnitz’341, strebte Kurfürst Friedrich III. eine Überwindung der konfessionellen Spaltung unter den Evangelischen an, die über eine bloße Toleranz hinausgehen sollte, so daß „die unselige Trennung aufgehoben werde und ein Theil bei dem anderen in rechter Gewissensfreiheit sich des Gottesdienstes und Abendmahls des Herrn gebrauchen könne und möge“.342 Bereits 1697 beauftragte der Minister Paul von Fuchs den königlichen Hofprediger und späteren Bischof Jablonski mit der Ausarbeitung einer Denkschrift zur Frage der Union.343 Jablonski vertrat in seiner Abhandlung344 die Auffassung, die lehrmäßigen Unterschiede zwischen den beiden protestantischen Bekenntnissen bezö338

Verordnung vom 4. März 1690; Mylius, CCM I/2, Sp. 109 f. Verordnung vom 7. Januar 1692; Mylius, CCM I/1, Sp. 413–416. 340 Spener nahm auf die Besetzung der Lehrstühle persönlich Einfluß. Cf. im einzelnen Brandes, Geschichte I, S. 376 ff. 341 Ausführlich zur Rolle Leibnitz’ in der Unionsfrage Brandes, Geschichte I, S. 404 ff. 342 So die Formulierung des Hofpredigers Ursinus an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig in einem Schreiben aus dem Jahre 1705 (zitiert nach Brandes, Geschichte I, S. 412). Dort heißt es weiter: „Daher S. K. M. vermeinen, nöthig zu sein, daß die parteilichen Namen Lutherisch und Reformirt aufhören und beide Kirchen sich hinfüro allein Evangelisch nennen.“ (dort Anm. 1). 339

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gen sich nicht auf zentrale Glaubensausagen und seien deshalb nicht kirchentrennender Natur. Er schlug daher die Beseitigung der unterschiedlichen liturgischen Bräuche beider Konfessionen und für die so geeinten Kirche den gemeinsamen Namen „evangelisch“ und den Fortfall der Bezeichnungen „lutherisch“ und „reformiert“ vor. 1703 wurde der erste Versuch unternommen, eine formale Kirchenunion zu bewirken. Die Arbeit des hierzu gegründeten Unionskollegiums, das die diskrete Bezeichnung Collegium charitativum345 trug, scheiterte jedoch, weil vertrauliche Beratungsinhalte vorzeitig publiziert wurden und für große Aufregung unter den lutherischen Orthodoxen sorgten.346 Gleichwohl entstand – basierend auf den Vorstellungen des Kollegiumsmitglieds Winckler347 – ein starkes Landesherrliches Kirchenregiment auf der Grundlage der Territorialhoheit, das dem Landesherrn über die Kirchenhoheit hinaus auch die Kirchenverwaltung als Teil des „äußerlichen Cultus“ anvertraute; nur das „innere Glaubensleben“ sollte dem Zugriff der Staatsgewalt entzogen sein. Auf dieser Grundlage kam es zu starken Eingriffen in die liturgischen und kultischen Formen. Die Privatbeichte und verschiedene kirchliche Feiertage wurden abgeschafft. Durch den Bau von Unionskirchen, in denen ein Simultangottesdienst angeordnet, Geistliche beider Bekenntnisse angestellt und ein konfessionell gemischtes Kirchenkollegium eingerichtet wurde, versuchte man, die Union unter Ausblendung der dogmatischen und liturgischen Streitfragen auf praktischem Wege voranzubringen.348 Die Wirkung war gering, nur vereinzelt wurde dem Beispiel der Unionskirchen gefolgt.349 Auch die erneuten Versuche, durch Kontakte nach England und in die 343 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 412 f., sowie von Thadden, Hofprediger, S. 135. Zeitweise wurde sogar die Idee einer über Preußen und Deutschland auf Europa ausgreifenden Kirchenunion verfolgt. Ausführlich dazu Brandes, Geschichte I, S. 412 ff. 344 „Kurze Vorstellung der Einigkeit und es Unterschiedes im Glauben bei den Protestirenden, nämlich Evangelischen und Reformirten“. 345 Cf. hierzu C. W. Hering, Geschichte der Unionsversuche II, S. 312–386; sowie Guhrauer, Biographie von Leibnitz II, S. 159–180, 231 ff. 346 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 440 f. 347 Zusammengefaßt in der dem König handschriftlich übergebenen Schrift „Arcanum regium“. Winckler schlug dort vor, der König solle kraft seiner landesherrlichen Gewalt und als oberster Bischof und Papst in seinem Territorium die Union einfach dekretieren und alles Entgegenstehende aus dem Weg räumen. Später distanzierte sich Winckler von Teilen des Inhalts und bezeichnete die Übergabe des Memorandums als übereilten Schritt. Cf. im einzelnen Georg, Art. Johann Joseph Winckler, Sp. 1361 ff. 348 Unionskirchen entstanden insbesondere in der Hauptstadt, wo das Zusammenleben von Lutheranern und Reformierten an der Tagesordnung war: so etwa die „Neue Kirche“ in Berlin und die Kirche in Charlottenburg. Auch das neugegründete Waisenhaus in Berlin war „uniert“. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 450. Zu den sonstigen Anordnungen cf. von Mühler, Geschichte, S. 194 ff. 349 Etwa in der Kirche des neuen Waisenhauses Königsberg, wo der lutherische und der reformierte Prediger sich gegenseitig und gemeinsam den beiden Gemeinden das Abendmahl spendeten. Cf. Buchholtz, Geschichte der Mark IV, S. 326.

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Schweiz den Gedanken einer miteinander verbundenen evangelischen Christenheit zu verfolgen und die Union in Brandenburg-Preußen durch die Einführung anglikanisch-episkopaler Verfassungselemente zu fördern, blieben ohne nennenswerten Erfolg.350 3. Sonstige Betätigung des landesherrlichen Kirchenregiments, insbesondere die Generalvisitation In den Edikten und Reskripten aus der Zeit König Friedrichs I. deutet sich vor allem das unter seinem Nachfolger zur Blüte gelangte territorialistische Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments an. Die nicht sehr zahlreichen Dokumente weisen – wenn überhaupt – die geläufige „weltliche“ Einleitungsformel351 auf, sie nehmen jedenfalls nicht eingangs auf eine – wie auch immer geartete – bischöfliche Funktion des Landesherrn Bezug. Der Landesherr wurde demnach stets als Landesherr, aber nicht als oberster Bischof tätig. Die bischöflichen Rechte des Landesherrn finden nur an drei Stellen beiläufig Erwähnung. Bei der Einsetzung der Commission ecclésiastique für die Französisch-Reformierten352 wurde dem neugeschaffenen Kollegium die Untersuchung von Streitigkeiten „so zum præjuditz Sr. Churfürstl[ichen] Durchl[auchtigkeit] hohen Bischofflichen Authoritæt . . .“ zugewiesen. Darüber hinaus erwähnte die Einsetzungsverfügung, daß dem „würckl[ichen] Geheimten Rathe, dem von Fuchs, [. . .] Sr. Churfürstl[ichen] Durchl[auchtigkeit] hohe Jura Episcopalia, und was darvon dependiret, zu beobachten auffgetragen ist“.353 Die Figur des „obersten Bischofs“ war also durchaus noch geläufig, was im Hinblick auf die Anerkennung der Hugenotten als Augsburgische Konfessionsver350 Näher hierzu Brandes, Geschichte I, S. 445 ff., sowie von Thadden, Hofprediger, S. 85 f., 112 ff., 136 f. Der König lehnte die – in Anbetracht der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Hohenzollern und dem in England regierenden Haus Hannover angeregte – Einführung der bischöflichen Kirchenverfassung anglikanischer Prägung in Preußen (gemäß dem Ausspruch Jakobs I. von England: „No bishop, no king“) als realitätsfern ab. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 201 f., sowie Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., S. 290 ff. Ausführlich zu der Frage, inwieweit die anglikanischepiskopalen Pläne des Hofpredigers und Bischofs Jablonski der Sorge um das landesherrliche Kirchenregiment einerseits sowie der Herbeiführung der Union andererseits dienen sollten, s. von Thadden, Hofprediger, S. 116 f. 351 „Von Gottes Gnaden Friderich der Dritte, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Röm. Reichs Ertz-Cammerer und Churfürst [. . .]“ bzw. „Von Gottes Gnaden Friederich, König in Preussen, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Röm. Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürst [. . .]“. 352 Vom 6. Mai 1694; Mylius, CCM I/1, Sp. 417 f. S. dazu auch infra Teil I, Kapitel 2, D. II. 5. und E. V. 353 Gemeint ist Paul von Fuchs, der als erster das ständige Dezernat der geistlichen Sachen in der Zentralstelle des Geheimen Rates – dem Vorläufer des Geistlichen Departements – geleitet hat.

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wandte354 auch konsequent war: Der Landesherr übte über alle Augsburgischen Konfessionsverwandten die gleichen – nämlich die ehemals bischöflichen – Rechte aus. Allerdings wird ein spezifisch geistliches Verständnis dieser jura episcopalia nicht erkennbar, vielmehr erscheinen die iura episcopalia nur noch als Oberbegriff für eine bestimmte Gruppe landesherrlicher Befugnisse. Es ist daher nicht verwunderlich, daß bei einer die Organisation des französisch-reformierten Kirchenwesens betreffenden Anweisung jegliche ausdrückliche Bezugnahme auf „bischöfliche“ Befugnisse fehlt; statt dessen wird vermerkt, der König handle „aus Landes Väterlicher Vorsorge vor das zeitliche und ewige Wohlseyn Dero getreuen Unterthanen“.355 Außerdem befaßte sich ein Reskript an das Konsistorium der Neumark356 mit der Besetzung von Predigerstellen für den Fall, daß „summus Episcopus Collator in filia“357 ist. Hier ging es zwar thematisch um eine spezifisch bischöfliche Funktion, nämlich die Ernennung und Einsetzung eines Geistlichen, doch will der König auf diese Befugnis ausdrücklich verzichten, weil er keinen Sinn darin sieht, „der Gemeinde wieder Ihren Willen einen Prediger obtrudiren“ zu wollen. Der Begriff des Summus Episcopus wurde auch nur im Zusammenhang mit der Observanz erwähnt, was darauf hindeutet, daß der Titel eher historisch verstanden wurde. Daß hier der König im theologisch-geistlichen Sinne als oberster Bischof sprach oder sich diese Funktion zuerkannte, läßt sich dem Reskript nicht entnehmen. Insbesondere ist darauf zu verweisen, daß es – wie andere landesherrliche Anordnungen auch – mit der gängigen „weltlichen“ Einleitungsformel beginnt. Schließlich enthielt der Fragenkatalog für die Generalvisitation358 die an jeden Kirchenpatron zu richtende Frage, ob dieser nicht „sein jus Patronatus auch zu weit extendire, und dadurch Sr. Königl. Majestät in Dero höchste jura Episcopalia Eingriff thue?“ Auch hier ist nicht zu erkennen, daß der Begriff der iura episcopalia in einem anderen als bloß beschreibend-kategorisierenden Sinne gebraucht wurde. Es kam dort auf nichts weiter an, als daß die Rechte 354

Cf. supra Kapitel 1, C. V. 3. „Verordnung, daß bey denen Frantzösischen Gemeinden, wo nur ein Prediger, des Sonntags an statt der Mittags-Predigt eine Catechisation gehalten, und mit einem Gebeth geschlossen werden solle“ vom 4. September 1702; Mylius, CCM I/1, Sp. 425 f. Hier scheint das ursprüngliche Konzept der „christlichen Obrigkeit“, die gleichermaßen für das weltliche wie geistliche Wohl der Untertanen zu sorgen hatte, wieder auf. Cf. bereits supra Kapitel 1, C. II. 356 Vom 7. April 1708; Mylius, CCM I/1, Sp. 429 f. 357 Gemeint war die Konstellation, daß eine Predigerstelle an einer Mutterkirche zu besetzen ist, für deren Filialkirche der Landesherr das Besetzungsrecht besaß. Es bestand die Observanz, daß dem Landesherrn dann auch die Besetzung der Predigerstellen an der Mutterkirche zustehen sollte. Im betreffenden Fall verzichtete der König auf die Ausübung des Kollationsrechts. 358 Mylius, CCM I/1, Sp. 435–444. 355

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des Königs nicht beeinträchtigt würden. Immerhin war offensichtlich noch bekannt, daß sich unter den königlichen Rechten jedenfalls im Hinblick auf das protestantische Kirchenwesen auch solche befanden, die unter der Bezeichnung „bischöfliche Rechte“ thematisch und sachlich zusammengefaßt werden konnten. Diese Deutung der Verhältnisse wird bestätigt durch die Art und Weise, in der 1710 eine Generalvisitation des kurmärkischen evangelischen Kirchenwesens angeordnet wurde. Die Generalvisitation war die erste seit ungefähr 1600359, was darauf schließen läßt, daß die zwischenzeitliche Durchsetzbarkeit und tatsächliche Durchsetzung der Maßnahmen des zentral ausgeübten landesherrlichen Kirchenregiments auf der örtlichen Ebene nicht selbstverständlich war.360 Daß der König die Visitation in dem Edikt mit der Wahrnehmung begründete, daß „in Geistlichen und Kirchen-Sachen viele Mängel, Unordnungen und Mißbräuche, sich ereignet und hervorgethan“, kann also nicht überraschen. Sowohl die „Verordnung wegen der zu haltenden Kirchen-Visitation und einigen deshalb zu beobachtenden puncten“ vom 8. Februar 1710 sowie das „Edict wegen der General-Visitation der Kirchen, Schulen und Hospitalien und dabey zu beobachtenden Fragen“ vom 16. April 1710361 ergingen ausweislich der Einleitungsfloskel im Namen des Königs. Auch im weiteren Verlauf des Edikts findet sich kein Rekurs auf eine spezifisch bischöfliche Befugnis zur Visitation und Beaufsichtigung des Kirchenwesens, vielmehr wird die Visitation ausdrücklich „krafft der Uns zustehenden Königl. Chur- und Landes-Herrschaftl. Macht und Gewalt“ durchgeführt. Außerdem finden sich Anklänge an die reformatorische Figur der „christlichen Obrigkeit“, die gleichermaßen für das weltliche wie geistliche Wohl der Untertanen zu sorgen verpflichtet ist. Der König führte aus, er handle „aus Christlichem Eifer für die Ehre Gottes und aus Landes Väterlicher Sorgfalt für das zeitliche und ewige Wohlseyn Unserer getreuen Vasallen und Unterthanen“, damit „der wahre Gottesdienst nach dem Wort und Befehl des Herrn befordert, Unseren Unterthanen in geist- und weltlichem Stande zu rechtschaffener Gottesfurcht, und treuer Ausrichtung ihrer Pflicht und Ambtes also angewiesen werden möchten, damit der große Gott in Christo recht erkennet und gepriesen, alles ärgerliche Wesen und Unordnung abgeschaffet, und dagegen überall gute Ordnung gestiftet, und die albereit gestiftete wohl beobachtet, und beybehalten werde.“ Es handle sich um ein „höchstnöthiges, die Ehre des großen Gottes und die Seelen Wohlfahrt so vieler tausend Menschen concernirendes Werck“.

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Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 36 f. m. N. Zum Scheitern der Visitationsbemühungen Georg Wilhelms von 1637 s. bereits supra Kapitel 1, C. IV. 6. 361 Nacheinander abgedruckt bei Mylius, CCM I/1, Sp. 433–444. 360

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Mit dieser Berufung auf obrigkeitliche Rechte und Pflichten steht auch im Einklang, daß die Leitung der Visitation mit dem ausdrücklich so bezeichneten weltlichen Konsistorialrat Risselmann einem landesherrlichen Beamten übertragen war; darüber hinaus wirkten weitere geistliche und weltliche Konsistorialräte, Superintendenten und Inspektoren sowie königliche Beamte – „der Hauptmann in der Alten Marck und der Land-Voigt in der Ucker-Marck“ – mit. Der bereits erwähnte Fragenkatalog ist insbesondere hinsichtlich der Fragen über die Lehre von Interesse, da er sich inhaltlich kaum von dem unterschied, was am Ende des 18. Jahrhunderts im preußischen Religionsedikt von 1788 für Aufregung sorgen sollte. Ausweislich des Abschnitts V des Katalogs sollte die Visitation nämlich offensichtlich gewährleisten, daß ein Prediger „seine Lehren und Predigen allein auff Gottes heiliges Wort gründe, und die Zuhörer nicht beschwere, mit allerhand weltlichen Historien, Fabeln und dergleichen Erzehlungen [. . ., daß er] seine Zuhörer fleißig zur Erkänntnis der Prophetischen und Apostolischen Schriften anführe und anweise [. . ., daß er] diese Schriften ihnen als die einige Glaubens- und Lebens-Regel vorstelle, als in welchen uns aller Rath Gottes von der Menschen Seeligkeit geoffenbahret ist [. . ., d]aß sie also keine neue Offenbahrung zu erwarten, oder sich danach umzusehen, und solche anzunehmen haben.“ Die Prediger hätten darüber hinaus bei Gelegenheit zu zeigen, daß „die heilige Bibel eben das Wort Gottes sey“ und die in den symbolischen Büchern der Evangelischen enthaltenen Bekenntnisse darauf beruhten. Sie müßten die „[g]öttlichen Wahrheiten“ der symbolischen Bücher ihrer Vokation gemäß und darüber hinaus so vortragen, wie diese „in diesen Landen auctoritate publica recipiret“ seien. Zwar fehlt es hier an einem dem Auslöser des Religionsedikts entsprechen Anlaß, bestimmte theologische Meinungen gezielt zu bekämpfen, doch wird ebenso ein bestimmtes, hergebrachtes, mit öffentlicher Autorität ausgestattetes Bekenntnis einschließlich einer in früheren Zeiten vom Landesherrn durchgesetzten Modifikation – nämlich des Ausschlusses der Konkordienformel – mit landesherrlicher Autorität vorgeschrieben. Der ausdrückliche Verweis auf die „Königl. und Churfürstl. Edicta von 1662 und 1664“362 unterstreicht dies noch zusätzlich. Die Visitationsinstruktion und das Religionsedikt sind insoweit strukturell ähnlich.363 Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die iura episcopalia – trotz gelegentlicher wörtlicher Erwähnung – auch in der Regierungszeit Friedrichs I. nicht klar von den weltlichen Befugnissen des Landesherrn unterschieden und keinem eigenständigen Ursprung zugeordnet waren. Die Bezeichnung als „bischöfliche 362 Diese kurios anmutende Formulierung erstreckt die kürzlich erworbene königliche Würde auf die Vergangenheit. Die genannten Edikte waren natürlich ursprünglich nicht „königlich“; durch die gewählte Formulierung machte sich der König die Anordnungen jedoch ausdrücklich zu eigen und stellte ihre Fortgeltung klar. 363 Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, daß beide Maßnahmen durch die Wahrnehmung erheblicher Mißstände angeregt wurden.

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Rechte“ hatte nur beschreibenden Charakter und verlieh ihnen keine spezifisch geistliche Dimension. Vielmehr ergingen die landesherrlichen Maßnahmen in kirchlichen Angelegenheiten als Maßnahmen des Landesherrn in dessen Eigenschaft als weltliche Obrigkeit. Dies entspricht einer prinzipiell territorialistischen Sichtweise des landesherrlichen Kirchenregiments. 4. Die Situation der Katholiken Friedrich I. hegte wie seine Vorgänger eine deutlich ausgeprägte Abneigung gegen den Katholizismus. Die bei den Verhandlungen über die Erlangung der Königswürde seitens des Kaisers erhobenen Forderungen, in Berlin einen von der kaiserlichen Gesandtschaft unabhängigen katholischen Gottesdienst zuzulassen und die Anstellung katholischer Geistlicher zu erlauben, wurden auf Betreiben der sich gegen den „papistischen Götzendienst“ eifernden Räte unter Berufung auf die Landesverfassung sowie den Westfälischen Frieden, der den märkischen Katholiken gerade kein Religionsexerzitium zugestand, abgelehnt. Der König gestattete aber mündlich, daß die in Berlin lebenden katholischen Untertanen am Gottesdienst in der Residenz des kaiserlichen Gesandten teilnehmen durften. Auch die Abhaltung katholischer Gottesdienste in Abwesenheit des Gesandten wurde mündlich gestattet, zu einer schriftlichen Fixierung dieser den bis 1685 geltenden Rechtszustand wiederherstellenden Regelung kam es jedoch nicht.364 VII. Die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. 1. Allgemeines und Bekenntnisfragen Friedrich Wilhelm I., der trotz seiner Affinität zum Militär wohl zu Unrecht als bloßer „Soldatenkönig“ in die Geschichte eingegangen ist365, verfolgte den von Friedrich I. eingeschlagenen Weg einer pragmatischen Vereinigung der Konfessionen weiter.366 Brandenburg hatte nach wie vor die faktische Führungsposition im Corpus Evangelicorum inne; dort hatte sich – anders als noch 364

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 122 f. Die ersten Grundlagen des Allgemeinen Landrechts sind auf ihn zurückzuführen. Cf. Droysen, Geschichte der preußischen Politik IV/3, S. 422. Er hatte ein lebhaftes Interesse an Handel, Gewerbe und Landwirtschaft (cf. Brandes, Geschichte I, S. 473), aber auch an Wissenschaft und Philosophie, wie eine Bemerkung des damaligen Kronprinzen Friedrich (II.) in einem Brief an M. de Camas vom 21. Dezember 1738 beweist: „J’ai trouvé un changement sensible dans l’humeur du Roi, il est dévenu extrêmement gracieux, doux, affable et juste, il a parlé des sciences comme de choses louables et j’ai été charmé et transporté de joie de ce que j’ai vu et entendu.“ (Friedrich II., Œuvres XVI, S. 159). Cf. auch Droysen, Geschichte der preußischen Politik IV/3, S. 421, sowie Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 107. 365

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im 17. Jahrhundert – die Auffassung durchgesetzt, daß die Reichsstände beider evangelischen Bekenntnisse gegenüber dem Reich und den Katholiken die gleichen Interessen zu vertreten hätten und daher mit einer Stimme sprechen müßten. Friedrich Wilhelm I. teilte nicht die Neigung mancher seiner Vorgänger hin zum Calvinismus und lehnte insbesondere die Prädestinationslehre367 ab. Vielmehr besuchte er – auch unter dem Eindruck des Pietismus – vorzugsweise lutherische Kirchen.368 Von Bedeutung war in diesem Zusammenhang auch die persönliche Affinität des Königs zum Militär, der ihm die Teilnahme am lutherischen Garnisonsgottesdienst anstelle des reformierten Hofgottesdiensts nahelegte; die Frage der Konfession war dabei zweitrangig.369 Persönlich war er von der Einheit des evangelischen Bekenntnisses überzeugt. Die lehrmäßigen Unterschiede zwischen den evangelischen Konfessionen hielt er, wie er am 10. September 1726 an Propst Roloff schrieb, für reines „Pfaffengezänk“370; aufkommende dogmatische Streitigkeiten wurden – unter Bekräftigung der Edikte von 1614, 1662 und 1664 – mehrfach und in rascher Folge untersagt.371 Der Besuch der Universität Wittenberg blieb verboten.372 366 „Unionsverhandlungen“ gab es keine mehr; das gescheiterte Collegium charitativum von 1703 war die letzte derartige Zusammenkunft. Auch die Pläne einer „internationalen“ evangelischen Union wurden nicht weiter verfolgt. 367 Gemeint ist die prinzipielle Vorherbestimmung jedes Menschen entweder zur Seligkeit oder zur Verdammnis. 368 Cf. Förster, Friedrich Wilhelm I., Band 2, S. 342. Das zu seinen Lebzeiten wiederholt verbreitete Gerücht, der König wolle zur lutherischen Kirche übertreten, bewahrheitete sich freilich nicht. Cf. auch Zahn, Der Einfluß der reformierten Kirche auf Preußens Größe, S. 21 ff., der nachweist, daß Friedrich Wilhelm I. die reformierte Tradition seiner Vorfahren fortgeführt hat. Ob der König das Abendmahl nur im reformierten oder auch im lutherischen Gottesdienst empfangen hat, ist unklar. Ersteres behauptet etwa Schild, Feldprediger II, S. 100; die Formulierung von Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 38, legt das Gegenteil nahe. 369 Cf. Schild, Feldprediger II, S. 79. 370 Zitiert nach Förster, Friedrich Wilhelm I., Band 2, S. 339. Cf. auch die Instruktion an den Kronprinzen von 1722: „Ich bin gut reformirt, glaube aber, daß ein Lutherischer ebenso gut selig werden kann und der Unterschied nur von den Predigerzänkereien herrührt.“ Zitiert nach Brandes, Geschichte I, S. 482. Abgedruckt auch in Treue, Acta Borussica, Behördenorganisation 3. 371 s. etwa das Edikt vom 31. Juli 1714, Mylius, CCM I/1, Sp. 511 f.; Verordnung vom 10. Mai 1719, Mylius, CCM I/1, Sp. 533 f.; Verordnung vom 13. November 1720, Mylius, CCM I/1, Sp. 543–546; Verordnung vom 21. April 1722, Mylius, CCM I/1, Sp. 547 f.; Verordnung vom 10. November 1724, Mylius, CCM I/1, Sp. 551 f.; Verordnung vom 2. Dezember 1729, Mylius, CCM I/1, Sp. 555 f. 372 „Revidirtes Edict“ vom 8. März 1726; Mylius, CCM I/2, Sp. 243 f. Außerdem ergingen verschiedene Edikte, die den lutherischen Kandidaten mehr oder minder nachdrücklich einschärften, an der pietistisch geprägten Universität Halle zu studieren. Edikt vom 25. März 1729, Mylius, CCM I/2, Sp. 247 f.; Edikt vom 9. Januar 1736, Mylius, CCM I/1, Sp. 265 f.; Edikt vom 29. September 1736, Mylius, CCM I/1, Sp. 567–570 (Punkt 4).

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Ungeachtet seiner persönlichen Vorlieben trug Friedrich Wilhelm I. für das reformierte Kirchenwesen in gleichem Maße und in gleicher Weise Sorge wie für das lutherische. Er baute für beide Konfessionen sowohl eigene Kirchen373 als auch Unionskirchen und ordnete für bereits bestehende Kirchen das Simultaneum an. Ferner beging er 1713 die Jahrhundertfeier der Konversion Johann Sigismunds sowie 1717 die Zweihundertjahrfeier der lutherischen Reformation mit gleicher Feierlichkeit.374 Noch an seinem Sterbebett empfing er je einen lutherischen und reformierten Prediger.375 Die Toleranz des Monarchen bezog sich freilich nur auf das biblisch begründete theologische Spektrum: Rationalistische theologische Ansätze ließ er nicht gelten. Die Strenge, mit der die bereits unter Friedrich I. eingeführte Zensur theologischer Schriften376 zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. ausgeübt wurde, zeigt sich darin, daß die Veröffentlichung atheistischer Schriften sogar bei Karrenstrafe untersagt wurde.377 2. Union durch Pragmatismus: Gottesdienst – Liturgie – Kirchenzucht Hinsichtlich des Kultus und der Kirchengebräuche traf der König konkrete Anordnungen, die einen gewissen Eklektizismus an den Tag legten. Am 18. Dezember 1714 erging eine Verordnung, welche – unabhängig vom Bekenntnis – die Dauer der Predigt auf eine Stunde beschränkte und für den Fall des Verstoßes eine Strafe von zwei Talern androhte.378 Auch der Inhalt der Predigten war unter dem Aspekt der Staatsraison reglementiert: Nach Ansicht des Königs mußte man die Prediger „kurz halten“, damit sie sich nicht in weltliche Angelegenheiten mischen konnten, „denn die Herren Geistliche gerne Päpste in unserm Glauben agieren wollten“.379 Die evangelischen Behörden hatten darüber zu wachen, daß nicht gegen die Autorität des Landesherrn gepredigt wurde; „wofern ein Prediger direkte oder indirekte was gegen die Regierungsart predi373 In Berlin wurden die Garnisonskirche (1720) und die Petrikirche (1736) wieder aufgebaut. Cf. Förster, Friedrich Wilhelm I., Band 2, S. 338. 374 Cf. Mylius, CCM I/2, Sp. 185–188, 213–218. 375 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 482. 376 General-Verordnung vom 5. November 1703; Mylius, CCM I/1, Sp. 425–418. 377 Reskript vom 31. Januar 1727; Mylius, CCM I/1, Sp. 553 f. 378 „Circular-Verordnung, daß kein Prediger oder Candidate ins künfftige länger als eine Stunde zu predigen sich unterstehen, oder vor jedesmahl zwey Thaler der Kirchen, worinn sie geprediget, erlegen sollen“ vom 18. Dezember 1714, Mylius, CCM I/ 1, Sp. 513 f. Da die Anordnung auf Widerstand stieß, mußte sie unter Strafandrohung nochmals eingeschärft werden: „Erneuerte Verordnung, daß nicht länger als eine Stunde geprediget werden soll“ vom 10. April 1717, Mylius, CCM I/1, Sp. 527 f. 379 Zitiert nach Hintze, Epochen, S. 99. Auch das von Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 37 f., mit Blick auf entsprechende Anordnungen an Feldprediger angesproche Interesse des Königs an „verständliche[n], praktische[n] Soldatenpredigten“ ist in der Sache weltlich, nicht geistlich. Cf. hierzu auch Schild, Feldprediger II, S. 86.

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gen sollte“, sei er zu entlassen.380 Dieser Punkt war dem König so wichtig, daß ihn dem Kronprinzen gegenüber in der Regierungsinstruktion von 1722 als „eine[n] von den importanten“ bezeichnete.381 Für die Petrikirche zu Berlin wurde 1733 eine neue Gottesdienstordnung erlassen, die jedoch auf Widerstand traf und unter der nachfolgenden Regierung wieder aufgehoben wurde.382 Die traditionell feierlichen Riten der lutherischen Liturgie hielt der König für einen papistischen Anachronismus; er verfügte – gemäß der damals geltenden Rechtsauffassung, daß er als Landesherr das ius in sacra besitze und somit auch liturgische Vorschriften erlassen dürfe (ius liturgicum)383 – unter anderem die Abschaffung der Privatbeichte sowie des gesungenen Vortrags bestimmter Teile der Liturgie. Auch Chorröcke, Kaseln und Altartücher sollte es nicht mehr geben.384 Obwohl die Geistlichen zahlreich und heftig protestierten und aus Gewissensgründen den Befehl des Königs mißachteten, blieb der König hart. In einem Reskript vom 16. August 1737 an die Regierung in Magdeburg schärfte er nochmals die Einhaltung der Verordnung ein und drohte den zuwiderhandelnden Geistlichen – nicht ohne einen sarkastischen Seitenhieb auf deren Argumentation – die Amtsentlassung an385; ein Geistlicher – Pastor Braun von Passen – verlor sein Amt.386 Auch weitere Remonstrationen fanden beim König kein Gehör, welcher vielmehr die Magdeburger Regierung – von dort waren die meisten Beschwerden gekommen – durch Kabinettsorder vom 16. Oktober 1737 nochmals zu hartem Durchgreifen aufforderte.387 Darüber hinaus ergingen verschiedentlich Vorschriften zu liturgischen Detailfragen; so wurden unter anderem die Uhrzeit der Beichte reglementiert388 und für die

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Schild, Feldprediger II, S. 86. Treue, Acta Borussica, Behördenorganisation 3, S. 457 f. 382 Cf. Geppert, Chronik von Berlin von Entstehung der Stadt an bis heute, Band II, S. 531. 383 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 490 f., Anm. 3. 384 Cf. Hintze, Epochen, S. 93. Der König hatte zuvor bei den lutherischen Inspektoren und Geistlichen der Marken für die Reformen geworben. Als er damit kein Gehör fand, wurden die Reformen ungeachtet des Widerstandes kraft der landesherrlichen Kirchengewalt befohlen. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 488. 385 „Daferne sich Einer oder der Andere finden sollte, der einiges Bedenken dabei hätte oder eine Gewissenssache daraus machen will, demselben ist zu vernehmen zu geben, daß Wir ihm zu seiner Beruhigung seine Demission ertheilen wollen.“ Zitiert nach Förster, Friedrich Wilhelm I., Band 2, S. 240. 386 Brandes, Geschichte I, S. 490. 387 „Denjenigen von den Predigern und Magistratspersonen, welche in ihrer Meinung beharren, daß diese Sache ein Gewissenswerk sei und daß die lutherische Religion ohne Beibehaltung der Ceremonien nicht bestehen könne, habt ihr anzudeuten, daß Wir es bei Unserer Cabinetsordre lediglich bewenden lassen und sie bei fernerem Difficultiren ihre Demission haben sollen.“ Zitiert nach Cramer, Zur Geschichte Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II., Könige von Preußen, S. 95. 388 Reglement vom 1. Dezember 1737; Mylius, CCM Contin. I, Sp. 97–100. 381

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Verwendung einer zu großen Menge Weines beim Abendmahl harte Strafen angedroht.389 Dienten diese Maßnahmen ganz überwiegend dem Zweck, den lutherischen Gottesdienst dem reformierten anzugleichen, so galt dies auch umgekehrt. Insbesondere in seinen letzten Lebensjahren erließ Friedrich Wilhelm I. verschiedene Reskripte und Kabinettsordern, die von den reformierten Geistlichen und Kandidaten Predigten verlangten, die sich – nach pietistischer Art – durch Erbaulichkeit, Textgemäßheit und praktische Tendenz auszeichnen sollten.390 Der König war offensichtlich der Auffassung, daß, wenn erst die gottesdienstlichen Formen beider Konfessionen angeglichen seien, sich die Union zu gegebener Zeit von selbst einstellen werde. Die konfessionellen Differenzen bestanden für ihn in Äußerlichkeiten, auf die er nach der damals herrschenden territorialistischen Interpretation des Kirchenregiments durch landesherrliche Maßregeln Einfluß nehmen durfte.391 In diesen Zusammenhang fällt auch die Anweisung an die lutherischen Feldprediger, reformierten Militärangehörigen das Abendmahl nach reformiertem Ritus zu reichen, falls ein reformierter Feldprediger nicht verfügbar sei.392 Andererseits wurden die verschiedenen Riten aber offensichtlich noch respektiert, wie die Einweihung der Potsdamer Garnisonskirche zeigt, die aufgrund ihrer Doppelfunktion als Hof- und Militärkirche eine Simultankirche war.393 Die Einweihung wurde nämlich am 17. August 1732 in Gegenwart des Königs doppelt vollzogen: vormittags durch den reformierten Hofprediger Kochius und nachmittags durch den lutherischen Garnisonsprediger, den späteren Feldpropst Carsted.394

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Reskript vom 1. Dezember 1737; Mylius, CCM Contin. I, Sp. 111 f. Reskript an das reformierte Konsistorium vom März 1739; bei Förster, Friedrich Wilhelm I., Band 2, S. 342.; Cabinets-Ordre vom 9. Januar 1740; ebenda, S. 343. In letzterer Anordnung wurden sowohl der reformierte Hofprediger Jablonski als auch der lutherische Propst Reinbeck von St. Petri als Vorbilder bezeichnet. S. auch die ähnlich lautende Verordnung an das lutherische Konsistorium vom 8. Februar 1740; ebenda, S. 344. 391 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 494. 392 Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 46. Cf. auch die Anordnung des lutherisch-reformierten Simultaneums für die Prediger und Angehörigen des Cosel’schen Dragoner-Regiments (Instruktion vom 14. Mai 1734) zitiert ebenda, S. 45 f. 393 Die Militärgemeinde war lutherisch, der Hof war reformiert. 394 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 44; Schild, Feldprediger II, S. 135. Die Beschreibung der Kanzel macht deutlich, wie sehr das Kirchenwesen bereits von der Sphäre des Staatlichen überlagert war: „Diese Kanzel [. . .] baut sich aus schwarzem, weißem und rotem Marmor bis in die Höhe der Orgel auf. Der Predigtstuhl ist aus weißem Marmor mit der vergoldeten Namens-Chiffre Friedrich Wilhelms I. Über dem marmornen Schalldeckel erheben sich in reicher, künstlerischer Ausführung die Embleme des Königlich preußischen Hauses, die goldene Sonne und der mit Krone, Scepter und Reichsapfel geschmückte preußische Adler.“ (Schild, Feldprediger II, S. 137 f.). S. dazu auch infra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 5. 390

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Mit dieser pragmatischen Unionspolitik gingen auch Maßnahmen einher, die hinsichtlich der Kirchenverfassung auf eine Gleichförmigkeit zwischen den evangelischen Bekenntnissen abzielten. Dabei wurden neben den Lutheranern und den (Deutsch-)Reformierten auch die Französisch-Reformierten mit einbezogen. Von der „einen evangelischen Landeskirche schon damals“ zu sprechen395, ist jedoch zu hoch gegriffen, da die kirchlichen Verhältnisse in den einzelnen preußischen Territorien aufgrund der konfessionellen und verfassungsmäßigen Vielfalt trotz der vereinheitlichten oberen Verwaltungsebene noch alles andere als uniform waren. Problematisch wirkte sich auch das Wiederaufgreifen der Kirchenzucht aus. Nachdem diese zunächst für die reformierten Gemeinden wieder eingeführt worden war396, wurde sie wenig später auch für die lutherische Kirche angeordnet und gleichzeitig die Zahl der die öffentliche Kirchenbuße nach sich ziehenden Vergehen erweitert.397 Daß sich die Kirchenzucht in engem Zusammenhang mit der reformierten Gemeindeverfassung entwickelt hatte, vor dem Hintergrund der lutherischen Konsistorialverfassung jedoch den Charakter äußerlichen polizeilichen Zwangs besaß398, wurde dabei nicht bedacht. Auch dies ist ein Beispiel dafür, wie zum Zwecke einer von oben oktroyierten äußerlichen Uniformität des evangelischen Kirchenwesens in eklektizistischer und sachwidriger Manier dogmatische und liturgische Elemente kombiniert wurden. 3. Initativen auf Reichsebene Friedrich Wilhelm I. suchte seine Unionspläne auch durch Initiativen auf Reichsebene zu fördern. Nachdem er den im Zuge der Gegenreformation aus Polen, Österreich und der Pfalz geflohenen Lutheranern Asyl gewährt hatte399, kam es 1722 auf Betreiben Preußens, aber unter dem Vorsitz Kursachsens, zu Verhandlungen zwischen den Mitgliedern des Corpus Evangelicorum über „eine Vereinigung der Reformirten mit den Evangelisch-Lutherischen“.400 In dem vom preußischen Gesandten vorgelegten Unionsplan401 wurde versichert, die 395

So aber Brandes, Geschichte I, S. 496. Reskript vom 11. Februar 1716; Mylius, CCM I/2, Sp. 197–200. 397 Reskript vom 13. März 1716; Mylius, CCM I/2, Sp. 199–202. Wer eine entsprechende Verfehlung begangen hatte, mußte öffentlich vor der Gemeinde Buße tun und wegen des geschehenen Ärgernisses Abbitte leisten. Zum Katalog zählten neben „Hurerey“ und „Ehebruch“ nunmehr auch weitere „ruchlose Sünden“, nämlich die „ruchlose Schändung des Tages des Herrn, Gottes-Lästerung, Mißbrauch des Allerheiligsten Namens Gottes, Diebstahl, Freßerey und Saufferey, Ungehorsam gegen die Oberen und Eltern, und was dergleichen zum öffentlichen Ärgerniß mehr als zu offt zu geschehen pfleget.“ 398 Cf. Brandes, Geschichte I, S. 498. 399 Ausführlich hierzu Brandes, Geschichte I, S. 507 ff. 400 Näher dazu von Schauroth, Vollständige Sammlung I, S. 492. 396

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Initiative sei „keine neue Religionsaufstellung, sondern ein bloßer Kirchenfriede“. Man wolle „keine neuen Glaubensartikel“ aufstellen, „sondern jedem Theile das Seinige“ lassen, und sich dabei „als Brüder in Christo und als Glieder einer und derselben Kirche ansehen“.402 Dieser Unionsplan wurde in der gemeinsamen Sitzung der lutherischen und reformierten Reichsstände am 28. Februar 1722 gebilligt. Fortan unterstellte man auf Reichsebene die Parität der beiden Bekenntnisse innerhalb der einen evangelischen Kirche und vereinbarte die gemeinsame Bezeichnung als „Evangelische“ oder „Augsburgische Confessions-Verwandte“.403 Dieser Schritt hatte zunächst vor allem symbolische Bedeutung; auf die Verhältnisse in Preußen selbst wirkte er sich nicht unmittelbar aus.404 Immerhin konnte der König davon ausgehen, sich bei seinen Unionsplänen auf dem sicheren Boden des Reichsrechts zu befinden.405 4. Tatsächliche Grundlage des landesherrlichen Kirchenregiments Insgesamt beruhte die Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm I. maßgeblich auf der Geltendmachung der landesherrlichen Autorität als solcher. Daß die Edikte in Kirchensachen mit der für weltliche Gesetze üblichen Einleitungsfloskel begannen406, zeigt dies deutlich. Damit ließen sich im wesentlichen alle kirchlichen Maßnahmen formal legitimieren, auch wenn sie zum Teil im Hinblick auf die jeweiligen Bekenntnisstände 401

Der Verfasser ist nicht bekannt. Cf. C. W. Hering, Geschichte der Unionsversuche II, S. 367. 403 Ausführlich zu den fünfzehn Punkten der Vereinbarung Brandes, Geschichte I, S. 551 ff. 404 Brandes findet dafür die lyrische Formulierung, „es seien da doch erst die Gipfel der Berge erleuchtet gewesen, während tief unten in den Thälern theils noch Finsterniß war, theils wenigstens das Licht des Tages noch erst mit den Nebeln der Nacht zu kämpfen hatte.“ (Geschichte I, S. 557). Auch die Gegner der Unionsvereinbarung ließen es an poetischen Worten nicht fehlen, wie ein Epigramm des lutherischen Pastors Erdmann Neumeister zeigt: „Was vor ein Wunderding will allererst entstehen?/ Des Teufels Mutter soll anjetzo schwanger gehen./Man sagt, daß sie ihr Wochenbette/ Zu Regensburg längst aufgeschlagen hätte,/Und wäre schon im Kreisen./Gebiert sie einen jungen Sohn,/So soll er Synkretismus heißen,/Wird’s aber eine Tochter sein,/So heißet sie es Union,/Jedoch geräth das Werk nicht eben noch in’s Stecken./So schwör’ ich Stein und Bein,/Es wird die Mutter sammt der Brut verrecken.“ Zitiert nach C. W. Hering, Geschichte der Unionsversuche II, S. 386 (weitere Beispiele antiunionistischer Verskunst S. 382 ff.). 405 Dieser Umstand war nicht zu unterschätzen, da auch der preußische König als Reichsfürst an das Reichsverfassungsrecht gebunden war. S. bereits supra Kapitel 1, B. IV. 406 „Von Gottes Gnaden, Friderich Wilhelm, König in Preussen, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Röm. Reichs Erz-Cämmerer und Churfürst . . .“ (z. T. mit Abweichungen in der Schreibweise). 402

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fragwürdig waren und auf das Erfordernis des consensus ecclesiae407 keine Rücksicht nahmen. Dies wurde offensichtlich aber von staatlicher Seite nicht als Manko angesehen. Da der König als Staatsoberhaupt tätig wurde und auch die Kirchen vor allem unter dem Aspekt der Staatsraison betrachtete, empfand er es auch nicht als problematisch, daß sich die von ihm betriebenen Veränderungen im Kirchenwesen nicht aus dem religiösen Leben der Gemeinden heraus entwickelten, sondern von außen her als formell bindende Rechtsnormen und unter Androhung staatlicher Sanktionen an die Kirche herangetragen wurden. So entstand eine paradoxe Situation: Einerseits kam es durch die starke Inanspruchnahme des landesherrlichen Kirchenregiments seitens des Königs zu einem religionspolitischen Aktivismus, insbesondere im Hinblick auf die Union. Andererseits wurde dessen Wirkung dadurch gehemmt, daß gerade das hohe Maß an obrigkeitlicher Einflußnahme einer lebendigen Entwicklung des Kirchenwesens von innen heraus im Wege stand.408 Statt dessen wurde die Kirche mehr und mehr der staatlichen Ordnung einverleibt. Als König konnte sich Friedrich Wilhelm I. kraft seiner Stellung im übrigen über manche Formalität hinwegsetzen. Dies wird illustriert durch den Fall des im Leibregiment des Königs dienenden Grenadiers Laurentius David Vollhagen, der als geprüfter Theologe wider Willen zum Militärdienst verpflichtet worden war und, nachdem der König von seinem Schicksal erfahren hatte, nach einer Probepredigt mit sofortiger Wirkung zum General-Superintendenten von Pommern ernannt wurde, wobei die Einwendungen der ob des Verfahrens erstaunten Stettiner Konsistorialräte einfach übergangen wurden.409 Diese unscheinbare Begebenheit offenbart eine geradezu „hemdsärmelige“ Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm I. 5. Landesherrliches Kirchenregiment und intermediäre Gewalten Der geschilderte kirchenpolitische Aktivismus des Landesherrn ist jedoch nur eine Seite der Medaille; zu berücksichtigen ist noch die Rolle der intermediären Gewalten, insbesondere der über den Großteil der Patronatsrechte verfügenden Gutsherrschaften und Stadtmagistrate, die ihren Einfluß gegenüber dem Landesherrn teilweise steigern konnten. Dies läßt sich anhand der örtlichen Kirchenvisitationen zeigen, die seit 1715 von den Inspektoren, Superintendenten und Pröpsten alle ein bis drei Jahre durchgeführt werden sollten410, was aber nicht mit der geforderten Regelmäßigkeit der Fall war. Die Begründung der im Fe407

s. hierzu infra Teil I, Kapitel 2, F. IV. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 235. 409 Cf. die ausführliche Darstellung bei Schild, Feldprediger II, S. 107 ff. 410 Instruktion vom 5. März 1715; Mylius, CCM I/1, Sp. 513–522; Reglement hierzu vom 6. März 1715; Mylius, CCM I/1, Sp. 521–524. 408

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bruar 1730 von der Ritterschaft des Kreises Beeskow an das kurmärkische Konsistorium gerichteten Bitte, die Visitationen nur noch alle zehn Jahre stattfinden zu lassen, nimmt hierauf Bezug.411 Bereitwillig wurden die Visitationsintervalle daraufhin auf immerhin sechs Jahre verlängert412, was eine erhebliche Abschwächung der zentralen Kirchenaufsicht bedeutete.413 Insgesamt verfolgte Friedrich Wilhelm I. gegenüber dem Adel als Inhaber der Patronatsrechte eine defensive Haltung.414 Auf die tatsächliche Religiosität der Bevölkerung außerhalb der Residenz hat sich die in Edikten und weitgehend folgenlosen Visitationen zu Tage tretende Kirchenpolitik des Monarchen daher weniger stark ausgewirkt, als es die Zahl und bis in kleinste Detailfragen gehende Intensität der landesherrlichen Verordnungen und Verfügungen vermuten läßt.415 Auch die Verbreitung des Pietismus über die Residenzstädte hinaus war nicht allein auf die Kirchenpolitik des Landesherrn, sondern auch auf die eigene Personalpolitik der frühen Pietisten zurückzuführen.416 Durch die Förderung des lutherischen Feldpredigerwesens unter Friedrich Wilhelm I. wurde die Verbreitung der pietistischen Lehre außerhalb Berlins zusätzlich gefördert.417 6. Die Situation der Katholiken Obwohl Friedrich Wilhelm I. noch 1718 den Erzieher des Kronprinzen angewiesen hatte, diesem die Schlechtigkeit des Katholizismus beizubringen, und selbst die Katholiken von der neuen Zentralbehörde des Staates ausgeschlossen hatte, wollte er – getragen durch seine eigene religiöse Haltung – den Katholiken die Mittel zur religiösen Erbauung letztendlich nicht versagen. Der Hauskaplan des kaiserlichen Gesandten, der Halberstädter Dominikanerpater Dominicus Torck, hielt mit Billigung des Königs und mit dessen finanzieller Unterstützung schon 1720/21 katholische Gottesdienste für Militärangehörige und Zivilpersonen, von 1722 an fungierte P. Torck offiziell als katholischer Militärseelsorger.418 Diese Einrichtung war jedoch nach dem ausdrücklichen Wortlaut der 411 Supplik vom 24. Februar 1730, GStA PK, Pr. Br. Rep. 40, Hauptregistratur, Nr. 1784 (Kopien). 412 Befürwortende Resolution des Konsistoriums vom 10. März 1730 durch Irwing; Bewilligung durch Ministerialreskript vom 29. März 1730, gezeichnet von Cnyphausen, GStA PK, Pr. Br. Rep. 40, Hauptregistratur, Nr. 1784 (Kopien). 413 Cf. insgesamt Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 125. 414 Cf. Neugebauer, Absolutistischer Staat, S. 145 f. 415 Cf. bereits Wendland, Der pietistische Landgeistliche in Brandenburg um 1700, S. 77. 416 Cf. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 126 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 417 Cf. Marschke, The Collaboration of Halle Pietism and the Military State, S. 337 ff. 418 Näher hierzu infra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 9.

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Bestallungs- und Introduktionsurkunde jederzeit widerruflich; die Rechtsstellung der Katholiken im übrigen sollte durch die Gestattung der katholischen Militärseelsorge auch nicht berührt werden. Es sollte ausdrücklich bei der Normaljahrregelung des Westfälischen Friedens, den sonst eingeführten Landesverfassungen und der bisherigen Observanz bleiben.419 7. Fazit Ob man für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. von einem „Übergewicht des landesherrlichen Jus episcopale“ sprechen kann420, ist nicht ganz klar. In materieller Hinsicht trifft dies sicher zu. Formell hat Friedrich Wilhelm I., soweit ersichtlich, das bischöfliche Recht nur sporadisch in Anspruch genommen; die Einleitungsfloskeln auch der kirchlichen Edikte und Verordnungen nahmen vielmehr auf seine Autorität als weltlicher Landesherr Bezug. Nur ganz ausnahmsweise ist von den bischöflichen Rechten ausdrücklich die Rede gewesen, etwa als sich der König gegenüber dem französischen Oberkonsistorium die persönliche Entscheidung in dogmatischen Angelegenheiten vorbehielt421, oder als er den „irrigen Wahn“ zurückwies, mit welchem man das ihm von Gott zukommende ius supremum episcopale mit dem iure patronatus verwechseln wollte.422 Im allgemeinen war das Kirchenregiment in seiner Regierungszeit jedoch von einem „Übergewicht der Territorialstaatsgewalt“, nicht der bischöflichen Gewalt, geprägt. Auf diese Differenzierung kam es freilich in der Staatspraxis nicht an. VIII. Die Kirchenpolitik Friedrichs des Großen 1. Zur Lage des Kirchenwesens im allgemeinen Die Kirchenpolitik Friedrichs II. (des Großen) knüpfte an das unter seinen Vorgängern herausgebildete territorialistische Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments an. Sie war vor allem von drei zum Teil widerstreitenden Elementen gekennzeichnet: von einem – im Vergleich zu den Regierungen seiner Vorgänger – gesteigerten Maß an Freiheit der Religion und des Gewissens, von der deutlichen Betonung des Staatswohls (Staatsraison) sowie von der persönlichen religiösen Indifferenz des Monarchen. Die beiden erstgenannten Elemente ergeben sich aus der Staatsauffassung des aufgeklärten Absolutismus, das 419

Cf. Cf. 421 Cf. 624, Art. 422 Cf. 420

den Wortlaut bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 130. von Mühler, Geschichte, S. 235. das Reglement vom 13. November 1736, Mylius, CCM VI Anhang, Sp. 617– 1: „sauf Nos droits Episcopaux“. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 92.

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dritte bildet ein weiteres Beispiel für die Eigentümlichkeit, mit der das landesherrliche Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen ausgeübt wurde. Insgesamt setzte Friedrich II. mit seiner Kirchenpolitik zwar neue Akzente, konnte und wollte sich jedoch nicht von der überkommenen Staatspraxis, den „Überlieferungen des Hauses der Hohenzollern“423 absetzen. Dies betraf vor allem die Funktion des Monarchen als Oberhaupt der lutherischen Landeskirche, die auch Friedrich der Große – trotz weitgehender Delegation des Tagesgeschäfts an die Konsistorien und Regierungen – prinzipiell in vollem Umfang weiterführte. Zur Zeit des Regierungsantritts Friedrichs des Großen bestand das Herrschaftsgebiet des preußischen Staates aus drei hauptsächlichen Ländergruppen, nämlich aus der Mark Brandenburg mit Pommern und einigen angrenzenden Gebieten, daneben aus dem ehemaligen Deutschordensland Ostpreußen sowie aus den Gebieten um Kleve, Mark und Ravensberg im Westen.424 Die Bevölkerung Preußens gehörte zu jenem Zeitpunkt weit überwiegend, aber nicht ausschließlich dem protestantischen Bekenntnis an. Ungefähr neunzig Prozent der 2,3 Millionen Einwohner zählten zur lutherischen Staatskirche, drei Prozent – darunter König und Hof – waren calvinistischen Glaubens. Die verbleibenden sieben Prozent gehörten im wesentlichen der katholischen Kirche an, lebten aber nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern zunächst vor allem in den westlichen Provinzen (Kleve, Geldern, Lingen). Infolge des Erwerbs der schlesischen Gebiete sowie der ersten polnischen Teilung 1772 wuchs die Zahl der Katholiken deutlich an, so daß sich die konfessionelle Heterogenität des Staates verstärkte.425 Unter dem Einfluß der Aufklärung war der Einfluß der in früheren Zeiten dominanten Orthodoxen in der lutherischen Kirche deutlich zurückgegangen; die Kontroverse zwischen dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Götze, der noch 1766 gegen die Reformierten agitiert und 1770 gegen den Berliner Pastor Lüdke die unbedingte Geltung der symbolischen Bücher angemahnt hatte, und dem Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing als einem der Protagonisten aufklärerischer Literatur war eine der letzten bedeutenden Streitigkeiten.426 Auch wenn es selbstverständlich noch Evangelische gab, die eng an den hergebrachten Formen und Inhalten festhielten, hatte doch die öffentliche Parteinahme für die lutherische Orthodoxie deutlich nachgelassen. Das hauptsächliche Augenmerk ruhte auf der Verteidigung des Christentums an sich gegen die deistischen Thesen mancher Aufklärer; die lückenlose Konservierung der alten

423

Brandes, Geschichte II, S. 8. Cf. Strätz, Das staatskirchenrechtliche System des preußischen Allgemeinen Landrechts, S. 159 f. Näher zur territorialen und konfessionellen Entwicklung in Preußen infra Teil I, Kapitel 2, B., C. II., D. II. und III. 425 Cf. Birtsch, Religions- und Gewissensfreiheit in Preußen, S. 183. 426 Näher dazu Brandes, Geschichte II, S. 94 ff. 424

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konfessionellen Formen und kontroverstheologischen Thesen mußte dahinter zurücktreten. 2. Die persönliche Einstellung Friedrichs II. zu religiösen Fragen und die Außenpolitik Der König selbst war ungeachtet seiner hohen philosophischen Bildung religiös indifferent. Selbst dem, was in von England und Frankreich ausgehenden deistischen Lehren an religiösem Gedankengut übriggeblieben war, stand er skeptisch gegenüber427; mit Recht bezeichnet man ihn als einen „vollendeten Skeptiker“.428 Wenn er anerkannte, daß das Christentum in seiner ursprünglichen Gestalt die höchsten und reinsten Moralvorstellungen aufweise, so ging es eben nur um die Moral, die das sittliche Verhalten der Religionsangehörigen im Interesse des Staates zu beeinflussen vermochte.429 Unter den christlichen Konfessionen sei, so Friedrich der Große, die protestantische vorzugswürdig, da sie weniger als der Katholizismus mit Aberglauben, Fanatismus und Herrschsucht behaftet und daher „die wenigst schädliche“ sei.430 Sein Kriterium bestand darin zu fragen, „bei welcher Religion sich die Sittlichkeit seines Volkes am Besten befinde“.431 Gegen die katholische Kirche sprach vor allem die Gefahr, daß eine fremde Macht432 in seinem Gebiet die Oberherrschaft erlangen und dadurch die politische Integrität des Staates und – aufgrund des Alleinvertretungsanspruches des katholischen Bekenntnisses, der im Rahmen der Gegenreformation verstärkt zu Tage trat – die Gewissensfreiheit der Bürger beinträchtigen könnte. Ob unter diesem Aspekt die unter Friedrich II. geführten Kriege gegen Österreich zumindest auch als – die Verteidigung des Protestantismus bezwekkende – „Religionskriege“ angesehen werden können, ist unklar.433 Für eine 427 Dies gilt etwa für „die Meinung vom anderen Leben“. Cf. etwa die Korrespondenz Friedrichs des Großen mit dem Prinzen Heinrich (Briefe vom 4., 7., 13., 16. und 22. Dezember 1781), in: Œuvres XXVI, S. 480 ff. 428 Brandes, Geschichte II, S. 7. 429 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 38. 430 Aus der Korrespondenz Friedrichs II. mit dem Prinzen Heinrich; Œuvres XXVI, S. 480. Ausführlich hierzu Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 291 f. 431 Brandes, Geschichte II, S. 38. 432 Daß die Päpste in jener Zeit politische Ambitionen verfolgten, die sich von denen der Päpste des 20. und 21. Jahrhunderts maßgeblich unterscheiden, ist aus heutiger Perspektive kaum noch vorstellbar, aber deshalb keineswegs zu leugnen. Cf. auch Droysen, Geschichte der preußischen Politik IV/4, S. 416 ff. 433 Näher dazu Brandes, Geschichte II, S. 17 f. m. N. Eine zurückhaltende Bewertung findet sich bei Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 11: „Man fühlte, daß, wenn es gelänge, Friedrich zu unterdrücken, Österreich und die catholische Religion in Deutschland das Übergewicht erhalten würden. Diese Betrachtung machte, daß viele den Krieg, welchen Friedrich führte, als Sache deutscher Freiheit und des Prote-

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religiöse Motivation im eigentlichen Sinne bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Dem König kam es nicht darauf an, als „christliche Obrigkeit“ den wahren Glauben zu schützen, sondern vielmehr den politischen Ambitionen seiner Gegner entgegenzutreten. Daß diese der katholischen Religionspartei angehörten, eröffnete freilich die Möglichkeit, die ansonsten sekundäre Bekenntnisfrage für die politischen Ziele des Krieges zu instrumentalisieren.434 Friedrich II. schrieb während des Siebenjährigen Krieges ausdrücklich: „Was mich betrifft, so kümmere ich mich nicht darum, ob Jemand mich segnet. Stets ohne Sacrament und ohne Predigt, weder Calvinist noch Lutheraner, verzweifle ich an nichts [. . .].“435 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den zahlreichen königlichen, auch in der Vergangenheit schon üblich gewesenen Anordnungen zu Bitt- oder Dankgebeten. In den Anordnungen sowie den Gebetstexten selbst wird jeweils auf die bestehende Tradition solcher Gebete verwiesen, es finden sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kriegshandlungen als solche primär religiös motiviert waren.436 Die auch von Friedrich II. selbst aufgestellte Behauptung, mit der Eroberung Schlesiens habe man den unterdrückten Protestanten zu Hilfe kommen wollen, wird durch die Tatsache diskreditiert, daß sogar unter der katholischen Vorgängerregierung die Katholiken der größten schlesischen Stadt Breslau von den Ratsstellen ausgeschlossen waren.437 Daß die gewonnenen Kriege eine Ausbreitung der Gegenreformation verhindert, sich so auf das kirchliche und geistige Leben in Deutschland ausgewirkt und die Stellung Preußens als führende protestantische Macht verstärkt haben, kann nicht bestritten werden438; die Bezeichnung „Religionskriege“ ist jedoch überzogen.439 stantismus ansahen.“ (Hervorhebung hinzugefügt). Cf. auch Schild, Feldprediger II, S. 208: „Denn wenn auch nicht gesagt werden kann, der konfessionelle Gegensatz habe die schlesischen Kriege und später den siebenjährigen Krieg begonnen, so ist doch zu beachten, daß Friedrichs Ansprüche auf Schlesien bis in die Zeit der Reformation zurückgingen und zu letzterer in innigem Verhältnis standen.“ (Hervorhebung hinzugefügt). 434 Ausführlich hierzu Klopp, Friedrich II., S. 272 ff. 435 Friedrich II., Brief an den Marquis d’Argens vom 2. Mai 1759; Œuvres XIX, S. 64. 436 Cf. Circulare vom 17. September 1756; NCC II, Sp. 167–170; Circulare vom 4. Oktober 1756, NCC II, Sp. 173–176; Circulare vom 12. Mai 1757; NCC II, Sp. 255 f.; Circularia vom 8. November 1757, NCC II, Sp. 271 f. (an das Oberkonsistorium sowie „an den Catholischen Pater“); Circulare vom 8. Dezember 1757, NCC II, Sp. 275 f.; Circulare vom 24. Dezember 1757, NCC II, Sp. 279 f.; Circulare vom 25. Mai 1762; NCC III, Sp. 143–146; Circulare vom 12. Juli 1762, NCC III, Sp. 149– 152. 437 Cf. Klopp, Friedrich II., S. 466 f. 438 Insoweit zutreffend Brandes, Geschichte II, S. 18 f. Cf. auch Schild, Feldprediger II, S. 209: „Das Kirchengebet hielten [die Feldprediger] für den König als Landesherrn, dessen Feldzug auf Erhaltung und Wohlfahrt des Reiches und das Beste der bedrängten evangelischen Kirche abziele.“ Die hier gewählte, die Priorität des Politischen zum Ausdruck bringende Reihenfolge ist kein Zufall.

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3. Der Einfluß der persönlichen Einstellung Friedrichs II. zu religiösen Fragen auf die Innenpolitik Innenpolitisch war zur Wahrung des öffentlichen Friedens Toleranz unerläßlich, doch fand diese ihre Grenzen im Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung seines Souveränitäts- und Integritätsanspruchs. Bezeichnend hierfür ist die Formulierung Friedrichs II. in der Instruktion für den Kronprinzen Friedrich Wilhelm: „Wenn der Knabe ein fanatischer Calvinist würde: so wäre alles verloren. Es ist sehr nothwendig auch den Geistlichen zu hindern, daß er nicht frommer Weise Injurien gegen die Papisten vorbringe. Aber der Gouverneur muß seinen Zögling geschickt zu der Erkenntnis führen, daß nichts gefährlicher ist, als wenn die Katholiken die Oberhand im State haben, wegen der Verfolgung und des Ehrgeizes des Papstes, und daß ein protestantischer Fürst weit eher Herr ist in seinem Hause, als ein katholischer.“440 Daß er die evangelische Religion – in deren Kirchenwesen er Oberhaupt war – für „die beste und weit besser als die katholische“441 hielt, beruhte also auf politischen und nicht auf spezifisch religiösen Erwägungen; allenfalls ging es ihm darum, durch die Förderung des Protestantismus die Freiheit des Geistes zu gewährleisten.442 Auch Friedrich II. erkannte an, daß der Protestantismus in der brandenburgisch-preußischen Herrschaftstradition nicht nur eine Religion, sondern zugleich ein politisches Prinzip darstellte.443 Praktische Konsequenz der Auffassung, daß alle Religionen philosophisch gleich seien, war der Grundsatz der Toleranz und Glaubensfreiheit. Da er die aus Sicht der Staatsraison für das geordnete Zusammenleben der Bürger ungleich wichtigere Moral in allen Religionen in wesentlich gleichem Maße gegeben und von den dogmatischen Lehrsätzen unabhängig sah, wollte der König jedem die Freiheit lassen, diejenige Religion zu pflegen, die dem einzelnen am besten dünket. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang die Formulierung, auf Erden müsse „ein jeder nach seiner Façon selig werden“; die Religionen sollten einander „keinen Abbruch tun“.444 Maßgeblich war allein, daß sich die privat ausgeübte Gottesfurcht nach außen in guter Erziehung, Ordnung und Disziplin und damit in Loyalität zu Herrscher und Staat manifestierte. Dies galt 439

So auch Elliger, Kirche, S. 30. Friedrich II., Œuvres IX, S. 42. 441 Friedrich II., Œuvres IX, S. 42. 442 Cf. Elliger, Kirche, S. 30. 443 Cf. Hintze, Epochen, S. 100. Zur Beschränkung der Staatsämter auf Protestanten unter Ausschluß der Katholiken s. sogleich infra. 444 Aus einer Randverfügung Friedrichs II. zu einem Immediatbericht des Geistlichen Departements vom 22. Juni 1740 zitiert bei Lehmann, Preußen und die katholische Kirche II, S. 4: „Die Religionen müssen alle toleriert werden und muß der Fiskal nur das Auge darauf haben, daß keine der anderen Abbruch thue, denn hier muß ein jeder nach seiner Façon selig werden.“ 440

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gleichermaßen für Zivilbevölkerung und Militär.445 Die staatlicherseits gewährte, prinzipiell – d. h. wenn es die Staatsraison gebot – revozierbare Toleranz war demzufolge nicht allein Ausdruck religiöser Liberalität, sondern diente zugleich als „politische Waffe“.446 4. Das Verhältnis Friedrichs II. zu den katholischen Untertanen sowie den „neuen Sekten“ Trotz der erheblichen Bedenken gegenüber der katholischen Konfession, insbesondere unter außenpolitischen Aspekten, räumte Friedrich II. den Katholiken seines Territoriums erhebliche Freiheiten ein. Hatten die Katholiken noch unter Friedrich I. kein Recht zur Religionsausübung und unter Friedrich Wilhelm I. nur das – faktische und jederzeit widerrufliche – Recht zum Privatgottesdienst besessen, so gestattete Friedrich der Große 1746 den Bau einer katholischen Kirche in Berlin – Hedwigskirche, heute St.-Hedwigs-Kathedrale – ohne Größenbeschränkung; das Grundstück hierfür stellte er unentgeltlich zur Verfügung.447 Die wesentlichen Baukosten hatten die Katholiken zu tragen; der König ließ jedoch in seinem Zulassungspatent um Spenden inländischer wie ausländischer Katholiken sowie auswärtiger katholischer Fürsten werben. Das Patent ist insofern bemerkenswert, als es nach dem Willen des Königs auf jeweilige Veranlassung der katholischen Bischöfe durch die katholische Geistlichkeit von den Kanzeln herab der katholischen Bevölkerung bekanntgemacht werden sollte. Diese lapidare Anordnung liest sich, als ob die Existenz katholischer Bevölkerung und katholischer Geistlicher und die Befugnisse katholischer Bischöfe – die seinerzeit noch als „auswärtige“ Mächte galten und nicht in Preußen residierten448 – eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre. Juristisch be445 Zum Wert der positiven Religion für die Heeresdisziplin cf. das Reglement vom 13. Juli 1743: „Weilen ein Bursche, der nicht Gott fürchtet, schwerlich seinem Herrn treu dienen und seinen Vorgesetzten rechten Gehorsam leisten wird, so sollen die Offiziers den Rekruten wohl einschärfen, eines christlichen und ehrbaren Wandels sich zu befleißigen; weshalb die Offiziers, wenn sie von eines Reuters gottlosem Leben erfahren, selbigen vermahnen und davon abzuhalten suchen müssen.“ Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 46. Daß es um die religiöse Gesinnung entgegen dem Wunsch des Königs nicht immer gut bestellt war, ist eine andere Frage und dürfte weniger auf die persönliche religiöse Einstellung des Königs, als vielmehr auf das Verhalten einiger Offiziere zurückzuführen gewesen sein. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 47. 446 Maier, Warum das Alte Reich ein Hort der Toleranz war, Sp. 1. 447 Patent vom 21. November 1746; gestattet wurde die Errichtung einer Kirche mit Glocken und allen kirchlichen Auszeichnungen. Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 311 f. (Beilage zum Circulare vom 18. November 1750). Nach der Grundsteinlegung (13. Juli 1747) stiftete der König am 16. Juli 1747 überdies das Holz für den Dachstuhl und die Steine für das Fundament. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 145. Ein weiterer Kirchbau wurde in Frankfurt/Oder genehmigt. Cf. Brandes, Geschichte II, S. 20.

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trachtet war dies jedoch gerade nicht der Fall. Auch hier tritt also die „normative Kraft des Faktischen“ zutage: Aus staatspolitischer Klugheit wurde das, was faktisch gewachsen war und nicht länger ignoriert oder bekämpft werden konnte, zur Selbstverständlichkeit erklärt und großzügig gefördert, so daß die Staatsleitung ob ihrer toleranten Haltung dabei noch einen guten Eindruck hinterließ. Außerdem existierte ab November 1748 eine katholische Kirche für das im gleichen Jahr errichtete Invalidenhaus; hierfür war ein eigener Geistlicher bestellt.449 Neben den hauptamtlich angestellten katholischen Militärgeistlichen existierten – zumindest außerhalb der Hauptstadt – an manchen Orten katholische Zivilgeistliche.450 Die katholische Gemeinde der am 1. November 1773451 als „Friderici regis clementiae monumentum“452 eingeweihten Berliner Hedwigskirche erhielt 1766 – mit Wirkung vom 1. November 1773453 – die Kirchspielsrechte454 und 1779 die vollen Parochialbefugnisse.455 Dies bedeutete jedoch keine völlige politische Gleichberechtigung der Katholiken, denen auch in der Regierungszeit Friedrichs II. alle wichtigen Staatsämter verschlossen blieben. Bei der Erneuerung der Instruktion für das Generaldirektorium (1748) wurde an der Regelung, daß alle Minister und vortragenden Räte „protestantischer Religion“ sein mußten, festgehalten.456 Unmittelbar nach der Eroberung Schlesiens – noch vor der förmlichen Abtretung – verfügte Friedrich II., daß nur Protestanten die Stellen der ersten Bürgermeister, der Syndici sowie der Stadtkämmerer bekleiden durften.457 Zwar ließ der König dem Papst ausrichten, „die Katholiken in seinem 448

Näher hierzu infra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 9. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 146. 450 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 146 ff. 451 Das Datum des Weihetages (Allerheiligen) deutet auf das architektonische Vorbild der Hedwigskirche, das dem Gedächtnis aller Heiligen gewidmete Pantheon in Rom, hin. Im Patrozinium zeigt sich die Verbindung zu Schlesien. 452 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 145. 453 Die neue Regelung sollte erst mit der Vollendung der Hedwigskirche gelten. 454 Die „Versicherung“ vom 10. Juni 1766 besagte, daß „wie in dieser zu dem katholischen alleinigen Gottesdienst auf ewige Zeiten gewidmet bleibenden Kirche ohne irgends jemandes Eingreifen der öffentliche Kirchen-Gottesdienst ruhig gehalten werden soll, also auch innerhalb derselben Kirche (nach ihrer Fertigstellung) die gewöhnlichen Processiones und die Ministerialhandlungen bey kath. Personen (als Tauffen und Trauungen) denen katholischen zu dieser Kirche bestellten Geistlichen zugelassen sein sollen; wie Wir denn auch ermelter kathol. Gemeine die Beerdigung derer kathol. Leichen nach denen Gebräuchen ihrer Kirche ausdrücklich verstatten“. Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 145. Zur Problematik der Vornahme von Parochialhandlungen durch katholische Geistliche s. auch infra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 9./10. und E. VI. 2. 455 Circulare vom 18. Juli 1779; NCC VI, Sp. 1611 f. 456 Cf. Hintze, Epochen, S. 100. 457 Cabinets-Ordre vom 11. Oktober 1741; Preuß, Leben Friedrichs des Großen, Band III, S. 186. 449

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Land [würden] nicht blos geduldet, sondern selbst beschützt“458, doch blieben die Katholiken auch von den höheren Landeskollegien ausgeschlossen.459 In den durch die polnische Teilung erworbenen Gebieten ging Friedrich II. sogar hinter wohlerworbene Rechte der Katholiken zurück, indem er den im Wehlauer Vertrag von 1657 garantierten Zugang der Katholiken zu Ämtern und Ehrenstellen im Warschauer Vertrag als den Verhältnissen nicht mehr angemessen aufhob.460 Einem 1786 in Preußisch Eilau zum Stadtrichter gewählten Katholiken verweigerte Friedrich II. die Bestätigung und verwies darauf, daß Katholiken allenfalls Mitglied von Kollegialorganen werden könnten.461 Auch insoweit haben politische Opportunitätserwägungen eine wichtige Rolle gespielt: Da es für die Besetzung von Staatsämtern auf die persönliche Qualifikation der Kandidaten ankam, erschien es etwa in Schlesien offenbar als riskant, die Stellen mit Bürgern zu besetzen, die womöglich mit dem katholischen Österreich gegen Preußen konspiriert hätten. Insgesamt bestanden Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit und Loyalität der Katholiken; man rechnete mit der Gefahr, daß die Katholiken ihre Staatsämter zum Umsturz des politischen Gemeinwesens und zur Unterdrückung Andersgläubiger mißbrauchen würden.462 Dies zeugt nicht nur von einem profunden Mißtrauen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Konfessionen, sondern zeigt auch, daß die Staatsgewalt und auch die Position des Monarchen längst noch nicht in dem Maße gefestigt waren, wie dies etwa zu Zeiten des Konstitutionalismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der Fall war.463 Zur Regierungszeit Friedrichs des Großen dauerte die Entwicklung zum „modernen Staat“ noch an.464

458

Preuß, Leben Friedrichs des Großen, S. 197. 1825 wurde erstmals ein Katholik Assessor beim Kammergericht in Berlin. Cf. Klopp, Friedrich II., S. 467. Katholiken konnten gemäß der Statuten aus früherer Zeit auch nicht auf Lehrstühle der Universitäten von Frankfurt/Oder, Halle und Königsberg gelangen, da der Professoreneid für alle Fakultäten die Verpflichtung auf das evangelische Bekenntnis beinhaltete. In einem die medizinische Fakultät von Frankfurt/Oder betreffenden Fall erteilte Friedrich II. jedoch eine Ausnahmegenehmigung. Cf. Preuß, Leben Friedrichs des Großen, S. 238. 460 Näher hierzu Preuß, Leben Friedrichs des Großen, S. 188. 461 Cf. Klopp, Friedrich II., S. 468. 462 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 23. 463 Man traute sich offenbar nicht zu, die Katholiken im Staatsdienst kraft funktionierender Staatsgewalt so zu „beaufsichtigen“, daß diese nichts Böses anstellen konnten. 464 Cf. auch das vom 7. Februar 1766 datierende Circulare an alle Cammern, daß auf die Execution und würckliche Observance der Königl. Ordres gehalten werden solle; NCC IV, Sp. 81–82. Offensichtlich war die Befolgung auch der rechtmäßigen königlichen Befehle keine Selbstverständlichkeit. Dies zeigt auch der Nachdruck, mit welchem die Geistlichen zur Pflanzung und Unterhaltung der Maulbeerbaumplantagen angehalten werden mußten (s. die Nachweise infra Fn. 542 in diesem Kapitel). 459

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Anders als den Evangelischen wurde den Katholiken – für die brandenburgisch-preußische Kirchenpolitik eher unüblich – ein größeres Maß an Selbständigkeit zugestanden, wie die weitestgehende Abwesenheit von kirchenregiminalen Edikten und Verordnungen zeigt. Dies dürfte jedoch weniger religiös-konfessionelle Gründe gehabt haben, sondern vielmehr dem Umstand geschuldet sein, daß die durch die Annektionen Schlesiens und Westpreußens 1740 und 1772 hinzugekommenen katholischen Untertanen möglichst rasch für die neue Obrigkeit gewonnen werden sollten, ohne daß die prinzipielle Souveränität des Staates hierdurch geschmälert werden sollte.465 Darüber hinaus hatte die Aufsicht über das katholische Kirchenwesen in Preußen keine Tradition; es gab also weder Institutionen und Behörden noch qualifizierte Personen, die eine solche Aufsicht in kompetenter Weise hätten wahrnehmen können. Der preußischen Staatsleitung mußte klar sein, daß eine über eine allgemeine staatliche Kirchenaufsicht hinausgehende Einflußnahme auf das katholische Kirchenwesen Widerstand hervorgerufen hätte und damit dem öffentlichen Frieden abträglich gewesen wäre. Im übrigen scheint die preußische Staatsleitung erkannt zu haben, daß das Bekenntnis der Katholiken von dem der evangelischen Konfessionen sich doch in einem Maße und in einer Art unterschied, die eine minder intensive Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments ausreichen ließ. Daher wurden auch nach der Eroberung Schlesiens, durch welche der dort stattfindenden Gegenreformation Einhalt geboten wurde, die Rechte der Katholiken soweit wie möglich beibehalten. Insbesondere behielten die dortigen katholischen Geistlichen die Kirchen sowie die Einkünfte, und zwar auch dann, wenn etwa an einem Ort außer dem Pfarrer und dem Küster kein weiterer Katholik ansässig war.466 Dies zeigt ein Zweifaches: Zum einen war auch hier wieder der Gedanke der Staatsraison der bestimmende; der König war gerade deshalb tolerant, weil dies für den Staat und dessen Fortentwicklung nützlich war. Die Staatsraison der absolutistischen Monarchie genoß Priorität vor aufgeklärten Zielsetzungen.467 Zum anderen wird deutlich, daß sich die preußische Staatsleitung auch zu Zeiten des Hochabsolutismus der prinzipiellen faktischen Begrenztheit ihrer Macht bewußt war. Ohne die Loyalität und ein Minimum an Konsens seitens der Untertanen war an die Durchsetzung der Staatsgewalt nicht zu denken; fehlende Kooperation auf örtlicher Ebene durch Zwang zu kompensieren, wäre vielleicht möglich, jedoch sicher nicht im Einklang mit den Prinzipien des aufgeklärt-absolutistischen Staates und folglich auch nicht in dessen Interesse gewesen.

465

Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 293. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 211. 467 Cf. Birtsch, Friedrich der Große, S. 55, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß aufgeklärte Denkmuster für das an der Staatsraison orientierte praktische Handeln sekundär waren. 466

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Darüber hinaus duldete Friedrich der Große die in Schlesien und Westpreußen tätigen Jesuiten, obwohl der Jesuitenorden durch päpstliche Bulle vom 21. Juli 1771 verboten worden war, indem er seinerseits die Publikation der Bulle untersagte. Aufgrund des in Preußen geltenden Prinzips der materiellen Publikation entfaltete das Dokument daher im Königreich keine Rechtswirkung.468 Hintergrund des königlichen Vorgehens war insbesondere der Umstand, daß die Jesuiten in den katholischen Gebieten des Staates das Schulwesen trugen und prägten und für eine geordnete Schulbildung unentbehrlich waren.469 Auch in diesem Zusammenhang bildete also die Staatsraison das entscheidende Moment für die Motivation staatlichen Handelns, nicht etwa vorhandene – durchaus begründbare – theologische Zweifel an der päpstlichen Entscheidung, welche ihrerseits kirchenpolitische und nicht theologisch-dogmatische Gründe hatte.470 Im Verhältnis Friedrichs II. zur katholischen Kirche tritt die völlige Indifferenz des Monarchen gegenüber kirchlichen oder theologischen Zusammenhängen deutlich hervor. Seine landeshoheitlichen Rechte über die Katholiken leitete der König aus Art. V § 45 des Westfälischen Friedens her, welchen er so verstand, als sei hierdurch die päpstliche Jurisdiktion in protestantischen Landen insgesamt und nicht nur hinsichtlich der Augsburgischen Konfessionsverwandten suspendiert.471 Dies hatte zur Konsequenz, daß der König keine auswärtige geistliche Jurisdiktion über seine katholischen Untertanen anzuerkennen gewillt war; er ging sogar so weit, die Bestellung des Kardinalfürstbischofs von Sinzendorf zu Breslau als Generalvikar vorzubereiten, der seine landesherrlichen iura in sacris et spiritualibus472 im Namen des Königs über dessen katholische 468

Cf. Zeller, Friedrich der Große als Philosoph, S. 152 ff. Friedrich II. schrieb am 28. Juli 1774 an d’Alembert: „Was auch immer anderswo man den Jesuiten vorwerfen mag: sie haben sich bei mir darauf beschränkt, in ihren Gymnasien die Schulstudien zu lehren. Soll das ein Grund sein sie zu verfolgen?“ Gegenüber dem Bischof von Ermland äußerte er: „Da ich von der Jugend eurer Religion rede, habe ich mit Verdruß wahrgenommen, daß meinem Erziehungsplane der völlige Untergang bevorgestanden, als man den Jesuitenorden vernichten wollte. Denn mir kam derselbe sehr tauglich vor zur Bildung und Führung der Jugend in der Erlernung der Wissenschaften. Ich habe deshalb zur Beibehaltung des Ordens in meinen Landen alles Mögliche gethan, und der Papst selbst hat den Grundursachen, die mich bewogen, dergleichen Lehrmeister zu begünstigen, seinen Beifall nicht versagen können. Er hat vielmehr darüber sein Wohlgefallen geäußert und mir zu wissen gethan, daß er sich gegen die Patres in meinen Staaten aller Erklärungen enthalten würde.“ (beides zitiert nach Klopp, Friedrich II., S. 470 ff.). 470 Der König war im übrigen der Ansicht, daß die Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst auf „Eitelkeit, geheime Rachsucht, Ränke und vornämlich Eigennutz“ zurückzuführen sei, wie aus einem Schreiben an den Pariser Philosophen d’Alembert hervorgeht (zitiert nach Klopp, Friedrich II., S. 469). 471 s. Lehmann, Preußen und die katholische Kirche II, S. 125, 183, 323. Cf. auch Friedberg, Die Gränzen zwischen Staat und Kirche, S. 269. 472 Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 295. Daß Rieker von „landesherrlichen“ und nicht etwa von „bischöflichen, vom Landesherrn wahrgenommenen“ Rechten spricht, ist kein Zufall und entspricht der Terminologie des Circular-Reskripts 469

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Untertanen geistlichen und weltlichen Standes ausüben und unter anderem verhindern sollte, „daß auswärtige Nuntii, Provinciales oder Commissarii sich einiger Jurisdiktion in Unseren Landen anmaßen, Bullen, Befehle oder Verordnungen an Unsere Unterthanen ablassen, vielmehr verhindern, daß solche von Unseren katholischen Unterthanen angenommen werden: allermaßen alle Befehle allein von ihm als Unserem Vicario generali gegeben und in Unserem Namen publizieret werden sollen“.473 Hierdurch wollte der König die geistliche Jurisdiktionsgewalt über die preußischen Katholiken zentralisieren und auswärtige Einflüsse auf das religiöse Leben seiner katholischen Untertanen und auf die Verwaltung der katholischen Kirche in Preußen eliminieren.474 Die seit 1742 schwebenden Verhandlungen blieben jedoch erfolglos, da der an der Aufgabe durchaus interessierte Fürstbischof475 das Amt ohne päpstliche Erlaubnis nicht annehmen wollte, die römische Kurie jedoch – entgegen der erklärten Auffassung des Königs – die prinzipielle geistliche Jurisdiktion über die preußischen Katholiken beanspruchte.476 Auch dieses Beispiel illustriert die pragmatische, von der Staatsraison bestimmte Herangehensweise der preußischen Staatsleitung. Einen Kardinal der römischen Kirche als „königlichen Statthalter“ zu bestellen, war natürlich – auch damals – ein Ding der Unmöglichkeit. Unter keinen Umständen konnte ein Kardinal ein Aufsichtsamt gegen die eigene Kirche und Kirchenleitung, noch dazu „von Königs Gnaden“, wahrnehmen. Durch die Einrichtung und Besetzung dieses Amtes wurde also eher dem Prinzip der staatlichen Oberhoheit formal Genüge getan als eine wirkliche Kontrolle ausgeübt. Außerdem wurde die geistliche Jurisdiktion in Angelegenheiten der Seelsorge und Sakramentenspendung – insoweit fehlte Friedrich dem Großen unbestritten jegliche Sachkompetenz – an eine insoweit sachkundige Persönlichkeit delegiert, ohne jedoch die Letztverantwortung des Königs zu verneinen. Dem König mußte navom 25. Oktober 1783; NCC VII Sp. 2509 f. („die höchste Landesherrliche Jura in Geistlichen und Kirchen Sachen“). 473 Zitiert nach Lehmann, Preußen und die katholische Kirche II, S. 289, cf. auch S. 304, 398 sowie Laspeyres, Katholische Kirche Preußens I, S. 365 f. 474 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 157. 475 Noch der Nachfolger von Sinzendorfs, Schaffgotsch, biederte sich während des Siebenjährigen Krieges mit einem Hirtenschreiben und einem öffentlichen Kirchengebet „zur Wohlfahrt der höchsten Person des Königs und des königl. Churhauses sowie zur Erbittung des göttlichen Segens über seine gerechten Waffen“ an. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 159 f. Zu den Hintergründen der besonderen Sympathie Schaffgotschs für Friedrich II. cf. Fuchs, Art. Philipp Gotthard Graf von Schaffgotsch, Sp. 1568 f. 476 Als der seit 1745 das Apostolische Vikariat von Hannover verwaltende Weihbischof Baron Twickel von Hildesheim 1746 eine Visitation in Magdeburg, Halberstadt, Minden und Brandenburg vornehmen wollte, da ihm die geistliche Sorge für die dort lebenden Katholiken von Rom übertragen sei, widersprach der König, der seine Rechtsstellung als summus episcopus der preußischen Katholiken beeinträchtigt sah. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 157 f.

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türlich klar sein, daß eine vollständige und lückenlose Aufsicht über das katholische Kirchenwesen ohnehin illusorisch gewesen wäre. Staatspolitisch nützlich war es vielmehr, den katholischen Untertanen das größtmögliche Maß an Freiheit und Selbständigkeit zu belassen und sie dem Staat gewogen zu halten. Mit besonderem Argwohn wurden auch die Beziehungen der katholischen Militärgeistlichen zu auswärtigen Mächten verfolgt. Nachdem behauptet worden war, daß der frühere österreichische Gesandschaftsgeistliche und spätere leitende katholische Militärseelsorger P. Amadeus Torck OP bis zu seinem Tode eine Pension des kaiserlichen Hofes erhalten hatte, untersagte der König solches für dessen Nachfolger P. Jennes ausdrücklich und bestand darauf, daß die Beziehungen zwischen der kaiserlichen Gesandtschaftskapelle und der katholischen Gemeinde in Berlin beendet werden müßten; die katholischen Geistlichen in Berlin dürften nur vom König ernannt und bezahlt werden. Zwar dürfe die kaiserliche Gesandtschaft eine eigene Hauskapelle sowie einen eigenen Geistlichen haben, doch dürfe dieser nicht zugleich für das preußische Militär oder an der Hedwigskirche tätig sein. Die Antwort des Gesandten, P. Torck habe in der Gesandtschaft lediglich Aushilfstätigkeiten wahrgenommen, für die er gewissermaßen im Einzelfall entschädigt worden sei, fand nicht die Zustimmung des Königs. Dieser schärfte nochmals ein, es müsse „sein ohnabänderliches Verbleiben dabei haben, daß derjenige röm.-kath. Prediger zu Berlin, den Ich bestellen und salariren lasse, sowie auch dessen unterhabende Capläne nicht das Geringste weiter, weder an Pensionen, noch Bestreitung deren Unkosten bey der kathol. Kirche von auswärtigen Puissancen ohne Distinction weiterhin annehmen noch zu genießen haben sollen“.477 Um P. Jennes finanziell schadlos zu stellen, gewährte er diesem eine Gehaltszulage in entsprechender Höhe.478 Auch die Bestallung für den späteren leitenden Militärgeistlichen P. Elberfeld von 1773 enthielt die ausdrückliche Anweisung, dafür zu „sorgen, daß die Patres dahier sowenig als der Pater im Invalidenhause irgends einige Connexion mit fremden Gesandten haben oder in ihren Häusern Sacra administriren“.479 Im Hinblick auf die in Schlesien tätigen katholischen Militärgeistlichen hatte der König stets den Verdacht, diese würden die dort besonders zahlreichen katholischen Soldaten zur Fahnenflucht verleiten; es wurden daher Regelungen getroffenen, welche die Befugnisse der dortigen Militärseelsorger zum Abnehmen der Beichte einschränkten.480

477

Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 153. Verfügung vom 1. Dezember 1755; auszugsweise wiedergegeben bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 153. 479 Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 153. 480 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 158. Cf. auch den Fall der Inhaftierung des P. Bruns, beschrieben bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 149 mit Anm. „*“. 478

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Generell behielt sich Friedrich der Große die Anstellung und Bestätigung der ihm von dem leitenden Militärgeistlichen vorgeschlagenen Kapläne und Hilfsgeistlichen ausdrücklich vor; dies galt überhaupt für die in Berlin tätigen katholischen Geistlichen.481 Zum Wohl des Staates setzte sich Friedrich der Große sogar über geltendes Reichsrecht hinweg, wenn er – in Abweichung von den Regeln des Westfälischen Friedens – dort nicht aufgeführten religiösen Gruppierungen wie den Griechisch-Katholischen, den Unitariern und den Schwenkfeldern Aufnahme und Duldung gewährte.482 Hinsichtlich der bereits unter Friedrich Wilhelm I. stillschweigend geduldeten böhmischen Brüdergemeinden war die Rechtslage einfacher, da diese sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst im Herzogtum Preußen angesiedelt hatten, das nicht zum deutschen Reich gehörte und damit auch nicht den reichsrechtlichen Einschränkungen der Religionsfreiheit unterworfen war.483 Nachdem den Böhmischen Brüdern schon 1742 die landesweite Duldung ausdrücklich zugesichert worden war484, wurden ihre kirchlichen Verhältnisse 1746 trotz des Protests der lutherischen Geistlichkeit durch eine Generalkonzession dauerhaft geordnet; dabei attestierte man den Brüdergemeinden, daß „ihre Lehre Nichts wider die im römischen Reiche und im preußischen Staate tolerirte Religion mit sich führe“.485 Sie erhielten das Recht der freien Niederlassung im gesamten Staat, das öffentliche Religionsexerzitium und auch sonst eine weitgehende kirchliche Autonomie; sie waren noch nicht einmal den königlichen Kirchenbehörden unterworfen.486 Die Angehörigen der neben den Hauptkonfessionen existierenden Glaubensgemeinschaften mußten sich innerhalb der ihnen gesetzten Schranken halten; sie durften insbesondere nicht versuchen, Einfluß auf Angehörige jeweils anderer Bekenntnisse zu nehmen. Im Falle eines Verstoßes wurden sie „nach der Weise der Zeit und in den Formen eines absoluten Monarchen auch recht derbe“, mitunter auch mit originellen Mitteln, zurechtgewiesen, die Hallenser Pietisten etwa durch die Verpflichtung zum Theaterbesuch, nachdem sie aus religiösen Gründen gegen das Theater der Stadt opponiert hatten. Eine in Köpenick unter Leitung des dortigen Predigers tätige schwärmerische Sekte wurde 481 Den Berliner Katholiken ließ Friedrich II. am 7. August 1747 mit Blick auf deren Religionsausübung mitteilen: „Wegen Bestellung der Geistlichen aber muß es bey der bisherigen Verfassung bleiben, daß [die Katholiken] zwar dazu die Berlinischen (für das Militair bestellten) Geistlichen nehmen können, doch niemahlen Freiheit haben, einen zu bestellen, der nicht vorher von Mir schriftlich confirmiret worden wäre.“ Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 154. 482 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 256 f., sowie Büsching, Charakter, S. 138 ff. 483 Näher hierzu Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 392. 484 Resolution vom 25. Dezember 1742. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 259. 485 Damit wurde die rechtliche Unbedenklichkeit ihrer Tolerierung postuliert. 486 Generalkonzession vom 7. Mai 1746. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 259.

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verboten, weil man aufgrund der Mitwirkung des Geistlichen eine Störung der etablierten kirchlichen Ordnung befürchtete.487 5. Die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments im lutherischen und reformierten Kirchenwesen Die Kirchenpolitik Friedrichs des Großen entsprach – in der Tradition der unmittelbaren Vorgänger des Monarchen stehend – der territorialistischen Regierungspraxis und war gerade darin recht eigentümlich. Einerseits wurden die Gewährung und Aufrechterhaltung von Gewissens- und Religionsfreiheit ausdrücklich betont und als vornehmste Aufgabe des Staates deklariert488, andererseits fand eine intensive Beaufsichtigung und Überwachung der Kirchen und Religionsgesellschaften statt. Dies betraf – wie geschildert – weniger das katholische, sondern insbesondere das evangelische Kirchenwesen. Wie die vorherigen Könige und Kurfürsten in Brandenburg-Preußen war auch Friedrich II. ungeachtet seiner Zugehörigkeit zum calvinistischen Bekenntnis Oberhaupt der lutherischen Landeskirche; das landesherrliche Kirchenregiment übte er ohne wesentlichen Unterschied sowohl über lutherische als auch über reformierte Gemeinden aus. Daß der König die „Beschirmung der evangelischen Kirche“ als Aufgabe seiner Regierung ansah489, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Friedrich II. hatte ein staatspolitisches Interesse daran, für ein funktionierendes Kirchenwesen Sorge zu tragen, denn nur ein solches war in der Lage, den Bürgern des Landes die erwünschten staatstragenden sittlichen Normen und Werte zu vermitteln. Daß er seine Stellung als Inhaber des Kirchenregiments – wie etwa die brandenburgischen Herrscher der Reformationszeit – in einem theologischen Sinne als „christliche Obrigkeit“ und oberster Schutzherr der Kirche und des Glaubens verstanden hätte, kann man Friedrich dem Großen jedoch schon mit Blick auf seine nicht vorhandene eigene Religiosität nicht unterstellen. Dennoch 487 Cf. zum Ganzen Brandes, Geschichte II, S. 31 f. Die Unterdrückung der Sekte dürfte sich auf die Circular-Verordnung vom 9. Dezember 1742 (Mylius, CCM Contin. II, Sp. 91–94) gestützt haben. Die Verordnung enthält keinerlei ausdrücklichen Hinweis darauf, daß die Privatversammlungen schon aufgrund ihrer Nichtöffentlichkeit als potentiell (staats)gefährlich angesehen wurden; sie stützt sich nur auf die Gefahr von „allerhand Trennungen und Uneinigkeit unter andern Gemeinden“. Andererseits folgt sogleich die Anweisung an die Sektierer, den Gottesdienst in öffentlichen Kirchen zu besuchen. Dies deutet darauf hin, daß die Tagungsform der Konventikel doch als problematisch angesehen wurde. 488 Die unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. vor allem gegen atheistische Schriften gerichtete Zensur hob Friedrich II. schon bald nach seinem Regierungsantritt auf. Cf. Preuß, Leben Friedrichs des Großen, S. 251. Hiermit steht die Zurückberufung Christian Wolffs nach Halle in offensichtlichem Zusammenhang. Cf. Brandes, Geschichte II, S. 40. 489 So Brandes, Geschichte II, S. 10.

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galt auch für Friedrich den Großen, was über seinen Vorgänger gesagt worden war: Er war „der episcopus natus und hatte vor allen Dingen die Gewalt seinen Willen durchzusetzen“.490 Dieser so lapidare Satz weist auf die „normative Kraft des Faktischen“ hin, die für die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch die preußischen Könige insgesamt, besonders aber auch für Friedrich II., kennzeichnend gewesen ist. Friedrich der Große machte freilich in kirchlichen Dingen durchaus nicht durchgängig Gebrauch von seiner Autorität als „episcopus natus“, wie sich an der weitgehenden Delegation der Kirchenverwaltung an die Konsistorien und Regierungsbehörden – sowohl in Fragen des kirchlichen Personalwesens491 wie des Gottesdienstes – veranschaulichen läßt. Anderseits wird berichtet, daß der König Wünsche und Anträge einzelner Gemeinden mit großer Geduld und einem Entgegenkommen zu behandeln pflegte, das man dem ansonsten vielfach zu entschlossenem Handeln neigenden Monarchen kaum zugetraut hätte.492 Sowohl dies als auch die weitestgehende Delegation der Kirchenverwaltung lassen jedoch darauf schließen, daß Friedrich II. – wohl auch aufgrund seiner fehlenden eigenen Religiosität – an den Details des kirchlichen Alltagsgeschäfts kein Interesse hatte. Die mit der Kirchenverwaltung betrauten Behörden ließ er im wesentlichen gewähren, solange deren Aktivitäten nicht derartigen Anstoß erregten, daß der öffentliche Friede in Gefahr geriet493; ansonsten kam es zu Randbemerkungen des Königs, die etwa mit den Worten begannen: „Das Konsistorium seind Esels [. . .]“.494 Die Anordnungen in kirchlichen Angelegenheiten ergingen zwar zum großen Teil im Namen des Königs; dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß sie von Friedrich II. selbst im Detail so gewollt waren oder auch nur auf seine Initiative hin getroffen wurden. Zum Teil nahm sich das Oberkonsistorium auch die Freiheit, aus eigenem Antrieb tätig zu werden und verzichtete mitunter sogar darauf, Anordnungen vor ihrem Erlaß dem König vorzulegen, so etwa im Fall der Verfügung zur Einführung des neuen Ge490

Klopp, Friedrich II., S. 476. Durch die Cabinets-Ordre vom 28. Februar 1768 – NCC IV Sp. 2053 f. – wurde die Besetzung der Pfarrstellen an die Staatsminister des Geistlichen Departements delegiert, da der König die betreffenden Personen in aller Regel nicht kannte. Auffällig ist hier, daß das Recht zur Besetzung der Pfarrstellen, die – soweit es sich nicht um ältere Patronatsstellen handelt – im Wege der Nachfolge in die bischöfliche Rechtsstellung an die Landesherren gelangt ist, nicht an die zwar ebenfalls staatliche, aber wenigstens dem Ursprung nach kirchliche Behörde (Oberkonsistorium bzw. Provinzialkonsistorien), sondern an eine rein territorialstaatliche Regierungsbehörde delegiert wurde. Dies läßt darauf schließen, daß die Frage nach der Herkunft und damit nach dem genauen Rechtsgrund königlicher Befugnisse in den Hintergrund getreten und von nachrangiger Bedeutung geworden war. 492 Cf. Zeller, Friedrich der Große als Philosoph, S. 150 f. 493 So etwa beim Gesangbuchstreit, s. dazu sogleich infra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 6. 494 Zitiert nach Hintze, Epochen, S. 100. 491

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sangbuchs, die den Gesangbuchstreit nach sich zog495. Unter theologisch-dogmatischen Gesichtspunkten geriet das evangelische Kirchenwesen Preußens unter dem Eindruck von Aufklärung und Neologie in bedenklichem Maße in Verfall. Die religiöse Indifferenz des Königs und die Laissez-faire-Politik des Oberkonsistoriums, das als „Hort der Aufklärung“ galt, begünstigten diese Entwicklung. So wirkten etwa auf den Berliner Kanzeln Geistliche, deren Äußerungen Zweifel aufkommen ließen, ob ihre Lehre nicht gänzlich den Zusammenhang mit dem Christentum verloren haben könnte.496 Die Verpflichtung auf die altkirchlichen Symbole sowie auf die Dokumente der Reformationszeit, etwa die Augsburger Konfession, fand zwar nach wie vor noch statt, doch hielt man die Bekenntnisse für weit auslegungsfähig, so daß die Verpflichtung auf diese jeglichen Sinn verloren hatte. Indem man die Reformation – unter geflissentlichem Verweis auf Äußerungen der Reformatoren etwa über die „Freiheit eines Christenmenschen“ – als die Einräumung weitgehend schrankenloser Freiheit auf kirchlichem Gebiet ansah, wurde auch die Verpflichtung auf die reformatorischen Bekenntnisschriften auf eine reine Verpflichtung auf diese „Freiheit“ reduziert.497 Das Oberkonsistorium rechnete es sich dabei geradezu als Verdienst an, daß es gegen die lehramtlichen und liturgischen Mißstände nicht einschritt und einen „weisen Geist des Nachgebens gegen die Freiheit der Gemeinden“ an den Tag legte.498 Ungeachtet der unter seinen Vorgängern festzustellenden Unionstendenzen wirkte sich die religiöse und konfessionelle Indifferenz Friedrichs II. – er war persönlich der Ansicht, die bekenntnismäßigen Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten seien solche, die „ohnedem nichts bedeuteten“499 – im Hinblick auf die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments dahingehend aus, daß der Unterschied der beiden evangelischen Bekenntnisse respektiert und eine formale Kirchenvereinigung nicht weiter verfolgt wurde.500 Auch insoweit 495

Cf. Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 258. Cf. hierzu auch die Äußerungen des Königs Friedrich Wilhelm III. bei Eylert, Charakterzüge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III., Band I, S. 460 ff. 497 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 103. Einen Einzelfall mag die „Verirrung“ eines Geistlichen darstellen, der bei einer Taufe in Anwesenheit des als Paten fungierenden Königs Friedrichs II. das Sakrament „im Namen des großen Königs“ spenden wollte, doch weist allein die Tatsache, daß ein solches Vorkommnis möglich war, auf den theologisch bedenklichen Zustand der Landeskirche hin. 498 s. von Mühler, Geschichte, S. 260 mit ausführlicher Schilderung der Mißstände (S. 258 ff.). 499 So in der Instruktion für das lutherische Oberkonsistorium vom 4. Oktober 1750; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298. 500 Friedrich II. hielt persönlich sogar einen Bekenntnispluralismus für vorzugswürdig, wie er in einem frühen Aufsatz, De la religion sous la Réforme (De la superstition et de la réligion, Article troisième), schreibt (Œuvres I, S. 236 f.). Cf. auch die Bemerkung in einer Kabinettsorder von 1783: „Meine Willensmeinung ist, daß alle 496

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galt eben das „suum cuique“. Gegen Simultanverhältnisse im Bereich des evangelischen Kirchenwesens hatte Friedrich der Große, soweit ersichtlich, keinerlei Bedenken.501 Die unter Friedrich Wilhelm I. mittels staatlicher Gesetze vorangetriebene Angleichung der lutherischen und reformierten liturgischen Konventionen – das Verbot der Chorröcke, Kaseln, Altarkerzen etc. – wurde bereits unmittelbar nach dem Regierungsantritt des Königs502 zurückgenommen.503 Das ist umso bemerkenswerter, als die Anordnungen – im Gegensatz zu späteren Verfügungen – „aus höchst eigener Bewegung“ heraus ergingen. Wenn auch eine entsprechende Initiative der lutherischen Geistlichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, so wird doch deutlich, welche Bedeutung der neue König der Angelegenheit beimaß. Der ausdrückliche Hinweis auf die angesichts seiner persönlichen religiösen Indifferenz überraschende – oder zumindest überraschend frühzeitig erfolgende – Eigenintiative des Königs könnte jedoch auch darauf hindeuten, daß die Maßnahme gegen den Widerstand aus unionsgeneigten Kreisen, etwa aus dem Konsistorium, erging. Daß die Regelung der liturgischen Details nunmehr den einzelnen Ortsgemeinden überlassen wurde, macht deutlich, daß der König auf die Bedürfnisse und Wünsche des „einfachen Kirchenvolks“ Rücksicht zu nehmen bereit war. Auch im Falle der Genehmigung der Frühbeichten504 wurde eine unter der Vorgängerregierung getroffene Regelung zurückgenommen. Hier zeigt sich erstmals ein Motiv, das in den kirchenregiminalen Anordnungen Friedrichs II. noch verschiedentlich wiederkehrt: die besondere Rücksichtnahme auf die Interessen der örtlichen Gemeinden, insbesondere zum Schutz gegen die Willkür der Geistlichen.505 Erkennbar ist dies hier an der ausdrücklichen Bezugnahme auf die „einliegende allerunterthängiste Vorstellung der supplicirenden Schulzen“ sowie auf die Möglichkeit, daß auch „bey andern Gemeinden und auf ihr Verlangen“ entsprechend verfahren werden sollte.506 Die Anregung zu der Kabinettsorder ging also nicht von der lutherischen Geistlichkeit, sondern von den weltlichen örtlichen Autoritäten aus, die ihrerseits die Wünsche des „gemeinen die Religionen, die ihren Gottesdienst hier im Lande haben, sollen das so haben, wie sie wollen, ohne sie zu stören. Die Lutheraner auf ihre Weise, und die Reformierten eben so gut, wie die anderen; überdies ist diese ja die Familienreligion.“ Cf. G. H. L. Nicolovius, Erinnerungen, S. 313. 501 Cf. Jacobson, Reformierte, S. 312. 502 Am 31. Mai 1740. 503 Cabinets-Ordre vom 3. Juli 1740; Mylius, CCM Contin. I, Sp. 349–352; Resolution vom 29. Juli 1740; Mylius, CCM Contin. I, Sp. 367 f. 504 Cabinets-Ordre vom 14. September 1743; publiziert durch Reskript vom 19. September 1743; Mylius, CCM Contin. II, Sp. 151 f. Gemeint waren die Beichten am Sonntag vormittag; unter Friedrich Wilhelm I. war verfügt worden, daß nur am Samstag nachmittag gebeichtet werden durfte. 505 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 29.

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Kirchenvolks“ verbalisierten. Hierauf wollte der König im Rahmen des suum cuique und als Hüter der Gewissensfreiheit – wie schon bei der Rücknahme der liturgischen Vorschriften – Rücksicht nehmen. Das auch dem Eingreifen des Monarchen im Gesangbuchstreit zugrundeliegende Anliegen, die einfachen Gläubigen vor dem „elitären Despotismus“ der geistlichen Oberen und Prediger zu schützen507, kam also bereits hier zum Tragen. Ähnlich verhielt es sich mit der gänzlichen508 Wiederabschaffung der unter Friedrich Wilhelm I. für alle Evangelischen (wieder-)eingeführten Kirchenbuße.509 Zwar ist hier nicht ersichtlich, auf wessen Anregung hin die königliche Anordnung erging, doch wird zur Begründung angeführt, daß „die Gemüther derjenigen, so sich etwa vergangen haben, [durch die Kirchenbuße] mehr verbittert als gebessert“ worden seien; die Kirchenbuße habe „nur zu scandale, und noch wohl übleren Suiten Gelegenheit gegeben“. In erster Linie war die Abschaffung der Kirchenbuße also durch die Interessen der Untertanen motiviert, erst an zweiter Stelle kommt mit der Skandalträchtigkeit der öffentliche Friede, das Allgemeinwohl, die Staatsraison ins Spiel. Im Interesse des Staates war es freilich auch, die öffentliche Kirchenbuße nicht ersatzlos zu streichen, sondern statt dessen ein diskretes, ausdrücklich der Beichte angeglichenes510, ansonsten aber formloses Verfahren zur Besserung der betroffenen Untertanen vorzusehen. Hier war die Kirche als Institution in die Pflicht genommen, welche die Menschen „zu einem bessern Leben und Wandel anzumahnen“ hatte. Unklar ist, ob das an die Prediger gerichtete Verbot, „aus eigener Autorität und nach Gefallen Leute vom Abendmahl abzuweisen“511, allein dem Schutz von Individualinteressen dienen sollte. Zwar wurden die Gemeindemitglieder hierdurch vor der Willkür der örtlichen Geistlichen geschützt, doch könnte die Anweisung, einen Ausschluß vom Abendmahl nicht „ohne vorherige Rückfrage bey dem Consistorio“ vorzunehmen, auf das inzwischen gewachsene Selbstbewußtsein dieses Gremiums hindeuten, da die Verordnung immerhin in der Frage der Sakramentenzulassung eine Kompetenzverlagerung von der örtlichen auf die zentrale Ebene bedeutete. Die Autorität des Konsistoriums gegenüber den örtlichen Geistlichen wurde hierdurch und durch ähnlich strukturierte Vorschriften gestärkt. Im Rahmen der Territorialisierung der Kirchenverwaltung erschienen die Ortspfarrer – in Analogie zur Beamtenhierarchie der allgemeinen Staatsver506 Die Cabinets-Ordre bezog sich ursprünglich nur auf die Gemeinden der Steinhüffelschen und Tempelbergschen Heide, sollte aber auf begründeten Antrag anderer Gemeinden auf diese ausgedehnt werden. 507 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 114. 508 Nach dem Wortlaut des Circulars galt dieses für Lutheraner und Reformierte gleichermaßen. 509 Circulare vom 20. Juni 1746; NCC III (Suppl.), Sp. 1245–1248. 510 „. . . alles sub fide pastorali, als in der Beichte gesprochen“. 511 Verordnung vom 27. März 1748; NCC III (Suppl.), Sp. 1247–1250.

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waltung – zunehmend wie weisungsgebundene Untergebene der zentralen Kirchenbehörden. Dieser Zustand wurde durch die Exemtion der landesherrlichen Beamten vom Parochialzwang512, welche bei den weltlichen Beamten „Verweltlichung, [. . .] Hochmuth gegenüber den Pastoren und [den] Trieb zur Beherrschung der Kirche“ hervorrief und förderte513, noch verstärkt. Eine pragmatische Konsequenz der Auffassung Friedrichs, daß es zwischen den beiden evangelischen Bekenntnissen keinen wesentlichen Unterschied gebe, bestand darin, daß lutherische Theologen an reformierten Universitäten studieren können und Leistungsnachweise lutherischer und reformierter Hochschullehrer gleichwertig sein sollten.514 Die wenig ausgeprägte Sensibilität des Monarchen gegenüber bekenntnisrelevanten Fragen äußerte sich auch in der Art und Weise, mit der im Bereich des evangelischen Kirchenwesens kraft des landesherrlichen Kirchenregiments Anordnungen getroffen wurden. Kennzeichnend ist etwa die an den lutherischen Prediger des Stiftes Heiligengrabe gerichtete Anweisung, den reformierten Kapitelsfräulein auf Verlangen das Abendmahl „ihrer Confession gemäß, und nach dem Gebrauche derer hiesigen Reformirten“ zu reichen.515 Die Anordnung diente einem vordergründig „vernünftigen“ Zweck: Für diese Amtshandlung sollte nicht eigens ein reformierte Prediger aus Berlin anreisen müssen, was gerade im Winter – daher der Erlaß im September – eine beschwerliche Angelegenheit war. Vor dem Hintergrund des – bis heute – fortbestehenden Dissenses zwischen Lutheranern und Calvinisten in der Abendmahlslehre erscheint ein solcher Pragmatismus allerdings fragwürdig. Theologisch bedenklich war auch die Maßnahme, im Zuge der Wiederaufrichtung und Neubelebung des evangelischen Kirchenwesens in Schlesien nach dessen Eroberung die Rechte der Katholiken dergestalt wahren zu wollen, daß jedem evangelischen (Ober-)Konsistorium in Schlesien ein katholischer Prälat als beisitzender Rat angehören und die Rechte seiner Religionspartei wahren sollte.516 Dies macht deutlich, wie wichtig für Friedrich II. die Wahrung des religiösen und zivilen Friedens war. Gleichzeitig unterstreicht diese Regelung

512 Eine solche Exemtion findet sich erstmals in einem Reskript vom 21. August 1696, wiedergegeben bei J. H. Boehmer, Jus parochiale, sect. IV, c. 1 § 13. Diese Praxis ging auf eine seit dem 17. Jahrhundert vielfach vertretene Lehre zurück, die von der Identität von Herrn und Diener ausging, die deshalb – wie der Landesherr – vom Parochialzwang befreit waren. Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 246. 513 Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 246. 514 Edikt vom 2. März 1752; NCC I, Sp. 283–286. 515 Reskript vom 13. September 1748; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 77 f. Zu einer ähnlichen Regelung im Bereich der Militärseelsorge aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. s. supra Kapitel 1, C. VII. 2. 516 Cf. Schild, Feldprediger II, S. 211.

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den Charakter des Konsistoriums als einer primär staatlichen und nicht im eigentlichen Sinne kirchlich-konfessionellen Behörde; im letzteren Fall wäre die Mitwirkung eines Katholiken an der evangelischen Kirchenleitung eine geradezu groteske Vorstellung. Neben dem Schutz des Individuums sowie der örtlichen Gemeinden vor ungebührlichem Zwang in Glaubensdingen war also – unter dem Aspekt der Staatsraison – in erster Linie die Aufrechterhaltung des inneren Friedens, dem ein Streit zwischen den Religionen oder Konfessionen abträglich gewesen wäre517, von Bedeutung. Die Toleranz ging so weit, daß jeder Untertan außer den zugelassenen Bekenntnissen auch seine Privatreligion haben oder behalten konnte, vorausgesetzt, er störte die bestehende kirchliche Ordnung nicht und gebärdete sich auch sonst als „guter Bürger“.518 Anders als seine Vorgänger strebte Friedrich II. die Vereinigung der Bekenntnisse nicht im kirchlichen Bereich, sondern auf der Ebene der bürgerlichen Gesellschaft an.519 Mit der Säkularisierung der Religion520 – hin zur Vernunftreligion – ging also auch eine weitere Säkularisierung der kirchlichen Unionspolitik und des landesherrlichen Kirchenregiments insgesamt einher. Religiöse Freiheit und konfessioneller Friede waren dabei also nicht um ihrer selbst willen oder aus religiösen Motiven, son517 Der König war der Ansicht, daß alle kirchlichen Parteien die Neigung besaßen, einander zu unterdrücken, was sich zum Nachteil des Staates auswirken könne: Es bestehe die Gefahr, daß der „Parteigeist, der Fanatismus, die Eifersucht [die Religionsparteien] zu Kriegen fortreißen, deren Wuth die Staaten verwüsten würde [. . .]“ Cf. Friedrich II., De la superstitution et de la religion – De la religion sous la Réforme, Œuvres I, S. 237, 240. 518 In De la religion sous la Réforme (s. vorherige Fn.) schreibt Friedrich II. über die verschiedenen Sekten, die ihm „die eine noch lächerlicher als die andere“ erscheinen: „[D]iese Secten leben hier im Frieden und tragen auf gleiche Weise zum Wohle des Staates bei. Es giebt keine Religion, welche sich hinsichtlich der Moral sehr weit von der anderen unterscheidet, daher können sie denn alle der Regierung gleich gelten, welche in Folge dessen auch einem Jeden die Freiheit läßt, auf dem Wege den Himmel zu suchen, der ihm gefällt. Daß er ein guter Bürger sei, das ist Alles, was sie von ihm fordert; der falsche Eifer aber ist ein Tyrann, welcher die Lande entvölkert, wogegen die Duldung eine zärtliche Mutter ist, die sie pflegt und zur Blüthe bringt.“ (S. 241 f.). 519 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 29 ff.: „Mannigfaltigkeit auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens, aber Einheit auf dem des Staates“ (S. 32). 520 Symptomatisch für die Säkularisierung der Religion ist auch ein Circulare vom 3. Mai 1774; NCC V D, Sp. 295 f., das für die Zwecke der Auszahlungen durch die Domänenkammern die Termine „Crucis, Luciä, Reminiscere und Trinitatis“ standardmäßig auf den 1. Juni, 1. September, 1. Dezember und 1. März eines Jahres festlegt. Die Abfolge der Kalenderdaten stimmt jedoch nicht mit der Abfolge der liturgischen Feiertage (14. September, 13. Dezember, erster Fastensonntag, Sonntag nach Pfingsten) überein. Für das Verständnis des Rundschreibens war dies zwar ohne Belang; gleichwohl weist diese Unachtsamkeit auf die zunehmende Entfremdung der Verfasser des Rundschreibens – es ist unterzeichnet von den Mitgliedern des Generaldirektoriums Valentin von Massow, Joachim Christian von Blumenthal, Friedrich Wilhelm von Derschau und Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert – von dem religiösen Hintergrund dieser Daten hin.

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dern aus säkularen Erwägungen und letzten Endes zur Förderung des Staatszwecks erwünscht. Daß die Staatsauffassung Friedrichs des Großen, aber auch der Beamten der staatlichen Bürokratie, maßgeblich durch die politische Theorie des Naturrechts beeinflußt war, ist unbestritten.521 Nach dem Territorialsystem hatte der Landesherr in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt die Aufgabe, die äußere Ordnung des Kirchenwesens zu wahren, den Kirchen aber hinsichtlich der inneren Kirchenangelegenheiten volle Autonomie einzuräumen.522 Die weitestgehende Abhängigkeit der lutherischen Landeskirche sowie ihrer Amtsträger von den staatlichen Instanzen war eine unmittelbare Konsequenz hieraus. Dabei warf die für die Beurteilung der staatlichen Regelungsbefugnis in kirchlichen Angelegenheiten bedeutsame Abgrenzung von „äußeren“ und „inneren“ Kirchenangelegenheiten weniger praktische Probleme auf als unter den Regierungen Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms I. sowie Friedrich Wilhelms II., als die Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments durch zahlreiche umstrittene Detailregelungen in spezifisch kirchlichen Bereichen wie Bekenntnis, Liturgie und Ämterbesetzung gekennzeichnet war.523 Einen weitgehenden Eingriff in die spezifisch kirchlichen Angelegenheiten stellte jedoch die Verlagerung der Gerichtsbarkeit in Ehe- und Disziplinarsachen von den Konsistorien auf die weltlichen Gerichte dar.524 Die amtliche Begründung der Maßnahme war dürr, nach dem Wortlaut des Edikts erfolgte die Kompetenzverschiebung lediglich „bewegender Umstände halber“. Für die Vermutung525, man habe lediglich die prozessuale Behandlung der Ehesachen verbessern wollen und daher auch das materielle Recht unangetastet gelassen526, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte. Auch sind aus jener Zeit keine Mißstände im kirchlichen Prozeßwesen bekannt, die hätten korrigiert werden müssen. Vielmehr wurde unter territorialistischen Gesichtspunkten jegliche Rechtsprechung – auch im kirchlichen Bereich – als staatliche Aufgabe angesehen. Indem der Staat seine oberrichtliche Macht über kirchliche Angelegenheiten in Anspruch nahm, verhinderte er zum einen, daß die Kirche einen „Staat im Staate“ bildete und die so gewonnene Autorität zur Unterdrückung der Ge521 Cf. Birtsch, Religions- und Gewissensfreiheit in Preußen, S. 178. Zum Einfluß der Naturrechtslehre auf namhafte preußische Staatsbeamte s. etwa Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont. 522 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 33: Es war Aufgabe des Staates, „den kirchlichen Frieden zu bewahren und der Schirmherr der Gewissensfreiheit zu sein“. 523 s. dazu supra Kapitel 1, C. VI./VII. sowie infra Teil II, Kapitel 1 und 2. 524 Edikt vom 10. Mai 1748; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 51 f. 525 So von Mühler, Geschichte, S. 243. 526 Nach einer Ordre vom 3. Juni 1740 – Mylius, CCM Contin. I, Sp. 341 f. – und einem Decret vom 4. November 1757 – NCC II Sp. 271 f. – war und blieb das „klare Wort Gottes“ Basis des christlichen Eherechts.

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wissensfreiheit der Bürger mißbrauchte.527 Die Motivation war also auch hier eine doppelte: Stärkung der Autorität des Staates und Schutz der Freiheit der (einfachen) Bürger. Daß es sich bei den Ehesachen sowie der gleichfalls an die ordentlichen Gerichte gefallenen Jurisdiktion über Leben und Wandel der Geistlichen um spezifisch kirchliche Angelegenheiten handelte, mit deren Behandlung die ordentlichen Gerichte sachlich überfordert waren, wurde anscheinend nicht bedacht. Gleiches gilt für die Frage, ob die Entscheidung, kirchliche Jurisdiktion dem Grundsatz nach – und nicht nur ausnahmsweise – durch staatliche Gerichte ausüben zu lassen, mit dem Gebot zulässiger kirchlicher Autonomie vereinbar gewesen wäre, zumal die kirchliche Jurisdiktion in Ehe- und Disziplinarangelegenheiten – historisch betrachtet – eine originär kirchliche und spezifisch bischöfliche Aufgabe gewesen war.528 Die fehlende Sensibilität der preußischen Staatsleitung für diese Fragestellungen ist jedoch auf deren zunehmende Entfremdung von der kirchlichen Praxis529 sowie darauf zurückzuführen, daß zur Regierungszeit Friedrichs II. die Gewährung persönlicher Freiheit gegenüber der Einräumung korporativer Autonomie im Vordergrund stand.530 Die Übertragung der Ehegerichtsbarkeit an die staatlichen Instanzen wurde in der späteren Literatur meist mit der pauschalen und nicht weiter belegten Behauptung begründet, daß es sich nur um die Zurücknahme einer zuvor vom Staat an die Kirche übertragenen Kompetenz und daher um eine „Rückübertragung“ handle.531 Die Behauptung läßt sich auch nicht weiter erhärten; von einer früheren Übertragung einer originär staatlichen Ehegerichtsbarkeit an die Kirche, die sie seitdem als abgeleitete Kompetenz ausgeübt hätte, kann keine Rede sein. Das Problem der nicht zu belegenden und daher fehlenden Legitimität der Maßnahme wurde mit dieser Form der Begründung also nicht gelöst, sondern nur in die Geschichte verlagert.532 Die Übertragung der Jurisdiktion in Disziplinaran527

Cf. Brandes, Geschichte II, S. 33 f. Cf. allgemein zur Funktion der Konsistorien als Disziplinarinstitutionen Jacobson, Disciplinarrecht, S. 243 ff. 529 Zu Recht spricht von Mühler, Geschichte, S. 242, von einem „Mangel einer in dem innersten Kerne der Kirche wurzelnden Auffassung ihrer einzelnen Einrichtungen“. 530 Die organisatorische und institutionelle Trennung von geistlicher Verwaltung und Rechtsprechung war jedoch kein spezifisch preußisches Phänomen, wie die Entwicklung in Mecklenburg-Strelitz (1774), Hessen-Darmstadt (1803), Sachsen-Weimar (1804), Eisenach (1806) und Coburg (1807) zeigt. Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 245, Anm. 18. 531 s. etwa Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 245: „Dagegen war [die Übertragung der Ehesachen] zwar nur eine Zurücknahme dessen, was die Kirche vom Standpuncte ihres Principes aus von dem Staate ableiten mußte.“ 532 Cf. auch Brandes, Geschichte II, S. 33, der die „Versuche“ beschreibt, „dasjenige von den bisherigen Functionen der kirchlichen Beamten, welches man als dem Staate als solchem zugehörig ansah und von dem man sagte, daß es den kirchlichen Behör528

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gelegenheiten an den Staat konnte auf diese Weise ohnehin nicht gerechtfertigt werden.533 Unter diesem Aspekt war die Errichtung des lutherischen Oberkonsistoriums eine konsequente Fortführung des territorialistischen Gedankens, daß die Grundfunktionen des Staates – hier Verwaltung, dort Rechtsprechung – auch von staatlichen Behörden wahrgenommen werden sollten. Infolge der zunehmenden Verlagerung von Aufgaben von den Konsistorien hin zum Geheimen Rat sowie der allgemein zunehmenden Verwaltungstätigkeit im Kirchenwesen war das Bedürfnis nach einer zusätzlichen obersten Spezialbehörde für die Verwaltung der lutherischen Kirche immer deutlicher geworden.534 So wurde 1750 – nach sächsischem Vorbild – das bisherige Berliner Konsistorium zum Oberkonsistorium erhoben und unter Beibehaltung seiner bisherigen Aufgaben für die kurmärkische Kirche als allgemeine oberste Aufsichtsbehörde für die übrigen Konsistorien eingerichtet.535 Seinem Charakter als „delegiertes Kollegium“ des Geistlichen Departements entsprechend, wurde dessen leitender Minister – zunächst der Staats- und Kriegsminister von Danckelmann – Chefpräsident des Oberkonsistoriums, zu dessen Mitgliedern – wie seit 1637 in fragwürdiger Praxis üblich536 – stets ein reformierter Geistlicher zählte. Von diesem Umstand abgesehen hatte das Oberkonsistorium den Charakter einer konfessionellen lutherischen Behörde. Auf diese Weise wurde die lutherische Landeskirche in den meisten preußischen Provinzen zumindest verwaltungstechnisch zur Einheit gebracht.537 Immerhin wurde der seit 1748 immer mehr als unhaltbar empfundene Zustand538 der gerichtlichen Rechtspflege nach einiger Zeit im Wege der Gesetzgebung korrigiert. 1782 gelangte die Jurisdiktion in Ehesachen an die Konsistorien zurück539; dies geschah „aus landesväterlicher Huld und Vorsorge für das allgemeine Beste des Staates und den Privatwohlstand Unsrer getreuen Unterden lediglich von Seiten des Staates übertragen sei, diesen Letzteren wieder abzunehmen und es an reine Staatsbehörden zu übertragen.“ Die Skepsis Brandes’ gegenüber dieser Begründung ist offenkundig. 533 So auch Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 245. 534 Hintze, Epochen, S. 96 f. 535 Die Instruktion datiert vom 4. Oktober 1750; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291– 298. Weitere Materialien bei Treue, Acta Borussica, Behördenorganisation, Band 7–9. Ausführlich hierzu von Mühler, Geschichte, S. 232 ff. 536 Näher hierzu supra Kapitel 1, C. IV. 2. 537 Hintze, Epochen, S. 97. Die Provinzen Schlesien und Cleve-Mark waren jedoch von der Zuständigkeit des Oberkonsistoriums ausgenommen; die schlesischen Konsistorien wurden von einem besonderen geistlichen Minister beaufsichtigt, während man die lutherischen Kirchen in Cleve-Mark wohl sich selber überließ, so daß die dort gültige Presbyterial- und Synodalverfassung erhalten blieb. 538 Näher zu den Mißständen von Mühler, Geschichte, S. 243 ff. 539 Edikt vom 17. November 1782; NCC 1782, Sp. 1613.

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thanen“.540 Die Maßnahme war also ausdrücklich nicht religiös, sondern weltlich – durch die Staatsraison – motiviert. Bereits 1760 war die Erstzuständigkeit der Konsistorien für die Jurisdiktion über die Geistlichen wiederhergestellt worden, freilich nicht mit voller Konsequenz, indem die Sanktionierungsbefugnisse der Konsistorien ausdrücklich eingeschränkt blieben.541 Daß die Disziplinarangelegenheiten nicht vollständig an die kirchliche Behörde als das kraft Natur der Sache zuständige Organ zurückfielen, lag daran, daß das territorialistische Prinzip des staatlichen Primats in den Bereichen Verwaltung und Rechtsprechung nicht angetastet werden sollte. Hinzu kam, daß die Geistlichen überwiegend als Staatsdiener angesehen wurden. Sie übernahmen Funktionen im Personenstandswesen (Führung von Populationslisten) sowie in der Polizeiverwaltung (Bekanntmachung von Polizeiverordnungen von der Kanzel herab) und sollten zudem der Seidenproduktion zuarbeiten, indem sie für die Anpflanzung von Maulbeerbäumen auf Kirchengrund Sorge zu tragen hatten. Letztere Funktion erschien der Staatsleitung immerhin so wichtig, daß im Zeitraum von 1748 bis 1784 nicht weniger als fünfzehn Anordnungen ergingen, welche den Predigern und Inspektoren nicht nur die – offensichtlich nur mit geringem Engagement ausgeübte – Pflanztätigkeit nachdrücklich einschärften, sondern sich auch mit Detailfragen der Fütterung und Pflege der Seidenraupen sowie der Ablieferung der Seidencocons befaßten.542 Daß den Geistlichen kraft der im Königreich Preußen bestehenden Staatsund Kirchenverfassung zumindest auch als Staatsdiener Rechte und Pflichten zukamen, ist nicht zu bestreiten, doch wurde kaum beachtet, daß die Prediger 540

Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 246. Edikt vom 16. Mai 1760, NCC II, Sp. 419–424. 542 Reskript vom 31. Oktober 1748 und Reglement vom 31. Januar 1750; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 85 f., 215–218; Reglement vom 7. September 1752, NCC I, Sp. 361–364; Circularschreiben vom 17. Mai 1753 und 30. März 1758, NCC II, Sp. 505– 508, 291–294; Instruction vom 1. August 1765 und Verordnung vom 16. August 1765, NCC III, Sp. 999–1004, 1007–1020; Circularschreiben vom 8. Oktober 1767, 21. April 1768, 20. September 1768 und 24. Mai 1769, NCC IV, Sp. 983 f., 3059–3062, 4091–4094, 5789–5800; Circularschreiben vom 10. August 1772, NCC V E, Sp. 487– 490; Circularschreiben vom 5. Februar 1778, NCC VI, Sp. 1204 f.; Circularschreiben vom 14. November 1782 und Reskript vom 28. Juli 1784, NCC VII, Sp. 1611–1614, 2895 f. Die vorrangige Betrauung der Geistlichen mit dem Seidenbau fand auch bei anderen Gelegenheiten Erwähnung. Cf. etwa die „Verordnung wegen der auf publicken Plätzen befindlichen Maulbeer-Bäume und des Seiden-Baues“ vom 20. April 1751; NCC I, Sp. 69–72. Am Beginn standen die in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. erlassene „Verordnung an alle Inspectores, daß auf denen Kirch-Höffen MaulbeerBäume gepflantzet werden sollen“ vom 9. Januar 1719; Mylius, CCM I/1, Sp. 531– 534, sowie das von Friedrich dem Großen erlassene „Edict wegen Anlegung der Plantagen von Maulbeer-Bäumen“ vom 12. November 1742; Mylius, CCM Contin. II, Sp. 83–86. Nach dem Tode Friedrichs II. hörte der seitens der Staatsleitung geübte Druck auf. Ausführlich zum Zwangscharakter des Seidenbaus in Brandenburg-Preußen Mieck, Preußischer Seidenbau im 18. Jahrhundert, insbes. S. 484 f., 491, 497 f., sowie Wienecke, Der märkische Seidenbau, passim. 541

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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der inneren Bedeutung ihres Berufes nach in erster Linie Diener der Kirche und nicht des Staates sein sollten.543 Die für Staatsbedienstete allgemein üblichen Formen und disziplinarrechtlichen Ordnungen wurden analog auf Geistliche angewendet, ohne kritisch zu hinterfragen, ob es sich überhaupt um eine analogiefähige Gruppe handelte.544 Unstimmigkeiten mit dem schon unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. grundgelegten, unter Friedrich II. – sicherlich begünstigt durch dessen religiöse Indifferenz – ausgebauten territorialistischen Regierungsprinzip konnten so nicht entstehen. 6. Der Gesangbuchstreit Die Kontroverse um die Ersetzung des Porstschen Gesangbuchs, der sich hauptsächlich gegen Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen zugetragen, aber noch weit in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. hineingereicht hat545, spiegelt die kirchlichen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber auch die Art und Weise, wie zu jener Zeit das landesherrliche Kirchenregiment ausgeübt wurde, in examplarischer Weise wider. Deutlich wird sowohl das ausgeprägte Interesse des Monarchen an der geistigen Bildung der Untertanen als auch die Vorsicht, mit der dies seiner Meinung nach zu geschehen hatte.546 Materiell betrachtet war der Gesangbuchstreit symptomatisch für den Konflikt zwischen dem Kirchenvolk einerseits und den Predigern und Mitgliedern der Kirchenleitung andererseits. Letztere hatten die erklärte Absicht, als gute Hirten und Väter die Gläubigen durch „richtige“ Katechismen, Gesangbücher und Agenden sowohl aufzuklären als auch in der religiösen Wahrheit zu erhalten; beide Zielsetzungen waren – aus Sicht der Prediger und Kirchenfunktionäre – deckungsgleich. Ging es funktional um das Verhältnis von Selbst- und Fremdaufklärung, von Autonomie und Autorität, so betraf der Gesangbuchstreit in inhaltlicher Hinsicht das Verhältnis von Orthodoxie und Neologie.547 543 Daß die Geistlichen dagegen z. T. nichts einzuwenden hatten und sich ihrerseits der Vernunftreligion zuwandten, ist eine andere Frage. Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 246: „Die Geistlichen fühlten sich nicht mehr als Diener der Kirche [. . .], sondern sie fanden ihren Ruhm darin, Staatsdiener der sechsten oder siebenten Rangclasse zu sein; sie übten nicht den Dienst am Worte, sondern durch Worte, und anstatt die Müsehligen und Beladenen mit dem Evangelium zu trösten, hatten sie nichts eifriger zu thun, als sie aufzuklären.“ 544 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 251 f. Dieses System liegt im wesentlichen noch dem Preußischen ALR, Teil II, Titel XI, §§ 124, 125, 143, 530–534, zugrunde. S. hierzu Svarez, Schlußvorträge, S. 177. Erst mit der Gesetzgebung von 1805 und 1822 kehrte man zu einem angemessenen System zurück, in dem eine kirchliche Behörde ohne Einmischung der Gerichte tätig wurde und ein geordneter Instanzenzug von den Konsistorien zum Ministerium der geistlichen Angelegenheiten bestand. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 252 (Anm.). 545 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 110 f. 546 Cf. Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 258.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Bei dieser die lutherische Kirche betreffenden Streitigkeit ging es darum, daß das von 1708 stammende Porstsche Gesangbuch nach der überwiegenden Meinung der Inspektoren (Superintendenten) als veraltet und überarbeitungsbedürftig angesehen wurde und durch ein neues, im zuletzt nachdrücklich eingeschärften Auftrag des lutherischen Oberkonsistoriums von den Pröpsten Teller und Spalding erarbeitetes Gesangbuch ersetzt werden sollte.548 In das Oberkonsistorium waren zu jener Zeit einseitig Vertreter einer betont rationalistischen Theologie berufen worden.549 Die Einführung dieses neuen, hauptsächlich aus bis dahin unbekannten, im Geiste der Aufklärung verfaßten Chorälen bestehenden Gesangbuches wurde durch Verordnung des Geistlichen Departements vom 2. Oktober 1780, ausgefertigt durch ein Zirkular des lutherischen Oberkonsistoriums vom 9. November 1780550, unter Gewährung einer Übergangsfrist von zwei (innerhalb Berlins) oder drei Jahren (außerhalb Berlins) angeordnet.551 Gegen diese Verordnung regte sich rasch Widerspruch seitens der Gemeinden, zunächst in Berlin, dann auch an anderen Orten. Daraufhin wurde des weiteren verfügt, in den Gemeinden solle über die Einführung des neuen Gesangbuchs abgestimmt werden; die jeweils unterlegene Minderheit könne dann fortan in solchen Kirchen am Gottesdienst teilnehmen, wo die Abstimmung zugunsten des bisherigen Gesangbuchs ausgegangen sei. Das Remonstrationsschreiben einiger Berliner Gemeinden vom 14. Januar 1781552, verfaßt von dem Berliner Kaufmann Apitsch (Opitz)553, läßt erkennen, 547

Cf. Krause, Ära Woellner, S. 111. Näher hierzu sowie zur Vorgeschichte seit 1765 Krause, Ära Woellner, S. 111 f., sowie Teller, Actenmäßige Nachricht, S. 270 ff. Zwar ist die Schilderung der historischen Abläufe durch den am Gesangbuchstreit beteiligten und daher an der Bewertung interessierten Teller unzuverlässig, doch zeigt die Tatsache, daß dieser sich noch 1793 zu einer apologetischen Darstellung bemüßigt fühlte, daß die Auseinandersetzung zu jener Zeit noch virulent war. 549 Cf. Krause, Überforderung, S. 163. Dies stand mit den religiösen Ansichten Friedrichs II. in Einklang, der vernunftgläubigen theologischen Ansätzen noch am ehesten etwas abgewinnen konnte. Cf. auch Themel, Berliner Konsistorium II, S. 85 ff., bes. 89 ff. 550 Die Verordnung ist im Wortlaut abgedruckt bei Teller, Drey Predigten, S. 21 f. 551 Erlassen wurde das Zirkular nach Krause, Ära Woellner, S. 112, durch den Präsidenten Carl Abraham von Zedlitz aufgrund einer von der Mehrheit der Mitglieder des Oberkonsistoriums konzipierten Vorlage. Der bei Teller (s. vorige Fn.) abgedruckte Text, welcher den Vizepräsidenten des Oberkonsistoriums Thomas Philipp von der Hagen sowie den weltlichen Oberkonsistorialrat Carl Franz von Irwing als Unterzeichner anführt, ist jener des Rundschreibens des Oberkonsistoriums. 552 Apitsch, Immediate Vorstellung und Bitte einiger Berlinischer Gemeinden, wegen vorgenommener Neuerungen in der Religion. Ausführlich zitiert bei Krause, Ära Woellner, S. 113 f. 553 Der Name Apitsch wird in zeitgenössischen Dokumenten im Zusammenhang mit einer antiaufklärerischen Geheimgesellschaft, zu deren Berliner Loge außer ihm noch der Prediger Johann Esaias Silberschlag gehört haben soll. Cf. Plessing, Brief an Kant vom 15. März 1784; in: Kant, Briefwechsel I, S. 371 f. Diese Information scheint 548

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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daß es dem Kirchenvolk nicht allein um die Gesangbücher ging. Der Hauptvorwurf ging dahin, zahlreiche Mitglieder der Kirchenbehörden sowie der Geistlichkeit – „einige ConsistorialRäte und viele Pfarrer“ – nähmen nach ihrem Belieben in den Kirchen und Schulen schriftwidrige Reformationen vor und verdrehten, weil sie sich für klüger hielten als die Apostel und Luther, in Predigten und Schriften biblische Grundwahrheiten.554 Auch würden weder der Heidelberger noch der lutherische Katechismus mehr gelehrt. Umso mehr mußte die Gemeinden die Aufzwingung eines Gesangbuchs erzürnen, das in ihren Augen von sozinianischen Grundsätzen geprägt war. Die Remonstranten ersuchten den König daher, dem Geistlichen Departement Einhalt zu gebieten, „eigengemächtig gemachte“ Lehrbücher unter Wiedereinführung der traditionellen Katechismen abzuschaffen und insbesondere die weitere Verwendung des Porstschen Gesangbuchs zu gestatten. Friedrich II. beschränkte sich in seiner Antwort555 darauf, den Konflikt zu entschärfen. Da er als guter Landesherr und Vater seinen Untertanen völlige Freiheit des Bekenntnisses und des Gottesdienstes, der Lehrsätze und der Religionsübungen zubillige, soweit der Glaube oder seine Betätigung nicht der Ruhe des Staates oder den guten Sitten zuwiderliefen, sei das angegriffene Zirkular nicht so zu verstehen gewesen, daß das neue Gesangbuch das alte verbindlich verdrängen und die Glaubensfreiheit der orthodoxen Lutheraner insoweit beschränken sollte. Wohl um dem Geistlichen Departement und dem Oberkonsistorium nicht in den Rücken zu fallen – und, falls dies tatsächlich so gewesen sein sollte, zu kaschieren, daß die Beamten ohne Rücksprache mit ihm vorgegangen waren –, enthielt die Kabinettsorder die Bemerkung, das neue Gesangbuch und der neue Katechismus seien vermutlich tatsächlich besser als die vorherigen Ausgaben. Doch solle jede Gemeinde „ganz freie Hände haben und behalten“ zu entscheiden, welchen Katechismus und welches Gesangbuch sie verwenden wolle.

glaubwürdig, da Silberschlag neben Geistlichen wie Johann Peter Süßmilch und Theodor Carl Georg Woltersdorf zu den führenden Berliner Theologen konservativer Ausrichtung zählte. Cf. Wolfes, Art. Theodor Carl Georg Woltersdorf, Sp. 1572 ff. Hiermit steht im Einklang, daß in der Remonstrationsschrift von Apitsch neben anderen Silberschlag und Woltersdorf ausdrücklich vom Vorwurf des Despotismus ausgenommen werden. Die Schreibweise Opitz findet sich in einem die Einführung des neuen Gesangbuchs betreffenden Brief aus Groß Glogau (A. v. F., Brief aus Groß Glogau, S. 210 oben). 554 Dies bedeutete in der Sache nichts anderes als die Überzeugung der Altgläubigen, die rationalistischen Prediger hätten die Absicht, die Menschen mittels jesuitischer und illuminatischer Kunstgriffe „zu Heiden zu machen, ohne daß sie es merken, [ließen] ihnen den Namen der Christen und sag[t]en ihnen dabey, daß ihre christliche Religion bloß verfeinert, und von der Menschensatzung der Priester, welche sie in ihrer Blindheit zu erhalten suchten, gereinigt würde.“ (Triebel, Beleuchtung, S. 25 f.). 555 Kabinettsorder vom 18. (20.?) Januar 1781; abgedruckt in: Schlözer’s Briefwechsel, Teil VIII, Heft XLV, S. 198, 199 f. (Nr. 38).

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Beachtung verdient überdies der Umstand, daß sich die Verordnung zwar in erster Linie an die Inspektoren und Superintendenten richtete, allerdings auch den Kreisdirektorien, Landräten, Beamten und Magistraten bekanntgemacht wurde. Dies macht deutlich, daß es sich bei der Einführung des neuen Gesangbuchs nicht bloß um eine liturgische Anordnung rein kircheninterner Natur handelte, sondern um einen staatlichen Hoheitsakt. Zweck der Maßnahme war die „Beförderung wahrer christlicher Erbauung“ sowie die größere „Gleichförmigkeit des öffentlichen Gottesdienstes“. Berücksichtigt man, daß die Initiative zur Ersetzung des Gesangbuchs vom Oberkonsistorium selbst ausging, so zeigt sich, daß der staatliche Behördenapparat zur Umsetzung eines kirchlichen Programms – der Ablösung der orthodoxen durch die neologische Sichtweise der christlichen Dogmatik, hier im Wege der Veränderung der liturgischen Praxis – instrumentalisiert wurde.556 Hier wird zum wiederholten Mal deutlich, daß die Geistlichen sich nicht länger wie Diener der Kirche, sondern wie solche des Staates verhielten. An die Stelle der Predigt des Evangeliums war die Aufklärung des Kirchenvolks getreten.557 Theoretisch widersprach diese Vorgehensweise der auch dem landesherrlichen Kirchenregiment zugrundeliegenden Trennung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten, da die liturgischen Fragen zum Bereich der Kirchengewalt (ius in sacra) und nicht der Kirchenhoheit (ius circa sacra) zählten und einer landesherrlichen Regelung nur mit dem consensus ecclesiae zugänglich waren.558 Durch die weitgehende personelle Identität von Geistlichem Departement und Oberkonsistorium wurde dies jedoch in hohem Maße verschleiert. Ob die Initiative und Mitwirkung des Oberkonsistoriums bei der Auswechslung des Gesangbuchs als kirchlicher Konsens in diesem Sinne angesehen werden kann, erscheint höchst bedenklich. Dies würde nämlich voraussetzen, daß das Oberkonsistorium gegenüber dem Staat als Repräsentant der Kirche aufgetreten wäre. Diesen Charakter besaß das Oberkonsistorium als staatliche Behörde aber gerade nicht. So wird – wie schon bei früheren Gelegenheiten – deutlich, daß Theorie und Praxis der Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments stark divergierten. Der Schriftwechsel zwischen dem König respektive seiner Behörde und den Vertretern der remonstrierenden Gemeinden läßt daher auch erkennen, daß die verbindliche Einführung des neuen Gesangbuchs nicht deshalb scheiterte, weil der König die fehlende oder zumindest fragliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme erkannt und anerkannt hätte, sondern weil er sich dem äußeren Druck beugen und einen noch größeren Aufruhr559 vermeiden wollte. Daß der König den Beamten des Geistlichen Departements und des Oberkonsistoriums einen 556 557 558

So auch Krause, Ära Woellner, S. 113. Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 246. s. hierzu infra Teil I, Kapitel 2, F. IV.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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Verweis erteilt haben soll, läßt sich dem Wortlaut der Kabinettsorder jedoch nicht entnehmen.560 Gleiches gilt für die Aussage, der König habe „durchaus“ nicht gewollt, „daß irgend eine neue Einrichtung ohne seine Genehmigung gemacht werde“.561 Die in diesem Zusammenhang geäußerte Vermutung, der König hätte, wäre ihm die Angelegenheit zur Entscheidung vorgelegt worden, zwar die Einführung des Gesangbuchs gebilligt, jedoch eine schonendere Vorgangsweise als die tatsächlich gewählte vorgeschrieben, ist in hohem Maße spekulativ.562 Wenig hilfreich im Blick auf die angestrebte Entschärfung des Konflikts war schließlich die in verächtlichem Ton gehaltene, eigenhändig hinzugefügte Bemerkung Friedrichs in der Kabinettsorder vom 18. Januar 1781: „Ein jeder kann bei Mir glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist. Was die GesangBücher angehet, so steht einem jeden frei, zu singen: Nun ruhen alle Wälder, oder dergleichen tummes und törigtes Zeug; aber die Priester müssen die Toleranz nicht vergessen, denn ihnen wird keine Verfolgung zugestattet werden.“563 Das Gefühl des Kirchenvolks, mißachtet und nicht ernstgenommen zu werden, wurde hierdurch nicht gelindert, sondern eher noch verstärkt.564 Die Marginalie stellt nicht nur einen weiteren Beleg für die religiöse Gleichgültigkeit Friedrichs des Großen dar565, sondern zeigt darüber hinaus aufs Neue, daß Religion 559 Cf. die einleitenden Bemerkungen zu Nr. 38 in Schlözer’s Briefwechsel, Teil VIII, Heft XLV, S. 199, wo davon berichtet wird, daß dem Gesangbuch „viele Prediger heimlich und öffentlich entgegen sind, und es des Socinianismi beschuldigen“. Ebenso Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 258. In A. v. K.s Brief aus Groß Glogau wird – freilich aus der Perspektive eines Befürworters der Aufklärung – von einem Aufruhr berichtet, der so heftig gewesen sein soll, daß Männer wie Spalding, Silberschlag oder Teller ihres Lebens nicht sicher gewesen sein sollen. Daß Silberschlag hier mit aufgeführt ist, mag mit Blick auf seine konservative Haltung überraschen. Doch hatte Silberschlag zwar in Oberkonsistorium einige Bedenken gegen die Einführung des Gesangbuchs geäußert, der Maßnahme aber zunächst nicht widersprochen. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 112. 560 So aber Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 258. 561 Cf. Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 259. 562 So Dohm, Denkwürdigkeiten meiner Zeit I, S. 259. Diese Spekulation steht freilich im Einklang mit der wohlwollenden Einschätzung Friedrichs des Großen durch Dohm gerade im Kontext von Kirche und Bildung (S. 258 ff.). 563 Zitiert nach Schlözer’s Briefwechsel, Teil VIII, Heft XLV, S. 198, 200. Die Einforderung der Toleranz gegenüber den Mitgliedern des Oberkonsistoriums kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß deren eigenmächtiges Vorgehen im Gesangbuchstreit vom König gerügt wurde. 564 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 114. 565 Die spöttisch-geringschätzige Bemerkung Friedrichs II. war kein Einzelfall. Der König pflegte auch die Feldprediger mit dem Spottnamen Chekers sowie die jüngeren unter ihnen als Etourdis (diejenigen, welche den leichtsinnigen Fähnrich spielen und sich beim Regiment lächerlich machten) zu bezeichnen. Außerdem bezeichnete er verschiedentlich protestantische Geistliche als „dumme Pietisten oder Heuchler“, die seiner Ansicht nach nicht „helle“ genug dächten. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 155. Zudem ist auf die vielzitierte Anekdote zu verweisen, wonach der König den General

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

und Bekenntnis für ihn nur unter dem Aspekt des Nutzens oder Schadens für den Staat („wenn er nur ehrlich ist“), d. h. mit Blick auf die Staatsraison, von Interesse waren. 7. Fazit Ungeachtet des persönlichen Desinteresses des Königs an religiösen Dingen und der Reduktion des evangelischen Kirchenwesens auf eine im staatlichen Interesse wirkende moralische Institution ist nicht zu erkennen, daß Friedrich II. jemals den mit Blick auf die fehlende eigene Religiosität theologisch naheliegenden Schluß gezogen hätte, auf die ihm traditionell zustehende Funktion als Oberhaupt der lutherischen Landeskirche zu verzichten. Der Summepiskopat wurde von Friedrich dem Großen zwar nicht als theologisch-funktionales Amt, wohl aber „als eine sehr nützliche Handhabe der absoluten Gewalt erkannt [. . .] und benutzt [. . .]“.566 Der Einwand, Friedrich II. habe „gar nicht Oberbischof [. . . sein wollen], sondern nur der Landesherr, der seine oberhoheitlichen und richterlichen Rechte auch in dem Rechtsgebiete der Kirche geltend machte“567, trifft nur insoweit zu, als dem Monarchen zwar nicht die Legitimität seines Handels an sich, wohl aber der Rechtsgrund seiner Befugnisse – Landeshoheit oder bischöfliches Recht – eher gleichgültig war. Für die fortgeführte Ausübung der unter seinen Vorgängern zu traditionellen königlichen Regalien gewordenen Befugnisse hinsichtlich des Kirchenwesens war deren rechtlicher Ursprung von nachrangiger Bedeutung. Maßgeblich war nur, daß die Befugnis zur Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments nicht prinzipiell bestritten wurde, was zu seiner Regierungszeit aber nicht der Fall war. Die vielzitierte Anekdote, derzufolge Friedrich II. sich in einer Marginalie – freilich ironisch – als „Erzbischof von Magdeburg und vicarius Jesu Christi“ bezeichnete, zeigt, daß dem König die kirchlichen Titel und Befugnisse prinzipiell noch geläufig waren. Andererseits ist es ein Indiz für die fortschreitende „Säkularisierung“ des landesherrlichen Kirchenregiments im Sinne des Territorialismus, wenn in einem im Generaldirektorium auf königlichen Spezialbefehl verfaßten Rundschreiben von 1783 von den Konsistorien ausdrücklich ausgesagt wird, daß diese „die höchste Landesherrliche Jura in Geistlichen und Kirchen Sachen zu respiciren und auszuüben“ haben.568 Zieten mit einer mißglückten scherzhaften Formulierung über einen Kommunionempfang befragte und sich nach der höflichen, aber bestimmten Replik Zietens bei diesem entschuldigte. Cf. etwa Feldprediger II, S. 164 f. Ein weiteres Beispiel stellt die Bemerkung „Sein Reich ist nicht von dieser Welt“ gegenüber dem Feldpropst Kletschke dar; näher hierzu infra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 6. 566 Klopp, Friedrich II., S. 489. 567 Brandes, Geschichte II, S. 36, Anm. 1. 568 Circular-Reskript vom 25. Oktober 1783; NCC VII Sp. 2509 f.

1. Kap.: Entstehung und Entwicklung des Kirchenregiments

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Insgesamt war Friedrich der Große „keineswegs Kirchenmann in dem engen Sinne des Wortes, wie die kirchlichen Parteien oft so gern möchten, daß die ihnen anhängenden Fürsten es wären; auch war er seiner ganzen Stellung nach Staatsmann [. . .]“.569 Daß der Monarch die administrative Funktion des obersten Bischofs für das evangelische Kirchenwesen seines Landes – im Gegensatz zum bischöflichen Amt im theologischen Sinne – rundweg abgelehnt hätte oder diese für ihn völlig gleichgültig gewesen wäre, kann in dieser Pauschalität nicht behauptet werden. In der Sache läßt sich aber durchaus eine „unkirchliche Leitung des Kirchenregiments“ konstatieren.570 Festzuhalten ist, daß das Verhältnis des Staats zur evangelischen Landeskirche unter Friedrich II. – im Ergebnis auch im Gesangbuchstreit – ganz wesentlich durch einen pragmatisch-autoritären Regierungsstil „von oben herab“ und durch die Erwägungen der Staatsraison bestimmt war; die Rücksichtnahme auf die Erfordernisse der Administration war jener auf die spezifischen Belange der Kirche übergeordnet.571 Die äußerliche Organisation des preußischen evangelischen Kirchenwesens war zwar noch vorhanden, doch wurde die Kirchenverwaltung dergestalt ausgeübt, daß sich die Kirche, die in erster Linie ein „nützliche[s] Instrument zur Beförderung von Gesittung und Wohlfahrt“572 darstellte, in völliger Abhängigkeit vom Staat, in den sie successive integriert worden war, und von den staatlichen Behörden befand.573

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Brandes, Geschichte II, S. 38. Cf. Hintze, Epochen, S. 102. 571 Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 245. 572 Hintze, Epochen, S. 100. 573 Cf. Brandes, Geschichte II, S. 99, der diesen Zustand als einen „eigenthümlichen [und] wenig befriedigenden, sogar überaus bedenklichen“ beschreibt. Allgemein zur Unterordnung des Kirchenwesens unter den Staat im Zeitalter des Absolutismus M. Heckel, Neubestimmung, S. 171 ff. 570

Zweites Kapitel

Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen von der Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – Territoriale und konfessionelle Entwicklung und Rechtsquellen A. Einleitung Die Schilderung der Entwicklung des protestantischen Kirchenwesens in Preußen begegnet unter zweierlei Gesichtspunkten erheblichen Schwierigkeiten. Zum einen bedarf der Klärung, was unter „Preußen“ zu verstehen ist, da der territoriale Bestand des so bezeichneten Staates im Laufe der Zeit alles andere als konstant geblieben ist. Zum anderen versteht sich auch der Begriff des „protestantischen“ oder „evangelischen“ Kirchenwesens keineswegs von selbst. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß sich nicht nur die Bedeutung des Wortes Kirche nach und nach entwickelt und verändert hat (Ist damit lediglich das Kirchengebäude gemeint? Oder die einzelne lokale Kirchengemeinde? Oder ein überörtlicher Zusammenschluß von Gemeinden, sei es auf Ebene des Gesamtstaats oder auf Provinzialebene?). Darüber hinaus liegt keineswegs auf der Hand, welches Bekenntnis – oder vielmehr: welche Bekenntnisse – als „protestantisch“ oder „evangelisch“ anzusehen sind (Nur das lutherische? Auch das reformierte? Ein – wie auch immer – uniertes? Andere nicht-katholische Glaubensrichtungen1?).2 Gerade in der Bekenntnisfrage hat im Heiligen Römischen 1 Dieser – sachlich nicht von der Hand zu weisende – Definitionsversuch weist eine gewisse Brisanz auf, da es im Heiligen Römischen Reich den Katholiken stets verboten war, die Protestanten als „akatholisch“ zu bezeichnen. Cf. Moser, Von der teutschen Religionsverfassung, S. 310 f., Wiesenhauer, Grundsätze, S. 157 f. m.w. N.). 2 Insgesamt weist das reformatorische Kirchenwesen eine höchst unübersichtliche Terminologie auf. Die Begriffe „protestantisch“ und „evangelisch“ sind im wesentlichen gleichbedeutend, wobei der erstere Begriff der ältere ist und auf den – unter reichsrechtlichen Aspekten – ketzerischen Charakter der Reformation hinweist. Der Begriff „evangelisch“ bezieht sich auf die reformatorischen Bekenntnisse zu einem Zeitpunkt, zu dem sie reichsrechtlich legitimiert waren und ihren „Protestcharakter“ weitgehend verloren hatten. Als protestantische oder evangelische Bekenntnisse werden demgemäß alle Glaubensrichtungen verstanden, die weder katholisch noch orthodox sind: so insbesondere das lutherische und das reformierte Bekenntnis sowie die Bekenntnisse der evangelischen „Sekten“ (Brüdergemeinden, Mennoniten etc.) sowie

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Reich allgemein, d. h. unter reichsrechtlichen Gesichtspunkten, und insbesondere auch in Preußen – unter staats- und kirchenverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – lange Zeit erhebliche Unklarheit geherrscht.

B. Die Entstehung des preußischen Staates: Territoriale Zersplitterung Der preußische Staat im 18. und 19. Jahrhundert ist eine Monarchie, die sich aus zahlreichen – ursprünglich autonomen, aber nach und nach zusammengefaßten Territorien ganz unterschiedlicher Größe zusammensetzt.3 Die Bezeichnung „Preußen“4 wurde bei der Erhebung des damaligen gleichnamigen Herzogtums zum Königreich 1701 auf das gesamte Staatsgebiet ausgedehnt, blieb aber gleichzeitig als Provinzname erhalten. Die Grundlage der Gesamtherrschaft des preußischen Staates stellte jedoch auch damals die Mark Brandenburg dar, die mit Urkunde vom 18. April 1417 von Kaiser Sigismund als Lehen an den Burggrafen von Nürnberg gelangt war, nachdem diesem schon am 30. April 1415 die bis dahin dem Kaiser vorbehaltene brandenburgische Kurwürde und Landesherrlichkeit abgetreten worden war. Zu dieser Herrschaft gehörten bis zur Zeit der Reformation neben Alt-, Mittel- und Neumark, Teile der Uckermark und der Niederlausitz sowie diverse kleine Territorien im Gebiet zwischen Elbe und Oder.5 Kurfürst Joachim I. Nestor, in dessen Regierungszeit (1499–1535) die zwischenzeitlich strittig gewordenen Ansprüche auf Pommern vertraglich gesichert wurden, teilte das Herrschaftsgebiet unter seinen beiden Söhnen Joachim II. Hector (1535–1571) und Johann von Cüstrin auf; die Landesteile wurden jedoch 1571 unter Johann Georg (1571–1598) wieder vereinigt und um einige vormals böhmische Herrschaften ergänzt, nachdem inzwischen die Anwartschaft auf einige schlesische Fürstentümer (Liegnitz, Brieg und Wohlau) hinzugewonnen worden war und auch das Herzogtum Preußen im Wege der Mitbelehnung durch Polen an das das Bekenntnis der anglikanischen Kirche(n). Mit dem Begriff der Augsburger Konfession ist streng genommen nur das lutherische Bekenntnis gemeint, doch wurde bereits zu einem frühen Zeitpunkt – Stichwort: Veränderte Augsburger Konfession – auch das reformierte (calvinistische) Bekenntnis mit hierunter gefaßt; zum Teil wird der Kreis auch noch weiter gezogen (cf. das Beispiel der Herrnhuter in Brandenburg). Die Gläubigen der auf die Confessio Augustana zurückgehenden Bekenntnisse werden als „Augsburgische Konfessionsverwandte“ bezeichnet. 3 Ausführlich zur frühen Geschichte hierzu Jacobson, Der preußische Staat, S. 1 ff. Zu den Landschaftsnamen s. auch Ludat, Die Namen der brandenburgischen Territorien, S. 166 ff., sowie Baudisch, Geographische Grundlagen, S. 15–44. Einen knappen Überblick bietet auch Puhle, Preußen: Entwicklung und Fehlentwicklung, S. 15 f. mit Anm. 8. 4 Zahlreiche Nachweise hierzu bei Jacobson, Der preußische Staat, S. 1, Anm. 1. 5 Cf. hierzu Jacobson, Der preußische Staat, S. 2 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Kurhaus gelangt war.6 Unter Joachim Friedrich (1598–1608) kamen die Bistümer Havelberg, Lebus und Brandenburg hinzu, deren Bischof er seit 1553, 1555 und 1571 gewesen war. Nach dem Tode des Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach-Baireuth 1603 erhielt er die alleinige Administration und Regierung von Preußen. Während der Regierungszeit Johann Sigismunds (1608–1619) gelangte zunächst 1609 die jülich-clevische Erbschaft7 an das Haus Brandenburg, aufgrund der Eheschließung des Kurfürsten mit der Tochter des Herzogs von Preußen nach dessen Tod 1618 auch endgültig das Herzogtum Preußen, bis auf weiteres freilich noch als polnisches Lehen. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – zunächst unter Georg Wilhelm (1619–1640) – wurden die Besitzungen größtenteils zusammengehalten8 und erfuhren erst unter Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten (1640–1688) wieder eine bedeutende Erweiterung, als zwar einige Besitzungen in Pommern an Schweden abgetreten werden mußten, im Gegenzug aber Hinterpommern mit dem säkularisierten Bistum Cammin, die säkularisierten Bistümer Halberstadt, Hohenstein und Minden, sowie die Anwartschaft auf das säkularisierte Erzbistum Magdeburg hinzugewonnen wurden. Durch vertragliche Regelungen von 1656/58 wurde die Lehnsabhängigkeit von Polen hinsichtlich Preußens aufgehoben, die Aufteilung der jülich-clevischen Erbschaft zugunsten Brandenburgs korrigiert; nach dem Tode des Herzogs von Schlesien 1675 realisierte sich die Anwartschaft auf die dortigen Fürstentümer. Auch unter Friedrich III. (1688– 1713), seit 1701 als Friedrich I. König in Preußen, kamen zahlreiche kleinere Besitzungen hinzu, u. a. litauische Herrschaften, die Erbvogtei über das Stift Quedlinburg, die Grafschaften Moers und Lingen sowie das Fürstentum Neufchatel (Neuenburg).9 Unter Friedrich Wilhelm I. (1713–1740) wurden unter anderem nach dem Frieden zu Stockholm Stettin, Usedom und Wollin hinzugewonnen, zur Regierungszeit Friedrichs II. (des Großen) ferner – durch den ersten schlesischen Krieg – zahlreiche Fürstentümer und Standesherrschaften in Ober- und Niederschlesien, zudem Ostfriesland und ein Teil der Grafschaft Mansfeld. Ein bedeutender Zuwachs fand schließlich durch die erste polnische Teilung 1772 statt, als Westpreußen einschließlich Ermland (freilich ohne Danzig und Thorn) und Großpolen bis an die Netze an Preußen fielen. Die beiden späteren polnischen 6 Cf. von Baczko, Geschichte Preußens, Band 4, S. 331; von Lancizolle, Bildung des preußischen Staates I/1, S. 371 f., 474 f. 7 Die aus den Herzogtümern Jülich, Cleve und Berg, den Grafschaften Mark und Ravensberg sowie der Herrschaft Ravenstein bestehende Erbschaft wurde zwischen dem Haus Brandenburg und der Pfalz Neuburg aufgeteilt, wobei ersteres den weitaus bedeutenderen Teil erhielt. S. im einzelnen Jacobson, Der preußische Staat, S. 4 f. mit Anm. 16, 23. 8 Cf. Jacobson, Der preußische Staat, S. 4 f. 9 Eine vollständige Auflistung findet sich bei Jacobson, Der preußische Staat, S. 6.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Teilungen – unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) – brachten eine nochmalige erhebliche Gebietserweiterung in östlicher Richtung mit sich (u. a. Danzig, Thorn, Posen, Gnesen sowie Teile Krakaus). Auch Ansbach und Bayreuth fielen aufgrund der Verzichtsleistung des dortigen Markgrafen an Preußen.10 Seit dem Zeitalter der Reformation war das brandenburgisch-preußische Herrschaftsgebiet auf diese Weise um das mehr als Achtfache angewachsen, so daß Friedrich Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung 1797 tatsächlich die Herrschaft über eine „Großmacht“ antrat.11 Die Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. (1797–1840) brachte einschneidende Veränderungen mit sich. Schon 1795 hatten einige Besitztümer an Frankreich abgetreten werden müssen; durch den Vertrag von Schönbrunn 1805 erfolgten weitere Gebietsverluste, wohingegen Hannover und Osnabrück hinzugewonnen wurden. Infolge der napoleonischen Kriege, an deren Ende der Friedensvertrag von Tilsit 1807 stand, verlor Preußen mehr als die Hälfte seines Staatsgebiets12; es bestand zunächst nur aus den späteren Provinzen Brandenburg, Sachsen, Preußen, Pommern und Schlesien. Als Folge der Freiheits- oder Befreiungskriege (1813–1815)13 wurde jedoch die preußische Monarchie fast vollständig wieder hergestellt; maßgeblich hierfür waren die Bestimmungen der beiden Pariser Friedensverträge von 1814 und 1815 sowie der Wiener Kongreßakte von 1815.14 Etliche Jahre später, 1834, erwarb man noch von Sachsen-Coburg die Herrschaft Lichtenberg sowie 1849 – unter Friedrich Wilhelm IV. – die Fürstentümer Hohenzollern.15

C. Quellen des preußischen Kirchenrechts: Zwischen Kodifikation und Zersplitterung Die konfessionelle und administrative Zersplitterung des Kirchenwesens in den einzelnen zu Preußen gehörenden Landesteilen war im wesentlichen bereits durch die territoriale Gliederung vorgegeben, ging aber im Laufe der Zeit noch über jenes Maß hinaus. Daher ist die kirchen- und staatskirchenrechtliche Rechtslage in den preußischen Staaten höchst unübersichtlich. Neben einigen

10 s. im einzelnen hierzu Jacobson, Der preußische Staat, S. 6–8 mit zahlreichen Nachweisen. 11 Cf. Jacobson, Der preußische Staat, S. 8. 12 Cf. Schubert, Staatskunde I, S. 100 f., 105. 13 Beide Begriffe sind historisch belegt. 14 Cf. im einzelnen Jacobson, Der preußische Staat, S. 9 f.; Schubert, Staatskunde I, S. 108 ff. 15 Jacobson, Der preußische Staat, S. 10 m.w. N.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

gemeinrechtlichen Bestimmungen finden sich vor allem Regelungen auf Provinzebene sowie lokale Rechtsvorschriften. I. Gesamtstaatliche Regelungen: Vom alten gemeinen Recht16 zum Allgemeinen Landrecht17 Bis ins 18. Jahrhundert hinein existierte für Preußen keine besondere Kodifikation des gemeinen Rechts, das in der für ganz Deutschland bestehenden Fassung Geltung besaß. Man bezog sich daher insbesondere auf die „Canones in Augustana religione (ecclesia) receptos“18 oder etwa die „gemeinen unter den evangelischen Reichsständen in Consistorialibus angenommenen und üblichen geistlichen Rechte“19, die man dem Corpus Iuris Civilis, dem Corpus Iuris Canonici und den Reichsgesetzen, insbesondere dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, dem Westfälischen Frieden von 1648 und den hierauf Bezug nehmenden Wahlkapitulationen, ferner den Bekenntnisschriften (den „symbolischen Büchern“) sowie der überkommenen Lehre und Praxis entnahm. In Ermangelung gesetzlicher Regelungen bestimmter Einzelfragen griff man auch auf das zeitgenössische Schrifttum – etwa von Johann Brunnemann, Benedikt Carpzov, 16 Alle wesentlichen Gesetze bis 1750 sind abgedruckt bei C. O. Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum (CCM), sechs Teile und vier Continuationen, Supplementband (Teil 7), sowie Repertorium (Teil 8). Daran schließt sich das Novum Corpus Constitutionum von 1751–1806 bzw. 1810 in dreizehn Bänden (deren fünfter in fünf Teilen) und zwei Repertorien (herausgegeben von S. Coccejus) und ab 1810 die Gesetzsammlung für die königlich preußischen Staaten an. Letztere enthält alle Vorschriften, welche die Ressorts von mindestens zwei Regierungsdepartementen betrafen; für jedes Regierungsdepartement existierte zudem von 1810/11 an ein eigenes Amtsblatt. Als offizielle Sammlungen waren auch Mathis’ juristische Monatsschrift 1805–1811 (elf Teile) und Amelangs Neues Archiv der Preußischen Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit 1800–1805 anerkannt. Aus der Myliusschen Gesetzsammlung ist schließlich die Sammlung preußischer Gesetze und Verordnungen von Rabe (dreizehn Bände, deren erster in sieben Abteilungen) hervorgegangen. 17 Nachträge zum ALR 1794 finden sich in zwei Anhängen, deren erster (Berlin 1803) durch Kabinettsorder vom 28. April 1803 genehmigt wurde, der zweite (von C. C. von Goßler, Berlin/Stettin 1816) keine offizielle Sanktionierung erfahren hat. Spätere Ausgaben des ALR enthalten die Zusätze in abgekürzter Form. Die Reskripte des Justizministeriums und die Erlasse der Landesjustizcollegia sind abgedruckt in K. A. von Kamptz, Jahrbücher für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung (Berlin 1813–1845, 66 Bände), seit 1839 im Justiz-Ministerialblatt für die Gesetzgebung und Rechtspflege; die Reskripte für die Administration in K. A. von Kamptz, Annalen für die innere Staatsverwaltung (Berlin 1817–1839, 23 Bände), seit 1840 im Ministerialblatt für die gesammte innere Verwaltung. Zu Quellen und Literatur cf. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 29 ff. 18 So etwa in Schlesien in der Altranstädter Convention von 1707, § 7, sowie im Executionsreceß von 1709, Nr. 13, 14 (abgedruckt bei Kuzmány, Urkunden zum österreichischen evangelischen Kirchenrecht, S. 68, 71). 19 So etwa die rheingräfliche Landes-Ordnung von 1754. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 741.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Johann Gerhard, Heinrich Linck, Caspar Ziegler, Justus Henning Boehmer, Georg Ludwig Boehmer u. a. – zurück oder berief sich pragmatisch auf die Natur der Sache.20 Zur Bereinigung dieser von Unübersichtlichkeit und Unsicherheit geprägten Rechtslage regte Friedrich der Große eine Kodifikation an, über die in einer Kabinettsorder vom 14. April 1780 ausgesagt ist: „Es muß nur das Wesentliche mit dem Naturgesetz und der heutigen Verfassung Übereinstimmende aus demselben abstrahiert, das Unnütze weggelassen; Unsere eigenen Landesgesetze am gehörigen Orte eingeschaltet [. . .] werden.“21 Die Einbeziehung fremder Rechte und Gesetze warf in der Folgezeit besonders im Hinblick auf das kanonische Recht Probleme auf, da es aus zivilrechtlicher und evangelisch-kirchlicher Perspektive als „fremdes recipirtes“ Recht anzusehen war, nicht jedoch in Anbetracht der spezifisch kirchenrechtlichen Regelungen für den katholischen Bereich. Die Redaktoren des zu erstellenden Gesetzbuches – hier insbesondere der schlesische Generalfiskal Pachaly – verwiesen daher in den entsprechenden Materien auf die einschlägigen Regelungen des kanonischen Rechts, anstatt diese in das Gesetzbuch zu übertragen.22 Für den evangelischen Bereich wurde analog verfahren. Man fügte eine Bestimmung ein, die ausdrücklich auf die Confessio Augustana als das gemeinsame Bekenntnis aller Evangelischen hinwies23 und verwies ansonsten auf die bestehenden Konsistorial- und Kirchenordnungen, welche – teilweise auf dem kanonischen Recht beruhend und in den wesentlichen Grundsätzen miteinander übereinstimmend – für die Evangelischen gleiche Autorität besaßen wie das kanonische Recht für die Katholiken.24 Da man davon abgesehen hatte, den Inhalt von Corpus Iuris Canonici und partikularen Kirchenordnungen in das Gesetzbuch einzuarbeiten, beschränkte man sich – abgesehen von einigen Detailregelungen – darauf, das Kirchenrecht im wesentlichen aus der Natur der Sache, d. h. unter naturrechtlichen Gesichtspunkten zu bearbeiten.25 Pachaly äußerte dazu: „Ich denke mir die Kirche als eine persona moralis, universitas, ich setze aus dem natürlichen Recht die Gerechtsame des Landesherrn über die Kirche und der Mitglieder unter sich, ohne 20 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 23. Dogmatisch dürfte es sich hierbei um sich herausbildendes Gewohnheitsrecht gehandelt haben. 21 NCC VI, Sp. 1935–1944. S. auch die vom König am 27. Juli 1780 approbierten „Allgemeine[n] Grundsätzen des Verfahrens bei diesem Geschäfte“, abgedruckt bei von Daniels, Lehrbuch des preußischen gemeinen Privatrechtes I, Anlage I, S. 3 ff. 22 s. die Darstellung über die Entstehung von ALR Teil II, Titel XI, §§ 66, 77, bei von Kamptz, Erläuterungen einiger Vorschriften des Preußischen Kirchenrechts, S. 61 f., sowie Jacobson, Geschichte der Quellen I/1, S. 28 f., 36 f. 23 ALR II, 11 § 39. Zur Entstehungsgeschichte cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 8 f. 24 ALR II, 11 §§ 66, 565; cf. auch §§ 143 sowie 115 ff. 25 Cf. hierzu Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte IV, § 614.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Rücksicht auf eine Religionspartei, fest und lasse alles Positive von clericis usw. weg.“ Dem stimmte Großkanzler von Carmer am 1. April 1782 ausdrücklich zu: „Freilich gehören die Titel de ordinatione clericorum usw. nicht in das allgemeine Gesetzbuch. Was darüber zu sagen ist, wird in den Spezial-Gesetzbüchern derjenigen Provinzen, wo noch ein katholischer Klerus existiert, gesagt werden müssen, und in Ansehung des protestantischen Cleri gilt das Nämliche, weil die persönlichen Rechte und Verfassungen desselben fast in jeder Provinz unterschieden sind. Der Plan, den Ew. Sich gemacht, ist philosophisch richtig; ich halte es daher für gut, daß Sie solchem nachgehen und zusehen, wie weiter und auf was für allgemeine Bestimmungen, die auf die Geistlichkeit überhaupt, ohne Rücksicht besonderer Provinzen und Religionsparteien anwendbar sind, dieser Ideengang Sie leiten werde.“26 Dazu kam es jedoch nicht; vielmehr wurde Pachaly vom Assistenzrat Klein abgelöst, der zunächst zwei systematische Entwürfe erstellte27 und einen dritten redigierte28, welcher sodann durch von Carmer ergänzt wurde.29 Auf dieser Grundlage verfaßte der Oberamts-Regierungsrat Svarez einen weiteren, von den Mitgliedern der Gesetzcommission sowie von anderen Personen kommentierten Entwurf30 sowie – nach Prüfung der Monita – eine überarbeitete Fassung, der im 1785 gedruckten „Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die preußischen Staaten“, Teil I, Abt. II die Titel VI („Von den Rechten und Pflichten der Religionsgesellschaften in 20 Abschnitten“) und VII („Von höheren und niederen Schulen“) bildete.31 Nochmals gründlich revidiert, wurde Svarez’ Entwurf als Theil II Tit. XI und XII in das Allgemeine Gesetzbuch 1791 sowie in das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 übernommen.32 Die kirchenrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Landrechts spiegeln die im ausgehenden 18. Jahrhundert vorherrschenden naturrechtlichen und kirchlichen Ansichten getreu wieder; dies gilt insbesondere für die ersten vier Abschnitte, welche die allgemeinen Grundsätze enthalten. Damit diese abstrakten Prinzipien jedoch mit dem bestehenden Recht in Einklang gebracht werden konnten, mußten sie in einer Art und Weise modifiziert werden, die nicht frei von inneren Brüchen und Widersprüchen ist. So ist es auch zu erklären, daß das Allgemeine Landrecht Elemente aller drei bedeutenden kirchenrechtlichen Systeme33 enthält, ohne daß gesagt werden könnte, daß es konsequent auf ei26

Beide Zitate nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 24 f. Materialien zum ALR, Band XXIII, fol. 105 ff. 28 Materialien zum ALR, Band XIV, fol. 18 ff. 29 Materialien zum ALR, Band XIV, fol. 12 ff. 30 Materialien zum ALR, Band XIV, fol. 60 ff., 133 ff.; cf. auch Band XI, fol. 33 ff. und XXI. 31 Die Revisio Monitorum befindet sich in den Materialien zum ALR, Band LXXX, fol. 145 ff. 32 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 25. 27

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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nem dieser Systeme basiere.34 Von Carmer war Anhänger des Territorialsystems, das den Schwerpunkt des landesherrlichen Kirchenregiments auf die Bereiche Kirchenverfassung, Liturgie und Kirchendisziplin legte und in Fragen des Bekenntnisses und der Lehre weniger stark ausgeprägt war. Hierauf dürfte zurückzuführen sein, daß das Allgemeine Landrecht den Gedanken der Toleranz deutlich in den Vordergrund rückt35 und sich gleichzeitig in Fragen des Bekenntnisses geradezu indifferent zeigt, gleichzeitig aber die kirchliche Verwaltung weitgehend mit der staatlichen verquickt, so daß die „Kirche“ als eine selbständige, dem Staat gewissermaßen gegenüberstehende Anstalt nicht in Erscheinung tritt.36 In dieser Frage bestand durchaus Einigkeit zwischen von Carmer und Svarez, obwohl letzterer vor allem dem Kollegialsystem nahestand.37 In seinen Augen besaßen nur die einzelnen lokalen Kirchengemeinden („Kirchengesellschaften“) Rechtssubjektqualität, nicht aber die „Kirche“ als ein einheitliches größeres Ganzes auf Staatsebene. Gleichwohl unterschied Svarez sorgfältig die dem Staat zustehenden iura circa sacra und das der Kirche gebührende ius sacrorum (ius in sacra) und hielt deswegen für die katholische Kirche die bischöfliche Verfassung für angemessen, für die evangelische die der bischöflichen Verfassung gewissermaßen analoge Konsistorialverfassung. Dies stellt unzweifelhaft eine Anerkennung der landesherrlichen Kirchengewalt – Heinrich Friedrich Jacobson38 und Karl Albert von Kamptz39 sprechen insoweit, der historischen Entwicklung Rechnung tragend, von den „landesherrlichen Episkopalrechten“ – durch das Allgemeine Landrecht dar. Um – entsprechend der Intention Friedrichs des Großen – eine möglichst umfassende Kodifikation zu erreichen, wurden, soweit tunlich, auch die sich aus den allgemeinen Grundsätzen ergebenden Konsequenzen mit berücksichtigt, gleichzeitig jedoch für den Fall provinzieller oder lokaler Abweichungen in Einzelfällen auf die entsprechenden Partikulargesetze verwiesen. Gleichwohl hielt man schon wenig später eine allgemeine evangelische Kirchen- und Konsistorialordnung auf Staatsebene für erforderlich40; doch standen die napoleo33 Zu den drei Hauptsystemen s. supra Kapitel 1, A. III.; ferner Mejer/Sehling, Art. Episkopalsystem in der evangelischen Kirche; dies., Art. Territorialsystem/Territorialismus; Sehling, Art. Kollegialsystem/Kollegialismus. 34 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 25 f. 35 Ausführlich hierzu Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 392 ff., insbes. S. 397 f., 406 f. 36 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 26. 37 Cf. auch die Darstellung des Kirchen- und Staatskirchenrechts durch Svarez in den Kronprinzenvorträgen im Dritten Kapitel des Zweiten Teils dieser Arbeit (infra). 38 Jacobson, Kirchenrecht, S. 26. 39 Über das bischöfliche Recht, S. 109 ff. 40 s. bereits das Publikationspatent zum ostpreußischen Provinzrecht vom 6. März 1802 mit Zusatz 172.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

nischen Kriege und die nachfolgende Phase der staatlichen Neuordnung einer zügigen und konsequenten Inangriffnahme dieses Projektes entgegen. Erst 1815 wandte man sich dieser Aufgabe wieder zu, und es erschienen die – später noch ergänzten und modifizierten – Instruktionen vom 23. Oktober 1817, des weiteren einzelne Verordnungen als Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts. 1817 wurde der Entwurf einer Synodalordnung und im Folgejahr die Anleitung zum Entwurf einer Kirchenordnung den damaligen Kreissynoden und 1819 den Provinzialsynoden zur Begutachtung vorgelegt; zum Erlaß einer allgemeinen Kirchen- und Konsistorialordnung auf ihrer Grundlage kam es jedoch nicht.41 Das gemeine preußische Kirchenrecht besteht somit vornehmlich aus Teil II, Titel XI und XII des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten 1794. Einzelvorschriften finden sich aber auch in anderen Titeln dieser Kodifikation, etwa Teil II, Titel I (Eherecht), Teil II, Titel XX (Kriminalrecht) sowie in den anderen preußischen Gesetzbüchern, etwa der Allgemeinen Gerichtsordnung vom 6. Juli 1793 und der Criminalordnung vom 11. Dezember 1805.42 Die tiefgreifenden verfassungs- und verwaltungsmäßigen Umbrüche zu Beginn des 19. Jahrhunderts machten eine Revision und erneute Redaktion der vorhandenen Gesetze dringend erforderlich. Dennoch erging erst mit der Kabinettsorder vom 3. November 1817 eine dahingehende königliche Anordnung43, die jedoch nicht vollzogen wurde. Erst 1825 kam man auf das Projekt zurück, als sowohl der Justizminister als auch der Minister der geistlichen Angelegenheiten ihren Behörden entsprechende Aufträge erteilten. Das Kirchen- und Schulrecht sollte aus dem Allgemeinen Landrecht herausgenommen und in Form eines separaten Gesetzbuches neu kodifiziert werden, weswegen letzten Endes hauptsächlich das geistliche Ministerium mit der Arbeit befaßt war.44 Dort wurde zwischen 1834 und 1837 nach erfolgter Mitwirkung der Konsistorien und anderer Behörden ein neuer Entwurf des Kirchenrechts erarbeitet, welcher dann aber über dieses Entwurfsstadium nicht hinauskam, da man den damals aktuellen kirchenpolitischen Problemstellungen – katholische Kirche, religiöse Bewegungen – mit einzelnen Regelungen glaubte besser gerecht werden zu können.45 Diese Spezialregelungen bezogen sich zum Teil unmittelbar oder mittelbar auf die evangelische Landeskirche.46 Einer erneuten Anregung zur Erarbeitung einer allgemeinen evangelischen Kirchenordnung, welche die entspre41

Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 216 f. s. hierzu die Gesetzgebungsübersicht in Jacobson, Der preußische Staat, S. 16 ff. 43 Gesetz-Sammlung 1817, Nr. IV., S. 290. 44 s. hierzu von Kamptz, Historische Nachrichten, S. 238 f., sowie dens., Aktenmäßige Darstellung, S. 74, 93, 94. 45 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 27. 46 Zu den ersteren Vorschriften zählt die Verordnung vom 27. Juni 1845 über die Ressortverhältnisse der Provinzialbehörden, zu den letzteren z. B. die Generalconces42

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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chenden Regelungen des Allgemeinen Landrechts ersetzen sollte, war jedoch kein Erfolg beschieden. Die zweite Kommission der Berliner Generalsynode anerkannte in einem Gutachten vom 3. Juli 1846 zwar ein dahingehendes Bedürfnis, sah aber den damaligen Zeitpunkt als für die Umsetzung dieses Vorhabens ungeeignet an.47 Gemeinrechtlichen Charakter besitzen auch einige Bestimmungen über die reformierten Religionsangehörigen in Preußen. Für die Französisch-Reformierten sind dies vor allem die Discipline ecclésiastique des églises reformées de France, die – 1660 in La Rochelle entstanden – nach der Aufnahme der Hugenotten in Preußen auch dort Geltung besaß, sowie die Réglemens, pour la Compagnie du Consistoire de l’Eglise Françoise de Berlin von 1791.48 Im Falle der Deutsch-Reformierten war im späten 18. und im 19. Jahrhundert noch die 1737 revidierte Inspections-, Presbyterial-, Classical-, Gymnasien- und Schulordnung vom 24. Oktober 1713 in Geltung.49 Schließlich existieren einige ältere gemeinrechtliche Regelungen für den Bereich des evangelischen Militärkirchenwesens. Bereits durch Verordnung vom 7. April 169250 war ein besonderes „Consistorial- oder Geistliches Feld-Kriegsgericht“ errichtet worden. Am 29. April 1711 trat ein spezielleres Militair-Consistorialreglement 51 an dessen Stelle, welches am 15. Juli 1750 durch das Renovirte Militair-Consistorialreglement und Kirchen-Ordnung des Feldministerii 52 abgelöst wurde. Dieses blieb im Zuge der Kodifizierung des Allgemeinen Landrechts weitgehend unberührt. Erst nach der politischen Neuordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zu Neuregelungen in Gestalt des Militair-KirchenReglements vom 28. März 181153 sowie der Militair-Kirchen-Ordnung vom 12. Februar 1832.54

sion vom 23. Juli 1845 für die von der Landeskirche separierten Lutheraner sowie das Patent vom 30. März 1847 über die Bildung neuer Religionsgesellschaften. 47 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 28. 48 Ausführlich hierzu Jacobson, Reformierte, S. 330 ff. 49 Abgedruckt bei Mylius, CCM I/1, Sp. 447–508. Ausführlich hierzu Jacobson, Reformierte, S. 337 ff., 345. 50 Mylius, CCM III/1, Sp. 273. 51 Mylius, CCM III/1, Sp. 265–278. 52 Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 237–258. Hierzu sowie zu den Nebengesetzen s. ausführlich G. F. Müller, Königlich-preußisches Kriegesrecht, insbes. S. 473 ff. 53 Gesetz-Sammlung 1811, S. 170 ff. 54 Gesetz-Sammlung 1832, S. 169 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

II. Provinzialrechte55 1. Provinz Preußen In Preußen, das ursprünglich im Besitz des Deutschen Ordens gestanden hatte, wurde die Reformation 1525 durch Markgraf Albrecht von Brandenburg eingeführt, welcher das Ordensgebiet damals als preußisches Lehen besaß. Er konnte dabei auf die Unterstützung der reformationsgeneigten Bischöfe Georg von Polentz (Samland) und Erhard von Queis (Pomesanien) zählen. Schon im Dezember 1525 wurden eine Kirchenordnung sowie eine diese ergänzende Landesordnung erlassen.56 Die im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehrfach umgearbeitete Kirchenordnung enthielt Bestimmungen über das – lutherische – Bekenntnis, die Agende sowie zur Kirchenverfassung und -verwaltung.57 Später traten die Konsistorialordnung von 158458, verschiedene Visitationsinstruktionen (u. a. 1638 und 1699) sowie Verordnungen über das Kirchen- und Schulwesen (u. a. 1734 und 1735) hinzu. Diese fanden 1801/02 Eingang in die Kodifikation des ostpreußischen Provinzialrechts, welches auch für das Ermland galt, wo sich erst seit 1772 Protestanten niederlassen durften.59 Auch in den übrigen westpreußischen Gebieten konnte sich das evangelische Kirchenwesen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einiger Freiheit entwickeln. Zu einer förmlichen Regelung der kirchlichen Verhältnisse kam es nicht; die vereinzelt erlassenen Bestimmungen und Observanzen wurden jedoch bei der Kodifikation des westpreußischen Provinzialrechts 1844 berücksichtigt.60 In Danzig hatten die Reformation und die Herausbildung eines evangelischlutherischen Kirchenwesens bereits 1518 begonnen; eine eigene Kirchenordnung stammt aus dem Jahre 1680. Eine von 1708 datierende und 1735 erneuerte Verordnung befaßte sich mit der kirchlichen Verwaltung sowie den Kirchengebeten, 1810 kam es zum Erlaß einer neuen Agende sowie zur Einführung eines Gesangbuches.61 Für die in Ostpreußen ansässigen DeutschReformierten galt die gemeinrechtliche (preußische) Inspections-Ordnung von 171362; die deutsch-reformierte Gemeinde in Danzig sowie die französisch-reformierte Gemeinde in Königsberg besaßen zum Teil eigentümliche Rechte.63 55 Der besseren Übersicht halber folgt die Darstellung des partikularen Kirchenrechts der Gliederung des preußischen Staates in Provinzen nach der Reorganisation 1815. 56 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 25 f. sowie Anhang II und III. 57 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 32 f. m.w. N. 58 Abgedruckt bei Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Anhang XVII. 59 Bis dahin hatte für Protestanten das 1526 erlassene und zuletzt 1726 bestätigte Verbot der Wohnsitznahme Geltung. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 33, Anm. 6 m. N. 60 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 33 m. N. 61 Ausführlich hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 236 ff. 62 Cf. supra Kapitel 2, C. I.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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1832 wurde das westpreußische Konsistorium zu Danzig mit jenem zu Königsberg vereinigt64; seither vollzog sich die kirchliche Entwicklung in den schon seit 1824 zu einer Provinz vereinigten Landesteilen weitgehend einheitlich.65 2. Provinzialrechte in der Provinz Brandenburg In den Marken besaßen die Kurfürsten seit der Verleihung durch Papst Nikolaus V. an Friedrich II. 1447 das Nominations- und Präsentationsrecht für die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus.66 Die Landesherren kontrollierten somit die kirchlichen Verhältnisse in ihrem Territorium.67 Unter Kurfürst Joachim I. (1499–1535) konnte sich die Reformation in den Marken nicht durchsetzen, obwohl sich der Brandenburger Bischof Matthias von Jagow der lutherischen Lehre angeschlossen hatte. Nach der Teilung des Territoriums betrieb Johann von Cüstrin aktiv die Reformation seines Landesteiles, der Neumark, nachdem er sich 1538 persönlich zur neuen Lehre bekannt und eine eigene Kirchenordnung erlassen hatte. Sein älterer Bruder Joachim II. ließ zunächst lediglich den von seiner Autorität abhängigen Brandenburger Bischof gewähren, konvertierte aber 1539 auch selbst zum Protestantismus und erließ im darauffolgenden Jahr eine Kirchenordnung, welche alsbald auch in der Neumark übernommen wurde. Das neue Bekenntnis war im wesentlichen lutherisch geprägt, in liturgischer Hinsicht behielt man jedoch noch weitgehend den bisherigen katholischen Ritus bei. Gleichwohl wurde die Kirchenverfassung nach sächsischem Vorbild umgestaltet und in der später verschiedentlich revidierten Visitations- und Consistorialordnung von 1543 niedergelegt.68 Nach der Vereinigung der beiden Landesteile wurden für das Gesamtterritorium die unter Johann Georg (1571–1598) 1572 erneut revidierte Kirchenordnung sowie die „Visitations- und Consistorialordnung“ in der Fassung von 1573 in Geltung gesetzt.69 Diese beiden – durch spätere Verordnungen ergänzten – Gesetze bildeten lange Zeit die Grundlage des märkischen Provinzialkirchenrechts; der 1659 63

s. hierzu Jacobson, Reformierte, S. 334 f., 356 f. Verfügung des Oberpräsidenten vom 18. November 1831, Amtsblatt Königsberg S. 541, Amtsblatt Danzig S. 629; Publication des Consistoriums vom 31. Dezember 1831, Amtsblatt Danzig 1832, S. 14. 65 Jacobson, Kirchenrecht, S. 34. 66 Dieses Privileg war Friedrich II. ad personam verliehen worden, seine Nachfolger übten es aber ohne weiteres gleichfalls aus. S. Jacobson, Kirchenrecht, S. 35. 67 Die Befugnisse blieben jedoch qualitativ hinter den Kompetenzen zurück, die sich nach der Reformation aus dem landesherrlichen Kirchenregiment ergeben sollten. Einen Überblick über die Entwicklung Brandenburgs seit dem frühen Mittelalter bieten Kurze, Art. Brandenburg I, S. 105 ff., sowie Heinrich, Art. Brandenburg II, S. 111 ff. 68 Cf. hierzu von Mühler, Geschichte, S. 60, 63 ff. 69 Jacobson, Kirchenrecht, S. 36 m. N. 64

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

durch das brandenburgische Konsistorium unternommene Versuch, eine neue Kirchenordnung zu erlassen, scheiterte.70 Die Rechtsverhältnisse der Angehörigen der reformierten Konfession richteten sich auch hier im wesentlichen nach den einschlägigen gemeinrechtlichen Bestimmungen.71 In der Markgrafschaft Niederlausitz, die durch den Frieden zu Wien 1815 von Sachsen, das die Herrschaft als böhmisches Lehen ausübte, an Preußen abgetreten und der Provinz Brandenburg zugeschlagen wurde, gab es seit 1521 evangelisch-lutherische Gemeinden, für die eine Kirchenordnung nach sächsischem Vorbild erlassen und Konsistorien sowie Superintendenten oder pastores primarii bestellt wurden. Die Konsistorien zu Sorau, Forsta und Lübben unterstanden direkt dem sächsischen Geheimen Rat; die sächsischen Generalartikel von 1557 sowie die sächsische Kirchenordnung von 1580 fanden Anwendung. Auch nach der Einführung des gemeinen preußischen Rechts blieben ausweislich der entsprechenden Patente vom 22. April und 15. November 181672 die besonderen Rechte und Gewohnheiten nach dem sächsischen Partikularrecht bestehen.73 3. Provinzialrechte in der Provinz Pommern Im Herzogtum Pommern besaßen die Landesherren das Präsentationsrecht für die dortigen Bischöfe, die ihnen als Vasallen unterstanden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurde 1534 das evangelisch-lutherische Bekenntnis allgemein eingeführt und nach dem Augsburger Religionsfrieden wiederholt bestätigt. Die mehrfach revidierte Kirchenordnung sowie die Agende stammten ursprünglich von 1535 respektive 1542 und folgten vermutlich sächsischem Vorbild.74 Während der im Laufe der Zeit häufigen Regierungswechsel – Pommern fiel zwischen 1648 und 1815 successive an Brandenburg-Preußen – behielten Kirchenordnung und Agende prinzipiell ihre Geltung, doch kam es in der Verfassung und Verwaltung der Kirche zu mannigfachen Änderungen, je nachdem welches partikulare Recht im Einzelfall zur Anwendung kam.75 Die Verhältnisse der Reformierten beruhten wiederum auf den allgemein gültigen Bestimmungen.76

70 71

s. hierzu von Raumer, Anordnung des Schulwesens, S. 209. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 37. Ausführlich hierzu bereits supra Kapitel 2,

C. I. 72

Gesetz-Sammlung 1816 S. 124, 233. Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 37 f. 74 Die Kirchenordnung scheint in Wittenberg entstanden zu sein, cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 39, Anm. 5. 75 Zur überaus komplizierten Rechtslage s. die Übersicht bei von Kamptz, Provinzialrechte II, S. 234 ff. sowie Jacobson, Der preußische Staat, S. 40–43. 76 Cf. supra Kapitel 2, C. I., sowie die Nachweise bei Jacobson, Reformierte, S. 310, 335, 347. 73

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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In Lauenburg und Bütow wurde zunächst im Zuge der Reformation mit der pommerschen Kirchenordnung und Agende das lutherische Bekenntnis eingeführt, ehe ab 1637 die Evangelischen im Wege der Gegenreformation fast vollständig verdrängt wurden.77 Erst als die beiden Herrschaften 1657 an das Haus Brandenburg gelangten, wurde das evangelisch-lutherische Bekenntnis wiederhergestellt.78 Nach Ende der polnischen Lehnsherrlichkeit 1773 wurden die Gebiete zunächst Westpreußen, 1803 schließlich Hinterpommern zugeschlagen, so daß jeweils das dort geltende Kirchenrecht Anwendung fand.79 4. Provinzialrechte in der Provinz Schlesien In den Herrschaften Schlesiens – es handelte sich seit dem 14. Jahrhundert zum Teil um im Besitz der Krone befindliche Erbfürstentümer, zum Teil um der böhmischen Lehnherrlichkeit unterliegende unmittelbare Fürstentümer und freie Standesherrschaften – konnte sich die lutherische Reformation aufgrund der weitgehend ungeordneten kirchlichen und religiösen Verhältnissen sowie der entsprechenden Stimmung im Volk rasch ausbreiten.80 Schon seit 1523 war in der Hauptstadt Breslau der evangelische Kultus fest etabliert, seine Einführung konnte auch in anderen Landesteilen fast nirgends ganz verhindert werden, auch wenn die katholische königliche Autorität dies stellenweise versuchte.81 König Ferdinand I. ließ auch die schlesischen Fürsten in den Genuß des Augsburger Religionsfriedens kommen, obwohl dieser für Schlesien eigentlich keine Anwendung finden sollte. Sein Nachfolger Maximilian II. schrieb 1564 dem Bischof von Breslau, „fast die ganze Schlesien [sei] der augspurgischen Confession verwandt und anhängig“.82 Aus dieser Zeit sowie aus der Regierungszeit Rudolfs II. (bis 1711) stammen auch die ersten Konsistorial- und Kirchenordnungen.83 Nachdem die evangelisch-lutherischen Gemeinden ungeachtet der Bestimmungen des Westfälischen Friedens in erheblichem Maße unter der Gegenreformation zu leiden hatten84, kam es 1740 zur Besetzung Schlesiens durch die preußische Armee Friedrichs des Großen. In dem Patent vom 1. Dezember 1740 erklärte der König, die „wohl hergebrachten Rechte, Freiheiten und Privi77

Ausführlich hierzu Thym, Die erste evangelische Kirche Neuendorffs, S. 34 ff. Cf. Cramer, Geschichte der Lande Lauenburg und Bütow, Band 1, S. 318 ff. Zur Stellung der Reformierten s. Jacobson, Reformierte, S. 303. 79 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 41 f. 80 Cf. hierzu Schneider, Über den geschichtlichen Verlauf der Reformation in Liegnitz und ihren späteren Kampf gegen die kaiserliche Jesuiten-Mission in Harpersdorf. 81 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 42 f., mit zahlreichen Nachweisen. 82 Zitiert nach Stenzel, Geschichte des preußischen Staats, Band 1, S. 353, Anm. 1. 83 Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 44, in den Anmerkungen. 84 s. die ausführliche Darstellung bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 44–47. 78

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legien in Publicis et Privatis, in Ecclesiasticis et Politicis“ sollten geschützt werden.85 Die evangelisch-lutherische und die katholische Kirche wurden paritätisch behandelt; die Angehörigen beider Konfessionen genossen Gewissensund Kultusfreiheit. Die Organisation des evangelischen Kirchenwesens wurde der in den übrigen preußischen Landesteilen bestehenden Verfassung angeglichen.86 Auch die Reformierten, deren früher vereinzelt existierender Kultus gänzlich verloren gegangen war, erlangten durch Friedrich II. erneut die freie Religionsausübung; ihre Verhältnisse richteten sich im wesentlichen nach den allgemein im Staat gültigen Regelungen.87 In der Oberlausitz vollzog sich der Beginn der Reformation in ähnlicher Weise wie in Schlesien, da sich das Gebiet zu jener Zeit gleichfalls unter böhmischer Herrschaft befand.88 Nachdem die Markgrafschaft an Sachsen gelangt war, blieb die bisherige Kirchenverfassung im wesentlichen bestehen; der sächsische Geheime Rat übte die Oberaufsicht aus. Der Gottesdienst richtete sich nach der sächsischen Agende. Als die Oberlausitz 1815 zum Teil an Preußen fiel und der neugebildeten Provinz Schlesien89 zugeschlagen wurde, ließ man Gottesdienst und Schulunterricht unverändert. Die Verfassung wurde jedoch dem preußischen Vorbild angeglichen, indem eine Provinzialregierung sowie Superintendenten bestellt wurden. Die gemeinen sächsischen Landesgesetze wurden durch das preußische Allgemeine Landrecht abgelöst, während die übrigen partikularen Regelungen ihre Geltung behielten.90 5. Provinzialrechte in der Provinz Posen Bei der 1815 gebildeten Provinz Posen handelt es sich überwiegend um früher zu Polen gehörige Gebiete, die im Zuge der polnischen Teilungen an Preu85

Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 47. Dies geschah vor allem durch die evangelisch-lutherische Inspections- und Presbyterial-Ordnung vom 15. September 1742, durch die Visitations-Instruction vom 22. Februar 1748, durch das Reglement vom 8. August 1750, nach welchem die Gravamina in geistlichen Angelegenheiten der in Schlesien ansässigen Religionen beurteilt werden sollten, sowie durch die Stolä-Taxordnung vom 8. August 1750. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 47 m. N. 87 Am 31. Juli 1789 wurde lediglich eine eigene Inspektionsordnung erlassen (Abdruck: NCC VIII, Sp. 3019 f.). Zum Ganzen s. Jacobson, Reformierte, S. 313, 345 f.; Gillet, Die Reformirten in Schlesien und die Union, S. 33 ff. 88 Auch hier vollzog sich die Reformation zunächst „von selbst“ in den Städten und privilegierten Grundherrschaften, so daß der König nicht anders konnte, den Evangelisch-Lutherischen den freien Kultus zu gestatten. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 49. 89 Es stellt eine Ironie dar, daß gerade das eroberte und annektierte Schlesien erst ab 1815 als Provinz (!) organisiert war. 90 Jacobson, Kirchenrecht, S. 50. 86

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ßen gelangt waren. Die lutherische Reformation hatte in Polen schon 1520 begonnen und sich unter den Deutschen sowie im polnischen Adel so rasch ausgebreitet, daß die Anerkennung seitens der Regierung nicht versagt werden konnte. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich daher bereits eine geordnete evangelisch-lutherische Synodalverfassung etabliert. Im Zuge der Gegenreformation wurde das protestantische Kirchenwesen jedoch weitgehend wieder zerstört. Erst durch das Warschauer Tractat von 1768 wurde die Unabhängigkeit der Evangelischen von den katholischen Autoritäten ausgesprochen und die Wiederherstellung der Konsistorien und Synoden zugelassen. Die unter polnischer Herrschaft verbliebenen Lutheraner und Refomierten (Unitätsgemeinden) ordneten die kirchlichen Verhältnisse nach dem 1776 von dem Jenenser Professor Scheidemantel verfaßten „Allgemeinen Kirchenrecht beyder evangelischen Confessionen in Polen und Litthauen“; die lutherische Kirchenordnung wurde 1783 nochmals modifiziert.91 Bevor diese Ordnung jedoch zur vollständigen Anwendung gelangen konnte, wurde in den durch die polnischen Teilungen an Preußen gefallenen Gebieten die Angleichung an das allgemeine preußische Kirchenwesen betrieben. In Neu-Ostpreußen übten die Kriegs- und Domänenkammern die Konsistorialgeschäfte aus, in Südpreußen die Konsistorien zu Posen und Kalisch sowie die Regierung zu Warschau. Ab 1815 teilten die Evangelischen in den nunmehr dauerhaft mit Preußen vereinigten Gebieten das Schicksal der evangelischen Landeskirche.92 Ein eigenes, selbständig gewachsenes Kirchenrecht für die Provinz Posen hat also nie existiert, sondern vielmehr das gemeine preußische Kirchenrecht, stellenweise modifiziert durch statutarische Bestimmungen und Observanzen, die auch bei der Einführung des Allgemeinen Landesrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung 1814/1816 ihre Geltung behielten.93 6. Provinzialrechte in der Provinz Sachsen Die Provinz Sachsen bestand gemäß der Verordnung vom 30. April 1815 aus verschiedenen altpreußischen Landesteilen, die 1807 verloren gegangen und 1814 wieder zurückgewonnen worden waren, sowie aus Gebieten, welche man vom Königreich Sachsen neu erworben hatte.94 Die kirchlichen Verhältnisse waren nicht einheitlich geregelt, weshalb auf die einzelnen Herrschaften separat einzugehen ist.

91

s. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 275 f. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 280 sowie die Übersicht der Verordnungen, daselbst S. 387 ff. 93 s. dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 52 f. m. N. 94 Die Verordnung ist abgedruckt in der Gesetz-Sammlung 1815, S. 95. 92

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In der Altmark ist die evangelische Kirche im Zusammenhang mit den übrigen brandenburgischen Marken entstanden; durch die Vereinigung mit dem Königreich Westfalen 1807–1814 wurde keine Veränderung des Kirchenrechts bewirkt. Insbesondere wurden die überkommenen Patronatsregelungen beibehalten.95 Das Erzstift Magdeburg wurde schon ab 1524 auf Betreiben der Bürgerschaft sowie des Stadtrates im lutherischen Sinne reformiert96; der Protestantismus verbreitete sich rasch in der gesamten damaligen Erzdiözese.97 Der Katholizismus konnte nur unter gleichzeitiger Zusicherung der freien Ausübung des evangelischen Kultus zunächst in Teilen erhalten bleiben; durch den Westfälischen Frieden gelangte die evangelisch-lutherische Kirche dank der Normaljahrregelung zur beinahen Alleinherrschaft. Während der Administration durch den Herzog von Sachsen ergingen verschiedene kirchliche Vorschriften98, die nach der Übernahme des Gebiets durch den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm 1680 revidiert und neu publiziert wurden.99 Die abermals „Revidirte und nach den neuen königlichen Edikten . . . eingerichtete und vermehrte Kirchenordnung im Herzogthum Magdeburg, wie auch in der Grafschaft Mansfeld Magdeburg. Hoheit d. d. 9. Mai 1739“ stellte bis weit ins 19. Jahrhundert die hauptsächliche Quelle des evangelisch-lutherischen Magdeburger Kirchenrechts dar und wurde auch bei der Kodifikation des Provinzialrechts zugrunde gelegt.100 Die Grafschaft Mansfeld besaß nach der (lutherischen) Reformation 1525101 zunächst eine eigene Konsistorial- sowie eine Kirchenordnung.102 Nach der 95 Jacobson, Kirchenrecht, S. 53. Ausführlich hierzu Goetze, Das Provinzial-Recht der Altmark nach seinem Standpunkte im Jahre 1835. 96 s. die Verhandlungen von 1524 bei S. F. Hahn, Collectio monumentorum, pars II (Brunswig 1726), pp. 459 et seq.; Funk, Kirchenhistorische Mittheilungen, S. 6 ff. Die als Kirchenordnung dienende „Ordnung der gemeynen Kasten usw.“ ist abgedruckt etwa bei S. F. Hahn und Richter (Kirchenordnungen I, Nr. VI). 97 Unter anderem wurde 1541 für die Stadt Halle/Saale eine Kirchenordnung erlassen (abgedruckt bei Richter, Kirchenordnungen I, Nr. LXX), die 1660 neu publiziert wurde (von Kamptz, Provinzialrechte II, S. 321 Nr. 18). 98 Es handelt sich u. a. um die Kirchen-Ordnung von 1652, die Schul-Ordnung von 1658, die Ehe-Ordnung von 1662 sowie die Agende von 1663, sämtlich abgedruckt bei Moser, Corpus juris Evangelicorum Ecclesiastici, Teil 1, S. 566 ff. 99 Im Falle der Kirchen-Ordnung geschah dies 1685; sie erschien 1686 in Halle im Druck. 100 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 54 f. 101 s. hierzu Krumhaar, Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter, S. 65 ff., 107 ff., 187 ff. 102 Die Konsistorialordnung datiert von 1560, wiederholt und verbessert 1587 (Krumhaar, Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter, S. 331–333). Die Agende wurde zuerst 1562 unter dem Titel „Manuale“ gedruckt und erschein erneut 1580 (Richter, Kirchenordnungen II, Nr. CLIII) und 1718 (Krumhaar, Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter, S. 342).

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Aufteilung zwischen Magdeburg und Sachsen wurde das in diesen beiden Territorien jeweils geltende Recht eingeführt. Hierbei blieb es auch beim Übergang an Preußen 1815.103 Auch im Fürstentum Halberstadt konnte der Landesherr das Eindringen der lutherischen Reformation nicht verhindern; die Katholischen blieben jedoch nicht ohne Einfluß. Durch den Westfälischen Frieden fiel das bisherige Bistum als säkularisiertes Fürstentum an Brandenburg; die kirchlichen Verhältnisse für beide Konfessionen wurden gemäß der Normaljahrklausel und – für den evangelischen Bereich – in Übereinstimmung mit den übrigen kurfürstlichen Landesteilen geregelt.104 Im Fürstentum Quedlinburg, wo schon 1521 im evangelisch-lutherischen Sinne gepredigt, die Reformation aber erst später förmlich vollzogen und eine Kirchenordnung durch Bestellung eines Superintendenten erst 1565 in Kraft gesetzt wurde105, kamen – nachdem Brandenburg in die Erbvogtei und Stiftshauptmannschaft eingetreten war – neben den sächsischen auch die preußischen Gesetze zur Anwendung; ab 1815 galt dann ausschließlich das gemeine preußische Kirchenrecht106. Die 1524 lutherisch reformierten Stolbergischen Grafschaften, die anscheinend nie eine eigene besondere Kirchenordnung besessen haben, bedürfen einer differenzierten Betrachtung. In Stolberg-Wernigerode, das seit seiner Begründung 1645 ein eigenes Konsistorium besaß, bestanden schon zu Zeiten der brandenburgischen Lehnsherrlichkeit gräfliche Konsistorialrechte107, die nach der vorübergehenden westfälischen Herrschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollständig restituiert wurden.108 Man wird also schwerlich sagen können, daß die dortigen evangelischen Gemeinden als der preußischen Landeskirche zugehörig angesehen werden konnten. In den Grafschaften Stolberg-Stolberg und Stolberg-Roßla existierten seit Anfang des 18. Jahrhunderts jeweils gesonderte 103

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 55 f. m. N. Durch den Westfälischen Frieden hatte Brandenburg auch Teile der Grafschaft Hohenstein, Reinstein und Derenburg erworben, die 1556 reformiert worden waren. Die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse erfolgte aber seit Mitte des 17. Jahrhunderts parallel mit Halberstadt. Jacobson, Kirchenrecht, S. 57. 105 s. Kettner, Stift Quedlinburg, insbes. S. 121 ff., 215 ff. Die mehrfach ergänzte Kirchenordnung stimmte – wie in den Verträgen Sachsens mit den Äbtissinnen des Stiftes festgelegt – mit der sächsischen in allen wesentlichen Punkten überein. Jacobson, Kirchenrecht, S. 57, Anm. 32. 106 Jacobson, Kirchenrecht, S. 57 f. 107 Zum Verhältnis Brandenburg-Wernigerode cf. von Lancizolle, Bildung des preußischen Staates I/1, S. 280 f. Der entsprechende Receß datiert vom 19. Mai 1714. 108 Die Recesse vom 28. September 1814 (von Kamptz, Jahrbücher, Heft 6, S. 345 ff.) und 13. August/17. September 1822 (von Kamptz, Annalen IV [1823], S. 512 f.; abgedruckt auch im Amtsblatt Magdeburg 1823, S. 140 f.) basieren auf dem Receß von 1714 (s. vorige Anm.). 104

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kirchliche Verwaltungen mit eigenen Konsistorien, die nach der Abtretung an Preußen 1815 zwar erhalten blieben, aber nach den Verwaltungsgrundsätzen der preußischen Landeskirche geführt wurden, wobei die hergebrachten Verordnungen und Observanzen ihre Gültigkeit behielten. Hinsichtlich der 1816 unter preußischer Oberhoheit stehenden Ämter Kelbra und Heringen kann auf das dort geltende stolbergische Kirchenrecht verwiesen werden.109 Auch im Fürstentum Eichsfeld ließ sich die dort frühzeitig einsetzende Reformation zunächst nicht unterdrücken, bevor Gegenreformation und Normaljahrsregelung dazu führten, daß die Evangelischen in der Regel nur ein privates Religionsexerzitium besaßen. Dies änderte sich jedoch unter der seit 1803 bzw. 1815 bestehenden preußischen Verwaltung; seitdem war im wesentlichen das gemeine preußische Kirchenrecht maßgeblich.110 Im Fürstentum Erfurt, wo die Reformation trotz der Landeshoheit des katholischen Erzstiftes Mainz wohl dank der Schutzherrschaft des Kurfürsten von Sachsen bereits 1521 unter persönlicher Anwesenheit Luthers durchgeführt wurde, konnte sich das evangelische Bekenntnis besonders fest etablieren, da nach Beseitigung der erzbischöflichen geistlichen Jurisdiktion über die Evangelischen die kirchlichen Angelegenheiten vom Stadtrat gemeinsam mit den evangelischen Geistlichen wahrgenommen wurden. Diese selbständige Kirchenverfassung wurde nach dem Westfälischen Frieden durch die Assecuration des Erzbischofs von 1664 und den mit Sachsen abgeschlossenen Leipziger Hauptreceß von 1665 bestätigt. Im Laufe der Zeit führte die Verwaltungspraxis zur Herausbildung eines eigenen evangelischen Statutarrechts, das aber 1803 durch das gemeine preußische Kirchenrecht abgelöst wurde.111 In der Gauerbschaft Treffurt und der Vogtei Dorla war die Reformation 1525 ebenfalls nicht aufzuhalten gewesen. Die nach sächsischen Grundsätzen verwaltete, dem lutherischen Bekenntnis zugetane evangelische Kirche war hier künftig stets die vorherrschende. 1773 wurden das summum ius circa sacra und episcopale sowie die iurisdictio ecclesiastica vertraglich Kursachsen übertragen.112 Bei der Inbesitznahme durch Preußen 1803 bzw. 1814 wurde das sächsische Kirchenrecht durch das gemeine preußische ersetzt, das Kirchenwesen also der preußischen Landeskirche inkorporiert.113

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Cf. Pinder, Provinzialrecht I, § 2438; Jacobson, Kirchenrecht, S. 59. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 60. 111 Cf. weiterhin – auch zu Fragen der Herrschaft Blankenhain – Jacobson, Kirchenrecht, S. 60 f. m.w. N. 112 Ausgenommen blieb lediglich ein einziges der katholischen Kirche verbliebenes Dorf. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 61 f. 113 Gothe, Rechts- und Justizverfassung der Gauerbschaft Treffurt und Vogtei vor dem Hainich, S. 305 ff. 110

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In den 1522 reformierten freien Reichsstädten Nordhausen und Mühlhausen entwickelte sich ein jeweils selbständiges Kirchenwesen unter Leitung des Stadtrates sowie des Superintendenten. Nach der Verbindung mit Preußen 1802 bzw. 1814 wurde allerdings auch hier das gemeine preußische Kirchenrecht anwendbar.114 Das ohne Zweifel als Stammland der lutherischen Reformation anzusehende Sachsen (Herzogtum, seit 1806 Königreich), das 1815 zu mehr als der Hälfte an Preußen fiel, übernahm bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts vollständig die evangelische Lehre. Das sächsische Kirchenrecht entwickelte sich vor allem im Anschluß an die Kirchenordnung von 1580, die auch in den zunächst selbständigen, später mit an Preußen abgetretenen Gebieten – dem Fürstentum Querfurt, der Grafschaft Barby sowie der gefürsteten Grafschaft Henneberg – in Kraft gesetzt wurde. Durch die Einführung des Allgemeinen Landrechts verloren jedoch die in all diesen Gebieten geltenden gemein-sächsischen Rechte, soweit sie wirklich gemeinrechtlichen Charakter besaßen, ihre Anwendbarkeit.115 7. Provinzialrechte in der Provinz Westfalen Von den Gebieten, aus denen 1815 die Provinz Westfalen gebildet wurde, hatten in frühreren Zeiten nur die Grafschaften Mark und Ravensberg (seit 1609), das Fürstentum Minden (seit 1648), die Grafschaften Lingen (seit 1707), Tecklenburg (seit 1707 und 1729) zum kurfürstlichen Besitz gezählt. Von 1807 bis 1814 waren sie Brandenburg-Preußen zusammen mit den 1803 acquirierten Fürstentümern Münster, Paderborn, der Abtei Herford, Propstei Cappenberg etc. entzogen. Überall dort sowie in den 1814 erworbenen westfälischen Besitzungen hatte sich die Reformation in unterschiedlicher Weise ausgebreitet und auch die Kirchenverfassung unterschiedlich entwickelt. Nach der Zusammenfassung in der Provinz Westfalen wurde unter preußischer Verwaltung ein einheitlicher Organismus geschaffen.116 In den schon anfangs des 16. Jahrhunderts zusammengeschlossenen Herzogtümern Cleve-Jülich-Berg und den Grafschaften Mark, Ravensberg fand die lutherische Reformation schon ab 1518 Eingang. Gleichwohl gestaltete sich die Lage der Augsburgischen Konfessionsangehörigen oft schwierig und uneinheitlich117; die Situation konnte sich auch nach dem Religionsfrieden von 1555 114 Die Einführung des ALR erfolgte durch Patent vom 24. März 1803 (NCC XI, Sp. 1457–1464). 115 s. die auf das Patent vom 15. November 1816 (Gesetz-Sammlung S. 233) gestützten Entscheidungen des preußischen Obertribunals bei Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 159 f., 331 f., 374. 116 Jacobson, Kirchenrecht, S. 65. 117 Die ersten durch den Herzog erlassenen Kirchenordnungen von 1530, 1532 und 1533 (abgedruckt u. a. bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 18 ff.) stellten

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nicht recht stabilisieren. Immerhin vermochten die evangelischen Landstände ein Verbot der Ausübung der Augsburger Konfession zu verhindern.118 Den Reformierten wurde zunächst keine förmliche Anerkennung gewährt; bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts wurden sie in Mark und Ravensberg nicht einmal geduldet. Hingegen verschafften im zu Kleve gehörigen Wesel flüchtige Wallonen reformierten Bekenntnisses sich das Gemeinderecht, gefolgt von aus den Niederlanden und aus Frankreich vertriebenen Calvinisten, die ihrerseits reformierte Gemeinden gründeten und diese auch gegen den Widerstand der Landesherrlichkeit behaupteten.119 Auf den Synoden zu Wesel 1568 und zu Emden 1571 wurden die Grundzüge einer reformierten Kirchenverfassung niedergelegt, die später in die Verfassung der rheinisch-westfälischen Kirche Eingang finden sollten.120 Nach dem Erbanfall an Brandenburg und Pfalz-Neuburg konnte sich die Lage stabilisieren, da beide Fürstenhäuser zunächst der Augsburger Konfession zugetan waren. Auch nach den Konversionen Johann Sigismunds von Brandenburg zur reformierten und Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg zur katholischen Kirche war blieb die Situation für die Protestanten günstig: In den nach der Teilung der Erbschaft an Brandenburg gefallenen Gebieten erhielten die Evangelischen – unter ihnen in Kleve und Mark insbesondere die Reformierten – bald das Übergewicht. Unter brandenburgischem Schutz kam es zur vollständigen Organisierung des evangelischen Kirchenwesens. Die bislang organisatorisch mit den niederländischen Gemeinden verbundenen Reformierten begründeten ein selbstständiges Kirchenwesen und schufen auf der ersten Generalsynode zu Duisburg 1610 eine vorläufige Kirchenordnung, die mehrfach ergänzt, 1654 vollendet und 1662 vom Landesherrn bestätigt wurde.121 Auch die lutherische Kirche erhielt seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts einen festen Bestand, wobei sich die Kirchenverfassung vorwiegend nicht wie im Brandenburgischen in konsistorialer, sondern – wohl nach reformiertem Modell – in presbyteraler Ordnung ausbildete. Im Anschluß an die reformierte Kirchenordnung von 1662 und in allen wesentlichen Punkten mit ihr übereinstimmend, bildete fortan die „Cleve-Märkische lutherische Kirchenordnung“ vom 6. August 1687122 die Grundlage für die weitere Entwicklung. Nachdem die kontroverstheologischen noch keine konsequente Durchführung des evangelischen Bekenntnisses dar; sie unterschieden sich z. T. erheblich von gleichzeitigen Kirchenordnungen anderer Gemeinden des Landes. Jacobson, Kirchenrecht, S. 65 f. 118 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 66. 119 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 80 ff., 99 f. 120 Jacobson, Kirchenrecht, S. 66. 121 Nachweise bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 140 ff., sowie im Urkundenteil Nr. LXVII–LXX. Zu weiteren für das reformierte Kirchenwesen maßgeblichen Rechtsquellen s. die Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 67 f., Anm. 18–22. 122 Abgedruckt bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, Urk.-Nr. XCVI.

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Auseinandersetzungen im Laufe des 18. Jahrhunderts zurückgegangen waren, wurden im Herzogtum Kleve und in der Grafschaft Mark von 1788 an eine förmliche Vereinigung der lutherischen und reformierten Synoden angebahnt123, nachdem es bereits 1787 in Jülich und Berg zu einer ähnlichen Verbindung gekommen war.124 Dort wurde außerdem im Jahre 1803 die Abendmahlsgemeinschaft der beiden Konfessionen anerkannt125 und 1806 die Erarbeitung einer gemeinsamen Kirchenordnung begonnen.126 Für die Grafschaft Ravensberg galt seit 1719 aufgrund der gemeinschaftlichen Verwaltung das Recht des Fürstentums Minden. Während der französischen Okkupation und der wechselnden Zugehörigkeit einiger Gebiete zu Frankreich bzw. Westfalen blieb die Kirchenverfassung bis zur Vereinigung mit Preußen im wesentlichen unverändert.127 In der Grafschaft Dortmund hatten die 1526 begonnenen reformatorischen Bemühungen erst nach 1562 Erfolg. Der Rat der freien Reichsstadt und die evangelischen Geistlichen übten das Kirchenregiment selbständig sowie unter strenger Beachtung des lutherischen Bekenntnisses aus. Eine eigene Kirchenordnung gab es nicht, wohl aber eine Agende. Die Reformierten hingegen wurden zunächst nicht geduldet; sie erhielten erst 1786 das Bürgerrecht und das freie Religionsexerzitium, 1789 auch das Parochialrecht.128 Nach der Wiedervereinigung mit Preußen 1815 begann der Übergang zur späteren rheinisch-westfälischen Kirchenverfassung.129 Die ursprünglich freie Reichsstadt Soest wurde 1526 im lutherischen Sinne reformiert und erhielt 1532 eine eigene Kirchenordnung, welche die Ausübung des Kirchenregiments durch den Stadtrat und den Superintendenten vorsah. Nach zwischenzeitlicher Beschränkung konnte sich das evangelische Kirchenwesen nach dem Augsburger Religionsfrieden befestigen; die zwischenzeitlich revidierte Kirchenordnung wurde zunächst auch auf die Börde ausgedehnt, bevor dort 1609/1619 eine eigenständige Kirchenordnung in Kraft gesetzt wurde. Als die Schutzherrlichkeit an Brandenburg überging, machte dieses das ius territorii et episcopale über die Stadt geltend; die zuvor geübten Konsistorialrechte wurden beschränkt. Die überkommene Kirchenordnung wurde noch mehrfach revidiert und durch weitere Kirchengesetze ergänzt. Zudem wurde die clevemärkische Gesetzgebung mehrfach auf Soest und Börde ausgedehnt; zur Über123

Näher hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 285, 337, 817, 821 f. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 275, 322. 125 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 276, 812. 126 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 809, 811. 127 Nachweise für verschiedentlich neu erlassene Regelungen der Synoden oder Regierungen bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 69, Anm. 40. 128 Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 70 mit zahlreichen Nachweisen. 129 s. infra Teil I, Kapitel 2, E. IV. 1. 124

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

nahme der märkischen Kirchenordnung kam es jedoch nicht.130 Von 1807 an teilte Soest im wesentlichen das Schicksal der Grafschaft Mark. Das ab 1524 gegen den Willen der Landesherren reformierte Lippstadt, wo neben den Lutheranern auch den Reformierten die Religionsausübung gestattet wurde, fiel erst 1851 ganz an Preußen, kann also für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung außer Betracht bleiben. Die freie Stadt Herford wurde 1523 im lutherischen Sinne reformiert, die Kirchenordnung datiert von 1532. Um sich der Reformation anschließen zu können, überließ die Äbtissin die Vogtei über das Stift und dessen Hoheitsrecht über die Stadt dem Herzog von Kleve; das Recht ging später auf die brandenburgische Regierung über. Ab 1658 wurde statt der älteren Kirchenordnung jene von Lüneburg und Verden verwendet.131 Erst 1692 entstand eine reformierte Gemeinde, deren Verhältnis zu den Lutheranern sich nach besonderen Regelungen bestimmte.132 Nach der Säkularisation 1802 wurde die Abtei der Grafschaft Ravensberg zugeschlagen, deren Schicksal sie fortan teilte. Im Bistum Minden wurde 1529 die lutherische Reformation durchgeführt, 1530 eine Kirchenordnung erlassen.133 Aufgrund der Normaljahrregelung blieb die von 1629 bis 1634 nicht ohne Erfolg durchgeführte Gegenreformation ohne einschneidende Wirkung. Nach dem Westfälischen Frieden erhielt Brandenburg das Bistum als säkularisiertes Fürstentum und organisierte es in Übereinstimmung mit den übrigen Landesteilen. Gleichwohl verwandte man neben der Kirchenordnung von 1530 ab 1619 observanzmäßig die braunschweigische sowie weitere fremde Kirchenordnungen, da eine neue eigene Kirchenordnung nicht zustande kam. Für die unter brandenburgischer Regierung entstandenen reformierten Gemeinden galt die allgemeine brandenburgische Ordnung von 1713.134 Von 1689 an gehörte dem lutherischen Konsistorium zu Minden ein reformierter geistlicher Rat an.135 In der Grafschaft Tecklenburg fand die Reformation 1532 statt; die älteste Kirchenordnung stammt von 1562. Das ursprünglich lutherische Bekenntnis wurde aber schon bald durch das reformierte ersetzt; dem entsprach auch die 1588 erlassene und 1619 bestätigte neue Kirchenordnung.136 Unter dem Einfluß 130

Zu Einzelheiten s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 70 f. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 46, 52, 131 (Anm. 94). Die ältere Kirchenordnung ist abgedruckt im Urkundenteil unter Nr. VII. 132 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 255, 339 f. 133 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 548 ff. (bes. 551); Kirchenordnung im Urkundenteil, Nr. CCL. 134 Zu Einzelheiten und Nachweisen cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 73. 135 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 6 f. m. N. 136 Diese ist abgedruckt bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, Urk.Nr. CLXXVI, sowie bei Richter, Kirchenordnungen II, Nr. CLXII. 131

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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der Verbindung mit Brandenburg-Preußen und nach der Einführung der preußischen Inspektionsordnung von 1713 und 1737 wurde das synodale Element zunehmend verdrängt; ab 1746 wurden keine Synoden mehr abgehalten. Die allmählich ins Territorium zurückgekehrten Lutheraner wurden dem Konsistorium zu Minden unterstellt137; für sie galt augenscheinlich das gemeine preußische Kirchenrecht. In der Grafschaft Lingen konnte sich die Reformation zunächst nicht durchsetzen; erst unter der oranischen Herrschaft wurde der Katholizismus gänzlich beseitigt. Die den niederländischen reformierten Grundsätzen entsprechende Kirchenordnung von 1578 sowie die übrigen kirchlichen Vorschriften blieben auch nach der Regierungsübernahme durch Preußen 1702 in Kraft; es kam jedoch zu ähnlichen Modifikationen wie in Tecklenburg.138 Die Grafschaft Steinfurt wurde 1544 lutherisch reformiert; wenig später wurde jedoch bereits das reformierte Bekenntnis eingeführt und die Tecklenburger Kirchenordnung von 1588 übernommen. Die ab 1660 durchgeführte Gegenreformation blieb letzten Endes erfolglos, 1695 wurde die Kirchenordnung in revidierter Form neu publiziert. Die Herrschaft gelangte 1815 auf dem Umweg über Berg und Frankreich an Preußen.139 Auch in der seit 1535 zunächst lutherischen, später calvinistischen Herrschaft Rheda und Gütersloh wurde die Tecklenburger Kirchenordnung von 1588 eingeführt und 1619 bestätigt. Von 1689 bis 1707 war die Herrschaft in kirchlichen Angelegenheiten vollständig mit Tecklenburg, danach mit Steinfurt verbunden und teilte jeweils deren Schicksal. In der Grafschaft Hohen-Limburg existierte ab der Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl ein lutherischer als auch ein reformierter öffentlicher Kultus. Die Lutheraner nahmen an der märkischen Synode teil; die Reformierten benutzten zunächst die bereits erwähnte Tecklenburger Kirchenordnung von 1588/1619, welche 1682 durch eine eigene neue, 1727 erneut revidierte Ordnung trat. Nach der Verbindung mit Preußen scheint zunächst keine weitere Veränderung eingetreten zu sein.140 In der Reichsherrschaft Gehmen wurde 1563 der lutherische Gottesdienst eingeführt und unter dem Schutz des brandenburgischen Lehnsherrn erhalten. Von 1702 an existierte daneben eine reformierte Gemeinde. Das gesamte protestantische Kirchenwesen gehörte zum Ministerium von Kleve.141 137

Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 419. Jacobson, Kirchenrecht, S. 74. Zu Tecklenburg s. supra. 139 Jacobson, Kirchenrecht, S. 74 f. 140 Jacobson, Kirchenrecht, S. 75. Die Kirchenordnung ist abgedruckt bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, Urk.-Nr. CCXII. 141 Jacobson, Kirchenrecht, S. 75. 138

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

In den Hochstiften Münster und Paderborn konnte sich der Protestantismus ab 1529 bzw. 1532 verbreiten, wurde aber im Wege der Gegenreformation praktisch vollständig wieder verdrängt. Erst nach der Säkularisation war in den beiden Gebieten ein ungehinderter protestantischer Kultus möglich. Im Hochstift Osnabrück fand die Reformation gegen Mitte des 16. Jahrhunderts Eingang, bevor sie teilweise wieder verdrängt wurde. Gemäß der Normaljahrregelung erhielten die Evangelischen im Amt Reckenberg ein Privatexerzitium, in Gütersloh ein Simultaneum. 1763 wurde ihnen das Recht öffentlicher Religionsausübung zugestanden.142 In Höxter sowie im Territorium der Abtei Corvey konnte sich die lutherische Reformation ab 1533 (Stadt) bzw. 1548 (Land) zunächst ungehindert entfalten. Seit 1620 unternommene gegenreformatorische Tendenzen endeten erst mit der Säkularisation der Herrschaft. Das Kirchenrecht der Evangelischen beruhte im wesentlichen auf der von den Äbten erlassenen Kirchenordnung, die 1621 erlassen und bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mehrfach revidiert wurde, zum Teil jedoch auch auf besonderen Recessen und anderen Verordnungen. Auch die braunschweigische Kirchenordnung von 1709 wurde hilfsweise herangezogen.143 Im Herzogtum Westfalen sowie im Vest (Grafschaft) Recklinghausen existierten Mitte des 16. Jahrhunderts nur vorübergehende reformatorische Bestrebungen, der Katholizismus wurde frühzeitig restituiert. Erst nach der Auflösung des Erzstiftes Köln 1803 wurde den Evangelischen unter den Regierungen von Hessen-Darmstadt bzw. Aremberg die freie Religionsausübung zuteil; hierbei verblieb es unter der 1813/15/16 eingetretenen preußischen Herrschaft.144 Im Fürstentum Siegen erfolgte ab 1530 die lutherische Reformation; 1532 wurde eine vorläufige Kirchenordnung erlassen.145 In der Folgezeit wurden regelmäßig Synoden abgehalten und Visitationen durchgeführt146, bevor 1575 das reformierte Bekenntnis eingeführt und 1586 die Kirchenverfassung in Anlehnung an die niederländische Middelburger Kirchenordnung von 1581 neu geregelt wurde.147 Eine wiederum neue, auf der Grundlage jener von 1586 sowie der kleve-märkischen von 1662 erarbeitete Kirchenordnung wurde 1664 erlassen und später mehrfach revidiert.148 Der sogenannte Hickengrund wurde nach 142 Jacobson, Kirchenrecht, S. 76 f. m.w. N.; ausführlich Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 484 ff., 512 ff., 350 ff. 143 Jacobson, Kirchenrecht, S. 77 m. N. 144 Jacobson, Kirchenrecht, S. 78. 145 Abgedruckt bei Richter, Kirchenordnungen I, Nr. XLI. 146 Eine allgemeine Visitationsordnung erging 1570; Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 659 sowie Urk.-Nr. CCCXVIII. 147 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 662; zur neuen Kirchenordnung siehe Richter, Kirchenordnungen II, Nr. CLXI. 148 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 667 f. mit Anm. 177 f., 189.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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der pfälzischen Kirchenordnung, im übrigen aber nach denselben Grundsätzen wie das Fürstentum Siegen verwaltet. Die schon früher beabsichtigte Einrichtung eines Oberkonsistoriums erfolgte 1742. Auch die reformierte Kirchenverfassung im sogenannten freien Grund (Seel- und Burbach), das zugleich mit den nassauischen Landen reformiert wurde, stimmte im wesentlichen mit jener von Siegen überein.149 Die Grafschaften Wittgenstein wurden 1534 bzw. 1543 zunächst im lutherischen Sinne reformiert, die erste gemeinsame Kirchenordnung datiert von 1555.150 Auf der Synode von 1563 kam es zu einer Repetitio reformationis eccl. sowie zum Erlaß einer Agende, welcher 1565 eine revidierte Kirchenordnung, 1569 eine Eheordnung sowie weitere Vorschriften folgten.151 Wenig später erfolgte der Wechsel zum reformierten Bekenntnis; 1574 wurde mit der kurpfälzischen Kirchenordnung auch der Heidelberger Katechismus eingeführt. Als die beiden zwischenzeitlich geteilten Grafschaften 1816 an Preußen fielen wurden lediglich einige provinzielle Detailregelungen beibehalten; ansonsten wurde augenscheinlich das gemeine preußische Kirchenrecht zur Anwendung gebracht. 8. Provinzialrechte in der Rheinprovinz Zu den älteren preußischen Besitzungen in der Rheinprovinz zählen das Herzogtum Kleve (seit 1609), die Grafschaft Moers (seit 1706) sowie das Quartier Geldern (seit 1702, 1713). Der linksrheinische Teil von Kleve, Moers und Geldern gingen 1801 an Frankreich verloren. Die Grafschaft Sayn-Altenkirchen befand sich von 1802 bis 1803 in preußischem Besitz, die 1803 erworbenen Stifter Elten, Essen und Werden bis 1807. Aus den im Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 wiedererlangten und anderen Herrschaften wurden durch die Verordnung vom 30. April 1815 die Provinzen Cleve-Berg und Niederrhein gebildet. Weitere Besitzungen – u. a. Wetzlar und Teile des französischen Saar- und Moseldepartements – kamen hinzu. 1822 wurden die beiden Provinzen zur Rheinprovinz vereinigt, bevor 1834 noch das Fürstentum Lichtenberg (Kreis St. Wendel) hinzugefügt wurde. Der Ursprung und die Entwicklung des evangelischen Kirchenwesens in der Rheinprovinz ist sehr unterschiedlicher Natur. In den Herzogtümern Jülich und Berg begann zwischen 1524 und 1527 zunächst die lutherische Reformation, und es ergingen erste kirchliche Verordnungen. Im Widerspruch mit diesen entstanden jedoch schon bald zahlreiche reformierte Gemeinden, für die sich im Laufe der Zeit eine Presbyterialverfassung 149

Cf. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 78 m.w. N. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 573 f. sowie Urk.-Nr. CCLXXIII. Diese Kirchenordnung verweist auf eine frühere Kirchenordnung für WittgensteinWittgenstein. 151 Nachweise bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 575. 150

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

entwickelte.152 Während die Zahl der lutherischen Gemeinden gering blieb153, kam es in beiden Herzogtümern zur Bildung separater förmlicher Kirchenprovinzen, die zunächst der reformierten Kirche der Niederlande angehörten. 1609/1610 wurden die beiden Provinzen vereinigt und von der niederländischen Kirche gelöst; unter brandenburgischem Schutz konnte das reformierte Kirchenwesen gut gedeihen. Der 1654 erarbeiteten und 1671 revidierten Kirchenordnung wurde jedoch im Unterschied zu jener für Kleve und Mark (1662) die landesherrliche Bestätigung durch Pfalz-Neuburg versagt. Man behalf sich statt dessen mit der faktischen Anwendung der Kirchenordnung; Streitigkeiten mit der Landesregierung wurden unter Beteiligung Brandenburgs in einzelnen Konferenzen erledigt.154 Auch das lutherische Kirchenwesen konnte sich nach und nach festigen; 1612 wurde die Zweibrücker Kirchenordnung von 1557 eingeführt. Die im Laufe des 17. Jahrhunderts erarbeiteten Modifikationen – die leges ministerii Montensis von 1655 sowie der Summarische Begriff von 1677155 fanden zwar keine landesherrliche Anerkennung, wurden aber gleichwohl benutzt, da eine neue Kirchenordnung nicht zustande kam.156 Während der französischen Herrschaft blieb im Bergischen die Verfassung der Reformierten wie der Lutheraner unverändert, während in Jülich sowie im linksrheinischen Teil Kleves die Kirchenverfassung völlig umgestaltet wurde.157 Nach dem Rückfall an Preußen wurde das Kirchenwesen, soweit erforderlich, zu einem einheitlichen Organismus mit den übrigen Landesteilen verbunden.158 Im Fürstentum Moers wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts das reformierte Bekenntnis eingeführt und 1560 durch eine Kirchenordnung befestigt. Nach der zwischenzeitliche Zugehörigkeit zum Haus Nassau-Oranien und dem Erwerb durch Preußen 1702 kamen – mit Ausnahme der Zeit der französischen Administration – die Kirchenordnung von Cleve-Mark sowie die preußische Gesetzgebung zur Anwendung.159 Im Herzogtum Geldern besaßen die Reformierten schon frühzeitig das Recht zur Religionsausübung, gerieten aber seit der Vereinigung mit den österrei152

s. im einzelnen Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 18, 86 ff., 90 ff. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 39 f. 154 Die aus diesen Konferenzen – insbesondere aus der Rheinberger Konferenz von 1697 – hervorgegangenen Entscheidungen bilden eine nicht unwichtige Quelle des Kirchenrechts. Abgedruckt bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, Urk.-Nr. XC– XCII. 155 Es handelte sich um ein auf die unveränderte Augsburger Konfession Bezug nehmendes Statut, das die bisherigen Kirchenordnungen und Synodalschlüsse zusammenfaßte. Jacobson, Kirchenrecht, S. 83. 156 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 273. 157 Zu den Details siehe – für Berg – Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 803 ff., 808 ff., 820; für Jülich ebenda, S. 770 ff., 780 ff., 786 ff. 158 Jacobson, Kirchenrecht, S. 84 m.w. N. 159 Jacobson, Kirchenrecht, S. 84 f. m.w. N. 153

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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chisch-spanischen Niederlanden unter erheblichen Druck. Gleichwohl besaßen sie – auch dank ihrer Verbindung zur niederrheinischen Kirche – seit 1580 eine eigene Kirchenordnung.160 In den ab 1713 zu Preußen gehörenden Gebieten gilt das soeben zum Fürstentum Moers Gesagte. Nachdem das Verhältnis von Lutheranern und Reformierten auf der zweiten Synode zu Düren am 25. Juni 1807 diskutiert worden war, schlossen sich die lutherischen und reformierten Gemeinden von Geldern und Neuss am 30. März 1808 – im Vorgriff auf die Union von 1817 – zu einer unierten Gemeinde zusammen.161 In der Reichsstadt Aachen fanden seit 1544 Hausgottesdienste protestantischer (wohl reformierter) Flüchtlinge, die sich in einer wallonischen sowie einer deutschen Gemeinde zusammenschlossen. 1583 genehmigte der Rat ihnen den öffentlichen Gottesdienst, zudem bildete sich auch eine lutherische Gemeinde. Nach der Verhängung der Reichsacht 1598 konnte die evangelische Religion wieder nur privat ausgeübt werden, der freie Kultus wurde erst wieder bei der Verbindung mit Frankreich gewährt. Hinsichtlich der französischen Besatzungszeit ist zu vermerken, daß das für Aachen mit zuständige reformierte Lokalkonsistorium von Stolberg (Rheinland) den dortigen lutherischen Prediger – soweit ersichtlich, mit beratender Stimme – an seinen Versammlungen teilnehmen ließ.162 In der Reichsstadt Köln existierten ab 1532 eine evangelische Gemeinde sowie infolge der Flüchtlingsströme eine wallonische/niederdeutsche reformierte sowie eine lutherische Gemeinde, die jedoch erheblichen Repressalien des katholisch gebliebenen Rates sowie der gegenreformatorischen Bewegung ausgesetzt waren. Erst 1787 wurden seitens des Rates zwei protestantische Bethäuser genehmigt; der freie Kultus begann jedoch erst mit dem Beginn der französischen Okkupation 1794.163 1808 fusionierten die beiden protestantischen Gemeinden Kölns – wie in Geldern – zu einer unierten Gemeinde. Die ebenfalls erwogene Bildung einer Gemeinde, welche die Katholiken eingeschlossen hätte, gelang jedoch nicht.164 Im Erzstift Trier begannen reformatorische Bestrebungen schon 1521, die sich jedoch im wesentlichen nur in einigen weltlichen Herrschaften, nicht jedoch im eigentlichen Stiftsgebiet durchsetzen konnten. Erst im 18. Jahrhundert gestaltete sich die Lage der Protestanten günstiger; Erzbischof Clemens Wenceslaus erließ 1783 ein Toleranzedikt.165 Zur paritätischen Behandlung der Konfessionen kam es jedoch erst mit der französischen Okkupation sowie der Säkula160 161 162 163 164 165

Jacobson, Kirchenrecht, S. 85. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 783. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 783. Im einzelnen s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 85 f. m.w. N. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 783 m. N. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 457.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

risation des Erzbistums. Auch im Erzbistum Köln gab es vom 16. bis 18. Jahrhundert nur vereinzelt evangelischen Kultus; dieser blieb noch nicht einmal dort ungestört, wo er gesetzlich zugelassen war.166 In der gefürsteten Abtei Essen fand die lutherische Reformation von 1561 bis 1563 unter Übernahme der Zweibrücker Kirchenordnung von 1557 statt; zudem wurde ein eigenes Konsistorium gebildet. Die Gegenreformation der Äbtissin konnte mit Hilfe der 1609 an Brandenburg gefallenen Erbvogtei angewendet werden. Anschließend entstanden 1664 eine neue Kirchenordnung, neben welcher die Zweibrücker Ordnung anwendbar blieb, sowie 1691 eine ausführlichere Kirchen- und Predigerordnung. Lutherische Gemeinden gab es unter im wesentlichen ähnlichen Umständen auch in Rellinghausen sowie in der Abtei Werden.167 Von 1611 an existierte außerdem in Essen eine reformierte Gemeinde, noch während des 17. Jahrhunderts auch in Werden, wobei die Zuordnung zu den Provinzialsynoden mehrfach wechselte.168 Die drei Herrschaften fielen 1802 an Preußen und teilten seither das Schicksal der Grafschaft Mark; gleichwohl gehörte Essen zunächst zur märkischen Synode, dann zu jener von Kleve und erhielt 1808 noch eine neue Kirchenordnung.169 Aufgrund des Einflusses von Trier hatte sich die lutherische Reformation in der Grafschaft Sayn erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts etablieren können. Anfang des 17. Jahrhunderts trat das reformierte Bekenntnis an die Stelle des lutherischen. Nach der Teilung der Herrschaft wurde in beiden Gebietsteilen unter Wiederherstellung der älteren Kirchenordnung von 1590 den Lutheranern der Vorzug vor den Reformierten gewährt. Die calvinistischen Gemeinden blieben erhalten, wurden jedoch unterschiedslos der lutherischen Kirchenordnung und Konsistorialverfassung unterworfen.170 Keine Besonderheiten weisen die Herrschaft Homburg an der Mark sowie die Grafschaft Gimborn-Neustadt auf. Das unter der Herrschaft Sayns reformierte Homburg fiel später an Wittgestein-Berleburg und übernahm die dortige Kirchenverfassung, besaß aber ein eigenes Konsistorium. Gimborn wurde 1552 lutherisch und war bis 1783 dem märkischen Ministerium verbunden. Beide Herrschaften gelangten im 19. Jahrhundert über Berg an Preußen.171 Die Grafschaft Wied konnte erst nach dem Augsburger Religionsfrieden erfolgreich reformiert werden; nach den Visitationen 1556 und 1559 wurde auf der Landessynode von 1564 die Einführung des Heidelberger Katechismus und damit des reformierten Bekenntnisses beschlossen. Eine erste Kirchenordnung 166 167 168 169 170 171

Jacobson, Kirchenrecht, S. 86. Zum Ganzen cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 86 f. m. N. Einzelheiten bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 173, 256. Jacobson, Kirchenrecht, S. 87. Jacobson, Kirchenrecht, S. 88 m. N. Jacobson, Kirchenrecht, S. 88 f.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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datiert von 1575, nach der Teilung der Herrschaft gab es sowohl in Wied-Neuwied als auch in Wied-Runkel eigene Kirchenordnungen, die sich jedoch nicht wesentlich voneinander unterschieden.172 In Neuwied erhielt eine infolge des Toleranzprivilegiums von 1682 begründete lutherische Gemeinde nach und nach das Recht der Parität.173 Beide Grafschaften gelangten 1815 über Nassau an Preußen. Für die Grafschaft Solms ist zu differenzieren: In Solms-Braunfels wurde 1546 die Augsburger Konfession eingeführt und das evangelische Kirchenwesen durch die allgemeine Visitation 1558 etabliert. 1579 löste nach dem Vorbild Nassaus das reformierte Bekenntnis das lutherische ab; auch wurde die kurpfälzische Agende übernommen. 1582 erging eine entsprechende Kirchenordnung. In der 1544 reformierten Solms-Hohenholms-Lich war das lutherische Kirchenwesen nach der hessischen Kirchenordnung von 1566 (revidiert 1662) organisiert; die reformierten Gemeinden benutzen die Kirchenordnung von Braunfels 1582.174 Auch diese beiden Herrschaften fielen 1815 von Nassau an Preußen. In den hier interessierenden Gebieten von Nassau-Weilburg fand schon ab 1516 die lutherische Reformation statt; das so entstandene Kirchenwesen wurde nach Art der Konsistorialverfassung organisiert. Zur Anwendung gelangten vornehmlich die Kastenordnung von 1533 sowie die Kirchenordnung von 1555, 1574 sowie 1602, zudem die Disziplinarordnung von 1625 und 1638.175 In der Reichsstadt Wetzlar wurde 1542 das lutherische Bekenntnis eingeführt und 1561 den Lutheranern, ab 1586 auch den Reformierten gemeinsam mit den Katholiken ein Simultaneum eingeräumt. Das bischöfliche Recht wurde vom Stadtrat ausgeübt.176 In der Grafschaft Saarbrücken konnte sich die Reformation erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fest etablieren. Gemäß der 1617 revidierten Kirchenordnung von 1574 richtete man eine Konsistorialverfassung ein, neben welcher die Reformierten erst ab 1643 freien Kultus erlangten.177 In der Kurpfalz läßt sich ein stetiger Wechsel des Bekenntnisses beobachten. Die Anfänge der lutherischen Reformation datieren von 1545, in diese Epoche fällt u. a. auch die Pfalz-Neuburger Kirchenordnung von 1554. 1563 wurden mit dem reformierten Bekenntnis der Heidelberger Katechismus sowie eine neue Ehe- und Kirchenordnung eingeführt. 1577 wurde das Augsburger Bekenntnis restituiert, bevor man 1585 zur 1601 revidierten Kirchenordnung zurückkehrte. 172 173 174 175 176 177

Jacobson, Kirchenrecht, S. 89. s. hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 599, 601. Jacobson, Kirchenrecht, S. 90 m. N. Weitere Details und Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 90 f. Jacobson, Kirchenrecht, S. 91 m. N. Jacobson, Kirchenrecht, S. 91 f. m. N.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Auch nach der Annahme der böhmischen Krone 1619 durch Friedrich V. sowie nach dem westfälischen Frieden blieben die Reformierten zunächst vorherrschend; 1681 wurde eine neue Presbyterialordnung erlassen. Später kam es zu einem Simultaneum mit den Katholiken.178 In Simmern wurden 1557 das lutherische Bekenntnis sowie die Zweibrücker Kirchenordnung aus dem gleichen Jahr eingeführt. 1598 wurde auch hier die reformierte kurpfälzische Kirchenordnung übernommen; es blieben nur wenige Lutheraner übrig. In Veldenz hingegen verblieb man seit 1523 ganz überwiegend bei der Augsburger Konfession sowie der Zweibrücker Kirchenordnung.179 Der vordere Teil der Grafschaft Sponheim wurde 1557 zunächst unter Einführung der kurpfälzischen Kirchenordnung lutherisch reformiert; kurze Zeit später wurde die lutherische Kirche jedoch schon wesentlich beschränkt, und das reformierte Bekenntnis wurde eingeführt. Später kam es zu erheblichen Repressalien seitens der Katholiken.180 Im hinteren Teil der Grafschaft wurde 1557 die lutherische Reformation durchgeführt und die Zweibrücker Kirchenordnung zur Geltung gebracht. Die Augsburger Konfession blieb hier stets vorherrschend und wurde durch regelmäßige Visitationen, durch mehrfache Revision der Kirchenordnung sowie durch Errichtung des Konsistoriums zu Trarbach 1672 gefestigt. Im 18. Jahrhundert wurde die Kirchenverfassung umgestaltet und das Konsistorium zu Zweibrücken als kirchliche Oberbehörde etabliert. Auch beim Übertritt der damaligen Landesherren zum Katholizismus wurde der bestehende Religionszustand durch spezielle Recesse gesichert.181 In den Wild- und Rheingräflichen Landen wurde 1554 die lutherische Lehre allgemein eingeführt; die wenig später erlassene Kirchenordnung und Agende fand 1588 als allgemeines Gesetz Anerkennung und wurde als solches 1690 bestätigt.182 Von gelegentlichen Simultanea mit den Katholiken abgesehen, blieben Augsburger Konfession und Konsistorialverfassung dem Westfälischen Frieden gemäß weitestgehend vorherrschend.183 In der Grafschaft Nieder-Katzenellenbogen wurde die lutherische Reformation durchgeführt und 1535 eine vorläufige Kirchenordnung erlassen. Später 178

Jacobson, Kirchenrecht, S. 92 m. N. Jacobson, Kirchenrecht, S. 92 f. m. N. 180 Ausführlich hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 715 ff. 181 Jacobson, Kirchenrecht, S. 93. Die wenigen in Hintersponheim lebenden Reformierten bedienten sich der kurpfälzischen Kirchenordnung von 1684. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 731, Anm. 158 f. 182 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 736, 739. Auch in der Landesordnung des Hauses Rheingrafenstein von 1754 wurde diese Kirchenordnung wieder anerkannt (Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 741). 183 Allein in dem im 17. Jahrhundert wieder katholischen gewordenen Hause Salm erlangte der Katholizismus ein gewisses Übergewicht. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 94. 179

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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wurde die Grafschaft in Gemeinschaft mit Hessen verwaltet und auch das dortige Kirchenrecht angewendet. Katholiken und Reformierte blieben noch bis 1648 aus dem Gebiet ausgeschlossen.184 Das erst 1816 als Herrschaft Baumholder aus früheren Bestandteilen anderer Territorien gebildete und seit 1819 so genannte Fürstentum Lichtenberg gelangte erst 1834 von Sachsen-Coburg-Saalfeld an Preußen. Unter der Coburgischen Regierung war zunächst der vorgefundene Bekenntnisstand gewahrt, 1820 aber die Union von Lutheranern und Reformierten auf der Synode zu Baumholder vollzogen worden. Bei der Abtretung an Preußen konnte das Gebiet ohne weiteres mit der inzwischen gültigen rheinischen Kirchenordnung in Einklang gebracht werden.185 Die Integration der fast rein katholischen Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen vollzog sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts186; diese Gebiete können daher für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleiben. 9. Die gemeinsame Kirchenordnung für die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz Wie sich aus der vorstehenden Schilderung ersehen läßt, war die Rechtslage besonders in den einzelnen zur Provinz Westfalen sowie der Rheinprovinz gehörigen, früher selbständigen oder unter fremder Herrschaft stehenden, Gebieten höchst unterschiedlich und unübersichtlich. Durch die während der französischen Besatzungszeit oder seit 1815 unter preußischer Herrschaft neu ergangenen Regelungen wurde die Situation zusätzlich verkompliziert, so daß sich der Wunsch nach einer einheitlichen Ordnung verstärkte. Aufgrund der in beiden Provinzen vorhandenen Neigung für die evangelische Union sowie der wesentlichen Übereinstimmungen der reformierten und lutherischen Kirchenordnungen etwa von Jülich, Kleve, Berg, Mark und anderen erschien das Projekt realisierbar, auch wenn etwa die presbyterianisch-synodale Verfassung der Reformierten in Jülich-Berg einerseits und die Präferenz der preußischen Regierung für das Konsistorialprinzip andererseits noch Schwierigkeiten aufwarfen. Auf der Grundlage des von der preußischen Staatsregierung 1817/18 vorgelegten und in den folgenden Jahren vielfach und auf verschiedenen Ebenen beratenen187 „Entwurf[es] einer Synodal- und einer Kirchenordnung“188 wurde eine 184

Ausführlich Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 747 ff. Cf. hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 888 ff., sowie dens., Kirchenrecht, S. 94 f. 186 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 95 m.w. N. 187 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 95 f. m.w. N. 188 s. hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 215 ff. 185

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neue gemeinschaftliche Kirchenordnung erarbeitet189, welche durch die Allerhöchste Cabinets-Ordre vom 6. März 1835 bestätigt wurde. Der Wortlaut der Verfügung, welcher die reine Beratungs- und Begutachtungsfunktion der kirchlichen Organe sowie den Gesetzesrang der neuen Kirchenordnung betont, macht deren staatskirchlichen Charakter deutlich: „Wir [haben] mit Berücksichtigung der verschiedenen [. . .] bisher geltenden Kirchenordnungen und der eingeholten Gutachten und Anträge der dortigen Synoden die Kirchenordnung für alle Gemeinden beider evangelischer Konfessionen in den dortigen Provinzen abfassen lassen. Wir ertheilen derselben mit Aufhebung aller entgegengesetzten früheren Bestimmungen hierdurch Gesetzeskraft und befehlen, daß dieselbe durch die Amtsblätter der Regierungen in den beiden Provinzen gemacht werde.“190 Schon bald wurde die neue Kirchenordnung als in etlichen Punkten verbesserungswürdig empfunden. Mit Erlaß vom 30. April 1844 ordnete das geistliche Ministerium schließlich an, daß die vierte Provinzialsynode für Rheinland und Westfalen über eine umfassende Revision der Kirchenordnung beraten solle; auf Grund eines weiteren Reskripts vom 2. September 1847 mußten jedoch die Revisionsarbeiten faktisch eingestellt werden. Auf das Projekt sollte erst 1853 – dann bereits unter Geltung der preußischen Verfassung – zurückgekommen werden.191 III. Lokale und andere partikulare Rechte: Statutarisches Kirchenrecht Wie alle Körperschaften besaßen auch die kirchlichen Gemeinschaften in Preußen die Befugnis, ihre jeweiligen Verhältnisse durch Statuten, Ordnungen, Verfassungen o. ä. – heutzutage würde man von Satzungsrecht sprechen – zu regeln. Da das Preußische Allgemeine Landrecht 1794 als Korporation nur die einzelne Kirchengesellschaft, und zwar die örtliche Gemeinde, anerkannte192, stellte das Satzungsrecht eine bedeutende Rechtsquelle dar. Nach dem Allgemeinen Landrecht waren für die Verhältnisse und Rechte der „Corporationen und Gemeinen“ die bei deren Errichtung geschlossenen Verträge oder ergangenen Stiftungsbriefe, die vom Staat erhaltenen Privilegien und Konzessionen sowie die nachfolgend unter Genehmigung des Staates gefaßten Beschlüsse maßgeblich.193 Außerdem wurde auf die hinsichtlich der verschiedenen Arten von Korporationen gesondert ergangenen Gesetze verwiesen.194 Für 189 Eine Übersicht der Kirchenordnung sowie Quellennachweise für einzelne Vorschriften derselben finden sich bei Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 906 ff. 190 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 96. 191 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 96 f. m.w. N. 192 Siehe im einzelnen infra Teil I, Kapitel 2, F. II. 193 ALR Teil II, Titel VI, § 26.

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die kirchlichen Gemeinschaften kamen als Spezialvorschrift die Regelungen in Betracht, wonach eine jede Kirchengesellschaft „wegen der äußeren Form und Feier des Gottesdienstes [. . .] dienliche Ordnungen einführen“ könne195 und sich das Verhältnis zwischen den Kirchengesellschaften und deren Mitgliedern mit Blick auf Kirchengüter und -vermögen „nach den allgemeinen Grundsätzen der Corporationen überhaupt, und demnächst nach der unter Genehmigung des Staats hergebrachten Verfassung einer jeden einzelnen Kirchengesellschaft“ bestimme.196 Die Gültigkeit des Satzungsrechts aller Korporationen, also auch der Kirchengesellschaften war von der staatlichen Genehmigung abhängig; bereits § 2 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht enthielt den Grundsatz, daß u. a. die „Statuten einzelner Gemeinheiten und Gesellschaften“ nur durch landesherrliche Bestätigung Gesetzeskraft erlangen.197 So hatte etwa die von einer Kirchengesellschaft eingeführte liturgische Ordnung (Agende) „nach erfolgter Genehmigung [seitens des Staates] mit andern Polizeigesetzen gleiche Kraft und Verbindlichkeit.“ Auch eine Änderung oder Aufhebung solchen Satzungsrechts war ohne staatliche Genehmigung nicht möglich.198 Das Allgemeine Landrecht nahm daher vielfach Bezug auf die vom Staat gebilligten oder genehmigten Statuten oder Verfassungen der Kirchengesellschaften oder geistlichen Gesellschaften.199 Das Satzungsrecht der kirchlichen Körperschaften blieb von den Veränderungen, welche die Verfassung der evangelischen Landeskirche nach der Publikation des Allgemeinen Landrechts erfuhr, im Kern unberührt. Vielmehr wurde aufgrund der inzwischen verbesserten inneren Organisation der Kirche und der einzelnen Gemeinden die im gemeinen Recht angelegte Autonomie eher gestärkt. Gerade in den an Satzungsrecht aus historischen Gründen reichen Gebieten der Provinz Westfalen sowie der Rheinprovinz war die Beibehaltung bzw. Wiederherstellung dieser Bestimmungen vorbehaltlich anderweitiger Regelungen der gemeinsamen Kirchenordnung von 1835 unproblematisch.200

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ALR Teil II, Titel VI, § 40. ALR Teil II, Titel XI, § 46. 196 ALR Teil II, Titel XI, § 235. 197 Der Grundsatz ist für Korporationen im allgemeinen ausgesprochen in ALR Teil II, Titel VI, §§ 25–26. 198 s. ALR Teil II, Titel XI, §§ 47–49. 199 So etwa in ALR Teil II, Titel XI, §§ 101, 178, 235, 947, 948, 951, 1123. 200 Ausführlich dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 98 f. Die spätere Regelung dieser Frage durch die Kirchenordnung in der revidierten Fassung von 1850 kann hier aufgrund des zeitlich begrenzten Untersuchungsgegenstandes ebenso außer Betracht bleiben wie das für die östlichen Provinzen der Monarchie 1851 entworfene „Normalstatut“. Jacobson, Kirchenrecht, S. 99 mit Anm. 7, 8. 195

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Kirchliches Satzungsrecht existierte im 18. Jahrhundert nicht nur für die örtlichen Kirchengemeinden, sondern auch für einzelne kirchliche Institutionen wie Armen- und Krankenhäuser oder Einrichtungen für Pfarrerwitwen, emeritierte Geistliche, Missionsaufgaben etc.201 IV. Ungeschriebenes Kirchenrecht Das Gewohnheitsrecht hat für das von Anfang an mit positivem Recht in Konflikt stehende protestantische Kirchenwesen mit gutem Grund stets eine bedeutende Rolle gespielt.202 Schon die Reformatoren gaben ihm – wohl um der größeren Flexibilität in einer Art „Testphase“ willen – oftmals den Vorzug gegenüber den geltenden Gesetzen, insbesondere dann, wenn es um die Nichtanwendung als überholt angesehener Vorschriften ging. Diese Auffassung war jedoch nicht unumstritten; die Gegenansicht hielt entweder die Abrogation positiven Rechts durch Gewohnheitsrecht für unzulässig oder verlangte zumindest das Vorliegen der nach kanonischem Recht für die Anerkennung von Gewohnheitsrecht erforderlichen Bedingungen, nämlich Rationabilität und longa consuetudo.203 Dies war nicht unproblematisch, fehlte es doch im reformatorischen Kirchenwesen zunächst typischerweise an einer über einen längeren Zeitraum hinweg gepflegten Übung. Die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts standen dem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht überhaupt zunächst äußerst skeptisch gegenüber; noch in § 3 des Entwurfs eines Allgemeinen Gesetzbuches wurde die Gesetzeskraft von „sogenannte[n] Gewohnheitsrechte[n], welche in diese Bücher nicht aufgenommen sind“ ebenso wie von „bloße[n] Meinungen der Rechtslehrer“ ausdrücklich ausgeschlossen. Im Allgemeinen Gesetzbuch selbst sowie im späteren Allgemeinen Landrecht erhielten die §§ 3 und 4 der Einleitung jedoch eine mildere Fassung.204 Zwar hieß es: „Gewohnheitsrechte und Observanzen, welche in den Provinzen und einzelnen Gemeinheiten gesetzliche Kraft haben sollen, müssen den Provinzial-Gesetzbüchern einverleibt sein.“ Der Gesetzestext fuhr jedoch 201

Jacobson, Kirchenrecht, S. 100. Jacobson, Kirchenrecht, S. 100, weist zu Recht darauf hin, daß alles Recht im Staat und in der Kirche ursprünglich auf der Gewohnheit beruhe; dies gelte insbesondere für die allmähliche Herausbildung religiöser Praxis. Gerade im evangelischen Bereich habe das Bestreben, den kirchlichen Bedürfnissen der Gemeinden in möglichst großem Maße zu entsprechen, sich auf die Erneuerung (Reformation) durch Herausbildung neuer Gewohnheiten stützen müssen, da auf einen Wandel unter Zuhilfenahme bzw. durch Änderung der geltenden Gesetze nicht zu denken gewesen sei. 203 Nachweise zu beiden Auffassungen bei Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 62 f., 71 f., S. 74 f. 204 Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift siehe die Auszüge aus den Materialien in dem Pensum XV der Gesetzrevision fol. 90–92, wiederholt in den Ergänzungen und Erläuterungen des Allgemeinen Landrechts, Theil I, zu §§ 1 ff. der Einleitung. 202

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fort: „Insofern aber durch Observanzen etwas bestimmt wird, was die Gesetze unentschieden gelassen haben, hat es, bis zum Erfolge einer gesetzlichen Bestimmung, dabei sein Bewenden.“ Demzufolge war ohne ausdrückliche Bestätigung seitens des Gesetzgebers immerhin die Entstehung und Geltung neuer consuetudines praeter legem möglich, bis diese ggf. im Wege der Gesetzgebung korrigiert werden. Wo das Provinzialrecht – wie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Allgemeinen Landrechts war dies mit Ausnahme der Provinz Preußen noch überall – nicht kodifiziert war, konnte auch älteres, vom Landrecht abweichendes Gewohnheitsrecht weiterhin Geltung besitzen205, soweit dies nicht etwa aufgrund eines allgemeinen Prohibitivgesetzes ausgeschlossen war.206 Ferner konnte das Gewohnheitsrecht in Fällen fortbestehen, in denen das Allgemeine Landrecht ausdrücklich auf dieses verwies.207 An der großen Bedeutung, welche den „Gewohnheiten, Observanzen, Herkommen, hergebrachten Verfassungen“ etc.208 gerade im Bereich des Kirchenrechts zukommt, konnten auch die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts ungeachtet ihrer prinzipiellen Skepsis nicht vorbeikommen: In keiner Materie des Allgemeinen Landrechts wird so oft auf das Gewohnheitsrecht209 verwiesen wie 205 s. Einl. ALR § 3 sowie § VII des Publikations-Patentes zum ALR sowie die einschlägige Entscheidung des Preußischen Obertribunals vom 18. Februar 1837 (Entscheidungen 2, S. 232). 206 Dieser Grundsatz läßt sich aus ALR §§ 61, 62 herleiten. S. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 101, Anm. 8. 207 § VII des Publikations-Patentes legt fest: „Bei der Entwerfung der Provinzialgesetzbücher ist zwar auch auf die Gewohnheitsrechte und Observanzen, welche in dieser oder jener Provinz, oder an einzelnen Orten bisher stattgefunden haben, die erforderliche Rücksicht zu nehmen. [. . .] Nach Ablauf [von drei Jahren] aber soll auf dergl. ungeschriebene Rechte, oder vermeintliche Observanzen, welche von den Vorschriften des ALR abweichen, nur in sofern Rücksicht genommen werden, als sie entweder den Provinzialgesetzbüchern einverleibt sind, oder das ALR selbst darauf [. . .] ausdrücklich in der Art verweisen hat, daß die gesetzlichen Bestimmungen nur für den Fall gegeben werden, wenn über den Gegenstand durch wohl hergebrachte Gewohnheiten eines Orts oder Districts nicht ein Anderes eingeführt wäre.“ Örtliches Gewohnheitsrecht konnte demnach im Konfliktfall nur bei ausdrücklich angeordneter Subsidiarität des positiven Rechts diesem gegenüber Geltungsvorrang besitzen. S. hierzu auch das § 3 des Publikations-Patents zum ostpreußischen Provinzialrecht sowie die Entscheidung des Preußischen Obertribunals vom 31. Januar 1842, Präjudiz 1107; Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 117. 208 Diese im ALR zu findenden Ausdrücke sind im wesentlichen gleichbedeutend, wie aus dem Vergleich der einzelnen Stellen des ALR selbst erhellt. Auch in der Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals (Entscheidungen 24, 213; Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 244) ist dies anerkannt. Demgegenüber kennt das ältere gemeine Recht deutlichere Bedeutungsunterschiede. Cf. hierzu etwa G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 230 ff.; Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts II, S. 36 f.; von Scheurl, Kirchliches Gewohnheitsrecht, S. 61. 209 Die Geltung lokalen Gewohnheitsrechts wurde anerkannt, wenn sich „eine durch ein gleichmäßiges Verhalten aller Bewohner eines bestimmten Orts oder Districts auf ein und dasselbe Rechtsgeschäft ausgedrückte allgemeine Rechtsansicht“ feststellen läßt (Entscheidung des Preußischen Obertribunals vom 4. Dezember 1840; Altmann,

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im Kirchenrecht.210 Zu beachten ist freilich, daß die Rechtsverbindlichkeit des Gewohnheitsrechts in Preußen nach Maßgabe des § 60 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht beschränkt ist. Als ungeschriebene Rechtsquelle ist schließlich auch für den Bereich des Kirchenrechts die Praxis der Gerichte und Verwaltungsbehörden heranzuziehen211, als deren Grundlage wiederum die Wissenschaft anzusehen ist.212 V. Zum Anwendungsverhältnis der verschiedenen Rechtsquellen Die jeweilige Anwendbarkeit der vorstehend geschilderten Quellen des preußischen Kirchenrechts im Einzelfall richtete sich zum Teil nach besonderen, in der preußischen Gesetzgebung niedergelegten Anwendungsregeln, zum Teil nach allgemeinen – aus dem Wesen des Rechts abgeleiteten – Grundsätzen. Nach allgemeiner Regel genoß das neuere Recht den Vorzug vor dem älteren (ius posterius derogat iuri priori) 213, die Gesetze hatten in der Regel keine Wirkung für die Vergangenheit214, sie behielten ihre Gesetzeskraft bis zur ausPraxis der preußischen Gerichte, S. 244). Voraussetzung des Gewohnheitsrechts war demnach die wiederholte gleichartige Übung (longa consuetudo). Cf. ALR Teil II, Titel XI, §§ 243, 358, 359. Im Unterschied zur Praxis zur Zeit des Corpus Iuris Fridericianum – 10, 30 oder 40 Jahre – und des preußischen Landrechts von 1721 – dort waren 30 Jahre festgelegt – traf das ALR hinsichtlich der Mindestdauer der gleichartigen Übung keine Regelung. Die Praxis hat sich für 10 Jahre entschieden, wovon das ALR selbst auszugehen scheint (cf. ALR Teil II, Titel XI, §§ 242, 870) oder die Entscheidung dem richterlichen Ermessen überlassen. Nachweise hierzu bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 102 f. (in den Anm.). 210 In zahlreichen Fällen tritt das Gewohnheitsrecht an die Stelle besonderer Gesetze, Statuten oder Verträge. S. etwas ALR Teil II, Titel XI, §§ 192, 252, 2556, 366, 710, 1219, 1234. Zur Geltung des Gewohnheitsrechts bei der Bestellung kirchlicher Amtsträger s. ALR Teil II, Titel XI, §§ 352, 358, 359, 553, 562. Weitere Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 102, Anm. 14, 15. 211 Cf. auch – gleichsam als gesetzlich angeordneten Anwendungsfall – ALR Teil II, Titel XI, § 298. Schon nach früherem Recht hatten die preußischen Richter selbst die Entscheidung zu treffen, wenn ein anwendbares Gesetz nicht zur Verfügung stand, wohingegen die selbständige Auslegung des positiven Rechts unzulässig war. Nachdem jedoch König Friedrich Wilhelm III. in einer Cabinets-Ordre vom 8. März 1798) erklärt hatte, er sehe nicht ein, „warum die Richter nicht ebenso gut zweifelhafte Gesetze sollten erklären können, wie sie Fälle entscheiden müssen, worüber es an einem Gesetze gänzlich mangelt“ (zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 104), wurde letztere Beschränkung durch Reskript vom 21. März 1798 abgeschafft. 212 Cf. hierzu Jacobson, Über den Zusammenhang der Theorie und Praxis im gemeinen und preußischen Rechte, passim. 213 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 105. 214 Einl. ALR § 14; Publikations-Patent ALR Art. VIII, XI, XIII, XIV, XVII. Zu Ausnahmen von der Regel siehe Bergmann, Das Verbot der rückwirkenden Kraft neuer Gesetze im Privatrechte, S. 206–234, sowie die Ergänzung zum ALR Einl. § 14 ff.

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drücklichen Aufhebung durch den Gesetzgeber.215 Statuten und Provinzialgesetze waren durch neuere allgemeine Gesetze nur dann aufgehoben, wenn in den letzeren die Aufhebung der ersteren „deutlich verordnet“ war.216 Im übrigen bestand grundsätzlich – in dieser Reihenfolge – ein Anwendungsvorrang wohlerworbener Rechte gegenüber besonderen Statuten, Provinzialgesetzen und gemeinem Recht217: Das partikulare Recht hatte Vorrang vor dem universellen, das spezielle vor dem generellen.218 Für das Kirchenrecht bedeutete dies: Die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts hatten den Vorzug vor dem in Deutschland geltenden gemeinen Recht, das aber de facto abgeschafft war.219 Das Allgemeine Landrecht fungierte als subsidiarisches Gesetzbuch, dem die Provinzialrechte vorgingen220, soweit nicht das Gegenteil ausdrücklich angeordnet war.221 Dies war insbesondere bei zahlreichen Angelegenheiten öffentlicher Natur, die sich auf die Verfassung oder die Verwaltung der Kirche beziehen konnten. Ein großer Teil des Inhalts der früheren Provinzial-Kirchenordnungen wurde auf diese Weise unanwendbar.222 Im übrigen konnte in ehemals selbständigen Gebieten, bei deren Verbindung mit Preußen das Allgemeine Landrecht eingeführt wurde, eine bislang als allgemeines Landesgesetz gültige Vorschrift nicht als Provinzialrecht in Geltung bleiben, weil das neuere allgemeine Recht das ältere partikulare beseitigen mußte, was bei einer Fortgeltung wegen des Anwendungsvorrangs des letzteren nicht möglich gewesen wäre. Auf diese Weise verloren zahlreiche Kirchenordnungen und Agenden, u. a. auch mehrere ältere Gesetze in der Provinz Sachsen sowie in der Ober- und Niederlausitz, ganz oder zum Teil ihre Geltung. Dagegen sollten „die bisher bestandenen besonderen Rechte, für giltig anerkannten Gesetze und Constitutionen über einzelne Rechtsmaterien und Gewohnheiten“ weiterhin gelten und das Allgemeine Landrecht bei der Lösung von Rechtsangelegenheiten nur subsidiär zur Anwendung kommen.223

215 Einl. ALR § 59. Eine indirekte Aufhebung wurde als ausreichend angesehen, wenn die Weitergeltung des älteren Gesetzes mit der neueren Bestimmung unvereinbar war. Näher dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 105. 216 Einl. ALR § 61. 217 Einl. ALR § 21. 218 Zu Einschränkungen dieses Grundsatzes s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 106. 219 Cf. Publikations-Patent zum ALR, Art. I. 220 Cf. Publikations-Patent zum ALR, Art. III. S. auch ALR Teil II, Titel XI, §§ 409, 710, 788 f., 831, 908. 221 Cf. Publikations-Patent zum ALR, Art. III; Einl. ALR, § 61, sowie supra. 222 Nachweise hierfür bei Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 45 f., 55 f. 223 s. etwa das Patent vom 24. März 1803 für das Eichsfeld, Mühlhausen, Nordhausen und Erfurt, § 2 (N C. C. XI 1803, Nr. 15; Rabe Sammlung VII, S. 333) sowie das Patent vom 15. November 1816 für die ehemals sächsischen Provinzen und Districte, § 3 (Gesetz-Sammlung S. 234).

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Für die 1807 abgetretenen und nach dem Wiener Kongreß wieder erworbenen Gebiete blieb der Regierungswechsel nicht ohne Einfluß auf den Rechtszustand, indem bei der Wiedereinführung des Allgemeinen Landrechts auf die inzwischen eingetretene Veränderung des partikularen Rechts Rücksicht genommen werden sollte: „Die in einzelnen Provinzen und Orten bestandenen besonderen Rechte und Gewohnheiten sollen, insofern sie durch die, unter den vorigen Regierungen eingeführten Gesetze aufgehoben und abgeschafft worden, auch ferner nicht mehr zur Anwendung kommen. An deren Stelle treten die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts. Dahingegen hat es bei denjenigen Provinzialgesetzen und Gewohnheiten, welche deshalb, weil sich über den Gegenstand derselben in den bisherigen Gesetzen keine Vorschriften finden, als fortbestehend beibehalten worden, auch künftig noch sein Bewenden, wie denn auch die aufgehobenen Provinzialrechte wieder volle Wirksamkeit in den Fällen erhalten, in welchen das Allgemeine Landrecht über den Gegenstand derselben keine Bestimmungen enthält.“224 Dieser Regelung kam für das Kirchenrecht insofern besondere Bedeutung zu, als der zwischenzeitliche Regierungswechsel in der Regel keine wesentlichen Rechtsänderungen mit sich brachte.225

D. Konsequenzen: Die Verfassung des evangelischen Kirchenwesens in Preußen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts I. Die Vermischung von weltlichem und geistlichem Regiment In den verschiedenen Gebieten, aus denen sich bis zum 19. Jahrhundert der preußische Staat allmählich zusammensetzte, hatte sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bis zur Reformation bzw. bis zur Vereinigung mit Preußen in geistlichen und weltlichen Herrschaften unterschiedlich gestaltet. In den ersteren waren die Rechte der Kirchenhoheit und der Kirchengewalt (ius circa sacra bzw. ius in sacra) in der Hand der geistlichen Fürsten ohne deutliche Unterscheidung verbunden und wurden durch weltliche und kirchliche Beamte ausgeübt. Die weltlichen Landesherren besaßen dagegen im allgemeinen nur ein mehr oder weniger ausgedehntes ius reformandi.226 224 Patent vom 7. September 1814 wegen Wiedereinführung des ALR usw., GesetzSammlung S. 90. Cf. auch das ähnlich lautende Patent vom 9. November 1816 wegen Wiedereinführung der preußischen Gesetze in das Herzogtum Posen, § 2 (GesetzSammlung S. 225). 225 Es handelt sich hierbei in erster Linie um das intermediäre, von 1807 bis 1814 geltende französische Recht, das die vorhandenen kirchlichen Rechtsvorschriften im allgemeinen unangetastet ließ. Zu Nachweisen s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 107, Anm. 19. 226 Cf. Reinhard, Meditationes de jure principum Germaniae; Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 7 f.

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Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts standen der Vermischung des geistlichen und weltlichen Regiments entschieden ablehnend gegenüber. Sie plädierten für eine selbständige, vom Staat unabhängige Kirchenverfassung, und zwar nach Möglichkeit unter Leitung der Bischöfe. Nur weil die katholischen Bischöfe für diese Funktion nicht zu gewinnen waren, akzeptierten die Reformatoren geradezu widerwillig und notgedrungen, daß die weltlichen Landesherren evangelischer Konfession auch das geistliche Regiment übernehmen und in Gemeinschaft mit der Kirche ausüben sollten.227 Als die katholische bischöfliche Jurisdiktion über die Evangelischen wegfiel, gingen demnach alle Rechte, die nicht zum eigentlichen ministerium verbi divini zählten228, als ius episcopale auf die evangelischen Landesobrigkeiten über, die an Stelle der bischöflichen Behörden die Konsistorien begründeten und besetzten. Die Konsistorialverfassung wurde so in Deutschland zur regelmäßigen Verfassungsform des lutherischen Kirchenwesens.229 Nur in den Territorien, deren Herrscher bei der katholischen Konfession verblieben, erhielten die evangelischen Gemeinden, soweit sie sich bilden konnten und durften, das Recht der eigenen kirchlichen Administration oder nahmen es – zum Teil im offenen Widerspruch zur Regierung – einfach in Anspruch.230 In diesen Territorien, in denen sich vornehmlich evangelisch-reformierte Gemeinden bildeten, stellten die Gemeinden den Ausgangspunkt der neuen Kirchenordnung dar, und es entstand die Presbyterial-Synodal-Verfassung.231 Dieses „Selbstverwaltungsrecht“ war jedoch lediglich vorläufig und endete in der Regel, sobald das jeweilige Kirchenwesen unter evangelische weltliche Herrschaft und damit unter das jeweilige landesherrliche Kirchenregiment geriet.232 Eine förmliche Episkopalverfassung, d. h. ein geistlich-bischöfliches Regiment, hat – anders als etwa im Falle der anglikanischen Hochkirche in England – in Preußen und auch in Deutschland insgesamt keinen dauerhaften Bestand gewinnen können. Zwischen den anderen beiden Verfassungsmodellen hat es jedoch diverse Mischformen gegeben. So sind in manche konsistorial geprägte Kirchenverfassung in unterschiedlichem Maße auch presbyterial-synodale Elemente aufgenommen worden und umgekehrt. Insbesondere hat auf diese Weise die Verfassung der evangelischen Landeskirche Preußens nach und nach einen gemischt konsistorial-presbyterialen Charakter erhalten. Zu einer der konstitutionellen Staatsverfassung nachgebildeten, das Kirchenregiment und die kirch-

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Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 9 f., 22 f. Zur Unterscheidung von ministerium verbi et sacramentorum einerseits und ministerium jurisdictionis andererseits s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 244 ff. m. N. 229 Jacobson, Kirchenrecht, S. 138. 230 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 108. 231 Jacobson, Kirchenrecht, S. 138. 232 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 108. 228

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liche Vertretung einander gegenüberstellenden Organisation des Kirchenwesens ist es jedoch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gekommen.233 II. Die Entstehung der Konsistorialverfassung 1. Der Kern der Problematik Die Entstehungsgeschichte der in der evangelischen Landeskirche Preußens vorwiegend anzutreffenden Konsistorialverfassung stellt sich als ein Produkt der vorstehend beschriebenen Umstände dar. Da der Landesherr gleichzeitig Oberhaupt des Staates und der Kirche war und zudem der preußische Staat, wie dies in Deutschland im 16. bis 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich war, eine deutliche konfessionelle Prägung aufwies, konnten die Unterschiede zwischen Staat und Kirche leicht verdunkelt werden. Für die ursprünglich als kirchliche Einrichtungen – nämlich als Kirchengerichte – konzipierten Konsistorien234 führte dies dazu, daß diese neben geistlichen auch weltliche Aufgaben – etwa die als „bürgerliche Einrichtung“ verstandenen Angelegenheiten der Kirchenhoheit (Kirchenaufsicht) – zu erfüllen hatten. Umgekehrt wurden – vor allem im 19. Jahrhundert – genuin staatliche Behörden mit der kirchlichen Verwaltung betraut.235 2. Die Anfänge der Konsistorialverfassung Die Verfassungsformen des evangelischen Kirchenwesens müssen im Kontext des protestantischen Kirchenbegriffs betrachtet werden, der seinerseits von den historischen – d. h. politischen und infrastrukturellen – Gegebenheiten des Reformationszeitalters geprägt und daher kontextabhängig ist. In geläufigen Worten definiert Art. 7 der Augsburger Konfession (Confessio Augustana) den reformatorischen Begriff der Kirche: „Die Kirche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden.“236 Diese Formel trägt der Intention der Reformatoren Rechnung, nach Möglichkeit die Einheit der Kirche zu bewahren 233 Noch König Friedrich Wilhelm IV. erklärte in der Kabinettsorder vom 30. Dezember 1850 (abgedruckt in den Aktenstücken des Oberkirchenrats III, 1, 16), daß er zwar eine synodale Verfassung wünsche, die Synoden aber nicht nach Art weltlicher „Parlamente“ als Vertreter der Kirche gegenüber den kirchlichen (d. h. staatlichen!) Behörden, sondern selbst als kirchliche (also auch staatliche?) Behörden angesehen werden müßten. 234 Ganz ursprünglich – d. h. im katholischen Bereich – handelte es sich um die kirchlichen Ehe- und Disziplinargerichte. 235 Diese war Konstellation nach der preußischen Verwaltungsreform und der Auflösung der kirchlichen Zentralbehörden faktisch gegeben; s. infra Teil I, Kapitel 2, E. II. 3.

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oder ihre Wiederherstellung zu bewirken. Die Reformatoren trafen daher keine eigenen kirchenverfassungsrechtlichen Regelungen, sondern leugneten lediglich, daß die bestehende klerikale Verfassung den Rang göttlichen Rechtes besitze. Sie machten allein die Vorgabe, daß die drei in der Kirche anzutreffenden Stände – Hausstand, Obrigkeit und Lehrstand – gemeinsam und unter gegenseitiger Begrenzung, also in einer Art „Gewaltenteilung“, an der Verwaltung der Kirche mitwirken sollten.237 Eine solche Verfassung konnte jedoch aufgrund äußerer Umstände nicht verwirklicht werden. Unter Einfluß des Wirkens Carlstadts in Wittenberg, der Wiedertäufer sowie der Bauernaufstände war die Organisation einer vom Staat unterschiedenen Kirche nicht möglich238, so daß die von den Reformatoren wiederholt dazu aufgeforderten239 evangelischen Obrigkeiten die vorläufige Kirchenleitung übernahmen. Diese Vorgehensweise fand eine rechtliche Stütze im Beschluß des Reichstages zu Speyer vom 27. August 1526, das jegliche auf das gegen Luther und seine Anhänger ergangene Wormser Edikt vom 8. Mai 1521 in die Verantwortung der Reichsstände, d. h. der Landesherren legte. Fortan folgte nun – unter Beibehaltung der bisherigen weitgehenden Identität von Staat und Kirche – die kirchliche der politischen Verfassung. Weitere Versuche, die Bischöfe durch neue Zugeständnisse doch noch für die Reformation zu gewinnen240, führten nicht zum Erfolg. Insbesondere die Ehegerichtsbarkeit warf erhebliche Probleme auf, da anstelle der bischöflichen Konsistorien gemischte Kommissionen aus Superintendenten, Pfarrern sowie Amtleuten oder Schöffen tätig wurden, ohne mit der Materie und dem gerichtlichen Verfahren hinreichend vertraut zu sein. Die Schaffung besonderer Ehegerichte wurde deshalb schon frühzeitig als notwendig angesehen241 und – zunächst in Sachsen 1539/1542 – auch vorgenommen.242

236 Die Argumente Friedrich Julius Stahls gegen diese Definition (Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten, S. 36 f.) vermögen nicht zu überzeugen. Amt und Regierung sind notwendige Konsequenz der zitierten Definition und müssen daher nicht eigens erwähnt werden. Cf. auch die sachlich im wesentlichen übereinstimmende Definition Jean Calvins, Institutiones IV, 1, 9: „Ubicumque Dei verbum sincere praedicari atque audiri, ubi sacramenta ex Christi instituto administrari videmus, illic aliquam esse Dei ecclesiam nullo modo ambigendum est.“ 237 Nachweise für die kirchenverfassungsrechtlichen Vorstellungen der Reformatoren bei Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 9 ff. 238 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 139. 239 Cf. etwa die Ermahnung Luthers „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ 1520 sowie die Vorrede zu Melanchthons „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum Sachsen“ 1528. 240 Ausführlich hierzu Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 16 ff. 241 Cf. die Ausführungen der Schmalkaldischen Artikel von 1537 „de potestate episcoporum“: „Multae sunt injustae leges Papae de negotiis matrimonialibus, propter quas magistratus debent alia iudicia constituere.“

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Gleichwohl hielten die Reformatoren zunächst noch an der Möglichkeit der Wiedervereinigung mit der katholischen Kirche und den Bischöfen fest243, jedoch ohne Erfolg. Von theologischer Seite wurde am 23. Mai 1554 auf dem Konvent zu Naumburg ausgesprochen, daß die Konsistorien an die Stelle der Bischöfe treten müßten. Durch den Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde die Suspension der bischöflichen Gerichtsbarkeit über die Evangelischen formell ausgesprochen und damit die landesherrliche Konsistorialverfassung anstelle der bischöflichen reichsrechtlich sanktioniert.244 3. Die Entstehung der Konsistorialverfassung in den preußischen Herrschaften In den meisten zur preußischen Monarchie gehörigen Herrschaften ist die Verfassung des evangelischen Kirchenwesens – wie gesehen – entweder sofort oder zumindest nach einer kurzen Übergangszeit nach sächsischem Vorbild organisiert worden. Zeigten sich die im Besitze der geistlichen und weltlichen Gewalt oder auch nur der ersteren befindlichen Bischöfe der Reformation zugeneigt, so konnte die bischöfliche Verfassung in der Regel noch eine Zeitlang fortdauern, während die Konsistorialverfassung grundsätzlich sofort eingeführt wurde, wenn es die weltliche Obrigkeit war, die sich für den Konfessionswechsel entschied. Die Übersicht zeigt, daß die spätere Praxis der Kirchenverwaltung – Ineinssetzung von Staat und Kirche, staatlicher und kirchlicher Verwaltung, staatlichen und kirchlichen Beamten – schon in der Entstehungsphase des evangelischen Kirchenwesens unmittelbar nach der Reformation vorgezeichnet und angelegt war. In der Mark Brandenburg wurde – wie gesehen – im Bistum Brandenburg zunächst im Rahmen der Kirchenordnung von 1540 die bisherige bischöfliche Jurisdiktion bestätigt; diese wurde weiterhin von den ordentlichen Konsistorien ausgeübt.245 Für die Diözesen Havelberg und Lebus, deren Bischöfe beim Katholizismus verblieben waren, wurde 1543 das neue geistliche Konsistorium zu Köln an der Spree eingerichtet. Hierbei verwandte man zwar die sächsische Ordnung, erweiterte jedoch den Geschäftskreis der Konsistorien erheblich, was in der Konsistorialordnung von 1573 übernommen und bis ins 19. Jahrhundert 242 Das 1539 geschaffene Ehegericht wurde 1542 zu einem förmlichen Konsistorium umgewandelt; außerdem wurden zwei weitere Konsistorien eingerichtet. Die „Constitution und Artikel des geistlichen Consistorii“ sind abgedruckt bei Richter, Kirchenordnungen I, S. 367 ff. 243 Cf. die Äußerungen Melanchthons von 1541, die Wittenberger Reformationsformel von 1545 u. a. Näher hierzu Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 82 ff. 244 Cf. § 20 des Augsburger Religionsfriedens, der durch Art. V § 48 IPO bestätigt wurde. 245 s. bereits supra Kapitel 1, C. II.

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hinein beibehalten wurde.246 Bei der Neuordnung des Kirchenwesens war der Kurfürst die zentrale Figur. Er war es, der die Verkündigung der neuen Lehre gestattete, die zur Neuordnung des Kirchenwesens erlassenen Vorschriften ergingen unter seinem Namen und mit landesherrlicher Autorität. Der Landesherr beauftragte und bevollmächtigte die Visitatoren, bildete das Konsistorium und behielt sich selbst einen Anteil an der Kirchenregierung und kirchlichen Rechtsprechung vor, so daß er als das eigentliche Oberhaupt der neugegründeten Kirche erscheint.247 Im Herzogtum Preußen wurde zunächst (1525) den beiden evangelischen gewordenen Bischöfen von Samland und Pomesanien die geistliche Verwaltung unter bestimmten Auflagen belassen. Der Aufgabenbereich der Bischöfe war nicht näher bestimmt, doch wurden sie 1540 und 1542 durch die sogenannte Regimentsnotul mit der Visitation betraut. Schon 1550 und 1554 ließ aber der inzwischen der bischöflichen Verfassung wenig zugeneigte Herzog Albrecht die vakant gewordenen Bischofsstühle unbesetzt; nur auf Drängen der Stände, denen die Besetzung künftig zustehen sollte, wurde das Bischofsamt überhaupt beibehalten.248 Als 1587 Bischof Wigand von Pomesanien, seit 1577 auch Administrator von Samland, gestorben war, schaffte Herzog Albert Friedrich das Bischofsamt – wie schon 1571 geplant – ab und richtete statt dessen die Konsistorien zu Königsberg und Saalfeld ein. Die neuen Behörden fungierten als landesherrliche Kollegien und besaßen das Recht der Präsentation, Prüfung und Ordination, der Rechtsprechung in Ehesachen sowie der Dispensation in geistlichen Angelegenheiten.249 Auch hier ist die spätere staatskirchliche Verwaltungspraxis – Kirchenleitung durch landesherrliche Behörden – im Grundsatz bereits verwirklicht. Dem Konsistorium zu Königsberg gehörte ab 1709 ein reformiertes geistliches Mitglied an.250 Bei der Durchführung der Reformation in Pommern erhielten die Superintendenten sowie der Bischof von Cammin die Gerichtsbarkeit, soweit diese nicht von den Landesherren selbst ausgeübt wurde.251 Für die Zukunft wurde die Mitwirkung von Synoden angeordnet. Da der Bischof die neue Ordnung verwarf, wurde er durch einen Generalsuperintendenten abgelöst. Auf der Synode zu Greifswald 1556 wurde gemäß früherer Pläne die Errichtung dreier Konsistorien nach sächsischem Vorbild zu Stettin, Greifswald und Colberg beschlossen 246

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 59 ff. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 73 f. 248 Cf. den Vertrag vom 4. Oktober 1566 und die Kirchenordnung von 1568 – sogenannte Bischofswahl. 249 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 141; ders., Geschichte der Quellen I/2, S. 2, 26, 35, 37, 47 ff., 55 ff. 250 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 6 f. m. N. 251 Cf. die Kirchenordnung von 1535, abgedruckt bei Richter, Kirchenordnungen I, S. 250, hier bes. S. 251. 247

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und vom Stettiner Landtag bestätigt; die Kirchenordnung wurde 1563 entsprechend revidiert.252 Außerdem gab es in Stralsund seit 1525 ein geistliches Gericht, in dem der Magistrat – beraten vom obersten Prediger – die Rechtssachen bearbeitete253; dieses wurde 1555 in eine kollegiale, unter Leitung des Superintendenten oder Pastor primarius stehende Behörde umgewandelt.254 Die kollegiale Struktur darf jedoch über den zumindest ansatzweise staatskirchlichen Charakter des Kirchenregiments nicht hinwegtäuschen. Die Bestellung des Generalsuperintendenten offensichtlich durch den Landesherrn – als solche erscheint die Ablösung des Bischofs – zeigt, von wem die geistlichen Amtsträger, die Kirchenleitung und damit auch das Kirchenwesen insgesamt letztendlich abhängig waren. In den vormals zu Sachsen gehörigen Gebieten erfolgte die Einführung der Konsistorialverfassung naturgemäß meist in Anlehnung an das Wittenberger Vorbild. In der Regel wurde ein Superintendent bestellt, der eine Beraterfunktion für die Geistlichen ausübte und auch den mit der Beurteilung geistlicher Angelegenheiten betrauten weltlichen Amtsträgern – Stadträten, landesherrlichen Beamten – zur Seite stand. Später – beispielsweise in Mansfeld ab 1546, in Quedlinburg ab 1565 – bildete der Superintendent mit den geistlichen und weltlichen Räten ein kollegial verfaßtes Konsistorium, das neben der Kirchenverwaltung auch die Ehegerichtsbarkeit ausübte, während letzteres in Erfurt durch Rat und geistliches Ministerium (d. h. die evangelische Geistlichkeit), in Mühlhausen und Nordhausen durch Rat und Superintendenten geschah.255 Das in Merseburg seit 1545 bestehende Konsistorium war auf Empfehlung Melanchthons eingerichtet worden.256 Die in Schlesien, Posen und Westpreußen nach der Einführung der Reformation eingerichteten kirchlichen Behörden wurden im Zuge der Gegenreformation größtenteils wieder beseitigt. Für Rheinland-Westfalen ist zu differenzieren: Die Regierung von Jülich-Berg sowie Cleve-Mark-Ravensberg zeigte sich zunächst nicht reformationsgeneigt, so daß sich eine selbständige Presbyterialverfassung ohne Konsistorium entwikkelte.257 Mit dem Beginn der brandenburgisch-preußischen Herrschaft fanden diese jedoch in die Kirchenverfassung Eingang: Seit Mitte des 17. Jahrhunderts gab es ein landesherrliches Konsistorium für die Grafschaft Ravensberg, ab 252

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 142 m.w. N. Gemäß der Kirchenordnung 1525, Nr. 3–6, sowie der Verordnung vom November 1525 (Richter, Kirchenordnungen I, S. 23, 25). 254 Ordnungen von 1555 (Richter, Kirchenordnungen II, S. 167) bzw. 1608 (Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale II, S. 682 f.) 255 s. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 142. 256 s. das Schreiben Melanchthons vom 21. August 1544, Corpus Reformatorum, Band V, S. 469 (zitiert bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 142, Anm. 10). 257 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 113, 114, 123, 173 f., 183. 253

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1652 auch für Bielefeld. Gleichzeitig wurde den Städten Herford und Bielefeld die eigene geistliche Gerichtsbarkeit bestätigt.258 Für Kleve-Mark wurden die dem evangelischen Landesherrn zustehenden Konsistorialrechte nicht von einer besonderen Behörde, sondern durch die allgemeinen Staatsbehörden ausgeübt259; ebenso verfuhr man im Fürstentum Moers, im Herzogtum Geldern sowie in den Grafschaften Tecklenburg und Lingen.260 In der Stadt Soest und der Börde hingegen fiel die Kirchenleitung 1532 an den Magistrat sowie den Superintendenten, bevor 1575 aus einer Abteilung des Rates das mit dem Superintendenten sowie jeweils zwei weltlichen und geistlichen Räten besetzte Konsistorium und Ehegericht hervorging.261 In Dortmund übte seit Beginn der Reformation 1570 der Rat zusammen mit den zwei anderen Ständen und dem geistlichen Ministerium die Funktionen des Konsistoriums aus. Der 1679 gestellte Antrag auf Einrichtung eines eigenen Konsistoriums wurde jedoch abschlägig beschieden.262 In Essen gab es seit 1563 ein eigenes Kirchengericht unter der Bezeichnung „Consistorium“, dessen Beschlüsse vom Rat vollzogen wurden. Auch in der Stadt Minden wurde 1530 eine solche Behörde aus dem Superintendenten, der evangelischen Geistlichkeit und dem Magistrat gebildet, die auch erhalten blieb, nachdem 1650 im Fürstentum Minden die Regierung die Funktion des Konsistoriums übernehmen sollte.263 In der Reichsstadt Wetzlar bestand von 1563 an das Konsistorium aus dem Rat, dem ersten Syndicus und dem Pfarrer.264 Auch in den größeren weltlichen Herrschaften von Rheinland-Westfalen bildeten sich mit der Einführung der lutherischen Konfession vielerorts konsistoriale Einrichtungen, so etwa in den Grafschaften Wittgenstein (nach 1534), Sayn (1577), Solms (1546), Nassau-Weilburg (1526) und Nassau-Siegen (1532).265 Diese blieben vielfach auch dann bestehen, wenn das lutherische durch das reformierte Bekenntnis ersetzt wurde oder das Bekenntnis mehrfach wechselte; in der Regel traten dann lediglich synodal-presbyterale Verfassungselemente hinzu, beispielsweise in Wittgenstein (1574), Sayn (1606), Solms (1579) und Nassau (1575).266 Selbst in vollständig reformierten Territorien wie z. B. der Grafschaft Wied oder der Kurpfalz wies die Kirchenverfassung konsistoriale Elemente auf.267 258

Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 128 ff. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 261, 264, 265, 354 ff., 360. 260 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 400, 403, 414, 441. 261 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 57, 62, 63. 262 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 69, 224, 300. 263 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 551, 556, 558, 561, 562. 264 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 755 f. 265 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 573, 584, 611, 624 ff., 656, 658. 266 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 576, 578, 580, 582–585; s. auch S. 586, 587, 590–613, 616–660, 662. 259

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Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß sich seit der Reformation in praktisch allen – bestehenden und künftigen – brandenburgisch-preußischen Besitzungen eine Kirchenverfassung mit mehr oder weniger starker konsistorialer Prägung hat entwickeln können. Für die spätere staatskirchliche Praxis wurde so bereits frühzeitig der Grund gelegt. 4. Die weitere Entwicklung der Konsistorialverfassung in Preußen bis zum Beginn der Monarchie Ungeachtet der vorstehend geschilderten prinzipiellen Übereinstimmung der konsistorial ausgerichteten Verfassungssysteme in den preußischen Gebieten hat sich die Konsistorialverfassung in den einzelnen Territorien mit einigen Modifikationen entwickelt, die zum Teil auf die Umstände zurückzuführen sind, unter denen in dem jeweiligen Gebiet die Reformation durchgeführt wurde, und zum Teil dem jeweiligen politischen Verfassungswesen, in welches sich die kirchliche Organisation einfügen mußte, geschuldet waren. Obwohl es sich bei den Konsistorien ursprünglich um bischöfliche Gerichte und damit um rein kirchliche Behörden handelte, entwickelten sich diese nach und nach zu staatskirchlichen Anstalten oder sogar zu rein staatlichen Institutionen. Dies läßt sich am Geschäftskreis der Konsistorien ebenso ablesen wie an der Art der Besetzung sowie der Zusammensetzung und Organisation dieser Behörden insgesamt.268 Auch das Militärkirchenwesen weist, wie zu sehen sein wird, den deutlichen Charakter einer rein staatlichen Institution auf. In den – für den brandenburgisch-preußischen Staat besonders bedeutsamen – Marken übte das Konsistorium269 nach Maßgabe der Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 die obere Leitung der kirchlichen Angelegenheiten als „selbständige Landes- und Kirchenbehörde“ aus; der Kurfürst behielt sich jedoch die Behördenaufsicht und das Selbsteintrittsrecht vor.270 Der ursprüngliche Charakter des Konsistoriums als Gericht war trotz der übernommenen Verwaltungstätigkeit zunächst noch deutlich sichtbar. Dies zeigt sich etwa daran, daß in wichtigeren Fällen zu den ordentlichen Mitgliedern – dem Generalsuperintendenten sowie drei oder vier Beisitzern – noch der Kanzler des Kammergerichts sowie einige Kammergerichtsräte hinzugezogen wurden.271

267 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 594 ff., 681–683. Cf. auch Lechler, Geschichte der Presbyterialverfassung, S. 110 ff. 268 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 144. 269 Zum Begriff und zu den Ursprüngen der Konsistorien s. auch Heun, Art. Konsistorium, S. 484 ff. Zur personellen Besetzung der märkischen Konsistorien s. Themel, Berliner Konsistorium I und II, passim. 270 s. von Mühler, Geschichte, S. 89. 271 Jacobson, Kirchenrecht, S. 144; von Mühler, Geschichte, S. 87.

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Die einzelnen Kirchenkreise standen unter der Leitung von Inspektoren, die zusammen mit den Pfarrern des jeweiligen Bezirks Kreissynoden bildeten.272 Für Angelegenheiten größerer Bedeutung wurden gelegentlich auch Landessynoden abgehalten. Das Verhältnis von Kirche und Staat war damals bereits von erheblicher Unklarheit geprägt; die zitierte, eine exakte Zuordnung vermeidende Charakterisierung bereits der frühen märkischen Konsistorien als „Landes- und Kirchenbehörde“ ist bezeichnend. Sowohl die Vorrede zum Entwurf der Konsistorialordnung von 1561 als auch der Beschluß der Ordnung von 1573 leiteten das Recht des Fürsten, die Konsistorien als Organe der Rechtspflege zu errichten, lediglich aus dessen Eigenschaft als Landesherr her, da ihn als solchen die Pflicht treffe, in seinem Territorium in jeder Beziehung Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen.273 Daher existierte gegen Entscheidungen des Konsistoriums auch das Rechtsmittel der „Supplication“ an den Landesherrn.274 Obwohl das Konsistorium ursprünglich ein bischöfliches Gericht gewesen war, wurde die Konsistorialgewalt, anders als bei der landesherrlichen Gesetzgebung in Fragen der Liturgie sowie der Ausübung des Kirchenregiments, d. h. der Aufsicht über Lehre, Gottesdienst, Disziplin und kirchliche Vermögensverwaltung, nicht auf das – wie auch immer erworbene – ius episcopale gestützt. Der 1604 durch Kurfürst Joachim Friedrich eingerichtete Geheime Rat besaß als beratendes und verwaltendes oberstes Landeskollegium ausdrücklich keine Kompetenzen für geistliche Angelegenheiten; damals trat nur der Landesherr selbst als Träger der kirchlichen Rechtsgewalt in Erscheinung.275 1614 errichtete der zum reformierten Bekenntnis konvertierte Kurfürst Johann Sigismund einen „Kirchenrat“ als oberste Kirchenbehörde mit Zuständigkeit für alle Fragen des Kirchenregiments, insbesondere für die allgemeine oberste Aufsicht in Kirchensachen sowie für die Besetzung der landesherrlichen Patronatsstellen.276 Dem Konsistorium verblieben – ihrem ursprünglichen Charakter als geistliche Gerichte gemäß – nur die Ehesachen. Das Gremium sollte paritätisch mit lutherischen und reformierten Geistlichen besetzt sein, wurde jedoch von den Lutheranern boykottiert, da der hauptsächliche Zweck der neuen 272 Die Besetzung der Inspektorenposten sowie die Vergabe der unter landesherrlichem Patronat stehenden Pfarrstellen fielen schon früh dem Konsistorium zu. Ausführlich zum Patronatsrecht des Landesherrn infra Teil I, Kapitel 2, E. IX. 273 Cf. auch Art. 7 des Zweiten Teils der Augsburger Konfession, wo die Jurisdiktion der Bischöfe in Ehesachen und anderen Streitigkeiten als ein weltliches, von der bürgerlichen Obrigkeit erworbenes Recht der kirchlichen Behörden angesehen wird. 274 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 93. 275 Cf. hierzu Klapproth/Cosmar, Der Königlich Preußische und Kurfürstlich Brandenburgische wirkliche Geheime Staatsrath an seinem Stiftungsfeste den 5. Januar 1805. 276 Näher zu seiner Besetzung und Funktion Themel, Berliner Konsistorium II, S. 60 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Einrichtung eindeutig in der Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses unter Umgehung des lutherischen Konsistoriums bestand.277 Der im Konsistorium vorhandene Widerstand gegen die Verkürzung seiner Kompetenzen führte, nachdem die Mitglieder des Geheimen Rates bereits im März 1617 hierzu geraten hatten278, 1618 zur Auflösung des Kirchenrates. Dessen Zuständigkeit für die Besetzung der landesherrlichen Patronatsstellen sowie der Inspektorenposten fiel jedoch nicht an das Konsistorium zurück, sondern wurde sodann dem am 10. (22.) Dezember 1604 gegründeten „geheimen Etatsministerium“ übertragen.279 Den Rat dieser Staatsbehörde holte der Kurfürst in zahlreichen kirchlichen Angelegenheiten ein, ernannte aber für die Ausübung einzelner bedeutenderer Amtsgeschäfte in der Regel spezielle Geheime Räte oder Kommissarien, während dem Konsistorium die laufende Verwaltung der geistlichen Angelegenheiten oblag.280 Das Jahr 1637 bildet in der Geschichte der Konsistorialverfassung der Mark Brandenburg einen eigentümlichen Einschnitt. Damals war das lutherische Konsistorium zu Köln an der Spree personell unterbesetzt, da die durch Tod oder Weggang der Amtsinhaber freigewordenen Positionen in Ermangelung geeigneter lutherischer Kandidaten nicht besetzt worden waren.281 Als 1632 Generalsuperintendent Pelargus282 starb, sollte ihm nach dem Wunsch des Kurfürsten Georg Wilhelm der reformierte Hofprediger Bergius nachfolgen. Dieser lehnte das Angebot jedoch mehrfach ab, da er als Bekenntnisfremder mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit den lutherischen Geistlichen nicht rechnen konnte. Man ließ daher die Stelle des Generalsuperintendenten vakant und beschloß statt dessen, das Konsistorium mit je einem lutherischen und einem reformierten Geistlichen zu besetzen, welche die Funktion des Generalsuperintendenten kommissarisch wahrnehmen sollten. Daher wurden durch Reskript vom 16. Mai 1637 Bergius sowie der lutherische Propst von St. Petri zu Köln, Johann Koch, zu Konsistorialräten ernannt.283 277

Cf. Nischan, Kontinuität und Wandel, S. 105. Cf. das Zitat aus dem Memorandum vom 23. März 1617 supra Teil I, Kapitel 1, Fn. 227. 279 Cf. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 144. 280 Cf. Hintze, Epochen, S. 95. 281 Themel, Berliner Konsistorium II, S. 60, vermutet, der König habe das Konsistorium auf juristische Mitglieder beschränken wollen, weil diese zugleich Kammergerichtsräte und damit kurfürstliche Beamte und leichter zu kontrollieren gewesen seien. Dies mag faktisch zutreffen; es ist jedoch zu betonen, daß auch die geistlichen Mitglieder des Konsistoriums „geistliche Räte“ und damit ebenfalls kurfürstliche Beamte waren. Daß die geistlichen Konsistorialräte dies vor allem im 18. Jahrhundert überwiegend nicht so verstanden haben, ist eine andere Frage. 282 Der Lutheraner Pelargus hatte die Einstellung Johann Sigismunds hinsichtlich der „einen evangelischen Konfession mit zwei Bekenntnissen“ geteilt, war aber nicht mit dem Landesherrn zum reformierten Bekenntnis übergewechselt. Cf. Hintze, Epochen, S. 95. 278

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Für die bis dahin bestehende Kirchenverfassung bedeutete dies einen massiven Eingriff: Eine einflußreiche, tradtionelle Position der evangelischen Kirchenverfassung fiel weg, und im Konsistorium erhielten erstmals Geistliche verschiedener Konfessionen Sitz und Stimme.284 Letzteres war aus lutherischer Sicht mit den Grundprinzipien der Konsistorialverfassung – der Kongruenz von Bekenntnis und Kirchenverfassung – unvereinbar. Aus Sicht des Kurfürsten war die Angelegenheit völlig unproblematisch. Bereits Johann Sigismund hatte die Meinung vertreten, Luthertum und Calvinismus seien nur zwei unterschiedliche Strömungen innerhalb der einen evangelischen Konfession. An dieser Auffassung hielten seine Nachfolger fest. Die Aufnahme eines Reformierten ins lutherische Konsistorium bedurfte daher aus der Sicht des Kurfürsten keiner Rechtfertigung.285 Im Kontext der landesherrlichen Maßnahmen zur Unterdrückung kontroverstheologischer Auseinandersetzungen war dieser Schritt auch staatspolitisch wünschenswert.286 Nach der Amtsentsetzung des Konsistorialpräsidenten Kemnitz zur Zeit des Großen Kurfürsten trat 1659 mit Lucius von Rahden ein reformierter Geistlicher sogar an die Spitze des Konsistoriums, was angesichts des Zeitpunkts – auf dem Höhepunkt der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen – eine ungeheure Provokation darstellte.287 Im Herzogtum Preußen hatten die Stände 1587 der Einrichtung von Konsistorien, welche die Stelle der Bischöfe einnehmen sollten, widersprochen. Johann Sigismund sicherte ihnen 1617 zu, daß anstelle der Bischöfe zwei Inspektoren ernannt werden sollten. Diese Angelegenheit wurde jedoch verzögert und 1628 nach Einholung eines Kommissionsgutachtens dadurch erledigt, daß das oberländische Konsistorium seine bisherige Verfassung – d. h. ohne Inspektoren – behalten sollte.288 1661 erhielten jedoch die vier Oberräte289 den Auftrag, das 283 Es wurde vereinbart, daß der Lutheraner Koch die Ordinationen vornehmen sollte. Offenbar schreckte der Kurfürst ungeachtet der eigenen Auffassung in der Konfessionsfrage vor dem Skandal zurück, lutherische Geistliche durch einen Reformierten ordinieren zu lassen. Ausführlich hierzu D. H. Hering, Beiträge I, S. 17–18, sowie Themel, Berliner Konsistorium II, S. 64 ff. 284 Ab 1689 gab es auch in Minden, ab 1709 in Königsberg jeweils ein reformiertes Mitglied des lutherischen Konsistoriums. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 6 f. m. N. 285 Die Berufung katholischer Prälaten als beisitzende Räte der schlesischen Konsistorien unter Friedrich dem Großen ist von eher regionaler Bedeutung und erklärt sich aus den örtlichen Umständen; theologisch ist diese Maßnahme jedoch von noch größerer Fragwürdigkeit. 286 Von anfänglichem Widerstand aus lutherischen Kreisen abgesehen, fand man sich in der Folgezeit mit der Tatsache ab, daß es stets ein reformiertes Mitglied des lutherischen Konsistoriums gab. 287 Auch das wurde weitgehend klaglos hingenommen. Ausführlich hierzu D. H. Hering, Beiträge I, S. 105 ff.; ferner Stölzel, Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung I, S. 383 f., Themel, Berliner Konsistorium II, S. 73. 288 In wichtigen Angelegenheiten sollte das Konsistorium Appellationsinstanz sein; von dort aus war der Rekurs an den Kurfürsten möglich. S. im einzelnen Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 61 f., 66 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

fürstliche „jus episcopale und Alles, was davon dependiret, besonders auch die jura patronatus fleißig zu respiciren“. Die Oberregierung, welche fortan die Leitung der kirchlichen Verwaltung übernahm, übte verschiedene zuvor von den Konsistorien wahrgenommene Aufgaben aus290 und beaufsichtigte die Konsistorien, die wiederum Aufsicht über die von den Erzpriestern und Hauptleuten der Ämter durchzuführenden Visitationen zu führen hatten.291 Hieran hielten die Landesherren auch später ungeachtet mehrfach vorgetragener Bedenken der Stände oder einzelner Adliger fest, und zwar unter ausdrücklicher Inanspruchnahme des Episkopalrechts.292 Die späteren Bemühungen der preußischen Stände um die Wiederherstellung des bischöflichen Amtes blieben erfolglos.293 In Pommern besaßen der Generalsuperintendent und die allgemeine Synode auch nach Einführung der Konsistorien zunächst noch einen wesentlichen Anteil am Kirchenregiment. Die letzte Synode fand jedoch 1593 statt294, und die Gerichtsbarkeit der Generalsuperintendenten wurde 1636 an die Konsistorien übertragen, welche jedoch die bedeutenderen Sachen – insbesondere jene, die das landesherrliche ius episcopale oder die Landesobrigkeit berührten – der Regierung vorzulegen hatten, die auch die Oberaufsicht über die Konsistorien führte.295 Nachdem sich die Stadt Stralsund dem landesherrlichen Kirchenregiment unterworfen hatte, wurde das dortige Konsistorium durch den Erbvergleich vom 11. Juli 1615 anerkannt; es entschied jedoch nur in erster Instanz in Fällen, die geistliche Personen in geistlichen Sachen betrafen.296 Die Inspektion in den Kirchenkreisen wurde durch die Praepositi (Pröpste) durchgeführt; in ihren Distrikten hielten die Generalsuperintendenten zum Zwecke der Visitation Konvente (Partikularsynoden) ab.297 289 Gemeint sind Landhofmeister, Oberburggraf, Kanzler und Obermarschall. Jacobson, Kirchenrecht, S. 145 Fn. 4. 290 Z. B. im Dispensations- oder Verordnungswesen. 291 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 72 ff. 292 In einem Reskript des Kurfürsten vom 16. Februar 1695 an die preußische Regierung heißt es dazu: „Es ist Euch bekannt und wird hoffentlich niemand in Zweifel ziehen, das Wir aldort der Obriste Bischof im Lande sein, und das Wir die Uns deshalb competirende Jura über alle [. . .] zu exerciren haben. Nicht weniger ist bekannt, daß wir die Beobachtung solcher Unserer Jurium episcopalium in eben dermaßen, wie Wir dieselben in eigener höchster Person exerciren möchten (nur das die casus gratiae Uns davon vorbehalten bleiben), Unsern dortigen Consistoriis demandirt haben [. . .]“. (Handschrift des Konsistoriums zu Königsberg, Fol.-Nr. 371, S. 55). Cf. hierzu Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 27. 293 Bescheid des Kurfürsten vom 22. Dezember 1696 (11. Januar 1697) in den Manuskripten des Konsistoriums zu Königsberg, Fol.-Nr. 371, S. 62 ff. 294 Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 262. 295 Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 479, 541, 550. 296 Ziemssen, Urkundliche Nachweisung des Grundes der Eigenthümlichkeit der evangelisch-lutherischen Kirchen-Verfassung der Stadt Stralsund, S. 14 f. 297 Die Partikularsynoden fanden alle zwei bis drei Jahre statt. Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 545 ff.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Diese Ordnung blieb, als Teile Pommerns an Preußen fielen, im wesentlichen unverändert, da die konsistoriale Kirchenverfassung hier wie dort auf denselben Grundlagen beruhte, die auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im ganzen brandenburgisch-preußischen Staatsgebiet – mit Ausnahme einzelner Teile von Rheinland-Westfalen – im wesentlichen unverändert blieben, auch wenn es in einigen organisatorischen Detailregelungen noch manche Veränderungen gab. Das landesherrliche Kirchenregiment der brandenburgisch-preußischen Herrscher wurde insbesondere unter der Regierung Friedrich Wilhelms – des Großen Kurfürsten – sowie Friedrichs III. weiter befestigt und erweitert.298 Die von Friedrich III. – dem späteren König Friedrich I. – zum Zwecke der Zusammenführung der reformatorischen Bekenntnisse versuchte Einführung der evangelischen bischöflichen Verfassung299 sollte dem keinen Abbruch tun, wie aus dem Vorwort des hierzu von Hofprediger Jablonski verfaßten Plans bereits deutlich hervorgeht.300 Insbesondere die Entwicklung in der Mark Brandenburg und im Herzogtum Preußen zeigt, daß das Konzept der Kirchenverfassung – kirchliche oder landesherrliche Institution bzw. Organe – in hohem Maße unklar war. Die Tendenz der Landeskirche und ihrer Behörden hin zu einer Institution, die ihre Legitimation vom Landesherrn als weltlichem Oberhaupt des Territoriums erhielt, war schon im 17. Jahrhundert deutlich erkennbar. 5. Die Konsistorialverfassung in den Anfangszeiten der Monarchie Von der Begründung der Monarchie an war der König das Oberhaupt der preußischen Landeskirche. Er vereinigte mit seinem Majestätsrecht in Kirchensachen – dem ius circa sacra (Kirchenherrschaft oder Kirchenregiment im weiteren Sinne) – die Kirchengewalt – das ius in sacra oder ius episcopale (Kirchenregiment im engeren Sinne) – in einer Hand. Eine strenge Unterscheidung zwischen den beiden Rechtskreisen fand weder seitens des Landesherrn selbst noch auf der Ebene der von ihm eingesetzten – also königlichen301 – Behörden statt.

298 Dies erhellt aus der damaligen Gesetzgebung in Kirchensachen und den eigenen Erklärungen beider Regenten über ihre Stellung als Oberhäupter der Kirche. S. etwa das Decisum vom 22. Dezember 1696 (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 77 f.) sowie die Nachweise supra Fn. 292 und 293 (in diesem Kapitel). 299 s. dazu infra Teil I, Kapitel 2, E. III. 7. sowie Jacobson, Kirchenrecht, S. 6, Anm. 23 f. 300 „Au premier égard il faut faire voire qu’un Episcopat Protestant ne diminue ni n’enfraint en quoi que ce soit les Droits de la Souveraineté sur les choses sacrées, qu’au contraire il les fortifie et les assure.“ Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 146, Anm. 11. 301 So auch Brandes, Geschichte I, S. 495.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Konsistorien gegenüber der Zentralstelle im Geheimen Rat an Bedeutung verloren. Dort entwickelte sich nach und nach ein ständiges Dezernat für die geistlichen Sachen, das als erstes von Paul von Fuchs geleitet worden sein dürfte. Unter Friedrich dem Großen schließlich entstand hieraus ein eigenes Departement der geistlichen Angelegenheiten, das in der Regel mit einem lutherischen und einem reformierten Minister doppelt besetzt war. Anders als im Falle der Ministerien für auswärtige Angelegenheiten (Kabinettsministerium) sowie für Inneres und Finanzen (Generaldirektorium) kam es jedoch nicht zur organisatorischen Trennung des Geistlichen Departements vom Geheimen Rat und zur Herausbildung eines eigenen Kultusministeriums; die enge Verzahnung mit der im ebenfalls Geheimen Rat verbliebenen Justizverwaltung blieb erhalten. Die preußischen Herrscher behielten sich selbst und ihrem Staatsministerium die wichtigsten Einzelfälle vor, während die übrigen Angelegenheiten in höherer Instanz für die Reformierten in ganz Brandenburg-Preußen durch eigene reformierte Oberbehörden erledigt wurden, die für das lutherische Kirchenwesen jedoch vorerst nicht existierten.302 Für die Französisch-Reformierten303 wurde 1689 bestimmt, daß gegen Entscheidungen der Consistoires (Presbyterien) in bestimmten Fällen die Berufung an gesondert zu bestellende französische Commissarien statthaft sein sollte, die unter der Aufsicht der reformierten Staatsminister und des Landesherrn selbst standen. Diese Kommissarien – zwei geistliche und zwei weltliche Herren – wurden 1694 als Commission Ecclésiastique zur Regelung jener Fälle eingesetzt, die zum Nachteil der landesherrlichen bischöflichen Autorität („au préjudice de l’authorité Episcopale du S. S. E.“) sowie der durch die Discipline ecclésiastique hergestellten Ordnung gereichen könnten. Am 26. Juli 1701 wurde diese Kommission zum Oberkonsistorium („Tribunal Ecclésiastique et Consistoriale sur les colonies françoises“) für alle französisch-reformierten Gemeinden des Staates erhoben. Als solches hatte es – in der Regel abschließend – über alle Kirchen- und Konsistorialangelegenheiten zu entscheiden, bei denen zumindest die beklagte Partei französisch-reformiert war, sofern sich nicht der König die Entscheidung – nämlich in Fragen der Religion und des Bekenntnisses – selbst vorbehalten hatte. Als ausführende Organe des Oberkonsistoriums in den einzelnen Provinzen wurden 1736 Inspektoren ernannt.304 Für die Deutsch-Reformierten305 wurde am 10. Juli 1713 das Reformierte Kirchendirektorium errichtet, das über alle reformierten Kirchen und Schulen 302

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 146. Ausführlich zu den französisch-refomierten Gemeinden s. infra Teil I, Kapitel 2, E. V. sowie Jacobson, Reformierte, S. 321 ff. 304 s. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 146 f. 305 Ausführlich hierzu Jacobson, Reformierte, S. 337 ff. 303

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des Königreichs und der Provinzen die Oberaufsicht ausübte.306 Die Mitglieder wurden vom König ernannt; auch das Kirchendirektorium besaß daher den Charakter einer königlichen Behörde.307 Von dessen Zuständigkeit ausgenommen waren lediglich die königlichen Hofprediger, die unter der persönlichen Aufsicht des Königs standen, die vor die Konsistorien gehörigen Ehesachen sowie die reformierten Kirchenangelegenheiten in den Gebieten Kleve, Mark und Ravensberg, wo jeweils eigene Kirchenbehörden vorhanden waren. Die dem Kirchendirektorium unterstellten Gemeinden und Schulen wurden in „Classen“ eingeteilt, für die jeweils Inspektoren ernannt wurden.308 Da die aus Geistlichen und Ältesten bestehenden Classicalkonvente und Provinzialsynoden nicht tagten, verblieb es bei der Ausübung der Kirchenleitung vornehmlich durch königliche Erlasse. Die überarbeitete Inspections- und Visitationsordnung von 1737 enthielt keinen Hinweis auf die frühere Classicalordnung und verstärkte statt dessen die Befugnisse der Superintendenten und Inspektoren bei der Aufsicht über die Geistlichen.309 Für das lutherische Kirchenwesen, die eigentliche Landeskirche der preußischen Monarchie, war eine Zentralbehörde für den ganzen Staat zunächst nicht vorhanden, allerdings war die Kirchenverfassung – wie geschildert – auf Provinzebene weiter entwickelt. Die bei den Provinzregierungen angesiedelten oberen Justizbehörden übten die Aufsicht über Hoheits- und geistliche Angelegenheiten aus. König Friedrich I. gründete 1720 für die Kurmark ein lutherisches ÄmterKirchen-Direktorium, das die Aufsicht über die königlichen Amtskirchen sowie über deren Einkommens- und Vermögensverwaltung erhielt.310 In der Provinz Preußen war die Regierung, welche seit dem Beginn der Monarchie den Namen „Etatsministerium“ trug311, nur Verwaltungsbehörde; die Rechtspflege wurde durch das Hofgericht und das Tribunal ausgeübt. Den Regierungen unterstanden die Konsistorien, deren Aufgabenbereich im Vergleich zu früher im wesentlichen unverändert geblieben war.312 Neben den Konsisto306

Die Ordnung ist nur archivarisch vorhanden. Cf. Brandes, Geschichte I, S. 495. 308 Maßgeblich hierfür war die „Königlich Preußischen Evangelisch-Reformirte Inspections-, Presbyterial-, Classical-, Gymnasial- und Schulordnung“, abgedruckt bei Mylius, CCM I/1, Sp. 447–508. Ausführlich dazu von Mühler, Geschichte, S. 219. ff. 309 Dies geschah insbesondere durch die Einführung der Conduitenlisten; cf. von Mühler, Geschichte, S. 228. 310 Cf. das Reglement vom 1. Februar 1723, in: Stengel’s Beiträge zur Kenntniß der Justizverfassung und der juristischen Litteratur in den Preußischen Staaten, Band IV, S. 323 f. 311 Cf. von Kamptz, Kurze Geschichte des vormaligen Ostpreußischen Etats-Ministeriums, S. 501 ff. 312 Näher dazu Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 82 ff. 307

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rien bestanden in der Provinz Preußen die „Kirchen- und Schulcommission“ sowie das „Kirchencollegium“, die 1722 bzw. 1734 von König Friedrich Wilhelm I. speziell für die Verwaltung des litauischen Kirchen- und Schulwesens geschaffen wurden.313 In den einzelnen Kirchenkreisen amtierten wie bisher Inspektoren, die bisweilen auch die Bezeichnung „Erzpriester“ oder „Superintendenten“ führten. Über ihre Bestellung war nur bestimmt, daß „aus jedem District der geschickteste Pfarrer und der ein exemplarisches Leben führt, dazu bestellt werden [solle], um auf der übrigen Pfarrer Leben und Wandel und Respicirung ihres Predigtamts Acht zu haben“.314 Es liegt nahe zu vermuten, daß diese Inspektoren ihr Amt kraft landesherrlicher Ernennung erhielten und ausübten. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß über sie nicht nur die landesherrlichen Konsistorien die Aufsicht führten, sondern die Aufsicht schon frühzeitig dem Oberhofprediger zu Königsberg übertragen war. 1736 wurde zu diesem Behufe – gleichzeitig auch für den Zweck der Ordination und Amtseinführung von Geistlichen – das Amt eines Generalsuperintendenten für die Provinz Preußen geschaffen.315 Unter Friedrich dem Großen wurde die bestehende Ordnung fortgesetzt und befestigt; außerdem wurde 1750 mit dem lutherischen Oberkonsistorium316 die noch fehlende zentrale Behörde für das lutherische Kirchenwesen geschaffen. In der Sache handelte es sich vornehmlich um eine Erweiterung des bisherigen märkischen Provinzialkonsistoriums, dessen Aufgaben das Oberkonsistorium weiterhin wahrnahm. Zugleich wurden jedoch alle anderen Provinzialkonsistorien seiner Aufsicht und Leitung unterstellt. Das aus zwei weltlichen Präsidenten und sieben Räten – darunter zwei weltliche und unter den geistlichen ein Reformierter – bestehende und die früheren Subalternen beibehaltende Oberkonsistorium317 war mit der Ausbildung und Examinierung der Geistlichen betraut und wirkte als deren zentrale Disziplinarbehörde. In dieser Funktion hatte es auch die von den Provinzialkonsistorien ergriffenen disziplinarischen Maßnahmen zu überwachen. Ferner beaufsichtigte das Oberkonsistorium die Schulen, Krankenhäuser, Armenhäuser und sonstigen pia corpora mit Ausnahme jener von Schlesien und Geldern sowie das Rechnungswesen der königlichen Kirchen und geistlichen Stiftungen; es begutachtete außerdem die Kandidaten für theologische Professuren.318 Der Charakter des Oberkonsistoriums war zwiespältig. Von der theologisch überaus bedenklichen ständigen Mitgliedschaft eines reformierten geistlichen 313 314 315 316 317 318

Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 88 ff. Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 148. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 96 ff. Instruktion vom 4. Oktober 1750; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298. s. dazu Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 111 ff., 177 ff. Jacobson, Kirchenrecht, S. 148.

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Rates abgesehen, konnte das Oberkonsistorium bei unbefangener Betrachtung als konfessionelle lutherische Behörde angesehen werden, welche die lutherische Landeskirche in den verschiedenen preußischen Provinzen zumindest verwaltungstechnisch zusammenführte.319 Andererseits läßt sich nicht verleugnen, daß das Oberkonsistorium in erster Linie ein „delegiertes Kollegium“ des Geistlichen Departements war, was nicht zuletzt daran abzulesen ist, daß der jeweils leitende Minister des Geistlichen Departements Chefpräsident des Oberkonsistoriums wurde.320 Bei einer Gesamtbetrachtung überwiegen daher die auf eine staatliche Behörde hindeutenden Elemente, so daß sich das Oberkonsistorium somit in die staatskirchliche Tradition Brandenburg-Preußens einordnen läßt.321 Im Bereich der Provinzialkonsistorien kam es in der Folgezeit zu verschiedenen Änderungen. In Preußen wurde 1751 das Konsistorium zu Saalfeld aufgehoben, das zu Königsberg jedoch erweitert. Das Kirchencollegium wurde aufgelöst; die Aufsicht über die Landschulen erhielt die Spezial-Kirchen- und Schulkommission. Die übrigen Institutionen und Organe der provinziellen Kirchenverwaltung blieben erhalten, die Aufgabenbereiche änderten sich jedoch erheblich. Im Rahmen der Coccejischen Justizreform wurde 1738 den Konsistorien die zuvor bereits erheblich eingeschränkte geistliche Gerichtsbarkeit vollständig entzogen und den ordentlichen Gerichten anvertraut322; zudem übernahmen die Justizbehörden die Verwaltung verschiedener kirchlicher Externa wie etwa des Bauoder Rechnungswesens.323 Daß es sich bei den Ehesachen sowie bei der gleichfalls an die ordentlichen Gerichte gefallenen Jurisdiktion über Leben und Wandel der Geistlichen dem Wesen nach um kirchliche Angelegenheiten handelte, welche die ordentlichen Gerichte sachlich überforderten, daß es überhaupt unstimmig war, kirchliche Jurisdiktion dem Grundsatz nach und nicht etwa nur ausnahmsweise durch staatliche Gerichte ausüben zu lassen, wurde offensichtlich nicht bedacht. Zu Recht spricht von Mühler insoweit von einem „Mangel 319 Hintze, Epochen, S. 97. Die Provinzen Schlesien und Cleve-Mark waren jedoch von der Zuständigkeit des Oberkonsistoriums ausgenommen; die schlesischen Konsistorien wurden von einem besonderen geistlichen Minister beaufsichtigt, während man die lutherischen Kirchen in Cleve-Mark wohl sich selber überließ, so daß die dort gültige Presbyterial- und Synodalverfassung erhalten blieb. Ausführlich hierzu Hintze, Epochen, S. 97 ff. 320 Cf. Hintze, Epochen, S. 97. 321 Themel, Berliner Konsistorium II, S. 96, weist darauf hin, daß auch das Auflösungsedikt von 1809 das Oberkonsistorium als rein staatliche Behörde versteht. 322 Edikt vom 10. Mai 1748; Mylius, CCM Contin. IV Sp. 51 f. Zur Begründung wurde unter anderem die angestrebte Verbesserung der prozessualen Behandlung der Ehesachen angeführt; das materielle Recht sollte unangetastet bleiben. Nach einer Ordre vom 3. Juni 1740 – Mylius, CCM Contin. I, Sp. 341 f. – und einem Dekret vom 4. November 1757 – NCC II Sp. 271 f. – war und blieb das „klare Wort Gottes“ Basis des christlichen Eherechts. 323 Jacobson, Kirchenrecht, S. 149.

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einer in dem innersten Kerne der Kirche wurzelnden Auffassung ihrer einzelnen Einrichtungen“.324 Im Gegenzug fiel dem Konsistorium 1752 die Bestätigung der Schulbediensteten zu, ab 1775 auch die Konfirmation der von den Kirchenpatronen nominierten Prediger sowie ab 1776 die Bestätigung aller Prediger nach bestandenem Examen. Es ist dies der bislang deutlichste Schritt in der Entwicklung der Konsistorien von einem ursprünglich kirchlichen Gericht hin zu einer staatskirchlichen, wenn nicht gar staatlichen Verwaltungsbehörde. Im evangelischen Kirchenwesen Schlesiens existierten aufgrund verschiedener Bestimmungen des Westfälischen Friedens sowie der Altranstädter Konvention bereits vor der preußischen Besitznahme konsistoriale Einrichtungen. So hatten das Fürstentum Oels und die Stadt Breslau ihre eigenen Konsistorien behalten, und in den Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau bestanden noch 1733 Pläne zur Einrichtung des Konsistorialwesens.325 Durch das Notificationspatent vom 15. Januar 1742 über die Einrichtung des Justizwesens im Herzogtum Niederschlesien326 wurden Oberamtsregierungen und Konsistorien in Breslau und Glatz geschaffen. Die Konsistorien verwalteten die geistlichen Angelegenheiten der Evangelischen, wozu insbesondere die Aufsicht über die Geistlichen, Kirchen und Schulen, die Examinierung der Prediger, deren Bestätigung und Amtseinführung sowie Ehesachen zählten. Die Entscheidungen der Konsistorien konnten an das Tribunal zu Berlin appelliert werden. Die Oberamtsregierung führte die lokale Aufsicht über die Geschäfte des Konsistoriums; zu ihr zählten je ein katholischer und evangelischer Geistlicher327 sowie zwei weltliche Konsistorialräte als Beisitzer. Bestätigt wurden die Konsistorien von Oels und Breslau, auch hier fungierte das Tribunal zu Berlin als Appellationsinstanz. Die kirchlichen Angelegenheiten derjenigen Herrschaften, die zuvor kein eigenes Konsistorium besessen hatten, gelangten an die Konsistorien von Breslau und Glogau.328 Für Oberschlesien wurde durch das Notificationspatent vom 29. Februar 1744 eine Oberamtsregierung mit Konsistorium in Oppeln eingerichtet.329 324 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 242 f., der im übrigen zu berichten weiß, daß es in der Folgezeit zu einem deutlichen Anstieg von Ehescheidungen kam, so daß der Eindruck entstand, das sittliche Fundament der Ehe werde untergraben (S. 245). S. hierzu bereits supra Kapitel 1, C. VIII. 5. 325 s. die theologischen Akten von 1733, S. 244–249, zitiert bei von Kamptz, Provinzialrechte I, S. 546, Nr. 51. 326 Abgedruckt in Svarez, Korns Sammlung schlesischer Gesetze II/1, Nr. I. 327 Auf die Fragwürdigkeit der konfessionellen Vermischung wurde bereits bei der Behandlung des märkischen Provinzialkonsistoriums sowie des lutherischen Oberkonsistoriums hingewiesen. 328 Für die Grafschaft Glatz wurde die Zuständigkeit der Oberamtsregierung und des Konsistoriums zu Breslau gesondert festgelegt. Cf. Svarez, Korns Sammlung schlesischer Gesetze II/1, Nr. IV.

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In dem maßgeblichen Reglement vom 1. August 1750330 wurden die königlichen Konsistorien Schlesiens als „mit den Oberamtsregierungen combinirte Oberconsistoria“ bezeichnet, da sie aus dem Präsidium und den Mitgliedern der Oberamtsregierungen sowie einigen geistlichen Oberkonsistorialräten bestanden. Sie unterstanden nicht dem Oberkonsistorium zu Berlin, sondern mit den Regierungen selbst teils dem Departement der Justiz, welches von 1768 an ein eigener Justizminister für Schlesien verwaltete, und – nachdem diese Stelle vakant blieb – dem Departement für die Oberaufsicht des Geistlichen im Justizministerium, teils dem Chef des Departements der geistlichen Angelegenheiten. Die Konsistorialbezirke waren in Kreise unterteilt, denen jeweils Inspektoren vorstanden. Für das Fürstentum Brieg wurde zur Beaufsichtigung der dort tätigen Inspektoren ein eigener Superintendent bestellt, der bei der Verlegung der Oberamtsregierung und des Oberkonsistoriums von Oppeln nach Brieg 1756 ebenfalls Konsistorialrat wurde.331 Für die schlesischen Reformierten wurde der Hofprediger zu Breslau, der als geistlicher Rat dem dortigen Oberkonsistorium angehörte, als Inspektor eingesetzt und unmittelbar dem reformierten Kirchendirektorium unterstellt.332 Ähnlich verfuhr man in Westpreußen, wo die Regierung zu Marienwerder – durch einige geistliche Räte ergänzt – als Konsistorium eingesetzt wurde. Auch hier standen die Kirchenkreise unter der Aufsicht von Inspektoren. Die Reformierten wurden einem in Elbing residierenden Inspektor und dieser dem reformierten Kirchendirektorium unterstellt.333 Während der Regierung Friedrich Wilhelms II. (1786–1797) blieb die evangelische Kirchenverfassung Preußens der Struktur nach unverändert. Zur Einrichtung eines landesweit zuständigen Oberreligionskollegiums kam es nicht, jedoch erstreckte die sogenannte Immediat-Examinations-Kommission ihre Tätigkeit auch auf den Bereich der Kirchenverwaltung, freilich ohne formell in die Kirchenverfassung integriert zu sein.334 Die Schulverwaltung wurde durch Gründung eines Oberschulkollegiums zu Berlin, das gleichzeitig als Provinzialbehörde für die Kurmark fungierte, strukturell der Kirchenverwaltung angepaßt; in den übrigen Provinzen wurden die Konsistorien als Provinzialschulbehörden tätig.335 329 Abgedruckt in Svarez, Korns Sammlung schlesischer Gesetze II/2, Nr. XVI, S. 82 ff. 330 Abgedruckt in Svarez, Korns Sammlung schlesischer Gesetze II/2, Nr. XLIX, S. 319. 331 Näher hierzu Vater, Repertorium der preußischen schlesischen Verfassung, Band 2, S. 665 sowie S. 523. 332 s. hierzu Jacobson, Reformierte, S. 313, 345, 346; Vater, Repertorium der preußischen schlesischen Verfassung, Band 2, S. 679. 333 Ausführlich zum Ganzen Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 246 ff. 334 Ausführlich zur Immediat-Examinations-Kommission Teil II Kapitel 2, C.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die vorstehende Beschreibung der konsistorialen Strukturen läßt zweifelsfrei erkennen, daß die Konsistorien sich von ihrer ursprünglichen Bestimmung – kirchliche Gerichte unter kirchlicher Regie – immer weiter entfernten. Funktional waren sie von der allgemeinen Staatsverwaltung kaum mehr zu unterscheiden, des öfteren waren sie – wie etwa das Beispiel Schlesiens zeigt – mit diesen sogar personell identisch. Zwar versuchte man, durch Bestellung geistlicher Konsistorialräte so etwas wie „theologischen Sachverstand“ in die Arbeit der Kollegien einzubinden, doch konnte die dem durch das landesherrliche Kirchenregiment geprägten Staatskirchentum eigenen theologischen Unklarheiten und Unstimmigkeiten nur höchst punktuell und ansatzweise, aber nicht grundsätzlich beheben. III. Die historische Rolle der Presbyterial-Synodal-Verfassung 1. Die Ausgangslage Die Eigentümlichkeit des preußischen Kirchenwesens erklärt sich nicht nur aus der wechselvollen und zum Teil sprunghaft-unklaren Geschichte und Praxis der Konsistorialverfassung allein. In manchen Landesteilen – insbesondere im Rheinland, aber auch in den östlichen Provinzen – konnte sich auch die Presbyterial-Synodal-Verfassung in unterschiedlicher Form und Ausprägung etablieren. Dies geschah vorwiegend im Bereich der reformierten Gemeinden; presbyterialsynodale Ansätze lassen sich jedoch vereinzelt auch im lutherischen Kirchenwesen feststellen. Da sich auch die solchermaßen verfaßten Kirchengesellschaften unter dem landesherrlichen Kirchenregiment befanden und somit einen Teil der Landeskirche bildeten, ist auch auf sie kurz einzugehen. 2. Grundsätzliches Die auf dem biblisch begründeten allgemeinen Priestertum aller Gläubigen fußende presbyterial-synodale Kirchenverfassung war bereits in vorreformatorischen Zeiten nicht völlig unbekannt. Zwar hatte sich die Unterscheidung zwischen Amtsträgern (Klerus) und Gemeinde (Kirchenvolk, Laien) immer mehr hin zu einer Gegenüberstellung von Herrschern und Beherrschten entwickelt, in deren Rahmen die ursprünglich von der Gemeinde oder zumindest unter deren maßgeblicher Mitwirkung ausgeübten Funktionen nach und nach auf die Amtsträger übergegangen waren.336 Die Gemeinden waren so in erster Linie zum Objekt klerikaler Tätigkeit geworden, der Staat hatte in diesem Konzept die Funktion, als „Werkzeug“ die amtskirchlichen Anordnungen auszuführen.337 335 336

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 150 m. N. Cf. Richter, Lehrbuch, § 10, Anm. 7; Jacobson, Grundlagen, S. 73 ff., passim.

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Gleichwohl war das Kirchenvolk in verschiedenen Zusammenhängen an der Ausübung kirchlicher Funktionen beteiligt, etwa bei der Durchführung der Visitationen, bei der Übung der Kirchendisziplin sowie bei der Verwaltung des Kirchenguts.338 Mitunter besaßen die Gemeinden sogar das Recht der Pfarrerwahl.339 Wie bereits gesehen, mißbilligten die Reformatoren des 16. Jahrhunderts – allen voran Luther – den nach ihrem Verständnis unbiblischen weitgehenden Ausschluß der Laien von der Kirchenverwaltung einerseits und die eingetretene Verquickung von geistlichem und weltlichem Regiment. Wie bereits erwähnt, strebten sie eine selbständig verfaßte Kirche unter Mitwirkung der Bischöfe an; der christlichen Obrigkeit sollte nur die Pflicht zukommen, als Teil des Reiches Gottes auf Erden für die Herstellung und Erhaltung der reinen evangelischen Lehre zu sorgen. Dieser Plan scheiterte jedoch – wie dargestellt – an der fehlenden Mitwirkung der katholischen Hierarchie; statt dessen kam es in den meisten Fällen zur Entstehung der Konsistorialverfassung. Dies war in der Regel immer dort der Fall, wo das Kirchenvolk die Reformation wünschte und die Obrigkeit diesem Wunsch aufgeschlossen und fördernd gegenüberstand.340 In unterschiedlicher Weise konnte sich die Kirchenverfassung dort entwikkeln, wo der Staat selbst nicht auf die Reformation Einfluß nahm oder dieser sogar feindlich gegenüberstand. Dort mußten die Gemeinden und ihre Seelsorger sich selbständig von der römischen Hierarchie lösen. Da also die entsprechenden hierarchischen Autoritäten fehlten, kam es zwangsläufig zur Herausbildung einer Kirchenverfassung, an der zwar auch die örtlichen Geistlichen (Pfarrer), in erster Linie aber gewählte Mitglieder der Gemeinden beteiligt waren. Zu nennen ist hier insbesondere die Entstehung von Presbyterien (consistoires) in Straßburg und Genf, von wo aus sich die presbyterial verfaßten – dem reformierten Bekenntnis zugewandten – Gemeinden noch während des 16. Jahrhunderts unter anderem nach Emden, Frankfurt am Main, an den Niederrhein, in die Niederlande und nach Frankreich ausbreiteten.341 Die auf der Vorsynode zu Wesel (3. November 1568) sowie auf der Synode zu Emden (4. bis 14. Oktober 1571) erarbeitete presbyterial-synodale Kirchenverfassung blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im wesentlichen bestehen, als Einschnitt dürfte nur die organisatorische Loslösung von der niederländischen Kirche durch den 337

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 199. Cf. Jacobson, Über die Bildung der Presbyterien und der größeren Vertretung, S. 183. 339 Beispiele hierfür bei Richter, Lehrbuch, § 195, Anm. 11, sowie Hinschius, Succession im Patronatrechte, S. 421. 340 Jacobson, Kirchenrecht, S. 200, geht zu Unrecht davon aus, die Obrigkeit habe „mit dem Volke zusammen die Reformation“ durchgeführt, denn die Reformation war in erster Linie eine Volksbewegung. Die Obrigkeit agierte nicht, sie reagierte. 341 Cf. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 200 f. 338

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

außerordentlichen Konvent zu Düren am 17. August 1609 sowie durch die Generalsynode zu Duisburg vom 7. bis 10. September 1609 gelten. In den einzelnen Gemeinden bestanden Konsistorien (Presbyterien), die Klassen von Gemeinden standen unter der Leitung eines Moderamens, außerdem wurden Provinzialund Generalsynoden eingerichtet. Anders als in den durch die Konsistorialverfassung geprägten Gegenden, wo die Synoden in der Regel nur Versammlungen der Geistlichen und in den Distrikten der einzelnen Diözesen nur Konferenzen waren, hatten die Synoden der Presbyterial-Synodal-Verfassung den Charakter eines zur Kirchenverfassung gehörenden Organs und waren integraler Bestandteil der Kirchenverwaltung.342 An ihnen nahmen neben den Geistlichen als geborene Mitglieder gewählte Laien (Älteste) teil. Die Kirchenpatrone als solche waren weder automatisch Mitglieder der Synode noch ohne weiteres wählbar, da sie kein kirchliches Gemeindeamt ausübten; hierzu mußten sie erst den Status von Ältesten erwerben. Aufgrund ihres faktischen Einflusses wurden jedoch wiederholt auch Patrone zu Mitgliedern der Synode gewählt.343 3. Die Anfänge der Synodalverfassung in Rheinland-Westfalen Als 1610 Kleve und Mark an Brandenburg fielen, kam es zu einer immer weitergehenden Beteiligung des Landesherrn am synodalen Kirchenregiment (ius sacrorum) über das ihm unstreitig zustehende Kirchenhoheitsrecht (ius circa sacra) hinaus344; es kam jedoch nicht zu einer völligen Aufgabe der Selbständigkeit der – reformierten – Kirche und einer Einverleibung in den Staatsorganismus, wie dies in den östlichen Landesteilen geschah. Auch die Lutheraner in den rheinischen Gebieten übernahmen die Presbyterialverfassung und bildeten entsprechend verfaßte Gemeinden in den Gebieten von Kleve-Mark sowie Jülich-Berg. Neben den Geistlichen nahmen jedoch nur in Kleve-Mark in wesentlichem Unfang Älteste an den Synoden und Konventen teil, während die Generalsynoden von Jülich-Berg fast ausschließlich von Geistlichen besucht wurden. Erst ab 1691 nahmen einige wenige Laien an den Konventen teil; eine sonstige Teilnahme von Ältesten an den Synoden ist nicht festzustellen.345 Zu einer Generalsynode aller rheinischen Lutheraner kam es trotz wiederholter Initiativen nicht.346 342

Jacobson, Kirchenrecht, S. 298. Jacobson, Kirchenrecht, S. 298. 344 Ausführlich dazu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, §§ 30, 46, 62. 345 Noch 1801 und 1802 wurde die Teilnahme von Kirchenältesten an den Synoden „aus wichtigen Gründen“ abgelehnt. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 198, 278. 346 Cf. zum Ganzen Jacobson, Kirchenrecht, S. 205 f. 343

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Auch in anderen Teilen Rheinland-Westfalens finden sich presbyteriale Einrichtungen, deren Organisation jedoch nicht an das Niveau Jülich-Bergs heranreichte. Im lutherischen Bereich waren Gemeindeälteste in der Regel nur als Almosenpfleger tätig oder wirkten als Kirchengeschworene, Kirchensenioren, Synod- oder Sendschöffen, Zensoren etc. bei der Übung der Kirchendisziplin mit.347 In der Kurpfalz waren die presbyterialen Elemente der Kirchenverfassung in höherem Maße entwickelt, ebenso im Westfälischen sowie im Emsland, wo jedoch das reformierte Bekenntnis vorherrschte. Unter preußischer Verwaltung kam es zu erheblichen Modifikationen; die westfälischen Presbyterialkirchen wurden dem für alle reformierten Gemeinden Preußens – mit Ausnahme von Kleve-Mark – zuständigen, am 10. Juli 1713 gegründeten Reformierten Kirchendirektorium unterstellt. Auch die reformierte Inspections-, Presbyterial-, Classical-, Gymnasien- und Schulordnung vom 24. Oktober 1713 – revidiert 1737 – wurde auf sie erstreckt; damit war das reformierte Kirchenwesen nunmehr in allen preußischen Landesteilen im wesentlichen gleichförmig geregelt.348 Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch deutlich auseinander. In den einzelnen Kirchengemeinden bestanden Presbyterien, die in der bisherigen Weise aus Predigern und Ältesten zusammengesetzt waren. Zum Teil waren die Kirchengemeinden in Klassen zusammengefaßt, denen Inspektoren vorstanden, welche jedoch nicht von der Klasse oder Synode gewählt, sondern vom Kirchendirektorium eingesetzt und vom König bestätigt wurden. Die Inspektoren beriefen die jährlich abzuhaltenden Classicalconvente ein, an denen aus jeder Gemeinde ein Pfarrer und ein Ältester teilnahmen.349 Alle drei Jahre sollten Provinzialsynoden der Inspektoren sowie einiger Pfarrer abgehalten werden. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Die Synode ist nicht ein einziges Mal auch nur einberufen worden, auch die Classicalconvente scheinen nur anfangs vereinzelt abgehalten worden zu sein, nach der Mitte des 18. Jahrhunderts – soweit ersichtlich – gar nicht mehr.350 Damit existierten auf der oberen Ebene der Kirchenleitung keine synodalen und möglicherweise gesellschaftskritischen Elemente; statt dessen wirkte dort – „wie ein rocher de bronze“ – das landesherrliche Kirchenregiment als ein dem allgemeinen Staatswohl dienendes Ordnungselement.351 Trotz aller Privilegien für die Reformierten wurde ihnen – und dies ist entscheidend – das Recht zur Verwirklichung einer eigenständigen Synodalverfassung konsequent vorenthalten. Auch bei der Einführung der reformierten Kirchenordnung von 1713/1737 in Schlesien am 31. Juli 1789 be-

347 348 349 350 351

Siehe im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 206 f. m. N. s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 207 m. N. Zu den Aufgaben cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 208. Näher dazu Jacobson, Reformierte, S. 344 f. So die treffende Charaktierisierung durch von Thadden, Hofprediger, S. 112.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

schränkte man sich auf die Übertragung der Regelungen zur Inspektions- und Presbyterialordnung. 4. Die Anfänge der Synodalverfassung in den östlichen Provinzen Die lutherischen Gemeinden in den östlichen Provinzen besaßen schon von der Reformation an Laienorgane zur Regelungen kirchlicher Angelegenheiten sowie zur Unterstützung der Geistlichen. Hierzu wurden – wie dargestellt – zum Teil nur die bereits aus vorreformatorischen Zeiten vorhandenen Einrichtungen mutatis mutandis fortgeführt; dabei handelte es sich in der Regel um die Teilnahme an der kirchlichen Vermögensverwaltung oder um Mitwirkung bei der Kirchendisziplin.352 Der Zusammenhang mit den früheren Kirchenvisitationen, Sendgerichten, Gebetverhören und ähnlichen Institutionen ist augenfällig.353 Anfänglich wurden auch Synoden abgehalten; an ihnen nahmen jedoch die Gemeindeältesten in der Regel nicht teil.354 Da der Einfluß der Konsistorien sowie der landesherrlichen weltlichen Behörden immer mehr zunahm, wurden auch die Synoden um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert abgeschafft.355 Der Hauptunterschied zur bisherigen rheinländischen Presbyterialverfassung bestand also darin, daß nunmehr die presbyteriale Ordnung nur auf der Ebene der lokalen Kirchengemeinschaften verwirklicht war, das synodale Element auf den überörtlichen Ebenen aber zu wesentlichen Teilen durch das landesherrliche Kirchenregiment verdrängt wurde. Der Landesherr hatte sich dabei in beträchtlichem Umfang Rechte persönlich vorbehalten und zusätzlich weitere Rechte 352 Aus den „Ältermännern“ wurden so die „Kirchenältesten“, „Kirchväter“, „Kirchenstiefväter“, „Kirchenstiftungsväter“, „Kastenherren“, „Kirchenprovisoren“, „Kirchenjuraten“ etc. Cf. etwa im Herzogtum Preußen die Kirchenordnung und andere Erlasse seit 1525 (abgedruckt im Anhang zu Jacobson, Geschichte der Quellen I/2), die sogenannte Bischofswahl (Kirchenordnung 1567/68) u. a., in Pommern die Kirchenordnung für Stralsund 1525 u. a., die Kirchenordnung von 1539/1563; in Sachsen die Generalartikel von 1557, die Kirchenordnung von 1580, die Synodaldekrete von 1624/ 1673 u. a., in den Marken die Visitationsordnung von 1573 u. a. 353 Cf. hierzu auch Jacobson, Über die sogenannten Gebetverhöre, passim. 354 Für Preußen siehe die Kirchenordnung von 1525 sowie die daran anschließenden späteren Vorschriften (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 26 ff. mit Urkunden im Anhang), für die Marken die Nachweise bei von Mühler, Geschichte, S. 91 f., für Pommern die Erlasse von 1541, 1543 u. a., die Kirchenordnung von 1563, die Statuten von 1574 (Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 101; Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 123 f.), für Sachsen die Mansfelder Visitationsordnung von 1554, die sächsischen Generalartikel von 1557, für Schlesien die Kirchenordnung von Liegnitz 1542 (Richter, Kirchenordnungen I, S. 361), für Posen Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 267 ff. 355 In Preußen 1577, Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 59; in den Marken Anfang des 17. Jahrhunderts, von Mühler, Geschichte, S. 91 f. In Pommern 1593, Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 262 f.; in Sachsen durch die Kirchenordnung von 1580 etc.

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dem Kirchendirektorium, den Inspektoren und den mit den Regierungen verbunden Konsistorien übertragen.356 Bei diesen handelte es sich, wie dargestellt, um landesherrliche Einrichtungen; von einer fortdauernden Selbstverwaltung der ursprünglich presbyterial-synodal verfaßten reformierten oder auch lutherischen Gemeinden konnte also keine Rede sein. IV. Die Verfassung des Militärkirchenwesens im 18. Jahrhundert – ein Beispiel für Verstaatlichungstendenzen und konfessionellen Pragmatismus in der preußischen Kirchenpolitik 1. Die Bedeutung des evangelischen Militärkirchenwesens für die zivile Landeskirche Ungeachtet der weitgehenden äußeren und organisatorischen Trennung von der zivilen Kirchenorganisation, insbesondere von der lutherischen Landeskirche, ist das Militärkirchenwesen für die hier untersuchte Fragestellung von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen militärischem und zivilem Kirchenwesen besteht unter anderem darin, daß das Amt des Feldpredigers im Laufe des 18. Jahrhunderts zur typischen „Durchlaufstation“ für die Berufung zu einer Pfarrstelle königlichen Patronats wurde.357 Dies ist für die Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Brandenburg-Preußen wichtig gewesen, jedoch weniger – wie von Mühler vermutet358 – mit Blick auf die durch die Feldpredigertätigkeit möglicherweise herausgebildete strenge militärische Disziplin der Geistlichen, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, daß auf diese Weise eine beträchtliche Anzahl höherrangiger protestantischer Geistlicher kirchlichen Dienst in einem Umfeld getan hatten, das seitens des Staates aufgrund der strikten Trennung von der Landeskirche gar nicht wie eine kirchliche, sondern wie eine genuin staatliche Institution behandelt wurde. Den über solche Berufserfahrung verfügenden Geistlichen mußte die zunehmende Verstaatlichung des zivilen Kirchenwesens und die damit einhergehende Säkularisierung des landesherrlichen Kirchenregiments im Sinne des Territorialismus viel weniger fragwürdig erscheinen, da sie es schlicht nicht anders kannten. Schon die stets separate gesetzliche Regelung läßt darauf schließen, daß das Militärkirchenwesen einen eigenartigen Organismus darstellte: Es hatte von vornherein eher den Charakter einer staatlichen als einer kirchlichen Institution, 356

Jacobson, Kirchenrecht, S. 207. Grundlage für diese Praxis war eine königliche Verordnung vom 10. Februar 1716, wonach „bei Vergebung der Pfarrdienste im Lande auf Versorgung der Feldprediger zu reflectiren“ war (zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 93 f.). Näher hierzu von Mühler, Geschichte, S. 231; Schild, Feldprediger II, S. 77 m.w. N., 93 f. 358 Cf. die Schilderung der Verfassung des Militärkirchenwesens bei von Mühler, Geschichte, S. 229 ff. 357

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was für die Berufung der Militärgeistlichen sowie für ihre Stellung und Amtsausübung nicht ohne Wirkung bleiben konnte. Beruhte das Recht des evangelischen Landesherrn zur Besetzung der Predigerstellen im Regelfall auf dem an ihn gefallenen bischöflichen Recht, so übte der Landesherr bei der Ernennung der Militärgeistlichen sowie bei der sonstigen Berufung von Geistlichen an öffentliche Anstalten kein auf ihn als Staatsoberhaupt übergegangenes kirchliches Recht, sondern ein originäres Recht des Staates aus. Soweit die Geistlichen für Institutionen des Staates tätig wurden, mußten sie auch von diesem angestellt werden.359 Im Zuge der immer weiter fortschreitenden Ineinssetzung von Staat und evangelischer Kirche wurde die Stellung der Militärseelsorge im Grenzbereich von staatlicher und kirchlicher Sphäre immer unklarer, ohne daß dies jedoch in der Staatspraxis als problematisch angesehen wurde. Dies äußerte sich sowohl in der verwaltungsmäßigen Organisation des Militärkirchenwesens als auch in dem hierdurch bewirkten Zusammenleben der Bekenntnisse. 2. Die Anfänge des Militärkirchenwesens Nachdem es bereits im 16. und 17. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen – wie auch im Reich allgemein – locker organisierte Einrichtungen der Militärseelsorge gegeben hatte360, entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach und nach feste Militärgemeinden; hierbei handelte es sich aufgrund der konfessionellen Struktur der Bevölkerung um lutherische Gemeinden. Die Bitte der Spandauer Zivilpfarrer an den Großen Kurfürsten aus dem Friedensjahr 1652, nach der eingetretenen Vakanz keinen neuen Feldprediger zu ernennen, deutet auf das Vorhandensein einer Militärkirchengemeinde in Friedenszeiten bereits zu diesem Zeitpunkt hin.361 Die Militärgeistlichen – Feld- und Garnisonsprediger sowie seit 1659 ein Feldinspektor als provisorische Aufsichtsbehörde – wurden durch die militärischen Befehlshaber362 unter Zustimmung des Kurfürsten ernannt, jedoch von der zivilen Kirchenbehörde examiniert und ordiniert.363 Sie waren somit hinsichtlich der äußeren Umstände ihrer Anstellung der militärischen Hierarchie, 359

s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 363. Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 2 ff. 361 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 8 f. 362 Regimentsobristen für die Feldprediger, Festungskommandanten für die Garnisonsprediger, Generalfeldmarschall der Armee für den Prediger des Generalstabs. 363 Die Präsentation durch den Regimentschef ist ab 1709 urkundlich nachgewiesen. Dies ergibt sich aus der handschriftlichen Chronik des Pfarrers Georg Christian Gutknecht aus Hermersdorf, der am 20. März 1709 auf Initiative des Generalleutnants Freiherr Friedrich von Derfflinger zum Feldprediger seines Dragonerregiments ernannt und am 6. April 1709 in Küstrin durch den Superintendenten J. G. Hoffmann ordiniert 360

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hinsichtlich des geistlichen Amtes und der Lehre der allgemeinen kirchlichen Hierarchie – die freilich zunehmend staatskirchlich ausgestaltet war – eingegliedert.364 Eine allgemeine Dienstvorschrift für die Militärgeistlichen gab es zunächst nicht; eine rudimentäre Regelung des Feldgottesdienstes findet sich in den §§ 4 und 7 des Churfürstliche[n] Brandenburgische[n] Krieges-Recht[s], oder Articuls-Brief[s] von 1656.365 Die „Kirchenparade“, bei der die Truppen der Friedensgarnisonen in Reih und Glied zur Kirche geführt wurden, war seit etwa 1670 angeordnet; der Große Kurfürst nahm in der Regel an den sonntäglichen Garnisonsgottesdiensten teil.366 Eigene Garnisonskirchen existierten zunächst nicht. In Berlin fanden die Militärgottesdienste bis zur Einweihung der Garnisonskirche am 1. Januar 1703367 zunächst in der kleinen Kapelle des Heilig-Geist-Hospitals oder – bei großer Teilnehmerzahl – unter freiem Himmel statt, anderenorts wurden die Kirchen der Zivilgemeinde, die großen Säle der Rathäuser oder ehemalige Kapellen und Klosterkirchen benutzt. Aufgrund der Regelmäßigkeit der auch in Friedenszeiten durchgeführten Militärseelsorge kam es in den verschiedenen Garnisonen nach und nach zur Exemtion der Militärpersonen von den Parochialrechten der zivilen Pfarrherren.368 3. Die erste Militärkirchenverfassung Eine eigene Militärkirchenverfassung bestand seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, als am 7. April 1692 das lutherische „Consistorial- oder Geistliche FeldKriegsgericht“ eingerichtet wurde, das – bestehend aus dem General-Auditeur als Vorsitzendem sowie einigen Feldpredigern als Beisitzern – im Namen des Landesherrn die geistlichen Angelegenheiten der Soldaten zu beurteilen hatte.369 Das neue Kriegskonsistorium war zugleich ordentliches Gericht „für alle ad forum ecclesiasticum gehörige[n] Sachen“, Aufsichtsbehörde zur Überwachung der Ausführung aller für das Militärkirchenwesen ergangenen Vorschriften sowie Disziplinarbehörde für die Militärgeistlichkeit.370 Die Entscheidungen des Kriegskonsistoriums waren solchen der ordentlichen Zivilkonsistorien ausdrücklich gleichgestellt371, so daß sich die bereits begonnene rechtliche wurde (Chronik des Christian Gutknecht, Ms. o. J., Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Ms. Bor. fol. 65). 364 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 9 f. 365 Abgedruckt bei Mylius, CCM III/1, Sp. 59–70. 366 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 13. 367 Näher zu den Berliner Garnisonskirchen Schild, Feldprediger II, S. 52 ff. m.w. N. 368 Cf. zum Ganzen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 14 f., 26 f. 369 Als Beilage zum Militär-Konsistorial-Reglement von 1711 abgedruckt bei Mylius, CCM III/1, Sp. 273–275. 370 Näher zu den einzelnen Kompetenzen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 18 ff.

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und organisatorische Trennung des Militärkirchenwesens von den Zivilparochien fortsetzte. Durch das Militär-Konsistorial-Reglement vom 29. April 1711372 wurden zum einen die zwischenzeitlich ergangenen militärkirchlichen Vorschriften zusammengefaßt und erneuert; zum anderen wurden Zusammensetzung und Aufgaben des Kriegskonsistoriums erstmals einer dauerhaften und systematischen Regelung zugeführt. Dem Kriegskonsistorium gehörten fortan auch einige Stabsoffiziere sowie der Garnisonsprediger von Berlin als geborenes Mitglied an; letzterer fungierte nebenamtlich als Feldinspektor. Das Kriegskonsistorium war in persönlicher Hinsicht für die Militärgeistlichen und alle Militärpersonen einschließlich der Familienanghörigen und Hausangestellten zuständig. In sachlicher Hinsicht war das Kriegskonsistorium Aufsichts- und Disziplinarbehörde für das dienstliche und außerdienstliche Verhalten der Militärgeistlichen mit Ausnahme der vor die ordentlichen Konsistorien gehörigen Irrlehreverfahren373, ferner war es – im Rahmen seiner persönlichen Zuständigkeit – ordentliches Gericht für alle der geistlichen Gerichtsbarkeit vorbehaltenen Angelegenheiten.374 Offensichtlich sah sich der König jedoch veranlaßt, die Autorität des Gremiums nochmals ausdrücklich einzuschärfen und den Ministern, Beamten und Offizieren die unbedingte Ausführung der vom Kriegskonsistorium getroffenen Entscheidungen zu befehlen.375 Hinsichtlich der Anstellung der Militärgeistlichen blieb es bei der bisherigen Regelung, wonach die Ernennung dem militärischen Vorgesetzten, die Examinierung und Ordination der landeskirchlichen Behörde oblag. Somit lag mit Blick auf die Doppelnatur der Militärgeistlichen der Akzent nach wie vor auf dem staatlich-militärischen Charakter des Amtes. Zu Recht wird daher auch von der Berliner Garnison gesagt, sie habe 371 „Wobei Unser gnädigster Befehl und Wille ist, weilen solch Unser consistorium castrense ecclesiasticum Unsere Stelle auf gewisse Maasse präsentiret, daß dasselbe gebührlich respectiret und dasjenige, so praevia sufficiente causae cognitione und obstehender Maassen darin erkannt, ebenso kräftig und gültig, als wenn es in einem andern consistorio ordinario abgehandelt oder von demselben gesprochen wäre, gehalten, und denen in Unserem Namen herauskommenden Resultats und Befehlen schuldigster Gehorsam geleistet werden soll.“ Zitiert nach Mylius, CCM III/1, Sp. 274. 372 Militair-Consistorial-Reglement, sambt unterschiedenen Beylagen vom 29. April 1711; Mylius, CCM III/1, Sp. 265–272 (Beilagen: Sp. 273–278). 373 Dies steht im Einklang mit der Regelung, die Examinierung und Ordination der Militärgeistlichen durch die Zivilkonsistorien vornehmen zu lassen. 374 Hierzu zählten Verlöbnis- und Ehesachen einschließlich der Scheidungsprozesse, Kultussachen und Religionsdelikte. 375 Diese hatten das Kriegskonsistorium „durch zulängliche Assistenz zu mainteniren, die darinnen ausgemachten Sachen ohne alle Anfrage zur wirklichen Execution zu bringen, auch Dero General-Auditeur mit denjenigen Mitteln, welche zur Formierung des Consistorii und zur Erörterung der darbey vorkommenden Sachen nöthig, unweigerlich an die Hand zu gehen, auch dahin zu sehen, daß den membris Consistorii von Niemandem, er sey wer er wolle, hiergegen Eintrag oder Hinderung geschehe.“ Militär-Konsistorial-Reglement 1711, Punkt 26 (Sp. 272).

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im 18. Jahrhundert ein „militärisch geregeltes und von der Militärverwaltung mit einem Handgriff leicht zu leitendes Kirchenwesen“ besessen.376 In den folgenden Jahren setzte sich die rechtliche und organisatorische Trennung des Militärkirchenwesens bis hin zur völligen Absonderung von der Verfassung der zivilen Landeskirche377 fort. Von 1717 an führte der Feldinspektor den Titel „Feldpropst“378; er wurde ab 1718 der oberste geistliche Vorgesetzte sämtlicher Militärgeistlichen, der auch die Examination und Ordination der Kandidaten für die Militärgeistlichkeit übernahm.379 Nur bei der Befragung der Kandidaten sollten die Berliner Pröpste mitwirken.380 Die Mitwirkung der zivilen landeskirchlichen Behörden wurde hierdurch weiter eingeschränkt. 4. Militärkirche und zivile Landeskirche Das Verhältnis zwischen Militärkirchenbehörde und Landeskirche war insgesamt nicht unumstritten. Durch Verordnung vom 7. Dezember 1718381 verlangte der König für den Fall der Beförderung von Zivil- und Militärgeistlichen unter anderem auf Inspektoratsposten eine erneute Examination durch das Zivilkonsistorium. Nachdem Feldpropst Gedike diese Maßnahme in einer Immediateingabe als überflüssig und demütigend bezeichnet hatte382, wurde die Anordnung trotz des Widerstandes der zivilen Kirchenbehörden hinsichtlich der Feldprediger am 31. Mai 1719 zurückgenommen.383 Die Begründung offenbart in exemplarischer Weise, in welch geringem Maße die Handhabung der kirchenleitenden Funktionen von kirchlich-theologischen Gesichtspunkten bestimmt war: Man ging schlicht davon aus, daß, wer einem ganzen Regiment vorgestanden habe, auch eine Dorfgemeinde oder ein Inspektorat leiten könne. Möglicherweise unterschiedliche Anforderungsprofile spielten in diesem Zusammenhang 376

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 27. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 81 f.: Die Armee in Preußen wurde „gleichsam eine eigene Provinz, die wie ihre weltliche, so nun auch ihre geistliche Verfassung für sich besonders hatte“. 378 Erster Feldpropst war der bisherige Berliner Garnisonsprediger Lampertus Gedike (auch Gedicke, Godecke, Gädicke). Zu seinem Werdegang sowie zu seinem Verhältnis zum König s. Schild, Feldprediger II, S. 130 ff. 379 Bis 1740 wurden so in den Berliner Garnisonskirchen ca. 280 Feldprediger ordiniert. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, Anm. auf S. 33, sowie Walther, Historische Nachricht von den Garnison-, Kirch- und Schulanstalten in der Königlichen Residentz Berlin. 380 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 31 f. 381 Mylius, CCM I/1, Sp. 531 f. Die nicht näher begründete, aufgrund der sonstigen starken Parallelen vermutlich auf Schild, Feldprediger II, S. 89 (dort ebenfalls nicht begründet), zurückgehende, abweichende Datierung bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 36, auf den 18. Februar 1718 scheint nicht zuzutreffen. 382 Vollständig wiedergegeben bei Schild, Feldprediger II, S. 89–91. 383 Mylius, CCM I/1, Sp. 535 f. 377

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offensichtlich keine Rolle. Die zivilen Kirchenbehörden mußten sich damit zufriedengeben, daß jeweils einer der Berliner Pröpste und damit ein Konsistoriumsmitglied an der Erstexamination der Kandidaten mitwirkte. In den darauffolgenden Jahren befaßten sich weitere Anordnungen mit dem Verhältnis von Militär- und Zivilgeistlichkeit.384 Der Tenor dieser Anordnungen ging stets dahin, daß der Zuständigkeitsbereich der Militärgeistlichen gegen vermeintliche oder tatsächliche Übergriffe der Zivilgeistlichen geschützt werden sollte.385 Hierbei ging es aber nur vordergründig um ein weltlich anmutendes Kompetenzgerangel, wie ein genauerer Blick auf die Geschehnisse in Küstrin zeigt. Hinsichtlich der dortigen Garnisonskirche erging unter dem 22. September 1722 an den Kommandanten von Küstrin die köngliche Ordre, sich dagegen zu wehren, daß „der Magistrat sich eine Jurisdiction anmaßen“ wolle. Dies könnte nicht toleriert werden, „sondern es soll solche Kirche von dem Gouvernement dependiren“. Der Kommandant habe daher „Eure habende Gerechtsame zu mainteniren“.386 Dem schwelenden Konflikt zwischen Militär- und Zivilgeistlichkeit lag also das Bemühen der preußischen Regierung zugrunde, sich einen dem Zugriff der intermediären Gewalten – Landstände, Magistrate – entzogenen Raum zu verschaffen und sich diesen gegenüber mehr und mehr zu emanzipieren. Ähnliches zeigt sich anhand einer Begebenheit aus dem Jahre 1734, in der es um die Versorgung verdienter Militärgeistlicher mit renommierten Zivilpfarrstellen ging. Damals hatte sich der zuvor über neun Jahre beim Dönhoffschen Regiment tätige Feldprediger Künstel um eine Predigerstelle an der Petrikirche in 384 Rescript, daß die Stadt- und Land-Prediger denen Feld- und Regiments-Predigern keinen Eintrag in ihrem Ambte thun sollen vom 12. Dezember 1720; Verordnung des Consistorii an die Inspectores auf vorherstehendes Rescript, daß denen Feld-Predigern kein Eintrag geschehen soll, mit vorhergehenden Rescript von Wort zu Wort gleichlautend vom 2. Januar 1721; Declaration über die unterm 12. December a. p. wegen einzustellender Eingriffe der Stadt- und Land-Prediger, in Betracht der Feldund Garnison-Prediger, und dieser in jener ihren Functionen ergangenen Verordnung vom 21. März 1721; Rescript, daß die Stadt- und Land-Prediger denen Feld- und Garnison-Predigern keinen Eintrag thun, ins besondere bey Straffe der Cassation keine Proclamationes und Copulationes der Ober-Officierer vornehmen sollen vom 9. Februar 1725; Consistorial-Verordnung auf vorstehendes Rescript an die Inspectores, daß die Stadt- und Land- Prediger denen Feld- und Garnison-Predigern keinen Eingriff in ihre Functiones thun sollen vom 16. Februar 1725; Mylius, CCM I/1, Sp. 545 f., 551 f.; Ordre an das Feld-Consistorium, denen Garnisons- und Feld-Predigern anzubefehlen, keinen Soldaten ohne dreymahlige Proclamation ausserm Nothfall, und auf Special-Ordre des Commandeurs zu trauen, und daß Garnison-Prediger nach der Kirchen-Ordnung sich richten sollen vom 30. März 1720; Ordre an alle Regimenter zu Pferde und zu Fuß, nicht zu gestatten, daß ein Soldat von jemand anders, als von dem Regiments-Prediger proclamiret, copuliret und deren Kinder getauffet werden vom 12. Dezember 1720; Mylius, CCM III/1, Sp. 407–412. Ausführlich zu den Begebenheiten, die jeweils Anlaß zu einem Einschreiten von höchster Stelle führten, Schild, Feldprediger II, S. 96 ff. 385 Die Ordre vom 30. März 1720 spricht ausdrücklich vom jus parochiale der Militärgemeinden. 386 Zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 98.

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Berlin beworben und war vom dortigen Propst Reinbeck dazu dem Magistrat vorgeschlagen worden. Dieser wollte unter Berufung auf eine angeblich nicht wohlgelittene Probepredigt Künstels einen anderen Kandidaten vorziehen, worauf sich der Propst an den König wandte. Dieser löste den Konflikt salomonisch, indem er anordnete, Künstel eine Stellung als extraordinairer Prediger an der Petrikirche zu verschaffen.387 Gegenüber dem Magistrat hatte er sich gleichwohl durchgesetzt. Für diesen grundlegenden Konflikt zwischen Zentralregierung und intermediären Gewalten wurde das Kirchenwesen ohne ersichtliche Bedenken instrumentalisiert. Auch dies ist – trotz aller rationalen und staatspolitischen Begründbarkeit – ein weiteres Indiz für die schon im frühen 18. Jahrhundert fortschreitende Verweltlichung des evangelischen Kirchenwesens in BrandenburgPreußen. 5. Das evangelische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm I. im allgemeinen Charakteristisch für das Auseinanderklaffen von geschriebenem Gesetz und tatsächlicher Praxis ist die einige Jahre später ergangene königliche CirculairOrdre über die Bestellung der Feldgeistlichen.388 Grundsätzlich lag das Präsentationsrecht bei den Kommandanten der Regimenter und Festungen; diese konnten die Aufgabe aber ausnahmsweise an den – regelmäßig kompetenteren – Feldpropst delegieren. Andererseits konnte der König das Präsentationsrecht – ebenso wie im zivilen Kirchenwesen – jederzeit an sich ziehen, was zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. verschiedentlich vorgekommen sein muß389; mitunter fanden auch die Probepredigten in Anwesenheit des Königs statt.390 Ungeachtet des fehlenden kirchlichen Charakters des Militärkirchenwesens ließ man es jedoch bei der Berufung der Seelsorger nicht an religiös-theologischer Terminologie fehlen. In den Vokationsschreiben, welche die erwählten Kandidaten vom Regimentskommandeur erhielten, fanden sich regelmäßig Formulierungen, die man eher von geistlichen als von weltlichen, geschweige denn militärischen Würdenträgern erwarten würde.391 Das Verhältnis zwischen den Militär387

Näher dazu Schild, Feldprediger II, S. 102. Circulair-Ordre an alle Regimenter Infanterie, Cavallerie und Dragoner, wegen derer zu bestellenden Feld-Prediger, was dabey, und bey ihrer Examination, Vocation, auch sonst observiret werden soll vom 22. Januar 1720; Mylius, CCM III/1, Sp. 403– 406. 389 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 32. 390 Cf. die amüsante Anekdote bei Schild, Feldprediger II, S. 101 f., welche auch zeigt, wie schnell ein Kandidat durch einen Federstreich des Königs von einer Predigerstelle auf eine andere gesetzt werden konnte. 391 Das Musterschreiben der Regimentskommandeure hatte u. a. folgenden Wortlaut: „[. . .] so habe ich mich mit Gott entschlossen, denselben zum Feldprediger bei mei388

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predigern und dem Feldpropst als geistlichem Dienstvorgesetzten war in weitgehender Analogie zu den in der zivilen Landeskirche üblichen Gepflogenheiten ausgestaltet; unter anderem hatten die Militärgeistlichen in regelmäßigen Abständen Musterpredigten einzureichen. Die Konduitenlisten wurden jedoch nicht von den geistlichen Vorgesetzten, sondern von den Regimentskommandeuren als militärischen Vorgesetzen geführt.392 Wohl aufgrund seiner allgemeinen Affinität zum Militärischen trug Friedrich Wilhelm I. für eine klare Regelung des Militärgottesdienstes Sorge. In diesem Zusammenhang ist auf die Erarbeitung einer Feldagende durch den Feldpropst sowie auf die Einführung des Porstschen Gesangbuches (um 1725) hinzuweisen, ferner auf die Veranlassung einer Neuausgabe des Neuen Testamentes und der Psalmen (1733). Bei letzterer Gelegenheit wurde zudem der Feldpropst mit der Abfassung von Gebetstexten für den Militärgottesdienst beauftragt.393 Daß sich im Zusammenhang hiermit in irgendeiner Weise die Frage nach dem Verhältnis dieser Regelungen zum landesherrlichen Kirchenregiment und den daraus fließenden Befugnissen des Königs, mithin nach Inhalt und Grenzen des ius liturgicum gestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Da das Militärkirchenwesen – verstärkt durch die zunehmend separate Verwaltung – unter keinem Gesichtspunkt der kirchlichen, sondern allein der militärischen und damit der staatlichen Sphäre angehörte, nahm man die liturgischen Anordnungen für den Militärgottesdienst gar nicht als kirchliche oder kirchenbezogene Vorschriften wahr. Die Frage nach dem landesherrlichen Kirchenregiment und seinen möglichen Beschränkungen stellte sich daher gar nicht. Die Militärseelsorge im eigentlichen Sinne war nur für die lutherischen Konfessionsangehörigen eingerichtet. Reformierte und katholische Feldprediger existierten regelmäßig nur im Kriegsfall394; zu Friedenszeiten oblag die Seelsorge nem unterhabenden Regiment nach dem mir zustehenden jure patronatus vor anderen zu vocieren. Vocire und berufe ihn also, Herrn N. N., im Namen Gottes, wie solches in den Schriften der Propheten und Apostel enthalten, gemäß der unveränderten Augsburgischen Confession, derselben Apologie und den anderen symbolischen Büchern unserer evangelisch-lutherischen Kirche im Lehren und Predigen öffentlich vortrage, die heiligen Sakramente nach der Einsetzung unseres lieben Heilandes Jesu Christi unverfälscht administrire, die Jugend wie auch andere, die es vonnöten haben, im Catechismo fleißig unterrichte und katechisiere, Kranke und Sterbende sorgfältig besuche, auch sowohl seiner Gemeinde als jedermann mit gutem Exempel reiner Lehre und christlichen Wandels vorleuchte und im Uebrigen seinem Amte in allen dazu gehörigen Verrichtungen [. . .] also vorstehe, wie es einem rechtschaffenen Prediger und treuen Seelsorger eignet und gebühret, auch Sr. Königlichen Majestät Verordnung gemäß ist. [. . .]“. Zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 88 f. 392 Ein Beispiel für einen solchen Rapport ist abgedruckt bei Schild, Feldprediger II, S. 94 f. 393 Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 40 f. 394 Hubatsch, Friedrich der Große, S. 200. Cf. hierzu noch das Militär-KonsistorialReglement von 1750 (Kirchenordnung, I. Hauptstück § 9) sowie Schild, Feldprediger II, S. 231.

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an reformierten Militärangehörigen bestimmten reformierten Zivilpfarrern.395 Wie in anderen Fällen galt auch diese Regel jedoch nicht ausnahmslos, wenn der König es anders wollte: 1726 stellte Friedrich Wilhelm I. als Militärwaisenhausprediger in Potsdam einen reformierten Geistlichen an.396 Darüber hinaus existierte in Potsdam eine eigens errichte Kapelle für dort stationierte griechisch-katholische Soldaten, die – ihrem Ritus, nicht jedoch ihrem Bekenntnis entsprechend – von orthodoxen Geistlichen und Kirchensängern aus Rußland betreut wurden.397 Für die Tataren im Dienst des Königs wurde ein Saal für den islamischen Gottesdienst eingerichtet und ein Imam bestellt.398 Von 1732 an diente die Hof- und Garnisonskirche in Potsdam399 als Simultankirche für den lutherischen und reformierten Gottesdienst. Sie wurde am 17. August 1732 vormittags durch den reformierten Hofprediger Kochius und nachmittags durch den lutherischen Garnisonsprediger Carsted eingeweiht.400 Da für die reformierten Feldprediger, die für den Feldzug von 1734 angestellt werden sollten, die Regelungen des Militär-Konsistorial-Reglements über die Ordination nicht paßten, behalf man sich mit einer pragmatischen Lösung: Die beiden noch nicht ordinierten Kandidaten wurden von dem Oberhofprediger Jablonski im reformierten Dom zu Berlin ordiniert.401 Das Amt des Feldpropstes bekleidete seit dem Tod Gedikes im Frühjahr 1736 der bisherige Feldprediger des Leibregiments zu Potsdam, Johann Caspar Carsted.402 395 Zum wechselseitigen Reichen des Abendmahls und zum Simultaneum bei der Seelsorge für das Coselsche Dragoner-Regiment s. bereits supra Fn. 392. 396 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 45. 397 Schild, Feldprediger II, S. 84. 398 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 44. 399 Die Kirche war in höchst eklektizistischer Weise eingerichtet: Wie für reformierte Kirchen üblich, war der Innenraum weitgehend schmucklos und weiß getüncht, verfügte aber über eine große Orgel, ein holländisches Glockenspiel sowie eine aufwendig gestaltete, aus mehrfarbigem Marmor hergestellte Kanzel, die mit den Emblemen des Königshauses geschmückt und von Marmorstatuen des Mars und der Minerva flankiert wurde. Cf. bereits supra Teil I, Kapitel 1, Fn. 394 sowie Schild, Feldprediger II, S. 136 ff. An den heidnischen allegorischen Statuen, die auf den Charakter des Gotteshauses als Garnisonskirche hinwiesen, nahm zunächst niemand Anstoß. Napoleon allerdings soll sein Mißfallen bei einem Besuch in Potsdam am 24. Oktober 1806 unmißverständlich zum Ausdruck gebracht haben. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 249 f. Näher zur Potsdamer Garnisonskirche Ostmann, Geschichte der Königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam, sowie Rogge, Die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam. 400 Die Reihenfolge ergab sich aus der Bekenntniszugehörigkeit des Königs, der jedoch auch am nachmittäglichen Gottesdienst teilnahm. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 135. 401 Cf. Schild, Feldprediger II, S. 105. 402 Ausführlich zu seiner Person und zu seinem Werdegang Schild, Feldprediger II, S. 221 ff.

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6. Das evangelische Militärkirchenwesen zur Zeit Friedrichs des Großen Das evangelische Militärkirchenwesen in der Regierungszeit Friedrichs des Großen ist vor allem durch den Erlaß des Militär-Konsistorial-Reglements von 1750403 geprägt, welches an die Stelle der gleichnamigen Regelung von 1711 trat.404 Durch ein Reskript vom 11. Dezember 1751 wurde das Militärkirchenwesen auch auf die Evangelischen reformierten Bekenntnisses ausgedehnt.405 Die persönliche Haltung des Monarchen in religiösen Angelegenheiten wirkte sich zunächst nicht auf die Tätigkeit der Militärgeistlichen und auf die Religiosität der Militärangehörigen aus; hier setzte sich – jedenfalls bis zum Ende des siebenjährigen Krieges – die Frömmigkeit der führenden Offiziere durch.406 Nach wie vor standen die Militärgemeinden, in denen Soldaten und ihre Angehörigen mit eigenen Seelsorgern zusammengefaßt wurden, standen mit der zivilen Kirchenorganisation und deren Amtsträgern in keinerlei Verbindung; das Amt des Feldpredigers war mit dem eines Stadt- oder Landpfarrers ausdrücklich unvereinbar.407 Nach näherer Maßgabe des Militär-Konsistorial-Reglements stand dem Kriegskonsistorium der General-Auditeur vor; bei diesem handelte es sich um den höchsten militärischen Justizbeamten, mithin um einen weltlichen Funktionär. Außerdem gehörten dem Kriegskonsistorium als Beisitzer der Generalauditeur-Lieutenant (stellvertretender Generalauditeur, weltlich), der Feldpropst als höchster geistlicher Vorgesetzter aller Feldprediger (geistlich), die zur Berliner Garnison zählenden Kriegsräte und Oberauditeurs (weltlich) sowie der Berliner Garnisonsprediger an. An den Entscheidungen – nicht jedoch an den Beratungen – des Konsistoriums hatten zusätzlich zwei von der Regierung bestellte Stabsoffiziere mitzuwirken.408 Zur Militärgeistlichkeit zählten neben dem seit 1746 in Potsdam residierenden Feldpropst409 die Feldprediger, welche je nach ihrem Einsatzort als Regiments-, Bataillons-, Garnisons- oder Anstaltsprediger tätig waren410; 1756 be403 Renovirtes Militair-Consistorial-Reglement und Kirchen-Ordnung des Feld-Ministerii, samt einigen Beylagen derer bey dem öffentlichen Gottesdienst, Taufe, Beichte, Abendmahl und Trauung, zu gebrauchenden Gebethe und Formularien vom 15. Juli 1750; Mylius, CCM Cont. IV, Sp. 237–258. 404 Zur Entstehungsgeschichte des Militär-Konsistorial-Reglements 1750 im einzelnen s. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 48 f. 405 Rescript, betreffend das Militair-Consistorial-Reglement, worüber das Reformirte Kirchen-Directorium genau halten soll, vom 11. Dezember 1751; NCC I, Sp. 237 f. Die Anstellung eines reformierten Militärwaisenhauspredigers in Potsdam durch Friedrich Wilhelm I. 1726 bildete eine Ausnahme. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 45. 406 Cf. Schild, Feldprediger II, S. 159 f., 165 f. 407 Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, I. Hauptstück § 17). 408 Militär-Konsistorial-Reglement 1750, Teil I, § 1.

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trug die Anzahl der Feldprediger insgesamt 118.411 In den siebenjährigen Krieg zogen hiervon 113, fünf verblieben einstweilen in den Garnisonen.412 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wirkten in Preußen 120 etatsmäßig angestellte evangelisch-lutherische Feld- und Garnisonsprediger, zu denen – offiziell – im Kriegsfall die Bataillonsprediger, die Lazarettprediger sowie reformierte und katholische Feldgeistliche hinzutraten.413 Die Feldprediger wurden für jedes Regiment durch den Regimentschef ausgewählt und nach Examination414 und Ordination durch den Feldpropst vom König ernannt; die Vokation sollte wiederum dem Regimentschef obliegen.415 Als der seinerzeitige Feldpropst Kletschke anregte, das Vokations- und Präsentationsrecht der Regimentsbefehlshaber auf den Feldpropst als den geistlichen Vorgesetzten der Feldprediger zu übertragen, lehnte der König dies mit den Worten „Sein Reich ist nicht von dieser Welt“ ab416; mit dieser auf die Leidensgeschichte Christi nach Johannes anspielenden Formulierung417 – die aus dem Munde eines religiös indifferenten oder agnostischen Fürsten geradezu zynisch klingt418 – brachte Friedrich der Große zugleich den rein staatlichen Charakter des Militärkirchenwesens sowie den allgemeinen Primat des Staatlichen gegen409 Der dritte Feldpropst Johann Christoph Decker war der erste, der die Garnisonspredigerstelle mit dem Amt des Feldpropstes in Personalunion innehatte. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 224. 410 Cf. Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, I. Hauptstück § 1). 411 GStA PK, Verzeichnis aller aktiven Feldprediger vom Jahre 1756 mit Angabe des Truppenteils, Dienstalters und Quartiers. Der preußischen Armee gehörten seinerzeit 152.000 Soldaten an. Im Durchschnitt hatte demnach jeder Feldprediger 1.290 Mann zu versorgen. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 201, Anm. „*“. 412 Schild, Feldprediger II, S. 202. 413 Offiziell deshalb, weil auch in Friedenszeiten die seelsorgerische Tätigkeit katholischer Geistlicher für Militärangehörige und Zivilbevölkerung weitgehend geduldet wurde. 414 Die Prüfung umfaßte – anders als im Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, I. Hauptstück, § 11) vorgesehen – neben Theologie und Allgemeinbildung auch Pädagogik sowie Kenntnisse des Garnisonsschulwesens, da die Feldprediger auch in Erziehungsaufgaben – insbesondere in die schulische Bildung der Soldatenkinder – mit einbezogen waren. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 41, 52. Auch in diesem Kontext hatte also das Geistliche dem Weltlichen – der Staatsraison – zu dienen. 415 Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, I. Hauptstück §§ 4, 5). Dies änderte sich erst 1811. 416 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 51. 417 Cf. Joh 18, 36. 418 Offensichtlich hatte Friedrich der Große Gefallen daran, humorvoll mit Bibelzitaten umzugehen. Cf. auch den Fall, in dem er die Bewerbung eines von ihm als zu jung befundenen Kandidaten aus Jerichow (bei Magdeburg) für eine vakante Feldpredigerstelle mit den Worten „2. Samuelis 19, Vers 5“ abschlägig beschied. Die Stelle lautet: „Bleibet in Jericho, bis euer Bart gewachsen; so kommet dann wieder.“ Schild, Feldprediger II, S. 185.

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über dem Religiösen deutlich zum Ausdruck. Dieser äußerte sich de facto auch darin, daß sich zahlreiche Regimentschefs und -kommandeure vorschriftswidrig in Militärkirchen- und Schulangelegenheiten einmischten und so auf Tätigkeiten Einfluß nahmen, die zum spezifisch geistlichen Amt der Feldprediger zählten und eigentlich nur der Aufsicht des Kriegskonsistoriums und des Feldpropstes unterstanden.419 Die Feldprediger wurden so in eine Zwickmühle gebracht: Duldeten sie die Übergriffe, so zogen sie sich ernste Verweise seitens des Kriegskonsistoriums zu; wehrten sie sich, so hatten sie beim Regiment fortan einen schweren Stand.420 Auch in diesem Zusammenhang wird wieder die „normative Kraft des Faktischen“ deutlich: Die Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre existierte nur in der Theorie auf dem Papier, die Praxis stand hiermit nicht in Einklang. Die Praxis der Versorgung verdienter Feldgeistlicher mit „guten und convenablen“ königlichen Zivilpfarren wurde auch unter Friedrich dem Großen beibehalten.421 Auch das seit 1719 bestehende Privileg der Feldprediger, im Beförderungsfall von einem nochmaligen Examen oder Kolloquium befreit zu sein, wurde ausdrücklich bestätigt und darüber hinaus auf die sonst übliche „Probepredigt“ ausgedehnt.422 Zu den nach einer Mischung aus Personalitäts- und Territorialitätsprinzip verfaßten Militärgemeinden zählten sämtliche Soldaten des jeweiligen Regiments sowie deren Familenangehörige und Bedienstete.423 Die Konfession war hierbei ohne Belang. Der lutherische Feldprediger war so ordentlicher parochus einer konfessionell gemischten Gemeinde.424 Die Einheit des Regiments war gegen419 Der Feldpropst hatte die Aufgabe, die (geistliche) Amtstätigkeit der Feldgeistlichen zu überwachen und zu leiten. Noch am 24. September 1780 wurde den lutherischen Feldpredigern durch ein Rundschreiben des Kriegskonsistoriums eingeschärft, alljährlich vor dem 4. Adventssonntag dem Feldpropst Listen und Berichte über die Kirchensachen, eine Probepredigt sowie eine förmliche Mitteilung über die Regiments- oder Garnisonsschulen einzureichen. Auch in sonstiger Hinsicht fungierte der Feldpropst als „Dienstvorgesetzter“ der Feldprediger. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 231. 420 Schild, Feldprediger II, S. 183. 421 Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, III. Hauptstück § 1). Die Zusicherung, daß eine Beförderung schon nach fünf bis sechs Dienstjahren erfolge, konnte jedoch aufgrund der stetig steigenden Zahl der Militärgeistlichen regelmäßig nicht eingehalten werden. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 53. In der Regel dauerte es mindestens acht, bisweilen auch zehn und mehr Dienstjahre. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 201 ff. m. N. Siehe auch die Übersicht über die weitere Beförderung bedeutender Feldprediger bei Schild, Feldprediger II, S. 157 ff. 422 Militär-Konsistorial-Reglement 1750 (Kirchenordnung, III. Hauptstück § 5). 423 Ausführliche Beschreibung bei Schild, Feldprediger II, S. 186 f. Die Soldatenfrauen und -kinder wurden per se als Armeeangehörige angesehen (S. 196). 424 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 55, spricht mißverständlich von Territorialgemeinden. Es handelt sich jedoch um Personalgemeinden. Anknüpfungsmerkmal für die Zugehörigkeit zur Militärgemeinde war nämlich in erster Linie die – direkte

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über der Unterscheidung der Bekenntnisse vorrangig425 – ein weiteres Beispiel dafür, wie die spezifisch kirchlichen Verhältnisse der Staatsraison untergeordnet wurden. Freilich wurde den katholischen oder französisch-reformierten Soldaten einer Garnison verschiedentlich die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst des betreffenden Bekenntnisses unter der Aufsicht von Unteroffizieren der jeweiligen Kompanien ermöglicht.426 Das persönliche Interesse Friedrichs des Großen an den Einzelheiten der Militärseelsorge beschränkte sich weitestgehend auf Äußerlichkeiten. Dies zeigt sich etwa an der ebenso detaillierten wie ausgefallenen Anweisung hinsichtlich der Amtstracht der Feldprediger. Diese hatten zunächst lediglich die Anweisung, anstelle von Perücken Kurzhaarfrisuren zu tragen. Außerdem war der König auf die Idee verfallen, die Feldprediger nach Art der französischen Abbés zu kleiden, angeblich weil sich katholische Ordensleute während des ersten schlesischen Krieges mißfällig über die Amtstracht der protestantischen Militärgeistlichen außerhalb der Liturgie geäußert hatten. So wurde durch Circular-Verordnung vom 14. Dezember 1742 – gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Ernennung des neuen Feldpropstes Johann Christoph Decker427 – dessen vom König selbst festgelegte Amtstracht für alle Feldprediger angeordnet.428 Daß es sich hierbei – nach dem Willen des Königs – um „den Anzug eines distinguierten katholischen Geistlichen“ handelte, offenbart wiederum den für die preußischen Herrscher charakteristischen Eklektizismus und unterstreicht darüber hinaus die Gleichgültigkeit des Monarchen gegenüber spezifisch konfessionellen Bräuchen und Unterscheidungen. Das Amt des Feldpropstes bekleideten in der Regierungszeit Friedrichs des Großen zunächst Carsted und Decker. Nach dem Tode des letzteren im Sommer 1757 wurde – nach einiger Zeit der Vakanz429 – sodann Karl Andreas Friedrich oder indirekte – Zugehörigkeit zum Militär. Territoriale Gesichtspunkte konnten erst als sekundäre Kriterien in Betracht kommen. Aus der konfessionellen Gemischtheit der Militärgemeinden als solcher läßt sich jedenfalls nicht auf deren territoriale Verfassung schließen. Cf. auch Schild, Feldprediger II, S. 187 f. 425 Cf. Hubatsch, Friedrich der Große, S. 200. 426 Cf. etwa das „Reglement Vor die Königlich Preußisch Infanterie“ vom 1. Juni 1743, Teil IC, Art. 3 mit NB. Wiedergegeben bei Schild, Feldprediger II, S. 192. 427 Seine Ernennung erfolgte zehn Jahre vor dem Tode seines Vorgängers Carsted, der aufgrund körperlicher Gebrechlichkeit zwar den Titel und das Einkommen ehrenhalber behielt, die Funktion des Feldpropstes aber nicht mehr ausübte. Näher hierzu sowie zur Person Deckers Schild, Feldprediger II, S. 223 ff. 428 Die neue, bis 1811 verwendete Amtstracht bestand aus einem blauen, weiß eingefaßten Kragen mit blauem Beffchen (dies war schon zu Zeiten Friedrich Wilhelms I. ein Abzeichen der Feldprediger gewesen), einem hinten überhängenden schwarzen Seidenmantel, schwarzen Seidenstrümpfen sowie kurzen Manschetten. Das MilitärKonsistorial-Reglement 1750 (Militär-Kirchen-Ordnung, Erstes Hauptstück, § 16) verwies auf diese Bestimmung. Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 53; Schild, Feldprediger II, S. 199 f.; Cavan, Das Krieges- oder Militair-Recht, S. 441.

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Balk430 ernannt. Nach dessen Tod im Frühjahr 1779 fiel das Amt an Johann Gottfried Kletschke431, der bereits seit 1778 als Adjunctus und faktischer Vertreter des schwer erkrankten Balk, jedoch nur hinsichtlich dessen Tätigkeit als Feldprediger des Garderegiments während des damals bevorstehenden Feldzuges, fungiert hatte. 7. Das evangelische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm II. Während der vergleichsweise kurzen Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. blieben die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für das evangelische Militärkirchenwesen weitestgehend identisch. Auch durch das Allgemeine Landrecht von 1794 ergaben sich keine Veränderungen; dort wurden nur einige anderweitig geregelte Punkte gesondert hervorgehoben, während die spezielle Geltung der Militärkirchengesetzgebung ansonsten anerkannt wurde.432 Veranlaßt durch die Feldzüge der 1780er und 1790er Jahre kamen detaillierte Regelungen über die Seelsorge in den Feldlazaretten hinzu.433 Das Kriegskonsistorium unterstand von 1787 an dem am 25. Juni 1787 neu geschaffenen Oberkriegskollegium.434 Einige Zeit später wurde der Feldpropst – zwecks Minderung der Arbeitslast – unter voller Beibehaltung seiner Dienstbezüge von der Aufgabe entpflichtet, die angehenden Feldprediger zu examinieren; diese Aufgabe übernahm das Oberkonsistorium, welches – insofern ganz königlich-staatliche Behörde – auch in diesem Zusammenhang als „Unser Landes-Consistorium“ bezeichnet wurde.435 Die Versorgung verdienter Militärgeistlicher mit Zivilpfarreien fand weitaus weniger regelmäßig statt als unter den 429 Währenddessen hatten die zu Feld- oder Garnisonspredigerstellen berufenen Kandidaten „sich mittelst einer an Seine Königliche Majestät zu richtenden, bei dem K. Kriegskonsistorio in Berlin zu übergebenden Vorstellung unter Beilegung der erhaltenen Vokation gehörig zu melden“. Das Kriegskonsistorium kümmerte sich dann um Examen und Ordination. Erlaß des K. Preußischen Kriegskonsistoriums vom 17. November 1757; auszugsweise wiedergegeben bei Schild, Feldprediger II, S. 225. 430 Näher zu ihm Schild, Feldprediger II, S. 225 f. 431 Ausführlich zu seiner Person Schild, Feldprediger II, S. 226 ff. 432 Näher hierzu sowie zu den einschlägigen Vorschriften des ALR Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 65. 433 Ausführlich hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 67 f.; Schild, Feldprediger II, S. 236 ff. 434 Es handelte sich der Sache nach um ein Kriegsministerium. Patent abgedruckt bei NCC VIII, Sp. 1489–94. 435 Cabinets-Ordre vom 14. Mai 1791; zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 234. Die Darstellung von Schwartz, Kulturkampf, S. 280, wonach die Prüfungskompetenz auf die Immediat-Examinations-Kommission übertragen worden sein soll, ist unrichtig. An diesem Tag war die Bildung der Examinations-Kommissionen erst angeordnet worden, sie hatten sich jedoch noch nicht konstituiert. Noch viel weniger gab es eine „Immediat-Examinations-Kommission“. Auch die von Schwartz geschilderte Empörung des Feldpropstes ist fragwürdig; sie ergäbe nur bei einer Übertragung der Prü-

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vorherigen Regierungen, was mit dem Konflikt zwischen Neologie und Orthodoxie zusammenhing. Der Feldpropst Kletschke hatte bei dem Minister Zedlitz einen guten Ruf gehabt, außerdem war er mit Gedike und Zöllner befreundet. All dies machte ihn – und mit ihm das Militärkirchenwesen, das innerhalb des evangelischen Kirchenwesens stets eine Sonderrolle eingenommen hatte – der Immediat-Examinations-Kommission verdächtig.436 Am 11. Januar 1792 erließ der König eine Kabinettsorder an Woellner, wonach die Beförderung der Feldprediger nur dann dem Dienstalter nach erfolgen sollte, wenn der entsprechende Geistliche kein Aufklärer sei.437 Nachdem Friedrich Wilhelm II. 1793 durch die anonyme Schrift „Vorschläge zur Verbesserung des Religionswesens“ auf angeblich zweifelhafte theologische Ansichten der Feldprediger aufmerksam gemacht worden war438, empfahl die mit der Untersuchung befaßte Immediat-Examinations-Kommission in ihrem Gutachten vom 25. November 1793, „daß 1. nur rechtschaffene und verdiente Prediger zu besseren Stellen befördert werden; und daß 2. die Inspektorstellen nicht mit Feldpredigern, sondern mit den würdigsten Predigern aus der Inspektion besetzt werden“.439 In der Folgezeit kam es daher trotz erbitterter Proteste zu einer die Militärgeistlichen benachteiligenden Ernennungs- und Beförderungspraxis, die erst mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. und der Abschaffung der Immediat-Examinations-Kommission endete. Beide vorgenannten Vorgänge lassen erkennen, daß in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. der vormalige Konflikt zwischen Zivil- und Miltärgeistlichkeit von der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen ideologischen Richtungen überlagert wurde. Insgesamt wurde also – wie für die Entwicklung des preußischen evangelischen Kirchenwesens typisch – nicht ein bestimmter

fungskompetenz an ein orthodox dominiertes Gremium Sinn. Dies traf seinerzeit auf das Oberkonsistorium jedoch nicht zu. 436 Cf. Schwarz, Kulturkampf, S. 279. 437 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 280 f., der die Motive Woellners für den Erlaß der Kabinettsorder schildert, dabei jedoch übersieht, daß Woellner offensichtlich unter Druck stand: Der Minister wollte erreichen, daß man ihm nicht wie gewöhnlich ein Verbrechen aufbürden könne. Als Woellner im März 1793 von der Examinations-Kommission gebeten wurde, bei der Besetzung der Inspektorate nur orthodoxe Geistliche zum Zuge kommen zu lassen, machte er der Kommission keine konkreten Zusagen, sondern verwies zugleich auf das Bedürfnis, u. a. die Feldprediger zu versorgen, wenn gegen diese nichts Erhebliches einzuwenden sei. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 281. 438 Das Religionswesen sollte nach Auffassung der Verfasser an der zersetzenden „Aufklärung“ kranken. Es ist zu vermuten, daß die Schrift aus der Immediat-Examinations-Kommission oder aus deren Umkreis, möglicherweise sogar von Hermes oder Hillmer selbst stammt, die keinerlei Bedenken hatten, ihre Ziele durch die Veröffentlichung anonymer Schriften voranzutreiben, wie die Beiträge in den „Neuesten Religionsbegebenheiten“ 1794 zeigen. 439 Gutachten vom 25. November 1793; zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 233 f.

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Konflikt kontinuierlich ausgetragen, der sich wie ein roter Faden durch die Staats- und Kirchengeschichte gezogen hätte, sondern es gab – je nach den Umständen der jeweiligen Zeit – verschiedene Streitfragen, die einander zu gegebener Zeit in den Vorder- oder Hintergrund drängten. 8. Das katholische Militärkirchenwesen im 17. Jahrhundert Seit den Zeiten der Reformation war Brandenburg-Preußen ein prinzipiell rein protestantischer Staat gewesen. Nach Maßgabe der Bestimmungen des Westfälischen Friedens wurde die katholische Konfession zwar partiell geduldet, war jedoch nicht gleichberechtigt mit der protestantischen und im Hinblick auf die Freiheit der Religionsübung auf Gnadenerweise des Landesherrn angewiesen, was – wie gesehen – zu einer beständigen partiellen Duldung der Katholiken führte. Von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an hatten katholische Gottesdienste insbesondere im Bereich des Gesandtschaftswesens ihren Platz, wenn auch mit Einschränkungen unterschiedlicher Intensität. An diesen Gottesdiensten nahmen schon zu Zeiten des Großen Kurfürsten auch katholische Militärangehörige teil440, da es eine offizielle katholische Militärseelsorge nicht gab. Allerdings muß eine solche damals wenigstens örtlich begrenzt existiert haben, denn eine zeitgenössische Totenliste des Dominikanerklosters zu Wesel verzeichnet einen Pater als „sacellanus castrensis electoris serenissimi“.441 9. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm I. Auch im Militär-Konsistorial-Reglement von 1711442 war von einer katholischen Militärseelsorge noch keine Rede. Gleichwohl konnte sich unter Friedrich Wilhelm I. insbesondere die katholische Militärseelsorge in Friedenszeiten erheblich weiterentwickeln und dauerhaft ausformen.443 Der König gestattete – obwohl solches rechtlich nicht vorgesehen war – in Berlin die Abhaltung des katholischen Gottesdienstes unabhängig von den Gesandtschaften auswärtiger Mächte und die Anstellung eines katholischen Geistlichen; darüber hinaus erwarb er ein Haus für den katholischen Gottesdienst, da er dies aufgrund der

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Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 122. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 121. 442 Mylius, CCM III/1, Sp. 265–278. 443 Daß es eine katholische Militärseelsorge im Kriegsfall gab, war nichts Außergewöhnliches. Für die im Rahmen des Feldzugs gegen Frankreich 1734 gestellten Hilfstruppen wurde ein eigener katholischer Feldprediger berufen. Seine Kompetenzen und Aufgaben waren jedoch nicht detailliert geregelt. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 143. 441

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Anzahl der religiös zu versorgenden Katholiken als geboten ansah. Hierbei handelte es sich nicht nur um Zivilbürger, sondern auch um Militärangehörige, die der König ohne Rücksicht auf deren Konfession in großer Zahl hatte anwerben lassen.444 Der katholische Gottesdienst befand sich daher an der Schnittstelle von Militär- und Zivilseelsorge. Von 1720 bis 1721 fungierte der Hauskaplan des kaiserlichen Residenten, der Halberstädter Dominikanerpater Dominicus Torck als inoffizieller katholischer Militärgeistlicher sowohl für Berlin und Umgebung als auch für die anderen Garnisonen der Mark; lediglich die Parochialhandlungen waren den zuständigen protestantischen Pfarrern vorbehalten. Nach dem Weggang des kaiserlichen Gesandten und seines Hausgeistlichen befahl der König mit Schreiben vom 25. November 1721 dem Regierungspräsidenten zu Halberstadt, ausdrücklich zum Zweck der katholischen Militärseelsorge in den dortigen Klöstern „ein bequemes Subjectum auszusuchen und anhero zu senden“; der Kandidat solle preußischer Untertan und „von friedlichem Comportement sei[n] und sich in behörigen Terminis halte[n]“.445 Offensichtlich war jedoch bei der Bestellung des katholischen Geistlichen an mehr gedacht als an bloße Militärseelsorge. Der neue Geistliche, P. Heinrich Crite OP, weigerte sich nämlich, den von ihm verlangten Treueid zu leisten und – über die Militärseelsorge hinaus – die Leitung der katholischen Gemeinde in Berlin insgesamt zu übernehmen, da diese bereits zu groß und zu weitläufig sei und sich überdies in stetigem Wachstum befinde. Außerdem forderte er das Recht zur Vornahme von Parochialhandlungen sowie die Befugnis, bei Konversionen zum Katholizismus mitzuwirken. Über diese Forderungen wurde jedoch nicht entschieden, da der Geistliche kurze Zeit später von sich aus Berlin verließ. Daraufhin wurde der bisherige katholische Geistliche P. Torck zur Rückkehr bewogen; ihm wurde der ebenfalls verweigerte Eid erlassen und durch eine Verpflichtung per Handschlag ersetzt, auf die Mitwirkung bei Konversionen weitestgehend zu verzichten und Parochialhandlungen nur in dem Maße vorzunehmen, wie es der König ihm erlauben würde.446 Ihm wurde unter dem 17. Januar 1722 eine entsprechende Bestallungs- und Instruktionsurkunde447 ausgehändigt, die als erste katholische mili-

444 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 124 f. In Potsdam sollen gegen Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. ungefähr zweitausend Gardisten katholischer Konfession gelebt haben. Auf die vom König gewährten Möglichkeiten, etwa in Potsdam die katholische Religion praktizieren zu können, wurde bei der Soldatenanwerbung seitens der Werbeoffiziere ausdrücklich verwiesen. Diese führten zu diesem Zweck das von dem katholischen Militärgeistlichen P. Bruns erarbeitete und mit königlicher Genehmigung gedruckte „Catholische Unterrichts-, Gebet- und Gesangbuch“ (1739) mit, in dessen Vorwort P. Bruns die königlichen Gnadenerweise für die katholischen Militärangehörigen ausführlich beschrieben hatte. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 137 f. 445 Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 125. 446 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 126 f.

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tärkirchliche Dienstordnung des preußischen Heeres gelten darf. Dies ist insofern bemerkenswert, als es zu einem Zeitpunkt geschah, zu dem die öffentliche Religionsübung für Katholiken im zivilen Bereich nicht vorgesehen war, wobei es auch nach der – als Gnadenerweis jederzeit widerruflichen – Gestattung der katholischen Militärseelsorge in rechtlicher Hinsicht bleiben sollte.448 Nicht nur in Berlin und in den märkischen Garnisonen, sondern auch an den übrigen Standorten der preußischen Armee449 wurden die katholischen Militärseelsorger größtenteils vom Dominikanerkloster in Halberstadt gestellt. Erst in späteren Zeiten waren daneben einige Benediktinermönche und Franziskanerbrüder tätig.450 Daß diese Ordensgeistlichen – wie berichtet wird: „selbstverständlich“451 – für die Dauer ihres „Militärdienstes“ den Habit ablegten, unterstreicht den Charakter selbst der katholischen Militärseelsorger als Militärangehörige und den ganz überwiegend staatlichen Charakter der Militärseelsorge insgesamt. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Einweihung der neuen katholischen Garnisonskirche in Potsdam im Herbst 1938: Der König verweigerte die Zustimmung zu der von dem dortigen katholischen Militärseelsorger P. Bruns gewünschten Konsekration der Kirche nach katholischem Ritus durch den in Hildesheim residierenden Apostolischen Vikar, Bischof Schorr, mit der theologisch unsinnigen, aber politisch eindeutigen, jegliche auswärtige Jurisdiktion ablehnenden Bemerkung: „Er [Bruns] ist hier mein Bischof.“452 Die so entstandenen „Militärgemeinden“ waren bis ins 19. Jahrhundert hinein keine katholischen Pfarreien oder staatskirchenrechtliche Parochien; der katholische Militärseelsorger war nicht ordentlicher parochus und durfte daher auch keine Parochialhandlungen vornehmen. Hierfür war der lutherische Feld- oder Garnisonsprediger als ordentlicher parochus der eigentlichen, Katholiken und Evangelische gleichermaßen umfassenden Militärgemeinde zuständig.453 Jedoch wurde von staatlicher Seite geduldet, daß die nicht nur in den Garnisonen Berlin, Potsdam, Brandenburg und Nauen, sondern auch anderenorts gebildeten Gottesdienstgemeinschaften durch Katholiken aus der Zivilbevölkerung oder durch ehemalige Soldaten, welche den Dienst quittiert hatten, verstärkt wurden.454 Auch hier zeigt sich insofern die „normative Kraft des Faktischen“, als 447 „Bestallung des römisch-katholischen Priesters bey den Königlichen Truppen. Berlin 17. Januar 1722“; im Wortlaut abgedruckt bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 128 ff. 448 Cf. den Wortlaut der Bestallungsurkunde bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 130 Nr. 10. 449 Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 132 ff. 450 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 131. 451 So Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 131 f. 452 Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 137. 453 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 134, 136 f. 454 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 130.

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offensichtlich seitens der Staatsleitung eingesehen wurde, daß den tatsächlichen konfessionellen Verhältnissen und den damit korrespondierenden religiösen Bedürfnissen in pragmatischer Weise Rechnung getragen werden mußte. Eine pragmatische Lösung bedeutete – wie auch in anderen Situationen –, daß je nach den lokalen Umständen gerade soviel religiöse Freiheit gewährt wurde, wie vernünftigerweise erforderlich war, ohne daß eine systematische Gesamtregelung auf Provinz- oder Staatsebene angestrebt wurde. Diese begrenzt gestattete katholische Seelsorge vollzog sich jedoch unter strenger staatlicher Aufsicht und Reglementierung. Nur die vom König ernannten katholischen Militärseelsorger durften katholische Seelsorge ausüben; insbesondere waren die im Zuge der Gegenreformation auch in Preußen tätigen Jesuiten nicht zugelassen, was verschiedentlich durch königliche Befehle eingeschärft wurde.455 Die katholischen Militärgeistlichen unterstanden – wie ihre evangelischen Amtsbrüder – in militärdienstlicher Hinsicht den militärischen Behörden sowie in letzter Instanz dem König. Dieser beanspruchte jedoch auch im Hinblick auf die geistliche Amtsführung die sich aus seinen Episkopalrechten ergebende Jurisdiktionsgewalt. Dies trat bei einem Streitfall zutage, bei dem gegen den damaligen Militär- und Gesandtschaftsgeistlichen P. Torck ein Verfahren wegen verbotener Proselytenmacherei im Zusammenhang mit einer Mischehenangelegenheit eröffnet worden war; damals entschied der kaiserliche Gesandte, daß der betreffende Geistliche – jedenfalls soweit er in seiner Funktion als Militärseelsorger tätigt werde – „einzig und allein von des Königs jure episcopali dependiren sollte und müßte“.456 Darüber hinaus übte Friedrich Wilhelm sein Episkopalrecht auch gegenüber den Ordensoberen der katholischen Militärgeistlichen aus, was solange nachvollziehbar war, wie es um deren äußere Dienstverhältnisse ging. Als etwa der Dominikaner-Provinzial von Halberstadt in Berlin eine Visitation durchführen wollte, schrieb der König an P. Torck: „Weil Wir als Summus Episcopus keinem (er sey wer er wolle) die geringste Jurisdiction in Ecclesiasticis allhier verstatten wollen, so befehlen Wir Euch in Gnaden, obgedachten Provincial, falls er allhier ankommen sollte, sofort anzudeuten, daß er wieder nach Hause gehe oder sich bey Straffe in Unserer Residentz allhierkeiner geistlichen Jurisdiction, Visitation noch Mutation anmaassen, widrigenfalls derselbe sowohl als Ihr zu gehöriger Straffe gezogen werden sollet.“457 Diese Aufforderung wurde von 455 Cf. die offene Ordre vom 27. April 1726, die Kabinettsorder vom 4. Mai 1726 an den Gouverneur von Stettin sowie an die Generalität in Pommern sowie den Befehl an die Minister vom 9. August 1726, jeweils wegen wahrgenommener Aktivitäten von Jesuiten; auszugsweise abgedruckt bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 138 f. 456 Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 139. 457 Schreiben vom 20. August 1728; zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 139 f. Die 1750 dennoch durchgeführte Visitation muß ohne Wissen des damaligen

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dem Provinzial nicht befolgt; der Minister von Cnyphausen ließ es in einem kurze Zeit später verfaßten Bericht ausdrücklich dahingestellt sein, ob sich der Provinzial und die örtlichen katholischen Geistlichen an den Befehl gehalten hatten, keine Handlungen, „so wider E. K. M. höchste Jura episcopalia streiten“, vorzunehmen. Der König widersprach daher der Absicht des Provinzials, P. Torck zu versetzen, mit der Begründung, dieser stehe „in mein [des Königs] Dinst“.458 Probleme traten insbesondere dann auf, wenn es um die innere geistliche Jurisdiktion in Angelegenheiten der Seelsorge im eigentlichen Sinne sowie der Sakramentenspendung ging. Nach dem katholischen Kirchenrecht unterstanden die königlich-preußischen Militärseelsorger katholischer Konfession insoweit nicht dem König, sondern nur demjenigen geistlichen Oberen, dem in dem jeweiligen preußischen Gebiet, wo sich die Garnison befand, die bischöfliche Jurisdiktion zustand. Für Kleve-Moers-Mark und Ravensberg-Geldern waren dies der Erzbischof und Kurfürst von Köln sowie der Bischof von Roermond, für das Herzogtum Preußen die Bischöfe von Ermland und Culm. Diese hatten die geistliche Jurisdiktion über die Militärgeistlichen an die jeweiligen Ordensoberen delegiert. Im Stammland Brandenburg-Pommern sowie in Magdeburg, Halberstadt und Minden jedoch war der Kurfürst von Brandenburg infolge der Reformation nach dem Reichsrecht der einzige Bischof; eine eigene geistliche Jurisdiktionsgewalt über die dort ansässigen Katholiken gab es nicht. Diese lag somit nach katholischem Kirchenrecht unmittelbar beim Papst, der sie für Magdeburg und Halberstadt dem zum Apostolischen Administrator ernannten päpstlichen Nuntius in Köln, für Minden dem Bischof von Hildesheim und für Brandenburg-Pommern ab 1667 einem Apostolischen Delegaten oder Vikar übertrug; letzterer war von 1779 an auch für Halberstadt zuständig.459 Daß insoweit auswärtige, nicht der brandenburgisch-preußischen Landeshoheit unterstehende Autoritäten eine – wenn auch nur geistliche – Jurisdiktion in Preußen ausübten, mißfiel dem Landesherrn natürlich. Allerdings scheiterten die bereits unter Friedrich I. sowie zu Beginn der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. 1714 und 1720 unternommenen Versuche, ein Apostolisches Vikariat für ganz Preußen errichten zu lassen, daran, daß keiner der für dieses Amt in Betracht kommenden Kleriker es sich mit den bisherigen Jurisdiktionsinhabern verderben wollte. Zu einem 1725 gefundenen Kandidaten verweigerte die römische Kurie die Zustimmung. Einige Jahre später einigten sich König und Papst auf den Abt Martin von Neuzelle als Apostolischen Vikar; dieser wurde vom Königs Friedrichs des Großen abgelaufen sein, welcher diese als Verletzung seines Summepiskopatsrechtes über die Katholiken angesehen und ebensowenig geduldet haben würde wie sein Vorgänger. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 158. 458 Bericht vom 28. September 1729 und nachfolgende Verfügung des Königs; auszugsweise abgedruckt bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 140. 459 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 141.

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Papst zum Titularbischof von Zama und zum Apostolischen Vikar eines neugeschaffenen Jurisdiktionsbezirks ernannt und vom König am 23. Februar 1732 als Vicarius generalis in spiritualibus bestellt. Da der König inzwischen jedoch eine persönliche Abneigung gegen den Abt entwickelt hatte, wurde auch diese Maßnahme nicht in die Praxis umgesetzt; es blieb also abermals bei der bisherigen Regelung.460 Die Stellung des katholischen Militärgeistlichen P. Torck hatte sich unterdessen – militärdienstlich betrachtet461 – im wesentlichen derjenigen eines katholischen Feldpropstes angenähert; der von P. Torck am 20. November 1736 geäußerten Bitte, ihm den entsprechenden Titel zu verleihen, wurde jedoch nicht entsprochen.462 10. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich dem Großen In Berlin blieben die Verhältnisse der katholischen Militärangehörigen zunächst weitgehend unverändert. Die katholischen Militärgeistlichen leisteten nach wie vor auch die Seelsorge für die katholische Zivilbevölkerung mit. Als sich die bisherige, von Friedrich Wilhelm I. zur Verfügung gestellte katholische Kapelle aufgrund der gestiegenen Zahl der Gläubigen als zu klein erwies, kam es zur Zulassung und zum Bau der Hedwigskirche sowie zur Einrichtung der katholischen Kirche des Invalidenhauses. Außerhalb Berlins waren teils die hauptamtlichen katholischen Militärseelsorger dergestalt tätig, daß sie die einzelnen Garnisonen bereisten und Gottesdienst hielten; teils wurden Vereinbarungen mit örtlich verfügbaren Zivilgeistlichen getroffen. Dies bedeute de facto die schon zu dessen Lebzeiten vollzogene Abkehr von der Anordnung Friedrich Wilhelms I., daß die katholische Militärseelsorge nur von königlich bestellten Geistlichen ausgeübt werden durfte.463 Auch hier hatte also das geschriebene Recht der pragmatischen Lösung weichen müssen. Hierin wird abermals die beschränkte Geltungskraft seinerzeitiger staatlicher Rechtsakte deutlich. Leitender katholischer Militärseelsorger blieb auch unter Friedrich dem Großen trotz gelegentlicher Differenzen P. Torck, dem aus Gesundheits- und Altersgründen – mit ausdrücklicher Billigung des Königs – vom Herbst 1747 bis zum Frühjahr 1753 zunächst P. Ferdinand Pauli, ab Mai 1754 dann P. Anton Eickhoff als eine Art Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge zur Seite stand. 460

Cf. im einzelnen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 141 f. In geistlicher Hinsicht besaßen die genannten katholischen Autoritäten die vollen bischöflichen Fakultäten. 462 Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 142 f. 463 Cf. im einzelnen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 146 ff. 461

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Gleichwohl wurde nur drei Tage nach dem Tod P. Torcks am 7. November 1755 nicht P. Eickhoff, sondern der seit 1740 in Potsdam für das Regiment des Königs tätige P. Amandus Jennes an die Spitze der katholischen Militärseelsorge berufen. Auch er erhielt bis zu seiner Anfang 1773 auf eigenen Wunsch erfolgenden Entlassung aus dem Amt nicht den Titel eines Feldpropstes. Am 2. Februar 1773 wurde daher der ebenfalls zuvor in Potsdam tätige P. Heinrich Elberfeld „zum ersten kathol. Pater“464 berufen; dieser erhielt mit der Konsekration der Hedwigskirche am 1. November desselben Jahres auch die erste Stelle an der neuen, von katholischer Militär- und Zivilgemeinde gleichermaßen genutzten Kirche. Die Stellung als erster und vorgesetzter katholischer Militärgeistlicher wurde dem bis 1779 amtierenden P. Elberfeld einige Zeit später noch einmal ausdrücklich bestätigt und zugesichert.465 Der Titel eines katholischen Feldpropstes wurde erstmals im bayrischen Erbfolgekrieg (1778/79) an den leitenden katholischen Feldseelsorger, den Karmeliterpater Bonaventura, welcher die preußischen Truppen zusammen mit einigen vom Oberkommando angestellten Hilfsgeistlichen ins Feld begleitete, für die Dauer des Feldzuges verliehen; als Feldpropst hatte P. Bonaventura Aufsichtsbefugnisse über die übrigen katholischen Feldgeistlichen.466 Die Jurisdiktion über die katholischen Soldaten des Feldzuges hatte P. Bonaventura hierzu eigens vom Generalvikar der Diözese Breslau, Weihbischof von Strachwitz, erhalten. In der Folgezeit trug dann der jeweilige leitende Geistliche der Hedwigskirche den Titel „Feldpropst“467; außerdem blieb die Bezeichnung „Feldpropst“ im Kriegsfall als Feldtitel für den leitenden katholischen Feldgeistlichen erhalten.468 Bei der Auswahl der katholischen Militärgeistlichen verblieb es bei der strengen staatlichen Aufsicht; der König behielt sich weiterhin die Bestätigung und Anstellung der vom leitenden Militärgeistlichen vorgeschlagenen jungen Geistlichen vor; der leitende Militärgeistliche wurde entsprechend angewiesen.469 Nicht selten kam es vor, daß katholische Militärgeistliche wegen angeblicher oder tatsächlicher Kompetenzüberschreitungen – insbesondere wegen Anma464 Wortlaut der Ernennungsurkunde, zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 151. 465 Ministerialresolution vom 27. August 1775; wiedergegeben bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 152. 466 Während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) hatte bereits der katholische Feldgeistliche P. Ertzel diese Stellung; im Gegensatz zu P. Bonaventura trug er jedoch nicht den Titel „Feldpropst“. Seine Befugnisse ergaben sich aus den ihm am 8. Oktober 1756 erteilten General-Grundregeln, wonach der Pater Ertzel sich bey dem Feldpater-Amte zu achten hat (abgedruckt bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 172 f.). 467 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 152, 171. 468 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 174. 469 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 154.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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ßung von Parochialbefugnissen oder Proselytenmacherei – als „unruhige Geister“ den militärischen Befehlshabern sowie dem König mißliebig wurden; der König ordnete in solchen Fällen in der Regel das „Wegschaffen des unruhigen Menschen“ an, der sodann in sein Kloster zurückgeschickt wurde. Da sich die Verhandlungen über die Bestellung eines Generalvikars für die zentrale Ausübung der geistlichen Jurisdiktion über die preußischen Katholiken zerschlagen hatten, empfingen die katholischen Militärgeistlichen nach wie vor die geistliche Jurisdiktion von den auswärtigen Vertretern der katholischen Hierarchie.470 Die Vorschriften des Militär-Konsistorial-Reglements und des Reglements für die Infanterie über Gottesdienst, Beichte und Kommunion in den Garnisonen wurden entsprechend auch für die katholischen Militärgemeinden angewendet; dies umfaßte auch die Krankenseelsorge sowie den Schulunterricht der Soldatenkinder. Für den katholischen Militärgottesdienst galten die liturgischen Vorschriften der katholischen Kirche.471 Die Gottesdienste konnten freilich nur stattfinden, wenn ein reisender katholischer Militärgeistlicher zugegen war oder es eine sonstige katholische Kirche und einen Zivilgeistlichen gab. Die katholischen Soldaten mußten nicht am evangelischen Gottesdienst teilnehmen, sondern sollten – wann immer möglich – in eine etwa vorhandene katholische Kirche geschickt werden.472 Während der Friedenszeiten war den katholischen Militärseelsorgern die Bildung formeller, kirchenrechtlich verfaßter Gemeinden verwehrt; sie besaßen nicht die Parochialrechte.473 Bereits in den Jahren 1750 und 1751 ergingen vier Cabinets-Ordres, wonach „das Exercitium sothaner actuum ministerialium denen cathol. Geistlichen nicht gestattet werden sollte“.474 Verstöße hiergegen 470 Dies waren zur Regierungszeit Friedrichs des Großen der Apostolische Vikar in Hildesheim (seit 1775 kraft eines päpstlichen Breve „nordischer Missionsbischof“, cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 181) sowie die Bischöfe von Köln und Roermond, für die Provinz Schlesien der Fürstbischof von Breslau sowie für die Provinz Preußen die Bischöfe von Kulm und Ermland. 471 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 159. 472 Reglement für die Infanterie, Tit. I, Teil IX Art. 3. Cf. auch die Kabinettsorder vom 15. August 1643: „Damit diejenige junge von Adel, welche römisch-katholischer Religion seindt, und aus Oberschlesien oder sonst anderswoher unter das Corps Cadets kommen, die freie Uebung des Gottesdienstes nach der Religion, zu welcher sie sich bekennen, behalten und es nicht das Ansehen habe, als ob man selbige darunter genieren wolle, so befehle ich hierdurch, daß solche nicht gezwungen werden sollen, den evangel. Gottesdienst und Religionsübungen beyzuwohnen, sondern, daß solche die Freiheit haben sollen, den röm.-kathol. Gottesdienst beyzuwohnen, sich zu solcher Kirche zu halten und von einen kathol. Prediger darunter besorget zu werden, und zwar auf gleiche Art und Weise, wie es darunter [in Berlin] bey denen Regimentern mit denen Soldaten, so kathol. Religion seindt, gehalten wird.“ Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 159. 473 Cf. auch Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 161.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

wurden mit empfindlichen Sanktionen geahndet. Erst 1766 wurde den katholischen Geistlichen in Berlin die Vornahme von Parochialhandlungen gestattet; diese Regelung trat allerdings erst 1773 mit der Einweihung der Hedwigskirche in Kraft.475 Die Mitglieder der katholischen Gemeinde der Hedwigskirche unterlagen aber weiterhin nicht den pfarrlichen Rechten im eigentlichen Sinne des katholischen Geistlichen. Soweit es sich um katholische Militärpersonen im Rechtssinne und damit um Angehörige der Militärgemeinde handelte, gingen die aus dem Militär-Konsistorial-Reglement resultierenden Rechte des lutherischen Militärpredigers als des ordentlichen parochus der Militärgemeinde den Befugnissen des katholischen Seelsorgers aufgrund des Hedwigskirchenprivilegs vor. Insbesondere blieben die Gebührenansprüche der lutherischen Feldprediger bestehen. Beschwerden hiergegen blieben ohne Erfolg, da die Konzession vom 1766 die entsprechenden Vorschriften des Militär-Konsistorial-Reglements ausdrücklich nicht aufgehoben habe.476 Diese Rechtslage wurde 1779 nochmals ausdrücklich vom König bestätigt.477 Der katholische Militärgeistliche zu Potsdam erhielt das Recht zur Vornahme der Parochialhandlungen erst Ende 1784.478 Auch außerhalb Berlins entstanden zahlreiche Konflikte wegen angeblicher und tatsächlicher Übergriffe katholischer Geistlicher in die Parochialrechte der lutherischen Pfarrer; diese wachten eifersüchtig über ihre – aufgrund der damit verbundenen Gebühreneinnahmen nicht zuletzt lukrativen – Privilegien. Besonders streng wurde das Verbot der Vornahme von Parochialhandlungen durch katholische Geistliche in Brandenburg und Pommern gehandhabt. Soweit dort evangelische Kirchen für den katholischen Militärgottesdienst zur Verfügung gestellt wurden, machte man in der Regel die Nichtausübung von Parochialrechten durch die katholischen Patres zur ausdrücklichen Bedingung für die Überlassung des Kirchenraumes. Verstöße der katholischen Militärgeistlichen gegen derartige Regelungen zogen Verweise und Strafen nach sich.479 Die 474 Cabinets-Ordres vom 19. Juli 1750 sowie vom 6. März, 21. Mai und 17. Juli 1751; hier wiedergegeben nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 168. 475 Versicherung vom 10. Juni 1766; cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 145, 168 f. 476 Cf. die Ministerialresolution vom 13. Dezember 1773; auszugsweise wiedergegeben bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 169 f. 477 Ein entsprechendes Gesuch wurde mit der Bemerkung abgelehnt: „Das ist unbillig, wan Solches in Catoll: Länder gegen Evangel: geschiet So Schreiet man dargegen üble Exsempels mus man nihmalen folgen.“ Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 170. 478 Cabinets-Ordre vom 23. Dezember 1784; cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 170. 479 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 148, 161. Cf. etwa den Ministerialerlaß vom 24. Oktober 1745 an den Generalfiscal Uhde mit der Aufforderung, einen katholischen Geistlichen „nachdrücklich zu verweisen und denselben sowohl als die übrigen hiesige kathol. Patres ernstlich anzuweisen, daß sie bey Vermeidung der kö-

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rechtmäßige Vornahme von Parochialhandlungen durch katholische Militärgeistliche blieb im brandenburgischen Stammland eine rare Ausnahme.480 Im Herzogtum Preußen, wo nach dem Vertrag von Wehlau von 1657 die Katholiken die freie Religionsausübung besaßen, sowie in den rheinischen Gebieten und in Schleseien durften die katholischen Militärseelsorger bei den katholischen Soldaten zunächst Parochialhandlungen vornehmen. Gelegentlichen Bestrebungen der lutherischen Feldprediger, die Parochialhandlungen an sich zu ziehen, wurde auf entsprechende Beschwerden der Katholiken hin Einhalt geboten.481 Das Militär-Konsistorial-Reglement von 1750 sorgte jedoch für eine einheitliche Regelung, derzufolge die Parochialrechte ausschließlich den lutherischen Feldpredigern zustanden482; eine entsprechende Regelung fand sich auch im Corpus iuris Fridericianum von 1749 und 1751.483 Hier wurde das Interesse des Staates, die typischerweise personenstandsrechtlich relevanten Parochialhandlungen dadurch einer besonderen Kontrolle zu unterwerfen, daß man sie dem Monopol der lutherischen Kirche als einer funktionell staatlichen Verwaltungseinrichtung unterstellte, konsequent durchgesetzt. Dies zeigt sich besonders deutlich an der zuletzt zitierten Vorschrift des Corpus iuris Fridericianum, deren Wortlaut eine prononciert anti-katholische Tendenz aufweist. Wie nicht anders zu erwarten war, regte sich insbesondere im Herzogtum Preußen, in Schlesien sowie im Rheinland Protest gegen die Verkürzung der nigl. Ungnade und 50 Rthlr. Strafe sich überhaupt aller actuum parochialium enthalten sollen: da zwar Sr. K. M. Intention sei, daß die röm.-kathol. Religion allhier geduldet, allein durch die Eingriffe derer kathol. Geistlichen denen protestant. Predigern nicht zu nahe getreten werden solle“. Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 161. 480 So etwa die Vornahme von Parochialhandlungen durch katholische Militärseelsorger bei den in den Gewehrfabriken von Potsdam und Spandau angestellten Katholiken kraft besonderen Privilegs; dieses erstreckte sich aber ausdrücklich nicht auf die katholischen Mitglieder der Garnison. Näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 162. 481 Cf. im einzelnen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 162. 482 Militär-Konsistorial-Reglement 1750, Kirchenordnung, II. Hauptstück, 3. Abschnitt, § 2: „Die Taufen bey einem Regiment, Bataillon, Garnisongemeinde und was weiter hierher gehöret, müssen ohne Unterscheid von denen lutherischen Prediger als dem ordentlichen Feld- und Garnisonprediger verrichtet werden: die Eltern mögen reformirt, lutherisch oder katholisch seyn [. . .]“; 5. Abschnitt § 6: „Keyn Stadt- und Land-Prediger, auch keyn Feldprediger, darf einen Soldat, er sey von welcher Religion er wolle, proclamiren und copuliren, der nicht ein Dimissoriale von seinem eigentlichen Feldprediger aufweiset: wie denn sowohl die lutherischen als reformirten und kathol. Soldaten von dem Feldprediger des Regiments oder Bataillons müssen copuliret werden.“ Die lutherischen Militärgeistlichen hatten freilich das materielle katholische Eherecht zu beachten. 483 Teil I, Buch II, Titel 3, § 29: „Es soll keyn katholischer Priester sich unterstehen, ohne Unsere Permission Jemand Unserer Unterthanen, von welcher Religion er sey, zu copuliren: allermaassen dergleichen Copulation und Ehe, wann auch schon die fleischliche Vermischung erfolget, null und nichtig seyn, die Kinder vor unehelich gehalten und die Priester sofort zu gefänglicher Haft gebracht, die Unterthanen aber nachdrücklich bestraft werden sollen.“

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Kompetenzen für die katholischen Militärgeistlichen. Die Beschwerden blieben überwiegend erfolglos: Sowohl der Dominikanerkonvent von Wesel als auch der Bischof von Ermland wurden im Ergebnis dahingehend beschieden, daß die Regelung des Militär-Konsistorial-Reglements von 1750 Bestand habe.484 Dagegen hatte der Protest des Bischofs von Roermond wegen der Beeinträchtigung seiner im Vertrag von Utrecht 1713 garantierten Diözesanrechte Erfolg; ihm ließ der König antworten, das Militär-Konsistorial-Reglement wolle an der bisherigen Rechtslage nichts ändern.485 In Schlesien hatte Friedrich der Große nach der ersten Erwerbung des Landes den dortigen katholischen Geistlichen zunächst die Vornahme der Parochialhandlungen gestattet. Dies geschah in der Absicht, sich die mehrheitlich katholische Bevölkerung gewogen zu machen.486 Nach dem Erlaß des Militär-Konsistorial-Reglements 1750 machten die lutherischen Feldprediger jedoch das Recht der Parochialhandlungen für sich geltend. Der König befahl daraufhin die strenge Einhaltung der neuen Regelung auch in Schlesien.487 Hierbei setzte man sich über ein am 8. August 1750 erlassenes Reglement, das den katholischen Geistlichen Schlesiens die Ausübung der Parochialhandlungen gestattet hatte, hinweg; dieses hätte als lex posterior das gut drei Wochen ältere Militär-Konsistorial-Reglement verdrängen sollen. Auch die seitens der fürstbischöflichen Kurie Ende 1752 geäußerte Bitte, die katholischen Militärgeistlichen mögen die Parochialhandlungen vornehmen und die anfallenden Stolgebühren an die lutherischen Feldprediger abführen dürfen, wurde mit der Begründung abgelehnt, es komme „gar nicht auf den Nutzen der Feldprediger, sondern auf die Beybehaltung einer durchgehends gleichen Einrichtung bey der königlichen Armée“ an; eine Änderung oder Ausnahme könne daher nicht gestattet werden.488 Hier kommt das Interesse des sich bildenden preußischen Staates an der möglichst lückenlosen Überwachung und Reglementierung des Personenstandswesens deutlich zum Ausdruck. Hierbei blieb es auch während der an weiteren Konflikten reichen nächsten zwanzig Jahre. Erst als sich 1774 das Geistliche Departement mit einer Immediateingabe an den König wandte und um Gestattung der Parochialhandlungen für katholische Geistliche im Sinne der Eingabe von 1752 bat, erklärte sich Friedrich der Große mit dieser Regelung einverstanden und wies das Geistliche Departement sowie das Kriegskonsistorium an, eine dahin-

484

Ausführlich hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 164 f. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 165 f. 486 s. hierzu auch supra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 4. 487 Cf. die Kabinettsorder vom 25. Juni 1752, wonach das neue Reglement „stricte respectiret werde und den [evangelischen] Feldpredigern kein Eintrag geschehen solle“. Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 166 (dort teilweise wiedergegeben). 488 Kabinettsorder vom 9. Januar 1753; zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 166 f. 485

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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gehende Instruktion für die katholische Geistlichkeit Schlesiens zu entwerfen. In diesem Dokument489 wurde ausdrücklich betont, daß die katholischen Kleriker nur auf ausdrücklichen Wunsch der katholischen Militärangehörigen tätig werden durften; man konnte sich jedoch auch an den evangelischen Feldprediger wenden. Die administrativen Vorgaben des Militär-Konsistorial-Reglements waren genau einzuhalten; durch zusätzliche Formalitäten wurde sichergestellt, daß die bezweckte staatliche Kontrolle des Personenstandswesens ohne wesentliche Einschränkung erhalten blieb. Die Zahl der aufgrund des Militär-Konsistorial-Reglements im Kriegsfall zu berufenden490 katholischen Militärgeistlichen blieb gering. So wurden etwa während des Siebenjährigen Kriegs für rund hunderttausend preußische Soldaten unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Bekenntnisses neben über hundert lutherischen nur vier katholische Feldgeistliche eingesetzt.491 Die Anstellung erfolgte zunächst – dem militärischen Charakter des Amtes entsprechend – durch den König und das Ministerium; im Siebenjährigen Krieg war diese Aufgabe dem Oberkommandierenden der Armee übertragen.492 11. Das katholische Militärkirchenwesen unter Friedrich Wilhelm II. Während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. blieb das katholische Militärkirchenwesen weitestgehend unverändert. Auch die Bestimmung des Religionsedikts, welche feierlich die drei Hauptkonfessionen des Staates proklamierte und dabei auch das katholische Bekenntnis erwähnte493, wirkte sich nicht auf die Struktur des Militärkirchenwesens als einer einheitlichen, an der lutherischen Kirchenverfassung orientierten, wesensmäßig staatlichen494 Institution aus. Im Zuge der Vergrößerung der Armee nahm auch die Zahl der katholischen Militärgeistlichen zu. In Stettin, wo das Gehalt für einen zweiten katholischen Militärgeistlichen von der zuständigen Militärbehörde nicht bewilligt wurde, er489 Instruktion vom 4. Oktober 1774; auszugsweise abgedruckt bei Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 167 f. 490 Militär-Konsistorial-Reglement 1750, II. Hauptstück, 2. Abschnitt § 9. 491 Diese Anzahl ergibt sich aus einer Kabinettsresolution für P. Jennes vom 31. Oktober 1756: „Sa Maj. a appris volontiers que le père Amand Jennes a déjà mis la main à l’œuvre afin que les 4 prêtres qui sont nécessaires à l’armée, la puissent joindre incessament et qu’il aura aussi soin de hâter leur voyage au possible. Et pour que rien ne les arrête, S. M. accorde à chacun de ces prêtres 100 écus, pour les mettre en equipage.“ (zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 173). Cf. auch Hubatsch, Friedrich der Große, S. 200. 492 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 171. 493 § 1 des Religionsedikts. Näher hierzu infra Teil II, Kapitel 1, C. II. 494 Unrichtig insoweit Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 173 („kirchliche Organisation“).

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

hielt dieser, da er zugleich auch die Seelsorge an den katholischen Zivilpersonen ausübte, ein Gehalt von der römischen Kurie.495 In Schlesien setzten sich die Konflikte zwischen evangelischen Feldpredigern und katholischen Geistlichen um die Vornahme der Parochialhandlungen fort, da letztere die in der Garnison ansässigen, jedoch beurlaubten Soldaten als Mitglieder der katholischen Zivilgemeinde ansahen und daher bei ihnen Parochialhandlungen ohne Dimissoriale der evangelischen Feldprediger und ohne Abführung der Stolgebühren vornahmen. Dieser Streit wurde 1786 durch eine Kabinettsorder beigelegt.496 Auch die von Friedrich Wilhelm I. 1720 getroffene Bestimmung, daß bei Eheschließungen von Soldaten der Pfarrer des Bräutigams – d. h. der lutherische Feld- oder Garnisonsprediger – zuständig war, wurde von den katholischen Geistlichen meist nicht beachtet; diese Bestimmung wurde schließlich im Allgemeinen Landrecht verbindlich festgeschrieben.497 Für die infolge der Aufteilung Polens neugeschaffenen Provinzen Süd- und Neuostpreußen wurde mit stillschweigender Billigung der Regierung die in Schlesien üblich gewordene Regelung übernommen. Demnach wurde die katholische Militärseelsorge durch bestimmte Zivilgeistliche wahrgenommen, welche unter Abführung der Stolgebühren Parochialhandlungen bei den katholischen Soldaten und ihren Angehörigen vornehmen durften. Die dort tätigen lutherischen Feldprediger wurden auf die schlesische Verfahrensweise hingewiesen und aufgefordert, in dieser Hinsicht mit den katholischen Geistlichen zu kooperieren. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde diese Praxis auf alle Provinzen des Staates ausgedehnt.498 Auch im Kriegsfall blieben die Zuständigkeiten im wesentlichen unverändert. Zwar oblag es – etwa beim Ausbruch des I. Koalitionskrieges gegen Frankreich 1792 – dem katholischen Feldpropst, nach entsprechender Aufforderung durch das Geistliche Departement499 Kandidaten für die Anstellung als katholische Feldgeistliche zu ermitteln und zu berufen. Diese hatten sich jedoch beim evangelischen Feldpropst zwecks Zuweisung eines Einsatzortes zu melden. Der evangelische Feldpropst behielt somit die Gesamtleitung der Militärseelsorge im Ganzen, so daß ihm hinsichtlich des äußeren Dienstverhältnisses auch die katholischen Militärgeistlichen unterstanden.500 Katholischer Feldpropst zur

495

Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 174. Cabinets-Ordre vom 21. Dezember 1786 mit authentischer Auslegung zu Militär-Konsistorial-Reglement 1750, II. Hauptstück, I. Abschnitt § 3 (auszugsweise abgedruckt in Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 174 f.). 497 ALR Teil II, Titel XI, §§ 437, 438. 498 s. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 175. 499 Die Aufforderung erging auf Antrag des Oberkriegskollegiums sowie des evangelischen Feldpropstes. 500 Ausführlich hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 175 ff. 496

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Zeit Friedrich Wilhelms II. war der erste Geistliche an der Hedwigskirche, P. Kirchhoff. Der Versuch, die Frage der geistlichen Jurisdiktion über die Katholiken durch Bestellung eines Apostolischen Vikars und Weihbischofs mit Sitz in Berlin zu lösen, scheiterte erneut.501 Offenbar hielt der König an der von seinen Vorgängern gepflegten Illusion fest, eine über die reine Kirchenaufsicht hinausgehende Jurisdiktion über die Katholiken in Preußen zu besitzen, auch wenn ein Regierungsmitglied ihn in einem Promemoria davon zu überzeugen suchte, daß dies realitätsfern war.502 12. Fazit Insgesamt fügt sich die Entwicklung des Militärkirchenwesens in die Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung Brandenburg-Preußens nahtlos ein. Die durch die besondere Nähe des Militärs zum Staat verstärkt zu beobachtenden Verstaatlichungstendenzen sind augenfällig, ebenso die damit einhergehenden Schwierigkeiten, die Unterscheidung zwischen geistlicher, persönlicher und militärischer Amtsführung und Dienstaufsicht einer klaren und sachgerechten Lösung zuzuführen. Die Gewährleistung der Seelsorge für reformierte und katholische Militärangehörige läßt einen ähnlich pragmatischen Ansatz erkennen wie die Kirchenund Religionspolitik im zivilen Bereich: Den tatsächlichen Bedürfnissen wurde Rechnung getragen, auch wenn dies im Hinblick auf eine klare, einheitliche und in sich stimmige Verfassungskonzeption des Militärkirchenwesens zu Schwierigkeiten führte. Der Primat des Staates und die Förderung des Staatswohles blieben bei alledem oberstes Gebot. Das Militär war ein Instrument in Dienst des Staates; daher war das Militärkirchenwesen im wesentlichen nichts anders als ein geistlich akzentuierter Teil des Militärs und diente letztlich dazu, die Erfüllung der militärischen Aufgaben mit geistlichen Mitteln zu optimieren.

501

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 181. „La jurisdiction épiscopale existe déjà réellement dans les États protestants de Sa Maj. et réside dans la personne de celui que la cour de Rome appelle l’Évêque du Nord. Depuis longtemps c’est le prince évêque de Hildesheim qui a ce titre et cette jurisdiction.“ Zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 181. 502

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

E. Die evangelische Landeskirche im aufgeklärt-absolutistischen Preußen sowie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Die Organisation des evangelischen Kirchenwesens im aufgeklärt-absolutistischen Preußen folgte im wesentlichen den Grundsätzen der Konsistorialverfassung, nach denen sich die Landeskirche – wie beschrieben – entwickelt hat. I. Die Ressortverhältnisse zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts Läßt man die nur vorübergehend zu Preußen gehörigen Gebiete von Ansbach, Ostfriesland sowie Süd- und Neu-Ostpreußen außer Betracht, so ergibt sich nach dem Vorstehenden für die evangelische Landeskirche Preußens die nachfolgende Ressortverteilung:503 1. Das Oberhaupt der Kirche war der evangelische Landesherr, welcher sich selbst die sogenannten Episkopalrechte zuerkannte. Die Existenz dieser Rechte und deren Besitz und Ausübung durch die Obrigkeit wurden von niemandem bestritten.504 2. Die beiden mit der oberen Leitung der geistlichen Angelegenheiten betrauten Minister (ein Lutheraner, ein Reformierter) des dem König zur Seite stehenden geheimen Staatsrates oder Staatsministeriums bildeten das Geistliche Departement, welches eine lutherische und eine reformierte Unterabteilung besaß. Diese wurden in der Regel gemeinsam tätig, soweit nicht im Interesse einer der beiden Konfession ein getrenntes Vorgehen erforderlich war. Den Ministern oblag gleichermaßen die Wahrnehmung der Rechte und Interessen der Kirche sowie die Geltendmachung der Hoheitsrechte des Staates. 3. Das reformierte Kirchendirektorium und das französische Oberkonsistorium einerseits sowie das lutherische Oberkonsistorium andererseits waren mit dem Geistlichen Departement personell und organisatorisch verknüpft, indem die beiden Justizminister in Personalunion die jeweiligen Chefpräsidenten dieser Zentralbehörden waren. Dem Reformierten Geistlichen Departement unmittelbar untergeben waren das Direktorium der Kasse Mons pietatis sowie das Direktorium der Domkirche. Dem Minister des Lutherischen Geistlichen Departements unterstanden unmittelbar die drei schlesischen

503

Cf. hierzu insgesamt Jacobson, Kirchenrecht, S. 151 f. Dies ist die zentrale Prämisse der Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments durch die brandenburgisch-preußischen Herrscher: die normative Kraft des Faktischen. 504

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Oberkonsistorien, das kurmärkische „Amts-Kirchen-Revenüen-Directorium“ sowie das Kuratorium der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin.505 Außerdem unterstand das Kriegskonsistorium der Militärabteilung des Justizministeriums. 4. Den vorgenannten Zentralbehörden unterstanden unmittelbar die Provinzialbehörden. In Falle des reformierten Kirchendirektoriums waren dies die reformierten geistlichen Inspektoren der deutschen und wallonischen reformierten Gemeinden, das mit der Regierung von Tecklenburg-Lingen verbundene reformierte Konsistorium, das Konsistorium bei der Regierung zu Moers sowie das Administrationskollegium zu Geldern.506 Unter dem französischen Oberkonsistorium standen das französische Konsistorium zu Berlin sowie die französischen Inspektoren und Gemeinden in den Provinzen.507 Dem lutherischen Oberkonsistorium schließlich unterstanden die Provinzialkonsistorien, und zwar sowohl jene, die als selbständige Kollegien bestanden (Berlin/Mark Brandenburg, Halberstadt, Magdeburg, Stettin und Köslin in Pommern, Preußen), als auch diejenigen, welche nur Bestandteile der jeweiligen Provinzialregierungen waren (neumärkisches Konsistorium zu Küstrin, Kleve-Mark, Lingen-Tecklenburg, Minden-Ravensberg, Moers, Geldern, Westpreußen). 5. Die lutherischen Provinzialkonsistorien standen ihrerseits über den Vorstehern der einzelnen Inspektionen sowie den Mediatkonsistorien. 6. Diesen schließlich waren die Geistlichen sowie die Lehre der einzelnen Gemeinden in den Kreisen oder Diözesen untergeben. II. Die Konsistorialverfassung zur Zeit des Allgemeinen Landrechts 1. Die Rezeption der bestehenden Konsistorialverfassung durch das Landrecht Die kirchenrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten gingen von der seinerzeit bestehenden Ordnung des evangelischen Kirchenwesens aus und setzten diese voraus. Das bischöfliche Recht des Landesherrn als solches fand dabei keine Erwähnung, weder als „Notbischofsrecht“ noch als „Summepiskopat“. Auch der Rechtsgrund für die Stellung des Landesherrn in der Kirche und zu ihr wurde im Allgemeinen Landrecht nicht hergeleitet und benannt. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts sowohl in der Frage, ob ein bischöf-

505

Näher hierzu Rabe, Sammlung IV, §§ 27, 32. Cf. hierzu wiederum Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 400, 403, 418, 441, 444. 507 Cf. hierzu wiederum Jacobson, Reformierte, S. 326. 506

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

liches Recht des Landesherrn anzuerkennen sei, als auch hinsichtlich der unterschiedlichen Herleitungsmöglichkeiten einer solchen Rechtsposition uneins waren.508 Man beschränkte sich daher darauf, die einem jeden Organ des Kirchenregiments zustehenden Rechte separat aufzuführen, wobei man die Unterscheidung zwischen den iura circa sacra und den iura in sacra (iura sacrorum) zugrundelegte. Daß die Verwaltung beider Rechtsbereiche sich zum größten Teil in denselben Händen befand und die evangelische Kirche mit dem Staat in enger Weise verwoben war, fand dabei keine Berücksichtigung. Auch die in Preußen bestehende Bekenntnisverschiedenheit von Staats- und Kirchenoberhaupt einerseits und Landeskirche anderseits wurde im Allgemeinen Landrecht nicht angesprochen. Die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts sahen die Konsistorien als die eigentlichen Verwalter der iura sacrorum an.509 Klein schrieb hierzu im kirchenrechtlichen Entwurf des Landrechts: „Bei den Protestanten vertritt das Consistorium in Kirchensachen und in der Aufsicht über die Geistlichkeit die Stelle des Bischofs.“ Svarez proponierte dagegen in §§ 102, 103 des I. Entwurfs folgende Fassung: „Bei den Protestanten ist das Consistorium das geistliche Oberhaupt510 der Kirchengesellschaft. In Rücksicht der äußeren Kirchenverfassung haben die Consistorien auf die Kirchengesellschaften und die Geistlichkeit der ihnen angewiesenen Provinz gleiche Rechte, wie der Bischof in seiner Diöces.“ In § 119 des II. Entwurfs sowie im Allgemeinen Landrecht, Teil II, Titel XI, § 143 hieß es dagegen: „Bei den Protestanten kommen die Rechte und Pflichten des Bischofs in Kirchensachen, der Regel nach den Consistoriis zu.“ Die schematische Gleichstellung von Bischöfen und Konsistorien konnte aus zweierlei Gründen nicht befriedigen und gab Anlaß zu weiterer Präzisierung der Kompetenzen. Zum einen lagen die historischen und theologischen Unterschiede zwischen den Bischöfen und den Konsistorien auf der Hand, zum anderen war zu berücksichtigen, daß die Konsistorien in erheblichem Maße auch Rechte ausübten und Aufgaben wahrnahmen, die ihnen als geistlichen Behörden eigentlich nicht zukamen. Diese übten sie nicht als eigene Rechte oder Aufgaben aus, sondern nur im Auftrag des Staats. Svarez nahm daher in den I. Entwurf noch folgende §§ 104–106 auf: „Die Rechte des Staats über die Kirche kommen ihnen ohne besondern Auftrag nicht zu. Eben so wenig gebührt ihnen eine weltliche Gerichtsbarkeit. Abweichende Bestimmungen müssen durch besondere Gesetze und Consistorialordnungen entschieden sein.“

508 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 152, sowie Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 417 m.w. N. 509 Cf. von Kamptz, Über das bischöfliche Recht, S. 112 ff. 510 Im ersten Entwurf war nicht vom geistlichen Oberhaupt, sondern vom „Vorsteher“ die Rede. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 153, Anm. 2.

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Zu dieser Fassung ergingen verschiedene Monita. Beachtenswert ist insbesondere die Äußerung Lamprechts: „Es würde sehr gut sein, die Rechte und Befugnisse der Consistorien, der Oberconsistorien und des Staats, worunter ich das geistliche Departement verstehe, genau zu bestimmen, damit der Bürger des Staats wisse, an wen er sich in diesem oder jenem Falle zu wenden habe, auch wie weit dieses oder jenes Collegium gehen könne.“ Svarez erwiderte darauf, das Gesetzbuch solle kein Geschäftsverteilungsplan sein, „allein es sollte doch billig bestimmt sein, was ad Reservata des Landesherrn, was für seine weltlichen Collegia und was für die Vorgesetzten der Kirchengesellschaften oder für die Consistoria gehöre“.511 Bei der Bearbeitung des II. Entwurfs wurde daher der allgemeine Ausdruck „Geistlicher Oberer“, worunter sowohl der Landesherr als auch die Konsistorien zu verstehen gewesen wären, in zahlreichen Einzelvorschriften durch die ausdrückliche Bezeichnung des jeweiligen Organs ersetzt.512 Über die Konsistorien hieß es nun – anstelle der §§ 104–106 des I. Entwurfs – in § 120 des II. Entwurfs, der als § 144 auch in Teil II, Titel XI des Allgemeinen Landrechts einging: „Der Umfang der Geschäfte [der Konsistorien] ist durch die Consistorial- und Kirchenordnungen, nach den verschiedenen Verfassungen der Provinzen und Departements, näher bestimmt.“ Anders als im II. Entwurf wurde im Allgemeinen Landrecht jedoch der Begriff „Geistliche Obere“ wieder aufgenommen, damit sowohl die verschiedenen kirchlichen Behörden als auch die Organe der römisch-katholischen Kirche darunter gefaßt werden konnten. Die Gleichstellung der Konsistorien mit den Bischöfen wurde an mehreren Stellen besonders hervorgehoben.513 Das bischöfliche Recht des Landesherrn fand, wie erwähnt, im Allgemeinen Landrecht keine ausdrückliche Erwähnung. Dessen Entstehungsgeschichte legt allerdings den Schluß nahe, daß ein solches durchaus anerkannt und vorausgesetzt wurde. Eine indirekte Anerkennung erfolgte in § 107 des I. Entwurfs, wo dem Landesherrn die Ausübung eines traditionell bischöflichen Rechts anvertraut wurde: „Die Anordnung der Provinzialkonsistorien hängt vom Landesherrn ab.“ Diese Vorschrift fand sich weder im II. Entwurf noch im späteren Allgemeinen Landrecht wieder, was allerdings nicht zu bedeuten hat, daß man die Aussage für unrichtig hielt. Vielmehr hielt man hinsichtlich dieses sowie anderer kirchlicher Rechte des Landesherrn die Bezugnahme auf die provinziellen Konsistorial- und Kirchenordnungen für ausreichend.514 Überhaupt wurde der Landesherr, soweit es um sein Verhältnis zur evangelischen Kirche des Landes ging, nur im Zusammenhang mit den evangelischen Stiftern und Klöstern erwähnt; dort hieß es, daß ihm insoweit „alle Rechte, welche den Bischöfen 511 512 513 514

Materialien zum ALR XIV, fol. 155; XV, fol. 123. Siehe im einzelnen die Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 153, Anm. 4. Siehe zu beidem die Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 154, Anm. 5, 6. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 154.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

oder andere geistlichen Obern, auf katholische Stiftungen gleicher Art eingeräumt worden“, zukommen.515 Die Konsistorien unterstanden – wie dargestellt – den zwei Staatsministern des Geistlichen Departements. Deshalb lauteten §§ 145, 146 des Allgemeinen Landrechts, Teil II, Titel XI: „Sämmtliche Consistoria der Protestanten stehen unter der Oberdirection des dazu verordneten Departements des Staatsministerii. Ohne desselben Vorwissen und Genehmigung kann in Kirchensachen keine Veränderung vorgenommen, noch weniger können neue Kirchenordnungen eingeführt werden.“516 Als besondere kirchliche Organe waren auch die Mediatkonsistorien zu berücksichtigen. Während der I. Entwurf (§§ 108–111) nur pauschal festlegte, daß diese unter der „Oberaufsicht des Staats“ stünden, war im II. Entwurf (§§ 123– 125) sowie in der endgültigen Fassung des Allgemeinen Landrechts (Teil II, Titel XI §§ 147–149) einen stärkere Akzentuierung der kirchlichen Verhältnisse und eine größere Differenzierung festzustellen: „Mediatconsistorien, wo dergleichen vorhanden sind, stehen der Regel nach unter der Aufsicht des Oberconsistorii der Provinz. Ausnahmen davon, und unmittelbare Unterordnung unter das geistliche Departement, müssen besonders dargethan werden. Es sollen aber auch die Oberconsistoria den untergeordneten Mediatconsistoriis in Ausübung ihrer Gerechtsame keinen Eintrag thun.“ Als „Obere des geistlichen Standes“ waren schließlich die „unter der Direction der Consistorien“ stehenden Superintendenten, Inspektoren und Erzpriester anzusehen, die als „Aufseher einzelner Diöcesen oder Kreise“ fungierten.517 Ihnen waren „die Vorsteher der einzelnen Kirchengesellschaften“, „die Kirchencollegia“, untergeordnet.518 2. Die Konsistorialverfassung in der Frühzeit des Allgemeinen Landrechts (1794–1815) In der Zeit bis zum Wiener Kongreß konnte sich die bisherige Ordnung zunächst im wesentlichen stabilisieren. Schon kurze Zeit nach seinem Regierungsantritt ordnete König Friedrich Wilhelm III. eine neue Departementsaufteilung innerhalb des Justizministeriums an, bei welcher die bisherige Ordnung in der obersten geistlichen Verwaltung jedoch bestätigt wurde.519 Wenig später wurde 515

Cf. I. Entwurf §§ 874, 875; II. Entwurf § 917; ALR Teil II, Titel XI, § 1220. Diese Vorschriften stehen als §§ 121, 122 im II. Entwurf. 517 Cf. I. Entwurf §§ 112–116; II. Entwurf §§ 126–130; ALR Teil II, Titel XI, §§ 150–155. 518 I. Entwurf §§ 117–123; II. Entwurf §§ 131–133; ALR Teil II, Titel XI, §§ 156– 158. 519 Reskript vom 2. April 1798; NCC X, Sp. 1619 ff. 516

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ein zusätzliches Militär-Justizdepartement neu eingerichtet, welches in geistlichen Angelegenheiten unter Mitwirkung des Chefs des Geistlichen Departements tätig werden und die Oberaufsicht über das Kriegskonsistorium führen sollte.520 Auf der Ebene der kirchlichen Provinzbehörden wurden anläßlich der Bearbeitung der Provinzialrechte Änderungen beabsichtigt, die vor allem Ostpreußen betrafen. Dort sollten unter anderem Konsistorium und Spezial-Kirchen- und Schulkommission vereinigt und das Amt des Generalsuperintendenten abgeschafft werden.521 Einige der in diesem Zusammenhang erörterten Themen wurden auch in einem Gutachten über die Verbesserung des Religionszustandes in den preußischen Landen behandelt, das im Jahre 1802 auf Verlangen des Königs vom Oberkonsistorium erstattet wurde.522 Der König wünschte eine Vereinfachung der Verwaltung durch Reduzierung der Behörden und Schaffung einer größeren Einheit im Staatsorganismus sowie die konsequente Trennung der Verwaltungs- von den Justizbehörden. Schon in der Vergangenheit waren die Amtsgeschäfte der Konsistorien, auch wenn es sich nicht um gerichtliche Zuständigkeiten handelte, schon mehrfach den Regierungen (Justizbehörden) übertragen worden. Hieran hielt das Reglement für Südpreußen vom 15. Dezember 1795 fest, welches das gesamte protestantische Kirchen- und Schulwesen an die mit den Regierungen vereinigten Konsistorien, die entsprechenden Angelegenheiten der Katholiken oder Griechisch-Orthodoxen hingegen an die Kammern (Justizbehörden) verwies.523 Das Reglement für Neu-Ostpreußen vom 3. März 1797 hingegen bestimmte die Zuständigkeit der Kammern für „alle, sowohl katholischen und griechische, als protestantische, geistliche Kirchen- und Schulenangelegenheiten“.524 „In allen diesen Angelegenheiten gebühret der Cammer allein das Recht, Anordnungen und Verfügungen zu treffen; die Regierungen dürfen sich darin nicht umsehen, sondern müssen [. . .] die Partheien damit an die competente Kriegs- und Domänencammer verweisen.“ Dieser Neubestimmung folgte auch das Reglement vom 2. April 1803 über die Geschäftsverteilung zwischen den Landeskollegien in den preußischen Entschädigungsländern, welches die Zuständigkeit der Regierungen für sämtliche „Prozesse“, wozu auch „die Sponsalien, Ehe- und übrigen geistlichen Sachen der Protestanten“ zählten, anordnete. Die Angelegenheiten der Schulen und Erziehungsanstalten aber sowie alle geistlichen Angelegenheiten sowohl der Katholiken als auch der Protestanten sowie die Aufsicht und Verwaltung der karitativen Stiftungen und Kirchen-Aerarien, außerdem die Besetzung und Bestätigung der landesherrlichen bzw. sonstigen Patronatsstellen, die Diszipli520

Patent vom 23. Oktober 1798; NCC X, Sp. 1781 ff. Cf. hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 203 f. 522 Cf. F. S. G. Sack, Über die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchenparteien, S. 115 ff., S. 160 ff. 523 s. §§ 4, 54 des genannten Reglements; NCC IX, Sp. 2706, 2734. 524 s. §§ 4 Nr. VIII sowie 5–6 des genannten Reglements; NCC X, Sp. 955. 521

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

naraufsicht über die Geistlichen und auch die sonstige Wahrnehmung des landesherrlichen ius circa sacra wurden dem Ressort der Kriegs- und Domänenkammern hinzugefügt. Zu diesem Zweck sollten den Kammern sachverständige Mitglieder zugeordnet werden.525 Die Kriegs- und Domänenkammern sollten somit als Provinzialkonsistorien fungieren.526 1803 beschloß man, diese Ordnung auf die alten Landesteile zu übertragen527; dies geschah jedoch zunächst nur für Ostpreußen und Litauen durch das mit der erwähnten Regelung vom 2. April 1803 im wesentlichen wortgleiche Reglement vom 21. Juni 1804.528 Hierdurch wurden das Etatsministerium, das Konsistorium und die Spezialkommission aufgehoben und die geistlichen sowie Bildungsangelegenheiten der ostpreußischen und litauischen Kriegs- und Domänenkammer zugewiesen. Aus den bisherigen Mitgliedern des Konsistoriums, der Spezialkommission sowie einigen Kammerräten wurde zur Erledigung der bisherigen Konsistorialgeschäfte eine eigene Konsistorial-Deputation gebildet sowie über deren Verhältnis zum Finanz- und Geistlichen Departement eine besondere Regelung getroffen.529 Diese Veränderung bezog sich nur auf die lutherische Kirche; die Verhältnisse der beiden reformierten Kirchen sowie der Schulen und karitativen Einrichtungen blieben unangetastet.530 Infolge des Friedensvertrages von Tilsit vom 9. Juli 1807 mußten die Veränderungen auf die anderen Landesteile sowie auf die Reformierten und die Zentralbehörden ausgeweitet werden. Zunächst wurden bei den einzelnen Regierungen die Konsistorialgeschäfte auf die Kammern übertragen; in Westpreußen etwa durch Errichtung des auch für reformierte und schulische Angelegenheiten zuständigen Provinzialkollegiums nach dem Muster Ostpreußens.531 Um „der Geschäftsverwaltung die größtmögliche Einheit, Kraft und Regsamkeit zu geben, sie in einen obersten Punkt zusammen zu fassen und die Geisteskräfte der Nation und des Einzelnen auf die zweckmäßigste und einfachste Art für solche in Anspruch zu nehmen“, wurde durch das Publicandum vom 16. Dezember 1808532 die Leitung fünf Ministern übertragen. Das Justizdepartement wurde vereinfacht; die bislang dort angesiedelte geistliche Verwaltung 525 s. §§ 3 Nr. 2, 5 Nr. 8 und 9 des genannten Reglements; NCC XI, Sp. 1573; Rabe, Sammlung VII, S. 350, 352. 526 s. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 360. 527 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 204. 528 s. § 5 Nr. 6 des genannten Reglements, NCC XI, Sp. 2603–2628; Rabe, Sammlung VIII, S. 106. 529 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 205, sowie das Hofreskript vom 10. Februar 1805, Urk.-Nr. LXVIII; abgedruckt bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 158 f. 530 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 156. 531 Cabinets-Ordre vom 5. Oktober 1808; zitiert bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 157. 532 Publicandum vom 16. Dezember 1808 über die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der preußischen Monarchie in Beziehung auf die innere Landes-

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wurde dem Departement des Innern übertragen, wo zu diesem Zweck eine eigene Sektion „für den Cultus und öffentlichen Unterricht“ eingerichtet wurde. In den Aufgabenbereich der Abteilung des öffentlichen Unterrichts sollten alle höheren wissenschaftlichen sowie Kunstvereine, alle Anstalten zu Lehrzwecken oder mit sonstigem Einfluß auf die allgemeine Bildung sowie die Zensur nicht politischer Schriften fallen. Die Abteilung für den Kultus erhielt das ius circa sacra nach Teil II, Titel XI, §§ 113 ff. des Allgemeinen Landrechts, und zwar ohne Rücksicht auf das Bekenntnis, ferner die Konsistorialrechte (ius sacrorum), insbesondere hinsichtlich der Protestanten nach Teil II, Titel XI, § 143 des Allgemeinen Landrechts. Dieser Abteilung wurden die Deputationen für geistliche und Schulsachen in den Kammern, die seitdem den Namen „Regierungen“ trugen, sowie für die katholischen geistlichen Angelegenheiten und den Kultus geduldeter Sekten die Deputationen der Regierungen für die Gegenstände der Landeshoheit unterstellt. Den Regierungen von Ostpreußen, Litauen und Westpreußen, der Kurmark und Neumark, von Pommern, Schlesien sowie der Stadt Berlin wurden jeweils eigene Oberpräsidenten als ständige Kommissarien des Ministers vorgesetzt.533 Mit dieser Neuorganisation ging neben der Aufhebung der Konsistorien auch die Auflösung des lutherischen Oberkonsistoriums534, des reformierten Kirchendirektoriums535, des französisch-reformierten Oberkonsistoriums536, des Kriegskonsistoriums537, des kurmärkischen Ämter-Kirchen-Direktoriums sowie des Oberschulkollegiums538 einher. Die weitgehende Einverleibung der Kirche in den Staat wurde überwiegend als eine der damaligen – vor allem außenpolitisch schwierigen – Lage geschul-

und Finanzverwaltung; NCC XII, Sp. 527–546; Gesetz-Sammlung 1806–1810, S. 361 ff.; Mathis, Monatsschrift VII, S. 252 ff.; Rabe, Sammlung IX, S. 383 ff. 533 Jacobson, Kirchenrecht, S. 157. Hierzu ergingen weitere Ausführungsbestimmugnen, etwa die Instruktionen für die Oberpräsidenten vom 23. Dezember 1808 sowie für die Regierungen vom 26. Dezember 1808 (Gesetz-Sammlung 1806–1810, S. 464 f.; Mathis, Monatsschrift VII, S. 378 ff., 446 ff.; Rabe, Sammlung XI, S. 402 ff., 415 ff.) sowie die Verordnung vom 27. Oktober 1810 über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden (Gesetz-Sammlung 1810, S. 3), welche durch die CabinetsOrdre vom 24. April 1812 wiederholt und bestätigt wurde (Gesetz-Sammlung 1812, S. 40). 534 Die Auflösung erfolgte am 13. April 1809; cf. Aktenstücke des Oberkirchenrats 4, S. 39. 535 Die Auflösung erfolgte am 1. August 1809. 536 Cabinets-Ordre vom 30. Oktober 1809; NCC XII, Sp. 879; Mathis, Monatsschrift VIII, S. 533; Rabe, Sammlung X, S. 169. Weitere Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 158, Anm. 17. 537 Militär-Kirchen-Reglement vom 28. März 1811, I, Nr. 9; Gesetz-Sammlung 1811, S. 172. 538 Zu den beiden letztgenannten Institutionen sowie zu den Veränderungen insgesamt siehe Bassewitz, Kurmark Brandenburg II, S. 187 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

dete Notlösung aufgefaßt, die nur vorübergehender Natur sein sollte. Noch während der Durchführung der vorstehend beschriebenen Maßnahmen nahm man daher eine erneute Reorganisation des Kirchenwesens in den Blick; hierbei dachte man insbesondere an eine verstärkte Mitwirkung der örtlichen Kirchengemeinden an der Verwaltung der Kirche. So erarbeiteten Schleiermacher539 und andere540 Vorschläge für die künftige Kirchenverfassung, die bei den staatlichen Behörden größtenteils Anklang fanden. Unmittelbar vor seiner Auflösung hatte das lutherische Oberkonsistorium noch erklärt: „Sollten Ew. Majestät, als erster protestantischer Fürst und als oberster Schutzherr der Kirche und Allerhöchst dero Provinzen mit dem bisherigen Oberconsistorio dieselbe Ansicht zu nehmen und die oberbischöfliche Regierung der Kirche als eine von der oberherrlichen Regierung des Staats durchaus verschiedene Function der protestantischen Fürsten zu betrachten geruhen, so dürfte die dringende Bitte, welche wir in deren Namen und als oberste Stellvertreter derselben auszusprechen wagen: die oberste Leitung der kirchlichen Landes- und Provinzial-Angelegenheiten durch ein selbstständiges Oberconsistorium und selbstständige Provinzialconsistorien verwalten zu lassen: in Ew. Kgl. Majestät Augen eben so gerecht als erfüllbar erscheinen.“541 Auf ausdrückliche Veranlassung des Königs befaßte sich auch die Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts im Ministerium des Innern mit der Frage der Verfassung der evangelischen Kirche und schlug trotz ausdrücklicher Präferenz für die bischöfliche Verfassung die Einführung von Generalsuperintendenten vor. Hierüber ist in einem Referat vom 29. März 1810 ausgesagt: „Die Section . . . hat insbesondere auch der Revision der äußeren Verfassung der lutherischen Kirche eine desto größere Aufmerksamkeit gewidmet, da mehrere . . . Vorschläge sie dazu besonders aufgefordert haben. Diese Vorschläge . . . kommen fast alle darin überein, daß dem Verfall der protestantischen Kirche am kräftigsten durch eine selbstständigere, vom Staate unabhängigere Verfassung abgeholfen werden könne. Das Beispiel derjenigen protestantischen Länder, in welchen bei der Reformation diese Verfassung, nämlich das Episkopal-Regiment542 ganz oder zum Teil beibehalten worden, empfiehlt dieselbe zwar weder durch eine vorzüglichen Beschaffenheit der Geistlichen, noch durch einen höhern Grad von Religiosität des Volks; dennoch ist unleugbar diese Verfassung 539 „Vorschlag zu einer Verfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staate“. 540 Namentlich Neumann („In welche Verhältnisse müssen die Geistlichen bei der neuen Organisation des preußischen Staats gesetzt werden?“) sowie Gründler („Gedanken über eine Grundreform der protestantischen Kirchen- und Schulverfassung [. . .] in der preußischen Monarchie“). 541 Aktenstücke des Oberkirchenrats 4, S. 39 f. 542 Darauf nahm auch der Verfassungsvorschlag Schleiermachers von 1808 Bezug. Cf. auch Richter, König Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 28 ff.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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mit mehreren wesentlichen Vortheilen verbunden und die Section würde den auf die Wiederherstellung einer solchen Verfassung abzweckenden Vorschlägen beizustimmen sich geneigt fühlen, wenn nicht ein zwiefaches im Wege stände – eine reichliche Dotirung – die öffentliche Meinung –“.543 Die Regierungen hielten eine Reorganisation des protestantischen Kirchenwesens ebenfalls für notwendig; sie plädierten insbesondere für die Einrichtung von Synoden544, was in der geistlichen Sektion auf ähnlichen Beifall stieß wie die beabsichtigte Stärkung der örtlichen Gemeinden. Im Rahmen des solchermaßen seit 1809 angebahnten Prozesses zur Wiederherstellung der Synoden kam es 1814 zu einem Konveniat von zweiundzwanzig Superintendenten aus den Marken, bei dem ebenfalls eine freie Synodalverfassung für angemessen erachtet wurde.545 Aus Rücksichtnahme auf den König veröffentlichten sie jedoch die Vorschläge nicht, sondern baten diesen um die Einsetzung einer Kommission von Geistlichen, die ihm als Oberhaupt des Staates und der Kirche Vorschläge zur künftigen Kirchenverfassung unterbereiten sollte. Nach Anhörung des Ministers des Innern erklärte sich der König mit der Vorgehensweise einverstanden und genehmigte die Bildung einer Kommission zur Verbesserung des protestantischen Kirchenwesens, welcher neben den geistlichen Räten des Ministeriums die Geistlichen Sack, Ribbeck, Hanstein, Hecker, Offelsmeyer und Eylert angehörten.546 Die Wiederherstellung bzw. Erweiterung der preußischen Monarchie durch den Frieden zu Paris vom 30. Mai 1814 und den Wiener Kongreß von 1815 führten schon bald zu einer umfassenden Neuorganisation der inneren Staatsverwaltung. Noch von Paris aus besetzte der König am 3. Juni 1814 die Ministerämter neu547; am 30. April 1815 folgte – von Wien aus – die Neuorganisation der Provinzialbehörden.548 Die Sektion für Kultus und Unterricht verblieb bis auf weiteres beim Ministerium des Innern; nur die Angelegenheiten der höchsten geistlichen Würden fielen an den Staatskanzler. Zudem wurde die erneute Gründung von Provinzialkonsistorien beschlossen.549 543 Zitiert bei A. Nicolovius, Denkschrift auf Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, S. 184 ff. 544 Näher hierzu von Mühler, Geschichte, S. 301 ff.; Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 217. 545 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 305. Ausführlich zu dieser Versammlung Neumann, Aus welchem Gesichtspunkte muß die in Anregung gebrachte Verbesserung der protestantischen Kirchenverfassung betrachtet werden?, sowie Küster/Neumann/Tiebel, Grundlinien einer künftigen Verfassung der protestantischen Kirche im Preußischen Staate. 546 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 306 (dort auch zur fälschlichen Bezeichnung des Gremiums als „liturgische Kommission“ aufgrund des Publicandums vom 17. September 1814); Jacobson, Kirchenrecht, S. 159, Anm. 26 m.w. N. 547 Gesetz-Sammlung 1814, S. 40. 548 Gesetz-Sammlung 1815, S. 85 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

3. Die Konsistorialverfassung in ihrer erneuerten Gestalt von 1815 bis 1850 Nach dem Wiener Kongreß wurde Preußen durch die königliche Verordnung vom 30. April 1815 in zehn Provinzen mit 25 Regierungsbezirken aufgeteilt, die auch für das Kirchenwesen organisatorische Veränderungen vorsah. An der Spitze der Provinzverwaltung stand jeweils ein Oberpräsident, dem neben anderen Aufgaben auch die Leitung der Angelegenheiten des Kultus und des öffentlichen Unterrichts oblag. Am Sitz jeder Oberpräsidentur sollten für diesen Zweig der inneren Verwaltung besondere Behörden – Konsistorien – eingerichtet werden. Die Konsistorien, welche – im Unterschied zu früheren Zeiten – keine konfessionelle Prägung besaßen, sollten für die Protestanten sämtlicher Bekenntnisse die hergebrachten Konsistorialrechte sowie hinsichtlich der Römisch-Katholischen die landesherrlichen iura circa sacra, d. h. die Kirchenhoheit oder Kirchenaufsicht, ausüben. Auch für alle übrigen Religionsparteien sollten sie die Kirchenaufsicht wahrnehmen, soweit die Staatsraison dies gebot und die seit dem Religionsedikt von 1788 positiv-rechtlich gewährte Gewissensfreiheit es gestattete. Dabei dürfte sich die staatliche Überwachung der nicht privilegierten Konfessionen in struktureller Hinsicht nicht wesentlich von der Ausübung der Kirchenhoheit etwa über die katholische Kirche unterschieden haben. Auch für die Schulen und Bildungsanstalten waren die Konsistorien zuständig, wohingegen die Universitäten unmittelbar dem Ministerium des Innern unterstanden. In den Regierungsbezirken ohne eigenes Konsistorium wurde jeweils eine aus Geistlichen und Lehrern bestehende Kirchen- und Schulkommission eingerichtet, die unter Leitung und Anweisung des zuständigen Provinzialkonsistoriums dessen Aufgaben – soweit erforderlich – auf örtlicher Ebene ausübte. Die Leitung dieser Kommissionen hatte dasjenige Mitglied des Regierungskollegiums inne, welches dort als „Berichterstatter“ für die Konsistorialangelegenheiten zuständig war. Als sogenannte „Directoren“ hatten sie im Konsistorium, wo sie jährlich einmal zu erscheinen und über die Konsistorialgeschäfte des jeweiligen Bezirks vorzutragen hatten, als Konsistorialräte Sitz und Stimme. Im übrigen waren jedem Konsistorium als Hilfsorgane neben den geistlichen Inspektoren der Schulenrat des Regierungsbezirks sowie Schulinspektoren zugeordnet.550 Noch bevor die bereits ausgearbeitete neue Ordnung in die Tat umgesetzt werden konnte, legte die 1814 zur Verbesserung des protestantischen Kirchenwesens berufene Kommission ihr Gutachten vor. Dieses wurde zunächst im Staatsministerium beraten, welches am 9. Januar 1816 dem König Bericht er549

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 160. Cf. zum Vorhergehenden die §§ 3 Nr. 5, 15–18 und 42 der genannten Verordnung vom 30. April 1815. 550

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stattete. Durch Kabinettsorder vom 27. Mai 1816551 entschied Friedrich Wilhelm III. über die einzelnen Anträge der Kommission. Mit der allgemeinen Bildung von Presbyterien und Synoden der Geistlichen erklärte er sich einverstanden, lehnte jedoch die Wahl der Superintendenten, die Besetzung der Konsistorien durch Wahl, die Wiederherstellung des Oberkonsistoriums sowie die Schaffung eines gesonderten Ministeriums der geistlichen Angelegenheiten ab. Vielmehr sollte die in der Verordnung vom 30. April 1815 vorgesehene Ordnung umgesetzt und die Instruktion für die dort bezeichneten Behörden verfaßt werden. Durch Cabinets-Ordre vom 3. November 1817552 wurde diese Entscheidung zum Teil revidiert, indem der König aufgrund der „Würde und Wichtigkeit der geistlichen und der Erziehungs- und Schulsachen“ die Schaffung eines eigenen geistlichen Ministeriums für ratsam hielt und den Freiherrn von Altenstein zum ersten Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten ernannte. Unmittelbar vorher waren die Instruktionen für die Oberpräsidenten, die Provinzialkonsistorien sowie die Regierungen publiziert worden553, die jedoch nicht vollständig der Verordnung vom 30. April 1815 entsprachen, da sich die für die Ressortverteilung maßgeblichen Grundsätze inzwischen verändert hatten. Insbesondere unterschied man nunmehr zwischen den sogenannten „inneren“ – von den Konsistorien wahrzunehmenden – sowie den „äußeren“ – in die Zuständigkeit der Regierungen fallenden – Angelegenheiten der Kirche. Auch wurde die Differenzierung danach, ob sich am Sitz der Regierung auch das Konsistorium befand, fallengelassen. In diesem Zusammenhang wurden auch fast alle Spezialkonsistorien554 aufgehoben.555 Die Konsistorien sollten so in geistlicher und wissenschaftlicher Hinsicht die Leitung des evangelischen Kirchenwesens sowie der Schulangelegenheiten in den Provinzen wahrnehmen, während die Verwaltung der äußeren Angelegenheiten der Kirchen und Schulen aller Konfessionen – insbesondere der Vermögensangelegenheiten – in den Händen der Regierungen lag, soweit nicht ausdrücklich die Zuständigkeit der Konsistorien angeordnet war.556 Diese standen im Hinblick auf die Ausübung der landesherrlichen iura circa sacra über die katholische Kirche den Oberpräsiden551 Die Cabinets-Ordre findet sich in den Aktenstücken des Oberkirchenrates, Heft 4, Beilage L, S. 90 ff., sowie in Richters Einleitung zu den „Verhandlungen der Generalsynode“, S. 13 f. 552 Gesetz-Sammlung 1817, S. 290, Nr. III. 553 Gesetz-Sammlung 1817, S. 230, 237, 248. Bereits die Instruktion für die Regierungen, Abschnitt I, § 1, spricht von einem eigenen Minister der geistlichen Angelegenheiten. 554 Ausführlich zu diesen Jacobson, Kirchenrecht, S. 177 ff. 555 Näher hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 161, m. N. 556 Cf. §§ 1, 9 der Instruktion für die Konsistorien.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

ten als beratende Behörde zur Seite; über alle anderen Religionsparteien übten sie in Fragen des eigentlichen Kultus selbst die Aufsicht aus. Als Schulbehörde besaßen die Konsistorien teils die obere Leitung in wissenschaftlicher Hinsicht sowie bezüglich der inneren Verfassung, teils die unmittelbare Aufsicht und Verwaltung.557 Die schon zu früheren Zeiten festzustellende Entwicklung, daß die Konsistorien ihrer ursprünglichen Bestimmung und Funktion mehr und mehr entfremdet wurden, setzte sich auf diese Weise fort: Ihnen wurden einerseits ein großer Teil der kirchlichen Angelegenheiten (die „Externa“) entzogen, andererseits die Verwaltung von Angelegenheiten nicht evangelischer Religionsgesellschaften – die etwa die Hinzuziehung römisch-katholischer Räte erforderten – sowie nicht im engeren Sinne kirchliche, geschweige denn gerichtliche, Aufgaben (Schulaufsicht) übertragen. Diesem – wenig später immerhin als solchen empfundenen – Mißstand sollte zügig abgeholfen werden. Zu diesem Zweck wurden eine neue Instruktion für die Oberpräsidenten sowie die Cabinets-Ordre vom 25. Dezember 1825 erlassen.558 Um den Charakter der Konsistorien als evangelischgeistliche Behörden zu stärken, wurden sie von der Wahrnehmung des ius circa sacra hinsichtlich der katholischen Kirche befreit; hiermit ging eine Erweiterung der Kompetenzen in anderen Kirchen- sowie Schulangelegenheiten einher. Fortan bestand das Kollegium aus zwei separaten Abteilungen, deren erste unter der Bezeichnung „Konsistorium“ die evangelischen geistlichen Angelegenheiten, die andere als „Provinzial-Schulcollegium“ die Unterrichtsangelegenheiten gemäß der früheren Instruktion besorgen sollte. Der Oberpräsident führte den Vorsitz in beiden Abteilungen und konnte die Mitglieder des Kollegiums je nach ihrer persönlichen Qualifikation zur Tätigkeit der einen oder anderen oder beider Sektionen hinzuziehen. Bei den Regierungen wurde, soweit ein Bedürfnis bestand und die kirchlichen sowie Schulangelegenheiten nicht dem Konsistorium und Provinzial-Schulkollegium zustanden, eine eigene Abteilung für die Kirchenverwaltung und das Schulwesen gebildet.559 Zu einer prinzipiellen Änderung der Stellung der Konsistorien kam es hierdurch nicht; dies war wohl auch trotz der – wie geschildert – weithin empfundenen Mißstände letztlich nicht beabsichtigt. Auch die durch Allerhöchste Bestimmung vom 7. Februar sowie 29. August 1828 angeordnete Ernennung von Generalsuperintendenten für das gesamte Staatsgebiet, durch welche die Binnenintegration der evangelischen Kirche gefördert werden sollte560, vermochte daran ebenfalls nichts zu ändern. Die Verbindung der Provinzial-Schulkollegien 557

Cf. §§ 3–8 der Instruktion für die Konsistorien. Gesetz-Sammlung 1826, S. 1 ff., 5 ff. 559 Jacobson, Kirchenrecht, S. 162. 560 Bekanntmachung vom 2. Januar 1829; von Kamptz, Annalen XIII, S. 66; Vogt, Kirchenrecht I, S. 190. 558

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mit den Konsistorien war im übrigen hauptsächlich formeller Natur. Nachdem den ersteren die noch bei den Regierungen verbliebenen Schulangelegenheiten überwiesen worden waren561, erfolgte 1842 die Trennung von den Konsistorien.562 Trotz der seit 1815 getätigten Bemühungen war die enge Verbindung der Kirche mit dem Staatsorganismus im wesentlichen bestehen geblieben; eine den ursprünglichen Ansichten der Reformatoren entsprechende, eine Vermischung von weltlicher und geistlicher Sphäre vermeidende Kirchenverfassung konnte nicht hergestellt werden. Diese „Einverleibung“ der Kirche in den Staat wurde auch von König Friedrich Wilhelm IV. beklagt563, welcher der Überzeugung war, „daß die evangelische Kirche [. . .] nicht von Seiten des Kirchenregiments allein geleitet, sondern vornehmlich aus eigenem, innern Leben und Antrieb erbaut sein will“.564 Nachdem er die ganz überwiegend auf eine Kombination von Konsistorialund Presbyterial-Synodal-Verfassung abzielenden Wünsche und Vorschläge der Kreis- und Provinzialsynoden von 1843/44 wohlwollend aufgenommen hatte, erweiterte Friedrich Wilhelm IV., der mit seinen eigenen Vorstellungen vereinbare Reformvorschläge energisch zu betreiben pflegte565, durch Verordnung vom 27. Juni 1845566 den Aufgabenbereich der Konsistorien. Der Leitgedanke dieser Neuregelung sollte darin bestehen, daß die nach den Bestimmungen von 1817 und 1825 zum Geschäftskreis der Regierungen zählenden evangelischen Kirchenangelegenheiten grundsätzlich durch die Konsistorien verwaltet werden sollte, sofern nicht ein anderes ausdrücklich festgelegt war. Unter der Leitung oder Mitwirkung der Regierung verblieben so nur noch wenige Angelegenheiten der evangelischen Kirche; meist handelte es sich um Einzelfragen, die entweder mit den bürgerlichen oder ökonomischen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinden zusammenhingen und eine Einbindung der weltlichen Provinzialbehörde aus Gründen der Sachkompetenz erforderten – z. B. Stolgebührtaxen, Bildung der Pfarrsprengel – oder das landespolizeiliche Interesse berührten bzw. der kirchlichen Ordnung den Schutz der weltlichen Gewalt zuteil werden ließen, wie etwa im Falle der Führung der Kirchenbücher sowie in Fragen des 561

Erlasse des Ministeriums vom 26. Dezember 1835 und 9. August 1836. Der Oberpräsident blieb der oberste Leiter des Provinzial-Schulkollegiums, die Leitung der Amtsgeschäfte oblag jedoch dem (Vize-)Regierungspräsidenten. Cf. die Kabinettsorder vom 3. Juni 1842 sowie den Ministerial-Erlaß vom 11. Juni 1842. 563 Cf. Richter, Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 21. 564 Cf. das Circulare vom 10. Juli 1843 sowie das Vorwort zu den Protokollen der 1844 abgehaltenen Provinzialsynode (Berlin 1845), S. II, VII. 565 Cf. Richter, Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 104. 566 Gesetz-Sammlung 1845, S. 1845; Vogt, Kirchenrecht I, S. 7. 562

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Sonn- und Feiertagsschutzes. Zum Teil war eine Mitwirkung der Regierungen jedoch auch aufgrund der mangelnden Organisation sowie der unzureichenden personellen oder infrastrukturellen Ausstattung der Konsistorien erforderlich.567 Ferner sollten die Oberpräsidenten nicht mehr automatisch den Vorsitz in den Konsistorien führen; der Konsistorialpräsident sollte vielmehr in jedem Einzelfall gesondert vom König ernannt werden. Zwecks Stärkung der kirchlichen Selbständigkeit wurde nach erneutem Vorschlag durch die Generalsynode 1846568 am 28. Januar 1848 die Wiederherstellung des Oberkonsistoriums beschlossen.569 Auf diese Weise sollte das, was durch die Verordnung von 1845 für die mittlere Behördeninstanz stattgefunden hatte, auf der oberen Ebene eine Entsprechung finden. Allerdings wurde das neue Oberkonsistorium, noch bevor es tatsächlich errichtet worden war, infolge der politischen Veränderungen wieder aufgelöst; bis zur Schaffung einer neuen Kirchenverfassung sollten vielmehr die bisherigen Bestimmungen über die Aufgabenverteilung der Kirchenbehörden wieder in Kraft treten.570 Erst Art. 12 der Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848571 stellte den Grundsatz auf: „Die evangelische Kirche [. . .] ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig.“ Auf dieser Grundlage – bei der Revision der am 31. Januar 1850 neu verkündeten Verfassung blieb Art. 12 als neuer Art. 15 unverändert – konnte sich ein das landesherrliche Kirchenregiment zwar formell beibehaltendes, ansonsten aber vom Staat unabhängiges, nach konsistorialen sowie presbyterial-synodalen Gesichtspunkten verfaßtes evangelisches Kirchenwesen entwickeln.572 III. Die einzelnen Organe der Konsistorialverfassung 1. Der evangelische Landesherr Die brandenburgisch-preußischen Herrscher – bis 1701 Kurfürsten, danach Könige – hatten infolge der Reformation das Kirchenregiment von den Bischöfen erhalten und es als dem Rechtsgrund nach verschiedenes bischöfliches Recht (ius episcopale, ius sacrorum) mit ihrer aus der allgemeinen Landesauto567

s. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 163 f. Verhandlungen der General-Synode, S. 591 ff. 569 Gesetz-Sammlung 1848, S. 27. Cf. die Mitteilungen aus der Verwaltung der geistlichen Angelegenheiten, Band I, 5 (Berlin 1848), S. 381 ff. 570 Cf. die Bekanntmachung des Staatsministeriums vom 15. April 1848, GesetzSammlung 1848, S. 114. 571 Gesetz-Sammlung 1848, S. 376. 572 Zu Einzelheiten der Entwicklung in den Anfangszeiten des Konstitutionalismus s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 164 f., sowie die Einzeldarstellungen der kirchlichen Amtsträger und Organe (Jacobson, Kirchenrecht, S. 166 ff.). 568

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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rität resultierenden Kirchenhoheit (ius reformandi, ius majestaticum circa sacra) vereinigt. Dies gilt sowohl für die brandenburgisch-preußischen Stammgebiete – wie etwa die Kurmark – als auch für die in späteren Zeiten hinzugewonnenen Gebiete. Unter dem Kirchenregiment im engeren Sinne (Kirchengewalt) verstand man die verschiedenen ehemals bischöflichen Prärogativen, wozu im wesentlichen zu zählen sind: die kirchliche Gesetzgebung, die Aufsicht über das Kirchenwesen, die Entscheidung über Angelegenheiten des Bekenntnisses und des Glaubens (les contestations sur la Religion et les matières du foi – de religione et capitibus fidei et credendorum)573, die Entscheidung in besonders wichtigen Angelegenheiten (in causis arduis et dubiis) aufgrund besonderer Anrufung des Königs574, die Verleihung der Ämter, die obere Verwaltung der Kirchengüter, die Ausübung der besonderen Rechte an den evangelischen Stiftern, die bei katholischen Körperschaften den Bischöfen oder den sonst zuständigen geistlichen Oberen zugestanden hätten575, sowie die kirchliche Gerichtsbarkeit. Zu den dem Landesherrn zustehenden Personalentscheidungen gehörten die Besetzung der Stellen in den Konsistorien, die Ernennung der Superintendenten sowie der ersten Geistlichen in den Residenzen576, die auch nur mit Zustimmung des Königs ihres Amtes enthoben werden konnten577, ferner die Verleihung des Titels „Hofprediger“ im Falle derjenigen Pfarreien, deren Geistliche nicht unmittelbar durch den König ernannt wurden.578 Die Ausübung dieser – nicht immer sauber unterschiedenen – Rechte und Pflichten erfolgte entweder durch den Landesherrn selbst, soweit sich dieser die persönliche Wahrnehmung als iura reservata vorbehalten hatte, oder durch landesherrliche Behörden und Beamte579 als Verwalter der iura vicaria.580

573 Cf. das Patent für das französische Oberkonsistorium vom 26. Juli 1701, Mylius, CCM I/1, Sp. 423 f.; CCM VI Anhang, Sp. 191–194 (Fassung in französischer Sprache). 574 Cf. das in der vorigen Fn. zitierte Patent sowie ALR Teil II, Titel XI, §§ 311 (Simultaneum) und 308 sowie das Gesetz vom 13. Mai 1833 (Gesetz-Sammlung 1833, S. 51), § 2 (Erlöschen einer Parochie). 575 ALR Teil II, Titel XI, §§ 1220, 1226 (cf. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts I, S. 724; Richter, Lehrbuch, § 163). Der Grundsatz war schon früher in einigen Anwendungsbereichen – etwa bei der Alternativa mensium – anerkannt. Cf. das Reskript vom 6. Juni 1706 bei J. H. Boehmer, Jus ecclesiasticum Protestantium I, lib. 3 tit. 5 § 120. 576 Verordnung vom 27. Oktober 1810 über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden, Gesetz-Sammlung 1810, S. 3 f. 577 s. ALR Teil II, Tit. X, § 101 sowie die Cabinets-Ordre vom 12. April 1822, Nr. 5 (Gesetz-Sammlung 1822, S. 105). Zu den Einzelfragen des Patronatsrechts cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 276 ff., sowie infra Teil I, Kapitel 2, E. IX. 578 Cf. die Cabinets-Ordre vom 28. Dezember 1846 sowie das Ministerialreskript vom 21. Januar 1847.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

2. Die Ministerien sowie die kirchlichen Zentralbehörden Wie bereits zu sehen gewesen ist, waren die kirchlichen – besser ausgedrückt: staatskirchlichen – Zentralbehörden einer wechselvollen Geschichte unterworfen. Die ministerielle Zuständigkeit wechselte; ein eigenes Ministerium für Religionsangelegenheiten bestand erst ab 1817. Während für die beiden reformierten Bekenntnisse bereits ab 1701 bzw. 1713 kirchliche Zentralbehörden bestanden hatten, existierte das lutherische Oberkonsistorium nur von 1750 bis 1809. Der Grund hierfür mag darin liegen, daß die – seit 1613 dem reformierten Bekenntnis zugehörigen – Kurfürsten für das reformierte Kirchenwesen Nachholbedarf sahen. Zur Zeit der Konversion Johann Sigismunds gab es etwa in der Mark Brandenburg praktisch keine deutsch-reformierten Gemeinden. Diese konnten sich erst im Laufe der Zeit und dank der Protektion durch die Obrigkeit nach und nach auf örtlicher Ebene etablieren und eine Kirchenverfassung ausbilden, während das lutherische Kirchenwesen eine überkommene Ordnung besaß, die zwar oftmals mehr schlecht als recht, aber doch immerhin funktionierte. Da die Landesherren das reformierte Bekenntnis gegenüber dem lutherischen als das „modernere“ bevorzugten, bot sich im übrigen die Möglichkeit, im reformierten Bereich mit neuen Verfassungselementen zu operieren, ohne deswegen bestehende Strukturen aufwendig modifizieren oder den zu erwartenden Widerstand der in die bestehenden Strukturen eingebundenen Amtsträger oder Laien überwinden zu müssen. Nur theoretisch konnte der Kurfürst oder König als Landesherr machen, was er wollte. Auch wenn von höchster Stelle bisweilen das Gegenteil behauptet oder suggeriert wurde, war er doch praktisch auf das Wohlwollen und das konstruktive Mitwirken der Geistlichen sowie kirchlichen und geistlichen Beamten, der Landstände sowie der Bevölkerung angewiesen. In der Zeit seines Bestehens hatte das lutherische Oberkonsistorium ausweislich seiner Instruktion vom 4. Oktober 1750581 in erster Linie die allgemeine Aufgabe der Aufsicht und Direktion über die Provinzialkonsistorien sowie die speziellen Aufgaben der Examinierung der theologischen Kandidaten, der disziplinarischen Aufsicht über die Geistlichen, der Aufsicht über die Kirchenrechnungen in den Provinzen sowie der Mitwirkung an der Besetzung der Lehrstühle an den theologischen Fakultäten.582

579 Ob diese Bediensteten kirchlichen oder königlichen Charakter besaßen, war diesen selbst offenbar unklar. S. im einzelnen infra Teil II, Kapitel 1, G. I. 580 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 166. 581 Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298. 582 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 232 f.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Das Geistliche Departement mit seinen konfessionell geprägten Unterabteilungen fungierte als Bindeglied zwischen dem Oberkonsistorium und den reformierten Zentralbehörden sowie dem über allen evangelischen Konfessionen „mit gleicher Macht und gleicher Berechtigung“583 stehenden landesherrlichen Kirchenregiment. Gegenüber der im Generaldirektorium konzentrierten übrigen Landesverwaltung nahm das Geistliche Departement die Rechte und Interessen der Kirchen, in diesen selbst aber die landeshoheitlichen Rechte als iura vicaria wahr.584 Hierzu zählten etwa die Aufsicht über die Kirchenbücher sowie – je nachdem, ob es sich um eine Kirche oder eine Stiftung landesherrlichen Patronats handelte – die Ausübung der landesherrlichen Verwaltungs- oder Aufsichtsrechte. Auch die Ernennungen der Superintendenten sowie die Besetzung der Konsistorien wurden hier vorgenommen. 3. Die Provinzialkonsistorien und die Regierungen Die Organisation und der Aufgabenbereich der Konsistorien im aufgeklärtabsolutistischen Preußen beruhten auf den Verordnungen von 1817, 1825 und 1845. Gemäß der Verordnung vom 30. April 1815 wurde im Hauptort einer jeden Provinz ein Konsistorium errichtet und eine Instruktion erlassen. Nach der Vereinigung der Provinzen Kleve-Berg und Niederrhein 1822 wurde, auch mit Blick auf die Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, im Jahre 1826 das Konsistorium zu Köln mit jenem zu Koblenz vereinigt585, ebenso 1832 das westpreußische Konsistorium zu Danzig mit dem ostpreußischen zu Königsberg586, so daß sich die Zahl der Provinzialbehörden der evangelischen Kirche auf acht verringerte. Der ursprünglichen Einrichtung gemäß587 bestanden die Konsistorien aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern, wobei schon seit frühester Zeit ein Nichtgeistlicher den Vorsitz führte, und zwar – dem Beispiel Sachsens588 folgend – seit 1587 in Preußen589 und seit 1598 in Brandenburg590, 583

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 234. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 234. 585 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 874. 586 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 219. 587 s. die brandenburgische Visitations- und Konsistorialordnung von 1574 (Mylius, CCM I/1, Sp. 273–340, hier Sp. 322), die preußische Konsistorialordnung von 1587 (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 54 im Anhang) sowie supra Kapitel 1, C. (passim). 588 Cf. die sächsische Kirchenordnung 1580; Richter, Kirchenordnungen II, S. 418. 589 Cf. die preußische Konsistorialordnung 1587 (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 55): „Politici sollen sein 1. Einer aus unsern fürstlichen Hofräthen, welcher an unser Statt allda präsidiren und das richterliche Amt führen soll [. . .]“. 590 Anstelle des bis dahin präsidierenden Generalsuperintendenten wurde 1598 ein Rechtsgelehrter mit dem Titel „Kanzler“ zum Präsidenten ernannt. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 100 f. 584

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

ebenso in den übrigen Provinzen.591 Seit 1815 führten die Oberpräsidenten den Vorsitz, bevor 1829 die Generalsuperintendenten den Auftrag erhielten, an den Leitungsaufgaben als Stellvertreter der Oberpräsidenten mitzuwirken.592 Doch war der Vorsitz in den Provinzial-Konsistorien erst ab 1845 nicht mehr automatisch mit dem Amt des Oberpräsidenten verknüpft.593 Die Aufgaben der Provinzialkonsistorien waren im 19. Jahrhundert außerordentlich vielfältig und umfaßten den weitaus größten Teil der Verwaltung der evangelischen Landeskirche. Als rein evangelische Behörden übten die Konsistorien zuletzt nicht mehr die staatliche Kirchenhoheit über andere Religionsgesellschaften und auch nicht über jene Evangelischen aus, welche nicht zur Landeskirche gehörten. Diese verwalteten ihre eigenen Angelegenheiten selbst, während die iura circa sacra von den Oberpräsidenten und Regierungen ausgeübt wurden. Am Ende des für die vorliegende Dokumentation und Unteruschung maßgeblichen Zeitraums – d. h. vor der Zeit des Konstitutionalismus – wurden die Ressortverhältnisse der Konsistorien und Regierungen flächendeckend amtlich bekanntgemacht.594 Demnach gehörten zu den wichtigeren Aufgaben der Konsistorien das Synodalwesen einschließlich der Prüfung und Bestätigung der Synodalbeschlüsse, die Aufsicht über den Gottesdienst, insbesondere in dogmatischer und liturgischer Hinsicht595, die Aus- und Fortbildung der Geistlichen einschließlich der Examinierung und disziplinarischen Aufsicht über die Kandidaten596, die Bestätigung der von Patronen und wahlberechtigten Gemeinden berufenen Geistlichen597, die Berufung auf die landesherrlichen Patronatsstellen598, die Einleitung des Wiederbesetzungsverfahrens für vakante Superintendenturen und der Antrag auf Ernennung599, die Ordination, Vereidigung und Amtseinführung der evangelischen Geistlichen600, die disziplinarische Aufsicht über diese601 sowie weitere Verwaltungsaufgaben im Hinblick auf die Rechts591

Jacobson, Kirchenrecht, S. 172. Instrument für die Generalsuperintendenten vom 14. Mai 1829, Nr. 4; von Kamptz, Annalen XIII, S. 277; Vogt, Kirchenrecht I, S. 192. 593 Verordnung vom 27. Juni 1845, § 6. 594 Abgedruckt auch im Ministerial-Blatt der inneren Verwaltung 1847, S. 278. 595 Instruktion vom 23. Oktober 1817, § 2 Nr. 1 und 2. Zu letzterer Kompetenz zählt insbesondere auch die Aufsicht über den kirchlichen Religionsunterricht, den Gebrauch von Lehrbüchern und Katechismen, von Gesangbüchern und sonstigen kirchenmusikalischen Elementen. 596 Instruktion vom 23. Oktober 1817, § 2 Nr. 3 und 6. 597 Instruktion vom 23. Oktober 1817, § 2 Nr. 4; Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, B, Nr. 3; Verordnung vom 27. Juni 1845, § 1 Nr. 1. 598 Verordnung vom 27. Juni 1845, § 2. 599 Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, B, Nr. 4; Verfügung vom 1. November 1845. Die Ernennung erfolgte dann durch das Geistliche Departement bzw. Kultusministerium. 592

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verhältnisse der Geistlichen602, die Berufung und Bestätigung der meisten weltlichen Kirchenbediensteten603 einschließlich der Bestätigung der Presbyter, die Anordnung kirchlicher Feste604, die Erteilung kirchlicher Dispensationen605, die Anordnung von Kirchenvisitationen sowie die „Aufrechterhaltung der Kirchenzucht in den durch die Landesgesetze bestimmten Grenzen“606; bei der letztgenannten Aufgabe tritt die sonderbare Stellung der Konsistorien als staatlichkirchliche Institutionen besonders deutlich hervor. Den Regierungen oblag im wesentlichen der Erlaß vorläufiger Regelungen in streitigen Kirchen-, Pfarr- und Küsterbauangelegenheiten, die Aufsicht über die Kirchenbücher, die Sorge für das Friedhofswesen sowie die Anordnung und Vollstreckung der zur Aufrechthaltung der äußeren kirchlichen Ordnung erforderlichen polizeilichen Vorschriften607, außerdem die Vermögensverwaltung der landesherrlichen Patronatskirchen, -stiftungen und -institute einschließlich der Anstellung der weltlichen Kirchenbediensteten sowie die Oberaufsicht über das Vermögen der übrigen Kirchen und Einrichtungen.608 In den ihnen übertragenen Angelegenheiten sowie im Bereich des Schulwesens waren die Regierungen befugt, die Geistlichen ihres Bezirks durch Ermahnungen, Rügen und Ordnungsstrafen zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten.609 Grundsätzlich hatten die Regierungen bei ihrer Tätigkeit die Kompetenzen der Konsistorien zu respektieren. Hatte § 18 der Instruktion vom 23. Oktober 1817 dies ausdrücklich nur zugunsten der katholischen Bischöfe ausgesprochen, so dürfte dieser Grundsatz mit Blick auf die weitgehende Gleichsetzung der Bischöfe und Konsistorien auch zugunsten der letzteren gegolten haben.610 Einige Aufgaben, darunter etwa die Veränderung bestehender sowie die Bildung neuer Pfarrbezirke, waren den Konsistorien und Regierungen gemeinsam übertragen.611

600 Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, B, Nr. 2; Verfügung vom 1. November 1845, § 1 Nr. 2. 601 Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 609 ff. 602 Hierunter fallen etwa die Zustimmung zur Eheschließung der Geistlichen, Unterstützungen, Gratifikationen und Auszeichnungen für Geistliche, Emeritierungen, Bescheidung von Beschwerden über die Amtstätigkeit der Geistlichen. Cf. die umfassende Auflistung bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 173 ff. 603 Verordnung vom 26. Juni 1845, § 1 Nr. 3 und 4. 604 Instruktion vom 23. Oktober 1817, § 2 Nr. 11. 605 Instruktion vom 23. Oktober 1817, § 2 Nr. 10; Verordnung vom 27. Juni 1845, § 1 Nr. 6. 606 Verordnung vom 27. Juni 1845, § 1 Nr. 5. Das Zitat stammt von Jacobson, Kirchenrecht, S. 175. 607 Verordnung vom 26. Juni 1845, § 3 Nr. 1–4. 608 Verordnung vom 26. Juni 1845, § 3 Nr. 5–6. Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 653 ff. 609 Verordnung vom 26. Juni 1845, § 4. 610 Argumentum ex ALR Teil II, Titel XI, § 143.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

4. Die Konsistorien der Standesherren (Mediatkonsistorien) Die Provinzialkonsistorien übten in der Regel die ihnen zustehenden Befugnisse in der gesamten jeweiligen Provinz aus, soweit nicht besondere Ausnahmen durch partikulares Recht vorgesehen waren. Das im Allgemeinen Landrecht anerkannte Recht intermediärer Herrschaften zu eigenen Konsistorien612 resultierte daher, daß die Reformation in Deutschland vielfach nicht nur von rechtsunmittelbaren, sondern auch von mittelbaren Herrschaften und Obrigkeiten – vornehmlich unter römisch-katholischer Regierung – begründet und durch den Erlaß von Kirchenordnungen sowie die Einrichtung geistlicher Behörden gefestigt worden war. Wurden solche zunächst unmittelbaren Behörden, wenn sie unter einen evangelischen Landesherrn gerieten, kraft besonderer Regelung aufrecht erhalten, so unterstanden sie doch der Oberaufsicht des landesherrlichen Kirchenregiments; es entstanden somit mittelbare Konsistorien (Mediatkonsistorien, Unterkonsistorien). Die in den nach und nach zu Brandenburg-Preußen gelangten Gebieten zunächst häufig vorhandenen Mediatkonsistorien sind bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf wenige Ausnahmen aufgehoben worden. Soweit nicht bereits bei der Vereinigung mit Preußen geschehen, wurden die meisten dieser Behörden entweder bei der Verschmelzung der Konsistorien mit den Kriegs- und Domänenkammern bzw. Regierungen sowie im Zuge der 1815 begonnen Reorganisation des Behördenwesens oder aufgrund des Prinzips, daß in jeder Provinz nur ein Konsistorium bestehen sollte, aufgehoben; ihre Aufgaben wurden teils auf die jeweils zuständigen Provinzialkonsistorien, teils auf Superintendenten übertragen.613 Gesonderte Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang einige Details, an welchen sich die unklare Auffassung des Verhältnisses von Staat und Kirche in besonderer Weise veranschaulichen läßt. So bestanden in der zur Provinz Brandenburg gehörigen Niederlausitz das Konsistorium zu Lübben sowie verschiedene Unterkonsistorien. Durch die Bekanntmachung des Oberpräsidenten der Provinz vom 5. März 1816 wurden jene Behörden aufgehoben und durch Superintendenten ersetzt, die dem Provinzialkonsistorium unterstanden.614 Die von jenen Konsistorien nach der sächsischen Kirchenverfassung ausgeübte geistliche Gerichtsbarkeit wurde den ordentlichen

611 s. die Instruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817, § 18, die Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, B, Nr. 5–6, sowie die Verordnung vom 27. Juni 1845, § 5. Cf. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 176 f. m.w. N. 612 Cf. ALR Teil II, Titel XI, §§ 147–149. 613 Cf. – auch zu den Details – Jacobson, Kirchenrecht, S. 178 ff. 614 Amtsblatt von Potsdam 1816, S. 92.

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Justizbehörden übertragen.615 Ähnliches geschah im Falle der geistlichen Behörden in der zur Provinz Schlesien gehörenden Oberlausitz.616 In der Provinz Sachsen wurde das städtische Konsistorium zu Magdeburg aufgehoben und durch das königliche Statut vom 16. April 1830 bestimmt, daß die dortige Geistlichkeit unter der Aufsicht eines vom Magistrat gewählten und dem Provinzialkonsistorium präsentierten Superintendenten stehen solle.617 Dieser war dem Konsistorium unterstellt und hatte, wie Jacobson anschaulich formuliert, die „Rechte eines landesherrlichen geistlichen Obern“.618 5. Die Superintendenten – Allgemeine Bemerkungen Wo immer sich die bisherigen geistlichen Oberen der Reformation bei deren Einführung anschlossen, wurden sie auch an der kirchlichen Verwaltung beteiligt. Verhielten sie sich der Reformation gegenüber ablehnend, so wurden sie durch andere geistliche Amtsträger ersetzt, wobei die bisherigen Amtsbezeichnungen meist beibehalten oder nur geringfügig abgeändert wurden. So wurde 1525 in Stralsund ein „oberster Prediger“ als „Höuet“ (Haupt) und „opsichtiger“ (Aufseher, episcopus, Bischof) über die anderen Prediger berufen619, auch in Sachsen gab es seit 1527 besondere „superintendenthen und auffseher“.620 Auch in der von Bugenhagen bearbeiteten braunschweigischen Kirchenordnung von 1528621 findet sich dieses Amt; von dort aus wurde es in zahlreiche Kirchenordnungen übernommen und zum Gemeingut aller lutherischen Landeskirchen.622 Der Titel „Superintendent“ ist mit „Bischof“ gleichbedeutend; in beiden Fällen handelt es sich um „Aufseher“.623 Im evangelischen Bereich wurde diese Bezeichnung jedoch schon um der Abgrenzung zur katholischen Kirche vorgezogen; zudem waren die Amtsbezirke der Superintendenten – bisweilen „Diö615 Verordnung des Oberlandesgerichts vom 3. September 1816, Amtsblatt von Frankfurt 1816, S. 477. Cf. hierzu auch Starke, Darstellung der bestehenden Gerichtsverfassung in dem preußischen Staate, S. 92 f. 616 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 180 m. N. 617 Cf. Funk, Kirchenhistorische Mittheilungen, S. 126 ff. 618 Jacobson, Kirchenrecht, S. 181. 619 Kirchenordnung und Ratsordnung 1525 (Richter, Kirchenordnungen I, S. 23, 25.) 620 Instruktion für die Visitatoren 1527, Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren in Sachsen 1528 (Richter, Kirchenordnungen I, S. 80, 99). 621 Abgedruckt bei Richter, Kirchenordnungen I, S. 109. 622 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 183 mit Anm. 4. 623 Cf. bereits Augustinus, De civitate Dei 19, 19 und c. 11, C. XIII, q. 1: „Episcopatus [. . .] Graecum est atque inde ductum vocabulum, quod ille, qui praeficitur, eis quibus praeficitur, superintendit, curam eorum scilicet gerens [. . .] Ergo episcopos, si velimus, latine superintendentes, possumus dicere.“

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cesen“, meist aber „Inspectionen“ oder „Ephorien“ genannt – in aller Regel kleiner als die katholischen Bistümer. Wo die Bischöfe mit zum evangelischen Glauben übergetreten waren oder dies noch zu hoffen stand, wurde das Amt des Aufsehers nach Möglichkeit auf die bisherigen Organe übertragen, so etwa im Herzogtum Preußen, wo die „Erzpriester“ (Archipresbyteri) beibehalten624 und zusätzlich „Inspectoren“ (Senioren)625 sowie weitere Erzpriester mit dem Titel „Propst“626 berufen wurden. In ähnlicher Weise wurde in der Mark Brandenburg verfahren; dort wurden die Archidiakonate in Dekanate und Propsteien unterteilt627, die von „Pröpsten“ und „Inspectoren“ geleitet wurden.628 Auch in Pommern wurden die Archipresbyter durch „Pröpste“ ersetzt.629 Insgesamt ist die Terminologie in hohem Maße uneinheitlich.630 Während in den kleineren evangelischen Gebieten ein Superintendent zusammen mit dem Rat oder dem Ministerium der Geistlichen die kirchliche Verwaltung übernahm, traten in den größeren Herrschaften nach dem Vorbild Sachsens die Konsistorien an die Stelle der Bischöfe. Bereits vorher waren jedoch zum Zwecke der besseren unmittelbaren Aufsicht über die neu berufenen Inspektoren General-Superintendenten eingesetzt worden. So stand nach der Wittenberger Kirchenordnung von 1533 dem Pfarrer von Wittenberg und Kamberg die 624 Cf. Arnoldt, Kirchengeschichte, S. 258, 370 f.; Jacobson, Geschichte der Quellen I/11, S. 120 f.; ders., Geschichte der Quellen I/2, S. 69, 73 f., 96 f. 625 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Urk.-Nr. XXXIV von 1723. 626 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Urk.-Nr. XXXV von 1725. 627 Cf. Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, Band 2, S. 563 f. 628 Visitationsordnung von 1573 (Mylius, CCM I/1, Sp. 273–340), Visitations-Abschied von 1574 (Mylius, CCM I/2, Sp. 11–30). 629 Cf. Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 561. In den Synodalstatuten von 1574 (Richter, Kirchenordnungen II, Nr. CXLV) wurden sie auch als provisores synodi bezeichnet. 630 Die Auflistung der Superintendenten bzw. Inspektoren im Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 147 ff., S. 266 ff., vermittelt den Eindruck, daß der Titel „Inspektor“ teils als Amtsbezeichnung, teils als Beschreibung der ausgeübten Funktion verwendet wurde, wenn nicht gar andere Bezeichnungen verwendet und auf die Bezeichnung „Inspektor“ gänzlich verzichtet wurde. So gab es im Fürstentum Ansbach Dekane, die den Titel „Dechant“ oder „Stadtpfarrer“ trugen. Im Fürstentum Bayreuth gab es Superintendenten, die teilweise den Titel „Inspector“ oder „Geheimer Kirchenrath“ führten. Im Bereich des kurmärkischen Konsistoriums Berlin führten die Inspektoren den Titel des jeweiligen Hauptamtes, d. h. etwa „Probst“, „Archidiaconus“, „Oberconsistorialrath“, „Oberdomprediger“, „Generalsuperintendent“ etc. Ähnlich war es in der Neumark, in Cleve-Mark, in Halberstadt, Magdeburg, Lingen-Tecklenburg (dort gab es „reformirte geistliche Inspectoren“), Minden-Ravensberg („geistliche Inspectoren“, davon führte einer den Titel „Superintendent“), Pommern („Pröbste“), Schlesien (die „Inspectoren“ führten zum Teil den Titel „Superintendent“) und Preußen. In letzterer Provinz ist die größte Vielfalt von Amtsbezeichnungen der „Geistlichen Lutherischen Inspectoren“ festzustellen: „Erzpriester“, „Probst“, „Inspector“, „Senior“, „Consistorialrath“, „Oberhofprediger“, „Kirchenrath“. Auch hier handelt es sich offensichtlich um die mit den anderweitig ausgeübten kirchlichen Funktionen zusammenhängenden Titel.

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„Obersuperatendenz“ zu.631 In der Neumark berief der Markgraf 1540 einen Generalsuperintendenten zu Küstrin, welcher mit der örtlichen Regierung auch die Kirchenleitung übernahm632; in der Kurmark berief der Kurfürst einen „gemeinen Superintendenten“.633 Gleiches geschah in Pommern.634 Nachdem die Konsistorien eingerichtet worden waren, ernannte man die Generalsuperintendenten zu deren Mitgliedern und beließ ihnen die Oberaufsicht über die Inspektoren („Special-Superintendenten“). In Brandenburg verblieb es nach der Vereinigung der beiden Landesteile 1571 bei einem „gemeinen“ (General-)Superintendenten mit Sitz in Frankfurt/Oder635; diese Position fiel jedoch ab 1632 infolge der Besetzung des Konsistoriums mit einem lutherischen und einem reformierten Geistlichen fort. In der Altmark und Priegnitz übten die Oberprediger von Stendal, in der Mittel- und Uckermark die Pröpste von Köln und Berlin die kirchliche Aufsicht aus, in der Neumark fungierte der Inspektor zu Küstrin als Generalsuperintendent.636 In Preußen waren die Bischöfe nach dem Scheitern aller Versuche, das bischöfliche Amt wenigstens teilweise zu erhalten, durch die Konsistorien ersetzt worden, in deren Auftrag der Oberhofprediger zu Königsberg die Aufsicht über die Erzpriester führte. Seit 1736 führte dieser auch den Titel des Generalsuperintendenten.637 Auch in allen übrigen nach und nach zu Preußen gekommenen Landesteilen besaßen die Evangelischen beider Konfessionen besondere Inspektoren, und zwar nicht nur dort, wo das Kirchenwesen konsistorial verfaßt war, sondern auch in Gegenden mit einem presbyterial-synodalen Kirchenregiment; allerdings wurden die Präsides oder Inspektoren dort nicht auf Lebenszeit berufen.638 In den ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erworbenen Gebieten wurde die Inspektionsordnung teils vorgefunden639, teils dem Vorbild der übrigen Provinzen folgend eingerichtet.640 Die Behördenreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkten sich auf das Amt der Superintendenten zunächst nicht aus; die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts641 sowie die besonderen Instruktionen in den Kirchen- und Konsistorialordnungen blieben vollständig in Geltung. 631 Cf. Richter, Kirchenordnungen I, S. 220: Da „Wittenberg die Hauptstadt in der Chur zu Sachsen [. . .] die Kirch im Landt zu Sachsen ein Metropolis [. . .] haben soll“. 632 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 99. 633 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 81 f. 634 Jacobson, Kirchenrecht, S. 184. 635 Cf. die Visitationsordnung von 1573. 636 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 184. 637 Cabinets-Ordre vom 22. und 28. August 1736; cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/12, S. 94, 98, 113, 114, 180, Urk.-Nr. XLIV, XLV. 638 Jacobson, Kirchenrecht, S. 185. 639 In polnisch Preußen existierten bereits im 16. Jahrhundert superattendentes aut seniores (Synod. Thurn. 1595, can. 4, 6; Declar. Thorun. 1645 nach den Unterschriften). 640 Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 250 f., 253. 641 ALR Teil II, Titel XI, §§ 150–155.

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Zwar war überlegt worden, das Amt des Generalsuperintendenten in Preußen abzuschaffen, weil dieses „nicht mehr auf die jetzigen Zeiten und die Verfassung der geistlichen Behörden“ passe und zu einem bloßen „Charakter ohne eigentliche Amtsverrichtungen“ geworden sei. „Die Ordination [könne] füglich ein jeder Consistorialrath verrichten, und eben so auch die Introduction der geistlichen Inspectoren.“642 Dieser Plan wurde jedoch verworfen, statt dessen wurde 1810 im Zuge der Reorganisation des Kirchenwesens dem König der Vorschlag unterbreitet, für die gesamte Monarchie Generalsuperintendenten anzustellen; dies wurde – wenn auch mit erheblicher Verzögerung – durch Cabinets-Ordre vom 7. Februar 1828 auch in die Tat umgesetzt.643 Die für Westfalen und die Rheinprovinz bereits 1829 angekündigte Ernennung eines Generalsuperintendenten wurde jedoch erst durch die Kirchenordnung von 1835 sowie mit mancherlei Abweichungen von den übrigen Provinzen sanktioniert.644 Auch wenn die Aufgabenbereiche der Superintendenten und ähnlicher Funktionsträger im wesentlichen identisch waren, scheinen doch die Amtsbezeichnungen mit bestimmten Abstufungen hinsichtlich des Renommées verbunden gewesen zu sein. Hierauf deutet eine Kabinettsorder Friedrichs des Großen vom 6. April 1753 an den Staatsminister von Danckelmann hin, in welcher dieser angewiesen wurde, die Umwandlung einer Superintendentur in eine „bloße“ Inspektion unter dem Aspekt zu überprüfen, ob nicht dem Stelleninhaber wie bisher der Titel „Superintendent“ gebühre.645 6. Die Superintendenten als Verwalter des landesherrlichen Kirchenregiments In der Verwaltung des landesherrlichen Kirchenregiments nahmen die Superintendenten646 als Vorsteher der Diözesen647 die letzte Stufe ein. Sie waren zugleich Organe der Kirche und des Staats und wirkten mit den Konsistorien bzw. 642 Cf. das Hofreskript vom 28. Januar 1802 sowie Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 203 f. 643 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 185 f. (auch zu den nachfolgenden Ausführungsbestimmungen). 644 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 910, sowie dens., Kirchenrecht, S. 192, Anm. 15. 645 „Da der bisherige Feldprediger [. . .] sich bey mir beschweret hat, daß das lutherische Ober-Konsistorium die ihm ohnlängst conferirte Superintendentur [. . .] in eine bloße Inspection verwandeln wolle, ohngeachtet es die älteste Superintendentur in der Churmark sey und seinen Vorfahren dieser Titul von je her gegeben worden, so lasse Ich euch dessen Vorstellung vermittelst der Original-Einlage zufertigen, mit Befehl, die angezeigten Umstände zu examiniren und darauf das Gehörige zu verfügen. Denn ob ich zwar den geistlichen Hochmuth und die vanité, mit großen Tituln zu prangen, keineswegs approbire, so sehe ich doch auch nicht ab, warum man hierunter eine Änderung machen und es nicht bei der bisherigen Observanz lassen will.“ Zitiert nach Schild, Feldprediger II, S. 152.

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den Generalsuperintendenten einerseits sowie den Regierungen anderseits zusammen. Daher erfolgte auch die Anstellung der Superintendenten unter Mitwirkung beider Behörden.648 Vereinzelt bestanden Präsentationsrechte einzelner Familien oder Korporationen.649 Vor der Amtsübernahme hatte ein Kolloquium vor dem Konsistorium stattzufinden.650 Die Aufgaben der Superintendenten ergaben sich aus allgemeinen Instruktionen einerseits und gesonderten Verordnungen andererseits.651 Zu erwähnen – da charakteristisch für das Amt – sind die Aufsicht über die evangelischen Kirchen und kirchlichen Anstalten, die Geistlichen, Kandidaten und kirchlichen Beamten sowie die staatlichen und privaten Elementarschulen und Erziehungsanstalten einschließlich des Lehrpersonals652, die Ausübung der Disziplin und die Führung der Disziplinarverfahren gegen Geistliche, Kirchenbedienstete, Lehrer und Presbyterien653 sowie die Verhängung und Vollstreckung von Ordnungsstrafen654, ferner die Vornahme herausgehobener liturgischer Handlungen655 und

646 Durch Cabinets-Ordre vom 4. August 1806 sowie Circulare des Oberkonsistoriums vom 28. August 1806 wurde dieser Titel sämtlichen lutherischen Inspektoren, Dekanen, Erzpriestern und Pröpsten verliehen (Abdruck: NCC XII, Sp. 739–740; Vogt, Kirchenrecht I, S. 190). Die reformierten Inspektoren führten den Titel seit dem königlichen Erlaß vom 31. Januar 1808 sowie dem Reskript vom 2. Februar 1808. Die Regelung wurde nachfolgend auf die später zu Preußen gekommenen Gebiete ausgedehnt, so etwa durch Cabinets-Ordre vom 9. August 1818 auf Neuvorpommern (Amtsblatt Stralsund 1818, S. 324). 647 Die Diözesen (Kirchenkreise) waren nicht identisch mit den Landkreisen, da in den überwiegend katholischen Gebieten ein Superintendent für mehrere Kreise, in überwiegend evangelischen Gebieten nicht immer aber ein Superintendent für jeden Kreis genügte. Der preußische Staat hatte bis zu 336 Landkreise und bis zu 392 Superintendenturen. S. die Übersichtstabelle I, C, 9 bei Dieterici, Handbuch der Statistik des preußischen Staats, S. 134. 648 Jacobson, Kirchenrecht, S. 186. In den presbyterial-synodal verfaßten Landeskirchen wurden die Superintendenten – gemäß der Anschauung Luthers (cf. dessen Schreiben an den Rat und die Gemeinde der Stadt Prag 1523) – meist von den Synoden gewählt; diese Regelung wurde auch für Rheinland-Westfalen zur Anwendung gebracht (§ 36 der Kirchenordnung). Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 186 f. 649 Jacobson, Kirchenrecht, S. 187 m. N. 650 s. die Instruktion vom 12. Februar 1799, III (NCC X, 1799, Sp. 2203–2234; Vogt, Kirchenrecht I, S. 103), sowie das Reglement vom 22. April 1823 (von Kamptz, Annalen VII, S. 292). 651 Siehe die Nachweise im vorigen Abschnitt sowie die Ergänzungen zum ALR Teil II, Titel XI, §§ 150–155, sowie die Dienstinstruktion der Superintendenten der Mark Brandenburg vom 9. Februar 1830 (veröffentlicht am 16. März 1830); von Kamptz, Annalen XIV, S. 79 f.; Vogt, Kirchenrecht I, S. 196 f., ferner die RheinischWestfälische Kirchenordnung, §§ 38, 145 f. Weitere Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 187, Anm. 11. 652 Jacobson, Kirchenrecht, S. 187. 653 Zum Teil gemeinsam mit weltlichen Richtern, cf. die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung §§ 38 Nr. 2, 142 Zusatz. 654 Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung §§ 121–128.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

die Ausführung behördlicher Verordnungen in kirchlichen Angelegenheiten.656 Die Zuständigkeit der Superintendenten im Bereich des Militärkirchenwesens657 ging 1832 an die Militär-Oberprediger über.658 Der Superintendent galt als eine öffentliche Behörde und führte ein Amtssiegel. Die Anrede „Hochwürden“ gebührte ihm aufgrund amtlicher Bestimmung.659 Er hatte den Rang eines königlichen Rates660, stand jedoch dem Landrat protokollarisch nach661, sofern er nicht bei einer geistlichen Feierlichkeit liturgische Funktionen ausübte.662 7. Die General-Superintendenten (Bischöfe) Der Versuch, die katholischen Bischöfe für die Reformation zu gewinnen, war – wie erwähnt – nur in wenigen Fällen erfolgreich gewesen, und selbst in jenen Fällen war es bereits rasch zur vollständigen Einführung der Konsistorialverfassung gekommen.663 Um der von ihm beabsichtigten Vereinigung der reformierten und lutherischen Evangelischen einen Impuls zu verleihen, hatte der preußische König Friedrich I. anläßlich seiner Krönung am 18. Januar 1701 den reformierten Hofprediger Ursinus und den lutherischen Oberhofprediger von Sanden zu (Titular-)Bischöfen ernannt und sie durch den Bischof der Böhmischen Brüder, Jablonski, weihen lassen.664 Diese Wiederbelebung des bischöflichen Amtes war jedoch nur vorübergehender Natur. Schon nach dem Tod von Sandens 1703 hielt es der König „zur Zeit nicht für rathsam [. . .], die Bischofsstelle zu vergeben.“665 Auch die von Schleiermacher 1808 unternommene Initiative zur Wiederherstellung des Episkopats blieb ohne den gewünschten Erfolg.666 655 Z. B. Einweihungen von Kirchen und Friedhöfen, Ordinationen und Amtseinführungen. S. etwa ALR Teil II, Titel XI, § 405. 656 Weitere Einzelheiten und Nachweise bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 187 f. 657 Militär-Kirchen-Reglement vom 28. März 1811, I, Nr. 9 (Gesetz-Sammlung 1811 S. 172). 658 Cf. Militär-Kirchen-Ordnung vom 12. Februar 1832 sowie die Instruktion für die Militär-Oberprediger vom 28. Oktober 1833. Zu Einzelheiten s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 189, sowie infra Teil I, Kapitel 2, E. VI. 1. 659 Cabinets-Ordre vom 8. Juni 1846, mitgeteilt durch Circulare vom 1. Juli 1846. 660 Jacobson, Kirchenrecht, S. 189. 661 Reglements vom 14. Dezember 1813 sowie vom 8. November 1817 (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Urk.-Nr. LXXV und LXXXI). 662 Reglement vom 2. Januar 1817, Nr. 7; von Kamptz, Annalen I, Heft 1, S. 127. 663 Cf. bereits supra Kapitel 1, C. II. 664 Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 79 m.w. N., sowie Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 232 f. Die Verleihung des Bischofstitels erfolgte jedoch erst einige Zeit nach der Krönung; cf. Themel, Berliner Konsistorium II, S. 77. 665 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 190.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Statt dessen schlug die Sektion für den Kultus im Ministerium des Innern vor, das nachreformatorische Amt der Generalsuperintendenten neu zu beleben. Diesen sollte die Ordination der Predigtamtskandidaten, die Einführung der Superintendenten sowie die Aufsicht über deren Amtsführung, die Befugnis zur Einberufung von Konferenzen der Superintendenten und die General-Kirchenvisitationen, die Bekleidung der vom König eingerichteten geistlichen Mitdirektorstelle in den geistlichen Regierungsdeputationen sowie die jeweils erste Untersuchung über den Lebenswandel oder die Amtsführung eines Geistlichen aufgrund vorgebrachter Beschwerden obliegen. Zum Teil sollten diese Befugnisse nur im Auftrag oder mit Zustimmung der Regierungsdeputation oder des Regierungspräsidiums ausgeübt werden, da nicht etwa aufgrund des großen und bedeutenden Aufgabenbereichs der General-Superintendenten das Ansehen der Provinzialbehörde leiden sollte.667 König Friedrich Wilhelm III. war zwar nicht geneigt, diesem – 1815 mit noch deutlicherer episkopaler Akzentuierung erneuerten668 – Vorschlag zuzustimmen, doch blieben immerhin die noch vorhandenen General-Superintendenturen bestehen. Außerdem ernannte der König am 18. Januar 1816 nach dem Vorbild von 1701 zwei Bischöfe, nämlich den Oberkonsistorialrat und Hofprediger zu Berlin, Friedrich Samuel Gottfried Sack669, sowie den General-Superintendenten Ludwig Ernst (von) Borowski 670 von Königsberg. Gleichzeitig wurde bestimmt, „daß diese Würde eine Anerkennung ausgezeichneter Verdienste im geistlichen Stande sein und zur Emporhebung auch des äußeren Ansehens der evangelischen Kirche beider Konfessionen gereichen soll, weshalb die ernannten Bischöfe den Rang der Oberpräsidenten haben und ihnen das Prädikat Hochwürdiger, so wie alle übrigen Vorzüge und Ehrenrechte eines Bischofs beigelegt und ertheilt werden sollen“.671 Weitere Bischofsernennungen folgten; am 19. April 1829 verlieh Friedrich Wilhelm III. Bischof Borowski sogar den Titel eines Erzbischofs.672 666 Schleiermacher, Entwurf 1808, S. 5 (Einleitung) und S. 13 ff. (Abschnitt III). S. auch Gründler, Gedanken über eine Grundreform der protestantischen Kirchen- und Schulverfassung, S. 28 f. 667 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 190. Die General-Superintendenten sollten – insoweit ähnlich den Bischöfen – ein einfaches goldenes Kreuz an einer Kette tragen. Cf. den Bericht der Sektion vom 29. März 1810 bei A. Nicolovius, Denkschrift auf Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, S. 186 f. 668 Cf. Küster/Neumann/Tiebel, Grundlinien einer künftigen Verfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staate, sowie von Mühler, Geschichte, S. 314. 669 Näheres über ihn bei Seidel, Art. Friedrich Samuel Gottfried Sack. 670 Näheres über ihn bei Bautz, Art. Ludwig Ernst von Borowski. 671 s. das Publicandum vom 9. Februar 1816 in den Amtsblättern. Abgedruckt auch bei Haupt, Handbuch I, S. 148, sowie bei A. Nicolovius, Bischöfliche Würde. 672 Cf. A. Nicolovius, Bischöfliche Würde, S. 95 f. Der König erklärte zur Begründung: „Warum sollten unsere Landesgeiystlichen nicht eben dieselben Ansprüche auf [diese Würde] haben, als die Geistlichen in mehreren anderen großen evangelischen Ländern, in welchen diese Würde unausgesetzt bestehen geblieben ist.“ Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 191, Anm. 6. Borowski stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Inzwischen hatte der König auch beschlossen, die 1810 von der Sektion für den Kultus unterbreiteten Vorschläge mit gewissen Modifikationen anzunehmen. Durch Cabinets-Ordres vom 7. Februar und 29. August 1828 wurden daher für das gesamte Staatsgebiet General-Superintendenten ernannt673, die am 14. Mai 1829 eine eigene Instruktion erhielten.674 In der Regel wurde für jede Provinz jeweils ein General-Superintendent bestellt, so daß etwa die zuvor bestehenden General-Superintendenturen in Greifswald und Erfurt wegfielen; für Brandenburg hingegen wurden zwei General-Superintendenten neu ernannt.675 Für die Militärgeistlichkeit übte der Feldpropst die Funktion des Generalsuperintendenten aus. Diese Stelle fiel zusammen mit dem Militärkonsistorium, dem der Feldpropst angehörte676, vorübergehend fort677, wurde jedoch 1832 erneut eingerichtet.678 Als evangelischer Geistlicher war der Feldpropst zwar kein Soldat und besaß daher auch keine militärische Dienstbezeichnung, wirkte jedoch in den militärkirchlichen Behörden und Einrichtungen regelmäßig mit ranghohen Offizieren auf gleicher Augenhöhe zusammen.679 Man wird somit auch nach dem Aufgehen der Militärkirche in der evangelischen Landeskirche als faktischen Militärangehörigen ansehen können; unter den Gegebenheiten des 18. Jahrhunderts – als die Militärkirche noch weitgehend selbständig neben der zivilen Landeskirche stand – hat dies erst recht zu gelten. In jedem Fall stellte es eine Besonderheit des Verhältnisses von Staat und Kirche in Preußen dar, daß ein hoher kirchlicher Würdenträger, der an anderer Stelle – etwa als Synodale – in die Kirchenverfassung eingebunden war, hier unter einer anderen Perspektive, nämlich als Angehöriger einer staatlichen Institution, erschien. Die General-Superintendenten waren Direktoren der Konsistorien und Stellvertreter der Präsidenten. Sie stellten keine Zwischeninstanz dar und unterstanden unmittelbar dem geistlichen Ministerium. Sie teilten den Rang der Regierungsdirektoren oder – soweit sie die Bischofswürde besaßen – der Oberpräsider Vollendung des 89. Lebensjahres. Die Erhebung in den Adelsstand erfolgte erst 1831, kurz vor seinem Tod. 673 s. das Publicandum vom 2. Januar 1829; von Kamptz, Annalen XIII, S. 66; Vogt, Kirchenrecht I, S. 190. 674 Diese war durch Cabinets-Ordre vom 7. Mai 1829 bereits genehmigt; von Kamptz, Annalen XIII, S. 277 f.; Vogt, Kirchenrecht I, S. 191 f. 675 Zu Einzelheiten s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 191 f. 676 Militär-Consistorial-Reglement vom 15. Juli 1750, Teil I; Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 237–258. 677 Militär-Kirchen-Reglement vom 28. März 1811, I, Nr. 10 (Gesetz-Sammlung 1811, S. 172). Die Funktionen des Feldpropstes waren zu Kriegszeiten dem Konsistorialrat Offelsmeier übertragen und wurden anschließend den jeweiligen Provinzialregierungen sowie dem Kultusministerium zugewiesen (Bekanntmachungen vom 15. August 1814 und vom 19. Dezember 1819). 678 Militär-Kirchen-Ordnung vom 12. Februar 1832, I, §§ 1–2 (Gesetz-Sammlung 1832, S. 69). Näher hierzu infra Teil I, Kapitel 2, E. VI. 1. 679 Cf. die Darstellung supra Kapitel 2, D. V. 1.–7. sowie E. VI. 1.

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denten, genossen aber bei liturgischen Funktionen den Ehrenvorrang.680 Ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, die Angelegenheiten der evangelischen Kirchen der Provinz im Namen des Landesherrn persönlich zu beaufsichtigen und auf sie einzuwirken. Sie führten die Spezial-Superintendenten in ihre Ämter ein und in deren Kirchen die Visitation durch, nahmen an den Versammlungen der Geistlichen sowie an den Prüfungen der Kandidaten teil und ordinierten die Geistlichen.681 Bei der Besetzung geistlicher Stellen wurden sie als Gutachter herangezogen, außerdem führten sie die Aufsicht über den Religionsunterricht der höheren Schulen und der evangelischen Schullehrerseminare. In den Sitzungen des Konsistoriums und der Regierung hatten sie nicht nur Stimmrecht, sondern konnten auch eine Entscheidung der nächsthöheren Instanz herbeiführen.682 Die Ernennung der General-Superintendenten erfolgte durch den König; auch für Rheinland-Westfalen war dies so geregelt: „Neben dem Consistorio und den Regierungen beaufsichtigt in jeder Provinz ein vom Landesherrn ernannter Geistlicher [. . .] unter dem Titel: General-Superintendent [. . .] die Superintendenturen-Sprengel der Provinz.“683 Diese Aufsicht hatte nach der Rubrik der Kirchenordnung den Charakter einer „Staatsaufsicht über das Kirchenwesen“ und trug somit noch deutlich territorialistische Züge.684 Der Nachfolger des Königs, Friedrich Wilhelm IV., konnte den episkopalistischen Ansätzen seines Vorgängers nicht viel abgewinnen. Dabei waren seine eigenen Ansichten durchaus ebenfalls der bischöflichen Verfassung zugetan, jedoch in einer eher apostolisch-urkirchlichen Weise.685 Zur Umgestaltung des Kirchenwesens in jenem Sinne kam es jedoch nicht, so daß die unter Friedrich Wilhelm III. etablierte Kirchenverfassung bestehen blieb.

680 Reskript vom 2. Januar 1817 (von Kamptz, Annalen XXI, S. 456; Vogt, Kirchenrecht I, S. 305). Zur Unterscheidung von den übrigen Geistlichen trugen sie eine besondere Amtstracht mit Seidentalar und Pektorale nach Maßgabe des Erlasses vom 14. Oktober 1816. 681 In Rheinland-Westfalen war letzteres Aufgabe der Spezial-Superintendenten. S. §§ 62, 113 der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung. 682 s. zum Ganzen Jacobson, Kirchenrecht, S. 193 f. m. N. 683 § 148 der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung von 1835. 684 Dahingehend auch die spätere Kritik und die Änderungsvorschläge der Synoden; cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 192 f. m. N. 685 Cf. Richter, König Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 23, 70, 82 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

IV. Die presbyterial-synodal verfaßten Gemeinden 1. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in Rheinland-Westfalen im frühen 19. Jahrhundert: Einführung konsistorialer Elemente Das Nebeneinander der verschiedenen Verfassungstypen im evangelischen Kirchenwesen dauerte auch im 19. Jahrhundert an. Die Presbyterialverfassung hatte sich in Jülich-Kleve bis zum Beginn der französischen Revolution im wesentlichen erhalten; dies gilt insbesondere für die Generalsynode der vereinigten Provinzialkirchen, die zuletzt 1793 in Duisburg stattfand. Die französische Besetzung des Niederrheins 1794 führte zu einer Teilung des rheinischen Kirchenwesens; für die linksrheinischen Gebiete wurde durch die organischen Artikel vom 18. Germinal X (8. April 1802) eine neue Kirchenordnung eingeführt686, welche für die Reformierten Prediger, Localconsistorien und Synoden, für die Lutherischen – welche allein Jacobson als „Augsburgische Confessionsverwandte“ bezeichnet – außerdem Inspektionen und Generalkonsistorien vorsah.687 In den rechtsrheinischen Gebieten blieb trotz der fremden Herrschaft die frühere Kirchenverfassung im wesentlichen unverändert; allein die Synoden fanden nicht mit aller Regelmäßigkeit statt.688 Nach dem Ende der französischen Besatzung 1813 kam es zunächst zur provisorischen Verwaltung der rheinisch-westfälischen Gebiete.689 Die Kirchenverfassung blieb unangetastet; nur im Großherzogtum Berg, das bislang keine eigene Oberbehörde gehabt hatte, wurde 1814 für beide Konfessionen ein gemeinsames Oberkonsistorium zu Düsseldorf errichtet. Dies geschah gegen den ausdrücklichen Wunsch der Geistlichkeit, welche die traditionelle Synodal- und Presbyterialverfassung gerne erhalten hätte. Die Klassen und Synoden konnten sich deswegen nicht mehr versammeln.690 In den 1814–1815 in den Provinzen Westfalen und Rheinprovinz zusammengefaßten preußischen Gebieten gab es demnach eine Vielzahl unterschiedlicher Verfassungsformen: die in den rechtsrheinischen Gebieten, vornehmlich in der Grafschaft Mark, anzutreffende Presbyterial-Synodal-Verfassung, die Konsistorialverfassung mit zum Teil presbyterial organisierten Gemeinden, die Lokalkonsistorien in den linksrheinischen Gebieten sowie die im wesentlichen konsistorialen Prinzipien entsprechende Kirchenverfassung im Bergischen gemäß der Regelung von 1814.691

686 687 688 689 690 691

Näher hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 771 f., 780 f., 286 f. Jacobson, Kirchenrecht, S. 212. Cf. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 791 f. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 845 f. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 212. Ausführlich hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, §§ 17–18.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Weder die konsistorial geprägte Kirchenverfassung noch die Lokalkonsistorien als solche konnten sich jedoch recht durchsetzen. Vielmehr existierten nach wie vor vielerorts Bestrebungen, zur hergebrachten Presbyterial-Synodal-Verfassung zurückzukehren. Diese Initiativen gewannen zwar mit der fortschreitenden Zentralisierung des Kirchenwesens und der damit einhergehenden weitestgehenden Auflösung der örtlichen Presbyterien an Intensität, waren jedoch aufgrund der immer mehr gefestigten preußischen Zentralgewalt zum Scheitern verurteilt. Hatte die ursprüngliche Presbyterial-Synodal-Verfassung noch aufgrund der Tatsache entstehen können, daß der zuständige Landesherr nicht evangelischen, sondern katholischen Bekenntnisses war und über das evangelische Kirchenwesen keine bischöflichen Rechte ausübte, so hatte sich dies nunmehr – unter preußischer Herrschaft – geändert. Eine Annäherung der beiden Positionen sollte erst möglich sein, als durch die wachsende Rücksichtnahme der Zentralregierung auf die Verhältnisse in den östlichen Provinzen692 ein Kompromiß, nämlich die Einführung einer gemischt presbyterial-konsistorialen Verfassung möglich erschien. Hierzu kam es schließlich in Form der Kirchenordnung für die Rheinprovinz und Westfalen vom 5. März 1835693, die nicht nur für die Lutheraner, sondern auch für die Reformierten Geltung beanspruchte und als „mit Berücksichtigung der verschiedenen, in der Provinz Westfalen und der Rhein-Provinz bisher geltenden Kirchenordnungen und der eingeholten Gutachten und Anträge der dortigen Synoden abgefaßte (neue) Kirchenordnung für alle Gemeinden beider evangelischen Konfessionen“ bezeichnet wurde.694 Das presbyteriale Element war auf allen Gemeindeebenen zu finden: die Ortsgemeinde wurde durch das Presbyterium sowie – bei größeren Gemeinden – zusätzlich durch ein größeres Gremium vertreten (§§ 5 ff.)695, die Kreisgemeinde durch die Kreissynode (§§ 34 ff.)696, die Provinzialgemeinde durch die Provinzialsynode (§§ 44 ff.).697 Landesherrliche Aufsichtsbehörden waren das geistliche Ministerium, das Konsistorium, die Regierungen sowie der Generalsuperintendent (§ 148). Dieser gehörte auch der Provinzialsynode als „königlicher Commissarius“ an698; die Superintendenten hingegen wurden von den

692

s. hierzu sogleich infra. Ausführlich hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 906 ff. Die Kirchenordnung ist abgedruckt im zugehörigen Urkunden-Band, S. 651 ff. 694 Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 906. Gleichzeitig wurde vom König die Einführung der am 19. April 1834 genehmigten Agende für die Evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen (mit besonderen Bestimmungen und Zusätzen für die Provinz Westfalen und die Rhein-Provinz) angeordnet; auch wurde das am 28. August 1833 vom Ministerium bestätigte Evangelische Gesangbuch eingeführt. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 906 f. 695 Ausführlich zu ihnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 261 ff. 696 Ausführlich zu ihnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 299 ff. 697 Ausführlich zu ihnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 319 ff. 693

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Kreissynoden gewählt und bedurften lediglich der Bestätigung durch die Regierung (§ 36).699 Auch in der Folgezeit kam es jedoch – wie nicht anders zu erwarten war – zu Meinungsverschiedenheiten, etwa zum Verhältnis von landesherrlichen Kirchenbehörden und Provinzialsynode sowie über die Selbständigkeit kirchlicher Vermögensverwaltung.700 Das Problem bestand, wie Jacobson treffend erläutert, darin, daß „der herrschende Territorialismus überall hemmend und störend eingriff und Gegensätze zwischen dem staatlichen Kirchenregiment und der erstrebten Selbstverwaltung der Kirchengemeinden hervorrief“.701 Daraufhin erging auf persönliche Anordnung des Königs702 die Anordnung an die Synoden, bei ihren Beratungen über die Kirchenverfassung praktische Bedürfnisse ebenso zu berücksichtigen wie die apostolischen Ursprünge der Kirche und die historische Entwicklung des evangelischen Kirchenwesens in Deutschland.703 Die Synode stellte daraufhin nach eingehenden Beratungen den Antrag, die durch das territorialistische Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments verstärkte Vermengung des staatlichen und des kirchlichen Bereichs aufzuheben, die weltlichen Regierungen auf die Ausübung des ius circa sacra – unter Ausschluß des bischöflichen Rechts – zu beschränken und die Konsistorien, die Geistlichkeit und den evangelischen Landesherrn eng sowie unter kirchlichen Gesichtspunkten mit den Synoden zu verbinden. Die westfälische Synode plädierte für eine neuartige Kombination von Presbyterial- und Synodalverfassung, während die rheinische Synode eine prinzipielle Verschmelzung der Konsistorialverfassung mit der Presbyterialverfassung befürwortete.704 Da auch die Synoden der östlichen Provinzen ähnliche Wünsche geäußert hatten705, wurde den synodalen Begehren durch die Verordnung vom 27. Juni 1845 teilweise stattgegeben; die von den beiden Synoden 1844 und 1847 vorgelegten Disziplinarordnungen706 erhielten die landesherrliche Genehmigung. In der hauptsächlichen 698 Cf. auch § 22 der Instruktion vom 31. Mai 1836. Die Bezeichnung als „königlicher“ Kommissar deutet darauf hin, daß er die Interessen des Landesherrn als Territorialherr vertrat. Dies ist ein weiteres Indiz für eine territorialistische Sichtweise des landesherrlichen Kirchenregiments. 699 Cf. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 186 mit Anm. 7. 700 Näher hierzu Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 914 f. 701 Jacobson, Kirchenrecht, S. 334. Gleiches gilt für die konsistorial-presbyterialen Verfassungssysteme der Deutsch-Reformierten sowie der Hugenotten in den östlichen Provinzen; näher dazu sogleich infra. 702 Dies war inzwischen Friedrich Wilhelm IV., der das landesherrliche Kirchenregiment mit größerer Zurückhaltung ausübte als seine Vorgänger. 703 Cf. das Ministerialreskript vom 30. April 1844, abgedruckt in der IV. Rheinischen Synode, S. 13 f., sowie in der IV. Westfälischen Synode, fol. 6 f. 704 s. im einzelnen die IV. Rheinische Synode, § 14 f., §§ 68 f., sowie Anlage J, S. 273 f.; IV. Westfälische Synode, fol. 6 f., 63 f., sowie Anlagen II, III, fol. 6 f., 15 f. 705 Cf. supra Kapitel 2, E. II. 3.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Frage der Kombination oder Verschmelzung der beiden Verfassungstypen wurde die landesherrliche Genehmigung jedoch durch das Ministerialreskript vom 2. September 1847 versagt; hierzu kam es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der Geltung der preußischen Verfassung. 2. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in den östlichen Provinzen im frühen 19. Jahrhundert Zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts existierten in den östlichen Landesteilen die Presbyterien der deutschen und französischen Reformierten sowie die aus Geistlichen und Vorstehern zusammengesetzten Kirchencollegia der Lutheraner. Synoden gab es weder im reformierten noch im lutherischen Bereich; diese waren durch die Kirchen- und Schulvisitationen ersetzt worden. Die kirchlichen Organe waren vollständig in den Staatsverband integriert; an eine vom Staat unterschiedene selbständige Kirche war – wie dargestellt – nicht zu denken, sie war – wie Jacobson zu Recht sagt – „dem Bewußtsein entschwunden“.707 In den wirtschaftlichen Notzeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde den religiösen und kirchlichen Interessen größere Beachtung zuteil. Die Beteiligung der örtlichen Gemeinden an den kirchlichen Angelegenheiten wurde nun nicht mehr allein von einzelnen, sondern von einer Vielzahl von Teilnehmern am religionspolitischen Diskurs gefordert. Man beschränkte sich jedoch darauf, für die Kirchengemeinden Presbyterien einrichten zu wollen; an den zugleich befürworteten Synoden sollten nur Geistliche teilnehmen.708

706 III. Rheinische Synode, S. 96 f.; IV. Rheinische Synode, S. 77 f.; IV. Westfälische Synode, fol. 78 f., sowie Anlage V, fol. 21 f. 707 Jacobson, Kirchenrecht, S. 215. 708 Statt aller etwa Schleiermacher, Entwurf 1808, Abschnitt II (Kritische Gesamtausgabe, S. 10 ff.) 1817 erklärte Schleiermacher weiter: „Ja, ich würde es sehr zwekmäßig finden, wenn in der Folge – nicht von allen Gemeinen, denn das würde die Versammlung zu zahlreich machen, aber abwechselnd von einzelnen – auch auf den Synoden selbst Abgeordnete aus dem Collegium der Ältesten zugelassen würden, um sich von dem Gange der Verhandlungen zu überzeugen, und um auf Befragen sowol über das, was ihre Gemeine besonders betrifft, Auskunft zugeben, als auch über andere in ihrem Bereich liegende Gegenstände ihre Meinung zu sagen.“ Er fährt jedoch fort: „In der rheinischen Geistlichkeit ist der Wunsch geäußert worden, die Synode möchte zu gleichen Teilen aus Pfarrern und Gemeineältesten zusammengesetzt werden. Das dürfte aber bei uns zu viel sein und große Schwierigkeiten haben.“ (Über die für die protestantische Kirche des preußischen Staats einzurichtende Synodalverfassung, S. 17 (Kritische Gesamtausgabe S. 121). Schleiermacher lag also der Gedanke an eine konsequente Presbyterial-Synodal-Verfassung noch fern; sein Interesse ging zunächst dahin, die Institution der Synoden überhaupt wieder zu beleben. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 215, Anm. 2.

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Nachdem die kurmärkische Regierung zu Potsdam – auf eine Verfügung des Ministeriums vom 19. November 1813 hin – in einem Rundschreiben an sämtliche Superintendenten der Kurmark vom 18. Dezember 1813 erklärt hatte, daß sie sich von den angeregten Superintendentursynoden unter anderem auch die Herbeiführung einer besseren Kirchenverfassung verspreche, lud sie zu einem Konveniat der Superintendenten ein, das am 8./9. Juni 1814 in Berlin stattfand. Dort plädierte man für eine freie Synodalverfassung, unterbreitete diesen Vorschlag jedoch aus Vorsicht nicht dem König, sondern regte statt dessen die Bildung einer königlichen Kommission an, die auch tatsächlich eingesetzt und – mißverständlich – unter der Bezeichnung „liturgische Commission“ bekannt wurde.709 Die Kommission ging – entsprechend den früheren Anregungen – von einer Synodalverfassung aus, lehnte es jedoch ab, die kirchlichen Behörden durch Wahl der Synoden mit bloßer Bestätigung durch den Landesherrn zu besetzen, da dies der geschichtlichen Entwicklung und der kirchenrechtlichen Stellung des evangelischen Landesherrn nicht hinreichend entspreche. Es sei Aufgabe des Landesherrn, sich der Angelegenheiten der Landeskirche anzunehmen und darüber zu wachen, daß sie ihre Rechte und Befugnisse, ihre Einwirkung auf die Gewissen, ihre öffentliche Lehre und ihre Versammlungen zum Schaden der bürgerlichen Gesellschaft nicht mißbrauche. Auch habe der Landesherr als oberster Schutzherr und Patron der Landeskirche, die Kirche, deren Anstalten und Diener in ihren Rechten zu schützen, und in Ansehung aller äußeren Rechte im Kirchenwesen die notwendigen Verfügungen zu treffen. Dagegen regiere die Kirche als moralisch-religiöse Anstalt in ihrem Inneren sich zwar selbst, müsse aber hinsichtlich der internen Angelegenheiten von ihren Beschlüssen und Einrichtungen dem Staat in umfassender Weise Auskunft erteilen und, sofern diese Interna auch die äußeren Beziehungen der Kirche berühren, die landesherrliche Bestätigung einholen. Wie der Staat seine Oberaufsicht über die Kirche ausüben wolle, stehe im Ermessen des Landesherrn. Die Kirche dürfe dabei nur voraussetzen, daß die Obrigkeit ihr Ermessen in einer dem Zweck und der Würde der Kirche angemessenen Weise ausüben werde. Diesen Grundsätzen könne letzten Endes nur dadurch Rechnung getragen werden, daß die Behörden durch Ernennung seitens des Landesherrn besetzt würden.710 Ausweislich des Abschlußberichts, der – wohl aus der taktischen Erwägung heraus, ein brisantes Thema so unauffällig wie möglich zu präsentieren – die Kirchenverfassungsfragen erst an nachgeordneter Stelle behandelte711, war die Kommission zu folgendem Konzept der Kirchenverfassung gelangt712: Es soll709

s. dazu von Mühler, Geschichte, S. 304 ff. sowie bereits supra Kapitel 2, E. II.

2./3. 710 711

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 311 ff. Cf. die Inhaltsübersicht bei von Mühler, Geschichte, S. 310 f.

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ten flächendeckende Kirchengemeinden und in diesen Presbyterien gebildet werden, welchen die Geistlichen, der Kirchenpatron oder sein Vertreter, der Rendant sowie Gemeindemitglieder angehören sollten, und die sich um die Gebäude und die Vermögensaufsicht, um Armenpflege, Kirchen- und Kinderzucht kümmern sowie die niederen Kirchenbediensteten713 zur Anstellung vorschlagen sollten. Erweiterte Rechte bei der Predigerwahl waren nicht vorgesehen. Über den Presbyterien sollte die aus allen Geistlichen des Kreises bestehende Kreissynode unter Leitung des Superintendenten stehen; dieses Institut sollte unter anderem den Zusammenhalt zwischen den Geistlichen stärken und deren Erfahrungsaustausch oder „Weiterbildung“ ermöglichen und zur Lösung von Streitigkeiten auf Gemeindeebene beitragen. Die Leitung des Kirchenwesens auf Provinzebene sollte beim Konsistorium liegen, das – aus weltlichen und geistlichen Räten zusammengesetzt – unter dem Vorsitz eines Geistlichen stehen solle, der den Titel eines Generalsuperintendenten oder Bischofs führe. Der Vorsitz durch einen Geistlichen erschien schon deshalb wünschenswert, damit geistliche Angelegenheiten auch wirklich geistlich behandelt und „mehr durch Ermahnung und moralische Autorität, als durch Gesetz und Verbot“ geregelt würden.714 Die Wiederherstellung der zuvor aufgelösten eigenen Kirchenbehörden wurde für notwendig erachtet, weil die Bezeichnung der die Konsistorien ersetzenden Behörden als „Regierungen“ und die Integration der Kirchenbehörden in eine dem weltlichen und bürgerlichen Staatszweck dienende Gesamtbehörde die religiös-kirchlichen Angelegenheiten in den Augen der Öffentlichkeit zu sehr mit den rein säkularen Angelegenheiten vermische. So entstehe der Eindruck, der Staat behandle diese Angelegenheiten nur als einen untergeordneten Teil der allgemeinen Staatsverwaltung, etwa der bürgerlichen Polizei. Selbst wenn dieser Vorwurf in der Sache nicht zutreffe, so gereiche bereits der bloße Anschein der kirchlichen Autorität in ihrer moralischen Funktion zum Nachteil. Lutherische und reformierte Konsistorien sollten dabei auf Provinzebene getrennt und nur in der Zentralbehörde vereinigt sein. Alle Konsistorialräte sollten vom Landesherrn ernannt werden, die geistlichen Räte jedoch auf Vorschlag der Provinzialsynode. In rein geistlichen Angelegenheiten sollten die weltlichen Räte nur mit beratender Stimme mitwirken. Die Konsistorien sollten unter anderem die Oberaufsicht über die Kirchen, Schulen und caritativen Stiftungen der Provinz sowie über deren Beamte und Bedienstete führen, die Kandidaten prüfen, die von Privatpatronen berufenen Geistlichen bestätigen und zu landesherrlichen Patronatsstellen die Berufungen aussprechen. Darüber hinaus sollte ihnen die Ordination und Amtseinführung der Pfarrer, die Visitation der Superintendentu712

Ausführlich zum folgenden von Mühler, Geschichte, S. 313 ff. Gemeint sind Küster, Glöckner, Organisten, Kalkanten (Balgtreter), Totengräber, Hebammen etc. Ausführlich hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 255 ff. 714 s. von Mühler, Geschichte, S. 314 f. 713

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ren, die Handhabung der Zensur sowie verschiedene Aufgaben im Ehe- und Rechnungswesen obliegen. Die aus den Superintendenten der Provinz bestehenden Provinzialsynoden sollten von Zeit zu Zeit zusammentreten. Die oberste Leitung des Kirchenwesens sollte in den Händen einer Kollegialbehörde liegen, die als Oberkonsistorium oder Ministerium der geistlichen Angelegenheiten bezeichnet werden konnte. Die Ernennung eines geistlichen Behördenleiters hielt die Kommission nicht für ratsam; hier sollte offensichtlich – dem Geist des Territorialismus entsprechend – dem landesherrlichen Kirchenregiment als einer von der Staatsgewalt ausgeübten Funktion Rechnung getragen werden. Die Einrichtung eines besonderen Ministeriums erschien wünschenswert, um dem Eindruck entgegenzuwirken, das Kirchen- und Schulwesen sei etwa weniger bedeutend wie die herkömmlichen Ressorts der Finanzen, des Justiz- und Kriegswesens, des Gewerbes oder der Polizei. Diese – über den Innenminister an den König gelangten – Anträge wurden durch die Cabinets-Ordre vom 27. Mai 1816, – ergänzt durch eine weitere Kabinettsorder vom 27. November 1816, beschieden.715 Bereits 1812 war aus der 1808 getätigten Anregung zur Wiederherstellung der Synoden ein von der Regierung zu Breslau erarbeiteter Entwurf einer Synodalordnung hervorgegangen, welchen die Regierung den übrigen Provinzialregierungen zwecks Begutachtung zuleitete; zur Inkraftsetzung des Entwurfs war es jedoch nicht gekommen.716 Die erwähnten königlichen Erlasse wurden durch das Ministerialreskript vom 2. Januar 1817717 allgemein und mit folgendem Inhalt bekanntgemacht: In allen Kirchspielen (Gemeinden) sollten Presbyterien oder Kirchencollegia gebildet werden: „Da, wo solches noch nicht stattfindet, soll in jedem Kirchspiel ein Presbyterium oder Kirchencollegium aus dem Geistlichen und dem Patron bei Patronatskirchen und einigen Gemeindegliedern bestellt werden, welche das Wohl und die Gerechtsame der Kirche wahrzunehmen haben.“ Durch diese Anordnung sollte der Geschäftskreis der bisherigen Kirchencollegia – entgegen dem Allgemeinen Landrecht718 – über die Verwaltung der äußeren Rechte der Kirchengesellschaft hinaus erweitert werden. Außerdem sollten Kreissynoden, bestehend aus der protestantischen Geistlichkeit eines jeden Kreises, unter dem Vorsitz des Superintendenten zusammentreten. Die Möglichkeit gemeinsamer Synoden beider Konfessionen wurde als Anregung gegeben, aber keine dahin715

Siehe auch hierzu supra Kapitel 2, E. II. 3. Jacobson, Kirchenrecht, S. 216; ausführlich von Mühler, Geschichte, S. 301 ff. 717 Abgedruckt bei von Kamptz, Annalen I, Heft 1, S. 126, sowie bei Vogt, Kirchenrecht I, S. 188, 206. 718 ALR Teil II, Titel XI, § 156, 157. Ausführlich zu den Kirchencollegia und ihren Aufgaben Jacobson, Kirchenrecht, S. 257 ff. 716

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gehende Verpflichtung ausgesprochen.719 Ferner sollten sämtliche Superintendenten einer Provinz unter dem Vorsitz des Generalsuperintendenten als Provinzialsynode tagen, deren Beschlüsse vom Konsistorium überprüft und mit dessen Gutachten dem Innenministerium zur weiteren Bearbeitung zugeleitet werden sollten. Schließlich wurde die Abhaltung einer Generalsynode in Berlin fünf Jahre nach den Synodalzusammenkünften auf Kreis- und Provinzebene angeordnet.720 In diesem Zusammenhang wurde die Erarbeitung einer vorläufigen Synodalordnung durch die Regierung angekündigt, diese sollte zeitnah „den königlichen Consistorien“721 zugeleitet werden. In allen Fällen handelte es sich bei den „Synoden“ um reine Zusammenkünfte von Geistlichen unter Mitwirkung landesherrlicher Beamter, also nicht um Synoden, die dem traditionellen presbyterialen Prinzip entsprachen.722 Diese Regelungen zeigen deutlich, daß eine wirkliche Umformung der bestehenden Konsistorialverfassung überhaupt nicht intendiert war. Das durch Regierungen und Konsistorien ausgeübte landesherrliche Kirchenregiment behielt in allen wesentlichen Fragen die Kontrolle. Dies zeigt sich in erster Linie an der Kontrollbefugnis der Konsistorien sowie des Innenministers hinsichtlich der Synodalbeschlüsse, es wird weiterhin akzentuiert durch die Bezeichnung der Konsistorien als „königliche“ Institutionen sowie durch die Bestimmung, daß die Generalsynode in Berlin und damit in der „königlichen Residenz“ stattfinden sollte. Man wird davon ausgehen können, daß der Tagungsort bewußt nicht etwa offengelassen oder gar freigestellt wurde. Die oben genannte Anordnung zur Beteiligung der zu bildenden Presbyterien an der Wahrnehmung der inneren Rechte der Kirche wurde jedoch nicht allgemein befolgt; in der Regel blieben die inneren kirchlichen Angelegenheiten Sache der Pfarrer. Die Presbyterien konnten sich unter diesen Umständen selbst da, wo sie tatsächlich begründet worden waren, nicht dauerhaft entwickeln, noch viel weniger die Kreissynoden, die gerade nicht organisch aus den Presbyterien hervorgegangen waren und deshalb nur mit unvollständiger Legitimation über ihnen standen.723 719 „Wenn die Geistlichen beider protestantischen Konfessionen sich in eine Synode vereinigen, so wird dies Seiner Majestät dem Könige zum Wohlgefallen gereichen, jedoch sollen sie keineswegs hierzu gezwungen werden.“ 720 Der entsprechende Wortlaut ist: „Um diese Vorbereitungen eines bessern Zustandes der evangelischen Kirche [. . .] zu einem festen und großen Ziel zu führen, wollen des Königs Majestät, daß nach Verlauf von 5 Jahren über die Vorschläge der Kreisund Provinzial-Synode zur Verbesserung des Kirchenwesens eine Generalsynode in Berlin zusammenberufen, und deren Beschlüsse Seiner Majestät vorgelegt werden sollen.“ Kontrollorgan war also der König als Landesherr – von einem obersten Bischof ist keine Rede. 721 Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 327. 722 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 317. 723 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 216.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die Kreissynoden wurden im Laufe des Jahres 1817 durchgeführt, das Innenministerium erarbeitete derweil die Synodalordnung, die ausdrücklich als „für den Kirchenverein beider evangelischen Confessionen im preußischen Staate“ vorgesehen war, sowie die Grundlagen einer Kirchenordnung. 1818 wurden die Provinzialsynoden nochmals angeordnet, gleichzeitig tagten weitere Kreissynoden. 1819 traten schließlich die Provinzialsynoden zusammen, und zwar für die Mark Brandenburg eine in Berlin unter dem Vorsitz des Propstes Ribbeck sowie eine in Frankfurt/Oder unter dem Vorsitz des Generalsuperintendenten Brescius.724 Die Französisch-Reformierten waren jeweils zur Teilnahme eingeladen, zogen es jedoch vor, separate Kreis- und Provinzialsynoden abzuhalten.725 Die Synodalberatungen von 1817 und 1818 ließen eine Tendenz in Richtung einer konsequent presbyterialen Kirchenverfassung erkennen, welche den Einfluß des landesherrlichen Kirchenregiments zurückgedrängt hätte.726 Dies stand in entschiedenem Gegensatz zur Haltung seinerzeit einflußreicher Persönlichkeiten in der Staatsleitung, die hinter dem Streben nach kirchlicher Eigenständigkeit auch aufgrund der deutlichen und überproportionalen Einbeziehung der evangelischen Geistlichkeit ein Wiederaufleben der Hierarchie befürchteten, was aus staatspolitischer Perspektive alles andere als opportun gewesen wäre, und deshalb die territorialistischen Gegebenheiten konsequent verteidigten.727 Auch in der zeitgenössischen Kirchengeschichtsschreibung wurden die konsequent presbyteralen Tendenzen bisweilen kritisch gesehen, wie die Kommentierung von Mühlers zeigt: „In Ansehung der kirchlichen Verfassung aber verließen ihre Anträge den festen geschichtlichen Boden, und faßten eine Bildung 724 Zu den Synoden in Preußen cf. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 218; zu Schlesien cf. den Erlaß des Konsistoriums vom 12. September 1817 und den Bericht über die Synoden von 1817 sowie den Entwurf der Synodalordnung bei Gaß, Synodalangelegenheiten I, S. 289–428, ferner den Erlaß des Konsistoriums vom 24. September 1818, den Entwurf der Kirchenordnung sowie den Bericht über die Synoden von 1817 bei Gaß, Synodalangelegenheiten II, S. 218–400; zu Sachsen cf. die Erlasse des Konsistoriums vom 12. August und 7. Oktober 1817, Amtsblatt Magdeburg 1817, S. 39, 475, ferner den Entwurf der Synodalordnung bei Haupt, Handbuch III, S. 649 f., das Circulare vom 7. August 1818, Haupt, Handbuch III, S. 668 f., sowie die Anleitung zur Kirchenordnung, Haupt, Handbuch II, S. 140 f. Die beiden letztgenannten Aktenstücke sind auch in den Verhandlungen der rheinischen und westfälischen Provinzialsynoden von 1818 und 1819 abgedruckt; s. Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 864 (Anm. 23a), 897 (Anm. 119). 725 s. von Mühler, Geschichte, S. 327 f. 726 s. von Mühler, Geschichte, S. 328; Dove, Synoden I, 162 f. 727 s. etwa die Ausführungen des sächsischen Oberpräsidenten Friedrich von Bülow, Über die gegenwärtigen Verhältnisse des christlichen evangelischen Kirchenwesens in Deutschland, besonders in Beziehung auf den preußischen Staat, insbes. S. 143 f. Das Argument war auch auf den 1817 gehaltenen Kreissynoden bereits laut geworden. Cf. Gaß, Synodalangelegenheiten I, S. 354–356. Im Rheinland und in Westfalen wurde dies aus den dargelegten historischen Gründen natürlich besonders betont. S. insbes. die Verhandlungen der westfälischen Provinzialsynode, Essen 1819 (fol.).

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der Kirche als das zu erstrebende Ideal ins Auge, in welcher das historisch-begründete und in dem Mitbekenntnisse des evangelischen Glaubens wurzelnde Kirchenregiment des Landesherrn nicht richtig gewürdigt war. Die Ernennung der kirchenregimentlichen Behörden sollte nicht mehr von dem Landesherrn ausgehen, sondern es sollten durch Wahlen von unten herauf die Consistorien als Ausschüsse der Provinzialsynoden, das Ministerium als Ausschuß der Generalsynode construirt werden. Sie erstrebten damit ein Verfassungssystem, welches die Kirche nur nothgedrungen da hat annehmen müssen, wo sie, im steten Kampfe mit einer um des Glaubens willen ihr abgeneigten weltlichen Obrigkeit, die Vertheidigung ihrer Selbstständigkeit nicht anders zu führen vermochte, und welches dort, in jenem Zustande des Kampfes seine Nothwendigkeit und zugleich seine Schranke fand. Sie bedachten aber nicht, daß dieses System da nicht das entsprechende sein kann, wo ein evangelischer Landesfürst als Freund und Helfer der Kirche seines Landes zur Seite steht, und das natürliche Verhältniß zwischen beiden nur ein offenes Vertrauen sein kann, nicht eine gegenseitige eifersüchtige Kriegsrüstung.“728 Der Landesherr als Inhaber des Kirchenregiments konnte all diese Bedenken schwerlich ignorieren. Nachdem der König selbst bereits in der Cabinets-Ordre vom 4. Oktober 1821 an die vorbehaltende Generalsynode erinnert hatte, bezeichnete er in der Cabinets-Ordre vom 9. April 1822 die bevorstehende Generalsynode zwar noch als „eine Versammlung der angesehensten evangelischen Geistlichen aus allen Provinzen mit einer angemessenen Anzahl von zweckmäßig ausgewählten Männern weltlichen Standes, von beiden Glaubensbekenntnissen“, doch indizierte der nachfolgende Arbeitsauftrag bereits die Akzentverschiebung von der Frage der Kirchenverfassung hin zur evangelischen Union. Wohl nach dem Vorbild Bayerns und Badens729 bestand die Aufgabe der Generalsynode nämlich in der „Berathung über alle dahin gehörigen, das Heil der evangelischen Kirche betreffenden Gegenstände und vorzüglich [im] Entwurf einer Unionsurkunde.“730 Im übrigen führte der König im Hinblick auf die Generalsynode, für welche der Kultusminister eine durch die Konsistorien, Superintendenten, Ortspfarrer und Presbyter vorab zu beratende Instruktion entwerfen sollte, aus: „Ist die Sache so weit vorbereitet, daß sich klar übersehen läßt, was man in Summa mit Zuversicht erwarten darf, so will Ich die Zusammenberufung einer Generalsynode hier in Berlin genehmigen, und, im guten Vertrauen, zugeben, daß zu deren Abhaltung in jedem Consistorialbezirke durch freie Wahl zwei Geistliche 728

s. von Mühler, Geschichte, S. 328 f. Cf. Lechler, Geschichte der Presbyterialverfassung, S. 274 f. 730 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 217 (Hervorhebung hinzugefügt). Zur Akzentverschiebung cf. auch von Mühler, Geschichte, S. 330, welcher die CabinetsOrdre vom 9. April 1822 als eine „die Förderung der Union bezweckende“ bezeichnet. 729

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

von jeder Confession und ein weltlicher Beamter ernannt werden, die, im Besitze der erforderlichen religiösen Bildung und der gehörigen Geschäftsgewandtheit, das öffentliche Vertrauen haben, und die man in solcher Qualität als Repräsentanten sämmtlicher Gemeinden einer Provinz ansehen kann, so daß sich in allen Deputirten, wenn sie hier versammelt sein werden, die Wünsche und Bedürfnisse der gesammten evangelischen Kirche in meinem ganzen Königreiche eintrachtsvoll kundthun. Die Ernennung zweier Doctoren der Theologie (eines reformirten und lutherischen) von zwei theologischen Facultäten zur Mitberathung bei Abhaltung der General-Synode behalte Ich Mir vor. Dieselbe muß jedoch noch in diesem Jahre zusammentreten, denn Ich will, daß man diese Sache mit Ernst und Eifer betreibe und sie endlich einmal zu Stande bringe.“731 Hierzu kam es jedoch nicht. Nachdem im Kultusministerium bis zum September 1822 zwei unterschiedliche Instruktionen entworfen wurden, von denen nicht bekannt ist, ob sie dem König vorgelegen haben732, wurde der Plan einer Generalsynode bis auf weiteres aufgegeben.733 In der zeitgenössischen Literatur zitierte mündliche Äußerungen führen zur Begründung insbesondere politische Opportunitätserwägungen an: Es habe die Befürchtung bestanden, ein wachsender Einfluß kirchlicher Vertretungen in Synoden könne als Vehikel für die Entwicklung der politischen Repräsentation auf staatlichem Gebiete dienen.734 In der Folgezeit förderte der König das ihm am Herzen liegende Projekt der Union in anderer Weise, und aus den vorstehend beschriebenen Gründen ließ er weder eine Generalsynode berufen, noch setzte er sich für die Pflege des synodalen Instituts überhaupt ein. Die Kreissynoden teilten daher das Schicksal der Presbyterien und wurden in aller Regel nicht mehr abgehalten; an ihre Stelle traten reine Predigerkonferenzen. Solches geschah etwa in der Provinz Preußen, wo allerdings schon ab 1833 – offenbar aufgrund vorgefallener Mißbräuche735 – die Konferenzen nur mit besonderer Erlaubnis des Konsistoriums stattfinden durften; gleichzeitig wurde aber die weitere und zweckentsprechende Abhaltung der Synoden dringend empfohlen.736 1834 wurden die Predigerkonferenzen gänzlich verboten und statt dessen die Abhaltung der Synoden förmlich angeordnet, 731 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 326, sowie von Mühler, Geschichte, S. 331. 732 Ihr Inhalt ging später in das Circulare vom 5. Mai 1830 (von Kamptz, Annalen XIV, S. 328) ein. 733 Zur Wiederherstellung der durch konsistoriale Elemente modifizierten Presbyterial-Synodal-Verfassung im Rheinland und in Westfalen s. supra Kapitel 2, E. IV. 1. Zu einer Generalsynode kam es erst 1846; hierzu sogleich infra. 734 Jacobson, Kirchenrecht, S. 217, 327; von Mühler, Geschichte, S. 332. 735 Cf. die Andeutungen von Tschackert, Art. Schönherr, S. 676 ff. 736 s. das Circulare des Konsistoriums vom 30. August 1833; abgedruckt in: Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Urk.-Nr. CIV.

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die seitdem in der ganzen Provinz wieder jährlich einberufen und durch das Konsistorium geregelt wurden.737 Auch in den anderen Provinzen wurde das drängende Bedürfnis nach einer Vereinigung der Geistlichen spürbar. Mit Genehmigung des Ministeriums wurden daher in der Provinz Posen Predigerkonferenzen eingeführt, und zwar seit 1835 im Regierungsbezirk Bromberg sowie ab 1838 im Regierungsbezirk Posen.738 3. Die Presbyterial-Synodal-Verfassung in den östlichen Provinzen nach 1840 Die letzten Jahre vor Beginn des eigentlichen preußischen Konstitutionalismus waren durch eine Stabilisierung der Situation des evangelischen Kirchenwesens gekennzeichnet. König Friedrich Wilhelm IV. hatte bereits bald nach seinem Regierungsantritt die Belebung der Gemeinden als ein wichtiges Anliegen bezeichnet. So heißt es in einem an die Generalsuperintendenten gerichteten Circulare des Ministers der geistlichen Angelegenheiten Eichhorn vom 10. Juli 1843739: „Des Königs Majestät haben bereits vor längerer Zeit über den ungünstigen Zustand sich zu äußern geruht, in welchem das kirchliche Gemeindewesen [. . .] der evangelischen Landeskirche sich befindet, und zugleich auch zur Einreichung solcher Vorschläge aufgefordert, die geeignet sein möchten, den betreffenden Mängeln und Übelständen abzuhelfen.“ Dies solle vornehmlich „aus eigenem, inneren Leben und Antrieb“ geschehen. Die Lösung der bestehenden Probleme solle nicht „durch die Darreichung von Staatsmitteln und durch eine anordnende Thätigkeit seitens der Kirchenbehörden, als vielmehr von der allgemeinen Anerkennung des Uebels und von der Vereinigung gemeinsamer Kräfte, besonders aber von den Gemeinden ausgehen.“ Dies könne durch die Einführung einer presbyterialen Synodalverfassung erreicht werden: „Die Synoden, wenn auch zur Zeit nur aus geistlichen Mitgliedern bestehend, sind vornehmlich als diejenigen kirchlichen Organe zu betrachten, von welchen die 737 s. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 219; die Circularia vom 20. Mai 1835 und vom 20. Dezember 1837 (Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, Urk.Nr. CIX, CXIX). Cf. auch die anonymen Artikel „Lebenszeichen der altpreußischen Kirche“ (dort insbes. Sp. 212 f.) sowie „Beitrag zur Kenntniß des jetzigen Standes der geistlichen Synoden in der Provinz Preußen“ mit dem dort abgedruckten Circulare des Konsistoriums vom 8. April 1840. Die späteren Generalbescheide des Konsistoriums für die Synoden sind in den beiden zitierten Kirchenzeitungen abgedruckt (etwa Evangelische Kirchenzeitung 1842, Nr. 58, 76; Allgemeine Kirchen-Zeitung 1845, Nr. 139 etc.). 738 Cf. den Bericht bei Hahn, Prediger-Conferenzen in dem Grossherzogthum Posen. Erster Bericht, S. 62 f. 739 Abgedruckt in den Protokollen der 1844 abgehaltenen Provinzialsynoden, Berlin 1845, Fol., sowie bei Richter, Verhandlungen, S. 25 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Vorschläge für eine bessere Gestaltung und Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse zunächst angeregt und entwickelt werden können.“ Mit Zustimmung des Königs wurden daher zunächst die Kreissynoden einberufen, an denen im August 1843 die Zivil- und Militärgeistlichen, geordnet nach Superintendenturbezirken („Ephorien“) und unter dem Vorsitz und der Leitung der Superintendenten („Ephoren“), teilnahmen.740 Die Protokolle der Kreissynoden wurden durch Reskript des zuständigen Ministers vom 21. September 1844 den Generalsuperintendenten der sechs östlichen Provinzen zur Prüfung übermittelt.741 Im November und Dezember 1844 fanden die Provinzialsynoden statt, die – unter dem Vorsitz des jeweiligen Generalsuperintendenten – aus den Superintendenten, einem weiteren gewählten Geistlichen aus jeder Superintendentur, dem Militär-Oberprediger sowie einem Mitglied der betreffenden theologischen Fakultät bestanden. Die – 1845 gedruckt veröffentlichten – Protokolle der Provinzialsynoden742 geben ein beredtes Zeugnis von dem Bemühen, eine Kirchenverfassung zu schaffen, die einerseits die Selbständigkeit der Kirche garantierte und den Gemeinden die ihnen gebührende Mitwirkung an den kirchlichen Angelegenheiten gewährte, andererseits aber die Rechte des Staats und des evangelischen Landesherrn unverkürzt erhielt. Die überwiegende Mehrzahl der Vorschläge sah daher die Einführung einer mit konsistorialen Elementen kombinierten presbyterial-synodalen Organisation nach dem Vorbild Rheinland-Westfalens vor, die je nach den Erfordernissen der einzelnen Provinzen modifiziert werden sollte.743 Anders als noch 1819 setzte sich also die Erkenntnis durch, daß weder eine reine Konsistorialverfassung noch eine reine Synodalverfassung den Interessen der Kirche gerecht würden. Zu Recht weist von Mühler darauf hin, daß eine reine Konsistorialverfassung „das Leben der Kirche in den beschränkteren Kreis einer kirchenregimentlichen Behörde“ gedrängt hätte, während eine reine Synodalverfassung „der helfenden Kraft des durch gleichen Glauben der Kirche verbundenen Landesherrn entrathen“ hätte. Darüber hinaus betont er, die Provinzialsynoden hätten nicht die bestehende Ordnung zerstören und durch eine völlig neue ersetzen, sondern – ausgehend vom historisch Gewachsenen – eine Rückbesinnung auf das eigentliche Wesen der Konsistorialverfassung vorgenommen und mit dem Antrag auf Gründung breiterer synodaler Einrichtungen verbunden. In dieser Kompromißhaltung erblickt von Mühler „ein besonneneres Verständnis der kirchlichen Verfassung“ und daher einen Fortschritt gegenüber 740 s. die Zusammenstellung der gutachtlichen Anträge und Vorschläge aus den Verhandlungen der Kreissynoden in den Protokollen der Provinzialsynode, S. XII f. 741 Protokolle der Provinzialsynode, S. IX f. 742 s. bereits die vorigen Anmerkungen. 743 Cf. die kursorische Übersicht der Verhandlungen der Provinzialsynoden zu dieser Frage in den Verhandlungen der Generalsynode II, S. 106 f.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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dem in früheren Synodalbeschlüssen vertretenen Standpunkt.744 Richtig ist jedenfalls, daß jede andere als die vorgeschlagene Lösung nicht genehmigungsfähig und damit unrealistisch gewesen wäre. Neben den kirchlichen Institutionen engagierten sich nun zunehmend auch weltliche Kreise für die Presbyterial-Synodal-Verfassung. Die Provinzial-Landtage von Preußen, Sachsen und Schlesien wandten sich mit der Bitte an den König, eine Landessynode (Generalsynode) einzuberufen, an welcher auch Laien teilnehmen sollten. Diese Bitte wurde abschlägig beschieden, da der König „Anträge über Gestaltung und Verfassung der evangelischen Kirche nur von den kirchlichen Organen“ entgegennehmen wollte. Überdies sei den Provinzialständen die Beratung von Angelegenheiten der evangelischen Kirche versagt, da die ständischen Versammlungen nicht ausschließlich mit Mitgliedern der evangelischen Konfession, sondern vielmehr ohne Rücksicht auf die Bekenntnisse zusammengesetzt seien.745 Ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der personellen Besetzung war die Entscheidung zur Einberufung einer Landessynode jedoch gefallen; einer Cabinets-Ordre vom 20. März 1846 folgte am 7. Mai 1846 der entsprechende Erlaß des Ministers der geistlichen Angelegenheiten. Dort hieß es unter anderem: „Der Gang dieser Entwickelung ist in diesem Weg so weit fortgeschritten, daß gegenwärtig die Berufung einer allgemeinen Landessynode als den Schluß sich herausstellt, durch welchen die aus den untern kirchlichen Kreisen heraufgestiegene Berathung in ein Resultat zusammengefaßt, und der Weisheit des obersten Schutz- und Schirmherrn der Kirche anheimgestellt werden kann. Des Königs Majestät haben bereits bei verschiedenen Gelegenheiten, und zuletzt in den Landtagsabschieden des vorigen Jahres, dies Ihre Allerhöchste Intention auszusprechen geruht. Gegenwärtig ist die definitive Allerhöchste Entscheidung erfolgt, und der Zusammentritt einer evangelischen Generalsynode für die ganze Monarchie wird unter dem Vorsitze des Ministers der geistlichen Angelegenheiten zu Pfingsten dieses Jahres in der Hauptstadt des Landes stattfinden.“746 Teilnehmer der Generalsynode, die vom 2. Juni bis zum 19. August 1846 stattfand, waren gemäß dem ministeriellen Erlaß die Generalsuperintendenten, der Vize-Generalsuperintendent der Rheinprovinz und der stellvertretende Generalsuperintendent der Markgrafschaft Niederlausitz, außerdem Bischof Eylert, die vier Hof- und Domprediger, der Feldpropst, die Assessoren und Schriftfüh744

s. von Mühler, Geschichte, S. 370 f. Neunter Landtagsabschied vom 27. Dezember 1845 für Preußen, II, S. 6; Sachsen, II, S. 7; Schlesien, II, S. 6; in der Preußischen Allgemeinen Zeitung 1845, Nr. 362, sowie in der Preußischen Allgemeinen Zeitung 1846, Nr. 1, 5. 746 Zitiert nach den Verhandlungen der Generalsynode I, S. 1 f.; Richter, Verhandlungen, S. 30 f. 745

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

rer der letzten Provinzialsynoden der östlichen Provinzen, die Präsides und Assessoren der rheinischen und der westfälischen Provinzialsynoden sowie je ein Professor der Theologie von den sechs Landesuniversitäten als geistliche Mitglieder, ferner – als weltliche Mitglieder – die Präsidenten der Provinzialkonsistorien, sechs evangelische Professoren des Rechts und drei gewählte Laienmitglieder aus jeder Provinz. Insgesamt nahmen also – mit Einschluß des präsidierenden Ministers747 76 Synodalen an der Versammlung teil, je zur Hälfte geistliche und weltliche Mitglieder. Von einer nach dem Verständnis der presbyterial-synodalen Kirchenverfassung repräsentativen Vertretung der Landeskirche wird man bei dieser Zusammensetzung nicht sprechen können; dies dürfte allerdings auch unter den damals obwaltenden Verhältnissen schwerlich möglich gewesen sein.748 Für die sachliche Arbeit war diese Zusammensetzung jedoch nicht unzweckmäßig, so daß die diesbezügliche Äußerung des Kultusministers in dem erwähnten Reskript vom 7. Mai 1846 Zustimmung verdient: „Durch diese Zusammensetzung werden die Elemente der kirchenregimentlichen Erfahrung, der mit der evangelischen Kirche in Deutschland stets innig verbundenen Wissenschaft und der unmittelbaren Anschauung der Gemeindeverhältnisse, sowohl von geistlicher, als auch von weltlicher Seite, zu den Berathungen der Generalsynode herangebracht werden, um aus deren Vereinigung ein reifes Urtheil über die Bedürfnisse der evangelischen Landeskirche nach allen Seiten hin zu gewinnen.“749 Die Generalsynode widmete sich auf 16 der insgesamt 56 Sitzungen Fragen der Kirchenverfassung und gelangte im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie zuvor die Mehrheit der Provinzialsynoden.750 Dabei befürwortete sie die Gründung eines vom Kultusministerium unabhängigen Oberkonsistoriums sowie die möglichst zeitnahe Einführung einer neuen kirchlichen Gemeindeverfassung.751 Ersteres wurde, wie bereits erwähnt, zwar am 20. Januar 1848 eingerichtet, jedoch schon am 15. April 1848 aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen politischen Veränderungen wieder aufgehoben.752 Ferner verabschiedete die Generalsynode im Rahmen ihrer kirchenverfassungsrechtlichen Erwägungen den Entwurf einer Ordnung für die Provinzialsynoden.753 Diesen sollten zum einen der Generalsuperintendent der Provinz, die 747 Der Vorsitz war auf die formelle Leitung beschränkt; die Synode hatte einen Vizepräsidenten zu wählen. Jacobson, Kirchenrecht, S. 327. 748 So auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 327. 749 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 327 f. 750 s. nur den amtlichen Abdruck der Verhandlungen und Beschlüsse der Synoden I, S. 361 ff.; II, 103 f., sowie Richter, Einleitung, S. 469 f. 751 Verhandlungen der Generalsynode I, S. 591, 607. 752 s. bereits supra Kapitel 2, E. II. 3. 753 Verhandlungen der Generalsynode I, S. 552 f.; II, S. 132; Richter, Verhandlungen, S. 558–560.

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Superintendenten, der Militär-Oberprediger, aus jeder Kreissynode ein gewählter Geistlicher und ein Ältester sowie je ein Direktor eines theologischen Seminars, Schulseminars und Gymnasiums angehören. In den Provinzen, die eine Universität besaßen, kamen je ein Professor der theologischen und der juristischen Fakultät hinzu, in den Provinzen ohne Universität berief das Kirchenregiment Professoren aus anderen Provinzen.754 Darüber hinaus sollte ein königlicher Kommissar – wohl mit Sitz und Stimme – an der Synode teilnehmen, um die Rechte des Landesherrn wahrzunehmen; gleiches sollte für die Mitglieder des Konsistoriums gelten, die aber nur beratendes Stimmrecht besaßen.755 Den Vorsitz führte der Generalsuperintendent, der vom König nach Anhörung der Synode auf Lebenszeit ernannt werden sollte. Sein Stellvertreter (Assessor) und der Schriftführer sollten von der Synode gewählt werden.756 Zu den Aufgaben der Provinzialsynode sollten neben der gutachtlichen Beratung der Kirchenbehörden die allgemeine Überwachung von Lehre, Kultus und Disziplin, die Mitwirkung an der Prüfung der Kandidaten – durch Abgeordnete mit Stimmrecht – sowie die Mitwirkung bei Disziplinarverfahren gegen Geistliche in Lehrangelegenheiten zählen; bei der letztgenannten Aufgabe sollte die Synode ebenso viele Mitglieder in den Spruchkörper entsenden wie das Konsistorium. Die Beschlüsse der Synoden sollten zu ihrer Gültigkeit der Bestätigung durch die landesherrlichen Behörden bedürfen.757 Ferner schlug die Generalsynode eine – in der Folgezeit alle neun Jahre oder aus besonderem Anlaß einzuberufende – Landessynode vor, welcher die Präsidenten der Konsistorien, die Generalsuperintendenten und ihre Stellvertreter sowie der Feldpropst, nach Maßgabe königlicher Entscheidung die vier Hofprediger, je drei geistliche und weltliche von den Provinzialsynoden aus ihrer Mitte zu wählende Mitglieder, sowie je ein Mitglied der theologischen und juristischen Fakultäten sämtlicher Universitäten des Landes angehören sollten. Den Vorsitzenden sollte der König innerhalb oder außerhalb der Synode frei ernennen, die Synode selbst sollte den Vizepräsidenten und die Schriftführer wählen. Die Landessynode sollte für die oberste Kirchenbehörde – das zu bestellende Oberkonsistorium – gutachtlich tätig sein und im übrigen in kirchlichen Angelegenheiten Beschlüsse fassen können, die jedoch ebenfalls erst durch die königliche Bestätigung die Kraft kirchlicher Anhörungen erhielten. Andererseits sollten Änderungen in den „Fundamenten“ der Landeskirche – ausdrücklich genannt werden „Lehre, Liturgie und Verfassung“ – nicht ohne Zustimmung der Landessynode möglich sein.758 754

§ 22 des Entwurfs. § 24 des Entwurfs. 756 § 23 des Entwurfs. 757 § 26 des Entwurfs. 758 Siehe im einzelnen die Verhandlungen der Generalsynode I, S. 587 f.; II, S. 133; Richter, Verhandlungen, S. 545 f., 561. 755

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die weiteren Bemühungen, der evangelischen Landeskirche durch eine vom landesherrlichen Kirchenregiment selbständige gewählte konstituierende Landessynode zur Unabhängigkeit zu verhelfen, vollzogen sich unter dem Einfluß und der Geltung der Verfassungs-Urkunde vom 5. Dezember 1848, liegen also außerhalb des für die vorliegende Untersuchung maßgeblichen Zeitraums.759 Hier zeigt sich, daß für die Staatspraxis die territorialistische Sichtweise des evangelischen Kirchenwesens nach wie vor die prägende war. Es ist bezeichnend, daß es – ungeachtet der die prinzipielle Autonomie der Gemeinden betonenden Äußerungen des Königs und seiner Minister – doch immer wieder auf die Vorgaben von höchster Stelle ankam. Nur dann waren die Entscheidungen, wie der zitierte Erlaß beweist, wirklich „definitiv“. Daß die Generalsynode, die ja auf ausdrücklichen Wunsch der Obrigkeit wenn nicht ausschließlich, so doch ganz überwiegend mit Geistlichen besetzt werden sollte, unter der Leitung des Kultusministers stand, unterstreicht den nach wie vor unbestrittenen Primat des Staates und schmälert die Glaubwürdigkeit der die Selbständigkeit des Kirchenwesens befürwortenden Äußerungen. Ob unter diesen Gesichtspunkten der romantisierenden Wendung von der „Weisheit des obersten Schutz- und Schirmherrn der Kirche“760 beigepflichtet werden kann, ist durchaus fraglich. Offensichtlich sollte, wann immer es darauf ankam, mit hergebrachten, aber doch im Laufe der Zeit sinnentleerten Floskeln das landesherrliche Kirchenregiment in seiner traditionellen Funktion und mit seinem überkommenen Zuschnitt761 aufrecht erhalten werden, obwohl es vor dem Hintergrund seiner wechselvollen und zum Teil fragwürdigen Geschichte und mit Blick auf die in jüngerer und jüngster Vergangenheit aufgetretenen Probleme als Anachronismus hätte erkannt werden müssen. Hierfür spricht auch, daß selbst bei der Generalsynode von 1846 die Schaffung einer Kirchenverfassung, bei der sich die Kirche vom Staat lösen oder sich auch nur die synodalen Strukturen von den landesherrlichen Behörden hätten emanzipieren können, nicht möglich war: Die weitgehend lückenlose Kontrolle sämtlichen kirchlichen Handelns durch die landesherrliche Obrigkeit – sei es durch Kommissare, sei es durch Behörden – war stets gewährleistet. Freilich 759 Nachweise über Bestrebungen für die konstituierende Landessynode einerseits und die Begründung des evangelischen Oberkirchenrats anderseits bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 113, Anm. 3 f., S. 164, Anm. 19 f. 760 Formulierung aus dem Ministerialerlaß vom 7. Mai 1846 (soeben supra). 761 Das landesherrliche Kirchenregiment wäre keineswegs vollständig abgeschafft oder auf eine rein zeremonielle Funktion beschränkt worden; gleichwohl wäre der Umfang der Rechte und Kompetenzen des Landesherrn geschmälert worden. Die Befürworter des landesherrlichen Kirchenregiments auf der Generalsynode von 1846 waren der Ansicht, daß dieses mit den synodalen Elementen solchermaßen verbunden werden müsse, daß es durch sie ergänzt und unterstützt, nicht aber geschwächt werde. Dies sei bei einer unverbundenen Gegenüberstellung von Kirchenregiment und Synoden zu befürchten. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 335 mit Anm. 11.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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ist diese unerbittliche Haltung auch im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen jener Zeit, insbesondere mit dem immer mehr an Bedeutung gewinnenden Konstitutionalismus zu sehen. Offensichtlich bestand in der Staatsleitung die Befürchtung, das Kirchenwesen könne gleichsam als Vehikel für revolutionäre politische Ideen genutzt werden.762 Allein die Tatsache, daß künftige Änderungen der landesweiten Kirchenverfassung nunmehr unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Landessynode stehen sollten, kann noch als innovativ gesehen werden, und mag der auf kirchliche Belange stärker Rücksicht nehmenden und insgesamt zurückhaltenderen Auffassung Friedrich Wilhelms IV. von der Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments763 geschuldet sein. Zustimmung verdient daher die Einschätzung von Mühlers: „Die größeren Kreise einer synodalen Berathung sollen befruchtend und belebend auf die Kirche und das in ihr waltende Kirchenregiment wirken.“764 Es hat den Anschein, als hätte die Staatsleitung – spät und erst unter dem Eindruck der Ereignisse der jüngeren und älteren Vergangenheit765, aber vielleicht noch nicht zu spät – eingesehen, daß die Kirchenpolitik nicht nur die kirchlichen Verhältnisse nicht ignorieren durfte, sondern daß vielmehr die Initiative zur Kirchenpolitik von der Kirche und von den spezifisch kirchlichen Gremien (hier: den Synoden) und gerade nicht allein vom Landesherrn als dem formalen Kirchenoberhaupt und von den landesherrlichen Behörden ausgehen mußte. Andererseits läßt die weitere Entwicklung766 erkennen, daß diese Innovation – wenn man sie als solche bezeichnen will – bestenfalls halbherzig war. Insgesamt ergibt sich, auch mit Blick auf die zur Zeit der konstitutionellen Monarchie noch vorgetragenen Argumente767, der Eindruck, daß sich die Obrigkeit – weniger aus religiösen, sondern vielmehr aus innenpolitischen Motiven, oder auch der Bewahrung der Tradition halber – nicht von ihrer angestammten kirchlichen Funktion und vom landesherrlichen Kirchenregiment in seinem tra762 Diese Befürchtung bestand auch während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II., wie die Auseinandersetzung um die Zensurkompetenzen der Immediat-Examinations-Kommission zeigt. 763 Daß Friedrich Wilhelm IV. das landesherrliche Kirchenregiment eher als Bürde denn als Auszeichnung empfand, ist durch eigene Äußerungen des Monarchen belegt. 764 So von Mühler, Geschichte, S. 363. 765 Zu diesen s. sogleich infra (VII.) sowie den Zweiten Teil dieser Arbeit. 766 Die Landessynoden wurden bis auf weiteres gar nicht erst einberufen; selbst unter der Geltung der Verfassung kam es, trotz wiederholter Beteuerungen des Königs und seines Nachfolgers, aufgrund vielfacher, wenngleich letztlich nicht stichhaltiger, Bedenken nicht dazu. Näher zum Ganzen Jacobson, Kirchenrecht, S. 328. 767 s. etwa Hengstenberg, Zur Synodalfrage, Sp. 583, der – im Anschluß an Mejer, Die Grundlagen des lutherischen Kirchenregimentes – einen „unauflöslichen Widerspruch zwischen Synodalverfassung nach heutigem Zuschnitt und zwischen landeskirchlichem Regiment“ sieht.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

dierten Zuschnitt trennen wollte. Freilich wurde der preußische Monarch in der Verfassung der Landeskirche auf diese Weise zu einem bald nostalgisch, bald anachronistisch anmutendem Element. V. Die Kirchenverfassung der Französisch-Reformierten Neben den bereits erwähnten teils konsistorial, teils synodal oder in Mischformen organisierten Kirchenwesen der Lutheraner und Deutsch-Reformierten zählten auch die sogenannten Französisch-Reformierten auf durchaus eigentümliche Weise zur evangelischen Landeskirche Preußens. Um ein vollständiges Bild des evangelischen Kirchenwesens in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert zu erhalten, ist auch auf diese Gemeinden einzugehen. 1. Die Entstehung der französisch-reformierten Gemeinden Die aus Frankreich stammenden reformierten Christen („Hugenotten“), die sich nicht auf die Augsburger Konfession, sondern auf die Confessio Gallicana von 1559 beriefen und als Verfassung die Discipline ecclésiastique verwendeten768, hatten infolge der Aufhebung des Edikts von Nantes zu Fontainebleau am 22. Oktober 1685 Frankreich verlassen müssen und binnen kurzem in Brandenburg Zuflucht gefunden, wo sie schon aufgrund eines Patentes von Kurfürst Georg Wilhelm vom 13. März 1639 geduldet waren.769 Tatsächlich erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm bereits am 29. Oktober 1685 – eine Woche nach dem Edikt von Fontainebleau – ein eigenes Edikt, durch das er den französischen Reformierten die Freiheit einräumte, ihren Glauben nach ihren hergebrachten Bräuchen und liturgischen Zeremonien auszuüben (Kultusfreiheit) und auch in bürgerlicher und sozialer Hinsicht ihrer Tradition gemäß zu leben.770 Dieses Recht stand, wie der Erlaß vom 7. Dezember 1689 klarstellte, unter dem Vorbehalt der Rechte der Magistrate sowie des Landesherrn. Letzteres war dadurch gesichert, daß Entscheidungen der französisch-reformierten consistoires von den unter der Direktion des kurfürstlichen reformierten Staatsministers sowie des Landesherrn stehenden Kommissarien überprüft werden konnten.771 Streitigkeiten innerhalb der französisch-reformierten Gemeinde, welche die 768

Ausführlich zur Bekenntnisgeschichte Jacobson, Kirchenrecht, S. 209 f. m. N. Cf. Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 392, 393. 770 Das „Edict, betreffend diejenige Rechte, Privilegia und andere Wohlthaten, welche Se. Churfürstl. Durchl. zu Brandenburg, etc denen Evangelisch Reformirten Frantzösischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden, wegen der Jurisdiction und sonst, daselbst zu verstatten, gnädigst entschlossen seyn“ vom 29. Oktober 1685 ist abgedruckt bei Mylius, CCM II/1, Sp. 183–188 (deutsch), VI Anhang, Sp. 43–48 (französisch). 771 Mylius, CCM VI Anhang, Sp. 71–74. 769

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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bischöfliche Autorität des Kurfürsten und die Disziplin beeinträchtigen konnten (au préjudice de l’authorité Episcopale du S. S. E. et du bon ordre establi par la Discipline Ecclésiastique Françoise), wurden in der Folgezeit von der am 4. Mai 1694 eingesetzten Commission ecclésiastique entschieden772; dieses Gremium bestand aus einem Mitglied des Geheimen Rates, einem deutschen Konsistorialrat sowie den zwei ältesten französisch-reformierten Geistlichen von Berlin.773 Die Ausübung der zum landesherrlichen Kirchenregiment zählenden Befugnisse – „Sr. Churfürstl. Durchl. hohe Jura Episcopalia, und was darvon dependiret“ – war größtenteils dem zuständigen Staatsminister übertragen.774 Durch Patent vom 26. Juli 1701775 zu einem französischen Oberkonsistorium erhoben, entschied dieses Tribunal Ecclésiastique sur les Colonies Françoises abschließend in allen Kirchen- und Konsistorialangelegenheiten, die sich nicht der König selbst vorbehalten hatte.776 Zu konstatieren ist also eine deutliche Modifikation der ursprünglich reinen Presbyterial-Synodal-Verfassung der Hugenotten: Das konsistoriale Element des landesherrlichen Episkopats wurde der Kirchenverfassung hinzugefügt; das Oberkonsistorium trat an die Stelle der früheren Synode.777 Zugleich wurden in 772

Mylius, CCM I/1, Sp. 417 f. (deutsch), VI Anhang, Sp. 117 f. (französisch). Hierbei handelte es sich um den „würckl. Geheimbten Rath, den von Spanheim“, der bereits zuvor die Inspektion über die französischen Kolonien ausgeübt hatte und daher als sachkundig galt, den „Consistorial Rath Neuhausen“ sowie „die beyde älteste Frantzösische Prediger alhier, Ern Bancelin, und Ern Gauthier“ (so das Errichtungsdekret, s. vorhergehende Fn.). 774 Gemeint sind hier also die Befugnisse des Kirchenregiments i. e. S. Zuständiger Minister war zunächst der im Errichtungsdekret namentlich benannte „würckl. Geheimte Rath[]“ Paul von Fuchs. 775 Mylius, CCM I/1, Sp. 423 f. Ausweislich des Patentes sollte die französische Commission Ecclésiastique „auff den Fuß des teutschen Consistorii gesetzt werden“. Zu Recht betonte das Patent im übrigen den gerichtlichen Charakter des französischen Oberkonsistoriums („das höchste Forum ecclesiasticum und consistoriale“). Cf. insoweit bereits die „Allgemeine Verordnung wegen der Unter- und Ober-Gerichte der Frantzösischen Nation in allen Provintzien“ vom 19. Juni 1690, Mylius, CCM II/1, Sp. 193–196, das „Edict, wenn Revisio Actorum beym Frantzösischen Ober-Gerichte in Berlin statt haben soll, und wie sonst darinnen zu verfahren“ vom 18. Oktober 1692, Mylius, CCM II/1, Sp. 199 f., die „Process-Ordnung, wie bey allen von Sr. Churfürstl. Durchl. in Dero Landen bestellten Frantzösischen Gerichten procediret und verfahren werden soll“ vom 14. April 1699, Mylius, CCM II/1, Sp. 275–334, sowie später die „Verordnung, wie in Revisionis Instantia in Frantzösischen Processen verfahren werden soll“ vom 9. Dezember 1701, Mylius, CCM II/1, Sp. 335–340, und die „Allergnädigste Resolution, in puncto jurisdictionis zwischen den Teutschen und Frantzösischen Gerichten“ vom 3. Januar 1702, Mylius, CCM II/1, Sp. 339–342). 776 Dies galt insbesondere für Streitigkeiten über Glaubenssätze (contestations sur la réligion et les matières de foi). Cf. auch das Reglement vom 13. November 1736; Mylius, CCM VI Anhang, Sp. 617–624, Art. 1: „sauf Nos droits Episcopaux“. 777 Cf. Art. 8 des Reglements von 1736: „Notre Consistoire Superieur François, qui par plusieurs raisons, tient par rapport aux Églises Françoises de Nos États, la place des Synodes.“ 773

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

den einzelnen Provinzen Inspektoren berufen, die jedoch dem Geiste der Discipline entsprechend keinen weiteren Vorrang genießen sollten.778 Es zeigt sich, daß der preußische König bei der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments auf die in der ursprünglichen Verfassung der Hugenotten keine Entsprechung findende Idee des ius episcopale nicht verzichten wollte; die traditionellen kirchenaufsichtlichen Einrichtungen der Französisch-Reformierten wurden einfach soweit verdrängt, wie es die volle Anerkennung des landesherrlichen Kirchenregiments forderte.779 Allein die presbyteriale Gemeindenordnung mit den lokalen consistoires blieb im wesentlichen unverändert; das Bekenntnis (Confession de foi) und das Verfassungsdokument (Discipline) blieben in Geltung.780 2. Die Gemeindeordnung der Französisch-Reformierten im 18. und 19. Jahrhundert In den Gemeinden der Hugenotten existierten Consistoires (Konsistorien, Presbyterien), welchen die Pasteurs (Prediger) und Anciens (Ältesten) angehörten; die Geistlichen führten den Vorsitz. Von den mit den Predigern zur Aufsicht der Kirchenordnung und zum Kirchenregiment berufenen Ältesten781 waren die Diacres (Diakone) zu unterscheiden, die in der Armen- und Krankenpflege tätig waren782 und keine ordentlichen Mitglieder des Konsistoriums waren, jedoch nach Bedarf hinzugezogen werden konnten.783 Sowohl die Diakone als auch die Ältesten wurden zunächst durch Urwahl der Prediger und der stimmberechtigten Gemeindemitglieder bestimmt, später ging die Wahl auf das Konsistorium über. Ihrer ursprünglichen Einrichtung gemäß haben also die Französisch-Reformierten stets die presbyteriale Ordnung ihres Kirchenwesens nach den Bestimmungen der Discipline ecclésiastique aufrecht erhalten können.

778

s. die Instruction vom 23. Februar 1737 bei Mylius, CCM VI Anhang, Sp. 627–

632. 779

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 208 ff., insbes. 215 ff. m. N. Näher dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 211 m. N. 781 Zu ihren Aufgaben s. im einzelnen Jacobson, Reformierte, S. 330 f. 782 s. im einzelnen Jacobson, Reformierte, S. 331. 783 Die Möglichkeit der Hinzuziehung aus sachlichen Gründen bestand auch für sonstige Gemeindemitglieder, die nicht Älteste waren. Cf. die Kapitel III und IV der Discipline ecclésiastique. 780

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

273

VI. Das Militärkirchenwesen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts 1. Das evangelische Militärkirchenwesen Unter Friedrich Wilhelm III. wurden zunächst die Modifikationen rückgängig gemacht, welche die letzten Jahre der Vorgängerregierung geprägt hatten, insbesondere die Unklarheiten, zu denen die Mitwirkung der Immediat-Examinations-Kommission geführt hatte. Außerdem wurde bereits im ersten Jahr der neuen Regierung innerhalb des Justizministeriums ein eigenes Militär-Justizdepartement geschaffen784, das vom Geistlichen Departement die Aufsicht über das Kriegskonsistorium übernahm. Die Trennung von Zivil- und Militärkirche fand damit auf Ministerialebene eine konsequente Entsprechung, was den spezifisch staatlichen Charakter des Militärkirchenwesens zusätzlich betonte. Die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verschiedentlich gemachten Vorschläge zur Abschaffung der Feldprediger und des Militärkirchenwesens überhaupt fanden beim König und den zuständigen Beamten keine Beachtung785; der König brachte sogar seine Wertschätzung für die Feldprediger öffentlich zum Ausdruck.786 Allerdings wurde die Zahl der Feldprediger im Zuge der Verkleinerung des preußischen Heeres infolge des Tilsiter Friedens (7. Juli 1807) sowie der Pariser Konvention (8. September 1808) deutlich reduziert. Darufhin wurde erneut die Abschaffung des Feldpredigeramts zumindest für Friedenszeiten gefordert; dies lehnte der König im April 1809 ab.787

784

Patent vom 23. Oktober 1798; NCC X, Sp. 1781 ff. Im Jahre 1799 erschienen mehrere anonyme Artikel in den „Jahrbüchern der preußischen Monarchie“, nämlich „Etwas über die Vereinigung der Garnison- und Bürgerschulen“, „Auch ein Wort über die Verbesserung der Land- Bürger- und Garnisonschulen“, „Über die Vereinigung der Bürger- und Soldatenschulen“, „Meine Gedanken über den Aufsatz: Auch ein Wort über die Verbesserung der Land- Bürger- und Garnisonschulen“. Die ostpreußischen Feldprediger verwahrten sich gegen die in dem erstgenannten Aufsatz enthaltene Kritik in einer 1799 im „Anzeiger“ der Preußischen Jahrbücher veröffentlichten Ehrenerklärung (abgedruckt bei Schild, Feldprediger II, S. 246). Außerdem plädierte der Oberst von Diericke („Feldprediger-Beruf“) in derselben Publikation für die Beibehaltung des Feldpredigeramtes. Wenig später erschien die wiederum kritische Schrift Heinrich Knoblauchs, Über die sittliche und wissenschaftliche Bildung der jungen Edelleute, welche dem Militär sich widmen. Diese Schrift war dem König gewidmet; der Autor plädierte dafür, die Feldprediger sowohl für Friedensals auch für Kriegszeiten abzuschaffen. Ausführlich zum Ganzen Langhäuser, MilitärKirchenwesen, S. 71; Schild, Feldprediger II, S. 244 ff. 786 So etwa im Falle der „Circular-Verordnung Sr. Königl. Majestät von Preußen an Allerhöchstdero sämmtliche Regimenter und Bataillons, den Unterricht in den Garnisonschulen betreffend“ (abgedruckt in: Jahrbücher der preußischen Monarchie, Jahrgang 1799, Band 3, S. 161. Indem der König den Zustand der Schulen lobte, zollte er gleichzeitig den Feldpredigern Anerkennung, welche die Schulen zu beaufsichtigen hatten. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 247. 787 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 72 f. 785

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die Reorganisation des Staatswesens und Neuordnung der obersten Behörden des Staates, bei der eine Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht beim Departement des Inneren eingerichtet wurde, führte zur Auflösung des Kriegskonsistoriums und zur Abschaffung des Amtes des Feldpropstes in Friedenszeiten.788 Ihre Befugnisse wurden von den zivilen (staats-)kirchlichen Institutionen, d. h. vom Kultusdepartement, den geistlichen Deputationen der Provinzialregierungen sowie den Zivilsuperintendenten und -konsistorien übernommen. Die Militärverwaltungsbehörden blieben nur für äußere Angelegenheiten militärtechnischen Charakters zuständig. Außerdem wurde nicht mehr für jedes Regiment ein Feldprediger berufen, sondern nur für jede Brigade.789 Diese neue Verfassung des Militärkirchenwesens, die ein weitgehendes Aufgehen der Militärkirche in der zivilen Landeskirche bedeutete, erfuhr 1811 in einem neuen Militär-Kirchen-Reglement 790 eine systematische Regelung.791 Die Zuständigkeit für die Ernennung der Militärgeistlichen wurde den geistlichen und Schul-Deputationen der Provinzialregierungen übertragen, das ius vocandi der Regimentschefs aufgehoben. Die wissenschaftlichen Deputationen der Provinzialregierungen führten die Prüfungen der Kandidaten durch, die geistlichen Deputationen fertigten die Vokationsurkunden aus. Allein die Ernennung des Feldpredigers bei der Garde erfolgte mit besonderer königlicher Genehmigung durch das Departement für den Kultus. Die Amtseinführung der Militärprediger erfolgte in der Regel durch den Superintendenten in Anwesenheit eines weltlichen Commissarius. Die Superintendenten reichten die Conduitenlisten und Musterpredigten bei den Provinzialregierungen ein.792 Die „normative Kraft des Faktischen“ zeigte sich in diesem Zusammenhang insoweit, als trotz der ausdrücklichen Abschaffung der besonderen Amtstracht der Militärgeistlichen im Militär-Kirchen-Reglement das traditionell verwendete blaue Beffchen von zahlreichen Militärgeistlichen weiter verwendet wurde.793

788 Allerdings behielt der Feldprediger der Garde, der während eines Feldzuges das Amt des Feldpropstes bekleidet und den entsprechenden Titel geführt hatte, die Dienstbezeichnung auch in Friedenszeiten bei, so etwa – nach den Befreiungskriegen – der Feldpropst Offelsmeyer. Näher dazu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 79; Schild, Feldprediger II, S. 251 f. Für den Feldpropst wurde am 17. April 1813 eine eigene, vom Allgemeinen Krieges-Departement ausgefertigte Instruktion erlassen. Abgedruckt bei Ribbentrop, Sammlung von Vorschriften, S. 357. Biographische Angaben zu Offelsmeyer, der am Tag der Union (31. Oktober 1817) beim Gottesdienst in der Potsdamer Hof- und Garnisonspredigt die Predigt hielt, und seinen Nachfolgern finden sich bei Schild, Feldprediger II, S. 267 ff. 789 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 73 f. 790 Königlich Preußisches Militair-Kirchen-Reglement vom 28. März 1811, Gesetzes-Sammlung S. 170. 791 Ausführlich zum Inhalt Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 74 ff. 792 Ausführlich zum Ganzen Schild, Feldprediger II, S. 252 f. 793 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 76.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Von 1813 an kam es zur – bereits durch eine Kabinettsorder vom 9. Februar 1797 empfohlenen – Verschmelzung der Regiments- und Garnisonsschulen mit den Bürgerschulen.794 Nachdem sich die Größe des preußischen Heeres nach den Befreiungskriegen (1813–15) wieder verdreifacht hatte, wurde die wenige Jahre zuvor eingerichtete, auf kleinere militärische Verhältnisse zugeschnittene Ordnung des Militärkirchenwesens bereits als nicht sachgerecht empfunden. Zu einer Revision des Militär-Kirchen-Reglements kam es jedoch zunächst nicht. Statt dessen wurde im Januar 1817 eine „Nähere Anweisung zur äußeren Anordnung des Gottesdienstes bei der Armee, wie solche nach den Äußerungen Sr. Königl. Majestät entworfen worden ist“ veröffentlicht, die auf der 1816 vom König selbst zum Gebrauch in den Hof- und Garnisonskirchen zu Berlin und Potsdam entworfenen Liturgie basierte. Auf den Entwurf von 1817 folgten 1819 eine weitere provisorische Agende sowie zu Weihnachten 1821 die Kirchenagende für die königlich preußische Armee.795 Dies erscheint aus kompetenzrechtlicher Perspektive nicht so unbedenklich wie in den Zeiten, als das Militärkirchenwesen einen mehr oder minder autonomen Bereich neben der zivilen Landeskirche bildete. Damals war klar, daß der König bei der Regelung des Militärgottesdienstes nicht als summus episcopus sein ius liturgicum ausübte, sondern als Landesherr einen bestimmten Bereich einer als staatlich verstandenen Einrichtung einer – in diesem Sinne weltlichen – Regelung unterwarf. Vermutlich haben der König und seine Minister an dieser Sichtweise trotz der organistorischen Vermischung von Militär- und Zivilkirche festgehalten. Insgesamt erscheint die verbindliche Festlegung einer Militäragende durch den König weniger problematisch als entsprechende Maßnahmen für den Zivilgottesdienst, wo sich die Frage des consensus ecclesiae796 in weitaus stärkerem Maße stellte. Die besondere Sorgfalt Friedrich Wilhelms III. galt der Pflege der Liturgie. Bereits 1813 gab er detaillierte Anweisungen für das Gebet der Wachmannschaften bei Reveille und Zapfenstreich.797 Nach der Proklamation der Union der lutherischen und reformierten Kirche zur Evangelischen Landeskirche am 31. Oktober 1817 wurde auch für den Militärgottesdienst nur noch der Lehrbegriff der „evangelischen“ Konfession verwendet; auch bei den preußischen Militärgeistlichen wurde die Unterscheidung zwischen lutherischen und reformierten Feldpredigern aufgegeben; diese waren fortan nur noch „evangelisch“.798 794

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 80. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 79 f. 796 s. hierzu infra Teil I, Kapitel 2, F. IV. 797 Kabinettsorder vom 19. August 1813; abgedruckt bei Schild, Feldprediger II, S. 259 f. 798 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 80. Friedrich Wilhelm III. fühlte sich sogar berufen, eine nach seiner Einschätzung „ganz unanstößliche Liturgie“ für überkonfessionelle (ökumenische) Gottesdienste von protestantischen und katholischen Sol795

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die Revision des Allgemeinen Landrechts brachte wesentliche Neuerungen für das evangelische Militärkirchenwesen mit sich. Während die kirchenrechtlichen Bestimmungen für die Zivilkirche lediglich durchgesehen und modifiziert wurden, ersetzte man das Militär-Kirchen-Reglement von 1811 durch ein völlig neues Gesetzeswerk, das am 12. Februar 1832 vom König vollzogen und als Neue preußische Militair-Kirchen-Ordnung publiziert wurde.799 Nach dieser neuen Ordnung800 blieb die Militärkirche ein Teil der evangelischen Landeskirche, bildete also – anders als im 18. Jahrhundert – keine eigenständige Organisation; die Militärgemeinden blieben der Landeskirche ebenso angegliedert, wie die Militärgeistlichen Bedienstete der Landeskirche waren. Die Stellung des Feldpropstes war in Friedenszeiten durch den Einfluß der zivilen Kirchenbehörden, insbesondere der Konsistorien, stark eingeschränkt.801 Nach der Militär-Kirchen-Ordnung von 1832 war der – vom König persönlich zu ernennende – Feldpropst in Regel auch Oberpfarrer des Garde- und des III. Armeekorps, nach dem Ermessen des Königs zusätzlich Hof- und Garnisonsprediger in Potsdam. Er war als unmittelbarer Vorgesetzter aller Militärgeistlichen zur Aufsicht über Amtsführung und Lebenswandel berufen, daneben hatte er die militärkirchlichen Interessen gegenüber der Landeskirche und anderen Behörden zu vertreten. Gleichzeitig war er ein Organ der dem Militärkirchenwesen in höherer Instanz vorgesetzen Ministerien der geistlichen Angelegenheiten und des Krieges. Außerdem sah die neue Ordnung für jedes Armeekorps die Berufung eines Militäroberpredigers vor. Diese – den zivilen Superintendenten entsprechenden und mit ähnlichen Aufgaben betrauten – Geistlichen wurden auf gemeinsamen Vorschlag der beiden Minister der geistlichen Angelegenheiten vom König ernannt. In den jeweiligen Provinzialkonsistorien hatten sie Sitz und Stimme.802 Die Berufung der gewöhnlichen Militärgeistlichen erfolgte in Friedenszeiten durch die Konsistorien ohne Beteiligung des Feldpropstes, in Kriegszeiten daten anzuordnen. Diese Art von Pragmatismus ging – auch wenn im konkreten Fall keine theologischen Bedenken ersichtlich sind – über das Maß hinaus, das sich mit „unionsfreundlichen“ Ansichten und Tendenzen erklären ließ. Daß der damalige preußische Gesandte in Rom, von Bunsen, die Frage im Rahmen einer Audienz beim König am 3. September 1837 (vermutlich auf entsprechende Anregungen aus katholischen Kreisen) ansprach, kann gleichwohl nicht verwundern. Näher hierzu Schild, Feldprediger II, S. 261 f., der außerdem auf die Praxis der konfessionsübergreifend eingerichteten Garnisonsschulen hinweist. 799 Abgedruckt in: Gesetz-Sammlung 1832, S. 69. 800 Sie regelt in acht Abschnitten die Klassen der Militärgeistlichkeit, die Berufung und Anstellung der Militärgeistlichen, deren Dienstverhältnisse, die Rechtsverhältnisse der Militärgemeinden, die Amtsgeschäfte der Militärprediger, die Einkünfte der Militärprediger und ihrer Beförderung, die Rechtsverhältnisse der Militärküster sowie die Rechtsfragen der Militärkirchengebäude und der Vermögensverwaltung. Ausführlich zum Inhalt Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 82 ff. 801 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 99.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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durch diesen. Für die Amtseinführung waren die Konsistorien zuständig, die für die Amtseinführung eines Militäroberpredigers einen Deputierten entsandten und für die Amtseinführung sonstiger Militärgeistlicher den jeweiligen Militäroberprediger beauftragten.803 Wie bisher hatten die Militärgeistlichen eine Doppelfunktion: Sie unterstanden hinsichtlich der geistlichen Obliegenheiten ihres Amtes den geistlichen Behörden, als Militärbeamte jedoch den jeweiligen Militärbehörden. Beide Verantwortungsbereiche waren hinsichtlich des Weisungsrechts strikt getrennt. Disziplinarbehörde wegen geistlicher Amtsvergehen war in Friedenszeiten das Provinzialkonsistorium804, nur bei Amtsentsetzung oder unfreiwilliger Entfernung aus dem Dienstverhältnis war das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten zuständig. In Kriegszeiten übte der Feldpropst die Disziplinargewalt aus. Die Beförderungspraxis entsprach wesentlich der bisher geübten Rechtslage und Praxis. Die einfachen Militärgeistlichen hatten, wenn sie nicht zu Militäroberpredigern befördert wurden, nach zehnjähriger Amtszeit Anspruch auf eine angemessene Versorgung durch eine gute Zivilstelle; die Militäroberprediger konnten nach zehnjähriger Dienstzeit in diesem Amt die Versetzung auf eine freie Superintendentenstelle beantragen. Zu den Militärgemeinden zählten alle aktiven Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, ferner – sofern an ihrem Aufenthaltsort ein Militärgeistlicher tätig war – die pensionierten Offiziere, Militärbeamten und -handwerker sowie die Familienangehörigen der genannten Personengruppen. Wie in früheren Zeiten war die Zugehörigkeit zur Militärgemeinde ausdrücklich unabhängig von der Konfession; es gab an jedem Armeestandort nur eine Militärgemeinde, deren ordentlicher parochus der evangelische Militärprediger war.805 Insgesamt zeichnete sich auf diese Weise im evangelischen Militärkirchenwesen die überaus sachgerechte Tendenz ab, die Militärseelsorge zwar den Gegebenheiten des Militärs anzupassen, sie jedoch prinzipiell als eine kirchliche Funktion zu verstehen und daher auch in stärkerem Maße an die Landeskirche anzubinden.

802 Für die Militäroberprediger wurde am 28. Oktober 1833 eine eigene, außerhalb der Gesetz-Sammlung gedruckte Instruktion erlassen. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 189, Anm. 44. 803 Die Amtseinführung blieb jedoch auch hier eine eigene Angelegenheit der Konsistorien. 804 Ein Oberkonsistorium gab es – wie bereits gesehen – erst ab 1848 wieder. 805 Cf. § 38 der Militär-Kirchen-Ordnung von 1832: „Die Konfession der einzelnen Individuen ist auf diese Parochial-Verhältnisse von keinem Einflusse.“ Die katholischen Geistlichen mußten dem evangelischen Militärprediger als ordentlichem parochus die vorgenommenen Ministerialhandlungen zum Eintrag in das Kirchenbuch der Militärgemeinde melden (§ 41).

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

2. Das katholische Militärkirchenwesen Die katholische Militärseelsorge wurde in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. zunächst ohne wesentliche Unterschiede fortgesetzt. Das Bedürfnis nach katholischen Seelsorgern nahm zu; in Berlin zählte die aus Zivil- und Militärpersonen bestehende katholische Gemeinde von St. Hedwig um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert rund 10.000 Mitglieder. Insbesondere in Berlin waren zahlreiche polnische Soldaten stationiert. Gleichwohl wurden die mehrmaligen Bitten des seit 1799 als Nachfolger Kirchhoffs amtierenden katholischen Feldpropstes Wegerich, zusätzliche Stellen für – vorzugsweise polnischsprachige – katholische Seelsorger zu schaffen, abgelehnt. Nur im litauischen Goldapp wurde im Sommer 1800 eine neue Stelle für einen hauptamtlichen katholischen Militärgeistlichen geschaffen und mit einem Ordensgeistlichen aus dem Kloster Heiliglinde besetzt.806 Insgesamt gab es nur zwei hauptamtliche katholische Militärgeistliche807; ansonsten wurde die Militärseelsorge von Zivilgeistlichen mitverwaltet. In Münster, das 1803 an Preußen gefallen war, war ein katholischer Militärgeistlicher für die fürstbischöflichen Truppen tätig gewesen. Dieses Amt wurde unter preußischer Herrschaft zunächst beibehalten, nach dem Tod des Inhabers im Sommer 1803 nicht mehr besetzt. Auch der diesbezügliche Antrag des Generals von Blücher blieb ohne Erfolg und wurde zuletzt im Januar 1805 durch Friedrich Wilhelm III. abgelehnt.808 Hinsichtlich der sonstigen Ernennung katholischer Militärgeistlicher entschied das Geistliche Departement mit der Begründung, daß das päpstliche Breve, welches dem Apostolischen Vikar in Hildesheim809 die geistliche Jurisdiktion für einen Teil der preußischen Katholiken übertragen hatte, in Preußen keine Gültigkeit besitze, daß „bey Ernennungen von Geistlichen weder mittel- noch unmittelbar mit einer fremden, vermeintlich oberen geistlichen Behörde, namentlich dem Bischof von Hildesheim, verhandelt werden solle“. Die gleichwohl ernannten Militärgeistlichen wurden nach der Aufhebung des Halberstädter Dominikanerklosters 1804 aus den Reihen des Zivilklerus berufen.810

806

Näher dazu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 179. Nach der Rangliste der preußischen Armee von 1801 beim Invalidenkorps sowie beim Regiment Courbière Nr. 58. Cf. Schild, Feldprediger II, S. 243. 808 Kabinettsorder vom 23. Januar 1805; näher hierzu Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 179 ff. 809 Dieser übte nach wie vor die geistliche Jurisdiktion aus. Cf. den Bericht der Magdeburger Regierung über die dortigen militärkirchlichen Verhältnisse von 1799: „Sämtliche cathol. Geistliche dieser Provinz, also auch der Garnisonprediger, stehen in spiritualibus unter dem Bischof von Hildesheim“. 810 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 181 f. 807

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Keine Änderung erfuhr das Recht zur Vornahme der Parochialhandlungen; die in diesem Zusammenhang gelegentlich auftretenden Konflikte zwischen den evangelischen Feldpredigern und den katholischen Militär- und Zivilgeistlichen scheinen jedoch nachgelassen zu haben.811 Mit der militärischen Niederlage von 1806 hörte auch die katholische Militärseelsorge auf zu existieren. Es wurden zunächst keine neuen Militärgeistlichen mehr berufen, auch der erste Geistliche an der Hedwigskirche war nicht länger leitender Militärgeistlicher und Feldpropst, sondern lediglich Propst und Pfarrer von St. Hedwig. Katholische Militärgottesdienste fanden nicht mehr statt; die katholischen Militärangehörigen mußten sehen, wo sie blieben. Sie waren allerdings verpflichtet, einmal monatlich zusammen mit den lutherischen und reformierten Militärangehörigen an einem gemeinsamen Gottesdienst teilzunehmen.812 Hieran änderte sich auch durch das Militär-Kirchen-Reglement von 1811813 nichts, welches katholische Feldprediger nur für den Kriegsfall vorsah.814 Die katholischen Militärangehörigen blieben Mitglieder der „einen“ Militärgemeinde. Da das Bedürfnis nach geregelten katholischen Militärgottesdiensten jedoch anhielt, führten Absprachen zwischen dem Kriegs- und dem Kultusdepartement im Sommer 1812 zu Verhandlungen mit den für das preußische Staatsgebiet zuständigen Diözesanbischöfen, die sich bereit erklärten, für den Militärgottesdienst Sorge zu tragen. Allerdings konnten diese Pläne aufgrund des erneut eingetretenen Kriegsfalles nicht weiter verfolgt und umgesetzt werden.815 Die während der darauffolgenden Kriegszüge in geringer Zahl816 tätigen katholischen Feldprediger unterstanden hinsichtlich der geistlichen Amtsführung dem Fürstbischof von Breslau, der sie entsandt hatte, hinsichtlich der äußeren Führung ihres Amtes dem evangelischen Feldpropst sowie in militärischer Hinsicht dem Brigadekommandeur.817

811

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 180, 182. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 183 f. Zu diesen „ökumenischen“ Gottesdiensten s. bereits supra Fn. 798 (in diesem Kapitel). 813 s. die Darstellung im vorhergehenden Abschnitt dieser Arbeit. 814 Cf. Schild, Feldprediger II, S. 251. 815 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 184. 816 Im Feldzug gegen Rußland gab es zwei katholische Militärgeistliche, in den Befreiungskriegen zunächst auch nur zwei, dann acht, später vierzehn katholische Militärgeistliche, die nach Beendigung des Feldzuges mit Ausnahme der für die preußischen Besatzungstruppen in Frankreich zuständigen Seelsorger wieder entlassen wurden. Die Rekrutierung und Ernennung der Kandidaten war offensichtlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 185, 187 f. 817 Näher hierzu Schild, Feldprediger II, S. 253 f.; Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 186. 812

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Da nach dem Wiener Kongreß mit Rheinland und Westfalen zwei überwiegend katholische Provinzen zu Preußen gekommen waren und in der Folgezeit auch die Zahl der katholischen Soldaten angestiegen war, nahm das Bedürfnis nach einer sinnvoll organisierten katholischen Militärseelsorge weiter zu. Die Verpflichtung zur Teilnahme am überkonfessionellen Militärgottesdienst sorgte für heftige Verärgerung; sie wurde daher für die Soldaten des VII. Armeekorps (Westfalen) wieder zurückgenommen und für das VIII. Armeekorps (Rheinland) gar nicht erst ausgesprochen.818 Die Einrichtung einer selbständigen katholischen Militärseelsorge nach dem Muster der evangelischen kam trotz entsprechender Verhandlungen zwischen Kriegs- und Kultusministrium aufgrund des Widerstands des Kabinetts nicht zustande. Der König lehnte auch neue Initativen ab, in denen die Anstellung hauptamtlicher katholischer Militärseelsorger in den größeren Garnisonsstädten sowie die Beauftragung katholischer Zivilgeistlicher mit der sonstigen Wahrnehmung der Militärseelsorge, die Einrichtung regelmäßiger katholischer Militärgottesdienste und die Befreiung der katholischen Soldaten von der obligatorischen Teilnahme am evangelischen Militärgottesdienst angestrebt wurde. Die Vorstellungen der rheinischen Provinzialstände 1827 und des westfälischen Provinziallandtags 1831 hatten ebenfalls keinen Erfolg.819 Auch die Militär-Kirchen-Ordnung von 1832820 sah hauptamtliche katholische Militärgeistliche nur für den Kriegsfall vor. In den Friedenszeiten sollten – soweit vorhanden – katholische Zivilgeistliche die Militärseelsorge mit übernehmen; sie sollten vom jeweiligen evangelischen Provinzialkonsistorium unter Mitwirkung der territorial zuständigen bischöflichen Behörde ausgewählt und, wenn sie mit der Berufung einverstanden waren, dem Ministerium der geistlichen Angelegenheiten zur Genehmigung vorgeschlagen werden. Vorschriften für ihre Ausübung sollten sie von den geistlichen Vorgesetzen der bischöflichen Behörden erhalten, die in dieser Hinsicht mit den Konsistorien zusammenarbeiten sollten.821 Nach wie vor gab es keine katholischen Militärgemeinden im Rechtssinne, da der evangelische Militärprediger ordentlicher parochus aller Militärangehörigen blieb. Die für die Seelsorge an den katholischen Militärangehörigen zuständigen Geistlichen konnten jedoch die Parochialhandlungen ohne Dimissoriale des evangelischen Militärpredigers vornehmen; dieser konnte auch die Stolgebühren nicht mehr beanspruchen. Allerdings hatten die evangelischen Militärprediger weiterhin das Recht, Parochialhandlungen auf deren ausdrücklichen Wunsch auch an katholischen Gemeindemitgliedern vorzunehmen. 818

Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 188 f. Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 189 f. 820 Cf. die Darstellung im vorhergehenden Abschnitt dieser Arbeit. 821 Das zur Ausführung dieser Regelungen erlassene Reskript des Kultusministeriums an die Konsistorien vom 25. Juni 1832 wurde den zuständigen Bischöfen abschriftlich mitgeteilt. 819

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Ferner waren die katholischen Militärseelsorger verpflichtet, die von ihnen vorgenommenen Parochialhandlungen zwecks Eintragung in das Kirchenbuch dem evangelischen Militärprediger anzuzeigen.822 Die Immediateingabe des Kölner Erzbischofs Graf Spiegel von Desenberg, mit der dieser die Errichtung selbständiger katholischer Militärgemeinden und die Anstellung hauptamtlicher katholischer Militärseelsorger mit Parochialrechten auch in Friedenszeiten anregte, wurde vom König zurückgewiesen. Dies sorgte für ein heftiges publizistisches Echo sowie für Entrüstung in den katholischen Provinzen; auch kam es zu wiederholten Vorstellungen der Provinziallandtage. Die katholischen Bischöfe brachten ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck, indem sie entweder die Beauftragung von Zivilgeistlichen mit Aufgaben der Militärseelsorge ablehnten oder in ihren Beauftragungen sogar über das nach der Militär-Kirchen-Ordnung zulässige Maß hinausgingen. So erreichten sie, daß der König 1834 die Anstellung je eines hauptamtlichen katholischen Militärseelsorgers für die rheinischen Garnisonen Köln, Trier und Koblenz verfügte, allerdings die geschaffenen Stellen nicht besetzte.823 Getragen von der Hoffnung, durch die Anstellung hauptamtlicher katholischer Militärgeistlicher einen Stamm staatstreuer katholischer Geistlicher zu gewinnen, erklärte sich Friedrich Wilhelm III. schließlich nach Beilegung des Kölner Mischehenstreits bereit, nach Vorschlag der Ministerien der geistlichen Angelegenheiten und des Krieges den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen entsprechend katholische Militärgeistliche im Hauptamt anzustellen; dieser Plan wurde jedoch zunächst nicht umgesetzt.824 Nach dem Thronwechsel 1840 verbesserten sich die Verhältnisse für die katholische Kirche in Preußen, da im Ministerium der geistlichen Angelegenheiten erstmals eine katholische Abteilung eingerichtet wurde.825 Nach wie vor sträubte sich jedoch das Kriegsministerium gegen eine Aufwertung der katholischen Militärseelsorge, so daß sich auch die praktische Ausführung der Kabinettsorder von 1838 weiter verzögerte. Dies änderte sich erst, als Friedrich Wilhelm IV. 1845 diesbezüglich drängte und verfügte, „daß da, wo sich an einzelnen Garnisonorten ein dauerndes Bedürfnis zur Anstellung katholischer Divisions- und Garnisonprediger herausstellen sollte, schon jetzt mit der Befriedigung desselben vorgeschritten und die Anträge darauf vorbereitet werden, die ich demnächst erwarte“.826 Auf diese Weise kam es wenig später zur Anstellung 822

Ausführlich zum Ganzen Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 190 ff. Kabinettsorder vom 22. April 1834; näher Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 192 f. Die in diesem Kontext erhobene Bitte des Münsteraner Bischofs um Einrichtung einer solchen Stelle in Münster wurde abgelehnt. 824 Kabinettsorder vom 16. Dezember 1838; cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 193 f. 825 Kabinettsorder vom 12. Februar 1841. 823

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

einiger hauptamtlicher katholischer Militärseelsorger; auch wurde die Verpflichtung der katholischen Soldaten zur monatlichen Teilnahme am evangelischen Militärgottesdienst abgeschafft.827 Schließlich kam es 1848, kurz nachdem der Fürstbischof von Breslau vom Heiligen Stuhl zum Apostolischen Vikar der nicht zu anderen Jurisdiktionsbezirken gehörenden Gebiete in Preußen ernannt worden war828, zur Gründung einer provisorischen katholischen Feldpropstei. Zu diesem Zweck sollte „der jedesmalige Fürstbischof von Breslau ein für alle mal zum römischen Armeebischof mit der Verpflichtung ernannt [werden], seine diesfälligen näher festzustellenden Facultäten mittelst Delegation auf den von Mir zu nominierenden Feldpropst zu übertragen“.829 Dies war ein kirchenrechtlich schwieriges Unterfangen, da außer dem Apostolischen Vikar noch acht Diözesanbischöfe und zwei Kommissare ausländischer Bischöfe in Preußen geistliche Jurisdiktion ausübten.830 Die Regierung entschied sich, die Militärangehörigen insgesamt von den zivilen katholischen Jurisdiktionen zu lösen und dem Fürstbischof von Breslau provisorisch die Gesamtjurisdiktion durch den Papst übertragen zu lassen. Dieses Vorhaben wurde – nachdem die politischen Wirrungen von 1848/49 abgeklungen waren und am 31. Juli 1849 der Fürstbischof Melchior von Diepenbrock sein prinzipielles Einverständnis signalisiert hatte – durch ein päpstliches Breve vom 24. Oktober 1849 in die Tat umgesetzt und der Fürstbischof von Breslau zum Apostolischen Delegaten der katholischen Militärangehörigen in Preußen ernannt.831 Das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten teilte dies den Oberpräsidenten sowie den bischöflichen Ordinariaten und Kommissariaten durch ein Zirkularreskript vom 25. April 1850 mit; der – inzwischen zum Kardinal kreierte – Fürstbischof begann daraufhin mit dem systematischen Aufbau des katholischen Militärkirchenwesens. Am 12. Mai 1852 ernannte der Fürstbischof als „provisorischer apostol. Delegat für die königl. preuß. Armee“ den in Münster tätigen „Weltpriester Friedrich Felix Mencke zum provisorischen Feldpropst für die königl. preuß. Armee“ sowie zu seinem „Subdelegaten“. Grundsätzlich blieben

826 Kabinettsorder vom 5. Mai 1845; zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 194. 827 Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 194 f. 828 Dies beendete die seit Beginn des 18. Jahrhunderts schwelende Diskussion um die Errichtung eines Apostolischen Vikariates in Preußen; cf. supra Kapitel 2, D. IV. 9.–11. 829 Kabinettsorder vom 4. Februar 1848; zitiert nach Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 195. 830 Diese waren mit der gefundenen Lösung auch alles andere als glücklich, wie Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 200 f., zu berichten weiß. 831 Cf. Langhäuser, Militär-Kirchenwesen, S. 196, der das Breve auf S. 196 ff. im lateinischen Wortlaut mit deutscher Kommentierung abdruckt.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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jedoch die Vorschriften der Militär-Kirchen-Ordnung von 1832 auch für die katholische Militärseelsorge weiter in Kraft. Auch im katholischen Militärkirchenwesen zeigt sich somit eine deutliche Tendenz hin zu einer sachgerechten Ausgestaltung der Militärseelsorge, die immer mehr als kirchliche – und nicht als militärisch-staatliche – Funktion aufgefaßt wurde. VII. Die Union von Lutheranern und Reformierten Mitten in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. fällt mit der Herstellung der Union eine Maßnahme, die mit Blick auf die brandenburgisch-preußische Kirchengeschichte und die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments ebenso ungewöhnlich wie unklar ist. Die Unklarheiten beziehen sich sowohl auf den konkreten Inhalt der Maßnahme als auch auf ihren kompetenzrechtlichen Hintergrund. 1. Die Vorgeschichte Der Gedanke der prinzipiellen Einheit von sächsischer (lutherischer) und schweizerischer (calvinistischer) Reformation läßt sich in der Kirchen- und Reformationsgeschichte Brandenburg-Preußens an vielen Stellen entdecken. Nicht immer, vor allem nicht in der unmittelbar auf die – wie gesehen832 – schrittweise Einführung der Reformation folgenden Epoche, spielte jedoch der Gedanke einer wie auch immer gearteten Einheit der reformatorischen Kirche auf der Basis der verschiedenen reformatorischen Bekenntnisse eine tragende Rolle.833 Vor allem im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts waren konfessionelle Fragen vor allem im Hinblick auf die politische Entwicklung sowohl innerhalb des eigenen Territoriums als auch auf Reichsebene wichtig, da das Bekenntnis des Landesherrn, des christlichen Regenten, im Zuge der Heranbildung eines modernen Staatswesens, das zur Zeit der Reformation allenfalls rudimentär vorhanden war, für die Legitimation von Herrschaft und Macht von entscheidender Bedeutung war.834 Daß der Landesherr in seinem Territorium nicht nur weltlicher – wenngleich christlicher – Regent, sondern auch „Notbischof“ seiner sich immer mehr ausformenden Landeskirche war, trat oftmals und zunehmend in den Hintergrund. 832

Cf. insbesondere supra Kapitel 1, C. I. Es ist daher verfehlt, etwa das kirchenpolitische Handeln Joachims II. aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts oder von einem noch späteren Zeitpunkt aus als unionstheologisch motiviert anzusehen Cf. bereits supra Teil I, Kapitel 1, Fn. 212. 834 Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Konversion Johann Sigismunds zum reformierten Bekenntnis; cf. supra Kapitel 1, C. IV. 833

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die mit der Regierungszeit Johann Sigismunds (1608–1719) einsetzenden Tendenzen, das Gemeinsame der beiden großen reformatorischen Bekenntnisse zu betonen, die Unterschiede immer mehr abzumildern und die unter den Geistlichen und Gläubigen entstehenden kontroverstheologischen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Mitteln und wechselnder Härte zu unterbinden, waren daher eher von politischen und staatsrechtlichen Motiven als von theologischkirchlichen Erwägungen und Idealen getragen. Auch nachdem sich die politische Lage und die Legitimation der landesherrlichen Gewalt infolge des Westfälischen Friedens stabilisiert hatten835, war es zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens und der inneren Sicherheit erforderlich, das Verhältnis zwischen den Bekenntnissen und die konfessionellen Auseinandersetzungen mit einem wachsamen Auge zu begleiten.836 Zu diesem Zweck galt es alles zu unterdrücken, was den inneren Frieden und die gerade erst wachsende Stabilität des politischen Systems gefährdete, und alles zu fördern, was der weiteren Stabilisierung zuträglich oder gar förderlich war. In diesem Sinne waren die a posteriori als „unionstheologisch“ charakterisierten, auf die theologische und praktische Annäherung der beiden protestantischen Bekenntnisse und Kirchenwesen abzielenden Maßnahmen der brandenburgischen Landesherren vor allem Mittel zum – wenn nicht profanen, so zumindest nicht spezifisch kirchlichen – Zweck. Es ist natürlich andererseits nicht zu bestreiten, daß sich die in der Regel stark ausgeprägte persönliche Frömmigkeit der brandenburgisch-preußischen Landesherren in vielen Fällen dahingehend ausgewirkt hat, daß die Kurfürsten und Könige – Friedrich der Große natürlich ausgenommen – die religions- und kirchenpolitische Entwicklung auch mit einem deutlichen religiösen Interesse verfolgt haben, ohne jedoch notwendigerweise und zu allen Zeiten eine förmliche Kircheneinheit anzustreben.837 Diese Haltung wurde durch binnenkirchliche Entwicklungen im Zusammenhang mit der Aufklärung sowie neuen theologischen Strömungen838 begünstigt839. Anders als es die spätere Historiographie840 oft glauben machen will, ist die brandenburgisch-preußische Kirchengeschichte seit der Reformation kein linea835 Es ist zu bedenken, daß die religionsrechtlichen Regelungen des Westfälischen Friedens mit der Beschränkung des ius reformandi nicht nur ein gewisses Maß an religiöser Freiheit garantierten, sondern auch die Frage der Legitimität von Herrschaft und die Bekenntniszugehörigkeit des Landesherrn zu einem gewissen Grade entkoppelt hatten. 836 Cf. auch Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 95. 837 Cf. hierzu auch Wappler, Unionsurkunde, S. 87–102. 838 Hier ist insbesondere der Pietismus zu nennen; cf. bereits supra Kapitel 1, C. VI. 1. 839 Cf. Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 95 f. 840 Dies betrifft insbesondere zahlreiche Autoren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Heinrich von Mühler, Heinrich Friedrich Jacobson, Friedrich Brandes, Karl Rieker, Carl Wilhelm Hering und andere –, die aus einer Zeit heraus schrieben,

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res und stetiges Streben auf die – 1817 dann „endlich“ verwirklichte – Union der evangelischen Bekenntnisse hin, sondern eine vielfach sprunghafte und oftmals inkonsequente, von ganz unterschiedlichen Umständen beeinflußte und daher höchst komplexe Entwicklung.841 2. Die Situation ausgangs des 18. Jahrhunderts Im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatten vor allem der auf die Systematisierung der Staatsverwaltung und Herausbildung eines „modernen“ Staatswesens bedachte Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm II., der mit dem Abschluß der preußischen Rechtsreform sowie der Regulierung aufklärerischer Einflüsse innerhalb und außerhalb des Kirchenwesens vollauf beschäftigt war, andere Sorgen, als sich um die praktische Vereinigung der evangelischen Bekenntnisse zu kümmern. Bei Friedrich dem Großen kam das Nichtvorhandensein einer positiven religiösen Überzeugung erschwerend hinzu. Gleichwohl wurde das bereits bestehende Verhältnis der evangelischen Bekenntnisse so, wie es in der Vergangenheit gewachsen war, aufrecht erhalten. Insbesondere blieb es bei der partiellen konfessionellen Durchmischung der Kirchenbehörden; unter anderem gehörten dem lutherischen Oberkonsistorium, das mit dem kurmärkischen Provinzialkonsistorium personengleich war, nach wie vor reformierte und damit bekenntnisfremde Mitglieder an.842 So befanden sich am Ende des 18. Jahrhunderts die beiden großen evangelischen Konfessionen in friedlicher Koexistenz; sie waren unter dem einheitlichen Kirchenregiment des – reformierten – Landesherrn vereinigt. Es bestand eine durch das Erfordernis des „geistlichen Notstandes“ eingeschränkte Kultus- und Sakramentengemeinschaft, jedoch keine vollständige Nivellierung oder Aufhebung der in den Versionen der Confessio Augustana von 1530 und 1540 festgeschriebenen Bekenntnisunterschiede. Dies spiegelt sich auch in den Rechtsvorin welcher sich die altpreußische Union bereits sicher etabliert hatte. Zutreffend daher die Einschätzung von von Thadden, Hofprediger, S. 130 m. N.: „[Die] Entwicklung der Angleichung der beiden protestantischen Konfessionen in Brandenburg [. . .] ist vielfach als Vorgeschichte bzw. als Wegbereitung der Union von 1817 mißverstanden worden, als ob die Hohenzollern seit der Konversion Johann Sigismunds keine anderen Ziele als das der Kirchenvereinigung gehabt hätten. Aber die neuere Forschung hat nachgewiesen, daß man zumindest im 17. Jahrhundert von keiner auf Union abzielenden Kirchenpolitik der brandenburgischen Kurfürsten sprechen kann.“ (Anmerkungen ausgelassen). 841 Ungeachtet seiner unionsgeneigten Perspektive und der daher mit Vorsicht zu betrachtenden Interpretation bietet Jacobson, Kirchenrecht, S. 4 ff., einen guten Überblick über die wesentlichen Ereignisse und Maßnahmen, die sich auf das Verhältnis und die Annäherung der beiden evangelischen Bekenntnisse in Brandenburg-Preußen bezogen und ausgewirkt haben. 842 Entsprechende Anomalien existierten auch in Minden und Königsberg; cf. supra Kapitel 2, C. II. 7 und D. II. 3.

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schriften wider, die im Zuge der preußischen Rechtsreform gegen Ende des 18. Jahrhunderts entworfen wurden. Insbesondere wurde darauf geachtet, daß die durch die wechselseitige Teilnahme an gottesdienstlichen Veranstaltungen und Religionshandlungen der jeweils anderen Kirche gegebenen praktischen Erleichterungen nicht zu einer Aufweichung der Bekenntnisse und zu einem stillschweigenden Konfessionswechsel führen konnten. Dies läßt sich anhand der Entstehungsgeschichte der einschlägigen Norm des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten illustrieren. Klein gab dem Entwurf zu §§ 57 und 59 des Allgemeinen Gesetzbuchs mit Blick auf das Reglement vom 15. Juli 1771843 die Fassung: „Die beiden protestantischen Gemeinden sind darin für eine zu achten, daß gegen Entrichtung der Gebühren Reformirte durch Lutherische und Lutherische durch Reformirte getauft und getraut werden können. [. . .] Lutherische Prediger dürfen Reformirten und Reformirte den Lutherischen das Abendmahl nicht verweigern.“ Im ungedruckten I. Entwurf von Svarez lautete der entsprechende § 39: „Augspurgische Confessions-Verwandte, sie mögen der veränderten oder unveränderten Confession zugethan sein, dürfen einander wechselseitig auch von ihren besondren Religionshandlungen nicht ausschließen.“ Darauf hingewiesen, daß nach dieser Vorschrift die Teilnahme am Abendmahl nach der fremden Konfession als Konfessionswechsel mißverstanden werden könne, wenn der Kommunikant nicht deutlich mache, nur als „Gast“ an dem konfessionsfremden Gottesdienst teilzunehmen, verwies Svarez auf die bestehenden kirchenrechtlichen Regelungen sowie darauf, daß die Offenbarung der Gesinnung eine Frage der Kirchenpolizei sei. Zur Klarstellung schlug er vor, den Entwurfstext durch einen Zusatz einzuschränken, wonach die Teilnahme am konfessionsfremden Abendmahl nur zulässig sei, „wenn keine Anstalten seiner eigenen Religionspartei, deren er sich bedienen kann, in der Nähe sind.“ Es mußte also ein Fall „geistlichen Notstandes“ vorliegen. Dem trug der zweite, gedruckte Entwurf844 Rechnung: „Kirchengesellschaften von beiderlei Augsburg. Glaubensbekenntniß sollen ihren Mitgliedern, wechselseitig, den Zutritt auch zu ihren eigenthümlichen Religionshandlungen nicht versagen, wenn dieselben keine Kirchenanstalt ihrer eigenen Religionspartei, deren sie sich bedienen können, in der Nähe haben.“ Anläßlich der erneuten Revision äußerte Svarez den Einwand, daß nach geltendem Recht die Unterscheidung zwischen der unveränderten und der veränderten Augsburger Konfession ausdrücklich untersagt sei, weswegen er vorschlage, nur den Begriff „Protestantische Kirchengesellschaften der Augsb. Conf.“ zu verwenden.845 In 843

NCC V A, Sp. 297 f. Teil I, Abt. II, Titel VI, § 30. 845 Materialien zum Allgemeinen Landrecht (im Justizministerium zu Berlin), XIV, fol. 155, XV, fol. 124, LXXX, fol. 145. Das Verbot der Unterscheidung von unveränderter und veränderter Augsburger Konfession hing mit der staatlichen Unterdrückung kontroverstheologischer Auseinandersetzungen in früheren Zeiten zusammen. 844

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dieser Form ist die Regelung in das Allgemeine Landrecht846 eingegangen, das zusätzlich die ausdrückliche Klarstellung enthielt, daß die Teilnahme an den Religionshandlungen der jeweils anderen Konfession unter diesen Umständen keinen Konfessionswechsel bedeute. 3. Die Vorbereitung der Union unter Friedrich Wilhelm III. Erschien die Vereinigung der evangelischen Konfessionen unter den Umständen der Sache nach durchaus realistisch, so war die Frage, auf welchem Weg man zur Union gelangen sollte, alles andere als eindeutig zu beantworten. Der seit Ende 1797 regierende Friedrich Wilhelm III. war – wie sein Vorgänger auf dem preußischen Thron – von großer persönlicher Frömmigkeit. Er war fest entschlossen, es auf Dauer nicht bei der wohlwollenden gegenseitigen Duldung der beiden evangelischen Bekenntnisse zu belassen und die – in der Vergangenheit mehrfach angestrebte, aber auch mit Rücksicht auf die Integrität der Bekenntnisse nicht vollzogene – äußere Kircheneinheit herbeizuführen, nachdem zunächst das durch die heftigen religionspolitischen Kontroversen während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. in Aufruhr geratene evangelische Kirchenwesen Preußens wieder einigermaßen befriedet war.847 Den persönlichen Interessen und Vorlieben Friedrich Wilhelms III. entsprechend, wurde die Liturgie als zentrales Instrument zur Förderung der beabsichtigten Kirchenunion eingesetzt. Auch insoweit erschien die Ausgangslage günstig. Zu Beginn der Regierungszeit hatte der reformierte Oberkonsistorialrat Sack mit Blick auf die durch Cabinets-Ordres aus den Jahren 1787 und 1788 angeordnete, aber nicht durchgeführte Revision der älteren reformierten Agende sowie die Tatsache, daß auch das lutherische Oberkonsistorium mit der Überarbeitung der Liturgie befaßt war, in einem Promemoria vom 13. Juli 1798 ausgeführt: „Die beiden protestantischen Kirchen in den preußischen Ländern sind durch die weise Toleranz des Landesherrn jetzt schon dergestalt verschwistert und vereinigt, daß die Verschiedenheit der beiden kirchlichen Systeme ihr ehemaliges Gewicht verloren hat und keine wesentliche Trennung mehr unter ihnen veranlaßt. Warum sollte nun die bisherige Scheidewand durch eine doppelte reformirte und lutherische besondere Kirchenagende noch beibehalten, oder von Neuem aufgeführt werden?“848 Friedrich Wilhelm III. gab bereits am 18. Juli 1798 seine Zustimmung zur Erarbeitung einer gemeinsamen Agende unter Auf846

Teil II, Titel XI, § 39. s. etwa zur Frage der weiteren Geltung des Religionsedikts von 1788 unter Friedrich Wilhelm III. Tradt, Religionsprozeß, S. 254 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 848 Daß Sack als Neologe und ausgewiesener Vertreter der Aufklärung (cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 337) in seiner Stellungnahme auf Bekenntnisunterschiede keinen Wert legte, kann nicht verwundern. 847

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rechterhaltung der Bekenntnisunterschiede: „Jetzt besonders freut es mich, daß Hoffnung vorhanden ist, beide Confessionen durch eine gemeinschaftliche Agende, der bleibenden Verschiedenheit der Meinungen ungeachtet, einander näher zu bringen.“ Am 5. August 1798 bestätigte der Monarch „die zur Besorgung einer neuen für beide Confessionen gemeinschaftlichen Kirchenagende [. . .] getroffene Auswahl von Personen“.849 Die Ausführung des Projektes verzögerte sich jedoch und wurde erst ab 1816 wieder aufgegriffen. In der Zwischenzeit nahmen die öffentlichen Stellungnahmen zu, in denen das Zusammengehen von Lutheranern und Reformierten in einer einheitlichen Kirche gefordet wurde. Insbesondere plädierte Schleiermacher850, der reformiert war, für eine Abendmahlsgemeinschaft beider Bekenntnisse und die Möglichkeit der wechselseitigen Anerkennung und Anstellung der Geistlichen, ohne daß dies im Einzelfall als Konfessionswechsel ausgelegt werden solle. Der König suchte unterdessen die beabsichtigte Union dadurch voranzutreiben, daß er 1806 einen Lutheraner an die reformierte theologische Fakultät zu Frankfurt/ Oder sowie einen Reformierten, nämlich Schleiermacher, als Professor an die lutherische Fakultät zu Halle berief.851 Die bisher in den Konfessionen unterschiedlich verwendeten Amtsbezeichnungen der Geistlichen wurden ebenso vereinheitlicht852 wie die Amtstracht der Prediger.853 Nach der Auflösung der Kirchenbehörden auf Staats- und Provinzebene 1808/09 wurde die Neuorganisation des evangelischen Kirchenwesens unter dem Aspekt der Union ins Auge gefaßt. Auch hier beteiligte sich Schleiermacher umgehend an der Diskussion und forderte erneut die Kirchenunion: „Um in [die neue Verfassung der Kirche] eine Einheit zu bringen und die ganze Verbesserung nicht an armseligen Kleinigkeiten scheitern zu machen, ist aber durchaus nothwendig, daß der kirchliche Unterschied zwischen Lutheranern und Reformirten gänzlich aufgehoben werde, und die protestantische Kirche in diesem Staate durchaus nur Eine sei. In Absicht der Lehre hat dies um so weniger Schwierigkeit, da zwischen den Lehrern einer jeden dieser Confessionen unter sich weit größere Differenzen obwalten, als die zwischen beiden Confessionen selbst bestehenden. In Absicht der Gebräuche eben so wenig, da auch in einer und derselben Confession die Gebräuche in verschiedenen Gegenden sehr ver849 Cf. Gedike, Veranstaltung einer neuen Liturgie für beide protestantische Konfessionen, S. 152 ff.; sowie die Auszüge daraus bei Falck, Actenstücke, betreffend die neue preussische Kirchenagende, S. V ff. 850 Cf. Schleiermacher, Zwei unvorgreifliche Gutachten, in Sachen des protestantischen Kirchenwesens, zunächst in Beziehung auf den preußischen Staat. 851 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 285. 852 Die Titel „Inspector“, „Dekan“, „Erzpriester“ und „Praepositus“ („Propst“) wurden zugunsten des einheitlichen „Superintendenten“ abgeschafft. Cf. hierzu auch supra Kapitel 2, E. III. 5. 853 Kabinettsorder vom 20. März 1811; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen I, Heft 1, S. 140; Vogt, Kirchenrecht I, S. 134.

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schieden sind und vorläufig jede Gemeine sie so belassen könnte, wie sie gewesen sind. Die ganze Vereinigung, so weit sie zu unserm Zweck nöthig ist, würde schon durch die Erklärung erreicht, daß es durchaus für keine Religionsänderung solle gehalten werden, wenn Jemand, Prediger oder Laie, von einer Gemeine des einen Ritus zu einer des andern übergeht oder zwischen beiden wechselt.“854 Auch Sack855 trat für eine Union in Preußen ein, äußerte jedoch Bedenken dagegen, daß diese vom Staat ausgehen solle. Vielmehr könne eine solche Maßnahme nur dann gelingen, wenn die Kirche selbst, ihre Lehrer und die deutliche Mehrzahl der Kirchenmitglieder zu dem Urteil gelangen würden, daß die trennenden Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht mehr fortbestünden. Insbesondere solle kein neues Bekenntnis verkündet, sondern auch in der unierten Kirche das gemeinsame apostolische Glaubensbekenntnis zusammen mit der Augsburger Konfession verwendet werden. Keine der beiden Kirchen dürfe der jeweils anderen einverleibt werden, es sollen lediglich beide Glaubensbekenntnisse die gemeinsame Bezeichnung „evangelisch“ annehmen. Die jeweiligen Liturgien sollten beibehalten und nur hinsichtlich des Abendmahlsritus angeglichen werden.856 In der Folgezeit wurde die Union durch praktische Maßnahmen vorbereitet. 1815 wurde der Beschluß gefaßt, am Sitz der Provinzialregierungen evangelische Konsistorien ohne konfessionelle Prägung zur Ausübung und Verwaltung der landesherrlichen Rechte in Kirchenangelegenheiten einzurichten. Außerdem traf Friedrich Wilhelm III. 1815 auf Vorschlag einer zur Verbesserung des protestantischen Kirchenwesens berufenen Kommission die Anordnung zur allgemeinen Bildung von Presbyterien und Synoden der Geistlichen.857 Ebenfalls 1815 wurde in einem Zirkularschreiben des Ministeriums des Innern angeregt, für das lutherische und reformierte Kirchenwesen die gemeinsame Bezeichnung als „evangelische“ Kirche zu verwenden.858 Damit deutete sich der für den König entscheidende Schritt an: Nachdem infolge der preußischen Verwaltungsreform bereits eine „Verwaltungsunion“ der evangelischen

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Schleiermacher, Entwurf 1808, S. 4 (zitiert nach der Kritischen Gesamtausgabe). F. S. G. Sack, Über die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchenparteien. 856 F. S. G. Sack, Über die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchenparteien, S. 62 ff. 857 Weitere Vorschläge der Kommission wurden jedoch – vermutlich aus nicht spezifisch religionspolitischen, sondern allgemeinpolitischen Motiven – abgelehnt; näher hierzu bereits supra Kapitel 2, E. IV. 2./3. Cf. auch Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 113. 858 Circulare vom 30. Juni 1815; abgedruckt bei von Kamptz, Annalen I, Heft 3, S. 69. 855

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Kirchen verwirklicht war, sollten nun die beiden reformatorischen Bekenntnisse zu einer Kultus- und Sakramentsgemeinschaft verbunden werden.859 4. Die Durchführung der Union Bei der Vorbereitung und Durchführung der Union trat der König als Handelnder auf, und zwar ohne Zutun oder Zustimmung der Kirche. Zwar war die Stimmung in den Gemeinden ebenfalls überwiegend unionsgeneigt, doch lag die Initiative eindeutig beim Monarchen als Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments. Eine andere Möglichkeit bestand auch nicht, da die betroffenen Kirchen über kein die Grenzen der einzelnen Gemeinden übergreifendes kirchliches Leitungs- oder Vertretungsorgan verfügten.860 Nach dem Willen des Königs, der durch die im Sommer 1817 erneut vorgetragenen Warnungen Sacks und Hansteins kurzzeitig verunsichert worden, letztlich aber von seinem Plan nicht abzubringen war861, sollten die Feierlichkeiten zum 300. Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 1817 den äußeren Rahmen für die Umsetzung der seit langem gehegten Unionspläne bilden. Zunächst wurden durch Erlasse des Ministeriums des Innern862 die Ansichten des Monarchen über die Art und den Geist der Feierlichkeiten bekanntgemacht. Dabei wurde betont, „daß der Name: Protestanten, so bedeutungsvoll er zu der Zeit war, in welcher er aufkam, doch mehr die damals geschehene Verwahrung der äußeren Rechte der evangelischen Fürsten und Stände in den Angelegenheiten des Glaubens und der Kirchenverfassung, wie den der evang. Kirche eigenthümlichen Geist und Sinn zu bezeichnen geeignet ist, auch [. . .] in der neuesten Zeit hin und wieder gemißbraucht worden. Es scheint daher in mehr als einer Hinsicht rathsam, diese Benennungen: Protestanten, protestantische Kirche, der Geschichte, welcher sie angehören, zu überlassen und dafür, zumal in Erbauungsschriften und gottesdienstlichen Vorträgen, die angemesseneren und allgemein verständlicheren Namen: evangelische Kirche, evangelische Christen, von nun an allgemein zu brauchen.“863 Die Union selbst wurde durch eine CabinetsOrdre über die Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche, Potsdam, den 27. Septbr. 1817 proklamiert, welche die von dem reformierten Hofprediger Eylert 864 entworfene Unionsurkunde enthielt.865 Der Monarch empfahl „eine wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unter859 Cf. Kupisch, Landeskirchen, R 52; Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 98. 860 s. zum Vorhergehenden Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 94. 861 Cf. Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 99 ff. 862 Die Erlasse datieren vom 3. und 30. Juni 1817; abgedruckt bei: von Kamptz, Annalen I, Heft 3, S. 66 ff. 863 Hervorhebung im Original.

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schiede getrennten protestantischen Kirchen [. . .], in welcher die reformirte nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergeht, sondern beide eine neu belebte, evangelisch-christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden.“ Allerdings wolle er die Union weder „aufdringen [noch] etwas verfügen und bestimmen“, sondern habe die Hoffnung, daß sie „aus der Freiheit eigener Überzeugung rein hervorgeht“.866 Weiterhin kündigte er an, in den bisher reformierten und lutherischen, fortan aber vereinigten Hof- und Garnisonsgemeinden am Abendmahl teilnehmen zu wollen, und rief dazu auf, seinem Beispiel zu folgen. Sodann nahmen Friedrich Wilhelm III. und die königliche Familie am Reformationstag, dem 31. Oktober 1817, in Potsdam innerhalb eines überkonfessionellen Gottesdienstes, dem die Militäragende von 1816 als provisorische Unionsagende zugrunde lag867, am Abendmahl teil. Hiermit wurde gleichzeitig die Vereinigung der bisherigen reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer einheitlichen evangelischen Gemeinde vollzogen, was nur deshalb rechtlich möglich war, weil der König für beide Gemeinden die Patronatsrechte besaß und die jeweiligen Prediger, Eylert und Offelsmeyer, sich kooperativ zeigten.868 Es fällt auf, daß die Frage des Bekenntnisses in der Unionsurkunde hierbei sorgsam ausgeklammert wurde.869 Inwieweit sich die proklamierte Union auf den Bekenntnisstand auswirkte, und ob von der Proklamation am 31. Oktober 1817 überhaupt konkrete Rechtswirkungen ausgingen, blieb unklar und sorgte auf Jahre hinaus für Verwirrung und Unsicherheit. Interessant ist ferner, daß Friedrich Wilhelm III. von der „Vereinigung der beiden [. . .] getrennten protestantischen Kirchen“ sprach und hierdurch von der Terminologie des Allgemeinen Landrechts abwich, das unter dem Begriff „Kirche“ nur das zum gottesdienstlichen Gebrauch bestimmte Gebäude verstand; der König hatte jedoch die Kirche im Sinne einer „bekenntnisverbundenen Landeskirche“ im Blick.870 864 Rulemann Friedrich Eylert (1770–1852), seit 1806 reformierter Hofprediger in Potsdam, war „Beichtvater“ Friedrich Wilhelms III. und dessen wichtigster Ratgeber in kirchenpolitischen Fragen. Er war auch Mitglied des Staates und führte ab 1818 den Titel eines Bischofs. Näher zu ihm Friedrich, Art. Rulemann Friedrich Eylert, Sp. 545 ff. 865 Abgedruckt in: von Kamptz, Annalen I, S. 64 ff.; Nitzsch, Urkundenbuch Nr. VII; ferner – als Faksimile (des handschriftlichen Entwurfs) und als Transkription – in: Goeters/Mau, Geschichte der Union I, S. 88 ff. Näher hierzu Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 101 ff. 866 Die Übereinstimmung mit den Empfehlungen Sacks ist augenfällig. Cf. auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 11. 867 Cf. dazu supra Kapitel 2, E. VI. 1. 868 Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 113. 869 Näher hierzu Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 108 ff. 870 Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 107 f., der darauf hinweist, daß Friedrich Wilhelm III. bereits in einem Hofreskript vom 14. Februar 1802 den Begriff der „Kirchengesellschaft“ abweichend vom Allgemeinen Landrecht, welches damit die örtliche Kirchengemeinde bezeichnete, im Sinne einer landesweiten

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Die evangelische Geistlichkeit Berlins hatte die Pläne des Königs zur Verwirklichung der Union mit Begeisterung aufgenommen. Bereits am 1. Oktober 1817 – noch vor dem Bekanntwerden der Unionsproklamation – erklärten die Geistlichen der Hauptstadt auf einer unter dem Vorsitz Schleiermachers abgehaltenen konfessionsübergreifenden Kreissynode den Beitritt zur Union und feierten am 30. Oktober 1817 in der Nikolaikirche das Abendmahl nach einer provisorischen Unionsagende.871 Gleichzeitig verwahrte man sich gegen eine undeutliche Vermengung der konfessionellen Glaubenslehren über das Wesen des Abendmahls und betonte ausdrücklich, daß die Teilnahme am Abendmahl nach dem Unionsritus weder eine Veränderung des Bekentnisses noch den Übertritt zu einer anderen Kirche bedeute.872 Am Reformationstag 1817 selbst fanden landesweit – abhängig von der Initiative der örtlichen Gemeinden – Unionsgottesdienste statt.873 Bis zum Ende des Jahres 1824 waren 5.343 der 7.782 Gemeinden des Staates der Union unter Annahme der provisorischen Unionsagende beigetreten874; besonders groß war die Zustimmung in der Rheinprovinz.875 Auch in anderen deutschen Staaten, etwa in Nassau876, Weimar und Baden, fand das Beispiel der preußischen Gemeinden Nachahmung.877 Die Unklarheiten hinsichtlich der Auswirkungen der Union auf den Bekenntnisstand brachten jedoch zunehmend Schwierigkeiten mit sich; die Annahme, durch die Union seien die bisherigen Symbole aufgehoben und durch ein neues Unionsbekenntnis ersetzt worden, war weit verbreitet.878 Der König sah sich Gesamtkirche (Religionspartei) verwendet und damit den terminologischen Wandel eingeleitet hatte. 871 Ausführlich hierzu Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 111 f. Der König und weitere Mitglieder der königlichen Familie waren beim Gottesdienst anwesend, kommunizierten jedoch selbst nicht. 872 Die Erklärung der Synode wurde zum 29. Oktober 1817 wirksam; sie ist abgedruckt in: Schreiber/Veillodter/Hennings, Allgemeine Chronik I, S. 65 ff. 873 Cf. Schreiber/Veillodter/Hennings, Allgemeine Chronik I, S. 46 ff., 273 ff., sowie Jacobson, Geschichte der Quellen IV/3, S. 821 f., 863 ff., 894 f.; Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 112. 874 Cf. die Kabinettsorder vom 28. Mai 1825; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen IX, S. 379; Vogt, Kirchenrecht II, S. 297. 875 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 343. 876 Die nassauische Union ging auf eine Synode von 38 ausgewählten Geistlichen in Idstein am 6. August 1817 zurück. Cf. Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 101. 877 Cf. dazu C. W. Hering, Geschichte der Unionsversuche II, S. 449, 469 ff. 878 Es gab freilich auch eine Gegenauffassung, die zutreffend erkannte, daß die Union von 1817 den Bekenntnisstand nicht antasten sollte und daher vehement für eine konsequente Kirchenunion unter Zugrundelegung eines Unionsbekenntnisses eintrat. Mitunter wurden die unierten Gemeinden auch als eine dritte Kirche neben der lutherischen und der reformierten Kirche angesehen. Cf. im einzelnen von Mühler, Geschichte, S. 344.

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bereits 1822 genötigt, dieser Auffassung zu widersprechen879; wenig später folgte eine Verlautbarung des Kultusministeriums, derzufolge der Beitritt zur Union nicht die Aufgabe des bisherigen Bekenntnisses und der jeweiligen symbolischen Bücher bedeute.880 Darüber hinaus kam es zu praktischen Mißverständnissen. Teilweise wurde angenommen, die Union habe zur Aufhebung des kirchlichen Parochialverbundes geführt, so daß die lutherischen und reformierten Gemeinden auch unter vermögensrechtlichen Aspekten fusioniert seien. Daß dies nicht der Fall war, wurde 1830 anläßlich des 300jährigen Jubiläums der Confessio Augustana klargestellt; gleichzeitig wurde erneut für die weitere Förderung der Union geworben.881 5. Flankierende Maßnahmen zur Durch- und Umsetzung der Union: Reverse und Agenden Nach der Proklamation der Union 1817 wurde, um die praktische Durchsetzung der Union zu fördern, zunächst die Ausstellung des Reverses abgeschafft, der die reformierten Geistlichen auf die Confessio Joannis Sigismundi verpflichtete.882 An seine Stelle trat ab 1822 ein „Unionsrevers“, ohne dessen Unterzeichnung die Anstellung eines Predigers bei einer Gemeinde, die den Unionsritus eingeführt hatte, nicht mehr möglich war.883 Auffällig am Text des Reverses ist, daß der Monarch dort nicht nur als König und Landesherr, sondern auch als „oberster Bischof“ tituliert wird.884 Außerdem wurde die Umbenennung der „Protestanten“ in „Evangelische“ amtlich angeordnet.885 Darüber hinaus sollte die Union auf praktischem Wege durch Vereinheitlichung der Liturgie gestärkt werden. Dies geschah vor dem Hintergrund, daß Friedrich Wilhelm IV. zwar – um die Glaubens- und Gewissensfreiheit seiner 879

Cf. von Mühler, Geschichte, S. 349. Verfügung vom 28. Oktober 1823 (abgedruckt in den Verhandlungen der Generalsynode II, S. 54). 881 Kabinettsorder vom 30. April 1829 (Gesetz-Sammlung S. 64); Circulare vom 5. Mai 1830; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen XIV, S. 324; Vogt, Kirchenrecht I, S. 85, 251. 882 Kabinettsorder vom 18. November 1818; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen II, S. 1018. 883 Circulare vom 17. Oktober 1822 (abgedruckt in: von Kamptz, Annalen VI, S. 887) i.V. m. dem Circulare vom 8. März 1821 (abgedruckt in: von Kamptz, Annalen V, S. 344). Dieser Ordinationseid war Bestandteil der zweiten Auflage (1822) der 1821 erarbeiteten Zivilagende (cf. sogleich infra). 884 Dies stieß auf Kritik, weil das Episkopalsystem umstritten sei und die Amtsbezeichnung „Bischof“ der presbyterial-synodalen Ordnung in Teilen Westfalens widerspreche. Dessen ungeachtet hielt der König an der Verwendung des Bischofstitels fest. Cf. Neuser, Agendenstreit, S. 145. 885 Kabinettsorder vom 3. April 1821; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen V, S. 341; Vogt, Kirchenrecht I, S. 81. 880

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Untertanen zu schonen – nicht auf den Bekenntnisstand der Gemeinden einwirken wollte, sich aber als Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments durchaus für berechtigt hielt, die äußere Form des Gottesdienstes festzulegen.886 Dies entsprach der prinzipiellen Konzeption der Union als einer „Kultus- und Sakramentsgemeinschaft“. Die Frage des consensus ecclesiae scheint den König in diesem Zusammenhang ebensowenig beschäftigt zu haben887 wie die Tatsache, daß nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht der Staat nur über ein ius liturgicum passivum verfügte, das Beschlußrecht über die Liturgie aber bei den Gemeinden oder Synoden lag.888 Zu diesem Zweck wurde 1821 das 1798 begonnene Projekt einer gemeinsamen Landesagende wieder aufgegriffen889, das in der Zwischenzeit nur zu einigen provisorischen Ergebnissen geführt hatte. So war – Anregungen des 1814 eingesetzten und teilweise mißverständlich als „liturgische Kommission“ bezeichneten Gremiums890 folgend – 1816 in der Garnisonskirche zu Berlin sowie in der Hof- und Garnisonskirche zu Potsdam eine neue Liturgie eingeführt worden891, die von Weihnachten 1821 an in revidierter Form als Kirchenagende für den preußischen Militärgottesdienst892 sowie kurze Zeit später für die Hof- und Domkirche zu Berlin diente.893 886 Cf. Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 113 f. Dies steht in auffälligem Einklang mit der Verwendung des Bischofstitels im „Unionsrevers“. 887 Die mangelnde Sensibilität des Königs für die Frage des kirchlichen Konsenses dürfte maßgeblich darauf zurückzuführen sein, daß auch Svarez in seinen Kronprinzenvorträgen für den späteren König Friedrich Wilhelm III. von einer derartigen Beschränkung des (not)bischöflichen ius liturgicum nicht gesprochen hat. Ausführlich dazu infra Teil II, Kapitel 3. Zum consensus ecclesiae s. bereits supra Teil I, Kapitel 1, Fn. 407. 888 ALR Teil II, Titel XI, §§ 46–49. Cf. Neuser, Agendenstreit, S. 153, der auf die Idee Neanders hinweist, der König könne – wenn er in Übereinstimmung mit der Gesamtgemeinde des Landes handle – auch ein ius liturgicum positivum haben, was jedoch selbst im Justizministerium bezweifelt wurde (S. 154). Problematisch war hier natürlich insbesondere, daß ein solcher Konsens der landesweiten Gesamtgemeinde gerade nicht ersichtlich war. 889 Auch dies entsprach den Anregungen Sacks von 1812, der schon 1798 für eine gemeinsame Liturgie plädiert hatte. Außerdem kam hier das besondere persönliche Interesse Friedrich Wilhelms III. an liturgischen Fragen erneut zur Geltung. 890 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 306. 891 Näher dazu Schleiermacher, Über die neue Liturgie für die Hof- und Garnisongemeinde in Potsdam und für die Garnisonkirche in Berlin. 892 Cf. supra Kapitel 2, E. VI. 1. 893 Cf. die Vorrede zu der Agende von 1821: „Die erlauchten Ahnherrn Seiner jetzt regierenden Königlichen Majestät [. . .] hatten in den Jahren 1540, 1542 und 1558 Kirchenordnungen gemacht, welche [. . .] auch Liturgieen enthielten, die, geschöpft aus der Fülle des göttlichen Evangeliums, gegründet auf den uralten Formen der christlichen Kirche und durch die Reformation geläutert, in fast allen evangelischen Ländern gleichzeitig angenommen und eingeführt waren. [. . .] Ueber jeden Wechsel der Zeit erhaben, sind diese herrlichen Liturgieen auch jetzt noch eben so erbauend und erhebend, wie sie es damals unseren frommen Vorfahren waren. Demohngeachet hat man

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Mit einer Kabinettsorder vom 19. Februar 1822 übersandte Friedrich Wilhelm III. eine Anzahl von Abdrucken an den Minister der geistlichen Angelegenheiten, der diese in den Provinzen verbreiten sollte. Dabei brachte der Monarch zum Ausdruck, er werde es begrüßen, wenn die landesweite Einführung dieser Agende von den Superintendenten und Pfarrgeistlichen gewünscht werde.894 Der weiteren Umsetzung der seit mehreren Jahren angeordneten Verbesserung der liturgischen Formen und des evangelischen Kirchenwesens im Ganzen solle jedoch kein Einhalt geboten werden.895 Der Minister holte daraufhin ein Meinungsbild der Geistlichen ein; die Zustimmung war äußerst gering, die geäußerten Bedenken waren höchst vielfältig.896 Unter Berücksichtigung der eingegangenen konstruktiven Kritik wurde die Agende modifziert; so daß erneute Umfragen zwischen 1824 und 1826 zu deutlich erhöhten Zustimmungsraten von über zwei Dritteln aller evangelischen Kirchen in der Monarchie führten.897 Da der König und das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten hiervon keinesfalls wieder abrücken wollten, wurde versucht, der Annahme der Agende durch einige flankierende Maßnahmen einen verbindlichen Charakter zu verleihen. Unter anderem wurde verordnet, daß kein Geistlicher, der an eine Kirche berufen wurde, in welcher die neue Agende bereits eingeführt war, von dort wieder weggehen durfte. Außerdem wurde den Predigerkandidaten die Annahme der Agende in ihren künftigen Gemeinden ausdrücklich empfohlen. Für sich von den vorgeschriebenen Formen immer mehr und mehr entfernt, und an die Stelle alter ehrwürdiger Gebräuche ist die Willkür getreten. Die evangelische Kirche soll aber, in ihrer Lehre und Anordnung, die Gemeinschaft des christlichen Glaubens auf das Feststehende und Ewige des Christenthums begründen, und wenn gleich die Formen der kirchlichen Gebäuche nicht das Wesentliche der Gottesverehrung ganz allein ausmachen, so soll doch durch die Gleichförmigkeit derselben nicht allein eine gemeinschaftliche Überzeugung, sondern auch eine heitere Seelenruhe und fromme Zuversicht in dem ansprechenden Gedanken erzeugt werden: daß es dieselben Lobpreisungen, Danksagungen, Bitten, Fürbitten und Gelübde sind, welche unsere christlichen Vorfahren seit mehreren Jahrhunderten beteten und die nach uns unsere Kinder, will’s Gott, beten werden. Von diesen Ansichten geleitet, habe des Königs Majestät sich bewogen gefunden, diese Liturgie, die als seine verbesserte der bisher eingeführt gewesenen anzusehen [. . .] für’s Erste zum Gebrauche für den Gottesdienst in der Hofund Domkirche zu verordnen, damit durch Gottes Beistand christliche Gottesfurcht, wahre Tugend und treue Vaterlandsliebe befördert werde.“ Zitiert nach von Mühler, Geschichte, S. 335 f. Eine schematische Übersicht der Berliner Agende findet sich bei Neuser, Agendenstreit, S. 143 f. 894 Die Zivilagende wurde also – im Unterschied zur Militäragende – zunächst nicht verbindlich gemacht; cf. Neuser, Agendenstreit, S. 144, 149. 895 Cf. hierzu Schaaff, Die Kirchenagenden-Sache im Preußischen Staate, S. 81. 896 Von Mühler, Geschichte, S. 338, nennt eine Zustimmungsrate von deutlich unter zehn Prozent. Unter anderem war die Agende schon deshalb kaum praktikabel, weil sie einen obligaten Chor vorsah. Hier wollte der König, der die Agende höchstselbst verfaßt hatte, augenscheinlich die – ihm sicherlich zusagenden – Verhältnisse in der Hof- und Garnisonskirche zu Potsdam landesweit verbindlich machen. An die Realisierbarkeit dieser Idee hat er vermutlich nicht gedacht. 897 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 338; Neuser, Agendenstreit, S. 157 m.w. N.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

die neuen Prediger an einer Kirche, welche die Agende noch nicht eingeführt hatte, war deren Einführung nur dann nicht verbindlich, wenn dort eine andere nach Maßgabe des Allgemeinen Landrechts landesherrlich genehmigte Liturgie verwendet wurde.898 Letzteres war freilich wegen des in den preußischen Kirchen verbreiteten liturgischen Wildwuchses alles andere als die Regel.899 Vor allem in Berlin stießen die ministeriellen Anordnungen auf erheblichen Widerstand.900 Daher wurden zunächst in Pommern, später auch in den übrigen Provinzen Kommissionen gebildet, die mit den angesehensten Geistlichen der jeweiligen Provinz besetzt waren und die Aufgabe hatten, die Agende unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Bedürfnisse und Eigentümlichkeiten einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen. Auf diese Weise traten ab 1827 Provinzialagenden für sämtliche Provinzen im Kraft901, deren buchstäbliche Einhaltung die Prediger durch Ausstellung eines Reverses zu versprechen hatten.902 Außerdem wurde anläßlich des 300jährigen Jubiläums der Confessio Augustana 1830 durch königliche Kabinettsorder903 nochmals das allgemeine Brechen des Brotes im Abendmahlsritus als symbolischer Ausdruck des Beitritts zur Union nachdrücklich empfohlen. Schließlich wurde erneut dahin gedrängt, die Gemeinden und Geistlichen nicht länger als „lutherisch“ und „reformiert“, sondern lediglich als „evangelisch“ zu bezeichnen. Die Besetzung der evangelischen Pfarrstellen landesherrlichen Patronats sollte – wenn dies nicht auf un898 Verfügungen vom 29. Oktober 1825 sowie vom 14. April 1826; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen IX, S. 1015, Annalen X, S. 348. 899 Cf. auch Neuser, Agendenstreit, S. 155. 900 Näher hierzu Falck, Actenstücke, betreffend die neue Preussische Kirchenagende. 901 Für die Mark erschien im Jahre 1829 eine solchermaßen modifizierte Agende. Ausweislich der Vorrede, die im übrigen die hochkarätige Besetzung der Kommission (Eylert, Ehrenberg, Neander, Roß, Theremin, Gillet, Nicolai, Brescius, Palmié) verrät, hatte die neue Gottesdienstordnung den Zweck, „die das Gefühl der christlichen Gemeinschaft erhaltende und stärkend Uebereinstimmung in den gottesdienstlichen Formen [. . .] zu führen und den kirchlichen Gebräuchen, gegen den Wechsel der menschlichen Ansichten und Behandlungsweisen, einen festen, auf dem evangelischenLehrbegriffe beruhenden Grundtypus zu sichern, ohne eine gewisse Mannigfaltigkeit auszuschließen und der freien Bewegung Hindernisse in den Weg zu legen.“ Insgesamt waren die Provinzialagenden mit einer landesherrlichen Bestätigungsurkunde versehen, die das Begründungsmuster der Vorrede zur Militäragende von 1821 aufgriff. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 339 f. (Zitat hiernach). Offensichtlich war der König zu der Einsicht gelangt, daß er auch als Inhaber des aus dem bischöflichen Recht, der Kirchengewalt, fließenden ius liturgicum auf den consensus ecclesiae angewiesen war. Zwar fehlte es nach wie vor an kirchlich legitimierten Organen, doch konnten die Adhoc-Kommissionen, auch wenn sie keine Synoden waren, jedenfalls mit größerer Berechtigung für die Kirche sprechen als die Oberkonsistorialräte während des 18. Jahrhunderts. 902 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 18. 903 Kabinettsorder vom 30. April 1830 und Circulare vom 5. Mai 1830; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen XIV, S. 324 ff.; Vogt, Kirchenrecht I, 84 ff.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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überwindlichen Widerstand der jeweiligen Gemeinden stieß – unabhängig vom Bekenntnis der Gemeinde oder des fraglichen Predigers erfolgen.904 6. Die Separation der schlesischen Lutheraner Die Sorge, die Proklamation der Union und das nahezu zeitgleiche Vorantreiben der Landesagende könnten dazu führen, den überkommenen Bekenntnisstand und die symbolischen Schriften durch das theologische Substrat der Agende als einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu ersetzen, war vor allem in lutherischen Kreisen verbreitet. Angesichts der Befürchtung, einen Teil des bisherigen Glaubensinhalts auf staatliche Anordnung hin aufgeben zu müssen, sah man die Integrität des lutherischen Bekenntnisses in Gefahr.905 Die Staatsleitung nahm diese Bedenken offensichtlich nicht ernst, indem sie davon ausging, es handle sich lediglich um vereinzelte Vorkommnisse von Widerspenstigkeit, denen mit repressiven Maßregelungen beizukommen sei. Augenscheinlich hatte der König die Wirkung unterschätzt, die es haben mußte, wenn er als prinzipiell unbeschränkter Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments906 die Union propagierte. Besonders heftig war der durch die Koppelung von Agende und Union ausgelöste Widerstand in Schlesien, wo der Diakon Scheibel seines Amtes entsetzt wurde.907 Dort lehnte eine größere Anzahl von lutherischen Geistlichen und Gemeindemitgliedern nicht nur jegliche Vereinigung mit den Reformierten in Bezug auf Gottesdienst, Sakramentenspendung und Kirchenverfassung ab, sondern unternahmen den Versuch, sich als eigene Religionspartei neben denjenigen Lutheranern, welche die Union mit den Reformierten in welcher Form auch immer befürworteten, zu etablieren. Sie waren der Ansicht, nur auf diese Weise die Integrität ihres lutherischen Bekenntnisses aufrechterhalten zu können. Ausgedehnte Verhandlungen mit der Berliner Regierung über eine Anerkennung als geduldete Kirchengemeinschaft blieben jedoch ohne Erfolg.908 Schließlich kam es 1834 zu einer nochmaligen Klarstellung des Wesens und der Zielsetzung der Union durch den König: „Die Union bezweckt und bedeutet kein Aufgeben des bisherigen Glaubensbekenntnisses, auch ist die Autorität, welche die Bekenntnißschriften der beiden ev. Confessionen bisher gehabt, durch sie nicht aufgehoben worden. Durch den Beitritt zu ihr wird nur der Geist der Mäßigung und Milde ausgedrückt, welcher die Verschie904

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 13. Cf. von Mühler, Geschichte, S. 345 f. 906 Dessen theoretische Beschränkungen hatten in der Vergangenheit bekanntlich keine Rolle gespielt. 907 Ausführlich zu ihm Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 222 f. 908 Ausführlich hierzu Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 225 ff. m.w. N. 905

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

denheit einzelner Lehrpunkte der anderen Confession nicht mehr als den Grund gelten läßt, ihr die äußerliche kirchliche Gemeinschaft zu versagen. Der Beitritt zur Union ist Sache des freien Entschlusses, und es ist daher eine irrige Meinung, daß an die Einführung der verneuerten Agende nothwendig auch der Beitritt zur Union geknüpft sei oder indirect durch sie bewirkt werde. Jene beruht auf den von Mir erlassenen Anordnungen; dieser geht nach Obigem aus der freien Entschließung eines Jeden hervor. Die Agende steht mit der Union nur insofern im Zusammenhange, daß die darin vorgeschriebene Ordnung des Gottesdienstes und die für kirchliche Amtshandlungen aufgenommenen Formulare, weil sie schriftmäßig sind, ohne Anstoß und Beschwerde auch in solchen Gemeinden, die aus beiderlei Confessionsverwandten bestehen, zu gemeinsamer Förderung christlicher Gottesfurcht und Gottseeligkeit, in Anwendung kommen können. Sie ist auch keineswegs bestimmt, in der evangelischen Kirche an die Stelle der Bekenntnisschriften zu treten oder diesen in gleicher Eigenschaft beigesellt zu werden, sondern hat lediglich den Zweck, für den öffentlichen Gottesdienst und die amtlichen Verrichtungen der Geistlichen eine dem Geiste der Bekenntnisschriften entsprechende Ordnung, die sich auf die Autorität der evangelischen Agenden aus den ersten Zeiten der Reformation gründet, festzustellen, und alle schädliche Willkür und Verwirrung davon fern zu halten, mithin ist das Begehren derer, welche aus Abneigung gegen die Union auch der Agende widerstreben, als unstatthaft, ernstlich und kräftig abzuweisen. Auch in nicht unirten Kirchen muß der Gebrauch der Landesagende unter den für jede Provinz besonders zugelassenen Modificationen stattfinden, am wenigsten aber [. . .] darf gestattet werden, daß die Feinde der Union, im Gegensatz zu den Freunden derselben, als eine besondere Religionsgesellschaft sich konstituieren.“909

Damit war ein harter Kurs gegen die lutherische Separation angekündigt, der durch zwei weitere Kabinettsordern und eine Deklaration des Königs vom 9. März 1834 – sämtlich Strafandrohungen enthaltend – unterstrichen wurde.910 In der Folgezeit nahm der Konflikt mit der Zentralregierung und den preußischen Kirchenbehörden zeitweise gewalttätige Formen an911; am 24. Dezember 1834 kam es sogar zum Einsatz militärischer Gewalt.912 Nachdem Vermitt909 Kabinettsorder vom 28. Februar 1834; abgedruckt in: von Kamptz, Annalen XVIII, S. 74; Vogt, Kirchenrecht I, S. 278. Cf. auch die frühere Bemerkung in einer an einen lutherischen Geistlichen ergangenen königlichen Kabinettsorder vom 16. September 1822: „[E]s ist also auch deshalb für notwendig erachtet, durch die Verpflichtung der Geistlichen auf das Evangelium und zugleich auf die symbolischen Bücher, als auf die seit drei Jahrhunderten in der evangelischen Kirche geltenden Autoritäten, alle individuellen Auslegungen der hl. Schrift, sofern von deren Verbreitung in den Gemeinden durch Lehren und Predigen die Rede ist, zu beschränken. Der Union der evangelischen Glaubensbekenntnisse wird diese Anordnung eher förderlich als hinderlich sein.“ (zitiert nach von Mühler, Geschichte, Anm. auf S. 349). 910 Cf. Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 231 f. m. N. 911 Cf. Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 232 f. S. insgesamt auch Scheibel, Actenmäßige Geschichte der neuesten Unternehmung einer Union zwischen der reformirten und lutherischen Kirche (zwei Bände), sowie Eilers, Meine Wanderung durchs Leben IV, S. 192 ff. 912 Cf. die Darstellung des Vorgangs in den Historisch-Politischen Blättern 18 (1846), S. 39 f.

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lungsversuche des preußischen Kronprinzen fehlgeschlagen waren, wanderten die lutherischen Separatisten ab 1837 in beträchtlicher Zahl nach Australien und Nordamerika aus.913 Problematisch war, wie auch mehrere preußische Gerichte feststellten, daß die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen die lutherischen Separatisten entgegen dem geltenden Recht914 nicht auf allgemeinen Gesetzen, sondern lediglich auf Kabinettsordern beruhten. Diese wiederum stützten sich lediglich auf das landesherrliche Kirchenregiment mit seiner – historisch gewachsenen915 – unklaren Vereinigung von geistlicher und weltlicher Gewalt in der Hand des Königs.916 Auch in den Nachbarprovinzen Pommern und Posen sowie in Berlin-Brandenburg, besonders aber in der Provinz Sachsen kam es nach schlesischem Vorbild zur Bildung lutherischer Gemeinden, gegen welche die zuständigen Provinzialregierungen hart vorgingen.917 Nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. bemühte sich der seit Sommer 1840 regierende neue König, Friedrich Wilhelm IV., um eine Verständigung mit den schlesischen Lutheranern. Eine Wiedervereinigung mit der Landeskirche erschien nicht als möglich. Ausgehend von einer im Herbst 1841 – vom neuen König augenscheinlich geduldeten – öffentlichen Generalsynode der schlesischen Lutheraner in Breslau bildete sich eine eigenständige, vom landesherrlichen Kirchenregiment unabhängige Kirchenverfassung aus, die selbstgewählte Geistliche und Gemeindeälteste, eine aus Geistlichen und Laien gebildete Generalsynode sowie ein von dieser gewähltes Oberkirchenkollegium vorsah.918 1845 gewährte der König den altgläubigen Lutheranern die Rechte einer aufgenommenen, nicht privilegierten Kirchengesellschaft.919 Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Magistrats und der Stadtverordneten von Breslau, die für den absoluten Vorrang der unierten Landeskirche eintraten und die Konzession für die schlesischen Lutheraner ablehnten, ließ der König nicht gelten.920

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Cf. Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 234 f. s. §§ 7–9 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht. 915 Cf. supra Kapitel 1, C. 916 Cf. Foerster, Entstehung der Landeskirche I, S. 302 f., 311 f.; Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 235. 917 Ausführlich hierzu Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 236 ff. 918 Cf. Nixdorf, Die lutherische Separation, S. 240 m.w. N. 919 General-Concession vom 23. Juli 1845; Gesetz-Sammlung 1845, S. 216. Die Altlutherischen blieben jedoch dazu verpflichtet, die Kirchen- und Schulbeiträge an die evangelische Landeskirche ihres Wohnorts zu entrichten. Näher dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 124 f., sowie ders., Über die Arten der Religionsgesellschaften, S. 408 ff. 920 Kabinettsorder vom 1. Februar 1846 an den Magistrat und die Stadtverordneten zu Breslau; abgedruckt bei Vogt, Kirchenrecht II, S. 299 f. 914

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Einige Zeit später fordeten diejenigen Lutheraner aus Pommern, die ebenfalls der Union und Agende kritisch gegenüberstanden, jedoch bislang in der Landeskirche verblieben waren, in einer Immediatvorstellung Gleichbehandlung mit ihren schlesischen Glaubensbrüdern. Gestützt vor allem auf die Kabinettsorder von 1834, wonach der Beitritt zur Union vom freien Entschluß der Gemeinden abhänge, forderten sie eine Anerkennung als lutherische Kirche mit eigenem Namen und Bekenntnis, Beibehaltung des lutherischen Abendmahlsritus sowie die Befugnis, ihre Geistlichen auf die Unterscheidungslehren der lutherischen Bekenntnisschriften zu verpflichten.921 Friedrich Wilhelm IV. entschied daraufhin, daß die entsprechenden Gemeinden zwar in der Entscheidung frei seien, der Union beizutreten oder nicht, jedoch in der Gemeinschaft der lutherischen Landeskirche ausharren müßten und insbesondere die Landesagende einzuhalten hätten. Da „das Bekenntniß des luth. Glaubens und die Predigt des göttlichen Worts nach der Lehre der luth. Bekenntnißschriften frei und unverkürzt erhalten bleibe, [könne er nicht] gestatten, daß die im Lande bestehende Ordnung des evangelischen Gottesdienstes in ihren Grundlagen erschüttert werde.“ Dies seien die Grundsätze, „von deren Aufrechterhaltung Meines in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät niemals abzugehen gewillt gewesen ist, und welche auch die Meinigen sind“.922 An dieser Auffassung hielt der König beständig fest923; erneute Anträge aus Pommern924 sowie ähnlich gelagerte Gesuche aus anderen Landesteilen925 blieben ohne Erfolg. 7. Fazit Die prinzipielle Binnendifferenzierung des Bekenntnisstandes im Bereich des reformatorischen Kirchenwesens blieb auf diese Weise erhalten; hinsichtlich des Ämterverständnisses, der Sakramente und des Kultus bestand jedoch ein weitge921

Zur Diskussion hierüber cf. Evangelische Kirchenzeitung 1849, Nr. 89, 90 mit Reaktionen von K. H. Sack („Bemerkungen über die rechtliche Stellung der Union in der evangelischen Kirche Preußens“, S. 91 ff.) sowie von J. Müller („Über kirchenregimentliche Union zwischen Lutheranern und Reformirten“). 922 Kabinettsorder vom 22. August 1847 an den Minister des Innern, umgesetzt durch Circulare vom 24. September 1847 (Min.-Blatt des Inneren 1847, S. 316 f.). 923 Cf. Richter, König Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 75 f. 924 Reskript vom 28. August 1849 mit Circulare vom 27. Oktober 1849; Vogt, Kirchenrecht II, S. 300 f.; Erlaß vom 27. Oktober 1851 an den Superintendenten Otto (Aktenstücke des Oberkirchenrats III, S. 39 f.). 925 Reskript vom 29. Juli 1850 an Appuhn (Aktenstücke des Oberkirchenrats I, S. 54 f.; Vogt, Kirchenrecht I, S. 40); Reskript vom 14. Oktober 1850 an Gerlach (Aktenstücke des Oberkirchenrats I, S. 57 f.; Vogt, Kirchenrecht I, S. 41 f.); Reskripte vom 24. August 1850, 17. März 1851 und 30. Juni 1851 an das Stadtkonsistorium zu Breslau (Aktenstücke des Oberkirchenrats I, S. 40 f.; II, S. 14 f., Vogt, Kirchenrecht II, S. 302).

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hender Konsens.926 Problematisch war in diesem Zusammenhang freilich, daß in Beziehung auf die Lehre eine Übereinstimmung des lutherischen und reformierten Bekenntnisses behauptet wurde, obgleich ein Dokument, das diesen Konsens in allgemein anerkannter formulierter Gestalt enthielt, nicht vorhanden war.927 Offen blieb zudem der kirchenrechtliche Charakter der Union; es war nach wie vor unklar, ob die bisherigen Kirchen als solche mit den aufgrund des Konsenses möglichen praktischen Erleichterungen fortbestanden, oder ob eine einheitliche neue Landeskirche mit verschiedenen Arten von Gemeinden entstanden war, deren Bekenntnis – nach freier Entscheidung – entweder lutherisch oder reformiert sein konnte. Die letztgenannte Sichtweise fand allerdings in der Einrichtung einer einheitlichen, konfessionsunabhängigen evangelischen Kirchenverwaltung sowie in der Staatspraxis – insbesondere unter Friedrich Wilhelm IV. – eine deutliche Stütze. Darüber hinaus war die schrittweise Einführung der – Elemente sowohl aus der lutherischen als auch aus der reformierten Kirchentradition aufgreifenden – Presbyterial-Synodal-Verfassung geeignet, den Eindruck eines einheitlichen Kirchenwesens mit lediglich binnenkirchlichen Bekenntnisunterschieden zu verstärken. Fragwürdig bleibt jedoch, daß die sich nach und nach bildenden Synoden, insbesondere die 1846 erstmals tagende Generalsynode, – anders etwa als die Synode der Landeskirche von Hannover – nicht die Aufgabe hatten, über das Bekenntnis der Landeskirche zu entscheiden, weil es eine – theologisch widersinnige – Entscheidung über ein Alternativbekenntnis gewesen wäre. Daher verblieb den preußischen Synoden allein die Aufgabe, darüber zu befinden, welchen Arten von Gemeinden mit welchen Bekenntnissen die Landeskirche offenstehen sollte. Die Landeskirche geriet dadurch in erster Linie zu einer Verwaltungsorganisation; dem König als Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments konnte die Generalsynode nicht als ebenbürtige und legitimierte Vertreterin eines einheitlichen Bekenntnisses der Landeskirche gegenübertreten. VIII. Die Dom- und Stiftskapitel 1. Nach der Reformation Die nach der Reformation in Brandenburg-Preußen fortbestehenden Domund Stiftskapitel928 stellten innerhalb des Kirchenwesens mit seiner sonderbaren 926

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 14. s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 19 f. Cf. auch Wappler, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, S. 109: „latente Konsensusunion“, sowie zu späteren Versuchen, ein Unionsbekenntnis zu verfassen, Besier, Preußische Kirchenpolitik in der Bismarckära, S. 30 f. 927

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Gemengelage von – neben den nicht sehr zahlreichen Katholiken – lutherischen und reformierten Gemeinden, deren Verhältnis zueinander zunehmend unklar war, ein sonderbares Element dar. Wo immer die katholischen Bischöfe lutherisch geworden und aus der römischen Hierarchie ausgeschieden waren, konnten naturgemäß auch die Kathedralkapitel, die in vorreformatorischer Zeit zuletzt in erster Linie als Beratergremium der Bischöfe fungiert hatten929, nicht in der bisherigen Weise fortbestehen. Die Reformatoren hegten freilich gegen die Kapitel genauso wenig Vorbehalte wie gegen die Bischöfe, vorausgesetzt, sie schlossen sich der Reformation an. Für die Domkapitel hätte dies etwa nach der Ansicht Luthers bedeutet, daß sie ihre ursprüngliche Funktion als Erziehungsanstalten wieder ausüben sollten.930 Während im Herzogtum Preußen die Kapitel von Samland und Pomesanien unmittelbar nach der Reformation aufgelöst wurden und die Bischöfe das ihnen und den Kapiteln gehörende Territorium an den Landesherrn abtraten931, konnten sich die übrigen Kapitel größtenteils auch dann behaupten, wenn der Episkopat selbst wegfiel oder die bischöfliche Regierung durch eine weltliche Verwaltung ersetzt wurde. Beispielsweise konnten in der Mark Brandenburg, wo Johann Georg 1571 die bischöfliche Würde von Brandenburg und Joachim Friedrich 1598 jene von Havelberg und Lebus der Kur einverleibten, die Kapitel von Brandenburg und Havelberg weiterhin existieren, nur das von Lebus 928 ALR Teil II, Titel XI, § 1022 besagt über die katholischen Einrichtungen: „Domcapitel sind geistliche Corporationen, deren Mitglieder zu Abwartung des feyerlichen Gottesdienstes in der Hauptkirche der Diözes bestimmt, und dem Bischofe, in wichtigen Angelegenheiten des Bißthums, und der Diözes, zur Seite gesetzt sind.“ Stiftskapitel sind zu Kollegiatsstiftern gehörende Kollegien, über die in ALR Teil II, Titel XI, §§ 1054–1056 ausgeführt ist: „Geistliche Corporationen, die bey einer andern, als der Hauptkirche der Diözes, zur feyerlichen Begehung des Gottesdienstes verordnet sind, werden Collegiatstifter genannt. Sie unterscheiden sich von den Domstiftern nur darin, daß ihre Mitglieder an den Angelegenheiten des Bißthums und der Diözes keinen Theil nehmen. Die dem weiblichen Geschlechte gewidmete weltgeistlichen Stifter haben mit den Collegiatstiftern gleiche Rechte.“ 929 Cf. hierzu Svarez, Kronprinzenvorträge, Oktavfassung, S. 760 f.: „[E]s wurden [dem Bischof] also mehrere Geistliche zu Hülfe gegeben, die ihm in seinen geistlichen Functionen zu Hülfe kommen und bey der Führung seines geistlichen Regiments über die Diözese mit ihrem Rath an die Hand gehn sollten. [. . .] Die DomCapitel sind dazu bestimmt, dem Bischof in der geistlichen Regierung der Diözese zu assistiren, und sind in so weit dem Bischof subordinirt.“ 930 Cf. Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung: „Wenn sie ihre Stifte und Klöster [. . .] also brauchten, daß man die christliche Jugend darin erzöge und den Glauben und Zucht lehrte, damit man seine Personen hätte zu christlichen Ämtern, und wären also nichts Anderes, denn christliche Schulen, wie sie vom Anfange gestiftet sind, und die Namen der Prälaturen, als Propst, Dechant, Scholasticus, Cantor und dergleichen noch wohl anzeigen; so wären es feine Stifte [. . .]“ Cf. auch die Schmalkaldischen Artikel, Teil 2, Art. 3. 931 s. Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 22.

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wurde aufgehoben.932 Im Kurfürstentum Sachsen wurde in ähnlicher Weise verfahren. Der Fortbestand der Kapitel in den durch den Westfälischen Frieden an Brandenburg gelangten, bis zur Säkularisation geistlichen Herrschaften Halberstadt, Magdeburg, Minden, Camin und Colberg resultierte aus der Normaljahrregelung des Friedensvertrags.933 Diese Regelung konnte sich hinsichtlich der Konfessionszugehörigkeit entweder auf die gesamte Institution oder auch auf einzelne Kapitelsstellen beziehen, es gab also – je nach dem status quo am Stichtag934 – katholische, evangelische und gemischte Stifter.935 In den nicht zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörigen Gebieten gab es, da die Regelungen von 1555 und 1648 einer Auflösung der evangelisch gewordenen und damit ihrer bisherigen Funktion verlustig gegangenen Stifter nicht entgegenstanden, nur noch katholische Domkapitel und Kollegiatstifter, beispielsweise in Ermland und Kulm sowie in Breslau.936 2. Zur Zeit des Allgemeinen Landrechts Die rechtlichen Verhältnisse dieser zum Teil evangelischen, zum Teil auch gemischten Kapitel ergeben sich aus einer Vielzahl besonderer Statuten, Observanzen, Gerichtsentscheidungen937 sowie dem kanonischen Recht. Diese recht heterogenen Vorschriften gingen sodann in die einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Landrechtes ein.938 Während Svarez die katholischen Domstifter als Teil des bischöflichen Kirchenregiments ansah und ihnen ansonsten wenig Beachtung schenkte939, äußerte er bereits anläßlich der Bearbeitung des entsprechenden Abschnitts seine reservierte Haltung gegenüber den protestantischen Institutionen: 932

s. Laspeyres, Katholische Kirche Preußens I, S. 74 f. Cf. Pütter, Der Geist des westphälischen Friedens, S. 166 f.; Svarez verweist in den Kronprinzenvorträgen zusätzlich auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 (Oktavfassung, S. 764). 934 Cf. ALR Teil II, Titel XI, § 1078: „Bey vermischten Stiftern muß, in den zum deutschen Reiche gehörenden Provinzen, der Besitzstand des Ersten Januars des Jahres 1624 beobachtet werden.“ 935 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 763 unten. Gleiches gilt für die nicht klösterlich verfaßten Frauenstifter (S. 764). 936 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 764. Nach Einschätzung von Svarez war Schlesien ebenfalls reichsunabhängig (S. 750 f., 764). 937 s. etwa Hymmen (Hrsg.), „Bericht des Tribunals“ und „Rechtliches Gutachten“. 938 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 195 mit Anm. 6a. 939 In den Kronprinzenvorträgen (Schriftliche Zusammenfassung zum Kirchenrecht), S. 777 sagt er lakonisch: „Die catholischen DohmStifter machen in Kirchlichen Angelegenheiten der Dioecese ein Gantzes mit dem Bischof aus, und sind in so weit dem Bischof subordinirt.“ Mehr war dazu aus seiner Sicht offenbar nicht zu sagen. Detailregelungen zu den katholischen Domstiftern finden sich in ALR Teil II, Titel XI, §§ 1022–1053 sowie §§ 1054–1056 (Kollegiatstifter). 933

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

„Die protestantischen Stifter, Klöster usw., die noch hie und da existiren, sind nach gegenwärtiger Lage der Sachen gar keine Religionsgesellschaften mehr. Die Überbleibsel der vormaligen Verfassungen, das Besuchen des Chores, die Horae sind nichts als Ceremonien, die zum Wesen der Sache gar nicht gehören, und die der Staat, insofern ihm nicht durch den westfälischen Frieden die Hände gebunden sind, zu jeder Zeit abschaffen kann, ohne die wesentliche Verfassung solcher Stifter und Klöster im geringsten zu alteriren. Solche Stifter müssen also lediglich nach ihren Statuten und Observanzen, und bei deren Ermangelung nach den allgemeinen Grundsätzen von privilegirten Corporationen beurtheilt werden. Alle Folgen, die aus dem Begriffe einer Religions- oder Geistlichen Gesellschaft fließen, passen auf sie gar nicht; und obwohl nicht zu leugnen steht, daß man dabei in vielen Fällen noch immer auf das ius canonicum recurrirt, ohnerachtet man die Principia desselben weggeworfen hat, so ist doch dies offenbar ein Mangel und eine Inconsequenz, die in das allgemeine Gesetzbuch aufgenommen zu werden nicht verdient. Ich würde daher bei der Materie von geistlichen Gesellschaften ausdrücklich sagen, daß hier nur von geistlichen Gesellschaften der katholischen Religion die Rede sei, daß die Rechte der protestantischen Stifts- und Klostergesellschaften lediglich nach ihren vom Staat genehmigten Statuten und hiernächst nach den allgemeinen Grundsätzen von privilegirten Corporationen zu beurtheilen, daß die äußeren persönlichen Rechte und Verbindlichkeiten der einzelnen Mitglieder solcher Gesellschaften sowohl gegen den Staat als gegen die übrigen Einwohner desselben, durch die Aufnahme in das Stift und Kloster gar nicht geändert werden.“940

Mit diesen Bedenken konnte sich Svarez nicht jedoch durchsetzen; vielmehr enthielt auch der – gegenüber dem I. Entwurf verkürzte – II. Entwurf sowie schließlich die Endfassung des Allgemeinen Landrechtes hinsichtlich der evangelischen Stifter noch zahlreiche Verweise auf das kanonische Recht.941 Daß die Dom- und Kollegialstifter sowie die zugehörigen Kapitel für die weltliche Gesetzgebung von solchem Interesse waren, daß Regelungen hierüber in das Allgemeine Landrecht aufgenommen wurden, ist zum einen auf die generell hohe Bedeutung zurückzuführen, welche die brandenburgisch-preußische Regierung religiösen Vereinigungen und deren Betätigungen zumaß942, zum anderen auch auf die wirtschaftliche Relevanz insbesondere der Dom-, aber auch der Kollegialkapitel. So betont auch Svarez in den Kronprinzenvorträgen, die 940 Materialien zum ALR 15, fol. 144 v. Das ALR führte zu den gottesdienstlichen Funktionen protestantischer Kanoniker aus, sie seien „weder an Gelübde, noch an andre auf den Gottesdienst sich beziehende Regeln und Vorschriften ähnlicher katholischen Stiftungen gebunden. Was sie aber in dieser Rücksicht bey einem oder dem andern Stifte besonders zu beobachten haben, ist lediglich nach den Statuten und Gewohnheiten desselben zu bestimmen“. ALR Teil II, Titel XI, §§ 1223, 1224. 941 s. I. Entwurf, Abschnitt 14, §§ 1092–1142; II. Entwurf, Abschnitt 20, §§ 915– 928, fast wörtlich wiederholt in ALR Teil II, Titel XI, §§ 1218–1232. Bereits § 1219 lautet: „Als Corporationen werden [die protestantischen Stifter . . .] nach eben den Gesetzen, wie katholische Stifte gleicher Art, beurtheilt.“ Cf. auch ALR Teil II, Titel XI, §§ 1220, 1225. 942 Cf. auch die ausführliche Behandlung der Thematik in den Kronprinzenvorträgen von Svarez. Näher hierzu infra Teil II, Kapitel 3.

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Domherren genössen „teils einen gewissen Antheil an den dem gantzen Capitel zukommenden Einkünften, theils ihre Präbenden, welche bald in Land-Gütern, bald in Zinsen und Abgaben an Geld und Naturalien, welche von Einwohnern und Gutsbesitzern in der Diözese entrichtet werden müssen, bestehn“.943 Auch besteht nach seiner Ansicht „kein Zweifel, daß die ansehnlichen Güter und Revenuen solcher Stifter zu weit nützlicheren Ausgaben für den Staat und das gemeine Wesen verwendet werden können“.944 Als hauptsächliche Rechtsquelle sind – schon aufgrund des Anwendungsvorranges – die Statuten der Kapitel und Stifter anzusehen. Hierzu zählten seinerzeit die Errichtungsurkunden („Fundationsbriefe“) sowie die unter den Kapitelsmitgliedern getroffenen und vom Landesherrn bestätigten Vereinbarungen über gemeinschaftliche Angelegenheiten. Erst in zweiter Linie war auf das örtliche Gewohnheitsrecht – Herkommen, Observanz – der Stifter zu rekurrieren, zuletzt schließlich auf das kanonische Recht. Allerdings konnte hinsichtlich der evangelischen Stifter oder der evangelischen Mitglieder gemischter Stifter das kanonische Recht nur Anwendung finden, soweit es nicht um Grundsätze des katholischen Bekenntnisses oder um das Verhältnis zum Papst oder zu den Bischöfen, also um Eigentümlichkeiten der hierarchischen Verfassung ging.945 Die im 19. Jahrhundert noch existierenden Stifter und Kapitel946 waren privilegierte geistliche Korporationen. Dies ergab sich für die geistlichen Gesellschaften insgesamt unmittelbar aus dem Allgemeinen Landrecht947, für die protestantischen Stifter wurde dies unter Verweis auf ihren historischen Ursprung und die Art und Weise ihrer Entstehung nochmals ausdrücklich wiederholt.948 Mit seiner Bemerkung hinsichtlich der protestantischen Stifter, diese seien nur noch sinnentleerte Anachronismen aus vorreformatorischen Zeiten, hatte Svarez die Wirklichkeit recht gut erfaßt. Tatsächlich konnte die Situation in den protestantischen Kapiteln und Stiftern um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nur noch ganz entfernt an die ursprüngliche, vorreformatorische Funktion dieser Institutionen erinnern.949 Die namentliche Auflistung der Kanoniker zu 943

Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 761. Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 767. 945 Cf. Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 764 f. 946 Das Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 169 ff. (S. 318 ff.), enthält eine vollständige Übersicht aller zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestehenden Kapitel und Stifter sowie der Frauen- und Männerklöster. 947 ALR Teil II, Titel XI, §§ 939, 940. 948 ALR Teil II, Titel XI, §§ 1218, 1219. 949 Wohl auch deshalb zeigten die preußischen Könige schon im 18. Jahrhundert keine Scheu, in die Autonomie von Klöstern einzugreifen, wie etwa die zweimalige Ausschaltung der Konventualen bei der Abtswahl im Kloster Berge belegt. Ausführlich hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 327 ff., sowie Philippson, Geschichte II, S. 90 f. m.w. N. 944

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Beginn des 19. Jahrhunderts in der zitierten zeitgenössischen Quelle950 zeigt, daß die protestantischen Kanoniker sowie die protestantischen Präbendaten gemischter Stifter nur in den seltensten Fällen Geistliche waren; vielmehr handelt es sich in der Regel um prominente Persönlichkeiten höchst unterschiedlicher Provenienz. Beispielsweise bekleidete im Domkapitel zu Brandenburg Herzog August von Braunschweig-Oels das Amt des Dompropstes, Domdechant und Thesaurarius war der damalige Justiz- und Staatsminister von Arnim. Unter den weiteren Kapitularen befanden sich etwa ein Kavallerieoberster sowie – als Senior und Cantor – der Schloßhauptmann Graf August von Wartensleben.951 Dompropst zu Havelberg war der Staats-, Kriegs- und dirigirende Minister von Voß, der gleichzeitig Domdechant in Magdeburg war, Domdechant von Havelberg war Generalfeldmarschall von Möllendorff, dessen Stellvertreter der Staatsund Justizminister von Thulemeier.952 Prinz August Ferdinand von Preußen war Dompropst von Halberstadt953; Prinz Friedrich Heinrich Ludwig von Preußen bekleidete dieses Amt in Magdeburg.954 Daß es sich dabei in der Sache nicht um geistliche Gesellschaften im religiös-theologischen und kirchenverfassungsrechtlichen Sinne handeln konnte, liegt auf der Hand. Die staatliche Aufsicht über die Stifter und Kapitel richtete sich nach den allgemeinen Regeln über die Oberaufsicht des Staates über die Kirchen- und anderen Gesellschaften.955 Besondere Rechte des Landesherrn existierten im Zusammenhang mit der Besetzung der Kanonikate (sog. Kollationsrecht). Für die ganz ursprünglich durch Wahl seitens des Kapitels besetzten gewöhnlichen Kapitelsstellen hatte vor der Reformation aufgrund des Konkordates zwischen Papst Nikolaus V. und Kaiser Friedrich III. von 1448 die Kompromißregelung gegolten, daß die freiwerdenden Stellen abwechselnd – je nach dem Monat, in dem die Vakanz eingetreten war – durch den Papst und durch das Kapitel vergeben werden sollten. Dieses päpstliche Recht gelangte – hinsichtlich der evangelischen Stifter – durch den Westfälischen Frieden an den Landesherrn; dieser konnte daher fortan die in den „Papstmonaten“ vakant gewordenen Stellen besetzen.956 Gelegentlich wurde auch zwischen Landesherr und Kapitel eine abweichende Aufteilung der Vergabemodalitäten vereinbart. Allerdings mußten sämtliche vom Kapitel bestimmten Kanoniker dem Landesherrn zur Bestätigung und Genehmigung vorgestellt werden.957 950

s. supra Fn. 946 (in diesem Kapitel). Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 952 Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 953 Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 954 Handbuch über den preußischen Hof und Staat für 1801, Nr. 955 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 765, wohl auf ALR Teil II, Titel XI, § 949. 956 Zu Details s. ALR Teil II, Titel XI, §§ 1087 ff. 951

169. 170. 208. 213. unter Bezugnahme

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Die Besetzung der Dignitäten, d. h. derjenigen Kapitelsstellen, die mit geistlicher Jurisdiktion verbunden sind (Propst, Dechant), war dagegen allein dem Landesherrn nach vorheriger Postulation durch das Kapitel958 vorbehalten; im Falle einer Wahl durch das Kapitel wurde diese von landesherrlichen Kommissarien geleitet.959 Das Allgemeine Landrecht behandelte zwar zunächst die Pflicht des Gewählten oder Postulierten, die Bestätigung durch die geistlichen Vorgesetzten einzuholen960, band dies aber sogleich an die vorherige Approbation und Genehmigung des Landesherrn, der den Kandidaten „aus Gründen des gemeinen Wohls, oder der Erhaltung der äußern und innern Ruhe des Staats“ ablehnen konnte.961 Darüber hinaus besaß der Landesherr für alle in seinem Territorium gelegenen Stifter und Kapitel gleich welcher Konfession das Recht der ersten Bitte.962 Aufgrund dieses ursprünglich gewohnheitsrechtlich anerkannten, durch den Westfälischen Frieden aber ausdrücklich bestätigten Privilegs konnte der König anläßlich seines Regierungsantritts für jedes Stift einen geeigneten Kandidaten ernennen, dem dann das jeweils erste – eigentlich dem Kapitel zur Wiederbesetzung zustehende – freiwerdende Kanonikat verliehen wurde, und zwar auch dann, wenn der ihn ernennende Landesherr vor der vollständigen Durchführung des Rechtes starb.963 Auch konnte der Landesherr Anwartschaften auf künftig freiwerdende Kapitelsstellen vergeben, die den Charakter von Lehnsanwartschaften besaßen. Ein etwaiger Regierungsnachfolger war jedoch an diese Anwartschaften nicht mehr gebunden.964

957 ALR Teil II, Titel XI, § 1124. Diese in erster Linie für katholische Stifter aufgestellte Regel galt gemäß ALR Teil II, Titel XI, § 1125 auch für protestantische Stifter. 958 Cf. ALR Teil II, Titel XI, § 990. 959 ALR Teil II, Titel XI, § 982. Siehe auch hier und hinsichtlich der nachstehenden Ausführungen ALR Teil II, Titel XI, § 1125. 960 ALR Teil II, Titel XI, §§ 1002 ff. 961 ALR Teil II, Titel XI, §§ 1009 ff. 962 ALR Teil II, Titel XI, § 1094 formuliert zurückhaltender: „Bey Stiftern, wo das Recht der ersten Bitte hergebracht ist, wird selbiges von demjenigen, welchem es zukommt, auf die erste zur Verleihung des Capitels stehende Vacanz ausgeübt.“ Svarez geht offensichtlich davon aus, daß zum einen niemand anders als der König als Inhaber des Rechtes der ersten Bitte in Betracht kommt, und daß dies in allen wesentlichen Fällen auch „hergebracht“ ist. Cf. hierzu allgemein G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 543–548, sowie Richter, Lehrbuch, S. 404. Eingehend zum älteren Recht Friedberg, De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum judicio, pp. 180– 183. 963 Durch den Eintritt des durch Ausübung der ersten Bitte Ernannten – des sogenannten Prezisten – wurde der turnus capituli lediglich suspendiert, nicht absorbiert, ALR Teil II, Titel XI, § 1096. Die Ernennung geschah also gewissermaßen „außer der Reihe“. Erkenntnis des Königlichen Ober-Tribunals vom 14. Januar 1801, in: Stengel’s Beiträge zur Kenntniß der Justizverfassung und der juristischen Litteratur in den Preußischen Staaten, Band XV, S. 1–48.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Die Mitglieder aller Dom- und Kollegialstifter gleich welcher Konfession waren nach dem kanonischen Recht und den jeweiligen Statuten prinzipiell zur Residenz verpflichtet.965 Dies führte insbesondere bei den protestantischen Stiftern zu Problemen, weil die zum großen Teil in Familie und Beruf stehenden Stiftsherren nicht ständig am Stift leben oder regelmäßige Präsenz zeigen konnten. Der Landesherr konnte sie deswegen von der Residenzpflicht dispensieren oder – bei Beamten und Militärangehörigen, von denen man annahm, sie stünden analog zu einer Rechtsfigur des kanonischen Rechts a latere, an der Seite, des Königs966 – das beneficium a latere erteilen. In beiden Fällen besaßen die dauerhaft abwesenden Kanoniker im wesentlichen die gleichen Rechte wie die residierenden Dom- oder Stiftsherren.967 Schließlich besaß der Landesherr das Recht, die im Falle eines freiwilligen Verzichts eines Stiftsherrn auf eine durch den Landesherrn verliehene Stelle und deren Abtretung an einen Dritten erforderliche Genehmigung zu erteilen. Da diese sogenannte „Resignation“ gerade in den protestantischen Stiftern häufig vorkam, wurden zahlreiche landesherrlich zu vergebende Stellen bereits a priori mit dem beneficium resignandi, d. h. mit vorab erteilter Genehmigung zur Resignation, erteilt.968 Wie bereits erwähnt, stand Svarez der Einrichtung der Dom- und Stiftskapitel aus staats- und wirtschaftspolitischen Gründen ausgesprochen skeptisch gegenüber, da die Kanoniker Zuwendungen erhielten, „ohne dafür dem Staat, der Kirche oder der bürgerlichen Gesellschaft die geringsten Dienste zu leisten“.969 Er machte jedoch deutlich, daß – jedenfalls bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – der König nicht die Möglichkeit besaß, die Stifter aufzulösen. Es handle sich um althergebrachte Rechtsansprüche des Adels, welche abzuschaffen der Landesherr zum einen durch Reichsrecht, zum anderen aber auch durch Verträge mit den Ständen – darunter an erster Stelle die Domkapitel – gehindert sei.970 964 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 765 f. Cf. hierzu im Detail auch ALR Teil II, Titel XI, §§ 1227–1232. 965 s. hierzu im einzelnen ALR Teil II, Titel XI, §§ 1128 ff. 966 Die Exemtion der landesherrlichen Bediensteten vom Parochialverband ist auf eine im 17. Jahrhundert entwickelte weltliche Lehre zurückzuführen, die den Diener mit dem Herrn identifizierte. Der früheste bekannte Nachweis findet sich in einem Reskript bei J. H. Boehmer, Jus parochiale, sect. IV, c. 1, § 13. Da der Fürst außerhalb der Parochie stand, mußte dies aufgrund der engen persönlichen Beziehung zu ihm auch für seine Bediensteten gelten. Cf. Richter, Geschichte der Kirchenverfassung, S. 246. 967 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 766. 968 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 766 f. 969 Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 767. 970 Der Adel wußte die Institution der Kapitel durchaus für seine Interessen zu nutzen, oder versuchte dies zumindest. Dies zeigt die – aus anderen Gründen zu Recht erfolglose – Intervention der Landstände und des Domkapitels zu Halberstadt im Katechismusstreit. Cf. infra Teil II, Kapitel 2, A. VI.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Nach Ansicht von Svarez hätte also die Auflösung der Stifter einen Rechtsbruch bedeutet und wäre darüber hinaus staatspolitisch unklug gewesen, da sich der König den Adel hierdurch unweigerlich zum Feind gemacht hätte.971 Im übrigen erblickte Svarez – insofern ganz Pragmatiker – in der Verleihung von Stiftsämtern und -würden eine aus staatlicher Perspektive kostenneutrale Alternative zur Auszeichnung verdienter Persönlichkeiten.972 Die Dom- und Stiftsherrn besaßen zwar Nutzungsrechte an ihren Präbenden, jedoch kein Eigentum.973 Sie teilten die allgemeinen Privilegien der Geistlichkeit, waren also von den persönlichen Lasten und Pflichten gewöhnlicher Bürger befreit und genossen einen privilegierten Gerichtsstand (sog. privilegium fori).974 In allen übrigen Fragen waren sie den normalen Staatsbürgern gleichgestellt. Eine Ausnahme galt nur für die katholischen Kanoniker, welche aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Klerus auch zum Zölibat verpflichtet waren. Für die Mitglieder der protestantischen Frauenstifter war – in Anlehnung an die entsprechende Regelung des kanonischen Rechts bestimmt, daß sie im Falle einer Eheschließung ihre Präbende verloren.975 Die reichsrechtliche Situation änderte sich erst nach Svarez’ Tod mit dem Ende des Alten Reiches. § 34 des Reichsdeputationsrecesses vom 25. Februar 1803 enthielt die Ermächtigung, alle Güter sowohl der katholischen als auch der evangelischen Stifter zugunsten des Landesherrn einzuziehen und für gottesdienstliche, schulische oder andere gemeinnützige Angelegenheiten zu verwenden. Lediglich die Domkirchen mußten samt ihrer Ausstattung bestehen bleiben, und die Pensionen der durch eine etwaige Aufhebung betroffenen Geistlichen mußten sichergestellt sein.976 In Preußen wurde hiervon erst 1810 Gebrauch gemacht, als die wirtschaftliche Lage keinen anderen Ausweg mehr ließ. Durch das Edikt vom 30. Oktober 1810 wurden, wie bereits durch Edikt vom 27. Oktober 1810 angekündigt, sämtliche Klöster, Dom- und anderen Stifter, Balleien und Kommenden in der Monarchie ohne Ansehung der Konfession aufgelöst und deren Güter eingezogen; ausgenommen waren nur diejenigen Einrichtungen, die sich mit der Erziehung der Jugend sowie der Krankenpflege befaßten.977 Dieser Schritt bedeutete die Aufhebung der damals zu Preußen gehörigen Stifter Brandenburg, Havelberg, Camin und Colberg.978 Die seinerzeit zum 971

Svarez, Kronprinzenvorträge (Oktavfassung), S. 767. Svarez, Kronprinzenvorträge (Schriftliche Zusammenfassung), S. 779. 973 s. hierzu im einzelnen ALR Teil II, Titel XI, §§ 1142 ff. 974 ALR Teil II, Titel XI, § 950. 975 ALR Teil II, Titel XI, § 950. 976 Zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 196. 977 Gesetz-Sammlung 1810, S. 25, 32. 978 Jacobson, Kirchenrecht, S. 196. Auch die Ballei Brandenburg des Johanniterordens einschließlich des Heermeistertums und der Kommenden wurden aufgehoben (Jacobson, Kirchenrecht, S. 196, Anm. 10). 972

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

napoleonischen Königreich Westfalen gehörenden Domstifter von Minden, Magdeburg und Halberstadt wurden ebenfalls durch die zuständigen Autoritäten aufgehoben.979 In Sachsen war die Verwaltung der Stiftslande nach dem Wegfall der Diözesanbischöfe von Merseburg (1561) und Naumburg-Zeitz (1564) an die landesherrliche Obrigkeit gefallen, welche jedoch den Fortbestand der Kapitel und die Fortgeltung der diesen zustehenden Rechte anerkannte.980 Nachdem die sächsische Regierung von besagter Ermächtigung des Reichsdeputationsrecesses keinen Gebrauch gemacht hatte, gelangten die Kapitel 1815 samt den zugehörigen Gebieten an Preußen, ohne daß jedoch das Dekret vom 30. Oktober 1810 für die sächsischen Stifter Geltung erlangte. In Preußen war inzwischen die 1810 verfügte Aufhebung des Domkapitels zu Brandenburg981 unterblieben, dieses blieb auch in der Folgezeit bestehen.982 Ein Zusammenhang der evangelischen Kapitel mit der kirchlichen Verfassung und Verwaltung bestand jedoch nicht mehr.983 Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschiedentlich unterbreiteten Anregungen, solche – in vorreformatorischen Zeiten vorhandenen – Verbindungen mutatis mutandis für das evangelische Kirchenwesen wiederzubeleben984, konnten sich nicht durchsetzen. Es kam daher zur Auflösung der noch bestehenden Kapitel, deren Güter gemäß § 4 des Edikts vom 30. Oktober 1810 zum Teil für Kirche und Schule verwendet wurden. Die Einnahmen von Camin und Colberg flossen so durch Cabinets-Ordre

979 Gleiches gilt für die Kollegiatstifter zu Magdeburg, Halberstadt, Walbeck, Herford, Bielefeld und Lübbecke. Die Aufhebungsdekrete vom 1. Dezember 1810 und vom 3. April 1812 sind abgedruckt im Bulletin des lois de Westphalie, Band 9, S. 361; Band 11, S. 331. Schon durch Dekret vom 13. Mai 1809 waren die Frauenklöster im Königreich Westfalen aufgelöst worden. Bulletin des lois de Westphalie, Band 5, S. 211. 980 Näher hierzu Pinder, Domkapitel; Laspeyres, Katholische Kirche Preußens I, S. 610 f. 981 Noch in einer späten Gerichtsentscheidung wurde die Eigenschaft des protestantischen Domkapitels in Brandenburg als privilegierte Korporation im Sinne von ALR Teil II, Titel VI, § 25, bestätigt. Erkenntnis vom 28. April 1854; Archiv für Rechtsfälle, Band 14, S. 204–208 sowie Entscheidungen, Band 27, S. 383–391. 982 Cf. Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 238 f., Anm. 1. 983 ALR Teil II, Titel XI, § 1221 sagt ausdrücklich: „Dagegen können protestantische Stifter, wenn sie auch an sich die Würde der Cathedralstifter haben, dennoch einiger Theilnehmung an den Angelegenheiten der Kirche oder der Diözes sich nicht anmaßen.“ 984 Beachtung verdient insbesondere die Initiative Schleiermachers, der in seinem Kirchenverfassungsentwurf von 1808 vorschlug, in jeder Provinz ein aus ca. sechs angesehenen Theologen bestehendes Kapitel unter dem Vorsitz eines Bischofs einzurichten, welches – der Sache nach – in erster Linie als Disziplinargericht für die Geistlichen gedient hätte, aber auch Teile der Lehrerausbildung überwachen, über die Liturgie befinden, Hirtenbriefe erlassen und die Beaufsichtigung der Kandidaten übernehmen sollte (Abschnitt III; Kritische Gesamtausgabe: S. 13 ff.).

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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vom 7. Juli 1822 an die pommerschen Seminare und Gymnasien.985 Mit der Schließung der noch bestehenden evangelischen Domstifter Brandenburg, Merseburg und Naumburg gelangten diese durch die Ordres vom 28. Februar 1845 und 15. Januar 1847 an die evangelische Kirche mit der Maßgabe, die nach eintretender Vakanz der Kapitelsstellen freiwerdenden Einkünfte zur Ausstattung der Konsistorien zu verwenden. Die Einkünfte des ehemaligen Kollegiatstifts Zeitz sollten zur Versorgung von Emeriten dienen, während die infolge der Aufhebung der Domstifter von Havelberg, Magdeburg, Colberg, Camin, Halberstadt und Minden sowie der übrigen Collegiatstifter freiwerdenden Mittel gemäß der Ordre vom 20. Februar 1846 in den Dispositionsfonds zur Befriedigung der Mehrbedürfnisse der evangelischen Kirche fließen sollten.986 Demnach waren die im 19. Jahrhundert noch existierenden Domkapitel also privilegierte geistliche Korporationen, deren besondere Rechtsverhältnisse durch örtliche Statuten geregelt waren.987 Die Stiftsregierungen und Konsistorien von Merseburg und Zeitz wurden 1816 aufgehoben.988 Im übrigen besaßen die Domkapitel das Recht, als erster Stand mit einem aus ihrer Mitte zu ernennenden Bevollmächtigten an den Provinziallandtagen für die Mark Brandenburg sowie die Provinz Sachsen teilzunehmen.989 Die Wiederherstellung der katholischen Domstifter erfolgte durch die päpstliche Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821, die durch Cabinets-Ordre vom 23. August 1821 die königliche Bestätigung erfuhr. Die Dignitäten und Kanonikate wurden gesondert dotiert.990 3. Fazit Insgesamt stellten die evangelischen Kapitel in der Verfassung der preußischen Landeskirche einen anachronistisch anmutenden Fremdkörper dar. An ih985 s. Landtagsabschied vom 14. Februar 1830, Stenographische Berichte 1854– 1855, I. Kammer, S. 390. 986 Cf. die Denkschrift des evangelischen Oberkirchenrats, betreffend die Vermehrung der Dotation der evangelischen Kirche in Preußen von 1815, in den Aktenstükken 4, S. 12 f., 95 f. Näher dazu Jacobson, Kirchenrecht, S. 197 mit Anm. 15, 16. 987 s. etwa die Neuen Statuten für Brandenburg vom 30. November 1826; cf. auch die Verordnung vom 23. April 1827 im Amtsblatt Potsdam, S. 85. Wegen der sächsischen Stifter s. Pinder, Provinzialrecht I, S. 306 f., Provinzialrecht II, S. 274–378 (§§ 1739–1747). 988 Jacobson, Kirchenrecht, S. 180 f. mit Anm. 19. 989 Gesetz vom 1. Juli 1823, § 3 (Gesetz-Sammlung 1823, S. 131); Gesetz vom 27. März 1824, §§ 2, 3 (Gesetz-Sammlung 1824, S. 70). 990 Demnach bestanden in Preußen die Domstifter zu Köln, Gnesen, Posen, Trier, Paderborn, Münster, Kulm, Breslau und Ermland. Das Domkapitel des aufgehobenen Bistums Aachen war durch die päpstliche Bulle in ein Kollegiatstift umgewandelt worden. S. Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 238 f., Anm. 1 m.w. N.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

nen läßt sich erkennen, welche Schwierigkeiten die Erarbeitung und der Aufbau einer neuen Kirchenverfassung nach Durchführung der Reformation mit sich brachte, und wieviel Zeit dies in Anspruch nahm. Gleichzeitig wird deutlich, daß der Einfluß der Landstände auch im späten 18. Jahrhundert zwar erheblich zurückgegangen, aber dennoch vorhanden war; die Kapitel konnten als Instrument dienen, um diesen Einfluß auch geltend zu machen. Die Kirchenverfassung hatte sich also auch dann nach den politischen Gegebenheiten zu richten, wenn dies – unter theologischen und kirchenrechtlichen Gesichtspunkten – zu Kuriositäten und Unstimmigkeiten und zur inhaltlichen Entleerung historisch tradierter Verfassungselemente führte. IX. Das Patronatsrecht des Landesherrn 1. Allgemeine Bemerkungen und geschichtliche Entwicklung Eine eher unscheinbare, aber dennoch nicht zu unterschätzende Quelle kirchlicher Befugnisse der preußischen Könige stellte das für zahlreiche Kirchen der Monarchie bestehende königliche Patronatsrecht dar. Auch Svarez führte es in den Kronprinzenvorträgen als „dritte Quelle von Rechten eines Preußischen Regenten über die ReligionsGesellschaften und KirchenGemeinen in seinen Landen“ neben dem Recht der Oberaufsicht über die Gesellschaften sowie den aus der Eigenschaft als Oberhaupt der evangelischen Landeskirche resultierenden Befugnissen an.991 Schon aufgrund der Vielzahl der landesherrlichen Patronate wird man mit Jacobson davon ausgehen dürfen, daß diese neben sonstigen lokalen Rechtstiteln für die Entwicklung des Kirchenwesens von entscheidendem Einfluß waren.992 Dieses Institut einer Schutzherrschaft weltlicher Personen über Kirchen und kirchliche Einrichtungen existierte bereits in der katholischen Kirche und fand nach der Reformation dem Grunde nach auch in das evangelische Kirchenwesen Eingang993, wenngleich die faktischen Gegebenheiten zum Teil unterschiedlich waren und der Umfang der Rechte von Gemeinden, Privatpatronen und Landesherrn entweder von vornherein oder aufgrund der Fortentwicklung in Lehre und Praxis variierte. Zwar war es die ursprüngliche Absicht der Reformatoren gewesen, die Wahl der Pfarrer den Gemeinden zu überlassen, doch wurde dieser Plan wohl aufgrund der unklaren Situation mancher Ortsgemeinden zunächst nicht verwirklicht. Statt dessen vertraute man die Besetzung der geist991

Svarez, Kronprinzenvorträge, Oktavfassung, S. 757. Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 361. 993 Dies betraf vor allem das lutherische Kirchenwesen; mit der ursprünglich presbyterial-synodalen Kirchenverfassung der Reformierten war der Patronat prinzipiell ebenso unvereinbar wie das landesherrliche Kirchenregiment. Cf. Hellmar, Patronat, S. 24 ff. 992

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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lichen Ämter zunächst provisorisch den evangelischen Obrigkeiten an994, wobei es freilich auch in späterer Zeit blieb.995 Die Vielzahl der den evangelischen Landesherren zustehenden Patronate ist ausgerechnet auf das katholische Kirchenrecht zurückzuführen, welches der privaten Einflußnahme auf die Besetzung kirchlicher Stellen höchst skeptisch gegenüberstand und das Kollationsrecht soweit wie möglich den Bischöfen überließ. Indem die evangelischen Obrigkeiten infolge der Reformation in die Rechtsstellung der Bischöfe eintraten und das ius episcopale erwarben, fielen ihnen auch die bischöflichen Patronatsrechte zu. Weitere – zuvor Klöstern und Stiften zustehende – Patronatsstellen kamen infolge der Säkularisation hinzu. Darüber hinaus besaßen die evangelischen Landesherren nach wie vor die ihnen schon vor der Reformation zustehenden Patronate. Überall, wo nicht ein besonderes privates Patronatsrecht oder besondere Privilegien der Gemeinden bestanden, wurde nunmehr ein aus dem ius episcopale resultierendes Patronatsrecht des Landesherrn unterstellt; es kam sogar zur Annahme eines allgemeinen staatlichen Patronatsrechts, von welchem sämtliche privaten Patronatsrechte als abgeleitete Rechte ausgingen. Die örtlichen Kirchengemeinden erwarben den Patronat in der Regel nur dort, wo sich die Reformation gegen die katholische Hierarchie oder den Landesherrn durchsetzen mußte.996 Die Terminologie für die dem Landesherrn zustehenden Patronatsrechte war uneinheitlich; die Begriffe „Staatspatronat“, „königlicher“ und „landesherrlicher“ sowie „fiskalischer“ Patronat wurden nebeneinander verwendet.997 Ob der Landesherr dabei als Oberhaupt des Staates oder der Kirche auftrat, war unklar, in der Praxis jedoch ohne Relevanz. Die diesbezüglichen Differenzierungsversuche überzeugen offensichtlich noch nicht einmal deren Autoren.998 Auf diese Vorgeschichte ist die Vielfalt der Patronatsrechte in den einzelnen Gebieten des preußischen Staats zurückzuführen.999 In den Marken waren viele landesherrliche Patronatsrechte Privatpersonen als Lehen überlassen worden, so daß zunächst die Zahl der landesherrlichen Patronatskirchen weitaus geringer war als die privater Patronate.1000 Die meisten dortigen königlichen Patronate waren Folge späterer Stiftungen sowie der Säkularisation.1001 994 Hierfür sprach sich schon 1526 die reformatio ecclesiarum Hassiae, Cap. XXIII, aus (bei Richter, Kirchenordnungen I, S. 66). 995 Ausführlich zur historischen Entwicklung des Patronats Hinschius, Succession im Patronatrechte, S. 420 ff. 996 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 276, 361. 997 Cf. Hellmar, Patronat, S. 41 f. 998 s. nur Hellmar, Patronat, S. 42. 999 Ausführlich zum Verhältnis von ALR und tradiertem Provinzialrecht Hellmar, Patronat, S. 2. 1000 In der Kurmark bestanden im Jahre 1806 247 Mutterkirchen königlichen Patronats, 553 privaten Patronats (Filialkirchen 287 resp. 575). S. Bassewitz, Kurmark

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Anders gestaltete sich die Situation in der Provinz Preußen. Dort lag vor der Reformation für beide dortigen Diözesen das Patronatsrecht für rund zwei Drittel des Territoriums sowie der dort gelegenen Kirchen beim Deutschen Orden und nur für je ein Drittel bei den Bischöfen, denen kraft des bischöflichen Rechts sowie der Landeshoheit für dieses Drittel die volle Herrschaft über die Kirche zustand.1002 Die Zahl der vom Orden oder den Bischöfen an Private verliehenen Patronate war demgegenüber gering. Durch Reformation und Säkularisation und die Vereinigung von Ordens- und Diözesangebiet erhielt der brandenburgisch-preußische Landesherr die entsprechenden Patronatsrechte. Zudem stiftete der Fürst zahlreiche neue Kirchen; die Zahl der landesherrlichen Patronate überstieg daher die Zahl der privaten bei weitem.1003 In Pommern mit Neuvorpommern und Rügen besaßen die Fürsten in der Regel das volle Patronatsrecht1004, das auch in der Kirchenordnung von 1564 förmlich anerkannt war.1005 Darüber hinaus bestanden zahlreiche Privatpatronate, da im Provinzialrecht die Vermutung galt, daß den Besitzern der Rittergute sowie den Grundherren der Mediatstädte das Patronatsrecht der dort gelegenen Kirchen zustehe.1006 Gleiches galt für die meisten Teile Sachsens1007 sowie für Posen und Schlesien.1008 Das vollständige Fehlen eines landesherrlichen Patronatsrechts in der Oberlausitz sowie in weiten Teilen Rheinland-Westfalens ergibt sich aus der Geschichte der Reformation, die sich dort gegen den Widerstand der Obrigkeit behaupten mußte.1009 Brandenburg I, S. 338. Es galt die Vermutung, daß eine bei einem Rittergut gelegene Kirche dessen Patronat unterstehe. S. den revidierten Entwurf des Provinzialrechts der Mark Brandenburg, Teil III, § 23. Hierauf beruht ALR Teil II, Titel XI, § 579. 1001 Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, Band 2, S. 594 ff. 1002 Näher hierzu Voigt, Geschichte Preußens VI, S. 740 ff. 1003 Cf. Arnoldt, Kirchenrecht, S. 12 ff. 1849 existierten in der Provinz Preußen 319 Kirchen landesherrlichen und 313 Kirchen privaten Patronats. Diese scheinbare Gleichheit erklärt sich aus den unterschiedlichen Verhältnissen in Ost- und Westpreußen. Im Regierungsbezirk Gumbinnen betrug das Verhältnis 110 (königlich) zu 15 (privat), in Königsberg 146 zu 88, in Westpreußen hingegen 40 zu 113 (Evangelisches Gemeindeblatt 1849, Nr. 18). 1004 Näher hierzu Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 273 ff., Biederstedt, Kirchliche Verordnungen II, S. 23 ff. 1005 „Als auch Wir, die Landesfürsten, in unseren Städten gemeiniglich durchaus mediate, aut immediate Patronen der Kirchen sind.“ 1006 s. den revidierten Entwurf des Provinzialrechts des Herzogtums Alt-, Vor- und Hinterpommern (Berlin 1836), § 305, sowie die zugehörigen Motive, S. 113 f. Dieser Grundsatz ist auch für Neu-Vorpommern und Rügen anerkannt: Provinzialrecht von Neu-Vorpommern § 1154 und die zugehörigen Motive Teil IV, S. 128 f. 1007 Cf. von Weber, Kirchenrecht II/2, S. 295 f. m.w. N. Zu regionalen Einschränkungen und Besonderheiten cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 277, Anm. 9. 1008 Näher hierzu Anders, Statistik der evangelischen Kirche in Schlesien, passim. 1009 s. im einzelnen supra Kapitel 2, C. II. 7./8.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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Ebenfalls reformationsgeschichtlich bedingt ist die Entwicklung des mancherorts bestehenden Patronatsrechts der städtischen Magistrate.1010 2. Das Patronatsrecht im Verhältnis zum Staat: Die Auseinandersetzung zwischen Svarez und Carmer Die das Patronatsrecht ausmachenden Befugnisse waren zwar im Detail provinziell unterschiedlich, doch bestand hinsichtlich der grundsätzlichen Fragen ein allgemeiner Konsens. Hierauf sowie auf die Lehrbücher von van Espen1011 und J. H. Böhmer konnte man bei der Kompilation des Allgemeinen Landrechts zurückgreifen, als zur Ergänzung der im wesentlichen auf das Präsentationsrecht sowie auf die Baupflicht der Patrone beschränkten und daher lückenhaften partikularen Vorschriften1012 eine umfassende und landesweit gültige Regelung erarbeitet wurde. Diese Voraussetzungen berücksichtigte insbesondere Klein in seinem Entwurf1013, befaßte sich jedoch ebenso mit allgemeinen Grundsätzen über Entstehung, Inhalt und Verlust des Patronatsrechts1014 und führte in diesem Zusammenhang aus: „Eine Gemeinde, welche noch mit keinem Patronate versehen ist, kann Jemanden mit Einwilligung des Consistorii oder Bischofs das Patronatrecht übertragen.“1015 Carmer sah offenbar die hier suggerierte zentrale Rolle der Gemeinde und das bloße Zustimmungsrecht des Inhabers der bischöflichen Rechte skeptisch und bemerkte dazu: „In diesem Falle gebührt das Patronatrecht dem Landesherrn, unter dessen Schutze alle Kirchen und Kirchengesellschaften stehen. Es kann sich Jemand ein Recht dazu erwerben, es muß ihm aber der Gebrauch dieses Rechts vom Staate zugestanden werden. Er muß damit beliehen werden.“ In dieser den allgemeinen Staatspatronat betonenden, von einer territorialistischen Sichtweise des landesherrlichen Kirchenregiments geprägten Stellungnahme ist jegliche kirchliche Terminologie eliminiert; ein Unterschied zur sonstigen Verleihung staatlicher Lehen wird nicht gemacht. Einen Mittelweg beschritt zunächst Svarez im ungedruckten I. Entwurf, Abschnitt X (§§ 694–763), dessen Übereinstimmung mit dem damaligen gemeinen Recht unverkennbar ist.1016 Als Erwerbsgründe für das Patronatsrecht nannte 1010 Cf. für Brandenburg von Mühler, Geschichte, S. 57 f., 83; für Preußen Arnoldt, Kirchengeschichte, S. 680 sowie dens., Kirchenrecht, S. 15; für Pommern Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 275. 1011 Titel des Werkes: „Jus ecclesiasticum in epitome redactum ac subjunctis brevibus sententiis, atque argumentis studii patriotici instructum a Benedicto Oberhauser“. 1012 Cf. etwa G. F. Müller, Entwurf eines Königl. Preuß. Geistlichen Civil-PrivatRecht, S. 315 f., 345 ff. 1013 Materialien zum ALR XXIII, fol. 171 ff. 1014 Materialien zum ALR XIV, fol. 18 ff., Abschnitt V. 1015 Entwurf § 126, Materialien zum ALR XIV, fol. 28.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Svarez den Kirchbau, die hinlängliche Ausstattung oder die Wiederherstellung einer verfallenen oder verarmten Kirche sowie den Auftrag der Kirchengesellschaft.1017 Erst danach hieß es: „Auch der Staat kann jemand das PatronatRecht verleihen. Dadurch aber kann weder der Kirchen-Gemeinde, noch den geistlichen Obern, von ihren bisher ausgeübten Gerechtsamen etwas entzogen werden.“1018 Hierzu ist folgende Randbemerkung Carmers überliefert: „Dieses ist wohl mehrentheils der Fall und sollte die Regel machen. Das Ober-Kuratorium über die Kirchen gebühret dem Landesherrn, sowie über unmündige, und kann nur von dem Oberhaupt des Staats, dem dergleichen Pflicht obliegt, an bestimmte Personen übertragen werden. Es heißt deswegen auch kirchlich. Ist der Landesherr befugt, jemand mit dem Patronatrecht zu belehnen, so kann er ihm auch alle dahin gehörige Rechte übertragen. Hat er aber jemand einer Theil dieses Rechts schon conferirt, so kann er es ihm freilich nicht wieder wegnehmen. Überhaupt bin ich von der hier angenommenen Theorie noch gar nicht überzeugt. Auch der Erbauer einer Kirche erhält erst das jus patronatus ex infeudatione. Wenn die Kirche einen Patronum haben will, muß sie sich solchen von dem Staat ausbitten. [. . .] NB. Die Kirche verlieret nicht, sondern sie gewinnt, wenn ihr ein Patronus gegeben wird. Man muß die Kirche selbst und ihre Rechte von der Kirchengemeinde und andern Rechten unterscheiden. – Von Rechtswegen soll eine Kirche so wenig ohne einen Patron, als ein Minorenner ohne Vormund im Staate gelassen werden. – Wo kein Particulier zum Patron bestellt ist, da wird der Landesherr selber qua talis in Ansehung dieser Kirche angesehen.“1019

Dieser Ansicht konnte Svarez nicht zustimmen: „Der Staat kann jemand das Patronatrecht nur in so fern verleihen, als er solches selbst hat. Er hat es aber de regula nicht; sondern nur in einzelnen Fällen, wenn es ihm z. E. mit dem Lehngut, cui annexum, anheim gefallen ist.“ Er plädierte nunmehr dafür, die §§ 701, 702 des I. Entwurfs ersatzlos zu streichen. Anläßlich der Revisio Monitorum begründete Svarez seine Ansicht noch ausführlicher und widerlegt nacheinander die Argumente der Gegenansicht. Zunächst verwarf er die Analogie zum Recht der Minderjährigen: Eine Kirche müsse durchaus keinen Patron haben, so daß auch kein subsidiäres Patronatsrecht des Landesherrn erforderlich sei. Trotz mancher Ähnlichkeiten könnten nämlich Kirchen und Minderjährige nicht gleichgestellt werden. Eine Kirchengesellschaft, die einen Patron habe, sei eher eingeschränkter und deterioris conditionis. Im übrigen seien die Aufsichtsrechte des Staates oder des Landesherrn vom Patronatsrecht strukturell sehr verschieden. Zudem verwies er – insofern ganz Kollegialist – auf den seiner An1016

Jacobson, Kirchenrecht, S. 278. I. Entwurf, §§ 695–700. Die aus den Materialien zum ALR (XIV, fol. 87; XV, fol. 69 f., fol. 139 f.) stammenden Ausführungen sind überliefert bei von Kamptz, Erläuterungen einiger Vorschriften des Preußischen Kirchenrechts, S. 71–76. 1018 I. Entwurf, §§ 701, 702. 1019 I. Entwurf, §§ 701, 702. 1017

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sicht nach gesellschaftsrechtlichen Charakter des Kirchenrechts: „Das bisherige scheint mir ex notione societatis, den man doch bei dem ganzen Kirchenrecht zu Grunde legen muß, und auch wirklich gelegt hat, natürlich zu folgern.“ Die Behauptung, ein Privater könne das Patronatsrecht nur vom Staat erhalten, werde weder durch eine entsprechende Rechtsgrundlage noch durch die geschichtliche Praxis gestützt. Gegen die These, das Patronatsrecht sei kein persönliches Recht, sondern als ius reale akzessorisch zu einem Amt oder Gut, spreche die Theorie anerkannter Schriftsteller. Die Ansicht Svarez’ konnte jedoch nicht obsiegen; der II. Entwurf wurde statt dessen im Sinne Carmers umgearbeitet.1020 Statt der §§ 701, 702 des I. Entwurfs lautete die Anerkennung des Staatspatronats in § 431 des II. Entwurfs: „Doch wird in allen vorstehenden Fällen das Kirchenpatronat selbst, erst durch die Verleihung des Staats erworben.“1021 Hieraus ergaben sich verschiedene Änderungen im Detail; so war etwa – im Hinblick auf den Erwerb des Patronatsrechts durch Verjährung – nicht mehr von den Voraussetzungen der „Verjährung in Kirchensachen“1022, sondern von der Verjährung „bei Regalien“1023 die Rede. Neu hinzugekommen waren die §§ 439, 440: „In so fern, als dem Patron die Aufsicht über die Kirche und deren Vermögen zusteht, übt derselbe Rechte des Staats aus. Kirchen also, die keinen besondern Patron haben, sind der Aufsicht und Direction des Staats, noch näher und unmittelbarer, als Patronatkirchen unterworfen.“ Anläßlich der Revisio Monitorum schlug Svarez auch hier vor, die beiden Vorschriften ersatzlos zu streichen, da die Rechte des Patrons nicht den Charakter staatlicher, sondern kollegialer Rechte oder der Befugnisse geistlicher Oberer hätten; der Staat übe dessen ungeachtet die allgemeinen Aufsichtsrechte aus.1024 Dieser Vorschlag wurde angenommen, jedoch nur deshalb, weil die Befürworter der territorialistischen Sichtweise das Prinzip des staatlichen Primats durch § 431 des II. Entwurfs als in ausreichendem Maße gewährleistet ansahen; die beiden Vorschriften gingen daher nicht ins Allgemeine Landrecht ein. Die Auffassungsunterschiede von Svarez und Carmer spiegelten sich dennoch auch weiterhin in einigen Inkonsequenzen des Allgemeinen Landrechts wider. 1020 Abschnitt X (§§ 694 ff.) wurde aus systematischen Gründen zu Abschnitt VIII (§§ 426 ff.). Zu den Einzelheiten der Umarbeitung s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 279 f. 1021 Ebenso ALR Teil II, Titel XI, § 573. 1022 I. Entwurf § 704. 1023 II. Entwurf § 433; ALR Teil II, Titel XI, § 575. 1024 „. . . denn die Rechte des Patrons sind nicht so sehr jura des Staats, als jura collegialia oder Rechte der Geistlichen Obern. Von den eigentlichen Rechten des Staats circa temporalia hat der Patron im Grunde nichts. Dem Staate bleibt immer die Oberaufsicht: nur die geistlichen Obern sind zu einer unmittelbaren Aufsicht resp. weniger berechtigt und verpflichtet bei ecclesiis juris patronatus, als bei non patronatis.“ Materialien zum ALR LXXX, fol. 152.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Von seinem Standpunkt aus hätte Svarez etwa beim Wegfall des Patronats die entsprechenden Rechte an die Gemeinde fallen lassen müssen, doch sah er im I. Entwurf die Regelung vor: „Ist der letzte Besitzer eines erblichen Patronatrechts erblos verstorben, so fällt das Patronatrecht als ein herrenloses Gut dem Landesherrn anheim. Ein Gleiches geschieht, wenn die Familie oder das Kollegium oder Korporation, denen das Patronatrecht zugestanden hat, gänzlich erloschen sind.“1025 Zuständig für eine vorübergehende Verwaltung sollten ein gerichtlicher Administrator oder der Staat sein.1026 Über den Verzicht hieß es im I. Entwurf: „Dem ganzen Inbegriff des Patronatrechts kann der Patron wider den Willen der Kirche und deren geistlichen Obern nicht entsagen.“1027 Später sollte es nicht lediglich auf den Willen kirchlicher, sondern an erster Stelle auch staatlicher Institutionen ankommen: „Den zum Kirchenpatronat gehörigen Pflichten kann, ohne Einwilligung des Staats und der Kirchengesellschaft, niemand entsagen.“1028 Die Fassung des Allgemeinen Landrechts schließlich kehrte zur Sichtweise des I. Entwurfs zurück: „Niemand kann, ohne ausdrückliche Einwilligung der Gemeine, und ohne Genehmigung der geistlichen Obern, des Patronatsrecht, und der damit verbundenen Obliegenheiten sich begeben.“1029 Die Auseinandersetzung über die Regelungen weist exemplarisch auf den Konflikt zwischen der kollegialistisch-gesellschaftsrechtlichen und der territorialistisch-staatskirchlichen Sicht des Verhältnisses von Staat und Kirche hin. Berücksichtigt man, daß die schließlich im Allgemeinen Landrecht zugrunde gelegte Theorie vom Staatspatronat – von der bereits im Gesetz nicht konsequenten Durchführung abgesehen – nie vollständig in die Praxis übergegangen ist1030, so zeigen die Diskussion und ihr Ergebnis gleichzeitig die letztlich unüberwindlichen Grenzen, denen die Gestaltungs- und Durchsetzungsmacht der Staatsgewalt faktisch unterworfen war. 3. Begriff und Erwerb des Patronatsrechts Das gemeine Recht verstand unter dem Patronat die Gesamtheit der aus der Stiftung einer Kirche oder eines Kirchenamts resultierenden Rechte und Pflichten, welche sich in erster Linie auf die Verleihung kirchlicher Ämter und auf die Sorge für das Kirchengut beziehen.1031 Dabei stellte der Patronat nicht selbst ein Kirchenamt oder gar eine Funktion innerhalb der Kirchenregierung 1025 1026

I. Entwurf §§ 755, 756. I. Entwurf §§ 751, 752; II. Entwurf §§ 457, 458; ALR Teil II, Titel XI, §§ 602,

604. 1027 1028 1029 1030

I. Entwurf § 749. II. Entwurf § 461. ALR Teil II, Titel XI, § 610. Jacobson, Kirchenrecht, S. 281.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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dar; er war nicht etwa ein spirituale, sondern nur ein temporale oder saeculare spirituali annexum.1032 Die Reformation als solche brachte weder eine terminologische noch eine inhaltliche Änderung des Patronatsrechts mit sich; hierzu kam es erst infolge der späteren faktischen Entwicklungen. Da nämlich die Landesherren und anderen weltlichen Obrigkeiten – wie dargestellt – nicht nur das Kirchenregiment erhielten, sondern auch im Besitz zahlreicher Patronate sich befanden oder in ihn gelangten, sah man sie als eigentliche Inhaber sämtlicher Patronate und die Patronate der Privatpersonen nur mehr als Ausfluß des obrigkeitlichen Patronats an. Zugleich wurde zwischen dem ius advocatiae (der Vogtei) als ius patronatus eminens sowie dem ius circa sacra nicht mehr scharf getrennt; durch die Einbeziehung des ius episcopale wurde die Rechtslage noch unübersichtlicher.1033 Auch die Patronate der Privatpersonen erhielten so den Charakter einer kirchenregimentlichen Behörde; den Versuchen der Patrone, Anteil am Kirchenregiment zu erhalten, wurde so Vorschub geleistet. Zwar sahen selbst diejenigen, welche das ius patronatus eminens unter das ius episcopale faßten, das ius patronatus vulgare nicht als Teil des bischöflichen Rechts an1034, und auch die Inhaber des Kirchenregiments widersprachen einer solchen Deutung sehr entschieden.1035 Dennoch ist in verschiedenen Epochen pronon-

1031 s. etwa J. H. Boehmer, Jus ecclesiasticum Protestantium I, lib. 3 tit. 38 § 59; G. L. Boehmer, Principia juris canonici, § 524; Richter, Lehrbuch, § 152; Schulte, Lehrbuch, § 79 (jeweils m.w. N.). 1032 s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 281, Anm. 2 m. N. 1033 Cf. hierzu etwa Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 267: Es „stehet auch denen Landes-Heeren vi superioritatis territorialis das jus circa sacra und mithin das jus patronatus superius zu über alle Kirchen, Klöster, Hospitale und andere geistliche Stiftungen im Lande, wenn gleich auch eine commune, oder ein privatus, über selbige das jus Patronatus hatte; und bestehet in einer generalen Aufsicht über alle Kirchen u.s.w. Welches Recht ein Connexum juris circa sacra ist. Zu Catholischen Zeiten hatte solches der Papst und die Bischöfe an sich gezogen, daher es den Namen jus episcopalis erhielt. Nach der Reformation aber, da die Protestantischen LandesHerren das päpstliche Joch abschüttelten, vindicirten sie ihnen jure postliminii das jus episcopale und folglich auch das jus Patronatus eminens.“ 1034 Cf. Balthasar, Jus ecclesiasticum pastorale I, S. 267: „Letzteres, nemlich das vulgare ist, welches privatis und Communen, auch wohl dem Principi, ut privato in denen Städtschen Kirchen, auch wol auf dem Lande in seinen Domainal-Pfarren competiret, welches ex jure dotationis Ecclesiae seinen Ursprung hat, und ordentlicher Weise in jure vocandi Pastores bestehet.“ 1035 Teilweise wurden die Patrone zurückgewiesen, wenn sie gemeinsam mit den Ständen auf die kirchliche Verwaltung einzuwirken suchten (Beispiele bei Jacobson, Geltung der Kirchenordnungen, S. 26 ff.). Zum Teil existieren jedoch auch spezielle Erlasse gegen die Patrone allein, z. B. das in Berlin erlassene Reskript vom 2. Juni 1723 (bei Beckher, Preußische Kirchenregistratur, Hauptband, S. 91): „Diejenigen vom Adel oder andere, welchen das Jus patronatus über einige Kirchen zustehet, sollen dasselbe nicht zu weit extendiren, sondern unter demselben und dem Jure supremo Episcopali einen Unterschied machen, und in dem äußerlichen Gottesdienste in ihren Kirchen, sich nach denen Kirchenordnungen und Königlichen Edicten und Verordnungen richten, auch ihre Kirchen der Inspection des Erzpriesters überlassen.“

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

ciert die Ansicht vertreten worden, daß „das Patronatrecht und das Recht der landesherrlichen Kirchengewalt in der Idee und in der geschichtlichen Wurzel Eins“ seien.1036 Die dem preußischen Recht zugrundeliegende Auffassung war wesentlich durch den bei der Zusammenstellung des Allgemeinen Landrechts statuierten Staatspatronat gekennzeichnet, auch wenn die Terminologie des Gesetzbuches im Hinblick auf Inhalt und Wesen des Patronatsrechtes ansonsten nicht sehr deutlich war. Hatte der I. Entwurf mit der Formulierung „Kirchenpatrone sind die Schutzherren und Vertheidiger einzelner Kirchengesellschaften“1037 die kirchliche Funktion des Patronats akzentuiert, so rückte das Allgemeine Landrecht die kirchenregiminale Relevanz dieses Amtes in den Vordergrund: „Derjenige, welchem die unmittelbare Aufsicht über eine Kirche, nebst der Sorge für deren Erhaltung und Vertheidigung obliegt, wird der Kirchenpatron genannt.“1038 Gleichwohl sollte dies nicht bedeuten, daß dem Patron im Sinne des Allgemeinen Landrechts ein Kirchenamt überwiesen würde; dies ist daran zu erkennen, daß der Patron im Abschnitt III („Von den Oberen und Vorgesetzten der Kirchengesellschaften“) im Gegensatz zu den Kirchencollegia und Kirchenvorstehern nicht erwähnt ist. Zwar mußte der Patron Kirchenvorsteher als Verwalter des Kirchenvermögens bestellen1039, doch stand nach dem Landrecht nicht ihm selbst die Verwaltung zu. Abschnitt IX, der die Verwaltung der Güter und des Vermögens der Pfarrkirchen regelte, erwähnte nur die Rechte und Pflichten der Kirchenvorsteher und Verwalter; der Patron führte lediglich die Aufsicht über diese.1040 Er war als solcher nicht selbst Kirchenvorsteher und infolgedessen auch nicht geborenes Mitglied des Presbyteriums; seine Funktion ähnelte weniger jener eines Vormundes der Kirchengesellschaft, sondern eher der eines Vormundschaftsgerichts.1041 Hierfür spricht auch die Art und Weise, in der nach dem Allgemeinen Landrecht der Patronat erworben werden konnte. Wurde nach gemeinem Recht1042 der Patronat durch Erbauung, Dotierung oder Wiederherstellung einer Kirche oder durch Auftrag der Kirchengesellschaft1043 tatsächlich (zitiert nach Jacobson, Kirchenrecht, S. 282). Cf. auch Jacobson, Geschichte der Quellen I/2, S. 97. 1036 Cf. etwa Hellmar, Patronat, 22 f., 29. Dezidiert anderer Ansicht ist etwa Kliefoth, Von der Ordination und Introduction, S. 364, 371. 1037 I. Entwurf, § 694. 1038 ALR Teil II, Titel XI, § 568 (im wesentlichen identisch mit II. Entwurf § 426). 1039 ALR Teil II, Titel XI, § 585. 1040 Diese Aufgabenverteilung ist in verschiedenen Gerichtsentscheidungen bestätigt worden; s. etwa Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 382 ff., 771. 1041 So Svarez anläßlich der Revisio Monitorum zu § 441 des II. Entwurfs; Materialien zum ALR XLIV, fol. 20; LXXVI, fol. 521; LXXX, fol. 152. 1042 Corpus Iuris Canonici, Decreti secunda pars, Causa XVI, qu. VII, C. XXXII; Decretalium D. Gregorii Papae IX Liber III, Tit. XXXVIII de iure patronatus, cap. XXV. Entsprechend auch der I. Entwurf, §§ 695–698.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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erworben, so führten diese Tatbestände nach dem Allgemeinen Landrecht lediglich zu einem Anrecht auf den Patronat, der Patronat selbst wurde erst durch staatliche Verleihung erworben.1044 Darüber hinaus konnte der Patronat durch „Verjährung“ (Ersitzung) erlangt werden.1045 Alle diese Bestimmungen stützen die Vermutung, daß das preußische Recht den Patronat nicht als kirchliches Amt, sondern vielmehr als ein niederes Regal ansah, das der Staat, ohne sich seines unveräußerlichen Hoheitsrechts zu begeben, an Einzelpersonen, Familien, Korporationen und Gemeinden übertragen oder an bestimmten Grundbesitz geknüpft hatte.1046 Die Ausgestaltung dieses Instituts ähnelte der Regelung der Privat- und Patrimonialgerichtsbarkeit, mit welcher der Patronat in mancher Hinsicht rechtlich gleichgestellt war.1047 Auch aus dem Provinzialrecht des preußischen Staates ergab sich kein anderer Charakter des Patronatsrechtes, wenngleich etwa in den Marken aufgrund der ausgedehnten Rechte des Patrons dessen Stellung jener eines Vormundes in größerem Maße angenähert war als in anderen Landesteilen.1048 Daß die Kirchenpatrone hier und dort, sei es aufgrund gesetzlicher Sanktion oder gewohnheitsrechtlich bedingt, zumindest zeitweise auch kirchenregiminale Aufgaben wahrgenommen haben, ist nicht zu bestreiten. Andererseits spricht gegen die kirchenamtliche Natur des Patronats nicht nur die Art des Erwerbs, sondern auch die Tatsache, daß der Patronat durch Konfessionsfremde ausgeübt werden konnte.1049 Ausgeschlossen war hingegen zunächst die Ausübung des Patronats durch „Personen, welche zu keiner von den im Staate aufgenommenen oder geduldeten christlichen Religionsparteien gehören“.1050 Die Vorschrift 1043 Dieser Entstehungsgrund kam im gemeinen Recht nicht vor; cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 283, Anm. 17. 1044 ALR Teil II, Titel XI §§ 569–573; II. Entwurf §§ 427–431. Diese Regelung steht im Einklang mit den allgemeinen Bestimmungen des ALR über den Erwerb dinglicher Rechte und Titel (ALR Teil I, Titel II, §§ 131 ff.). 1045 ALR Teil II, Titel XI, §§ 574–576. 1046 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 284. 1047 s. ALR Teil II, Titel XVII, §§ 18 ff., insbes. § 29: „Überhaupt gilt von dem Besitze, und der Übertragung der mit dem Besitze verbundenen Ehrenrechte, eben das [von der Patrimonialgerichtsbarkeit], was von dem dinglichen Patronatrecht verordnet ist (Tit. XI. § 598 ff.).“ 1048 s. etwa von Kamptz, Kirchenrechtliche Aphorismen, S. 247 ff. (Mark Brandenburg). Zu Pommern s. Jacobson, Kirchenrecht, S. 285. 1049 An der Zulässigkeit der Übung des Patronats von Katholiken über evangelische Kirchen und umgekehrt besteht kein Zweifel. Daß nach gemeinem deutschen Recht Evangelische keine Patronate über römisch-katholische Kirchen erwerben konnten, ist nicht erwiesen (s. hierzu Dove, Streitfrage, sowie Schulte, Patronatsrecht, S. 209 ff.). 1050 ALR Teil II, Titel XI, § 582 (II. Entwurf § 438). Der I. Entwurf (§ 708) hatte nur Mitglieder der „öffentlich aufgenommenen Religionsparteien“ zum Patronat zugelassen. Diese Regelung wurde gegen den Rat Svarez’, der den Patronat eines Nichtchristen über eine christliche Kirche als „unschicklich“ bezeichnete und zumindest

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

wurde später dahingehend geändert, daß ein vorübergehend an jüdische Besitzer gelangtes Patronatsrecht über eine christliche Kirche für die Zeit des Besitzes ruhte und die patronatsrechtlichen Befugnisse auf die Kirchenbehörden übergingen.1051 Konfessionell bedingte Besonderheiten für die Ausübung des Patronatsrechts bestanden nur bei einzelnen Befugnissen, etwa um die Beteiligung des Patrons an der Pfarrerwahl. Das Allgemeine Landrecht traf hierfür Sonderregelungen1052, doch wurde dort nur das Verhältnis von evangelischem und katholischem („nicht-evangelischem“) Bekenntnis, d. h. die Konstellation einer evangelischen Gemeinde mit katholischem Patron, problematisiert, nicht jedoch das Verhältnis der beiden evangelischen Hauptbekenntnisse (lutherisch, reformiert). Selbst vor der 1817 mit unklarer Wirkung proklamierten evangelischen Union wurde demnach die Ausübung von Patronatsrechten in einer Gemeinde durch einen Bekenntnisfremden nicht als problematisch angesehen, solange dieser wenigstens Augsburgischer Konfessionsverwandter war.1053 Dies mußte erst recht für das patronale Tätigwerden des evangelischen Landesherrn gelten. Die der brandenburgisch-preußischen Staatspraxis zugrundeliegende politische Doktrin, die beiden evangelischen Bekenntnisse seien nichts anderes als zwei Strömungen oder Denkweisen innerhalb der einen evangelischen Konfession, hat sich auch in diesem Zusammenhang durchgesetzt. Besonders eigentümlich war die – als seltene Ausnahme vorkommende – Ausübung des dem evangelischen preußischen König zustehenden Patronats über katholische Pfarreien. Originäre Patronatsrechte dieser Art bestanden etwa im Bistum Ermland1054, und zwar in den Dekanaten Elding und Königsberg.1055 Außerdem fiel nach ostpreußischem Provinzialrecht das einem weltlichen Patron über eine katholische Pfarrstelle zustehende Patronatsrecht an die Kirche zurück, wenn es nicht binnen vier Monaten ausgeübt wurde; im Bistum Ermland gelangte es aber an den Landesherrn.1056 Auch im Fürstentum Siegen eine besondere landesherrliche Erlaubnis gewünscht hätte (cf. Materialien zum ALR LXXX, fol. 152), im o. g. Sinne abgeändert. 1051 Verordnung vom 30. August 1816, Gesetz-Sammlung 1816, S. 206.; Vogt, Kirchenrecht I, S. 417. 1052 ALR Teil II, Titel XI, §§ 340 ff. 1053 Nach der Union galt für die evangelischen königlichen Patronatsstellen, daß auf das Bekenntnis des anzustellenden Predigers keine Rücksicht zu nehmen sei, sofern dies nicht bei der Gemeinde Unzufriedenheit errege. Kabinettsorder vom 30. April 1830; von Kamptz, Annalen XIV, S. 324. 1054 Das Bistum lag in Westpreußen, es galt aber ostpreußisches Recht. Cf. supra Kapitel 2, C. II. 1. 1055 In den übrigen Dekanaten stand das Patronatsrecht dem bischöflichen Kapitel, dem Bischof persönlich, oder den Gutsbesitzern zu. S. hierzu im einzelnen Hellmar, Patronat, S. 106. 1056 Nauck, Ostpreußisches Provinzialrecht, Zusatz 178.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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(Provinz Westfalen) wurden die katholischen Pfarrstellen durch die weltliche Regierung im Einvernehmen mit dem Diözesanbischof besetzt. Insoweit bestand ein landesherrlicher Patronat, der aber keine sonstigen Rechte oder Pflichten begründete.1057 In den Grafschaften Wittgenstein war der Landesherr Patron der katholischen Pfarrei zu Neuastenberg; auch im Bereich der Synode zu Dortmund sollen die katholischen Pfarreien zum Teil königlichen Patronats gewesen sein.1058 Noch im 19. Jahrhundert scheint man jedoch von der prinzipiellen Möglichkeit eines königlichen Patronats über katholische Kirchen ausgegangen zu sein.1059 Während die katholische Kirche den Patronat aufgrund des entstehenden Konflikts mit dem Besetzungsrecht der Bischöfe grundsätzlich ablehnte, wurde von evangelischer Seite insbesondere die Ausübung des Präsentations- und Vokationsrechts als Hemmung der gemeindlichen Autonomie moniert.1060 Auch in Preußen wurde unter diesem Aspekt mehrfach die Abschaffung des Patronatsrechtes angeregt1061; es kam jedoch nicht dazu, da die Übernahme der Patronatpflichten durch die Gemeinden praktisch nicht möglich war. Insbesondere wurden im Rahmen der seit 1817 unternommenen Versuche zur Begründung einer presbyterial-synodalen Kirchenverfassung die Entbehrlichkeit und die mögliche Abschaffung des Patronats diskutiert.1062 Auch diese Initiativen blieben jedoch ohne Ergebnis; man einigte sich letzten Endes darauf, die erworbenen Rechte der Patrone auch unter einer neuen Kirchenverfassung unangetastet zu lassen.1063 4. Ausübung des königlichen Patronatsrechts Die preußischen Landesherren verliehen die unter ihr Patronatsrecht fallenden Kirchenämter zum Teil höchstpersönlich, zum Teil durch besonders damit betraute landesherrliche Behörden. 1057

Cf. Hellmar, Patronat, S. 123. Cf. Hellmar, Patronat, S. 136. 1059 Cf. Hellmar, Patronat, S. 48, der darauf hinweist, daß die Patrone katholischer Pfarreien nur inländische Geistliche berufen durften, welche den Oberbehörden bereits aufgrund ihrer Leistungen als Kapläne bekannt waren (Reskript vom 5. Juni 1827; von Kamptz, Annalen X, S. 472). Von dieser und anderen Einschränkungen sei aber der König als Kirchenpatron ausgenommen gewesen (Kabinettsorder vom 11. April 1845; Ministerialblatt für die gesamte Verwaltung 1845, S. 5). 1060 Cf. Hellmar, Patronat, S. 23 ff. 1061 s. im einzelnen Hellmar, Patronat, S. 146 ff. 1062 Die Diskussion ging aus von der Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung 1818, § 33 ff. Cf. die Verhandlungen der Provinzialsynoden von Schlesien (in: Gaß, Synodalangelegenheiten II, S. 320 ff. – Abschaffung) und Westfalen (Verhandlungen der westfälischen Provinzialsynode zu Lippstadt 1819, S. 44, 48). 1063 s. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 294 f. 1058

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Dem Vorbild Johann Sigismunds folgend verordnete Kurfürst Friedrich Wilhelm, daß die Pfarrstellen seines Patronats durch den Geheimen Rat besetzt und auch die Ernennungs- und Amtseinführungsdokumente dort ausgestellt werden sollten.1064 Dagegen besetzte Friedrich Wilhelm I. die königlichen Patronatsstellen höchstpersönlich; ohne seine ausdrückliche Mitwirkung durfte auch die kleinste von ihm zu vergebende reformierte Pfarrstelle nicht besetzt werden.1065 Bei dieser Regelung blieb es, bis Friedrich II. die Ernennung der Prediger vollständig an die Staatsminister des Geistlichen Departements delegierte, da er selbst die zur Ernennung vorgeschlagenen Geistlichen weder kannte noch ihre pfarramtliche Eignung beurteilen konnte.1066 Nur die besonders wichtigen Patronatsstellen blieben zukünftig der persönlichen Besetzung durch den Landesherrn vorbehalten, ansonsten wurden das Geistliche Departement und die Provinzialbehörden tätig.1067 Auch im Allgemeinen Landrecht wurde daher auf die Zuständigkeit der Konsistorien verwiesen1068; von diesen ging die Besetzung der landesherrlichen Patronatsstellen zusammen mit den anderen Amtsgeschäften ab 1797 (1803, 1804, 1808) auf die Kammern (Regierungen) über. Hieran wurde auch nach der Wiederherstellung der Konsistorien festgehalten; die Regierungen übten das Patronatsrecht aus, soweit sich nicht der König selbst die persönliche Besetzung ausdrücklich vorbehalten hatte.1069 Erst zu den Spätzeiten des Absolutismus fiel das Besetzungsrecht wieder an die Konsistorien zurück.1070 Bei der Ausübung des Besetzungsrechts für landesherrliche Patronatsstellen unterlagen die Behörden denselben gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Auswahl der Person sowie der Beteiligung der Gemeinde wie die Privatpatrone1071, soweit nicht in örtlichen Einzelfällen besondere Vorschriften galten.

1064

Verordnung vom 16. Februar 1660; Mylius, CCM I/1, Sp. 367–370. Cf. A. F. W. Sack, Lebensbeschreibung, Band 1, S. 35. „Reformiert“ meint hier wohl nicht „calvinistisch“, sondern „evangelisch“. 1066 Cabinets-Ordre vom 28. Februar 1768; NCC IV 1789, Nr. 14, fol. 2053. Es handelte sich um die allgemeine Wiederholung einer Anordnung, die der König bereits während des Siebenjährigen Krieges für die preußische Regierung sowie für das reformierte Kirchendirektorium getroffen hatte (Cabinets-Ordre vom 30. August 1756, NCC II, Sp. 161). 1067 König Friedrich Wilhelm II. bestimmte durch Cabinets-Ordre vom 24. November 1786, daß zukünftig die Besetzung der vakanten Predigerstellen der Kirchenverfassung nach durch das Geistliche Departement erfolgen solle. 1068 ALR Teil II, Titel XI, § 324 (cf. supra). 1069 Instruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817, § 18 a; Cabinets-Ordre vom 31. Dezember 1825, B, Nr. 3. 1070 Verordnung vom 27. Juni 1845, § 2. Zur Rheinprovinz und Westfalen cf. überdies die Erlasse des Konsistoriums zu Koblenz vom 18. Januar 1846 und vom 18. Januar 1847, abgedruckt in der Bonner Monatsschrift für die evangelische Kirche, Dezember 1847, S. 333 ff. 1065

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Wer auch immer bei einer königlichen Patronatspfarrei das Präsentations- und Vokationsrecht ausübte, hatte es in der Hand, die jeweiligen Pfarrstellen, bei denen es sich nicht selten um Schlüsselpositionen in der Landeskirche handelte, mit Kandidaten zu besetzen, die ihm nicht nur theologisch zusagten, sondern auch politisch opportun erschienen. Durch gezielte Besetzung wichtiger Pfarrstellen war es möglich, der Landeskirche und dem evangelischen Kirchenwesen eine bestimmte theologische und ideologische Prägung zu geben. Soweit ersichtlich, ist von dieser Möglichkeit zu allen Zeiten reger Gebrauch gemacht worden, und zwar unabhängig davon, ob das Besetzungsrecht durch den Monarchen persönlich oder durch eine königliche Behörde ausgeübt wurde. X. Bekenntnisse außerhalb der Landeskirche 1. Die konzessionierten und geduldeten evangelischen Bekenntnisse Diejenigen evangelischen Christen, welche sich hinsichtlich der Lehre und des Bekenntnisses mit den reichsrechtlich legitimierten Lutheranern und Reformierten in wesentlicher Übereinstimmung befanden, jedoch nur eingeschränkt – nämlich hinsichtlich der Kirchenaufsicht – unter dem landesherrlichen Kirchenregiment standen, verfügten nicht über die Rechte privilegierter Korporationen. Sie stellten jedoch aufgenommene Kirchengesellschaften nach näherer Maßgabe der ihnen verliehenen Konzessionen dar.1072 Hierzu zählten insbesondere die seit der Regierungszeit Friedrichs des Großen förmlich legitimierten evangelischen Brüdergemeinden (Herrnhuter) als „wahre Augsburgische Konfessionsverwandte“1073, die schlesischen (orthodoxen) Lutheraner1074 sowie die Reformierten niederländischer Konfession (Kohlbrüggianer in Elberfeld).1075 Diese Gemeinschaften verfügten über Korporationsrechte und waren zum Besitz von 1071

Auch wenn das Besetzungsrecht im Wege der Devolution auf die Behörden in ihrer Eigenschaft als geistliche Obere übergegangen war, mußten diese die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften befolgen. ALR Teil II, Titel XI, § 402 (der in § 310 des II. Entwurfs enthaltene Verweis auf §§ 260, 261 – ALR Teil II, Titel XI, §§ 325, 326 – fehlt in ALR Teil II, Titel XI, § 402). In einem solchen Fall war jedoch die Anfrage bei der Gemeinde, ob diese gegen den zu ernennenden Geistlichen etwas einzuwenden habe, entbehrlich, da die Regierung nicht in Ausübung des Patronatsrechts, sondern als geistlicher Oberer handelte. So auch der zweite Bescheid auf die I. westfälische Synode, Nr. 2 (Hagens, Kirchen-Ordnung für die evangelischen Gemeinen der Provinz Westfalen und der Rhein-Provinz, S. 17 oben). Cf. zum Devolutionsrecht auch Jacobson, Kirchenrecht, S. 432 f. 1072 Ausführlich hierzu Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 392 ff. 1073 Die Konzessionen stammen vom 15. Dezember 1742, 7. Mai 1746, 18. Juli 1763, 20. April 1780 und 10. April 1789. 1074 Zu ihnen ausführlich supra Kapitel 2, E. VII. 6. Die Generalkonzession datiert vom 28. Juli 1845. 1075 Konzessioniert seit 24. November 1849; cf. Jacobson, Reformierte, S. 358 f.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Grundstücken und gottesdienstlichen Gebäuden berechtigt, die jedoch nicht die Bezeichnung „Kirche“ tragen und keine Glocken haben durften. Die Geistlichen verfügten nicht über die Privilegien der Staatsbeamten, doch besaßen ihre Amtshandlungen volle Gültigkeit und die aus ihren Registern erteilten Auszüge öffentlichen Glauben.1076 Neben den konzessionierten Kirchengesellschaften existierten die nur zum Privatgottesdienst berechtigten „geduldeten“ Gemeinschaften. Ihnen fehlten die Korporationsrechte; die Geistlichen waren nicht zur Führung von Kirchenbüchern mit öffentlichem Glauben befugt.1077 Die Prediger genossen jedoch den besondern Staatsschutz der Religionsdiener.1078 Da diese Religionsgesellschaften nicht über Parochialrechte verfügten, gehörten ihre Mitglieder dem jeweiligen landeskirchlichen Sprengel an und mußten die Geburten, Eheschließungen und Todesfälle beim zuständigen parochus registrieren lassen. Zu diesen geduldeten Gemeinschaften zählten die Mennoniten1079, die Quäker1080 und die Anglikaner1081, ferner Philipponen und unierte Griechen.1082 2. Katholiken In Brandenburg-Preußen hat es auch nach der Reformation in unterschiedlicher Zahl und Verbreitung römisch-katholische Konfessionsangehörige gegeben. Diese wurden meist entweder ignoriert oder stillschweigend geduldet; im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden sie in zunehmendem Maße positiv-rechtlichen Regelungen unterworfen, wobei insbesondere das Militärkirchenwesen als Vehikel fungierte.1083 Die geistliche Jurisdiktion über die preußischen Katholiken wurde – schon aus Gründen der fachlichen Kompetenz – den auswärtigen katholischen Bischöfen überlassen. Soweit der preußische Staat landesherr1076 Cf. Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 396 mit Anm. 17, S. 409 mit Anm. 60. 1077 Näher hierzu Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 397 f. 1078 Erkenntnis vom 9. Februar 1859; abgedruckt in: Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 475. 1079 Gnadenprivileg vom 29. März 1780, Edikt vom 30. Juli 1789; näher hierzu Jacobson, Arten der Religionsgesellschaften, S. 402 f. 1080 Die Duldung erfolgte bereits auf Anweisung Woellners vom 9. Januar 1797 (cf. Gedike, Ursprung und Anfang der neuen Quäkergemeinde im Mindenschen, S. 334, 335, 338.) In der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. blieb die Rechtslage unverändert (cf. Gedike, Über die sogenannte Gesellschaft der Freunde, eine neue Quäkergemeinde, S. 165 f.). Sie fand Bestätigung durch die Kabinettsorder vom 16. Mai 1830, Nr. 6; Gesetz-Sammlung 1830, S. 82. S. auch infra Teil II, Kapitel 1, D. IV. und G. VIII. 1081 Cf. Erkenntnis vom 26. April 1852; Altmann, Praxis der preußischen Gerichte, S. 559 ff. 1082 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 132. 1083 s. im einzelnen supra Kapitel 2, D. IV. 8.–11.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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liche Rechte in bezug auf die katholische Kirche ausübte, wurden diese zunächst vom Lutherischen Geistlichen Departement mitverwaltet.1084 Erst in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. wurde am 12. Januar 1841 im preußischen Kultusministerium eine katholische Sektion eingerichtet. 3. Dissidenten und Nichtchristen Neben den ausdrücklich geduldeten Religionsgesellschaften gab es auch Gruppierungen, die sich ohne staatliche Anerkennung entwickeln und etablieren konnten, wie etwa die Baptisten, Irvingianer, Darbisten, Edwardianer, die sogenannten freien Gemeinden, die Deutsch-Katholischen sowie die von den getrennten (schlesischen) Lutheranern Separierten. Hierbei handelte es sich um faktisch geduldete Dissidenten, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht als eigenständige Religionsparteien, sondern nur als Privatgesellschaften angesehen wurden und keine über diesen Status hinausgehenden Rechte besaßen. Ihre Mitglieder unterstanden daher selbstverständlich den Parochialrechten des territorial zuständigen evangelischen Pfarrers; gleiches galt für Dissidenten, die aus der evangelischen Kirche ausgetreten waren.1085 Die Juden hatten in Preußen per se einen Sonderstatus; es bestanden verschiedene Beschränkungen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht.1086 Eine wie auch immer geartete Kultusbeziehung zwischen Evangelischen und Juden oder anderen Nichtchristen war aus theologischen Gründen ausgeschlossen. Daß es gleichwohl 1789 zu einer längeren Auseinandersetzung innerhalb des Oberkonsistoriums darüber kam, ob ein Jude bei einer christlichen Taufe das Patenamt übernehmen könne, spricht nicht etwa für die Diskussionswürdigkeit der Frage, sondern vielmehr dafür, daß das Oberkonsistorium in jener Epoche jeglichen Bezug zur theologischen Wirklichkeit und zur konfessionellen Tradition zu verlieren drohte.1087

1084

Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 336. Näher hierzu Jacobson, Kirchenrecht, S. 132 ff., sowie von Hirschfeld, Geschichte und Statistik des Dissidententhums im preußischen Staate. 1086 s. im einzelnen Eichhorn, Deutsches Privatrecht, §§ 70–82; A. H. Simon, Das Preußische Staatsrecht, Band 1, S. 515 f. 1087 Die Auseinandersetzung ist dokumentiert bei Gedike, Verhandlung des Oberkonsistoriums über die Frage, ob ein Jude Taufzeuge sein dürfe. Eine ausführliche Darstellung bietet auch Brandes, Geschichte II, S. 103 ff. 1085

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

F. Zusammenfassende Würdigung I. Das Nebeneinander von Konsistorial- und Presbyterial-Synodal-Verfassung Kennzeichnend für die Eigenart des evangelischen Kirchenwesens in Preußen und damit auch des staatskirchenrechtlichen Systems war – wie oben dargestellt – insbesondere das Nebeneinander der historisch unterschiedlich gewachsenen konsistorialen und presbyterial-synodalen Verfassungssysteme und der vielfältigen Überschneidungen und Mischformen. Es leuchtet unmittelbar ein, daß eine das ganze Staatsgebiet umfassende einheitliche Gesetzgebung und gleichmäßige Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments kaum möglich war. Zu Recht weist Jacobson darauf hin, daß noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der evangelischen Landeskirche Preußens zwei Verfassungsformen nebeneinander bestanden, „zum Theil noch in Widersprüchen begriffen, deren Lösung jedoch mit Eifer gegenwärtig erstrebt wird“.1088 Erschwert wurde die fortschreitende Verknüpfung und Vereinheitlichung der beiden Verfassungssysteme aufgrund der Überlagerung durch die – eher emotional als rational begründete und als solche verständliche, wenn auch theologischsachlich unzutreffende – Analogisierung mit der politischen Entwicklung.1089 So wurde die Unvereinbarkeit von Konsistorial- und Presbyterial-Synodal-Verfassung schon deswegen behauptet, weil sie einander entgegengesetzt seien wie die monarchische und die republikanisch-demokratische Verfassung. Diese These kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sich das Wesen der Kirche ihrem Ursprung und ihrer Entwicklung nach deutlich vom Wesen des Staates unterscheidet, so daß entsprechende Analogien unstatthaft sind.1090 Daß die Kirche im Verlauf der Geschichte mitunter in den Bereich des Politischen hineingezogen worden ist1091 oder sich selbst wie ein Staat geriert hat1092, macht die Analogie nicht richtiger, da der evangelischen Kirche das hierarchische und quasi-monarchische Verfassungsprinzip der katholischen Kirche im Grunde 1088

Jacobson, Kirchenrecht, S. 332. Noch heutzutage wird in – sachlich fragwürdiger Weise – von der Verwirklichung monarchischer oder demokratischer Prinzipien im evangelischen, aber auch katholischen Kirchenwesen gesprochen. Richtig ist hingegen, daß die Kirchenverfassung nicht säkularen Verfassungsstrukturprinzipien folgt; vielmehr besitzt die Kirche eine Verfassung eigener Art. 1090 Jacobson, Kirchenrecht, S. 332. Cf. auch Herrmann, Die notwendigen Grundlagen einer die konsistoriale und synodale Ordnung vereinigenden Kirchenverfassung, S. 12 f. 1091 Z. B. im Falle der Einverleibung der preußischen evangelischen Landeskirche in den Staat. 1092 Dies trifft – mit Blick auf die Einrichtung des Kirchenstaates sowie auf die Stellung des Papstes als politische Instanz – insbesondere auf die katholische Kirche zu. 1089

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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ebenso fremd ist wie die konsequente Durchführung des Territorialismus, nämlich die Integration der Kirche in den Staat.1093 Der behauptete „demokratische“ Charakter der Presbyterial-Synodal-Verfassung ergibt sich auch nicht aus dem Gedanken des allgemeinen Priestertums der Gläubigen; hierdurch sollten nämlich die kirchlichen Ämter und deren Notwendigkeit keinesfalls in Frage gestellt werden.1094 Darüber hinaus ist behauptet worden, die Konsistorialverfassung, die sich auf der Basis des landesherrlichen Kirchenregiments entwickelt habe, sei für das lutherische Kirchenwesen angemessen, wohingegen die aus dem kirchlichen Gemeindeprinzip erwachsene Synodalverfassung dem reformierten Bekenntnis entspreche. Dies mag zwar mit Blick auf die historische Entwicklung der beiden Verfassungssysteme vielfach zutreffen, ist jedoch nicht ausnahmslos immer der Fall. So haben sich durchaus lutherische Gemeinden nach den Prinzipien der Presbyterial-Synodal-Verfassung entwickelt, andererseits haben auch im Bereich des reformierten Kirchenwesens Konsistorien bestanden und Bischöfe existiert.1095 Zu Recht bemerkt Jacobson daher zum Verhältnis der beiden Verfassungssysteme: „Nicht um der Natur der Sache willen, sondern aus historischen Gründen schlossen sich in der Regel die beiden Organisationen aus, bis unter veränderten Umständen eine Vereinigung derselben erfolgen konnte.“1096 Die unter Friedrich Wilhelm III. mühevoll bewirkte Union der beiden evangelischen Konfessionen unter dem Dach einer gemeinsamen Landeskirche dürfte diesen Prozeß – wiederum weniger aus theologischen Gründen, sondern vielmehr als äußere historische Gegebenheit – gefördert haben. II. Die evangelische Landeskirche Preußens im Verhältnis zum Staat zur Zeit des Allgemeinen Landrechts Der Überblick über die Strukturen des protestantischen Kirchenwesens in Brandenburg-Preußen sowie die Ausübung der Kirchenleitung durch die Kurfürsten und Könige läßt die Entwicklung der Kirchenverfassung und des landesherrlichen Kirchenregiments als einen von zahlreichen Unstimmigkeiten und Unklarheiten begleiteten problematischen Prozeß erscheinen. Die im wesentlichen der territorialistischen Sichtweise des landesherrlichen Kirchenregiments entsprechende Art und Weise der Kirchenverwaltung mit ihrer oftmals unklaren Verquickung säkularer und geistlicher Verwaltung führte 1093

Jacobson, Kirchenrecht, S. 332. Lechler, Geschichte der Presbyterialverfassung, S. 74, 78 f., 84 f., 101, weist nach, daß die Presbyterial-Synodal-Verfassung ihrem Wesen und ihrer Geschichte nach keinen demokratischen, sondern einen aristokratischen Charakter besitzt. 1095 Jacobson, Kirchenrecht, S. 332 f. mit Anm. 3. 1096 Jacobson, Kirchenrecht, S. 334. 1094

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

dazu, daß die Kirche vielfach nur als ein Moment des Staates angesehen wurde und von einer dem Staat als eigenständiger, unabhängiger Organismus gegenüberstehenden Kirche im modernen Sinn erst recht keine Rede sein konnte. Nur die einzelnen Kirchengemeinden waren – der Kollegialtheorie gemäß – als besondere Gesellschaften mit eigener Rechtssubjektsqualität anerkannt. So läßt sich auch die vielzitierte Bemerkung Svarez’ bei der Redaktion des Allgemeinen Landrechts verstehen: „Die Distinction zwischen Kirche und Kirchengesellschaft verstehe ich nicht. Die Kirche, abgesondert von der Kirchengesellschaft, scheint mir ein dunkler Begriff zu sein, von dem sich die Eigenschaften einer Persona moralis nicht prädiziren lassen. Der Staat hat die Aufsicht über die Kirchengesellschaften, sowie ihm solche über alle und jede in ihm befindliche Korporationen zustehen. Die Wichtigkeit und der Einfluß, welchen diese Art von Gesellschaften auf die Sicherheit, Ordnung und Wohlfahrt der großen bürgerlichen Gesellschaft haben, sind die Ursach, warum sich der Staat um die Kirchengesellschaft näher und genauer, als um andere Korporationen bekümmert; ohne daß dadurch in dem Grunde seiner Befugnis etwas geändert wird. Unter dieser Aufsicht des Staats kann jede Kirchengesellschaft die ihr nach der Natur der Sache und nach den vom Staat gebilligten Gesetzen und Verfassungen zukommende jura collegalia frei exerziren.“1097

Svarez wollte damit zum Ausdruck bringen, daß er die lutherische Landeskirche in ihrer Gesamtheit nur als theologische, nicht aber als juristische Realität und Größe anerkennen wollte.1098 Konsequent wurden die Kirchen und kirchlichen Gesellschaften unter rein juristisch-organisatorischen Gesichtspunkten sowie unter weitestgehender Ausblendung der theologisch-ekklesiologischen Ebene beurteilt. Bei der Neukodifikation des Landrechts nahm Svarez in den ersten Entwurf des Kirchenrechts folgenden § 18 auf: „Bloß dadurch, daß mehrere Kirchengesellschaften im Staat zu einerlei Religionspartei gehören, entstehen unter ihnen keine gemeinschaftlichen Rechte.“ In einer späteren Fassung formulierte er dies allgemeiner: „Es giebt keine allgemeine Kirchengesellschaft im Staate, sonder nur einzelne besondere Gesellschaften, die durch kein äußeres Band unter einander verknüpft sind.“1099 Diese Auffassung war, soweit ersichtlich, im wesentlichen unbestritten, entsprach sie doch der ständigen Staatspraxis, welche die Kirchenverwaltung in die allgemeine Staatsverwaltung und damit die Kirche in den Staat integriert hatte. Wenn Svarez ausdrücklich die „ungezweifelte Richtigkeit“ des vorstehend zitierten Satzes betonte und des weiteren ausführte, daß die über die 1097 Materialien zum ALR XV, fol. 139; cf. von Kamptz, Erläuterungen einiger Vorschriften des Preußischen Kirchenrechts, S. 73. 1098 In den Kronprinzenvorträgen verwendete später Svarez eine weniger deutliche Terminologie und erkannte augenscheinlich auch den Religionsparteien eigene Rechte zu. Näher hierzu infra Teil II, Kapitel 3, D. I. 1099 Materialien zum ALR XV, fol. 121 f.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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örtliche Gemeinde hinausgehende Kircheneinheit nur „in Ansehung des Lehrbegriffs oder im theologischen, aber nicht im politischen und rechtlichen Sinne“ Anerkennung finden dürfe1100 – er sprach insoweit vom „falschen und gefährlichen Begriff einer vermeintlichen unitate ecclesiae“1101 –, so fand die auf die Reformatoren des 16. Jahrhunderts zurückgehende begriffliche Unterscheidung zwischen der sichtbaren Rechts- und der unsichtbaren Gnadenkirche ihre praktische Anwendung. Freilich mußte auch Svarez einräumen, daß die vielen einzelnen Kirchengesellschaften doch „eine Anzahl von Wahrheiten und Sätzen“ gemein hätten, die sich auf deren Verhältnis zum Staat oder zu den anderen Gemeinden ihrer eigenen Konfession bzw. anderer Bekenntnisse oder aber auf die Rechtsverhältnisse der Kirchenmitglieder untereinander bezögen.1102 Die prinzipielle Subordination der Kirchengesellschaften unter den Staat hielt Svarez – insoweit ganz Territorialist – für selbstverständlich.1103 Die Auffassung Svarez’ konnte sich im wesentlichen durchsetzen, und der fragliche Satz ging in der Fassung „Mehrere Religionsgesellschaften, wenn sie gleich zu einerlei Religionspartey gehören, stehen dennoch unter sich in keiner nothwendigen Verbindung“ als § 27 in den zweiten Entwurf sowie als § 36 in das Allgemeine Landrecht (Teil II, Titel XI) ein, wobei die Terminologie nicht immer ganz einheitlich blieb und teilweise „Kirchengesellschaften“ und „Kirchen“ verwechselt wurden.1104 Die Landeskirche als Ganze fand somit keine juristische Anerkennung; ihre „Einverleibung“ in den Staat konnte daher schon aus Gründen der Rechtslogik keine Verletzung eigener, kirchlicher Rechte darstellen. Die im zitierten § 36 ausgesprochene fehlende Verbindung der Kirchengesellschaften untereinander wurde allerdings nicht konsequent durchgehalten. So bezog sich etwa die Überschrift des dritten Abschnitts („Von den Obern und Vorgesetzten der Kirchengesellschaften“1105) nicht nur auf die Amtsträger der örtlichen Kirchengemeinden, sondern auch auf die Superintendenten in Diözesen oder Kreisen, Provinzialkonsistorien, die leitenden Beamten des Geistlichen Departements im Staatsministerium sowie auf das Staatsoberhaupt selbst. Für Svarez stellte dies allerdings keinen Widerspruch dar, da er die geistlichen Behörden eben nicht als – wie aus theologischer Perspektive wünschenswert gewesen wäre – aus der verfaßten sichtbaren Kirche hervorgegangene kirchliche, sondern

1100

Materialien zum ALR XV, fol. 121 f. Materialien zum ALR XV, fol. 123, Nr. 9. 1102 Cf. Materialien zum ALR XV, fol. 121 f. 1103 Cf. Materialien zum ALR XV, fol. 121 f. 1104 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 109 m. N. 1105 So im II. Entwurf sowie im ALR selbst; im I. Entwurf hieß es noch „Von den Obern des geistlichen Standes“. 1101

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

als eine staatliche, gewissermaßen aus kirchenpolizeilicher Zweckmäßigkeit geschaffene Einrichtung ansah.1106 Gleichwohl waren die Religionsparteien, die Kirchengesellschaften und der Staat nach Auffassung von Svarez nicht etwa identisch. Auch Svarez unterschied nämlich zwischen der „Kirchenhoheit“ (ius circa sacra) sowie der „Kirchengewalt“ (ius in sacra). Dies ergibt sich bereits aus der oben1107 zitierten Bemerkung, in welcher von der „Aufsicht des Staates“ einerseits und von den „jura collegialia der Kirchengesellschaft“ andererseits die Rede ist. Auch ansonsten läßt sich in Svarez’ kirchenrechtlicher Konzeption die Unterscheidung zwischen „Kirchenhoheit“ und „Kirchengewalt“ nachweisen. Im dritten Abschnitt des I. Entwurfs stellte Svarez in § 76 folgenden Grundsatz voran: „Die Kirchengesellschaften stehen unter der Direction ihrer geistlichen Obern.“ Hieraus leitete er zunächst die Rechte der katholischen Bischöfe ab und schilderte dann die Beschränkungen, denen diese Rechte aufgrund der staatlichen Vereinshoheit unterworfen waren. Sodann entwickelte er (in den §§ 102 ff.) den Status der evangelischen Konsistorien, deren Einrichtung vom Landesherrn abhänge und deren Rechte in weltlichen Angelegenheiten – die Wahrnehmung des staatlichen Rechtes über die Kirche (des ius circa sacra), die weltliche Gerichtsbarkeit etc. – ihnen nur aufgrund besonderen staatlichen Auftrags zukämen.1108 Svarez führte dazu aus: „Die Rechte des Staats und des Ober-Consistoriums sind meines Erachtens [in dem Entwurf] deutlich genug von einander unterschieden. Alle Rechte, die [. . .] namentlich und ausdrücklich dem Staate beigelegt werden, gehören nicht vor die Consistorien. Eben um deßwillen aber damit der gewöhnliche Irrthum, als ob die Consistoria das jus circa sacra hätten, ausgeschlossen werde, wünsche ich, daß der § 1041109 beibehalten werde.“1110 Damit sollte aus der Sicht Svarez’ deutlich gemacht werden, daß die Konsistorien ihrer Natur nach kirchliche Einrichtungen und daher für die Kirchengewalt zuständig waren und nur ausnahmsweise, eben kraft besonderen staatlichen Auftrags, die Rechte des Staats wahrzunehmen hatten. Anläßlich der Revision des I. Entwurfs wurde an dieser Stelle moniert, es solle „des ersten Grundsatzes des protestantischen Canonischen Rechts gedacht werden, nach welchem der Landesherr das summum jus circa sacra nicht jure episcopali, sondern superioritatis territorialis“ ausübe.1111 Offensichtlich sah 1106

Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 110. Supra Fn. 1024 (in diesem Kapitel). 1108 Die §§ 102–107 des I. Entwurfs sind abgedruckt bei von Kamptz, Über das bischöfliche Recht, S. 112. 1109 § 104 des I. Entwurfs (Abschnitt III) lautete: „Die Rechte des Staats über die Kirche kommen [den Konsistorien] ohne besonderen Auftrag nicht zu.“ 1110 Materialien zum ALR XV, fol. 126 Nr. 41. 1111 Materialien zum ALR LXXVI, fol. 888; von Kamptz, Über das bischöfliche Recht, S. 113. 1107

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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man die Konsistorien als Teil der Staatsgewalt an, so daß es keiner gesonderten Beauftragung bedurft hätte1112, und wollte auf diese Weise klarstellen, daß die Kirchenaufsicht Teil der allgemeinen Landeshoheit war. Das Mitglied der Gesetzgebungskommission Heinrich Dietrich von Grolmann bemerkte dazu in einer Randglosse, dies sei unrichtig. Vielmehr habe der protestantische Fürst „jure superioritatis territorialis keine mehrere Rechte in Absicht der Religion, als ein jeder andere Regent. Sollte er in Absicht der protestantischen Religion mehrere Rechte haben, so müßte er sie jure episcopali haben. Ob er sie wirklich habe, adhuc sub judice lis est. Ob es gut sei, daß er sie sich anmaaße oder wirklich habe, ist wohl zu verneinen, weil die protestantische Religion sonst in jedem Regenten eine besondern Papst haben, und von dessen [. . .] Eigensinn und Einfällen abhängen würde“.1113 Das Kritik von Grolmanns bestand augenscheinlich darin, daß dieser die Kirchengewalt, das landesherrliche Kirchenregiment im engeren Sinne (das „ius in sacra“) vom Begriff des „summum ius circa sacra“ umfaßt gesehen hatte und dessen territorialistische Herleitung ablehnte. Dies hatten jedoch weder Svarez als Verfasser des I. Entwurfs noch dessen Revisoren behauptet. Diese von Mißverständnissen geprägte Diskussion führte bei der anschließenden Überarbeitung des Entwurfs zur Aufnahme folgender Sätze, die im II. Entwurf die §§ 93, 94, im Allgemeinen Landrecht dann §§ 113, 114 (Teil II, Titel XI) bildeten: „Die dem Staat über die Kirchengesellschaften, nach den Gesetzen zukommenden Rechte, werden von dem geistlichen Departement in sofern verwaltet, als solche nicht dem Oberhaupt des Staats ausdrücklich vorbehalten sind. [. . .] Außerdem aber stehen die Kirchengesellschaften, einer jeden vom Staat aufgenommenen Religionspartei, unter der Direction ihrer geistlichen Obern.“ Da das Prinzip der Unterscheidung von Kirchenhoheit und Kirchengewalt auf diese Weise klar genug zum Ausdruck gebracht war, ließ man die Frage bezüglich der kompetenzrechtlichen Grundlage der Konsistorialverfassung sowie der Herkunft der landesherrlichen Rechte in Kirchensachen offen, bediente sich auch nicht des Ausdrucks „landesherrliche Episkopalrechte“1114 und beschränkte sich darauf, den nach Maßgabe der Staatspraxis bestehenden 1112 Damit wurde Svarez unterstellt, er habe einen „besonderen Auftrag“ deshalb für nötig gehalten, weil es sich um Befugnisse des Landesherrn handelte, die diesem persönlich – als bischöfliches Recht – zustanden. 1113 Jacobson, Kirchenrecht, S. 110. Von Grolmann folgt hier wohl Klein, der in § 16 seines Entwurfs (Materialien XXIII, fol. 105) unter Bezugnahme auf J. H. Boehmer (Jus parochiale, sect. I, cap. 2, § 32), ausführte: „Der Umstand, daß der Landesherr selbst Mitglied der Kirchengemeinde ist, giebt ihm kein größeres Recht, sich in Religionssachen zu mischen.“ Andererseits hatte Klein auch gesagt: Die Kirchengewalt oder die collegialischen Rechte der Kirche sollen, inwiefern sie nicht nicht dem Landesherrn gehören, der ganzen Gemeine zustehen.“ (Hervorhebung hinzugefügt). Damit hatte Klein offensichtlich aber nur gemeint, daß dem Landesherrn die Kirchengewalt als übertragene Kompetenz zustehen könne, nicht jedoch als originäre Zuständigkeit.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

Inhalt dieser Befugnisse zusammen mit der Konsistorialverfassung im Gesetzbuch niederzulegen. Es drängt sich der Eindruck auf, als seien die Mitglieder der Gesetzgebungskommission hier einigermaßen ratlos gewesen. Über Ursprung und Umfang der landesherrlichen Rechte über die Kirche bestand weder Klarheit noch Konsens, von der Differenzierung zwischen dem ius in sacra (ius sacrorum) und dem ius circa sacra ganz zu schweigen. Ursprung, Umfang und Binnendifferenzierung waren durch die uneinheitliche, oft sprunghafte und zufällige Staatspraxis der Vergangenheit noch unklarer geworden, als dies aufgrund der ebenfalls spontan verlaufenen Reformation ohnehin der Fall war. Hier wurde also nicht nur die „normative Kraft des Faktischen“ gewohnheitsrechtlich anerkannt, sondern sogar positiv-rechtlich normiert. An der geschilderten Auseinandersetzung fällt im übrigen auf, daß das evangelische Kirchenrecht – terminologisch fragwürdig – als „protestantisches Canonisches Recht“ bezeichnet wurde, obwohl im Zuge der Reformation gerade eine Lösung vom Recht und von der Terminologie der katholischen Kirche angestrebt wurde, wie etwa die Ersetzung der Bezeichnung „Bischöfe“ durch den Titel „Superintendenten“ zeigt.1115 Die einzelnen Rechte des Staats über die Kirche (iura circa sacra) wurden – wenngleich ebenfalls ohne die auf die rechtswissenschaftliche Literatur zurückgehende Unterscheidung zwischen ius reformandi, ius inspectionis und ius advocatiae – weitestgehend vollständig in das Allgemeine Landrecht aufgenommen.1116 Daß dabei dem Staat Kompetenzen zugewiesen wurden, welche ihrer Natur nach eher kirchliche als staatliche Befugnisse darstellten, kann nach dem vorstehend Gesagten nicht verwundern. Die evangelische Kirche war nach dem Allgemeinen Landrecht weder selbständig in der Einrichtung ihres Kultus (Teil II, Titel XI §§ 46–49), noch ihrer Disziplin (§ 56), noch bei der Anstellung ihrer Beamten (§ 573), welche man als Staatsdiener ansah1117 und entsprechend behandelte (§§ 19, 96).1118 Darüber hinaus erkannte man das dominium eminens 1114 Bei der Diskussion über § 119 des II. Entwurfs, der den Konsistorien die Rechte und Pflichten des Bischofs in Kirchensachen beilegt, warf Konsistorialrat Irwing selbst die Frage auf, warum man diese offenbar landesherrlichen Rechte noch als bischöfliche Rechte bezeichne. Gleichwohl fand diese Formulierung auch in ALR Teil II, Titel XI, § 143, Eingang. 1115 Freilich wurde auch diese Vorgehensweise nicht immer konsequent durchgehalten; manch protestantischer Landesherr hatte durchaus Gefallen an der bischöflichen Verfassung, was sich etwa in Preußen durch die verschiedentliche Ernennung von Titularbischöfen durch den König äußerte. 1116 Eine Übersicht hierzu findet sich bei Jacobson, Die Grundsätze des preußischen Rechts über das Verhältnis von Staat und Kirche. 1117 Cf. sogleich infra. 1118 s. die Auszüge aus den Materialien bei von Kamptz, Erläuterungen einiger Vorschriften des Preußischen Kirchenrechts, S. 63 f. „Die Bestimmung besagt, daß die

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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als Bestandteil des ius circa sacra an1119 und räumte demgemäß dem Staat ein weitgehendes Dispositionsrecht über das Kirchengut ein. Auch wenn Svarez – insofern ganz Kollegialist – dies als mit dem Eigentumsrecht der einzelnen Kirchengesellschaft im Widerspruch stehend bestritt, so erhielt gleichwohl der Staat die Oberaufsicht und Direktion über das Kirchenvermögen (§§ 161 ff.). Zusammenfassend läßt sich feststellen: Bereits das Allgemeine Landrecht erkannte eine vom Staat zu unterscheidende selbständige Kirche nicht als Rechtssubjekt nicht an. Sämtliche Konsistorien standen unter der Oberdirektion des dafür bestellten Departements des Staatsministeriums (§ 145). Ein Großteil der Konsistorien war mit den staatlichen Justiz- und Verwaltungsbehörden verbunden; seit 1797 wurden die Konsistorien der neu erworbenen Gebiete den Regierungen zugewiesen; die Kirchenverwaltung war demnach in die allgemeine Staatsverwaltung integriert. Die späteren Reformmaßnahmen – die 1804, 1808 und 1809 vorgenommene Vereinigung der noch vorhandenen, eigene Kollegien bildenden Konsistorien mit den Kammern (Regierungen), die Aufhebung der höheren kirchlichen Zentralbehörden und die Übertragung derer Funktionen an die Sektion Kultus im Ministerium des Innern – stellten daher nichts anderes als die konsequente praktische Implementierung dieser Grundsätze dar. So wurde die evangelische Landeskirche – ungeachtet der unter anderem vom lutherischen Oberkonsistorium erhobenen Einwände – dem Staat völlig einverleibt.1120 Auch dieser Vorgang stellt sich als Konsequenz der „normativen Kraft des Faktischen“ dar. In Brandenburg-Preußen hatte es die politische und konfessionelle Entwicklung mit sich gebracht, daß es zwar eine lutherische Landeskirche, gleichzeitig jedoch eine vorwiegend calvinistische Staatsidee gab.1121 Für das Verhältnis von Staat und Staatskirche war es entscheidend, daß dem calvinistischen Staat in der Landeskirche kein straff organisiertes und streitbares, ihm ebenbürtiges Pendant gegenüberstand. Vielmehr verstand sich das Kirchenvolk weder theoretisch noch praktisch als „militia Christi“. Das Selbstverständnis der lutherischen Landeskirche war insbesondere dadurch geprägt, daß man seit geraumer Zeit nur das landesherrliche Kirchenregiment als eine Art kirchlichen Vormund kannte und sich mit dieser Situation mehr oder weniger arrangiert und abgefunden hatte. Aufgrund dieses strukturellen Defizits war der Weg des – auf

Geistlichen, welche ein Kirchenamt haben, die Prärogative der Staatsbeamten genießen sollen.“ Svarez dazu: „Sobald ich mir einen protestantischen Geistlichen gedenke, denke ich mir allemal eine Gemeinde, bei welcher er als Lehrer, Prediger oder Seelsorger bestellt ist. Qua talis gehört er zu den mittelbaren Beamten des Staats und hat als solcher gewisse Rechte und Pflichten.“ (zitiert nach Koch, Allgemeines Landrecht II/2, S. 221, Anm. 8). 1119 Cf. zu dieser Frage H. Becker, Gedanken und Erläuterungen über das Kirchenrecht, § 21, S. 286. 1120 Jacobson, Kirchenrecht, S. 112. 1121 Ausführlich hierzu Müller-Armack, Genealogie der Wirtschaftsstile, S. 156 ff.

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1. Teil: Landesherrliches Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen

anderen sozialen Voraussetzungen als der Calvinismus aufbauenden – Luthertums in die staatliche Abhängigkeit trotz aller Gegenwehr seitens der Landeskirche und ihrer Amtsträger geradezu vorgezeichnet.1122 Die skeptische Weissagung Luthers, der Teufel fahre unverändert fort, Kirche und Staat miteinander zu vermengen1123, hat sich demnach als zutreffend erwiesen. III. Die Stellung der Geistlichen im Allgemeinen Landrecht als Ausdruck der Verstaatlichung der Kirche Der staatliche Charakter der evangelischen Landeskirche äußerte sich in besonderer Weise in der Stellung der geistlichen Amtsträger im Allgemeinen Landrecht. Unter den Geistlichen, für welche die Bezeichnungen „Prediger“, „Priester“, „Pastor“ oder „Pfarrer“ und darüber hinaus Funktionsbeschreibungen wie etwa „Oberpfarrer“ (pastor primarius), „Archidiakonus“, „Diakonus“, „Subdiakonus“ oder „Capellan“ gebräuchlich waren1124, verstand das Allgemeine Landrecht diejenigen Personen, die „bei einer Kirchengemeinde zum Unterrichte in der Religion, zur Besorgung des Gottesdienstes und zur Verwaltung der Sacramente bestellt“ waren.1125 Nach dem Allgemeinen Landrecht genossen sie den Status von Beamten; sie waren in der Regel von den persönlichen Lasten und Pflichten gemeiner Bürger befreit und besaßen einen privilegierten Gerichtsstand. Weitere Privilegien und persönliche Vorrechte waren der Regelung durch Provinzialrecht vorbehalten.1126 Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden diese Begünstigungen infolge der schwierigen politischen Lage eingeschränkt; diese Einbußen waren jedoch nur vorübergehender Natur und wurden nach der Stabilisierung der staatlichen Verhältnisse wieder rückgängig gemacht.1127 Auch die Regelungen des Allgemeinen Landrechts über den Pfarrzwang lasen sich wie säkulare verwaltungsrechtliche Vorschriften: „[Der Pfarrer] hat das Recht, von den Eingepfarrten zu fordern, daß sie sich, bei ihren Religionshandlungen, seines Amts bedienen sollen [. . .] Auch in einzelnen Fällen dürfen Ein1122 Cf. zu Ganzen von Thadden, Hofprediger, S. 142 f. Unrichtig daher Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, S. 55 f., der die Auffassung vertritt, das Luthertum habe die kirchlichen Funktionen geradezu dem Staat zugewiesen. Troeltsch verwechselt Intention und faktisches Resultat. 1123 „Sathan pergit esse Sathan. Sub papa miscuit ecclesiam politiae, nostro tempore vult miscere politiam ecclesiae.“ (Brief Luthers an Daniel Greiser vom 22. Oktober 1543). 1124 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 246 mit Anm. 2–5. 1125 ALR Teil II, Titel XI, § 59. 1126 ALR Teil II, Titel XI §§ 96, 97, 775, 821. 1127 Cabinets-Ordres vom 13. September 1815, 11. März 1817 und 30. Januar 1817. Nachweise zu den Ausführungsvorschriften bei Jacobson, Kirchenrecht, S. 251, Anm. 4.

2. Kap.: Protestantisches Kirchenwesen und Kirchenrecht in Preußen

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gepfarrte [kirchliche Amtshandlungen] durch einen andern, als den in ihrer Parochie bestellten Pfarrer, ohne dessen Einwilligung nicht vornehmen lassen.“1128 Die terminologischen Parallelen und die sachliche Gleichbehandlung von Geistlichen und (sonstigen) Staatsbeamten sind augenfällig. So wie die Kirche im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus als moralische Institution dem Staat zu Diensten sein sollte, so waren auch die Geistlichen nicht nur Diener der Kirche, sondern letztlich Diener des Staates. IV. Kirchliche Gesetzgebung durch staatliches Handeln Die Verwischung der Grenzen von staatlichem und kirchlichem Handeln zeigte sich auch bei der kirchlichen Gesetzgebung. Nach gemeinem evangelischen Kirchenrecht waren Änderungen von Lehre und Bekenntnis nur zulässig, wenn die ökumenischen und spezifisch protestantischen Grundlagen des Bekenntnisses unangetastet blieben. Selbst wenn diese Voraussetzung erfüllt war, konnten gesetzliche Regelungen in diesen Materien nur mit Zustimmung der Kirche (consensus ecclesiae) erlassen werden. Gleiches galt für den Erlaß von Vorschriften in den Bereichen von Kultus und Liturgie, Kirchendisziplin und Kirchenverfassung.1129 Dieser Grundsatz fand bei der in Brandenburg-Preußen im Geiste des Territorialismus ausgeübten Kirchenverwaltung in zahlreichen Fällen keine hinreichende Beachtung, wobei freilich zu berücksichtigen ist, daß ein kirchliches Organ, das diesen Konsens hätte erklären oder verweigern können, nicht existierte.1130 Dies führte im Ergebnis dazu, daß das Erfordernis des consensus ecclesiae in der preußischen Landeskirche praktisch ignoriert wurde, was – wie noch zu sehen sein wird – heftige kirchenpolitische Konflikte nach sich zog. Erst im Zuge der Wirren um Union und Landesagende in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts läßt sich eine gegenläufige Tendenz feststellen: Das Problem des fehlenden kirchlichen Konsenses wurde als solches wahrgenommen, und die vermehrte Einführung synodaler Verfassungselemente wirkte sich förderlich auf ein konstruktives Zusammenwirken von landesherrlichem Kirchenregiment und Landeskirche aus.1131

1128

ALR Teil II, Titel XI, § 418. Welche Regelungen im einzelnen dem Erfordernis dieses consensus ecclesiae unterlagen, war unklar. S. hierzu etwa Richter, Lehrbuch, § 177. 1130 Synoden waren nicht vorhanden; das Oberkonsistorium und die Provinzialkonsistorien waren nicht dazu legitimiert. Näher dazu infra Teil II, Kapitel 2, E. V. 1131 Cf. Jacobson, Kirchenrecht, S. 336 f. 1129

Z w e i t e r Te i l

Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. als Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments Schon bei einer flüchtigen Betrachtung der Kirchen- und Religionspolitik während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. fällt auf, daß sie – gemessen an der relativ kurzen Dauer von gut elf Jahren – ungewöhnlich reich an heftigen Konflikten und Kontroversen ist. Hierdurch hebt sie sich von der ausgedehnten Epoche Friedrichs des Großen deutlich ab. Gerade der Kontrast mit der geradezu sprichwörtlichen religiösen Toleranz Friedrichs II. hat dazu geführt, die Situation des evangelischen Kirchenwesens in Preußen in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts überwiegend in einem düsteren Licht zu sehen. Die Maßnahmen, mit denen Friedrich Wilhelm II. die von ihm ausgemachten Mißstände im protestantischen Kirchenwesen beheben wollte, sind daher vielfach als Ausdruck einer Kirchenpolitik der prinzipiellen Intoleranz angesehen worden. Auf diese Weise sind die Auseinandersetzungen zwischen dem Monarchen und dem Oberkonsistorium zum Kampf der „Aufklärer“ gegen die „Obskuranten“ hochstilisiert worden. Da man im seinerzeitigen Minister des Lutherischen Geistlichen Departments Johann Christoph (von) Woellner nicht nur einen Exponenten, sondern geradezu den Chefideologen und „Rädelsführer“ der reaktionären Aufklärungsgegner erblickte, ist die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. unter kirchen- und religionspolitischen Aspekten als „Ära Woellner“ in die Geschichte eingegangen.1 Dabei waren Kontroversen im Zusammenhang mit der Kirchen- und Religionspolitik und der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch die brandenburgisch-preußischen Kurfürsten und Könige nichts Außergewöhnliches. Dies läßt sich an den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ebenso ablesen wie an den Konflikten, die sich im 19. Jahrhundert an der Einführung der Union und der Landesagende entzündet haben. Darüber hinaus erscheint die Deutung der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms II. als bloße Reaktion gegen die Aufklärung schon deshalb fragwürdig, weil die getroffenen Maßnahmen ausdrücklich einen spezifisch kirchlichen und 1 So ausdrücklich Themel, Berliner Konsistorium II, S. 95. Kritisch zu diesem Begriff Krause, Ära Woellner, S. 87 ff. (besonders S. 91 ff.).

2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

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bekenntnisorientierten Charakter aufweisen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte des landesherrlichen Kirchenregiments sowie der kirchenverfassungsrechtlichen Vielfalt im Bereich des protestantischen Kirchenwesens in Preußen. Es lohnt daher, die Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments durch König Friedrich Wilhelm II. von Preußen sowie dessen Kirchen- und Religionspolitik einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Erstes Kapitel

Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 A. Das Religionsedikt – eine umstrittene Maßnahme Nimmt man das publizistische Echo als Maßstab, so gehört das als „Woellnersches Religionsedikt“ bekanntgewordene „Edict, die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend“ vom 9. Juli 1788 zu den herausragenden Ereignissen jener Epoche – nicht nur auf dem Gebiet der Kirchen- und Religionspolitik. Bereits eine 1793 erschienene Zusammenstellung von Schriften, die unmittelbar oder mittelbar mit dem Religionsedikt zusammenhängen1, umfaßt 94 Titel. Dabei ist der „offizielle“ Titel des Gesetzes ebenso mißverständlich wie seine landläufig gängige Bezeichnung. Die amtliche Bezeichnung ist irreführend, weil das Edikt nicht ausschließlich und noch nicht einmal in erster Linie Vorschriften zur Religionsverfassung enthielt, sondern vor allem zu Fragen der christlichen Lehre Stellung bezog und für den Fall der Irrlehre Sanktionen vorsah; außerdem befaßte sich das Edikt mit der Gewissensfreiheit.2 Der landläufige Titel resultiert aus der Gepflogenheit, das preußische Religionsedikt mit dem Namen des damaligen „Religionsministers“3 Woellner zu verbinden und ihn damit zu dessen Urheber und Exekutor zu stempeln.4 Diese doppelte Charakterisierung Woellners ist jedoch in dieser pauschalen Form unzutreffend. Daß Woellner als zuständiger Minister sowohl beim Erlaß des Edikts als auch bei seiner Ausführung und Anwendung eine Rolle spielte, versteht sich von selbst. Ob die Mitwirkung Woellners allerdings derart prägend war, daß das gesamte Edikt seinen Namen tragen sollte, ist eine andere Frage. Daß es jedenfalls bei weitem überzogen war, Woellner als „niederträchtigen und landesverräterischen Bösewicht“ zu verfluchen5, liegt auf der Hand. 1 Henke, Beurteilung aller Schriften, welche durch das Königlich Preußische Religionsedikt und durch andere damit zusammenhängende Religionsverfügungen veranlaßt sind, Kiel 1793. 2 Cf. von Mühler, Geschichte, S. 270. 3 Zur korrekten Amtsbezeichnung Woellners und zu den Umständen seiner Ernennung sogleich infra. 4 Näher hierzu infra Kapitel 1, B. III. sowie F. 5 Anonymus, Amelang-Rezension, S. 331. Vergleichbare Formulierungen finden sich auch bei Winkopp, Religionsereignis, S. 3–5, der u. a. von „verschrumpften alttheologischen Gehirnen“ (S. 4) spricht und die Vertreter der Obrigkeit als „betrogene und kurzsichtige Schwächlinge“ (S. 5) bezeichnet. Insgesamt verschärfte sich nach

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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Zweifelhaft ist überdies, ob das Königlich Preußische Religionsedikt vom 9. Juli 1788 tatsächlich als „Rückschlag gegen die im Landrecht kodifizierten naturrechtlichen Theorieen von Staat und Kirche“6 gewertet werden kann.7 Richtig ist, daß der wesentliche Teil der kirchenrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts älteren Datums ist als das Religionsedikt8, so daß außer Frage steht, daß dessen Verfasser – ob es nun Woellner war oder andere Zeitgenossen – mit diesen Regelungen vertraut waren.9 Gleichwohl kann die These, daß die Verfasser des Religionsedikts dem Allgemeinen Landrecht gewissermaßen zuvorkommen wollten, nicht überzeugen. Sie ignoriert die klare Aussage des Religionsedikts, daß es dem persönlichen Willen des Königs entspreche; zumindest nimmt es sie nicht ernst. Entgegen landläufigen Vermutungen wußte der Monarch nämlich sehr wohl, was er wollte – auch wenn mancherlei Ungeschicklichkeiten den Verdacht nähren, daß er nicht immer wußte, was er tat, oder wie er das von ihm angestrebte Ziel in verfahrens- und kompetenzrechtlich einwandfreier Weise erreichen sollte. Im übrigen war selbst eine mit Gesetzeskraft getroffene Entscheidung wie das Religionsedikt nicht geeignet, für die Ewigkeit unumkehrbare Fakten zu schaffen. Die Geschichte der Anwendung und Nicht-Anwendung des Religionsedikts sowie dessen zwar nicht förmliche, wohl aber faktische Aufhebung unter der Nachfolgerregierung10 legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Die Vorstellung, mittels des Religionsedikts das Allgemeine Landrecht a priori unterlaufen und torpedieren zu können, wäre – hätte sie tatsächlich vorgelegen – naiv gewesen.

1789 im Zuge der politischen Radikalisierung auch der Ton der Kritik am Religionsedikt. Näher hierzu Valjavec, Religionsedikt, S. 388 f. m.w. N. 6 So ausdrücklich Foerster, Entstehung der Landeskirche I, S. 38. 7 Die publizistische Kritik am Religionsedikt war zwar überwiegend, aber nicht durchgehend vernichtend. Es gab auch Autoren, welche sowohl den Zweck des Edikts als auch das Edikt selbst als Mittel zu diesem Zweck guthießen. Cf. die Nachweise bei Valjavec, Religionsedikt, S. 387 f. 8 Sie sind bereits im (I.) Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs von 1784, Teil I, Abt. 2, Titel VI, enthalten. 9 Stölzel, Svarez, S. 251, weist – was eigentlich selbstverständlich ist – nach, daß Woellner diese Texte gekannt hat. 10 Die Aufrechterhaltung der kirchlichen Disziplin auch in Bekenntnisangelegenheiten dauerte – nach einer kurzen Periode weltanschaulischer Passivität nach dem Regierungswechsel – auch in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. an. Cf. Valjavec, Religionsedikt, S. 399, sowie – speziell zu den Vorgängen zur Zeit des Thronwechsels – Tradt, Religionsprozeß, S. 254 ff. (jeweils m. N.).

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

B. Das Zustandekommen des Religionsedikts I. Die Vorgeschichte Das „Edict die Religionsverfassung in den Preußischen Staaten betreffend de Dato 9. Juli 1788“, gegeben zu Potsdam sowie unterzeichnet von Friedrich Wilhelm [II.] mit Carmer, Dörnberg und Woellner11, wurde nur wenige Tage nach der Ernennung Woellners zum Justizminister und Chef des Lutherischen Geistlichen Departements12 erlassen.13 Die – in Preußen als spektakulär empfundene – Maßnahme war mit Blick auf die deutschen Länder insgesamt nicht außergewöhnlich. Vielmehr war das Verhältnis von Religion und Aufklärung auch in verschiedenen anderen deutschen Territorien als problematisch empfunden worden. Dies hatte mancherorts zu regulierenden Maßnahmen seitens der dortigen Inhaber des Kirchenregiments geführt14, was in der in Preußen sogleich einsetzenden Polemik freilich wenig Beachtung fand. Ebensowenig wurde berücksichtigt, daß die Staatsgewalt durch die landeskirchliche Praxis seit der Reformation regelmäßig in kirchliche Fragen – auch hinsichtlich des Bekenntnisses – eingegriffen hatte.15

11 Berlin bey G. J. Decker und Sohn, Königl. Geheim. Ober-Hof-Buchdrucker. 2 Bogen Folio; NCC VIII, Sp. 2175–2184 (als Anlage zum Circulare vom 25. Juli 1788). Abgedruckt auch in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 25–38; ferner bei Rabe, Sammlung I, Abt. 7, S. 726–733; neuerdings bei Tradt, Religionsprozeß, S. 235–243. Die erste öffentliche Bekanntmachung erfolgte in der Ausgabe Nr. 87 der „Vossischen Zeitung“ vom 19. Juli 1788. Cf. Theisinger, Die Irrlehrefrage im Wöllnerschen Religionsedikt und im System des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1794, S. 7. 12 Zur Bestallung Woellners s. Stölzel, Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung II, S. 312 ff. Der Entwurf der Bestallung Woellners ist von Svarez überarbeitet worden. Friedrich Wilhelm II. hatte bereits seit dem Gesangbuchstreit 1780 die Absicht, Zedlitz abzulehnen, konnte dies freilich erst nach erfolgtem Thronwechsel verwirklichen. Schon bald nach der Übernahme der Regierung verfolgte er den Plan weiter. Cf. den Brief an Woellner vom 11. Oktober 1787: „Zedlitz profitiert Davon, vors erste mus der gute President Seidlitz wieder in autorithet bei sein schlesischen Schuldwesen gesetzt werden und den mus die Excelenz vor genommen werden.“ Auch nach dem Wechsel an der Spitze des Lutherischen Geistlichen Departements blieb Zedlitz zunächst Justizminister, er schied erst im folgenden Jahr krankheitshalber aus dem Amt. Außerdem wurde er durch die Berufung in den Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet. 13 Näher dazu Tradt, Religionsprozeß, S. 233. 14 In Württemberg am 12. Februar 1786, wieder abgedruckt in: Die neuesten Religionsbegebenheiten 1787, S. 659–663, in Bayreuth am 19. Juli 1780 (cf. Mirbt/Wagenbach, Art. Woellner, S. 431), am 2. Oktober 1776 in Kursachsen (s. Philippson, Geschichte I, S. 198; Henke, Beurteilung, S. 10) sowie in der freien Reichsstadt Ulm am 14. November 1787 (abgedruckt in: Die neuesten Religionsbegebenheiten 1788, S. 280 ff.). In Hannover setzte die Regierung einen Preis für die literarische Verfechtung der Gottheit Christi aus (cf. Philippson, Geschichte I, S. 198). 15 Cf. Valjavec, Religionsedikt, S. 393. Ausführlich zur Praxis in Brandenburg supra Teil I, Kapitel 1, C. II.–VIII.

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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Das exakte Verfahren beim Zustandekommen des Religionsedikts ist in hohem Maße unklar. Belegt ist, daß Woellner den Entwurf unmittelbar nach seiner am 3. Juli 1788 erfolgten Ernennung dem Großkanzler, der sich seinerzeit auf seinem Gut in Steglitz aufhielt, übersandte.16 Dabei wies Woellner darauf hin, der Entwurf gehe auf eine – in dem Begleitschreiben näher erläuterte – Initiative des Königs zurück.17 Unabhängig von der – getrennt zu beurteilenden – geistigen Urheberschaft spricht einiges dafür, daß der Text des Entwurfs entweder von Woellner selbst stammte oder zumindest unter dessen maßgeblicher Mitwirkung entstanden war. In einem späteren, im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Oberkonsistorium verfaßten Schreiben an Carmer vom 9. November 1788 betonte Woellner ausdrücklich, daß ihn die vorgetragene Kritik an der sprachlichen Fassung des Religionsedikts persönlich treffe.18 Dies ist eine eindeutige Anspielung darauf, daß Woellner der Verfasser des Entwurfs war. Der saloppe Tonfall dieser Bemerkung ist auch darauf zurückzuführen, daß Carmer aufgrund der Übersendung des Entwurfs am 3. Juli 1788 die Identität des Entwurfsverfassers kannte; so konnte er die Anspielung noch besser verstehen. Carmer teilte die Sorgen um den Religionszustand in Preußen und war hoffnungsvoll gewesen, daß mit der Übernahme der Regierung durch Friedrich Wilhelm II. eine Verbesserung des religiösen Lebens sowie des Kirchenwesens einhergehen würde.19 Über die nunmehrige Initiative des Königs war er deshalb hocherfreut. Noch am selben Tag, an dem er den Entwurf erhalten hatte, versicherte er Woellner, dem neuen Kollegen im Justizstaatsrat, das Gesetz bringe den Willen des Königs eindeutig zum Ausdruck. Von seiner Seite sei nichts einzuwenden, auch aus dem Justizdepartement oder aus der Gesetzkommission sei kein Widerstand zu erwarten. Er äußerte lediglich die Empfehlung, aus Gründen der Rechtsklarheit die in Preußen geduldeten Sekten namentlich aufzulisten.20

16

Cf. Stölzel, Svarez, S. 254 m. N. Das ist bislang durchgängig übersehen worden, cf. etwa Philippson, Geschichte I, S. 218; Stölzel, Svarez, S. 255 ff.; die dortige Polemik ist unzutreffend. 18 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 35 f. Näher hierzu infra bei Fn. 234 (in diesem Kapitel). 19 Daß Carmer ein Vorgehen des neuen Monarchen gegen die Herabsetzung des Christentums, den um sich greifenden Deismus und die verbreitete Freigeisterei erhofft hatte, belegen zwei Briefe an Pütter aus dem Sommer 1786: „Hier lebe ich in einer Welt, wo das Christenthum bald völlig verkommt und der Deissmus eingeführt seyn wird. Vielleicht ändert sich die Sache [?] in Kurtzem.“ (20. Mai 1786); „Die Güte und Weißheit, welche unser jetziger König bey dem Antritt seiner Regierung zu erkennen giebt, eröffnen den Preußischen Staaten die Aussicht auf die glücklichste Zukunft. Wahre HertzensGüte,//Behuthsamkeit in allen Geschäften, und thätige Verehrung der Religion, zum Trutz der bisher bey uns überhandgenommenen Freygeisterey, sind zur Zeit die Hauptzüge in deßelben Character. Gott stehe ihm ferner bey, und schenke Europa Frieden, so werden die preußischen Unterthanen unter der Regierung ihres Friedrich Willhelms des 2ten die glücklichste werden.“ (26. August 1786). 17

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Schließlich lud Carmer den Minister zu einem Essen ein, um das Gespräch – nach seiner Rückkehr nach Berlin am darauffolgenden Sonntag – fortzusetzen. Das Essen fand am 7. Juli 1788 statt; bei dieser Gelegenheit teilte Woellner dem Großkanzler mit, der König habe das Religionsedikt bereits zwei Tage zuvor unterzeichnet. Die Beratungen durch den Justizstaatsrat sowie durch die Gesetzkommission mußten somit entfallen; auch eine vorherige Anhörung des reformierten Kirchendirektoriums und des lutherischen Oberkonsistoriums für die preußischen Staaten war unmöglich geworden. II. Der Erlaß: Keine Beteiligung des Justizdepartements und der geistlichen Behörden Am 8. Juli 1788 erhielt Carmer das vom König auf diesen Tag vordatierte Edikt zum Zwecke der Gegenzeichnung; er sollte es zur weiteren Gegenzeichnung an den Minister des Reformierten Geistlichen Departements Dörnberg weiterzuleiten. Zu diesem Zeitpunkt war er – mit Ausnahme Woellners – als einziges Mitglied des Justizstaatsrates von den Vorgängen vollständig unterrichtet.21 Der Grund hierfür könnte darin zu sehen sein, daß Carmer von Anfang an einen Wandel in der preußischen Religionspolitik erhofft hatte. Weder der nach wie vor als Justizminister amtierende Zedlitz noch Carmer, der – ausweislich seines Schreibens an Woellner – selbst von einer Beteiligung des Justizstaatsrates sowie der Gesetzkommission ausgegangen war, nahmen an der Vorgehensweise des Königs Anstoß. Dies ist zumindest im Hinblick auf Carmer nicht verwunderlich, da diesem bereits kurz nach dem Regierungswechsel nachgesagt worden war, weder den Justizstaatsrat noch die Gesetzkommission sonderlich ernst zu nehmen. Dem letztgenannten Gremium legte er weder das Allgemeine Gesetzbuch noch die Allgemeine Gerichtsordnung zur Begutachtung vor, sondern holte lediglich Stellungnahmen einzelner Mitglieder ein. Carmer kam also der Aufforderung zur Gegenzeichnung ohne weiteres nach und schickte das Dokument am 10. Juli 1788 anordnungsgemäß an Dörnberg weiter. In seinem Begleitschreiben bemerkte er: „S.K.M. haben bey der erfolgten Veränderung in lutherischen geistlichen Department, nötig gefunden, höchstdero Gesinnungen über die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten durch ein eigenes Edikt bekannt zu machen, wobei allerhöchst dieselben zugleich befohlen haben, daß dieses Edikt, außer den beiden Hrn Ministern des Geistlichen Departments, auch von mir contrasigniert werden solle. Nachdem ich nur meines Orts diesem Allerhöchsten Befehl durch Beifügung meiner

20 Dies dürfte zur Präzisierung des § 2 des Religionsedikts geführt haben. Dabei wurden freilich einige in Preußen geduldete Sekten ausgelassen, deren Duldung andererseits auch nicht förmlich zurückgenommen wurde. Cf. Henke, Beurteilung, S. 30. 21 So Stölzel, Svarez, S. 254, nach den Akten des GStA PK.

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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Contrasignatur Folge geleistet, so ermangele ich nicht, das Edikt selbst, Eurer Exzellenz anliegend zu gleichmäßigen gefälligen Mit-Contrasignatur zu übersenden.“22

Im Unterschied zu Carmer war Dörnberg über den Gang des Verfahrens äußerst befremdet und rügte insbesondere die fehlende Einbeziehung des Geistlichen Departements in den Entscheidungsprozeß. Er war der Ansicht, „solange nicht des Königs Majestät die bisherige Verfassung des geistlichen Departments abändern und einen ungewöhnlichen anderen Gang der Geschäfte ausdrücklich befohlen werde, dergleichen Communikation vorgängig erwarten zu dürfen“.23 Anders als seinerzeit Zedlitz im Müller-Arnold-Fall leistete er jedoch die geforderte Gegenzeichnung, wobei offen bleibt, ob er in der Sache keinerlei Einwendungen hatte oder solche lediglich nicht zu äußern wagte. Im übrigen entsprach die Übergehung des Justizdepartements – was auch Dörnberg anzuerkennen scheint – zwar nicht den Gepflogenheiten, stellte aber keinen Rechtsverstoß dar. Daß die unterlassene Beteiligung der Gesetzkommission die Unverbindlichkeit des Religionsedikts nach sich zog, kann nämlich auch nach dem Patent über die Errichtung der Gesetzkommission vom 29. Mai 178124 nicht angenommen werden. Zwar bestimmte § 14 des Patentes: „Es soll daher, wenn auch irgend jemand vom Unsern Ministern, oder eines vom Unsern Dicasteriis, wegen Ertheilung neuer, oder Abschaffung alter gesetzlicher Verordnungen, welche nicht etwa bloß die Staats= Wirthschaft und Finanz=Verwaltung betreffen, Unserer Allerhöchsten Person Vortrag zu machen hat, die Gesetz=Commißion niemals übergangen, sondern jedesmal zuvor mit Ihrem Gutachten darüber vernommen, und keinem Edikt oder Rescript, welches nicht, nach vorheriger Einforderung dieses Gutachtens, zu Unserer Allerhöchsten Vollziehung gebracht worden, irgend eine gesetzliche Kraft beygelegt werden.“

Jedoch richtete sich dieses Gebot nur an Minister und Kollegialbehörden, die dem König einen Gesetzesvorschlag vorlegen wollten. Ihnen wurde zur Auflage gemacht, nicht einfach einen Vorschlag einzureichen, sondern zuvor ein Gutachten der Gesetzkommission einzuholen.25 Wenn Woellner – was nicht auszuschließen ist – den Entwurf des Religionsedikts dem König erstmals vorgelegt hatte, ehe ihn dieser zum Minister ernannte, war § 14 des Patentes für ihn daher nicht relevant. Darüber hinaus galt die Vorschrift auch dann nicht, wenn der König ein Gesetz aus eigenem Antrieb erließ. Selbst wenn Woellner – wissentlich oder unwissentlich – gegen § 14 des Patentes verstoßen hätte, hätte dieser 22 Zitiert nach Stölzel, Svarez, S. 251. Aus dem Wortlaut geht hervor, daß das Edikt für Carmer die Gesinnung des Königs ausdrückt. Als dienstjüngster Minister leistete Woellner die Gegenzeichnung als letzter. 23 Zitiert nach Stölzel, Svarez, S. 253 ff. 24 NCC VII, Sp. 337–350. 25 Es bestand jedoch nicht einmal die Pflicht, das eingeholte Gutachten mit dem Entwurf einzureichen: Auch der Großkanzler Carmer hat, soweit ersichtlich, während seiner gesamten Amtszeit dem König keine derartigen Gutachten vorgelegt.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Verfahrensfehler nicht zur Unbeachtlichkeit des Gesetzes führen können. Denn es ist nicht anzunehmen, daß Friedrich der Große, der die Gesetzkommission eingerichtet hatte26, seine Gesetzgebungsgewalt an ein bestimmtes Verfahren binden und sich einer quasikonstitutionellen Bindung unterwerfen wollte. Unter den Bedingungen der unbeschränkten Monarchie war es vielmehr ausgeschlossen, § 14 des Patentes dahingehend zu interpretieren, der absolute Herrscher habe sich selbst durch diese Norm in seiner Entscheidung, ob und wie er sich bei seiner Gesetzgebung beraten wolle, und dadurch in seiner Legislativkompetenz überhaupt eingeschränkt. Vielmehr sprach die Einleitung des Patentes ausdrücklich davon, daß das Land „seinen unstreitigen Gesetzgeber“ habe. Daher war ein ohne vorherige Begutachtung durch die Gesetzkommission erlassenes Gesetz nur solange unbeachtlich, als zu besorgen war, der König habe es in Kraft gesetzt, ohne ausreichend informiert gewesen zu seien. Erwies sich diese Sorge als unbegründet – was sich spätestens zeigte, wenn der Landesherr an seinem gesetzgeberischen Willen festhielt – mußte es angewendet werden.27 Schließlich war § 14 des Patentes auf bloße Polizeigesetze nicht anwendbar; das Religionsedikt war aber, wie der König bei Bestätigung des Urteils im WürtzerProzeß erklärte, nur ein kirchliches Polizeigesetz. Im späteren Verfahren gegen den Zopfschulzen ist die Frage der Wirksamkeit des Religionsedikts im Hinblick auf die unterlassene Beteiligung der Gesetzkommission aufgeworfen, von den Gerichten beider Instanzen jedoch nicht aufgegriffen worden.28 Rechtlich nicht zu beanstanden war, daß weder das reformierte Kirchendirektorium noch das lutherische Oberkonsistorium mit dem Entwurf des Religionsedikts befaßt worden waren. Der preußische Monarch war weder als Inhaber des Kirchenregiments noch als staatlicher Gesetzgeber verpflichtet, vor dem Erlaß innerkirchenrechtlicher oder staatskirchenrechtlicher Regelungen die von ihm berufenen königlichen Räte dieser Kollegien anzuhören. Insbesondere waren Kirchendirektorium und Oberkonsistorium keine Synoden der jeweiligen Kirchen, mit denen der Landesherr das Kirchenregiment zu teilen hatte.29 Ob 26

Cf. dazu auch Krause, Überforderung, S. 156 f., 162, 194 ff. Im übrigen war die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 14 des Patentes unter den Bedingungen der uneingeschränkten Monarchie ungenau bestimmt. § 14 des Patentes konnte und sollte keinem preußischen Beamten und keinem preußischen Gericht die Befugnis verleihen, einer allerhöchsten Anordnung die Wirksamkeit abzusprechen. Er konnte allenfalls dazu ermächtigen, den König auf den Verfahrensfehler hinzuweisen und zu fragen, ob die gesetzliche Kraft des Edikts oder Reskriptes deshalb nicht eintreten solle. Ausführlich zum Ganzen Krause, Überforderung, S. 194 ff. 28 s. dazu infra Kapitel 2, D. III. Für das Obertribunal kam 1793 eine Anfrage an den König, ob er das Gesetz schlecht informiert erlassen und deshalb möglicherweise nicht an ihm festhalten wolle, nicht mehr in Betracht, nachdem Friedrich Wilhelm II. mehr als deutlich gemacht hatte, auf der Gesetzeskraft des Religionsedikts bestehen zu wollen. 29 Daß das landesherrliche Kirchenregiment nicht schlechthin schrankenlos war und gewisse Entscheidungen richtigerweise den consensus ecclesiae voraussetzten (cf. su27

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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der König im Einzelfall den Sachverstand der Gremien heranziehen wollte, war daher seine freie Entscheidung. Es gab keine positiv-rechtlich normierte allgemeine Regel oder auf sonstige Weise gepflegte Übung, grundlegende kirchenrechtliche Entscheidungen in diesen Gremien zu beraten. Nur die zuständigen Minister im Geistlichen Departement konnten – wie in der Stellungnahme Dörnbergs deutlich wird – erwarten, zuvor gehört zu werden. Sie selbst mußten bei ihrer Amtsausübung die Kollegien, denen sie vorstanden, nur im Rahmen von deren Zuständigkeiten heranziehen. III. Die Rolle Woellners Daß es – je nach den Umständen des Einzelfalls – politisch ratsam war, diesen Gremien im Vorfeld grundlegender Regelungen zwecks Vermeidung von Konflikten die Gelegenheit einzuräumen, Einwände zu erheben und sie gegebenenfalls dem König vorzutragen, war eine andere Frage. Als erfahrener Mann mußte Woellner damit rechnen, daß die Öffentlichkeit und die preußischen Staats- und Kirchenbediensteten ihm als einem maßgebenden Berater des Königs die Verantwortung für das aus ihrer Sicht übereilte Vorgehen zuweisen würden, auch wenn die Übergehung des Oberkonsistoriums und der übrigen Minister mit keinerlei persönlichen Vorteilen für ihn verbunden war. Daß der zum Erlaß des Religionsedikts entschlossene König Einwendungen des ihm seit dem Gesangbuchstreit verdächtigen Oberkonsistoriums gesteigerte Aufmerksamkeit widmen würde, war nicht zu erwarten. Auch vor diesem Hintergrund hatte Woellner demnach keine Veranlassung, das Oberkonsistorium zu umgehen, selbst wenn er persönlich das Edikt um jeden Preis und ohne inhaltliche Änderung durchsetzen wollte. Vielmehr wäre Woellner bestens beraten gewesen, gerade als neu ins Amt gelangter Minister seine Amtskollegen sowie insbesondere die Räte des Oberkonsistoriums, auf deren Kooperation er in Ermangelung eines sonstigen Mitarbeiterstabes30 angewiesen war, nicht gleich am Anfang seiner Tätigkeit zu verärgern. Im übrigen dürfte es Woellner ebenso peinlich gewesen sein, dem Großkanzler Carmer am 7. Juli 1788 mitteilen zu müssen, der König habe das Religionsedikt schon vollzogen, weshalb der Beratungsbedarf entfallen sei, wie den Minister im Reformierten Geistlichen Departement Dörnberg bei seiner Einführung in den Staatsrat mit einem dessen Ressort in zentraler Weise betreffenden Edikt konfrontieren zu müssen, zu dem dieser anders als Carmer nicht einmal angehört worden war. Dies alles spricht dafür, daß der rasche Erlaß des Religionsedikts ohne Einbeziehung der einschlägigen Gre-

pra Teil I, Kapitel 2, F. IV.) ist eine andere Frage. Jedenfalls waren weder Kirchendirektorium noch Oberkonsistorium dazu berufen, diesen Konsens herzustellen oder gar zu erteilen. 30 s. hierzu auch infra Kapitel 2, A. I.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

mien von Woellner lediglich toleriert, nicht aber betrieben wurde. Hierfür war vielmehr der König selbst verantwortlich. Am Vollzug des Religionsedikts zeigte Woellner kein ausgeprägtes Interesse; noch viel weniger drängte er zur Eile. Jahrelang vermied er es, das Edikt zur Anwendung zu bringen31, so daß es erst nach Errichtung der Berliner Examina31 Gallus (Geschichte der Mark Brandenburg VI, S. 310) schrieb mit Recht: „Die Bekanntmachung des Religions-Edikts verursachte mehr Gerede und Geschreibe im Publikum als Veränderung im Kirchenwesen.“ Auch der Darstellung Niemeyers (Nösselts Leben, S. 46 f.) und Henkes (Beurteilung, S. 473) zufolge führte das Religionsedikt in den ersten Jahren der Amtszeit Woellners nicht zu erheblichen Einschränkungen der Lehrfreiheit. Nichts anders besagt, wenngleich mit unzutreffender Begründung, die Meldung der Gothaer Gelehrte Zeitungen vom September 1788: „Dem Vernehmen nach ist dem preußischen Religionsedikt vom 9. Julius durch ein königliches Reskript an den Staatsrath, die gesetzliche Kraft wieder genommen worden. Keiner von den Predigern, die Dimißion ansuchten, hat sie erhalten, auch ist sonst noch keine Wirkung jenes Edikt sichtbar geworden. Man schreibt dies den vereinigten edlen Bemühungen der berühmten und aufgeklärten Minister zu, die der König gebilligt und befolgt haben soll.“ Spalding, der dies ebenfalls registrierte, verzichtete auf eine eindeutige Beurteilung der Kausalzusammenhänge: „Es sey denn, daß es dem neuen geistlichen Minister und seiner Parthey anfangs nicht sowohl um die wirkliche Durchsetzung der so drohenden Verfügungen des Edikts zu thun gewesen, oder daß auch nachher die merklich gewordenen Urtheile, Gesinnungen und Bewegungen des Publikums, einige Bedenken und Scheu erregt haben mögen, die angekündigte Strenge zur Ausführung zu bringen.“ (Lebensbeschreibung, S. 101, 120 f.). Johann Christoph Berens stellte in einem Brief an Kant vom 25. Oktober 1788 fassungslos fest: „Die Edikte des Religionsministers haben nicht den geringsten Effekt. Diterich hat neulich ein Kind nach einem freien Ritual getauft, wobei der Minister Woellner Gevatter war.“ (Abdruck: Kant, Briefwechsel I, S. 552–554, hier S. 553). Auch die öffentliche Kritik sah sich keinen wesentlichen Beschränkungen ausgesetzt, wie die ungehinderte Veröffentlichung kritischer Schriften durch Teller („Wohlgemeinte Erinnerungen [. . .] auf Veranlassung des Königl. Edikts die Religionsverfassung betreffend“, 1788; „Unterredungen eines Monarchen mit seinem Thronfolger über die Religionsfreyheit der Unterthanen“, 2. Auflage 1791) und Büsching („Untersuchung, wann und durch wen der freyen evangelisch-lutherischen Kirche das Joch der die symbolischen Bücher zuerst auferlegt worden“, 1789) beweist. Zu letzterem Vorgang hieß es: „Der Oberkonsistorialrat Büsching konnte 1789 unbeanstandet öffentlich die Untersuchung anstellen, wann und durch wen der freyen evangelisch-lutherischen Kirche (das Joch der) die symbolischen Bücher zuerst auferlegt worden. Bey der Censur wurden blos die hier in ( ) eingeschlossenen Worte auf dem Titel gestrichen; auf der ersten Seite des Büchelchens hingegen ließ man sie ohne Anstoß stehen.“; Gothaer Gelehrte Zeitungen 1789, S. 323; cf. auch Henke, Beurteilung, S. 426 ff. Nach Abegg, Reisetagebuch, S. 46, vertrat Teller anschließend an Kants Aufklärungsaufsatz die Auffassung, „daß man als Lehrer der Religion das positive, wovon man selbst nicht überzeugt sei, bloß historisch lehren, überhaupt aber ganz auf das Praktische wirken müße.“ Auch nachdem Villaumes „Freymüthige Betrachtungen über das Edikt vom 9. Julius 1788“ als hämischer Angriff denunziert worden waren, wurde deswegen noch nicht einmal in der Angelegenheit ermittelt: „Ohngeachtet der großen Publizität, die der Preußische Staat gestattet, war es doch keine alltägliche Erscheinung, daß dergleichen freye Beurtheilung eines wichtigen, mit Ernst und Nachdruck publizirten Landesgesetzes an Ort und Stelle, ebenso ungehindert verkauft werden durften, als die Vertheidigungen desselben, ja, daß man laut den angeblichen Verfasser nannte, Herrn Prof. Villaume, ohne daß man von Untersuchungen und Ungelegenheiten weiß, in die Jemand darüber geraten.“

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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tions-Kommission 1791 Wirksamkeit entfaltete. Aus der Mitte der ImmediatExaminations-Kommission wurde sogar später öffentlich der Vorwurf erhoben, der Minister habe das Religionsedikt nie ausgeführt.32 Der König hingegen drängte sehr wohl zur Eile. Schon die Präambel des Religionsedikts enthielt die ausdrückliche Bemerkung33, er habe schon mehrere Der Vorgang wurde als Beweis liberaler Pressepolitik registriert, jedoch nicht der Strategie Woellners zugeschrieben. Cf. Henke, Beurteilung, S. 115, 128; ferner Wittichen, Zur inneren Geschichte Preußens, S. 323 f., 325 f. Ausführlich zum Ganzen Krause, Ära Woellner, S. 95 f. mit Anm. 26. S. auch infra Kapitel 1, G. VIII. 32 Cf. Anonymus (Hillmer), Austritt aus geheimen Gesellschaften, S. 93 f., über die Minister im preußischen geistlichen lutherischen Departement: Zedlitz sei religiös gleichgültig gewesen und habe die Abwendung vom Christentum gefördert, aber nächst ihm leben auch viele Staatsmänner, wenn sie gleich nicht so übel gesinnt sind, doch in einer gewissen Unthätigkeit in Bezug auf das Religionswesen im Lande dahin, und bilden sich ein, es gehe alles gut und seinen sonst gewohnten Gang, weil sie nicht gerade grobe Exzesse erfahren, genügen sich, daß alte Verordnungen wegen der Religion vorhanden sind; sehen es nicht gerne, wenn über Abweichungen Berichte eingehen, die ihnen allenfalls Mühe machen, und geben es auch wohl zu verstehen, daß sie dergleichen Dinge für blos theologische Zänkereien ansehen, von welchen Notiz zu nehmen unter ihrer und des Staates Würde sey, wodurch sie dann noch weniger erfahren. Sie bemäntelten ihre „Trägheit und Menschenfurcht“ mit der Phrase, daß Zwang hier nichts [. . .] vermöge, die Wahrheit am Ende siegen werde, Gott schon Mittel wüste, seine Kinder zu erhalten. Das entspricht wörtlich teils den Äußerungen Woellners gegenüber dem König und der Immediat-Examinations-Kommission, teils den Beschwerden, die diese über Woellner beim König führten, teils den Vorwürfen gegen Woellner, die der König ihr gegenüber äußerte, so daß nur Hermes oder Hillmer als Verfasser in Betracht kommen. 33 Der Verdacht, Woellner habe das Edikt konzipiert und ihm dabei den Charakter eines höchstpersönlichen Selbstbekenntnisses Friedrich Wilhelms gegeben, um den „falschen“ Anschein zu erwecken, als wenn des Königs Majestät unmittelbar selbst Urheber der Entwürfe und Anstalten zur vermeinten Verbesserung des Religionswesens gewesen wäre, entbehrt jeder vernünftigen Grundlage, zumal ein nachvollziehbarer Anlaß für den Minister fehlt, seine Verantwortung zu verstecken. Henke, Beurteilung, S. 15 ff., der sich scheinbar distanziert, indem er den Argwohn für zu fein gesponnen erklärt, rechnete offenbar damit, seine Leser würden ihn schon richtig verstehen und erkennen, daß dem Teufel [Woellner] jeder Kniff zuzutrauen war, selbst der, die Sache in Abwesenheit des Königs weniger zu betreiben, um von sich abzulenken. Der Verdacht war unwiderlegbar, wie Henke genau wußte: Dinge dieser Art erleiden keine Aufklärung. Die Historiographie ist ihm vollständig erlegen: Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 604; Philippson, Geschichte I, S. 69, 84; Stölzel, Svarez, S. 254, der sich treu „dem preußischen Historiographen“ Preuß anschließt (S. 253) und sich nicht entblödet, Woellner den Vorwurf zu machen, für die Judenemanzipation eingetreten zu sein; Bailleu, Art. Woellner, S. 155; Schwartz, Kulturkampf, S. 96 mit Anm. 3. Selbst Valjavec, Religionsedikt, S. 386 ff., hält trotz seiner Hinweise auf positive Stimmen sowie auf die schon von Bailleu herausgehobene Rolle des Königs bei gleichzeitigem mäßigenden Einfluß Woellners an der Bezeichnung fest. Ebenso in jüngerer Zeit Tradt, Religionsprozeß, S. 233, sowie Krolzik, Das Wöllnerische Religionsedikt, http://fachpublikation.de/dokumente/01/02/. Auch Hintze, Epochen, S. 102, läßt zumindest offen, ob der König oder seine Berater für den religionspolitischen Kurs im ausgehenden 18. Jahrhundert maßgeblich waren, ohne jedoch den Titel „Wöllnersches Religionsedikt“ zu hinterfragen. Eine positivere Beurteilung erfährt Woellner auch bei Mirbt/Wagenbach, Art. Woellner, S. 432 („der persönlich no-

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Jahre vor dem Regierungsantritt – zweifellos beim Gesangbuchstreit – eingesehen, daß eine Reform dringlich notwendig sei, und deshalb sogleich nach dem Antritt der Regierung das wahre, gute und alte Christentum vor falscher Aufklärung und entstellender Neologie schützen wollen34, nur andere Regierungsaufgaben35 hätten ihn bislang davon abgehalten, diese eigentlich vordringlichen Maßnahmen sogleich in Angriff zu nehmen. Des weiteren hatte der König ein Interesse daran, den neuen Minister in Gestalt des Religionsedikts mit einer eindeutigen Instruktion zu versehen, bevor dieser durch Einführung in den Staatsrat am 8. Juli 1788 sein Amt förmlich antrat. Hierin dürfte auch der Grund für die Vordatierung des Religionsedikts auf diesen Tag zu sehen sein. Die Bezeichnung des Gesetzes als „Woellnersches“ Religionsedikt weist diesem die Verantwortung für seinen Inhalt zu. Das ist alles andere als selbstverständlich und bedarf der Überprüfung. Daß Woellner das Konzept des Religionsedikts kannte, ehe der König es vollzog, steht außer Frage. Angeblich hat der Minister nach eigener Aussage sogar zu seinem Erlaß geraten36: „Ich sah all den Lärm voraus, den das Edikt in einem Lande machen würde, wo die Religion seit einem halben Jahrhundert ein Wort ohne Bedeutung geworden war. Ich sah aber auch das Unheil voraus, das durch den Verfall der Religion notwendig für den Staat erfolgen mußte. Ich schlug daher dem Könige aus zwei Übeln das geringste vor und riet zur Erlassung des Edikts.“37 Beides besagt aber nur, daß er gegen den Erlaß des Religionsedikts keinen Widerstand geleistet hat und es sogar gefördert hat, nicht aber, daß es von ihm entworfen worden ist oder daß er es gerade in der Form und mit dem Inhalt, den es tatsächlich erhielt, angestrebt hat. Ein deutlicherer Hinweis auf die Mitwirkung Woellners an der Erarbeitung des Entwurfstextes ergibt sich freilich aus der späteren Ereiferung über die Kritik der Oberkonsistorialräte an der sprachlichen Gestaltung des Religionsedikts.38

ble und mitleidige Woellner“), ferner bei Lehmann, Wöllner und die auswärtige Politik Friedrich Wilhelm’s II., S. 285 (Woellner wird zwar als Urheber des Religionsedikts bezeichnet, doch wird die „Wirksamkeit von Wöllner selbst“ in neuem Licht gesehen) sowie bei Hartung und Zscharnack in ihren Rezensionen zu Schwartz, Kulturkampf (Hartung, Schwartz-Rezension, Sp. 1579; Zscharnack, Evangelische Kirchengeschichte, S. 415). S. hierzu auch infra Teil II, Kapitel 2, Fn. 448. 34 Bailleu, Art. Woellner, S. 153. 35 Wirklich hatte er sich gerade unter der Anleitung seines heimlichen Premierministers Woellner auf die Reform der Behördenorganisation, der Finanzen und Wirtschaft, des Bau- und Schulwesen, sowie der Justiz und Gesetzgebung konzentriert. Cf. Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, passim; Bailleu, Art. Woellner, S. 154; Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 75 ff. 36 Nach Paulig, Friedrich Wilhelm II., S. 310, der freilich öfter ungenau ist. 37 Das heißt nicht, das Woellner das Religionsedikt konzipiert haben muß. 38 s. bereits supra Teil II, Kapitel 1, B. I.

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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C. Der Inhalt des Religionsedikts Das „Edict vom 9. Jul. [1788] die Religions-Verfassung in den preußischen Staaten betreffend“ besteht aus einem Vorspruch und vierzehn Paragraphen.39 Auf eine Reihe staatskirchenrechtlicher – quasiverfassungsrechtlicher – Freiheitsgarantien (§§ 1–5 RE) folgen einige dienstrechtliche – innerkirchenrechtliche – Bestimmungen über die Auswahl und Disziplin des Personals der beiden großen evangelischen Kirchen Preußens (§§ 6–10), den Abschluß bilden staatsrechtliche Regelungen über die Anerkennung kirchlicher – vorwiegend evangelischer – Feiertage sowie zur Privilegierung von Geistlichen, insbesondere im Wehrpflichtrecht (§§ 11–14).40 I. Die Einleitung Dem Stil der Zeit entsprechend, belehrte das Gesetz – insbesondere in der Einleitung – über die Motive, die zu seinem Erlaß geführt hatten. Dabei fällt jedoch auf, daß der König in besonders starkem Maße seine Person als „Landesherr und als alleiniger Gesetzgeber in Unseren Staaten“ (§ 8 RE) ins Spiel brachte. Bereits in der Einleitung, später dann in § 7 RE verwies er auf individuelle Einsichten und Erfahrungen41, auf Beobachtungen, die er als Prinz gemacht hatte, und auf die Erinnerung an seinen Großvater, Friedrich Wilhelm I. „Schon lange vor [seiner] Thronbesteigung [habe er] eingesehen42, wie nöthig es dereinst seyn dürfte, nach dem Exempel Unserer Durchlauchtigsten Vorfah39 Nachweise zum Abdruck in Fn. 11 dieses Kapitels. Zur zeitgenössischen Literatur zum Religionsedikt s. neben Henke (supra Fn. 1 dieses Kapitels) auch Anonymus, Schriften über das Königl. Preußische Religions-Edict. 40 Nicht zu folgen ist Valjavec, Religionsedikt, S. 397, der in zu pauschaler Weise „den Sinn und Zweck des Religionsedikts überhaupt nicht zu buchstäblich an den einzelnen Paragraphen [. . .] beurteilen“ will, weil es im Endergebnis nur auf die „Zurückdrängung der Aufklärung“ ankomme. 41 Möglicherweise hat Woellner die eigene Einsicht des Prinzen in Fragen der Religionsverfassung in der Abhandlung über die Religion so betont, weil dieser eigensinnig auf ihr bestand. Jedenfalls war Friedrich Wilhelm II. in seiner Religionspolitik gegen jeden Rat immun, auch sein „Beichtvater“ Bischoffwerder und seine Herzensfreundin, die Gräfin Lichtenau, fanden kein Gehör. 42 Henke, Beurteilung, S. 14 f., äußerte insofern Zweifel, „ob denn auch ein Prinz vor seiner Thronbesteigung, da er immer noch Staatsbürger ist, eine so zureichende Wissenschaft, auch in einem solchen besondern Fache von Angelegenheiten des gemeinen Wesens erlangen könne, daß er nicht nur alsdann schon Maßregeln bey sich beschließe (denn dies bleibt ohne Tadel), sondern daß er auch, nachdem er nun den Thron bestiegen, von seinen vormaligen Wahrnehmungen und Erfahrungen allein geleitet werde. Zweifeln hätten sie mögen, ob denen nicht eine fortgesetzte genauere Erkundigung von Umständen, ob ein König seinen eigenen Empfindungen des Leidwesens für die Angemessenheit und Richtigkeit seiner Gesetze sprechen lassen können [. . .] Wir besorgen, daß dieser Eingang des Edikts auf manche Leute, ohne daß sie es selbst recht fühlten, was eigentlich zu vermissen war, einen unvortheilhaften Eindruck

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

ren, besonders aber Unsers in Gott ruhenden Großvaters Majestät43 ein Religionsedikt zu erlassen.44 Nach Besorgung der dringendsten Angelegenheiten des Staates [komme er endlich dazu,] diese Unsere anderweitige Regentenpflicht zu bedenken und im gegenwärtigen Edikt Unsere unveränderliche Willensmeynung [. . .] öffentlich bekannt zu machen.“ Auch sonst trägt das Edikt eine stark subjektive Färbung. Friedrich Wilhelm II. machte deutlich, wie sehr ihm persönlich das Proselytenmachen bey allen Konfessionen zuwider sei, wie sehr er es persönlich begrüße, wenn die Geistlichen der unterschiedlichen Konfessionen verträglich und brüderlich miteinander leben (§ 5 RE), und mit welchem persönlichen Ernst er darauf bedacht sei, die christliche Religion aufrechtzuerhalten (§ 10 RE). Dies bedeutet freilich nicht, daß der König mit dem Religionsedikt private Interessen verfolgt hätte; vielmehr ging es ihm gleichermaßen um die Wohlfahrt des Staates sowie um die Glückseligkeit seiner Untertanen. Indem er jedoch seine politische Tätigkeit – die von seinen Vorfahren im frühen 18. Jahrhundert gepflegte pietistische Tradition des frühen 18. Jahrhunderts aufgreifend – zum Akt persönlicher Glaubensbewährung machte, unterwarf er sie einem absoluten Geltungs- und Durchsetzungsanspruch. Die aus dem Gewissen gerechtfertigte Politik war auf diese Weise ex definitione gegen jegliche Anfechtung gefeit. Wer diese Politik kritisch, mahnend oder warnend kommentierte, war a priori halbherzig und feige; ihre Gegner waren verstockt und boshaft. Jede abweichende Glaubens- und Gewissensentscheidung konnte nur Unwahrheit oder Irrtum darstellen und ihre Behauptung nichts als Lüge oder Mißbrauch der Aufklärung. Besonders deutlich wird dies in dem in § 7 RE mit Gesetzeskraft ausgesprochenen Vorwurf, „man entblöde sich nicht die elenden, längst widerlegten Irrthümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und anderer Sekten wieder aufzuwärmen, solche mit vieler Dreistigkeit unter dem äußerst mißbrauchtem Namen: Aufklärung unter das Volk auszubreiten“.45 Vor diesem Hintergrund mußte jegliche Remonstration nicht nur zwecklos erscheinen, sie war sogar geradezu kontraproduktiv. So veranlaßte die öffentliche Diskussion über das Religionsedikt, über dessen Zweckmäßigkeit, Zulässigkeit und Sinn den König nicht etwa zur Korrektur der Maßnahme, sondern begemacht habe; und wir finden nicht, daß die Vertheidiger des Edikts diesen Mangel ersetzen.“ 43 Daß der unmittelbare Amtsvorgänger und Onkel Friedrich Wilhelms II., Friedrich II., offenbar gezielt ungenannt blieb (Tradt, Religionsprozeß, S. 243), steht in Anbetracht der bewußten und persönlich gehaltenen Formulierung der Einleitung außer Zweifel. Ob dies taktlos war oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls wäre es mit Sicherheit zuviel des Guten gewesen, Friedrich den Großen angesichts seiner religiösen Indifferenz posthum als Anwalt für die reine lutherische Lehre in Anspruch zu nehmen. 44 Cf. dazu insbesondere auch § 7 RE. 45 Hervorhebung im Original (dort gesperrt).

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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stätigte und verstärkte seine Annahme, in welch schlimmem Ausmaß die Glaubenszerrüttung schon um sich gegriffen hatte. Je schriller und hysterischer die Kritik am Religionsedikt wurde, desto deutlicher waren – aus Sicht des Königs – die Beweggründe für dessen Erlaß erwiesen. Ungeachtet des insoweit eindeutigen Textes des Religionsedikts verschlossen sich sowohl die preußischen Staats- und Kirchenbediensteten als auch die preußische Gesellschaft der sich aufdrängenden Erkenntnis, daß das Religionsedikt dem Willen und Gewissen des Köngis entsprach. Auch die Historiographie ist dem lange Zeit gefolgt.46 Hinter dem liebenswürdig erscheinenden Monarchen, dem man von Anfang an weder die Klugheit noch die Entscheidungskraft seines Vorgängers zutraute, vermutete man einen Drahtzieher, dessen unheilvolles Wirken man nur verhindern mußte. Keinem aus der hohen Beamtenschaft und aus dem Oberkonsistorium kam auch nur der Gedanke [. . .], sich in Auflehnung gegen den König zu befinden, sondern jeder gab sich der Täuschung hin, daß man nur gegen Woellner agitiere.47 Wenn also die überwiegende Zahl der geistlichen Oberkonsistorialräte dem gütigsten und gerechtesten König unter Umgehung des Ministers ihre Bedenken gegen die im Religionsedikt festgeschriebene Verbindlichkeit der symbolischen Bücher für die Geistlichkeit vortrugen oder den Monarchen sonst gegen seinen Minister einzunehmen versuchten, waren sie fest davon überzeugt, daß ihre Vorstellung nur erfolgreich enden konnte. Tatsächlich erschütterten sie zwar das Vertrauen Friedrich Wilhelms II. in seinen Minister, verstärkten aber gleichzeitig den vom König gegen sie schon seit geraumer Zeit gehegten prinzipiellen Verdacht und veranlaßten ihn – ungewollt – dazu, Hermes und Hillmer in Stellung zu bringen.48 II. Gewissensfreiheit und Staatskirchenrecht Daß die staatskirchenrechtlichen Regelungen am Anfang des Religionsedikts in ihrer Zeit von einzigartiger Liberalität waren, ist in der kurz nach dem Erlaß des Edikts einsetzenden Diskussion über das Edikt kaum zur Kenntnis genommen worden. Schon der Vorspruch sagte den Bürgern völlige Gewissensfreyheit, die ungestörte Ruhe und Sicherheit bey ihrer einmal angenommenen Konfession und dem Glauben ihrer Väter, wie auch den Schutz gegen alle Störer ihres Got46 Bereits die Bezeichnung des Religionsedikts als „Woellnerisches“ nimmt die wahre Urheberschaft nicht zur Kenntnis. Auch Emil Arnold (Gesammelte Schriften, Band 6, Vorwort, S. 3 f., Anm.), macht noch Ende des 19. Jahrhunderts Emil Fromm (Immanuel Kant und die preußische Zensur, 1894) noch ausdrücklich den Vorwurf, daß dieser sich erdreiste, „von einer durch Friedrich Wilhelm II. und nicht vielmehr durch Bischoffswerder und Woellner gegen dies Überwuchern [der Aufklärung] eingeleiteten Reaktion“ zu sprechen. 47 Cf. Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 378. 48 Ausführlich zur Remonstration der Oberkonsistorialräte infra Kapitel 1, G.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

tesdienst zu. Die §§ 1 bis 5 stellten – auch wenn der zurückhaltende Wortlaut dies nicht unmittelbar deutlich werden ließ – die drei großen christlichen Konfessionen weit über das durch den Westfälischen Frieden gebotene Maß hinaus gleich. Die bereits auf Toleranz und Parität hin ausgerichtete Regierungspraxis Friedrichs des Großen wurde hierdurch in den Schatten gestellt, der freiheitliche Geist des Allgemeinen Landrechts deutlich vorweggenommen.49 Der Wortlaut des § 1 RE, wonach „alle drey Haupt-Confessionen der Christlichen Religion, nehmlich die Reformirte, Lutherische und Römisch-Catholische, in ihrer bisherigen Verfassung, nach den von Unsern gottseligen Vorfahren vielfältig erlassenen Edicten und Verordnungen, in Unsern sämtlichen Landen verbleiben, aufrecht erhalten, und geschützt werden sollen“, scheint zunächst nur eine feierliche Festschreibung des damaligen status quo zu enthalten. Berücksichtigt man, daß die drei Konfessionen in den verschiedenen preußischen Provinzen durchaus unterschiedlich behandelt wurden – im Reichsgebiet galten die Garantien des Westfälischen Friedens, wobei in den westlichen Provinzen zusätzlich die durch den Religionsreceß von 1672 eingeräumte freie Bekenntniswahl herrschte50, in den von Polen erworbenen Gebieten existierten vertragliche Zusicherungen zugunsten der Katholiken, in Ostpreußen dagegen lediglich die den Landständen gewährten Recesse, darüber hinaus verschiedene Einzelverfügungen51 – und dieser Zustand fortbestehen sollte, so wird man entgegen mancher Behauptung nicht sagen können, das Religionsedikt habe die Parität der drei Hauptkonfessionen52 oder ihre formale Gleichstellung53 angeordnet.54 Andererseits sollte die Bedeutung des Religionsedikts im Hinblick auf das Verhältnis der drei Hauptkonfessionen untereinander auch nicht heruntergespielt werden. Es gilt zu bedenken, daß – auch im aufgeklärt-absolutistischen Preußen – nur die lutherische Kirche Staatskirche war; die katholische Kirche existierte im

49 Cf. hierzu Conrad, Staat und Kirche im aufgeklärten Absolutismus, S. 57 ff. Zu einer (vorsichtig) positiven Einschätzung gelangt mit dieser Begründung auch Hintze, Epochen, S. 102: „Man kann von diesem Gesetz sagen, daß es besser ist als sein Ruf.“ 50 Cf. H. J. Becker, Staat, S. 384. 51 Etwa über den Bau einer katholischen Kirche in Berlin oder einer reformierten Kirche in Halle. 52 So aber Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 311 f.; Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 78; Löhr, Das Preußische Allgemeine Landrecht und die katholischen Kirchengesellschaften, S. 16; Jacobson, Kirchenrecht, S. 126, Anm. 1; Weber, Die Parität der Konfessionen in der Reichsverfassung von den Anfängen der Reformation bis zum Untergang des alten Reiches im Jahre 1806, S. 242; Luxemburger, Die Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Freistaate Preußen, S. 71. 53 Link, Art. Kirchenrecht, 801; H. J. Becker, Staat, S. 387; Masur, Naturrecht und Kirche, S. 65; Elliger, Kirche, S. 33. 54 Gegen beide Auffassungen – wenn man sie wörtlich versteht – mit Recht zuletzt Krolzik, Das Wöllnerische Religionsedikt, http://fachpublikation.de/dokumente/01/02/ 03001.html.

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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wesentlichen aufgrund verschiedener Gebietsacquisationen, die reformierte aufgrund der Konfessionszugehörigkeit des Königs und durch dessen Protektion. Die feierliche Nennung der drei Bekenntnisse in einem Atemzug – erst recht in einem so hervorgehobenen Dokument mit Gesetzes- oder gar Verfassungsrang wie dem Religionsedikt – stellte, insbesondere mit Blick auf die – formell unangetastet bleibende – besondere Situation der lutherischen Kirche als Staatskirche, eine erhebliche Aufwertung der katholischen und der reformierten Religionspartei dar.55 Freilich ist nicht anzunehmen, daß Friedrich Wilhelm II. eine freiheitliche Großtat beabsichtigte. § 1 RE faßte insbesondere in Worte, wie sich der Bekenntnisstand in Preußen im Laufe des 18. Jahrhunderts faktisch entwickelt hatte. In der Praxis war es durchaus so, daß es drei – nicht formell oder materiell paritätische, aber gleichrangige – Hauptkonfessionen und einige geduldete Nebenbekenntnisse gab, denen die weitere Anerkennung und Duldung zu versagen schlechterdings nicht (mehr) möglich gewesen wäre. Eine Rückkehr zur einheitlichen Staatskirche war ausgeschlossen, da inzwischen die Katholiken eine – faktisch und rechtlich – zu starke Stellung gewonnen und auch das Nebeneinander zweier unterschiedlicher evangelischer Bekenntnisse sich stabilisiert hatte, ohne daß eine wirkliche Kirchenunion greifbar nahe war. Die besondere Liberalität des Religionsedikts ergibt sich im übrigen auch aus der Zusammenschau der ersten fünf Paragraphen. Die Religionsbestimmungen des Westfälischen Friedens56 hatten die Freiheit zu öffentlichen gottesdienstlichen Versammlungen den Kirchen vorbehalten und die gegenseitige Abwerbung der Gläubigen (Proselytenmachen) untersagt. Die Beibehaltung dieses Verbots erschien auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts selbst den Wohlmeinenden zum Erhalt des religiösen Friedens unumgänglich.57 Das Religionsedikt ging aber über die Garantien des Reichsverfassungsrechts hinaus, indem es (§ 2 RE) den Juden und den christlichen Sekten, die in Preußen anerkannt waren oder zumindest toleriert wurden58, das gleiche Maß religiöser Betätigungsfreiheit gewährte; das schloß die Mennoniten, die den Wehrdienst verweigerten, und sogar die im weiteren Verlauf des Edikts verworfenen Socinianer ein, die einer „falschen“ Christologie folgten. Es gestattete überdies den Hausgottesdienst selbst den nicht anerkannten Religionen und räumte jedem einzelnen die vollkommene Gewissensfreiheit und das Recht zum Glaubenswechsel ein, solange er ruhig 55 Zu formalistisch demgegenüber Krolzik, Das Wöllnerische Religionsedikt (s. vorhergehende Fn.), der jedoch erkennbar aus theologischer, nicht aus juristischer Perspektive schreibt und argumentiert. 56 Näher hierzu supra Teil I, Kapitel 1, B. III. 57 Im übrigen würde das Proselytenmachen auch heute Konfessionskämpfe auslösen. 58 Zu den Bekenntnissen außerhalb der Landeskirche cf. supra Teil I, Kapitel 2, E. X.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

als ein guter Bürger des Staates seine Pflicht erfüllet.59 Über die zukünftige Duldung etwaiger neuer Sekten traf das Religionsedikt keine eindeutige Regelung; es verpflichtete das Geistliche Departement nur (§ 2 RE a. E.), dafür zu sorgen, „daß nicht andere, der Christlichen Religion und dem Staate schädliche Conventicula, unter dem Namen, gottesdienstlicher Versammlungen, gehalten werden, durch welches Mittel, allerley der Ruhe gefährliche Menschen und neue Lehrer, sich Anhänger und Proselyten zu machen im Sinne haben möchten, wodurch aber die Toleranz sehr gemißbraucht werden würde.“ Dabei war auch ohne die diesbezügliche Aussage im Religionsedikt selbstverständlich, daß nicht autorisierte Geheimversammlungen wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung unzulässig waren.60 Woellner hat diese Passage später dahingehend interpretiert, daß die Duldung neuer Sekten ausgeschlossen war.61 Die damit ausgesprochene Garantie der Religions- und der Gewissensfreiheit als Menschenrecht war – erst recht im Zusammenhang mit der deutlichen, die faktischen Zustände anerkennenden rechtlichen Aufwertung der katholischen Kirche – in einem protestantisch regierten Staat des damaligen Europa und selbst in den meisten Staaten Neuenglands geradezu beispiellos, was in der Folgezeit – wenig verwunderlich – gerade von katholischen Autoren immer wieder herausgestellt wurde. Der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die preußischen Staaten war keineswegs weitergegangen und auch das allgemeine Landesrecht sollte die Garantien nicht übertreffen.62 59

Das ist bis heute die Voraussetzung der Religions- und Gewissensfreiheit geblie-

ben. 60

Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 246 f. Resolution vom 15. August 1792 an das Oberkonsistorium; abgedruckt in: ActenStücke (1794), S. 116 f.; wiedergegeben auch bei Amelang, Verteidigung II, S. 106. Die Authentizität dieser – mehr als vier Jahre nach Erlaß des Religionsedikts vorgenommenen – Interpretation ist zweifelhaft. Sie erfolgte im Rahmen des Schulzprozesses. Da Woellner zu diesem Zeitpunkt aufgrund der fortwährenden Schwierigkeiten in der causa Schulz unter Druck stand, kam eine Interpretation, welche den Gemeinden des Schulz die Duldung als neue christliche Sekte ermöglicht hätte, nicht in Betracht. Schon wegen der eindeutigen Haltung des Königs, auf dessen Spezialbefehl die Resolution erging, mußte Woellner, wollte er sich nicht die königliche Ungnade zuziehen, das Religionsedikt so interpretieren, daß eine Duldung der Schulzschen Gemeinden ausgeschlossen war. 62 ALR Teil II, Tit. XI, §§ 1–5 gewährten jedem vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit, schlossen gesetzliche Vorschriften über den Glauben aus, verboten, jemanden wegen seines Glaubens zur Rechenschaft zu ziehen, zu verspotten oder zu verfolgen, ja ohne besonderen Grund nach der Religionszugehörigkeit zu fragen. Der Religionswechsel war freigesetzt (§§ 40, 41, 74). Ausnahmsweise konnte das Bekenntnis von allgemeinen Pflichten dispensieren (§§ 5, 6, 27–31, 112). Es gab das Recht auf häuslichen Gottesdienst (§ 7). Außerdem ließ es zu, daß die Einwohner sich zum Zwecke gemeinsamer Religionsbetätigung vereinigten und gemeinschaftliche Zusammenkünfte zu halten, soweit nicht die gemeine Ruhe, Sicherheit und Ordnung dadurch gefährdet wird (§§ 9, 10, sowie ALR Teil II, Titel VI, §§ 1–3), allerdings nur mit 61

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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III. Kirchliches Dienst- und sonstiges Innenrecht Die folgenden Vorschriften des Religionsedikts (§§ 6–10 RE) betrafen die Bürger nicht als solche. Entgegen der seitens zahlreicher Gegner des Edikts aufgestellten Behauptungen, die auch aus der Mitte der Immediat-ExaminationsKommission und sogar von Kant Zustimmung erhielten, waren es keine staatsrechtlichen Normen, sondern lediglich innerkirchenrechtliche und kirchendienstrechtliche Vorschriften für die beiden evangelischen Konfessionen. Die Lehrgewalt der katholischen Kirche blieb hiervon unberührt, wie der ausdrücklich auf die „protestantische Kirche“, die „protestantischen“ oder die „beyden Confessionen“ Bezug nehmende Wortlaut beweist. Diese Vorschriften setzten die in der Einleitung des Edikts niedergelegte Ankündigung des Königs, dafür zu sorgen, „daß in den Preußischen Landen die christliche Religion der Protestantischen Kirche, in ihrer alten ursprünglichen Reinigkeit und Aechtheit erhalten und [. . .] wieder hergestellet werde“, in konkrete Anweisungen um. § 6 band die Veränderung der Kirchenagenden und Liturgien durch die protestantischen Gemeinden an die Genehmigung der Minister im jeweiligen Geistlichen Departement; sie hatten dabei darauf zu sehen, daß nichts Wesentliches preisgegeben wurde. Diese – der bisherigen Rechtslage und Praxis entsprechende – Regelung betonte die landeskirchliche Bekenntniseinheit gegenüber der Autonomie einzelner Gemeinden. Forderungen nach größerer Selbständigkeit der örtlichen Gemeinden im Hinblick auf Bekenntnis und Ritus (Agende) waren zwar verschiedentlich laut geworden, hatten sich aber als Rechtsprinzip für das evangelische Kirchenwesen nicht durchsetzen können. Daß § 8 RE es jedem Geistlichen, Prediger und Schullehrer der protestantischen Religion verbot, bey Führung seines Amts, oder auf andere Weise öffentlich und heimlich Irrthümer auszubreiten, war – zumindest aus Sicht der Kirchenleitung – ebenso selbstverständlich, wie daß er unwandelbar dem einmal bestimmten und festgesetzten Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religionsparthey als allgemeine Richtschnur, Norma und Regel zu folgen hatte.63 Wie dieser Lehrbegriff auszusehen hatte und wovon er insbesondere abzugrenzen war, wurde in § 7 RE näher beschrieben.

Genehmigung des Staates und prinzipiell ohne Anerkennung als Religionspartei (ALR Teil II, Titel VI, §§ 11–14). Daneben kannte es die als solche konzessionierten, geduldeten Religionsgesellschaften oder Kirchengesellschaften (ALR Teil II, Titel XI, §§ 20 ff.), sowie die öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften (ALR Teil II, Titel XI, §§ 17, 18); cf. insgesamt auch die dem Patent, die Bildung neuer Religionsgesellschaften betreffend vom 30. März 1847 (Gesetz-Sammlung S. 121) beigegebene Zusammenstellung der im allgemeinen Landrecht enthaltenen Bestimmungen über Glaubens- und Religionsfreiheit. 63 Cf. hierzu Krause, Überforderung, S. 184.

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Von §§ 7, 8 RE waren auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen der genannten Personengruppen erfaßt; hieran waren jedoch keine dienstrechtlichen Sanktionen geknüpft. Auch eine Unterdrückung entsprechender Publikationen durch die Zensur war nicht vorgesehen, selbst wenn sie von den genannten Kirchen- und Schulbediensteten stammten. Für die Tätigkeit von Universitätsprofessoren in Forschung und Lehre – hierbei handelte es sich weder um Geistliche noch um Schullehrer im Sinne des § 8 – beanspruchten §§ 7, 8 RE keinerlei Geltung. Im Rahmen seines Geltungsbereichs versuchte das Edikt, dem persönlichen Glauben der betroffenen Personen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen: Auch wenn ein Lehrer der christlichen Religion, der eine andere Überzeugung in Glaubenssachen hat, als ihm der Lehrbegriff seiner Confession vorschreibt, nach seinem Gewissen aufhören müsse, ein Lehrer dieser Kirche zu sein, konnte dies ohne dienstrechtliche Folgen bleiben. Ein solcher Lehrer durfte diese Überzeugung auf seine Gefahr sicher behalten und weiter sein Amt ausüben, wenn er in der Predigt und im Unterricht den festgesetzten Lehrbegriff seiner Kirche und keine davon abweichenden Inhalte vortrug.64 Demnach bestand keine Legitimation für die staatlichen und kirchlichen Organe, eine Gewissenserforschung der im Amt befindlichen Prediger und Lehrer vorzunehmen. Die später von der Immediat-Examinations-Kommission erhobene und durchgesetzte Forderung, die hier genannten Kirchen- und Schulbediensteten und sogar die hier gar nicht betroffenen Theologieprofessoren hätten in einem Revers zu erklären, daß sie innerlich mit dem Bekenntnis ihrer Kirche übereinstimmten, konnte nicht auf § 8 RE gestützt werden. Die durch § 8 RE angedrohte Sanktion der Entlassung der Geistlichen und Lehrer, die sich in ihrer Lehre in Widerspruch zu dem festgesetzten Lehrbegriff ihrer Kirche setzten, begegnet als solche keinen Bedenken. Daß ein Prediger und Religionslehrer, der nicht dem Bekenntnis entsprechend lehrt, zur Verkündigung unfähig ist, ist damals wie heute nicht ernstlich zu bezweifeln.65 Soweit ersichtlich, wurde zur Zeit des Religionsedikts lediglich ein einziger, und zwar ein lutherischer Prediger, nämlich der als „Zopfschulze“ bekannte Johann Heinrich Schulz, wegen Beanstandung seiner Lehre aus dem Dienst entfernt.66 64 Dies war im Prinzip sogar offensichtlich vernünftig, wie Zöllner (Über Moses Mendelssohn’s Jerusalem) und Kant (im Aufklärungsaufsatz) in Beantwortung der von Zöllner angesichts des Mißbrauchs des Begriffes selbst aufgeworfenen Frage „Was ist Aufklärung?“ anerkannt hatten. 65 Wenn der Staat, der – in unvollkommener Trennung von der Kirche – Beamte zur kirchlichen Lehre anstellt, sie in diesem Fall heute nicht mehr entläßt, sondern sie anderweitig zu beschäftigen sucht, ist das ein Grenzfall und zeugt von besonderer Großzügigkeit. Das Prinzip der fehlenden Eignung des Irrlehrers zur Verkündigung bleibt davon unberührt. Cf. auch Hintze, Epochen, S. 102, der die dienstrechtlichen Vorschriften über die konfessionelle Bindung der Geistlichen als „an sich nicht unberechtigt“ bezeichnet.

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Hierzu hätte es des Rekurses auf § 8 RE nicht bedurft, da der fragliche Prediger schlechterdings untragbar war, weshalb auch sein nach dem Thronwechsel und dem faktischen Außerkrafttreten des Religionsedikts unternommener Versuch, eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinstellung als Prediger zu erreichen, ohne Erfolg blieb. Bedenklich war an § 8 RE allenfalls, daß außer der Entfernung aus dem Amt noch dunkel eine schwerere Bestrafung angedroht wurde. Welchem Sinn und Zweck eine weitergehende und überdies nicht hinreichend bestimmte Sanktion dienen sollte, blieb offen; sie war daher schwerlich zu legitimieren. Problematisch war jedoch die Beschreibung und verbindliche Definition des evangelischen Bekenntnisses in § 7 RE. Hiergegen richteten sich die hauptsächlichen Einwendungen gegen das Religionsedikt insgesamt67, so daß hier auch der wahre Kern des Konflikts auszumachen ist. Allerdings schrieb der Landesherr in §§ 7, 8 RE keineswegs durch ein „Polizeigesetz“ vor, was man glauben solle und was nicht.68 Diese Behauptung wird schon durch den Wortlaut des § 8 RE widerlegt, wonach der König weder den Geistlichen in Unsern Landen noch Unsern übrigen Unterthanen eine Einschränkung der persönlichen Glaubensund Gewissensfreiheit auferlegen wollte, ebenso durch die Zusicherung der Gewissensfreiheit in § 2 RE. In §§ 7, 8 RE ging es allein um die Bindung der kirchlichen Amtsträger als solcher an das Bekenntnis ihrer Kirche. Daher geht auch das gegen das Religionsedikt in prinzipieller Weise gerichtete Argument fehl, dieses stelle „seinem innersten Wesen nach die Anwendung eines formellen rechtlichen Standpunktes auf Fragen, welche von diesem Standpunke aus gar nicht entschieden werden können, auf die Fragen des innern geistigen Lebens“69. Tatsächlich war die Verbindlichkeit der sogenannten symbolischen Bücher innerhalb der lutherischen Kirche in hohem Maße streitig geworden; diese Auseinandersetzung prägte seit dem frühen 17. Jahrhundert sowohl das Miteinander der beiden evangelischen Konfessionen als auch das innere Leben der jeweiligen evangelischen Kirchen.70 Ob und inwieweit die Prediger im Rahmen ihrer Vokation und Ordination nicht nur abstrakt auf die jeweiligen Bekenntnisse, sondern auch auf bestimmte symbolische Schriften verpflichtet wurden, war einem stetigen Wandel unterworfen.71 Dieser Konflikt betraf jedoch nicht in er66

Näher zum Schulz-Prozeß infra Kapitel 2, D. Auch die Remonstration der geistlichen Oberkonsistorialräte (infra Kapitel 1, G.). 68 So aber Philippson, Geschichte I, S. 217. 69 Brandes, Geschichte II, S. 143. 70 Zur Frage der Übertragbarkeit dieser Diskussion von der innerkirchlichen Ebene auf jene des Staatskirchenrechts s. infra Fn. 169 (in diesem Kapitel). 71 Daß die Prediger grundsätzlich ein Versprechen hinsichtlich des Inhalts ihrer Lehre abgaben, war zu allen Zeiten selbstverständlich. Nur die Einbeziehung symbolischer Bücher in diese Versprechen war von Zeit zu Zeit unterschiedlich. 67

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ster Linie den – von niemandem ernsthaft bezweifelten – ehrwürdigen Rang der symbolischen Bücher, sondern war insbesondere durch das Verhältnis der beiden evangelischen Kirchen zueinander veranlaßt. Dieses Verhältnis wiederum besaß nicht nur theologisch-geistliche, sondern – wie gesehen – in ganz erheblichem Maße auch politische Relevanz und Brisanz.72 Die lutherische Staatskirche Preußens hatte ihr Bekenntnis seit der Reformation noch nicht formal geändert, was nicht zuletzt daran lag, daß sie – abgesehen vom Landesherrn als Inhaber des Kirchenregiments – kein Organ besaß, das berufen war, ihr Bekenntnis neu festzusetzen. Sowohl die Provinzialkonsistorien als auch das später geschaffene Oberkonsistorium waren vom Landesherrn eingerichtete Verwaltungsbehörden bzw. Rechtsprechungs- und Beratungsorgane. Sie waren jedoch kein Träger der Kirchenautonomie und insbesondere keine Synode, wovon aber augenscheinlich in der Öffentlichkeit und auch seitens der Mehrzahl der Oberkonsistorialräte zu Unrecht ausgegangen wurde. Diese staatlich-kirchlichen Einrichtungen konnten daher weder das Bekenntnis verbindlich festlegen noch – wie nach evangelischer Lehre denkbar – den consensus ecclesiae73 zu einer verbindlichen Festlegung des Bekenntnisses durch den Landesherrn als Notbischof und Inhaber des Kirchenregiments erteilen. Die Theologie als Wissenschaft war ohnehin nicht dazu in der Lage, die Ergebnisse der Forschung autoritativ als verbindliche Wahrheit festzulegen. Die Kirchenverfassung stellte demnach weder die erforderlichen Strukturen noch das sachgerechte und legitimierende Verfahren zur Verfügung, um eine Veränderung des lutherischen Bekenntnisses herbeizuführen. Als „Notbischof“74 seiner Kirche75 hatte der Landesherr, sofern er nicht eine gänzlich neue Kirchenverfassung schaffen wollte, nur die Möglichkeit, gleichsam „durch die Finger zu sehen“, die kirchlichen Funktionäre – insbesondere das Oberkonsistorium – gewähren zu lassen und damit der binnenkirchlichen Entwicklung Raum zu geben. Dies war bis zum Gesangbuchstreit die Politik Friedrichs des Großen gewesen. Allerdings hatten der damalige Chef des Geistlichen Departements Zedlitz sowie die Mehrheit der Oberkonsistorialräte die Lage falsch eingeschätzt und den Bogen überspannt, als sie versuchten, die „neue“ rationale Theologie gegen den Widerstand der einzelnen Gemeinden durch verbindliche Anordnung des neuen Gesangbuchs durchzusetzen. Ungeachtet seiner persönlichen – freigeistigen – Haltung zu religiösen Fragen hatte Friedrich der Große dieser Maßnahme mit Entschiedenheit Einhalt geboten. Anders als sein Nachfolger im Religionsedikt hatte er jedoch dabei nicht Partei für die konservativen Kräfte ergriffen; auch war das Mißtrauen gegen die hohen 72 73 74 75

Ausführlich hierzu insbesondere supra Teil I, Kapitel 1, C. IV. und V. s. hierzu bereits supra Teil I, Kapitel 2, F. IV. Zu dieser Terminologie s. supra Teil I, Kapitel 1, A. II. Die Bekenntnisverschiedenheit kam als zusätzliches Problem hinzu.

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Kirchenfunktionäre trotz des königlichen Eingreifens nicht beseitigt worden. Indem sein Nachfolger auf dem preußischen Thron, Friedrich Wilhelm II., sich nun ausdrücklich auf die Seite der Anhänger der Orthodoxie stellte, geriet er in das Zentrum der Auseinandersetzung um den wahren Glauben. Diese konnte er nicht autoritativ beenden. Hier setzte sich der Charakter der Reformation als eine Volksbewegung fort: Sie war nicht von der Obrigkeit, sondern von der Bevölkerung ausgegangen; die absolute Monarchie hatte sich – zumindest in Preußen – nur etablieren können, indem sie sich auf die weltliche Herrschaft beschränkte.76 § 9 RE enthielt die an die leitenden Minister der beiden Geistlichen Departements gerichtete Anweisung, auf die Einhaltung der in §§ 7 und 8 RE formulierten Dienstpflichten zu achten. Dies wurde ihnen als Gewissens- und Gehorsamspflicht eingeschärft; sie sollten dem König hierfür „einstehen und haften“. Da es sich bei §§ 6 bis 9 RE um rein innerkirchen- und dienstrechtliche Regelungen handelte, ließen sie die Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre der Einwohner und Bürger unberührt. Indirekte „Außenwirkung“ kam diesen Vorschriften nur insofern zu, als der Staat durch die Reglementierung der evangelischen Bekenntnisse sowie der Lehrfreiheit der Amtsträger seiner Pflicht zum Schutz des Individualrechts auf Unverletzlichkeit des tradierten Glaubens, d. h. zum Schutz der Gewissensfreiheit im Sinne des Religionsedikts nachkam.77 Auf die Freiheit der Universitätsprofessoren der evangelischen Theologie zu Forschung und Lehre sowie zur Veröffentlichung der Ergebnisse wirkten sie sich auch nicht mittelbar aus. Die Ermächtigung, etwa eine Druckerlaubnis zu versagen oder den Vertrieb eines Buches zu verhindern, das sich kritisch mit dem Lehrbegriff einer evangelischen Konfession auseinandersetzte, war im Religionsedikt an keiner Stelle enthalten. Überhaupt schwieg das Religionsedikt vollständig zu Fragen der Bücherzensur: Es stand nicht einmal dem Druck und Vertrieb einer Schrift entgegen, durch deren Veröffentlichung ein Geistlicher oder Lehrer gegen die ihm dienstlich obliegende, durch das Religionsedikt prononciert eingeschärfte Verpflichtung zur Bekenntnistreue zu verstoßen drohte. § 10 RE schärfte den vorgenannten Ministern der beiden Geistlichen Departements nochmals ihre bereits bestehende Pflicht ein, bei der von ihnen de facto vorzunehmenden oder zu verantwortenden78 Besetzung der Pfarren, auch der 76 Die Herbeiführung der Union der lutherischen und reformierten Kirchen in Preußen durch Friedrich Wilhelm III. wurde mehrheitlich begrüßt und beließ den strengen Lutheranern letztlich den Ausweg einer eigenen Kirche. Die Vorgehensweise des Königs blieb jedoch problematisch. Cf. im einzelnen supra Teil I, Kapitel 2, E. VII. 77 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 244. 78 Ausweislich der Instruktion für das lutherische Oberkonsistorium vom 4. Oktober 1750 (Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298) lag die (Erst-)Zuständigkeit für die Besetzung der Pfarr- und Lehrerstellen beim Oberkonsistorium (§§ 4, 5, 7), für die Be-

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Lehrstühle der Gottesgelehrtheit auf Unseren Universitäten, nicht minder der Schul-Aemter keine Bewerber zuzulassen, die von dem Lehrbegriff ihrer Kirche nicht überzeugt waren.79 Letztlich ist auch diese Vorschrift nicht dem Staatsrecht, sondern dem innerkirchlichen Dienstrecht zuzuordnen. IV. Sonstige Bestimmungen § 11 RE rief allgemein zur Pflege von Religion und Moral auf, § 12 RE betraf das Sonn- und Feiertagsrecht und verwies dazu auf frühere gesetzliche Regelungen. § 13 RE betonte die Wertschätzung des Königs für den geistlichen Stand und schärfte dies auch den Untertanen ein. Gleichzeitig wurde das Privileg, das die Kinder der Geistlichen vom Militärdienst freistellte, dahingehend erneuert, daß fortan alle Prediger- und Lehrersöhne von der Wehrpflicht befreit sein sollten, wenn sie sich „den Wissenschaften, oder auch den bildenden Künsten, desgleichen dem Commercio“ widmeten. Der abschließende § 14 RE schärfte zusammenfassend die Einhaltung des Religionsedikts den „Obrigkeiten geistlichen und weltlichen Standes“, der „übrige[n] Geistlichkeit und alle[n] Unsere[n] getreue[n] Vasallen und Unterthanen“ ein. Wie bei den §§ 1 bis 5 RE handelte es sich bei den §§ 11 bis 14 RE um Bestimmungen des staatlichen Rechts.

D. Das Religionsedikt – Kirchenrecht oder Staatsrecht? I. Die Schwierigkeit der juristischen Einordnung des Religionsedikts Zu der vieldiskutierten Frage der politischen Zweckmäßigkeit und theologischen Sinnhaftigkeit des Religionsedikts kommt das Problem seiner juristischen Charakterisierung und kompetenzrechtlichen Verortung hinzu. Der Regelungsinsetzung der Universitätslehrstühle beim Geistlichen Departement; das Oberkonsistorium hatte im Besetzungsverfahren ein Gutachten zu erstatten (§ 11). Die Ernennung der ausgewählten Kandidaten erfolgte in jedem Fall im Ministerium. Ausführlich zur Aufteilung der Kompetenzen zwischen Ministerium und Konsistorien supra Teil I, Kapitel 2, E. III. 2./3. 79 Die Einschätzung der Rechtgläubigkeit war zwar unerläßlich, weil – wie das Edikt ausdrücklich als Beispiel anführte – kein heimlicher Katholik zum evangelischen Prediger bestellt werden durfte, konnte aber bei mangelndem Takt zur peinlichen Ausforschung entarten, skrupulöse Bewerber verstören und skrupellose Kandidaten zur Heuchelei ermuntern. Solcherlei Vorkommnisse sind aus der Zeit der Immediat-Examinations-Kommission bekannt. Die Einschränkungen wurden von einem bestimmten Selbstbild des Protestantismus her kritisiert. Für die katholische Kirche spielten sie keine Rolle, zumal diese – damals wie heute – über eine hergebrachte und kirchenverfassungsrechtlich legitimierte Lehrgewalt verfügt. Es kann daher nicht verwundern, daß sie von den katholischen Historiographen kaum gewürdigt werden.

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halt des Religionsedikts war uneinheitlich; es handelte sich – wie dargestellt – um ein Gemenge von Staatskirchenrecht und innerkirchlichem (Dienst-)Recht.80 Die durch diese Konstellation begünstigten Mißverständnisse wurden zusätzlich dadurch verschärft, daß der König die – für sich betrachtet innerkirchlichen – Rechtsvorschriften nicht unter Berufung auf seine dahingehende Kompetenz als Inhaber des Kirchenregiments, sondern ausdrücklich als „christlicher Regent“ (§ 7 RE) und als „Landesherr und alleiniger Gesetzgeber in Unsern Staaten“ (§ 8 RE) erließ. II. Die Problematik vor dem Hintergrund der kirchen- und staatskirchenrechtlichen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts Ein Blick auf die kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Literatur des späten 18. Jahrhunderts erscheint insofern lohnend, als anzunehmen ist, daß die dort vertretenen Ansichten wenn nicht dem König, so doch zumindest seinen Ministern und Beratern bekannt oder sogar vertraut gewesen sein dürften. Inwieweit der wissenschaftliche Meinungsstand sich tatsächlich auf den zum Erlaß des Religionsedikts führenden Prozeß oder auf den Inhalt des Gesetzes ausgewirkt hat, ist eine andere Frage.81 1. Ausgewählte Stimmen aus der Literatur Bereits Christian Thomasius zählte die Lehrzucht zu den kirchenregiminalen Befugnissen eines evangelischen Landesherrn, beschränkte dieses Recht jedoch darauf, die Übereinstimmung der Lehre eines Predigers mit dem jeweiligen Gemeindebekenntnis festzustellen.82 Der Staatsrechtler Johann Jacob Moser unterschied in seinem Werk „Von der Landeshoheit im Geistlichen“ (1773) noch nicht streng zwischen der Kirchenhoheit des Staates und der eigentlichen Kirchengewalt83; für ihn fielen alle 80 Zur rein politischen Bedeutung des Religionsedikts im Kontext der Zeit unabhängig von seiner kirchlichen Zielsetzung s. Valjavec, Religionsedikt, S. 393 ff. 81 Der instruktive Beitrag von Klippel, Natürliches Kirchenrecht, S. 35 ff., ist nicht speziell auf Preußen bezogen und blendet die dort in spezifischer Weise bestehende Problematik der Vereinigung von Staatsgewalt und landesherrlichem Kirchenregiment in einer Hand aus. Klippel weist allerdings zutreffend darauf hin, daß das ältere deutsche Naturrecht der Aufklärung die Vorstellungen und Ambitionen des aufgeklärten Absolutismus (nachträglich) zu legitimieren hatte und deshalb dem Staat umfassende Kompetenzen gegenüber der Kirche einräumte (S. 49). 82 Thomasius/Brenneysen, Recht evangelischer Fürsten, S. 148. Cf. hierzu Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 425 mit Anm. 43. 83 Ausführlich zur damaligen Terminologie Niedner, Ausgaben des Preußischen Staates, S. 104 f.

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Rechte deutscher Landesherren in kirchlichen Angelegenheiten unter die Bezeichnung „jus circa sacra“84; dieses Recht war Teil der territorialen Staatsgewalt85, so daß sich auch das Wirken des Landesherrn in kirchlichen Angelegenheiten als Teil der auf die allgemeine salus publica gerichteten Landespolizei darstellte.86 Aus dieser Befugnis ergab sich nach Mosers Auffassung das aus der Reichsverfassung abzuleitende Recht, gegen Lehrmeinungen vorzugehen, die nach ihrem Urteil oder jenem ihrer theologischen Berater der evangelischen Religion widersprachen. Ebenfalls reichsrechtlich begründet war die Befugnis, Lehrstreitigkeiten zwischen evangelischen Theologen zu schlichten: Der Landesherr durfte „seinen Theologen [. . .] befehlen, wie sie sich dabey betragen und was sie lehren, oder wovon sie schweigen sollen oder nicht.“87 Ferner sollte das ius circa sacra die Regelungskompetenz für Sonn- und Feiertage sowie die äußere Ordnung der Predigten88 umfassen; ferner das Recht zur Ermahnung eines jeden Bürgers „zur Besserung seines Lebens“, und zwar als „ein Stück der Kirchenpolizei“.89 Das Werk von Johann Lorenz von Mosheim und Christian Ernst von Windheim verwendete zwar ebenfalls den alleinigen Begriff des ius circa sacra, unterschied aber – der Theorie des Kollegialismus gemäß – zwischen dem Recht der Oberaufsicht, welches dem Landesherrn als staatliches Majestätsrecht über sämtliche Religionsgesellschaften des Landes unabhängig vom Bekenntnis zustand, und den ihm von bestimmten Gesellschaften – „ex concessione populi“ – übertragenen iura collegialia.90 Diese Gesellschaftsrechte sollten prinzipiell die Anstellung und Beaufsichtigung der Geistlichen, das ius symbolorum sowie das ius liturgicum umfassen91, wobei jedoch die Gemeinden ihre „unveräußerlichen Rechte“ behalten sollten. So stehe auch dem evangelischen Landesherrn nicht 84 Die Unterscheidung zwischen dem ius circa sacra und dem ius in sacra hielt Moser für eine Schulmeinung, welcher er keine besondere Bedeutung zumaß. Cf. Moser, Landeshoheit, S. 8. 85 Moser, Landeshoheit, S. 7. Cf. Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 258, 265. 86 Hubrich, Staat und Kirche I, S. 334; Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 290. 87 Moser, Landeshoheit, S. 116 f., 125. 88 „Wie die Kirchendiener sich bey dem öffentlichen Vortrag an die Gemeine auf der Kanzel, in Ansehung der Texte, Materien, anderer Religions-Verwandte Lehrsätze und deren Widerlegung, auch sonsten nicht weniger in Ansehung der Zeit, Dauer, des Kirchengebets und anderer äußerlicher Umstände zu bezeugen haben“. Moser, Landeshoheit, S. 130. 89 s. hierzu insgesamt Moser, Landeshoheit, S. 127–135. 90 Cf. von Mosheim/von Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 467, 471, 506, 566, 586. 91 Cf. von Mosheim/von Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 321, 339 f., 368, 460 f., 464 f. sowie insbesondere den Katalog von Rechten, S. 448–450.

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das Recht zu, „die Gewissen zu binden und die Religion nach Gefallen einzurichten“.92 Auch vermöge des Rechts der Oberaufsicht dürfe der Landesherr zwar keinen direkten Einfluß auf Bekenntnis und Liturgie nehmen93, andererseits aber dafür Sorge tragen, daß nicht etwa der Inhalt des Bekenntnisses, die Feier des Gottesdienstes oder das Verhalten der Geistlichen in der Predigt und bei Streitigkeiten untereinander den Staat als solchen oder die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft gefährdeten.94 Schließlich unterschied Georg Ludwig Boehmer ausdrücklich zwischen der potestas ecclesiastica, bei der es sich um iura ecclesiae collegialia handle, und dem hiervon wesensverschiedenen ius circa sacra majestaticum. Dem Fürsten qua principi könne die potestas ecclesiastica nur ex ipsius ecclesiae consensu, d. h. durch konsensuale Übertragung, zustehen.95 Eine solche Übertragung nahm Boehmer im Falle des protestantischen Landesherrn für die protestantischen Gemeinden seines Landes an und verwendete hierfür den Begriff des ius episcopale96, wohingegen der protestantische Fürst gegenüber bekenntnisfremden Untertanen und Gesellschaften auf das ius territoriale circa sacra beschränkt sei.97 Aber auch im Bereich des bischöflichen Rechts konnte der evangelische Landesherr nicht frei agieren, sondern war unter anderem beim Recht des Bekenntnisses (ius determinandi doctrinas) und in der Bestimmung der Liturgie (ius liturgicum), die er zu den iura ecclesiae communa zählte, an den Konsens der Kirche gebunden. Er durfte freilich im Rahmen der inspectio ecclesiastica für die Einhaltung der reinen Lehre sorgen und diese durch Einzelmaßnahmen wie Religionseide und Schlichtung von Glaubensstreitigkeiten gewährleisten; hierbei handelte es sich jedoch lediglich um ein rein negatives Recht. Hiermit konkurrierte die dem Majestätsrecht des Fürsten zuzurechnende advocatia ecclesiae als allgemeine Schutzpflicht gegenüber der Kirche98; hierunter rechnete Boehmer wohl auch den Schutz des Bekenntnisses gegenüber mutwilliger Verfälschung.99 Auch im Falle der Liturgie besaß der evangelische Landesherr als Oberbischof ein positives Gestaltungsrecht nur im Konsens mit der Kirche, ansonsten nur ein zu den iura circa sacra gehörendes ius saeculare circa liturgiam mit ver-

92 Cf. von Mosheim/von Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 563. 93 Cf. von Mosheim/von Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 506. 94 Cf. von Mosheim/von Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 516 f., 527 ff., 541. 95 G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 7, 8, 24. 96 Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 43, 166. 97 Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 24, 198, 204. 98 Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 23, 268, 269. 99 Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 869, 870.

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schiedenen Schutz- und Aufsichtspflichten100; ähnliches sollte für die Anordnung und den Schutz der Feiertage gelten.101 2. Das Religionsedikt im Spiegel der Literatur Thematisch paßt das Religionsedikt ohne Zweifel in den Rahmen, der in den Schriften der vorgenannten Autoren mit unterschiedlicher Terminologie und unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen aufgespannt wird. Dabei ist die Kongruenz mit Moser vergleichweise gering und betrifft im wesentlichen nur die Vorschriften in §§ 6, 11, 12 RE, für welche der König seine Stellung als „christlicher Regent“ ins Feld führt. Freilich ist dabei unklar, ob sich die entsprechenden Befugnisse aus der Kirchenhoheit oder aus der Kirchengewalt ergäben. Die Regelungen des Religionsedikts zur Lehrfreiheit finden in Mosers System keine Stütze. Hubrich hat dies auf den – offenbar mit Blick auf § 6 RE behaupteten – kollegialistischen Charakter des Religionsedikts einerseits und die territorialistische Auffassung Mosers zurückgeführt, ohne dies jedoch im einzelnen zu begründen.102 Auf der Grundlage der Ausführungen von Mosheims/von Windheims und Boehmers lassen sich die §§ 7, 8 RE über die Lehrfreiheit zumindest teilweise begründen, und zwar sowohl aufgrund der auf den Landesherrn übergegangenen Rechte der Gesellschaft als auch mit Hilfe des Oberaufsichtsrechts (von Mosheim/von Windheim) sowie der advocatia ecclesiae (Boehmer). Dennoch stellt sich das Problem, daß – auch nach Ansicht Thomasius’ – dem Landesherrn als weltlichem Fürsten nur „negative“ Abwehrbefugnisse zustehen, nicht jedoch das „positive“ Recht zur Ordnung und Pflege von Lehre und Liturgie. Im übrigen stellen die zitierten Auffassungen ausnahmslos auf das von der einzelnen Kirchengemeinde festgelegte und staatlicherseits zu schützende Bekenntnis ab, wohingegen § 8 RE den Lehrbegriff der Kirche (im Sinne der Religionspartei) zum Maßstab erklärte und diesbezügliche Regelungen traf. Bei Boehmer kommt einschränkend noch hinzu, daß kraft des staatlichen Advokatierechts nur dafür gesorgt werden dürfe, daß nichts gegen die Rechte des Staates und dessen öffentliche Gesetze gelehrt werde. Über diese Begrenzungen der landesherrlichen Einflußnahme auf Lehre und Bekenntnis der evangelischen Kirche geht das Religionsedikt jedoch klar hinaus. Man mag sich bemüht haben, die wirkliche Stoßrichtung des Edikts – die Wiederherstellung der reinen Lehre – durch den konstruiert wirkenden Verweis auf die salus publica zu verschleiern und das 100

Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 276, 279. Cf. G. L. Boehmer, Principia juris canonici, §§ 282, 283. 102 Hubrich, Staat und Kirche I, S. 335. Da sowohl der Territorialismus als auch der Kollegialismus vom Gesellschaftscharakter der Kirchengemeinden ausgingen und daher insoweit nicht weit auseinander liegen, kann diese Begründung nicht recht überzeugen. 101

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Religionsedikt als ein in erster Linie der öffentlichen Sicherheit dienendes Gesetz zu „tarnen“. Möglich ist freilich auch, daß man bei der Konzeption des Edikts und beim Studium der einschlägigen Literatur nicht so genau hingesehen und sich mit der Feststellung einer etwas pauschaleren, gewissermaßen „thematischen“ Übereinstimmung begnügt hat. Eine „objektive Übereinstimmung der Ansichten eines v. Mosheim-Windheim und eines G. L. Boehmer mit einer Reihe der wichtigeren Bestimmungen des Religionsedikts von 1788“ wird man allerdings nicht bejahen und erst recht nicht als „in der Tat unbestreitbar“ ansehen können.103 3. Religionsedikt und landesherrliches Kirchenregiment Die Bezugnahme auf den „christlichen Regenten“ in § 7 RE sowie die Selbstbezeichnung des Königs als „Landesherr und [. . .] alleiniger Gesetzgeber in Unsern Staaten“ (§ 8 RE) ist im Hinblick auf den Regelungsgehalt dieser Vorschriften – die Lehrfreiheit evangelischer Geistlicher – verwirrend. Diese Formulierungen führten zu Zweifeln an der Legitimität der Vorschriften, denn nach den Prinzipien des allgemein Staatsrechts stand es dem Staat und damit auch dem Monarchen und Landesherrn, der ihn repräsentierte, ungeachtet seiner unbeschränkten Gewalt nicht zu, eine allgemeine Richtschnur, Normen und Regel unwandelbar fest [zu setzen], nach welcher die Volksmenge in Glaubenssachen von ihren Lehrern treu und redlich geführt und unterrichtet werde, und [. . .] diese in unseren Staaten [. . . als] die christliche Religion nach den drey Haupt-Confessionen zu bestimmen, die Geistlichen, die unserem landesherrlichen Befehl zuwider handeln104, mit Sanktionen zu bedrohen, die Ausführung des Religionsedikts den jedesmaligen Chefs der beiden Geistlichen Departments als treuen Dienern des Staates105 aufzuerlegen, und von den Discasteriis, desgleichen allen Obrigkeiten geistlichen und weltlichen Standes in unserem Königreiche und gesamten Staaten106 zu fordern, das Edikt strikt zu beachten. Vielmehr besaß der König die entsprechenden Befugnisse nur als Inhaber des Kirchenregiments. Die mangelnde Fähigkeit Friedrich Wilhelms II., seine Befugnisse über den Staat und die protestantischen Kirchen klar auseinanderzuhalten107, darf man 103

So aber Hubrich, Staat und Kirche I, S. 336. Cf. § 8 RE (am Anfang und zweimal am Ende). 105 Cf. § 9 RE. 106 Cf. § 14 RE. 107 Auch in einer Instruktion für die lutherischen Prediger aus dem Jahr 1794 ist davon die Rede, daß „aus dem Religions-Edict die Landesväterliche Intention Sr. Königl. Majestät hinlänglich bekannt“ sei. Cf. § 3 der „Umständlichen Anweisung für die Evangelisch Lutherischen Prediger in den Königlichen Landen zur gewissenhaften und zweckmäßigen Führung ihres Amts“; NCC IX, Sp. 2119 ff. (2121). Für die dort in 104

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nicht zu streng beurteilen. Sie stand ganz in der Tradition der brandenburgischpreußischen Herrscher seit der Reformation, die ebenfalls an der strikten Unterscheidung von weltlicher und kirchlicher Gewalt kein großes Interesse gezeigt hatten, vor allem weil auch kein praktisches Bedürfnis hierfür bestanden hatte. Die Theorien über das Wesen und die Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments sowie die damit zusammenhängenden dogmatischen Feinheiten und Differenzierungen hatte man getrost der Wissenschaft überlassen; für die Staatspraxis spielten sie keine Rolle.108 Da territoriale Herrschaft und Kirchenregiment mehr oder weniger ununterscheidbar miteinander verschmolzen waren, beruhte auch die Autorität des Gesetzgebers nicht auf der exakten Angabe eines positiv-rechtlich normierten Kompetenztitels, sondern auf der begründeten und berechtigten Annahme, man könne davon ausgehen, daß der Landesherr als Gesetzgeber rechtmäßig handeln wollte.109 Wohl auch deshalb war die Figur des „christlichen Regenten“ oder „christlichen Landesherrn“, die aus der gleichen Epoche wie die im Religionsedikt eingeschärften symbolischen Bücher stammte, im Laufe der Zeit seit dem 16. Jahrhundert immer mehr in Vergessenheit geraten. In der brandenburgisch-preußischen Gesetzgebung war vor Erlaß des Religionsedikts – soweit ersichtlich – seit Menschengedenken nicht auf diese Formulierung zurückgegriffen worden. Die Vermengung der staatlichen und kirchlichen Legislation wurde darüber hinaus dadurch gefördert, daß – insbesondere im 18. Jahrhundert – vor allem die staatlichen Gerichte zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Kirche und ihren Bediensteten aufgrund des kirchlichen Dienstrechts berufen waren.110 Außerdem hatten die Territorialherren nach dem Westfälischen Frieden in ihrer Eigenschaft als weltliche – nicht als geistliche – Autorität darüber zu wachen, daß die Kirchen bei dem zugelassenen Bekenntnis blieben. Auch dies trug zur Verunklarung des Verhältnisses von weltlicher und kirchlicher Gewalt, die in einer Hand vereint, aber (theoretisch) nicht vermischt waren, bei. Ein großer Teil des Publikums interpretierte jedenfalls das Edikt über die Religionsverfassung in den preußischen Staaten als eine Regelung des Staatsrechts. Hieran vermochte auch der Versuch einer Klarstellung durch die von Svarez entworfene Kabinettsorder vom 19. Dezember 1788111 zur Bestätigung Rede stehenden Dienstpflichten der Geistlichen kam es richtigerweise aber nicht auf die landesväterliche, sondern auf die not- oder oberbischöfliche Intention des Königs an. Über diese Differenzierung ging die Instruktion – wie andere Dokumente der Epoche – hinweg. 108 Ausführlich hierzu supra Teil I, Kapitel 1, C. II.–VII. 109 Cf. zu letzterem Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 244 mit Anm. 24. 110 Näher hierzu supra Teil I, Kapitel 2, D. II. 5. 111 Vielfach abgedruckt; cf. etwa Gothaer Gelehrte Zeitungen 1789, S. 30; Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit, Band 4, 1789, S. 156; Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 38. Eine ähnliche Inter-

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des Urteils gegen Würtzer112 nichts zu ändern: „Das Edict vom 9. Julii kann nicht anders als für ein kirchliches Polizeygesetz angesehen werden und es sind muthwillige Verdrehungen, wenn demselben ein anderer Sinn angedichtet werden will.“113 Damit war nicht etwa gemeint, daß es sich um ein staatliches, der allgemeinen Gefahrenabwehr dienendes Gesetz mit kirchlichem Bezug handelte. Vielmehr sollte der Begriff des „kirchlichen Polizeigesetzes“ zum Ausdruck bringen, daß das Religionsedikt ein kirchliches Gesetz war, das für die Aufrechterhaltung der binnenkirchlichen Ordnung sorgen sollte.114 Dessen ungeachtet ging jedoch in der Öffentlichkeit die vorherrschende Auffassung nach wie vor dahin, daß der Staat durch den Erlaß des Religionsedikts in eine anachronistische, zumindest für Preußen überwunden geglaubte Position zurückgefallen sei. Obwohl die Existenz eines solchen Rechtes von der modernen Wissenschaft des allgemeinen Staatsrechts grundsätzlich widerlegt worden sei, habe der Staat sich die Befugnis zur Herrschaft über den Glauben und das Gewissen der Bürger und zur Unterdrückung von Irrlehren angemaßt. Außerdem stelle das Religionsedikt den Versuch dar, das durch die Normaljahrregelung des Reichsverfassungsrechts modifzierte Prinzip „cuius regio eius religio“115 in seiner ursprünglichen Form und Bedeutung wiederherzustellen. pretation findet sich schon bei Semler, Vertheidigung des Königl. Edikts vom 9ten Jul. 1788 wider die freimüthigen Betrachtungen eines Ungenannten. Stölzel, Svarez, S. 262 druckt den das Religionsedikt noch weiter einschränkenden Entwurf der Bestätigungsorder von Svarez ab. 112 Das Kammergericht hatte Würtzer unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu sechswöchigem Arrest verurteilt und dabei ausgeführt: „In der Hauptsache muß der Satz: daß es an sich erlaubt sey, Gesetze zum Gegenstande gelehrter Untersuchungen zu machen, nicht nur überhaupt, wegen des davon abhangenden Bestens der menschlichen Gesellschaft, sondern auch besonders, zufolge der in den Preußischen Staaten hergebrachten Grundsätze, als richtig vorausgesetzt werden; aus dem Zwecke solcher Untersuchungen folgt von selbst, daß auch Fehler des Ausdrucks, die auf Misdeutungen führen, in den Gesetzen bemerkbar gemacht werden dürfen; auch kann es dem Inkulpaten nicht als eine Verletzung der Majestätsrechte ausgelegt werden, wenn er in der Dedikation, und in mehreren Stellen seiner Schrift behauptet, daß es unverletzliche Menschenrechte gebe, über die Majestätsrechte nicht ausgedehnt werden dürfen, denn das ist ein unter Philosophen und Rechtsgelehrten bekannter Satz. Aber darin hat er gefehlt, daß er seine Meinung nicht mit der gehörigen Bescheidenheit vorgetragen hat.“ (veröffentlicht in Kleins Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten, Band 4, 1789, S. 135 ff.; cf. Henke, Beurteilung, S. 92, 98 f.; Gothaer Gelehrte Zeitungen 1789, S. 91). Würtzer selbst legte die Prozeßgeschichte der Öffentlichkeit vor. Viel schärfer wurde Degenhard Pott vom Schöppenstuhl der Universität Leipzig behandelt (cf. Henke, Beurteilung, S. 113). 113 Dies hatte auch Würtzer getan. Tatsächlich hat die verbreitete, völlig überzogene Interpretation des Religionsedikts durch seine aufgeklärten Kritiker später eine Legitimation für die exzessive Religions- und Beschränkungspolitik von Hermes und Hillmer gebildet, gegen die sich selbst die eindeutige authentische Auslegung nicht mehr recht durchsetzen konnte. Andererseits ermöglichte es die einschränkende authentische Auslegung aber überlegten Vertretern der Aufklärung wie Tieftrunk, zunächst ihren Frieden mit dem Religionsedikt zu schließen. 114 Diesem Mißverständnis erliegt auch Hubrich, s. sogleich infra.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

In späterer Zeit sollte die derart methodenlose, von blindem Argwohn und Hysterie diktierte Fehlinterpretation des Religionsedikts durch seine Gegner auch von seinen extremen Anhängern in Anspruch genommen werden. Diese unternahmen ihrerseits den Versuch, das Edikt in der gleichen – jeder soliden Rechtsanwendung Hohn sprechenden – Weise zu mißdeuten und es für eine Freiheitsbeschränkung zu instrumentalisieren, die vor dem Hintergrund des tatsächlichen Regelungsgehalts des Religionsedikts beinahe willkürlich und geradezu gesetzlos erscheint. Die kompetenzrechtlichen Unklarheiten bezüglich des Religionsedikts werden im übrigen auch dadurch relativiert, daß Friedrich Wilhelm II. keineswegs der letzte preußische König war, dem die Unterscheidung seiner Befugnis zur kirchlichen Gesetzgebung in Ausübung des Notbischofsrechts und des landesherrlichen Kirchenregiments von der Gesetzgebungskompetenz in der staatlichen Sphäre Schwierigkeiten bereitete. Noch Wilhelm I.116 verwandte beim Erlaß von Kirchengesetzen die aus der Praxis der konstitutionellen Monarchie hergeleitete Formel, er verordne „nach Zustimmung der Synode“. Dies geschah also in – vermeintlicher – Analogie zum Erlaß weltlich-staatlicher Gesetze, der nach Zustimmung der Häuser des Parlaments erfolgte.117 Friedrich Wilhelm II. fügte sich also in eine seit langem gepflegte und auch in späteren Zeiten fortgeführte – wenngleich fragwürdige – „Tradition“ ein. 4. Das Religionsedikt als „weltliche“ Maßnahme – die These Hubrichs Hubrich hat behauptet, das Religionsedikt basiere auch hinsichtlich der Vorschriften über die Lehrfreiheit nicht auf der Kirchengewalt des Königs im Bereich der evangelischen Kirche, sondern auf der Territorialgewalt. Hierfür soll in erster Linie sprechen, daß die Einschränkung der Lehrfreiheit ungeachtet der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Mißstände speziell im evangelischen Kirchenwesen für die Lehrer und Bediensteten aller drei christlichen Konfessionen Geltung beanspruche. Ferner nehme der König gerade in § 8 RE auf seine Funktion „als Landesherr und als alleiniger Gesetzgeber“, mithin auf seine Rolle als weltliches Staatsoberhaupt, Bezug und begründe sein Vorgehen damit, daß bereits „in dieser politischen Rücksicht“ (§ 8 RE) gegen die in unzulässiger Weise lehrenden Geistlichen vorgegangen werden müsse. Außerdem behalte sich der König in § 12 RE eine nähere Regelung für die Sonn- und Feiertage

115

Zur reichsverfassungsrechtlichen Lage cf. supra Teil I, Kapitel 1, B. Wilhelm I. (1797–1888) war ab 1861 König von Preußen, ab 1871 Deutscher Kaiser. 117 Tatsächlich war er als Inhaber des Präsidiums des Norddeutschen Bundes und als Deutscher Kaiser bloßes Verkündungsorgan. 116

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„durch ein besonderers Polizeigesetz“ vor. Dies lege – vom Wortlaut her – den Schluß nahe, daß auch das Religionsedikt als ein vom König als weltliches Staatsoberhaupt erlassenes, zur Abwehr rechtswidrigen Handelns und sich daraus ergebender Gefahren für Staat und Bevölkerung gedachtes Polizeigesetz und damit in erster Linie als eine sicherheitspolizeiliche und erst nachrangig als wohlfahrtspolizeiliche Maßnahme anzusehen sei.118 Ferner beruft sich Hubrich auf die bereits zitierte Kabinettsorder vom 19. Dezember 1788, wonach „das Edikt vom 9. Juli nicht anders als für ein kirchliches Polizeigesetz angesehen werden könne“.119 Darüber hinaus verweist Hubrich auf eine von Carmer, von Doernberg und Wöllner unterzeichnete Resolution der Ministerialkommission an die Mitglieder des Oberkonsistoriums vom 24. November 1788, welche die Bemerkung enthält, der Staat – d. h. der Landesherr – ordne in §§ 7, 8 RE nichts anderes an, „als wozu ihn die ohnleugbar zustehende Ober-Aufsicht über alle und jede im Lande öffentlich aufgenommenen Corporationen berechtigt. Denn so wie er überhaupt darauf sehen kann und muß, daß eine jede dergleichen Corporation, vornehmlich aber deren Vorsteher und Beamte, sich dem vom Staate genehmigten Grund-Vertrage, auf welchem sie errichtet ist, gemäß betrage, so ist er auch ebenso befugt, und schuldig, darüber zu halten, daß die Lehrer einer jeden Religions-Gesellschaft bey der Ausübung ihres öffentlichen Gottesdienstes von den Symbolen, durch welche sie sich als eine solche Gesellschaft auszeichnet, nicht eigenmächtig abweichen.“120 Zu berücksichtigen sei schließlich, daß der König in § 9 RE den dort genannten Staatsbeamten – Minister und Chefs des Geistlichen Departements sowohl der Reformierten als auch der Lutherischen Konfession die ausdrückliche Anweisung gibt, „daß sie als treue Diener des Staates über die Aufrechterhaltung des Religionsedikts bei Vermeidung der königlichen Ungnade stets wachen“121 sollten. Daß der König sowohl in § 2 als auch in § 7 RE den Titel eines „christlichen Regenten“ für sich in Anspruch nehme, sei demgegenüber nur „nach den damaligen Zeitverhältnissen ein verstärkendes Motiv für den Erlaß eines derartigen Staatsgesetzes“, da die Übereinstimmung des weltlichen Staatsoberhauptes mit der „Volksreligion“ nach Ansicht des Königs ein besonderer Antrieb sei, für die Verkündigung der wahren Lehre Sorge zu tragen. Zu beachten ist freilich, daß Hubrich – der im Jahre 1912 schreibt – aus der Perspektive der konstitutionellen Monarchie heraus argumentiert. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war die kompetenzrechtliche Verankerung einer legislativen 118

s. im einzelnen Hubrich, Staat und Kirche I, S. 316 f. Cf. hierzu bereits die Darstellung im vorhergehenden Abschnitt dieser Arbeit. 120 Ausführlich zum Kontext und Hintergrund des Zitats (Remonstration der Oberkonsistorialräte gegen das Religionsedikt) infra Kapitel 1, G. 121 Hervorhebung hinzugefügt. 119

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

Maßnahme zwar keineswegs irrelevant, jedoch von nachrangiger Bedeutung; für die Geltendmachung der landesherrlichen Autorität war vielmehr entscheidend, ob sich ein Gesetz auch faktisch durchsetzen ließ. Begriffe wie „kirchliches Polizeigesetz“ sowie die Bezugnahme auf die Figur des „christlichen Staatsoberhauptes“ sind daher in erster Linie Indizien für die immer deutlicher zunehmende Unsicherheit im Umgang mit dem landesherrlichen Kirchenregiment. Ein weltliches Polizeigesetz konnte das Religionsedikt schon deshalb nicht sein, weil es in §§ 7, 8 RE – auch wenn sonstige Vorschriften alle drei Hauptkonfessionen betrafen – das katholische Kirchenwesen völlig ausblendete. Nirgends ist ersichtlich, daß König und Staat Einfluß auf die Predigten und Katechisationen katholischer Geistlicher nehmen wollten. Sachlich weisen die bewußten Vorschriften eine größere Nähe zur Kirchengewalt (ius in sacra) als zur Kirchenaufsicht (ius circa sacra) auf; sie regeln genau das, was im katholischen Bereich Aufgabe des Bischofs wäre, nämlich die Richtlinien für die Glaubensverkündigung. Unter diesem Aspekt spricht daher alles dafür, daß der König in §§ 7, 8 RE oberbischöfliche Funktionen für die evangelische Kirche wahrnahm und somit in Ausübung seines ius episcopale handelte. Nichts anderes gilt auch für die in § 6 RE angeordnete Beibehaltung „der alten Kirchen-Agenden und Liturgien“ sowohl der lutherischen als auch der reformierten Kirche einschließlich der Befugnis des Geistlichen Departements, dies zu überwachen. Hubrich behauptet auch insoweit, daß es sich hierbei materiell um ein „Polizeigesetz“ handle, da es um die Wahrung der „staatlich approbierten, alten kirchen Verfassung“ gehe122. Diese Begründung erscheint jedoch nicht tragfähig. Es ist bereits ausgesprochen zweifelhaft, ob die früheren brandenburgisch-preußischen Herrscher die bisherigen Agenden und sonstigen liturgischen Vorschriften in rechtlich einwandfreier Weise erlassen haben, oder ob sie das ius liturgicum nicht vielmehr usurpiert statt wirklich besessen haben. Erst recht geht es jedoch zu weit, sämtliche bisher bestehenden liturgischen Vorschriften ebenfalls als „Polizeigesetze“ anzusehen, deren Änderung oder ausdrückliche Neuanordnung dann ebenfalls den Charakter weltlicher Gesetzgebung besäße. Vielmehr ist das ius liturgicum unstreitig Teil jener Rechte, die dem Landesherrn nur in dessen Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche, nicht aber – über die Kirchenhoheit – als Teil der Territorialgewalt zustanden und die er nur mit Zustimmung der Kirche („consensus ecclesiae“) ausüben konnte. Nicht von ungefähr findet auch in § 6 RE die katholische Kirche keine Erwähnung. § 6 RE verstärkt daher den Eindruck, daß der preußische Gesetzgeber sich über die Rechtsgrundlage des Religionsedikts nicht genau im klaren war. Dem König und seinen Beratern war nur in groben Zügen deutlich, welche Anordnungen auf welcher Grundlage auch immer getroffen werden konnten, und 122

Hubrich, Staat und Kirche I, S. 328.

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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was – erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme der weltlichen Staatsgewalt – durchsetzbar war. Die rechtliche Grundlage war demgegenüber von untergeordneter Bedeutung, ebenso die Frage, ob nicht einzelne Regelungen – trotz prinzipieller Gesetzgebungskompetenz – über das rechtlich zulässige oder religionspolitisch opportune Maß hinausgingen. 5. Rechtmäßigkeit des Religionsedikts? Aus der Diskussion über die möglichen Rechtsgrundlagen des Religionsedikts läßt sich ein Urteil über seine „Rechtmäßigkeit“ schwerlich ableiten. Auch Hubrich kommt lediglich zu dem lapidaren Urteil, das Religionsedikt sei im Hinblick auf seine lehr- und liturgiebezogenen Regelungen „juristisch gar nicht so exorbitant“. Das Hauptproblem bei der Würdigung des Religionsedikts und seiner Rechtmäßigkeit ist das Fehlen eines verbindlichen Beurteilungsmaßstabs. Zahlreiche zeitgenössische Autoren versuchten sich – vor allem unter Zugrundelegung der drei Haupttheorien zum Verhältnis von Staat und Kirche: Episkopalismus, Territorialismus, Kollegialismus123 sowie einiger Mischformen – an einer Darstellung der Rechtslage, doch konnte keiner dieser Versuche den Anspruch erheben, gewissermaßen als „amtliche“ Darstellung die wahre Rechtslage authentisch und authoritativ wiederzugeben. Die Schwächen der staatskirchenrechtlichen Erklärungsmodelle traten hier offen zutage. Die auf der Kollegialtheorie basierenden Darstellungen litten an der Schwierigkeit, mittels irgendeiner Fiktion zur Übertragung der Kollegialrechte von der Kirche als Kollegium an den Landesherrn gelangen zu müssen. Wann und wie diese konsensuale Übertragung – ausdrücklich oder konkludent – tatsächlich stattgefunden haben soll, blieb in den betreffenden Veröffentlichungen regelmäßig offen. Wer – wie etwa Moser – die territorialistische Sichtweise zugrundelegte, mußte zur Legitimation staatlichen Handelns im kirchlichen Bereich die Kirche dem Staat einverleiben, was freilich nur bei einer einheitlichen, exklusiv bestehenden Staatskirche ohne logische Brüche möglich war. Dieser Konstellation war jedoch durch die feierliche Anerkennung und Sanktionierung einer Mehrzahl öffentlich aufgenommener Bekenntnisse (§ 1 RE) sowie durch den damit verbundenen Abschied von der „klassischen“ Staatskirche der Boden entzogen. Alternativ konnte sich der territorialistische Ansatz mit dem Kunstgriff behelfen, daß das kirchenbezogene Handeln des Staates eigentlich und vorrangig dem Staatswohl diene, was auch bei mehreren konkurrierenden Konfessionen denkbar war. In diesem Fall waren territorialistischer und kollegialistischer Ansatz von der Stoßrichtung her dekkungsgleich. Es bleibt dann aber die Frage offen, weshalb es zur Bewahrung des Staatswohles erforderlich war, für den Bereich der evangelischen Kirche 123

Näher hierzu supra Teil I, Kapitel 1, A. III.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

auf dem hergebrachten orthodoxen Bekenntnis unter maßgeblicher Zugrundelegung der symbolischen Bücher zu bestehen, während für den katholischen Bereich jedoch keine staatliche Reglementierung des Bekenntnisses stattfand.124 Wohl aufgrund dieser Schwierigkeiten wurde auch in der zeitgenössischen Kritik am Religionsedikt weniger die – richtig oder falsch gewählte – Rechtsgrundlage des Edikts diskutiert; man nahm vielmehr Anstoß an dem, was die hauptsächliche Auswirkung des Edikts war: die Einschränkung der Lehrfreiheit protestantischer Geistlicher.125 Die Treuepflicht gegenüber der tradierten Lehre der jeweiligen evangelischen Konfession knüpfte das Religionsedikt freilich nicht an die Kirchenmitgliedschaft des Geistlichen oder Religionslehrers im theologischen Sinne, sondern verstand sie als juristische Konsequenz der amtlichen Stellung, welche die Geistlichen innehatten. Hinsichtlich des Rechtsgrundes dieser amtlichen Stellung ging das Edikt offensichtlich von einer Art Vertrag zwischen dem Geistlichen und der anstellenden Religionsgesellschaft aus.126 Dies stellt eine Parallele zu der damaligen Staatspraxis dar, nach welcher Staatsbeamte ihr Amt aufgrund eines mit dem Dienstherrn geschlossenen Dienstvertrags innehatten.127 Diese Analogie zum Dienstvertrag des Staatsbeamten legt die Annahme nahe, daß 124 Dies könnte damit begründet werden, daß das Lehramt der katholischen Kirche der Aufklärung traditionell reserviert gegenüberstand und aus sich selbst heraus dem hergebrachten katholischen Bekenntnis fortdauernde Geltung verschaffen konnte. So wohl auch Valjavec, Religionsedikt, S. 396, Anm. 44. Andererseits läßt das geradezu traditionelle Mißtrauen der brandenburgisch-preußischen Herrscher gegenüber der katholischen Kirche, das sich vor allem im 18. Jahrhundert manifestiert hat, nicht darauf schließen, daß sich Friedrich Wilhelm II. darauf verlassen haben sollte, die katholische Kirche werde das Problem „Aufklärung“ gleichsam „intern“ lösen und für ein stabiles, einheitliches Bekenntnis sorgen. Im übrigen bleibt die Frage offen, wie die in §§ 7, 8 RE enthaltenen Regelungen betreffend die Lehrfreiheit katholischer Geistlicher zu begründen wären. Hubrich (Staat und Kirche I, S. 336, Anm. 60) begnügt sich insoweit mit der Bemerkung, schon Friedrich der Große habe die Suspension der geistlichen Jurisdiktion über die Protestanten so aufgefaßt, daß die jurisdictio papalis in terris protestantium insgesamt ausgesetzt worden sei und daher der evangelische Landesherr auch die Jurisdiktion über seine katholischen Untertanen vi superioritatis territorialis erworben habe (Rieker, Stellung der evangelischen Kirche, S. 291, 295). Der Hinweis vermag – was auch Hubrich selbst zu erkennen scheint – letztlich nicht zu überzeugen. Soweit er (was nicht recht deutlich wird) auf der Annahme basiert, der evangelische Landesherr habe hinsichtlich der Katholiken nicht nur die iura circa sacra, sondern auch die iura in sacra erworben, stellt sich die weitere Frage, ob denn selbst bei einem angenommenen vollständigen Übergang der päpstlichen Jurisdiktion über Katholiken auf den Landesherrn diesem das wesentlich unbeschränkte Recht zur Einflußnahme auf Bekenntnis und Lehre zugestanden hätte, oder ob eine derartige Befugnis unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Kirche („consensus ecclesiae“) gestanden hätte. Diese Frage läßt Hubrich unbeantwortet. 125 Insoweit ist Hubrich, Staat und Kirche I, S. 329, zuzustimmen. 126 Cf. Hubrich, Staat und Kirche I, S. 322. 127 Zur allgemeinen Staatspraxis s. etwa Hubrich, Grundlagen des Staatsrechts, S. 533; Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 367; zu kirchlichen Amtsträgern s. etwa von

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auch das Verhältnis zwischen dem Geistlichen und der „Anstellungskörperschaft“ nicht lediglich gesellschaftsrechtlich oder in sonstiger Weise privatrechtlich, sondern auch öffentlich-rechtlich geprägt war; daher sprach auch § 8 RE davon, daß der vom festgesetzten Lehrbegriff der Kirche abweichende Prediger oder Religionslehrer auch – aber eben nicht ausschließlich – „nach bürgerlichen Gesetzen straffällig“ sein sollte. In dieser Hinsicht scheint das Religionsedikt keine staatsfernen Vereine, sondern eher solche Religionsgesellschaften im Blick zu haben, die dem Staat in gewisser Weise nahestanden. Eine solche Konsequenz war durch die im Laufe der Zeit gewachsene faktische Identifizierung des evangelischen Kirchenwesens mit dem Staat vorgezeichnet. Bei aller Betonung des zwischen dem Geistlichen und der Religionsgesellschaft bestehenden, wie auch immer gearteten Vertragsverhältnisses war die Auffassung der Gemeinde für die Frage, ob ein Geistlicher seine Dienstpflicht in ediktskonformer Weise und damit überhaupt erfüllte, überhaupt nicht maßgeblich. Die Gemeinde konnte weder die Lehre ihres Predigers billigen und innerhalb der Gemeinschaft der jeweiligen evangelischen Kirche verbleiben noch – wegen der Schließung des Katalogs der geduldeten Religionsgemeinschaften in § 2 RE – außerhalb der bisherigen Konfession eine neue christliche Sekte bilden, wenn die Gemeindemitglieder dies aus Gewissensgründen glaubten tun zu müssen.128 Der Grund für die Unbeachtlichkeit des Gemeindewillens ist jedoch – entgegen Hubrich129 – nicht darin zu sehen, daß das Religionsedikt in erster Linie als „kirchliches Polizeigesetz“ und damit angeblich im Interesse des Staates, nicht der einzelnen Gemeinden, erlassen worden war. Maßgeblich ist vielmehr, daß § 8 RE als binnenkirchliche, in Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments erlassene Regelung das gesamte jeweilige Kirchenwesen vor Augen hatte. Der Landesherr sah sich als Oberhaupt und Notbischof nicht nur einer Vielzahl autonomer Gemeinden, sondern der sichtbaren Kirche in ihrer Gesamtheit als einer eigenständigen (kirchen)rechtlichen – und nicht nur theologischen – Wirklichkeit. Auch in der Folgezeit machte der König deutlich, daß es auf die Zufriedenheit der Gemeinde mit der Predigt des Geistlichen nicht ankommen solle. So erging am 12. April 1794 eine Kabinettsorder, welche die Einhaltung des Religionsedikts nochmals einschärfte und – im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens – ausdrücklich anmahnte, daß das Verfahren „durch Einmischung von Nebendingen z. E. der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit des Patrons oder der Gemeine etc. nicht aufgehalten werden“ solle.130 Diese Anweisung stellt Wiese, Kirchenrecht III/1, S. 532; von Mosheim/Windheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, S. 471. 128 Dies zeigt sich etwa im Schulz-Prozeß, s. infra Kapitel 2, D. 129 Staat und Kirche I, S. 316 f. Cf. auch Philippson, Geschichte I, S. 216 f. 130 Nr. 3 der Kabinettsorder; zitiert nach Hubrich, Staat und Kirche I, S. 326.

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zwar einen Sonderfall dar, weil sie im Rahmen des Prozesses gegen den Zopfschulzen erging; damals war das Verhältnis zwischen dem König und der betreffenden Gemeinde einschließlich ihres Patrons in besonderer Weise belastet. Es wird allerdings auch hier deutlich, daß weder die Behauptung, das Religionsedikt lege die kollegialistische Sichtweise zugrunde131, noch die Deutung des Edikts unter dem Blickwinkel des Territorialismus der Wirklichkeit gerecht wird. Sowenig das Religionsedikt sich um die akademischen Theorien des Verhältnisses von Staat und Kirche scherte, sowenig ist es mit den Strukturen und Kategorien dieser Theorien in den Griff zu bekommen. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang auf die „normative Kraft des Faktischen“ hinzuweisen. Seit den Anfangszeiten des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen hatten die Kirchen-, Konsistorial- und Visitationsordnungen sowie andere kirchliche Anordnungen der Kurfürsten und Könige materielle Normen zur Lehrpflicht protestantischer Geistlicher enthalten.132 Darüber hinaus waren diejenigen protestantischen Geistlichen, die bei ihrer Berufung in ein Predigeramt eine Vokationsurkunde unterzeichnet hatten, die amtspflichtbegründende Selbstverpflichtung zu bekenntnisgemäßem Lehrvortrag eingegangen.133 Formell-rechtliche Bestimmungen zur Durchsetzung dieser Lehrpflicht mittels Ausübung der Lehrzucht – insbesondere im Wege von Disziplinarverfahren – entbehrten zwar einer durchgängig systematischen Regelung und bereiteten in der praktischen Anwendung zahlreiche Schwierigkeiten, waren aber immerhin vorhanden.134

131

s. etwa Hubrich, Staat und Kirche I, S. 335. Dies trifft auf die Kirchenordnungen von 1558 (Mylius, CCM I/1, Sp. 263–272) und 1572 (Sehling, Kirchenordnungen III, S. 94–104) ebenso zu wie auf die Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 (Mylius, CCM I/1, Sp. 273–340), die Visitationsinstruktion vom 9. Februar 1600 (Mylius, CCM I/1, Sp. 345 f.), die Verordnung vom 24. Februar 1614 gegen das Schmähen von den Kanzeln (Mylius, CCM I/1, Sp. 353–356) und die Verordnung vom 3. Dezember 1656 über die Predigerordination (Mylius, CCM I/1, Sp. 365 f.), das Reskript vom 3./13. April 1666 über die Vorlage eines Reverses an die brandenburgischen Inspektoren und Prediger (Mylius, CCM I/1, Sp. 389–394), das Edikt vom 16. April 1710 über die Generalvisitation (Mylius, CCM I/1, Sp. 433–444) und die Evangelisch-reformierte Inspections-, Classical-, Gymnasien- und Schulordnung vom 24. Oktober 1713 (Mylius, CCM I/1, Sp. 447–508). Ausführlich hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 203 ff. 133 Das Vokationsversprechen schloß in der Regel neben der Bindung an die Symbola auch die Verpflichtung auf symbolische Bücher ein. Näher hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 258 f., der zutreffend darauf hinweist (Anm. 863 auf S. 259), daß der Ober-Appellations-Senat sich bei der Entscheidungsbegründung in der Rechtsmittelinstanz des Schulz-Prozesses unter anderem auf diese Argumentationslinie stützte. Näher hierzu infra Kapitel 2, D. VII. 134 Zu nennen sind das Edikt vom 10. Mai 1748 (Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 51 f.), die Instruktion für das lutherische Oberkonsistorium vom 4. Oktober 1750 (Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298), das Edikt vom 16. Mai 1760 (NCC II, Sp. 419–424), die Resolution des Staatsrates an das Oberkonsistorium vom 26. Januar 132

1. Kap.: Das Religionsedikt vom 9. Juli 1788

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Unter diesem Aspekt waren die in §§ 7, 8 RE enthaltene Inanspruchnahme eines Rechtes zur Überwachung der Lehrverpflichtung der Geistlichen und zum Schutz des christlichen Bekenntnisses und die Ankündigung, dieses Recht auch durchzusetzen, demnach nichts Neues.135 Es kann mit Sicherheit angenommen werden, daß Friedrich Wilhelm II. davon ausging, sich mit den in §§ 7, 8 RE getroffenen Anordnungen im Rahmen dessen zu bewegen, was seit den Zeiten der Reformation als Bestandteil des landesherrlichen Kirchenregiments angesehen und dementsprechend der Staatspraxis zugrundegelegt worden war. Diese – trotz der geschilderten, vor allem auf das Verhältnis der beiden protestantischen Konfessionen untereinander zurückzuführenden Querelen – seit geraumer Zeit andauernde und stetige Übung kann für die Rechtsüberzeugung der brandenburgisch-preußischen Herrscher im allgemeinen und Friedrich Wilhelms II. im besonderen nicht ohne Wirkung geblieben sein. In der bisherigen Staatspraxis hatte die von der Überzeugung der Legitimität getragene Inanspruchnahme einer notbischöflichen Kompetenz deren tatsächlicher Existenz gleichgestanden. Der aus subjektiv lauteren und objektiv billigenswerten Motiven handelnde136 Monarch hatte keinerlei Veranlassung, dies in Frage zu stellen. III. Religionsedikt – Allgemeines Gesetzbuch – Allgemeines Landrecht Trotz inhaltlicher Überschneidungen waren Geltungskonflikte im Verhältnis zwischen dem Religionsedikt von 1788 sowie dem Allgemeinen Gesetzbuch für die Preußischen Staaten, das nach dem Publikationspatent vom 20. März 1791 zum 1. Juni 1792 in Kraft treten sollte, schon deshalb ausgeschlossen, weil mit der Suspension des Allgemeinen Gesetzbuches am 18. April 1792137 auch die Bestimmungen des Publikationspatents hinfällig wurden. Außerdem bestand – wie der Verlauf des Schulz-Prozesses zeigt – kein Zweifel daran, daß der König nach wie vor im Religionsedikt den alleinigen Maßstab für die Beurteilung der Lehrpflicht der evangelischen Prediger und Schullehrer erblickte.138 Auch gegenüber dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten war das Religionsedikt lex specialis. Dies entsprach dem königlichen Willen, der schon bei der Unterzeichnung des Publikationspatents für das Allgemeine Landrecht vom 5. Februar 1794139 darauf gerichtet war, daß für die Reglementierung 1765 (NCC III, Sp. 567–570) sowie das Circulare vom 12. Januar 1771 (NCC V A, Sp. 13–16). Ausführlich hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 259 ff. 135 Auch diese Argumentationslinie wurde vom Ober-Appellations-Senat in der Rechtsmittelinstanz des Schulz-Prozesses herangezogen. Cf. infra Kapitel 2, D. VII. 136 Die Einleitung des Religionsedikts etwa läßt dies deutlich erkennen. Cf. supra Teil II, Kapitel 1, C. I. 137 Cf. das Reskript vom 5. Mai 1792, NCC IX, Sp. 977 f. 138 Näher dazu Tradt, Religionsprozeß, S. 251 ff.

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der Lehrpflicht der evangelischen Geistlichen weiterhin das Religionsedikt als Richtschnur dienen sollte.140 Darüber hinaus wurde am 12. April 1794 – d. h. nach erfolgter Publikation des Allgemeinen Landrechts – ein beschleunigtes Verfahren vor den Konsistorien angeordnet, welches sich ausdrücklich auf Verstöße gegen das Religionsedikt bezog und damit dessen maßgebliche Fortgeltung voraussetzte.141 Auch unter Zugrundelegung der von Svarez entwickelten Unterscheidung von „bloßen Zeitgesetzen“ und „allgemeinen Gesetzen“ ergibt sich der Geltungs- und Anwendungsvorrang des Religionsedikts.142 IV. Religionsedikt und Reichsrecht Die Frage nach dem Einfluß des Reichsverfassungsrechts auf das Religionsedikt hat bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden. Das mag damit zusammenhängen, daß die reichsrechtlichen Bindungen und Herrschaftsstrukturen in der Endphase des Alten Reiches – knapp fünfzehn Jahre vor dem Reichsdeputationshauptschluß – immer schwächer geworden waren und die Territorialfürsten hierdurch eine im wesentlichen autarke Stellung gewonnen hatten. Gleichwohl war das Reichsverfassungsrecht nach wie vor geltendes Recht und daher auch für die preußischen Könige in ihrer Eigenschaft als Reichsfürsten prinzipiell bindend. Das bereits an früherer Stelle angesprochene Spannungsverhältnis zwischen den rigiden reichsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Bekenntnisstandes einerseits und dem Bedürfnis nach religiöser Toleranz auf der Ebene der Einzelstaaten andererseits setzte sich auch im Religionsedikt fort. In dem Versuch, den Inhalt des lutherischen Bekenntnisses auf die symbolischen Bücher des 16. Jahrhunderts und damit auf ihre alte ursprüngliche Reinigkeit und Aechtheit zurückzuführen (Einleitung und §§ 7, 8 RE), kam – neben den bereits geschilderten staats- und kirchenpolitischen Erwägungen – auch die reichsrechtliche Verpflichtung des preußischen Königs zur statischen Konservierung des Bekenntnisstandes zum Ausdruck. Auch die Aufzählung der drei Haupt-Confessionen in § 1 RE entsprach in auffälliger Weise den statischen bekenntnisrechtlichen Schranken des Westfälischen Friedens und der späteren Wahlkapitulationen. Da-

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NCC IX, Sp. 1873 ff. Cf. Hubrich, Staat und Kirche II, S. 533–535. 141 Abgedruckt als Anlage zum Reskript vom 14. April 1792; NCC IX, Sp. 2143 ff.: „[D]as Religions-Edict ist und bleibt die einzige Richtschnur, nach welcher das Verhalten der Prediger in ihrer Lehre und Volksunterricht beurtheilt werden muß.“ Cf. auch die ebenfalls auf das Religionsedikt bezugnehmende „Umständliche Anweisung für die Evangelisch Lutherischen Prediger in den Königlichen Landen zur gewissenhaften und zweckmäßigen Führung ihres Amts“ vom 9. April 1792; NCC IX, Sp. 2119 ff. 142 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 254 m. N. 140

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gegen enthielten die Bestimmungen des Religionsedikts hinsichtlich der übrigen Secten und Religions-Partheyen (§ 2 RE) eine eigentümliche Kombination statischer und dynamischer Elemente. Einerseits wurden die „in Unsern Staaten bisher öffentlich geduldeten Secten“143 in Form eines Katalogs abschließend aufgezählt. Andererseits ließ der Wortlaut des § 2 RE Spielraum für die zukünftige Zulassung von Religionsgemeinschaften, soweit von diesen keine Gefahr für die Christliche Religion oder den Staat ausging. Diese Öffnungsklausel war seinerzeit unter reichsrechtlichen Gesichtspunkten nicht unproblematisch. Bislang hatte man sich in Brandenburg-Preußen bei der Zulassung reichsrechtlich bedenklicher Bekenntnisse damit beholfen, auf die Zugehörigkeit des jeweiligen Bekenntnisses zur Augsburger Konfession zu verweisen144 oder die Anwendbarkeit des Reichsrechts durch die Ansiedlung der „Ketzer“ im nicht zum Reich gehörenden Herzogtum Preußen zu umgehen. Da die praktische Relevanz der Öffnungsklausel gering geblieben ist – Woellner hat einerseits den Katalog der geduldeten Sekten im Zusammenhang mit dem Schulz-Prozeß für geschlossen erklärt145, andererseits aber die faktische Duldung der Quäker ermöglicht146 –, hat sich diese reichsrechtliche „Grauzone“ nicht unter dem Aspekt ihrer Justiziabilität bewähren müssen. Hierfür waren zum einen die reichsrechtlichen Bindungen bereits zu lose, zum anderen war bis zum Ende des Alten Reiches 1806 schlichtweg nicht genügend Zeit vorhanden, in der ein reichsrechtlich begründeter religionspolitischer Konflikt hätte entstehen und eskalieren können.

E. Mögliche Quellen des Religionsedikts I. Woellners Abhandlung über die Religion vom 15. September 1785 In der Abhandlung über die Religion, die Woellner dem Prinzen von Preußen Friedrich Wilhelm am 15. September 1785 im Rahmen seiner Kronprinzenvorlesungen überreichte147, hatte er angeregt, Zedlitz als leitenden Minister des Lu143

Hervorhebung hinzugefügt. So bereits bei der Konversion Johann Sigismunds (supra Teil I, Kapitel 1, C. IV.), bei der Aufnahme der Herrnhuter (cf. von Mühler, Geschichte, S. 263) sowie – der Sache nach – bei der endgültigen Aufnahme der „böhmischen Brüder“ zur Zeit Friedrichs des Großen (supra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 4.). Damit befand man sich reichsrechtlich betrachtet auf sicherem Terrain. 145 Cf. infra Kapitel 2, D. VIII. 146 Cf. supra Teil 1, Kapitel 2, E. X. 1. und infra Kapitel 1, G. VIII. 147 Die darin gegebene Situationsanalyse fällt stilistisch aus dem Rahmen. Zedlitz, von der Hagen, Biester und Gedike werden in häßlicher Weise herabgesetzt. Ein solcher Stil ist bei Woellner immer dann anzutreffen, wenn dieser etwas tun muß, was ihn nicht freut. Zedlitz, wahrscheinlich mit ihm von der Hagen, sah Friedrich Wilhelm 144

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therischen Geistlichen Departements abzulösen – was der Thronfolger seit dem Gesangbuchstreit ohnehin beabsichtigte – und eine näher bestimmte Instruktion für den Nachfolger zu erlassen.148 Es lag daher nahe zu vermuten, daß das unmittelbar nach der Ernennung Woellners zum Nachfolger Zedlitz’ an der Spitze des Lutherischen Geistlichen Departements erlassene Religionsedikt formal und inhaltlich mit der vorgeschlagenen Instruktion identisch sein könnte. Hierzu hat Preuß um die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeführt: „Das Edikt entsprach ganz den in Woellners Vorlesung über die Religion ausgesprochenen Grundsätzen; ,Duldsamkeit gegen die verschiedenen in Preußen zugelassenen Religionspartien, und Secten, soweit sie sich ruhig verhalten149, aber Schutz der christlichen Religion gegen die Angriffe der Aufklärer; kein Gewissenszwang, aber strengstes Verbot gegen Geistliche, Prediger oder Schullehrer bei Strafe der Cassation in ihrer Amtsführung von dem in den symbolischen Büchern enthaltenen Lehrbegriff abzuweichen, und sorgfältige Aufsicht auf die Besetzung der Pfarreien, der theologischen Universitätsprofessuren und der Schulämter.“150

Diese Darstellung ist insofern problematisch, als auch Preuß eigenen Angaben zufolge nur einen Teil des Dokuments einsehen konnte.151 Da sich Woellners „Abhandlung von der Religion“ mit seinem Nachlaß in Privatbesitz befand, stand sie allerdings für einen längeren Zeitraum nicht zur Einsichtnahme und wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung. Die spätere Historiographie hat sich daher auf das Urteil von Preuß verlassen müssen.152 Selbst Paul Schwartz, der zu einem späteren Zeitpunkt auf die Abhandlung zugreifen konnte, war – obwohl die von ihm zitierten Passagen dies schwerlich nahelegen – der Ansicht, die Einschätzung von Preuß teilen zu müssen. Dem kann – wie eine erneute Durchsicht des Manuskripts gezeigt hat – nicht gefolgt werden. Nicht zu bestreiten ist, daß das Religionsedikt einige Elemente der Abhandlung über die Religion widerspiegelt. Dies betrifft etwa die eindringliche Mah-

bereits seit dem Gesangbuchstreit als Feind des Christentums an, Biester und Gedicke hatten einen Artikel in die Berliner Monatsschrift eingerückt, der ihn dem abergläubischen Pöbel zurechnete, ihre Einschätzung durch den Kronprinzen konnte gar nicht mehr verdorben werden. 148 Außerdem hatte Woellner ein Edikt zur Heiligung des Sabbaths und ein Zensurgesetz vorgeschlagen. S. auch Philippson, Geschichte I, S. 85 ff.; Fromm, Immanuel Kant und die preußische Zensur, S. 19. 149 Das findet im Text des Edikts keine Stütze; dort war allein das Proselytenmachen verboten (cf. supra Teil II, Kapitel 1, C. I. und II.). 150 Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 604. 151 Cf. Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 586 ff. 152 Etwa Philippson, Geschichte I, S. 69, 84 (mit vielen Ungenauigkeiten, so etwa in der Behauptung, das Verbot der Publikation eines Teils des Streits der Fakultäten sei in den letzten Lebenstagen von Friedrich Wilhelm II. von Hermes und Hillmer verfügt worden, oder Woellner habe das Verbot der Allgemeinen Deutschen Bibliothek betrieben; cf. Philippson, Geschichte II, S. 43, 46 f.) und Bailleu, Art. Woellner, S. 155. Dem hat sich Stölzel, Svarez, S. 250 ff., angeschlossen.

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nung zu Toleranz und Achtung der Gewissensfreiheit, die auch in den ersten Paragraphen des Religionsedikts einen breiten Raum einnimmt. Andererseits zeigt sich jedoch auch ein prinzipieller Unterschied: Nach der Abhandlung sollte der zukünftige König zum einen dem Minister des Lutherischen Geistlichen Departements eine näher beschriebene Instruktion erteilen und zum anderen je ein Edikt zum Schutz des Feiertags sowie über die Zensur erlassen. Das Religionsedikt hingegen weist einen anderen Aufbau und Zuschnitt auf. Es verbindet eine Garantie der Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung (§§ 1–3 RE), die Woellner in seiner Abhandlung gar nicht angesprochen hat, mit den dort vorgeschlagenen gesetzlichen Vorschriften über den Schutz der Sonn- und Feiertage (§ 12 RE) sowie einigen Elementen, die auch in einer Instruktion für die Minister der beiden Geistlichen Departemente enthalten sein könnten (§§ 9, 10 RE). Die hiermit in Zusammenhang stehenden detaillierten Regelungen zum Dienstrecht der evangelischen Geistlichen und Schullehrer finden in der Abhandlung keine Entsprechung. Auch schweigt das Religionsedikt – in Abweichung von der Abhandlung – zur Bücherzensur; das erneuerte Zensuredikt wurde erst später nach einem Entwurf von Svarez erlassen. Hinzu kommt, daß das Religionsedikt der Bezeichnung, der Form und dem Verfahren seines Erlasses – Gegenzeichnung und Publikation – nach ein königliches Gesetz und keine Instruktion für einen Minister war. Hinsichtlich seines Inhalts war es eine Mischung aus beidem: Es enthielt einerseits Regelungen, die in ein allgemein verbindliches – teils staatliches, teils innerkirchliches – Gesetz gehörten, nämlich Freiheitsgewährleistungen, Feiertagsregelungen und dienstrechtliche Bestimmungen, anderseits aber auch Anordnungen, die einer Ministerinstruktion entsprachen, die allerdings beide geistlichen Minister einbezog. Unter einem Edikt verstand man seinerzeit ein allgemeinverbindliches Gesetz, welches die Gerichte bei allfälligen Rechtsstreitigkeiten zu beachten und anzuwenden hatten. Es wurde gegengezeichnet, durch Publikation (Promulgation) in Kraft gesetzt und in die Ediktensammlung aufgenommen. Dagegen waren Instruktionen im damaligen Preußen innerdienstliche oder organisationsrechtliche Maßnahmen, durch welche die Amtspflichten, Kompetenzen und Aufgaben eines einzelnen Beamten, einer Klasse von Bediensteten, eines Kollegiums oder einer Behörde von Staat oder Kirche anläßlich ihrer Bestellung, Einrichtung oder Errichtung festgelegt wurden. Es gab daher mehrere Typen von Instruktionen: Diese konnten sich etwa mit der Festsetzung der Zuständigkeiten, des Verfahrens und der Zusammensetzung eines – kollegialen – Staatsorgans bei seiner erstmaligen Errichtung befassen. Derartige Regelungen konnten auch die Bezeichnung „Patent“ tragen.153 Wie 153 Cf. etwa das bereits erwähnte Patent über die Einrichtung der Gesetzkommission vom 29. Mai 1781 (NCC VII, Sp. 337–350).

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die Edikte bedurften auch sie der Gegenzeichnung und Publikation und fanden aufgrund ihrer Außenwirkung Eingang in die Ediktensammlung, selbst wenn sie keinerlei Rechte und Pflichten für die Einwohner begründeten oder berührten. Ein Beispiel für eine solche Instruktion ist die Instruktion für die ImmediatExaminations-Kommission.154 Eine andere Art der Instruktion lag vor, wenn der König – wie die preußischen Herrscher es häufig zu tun pflegten – einem neu ernannten Minister in einem Dokument vorschrieb, was er von ihm bei der Verwaltung des ihm übertragenen Amtes erwartete. Dies kam besonders dann in Betracht, wenn die Amtsausübung des Amtsvorgängers nicht zur Zufriedenheit des Monarchen erfolgt war. Diese Art der Instruktion wurde nicht gegengezeichnet, nicht als Gesetz publiziert und nicht in die Ediktensammlung aufgenommen. Aus diesen Instruktionen resultierten vielfach Circularia oder Reskripte – Rundschreiben oder Dienstanweisungen – der neuen Minister, mit denen diese den ihnen nachgeordneten Bediensteten und Behörden zumeist in gedruckter Form deren Pflichten in konkreter Weise einschärften. Auch diese Dokumente konnten den Titel „Instruktion“ tragen. Seit Friedrich der Große im Dezember 1779 den Großkanzler von Fürst und Kupferberg im Zusammenhang der Müller-Arnold-Affäre durch Carmer ersetzt hatte, war seine Instruktion für den neuen Minister in aller Munde, da der König dafür gesorgt hatte, daß die – schon wegen ihrer politischen Bedeutung aufsehenerregende – Ernennung des neuen Großkanzlers einschließlich der an diesen gerichteten, in scharfem Ton gehaltenen Instruktion in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Der neue Großkanzler hatte den Befehl sogleich nach unten weitergegeben und zu diesem Zweck die Instruction für sämtliche Justiz-Collegia vom 28. Dezember 1779155 sowie die Instruction für sämtliche Pupillen-Collegia vom selben Tage156 erlassen. Daß Woellner bei seinem im Rahmen der Kronprinzenvorträge unterbreiteten Vorschlag einer Instruktion für den Nachfolger von Zedlitz das eindruckmachende Beispiel der am 25. Dezember 1779 erlassenen Instruktion für Carmer vor Augen hatte, ist mehr als wahrscheinlich. Die Situationen waren nämlich durchaus vergleichbar. So wie Friedrich der Große der Meinung war, von Fürst habe bei der Aufsicht über seine Richter und Advokaten versagt, weshalb die preußische Justiz geradezu aus dem Ruder gelaufen sei, war Friedrich Wilhelm infolge des Gesangbuchstreits zu der Auffassung gelangt, Zedlitz habe die Kontrolle über die Kirchenbediensteten im Oberkonsistorium unzureichend wahrgenommen, weshalb es zu Mißständen im lutherischen Kirchenwesen gekommen sei. Der Vorschlag Woellners, eine Instruktion für den Nachfolger von

154 155 156

Ausführlich hierzu infra Kapitel 2, C. III. NCC VI, Sp. 1794–1805. NCC VI, Sp. 1804–1805.

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Zedlitz an der Spitze des Lutherischen Geistlichen Departements zu erlassen, beruhte ohne jeden Zweifel auf dieser Parallele. In seiner Abhandlung über die Religion forderte Woellner eindringlich und wiederholt Toleranz und versuchte, dem Kronprinzen unmißverständlich klar zu machen, daß Zwang in Glaubensfragen nicht nur unzulässig sei, sondern vielmehr der guten Sache zum Schaden gereichen werde. Diese – während seiner Amtszeit als Minister ungeachtet der scharfen Kritik durch Hermes und Hillmer – wiederholte Empfehlung richtete sich nicht in erster Linie gegen die Politik von Zedlitz, der unter Zugrundelegung der Woellnerschen Kriterien lediglich den Fehler begangen hatte, das neue Gesangbuch für verbindlich zu erklären. Vielmehr war Woellner besorgt, der künftige, über den Gesangbuchstreit erzürnte König könnte bei der Sorge für die Religion über das Ziel hinausschießen. Jedenfalls bestand kein Anlaß, die Achtung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in einer Instruktion für den Nachfolger Zedlitz’ im Lutherischen Geistlichen Departement in besonderer Weise einzuschärfen. Garantien der Glaubensund Gewissensfreiheit, deren rechtliche Relevanz in der absoluten Monarchie fragwürdig war und die nur der Beruhigung dienen konnten, werden von Woellner in der Abhandlung nicht angesprochen, auch wenn er ihre Achtung verlangte.157 Nach dem Gesangbuchstreit stand der Schutz der einzelnen Gemeinden vor der kirchlichen Obrigkeit im Vordergrund, nicht ihre Disziplinierung. Die Abhandlung über die Religion riet daher auch nicht zu einer exakten Bestimmung der Dienstpflichten evangelischer Prediger und Lehrer sowie zur verbindlichen Festschreibung eines bestimmten, historisch festliegenden Bekenntnisses. Auch sah sie keine Verpflichtung des Ministers im Wege der Instruktion vor, die Verpflichtung der Geistlichen zur Wahrung des tradierten lutherischen Bekenntnisses zu überwachen. Schließlich enthielt die Abhandlung auch keine Definition und Festlegung der symbolischen Bücher.158 Anders als §§ 6 ff. RE ging also die Abhandlung auf den Inhalt und die Problematik der Fortentwicklung des lutherischen Bekenntnisses sowie auf die symbolischen Bücher der lutherischen Kirche nicht oder nicht detailliert ein. Demnach kann das „Edikt die Religionsverfassung in den preußischen Staaten betreffend“ nicht mit den in Woellners Abhandlung über die Religion vorgeschlagenen Maßnahmen gleichgesetzt und als deren praktische Umsetzung angesehen werden. Dies entspricht der Auffassung Walter Karowskis, der eben-

157 Bestand Friedrich Wilhelm II. allerdings darauf, statt einer Instruktion für den Minister ein Religionsedikt zu erlassen, konnte es Woellner freilich sinnvoll erscheinen, die Religionsfreiheit ausdrücklich zu garantieren, um jeden Anschein zu vermeiden, das Religionsedikt sei in seinen einschränkenden Bestimmungen mehr als ein innerkirchen- und dienstrechtliches Gesetz. 158 Von symbolon im Sinne von Bekenntnis (confessio).

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falls – in scharfem Widerspruch zu Preuß – auf wesentliche Unterschiede zwischen dem Instruktionsentwurf der Abhandlung sowie dem Religionsedikt hingewiesen hat.159 Dabei hat Karowski beide Dokumente in allen einzelnen Bestimmungen gegenübergestellt und dabei zwar zahlreiche wörtliche Anklänge gefunden, aber regelmäßig beträchtliche Abweichungen in der Sache festgestellt: „Der Instruktionsentwurf vermeidet jede Schärfe und Einseitigkeit. Er will die Menge des Volks vor dem Unglauben, aber ebenso vor der Schwärmerei schützen. Der Minister soll dafür sorgen, daß die lutherischen Geistlichen die Lehre Jesu vortragen; predigt einer von ihnen statt dessen den Naturalismus, Deismus oder Soccianismus, ist er zunächst abzumahnen und erst, wenn er danach damit fortfährt, seines Amts zu entsetzen. Denn obgl. in einem toleranten Lande, einem jeden freistehet in Absicht der Religion zu denken wie er will, so findet doch dis bei einem öffentl. Lehrer und Prediger nicht statt, sondern er ist vermöge seines Amtes verbunden, Jesum zu predigen.160 Woellners Entwurf kennt keine Festlegung der Geistlichen auf ein Symbol, auf einen Lehrbegriff oder auf Bekenntnisschriften, sie fordert nur die Pflicht ein, die christliche Religion und den Glauben an Jesum zu lehren, der nicht nur die vollkommenste Moral für jeden vernünftigen Menschen verbürgt, sondern bei dem jedermann im Volck [. . .] Ruhe im Leben und Trost auf dem Sterbebette findet. Der lutherische Prediger oder Lehrer hat danach die Lehre Jesu, einschließlich der durch ihn geschehenen Versöhnung mit Gott, die Taufe, das Abendmahl, die Bibel und die göttliche Offenbarung zu verkünden. Untragbar sei er, wenn er öffentl. vor den Augen des ganzen Volcks Jesum verlästert, den dies ganze Volck als seinen Gott und Erretter anbetet, und in ihm den Grund seiner Seeligkeit glaubt und hofft.“161

Hieraus hat Karowski folgende Schlußfolgerungen abgeleitet: „1. Die Abhandlung von der Religion und das Religionsedikt Woellners erstreben das gleiche Ziel, den Glauben und die Sittlichkeit, die tief darnieder liegen, wieder empor zu heben. Sie tun es aber auf verschiedenen Wegen. 2. Die Abhandlung ist ihrem Inhalt und ihrer formalen Fassung nach denkoffen, von frischer Religiosität und kräftigen sittlichen Antrieben durchpulst. Das Edikt dagegen bildet den Ausdruck eines streng dogmatischen Formalismus. Dort ist noch dynamisch, hier nur noch statisch gedacht. 3. Der Kern des Edikts ist das Verpflichtungsmotiv auf symbolische Bücher, was in schärfster Zuspitzung in ihm hervortritt. 4. Dieses Problem der Verpflichtung taucht in der Abhandlung gar nicht auf.

159 Titel der Untersuchung: „Die Bekenntnisfrage vor 150 Jahren. Neue aktenmäßige Untersuchungen zum Preußischen Religionsedikt von 1788. Abschnitt aus einer Geschichte des Bekenntnisproblems“. 160 § 26, 4 des Gesetzesentwurfs, zu Woellners Eintreten für die Toleranz s. a. Karowski, Bekenntnisfrage, S. 20 m.w. N. 161 Karowski, Bekenntnisfrage, S. 18. Die wiederholte Beschwörung des ganzen Volkes weist wieder auf Kants Aufklärungsaufsatz zurück.

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5. Die Behauptung einer ideenmäßigen Identität der Abhandlung von der Religion und des Religionsedikts [. . .] ist daher [. . .] unbegründet.“162

Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Religionsedikt sich nur hinsichtlich der Regelungen über die Sonn- und Feiertage vollständig auf Woellners Abhandlung sowie den Vortrag für den Kronprinzen zurückführen läßt. Überdies versucht das Religionsedikt einerseits, durch die Aufnahme von Gewährleistungen mit eindringlichen Formulierungen eine die Religionsfreiheit achtende tolerante Politik anzustreben, gibt diese Haltung jedoch in den darauffolgenden, auf intensive staatliche Reglementierung bauenden Vorschriften wieder auf. Schließlich folgt das Religionsedikt dem Vorschlag einer Instruktion für den lutherischen geistlichen Minister insofern, als es Anweisungen an die leitenden Minister beider Geistlichen Departements enthält, die eine allzu freie Lehre zu verhindern trachten. Die hierbei zu beachtenden Grenzen des Zulässigen werden jedoch in Abhandlung und Edikt unterschiedlich definiert. Schließlich ist zu beachten, daß Woellner dem König noch einige Monate vor seiner Ernennung zum Minister die Lektüre seiner Abhandlung über die Religion erneut ans Herz legte163, ohne die dort gemachten Vorschläge und Mahnungen zu modifizieren. Dies spricht dafür, daß er zu diesem Zeitpunkt den Inhalt der Abhandlung nach wie vor für richtig hielt und nicht etwa die Absicht hatte, dem Monarchen den Erlaß eines Religionsedikts vorzuschlagen, das formal164 und inhaltlich so beträchtlich von den dort vorgesehen Anordnungen, insbesondere von der dort skizzierten Instruktion abweichen sollte. Die These, das Religionsedikt sei in der Form und mit dem Inhalt, den es im Juli 1788 erhielt, auf die Initiative Woellners zurückzuführen, kommt daher nicht ohne die Unterstellung aus, daß Woellner seine Meinung zwischenzeitlich geändert haben und den König von der Richtigkeit dieses Sinneswandels überzeugt haben müßte. Dies wäre schon deshalb nicht einfach gewesen, weil Woellner den König soeben noch auf die – damit als aktuell hingestellten – alten Vorschläge hingewiesen hatte. Vor diesem Hintergrund begegnet die unmittelbare Rückführung des Religionsedikts auf eine Initiative Woellners sowie auf dessen persönliche Ansichten erheblichen Zweifeln.

162

Karowski, Bekenntnisfrage, S. 22. Philippson, Geschichte I, S. 204 ff. 164 Henke, Beurteilung, S. 10 f., macht deutlich, daß die gewählte Form des Gesetzes, die das Religionsedikt von ähnlich klingenden Erlassen anderer Territorialherrschaften unterschied, die Betroffenheit und Kritik auslöste. 163

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II. Die Zöllnerfrage, Mendelssohns „Jerusalem“, Zöllners Gegenschrift und Kants Aufklärungsaufsatz Eine unscheinbare, in der rechtsgeschichtlichen Literatur bislang nicht als solche behandelte Quelle des Religionsedikts stellt ein im November 1783 in der Berlinischen Monatsschrift erschienener Aufsatz des damaligen Predigers, späteren Oberkonsistorialrats und Propstes Johann Friedrich Zöllner dar; dieser war mit der Frage überschrieben: „Ist es rathsam, das Ehebündnis nicht ferner durch Religion zu sanciren?“.165 In Auseinandersetzung mit dem Aufsatz „Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemühen“ von E. v. K., der kurz zuvor in der gleichen Zeitschrift erschienen war166, äußert Zöllner darin die Sorge, daß „alles Predigen und vornehmlich der Unterricht der Jugend vergeblich“ sein würde, „wenn man ferner so kräftige Maßregeln anwendet, die ersten Grundsätze der Moral wankend zu machen, den Werth der Religion herabzusetzen und unter dem Namen Aufklärung167 die Köpfe und Herzen der Menschen zu verwirren.“168 Dieser Aufsatz scheint dem Entwurfsverfasser des Religionsedikts bei der Formulierung des § 7 RE vorgelegen zu haben; die Formulierungen stimmen bis in einzelne Worte sowie in den gesperrten Druck des Wortes „Aufklärung“ hinein mit dem Aufsatz überein. So beklagt § 7 RE, „daß manche Geistliche der Protestantischen Kirche [. . .] einen Modeton annehmen, der dem Gesetz des wahren Christentums völlig zuwider ist, und Grundsäulen des Glaubens der Christen endlich wankend machen würden. Man entblödet sich nicht, die elenden [. . .] Irrthümer [. . .] durch den äußerst gemißbrauchten Namen: Aufklärung unter das Volk auszubreiten; das Ansehen der Bibel [. . .] immer mehr herabzuwürdigen [. . . und] die Leute irrezumachen.“ Nahezu wörtliche Übereinstimmungen bestehen im übrigen auch mit drei weiteren Schriften aus dem Jahr 1784. Moses Mendelssohn hatte in seinem „Jerusalem“ – auf einer zuvor in der Berlinischen Monatsschrift behandelten169 165

Band 2, 1783, S. 508–517. Band 2, 1783, S. 265–276. 167 In der Mittwochsgesellschaft ist die Unsicherheit über die Aufklärung noch am 20. Januar 1789 virulent. Gedike knüpft an einen Beitrag von Struensee („Über Rechnungsmünze, Geld und wirkliche Münzen“) die Betrachtung an: Verba valent sicut numi, oder von der Wortmünze. Dabei hat er die Parallele zwischen der Problematisierung der Aufklärung und durch das Religionsedikt offensichtlich erkannt (S. 270 f.): „Uebrigens glaube ich, daß die Bemerkung hier nicht am unrechten Ort steht, daß auch in dem so häufig mißverstandenen Königlichen Religionsedikt jene richtige Eintheilung der Aufklärung zum Grunde liegt.“ 168 Die kursiv gesetzten Worte stimmen jeweils überein. 169 Mendelssohn, Über die 39 Artikel der englischen Kirche und deren Beschwörung. Nach Ulrich, Religionszustand, S. 358, wurde noch im Jahre 1778 von angehenden lutherischen Predigern der Schwur verlangt und geleistet, das Wort wie in der Bibel gelehrt und in den vier Hauptsymbolis, der augsburgischen Konfession und de166

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Thematik aufbauend – die Handlungsoptionen eines Religionslehrers erörtert, welcher die Dogmen, zu deren Verkündigung er berufen ist, nicht mehr für wahr hält: „Drey verschiedene Wege stehen hier vor ihm offen. Er verschließt die Warheit in seinem Herzen, und fähret fort, wider sein besseres Wissen, die Unwahrheit zu lehren; oder er legt sein Amt nieder, ohne die Ursachen anzugeben, warum dies geschehe; oder endlich giebt er der Warheit ein lautes Zeugniß, und läßt es auf den Staat ankommen, was mit seinem Amt und der ihm ausgesetzten Besoldung werden, oder was er sonst für seine unüberwindliche Warheitsliebe leiden soll.“170 Mendelssohn hielt keine der aufgezeigten Möglichkeiten für abwegig. Diese Auffassung teilte – ihm folgend – auch Zöllner171, der ausdrücklich darauf hinwies, daß nicht nur der Staat Lehrer für jede Religionspartei bestellen und sie verpflichten könne, „den Hauptideen derselben gemäß zu lehren“.172 Vielmehr stelle auch die sichtbare Kirche ihre Lehrer nur „unter der Bedingung“ an, „dem Lehrbegriffe, zu dessen Verkündigung er berufen ist“, zu folgen.173 In einem weiteren Beitrag für die Berlinische Monatsschrift174 gab Kant, der beide Bücher kannte175, die Antwort auf Zöllners Frage, freilich in deutlich anderer Nuancierung:

ren Apologie wiederholt, zu verkünden. Die Frage, ob „eine christliche Kirche das Recht haben“ sollte, „ihre Glieder und Lehrer, außer der Bibel, auch auf die symbolischen Bücher zu verpflichten“ (Ulrich, Religionszustand, S. 366), war zunächst von jeder Religionsgemeinschaft für sich selbst zu beantworten. Daher war schon der Berliner Oberkonsistorialrat Büsching (1724–1793) auf einem Irrweg (cf. Büsching, Allgemeine Anmerkungen), wenn er jeder römisch- und evangelisch-katholischen Orthodoxie, die sich als solche organisierte, vorwarf, sie tue etwas, „was der eigentlichen Verfassung der christlichen Kirche entgegen ist, und wozu sie also nach dem Christenthum kein Recht hat und haben kann.“ Denn ähnlich wie Mendelssohn formte er so eine spezielle theologische Aussage in ein allgemeines Rechtsprinzip um, sprach jedem sich abweichend definierenden Bekenntnis a priori die Befugnis ab, sich als solches zu konstituieren, und legte dem Staat die „verfassungsrechtliche“ Pflicht auf, jeder religiösen Organisation, die eine Bindung von über die Bibel hinausgehenden Dogmen einfordere, den Rechtsschutz zu versagen, vielmehr im Gegenteil die Dissenter bei der freien reformatorischen Aktion in diesen Kirchen zu schützen. Offenbar war weder Büsching noch der Mehrzahl der Partei der Aufklärer, die allein ihrer „wahren“ Religion Raum geben wollten, die prinzipielle Intoleranz dieser Position bewußt. 170 Mendelssohn, Jerusalem, S. 88. Die Verbindung der Kassation mit einer ähnlich vage in Aussicht gestellten schärferen Sanktion findet sich auch in § 8 RE. 171 Zöllner, Ueber Moses Mendelssohn’s Jerusalem, S. 146. 172 Zöllner, Ueber Moses Mendelssohn’s Jerusalem, S. 90. 173 Zöllner, Ueber Moses Mendelssohn’s Jerusalem, S. 145. 174 Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? („Aufklärungsaufsatz“). 175 Cf. Kants Rezension von Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, in: Jenaer „Allgemeine Literatur-Zeitung“ Nº. 92, 18. April 1786, Sp. 113–116, hier Sp. 113.

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„Den Privatgebrauch der Vernunft nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte, von seiner Vernunft machen darf [. . .] Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten; sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal (das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte) bestraft werden. Eben derselbe handelt demohngeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er als Gelehrter, wider die Unschicklichkeit oder Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert. Ebenso ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, Vortrag zu tun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden [. . .] Es ist hierbei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn, was er zu Folge seines Amts, als Geschäftsträger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, sondern daß er nach Vorschrift und im Namen eines anderen vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens nichts der inneren Religion Widersprechendes darin angetroffen wird. Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen nicht verwalten können; er müßte es niederlegen.“

Diese Ausführungen finden sich beinahe wörtlich in § 8 RE wieder: „Denn so wie Wir zur Wohlfahrt des Staates und zur Glückseligkeit unserer Unterthanen die bürgerlichen Gesetze in ihrem ganzen Ansehen aufrecht erhalten müssen, und keinem Richter oder Handhaber diese Gesetze erlauben können, an dem Inhalt derselben zu klügeln und selbige nach seinem Gefallen abzuändern; ebenso wenig und noch viel weniger dürfen wir zugeben, daß ein jeder Geistlicher in Religionssachen nach seinem Kopf und Gutdünken handele. Es muß vielmehr eine allgemeine Richtschnur, Norma und Regel unwandelbar feststehen [. . .] und welche allgemeine Norma [. . .] durch jene so genannten Aufklärer abändern zu lassen, Wir nicht im mindestens gemeynd sind. Ein jeder Lehrer des Christenthums [. . .] muß und soll vielmehr dasjenige lehren, was der einmal bestimmte und festgesetzte Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religionsparthey mit sich bringet, denn hiezu verbindet ihn sein Amt und seine Pflicht und die Bedingung unter welchen er in seinem besonderen Posten angestellet ist. Lehrt er etwas anderes ist er schon nach bürgerlichen Gesetzen straffällig und kann eigentlich seinen Posten nicht länger behalten. [. . .] Welcher Lehrer der christlichen Religion also eine andere Überzeugung in Glaubenssachen hat, als ihm der Lehrbegriff seiner Confeßion vorschreibt, der kann diese Überzeugung auf seine Gefahr sicher behalten, denn Wir wollen Uns keine Herrschaft über sein Gewissen anmaßen; allein, selbst nach seinem Gewissen müßte er aufhören ein Lehrer der Kirche zu sein; er müßte ein Amt niederlegen, wozu er sich selbst aus obiger Ursache unbrauchbar und untüchtig fühlet.“

Solchermaßen deutliche und systematische Parallelen können kein Zufall sein. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß sowohl der König als auch Woell-

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ner die drei Autoren kannten und schätzten. Das Verhältnis zwischen dem Monarchen und Zöllner war sogar so intim, daß letzterer, den Friedrich Wilhelm II. als Prediger kannte, 1782 und 1790 zur Einsegnung der beiden morganatischen Ehen des Königs herangezogen wurde.176 Außerdem waren sie als Mitglieder des Rosenkreuzerordens177 einander verbunden. Woellner hatte Zöllner schon vor seiner Berufung an die Spitze des Lutherischen Geistlichen Departements zugesagt, ihn bei der nächsten vakanten Stelle eines Propstes zu berücksichtigen; dieses Versprechen löste er ein, als Zöllner ungeachtet seiner Kritik am Religionsedikt Nachfolger Spaldings als Propst an St. Nicolai wurde. Die Verehrung Friedrich Wilhelms II. für Moses Mendelssohn war so groß, daß er dessen Büste in seinem Ankleidezimmer aufstellte, um ihn täglich vor Augen zu haben.178 Mit Kant hatte Friedrich Wilhelm II. bereits anläßlich der Huldigung in Königsberg 1786 das Gespräch gesucht und ihm danach eine Gehaltszulage gewährt.179 Schon seit dem Gesangbuchstreit hatte sich der König mit der von Mendelssohn aufgeworfenen Frage beschäftigt; es lag daher nahe, daß er sich an die prominenten Äußerungen aus dem Jahre 1784 erinnerte. Insgesamt steht das Religionsedikt den Positionen Zöllners und Kants deutlich näher als dem Instruktionsentwurf in Woellners Abhandlung über die Religion. Beide Autoren hatten für unstreitig gehalten, daß ein lutherischer oder reformierter Prediger, der in seiner Lehre vom Bekenntnis seiner Kirche abwich, aus dem Amt entfernt werden konnte. Zöllner hatte nur stärker als Kant dazu geraten, in solchen Fällen großzügig zu verfahren. Im Unterschied zu § 8 RE, der den Predigern und Schullehrern auch dann mit der Sanktion der Kassation drohte, wenn diese die Dogmen ihrer Kirche nicht in der Predigt oder im Unterricht, sondern auf andere Weise – etwa durch wissenschaftliche Veröffentlichungen – öffentlich oder heimlich in Frage stellten, hatte Kant dafür plädiert, den Geistlichen im Rahmen der Freiheit des öffentlichen Vernunftgebrauchs die wissenschaftliche theologische Diskussion auch dann zu gestatten, wenn diese sich kritisch mit dem kirchlichen Dogma auseinandersetzte. Eine andere Frage ist es jedoch, ob ein Prediger eine von ihm in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bestrittene Glaubenslehre noch guten Gewissens vor seiner Ge-

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Näher hierzu infra Kapitel 1, G. VIII. Ausführlich zu dieser Einrichtung Marx, Die Gold- und Rosenkreuzer. Ein Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland; Möller, Die Gold- und Rosenkreuzer. Struktur, Zielsetzung und Wirkung einer anti-aufklärerischen Geheimgesellschaft; Schultze, Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II., S. 254; McIntosh, The Rose Cross and the Age of Reason. 178 Cf. Philippson, Geschichte I, S. 34, 374; Nicolai, Beschreibung von Berlin und Potsdam, Band II, S. 872. 179 Woellner berühmte sich gegenüber Kiesewetter, die Gehaltszulage erwirkt zu haben. Cf. den Brief Kiesewetters an Kant vom 19. November 1789 (Kant, Briefwechsel II, S. 107 ff.). 177

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meinde vertreten kann, und eine wiederum andere Frage, ob seine Gemeinde ihm in dieser Konstellation noch das nötige Vertrauen schenken kann. Die in diesem Zusammenhang sowohl von Kant als auch von Carmer180 – gezogene Parallele zum Richter181 führt in die Irre. Demnach müßten die Geistlichen, auch wenn ihre eigene Glaubensüberzeugung nicht im Einklang mit dem Lehrbegriff der sichtbaren Kirche stehe, sich ebenso an die gesetzte Norm der sichtbaren Kirche halten, wie die Richter den Gesetzen des Staates auch dann zu dienen hätten, wenn ihre persönlichen Gerechtigkeitsvorstellungen davon teilweise abwichen. Dieser Vergleich verkannte, daß der Richter und Bürger, der das Gesetz als äußere Autorität achtet, die Freiheit behält, sich innerlich und in wissenschaftlicher Kritik öffentlich von ihm zu distanzieren182, und seine Selbstachtung und seine Wertschätzung in der Gesellschaft gerade durch die Art und Weise wahrt, in der er Unterwerfung und Widerspruch miteinander verbindet. Wenn er zu erkennen gibt, daß ihm ein von ihm als ungerecht und unvernünftig empfundener Rechtssatz gleichwohl als geltendes Recht heilig ist, so ist diese Anerkennung nicht geheuchelt. Im Gegensatz dazu wird der Gläubige und Geistliche vor sich zum Heuchler und verliert die Glaubwürdigkeit sowie das Vertrauen der Gemeinde und der Öffentlichkeit, wenn er auf der Kanzel ein Dogma als zur Seligkeit gehörig lehrt, von dem er sich innerlich und öffentlich wissenschaftlich distanziert.183 Als Hirte seiner Gemeinde kann er es 180

Cf. Krause, Überforderung, S. 199 f. m. N. Cf. auch infra Kapitel 1, G. VII. 182 Die Unterwerfung unter die unvollkommene Legalität ist moralisch geboten und nach dem Erlaubnisgesetz der reinen Vernunft, einen mit Ungerechtigkeit behafteten Zustand noch so lange zu (er)tragen, bis er zur Reform gereift ist, auch moralisch gestattet. 183 Im Grunde lag dieser Denkfehler auch bei Kant vor, der später die Möglichkeit der Gewissensbindung an das äußerlich gesetzte Recht richtig herausarbeitete, und in seiner Kritik an der preußischen Religionspolitik auch die andersartige Lage des Geistlichen erkannte. Svarez hält sich noch ganz an die kantische Unterscheidung von privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch, als er die Ministerresolution am 8. November 1788 konzipiert (Stölzel, Svarez, S. 257): der Staat sei berechtigt, darauf zu bestehen, daß jeder öffentliche Lehrer sich nach den Symbolen richte, die das Spezifische seiner Religionspartei ausmachen, die streitigen Meinungen auf den Kanzeln nicht rege gemacht werden, willkürliche Abweichungen von den symbolischen Büchern unterblieben. Dagegen müsse er redliches und bescheidenes Forschen in der Schrift dulden. Wenn ein protestantischer Prediger unglücklich genug sein sollte, an den Grundwahrheiten seiner Konfession zu zweifeln, so möge er mit seinem Gewissen abmachen, ob er sein Amt behalten könne. Indes sei nicht abzusehen, warum er jene Sätze nicht seiner Gemeinde als treuer Referent vortragen könne. Der Ausbreitung der von der protestantischen Kirche allgemein verworfenen Irrtümer müßten sich die Konsistorien mit Ernst widersetzen; insofern sie sich danach richteten, könnten sie staatlichen Schutz gegen jede Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit beanspruchen. Das entspricht ganz der Auffassung Kants im Aufklärungsaufsatz wie im Streit der Fakultäten (S. 40 f.), der Prediger habe nicht die Befugnis, den theologischen Streit vor den Richterstuhl des Volkes zu ziehen, als eigenmächtig, sich selbst dazu ernennender Volkstribun den Samen des Aufruhrs und der Faktionen auszusäen. 181

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nämlich schwerlich zum Prinzip erklären, seiner Gemeinde nicht das wahrhaft zu ihrer Seligkeit Dienliche zu raten, sondern das einmal verbindlich festgesetzte Dogma seiner Kirche, das nach seiner Überzeugung gerade nicht zur Erlangung des Seelenheils dienlich ist. Im übrigen ist der Vergleich auch deshalb unangemessen, weil der Richter allein auf die Justiz und damit auf ein objectivum, nämlich auf das förmliche, verbindlich gesetzte Recht verpflichtet ist, auch wenn er darüber hinaus – aber nur in den Schranken des förmlichen Rechts – dem Gesetz der Gerechtigkeitsidee und damit dem wirklichen Recht verpflichtet bleibt.184 Die Glaubenswahrheiten, auf welche der Prediger verpflichtet ist, sind jedoch nicht förmlich gesetzt und objektiv feststellbar; sie stellen daher prinzipiell ein subjectivum dar. III. Der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten. Zweyte Abteilung. Von den Rechten und Pflichten der verschiedenen Stände des Staates. 1785 Auch der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten von 1785 ist als Quelle und Grundlage des Religionsedikts in Betracht zu ziehen. Der „Erste Teil, Zweite Abteilung, Sechster Titel. Von den Rechten und Pflichten der Religionsgesellschaften“ dieses Entwurfs enthielt folgende Bestimmungen: „§. 59. In ihren öffentlichen Vorträgen müssen [die Geistlichen], zum Anstoß der Gemeine, nichts einmischen, was den Grundbegriffen ihrer Religionspartey offenbar widerspricht. §. 60. In wie fern sie, bey innerer Ueberzeugung, von der Unrichtigkeit dieser Begriffe, ihr Amt dennoch fortsetzen können, bleibt ihrem Gewissen überlassen.“

In den Erinnerungen zur Gesetzgebung hatten diese Regelungen kaum Widerspruch gefunden; es existieren lediglich drei Monita von Eggers, der Oberamtsregierung Glogau sowie des Kammergerichts. Sie sind unverändert in das Allgemeine Landrecht eingegangen. Daß sie an die soeben185 zitierten Texte von Er trete damit aus dem Gelehrtenstand heraus, griffe in die Rechte der bürgerlichen Verfassung ein, führte die Anarchie herbei und verdiene, mit dem zu Recht verhaßten Namen eines Neologen bezeichnet zu werden (S. 41). – All das verträgt sich freilich nicht mit dem Geheimen Zusatzartikel „zum ewigen Frieden“. Menzel, Zwanzig Jahre Preußischer Geschichte, S. 63 ff., meint sogar mit gewisser Berechtigung, das Religionsedikt habe die Grenzen der Gewissensfreiheit weiter gesteckt als Kant in seinem Aufklärungsaufsatz. 184 Die Unterscheidung zwischen „wirklichem“ und „förmlichem“ Recht geht zurück auf Justus Möser, Von dem wichtigen Unterschiede des wirklichen und förmlichen Rechts.

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Kant, Mendelssohn und Zöllner anklingen, die Svarez aus der Mittwochsgesellschaft186 kannte, ist offensichtlich. Der Entwurf war auch Friedrich Wilhelm II. sowie Woellner zugegangen, so daß mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß sie von den fraglichen Bestimmungen Kenntnis hatten. Von Svarez sind zwei Äußerungen zu den Vorschriften überliefert. Am 1. April 1789 – d. h. nachdem sich der erste Sturm der Entrüstung über das Religionsedikt gelegt hatte – hielt er unter dem Titel „Über den Einfluß der Gesetzgebung in die Aufklärung“ einen Vortrag vor der Mittwochsgesellschaft, in welchem er bemerkte: „Auch das Verbotsgesetz des § 59 wird man hoffentlich nicht zu hart finden, wenn man bedenkt, daß das Gesetz die Geistlichen als Beamte des Staats betrachte und nur aus diesem Gesichtspunkt von ihnen fordere, daß sie in Verrichtung ihres Amtes die dafür gegebenen Vorschriften befolgen sollen. Inzwischen gestehe ich gern, daß bei diesem Satze noch die meisten Erinnerungen stattfinden können, deren Erörterung aber mich viel zu weit über die Grenzen der gegenwärtigen Vorlesung hinausführen würde.“ Nicht überliefert ist, ob und wie diejenigen Oberkonsistorialräte, welche der Mittwochsgesellschaft angehörten, nämlich Diterich, Gedike, Irwing, Teller, Spalding und Zöllner, auf diese Ausführungen reagiert haben. Bald darauf warnte Svarez in seiner Revisio monitorum vor einer Änderung und machte dabei auf Unterschiede zum Religionsedikt aufmerksam, die nicht unbedingt ins Auge fielen und daher bei der Formulierung des Religionsedikts nicht als Abweichung vom Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs angesehen wurden: „Ich würde schlechterdings bei der Fassung des Textes stehen bleiben, welcher so vorsichtig gewählt ist, daß keine von den beiden jetzt bekanntermaßen streitigen Partheyen, wenn sie sich nicht selbst lächerlich machen wollen, etwas dagegen sagen können. Was die Grundbegriffe der Religionsparthey betrifft, zu der ein Geistlicher gehört, so ist es eine natürliche Sache, daß ein Religionslehrer dieser Parthey denselben nicht widersprechen muß, daß die Heterodoxen diesen Satz nie werden umstoßen können. Dagegen stehen in den symbolischen Büchern viele Dinge, die offenbahr nicht ad Essentialia dieses oder jenes Religionsbegriffes gehören. In einem Gesetzbuch, welches nicht blos für eine einzige Generation bestimmt ist, muß man in solch wichtigen Dingen bloße Zeitgesetze nicht aufnehmen, und dieses sind doch offenbahr unsere jetzigen symbolischen Bücher. So orthodox Herr Silberschlag ist, so sind ihm doch in seinem Catechismus187 Vorstöße gegen die symbolischen Bücher nachgewiesen worden; die Würde des Gesetzgebers erlaubt es auch

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s. den vorhergehenden Abschnitt dieser Arbeit. Zur Zusammensetzung der Mittwochsgesellschaft cf. Birtsch, Die Berliner Mittwochsgesellschaft, S. 97–102; Nehren, Aufklärung – Geheimhaltung – Publizität. Moses Mendelssohn und die Berliner Mittwochsgesellschaft, S. 93 ff.; ferner Krause, Einleitung, S. LXVI ff. 187 Die Überarbeitung des Büchleins von Diterich, s. infra Teil II, Kapitel 2. 186

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nicht, sich auf die jetzigen Zänckerungen über symbolische Bücher einzulassen. Auf der anderen Seite kann ich auch der Meynung des Herrn Grolman nicht beytreten, welcher einige Sätze vorschlägt, durch welche dem Staat alle Befugnis genommen werden soll, ohne förmliche Klage der Gemeine188 gegen einen Lehrer, der offenbahr wider die Grundbegriffe seiner Religionsparthey lehrt, irgend etwas zu verfügen. Diese [vorgeschlagenen] Sätze können zu nichts helfen, da man sie nicht aufnehmen kann, ohne dem Könige darüber Vortrag zu machen: ein solcher Vortrag aber gewiß keine günstige Resolution erhalten und also dadurch nur Uebel ärger gemacht werden würden. Besser man bleibt in Generalioribus und läßt der Nachwelt die nähere Bestimmung über.“

Gerade die letzten Bemerkungen lassen darauf schließen, daß die im Religionsedikt enthaltene Drohung mit der Sanktion der Entlassung für den Fall, daß sich ein Geistlicher oder Religionslehrer in Widerspruch zu dem festgesetzten Lehrbegriff seiner Kirche setzte, dem persönlichen Willen des Königs entsprach, der hierzu möglicherweise durch die vorstehend beschriebenen Regelungen des Gesetzbuchentwurfs von 1785 angeregt wurde.

F. Exkurs: Hatte Woellner ein persönliches Interesse am Religionsedikt? Der Vergleich zwischen Woellners Abhandlung über die Religion und dem Religionsedikt hat ergeben, daß der Minister die Gewährleistung der Glaubensfreiheit, die Sicherung des tradierten Lehrbegriffs und den Feiertagsschutz nicht unbedingt gerade in der Form und Intensität gewünscht hat, wie sie im Religionsedikt normiert wurden. Selbst wenn er – ungeachtet der gegenteiligen Erkenntnisse – ein Gesetz dieses Inhalts angestrebt hätte, stellt sich die Frage, weshalb Woellner auf den sofortigen Erlaß des Edikts hätte drängen sollen. Die Steigerung seines Einflusses auf Staatsleitung und -verwaltung scheidet als Motiv aus. Aus dem Religionsedikt läßt sich keine einzige Befugnis ableiten, über die Woellner als Minister des Lutherischen Geistlichen Departements nicht ohnehin verfügt hätte. Vielmehr wurden lediglich die Amtspflichten verschärft, was in Preußen bei Instruktionen von Ministern nichts Außergewöhnliches war. Hier jedoch stand die Schärfe des Tonfalls, in dem die Anweisungen gehalten waren, in einem geradezu befremdlichen Gegensatz zu deren inhaltlicher Unbestimmtheit. Lediglich die in § 6 RE normierte – der bisherigen Tradition und Praxis entsprechende – Regelung, wonach Änderungen in der Liturgie von der ministeriellen Genehmigung abhängig waren, stellte in diesem Zusammenhang eine 188 Grolman hatte die Gemeindeautonomie betont und dazu in den Worten „zum Anstoß seiner Gemeine“ einen Ansatz gefunden.

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unproblematische und praktikable Vorschrift dar. Bereits in der Regierungszeit Friedrichs II. war eine inhaltlich identische Regelung in den Entwurf zu einem allgemeinen Gesetzbuch aufgenommen worden; diese ging später in das Allgemeine Gesetzbuch und auch in das Allgemeine Landrecht ein. Schwierigkeiten bereitete jedoch die ebenfalls in § 6 RE (a. E.) enthaltene Verpflichtung des Geistlichen Departements, „sorgfältig dahin zu sehen, daß dabey in dem Wesentlichen des alten Lehrbegriffs einer jeden Confession keine weitere Abänderung geschehe.“ Diese Anweisung war inhaltlich höchst vage, da die Frage, was denn das Wesentliche des tradierten Lehrbegriffs der jeweiligen evangelischen Konfession darstellte, außerordentlich umstritten war. Woellner vertrat hier offensichtlich eine weitaus offenere Position als der König. Das Problem wurde zusätzlich dadurch verkompliziert, daß die Frage der Festlegung des Lehrbegriffs ebenso umstritten war: Zwar stand die Kompetenz grundsätzlich dem König als „Notbischof“ und Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments zu, doch war in Lehrfragen – erst recht wegen der Bekenntnisverschiedenheit des summus episcopus – der consensus ecclesiae erforderlich, zu dessen Erteilung kein bestehendes kirchliches Organ berufen und legitimiert war.189 Der in § 6 RE normierten Verpflichtung des Geistlichen Departements fehlte also ein hinreichend konkretisierter Bezugspunkt; die Vorschrift gab den Ministern weder eindeutige Kompetenz noch klare Direktiven zu deren Ausübung. Die Minister liefen daher – dies sollte sich insbesondere an Woellner zeigen – Gefahr, wie auch immer sie entschieden, in die durch den Gesangbuchstreit ins Licht der Öffentlichkeit gerückte Kontroverse zwischen Orthodoxie einerseits sowie Neologie und Rationalismus andererseits zu geraten und zwischen den Fronten aufgerieben zu werden. Darüber hinaus legte § 9 RE den leitenden Ministern des geistlichen Departments, sowohl der Reformierten als Lutherischen Confession die höchst unangenehme Verpflichtung auf, stets ein offenes Auge auf die gesamte Geistlichkeit [. . .] zu haben. Die Formulierung einschließlich der Versicherung des Königs, den Ministern vollständig zu vertrauen, entsprach in hohem Maße der am 27. Dezember 1779 von Friedrich II. an Carmer gerichteten Order, mit welcher dieser ebenfalls zur strengen Beaufsichtigung seines Personals angehalten wurde, obgleich er die Tätigkeit einer solchen Vielzahl von Mitarbeitern praktisch nicht im Auge behalten konnte: „Bey beiden Protestantischen Confessionen müssen die jedesmaligen Ministers und Chefs dieses Departments uns dafür einstehen und haften, weil wir es ihnen auf ihr Gewissen binden und uns übrigens völlig darauf verlassen, daß sie als treue Diener des Staates über die Aufrechterhaltung dieses landesherrlichen Ediktes, bey Vermeidung unserer höchsten Ungnade stets wachen werden.“ Wie für den Großkanzler war auch für die Minister absehbar, daß geradezu täglich ein Fall angeblich mangelhafter Dienst189

s. bereits supra Teil I, Kapitel 2, F. IV.

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aufsicht vor den König gebracht, von ihm als skandalös beurteilt und zu einer harschen Rüge wegen unzureichender Ausübung ihrer Dienstpflichten führen würde. Woellner konnte es unmöglich darauf angelegt haben, eine dermaßen uneinlösbare Garantie freiwillig zu übernehmen. Auch das spricht entscheidend gegen ein persönliches Interesse des Ministers am Religionsedikt; vielmehr legt es das Gegenteil nahe. Auch § 10 RE, in welchem den Ministern stets freye Macht und Gewalt eingeräumt wurde, enthielt keine über ihre bisherigen Amtsvollmachten hinausgehende Kompetenz, sondern enthielt die wenig angenehme Pflicht, bei der Ausübung der ihnen ohnehin zustehenden Mitwirkungsbefugnis hisichtlich der Besetzung von Pfarreien, theologischen Universitätslehrstühlen und Schulämtern glaubenstreue – d. h. im wesentlichen orthodoxe – Kandidaten zu bevorzugen und sonstige Bewerber zurückzuweisen. Da es – aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten, die Glaubenstreue eines Kandidaten zu überprüfen – immer möglich war, daß ein verkappter Neologe oder sonstiger „Abweichler“ auf einen im Verantwortungsbereich der geistlichen Minister liegenden Posten geriet, bestand auch hier die dringende Gefahr, daß sich die Minister persönlichen Vorwürfen ausgesetzt sahen. Daß Woellner dies sehenden Auges und bewußt angestrebt haben sollte, kann schwerlich angenommen werden. Es wäre zumindest höchst unklug gewesen. Insgesamt wird die landläufige These, das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 sei in erster Linie ein Werk Woellners gewesen, hierdurch zwar nicht logisch widerlegt, zumindest aber zusätzlich in Frage gestellt.

G. Die Remonstration des Oberkonsistoriums gegen das Religionsedikt Der Erlaß des Religionsedikts im Juli 1788 führte zu einer in höflichem Ton vorgetragenen, in der Sache heftigen und in einem höchst bedenklichen Verfahren vorgetragenen Kritik des lutherischen Oberkonsistoriums.190 Die Auseinan190 Es fällt ins Auge, daß die Kritik an den kirchen- und religionspolitischen Maßnahmen ganz überwiegend von lutherischer Seite geäußert wurde. Dies zeigt sich nicht nur bei der Auseinandersetzung um das Religionsedikt, sondern auch bei den sich anschließenden Kontroversen (s. sogleich infra – Zweites Kapitel). Konflikte gab es immer nur zwischen dem König und dem lutherischen Oberkonsistorium, nicht aber mit dem reformierten Kirchendirektorium. Die Eingabe des reformierten Hofpredigers Sack im eigenen Namen stellt insofern eine Ausnahme dar. Der Grund für die überwiegend von lutherischer Seite ausgehende Kritik ist zum einen darin zu sehen, daß die Zahl der Lutheraner in Preußen auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer noch weitaus größer war als jene der Reformierten. Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. wirkte sich daher im Bereich des lutherischen Kirchenwesens viel stärker aus. Zum anderen ist es den preußischen Reformierten von Anfang an besser gelungen, sich mit den kirchen- und religionspolitischen Verhältnissen im Staat

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dersetzung ist für den Zustand der lutherischen Landeskirche Preußens im ausgehenden 18. Jahrhundert und damit auch für die Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments charakteristisch, da sie – wie schon der Erlaß des Religionsedikts selbst – deutlich werden läßt, in welch unsicherer und ungeschickter Weise die kirchenpolitischen Hauptakteure – der Monarch als Landesherr und Oberhaupt der Landeskirche und das Oberkonsistorium als zentrale Verwaltungsbehörde teils staatlicher, teils kirchlicher Prägung – mit ihren Funktionen umgingen. Insbesondere der Monarch hat, soweit ersichtlich, zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, ob er als Staatsoberhaupt und Inhaber der Territorialgewalt oder als Kirchenoberhaupt und Inhaber des Kirchenregiment auftrat. Darüber hinaus lassen sich aus dem Konflikt Rückschlüsse hinsichtlich der Rolle des geistlichen Ministers Woellner sowie dessen Verhältnis zum König in kirchenpolitischen Fragen ziehen. I. Die Kritik der Oberkonsistorialräte und die Funktion des Oberkonsistoriums Das 1750 während der Regierungszeit Friedrichs des Großen geschaffene lutherische Oberkonsistorium hatte – wie alle anderen Gerichte191 Preußens auch – die Pflicht, die geltenden Gesetze zu beachten, anzuwenden und auszuführen, ohne sie zu kritisieren. Die Mitglieder dieses vom preußischen König – nicht von der Landeskirche – eingerichteten Gremiums waren auch von diesem ernannt und zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben nach näherer Maßgabe der Instruktion für das Oberkonsistorium192 berufen und auf diese – durch den Landesherrn definierte – Funktion beschränkt. Eine davon unabhängige oder darüber hinausgehende Legitimation zum Tätigwerden besaßen die Oberkonsistorialräte nicht. Sie repräsentierten daher weder die Kirche als solche noch das Kirchenvolk193, letzteres schon deshalb nicht, weil sie es beim Gesangbuchstreit und mit dem König als Inhaber der obersten Kirchenleitung zu arrangieren. Dies dürfte mit dem Umständen zusammenhängen, unter denen sich das reformierte Kirchenwesen in Preußen entwickelt hat, nämlich größtenteils unter der stetigen Protektion der Monarchie (näher hierzu Jacobson, Reformierte, passim). Aus diesem Grund war der König als „Oberhaupt“ der Reformierten stets anerkannt; er hatte in dieser Funktion nicht mit den kirchenverfassungsrechtlichen und staatsrechtlichen Ungereimtheiten zu kämpfen, die sich für das lutherische Kirchenwesen aus der spezifischen Problematik der Entstehung und Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments seit dem Zeitalter der Reformation ergaben. Hiermit korrespondierte eine gewisse „Gefügigkeit“ der reformierten Kirchenfunktionäre. 191 Zum gerichtlichen Charakter der Konsistorien – auch unter historischen Gesichtspunkten – s. bereits supra Teil I, Kapitel 2, D. II. 192 Mylius, CCM Contin. IV, Sp. 291–298. 193 Dies gilt selbst dann, wenn man – entgegen dem Eindruck, den die Instruktion vom 4. Oktober 1750 vermittelt – davon ausgeht, daß der König in seiner Eigenschaft als summus episcopus und Oberhaupt der Landeskirche (und eben nicht als weltlicher

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nicht zu schützen, sondern zu überfahren versucht hatten, so daß Friedrich der Große sich ungeachtet seines Desinteresses an religiösen Fragen gedrängt gesehen hatte, das Kirchenvolk vor den Aktivitäten der Oberkonsistorialräte und den sich daraus ergebenden Konsequenzen bewahren zu müssen.194 Ungeachtet seines hohen Ansehens in der Öffentlichkeit mußte daher jeder Versuch des Oberkonsistoriums, sich zum Organ der wahren unsichtbaren Kirche oder gar des richtigen vernünftigen Glaubens zu stilisieren, a priori zum Scheitern verurteilt sein. Weder zu Zeiten Friedrichs des Großen noch zu einem späteren Zeitpunkt hatte das lutherische Oberkonsistorium die offizielle Funktion, bei der Gesetzgebung – insbesondere bei Fragestellungen und Regelungskomplexen, welche die Kirche tangierten – beratend oder begutachtend mitzuwirken. Entgegen der offensichtlich dahingehenden Annahme Tellers195 war es nicht Aufgabe des Oberkonsistoriums, Entwürfe zu innerkirchlichen Gesetzen nach welchen Kriterien auch immer – kirchenverfassungsrechtliche Legitimität, theologische Richtigkeit, staats- oder kirchenpolitische Zweckmäßigkeit – zu beurteilen und dieses notwendigerweise private Urteil dem König oder einer breiteren Öffentlichkeit zu offenbaren. Die Usurpation dieser Funktion durch das Oberkonsistorium und die häufige Übung dieser Praxis vermögen diese auch rückblickend nicht zu legitimieren. Wie allen königlichen Behörden war es auch dem Oberkonsistorium untersagt, ausdrückliche Kritik an einem vom König bereits vollzogenen Gesetz zu üben. Günstigstenfalls hatten sie die Befugnis, vorsichtig auf Mängel – vornehmlich verfahrensrechtlicher Natur – hinzuweisen. Ein Beispiel hierfür stellt die Pflicht der Gesetzkommisson nach § 15 des Entwurfs der Einleitung zum allgemeinen Gesetzbuch dar, das Unterlassen der vorgeschriebenen Anhörung anzuzeigen. Im Hinblick auf – angebliche oder tatsächliche – Fehler inhaltlicher Art war eine noch stärkere Zurückhaltung der königlichen Behörden geboten. Schon unter diesem Aspekt wäre es für den neu ernannten Präsidenten des Oberkonsistoriums, Woellner, nicht in Frage gekommen, eine Diskussion über das Religionsedikt auf die Tagesordnung des Gremiums zu setzen; hierzu hätte ihm sogar die Berechtigung gefehlt. Als Privatperson – Individuum, Mensch, Gläubiger und Bürger – konnte jeder Oberkonsistorialrat privat oder öffentlich seine Meinung zu einem Gesetz kundtun, vorausgesetzt, er vergriff sich nicht im Ton und stellte die Geltung der Landesherr) das lutherische Oberkonsistorium nicht als königliche, sondern als kirchliche Behörde eingerichtet hätte. Auch in diesem Fall wäre das Oberkonsistorium ein Verwaltungs- und kein Repräsentationsorgan, erst recht nicht gegenüber dem Staat. 194 Ausführlich hierzu supra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 6. 195 Teller hatte das Religionsedikt zum Gegenstand der Beratung in der Mittwochsgesellschaft gemacht und dabei die Frage aufgeworfen, ob es nicht zuvor im Oberkonsistorium oder in der Gesetzkommission hätte beraten werden müssen. S. hierzu die Moehsenpapiere der Berliner Staatsbibliothek, B. 261 f.

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Rechtsvorschrift nicht in Frage. Als Beamter war er darüber hinaus verpflichtet, dem Staatsoberhaupt als solchem oder in dessen Eigenschaft als Inhaber des Kirchenregiments Bedenken gegen die Recht- und Zweckmäßigkeit der von diesem getroffenen staatlichen und kirchlichen Maßnahmen vorzutragen. Diese Pflicht bestand für die „königlichen Räte“ in besonderem Maße. Zwar gehörte es nicht zum regelmäßigen Tagesgeschehen, daß königliche Anordnungen durch – wohlgemerkt: einzelne196 – Beamte kritisiert wurden, doch entsprach es dem Prinzip der aufgeklärt-absolutistischen Regierungsform, sich solcher Kritik nicht a priori zu verschließen. Darüber hinaus war jeder Oberkonsistorialrat auch „einfaches“ Mitglied der evangelischen Kirche seines Bekenntnisses; in dieser Eigenschaft konnte er, soweit er es für erforderlich hielt, geltend machen, in seiner Bekenntnisfreiheit betroffen zu sein.197 II. Die Bitte Tellers um Entbindung von der Predigtverpflichtung Der erste Widerstand gegen das Religionsedikt, der sich regte, war gar nicht in die Form einer förmlichen Beanstandung gekleidet. Am 21. Juli 1788, keine zwei Wochen nach dem Erlaß des Edikts, richtete der als Aufklärer bekannte Oberkonsistorialrat Teller die Bitte an Woellner, von seiner Verpflichtung zum Predigtdienst dispensiert zu werden.198 Zur Begründung führte er an, weder einem königlichen Befehl noch seinem Gewissen zuwiderhandeln zu wollen und zu können. Seine Position als Propst von St. Petri wolle er behalten, sei jedoch bereit, die Bezahlung eines Vertreters im Amt zu übernehmen. Diese Vorgehensweise war ungewöhnlich, denn die Bestellung eines „Koadjutors“ war bislang nur für den Fall vorgesehen, daß der Amtsinhaber seine Funktionen altersoder krankheitsbedingt nicht ausüben konnte. Hier jedoch lag der Grund für die Substitution in einem Umstand, der nach dem Religionsedikt als sanktionswürdiges Dienstvergehen des Amtsinhabers anzusehen war. Wohl aufgrund der ausgefallenen Konstellation sowie zur Vermeidung des Aufsehens, das eine förmliche Entscheidung über den Antrag mit Blick auf den Bekanntheitsgrad Tellers erregt hätte, entschloß sich Woellner, die Bitte schlichtweg zu ignorieren.199 Die Angelegenheit wurde offensichtlich nicht weiter verfolgt.

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Im Unterschied etwa zum Oberkonsistorium als Ganzem. Ausführlich zur Funktion des Oberkonsistoriums im Rahmen der Konsistorialverfassung supra Teil I, Kapitel 2, D. II. 5 und E. III. 2. 198 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 44 ff. 199 Cf. zum Ganzen Philippson, Geschichte I, S. 219, sowie Schwartz, Kulturkampf, S. 108, der den Grund Tellers für die Dispensation – polemisch und ungenau – als „strafbaren Unglauben“ charakterisiert. 197

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III. Die Eingabe des Hofpredigers Sack Das erste Mitglied des Oberkonsistoriums, welches dezidiert Kritik am Religionsedikt äußerte, war der reformierte Hofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack.200 Er tat dies jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied des lutherischen Oberkonsistoriums, dem er trotz Bekenntnisverschiedenheit angehörte201, sondern vielmehr als Amtsträger der reformierten Kirche.202 So richtete er am 26. August 1788 ein „Unterthäniges Pro Memoria an des Königlichen Wirklichen Geheimen Etats- und Justitz-Ministers Herrn Freiherrn von Dörnberg Excellentz“203: „Indem ich aber den Königl. Ernst in Aufrechterhaltung der reinen und christlichen Lehre mit Dank und Freude verehre, [. . .] so erregt auch einiges von dem, was seine Majestät zur Steuerung des eingerissenen Unwesens zu verordnen geruht haben, meine [. . .] Bedenklichkeiten und Zweifel.“ Gleichzeitig bot er an, sein Amt zur Verfügung zu stellen.204 Die Einwendungen Sacks bezogen sich im wesentlichen auf die im Religionsedikt getroffene Anordnung, die von ihm als nicht mehr zeitgemäß empfundenen symbolischen Bücher als Lehrnorm festzusetzen; dieses Mittel sei zur Erreichung des vom König zu Recht ins Auge gefaßten Zwecks der „Beförderung des wahren Christentums“ nicht geeignet.205 Eine Antwort hierauf erfolgte zunächst nicht; vielmehr leitete der Minister die Eingabe am 5. September 1788 an den König weiter206, der sie – zusammen mit der gemeinsamen Vorstellung der fünf geistlichen Oberkonsistorialräte – an die ad hoc gebildete Untersuchungskommission überwies.207 200 Später sollte auch Sack in seiner Autobiographie „den Unfug“ beklagen, „der unter dem geschändeten Namen Aufklärung getrieben ward.“ Cf. Lowe, Bildnisse, S. 35. 201 Die Zusammensetzung des Oberkonsistoriums aus reformierten und lutherischen Mitgliedern – ausführlich hierzu supra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 5, sowie Kapitel 2, D. II. 5. – war mit seiner selbst vorgenommenen Stilisierung zum Wahrer des richtigen Bekenntnisses der lutherischen Kirche unvereinbar. Es war eben ein königliches Gericht und eine königliche Verwaltungsbehörde und sonst nichts. Allerdings hat die Mehrheit der Oberkonsistorialräte das nie begriffen und sich immer im Besitz höherer Weihen gesehen, vor allem geglaubt, die Vernunft zu repräsentieren. 202 Dies war er als Prediger durchaus, wenn auch nicht als Oberkonsistorialrat. 203 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 9 ff. Dörnberg stand seinerzeit an der Spitze des Reformierten Geistlichen Departements. In dem Promemoria nahm Sack mehrfach auf seine Amtspflichten als reformierter Geistlicher Bezug (S. 14 ff.). Auch die Wahl des Adressaten, den Sack als seinen ihm „vorgesetzten Chef“ bezeichnete (S. 16), läßt darauf schließen, daß Sack seine Eingabe als reformierter Prediger, nicht aber als Oberkonsistorialrat machte. Unzutreffend daher die Einschätzung bei von Thadden, Hofprediger, S. 129. 204 Der König oder der Minister sollten darüber befinden, „ob ich bey diesen Grundsätzen fernerhin als Prediger, und in dem mir anvertrauten höchst wichtigen Geschäffte brauchbar seyn [. . .] könne“. Cf. K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 16. 205 K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 13 ff. 206 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 111.

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IV. Der Antrag der geistlichen Oberkonsistorialräte auf Erlaubnis zum Immediatvortrag Im Bereich des Lutherischen Geistlichen Departements fand dieses Vorgehen keine Entsprechung; keiner der lutherischen Oberkonsistorialräte nahm die – legitime – Möglichkeit wahr, seine Kritik dem zuständigen Minister Woellner vorzutragen. Vermutlich hielten sie es mit Blick auf das in der Öffentlichkeit kursierende Bild des Ministers, der in der Regel als wahrer Urheber des Religionsedikts angesehen wurde, für wenig erfolgversprechend, mit Woellner einen kritischen Dialog zu führen.208 Statt dessen versuchten fünf der sechs geistlichen Mitglieder des Oberkonsistoriums, nämlich die der Aufklärung zugeneigten Spalding, Büsching, Teller, Diterich und Sack, unter Umgehung des Ministers zu Friedrich Wilhelm II., den sie als von Woellner beeinflußt ansahen, zu gelangen. Zu diesem Zweck baten sie am 4. September 1788 den König um die Erlaubnis, ihm ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar Bedenken gegen das Religionsedikt vortragen zu dürfen.209 Die Eingabe der Oberkonsistorialräte kam dem König jedoch bereits aus prinzipiellen Erwägungen heraus ungelegen. Mit der öffentlichen Kritik von Maßnahmen, die er für unbedingt notwendig hielt, tat sich Friedrich Wilhelm II. – sei es aus Unsicherheit, sei es aus einem Bedürfnis nach Harmonie – grundsätzlich schwer. Dies galt um so mehr, wenn er den Eindruck gewann, daß die fragliche Kritik von der durch die bewußte Maßnahme zu bekämpfenden Geisteshaltung getragen war und – was vor allem mit Blick auf die ausgebrochene Französische Revolution virulent war – die Legitimität der Herrschaft und damit den Rechtsfrieden gefährdete.210 Daß Friedrich Wilhelm II. über die Eingabe der Remonstranten verärgert war, kann daher nicht überraschen, insbesondere deshalb, weil das Religionsedikt durch seine Unzufriedenheit mit dem früheren Verhalten der Beschwerde207 Näher hierzu sogleich infra. Der König erwähnte die Eingabe Sacks in seinem Antwortschreiben an die Remonstranten vom 12. September 1788. 208 Zweifellos stand für sie fest, daß Woellner ein Obskurant, Betrüger, Rosenkreuzer war, der die Kirche – wie Spalding schrieb – in den finstersten mittelalterlichen Mystizismus zurückführen wollte. 209 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 17. 210 In der Öffentlichkeit wurde dies im Vergleich zu der vorangegangenen, wegen ihrer augenscheinlichen Liberalität und Toleranz idealisierten Epoche Friedrichs des Großen als Rückschlag empfunden, den man jedoch nicht dem König, sondern irgendwelchen – ihn beeinflussenden – Günstlingen anlastete. Freilich wurde hierbei übersehen, daß auch Friedrich der Große der Kritik an der von ihm persönlich gestalteten Politik, insbesondere der Außenpolitik – nur wenig Raum ließ. Hierfür spricht die – karikierende – Bemerkung Lessings, die Pressefreiheit in Berlin unter Friedrich II. beschränke sich darauf, „gegen die Religion so viel Sottisen zu Markte zu bringen, als man will.“ (Lessing, Brief an Nicolai vom 25. August 1769, S. 298). Cf. Krause, Überforderung, S. 208, Anm. 139.

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führer mit veranlaßt war. Insbesondere warf er den Antragstellern vor, ihre Amtsstellung durch die verbindliche Anordnung des neuen Gesangbuchs mißbraucht und sich dabei über die Volksfrömmigkeit hinweggesetzt zu haben.211 Verstärkt wurde sein Ärger dadurch, daß sich nun alle geistlichen Mitglieder – mit Ausnahme des schon im Gesangbuchstreit Widerpart bildenden Silberschlag – zusammentaten. Darüber hinaus lag in der Bitte, immediat angehört zu werden, eine unmißverständliche Mißtrauensbekundung gegen den Minister, den der König zwei Monate zuvor erst berufen hatte. Friedrich Wilhelm II. erkannte sofort, daß die Remonstranten nur als Einzelpersonen auftraten, da ein Tätigwerden als Oberkonsistorium oder als kurmärkisches Konsistorium nur mit einer förmlichen Ladung durch Woellner oder den zweiten Präsidenten von der Hagen möglich gewesen wäre.212 In seiner Antwort213 rügte es der König daher als ungehörig, daß sich die Oberkonsistorialräte außerhalb des Kollegiums zusammengetan hätten.214 Die offensichtlich iro211 Zur Haltung Friedrich Wilhelms II. im nach wie vor schwelenden Gesangbuchstreit cf. Krause, Ära Woellner, S. 88, 114 f., sowie dens., Einleitung, S. XX. 212 Das scheint Friedrich Wilhelm II. auf den Gedanken gebracht zu haben, allein Woellner müsse dafür verantwortlich sein, wenn aus dem Oberkonsistorium Widerstand kommen sollte. Jedenfalls wollte er ihm alsbald den Einwand mangelnder Unterstützung durch seine „Prister“ nicht mehr gestatten. Andererseits war die Mehrheit der Mitglieder des Oberkonsistoriums nie zur kollegialen Zusammenarbeit mit Woellner bereit, nachdem sie sich a priori auf bedingungslose Opposition gegen ihn festgelegt hatten. Diese Haltung resultierte aus der unumstößlichen Annahme, der König müsse sich dem Prinzip der aufgeklärten Monarchie gemäß auf ihre Seite, die der Vernunft, ziehen lassen, wenn nur derjenige, der seinen schädlichen Einfluß auf die Information, Willensbildung und Entscheidungen des Königs ausübe, ausgeschaltet werde. Daß diese Deutung der aufgeklärten Monarchie als einer Herrschaft der Partei der „wahren Aufklärer“ mit der ihrer Gegner bis hin zu der Identifikation mit der wahren Aufklärung völlig identisch ist, scheint sowohl den Zeitgenossen wie der Historiographie entgangen zu sein. Selbst die Informationsprinzipien entsprechen einander: Es geht nämlich jeweils darum sicherzustellen, daß die Wahrheit den Adressaten, sei es der Monarch oder das Volk, erreicht. Noch in seiner Gedächtnispredigt auf Friedrich Wilhelm II. hat Teller die Verhältnisse entsprechend entstellt: „Es kann mit Wahrheit von ihm gesagt werde, daß er [. . .] nicht dafür konnte, wenn seine Verfügungen, selbst in den wichtigsten Angelegenheiten der Religion, bald mißverstanden, bald übertrieben, und noch wohl öfter von falschen Eiferern oder von irregeleiteten Schwärmern oder arglistigen Heuchlern gemißbraucht wurden.“ (zitiert nach Kosmann, Versuch I, S. 437). Daß dies schon 1788 gängig war, belegt Triebel, Beleuchtung, S. 27 f.: „Der Verfasser geht noch weiter [. . .] Er sucht dem Volke weiß zu machen, daß die Regenten zu schwach wären, das Nützliche der Aufklärung einzusehen; gleichsam als Unmündige ließen sie sich durch gefährliche Ratgeber, welche ihren Thron umlagerten, damit nichts zum Thron gelangen könnte, leiten; sie wären Sklaven der geistlichen Ohrenbläser und trügen die Fesseln des Aberglaubens und des Vorurteils.“ 213 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 17 f. 214 Cf. auch die Anweisung des Königs an Woellner vom 5. September 1788: „[Ich] befehle Euch aber anzudeuten, daß in künftige ohne Euer oder des Präsidenten von Hagen vorher eingeholten Consentement, dergleichen gar nicht geschehen muß, weil es wider die in die Collegiis so nöthige Subordination streitet. Ich befehle Euch über-

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nisch gemeinte Frage, warum „der sonst so gelehrte Ober-Consistorial-Rath Silberschlag“ nicht mitunterschrieben habe215, nannte die seit dem Gesangbuchstreit bestehende Spaltung des Oberkonsistoriums beim Namen. Außerdem verwies der König darauf, daß das Religionsedikt von drei Ministern kontrasigniert worden sei; nicht einer von ihnen habe inhaltliche Bedenken geäußert.216 Sodann erteilte der König die Erlaubnis zur Immediateingabe, bildete aber bereits am 6. September 1788 eine Kommission zu deren Prüfung.217 Die Besetzung dieses Ad-hoc-Gremiums mit dem Großkanzler Carmer sowie den geistlichen Ministern Dörnberg und Woellner war keineswegs zufällig gewählt und nicht nur mit deren Ressortzuständigkeit begründet. Vielmehr sprach Friedrich Wilhelm II. auf diese Weise den Ministern, die das Religionsedikt gegengezeichnet hatten, ostentativ sein Vertrauen aus und verhinderte, daß ihr Ansehen in der Öffentlichkeit Schaden nahm. Unter keinen Umständen war der König bereit, einen Keil zwischen sich und das Justizdepartement treiben zu lassen. Bedenkt man die – aus dem Gesangbuchstreit herrührende – stetige Sorge Friedrich Wilhelms II. vor dem Ministerialdespotismus, so ist die Einschaltung einer ausschließlich aus Ministern bestehenden Kommission besonders bemerkenswert und zeigt, wie unerschütterlich der Monarch am Religionsedikt festhalten wollte. Im Zusammenhang hiermit ist auch die an späterer Stelle218 gebrauchte Formulierung zu sehen, vom Religionsedikt solle „auch nicht ein Haar breit abgewichen werden“.

haupt Eure Priester beßer als Euer Vorgänger in Ordnung zu halten, und sich genau nach dem obigen Edikt zu richten, weil ich alles von Euch fordern muß.“ Die Verfahrensrüge war ebenso berechtigt wie der Hinweis auf die alleinige Kompetenz des Vorsitzenden, die Tagesordnung zu bestimmen, etwas anderes ist es, wenn er etwas auf Antrag auf die Tagesordnung zu setzen hat. Die Zusammenrottung der überwiegenden Mehrheit der geistlichen Mitglieder des Oberkonsistoriums war tatsächlich beinahe ein Akt der Rebellion; die „Insubordination“ stellte im preußischen Beamtenstaat ein schweres Vergehen dar. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 114. Freilich deutet sich hier bereits die Tendenz an, Woellner die Alleinverantwortung zu übertragen und das Oberkonsistorium zum bloßen Beratungsorgan herabzustufen, wobei die Neigung des Königs, den Rat der widerspenstigen Oberkonsistorialräte zur Kenntnis zu nehmen und maßgeblich zu berücksichtigen, sicherlich gering war. 215 Die Frage nach der fehlenden Unterschrift Silberschlags war ironisch oder zumindest rhetorisch, weil der Grund für dessen fehlende Unterschrift auf der Hand lag. Die Bezeichnung Silberschlags als „sonst so gelehrt“ kann nicht anders gedeutet werden, als daß der König genau über ihn Bescheid wußte. 216 Die Bemerkung stellt ein weiteres Indiz dafür dar, daß der König selbst – und nicht Woellner – der eigentliche Urheber des Religionsedikts ist. 217 Die Einrichtung der Kommission erfolgte durch eine an Dörnberg gerichtete Kabinettsorder; abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 18. 218 s. sogleich infra.

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V. Die Immediateingabe der Oberkonsistorialräte Am 10. September 1788 reichten die fünf Oberkonsistorialräte ihre Immediateingabe ein.219 Ihre bei dieser Gelegenheit gemachte Bemerkung, „nicht als sämmtliche geistliche Räthe, sondern nur für unsre Personen“ zu agieren, zeigt die kompetenz- und verfahrensrechtliche Falle, in die sie geraten waren: Indem die Räte versuchten, zur Abwendung königlichen Mißtrauens oder gar Zorns gegen das Oberkonsistorium als Institution auf ihre Eigenschaft als Privatleute zu verweisen, waren sie daran gehindert, sich zur Legitimation ihres Auftretens auf ihr – ansonsten gepflegtes – Selbstverständnis zu berufen, sie seien gerade als Mitglieder des Oberkonsistoriums Repräsentanten der Kirche, und zwar auch gegenüber dem König. Von dieser Warte aus konnten sie als sachkundige und religiös gebildete Privatiers gerade nicht argumentieren. Jedoch haben die Remonstranten dies offensichtlich nicht bemerkt. Auch die – grundsätzlich bestehende220 – Legitimation, als Beamte und königliche Räte Bedenken vorzutragen und so ihre Pflicht zu tun, war ihnen damit abgeschnitten. Freilich hätte ein solches Vorgehen die Einhaltung des Dienstweges vorausgesetzt; außerdem hätte ein Tätigwerden des gesamten Kollegialgremiums Vorrang vor der Eigeniniative einzelner Räte gehabt.221 Hauptsächlicher Kritikpunkt war – wie schon bei der vorausgegangenen Eingabe Sacks an Dörnberg – die Betonung der symbolischen Bücher zu Lasten der Heiligen Schrift.222 Noch am Tage des Eingangs leitete Friedrich Wilhelm II. die Eingabe an die Ministerkommission mit der Aufforderung weiter, sie sollten diese Leute zurechte weisen. [. . .] Zum Fundamente dieser Zurechtweisung habt ihr obiges Edikt vor Euch, davon nicht ein Haar breit abgewichen werden muß.223 In einer zeitgleich an Woellner gerichteten Kabinettsorder224 219 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 18 f. (Anschreiben), 19 ff. (Gutachten). Nach Schwartz, Kulturkampf, S. 112, ging der Wortlaut auf Sack und Spalding zurück. 220 s. hierzu supra Teil II, Kapitel 1, G. I. 221 Dies hatte der König ebenfalls zutreffend erkannt, wie seine Frage nach Silberschlag beweist. 222 Diese These war theologisch problematisch, denn noch waren die symbolischen Bücher das einzige gemeinsame Bekenntnisinstrument der lutherischen Kirche. Ihre Aufgabe stellte die Existenzberechtigung der lutherischen Kirche in Frage. 223 Kabinettsorder vom 10. September 1788 an Carmer; abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 22 f. Schon bei der Genehmigung der Immediateingabe hatte der König zu erkennen gegeben, daß er – nicht nur weil Silberschlag den Antrag nicht mitgetragen und die gegenzeichnenden Minister keine inhaltlichen Bedenken geltend gemacht hatten – den Vortrag der Bedenken für überflüssig und wenig loyal ansieht. In die gleiche Richtung geht die Schärfe, mit der er auf die öffentliche Kritik des Religionsedikts reagiert. Auch sie ist nicht Anlaß zur Prüfung, sondern zu Maßnahmen der Sanktion und Unterdrückung. Das steht in einem auffälligen Gegensatz zur Förderung der Diskussion um das allgemeine Gesetzbuch, der sich nur dadurch erklären läßt, daß Kritik in diesem Fall als Beweis für den Glaubensmangel

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wies er auf das Außergewöhnliche des Vorganges hin: Die Erlaubnis zur Gegenvorstellung sei nur für dieses eine Mal bewilligt, der Minister und Präsident des Oberkonsistoriums habe deutlich zu machen, daß dies aufgrund der hierarchischen Verfassung der Behörde nicht mehr vorkommen dürfe.225 Diese deutliche Rüge war sachgerecht und notwendig, um die Zuständigkeiten und Formen zu wahren. Freilich machte es die zusätzliche an Woellner gerichtete Ermahnung, besser als sein Vorgänger für Zucht und Ordnung innerhalb des Oberkonsistoriums zu sorgen, diesem schwer, eine Brücke zu den – aus königlicher Sicht – widerspenstigen Oberkonsistorialräten zu bauen. Hierin ist ein früher Hinweis auf das mangelnde, in der Folgezeit noch weiter abnehmende Vertrauen des Königs in diese Behörde zu sehen. Dies war insofern besonders mißlich, als das Gremium mit Ratgebern – königlichen Räten – besetzt war, was zur Funktionserfüllung das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses nahelegt. Dörnberg schlug hierauf eine konziliante Lösung der Auseinandersetzung zwecks „Beruhigung der Gemüther“226 vor, die sich nicht lediglich an die remonstrierenden Räte, sondern an die Allgemeinheit richten sollte, um weiteren Remonstrationen von dritter Seite von vornherein den Boden zu entziehen. Eine weitere Zurechtweisung der Oberkonsistorialräte hielt der Minister offensichtlich für entbehrlich, wenn nicht gar kontraproduktiv. Er regte daher an, der König solle in einer das Religionsedikt ergänzenden „Declaration“ klarstellen, daß „die Vorschrift, nach den Symbolischen Büchern treu und gründlich zu lehren, nicht anders verstanden [werden solle], als daß die heilige Schrift der erste und entscheidende Grund des christlichen Glaubens sey und bleiben müße.“227 Mit dieser – zu Recht auf Beruhigung der künstlich aufgeregten Situation abzielenden – Taktik konnte sich Dörnberg in der Ad-hoc-Kommission jedoch nicht durchsetzen, da auch Carmer eine – vermutlich schärfere228 – Resolution vorbereitet hatte. Die Konferenz der königlichen Staatsminister am 16. September galt. „Da ich auch vernehme, daß die Preßfreyheit in Berlin in Preß-Frechheit ausartet und die Bücher Censur völlig eingeschlafen ist: mithin gegen das Edikt allerlei aufrührerische Scharteken gedruckt werden, so habt Ihr gegen die Buchdrucker und Buchhändler sofort Fiscum zu excitiren und Mir übrigens auch Vorschläge zu thun, wie die Bücher-Censur auf einen beßeren Fuß eingerichtet werden kann. Ich will meinen Unterthanen alle erlaubte Freiheit gern accordiren, aber Ich will zugleich Ordnung im Lande haben, welche durch die Zügellosigkeit der jetzigen so genannten Aufklärer, die sich über alles hinwegsetzen, gar sehr gelitten hat.“ (in der gleichen Kabinettsorder an Carmer). Mit den „Scharteken“ waren vermutlich die im August 1788 zunächst anonym veröffentlichten Schriften Riems und Villaumes gemeint; näher hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 118 ff. 224 Kabinettsorder vom 10. September 1788 an Woellner; abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 23. 225 Cf. das Zitat supra Fn. 214 (in diesem Kapitel). 226 Cf. das Konferenzprotokoll vom 16. September 1788 bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 26. 227 Cf. das Votum vom 15. September 1788 mit Anlage (Entwurf der „Declaration“); abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 24 ff.

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1788 endete daher mit dem Kompromiß, die Remonstranten zur näheren Präzisierung ihrer Eingabe und zu konkreten Vorschlägen für eine „Declaration“ im Sinne Dörnbergs aufzufordern.229 Dabei wurde die „Besorgnis“ der Oberkonsistorialräte, das Religionsedikt könne eine Einschränkung der Gewissensfreiheit mit sich bringen oder gar anstreben, als geradezu abwegig hingestellt; gleichzeitig machte man dem Oberkonsistorium als Ganzem den Vorwurf, die Mißstände im Kirchenwesen durch Vernachlässigung der Amtspflichten, insbesondere durch fortwährenden Schlummer, mit verursacht zu haben.230 VI. Die ergänzende Eingabe der Oberkonsistorialräte In ihrer erneuten Stellungnahme vom 1. Oktober 1788231 verwiesen die Remonstranten auf die seit langem in Preußen geübte Maxime, die Kontroversen unter den evangelischen Konfessionen nicht zu pflegen, sondern bewußt auf gegenseitige Angriffe und Schmähungen zu verzichten und statt dessen die gemeinsamen Grundwahrheiten des Christentums als Grundlage eines gemeinsamen evangelischen Bekenntnisses zu betonen. Diese Bitte war in der Sache nicht weit von der Linie der – den Oberkonsistorialräten freilich unbekannten – Abhandlung Woellners über die Religion entfernt, setzte andererseits jedoch den rationalistischen und christologisch problematischen Tendenzen der „Neologen“ keine Grenze. Sie fand auch nur bei Dörnberg Anklang, der an seiner konzilianten Lösung festhielt und für den Fall, daß „der Herren Concommissarien Excellenzien“ ihm darin nicht folgen mochten, dafür plädierte, die Angelegenheit ohne jegliche Stellungnahme auf sich beruhen zu lassen.232 Die von Carmer behauptete Gleichsetzung von geistlichem und richterlichem Amt wiesen die remonstrierenden Oberkonsistorialräte unter Hinweis auf den Unterschied zwischen den durch die Religion nach Maßgabe der „Absichten des Höchsten“ vorgeschriebenen Gesinnungen einerseits sowie den durch menschliche Gesetze befohlenen „äußerlichen Handlungen“ andererseits zurück; hierdurch durchbrachen sie die preußische Koppelung von geistlichem und juridischem Ressort.233

228 Cf. das spätere Votum Carmers vom 19. Oktober 1788; K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 33 f. 229 Cf. das Konferenzprotokoll; K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 27 oben. 230 Cf. das Antwortschreiben der Ministerialkommission; K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 27 ff. 231 Abgedruckt bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 29 ff. 232 Votum vom 21. Oktober 1788; K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 35. 233 Cf. von Thadden, Hofprediger, S. 127 f., der die Eingabe vom 1. Oktober 1788 jedoch allein Sack zuschreibt.

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VII. Die Resolution der Ministerialkommission Die beiden anderen Minister234 – wohl wissend, daß der König auf der Bindung an die symbolischen Schriften bestand – überstimmten Dörnberg bei der Entscheidung über das weitere Vorgehen. In ihrer – von Dörnberg erst nach mehrmaliger Aufforderung Carmers und zur Vermeidung königlicher Ungnade mitgezeichneten235 – Resolution vom 24. November 1788236 hieß es mit gutem Grund, die Gefahr einer Überordnung der Bekenntnisschriften über die Heilige Schrift bestehe nur, „wenn in den Symbolischen Büchern etwas als GrundWahrheit der christlichen Religion behauptet wäre, wovon das Gegentheil durch vollkommen klare und deutliche Aussprüche der Schrift zu erweisen stände“.237 Zwar sei die Trüglichkeit und Abänderlichkeit der symbolischen Schriften einzuräumen. Doch folge hieraus weder die Befugnis einzelner Prediger und Geistlicher dazu, die wesentlichen Grundlehren der christlichen Religion auf der Grundlage der heiligen Schrift und ohne Bezugnahme auf die Bekenntnisschriften für sich verbindlich festzulegen, noch eine Befugnis zu willkürlicher, eigen234 Woellner machte im Vorfeld der Resolution deutlich, daß er sich durch den Tadel der Remonstranten, das Edikt entspreche nicht dem gewöhnlichen Gebrauch der Landessprache, persönlich getroffen fühle. Dies deutet darauf hin, daß Woellner zwar nicht der geistliche Urheber des Religionsedikts, wohl aber der Entwurfsverfasser ist. Cf. die Bemerkung in einem undatierten (zwischen dem 8. und dem 20. November 1788 verfaßten) Votum bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 36 oben. Cf. auch Stölzel, Svarez, S. 257. Woellner behielt sich deshalb vor, seiner Verärgerung darüber in einem gesonderten Reskript an die Remonstranten Ausdruck zu verleihen. 235 Cf. den Briefwechsel zwischen Dörnberg und Carmer vom November 1788; K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 36 ff. 236 Abdruck bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 38 ff. Cf. dazu auch Stölzel, Svarez, S. 257 mit Anm. 1, der den Entwurf hierzu mit guten Gründen Svarez zuschreibt. 237 Zitiert nach K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 41. Diesen Beweis zu führen, war schlechterdings unmöglich. Die Minister zeigten völlig richtig auf, daß es um ein Problem der Vermittlung ging. Es kam vernünftigerweise einzig und allein darauf an, die symbolischen Bücher wie seit jeher im Einklang mit den Grundwahrheiten des Christentums zu interpretieren und ihre Inhalte wie schon immer so zu vermitteln, daß dem wahren Glaubensgehalt kein Abbruch geschah. Indem die Kritik am Religionsedikt die symbolischen Bücher der Lutheraner zu Häresien und die Forderung, sie weiterhin der Verkündung zugrunde zu legen, zu einem Verlangen nach Verleugnung des wahren Glaubens stilisierte, enthüllte sie sich als eine Hysterie ohne jedes Maß und jede Vernunft. Auf Seiten der Lutheraner – bei den Reformierten lief es glücklicher – versagten die der Aufklärung zuneigenden hohen Kirchenfunktionäre sich ihrer Aufgabe, den ihnen nahestehenden Geistlichen und Gemeindemitgliedern zu helfen, die Fortentwicklung der Theologie mit dem Bewahren der alten Glaubensschriften zu vereinigen. Statt dessen stellten sie die aufgeklärten Prediger in fälschlicher Weise vor die angeblich unausweichliche Alternative, entweder zu schweigen oder den symbolischen Büchern folgend zu heucheln. Wären sie – wie es der Zopfschulze denn auch tat – in gleicher Weise mit der Bibel verfahren, dann hätten sie auch die Bindung an die Heilige Schrift für eine Zumutung erklären müssen, da sie in der trügerischen Sprache der Menschen verfaßt und in den Horizont der Menschen eingepaßt ist, die sie jeweils niedergeschrieben hatten.

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mächtiger Anpassung der symbolischen Bücher an die Erfordernisse geänderter Zeitumstände. Es gehe hierbei nämlich um den öffentlich angenommenen Lehrbegriff der jeweiligen Kirche zu den Grundwahrheiten ihrer Konfession. Damit forderte Carmer offensichtlich, daß die Adaption und Fortentwicklung der symbolischen Bücher durch eine Entscheidung der Kirche legitimiert werden müsse und gerade nicht der Entscheidung des individuellen Predigers überlassen werden könne, auch nicht mit Blick auf dessen Gewissensfreiheit.238 Das Bestehen des Staates darauf, daß jeder Religionslehrer sich im öffentlichen Lehrvortrag „nach den Symbolen der Kirche, zu welcher er sich einmal bekannt hat“, zu richten habe, stelle lediglich die Ausübung des staatlichen Rechts der Oberaufsicht über die öffentlich aufgenommenen Korporationen dar.239 Da der Staat darauf zu achten habe, daß die Korporationen und deren Organe sich im Rahmen des mit dem Staat geschlossenen Grundvertrages bewegten, habe er auch sicherzustellen, daß die Lehrer einer Religionsgesellschaft sich beim öffentlichen Gottesdienst nicht eigenmächtig von dem Symbol, das die Gesellschaft ja gerade als Religionsgesellschaft auszeichne, abwichen. Die anderenfalls drohende Willkür in der christlichen Verkündigung könne in der Bevölkerung Unsicherheit und Zweifel über die „Religions-Wahrheit“ hervorrufen und sich auch auf Aspekte der christlichen Lehre auswirken, die für die Aufrechterhaltung von Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der bürgerlichen Gesellschaft von maßgeblicher Bedeutung seien.240 Abschließend wurden die remonstrierenden Räte daran erinnert, daß die Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe den Konsistorien und damit letztlich auch ihnen übertragen und gewissenhaft wahrzunehmen sei.241

238 Nach der in Preußen bestehenden Kirchenverfassung kam insoweit nur eine Entscheidung durch das Kirchenregiment des Königs, ggf. unter Beachtung des consensus ecclesiae, in Betracht. Schon im ersten Schreiben an die Remonstranten hatte Carmer zur Verdeutlichung dieses Zusammenhangs die nicht unproblematische Parallele zwischen Predigern und Richtern herangezogen (cf. K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 28 f.; näher dazu supra Teil II, Kapitel 1, E. II.). Tatsächlich war es dem Geistlichen möglich, den Weg zu gehen, den Carmer vorgeschlagen hatte, wenn die Bindung an die symbolischen Bücher und die Verkündung der Wahrheit nicht ernsthaft im Widerstreit lagen und es lediglich um unwesentliche Randverzierungen des Ritus ging. Nur unter dieser Einschränkung hatte es Kant im Aufklärungsaufsatz für möglich gehalten, daß ein Geistlicher sein Amt in einer Kirche behielt, deren Bekenntnis er nicht folgen konnte. Anderenfalls müsse er sein Amt niederlegen. 239 Hier wird der Einfluß Svarez’, der die Ausübung des Kirchenregiments gerne in gesellschaftsrechtliche Strukturen kleidete (cf. die Darstellung in den Kronprinzenvorträgen, infra Kapitel 3, D.) besonders deutlich. 240 Cf. die entsprechende Passage bei K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 39 f. 241 K. H. Sack, Urkundliche Verhandlungen, S. 42 f.

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VIII. Die Reaktion der Remonstranten und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit Es scheint, daß die Oberkonsistorialräte die Zurückweisung ihrer Bedenken und die Ermahnung zur getreuen Pflichterfüllung nicht ernst nahmen. Dieser Eindruck ergibt sich jedenfalls aus den kurzen Bemerkungen, welche die Räte der unter ihnen zirkulierenden Ministerialresolution hinzufügten. Insbesondere die Bemerkung Büschings, das Erforderliche getan zu haben und nun schweigen zu können und zu müssen, läßt nicht darauf schließen, daß er sich mit Eifer seinen in der Resolution beschriebenen Amtspflichten zu widmen gedachte. In der Öffentlichkeit wurde der Kritik der Oberkonsistorialräte zeitweilig außerordentliche Wirkung zugeschrieben. „Dem Vernehmen nach ist dem preußischen Religionsedikt vom 9. Julius durch ein königliches Reskript aus dem Staatsrat, die gesetzliche Kraft wieder genommen. Keiner von den Predigern, die um ihre Dimißion ansuchten, hat sie erhalten, auch war sonst noch keine Wirkung jenes Edicts sichtbar geworden. Man schreibt dies den vereinigten edlen Bemühungen und Vorstellungen der berühmten und aufgeklärten Minister zu, die der König gebilligt und befolgt haben soll.“242 Diese Darstellung war insofern zutreffend, als das Religionsedikt tatsächlich nicht in der Schärfe zur Anwendung gelangt war, die von seinen Kritikern aufgrund mancher Formulierungen befürchtet und von den radikalen Orthodoxen, die mit dem religionspolitischen Skandal kalkuliert hatten, sogar erhofft worden war. Vielmehr blieb das Edikt über ein Jahr lang – abgesehen von der öffentlichen Diskussion und den damit verknüpften Straf- und Disziplinarverfahren – ohne die erwartete oder gewünschte Wirkung. Was in der Öffentlichkeit und auch in der Historiographie nicht gesehen wurde243, war die Ursache dieser zurückhaltenden Anwendung und Umsetzung des Religionsedikts, nämlich die Liberalität Woellners und dessen stetige Bemühungen um Ausgleich und Verständigung zwischen den verfeindeten Lagern. Nur so läßt sich auch die – für sich betrachtet unsägliche – Begebenheit erklären, bei welcher der angeblich reaktionäre Woellner als Pate bei einer von Diterich nach freiem, d. h. rationalistischem Ritual vollzogenen Taufe fungierte.244 Selbst das gegen den Zopfschulzen erneut in Gang gesetzte Verfahren verlief zunächst ergebnislos, da es von Woellner über drei Jahre lang verschleppt wurde.245 Zu erinnern ist auch daran, wie es Woellner gelang, durch taktische Verfahrensverzögerungen und teilweise Eigenmächtigkeiten den im 242

Gothaer Gelehrte Zeitungen vom 28. September 1788. Cf. die Nachweise supra Fn. 31 (in diesem Kapitel). 244 Cf. den bereits erwähnten Briefe Berens’ an Kant (Berlin, 25. Oktober 1788): „Die Edikte der Religionsminister haben nicht den geringsten Effekt. Dietrich hat natürlich ein Kind nach freiem Ritual getauft, wobei der Minister Woellner Gevatter war.“ (Abdruck: Kant, Briefwechsel I, S. 552–554). 245 Cf. hierzu infra Kapitel 2, D. I./II. 243

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Gebiet von Minden ansässigen Quäkern den Status als zum Privatgottesdienst sowie hinsichtlich der Lebensform geduldete Sekte zu verschaffen, was zwar nicht dem Religionsedikt, jedoch dem erklärten Willen des Königs widersprach.246 Spalding erklärte nach der Zurückweisung der Eingabe seinen Rücktritt, woraufhin er jedoch nicht entlassen, sondern emeritiert wurde.247 Sein Nachfolger im Oberkonsistorium wurde der Prediger an der Marienkirche Zöllner, den Woellner dem König zur Ernennung vorgeschlagen hatte. Schon ein Jahr zuvor – als Woellner noch nicht Minister war – hatte dieser Zöllner die Zusage gemacht, sich bei der nächsten Vakanz einer entsprechenden Stelle für seine Berufung einzusetzen. Zöllner – Schwiegersohn des Oberkonsistorialrates Diterich, der an der Zusammenstellung des umstrittenen Gesangbuchs beteiligt war – hatte 1783 zusammen mit Biester, Gedike und Irwing die Mittwochsgesellschaft begründet. Ein Jahr zuvor hatte er sich geschmeidig genug erwiesen, den König mit der Gräfin Voß (Ingenheim) zur linken Hand zu trauen, obwohl dieser rechtmäßig mit der Prinzessin Friederike Luise von Hessen-Darmstadt verheiratet war.248 Gleichwohl verdient es Beachtung, daß Woellner – was der ihm in der Öffentlichkeit unterstellten restaurativen Tendenz entsprochen hätte – nicht den Versuch unternahm, statt des aufklärerischen Spalding einen konservativen Geistlichen im mehrheitlich oppositionellen Oberkonsistorium zu plazieren. Vielmehr spricht diese Maßnahme – in der Zusammenschau mit anderen Gelegenheiten, bei denen Woellner den Weg des Ausgleichs und des Kompromisses suchte – dafür, daß er der neologisch-rationalistischen Gruppe im Oberkonsistorium, die in ihm einen erbitterten Gegner sah249, ein Zeichen der Bereitschaft zur Kooperation geben wollte. Dieses Signal blieb jedoch ungehört.

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Näher hierzu Krause, Ära Woellner, S. 104 f. m. N. Cf. Philippson, Geschichte I, S. 225. 248 Nach dem Tode der Gräfin Ingenheim vollzog Zöllner im April 1790 auch die weitere Trauung des Königs zur linken Hand mit der Gräfin Sophie Dönhoff. Näher hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 111. Cf. auch Abegg, Reisetagebuch, S. 292: „Zöllner wußte sich in der Zeit Woellners wohl zu nehmen.“ 249 s. hierzu bereits die Einleitung zum Zweiten Teil dieser Arbeit. Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 378, hat zum ersten Mal auf die Fehleinschätzung der gebildeten Schichten Preußens hingewiesen: „Das Eigenartige dabei war, daß das Hauptcontingent dieser Gegner königliche Beamte waren, in hohen Stellungen und zum Theil dazu berufen, jene Edicte, die ja als Gesetze gelten mußten, anzuwenden. Noch wunderbarer ist es, daß keinem dabei auch nur der Gedanke kam, sich in Auflehnung gegen den König zu befinden, sondern jeder sich der Täuschung hingab, daß man nur gegen Woellner agitire, obschon mehrere königliche Erlasse, in denen dessen Standpunkt völlig getheilt war, diese Täuschung hätten beseitigen müssen.“ Im übrigen spricht auch die aus dem Gesangbuchstreit herrührende ausgeprägte Sorge Friedrich Wilhelms II. vor einem Ministerialdespotismus (cf. supra Teil II, Kapitel 1, G. IV.) gegen eine vom König bewußt oder unbewußt tolerierte Günstlingsherrschaft, insbesondere gegen eine Bevormundung durch Woellner. 247

Zweites Kapitel

Die kirchenpolitischen Kontroversen der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. im Anschluß an das Religionsedikt Die Kontroversen um die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. haben sich in der heftigen Kritik am Religionsedikt nicht erschöpft. In den verbleibenden neun Jahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. kam es zu flankierenden Maßnahmen, die angesichts der kaum spürbaren praktischen Konsequenzen des Religionsedikts den dort eingeschlagenen kirchenpolitischen Kurs verstärken und damit auch dem Edikt selbst zum Erfolg verhelfen sollten. Daß diese Maßnahmen – vor allem die Einführung eines neuen Landeskatechismus und die Erarbeitung eines Prüfungsschemas für die Predigerkandidaten (Schema Examinis) neue Auseinandersetzungen zwischen dem König, seinen Ministern und dem lutherischen Oberkonsistorium nach sich zogen, kann nicht verwundern.1 Diese Konflikte kulminierten in der ausgedehnten Kontroverse um die Immediat-Examinations-Kommission, die sich über mehrere Jahre hinzog und nahezu alle wichtigen Organe und Behörden der Staatsleitung erfaßte. Schließlich bietet das – seitens der Verteidigung als öffentlicher Prozeß um die Verbindlichkeit des Religionsedikts und der symbolischen Bücher geführte – Irrlehreverfahren gegen den Prediger Schulz Gelegenheit, einige wesentliche Charakteristika der religions- und staatspolitischen Praxis im aufgeklärt-absolutistischen Preußen und damit der Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II. aufzuzeigen.

A. Der Katechismusstreit Der Streit um die verbindliche Einführung eines lutherischen Landeskatechismus2 läßt das unklare Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments durch 1 Wie schon bei der Auseinandersetzung um das Religionsedikt als solches fällt auf, daß der Widerstand gegen die kirchen- und religionspolitischen Maßnahmen des Königs fast ausschließlich von Seiten der Lutheraner kam. S. bereits supra Teil II, Kapitel 1, Fn. 190. 2 Ausführlich zur Geschichte aus zeitgenössischer Sicht die Schrift „Prüfende Anmerkungen zu der Herzliebschen Schrift: Ist ein allgemeiner Landeskatechismus nöthig? nebst der Gebhardschen, in Berlin noch immer verpönten, Gegenschrift, Prüfung der Gründe usw. ganz abgedruckt und ebenfalls mit Anmerkungen versehen; und end-

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die preußische Staatsleitung und die Problematik seiner Ausübung unter den Bedingungen der damaligen Zeit ebenfalls deutlich werden. Hinzu kommt, daß der Religionsunterricht gleichsam im Schnittbereich von Glaubensvermittlung und staatlicher Bildungspolitik, mithin von geistlicher und weltlicher Sphäre liegt und daher die problematische Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Autorität des Landesherrn in besonderer Weise berührt ist. I. Ausgangssituation Die christliche Erziehung der Jugend lag Friedrich Wilhelm II. – wie seinen Vorgängern, die dem Schulwesen sowohl im Bereich der Zivilgesellschaft als auch im Militär besondere Aufmerksamkeit hatten zuteil werden lassen3 vom Beginn seiner Regierungszeit an am Herzen. Bereits in einer Kabinettsorder vom 26. Juli 1787, ein Jahr vor dem Amtsantritt Woellners im Geistlichen Departement, schrieb er an den Präsidenten der Breslauer Oberamtsregierung und des Breslauer Oberkonsistoriums, Seidlitz: „Ich bin mit Euch vollkommen einerlei Meinung, daß die Grundsätze des Christentums, vornehmlich jüngeren Gemütern eingeprägt werden müssen, damit sie bei reifern Jahren einen festen Grund ihres Glaubens haben. Ich hasse zwar allen Gewissenszwang und lasse jeden bei seiner Überzeugung; aber das werde ich nie leiden, daß man in meinem Lande die Religion Jesu untergraben, dem Volke die Bibel verächtlich mache, und das Panier des Unglaubens, des Deismus und Naturalismus öffentlich aufpflanze.“4 Der Entschluß, zwecks Aufrechterhaltung eines hohen religiösen Bildungsstandards sowohl für die lutherischen als auch für die reformierten Schulen ein lich ein Auszug aus den darüber bei dem K. P. Kammergericht in dem merkw. Ungerisch-Zöllnerischen Censurprozeß verhandelten Akten. Rinteln in der Expedition der theologischen Annalen, Leipzig in Commission bey Barth, 1792“. Diese Schrift war in Preußen frei verkäuflich. 3 Das trifft – wie dargestellt – auch auf Friedrich den Großen mit der Maßgabe zu, daß bei ihm christliche Bildung und daraus resultierende Moralvorstellungen und Verhaltensweisen aus Gründen der Staatsraison, nicht aber aus persönlicher religiöser Überzeugung erwünscht waren. 4 Zitiert nach: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 82. Zu den Maßnahmen s. a. Grünhagen, Kampf gegen die Aufklärung, S. 8 ff., mit dem Hinweis, daß Seidlitz bereits in einer Eingabe vom Frühjahr gefordert hatte, daß der Lehrer „sich nicht bloß äußerlich dem reinen Lehrbegriff confirmire, sondern, wie er bei seiner Anstellung sich verpflichtet, bei dem was die heilige Schrift unleugbar behaupte bleibe, ohne sich jemals eines Hanges zu Neuerungen (von welchen sich so Viele zum großen Verfalle der Religion unter dem Volke hinreißen zu lassen) schuldig zu machen.“ Seidlitz war ein enger Freund Carmers und scharfer Gegner von Zedlitz, er setzte sich später zweimal gegen Berliner Versuche, seine Selbständigkeit zu beseitigen, erfolgreich zur Wehr. Näher hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 230 f., 285, der auf S. 294 die Eingabe abdruckt, aufgrund der traditonellen Voreingenommenheit der Historiographie mit der Behauptung, Woellner sei der Initiator gewesen. Zu dieser Behauptung s. auch Schwartz, Kulturkampf, S. 173.

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verbindliches Religionsbuch vorzuschreiben, fiel spätestens Anfang 1789.5 Dabei genoß die Arbeit an einem uniformen Lehrbuch für das lutherische Schulwesen – offenbar wegen dessen größerer praktischer Bedeutung – Vorrang.6 Das Projekt stellte im Prinzip kein Politikum dar, zumal bereits in der Visitaitons-Instruktion vom 5. März 17157 die Einführung eines „General Catechismi“ angekündigt worden war und selbst Friedrich II. im General-Land-Schul-Reglement verbindliche Anordnungen über die im Religionsunterricht verwendeten Bücher getroffen hatte.8 Neu war jedoch der Plan, ein Lehrbuch erstmals exklusiv verbindlich vorzuschreiben, ebenso die dem neuen Lehrbuch zugrundeliegende dogmatisch-ideologische Richtung. Außerdem war das Verhältnis zwischen den widerstreitenden Fraktionen der Orthodoxen und Neologen – anders als 1763 – durch den vorausgegangenen, aber noch schwelenden9 Gesangbuchstreit belastet. Problematisch war hierbei, daß der König in Ermangelung eigener theologischer Sachkunde10 – dieses Manko wurde, da Friedrich Wilhelm II. wie alle brandenburgisch-preußischen Herrscher nach 1614 dem reformierten Bekenntnis angehörte, durch seine Konfessionsverschiedenheit noch verstärkt – außerstande war, eine kompetente Entscheidung über das für den lutherischen Religionsunterricht angemessene Lehrwerk zu treffen. Dies galt auch für seinen Religionsminister Woellner, der zwar studierter Theologe war und einige Jahrzehnte zuvor in der Seelsorge gearbeitet hatte, auf diesem Feld aber seit dieser Zeit keinerlei praktische Erfahrung und überdies auch keine pädagogische Kompetenz besaß und daher für die Erarbeitung eines Katechismus ausschied. Auch war Woellners Geistliches Departement nicht als ein Ministerium im modernen 5

Cf. Henke, Beurteilung, S. 516. Cf. Henke, Beurteilung, S. 516: „Für die größere Parthey, die Lutherische, sollte zuerste gesorgt werden. Diese Angelegenheit ward aber so weitläufig, daß die reformierte ihr zuvor kam.“ 7 Mylius, CCM I/1, Sp. 513–522. 8 General-Land-Schul-Reglement vom 12. August 1763; NCC III, Sp. 265–282; hier: § 20 (Sp. 277 f.). Es war nicht etwa ein bestimmtes Werk – etwa das des älteren Hecker – exklusiv vorgeschrieben, sondern mehrere Werke waren zum Einsatz neben verschiedenen kommentierten Ausgaben der heiligen Schrift sowie dem lutherischen Katechismus zugelassen. Insgesamt läßt sich im Preußen des 18. Jahrhunderts die einheitliche Verwendung eines bestimmten Katechismus nicht feststellen; vielmehr herrschte eine kaum überschaubare Vielfalt. Noch 1804 gelangte Zöllner zu der Feststellung, in ganz Preußen bediene sich ein Lehrer „eines Buches, welches ihm am besten gefällt und allenfalls in der Nähe am leichtesten zu haben ist; auch giebt wol der Prediger dem Schullehrer ein Buch in die Hand, welches er selbst geschrieben hat oder doch für vorzüglich hält.“ (Ideen über National-Erziehung, S. 264 f.). Ausführlich hierzu Ganzen Neugebauer, Absolutistischer Staat, S. 435 ff. m.w. N. 9 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 110 f. m. N. Cf. hierzu auch infra Fn. 239 (in diesem Kapitel). 10 Der Entwurf des Religionsedikts wird Friedrich Wilhelm II. an die Grenzen seiner theologischen, aber auch juristischen Fähigkeiten geführt haben. 6

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Sinne anzusehen; eine Ministerialbürokratie, aus welcher er fachlich kompetente Zuarbeiter hätte heranziehen können, war nicht vorhanden. Die von seinem Vorgänger von Zedlitz gepflegte Praxis, auf eigene Kosten einen qualifizierten Privatsekretär anzustellen, hatte Woellner aus finanziellen Gründen – er war nicht so vermögend wie von Zedlitz – nicht fortsetzen können. Der Rückgriff auf den ihm – ebenso wie den anderen Justizministern – zugeordneten Geheimen Oberjustizrat verbot sich wegen dessen zeitlicher Beanspruchung durch sonstige Amtspflichten; außerdem fehlte diesem als Juristen ebenso wie Woellner selbst die nötige Sachkompetenz. Es kann daher nicht verwundern, daß Woellner sich aus den Reihen des Kollegiums, dessen Leitung ihm als Minister übertragen war, Unterstützung verschaffte.11 Dem Projekt lag auch ersichtlich keine bloß restaurative Tendenz des Königs oder seines Ministers zugrunde, da es zu diesem Zweck vollkommen ausgereicht hätte, auf die beiden Katechismen Luthers zu verweisen und darüber hinaus an die nach wie vor gültigen Bestimmungen des General-Land-Schul-Reglements Friedrichs des Großen vom 12. August 1763 zu erinnern.12 II. Kontakt zwischen Woellner und Diterich Das Mitglied des Oberkonsistoriums, dessen Mitarbeit Woellner für erstrebenswert hielt, war Johann Samuel Diterich, der außerdem als Archidiakon an der Marienkirche tätig war und der Berliner Mittwochsgesellschaft angehörte. Als Vertreter der Aufklärung hatte er an dem neuen Gesangbuch, das den zur Regierungszeit Friedrichs des Großen begonnenen und auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht vollständig beigelegten Gesangbuchstreit ausgelöst hatte, mitgewirkt und bei der Kritik am Religionsedikt zu den Wortführern gezählt, galt aber insgesamt als gemäßigt. Woellners Versuch, ihn für die Mitwirkung am neuen Landeskatechismus zu gewinnen, darf daher auch als Ausdruck des Bemühens angesehen werden, den Konflikt zwischen ihm und den überwiegend radikal aufgeklärten Mitgliedern des Oberkonsistoriums zu entschärfen und eine konstruktive Zusammenarbeit zu ermöglichen.13 11 In ähnlicher Weise wurde auch bei dem Hermes und Hillmer nach deren Berufung in das Oberkonsistorium durch die Instruktion über die Examinations-Kommission erteilten Auftrag verfahren, auf Weisung des Ministers die erforderliche Gesetze und Schriften auszuarbeiten. Hermes und Hillmer wurden – ähnlich wie Svarez als Obertribunalrat – von den allgemeinen Dienstgeschäften des Oberkonsistoriums freigestellt. Cf. die Kabinettsorder vom 14. Mai 1791. Die Idee liegt – in abgeschwächter Form – noch der Instruktion vom 31. August 1791 zugrunde; der Versuch mißlang gleichwohl, weil sich Hermes, Hillmer und Woltersdorf der Subordination entzogen und – gestützt auf direkten Zugang zum König und auf eine kollegiale Verfassung – anstelle sowie unter Umgehung des Ministers entschieden. 12 s. dazu sogleich infra. 13 Cf. hierzu auch Krause, Ära Woellner, S. 100.

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Die Religionslehrbücher Diterichs, vor allem die Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu14, waren die Standardwerke jener Epoche.15 Aus der pietistischen Tradition hervorgegangen, legten die Werke Diterichs einen Schwerpunkt auf das praktische Handeln der Christenmenschen; Symbole und Bekenntnisdifferenzierungen nahmen eine nachgeordnete Stellung ein. Für den vom König intendierten Zweck waren diese Schriften aufgrund ihrer Nähe zum Rationalismus allerdings nicht brauchbar. Es existierte jedoch ein weiteres, der rationalistischen Theologie weniger verpflichtetes katechetisches Frühwerk Diterichs, welches dieser 1754 anonym für den Katechismusunterricht hatte drucken lassen, und das 1787 durch den Berliner Verleger Rellstab unter dem Titel „Entwurf eines kurzen und faßlich katechetischen Unterrichts in der Lehre Jesu“ ohne Zustimmung des Autors16 wieder aufgelegt wurde.17 Bei dieser Ge14 Seit 1772 in mehreren Auflagen bei Nicolai in Berlin und Stettin erschienen. Das Werk war in den oberen Gymnasialklassen weit verbreitet. Ein Auszug des Buches – Auszug der Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu, ab 1774 im gleichen Verlag in mehreren Auflagen – fand in den unteren Gymnasialklassen und sonstigen Schulen Verwendung. 15 Zur Entstehung der Werke Diterichs cf. die verbreitete, eindeutig mit den neologischen und rationalen Theologen sympathisierende, Woellner zweifellos bekannte Darstellung von Ulrich („Religionszustand“): „Herr Oberconsistorialrath Diterich verfertigte einen neuen Katechismus. Schon diese Bemühung hatte ihren Nuzen, ob er gleich nicht so ausgebreitet seyn konnte als der, den die zweite Ausgabe bewirkte und immer noch bewirkt. – In jenem waren noch zu viele spekulativistische Lehren der Kirche eingemischt, [. . .] Jedoch, aufgemuntert durch Freunde und Gelehrte beschenkte er Berlin mit einem zweiten, den er Unterricht zur ewigen Glückseligkeit nach der Lehre Jesu nannte.“ (S. 201) „Bey solchen auffallenden Vorzügen mußte dieser Katechismus bei den erleuchteten Berlinern Beifall finden.“ (S. 203) „Zum Nutzen ganz einfältiger Christen machte Herr Diterich aus diesem Unterricht einen Auszug (auf einem Bogen, wenn ich nicht irre). – Und diesen kleinen Auszug wünschte ich von der Obrigkeit als eine Anweisung für die Grundschulen autorisirt zu sehen. – Ich weiß wohl, daß auf der Realschule ein dergleichen Unterricht verfertigt worden ist [. . .] Ob dieser aber die Vollkommenheit habe, die der Diterichsche hat?“ (S. 203/204; Hervorhebung hinzugefügt; bei dem verglichenen Katechismus handelt es sich um das Werk Heckers). „[I]n den Provinzen wird Diterichs Katechismus nach und nach auch eingeführt“ (S. 205). Für die Gymnasien hatte Ulrich übrigens ebenfalls ein verbindliches Lehrbuch gefordert (Religionszustand, S. 446). 16 Das war bei einem anonym erschienen Werk zulässig. 17 Daß es sich um ein Werk „des wegen seines Katechismus unsterblich gewordenen Herrn Diterich“ (cf. Ulrich, Religionszustand, S. 198) handelt, steht außer Zweifel (cf. auch Philippson, Geschichte I, S. 237 ff.). K. H. Sack begründet es mit dem Schreiben Woellners vom 28. März 1791 an den König: „das von mir vorgeschlagene Buch, ob es gleich einer von ihnen [eines der protestierenden Mitglieder des Oberkonsistoriums] selbst geschrieben und seine Gemeinde danach unterrichtet hatte“ und durch einen Vergleich mit „Kurzer Entwurf der christlichen Lehre. Berlin 1763 Verlegts Friedrich Nicolai“, das zwar anonym erschienen ist, doch unzweifelhaft von Diterich stammt. Bestätigt wird die Verfasserschaft durch Zöllner, Lebensbeschreibung Diterichs, S. 220 f., sowie die Bemerkung Silberschlags in der Debatte im Oberkonsistorium: „Wie freue ich mich die Schrift meines theuersten Herrn Collegen die Einwendung seines Herr Schwiegersohns vertheidigt zu haben [Zöllner war der Schwiegersohn Diterichs]. Ob jener nachmals anders denkt, das gehet mir nichts an.“ (zitiert

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legenheit wird es Woellner – erneut oder erstmalig – aufgefallen sein.18 Dieses Werk schien aufgrund seiner zurückhaltenderen theologischen Ausrichtung geeignet; auch Friedrich Wilhelm II. zeigte sich einverstanden, obgleich er die Identität des Verfassers nicht kannte. Mit dem neuen Titel „Die ersten Gründe der christlichen Lehre“19 versehen wurde es sogleich von der Hofbuchdruckerei als Landeskatechismus abgedruckt.20 Wahrscheinlich war Diterich bereits mit den erneuten Drucken ungeachtet der urherrechtlichen Unbedenklichkeit nicht einverstanden, erst recht jedoch nicht mit den Plänen für eine weitergehende Verwendung. Die Unterredung zwischen ihm und Woellner, der ihn vermutlich im Frühjahr 178921 bei einer nach Sack, Ministerium Wöllner, S. 423). Hamberger/Meusel, Das gelehrte Teutschland, Band II, S. 66, schreiben das Werk ebenfalls Diterich zu; sie erwähnen noch eine zweite Auflage von 1789 und erklären beide zu Vorauflagen der „Ersten Gründe der christlichen Lehre. Auf Befehl und mit allergnäd. Königl. Preuß. Privilegien, Berlin im Verlag der Realschulbuchhandlung, 1790“, die später einstweilen als verbindlicher lutherischer Katechismus ins Auge gefaßt wurde. 18 Wann Woellner, der das Werk möglicherweise noch aus der Zeit seiner seelsorgerischen Tätigkeit kannte, erfuhr, daß Diterich der Autor war, ist unklar. Daß er erst nach der Vorlage beim Monarchen das Gespräch mit Diterich suchte, ist kein zwingendes Argument für die Annahme, er habe es erst nachträglich erfahren. Es erscheint sogar höchst unwahrscheinlich, daß er die Schrift dem König vorlegte, ohne sich vorher informiert zu haben. Der Nachweis, auf welches Werk und auf welche der verschiedenen Ausgaben Woellner zurückgegriffen hat, ist nicht zu führen, zumal nicht alle in Betracht kommenden Texte verfügbar sind. Ähnliches gilt auch für die verschiedenen Ausgaben des „Katechismus“, die Woellner aufgekauft haben soll, um sie vom Markt zu entfernen. Wahrscheinlich lag den Neudrucken von 1787, 1789 und 1790 (cf. infra) der anonyme Kurze Entwurf der christlichen Lehre (1754) zugrunde. Sollte dieser nicht zugängliche Text die Grundlage des „Katechismus“ gebildet haben, so müßte er freilich mit der „2. Auflage“ (so Hamberger/Meusel, Das gelehrte Teutschland, Band II, S. 66), die ebenfalls anonym unter dem gleichen Titel Kurzer Entwurf der christlichen Lehre, Berlin bei Nicolai 1763 erschien, nur geringe Übereinstimmung aufweisen. Sack hat die Ausgabe des Katechismus von 1790 (nicht andere Drucke des Katechismus) mit der Ausgabe 1763 (nicht mit der Schrift des Jahres 1754) verglichen und dabei festgestellt: „Das Buch (von 1763) hat 160 Seiten und 604 Paragraphen und behandelt die christliche Lehre nicht nur nach derselben Viertheiligkeit, wie die Ersten Gründe, sondern stimmt in einer sehr großen Anzahl von Stellen wörtlich überein mit den Ersten Gründen, nur daß das Meiste klarer und bestimmter in den Gedanken, und gebildeter und reiner in der Sprache ist; gerade so, wie man es sich von den Fortschritten, die der Verfasser nach einer Reihe von Jahren in Auffassung und Sprache gemacht haben konnte, erwarten läßt. In Bezug auf den Inhalt steht der ,kurze Entwurf‘ ebenfalls auf supernaturalistischem und kirchlichem Standpunkt, ist aber im Ganzen und in der Form ein besseres Buch als die ersten Gründe.“ (Ministerium Wöllner, S. 417). Die Schrift von 1763 war demnach viel stärker als die „Ersten Gründe“ im Druck bei Decker (48 S.) und bei der Realschulbuchhandlung (60 S.). 19 Berlin 1789, gedruckt bei Decker und Sohn. 20 Ohne Angabe des Verfassers und des Druckjahres, cf. Henke, Beurteilung, S. 512 und 513; daß diese Ausgabe mit der von Hamberger/Meusel, Das gelehrte Teutschland, Band II, S. 66, für 1789 genannten Auflage identisch ist, kann nicht festgestellt werden, ist aber anzunehmen.

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zufälligen Begegnung22 ansprach, um ihm mit vieler Freundlichkeit große Lobsprüche über einen kleinen Entwurf des letzteren zu einem christlichen Lehrbuch vorzusagen, welches er mit großem Vergnügen gelesen, dem Könige selbst bekannt gemacht und von demselben sowohl die Bezeugung eines gleichen Wohlgefallens, als auch die Einwilligung, diesen Katechismus unter öffentlicher Autorität allgemein einzuführen erhalten hätte, war daher nicht von Herzlichkeit und Einvernehmen geprägt. Dem Wunsch und der Hoffnung, daß Herr D. nichts dawider haben würde ihn als Verfasser dem Könige zu nennen, und den beschlossenen Gebrauch seines Werkes zu genehmigen23, konnte Diterich nichts abgewinnen, da er sich vom Inhalt der – zu keinem Zeitpunkt für eine größere Verbreitung gedachten und daher nicht durch den Buchhandel vertriebenen24 – Schrift aufgrund der Diskrepanz zu seiner mittlerweile gewonnenen theologischen Auffassung distanzieren müsse.25 Als Frühwerk sei die Schrift „unvollkommen und zu dem angedeuteten Zweck durchaus untauglich“, weshalb er sich von ihr auch öffentlich distanzieren werde, falls sie nochmals gedruckt und er als ihr Autor identifiziert werde. Eine derartige Distanzierung hätte freilich den Konflikt zwischen dem Minister und den rationalistisch eingestellten Oberkonsistorialräten nicht gemildert, sondern noch weiter verschärft und Diterich beim König, wo er als Vertreter des oppositionellen Flügels nicht wohlgelitten war, zusätzlich geschadet. Gleichzeitig hätte dieser Schritt eine erhebliche Abwertung des Katechismus bedeutet und darüber hinaus die Amtsführung des Religionsministers Woellner in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen. Der von diesem ersonnene Plan war damit undurchführbar geworden. Selbst für eine mögliche Kompromißlösung, in deren Rahmen Diterich das vorgesehene Werk vor der Veröffentlichung als Landeskatechismus hätte überarbeiten können, war der Autor nicht zu gewinnen.26 21 Der Zeitpunkt im Herbst 1789, den Schwartz nennt, liegt nach Befassung der theologischen Fakultäten, und dürfte deshalb viel zu spät angesetzt sein, wahrscheinlich fand das Gespräch im März 1789 statt. 22 Eine ausführliche Schilderung der Begebenheit findet sich bei Schwartz, Kulturkampf, S. 156 f. 23 Spalding, Lebensbeschreibung, S. 124 ff. 24 Dies traf für die zweite, bei Nicolai erschienene Auflage, nicht mehr zu, was zusätzlich darauf hindeutet, daß den „Ersten Gründen“ die erste Auflage zugrundelag. 25 Es handele sich um eine Schrift, die er in seinen „jüngeren Jahren, bald nach dem Antritt seines Predigtamtes theils seinen damaligen, lange noch nicht berichtigten Einsichten gemäß, theils auch mit furchtsamer Bequemung nach der zu solcher Zeit überall herrschenden Denkungsart geschrieben habe, selbst damals sei sie lediglich nur zur Vertheilung unter seine Katechumenen bestimmt, und also in keine Buchläden gekommen“. Zitiert nach Spalding, Lebensbeschreibung, S. 124; cf. hierzu auch Zöllner, Lebensbeschreibung Diterichs, S. 221 mit Anm. „*“. 26 Er brach die Unterhaltung mit Woellner mit der ebenso überflüssigen wie taktlosen Bemerkung ab: „Ich weiß nicht, inwiefern E. Excellenz in diesen Sachen entschei-

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III. Die „Ersten Gründe der christlichen Lehre“ und die Anordnung ihrer Verbindlichkeit Im April 1789 erbat Woellner von den lutherischen theologischen Fakultäten27 in Königsberg, Halle und Wittenberg unter Vorlage von je sechs Exemplaren des Druckes in der Hofbuchdruckerei28 Gutachten zu der Frage, ob die „Ersten Gründe der christlichen Lehre“ mit der lutherischen Orthodoxie vereinbar und somit in den lutherischen Gemeinden Preußens zur Verwendung im Schulunterricht inhaltlich geeignet seien. In ihren Stellungnahmen kamen die Fakultäten zu unterschiedlichen Ergebnissen.29 Die Hallenser Fakultät hielt es für unklar, ob ein fester und unstreitiger Begriff der lutherischen Orthodoxie überhaupt existiere, und distanzierte sich damit bereits von der Fragestellung. Das geprüfte Werk als solches sei zwar – gemessen an dem, was landläufig unter „Orthodoxie“ verstanden werde, nicht streng orthodox ausgerichtet, entspreche aber durchaus dem „Geist der symbolischen Bücher“. Für den Katechismusunterricht sei es aus didaktischen Gründen nicht geeignet.30 Das Gutachten der Wittenberger Fakultät hingegen hielt das Werk für nicht orthodox und kritisierte insbsondere die Darstellung der Abendmahlslehre.31 Der entsprechende Teil wurde daraufhin überarbeitet32; dies geschah vermutlich durch das einzige nicht der Aufklärung zugeneigte Mitglied des Oberkonsistoriums, den Pietisten Silberschlag.33 Dieser führte zudem die Aufsicht über die Realschulden können, da mir zwar Ihre in einem blühenden Stil geschriebenen Predigten bekannt sind, nicht aber ob sie in der geraumen, seitdem verflossenen Zeit die Religion zu einem Gegenstand eifrigen Nachdenkens und Forschens gemacht haben.“ Die fast dreißig Jahre zurückliegenden Predigten Woellners, auf die sich Diterich bezog, waren im gleichen Jahr in Berlin unter dem Titel „Johann Christoph von Woellner, Predigten vom Jahre 1761, nebst einigen merkwürdigen maurerischen Reden“ im Druck erschienen. 27 Die ebenfalls in Preußen liegenden Fakultäten von Duisburg und Frankfurt/Oder waren reformiert. 28 Die Drucklegung mußte daher schon vor April 1789 erfolgt sein. 29 Das Königsberger Gutachten ist verschollen. 30 Die Aussage zur didaktischen Eignung war vom Gutachtenauftrag streng genommen nicht umfaßt. Einzelheiten der Kritikpunkte der Hallenser Fakultät bei Henke, Beurteilung, S. 521. Die Veröffentlichung des Gutachtens erfolgte in den Rintelischen Annalen der neuesten theologischen Litteratur und Kirchengeschichte, Jahrgang 1790, 5. und 6. Woche. 31 Cf. hierzu Henke, Beurteilung, S. 521; Schwartz, S. 164. 32 Näher hierzu Henke, Beurteilung, S. 521, der freilich in der überarbeiteten Version nur marginale Veränderungen feststellt; ferner Schwartz, Kulturkampf, S. 165. 33 Die Vermutung findet sich bei Henke, Beurteilung, S. 524; dagegen meint Hoffmann, Hermes, S. 80, Diterich habe sich dem Druck des Königs gebeugt und selbst die Überarbeitung übernommen. Die zu einem späteren Zeitpunkt zum Ausdruck gebrachte überschwengliche Begeisterung Silberschlags für das überarbeitete Werk spricht jedenfalls nicht gegen eine Mitwirkung desselben. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 162 f.

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buchhandlung, in deren Verlag die neue Ausgabe publiziert wurde. Daß letzteres deshalb geschah, weil die Realschulbuchhandlung das Privileg für das – im General-Land-Schul-Reglement neben anderen vorgeschriebene – Lehrbuch des älteren Hecker besaß und diese Rechtsstellung im Falle einer anderweitigen Vergabe beeinträchtigt worden wäre, ist wahrscheinlich.34 Die neue Ausgabe wurde alsbald gedruckt.35 Mit einer am 19. Januar 1790 ergangenen Kabinettsorder wurde der von Silberschlag überarbeitete lutherische Landeskatechismus36 für verbindlich erklärt. Darüber hinaus enthielt die Kabinettsorder die Bemerkung: „Ihr Prediger seid Diener der Religion und nicht Herren und Meister derselben. Niemand soll lehren, war er will, sondern das, was vorgeschrieben ist, obgleich ein jeder auf seine eigene Gefahr glauben kann, was er will. Derjenige Prediger und Schullehrer, der sich in diese Ordnung nicht fügen und Meinem Landes=Herrlichen Befehl nicht gehorchen will, muß ohne Anstand seines Amtes entsetzet, und ein anderer an seine Stelle angenommen werden.“37 Hieran fällt auf, daß die Gehorsam verlangende Anordnung des Königs ein „landesherrlicher“ – und nicht etwa ein „bischöflicher“ – Befehl war. Auch wenn die betreffende Regelung in einem Bereich erging, in dem sich weltliche Territorialgewalt (Schulwesen) und geistlicher Kirchengewalt (authentische Fixierung des Bekenntnisses) überschnitten, so deutet sie dennoch auf die unklare Vermischung der beiden Kompetenzbereiche in der Hand des Königs hin. Daß die Verpflichtung der Prediger, als „Diener der Religion“ zu wirken, ausdrücklich mit landesherrlichem Befehl durchgesetzt werden sollte, ist durchaus fragwürdig. Für die Verbindlichkeit der Anordnung hatte dieser Umstand jedoch keine praktische Bedeutung. IV. Der reformierte Landeskatechismus Mit einer zweiten, am gleichen Tag erlassenen Kabinettsorder erhielt der Chef des Reformierten Geistlichen Departements und Präsident des reformierten Kirchendirektoriums, von Dörnberg, die Anweisung, entweder ein neues 34 Cf. Henke, Beurteilung, S. 524 f. Umgekehrt könnte Rellstab mit dem Verlag des reformierten Landeskatechismus – Kurzer Unterricht in der Christlichen Lehre. Mit allgem. Privilegien Berlin, gedruckt und verlegt von Rellstab, o. J. (1790) – entschädigt worden sein, weil er 1787 Diterichs Schrift neu herausgebracht hatte. 35 Der Druck dürfte bereits vor der Kabinettsorder vom 19. Januar 1790 gedruckt vorgelegen haben, die das Werk endgültig billigte. Ihr Druck ist jedenfalls nicht nach dem 9. März 1790 erfolgt, da mit der Kabinettsorder von diesem Tage bereits erwogen wurde, diesen Katechismus wieder fallen zu lassen. 36 Die ersten Gründe der christlichen Lehre. Auf Befehl und mit Allergnädigstem Königlich Preußischen Privilegio. Berlin, im Verlage der königlichen Realschulbuchhandlung. 1790. 37 Es ist offensichtlich, daß die beiden Kabinettsordern vom 19. Januar 1790 nicht am Anfang des Katechismusstreits stehen. Irreführend daher K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 413.

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„amtliches“ Religionslehrbuch für den reformierten Unterricht zu erarbeiten oder aber eines der bisher vorhandenen Werke zur Genehmigung einzusenden. Die Anordnung war ihrem klaren Wortlaut nach nicht nur zur Vereinheitlichung und Überwachung des reformierten Bekenntnisses und seiner lehrmäßigen Verbreitung, sondern auch ausdrücklich gegen aufklärerische Tendenzen in reformierten Predigerkreisen gerichtet.38 In dem neben Dörnberg aus Meierotto, Sack, Friedel und Lipten bestehenden Kirchendirektorium, das von seinem Präsidenten mit der Umsetzung der königlichen Anweisung betraut wurde, regte sich für kurze Zeit deutlicher Widerstand, der jedoch dank des diplomatischen Geschicks seines Präsidenten nicht aufrecht erhalten wurde.39 Unter dem 27. Januar 1790 schlug man dem König die grundsätzliche Beibehaltung des Heidelberger Katechismus vor, da auf diese Weise die Einheit aller Reformierten in Deutschland gewahrt werden könne. Soweit ergänzend eine Bearbeitung herangezogen werden solle, seien die Werke von Pauli und insbesondere von Hering zu empfehlen.40 Der König war einverstanden und erklärte durch Kabinettsorder vom 30. Januar 179041 den Heidelberger Katechismus sowie die zugehörige Kommentierung des Breslauer Hofpredigers und Oberkonsistorialrats Hering42 für verbindlich; gleich38 „Um denen sogenannten Aufklärern auch unter den reformierten Predigern das Handwerk völlig zu legen, habe ich beschlossen, ein einziges allgemeines Lehrbuch zum Unterricht in der Religion für die Jugend der reformierten Konfession in Meinen sämtlichen Landen einführen zu lassen, und befehle Euch demnach, entweder unter den schon vorhandenen Lehrbüchern eins zu wählen, oder aber dergleichen Compendium sofort anfertigen zu lassen und mir zur Autorisation sofort zuzuschicken und alsdann jeden Prediger und Schullehrer bei allen reformierten Gemeinden darauf an zu weisen und strenge darauf zu halten, daß von dieser allgemeinen Vorschrift bei der Strafe der Kassation nicht abgewichen werde.“ Zitiert nach Schwartz, Kulturkampf, S. 158 f. 39 Cf. im einzelnen Schwartz, Kulturkampf, S. 471 f. Hier wird wiederum deutlich, daß die reformierten Kirchenfunktionäre eine größere Flexibilität und mehr diplomatisches Geschick an den Tag legten als ihre lutherischen Kollegen. 40 Bericht Dörnbergs vom 29. Januar 1790, dazu K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 427. 41 „Mein lieber Etats-Minister Freiherr von Dörnberg. Es ist mir sehr lieb, daß Ihr sowol als das reformirte Kirchendirectorium doch selbst einseht, wie nöthig es sei, daß nicht jeder Prediger nach seinen Einfällen die christliche Religion lehre, sondern das solches nach einer allgemeinen Vorschrift geschehen müsse. Ich approbire vollkommen, daß der heidelbergische Katechismus ferner wie bisher die Grundlage des Unterrichts in der reformirten Konfession bleibe, von den mir übersandten Compendiis aber dasjenige, welches der Hofprediger und Oberkonsistorialrat Hering zu Breslau gemacht hat, allenthalben unverzüglich eingeführt werde. Nur befehle ich Euch, daß Ihr so lieb Euch meine Gnade ist, fest darauf haltet und keine neuen Lehrsätze einschleichen lasset; denn ich will von dem Wind der sogenannten Aufklärer nichts wissen, und bin Euer wohlaffectionirter König. Berlin den 30. Januar 1790. Friedrich Wilhelm.“ Zitiert nach K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 427. 42 „Kurzer Unterricht in der christlichen Lehre. Mit allergn. Privileg. Berlin, gedruckt und verlegt von Rellstab (1790)“.

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zeitig wiederholte der König sein Interesse an einer uniformen Lehre sowie am Zurückdrängen der Aufklärung.43 Diese Anordnung wurde umgehend verbreitet.44 V. Die Befassung des Oberkonsistoriums mit den „Ersten Gründen der christlichen Lehre“ Zur Ausführung der Kabinettsorder vom 19. Januar 1790, mit der das auf Diterich zurückgehende, von Silberschlag überarbeitete neue Unterrichtswerk zum verbindlichen Landeskatechismus erklärt worden war, leitete Woellner diese unter Beifügung des neuen Landeskatechismus dem Oberkonsistorium zwecks Kenntnisnahme zu, erließ ein entsprechendes Circulare an alle Konsistorien und ließ – ohne eine etwaige Stellungnahme des Oberkonsistoriums abzuwarten – die erforderlichen Exemplare versenden.45 Die Publikationskompetenz, die nach der Instruktion für das Oberkonsistorium diesem übertragen war, zog er auf diese Weise an sich. Vermutlich hatte er den anstehenden Konflikt bereits vorausgesehen. Die geistlichen Räte46 im Oberkonsistorium fühlten sich bemüßigt, auf das ihnen zur Kenntnis gegebene Werk mit einem Gutachten zu reagieren.47 Auf der Grundlage der Publikationskompetenz begannen sie eine Diskussion über die Kabinettsorder, die Anordnung eines Katechismus und den konkreten Katechismus, wozu sie genauso wenig berechtigt waren wie andere Publikationsbehörden auch.48 Vielmehr hätte es ihrer Eigenschaft als königliche Räte ent43 „Nur befehle ich Euch, daß Ihr, so lieb Euch meine Gnade ist, feste darauf haltet und keine neuen Lehrsätze einschleichen lasset, denn Ich will von dem Wind der sogenannten Aufklärung nichts wissen.“ Zitiert nach Schwartz, Kulturkampf, S. 159. 44 Entsprechendes Circulare vom 5. Februar 1790, NCC VIII Sp. 2883, abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 71– 73. Cf. auch Henke, Beurteilung, S. 516; sämtliche Schreiben abgedr. bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 427. „Der Heidelbergsche Katechismus behauptet noch in den Preußischen Staaten das Ansehen eines symbolischen Buches.“ (Auszug aus des Hrn. geh. Legations=Raths D. Oelrichs historisch=kritischer Nachricht von einer sehr seltenen Ausgabe des Heidelbergschen Katechismus, Berlin 1793. August S. 40 f.); Inwieweit sich der Katechismus durchsetzte, ist unklar, jedenfalls kam es zu keiner Krise zwischen dem reformierten König und dem prinzipiell kooperativen reformierten Kirchendirektorium. 45 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 160, 163. 46 Nach Schwartz, Kulturkampf, S. 162, waren auch die weltlichen Räte beteiligt. Hierfür bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte, insbesondere sind keine Voten der weltlichen Räte überliefert. 47 In welcher Eigenschaft sie ihre Gutachten erstatten, war ebenso unklar wie später im Schulz-Prozeß. Cf. infra Kapitel 2, D. IV. 48 Eine solche Kompetenz konnte sich keinesfalls aus der Zuständigkeit zur Publikation ergeben, anderenfalls hätte sie ebenso von jeder Regierung respektive jeder Kammer geübt werden können.

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sprochen, sich auf die Erteilung eines Ratschlags zu beschränken, statt den König in eine Debatte zu ziehen, in der sie sich als Vertreter der Kirche gegenüber dem Landesherrn gerierten. Ihr Amt und ihre Legitimation hatten sie schließlich vom König erhalten, nicht von der Kirche. In der Sitzung vom 23. Februar 1790 gaben die Oberkonsistorialräte Zöllner (Diterichs Schwiegersohn), Diterich, Spalding, Büsching, Teller, Sack, Gedike, Nagel, Lamprecht und Irwing, der den abwesenden Präsidenten von der Hagen vertrat, negative, zum Teil vernichtende Voten über die Eignung des Buches als verbindlicher lutherischer Katechismus ab.49 Nur Silberschlag war dezidiert anderer Auffassung.50 Mehrheitlich wurde beschlossen, dem König die Bedenken gegen den vorgesehenen lutherischen Landeskatechismus und gegen die Absicht, überhaupt ein verbindliches Lehrbuch vorzusehen, vorzutragen und ihm sämtliche Voten zur Kenntnisnahme zu übersenden.51 49 Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 419 ff. Silberschlag trug daher auch die Eingabe an den König nicht mit (S. 424). 50 Woellner (cf. den Brief Kiesewetters an Kant vom 3. März 1790, bei Kant, Briefwechsel II, S. 135–140) hatte offenbar trotz der Reaktion Diterichs mit dieser einhelligen Ablehnung nicht gerechnet; er sah seine Bemühungen zur Kooperation zurückgewiesen, noch lange später bricht die Enttäuschung aus ihm heraus. „Welch ein Geschrei erhob sich hier von Seiten des hiesigen lutherischen Ober-Consistorii. Man protestirte förmlich: 1. Gegen ein allgemeines Lehrbuch und gab es vor unnütz und schädlich aus, ohnerachtet das von der Höchstseligen Königs Majestät [gemeint ist Friedrich der Große] Land-Schul-Reglement solches bereits von 30 Jahren befohlen und das damalige Consistorium desgleichen weder unnütz und schädlich befunden [und – so wäre hinzusetzen – die jetzt opponierenden Mitglieder zusammen mit Zedlitz zehn Jahre zuvor ein neues Gesangbuch verbindlich gemacht hatten] 2. Vornehmlich gegen das von mir vorgeschlagene Buch, ob es gleich einer von ihnen selbst geschrieben, und seine Gemeine ehemals danach unterrichtet hatte.“ Schreiben an den König, abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 416 f. 51 Cf. den Brief Kiesewetters an Kant vom 3. März 1790 (Kant, Briefwechsel II, S. 135–140): „Im Consistorio hat es mächtigen Streit gegeben; als Woellner die Sache vorgetragen und die Cabinetsordre des Königs, die ich in Abschrift gesehen und die ziemlich hart war, vorgelegt hatte, so mußte Zöllner als jüngster Rat zuerst votieren [Das korrigiert Sack.]. Er sprach mit vieler Wärme dagegen, und alle geistlichen und weltlichen Räthe, den Präsidenten Hagen und Silberschlag ausgenommen, traten ihm bey; vorzüglich ereiferten sich Teller und Dietrich; der letzte sagte mit thränenden Augen, daß er wünsche, nie den Catechismus geschrieben zu haben, der dem neuen zum Grunde gelegt ist, und daß er nie einwilligen werde [Ein weiterer Hinweis darauf, daß der Landeskatechismus auf einer Schrift Diterichs basierte.]. Woellner [Seine Anwesenheit wird weder von Sack noch von Schwartz bestätigt.] sagte, daß man schon Mittel finden werde, sich den Beitritt zu verschaffen; darauf so sagten viele von den Räthen, sie würden sich eher kassieren laßen, als beitreten und Dietrich (ein alter und schwächlicher Greis) stand auf und sagte: Ich habe nur noch wenige Jahre zu leben, und also mache man was man will, aber solange ich noch ins Consistorium kommen darf, werde ich nie einwilligen. Darauf setzte das Consistorium eine Protestation an den König auf, die alle bis auf Hagen und Silberschlag unterschrieben; der letztere hing vielmehr dem Circulare eine 8 Bogen lange Verteidigung des Catechismus (der sein Machwerk ist) an [Das bestätigt die Vermutung Henkes.]. Kiesewetter, der gewiß von einem Mitglied unterrichtet ist – vielleicht durch von Irwing [cf. Kiese-

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Friedrich Wilhelm II. wies die Vorstellung der Oberkonsistorialräte durch die Kabinettsorder vom 9. März 1790 zurück. Die Forderung, auf die verbindliche Anordnung eines Katechismus zu verzichten, sei schon deshalb haltlos, weil ein solcher schon seit dem General-Land-Schul-Reglement Friedrichs des Großen vom 12. August 1763 vorgeschrieben sei.52 Die in den Voten geäußerten Einwände gegen den im Januar für verbindlich erklärten Katechismus seien nicht stichhaltig und durch die Stellungnahme Silberschlags hinreichend widerlegt. Einige der opponierenden Mitglieder des Oberkonsistoriums wurden namentlich scharf zurechtgewiesen. Gleichzeitig wurde dem Oberkonsistorium jedoch die Möglichkeit angedeutet, statt des neuen Landeskatechismus das bislang approbierte Lehrbuch des älteren Hecker verbindlich vorzuschreiben.53 Hierin einen Versuch zu sehen, das Werk dem Oberkonsistorium unter „König Friedrichs Flagge“ als „orthodoxe Kontrebande“ unterzuschieben54, erscheint in Anbetracht der Sachkenntnis zumindest der geistlichen Oberkonsistorialräte allerdings realitätsfremd.55 Eher lag eine Manipulation des Königs vor, dem der alte – längst kanonisierte – Katechismus als der geforderte neue untergeschoben wurde.56 Der Verweis auf Friedrich den Großen konnte freilich nicht zur Täuschung des Monarchen beitragen, da sich Friedrich Wilhelm II. – wie schon die Einleitung zum Religionsedikt zeigt – gerade die Behebung der während der vorherigen Regierung angewachsenen Mißstände zum Ziel gesetzt und den Namen seines unmittelbaren Vorgängers bei der Reminiszenz an seine Vorfahren mit gutem Grund ausgelassen hatte.57 VI. Die Intervention des Domkapitels und der Landstände zu Halberstadt Darüber hinaus regte sich Widerstand von unerwarteter Seite, denn auch gesellschaftliche Institutionen, deren praktische Bedeutung für das politische Leben seit dem 17. Jahrhundert infolge der Entwicklung Brandenburg-Preußens wetters Brief an Kant vom 15. Dezember 1789; bei Kant, Briefwechsel II, S. 112– 117] – wußte sogar noch mehr; er hat noch vor der entsprechenden Ankündigung des Königs von der bevorstehenden Rücknahme des Katechismus gehört: Jetzt sagt man nun einstimmig, der König sei bewogen worden, die Cabinetsordre zurückzunehmen und Woellner habe die ganze Auflage des Catechismus an sich gekauft; und einer meiner Freunde, der nach der Verlagsbuchhandlung der Realschule schickte, um sich einen Catechismus holen zu laßen, hat wirklich keinen erhalten.“ 52 Zur Richtigkeit dieser Behauptung s. bereits supra Teil II, Kapitel 2, A. I. 53 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 164, 166 f. 54 So offensichtlich Schwartz, Kulturkampf, S. 167. 55 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 100, Anm. 41: „Wenn die Oberkonsistorialräte das nicht bemerkten, dann wollten sie es nicht sehen.“ 56 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 100. 57 Cf. bereits supra Teil II, Kapitel 1, C. I. mit Fn. 43.

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hin zum modernen Zentralstaat stetig zurückgegangen war, erblickten in der Auseinandersetzung eine Möglichkeit, eine verlorene politische Funktion zurückzuerobern, indem sie ein Mitentscheidungsrecht geltend machten. So berief sich das Domkapitel von Halberstadt58 auf ein angeblich 1776 verliehenes Recht, die Schul- und Kirchenaufsicht ohne Mitwirkung des Lutherischen Geistlichen Departements auszuüben, womit die verbindliche Anordnung eines Landeskatechismus durch diese Behörde unvereinbar sei. Dieser Einwand konnte schon deshalb nicht überzeugen, weil die behauptete Exemption von der Zentralregierung in Wahrheit gar nicht existierte. Selbst wenn ein solches Privileg des Halberstädter Kapitels bestanden hätte, wäre es von königlichen Immediatentscheidungen – um eine solche handelte es sich hier – überlagert worden. Auch die Halberstädter Landstände wehrten sich gegen die Einführung des Landeskatechismus mit der Begründung, dies verletze ihr aus dem Westfälischen Frieden resultierendes Recht, bei der Confessio Augustana zu verbleiben. Diese Behauptung war absurd, diente die angegriffene königliche Maßnahme doch klar erkennbar gerade der Bewahrung der symbolischen Bücher und des Augsburger Bekenntnisses in seiner ursprünglichen Form. Es kann daher nicht verwundern, daß der König die Eingabe des Domkapitels schlichtweg ignorierte und jene der Landstände als unhaltbar zurückwies.59 Allerdings deutete er abermals die Bereitschaft an, das zur verbindlichen Anordnung bestimmte Werk durch ein anderes zu ersetzen. VII. Die verbindliche Anordnung der „Christlichen Lehre im Zusammenhang“ sowie die Überprüfung und Überarbeitung durch das Oberkonsistorium Nachdem der weltliche Oberkonsistorialrat Gedike ohne Erfolg vorgeschlagen hatte, nach dem Vorbild der reformierten Kirche60 schlicht Luthers Kleinen Katechismus zu verwenden61, entschloß sich der König, es bei der vom älteren Hecker verfaßten, seit 1764 im Verlag der Realschulbuchhandlung in mehreren Auflagen erschienenen Christlichen Lehre im Zusammenhang nach der Ordnung des Heils und der Seligkeit zum Gebrauch der Land-Schulen in den

58 Das längst einen Anachronismus darstellende Domkapitel zu Halberstadt wurde 1810 aufgelöst. Ausführlich zu den Dom- und Stiftskapiteln supra Teil I, Kapitel 2, E. VIII. 59 Kabinettsorder vom 14. April 1790, dazu Reskript Woellners auf königlichen Spezialbefehl, cf. Schlözers Stats-Anzeigen XVI (1791), S. 3. S. auch Schwartz, Kulturkampf, S. 166, dessen Intention, das Domkapitel in Schutz zu nehmen, jedoch nicht überzeugt. 60 Cf. supra Teil II, Kapitel 2, A. IV. 61 K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 421.

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Königl. Preußischen Provintzien. Cum approbatione et privilegio62 zu belassen, die bereits Friedrich der Große 1763 für verbindlich erklärt hatte. Mit der Begründung, ein durch das Oberkonsistorium überprüftes Werk werde bei den Predigern und Gemeinden auf größere Akzeptanz stoßen, bat das Oberkonsistorium um Übersendung des Buches zum Zwecke der Überprüfung und Überarbeitung.63 Hierzu wurde es durch königliche Kabinettsorder vom 27. Juni 1790 beauftragt, wobei den Oberkonsistorialräten – sicherlich vor dem Hintergrund der beständigen Kritik des Gremiums an der im Religionsedikt niedergelegten Bindung an die symbolischen Bücher – ausdrücklich eingeschärft wurde, von den Grundartikeln der christlichen Glaubenslehre und der lutherischen Kirche nach der Augsburger Konfession sowie den symbolischen Büchern keinesfalls abzuweichen.64 Indem sich das Oberkonsistorium am 27. August 1790 gegen den darin implizierten – nach eigener Darstellung „ungerechtfertigten“ – Verdacht der Freigeisterei wehrte, bemerkte es nicht, daß es sich damit de facto zur lutherischen Orthodoxie bekannte und auf diese Weise seiner grundsätzlichen Kritik am Religionsedikt den Boden entzog. Die Überarbeitung des Werkes schritt nur mühsam voran; es entspann sich zunächst eine zeitraubende Diskussion zwischen dem Oberkonsistorium und dem Geistlichen Departement darüber, ob der Aufbau des Katechismus in Fragen und Antworten zweckmäßig sei.65 Dabei legten die Oberkonsistorialräte bei ihren Eingaben übertriebene Maßstäbe an die erste Vermittlung der Glaubensinhalte durch Schulmeister und Dorfprediger an; sie beharrten auf einer so nicht bestehenden Alternative von Einpauken und beispielgebendem Vorleben. Wohl aufgrund der langwierigen Diskussionen bemühte man sich immer wieder um eine Verlängerung der Frist zur Überarbeitung des Werkes.66 Schließlich wurde das Jahresende 1790 als äußerster Termin festgelegt67, doch auch bis zu diesem Zeitpunkt lag kein Arbeitsergebnis vor.68 Die Geduld des Königs – der schon aufgrund des Zeitablaufs davon auszugehen hatte, daß sein Projekt vom Oberkonsistorium hintertrieben werden sollte – war daraufhin erschöpft. Er weigerte 62 Sie wurde allerdings erst durch Kabinettsorder vom 12. Juli 1792 für verbindlich erklärt; NCC IX, Sp. 1063. 63 Die Eingabe vom 22. April 1790 war auch von Silberschlag unterzeichnet; cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 425. 64 Cf. den auszugsweise abgedruckten Wortlaut bei Schwartz, Kulturkampf, S. 168. 65 Die Eingabe vom 11. August 1790 wurde auch durch Silberschlag und Sack unterstützt, wohingegen diejenige vom 27. November 1790 nicht die Unterschriften Silberschlags, Gedikes und Sacks trägt. Letzterer hielt sich wohl aufgrund seiner Konfessionsverschiedenheit aus dem Konflikt heraus. Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 425. Die Vorstellungen wurden durch Woellner am 12. November 1790 sowie am 5. Dezember 1790 zurückgewiesen. 66 So etwa am 11. August 1790, cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 168. 67 Schreiben Woellners vom 12. November 1790. 68 Schwartz, Kulturkampf, S. 168 f.; K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 425 f.

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sich, die im März 179169 abgeschlossene Arbeit70 zu prüfen und zu promulgieren, weil er sie in andere Hände legen wollte. Offensichtlich trug der Konflikt wesentlich zur Berufung von Hermes und Hillmer bei. VIII. Fortsetzung der Überarbeitung durch die Mitglieder der Examinations-Kommission Am 28. März 1791 übersandte Hermes dem König einen „Kurzen Entwurf der Vorschläge zur Verbesserung des Kirchen-, Schul- und Akademiewesens“ mit der Anregung, verbindliche Katechismen, Gesangbücher, Kirchenagenden und Lehrbücher vorzuschreiben.71 Mit einem eigenhändigen Schreiben vom 12. April 1791 billigte der König die unterbreiteten Vorschläge, wobei die von Hermes in Aussicht gestellte Neuausarbeitung eines Katechimus besondere Erwähnung erfuhr.72 Auch die „Instruktion für die königliche Examinations-Commission in geistlichen Sachen“ vom 31. August 1791 sah vor, daß Hermes zusammen mit Hillmer „an allen neuen Büchern, Reglements und Vorschriften [zu arbeiten hatte], welche in der Folge nöthig und erforderlich seyn dürften, und wozu er nach vorhergegangener Rücksprache mit den übrigen Gliedern der Commission von dem Chef des geistlichen Departements jedesmals besonders autorisiert werden wird“.73 Er nahm daher zusammen mit den beiden anderen geistlichen Oberkonsistorialräten der Immediat-Examinations-Kommission, Silberschlag und Woltersdorf, sogleich nach Einrichtung und Konstituierung des Gremiums die erneute Überarbeitung des neuen Landeskatechismus in Angriff, die bis dahin liegengeblieben war. Ein hierzu eigentlich erforderlicher Auftrag Woellners läßt sich nicht nachweisen. Woellner, der nach wie vor zwischen Orthodoxie und Neologie zu vermitteln und eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Staatsleitung und Oberkonsistorium sicherzustellen suchte, war mit dem Verhalten des Oberkonsistoriums, durch welches sich dieses von der Mitarbeit am Landeskatechismus praktisch ausgeschlossen hatte, nicht zufrieden.74 Gleichwohl hielt er an seinem Streben 69 Spalding, Lebensbeschreibung, S. 125, datiert das Einreichen eines ersten Entwurfs der Überarbeitung des Landeskatechismus durch die Oberkonsistorialräte bereits auf Februar 1791. 70 Bericht Woellners an den König vom 28. März 1791; K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 426. Vermutlich wurde neben dem geforderten Entwurf in Frage-AntwortForm noch ein eigener, in anderer Form abgefaßter Entwurf eingereicht. 71 Abgedruckt bei Schwartz, Kulturkampf, S. 476 f. 72 Schwartz, Kulturkampf, S. 478. 73 Zitiert nach Henke, Beurteilung, S. 483 f. 74 Cf. den supra Fn. 50 (in diesem Kapitel) zitierten Brief an den König; K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 416 f.

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nach einer versöhnlichen Lösung fest. Nach dem Tode Silberschlags am 12. November 1791 versuchte er, die Überarbeitung des Landeskatechismus dem alleinigen Einfluß von Hermes und Woltersdorf zu entziehen. Zu diesem Zweck ernannte er den Berliner Inspektor Johann Baptista Ambrosi (1741– 1796) der auch die Nachfolge Silberschlags in der Examinations-Kommission antreten sollte, am 11. Januar 1792 zum „Mitarbeiter an dem allgemeinen Lehrbuch der christlichen Religion“.75 Hinsichtlich der Arbeit am Landeskatechismus legten Hermes und Woltersdorf auf die Mitarbeit Ambrosis, der ideologisch zwischen Orthodoxie und Neologie stand und als gemäßigt galt76, keinen Wert. Gleiches galt für eine mögliche Mitwirkung in der Examinations-Kommission. Die Reaktion Hermes’ und Woltersdorfs ließ daher nicht lange auf sich warten. Bereits am 23. Januar 1792 überreichten sie Woellner eine Handschrift mit dem Hinweis, dies sei der fertige Katechismus, den sie nur zur Anbringung letzter Änderungen nochmals zurückerbäten. Woellner gab daraufhin den Plan einer Einbeziehung Ambrosis auf und schrieb diesem, seine Mithilfe sei zwar derzeit nicht erforderlich, man wolle ihn aber künftig zur Mitarbeit heranziehen.77 Die weiteren Arbeiten Hermes’ und Woltersdorfs wurden jedoch erst ein halbes Jahr später abgeschlossen. Im Juli 1792 schließlich erschien „Die christliche Lehre im Zusammenhang. Auf allerhöchsten Befehl für die Bedürfnisse der jetzigen Zeit umgearbeitet und zu einem allgemeinen Lehrbuch in den niederen Schulen der Preußischen Lande eingerichtet. Mit Königl. Preuß. Allergnädigstem ausschließlichem Privilegium, Berlin Realschul-Buchhandlung 1792“ im Druck; am 12. Juli 1792 wurde die königliche Anordnung, das Werk ab dem kommenden Schuljahr zu verwenden, durch ein Rundschreiben bekanntgemacht.78

75 Der Text des Ernennungsschreibens ist wiedergegeben bei Schwartz, Kulturkampf, S. 211 f. 76 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 33 mit Anm. 1, 211: „ein Mann rechten Glaubens, aber ohne Eifer und Haß gegen Andersdenkende“, der „wohl zahlreiche Gegner seiner Ansichten, aber keinen Feind unter ihnen hatte“. Mehring, Auf Johann Baptista Ambrosi, S. 295, Anm., und Teller, Gedächtnißpredigt auf Hrn J. B. Ambrosi, die sich Ambrosis Wertschätzung und Freundschaft rühmten, beschreiben ihn nach seinem frühen Tode als rechtschaffenen, verdienstvollen und aufgeklärten Geistlichen. Mehring, Auf Johann Baptista Ambrosi, S. 294, charakterisiert ihn als einen Mann, der nie heuchelte, Andersdenkende gerne ertrug, seine Behauptungen stets begründete und sich nie erlaubte, nach fremder Autorität zu entscheiden. Vermutlich hat Woellner gehofft, Ambrosi, der sich keiner der großen Fraktionen zugeschlagen hatte, könne den Konflikt ausgleichen und vor allem Hermes etwas entgegensetzen. 77 Schwartz, Kulturkampf, S. 212. 78 Circulare vom 12. Juli 1792; NCC IX, Sp. 1061 f.

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IX. Die Rezeption des neuen Landeskatechismus Das neue Werk79 erfuhr in den lutherischen Gemeinden und Schulen eine zwiespältige Aufnahme.80 An zahlreichen Orten weigerte man sich, den Landeskatechismus zu benutzen. Wiederholte Befehle blieben fruchtlos. Im März 1793 wurde das Oberkonsistorium durch ein Hof-Reskript angewiesen, dafür zu sorgen, daß der Katechismus vom Herbst des Jahres an überall dem Unterricht zugrunde gelegt werde.81 Die Maßnahme blieb ohne durchschlagende Wirkung, so daß das Oberkonsistorium auf Anweisung des Geistlichen Departements82 von den Inspektoren der Kurmark einen Bericht über den Stand der Einführung des Katechismus in den einzelnen Gemeinden anforderte.83 Das Ergebnis der Erkundigungen war ernüchternd; daher wurde die Verwendung des Landeskatechismus im Sommer 1795 durch ein weiteres Circulare des Oberkonsistoriums erneut angemahnt; nach dieser Anweisung hatten die Inspektoren „alle Gelegenheiten zu nutzen, um diejenigen Gemeinen, welche aus irrigen Begriffen, der Einführung dieses Buchs sich bisher widersetzt haben, durch liebreiche und zweckmäßige Vorstellungen von ihrem Irrtum zurückzubringen“.84 Auch hierdurch konnte die flächendeckende Verwendung des Werkes jedoch nicht erreicht werden, wie die spätere Freistellung der Benutzung durch Friedrich Wilhelm III.85 zeigt. Der Grund für die – teils offene, teils unterschwellige – Opposition gegen den Landeskatechismus ist nicht darin zu sehen, daß sich die Auffassung der mehrheitlich aufklärungsorientierten geistlichen Räte im Oberkonsistorium sowie der lutherischen theologischen Fakultäten mittels einer schlagkräftigen, selbst durch Sanktion und Zensur nicht zu unterdrückenden Publizistik gegen die Anweisung des Königs und Landesherrn durchzusetzen vermochte. Soweit diese These in der Geschichtsschreibung vertreten wird, ist darauf zu verweisen, daß die Verfechter dieser Ansicht vor dem Hintergrund ihrer persönlichen kirchenpolitischen und ideologischen Auffassung und damit von interessierter Position aus denken und schreiben. Vielmehr ist die verbreitete Weigerung, den 79

Zum Inhalt s. Henke, Beurteilung, S. 533 ff., Schwartz, Kulturkampf, S. 227 f. Näher hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 228 ff. mit Anm. 2. 81 Cf. das daraufhin ergangene Circulare vom 21. März 1793, NCC IX, Sp. 1469– 72, außerdem das auf ein Hofreskript vom 8. Oktober 1794 zurückgehende Circulare vom 6. November 1794, NCC IX, Sp. 2439–40. 82 Zuvor hatte die Examinations-Kommission festgestellt, „daß ohnerachtet der wiederholten Verordnungen viele Prediger den vorgeschriebenen allgemeinen Landes-Catechismus [. . .] noch nicht eingeführt haben“. 83 Circulare vom 1. Mai 1794, NCC IX, Sp. 2169–70. 84 Cf. das Circulare vom 4. Juni 1795 an alle Inspectoren der Churmark wegen Einführung des allgemeinen Landeskatechismus; NCC IX, Sp. 2519–20. 85 Kabinettsorder vom 22. August 1798 und Circulare vom 20. September 1798, NCC X, Sp. 1757–58. 80

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Katechismus zu benutzen, im wesentlichen auf eine schlicht renitente Haltung des Publikums zurückzuführen, die sich mit blinder Verteidigung der Aufklärung und einem diffusen Gefühl „aufgeregter Sorge“ verband. Die opponierenden Prediger und Gemeinden waren – ohne dies verifiziert zu haben – unumstößlich davon überzeugt, der Katechismus sei ein Werk von Obskuranten, welche das vernünftige Christentum zerstören oder behindern wollten. Das staatsrechtlich unzweifelhafte Prinzip, Entscheidungen der obersten Gewalt zu folgen, solange sie nicht geradezu ein unmoralisches Verhalten forderten, ließ sich jedenfalls in der lutherischen Kirche nicht mehr durchsetzen.86 Daß das lutherische Kirchenwesen hierdurch geradezu anarchische Züge gewann, zeigt sich auch in der Entscheidung Friedrich Wilhelms III., statt des neuen Landeskatechismus auch das Lehrbuch zur Verwendung zuzulassen, „welches vorhin eingeführt gewesen“.87 Es entsteht der Eindruck, als habe der neue König auf diese Weise nur den faktisch bestehenden Zustand legalisiert.88 Daß das „vorhin eingeführte“ Werk nichts anderes war als die nicht überarbeitete Version des späteren, ist eine Ironie der Geschichte. Das Verhältnis von Mühe und Ertrag jedenfalls war schlichtweg indiskutabel. X. Die Verwendung des Landeskatechismus in Schlesien Der Präsident der schlesischen Regierung, Seidlitz, ließ für Schlesien einen eigenen Katechismus ausarbeiten. Dies ist darauf zurückzuführen, daß das Oberkonsistorium für Schlesien nicht zuständig war; das dortige lutherische Kirchenwesen mit den sogenannten „Oberkonsistorien“89 war unmittelbar dem Lutherischen Geistlichen Departement unterstellt.90 Gleichwohl stellte die Initiative Seidlitz’ mit Blick auf die verfügte landesweite Verbindlichkeit91 des neuen Katechismus einen Ungehorsam ersten Ranges dar.

86 Cf. T. H. Henke, Preußens neueste Anordnungen in Kirchensachen, S. 11: „Wie kann ein Regent mit Gewißheit wissen, daß er die Religion in ihrer ursprünglichen Reinigkeit und Aechtheit kenne. [. . .] Müssen dies die Religionslehrer in seinem Land, gegen die der Regent immer ein Laye bleibt, nicht besser beurtheilen können?“ S. bei Henke auch S. 18. 87 Gemeint ist das bereits erwähnte Lehrbuch des älteren Hecker, cf. supra Teil II, Kapitel 2, A. VII. 88 Cf. auch Schwartz, Kulturkampf, S. 231: „Diese gemilderte Zwangseinführung [gemeint ist die Einführung des Landeskatechismus in Schlesien, s. sogleich infra] wurde nunmehr zum Grundsatz erhoben, da man zu der Erkenntnis kam, daß Gewalt hierbei nicht zum Ziele führte.“ 89 Der Funktion nach handelte es sich ungeachtet der Bezeichnung um Provinzialkonsistorien. 90 Ausführlich hierzu supra Teil I, Kapitel 2, D. II. 5. Cf. auch Tradt, Religionsprozeß, S. 340.

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Im Frühjahr 1794 schickte Seidlitz die erarbeitete Schrift mit der Bitte um Prüfung unmittelbar an den König. Dabei ließ er durchblicken, daß er keinerlei Einflußnahme der Verfechter der Orthodoxie wünsche, wovor ihn der König bewahren sollte.92 Friedrich Wilhelm II. übertrug die Prüfung gleichwohl Woellner als dem zuständigen Minister, der den Auftrag an die Examinations-Kommission weiterreichte. Diese lehnte das Werk im Sommer 1794 ab, woraufhin Woellner – in für ihn typischer Weise – dem König den Kompromiß vorschlug, das Werk nur – aber immerhin – dann zu genehmigen, wenn die Einwände der Examinations-Kommission wiederlegt würden. Friedrich Wilhelm II. entschloß sich daraufhin, um eine Kränkung Seidlitz’ zu vermeiden, zu einer gänzlich anderen Lösung. Ohne auf das Ergebnis der Prüfung einzugehen, ließ er Seidlitz mitteilen, zwar solle der neue Landeskatechismus – um eine landesweite Einheitlichkeit des Religionsunterrichts zu gewährleisten – auch in Schlesien verbindlich eingeführt werden, doch könne daneben auch das bisherige Unterrichtswerk verwendet werden, bis es äußerlich verbraucht sei. Dies kam im Ergebnis einem Verzicht auf die verbindliche Einführung des neuen Katechismus gleich.93

B. Der Streit um das Schema Examinis I. Ausgangssituation Die vom König am 9. Dezember 1790 ausgesprochene Anordnung des Schema Examinis94, als dessen Autor schon früh Hermes angesehen wurde95, 91 Diese galt selbstverständlich prinzipiell auch für Schlesien; die Bedeutung von „landesweit“ konnte sich nicht nach der örtlichen Zuständigkeit des lutherischen Oberkonsistoriums bemessen. 92 Vermutlich befürchtete er – vor dem Hintergrund der damaligen öffentlichen Meinung – vor allem Übergriffe Woellners, ohne zu ahnen, daß von diesem keine oder zumindest in weitaus geringerem Maße Gefahr drohte als von der Examinations-Kommission. 93 Ausführlich zum Ganzen Schwartz, Kulturkampf, S. 230 f. Seidtlitz umging die Anordnung, indem er statt eines „klassischen“ Katechismus in Frage-Antwort-Form eine Zusammenstellung von Schriftperikopen in zwei Versionen erarbeiten und in großer Auflage drucken und verbreiten ließ. Hierzu hatte der König zwischenzeitlich trotz des Widerspruchs der Examinations-Kommission seine Zustimmung erteilt. Es ist zu vermuten, daß die Erteilung der Genehmigung auf Woellner zurückzuführen ist. 94 Das „Schema Examinis Candidatorium S.S. Ministerii rite instituendi“ erschien zunächst ohne Angabe des Verfassers, des Druckorts, des Druckjahrs und des Verlegers. Das widersprach dem Zensuredikt. Offenbar handelte es sich um einen nicht für den Buchhandel bestimmten Privatdruck (drei Bögen, folio), und zwar 1790, lange vor der Errichtung der Examinations-Kommission. Erst die zweite, aufgrund der Kritik Spaldings (cf. Henke, Beurteilung, S. 456: „nach den Erinnerungen eines der ältesten und gelehrtesten Mitglieder des Oberkonsistoriums“) überarbeitete Auflage trägt die Bezeichnung „Berolini ex typographia regia 1791“ (ein Bogen, oktav). Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 431 ff.

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führte zu einem weiteren Konflikt mit dem Oberkonsistorium, welches sich abermals übergangen fühlte. Daß sich die Auseinandersetzung in einem Zeitraum abspielte, der durch die Diskussion um den Landeskatechismus und die Verzögerung der Überarbeitung des Werkes durch die Oberkonsistorialräte belastet war96, trug zur Verschärfung des Konflikts bei. Die Anordnung97 erging durch eine an das kurmärkische Konsistorium98 gerichtete königliche Kabinettsorder. Nach deren Wortlaut ging es um den – durchaus vernünftigen99 – Zweck, dem Religionsedikt dadurch zum Erfolg zu verhelfen, daß die Pfarrstellen nur mit solchen Predigern besetzt werden sollten, „die keine, jetzt im Schwange gehende Irrthümer in den Grundwahrheiten der christlichen Religion angenommen, sondern die reine Lehre Jesu nach der Bibel und nach dem Inhalte der symbolischen Bücher und der Confession der protestantischen Kirche gründlich erlernet haben“. Hierzu sollten ein standardisiertes Prüfungsschema vorgeschrieben, die Kandidaten nach dessen Maßgabe examiniert und ihnen sodann das Versprechen abgenommen werden, gemäß der abgeprüften Dogmatik zu lehren und zu predigen. Daß insbesondere die Einhaltung der letztgenannten Verpflichtung einer flächendeckenden und lückenlosen Kontrolle nicht zugänglich war, ändert nichts an der prinzipiellen Zweckmäßigkeit der Maßnahme im Ganzen.100 Andererseits lag in der gewählten Methode, die Prüfungsfragen wörtlich vorzuschreiben, eine demütigende Mißtrauensbekundung gegenüber der Prüfungsbehörde. Da das Schema nicht nur in Prüfer-, sondern auch in Kandidatenkreisen bekannt war und dementsprechend auswendig gelernt werden konnte101, mußte es überdies als Beleidigung der Kandidaten aufgefaßt werden. 95 Cf. Henke, Beurteilung, S. 454; ebenso Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Band 4, S. 236. Das Schema Examinis ist nicht das Werk der erst im folgenden Jahr errichteten Immediat-Examinations-Kommission, obwohl das häufig angenommen wird (so bereits Henke, Beurteilung, S. 454: Erstes Produkt der Bemühungen eines zur Vollstreckung des Religionsedikts, mit Vorbeygehung des Berlinischen Oberkonsistoriums, unter dem Namen einer Examinations-Commission errichteten Kollegiums für das Hermes zu eben dieser Absicht von Breslau nach Berlin berufen worden sei; ähnlich auch Kant). Es ist nur von einem späteren Mitglied dieser Kommission – nämlich Hermes – entworfen und noch vor Errichtung der Kommission von einem anderen späteren Kommissionsmitglied – Silberschlag – überarbeitet worden. Und es gehört in die Vorgeschichte der Immediat-Examinations-Kommission, weil es – zusammen mit der scharfen Kritik, die es vom Berliner Oberkonsistorium erfuhr – zu ihrem Entstehen beigetragen hat. 96 Cf. supra Teil II, Kapitel 2, A. VII./VIII. 97 Kabinettsorder vom 9. Dezember 1790; abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 429. 98 Unrichtig die Terminologie bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 428 („kurmärkisches Oberkonsistorium“). 99 Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 438; Henke, Beurteilung, S. 454 f. 100 Zu Recht kritisch bezüglich der Durchsetzbarkeit der Lehrverpflichtung K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 438.

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II. Eingaben aus dem Oberkonsistorium Das Oberkonsistorium, welches zwar für die Prüfung der Kandidaten zuständig, vor Erlaß des Schema Examinis jedoch weder angehört noch in sonstiger Weise beteiligt worden war, wurde von der Maßnahme überrascht. Am 8. Januar 1791 bat Teller darum, von der Prüfungsverpflichtung entbunden zu werden. Mochten auch seine Bedenken im Ergebnis begründet sein, so war doch die als „Besorgnisse und Bedenklichkeiten“ titulierte Argumentation Tellers inhaltlich so zugespitzt102, daß Woellner – trotz möglicher sachlicher Bedenken gegen das Schema – nicht anders konnte, als das Gesuch im Namen des Königs mit der Begründung abzulehnen, die von Teller vorgebrachten Gründe seien „von der Art [. . .], daß darauf gar keine Rücksicht zu nehmen stehet“.103 Sodann legte Spalding am 12. Januar 1790 ein kritisches Gutachten vor.104 Woellner, der nicht am Erlaß der königlichen Kabinettorder beteiligt war und möglicherweise gleichfalls Bedenken gegen das Schema hegte, versuchte daraufhin offenbar, die Angelegenheit im Wege der Diplomatie zu entschärfen, indem er am 13. Januar 1790 erklärte, das Schema sei – entgegen der Anordnung – nicht strikt zu beachten.105 Am gleichen Tag wurde – in Gegenwart Woellners – die erste Prüfung nach dem neuen Schema durchgeführt.106 Ungeachtet der Vermittlungsversuche Woellners wandten sich fünf der sechs geistlichen Räte des Oberkonsistoriums – Spalding, Büsching, Teller, Diterich und Zöllner; Silberschlag schloß sich nicht an – mit einer Eingabe vom 7. Februar 1791 unter Bezugnahme auf das Gutachten von Spalding an den König.107 Sie rügten nicht nur, beim Erlaß des Schemas übergangen worden zu sein, sondern verwahrten sich darüber hinaus gegen den möglichen Verdacht, sie könnten in der Öffentlichkeit als dessen Urheber angesehen werden. Die einschränkende Interpretation Woellners vom 13. Januar 1791 reiche nicht aus, zumal sie den übrigen Konsistorien nicht bekannt gemacht worden sei.

101

Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 191. Teller verstieg sich u. a. zu der Behauptung, durch das Schema Examinis werde der Wille des Königs der Willkür des Verfassers untergeordnet und dadurch beleidigt. Dieser Vorwurf läßt sich nur so erklären, daß Teller davon ausging, das Schema sei ohne oder gar gegen den Willen des Königs erlassen worden und auf den Einfluß Dritter zurückzuführen. In Wahrheit aber stand der König sehr wohl hinter der Anordnung. 103 Schwartz, Kulturkampf, S. 192. 104 Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 440 ff. 105 Cf. dazu auch Abegg, Reisetagebuch, S. 290. 106 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 193. 107 Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 439. 102

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III. Reaktion Woellners Der Minister leitete die Eingabe nicht weiter108, sondern wies sie im Namen des Königs durch ein an den Präsidenten des kurmärkischen Konsistoriums, von der Hagen, adressiertes Reskript zurück: „Ihr erhaltet in der Anlage eine abermalige Vorstellung der geistlichen Räthe des hiesigen Ober-Consistorii, worin sie vorjetzt auch das jüngsthin vorgeschriebene schema examinis candidatorum auf eine ungeziemende Art zu tadeln keinen Anstand nehmen. Ihr werdet Euch bei dieser Gelegenheit zurück erinnern, was eben diese Räthe gegen das nothwendige und heilsame Religionsedict, desgleichen gegen die Einführung des allgemeinen Lehrbuchs der christlichen Religion für die Jugend, vor nichts bedeutende Einwürfe gemacht haben, und von eben dieser Beschaffenheit sind dann auch diejenigen, welche in der Anlage gegen das obgedachte Schema enthalten sind. Da es ihnen schon zur Gewohnheit geworden zu sein scheint, jeder guten Sache zu widersprechen, welche Wir zur Abstellung der bisher eingeschlichenen Mißbräuche und überhand genommenen Irrthümer, und zur Aufrechterhaltung der reinen protestantischen Religion nach den Symbolen der lutherischen Kirche, einführen wollen, so wird es nunmehr Zeit sein, ihnen diese üble Gewohnheit nachdrücklich zu verweisen. Ihr sollet daher den hier unterschriebenen geistlichen Räthen hiemit andeuten, daß wir schlechterdings Folgsamkeit und Gehorsam gegen unsere Verordnungen von ihnen erwarten; und da unsere bisherige Nachsicht und Gelindigkeit nicht vermögend gewesen ist, sie in Schranken zu halten, sondern sie sich Befugnisse anmaaßen, die ihnen gar nicht gebühren, indem wir die Führung des Ober-Consistorii nicht ihnen, sondern unserem Minister des geistlichen Departements allein anvertraut haben, von dem Wir Alles fordern, und der allein Uns für Alles responsable sein muß, so würden sie es sich selbst zuzuschreiben haben, wenn Wir bei fortdauernder Widerspenstigkeit gegen Unsere Verordnungen endlich auf die Reformation dieses halsstarrigen Collegii Bedacht nehmen, und bei unserer höchsten Person auf die Remotion der unterschriebenen Räthe antragen, und andere die ihre Pflichten besser kennen, in Vorschlag bringen müssen.“109

Die Kritik an der „Gewohnheit“ der Oberkonsistorialräte, die religionspolitischen Maßnahmen des Königs in Frage zu stellen, war mit Blick auf das zweifelhafte Amtsverständnis der Räte110 durchaus angebracht; die harsche Wortwahl dürfte auch durch die seinerzeitige Verschleppungstaktik der Oberkonsistorialräte im Katechismusstreit111 veranlaßt gewesen sein.

108 Diese Vorgehensweise war nicht etwa unzulässig, sondern entsprach dem gängigen Verfahren. 109 Zitiert nach K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 443 f. 110 s. bereits supra Teil II, Kapitel 1, G. I. 111 Cf. supra Teil II, Kapitel 2, A. VII.

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IV. Erneute Vorstellung der Oberkonsistorialräte Die remonstrierenden geistlichen Räte gaben sich trotz der unverhohlenen Drohung, ihres Amtes enthoben zu werden, mit der Antwort Woellners nicht zufrieden, sondern wandten sich am 26. Februar 1791 mit einer vermutlich von Spalding verfaßten Eingabe112 nochmals auf dem Dienstweg an den König. Es liege ihnen fern, die Führung der geistlichen Sachen durch den Minister Woellner zu beeinträchtigen. Ihre Vorstellungen, die in ungeziemender Weise vorgetragen worden seien, stellten keine Widersetzlichkeit, sondern den Versuch dar, Schaden von Staat und Kirche abzuwenden und zur Verwirklichung des königlichen Willens beizutragen. Dabei beriefen sich die Mitglieder des Oberkonsistoriums ausdrücklich auf die Stellung im Kirchenwesen, die ihnen ihrer Ansicht nach gebührte: „Wir halten uns daher auch, der angeführten Ursachen wegen, noch immer mit der völligsten Überzeugung verbunden, vermöge der Stelle, welche wir bekleiden, nach unserer beßten, vor Gott zu verantwortenden Einsicht, dasjenige, was den Nutzen oder den Nachtheil der Religion betrifft, um nicht auch als theilnehmend an dem letztern, bei der Welt und Nachwelt angesehen zu werden, auf gegebene Veranlassungen allerunterthänigst anzuzeigen.“ Die Oberkonsistorialräte übersahen in diesem Zusammenhang erneut, daß der Hinweis auf das Gewissen und die Verantwortung vor Gott mit ihrer Stellung als königliche Räte nichts zu tun hatte. Ihrem Gewissen waren sie als Privatleute verpflichtet, ihre Verantwortung vor Gott hatten sie als Glieder der Kirche zu erfüllen. Als königliche Räte jedoch waren sie nicht der Kirche, sondern zunächst dem König verantwortlich und zum Gehorsam, nicht zur Opposition, verpflichtet. Wie auch bei sonstigen Gelegenheiten versäumten es die Oberkonsistorialräte, die Eigenschaft, in welcher sie gegen die königlichen Anordnungen remonstrierten, zu reflektieren. Freilich war dieses Problem aufgrund der historisch gewachsenen Unklarheiten in der Ausgestaltung und Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments systemimmanent. V. Erneute Reaktion Woellners und Immediateingabe der Oberkonsistorialräte Woellner suchte den – auch wegen des Katechismusstreits bestehenden – Druck auf das Oberkonsistorium zu mindern, indem er dem König am 28. Februar 1791 ankündigte, das Oberkonsistorium sei bereit, das geforderte Lehrbuch zu verfassen. Am 3. März 1791 erteilte er den Oberkonsistorialräten, die ihr Versprechen „ein besseres Lehrbuch zu liefern, bis dato“ nicht erfüllt hätten, ein zweites Reskript, das ihre Eingabe auf königlichen Spezialbefehl zurück112

Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 444 ff.

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wies und die Vorwürfe einschließlich der Androhung der Amtsentsetzung verschärft wiederholte.113 Darauf richteten Spalding, Büsching, Teller, Diterich und Zöllner am 17. März 1791 einen Antrag unmittelbar an den König, zur Wiederherstellung ihres guten Namens ein Verfahren beim Staatsrat oder beim Justizdepartement zur Prüfung der Vorwürfe des Ministers zu eröffnen.114 Dieser Antrag konnte nur unmittelbar vom König selbst beschieden werden, der den Antragstellern unter dem 27. März 1791 ohne Gegenzeichnung Woellners mitteilte, ihre Vorstellungen gelesen und von Woellner Bericht angefordert haben, um auch diesen zu der Angelegenheit anzuhören. Die Einleitung eines formellen Verfahrens lehnte er mit der Bemerkung ab: „Da Ich aber nicht gesonnen bin es zwischen ihm und euch zu processualischen Weitläuftigkeiten kommen zu lassen; so behalte Ich es mir vor, nach genommener Kenntnis und genauer Erwegung der Sache, Euch Meine Willensmeinung darüber bekannt zu machen.“115 VI. Beendigung des Konflikts von höchster Stelle aus Ebenfalls am 27. März 1791 nahm Woellner dem Schema Examinis durch ein auf königlichen Spezialbefehl ergangenes Reskript erneut einen Teil der Verbindlichkeit.116 Am folgenden Tag erstattete er den vom König geforderten Bericht.117 Zur Verteidigung gegen die in dem letzten Antrag der Oberkonsistorialräte liegende Anklage führte er aus, er habe sich stets an die gedruckten, geschriebenen und mündlichen Befehle des Königs gehalten und werde nur deshalb von den geistlichen Mitgliedern des Oberkonsistoriums angegriffen. Sodann ging er zum Gegenangriff über: Die falsche Anklage der Oberkonsistorialräte stelle eine Beleidigung seiner Person und zugleich aller königlichen Minister dar. An sich gebühre ihm als „unschuldig Verfolgtem“ deshalb Genugtuung, doch wolle er den falschen Anklägern „ein Exempel der Mäßigung und christ-

113

Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 446 f. Die Eingabe ist abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 447 ff. 115 Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 450. 116 Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 454 f. Insbesondere wurde auf die wörtliche Einhaltung des Schema Examnis verzichtet; es solle nur darauf ankommen, daß die Prüfung „in Ansehung des Gegenstandes nicht von der gegebenen Vorschrift abweicht.“ Ansonsten habe der Prüfer „die völlige Freyheit [. . .], seinen Ideen-Gang und die Einrichtung seiner Fragen zu ordnen, wie er will, solches verstehe sich zwar von selbst [. . .]“. Woellner wies bei dieser Gelegenheit außerdem darauf hin, daß „mit untergelaufene erhebliche Druckfehler“ einen Neudruck erforderlich gemacht hätten. Tatsächlich waren jedoch nicht ganz unerheblich inhaltliche Änderungen vorgenommen worden. Der Verweis auf angebliche Druckfehler sollte vermutlich gegenüber dem König verschleiern, daß Woellner sich einige Bedenken der Oberkonsistorialräte zu eigen gemacht hatte. 117 Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 450 ff. 114

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lichen Sanftmuth geben“ und bitte daher, die Sache nicht zu hoch aufzuhängen.118 Daraufhin erteilte der König den remonstrierenden Oberkonsistorialräten einen Verweis wegen Beleidigung ihres Ministers.119 Es sei offensichtlich, daß ein „zerrütteter Zustand anjetzt unter den Geistlichen ist, da der Eine dis, der Andere das, und der dritte wieder etwas anders das Volk lehret, wenn es auf die Grundwahrheiten der christlichen Religion ankommt.“ Es könne nicht hingenommen werden, wenn „die Millionen Meiner Unterthanen aus der untern Volksklasse vornehmlich, am Ende gar nicht mehr wissen, was sie eigentlich glauben und welchem Prediger sie folgen sollen.“ Den aus der Unklarheit unvermeidlich entstehenden „fürchterliche[n] Zerrüttungen und Unruhen im Staate [könne] nicht anders vorgebeugt werden, als daß die bisherige Einförmigkeit der Lehr-Sätze nach der Confession einer jeden Kirche beibehalten, und durchaus nicht nach Willkühr eines jeden einzelnen Volkslehrers abgeändert werde.“ Jedem Befehl, der ihnen zur Ausführung dieser Absicht vom König oder vom Minister erteilt würde, hätten die Mitglieder des Oberkonsistoriums ohne Widerspruch zu folgen; denn sie seien dem Minister unter- und nicht etwa beigeordnet. Der König schloß mit der Warnung, „Euch nie wieder so weit zu vergessen, sondern künftig Eure Pflicht besser wie bisher zu thun, indem Ich sonst andre Maasregeln nehmen muß, um Meinen wol überlegten Plan, davon Ich niemals und in keinem Betracht abgehen werde, durch zu setzen. Ich bin jetzt noch Euer gnädiger König Fr. Wilhelm Potsdam, den 31sten März 1791.“ Der Bescheid war an Deutlichkeit nicht zu überbieten; die Ehre der Oberkonsistorialräte war sogar durch den König in Frage gestellt worden, der ihnen den Entzug seiner Gnade ausdrücklich angedroht hatte. Die Oberkonsistorialräte erwogen daraufhin, um Entlassung aus dem Amt zu bitten. Spalding verfaßte in der Folgezeit Materialien zu einem vielleicht noch einmal anzubringenden Pro Memoria für die Oberkonsistorialräthe Sp. B. T. D. Z.120, doch kam es nicht mehr zu weiteren Vorstellungen. VII. Konsequenzen der Auseinandersetzung Allerdings war den Oberkonsistorialräten nach wie vor nicht bewußt, daß ihr wahrer Gegner nicht der Minister, dessen Stellung beim König zu diesem Zeitpunkt schwer erschüttert war, sondern vielmehr der Monarch selbst war, der bereits die Berufung von Hermes, Hillmer, Woltersdorf und Silberschlag in die Examinations-Kommission vorbereitete. Neben den verschiedenen Auseinander118

Cf. K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 452. Abgedruckt bei K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 452 f. Auch dieses Schreiben war nicht von Woellner gegengezeichnet. 120 Spalding, Büsching, Teller, Diterich, Zöllner (nicht jedoch Sack). 119

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setzungen zwischen Woellner und dem Oberkonsistorium hatten das soeben beendete Villaume-Verfahren121 sowie der noch andauernde Unger-Zöllner-Prozeß122 dazu geführt, daß Friedrich Wilhelm II. seinem Minister, den die Öffentlichkeit für den Prototypen des Ministerialdespoten hielt, wenn nicht den Willen, so doch zumindest die Kraft und Fähigkeit zur Durchsetzung absprach. Daß Woellner gleichwohl nicht entlassen wurde, war nicht nur auf die Gutherzigkeit des Königs zurückzuführen, sondern auf die unerwünschten Nebenfolgen einer solchen Entlassung. Diese wäre nämlich als Ankündigung eines politischen Wandels mißverstanden worden, zudem hätte sich der König – der zur Durchsetzung seiner politischen Ziele auf die Unterstützung eines Ministers angewiesen war und Woellner aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit genau kannte – sich der Mitarbeit eines anderen, möglicherweise weniger vertrauten Ministers vergewissern müssen. Um dieses Risiko zu vermeiden, hatte Friedrich Wilhelm – wollte er seine Religions- und Pressepolitik mit unverminderter Härte und Kompromißlosigkeit fortsetzen – keine andere Wahl, als Woellner im Amt zu belassen. Diese Konstellation scheint Woellner im Mai 1791 zutreffend beurteilt und genutzt zu haben, um – insbesondere bei der Konferenz in Potsdam sowie in deren Vorfeld123 – den Ehrgeiz von Hermes und Hillmer zu zügeln. Seine Stellung blieb aber auf Dauer unsicher.124 Schon bald waren seine Möglichkeiten, der Expansion der Immediat-Examinations-Kommission entgegenzuwirken, erschöpft. Dem Oberkonsistorium blieb es offenbar verborgen, daß mit der – von ihm mitverursachten – Schwächung Woellners die Eliminierung der letzten liberalen Momente der Religionspolitik einherging.

C. Die geistliche Immediat-Examinations-Kommission I. Die Vorgeschichte Auch die geistliche Immediat-Examinations-Kommission125 stellt ein Beispiel für die kompetenzrechtlich und theologisch unklare Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments im Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts dar. Sie 121

Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 133 ff. Schwartz, Kulturkampf, S. 142 ff. 123 Cf. sogleich infra. 124 Woellner war spätestens zu diesem Zeitpunkt, vermutlich jedoch schon seit seiner Ernennung zum Minister kaum in der Lage, die religions- und zensurpolitischen Absichten des Königs ernstlich steuern zu können. Wenn er sich auf Einwendungen kompetenter Kollegien beziehen wollte, wurde ihm das unter Hinweis auf deren notorische Heterodoxie und auf seine alleinige Verantwortung aus der Hand geschlagen. S. dazu bereits supra Teil II, Kapitel 1, G. IV. 125 Das Gremium wurde, wie noch zu sehen sein wird, als Examinations-Kommission beim Kurmärkischen Konsistorium zu Berlin eingerichtet; die Bezeichung „Immediat-Examinations-Kommission“ ist späteren Datums und hat keinen offiziellen 122

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wird – im Einklang mit der allgemeinen Beurteilung der als „Ära Woellner“ charakterisierten Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. – als Schöpfung Woellners bezeichnet126, der ihre Mitglieder ausgewählt und ihre Aufgaben bestimmt habe, um mit ihrer Unterstützung ein langfristiges politisches Programm durchzusetzen.127 An dieser Sicht der Dinge kann jedoch nicht festgehalten werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß weder Hillmer noch Hermes Günstlinge Woellners waren.128 Daß sie sich vor den Beratungen in Potsdam 1791 persönlich kannten, ist nirgends belegt.129 Friedrich Wilhelm II. hingegen kannte beide schon seit Jahren.130 Insbesondere hatte er an den von Hermes in Breslau Charakter; zumindest wurde sie der Kommission nicht vom König bzw. der Staatsleitung beigelegt. 126 Cf. etwa Schwartz, Kulturkampf, S. 197 ff. der den Inhalt der Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 richtig wiedergibt (S. 203) und an der Interpretation festhält, die Kommission sei ein Instrument Woellners gewesen, obwohl bereits Hoffmann, Hermes, S. 65 ff., wesentlich zur Richtigstellung beigetragen hatte. 127 Diesem Interpretationsansatz werden die Tatsachen und ihre Abfolge angepaßt: Woellner habe die Initiative zur Gründung der Immediat-Examinations-Kommission ergriffen, er habe seine Günstlinge Friedrich Wilhelm II. vorgestellt und als Mitglieder vorgeschlagen, und den König schließlich veranlaßt, ihn selbst, seine Kandidaten für die Kommission und einige weitere seiner Vertrauensleute zu einer Konferenz einzuladen. Mithilfe dieser Konferenz habe er die königliche Kabinettsorder zur Errichtung der Immediat-Examinations-Kommission erwirkt. Auch deren Instruktion habe er vorgezeichnet. Es sei sein Herzensanliegen gewesen, die Zensur zu verschärfen, deshalb habe den König dazu bestimmt, sie seinen „Kreaturen“ Hillmer und Hermes zu übertragen. Die erste Arbeit der Immediat-Examinations-Kommission sei das Schema Examinis gewesen. Die Bildung von provinziellen Examinations-Kommissionen sei erst nachträglich angeordnet worden, sie hätten von vorne herein der Berliner Examinations-Kommission ungeordnet sein sollen. 128 Es verwundert, daß Hoffmann seiner Schrift, welche die Vorgänge in weitem Umfang erstmals richtigstellt, dennoch den Titel Hermann Daniel Hermes, der Günstling Woellners gegeben hat. 129 Vor 1791 ist kein Zusammentreffen Woellners mit Hermes und Hillmer belegt. Der Brief Hillmers an den Minister (Nachlaß Woellner) vom 4. Juni 1791 zeigt, daß dieser Woellner erst bei Gelegenheit der Konferenzen im Frühjahr persönlich kennen gelernt hat. Dort heißt es ausdrücklich, daß er ihm erstmals in der Besprechung am 14. Mai 1791 begegnet ist. Auch enthält das schmeichelnd unterwürfige, zugleich unverschämte und erpresserische Schreiben keinen Dank für die Ernennung, den Hillmer keineswegs vermieden hätte, wenn er der Protegé Woellners gewesen wäre. Der vorherige Briefkontakt zwischen Woellner und Hermes und Hillmer beschränkt sich auf förmliche Glückwünsche bei der Ernennung zum Minister (ebenfalls im Nachlaß Woellner erhalten). 130 Bischoffwerder hatte dem damaligen Kronprinzen schon im Herbst 1778 bei einem Besuch in Breslau Männer vorgestellt, die ihn beeindruckten. Cf. Gerhard, Lebensbeschreibung, S. 84; Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht; Schwartz, Kulturkampf, S. 39 f., 178. Hermes war zu diesem Zeitpunkt enttäuscht, weil nicht ihm, dem Zweiten Hauptpastor, wie üblich, die Erste Hauptpastorenstelle in Breslau übertragen worden war, sondern dem Onkel von Svarez, dem Diakon Gerhard (cf. Hoffmann, Hermes, S. 26; Gerhard, Lebensbeschreibung, S. 76 ff.). Er sah in Breslau keine Aufstiegsmöglichkeit mehr. Nicolai, der den Gegensatz zwischen Hermes und Woellner klar erkannte (cf. Nicolai, Antwort, S. 10 f.), war falsch unterrichtet, wenn er annahm,

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gehaltenen Gottesdiensten im Spätsommer 1790 gerne teilgenommen, als er unter dem Eindruck des Todes seines geliebten – außerehelichen – Kindes von der Lichtenau, des Grafen von der Mark, stand. Als Hermes’ Schwiegersohn Oswald ihm die Möglichkeit bot131, über ein schlafwandelndes Medium mit dem Toten Woellner habe die Bekanntschaft vermittelt. Davon abgesehen, daß Woellner weder Hermes noch Hillmer kannte, sich auch nicht mit dem Kronprinzen in Breslau aufhielt, kannte er diesen zu jener Zeit noch nicht einmal. Seither hatte Hermes dem Prinzen laufend Gedichte, Kompositionen, Predigten und andere Schriften übersandt. Dafür hatte er Geldzuwendungen, Gehaltserhöhungen und Pensionen erbeten wie erhalten und war befördert worden, u. a. 1787 bei der Neuordnung des schlesischen Schulwesens zum Oberkonsistorialrat in Breslau. Cf. die laufenden Berichte in den Gothaer Gelehrten Zeitungen, etwa im Jahrgang 1788, S. 184, 295 f. mit den Briefen des Königs an Hermes vom 18. November 1787 und 29. Februar 1788, welche diesem eine Gehaltzulage von 300 Reichsthalern zuwenden. Im Breslauer Oberkonsistorium war seinerzeit keine Stelle frei, was auf eine unmittelbare Einflußnahme des Königs schließen läßt. Cf. Gerhard, Lebensbeschreibung, S. 94. Hermes hatte darüber hinaus – vergeblich – versucht, den König zu bewegen, seinem Schwiegersohn Heinrich Siegismund Oswald (näher zu ihm Manso, Geschichte des preußischen Staates, Band 1, S. 202) die Direktion der Ritterakademie in Liegnitz zu verschaffen. Zedlitz konnte den Versuch noch abschlagen, soll aber bereits den Rücktritt erwogen haben. Seine Tage waren aber gezählt, wie aus dem Brief des Königs vom 11. Oktober 1787 an Woellner hervorgeht: „Eine dumme Cabinets antwort, so ich nicht genau durchgesehen und die M. Biester und Gedike noch verdreht haben [cf. hierzu das Lobschreiben des Königs an die Berlinische Monatsschrift 13. Dezember 1786; in Band 9 (S. I–IV) der Vorrede zur Berlinischen Monatsschrift hatten sie das am 14. Juni 1788 wiederholte Lob des Königs für diese abgedruckt] gibt ihnen nun anleitung ihre Religion widrige Lehren auszubreiten u. Zedlitz profitirt auch davon, vors erste muß der gute President Seidlitz wieder in autorithet bei ein schlesisches Schulwesen gesetzt werden und den muß die Excelenz [der Minister Zedlitz] vor genommen werden.“ Daß die Neuordnung des schlesischen Schulwesens auf Woellner zurückgeht (so Schwartz, Kulturkampf, S. 173 f., 294) ist im übrigen eine Fehlspekulation. Das schlesische Zensur-, Schulund Kirchenwesen war immer selbständig. Dies ermöglichte es dem Präsidenten des Breslauer Oberkonsistoriums Seidlitz später, sich gegenüber der Immediat-Examinations-Kommission zu behaupten. Beispiele dafür finden sich etwa im Katechismusstreit (Schwartz, Kulturkampf, S. 230 f. sowie supra Teil II, Kapitel 2, A. X.) und hinsichtlich der Verpflichtung der Schullehrer auf die Orthodoxie (Schwartz, Kulturkampf, S. 285). Weder er noch Hoym und Danckelmann hätten sich 1787 einem Eingriff Woellners gebeugt. Seidlitz, der zu den besten Freunden Carmers zählte, handelte vielmehr im Einverständnis mit dem König (cf. die an den Königl. Ober-AmtsRegierungs-Präsidenten, den Freiherrn von Seidlitz, erlassene Cabinets-Ordre vom 26. Juli 1787: „Ich hasse zwar allen Gewissenszwang und lasse jeden bei seiner Überzeugung; aber das werde ich nie leiden, daß man in meinem Lande die Religion Jesu untergraben, dem Volke die Bibel verächtlich mache, und das Panier des Unglaubens, des Deismus und Naturalismus öffentlich aufpflanze.“ Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 82; s. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 2, A. I.). Den Beleg, daß die Initiative, wonach der angehende Lehrer sich nicht bloß äußerlich dem reinen Lehrbegriff confirmire, sondern, wie er bei seiner Anstellung sich verpflichtet, bei dem was die heilige Schrift unleugbar behauptet bleibe, ohne sich jemals eines Hanges zu Neuerungen [von welchen sich so Viele zum großen Verfalle der Religion unter dem Volke hinreißen zu lassen] schuldig zu machen, nicht von Woellner, sondern von Seidlitz ausging (Eingabe vom Frühjahr), liefert Grünhagen, Kampf gegen die Aufklärung, S. 8 ff. 131 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 178 ff.

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in Verbindung zu treten132, nahm er dies gerne an. Die Somnambule riet ihm, sich ganz auf die Überwindung der religiösen Krise des Landes konzentrieren und dazu Hermes und Hillmer heranzuziehen, nachdem der bisher Verantwortliche mit seinen Maßnahmen keinen Erfolg erzielt habe.133 Nachdem sich der König noch am Tage seiner Abreise nach einer Séance eingehend mit Hermes über die Ausbreitung der wahren Religion beraten hatte, richtete er nach seiner Rückkehr an Woellner die Anweisung, Hermes mit dem Entwurf einer Dienstordnung für die lutherischen Prediger zu beauftragen. Hermes selbst sandte von sich aus laufend Vorlagen und Berichte ein134, darunter Mitte November 1790 das Schema Examinis, welches der König begeistert für verbindlich erklärte und ohne Einbeziehung des Ministers Woellner publizieren ließ.135 Den kurzen Entwurf der Vorschläge zur Verbesserung des Kirchen-, Schul- und Akademiewesens vom 28. März 1791, die auf Einführung verbindlicher Katechismen, Gesangbücher, Kirchenagenden und Lehrbücher auf orthodoxer Grundlage zielten, leitete er Woellner zwar noch zum Bericht zu136, teilte aber Hermes gleichzeitig und eigenhändig mit, daß er den Entwurf im Ganzen genommen vollkommen approbire, und bat um nähere Ausführungen.137 Zwischenzeitlich hatte Hermes am 13. April 1791 von sich aus ein längeres Promemoria eingesandt.138 Daraufhin bestellte ihn Friedrich Wilhelm II. am 19. April 1791– wiederum eigenhändig – nach Potsdam.139 Die exakten – zweifel132 Offenbar bezieht sich der Vorwurf, sie hätten ihre Ämter auf eine anrüchige Weise erlangt, den die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. zur die Pensionierung Hermes’ und Hillmers ausspricht, auf diese von Oswald organisierten Séancen. 133 Im Ausland erschien zu dieser Zeit Preußen trotz des Religions- und des Zensuredikts noch als Muster der Toleranz und geistigen Freiheit; cf. etwa Hermann, Fragmente und rechtliche Bemerkungen, besonders im Hinblick auf den Entwurf des allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Fortsetzung, S. 31. 134 Dazu bediente er sich nie der Vermittlung Woellners. 135 s. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 2, B. 136 Woellner hatte in dieser Zeit keinen Kontakt mit den Breslauern. Die Annahme, er habe die Ernennung von Hermes, Hillmer und Woltersdorf zu Mitgliedern des Oberkonsistorium betrieben, um die Opposition der sich mit Ausnahme von Silberschlag verweigernden geistlichen Oberkonsistorialräte auszumanövrieren, entbehrt jeder Grundlage. Tatsächlich sind vor dem Mai 1791 unter Woellner nur Neologen ins Oberkonsistorium gelangt; überdies sind selbst danach die Orthodoxen dort in der Minderheit verblieben. 137 Schreiben vom 12. April 1791; abgedruckt bei Schwartz, Kulturkampf, S. 478. 138 Es hat sich nicht erhalten. 139 Cf. den von Schwartz, Kulturkampf, S. 478, abgedruckten, aber falsch datierten Brief; die richtige Jahreszahl ist 1791, wie schon daraus folgt, daß er ausdrücklich auf Hermes’ Entwurf Bezug nimmt und Hillmer noch als Hofrat bezeichnet; s. ferner Gothaer Gelehrte Zeitungen: 17. Juni 1791, Potsdam: „Hier sind der Hr. Oberkonsistorialrath Hermes aus Breslau und Herr Hofrath Hilmer aus Oels, die beide hierher berufen worden, angekommen, und Hr. Hofrath Oswald hat den Geheimenrathscharakter erhalten.“ Bei Hillmer klingt das so: „Zwei Jahre verflossen unter mancherley durch das (Religions)Edikt veranlaßten Streitigkeiten, als der Monarch im Herbst des Jahres

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los ehrgeizigen – Ambitionen, mit denen Hermes nach Potsdam reiste, sind im einzelnen unklar.140 Jedenfalls strebte Hermes den Vorsitz eines neuartigen Kollegiums zur Leitung der Lutherischen Kirche in Preußen an. Dessen Errichtung wurde zum Hauptgegenstand der Gespräche, die der König Ende April mit Hermes, Hillmer und wohl auch Oswald führte, ohne Woellner hinzuziehen oder zu unterrichten.141 II. Die Potsdamer Konferenz vom 6. Mai 1791 und die Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 Die Konferenz in Potsdam vom 6. Mai 1791142 kann als Geburtsstunde der später als solche bezeichneten Immediat-Examinations-Kommission gelten, da 1790 nach Schlesien reißte. Hier unterhielt er sich mehrmals mit einigen Männern über den Zustand der Kirchen und Schulen und über die Mittel, dem überhand nehmenden Unwesen zu steuern. Im April d. J. 1791 befahl er den nachmaligen Mitgliedern der geistl. Commission, Hermes und Hillmer, desgleichen dem Prediger Woltersdorf zu Berlin, nach Potsdam zu kommen; um daselbst mit dem Chef des Geistlichen Departements und den itzt genannten Männern diesen wichtigen Gegenstand höchst selbst näher zu überlegen.“ Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 504 f. Anwesend war auch Goldbeck. Die erwähnten Streitigkeiten sind insbesondere die Remonstration der Oberkonsistorialräte gegen das Religionsedikt (supra Teil II, Kapitel 1, G.) sowie gegen den Landeskatechismus (supra Teil II, Kapitel 2, A.). 140 Er war sicher, nicht mehr in sein bisheriges Amt zurückzukehren. Sein Ehrgeiz beschränkte sich mit Sicherheit nicht auf den Titel eines Oberkonsistorialrates, den er in Breslau schon inne hatte. Interessant ist das seinerzeit in Breslau kursierende Gerücht, Hermes solle Bischof werden (cf. Schuckmann, Brief aus Breslau vom 15. Mai 1791: „Daß H. der Halbköpfige nach Berlin gerufen worden, wußt du wohl schon? Es hieß allgemein, er solle Bischof werden, doch jetzt höre ich, daß er an Tellers Stelle gekommen sei und Amanuensis des Geistlichen Ministers geworden.“ Zitiert nach Grünhagen, Kampf gegen die Aufklärung, S. 22 f.) Das Bischofsamt war bislang erst einmal zur Krönung von Friedrich I. wiederbelebt worden. Hermes als Bischof an die Spitze der lutherischen Kirche Preußens zu setzen, war einerseits elegant, weil es das Amt des geistlichen Ministers nicht formell berührte. Andererseits hätte es das fürstliche Kirchenregiment bedroht. Hermes wurde nicht einmal Propst – an Stelle Tellers –, wohl aber zusammen mit Hillmer ein Assistent des Ministers, der diesen beständig zu dirigieren und zu desavouieren vermochte. 141 Erst Anfang Mai erhielt Woellner ein zorniges Schreiben Friedrich Wilhelms II., er sei über dessen Arbeit im Baudepartement – gemeint ist das Hofbauamt – überaus unzufrieden, Hermes sei angekommen und werde „seine ausarbeitungen ihnen selbst vortragen über verbeßerung der land und stadt schulen Universiteten und beßern wahl und unterricht Euer pfarrer, auch feldt und landt predigers. Sie werden sich einrichten mitewoch nachmitags hier zu seindt, auch Goldbeck; und der alte gute Woltersdorf, da wird Herms in ihrer presence die sachen vortragen, der von mir als ein schätz bahrer man gekante hofrath Hilmer so mit Herms gekomen wird als secretaire die seance beiwohnen wie auch Oswald den wollen wir den Grund legen wegen den zu trefenden mas regeln.“ Cf. den von Schwartz, Kulturkampf, S. 478, abgedruckten, aber falsch auf März 1794, statt auf Mai 1791 datierten Brief des Königs an Woellner (zur Datierung s. vorherige Fn.). Das Schreiben läßt erkennen, daß der Minister Hillmer gar nicht kannte, während ihm Hermes zumindest nach den vorherigen Hinweisen des Königs nicht mehr unbekannt war.

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auf ihr die Entscheidungen gefällt wurden, welche in die Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 eingegangen sind.143 Woellner sah sich dem von der Mehrheit der Konferenzteilnehmer unterstützten Versuch gegenüber144, die Aufgaben des Lutherischen Geistlichen Departements einem Ober-Religions-Kollegium zu übertragen. Dies sollte in Analogie zum Oberkriegs- und Oberschulkollegium geschehen; beide Gremien hatte der König erst vor kurzem eingerichtet.145 Hierzu kam es jedoch zunächst nicht. Es ist zu vermuten, daß Woellner den Auftrag erhielt, die statt dessen gefaßten Entscheidungen in einer an ihn gerichteten Kabinettsorder zusammenzufassen. Dieses – vom 14. Mai 1791 datierende – Dokument beschränkte sich auf folgende Maßnahmen: 1. Hermes, Woltersdorf und Hillmer, der den Titel eines Geheimen Rates erhielt, wurden in das Oberkonsistorium berufen. Hierdurch wurde keine neuartige, zentrale und immediate Kirchenbehörde neben dem Oberkonsistorium oder unabhängig von ihm geschaffen. Vielmehr ging es nur um die Erweiterung des Oberkonsistoriums um drei Mitglieder mit deutlich eingeschränkter Funktion. Deren Mitarbeit war auf die Ausarbeitung von Reglements und die Examina beschränkt, das Prüfungsrecht der anderen Oberkonsistorialräte wurde nicht beseitigt. Hillmer, der als weltliches Mitglied von der aktiven Teilnahme an der theologischen Prüfung ausgeschlossen war, konnte nur als Beisitzer fungieren.146 2. Woellner erhielt den Befehl, Examinations-Kommissionen aus je drei geistlichen Mitgliedern bei allen lutherischen Konsistorien einzurichten, Silberschlag147, Hermes und Woltersdorf zu Mitgliedern der Examinations-Kom142

Ausführlich hierzu Krause, Ära Woellner, S. 101 ff. An der Konferenz vom 6. Mai 1791 nahm Silberschlag, soweit ersichtlich, nicht teil. Er kann daher bei der Konferenz nicht den Vorschlag gemacht haben, statt des Oberreligionskollegiums die Immediat-Examinations-Kommission einzurichten (so aber Schwartz, Kulturkampf, S. 203); überdies hatte der König im Mai 1791 eine solche zentrale Kommission gar nicht im Blick. 144 Nur der Justizminister Goldbeck, welcher als Rosenkreuzer wohl das besondere Vertrauen des Königs genoß, befand sich auf der Seite Woellners. Der ihm ansonsten nahestehende Ministerkollege Dörnberg war möglicherweise noch verärgert, weil er vor Erlaß des Religionsedikts nicht angehört worden war (cf. supra Teil II, Kapitel 1, B. II.). Im übrigen war die reformierte Kirche nicht direkt betroffen. 145 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 203; nach Bailleu, Art. Woellner, S. 155 f.: „Ober-Religions-Collegium zur Abstellung des eingerissenen Unwesens in Religionsangelegenheiten“. 146 Das führt später zur Entlassung von Hermes, Hillmer und Woltersdorf aus dem Oberkonsistorium, weil sie dort nie in Funktion getreten sind. Es hätte allerdings einige Probleme hinsichtlich der tatsächlichen Mitwirkung bei etwaigen Kassationsverfahren des Oberkonsistoriums aufgeworfen; nach dem Text der Kabinettsorder wären sie auch von diesen Entscheidungen ausgeschlossen gewesen. 147 Da Silberschlag Hermes im Dienstalter vorging, mußte Hermes hinter ihn zunächst zurücktreten. Es ist anzunehmen, daß Woellner seine Berufung (deshalb) vorgeschlagen hatte. 143

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mission beim kurmärkischen Konsistorium zu berufen148 und sich bei Besetzung der anderen Examinations-Kommissionen an die Vorschläge dieser drei zu halten.149 Von einer Einrichtung einer exklusiven Examinations-Kommission war demnach keine Rede, noch weniger von der Verleihung einer immediaten Stellung an sie. Nach dem Wortlaut der Kabinettsorder war ausschließlich provinzielle Examinations-Kommissionen150 als Ausschuß des jeweiligen Konsistoriums einzurichten. Von einer Gleich- oder gar Überordnung gegenüber den Konsistorien war ebensowenig die Rede wie davon, daß einer der Ausschüsse landesweit zuständig sein sollte. Vielmehr sollte jede Kommission die gleiche, auf die jeweilige Provinz beschränkte Aufgabe und die gleiche Rechtsstellung haben. In Berlin wäre die Examinations-Kommission daher bei dem kurmärkischen Konsistorium, nicht bei dem mit diesem personalidentischen Oberkonsistorium zu errichten gewesen. Jeder Ausschuß hatte drei geistliche Mitglieder, bei ihrer Auswahl hatte der Minister auf orthodoxe Geistliche aus der betreffenden Provinz zurückzugreifen, wobei er nicht auf Mitglieder des Konsistoriums beschränkt war. Die Ernennung wurde sofort bekannt gegeben. Im übrigen wurde die Kabinettsorder weder veröffentlicht noch vollzogen151; selbst die Mitglieder des Oberkonsistoriums erfuhren keine weiteren Einzelheiten152, insbesondere auch 148 Bei der Auswahl der Mitglieder der Kommission beim kurmärkischen Konsistorium hat er keine Handlungsfreiheit. Silberschlag, Hermes und Woltersdorf genossen schon seit langem das besondere Vertrauen des Königs. Dieser hatte Woellner auf Woltersdorf, Silberschlag und den diesen später ersetzenden Hecker schon in einem Brief vom 6. Oktober 1788 hingewiesen. Der Brief befand sich früher im Staatsarchiv der DDR in Merseburg, Rep. 92 Nachlaß Woellner, heute ist er mit diesem wieder in Privatbesitz zurückgekehrt. Hätte es sich bei den berufenen Geistlichen sowie bei Hillmer um Günstlinge Woellners gehandelt, wäre die Anordnung überflüssig gewesen, zumal der Minister von ihr keinen Gebrauch machte, um seine Entscheidung zu rechtfertigen. Hillmer ist nicht genannt. Mit ihm wäre auch die vorgeschriebene Zahl von drei Mitglieder überschritten; zudem war er nicht berufbar, da er kein Geistlicher war, sondern zu den weltlichen Mitgliedern des Oberkonsistoriums gehörte. 149 Woellner ist damit unter das Kuratel von Silberschlag, Hermes und Woltersdorf gestellt – wiederum ist von Hillmer keine Rede. Sie haben damit eine überörtliche Funktion; eine Überordnung der aus ihnen bestehenden Kommission über die sonstigen Examinations-Kommissionen folgt daraus nicht. 150 Sie sind also bereits hier und keineswegs – wie immer wieder angenommen und von Hillmer ausdrücklich behauptet – erst längere Zeit nach Bildung der ImmediatExaminations-Kommission angeordnet worden. Dem sonst gutunterrichteten Henke war die Kabinettsorder in diesem Punkte offenbar nicht bekannt. Daß Hillmer die Vorgänge nicht offenlegt, sondern – um die anfängliche Vorrangstellung der Berliner Kommission zu behaupten – angibt, die Errichtung der Provinzialkommission sei erst später beschlossen worden, ist leicht zu erklären. 151 Henke, Beurteilung, S. 480, der das rügt, hat sie offensichtlich nie zu Gesicht bekommen; auch K. H. Sack, Ministerium Wöllner, S. 412–455, scheint sie nicht zu kennen; abgedruckt ist sie aber bei Hoffmann, Hermes, S. 80 f., sowie auszugsweise bei Philippson, Geschichte I, S. 343 f. Hillmer hat sie natürlich in seiner Nachricht nicht offengelegt.

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nichts über die mit der Ernennung verbundenen Organisationsmaßnahmen. So war es möglich, die Kabinettsorder de facto zu unterlaufen und die Berliner Examinations-Kommission sowie Hermes und Hillmer nach und nach mit Befugnissen auszustatten, die über die in der Kabinettsorder genannten Kompetenzen bei weitem überschritten. Wäre Woellner wirklich an dieser Selbstentmachtung interessiert gewesen, hätte er am 6. Mai 1791 nicht gegen die Ansprüche von Hermes und Hillmer gekämpft153 und vor allem die Kabinettsorder nicht so konzipiert, daß sie Hermes und Hillmer unter Schonung der zentralen Kompetenzen des Ministers und des Oberkonsistoriums auf Hilfsdienste beschränkte.154 Hermes, Hillmer und Woltersdorf wurden am 19. Mai 1791 in das Oberkonsistorium eingeführt. Hermes hielt am darauffolgenden Sonntag eine Predigt.155 Alle neuberufenen Oberkonsistorialräte waren von der Einflußnahme auf die Entscheidungen des Oberkonsistoriums ausgeschlossen. Hermes rückte – wie gesehen – in der Examinations-Kommission bei dem kurmärkischen Konsistorium hinter den dienstälteren Silberschlag in das zweite Glied. Hillmer sah sich mit einem Titel und einem Amt ohne Inhalt abgefunden; seine Funktion im Oberkonsistorium war auf die Anwesenheit bei Examina beschränkt, die er als Nichttheologe nicht abnehmen konnte. Er richtete daher am 4. Juni 1791 die Bitte an Woellner, ihm eine konkrete Aufgabe anzuweisen, und empfahl sich nach dem Beispiel von Hermes, der zum Generalvisitateur aller Berliner Gymnasien ausersehen sei156, für die Aufsicht über die Ritterakademien in Brandenburg und Liegnitz; dies könnte ihm vielleicht auch eine kleine Zulage zum Gehalt einbringen.157 Woellner, ohnehin nicht für Schlesien zuständig, schenkte dem kein Gehör. Woltersdorf versuchte den König dazu zu bewegen, Kant das Schreiben zu verbieten158, blieb aber ohne Erfolg. Hermes und Hillmer kehrten 152

Cf. Spalding, Lebensbeschreibung, S. 126. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 202. 154 Niemeyer, Nösselts Leben, S. 50, erkannte richtig: „Die neuen geistlichen Räthe, Hermes, Hillmer und Woltersdorf, waren dem, wie es Eiferern vorkommen mochte, viel zu nachsichtigen Woellner als eine Immediatexaminationscommission an die Seite gestellt.“ 155 Die Predigt des darauffolgenden Sonntags ließ Hermes drucken: Predigt am Sonntag Jubilate in der Stadtkirche zu Potsdam mit allerhöchster Genehmigung Sr. Majestät gehalten und zum Besten der Armen dem Druck übergeben, von Herm. Dan. Hermes, Königl. Oberconsistorialrath, 1791, Gedruckt in der Königl. Hofbuchdrukkerey. Sie fand eine vernichtende Kritik, cf. das anonyme „Schreiben an Hrn. Oberkonsistorialrath bei Gelegenheit seiner zu P. gehaltenen erbaulichen Predigt“; ferner Rez. in den Gothaer Gelehrten Zeitungen, 1791, S. 954–957. 156 Ein Nachweis dafür fehlt noch. 157 Brief vom 4. Juni 1791; ehemals im Staatsarchiv der DDR in Merseburg, Rep. 92 Woellner (heute wieder in Privatbesitz). Von beidem ist später keine Rede mehr. 158 Cf. dem Brief Kiesewetters an Kant vom 14. Juni 1791 (Kant, Briefwechsel II, S. 264–266). 153

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vorübergehend nach Breslau zurück; erst mit der Instruktion vom 31. August 1791 traten die neuen Oberkonsistorialräte wieder öffentlich hervor. III. Die Instruktion vom 31. August 1791 und das Verhältnis der Examinations-Kommission zur Zensur Im Zeitraum von Mai bis August 1791 erarbeitete Hillmer, der nach der Kabinettsorder nicht Mitglied der Berliner Examinations-Kommission werden sollte, einen Entwurf für eine Instruktion, nach der sich die Tätigkeit dieses Gremiums vollziehen sollte.159 Ein diesbezüglicher Auftrag Woellners, dessen es nach den kompetenzrechtlichen Regelungen der Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 bedurft hätte, läßt sich nicht nachweisen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß Woellner als zuständiger Minister und Präsident des Oberkonsistoriums die Instruktion noch nicht einmal nach dem Vollzug durch den König gegenzeichnete. Dies spricht dafür, daß die Instruktion ohne seine Anregung oder gar Mitwirkung ausgearbeitet wurde und auch inhaltlich nicht seine Billigung fand. Vermutlich war es Hillmer gelungen, den Entwurf unter Umgehung des Ministers und des sonstigen Dienstwegs unmittelbar dem König zu übermitteln, was schon deshalb gut möglich erscheint, weil dieser auch Hermes und Oswald immediaten Zugang gewärt hatte. Ob Hermes, Woltersdorf und Silberschlag in die Ausarbeitung des Entwurfs eingebunden waren, ist unklar. Jedenfalls hat keiner von ihnen Einwände geäußert. Die Abweichung des Instruktionsentwurfs von der Kabinettsorder ist eklatant. Er sah vor, Hillmer als weiteres – überzähliges – Mitglied in der Berliner Examinations-Kommission zu behandeln. Darüber hinaus sollte dieses Gremium eine landesweit zentrale Stellung und ihre Mitglieder besondere Befugnisse erhalten.160 Der König zeigte sich einverstanden und setzte die Instruktion in Kraft, ohne eine Stellungnahme Woellners oder des kurmärkischen Konsistoriums einzuholen.161 Der in der Konferenz vom 6. Mai 1791 sowie in der Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 unternommene Versuch, die Etablierung eines besonderen Ober-Religions-Kollegiums zu vermeiden, war damit de facto gescheitert, auch wenn das neue Dokument mit dem bemerkenswerten Titel „Instruktion für die Examinationskommission“162 nicht die formelle Ersetzung des Lutherischen Geistlichen 159 Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Viertes Stück, S. 35–44, sowie bei Trapp, Freymüthige Betrachtungen und ehrerbietige Vorstellungen über die neuen Preußischen Anordnungen in Geistlichen Sachen. Zu Begriff und Wesen einer Instruktion s. bereits supra Teil II, Kapitel 1, E. I. 160 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 70. 161 Cf. Philippson, Geschichte I, S. 349, der Friedrich Wilhelm II. mit den Worten zitiert, daß die Instruktion „meinen ganzen Beifal hat“. Das ist ein augenfälliger Beweis dafür, daß er keine Bedenken gegen die Kompetenzerweiterung hegte.

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Departements durch „die“ Examinations-Kommission vorsah. Gleichwohl war die Kompetenzaufwertung der Berliner Examinations-Kommission unübersehbar. Schon die Erteilung einer speziellen Instruktion hob sie unter den übrigen vorgesehen Kommissionen hervor. Die konkreten Regelungen der Instruktion werteten die Berliner Kommission zusätzlich auf, indem diese sowie einzelne der neuen Oberkonsistorialräte neue, zentrale Aufgaben erhielten, die in der Kabinettsorder nicht vorgesehen waren und später als Aufgabe der Kommission verstanden wurden. Die in der Kabinettsorder noch als gleichrangig angesehenen Examinations-Kommissionen bei den übrigen Provinzialkonsistorien erhielten gegenüber dem Berliner Gremium eine dem Verhältnis der Provinzialkonsistorien zum Oberkonsistorium analoge Stellung. Außerdem wurde der Verselbständigung der Examinations-Kommissionen von den Konsistorien, denen sie nach der Kabinettsorder zugeordnet sein sollten, Vorschub geleistet. Freilich war die Autonomie der Berliner Examinations-Kommission sowie ihrer Mitglieder zunächst noch beschränkt. Ihre Funktion als eigenständiges, zentrales Gremium der preußischen Kirchenverwaltung war noch nicht in voller Schärfe sichtbar. Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß Hillmer unsicher war, bis zu welchem Grade er Woellner brüskieren und provozieren konnte. Immerhin hatte der Minister durch sein Verhalten während der Konferenz im Mai 1791 deutlich zu erkennen gegeben, daß er ein autonomes Gremium mit landesweiten Kompetenzen nicht befürwortete. Allerdings ist zu vermuten, daß sowohl Hillmer als auch Hermes die Absicht hatten, sich bei der ersten passenden Gelegenheit mit allerhöchster Legitimation – nämlich unter Berufung auf den keinen Widerspruch duldenden Willen des Landesherrn – über sämtliche einstweilen eingehaltenen Beschränkungen ihrer Kompetenzen sowie jener der Berliner Examinations-Kommission hinwegzusetzen. Hierfür spricht nicht nur, daß Hillmer schon bald damit begann, die vorgesehene strenge Bindung an das Zensuredikt vom 19. Dezember 1788163 zu unterlaufen, sondern vor allem, daß sich 162

Man beachte den Singular! Erneuertes Censur-Edict für die Preußischen Staaten. Nebst Begleitungs-Rescript an das Cammer-Gericht vom 25. December. NCC VIII, Sp. 2339 ff.; Entwurf von Svarez, GStA PK Rep. 9 F 2 a Fasz. 22 S. 4; zur Befassung der Gesetzkommission s. den Bericht Carmers vom 25. Dezember, ebenda Fasz. 21, S. 29. Das Zensuredikt verschärfte die Zensur nicht; cf. Henke, Beurteilung, S. 450; Gothaer Gelehrte Zeitungen 1789, S. 101 ff., 323 f.; Anonymus, Zur Geschichte der Wissenschaften unter der vorigen Regierung, S. 261; Biester, Immanuel Kant, S. 289; Stölzel, Svarez, S. 269 ff.; Fromm, Immanuel Kant und die preußische Zensur, S. 21, Hoffmann, Hermes, S. 44. Die Kollegialität der Zensur war von Svarez bewußt zu ihrer Milderung eingesetzt: „Seine Kgl. Maj. [sei] veranlaßt worden, mit der Form der Censurorgane selbst eine Änderung vorzusehen [und] die Censur zur Verhütung der in Angelegenheiten dieser Art doppelt gefährlichen Folgen einer durch gantz bestimmte Vorschriften nicht genugsam einzuschränkenden Willkür, statt einzelnen Personen gantzen Collegien zu übertragen nöthig gefunden.“ (Beschluß des Staatsrates vom 2. März 1789, GStA PK Rep. 9 F 2 a Fasz. 25 S. 118; Entwurf Svarez). Dem gleichen Zweck diente das förmliche Rechtsmittelverfahren. Gleichwohl erhob der Berliner Buchhändler Un163

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die Kommission von Anfang an herausnahm, sich auf eigene Initiative hin zu versammeln und zu tagen. Die Beschränkungen der Instruktion – in verschiedenen Fällen konnten sie nur auf Iniatative des Ministers hin tätig werden – konnten sie getrost ignorieren, da sie sicher sein konnten, daß der König ihnen die Aufträge auf Antrag entweder unmittelbar erteilen oder den Minister entsprechend anwiesen würde. Diesen Intentionen kam Friedrich Wilhelm II. sogar noch entgegen. Er versah die §§ 2 und 3 der Instruktion, durch welche dem Minister die Verabschiedung der von der Kommission zu entwerfenden Instruktion für die Provinzialkonsistorien übertragen wurde, mit der Randbemerkung: „Wegen des 2. Articul aber muß mir die Instruction für sämmtliche Consistoria zur erhaltung des Religions-Edikts erst zur prüfung eingeschikt werden.“ Hierdurch räumte er der Kommission tendenziell eine immediate Stellung ein, womit eine entscheidene Schwächung der Stellung des Ministers korrespondierte.164 Gemäß § 4 der Instruktion wurden die Examinations-Kommissionen bei den anderen Provinzialkonsistorien gegenüber der Berliner Kommission herabgestuft. Allerdings wurde die Unterordnung nicht näher bestimmt. Es scheint, daß Hillmer davon ausging, daß sich dies durch die weitere Entwicklung von selbst regeln würde. Durch die Instruktion erhielt die Berliner Kommission selbst zunächst nur eine neue Aufgabe, die sie nicht schon aufgrund der Kabinettsorder zu erfüllen hatte. Sie sollte eine Liste der orthdoxen, glaubenstreuen Prediger sowie eine derjenigen Geistlichen führen, die zu den Aufklärern und Neologen zählten oder sich unsittlich verhielten. Darüber hinaus wies die Instruktion165 mehreren Mitgliedern indivuelle Sonderaufgaben zu: In Übereinstimmung mit der Kabiger Kritik wegen einer Behinderung des Buchhandels, die er – zu Unrecht – aus der Kollegialisierung befürchtete: „Einige Gedanken über das Censur=Edikt vom 19ten Decembr. 1788“. Tatsächlich wurden in der Folgezeit kaum Strafverfahren wegen Zensurvergehen durchgeführt. Es ist – soweit ersichtlich – nicht zur Untersagung des Gewerbes für Drucker oder Verleger gekommen. Wenn es zu einer Verurteilung eines Autors oder Verlegers kam, dann wegen Beleidigung oder unvorsichtigen Tadels von staatlichen Maßnahmen, nicht einmal wegen Majestätsbeleidigung, die Strafen waren durchweg milde (Höchststrafe bei Bahrdt zwei Jahre, vom König auf ein Jahr herabgesetzt). Soweit einer Schrift das Imprimatur versagt wurde, konnte sie es anderen Orts, zumeist außerhalb Preußens, erlangen, und dann unbehelligt in Preußen verkauft werden. Es gab nur ganz wenige Vertriebsverbote, die sich – wie das Beispiel der Gothaer Gelehrten Zeitungen zeigt – faktisch überhaupt nicht durchsetzen ließen. Die Milde des Zensuredikts von 1788 (cf. Philippson, Geschichte I, S. 233) erweist sich am deutlichsten im Vergleich mit der Regelung, die ab 1819 seine Stelle trat. Diese wurde zusätzlich durch das abgestimmte Verhalten im gesamten Deutschen Bund und eine weitaus weniger liberale, besser funktionierende Bürokratie verschärft. Ausführlich zur Anwendung des Zensuredikts von 1788 Schwartz, Kulturkampf, S. 129 ff.; ein kommentierter Teilabdruck findet sich bei Tradt, Religionsprozeß, S. 300 f. 164 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 103 mit Anm. 56. 165 Dies war für die Instruktion eines Kollegialorgans durchaus befremdlich.

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nettsorder vom 14. Mai 1791 sollten Hermes und Hillmer – im besonderen Auftrag des Ministers – Entwürfe für neue Bücher, Reglements und Vorschriften machen.166 Darüber hinaus sollte Hermes Vorlesungen halten und zusammen mit Hillmer Schulen visitieren.167 Besondere Aufmerksamkeit schenkte Hillmer in der Instruktion seinen eigenen Aufgaben. Zwar war er als weltlicher Oberkonsistorialrat von der Abnahme der Prüfungen ausgeschlossen, sollte jedoch gleichwohl – dem Turnus entsprechend – bei öffentlichen Examen anwesend sein. Außerdem berief er sich – ohne daß dies in der Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 auch nur angedeutet gewesen wäre168 – zur Mitwirkung bei der Zensur: Der Geheimrat Hillmer „uebernimmt das Amt eines Censors aller moralischen und Gelegenheitsschriften allein; auch censiert er mit Zuziehung eines oder mehreren seiner Collegen alle theologischen Bücher, die in Berlin gedruckt werden wollen, wobey er nach Maßgebung des kürzlich erschienenen Censur-Edikts, welches ihm zur Form und Regel dient, verfahren muß und werden Seiner kön. Majestät dieserhalb eine besondere CabinetsOrdre an den Großkanzler ergehen lassen, damit er durch ein förmliches Rescript aus dem Staatsrathe als öffentlicher Censor der obigen Schriften bestätigt werde und solches zu Jedermanns Wissen gelangen möge.“169 Da die Bestellung eines speziellen Zensors die durch das Zensuredikt begründeten Kompetenzen des Oberkonsistoriums und des Kammergerichts einschränkte, war zu ihrer Ausführung eine Kabinettsorder an den Großkanzler und ein Reskript aus dem Staatsrat notwendig, welche die in der Instruktion 166 Dies sollte seinerzeit die Aufgabe aller drei neuen Oberkonsistorialräte sein; nun aber war von Woltersdorf keine Rede mehr. 167 Hierzu sollte eine gesonderte Instruktion des Ministers ergehen. 168 Die Dispensation der neuen Oberkonsistorialräte von den gewöhnlichen Pflichten im Kurmärkischen Konsistorium schloß sie vielmehr von der diesem durch das Zensuredikt von 1788 zugewiesenen Entscheidung über das Imprimatur der in Berlin und der Kurmark gedruckten theologischen Schriften aus; der Konsistorialpräsident hätte sie somit weder zu Referenten in Zensurangelegenheiten bestellen noch bei den allfälligen Plenarentscheidungen über die Versagung der Druckerlaubnis heranziehen dürfen. 169 Es scheint, daß Hillmer aus zwei Gründen auf die Zensurkompetenz verfallen ist. Oberkonsistorium, Kammergericht und Justizstaatsrat hatten sich in den Augen Friedrich Wilhelms II. mehrfach, vor allem in den Sachen Villaume und Gebhard (Unger-Zöllner-Prozeß), durch großzügige Auslegung der Pressefreiheit kompromittiert. Der König hatte zudem Anfang August 1791 durch seine Vertreter im Kurfürstenkollegium und im Reichsfürstenrat vehement die Verschärfung der Zensur gefordert, um eine Wiederholung der französischen Ereignisse im Reich zu verhindern; Reichstag und Kaiser waren dem beigetreten. Die jüngste Wahlkapitulation Kaiser Leopolds setzte zudem die Abwehr politischer Umwälzungen mit dem Kampf gegen religiöse Neuerungen in eins. Auch bei Friedrich Wilhelm II. verband sich nunmehr die langgehegte Sorge vor dem Amtsmißbrauch der neologischen Geistlichen mit der Furcht vor einem Übergriff der immer anarchischere Züge annehmenden Französischen Revolution auf Deutschland. Cf. Krause, Einleitung, S. XXI.

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weder räumlich noch sachlich exakt bestimmte Zensurkompetenz Hillmers von der anderer Zensurbehörden abgrenzten. Die in scharfem Ton gehaltene erforderliche Kabinettsorder erließ der König bereits am 1. September 1791170; wie bei der Instruktion für die Examinations-Kommission erfolgte keine Gegenzeichnung.171 Im Rahmen einer erneuten – den Minister abermals übergehenden – immediaten Vorstellung erwirkte Hillmer die Befugnis, nicht nur hinsichtlich der Gelegenheitsschriften als Zensor zu wirken, sondern auch für die Zensierung der Wochen- und Monatsschriften, gelehrten Zeitungen und Broschüren und damit für die Überprüfung aller theologischen oder moralischen Zeitschriftenartikel zuständig zu sein.172 Dieser Schritt zog sogleich heftige öffentliche 170 „Da die bisherigen Bücher-Censoren sich an das Censur-Edikt gar nicht halten, sondern viel zu leichtsinnig verfahren, so muß ich hierin eine Aenderung treffen, und die Theologischen und moralischen Schriften von anderen Männern censieren lassen, die accurater und gewissenhafter sind. Ich habe zu dem Ende mein Augenmerk auf den Ober-Consistorial-Rath Hermes und Geh. Cons. Rath Hillmer gerichtet, die Ihr dazu bestellen sollet. Ihr werdet also am besten thun, selbige zu Euch kommen lassen, ihnen meine Willensmeinung, und was Ihr sonsten zu ihrer Instruction noch dienlich findet eröffnen, und sodann das weitere erforderliche verfügen.“ Die äußerste Unzufriedenheit des Königs mit dem Oberkonsistorium, dem Kammergericht und dem Staatsrat wird sehr deutlich. Der Order (GStA PK Rep. 9 F 2 a Fasz. 22, S. 40 ff.; abgedruckt bei Kapp, Aktenstücke I, S. 148 f.; Fromm, Immanuel Kant und die preußische Zensur, S. 22) liegt dem Stil und Inhalt nach zweifellos ein eigener Entwurf des Königs zugrunde. Die von Kapp abgedruckten Akten befinden sich sämtlich im GStA PK, Rep. 9 F 2 a Fasz. 22 und vor allem 23. 171 Es besteht keine Veranlassung, die Kabinettsorder auf eine Initiative Woellners zurückzuführen. Daß sie vom Großkanzler oder dessen Mitarbeiter Svarez konzipiert wurde, ist unwahrscheinlich. Vermutlich hat sie der Geheime Kabinettsrat Mencken auf Befehl des Königs verfaßt. 172 Hillmer, der die Kabinettsorder vom 1. September 1791 nicht kannte, beschwerte sich am 4. September 1791, seine Kompetenz sei in dem die Kabinettsorder umsetzenden Reskript aus dem Staatsrat vom 2. September 1791 zu eng gefaßt. Als Carmer ihm darauf die Kabinettsorder vorlegen ließ, reagierte er zunächst nicht. Erst sechs Wochen später, am 14. Oktober 1791, wandte er sich an den König (Text der Eingabe abgedruckt in Brunns Magazin, zur weiteren Kenntnis des physischen und politischen Zustandes Europas, Band 1, S. 121, sowie in Anonymus, Brief aus Potsdam, S. 137 f.; cf. auch Kapp, Aktenstücke I, S. 150). Damit machte er dem Entwurfsverfasser der Kabinettsorder den Vorwurf, den königlichen Willen verfälscht und dem Monarchen einen Text zur Unterschrift vorgelegt zu haben, der mit dessen Intention nicht übereinstimmte. Daß er selber von der Instruktion abwich, die nur von den Gelegenheitsschriften, aber nicht von Wochen- und Monatsschriften, gelehrten Zeitungen oder Broschüren gesprochen hatte, obwohl das Zensuredikt solche eindeutig von Gelegenheitsschriften unterschied, ist eine andere Frage. In der Sache ging sein Antrag dahin, die theologischen und moralischen Zeitschriftenartikel einer höchst ungewöhnlichen doppelten Zensur zu unterwerfen. Der König war damit einverstanden. Ohne den von Hillmer gewünschten Bericht Woellners anzufordern (dies ergibt sich aus dem Brief des wohlinformierten Potsdamers, S. 137 ff.), beauftragte er den Minister durch Kabinettsorder vom 19. Oktober 1791 mit der Umsetzung der Pläne Hillmers (Text bei Kapp, Aktenstücke I, S. 150). Daß Woellner diese Order selbst gewollt haben soll, ist nicht im mindesten nachweisbar. Die Kabinettsorder ging auch insoweit über die Instruktion hinaus, daß sie nicht nur die moralischen, sondern alle philosophischen Veröffentlichungen einbezog; das Reskript des Staatsrates schränkte das stillschweigend

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Kritik nach sich173, die jedoch keine Auswirkungen zeigte.174 In der Folgezeit kam es zu weiteren, im wesentlichen erfolgreichen Versuchen Hillmers und auch Hermes’, ihre Zuständigkeiten in Zensurangelegenheiten weiter auszudehnen, zum Teil auch contra legem.175 Außerdem brachte die Examinations-Kommission den König dazu, das Verbot der ursprünglich bei Nicolai in Berlin, nun bei Bohn in Kiel verlegten und gedruckten Allgemeinen Deutschen Bibliothek zu verfügen.176 Die im Zenit ihres Einflusses auf den König stehende177 Immewieder ein. Durch die Formulierung meiner Intention ganz gemäß gibt die Kabinettsorder in gewisser Weise sogar dem Täuschungsversuch Recht. 173 Cf. den anonymen „Brief aus Potsdam“. Der Hauptvorwurf ging dahin, daß Hillmer das Vertrauensverhältnis zwischen dem König, dem Volk und den Beamten zerstöre, „so daß Er erst kommen und die Sache in ein besseres Gleis bringen muß. Und wer sind diese Beamten, wer die bisherigen Censoren der philosophischen, theologischen moralischen und periodischen Schriften? Erstaune Deutschland! Wenn ich Dir unter den Preußischen Landescollegien gerade die zwei nenne, deren Rum, ja deren Verehrung, am festesten gegründet, am innigsten anerkannt, am weitesten verbreitet ist das Berlinische CammerGericht und das Berlinische OberConsistorium! – Die will Herr H. verunglimpfen, so viel an ihm ist! Wie viel ist denn an ihm.“ (S. 143 f.). 174 Sie wurde schlichtweg ignoriert. Der „Brief aus Potsdam“ mochte die Öffentlichkeit hinreißen. Das tiefe Mißtrauen, das der König gegen die beiden Kollegien hegte, machte ihn und die Mitglieder der Immediat-Examinations-Kommission gegen die Kritik immun; soweit zu sehen, kam es nicht einmal zu einem Versuch, den Schreiber zu ermitteln oder zur Rechenschaft zu ziehen. 175 Cf. etwa die königliche Kabinettsorder vom 31. Januar 1793; abgedruckt unter dem Titel Königlich Preußisches neues Censur Reskript. An die Anspach- und Bayreuthsche und andere Preußische Regierungen, in: Minerva, hrsg. von Johann Wilhelm von Archenholz, 5. Band 1793, S. 491 f. Ausführlich dazu Kapp, Aktenstücke I, S. 207 ff. 176 Cf. die – nachdem sich Woellner trotz der Drohung mit königlicher Ungnade geweigert hatte, das Verbot zu erlassen – an den Großkanzler von Carmer gerichtete Kabinettsorder vom 17. April 1794: „Es hat die Examinationscommission bei mir darauf angetragen, daß die allgemeine deutsche Bibliothek als ein gefährliches Buch gegen die christliche Religion in Meinen Staaten verboten werden möchte. Ich trage Euch danach hierdurch auf, solches nicht nur sogleich zu verfügen; sondern befehle Euch zugleich, die gedachte Commission ungesäumt aufzufordern, Euch eine Liste von allen solchen Büchern und Schriften zu übergeben, welche nach ihrem Urtheile schädliche Principien wider den Staat und die Religion enthält, damit Ihr solche ohne Anstand durch den General Fiscal confisciren und den Verkauf derselben verbieten könnt. Dies muß mit allem Ernst ohne die mindeste Nachsicht geschehen, und die Bücher-Censur überhaupt strenger als wie bisher geschehen gehandhabt werde, wofür Ihr mir responsable bleibet.“ (zitiert nach Kapp, Aktenstücke II, S. 258). Als auch Carmer auf die Grenzen seiner Zuständigkeit hinwies, befahl der König am 21. April 1794 durch eine weitere – nun an Woellner und das Generaldirektorium gerichtete – Kabinettsorder, auf alle hier herauskommenden Schriften und Journale die in vorbenannte Fächer [Theologie und Moral] einschlagen, ein unverwandtes Auge zu richten und alle Contraventionen sofort anzuzeigen. Darufhin wies der Großkanzler am 26. April 1794 die Gerichte und Fiskäle an, nicht nur das Zensuredikt genau zu beachten, sondern auch gegen Schriften vorzugehen, „die entweder den Grund der Religion selbst angreifen, und die wichtigsten Wahrheiten derselben verdächtig, verächtlich oder lächerlich machen wollen – oder aber die Christliche Religion und deren Stifter, die Biblischen Schriften, deren Redaktion und die darin vorgetragenen Geschichts-

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diat-Examinations-Kommission erlangte auf diese Weise den Status einer Vorermittlungsbehörde für sämtliche Pressevergehen. Gelangte sie zu dem Urteil, daß ein Druckwerk schädliche Prinzipien über Staat und Religion enthielt, so ersetzte dieses entweder die Tatbestände des Zensuredikts oder stellte – wie das Kammergericht wenig später befand – deren Vorliegen verbindlich fest. Dieser – wegen der teilweisen Unvereinbarkeit mit dem Zensuredikt ungesetzliche und die bürgerliche Freiheit massiv einschränkende – Zustand wurde vom Generaldirektorium, ebenso wie von der Öffentlichkeit, als so unerträglich empfunden, daß dieses nach längerer Auseinandersetzung178 am 27. Februar 1795 sogar beim Staatsrat einen förmlichen Antrag auf Normenkontrolle stellte, um Klarheit zu gewinnen, „ob das Circulare des Großkanzlers vom 26. April 1794 mit dem Censuredikt und dem ALR vereinbar ist.“ Dieser besaß zwar keine Verwerfungskompetenz, beschloß jedoch am 23. März 1795 auf Vortrag von Svarez unter anderem, beim König die Aufhebung des Verbotes der Allgemeinen Deutschen Bibliothek zu beantragen sowie Hermes und Hillmer die Einhaltung der Gesetze einzuschärfen.179 Friedrich Wilhelm II. nahm daraufhin am und positiven Glaubenswahrheiten für das Volk zu Gegenständen des Zweifels oder gar des Spotts zu machen sich unterfangen und dadurch zugleich die praktische Religion, ohne welche keine bürgerliche Ruhe und Ordnung bestehen kann in ihren Grundfesten erschüttern; in gleichen solche Schriften, worin die Grundsätze der Staats- und Bürgerlichen Verfassung angetastet und Maßregeln der Regierung aus unrichtigen und gehässigen Gesichtspunkten dargestellt, Ungehorsam und Widerspänstigkeit gegen Gesetze und Obrigkeit vertheidiget und dadurch die Gemüther zu unnötigen Grübeleien, über Gegenstände, welche die Fassungs- und Beurtheilungskraft des großen Haufens der Leser übersteigen, aufgefordert, und zu unrichtigen Anwendungen mißverstandener theologischer Sätze verleitet werden.“ Ferner gebot er, die Umgehung der Zensur durch auswärtigen Druck und Import von im Ausland gedruckten Büchern zu verhindern (zitiert nach Kapp, Aktenstücke II, S. 258 ff.). Die Anordnungen waren mit dem Zensuredikt teilweise unvereinbar. 177 Wenn der König bereit war, Beratern blindlings zu folgen, dann nie Woellner, wie Kapp, Aktenstücke I, S. 139, behauptet, sondern allenfalls Hermes und Hillmer im Frühjahr 1794. 178 Es warf dem Großkanzler vor, nicht hinreichend für die Gesetzlichkeit der Verwaltung eingetreten und nicht dagegen eingeschritten zu sein, daß der ExaminationsKommission die Möglichkeit eingeräumt wurde, ohne gesetzliche Grundlage die Freiheit der Bürger zu beschränken (cf. Kapp, Aktenstücke II, S. 262 f.). Auch die Kurmärkische Kammer verurteilte die Verhältnisse in einem vom Generaldirektorium erbetenen Gutachten als ungesetzlich (Bericht an das Generaldirektorium vom 2. August 1794; Kapp, Aktenstücke II, S. 284). 179 Dies betraf insbesondere die Einhaltung des Zensuredikts sowie der CabinetsResolution vom 20. Februar 1792. Hingegen habe das Circulare des Großkanzlers vom 26. April 1794 keine gesetzliche Wirkung, sondern sei eine bloße, das vernünftige und pflichtgemäße Ermessen des Richters nicht einschränkende Meinungsäußerung. Entsprechende Reskripte des Generaldirektoriums an Hermes und Hillmer, den Berliner Magistrat sowie die Buchhandlungen zu Halle ergingen am gleichen Tage. Bei den ganzen Vorgängen dürfte der katastrophale Verlauf der Inspektionsreise von Hermes und Hillmer (näher hierzu infra Teil II, Kapitel 2, C. IX.) keine geringe Rolle gespielt haben.

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1. April 1795 das Verbot der Allgemeinen Deutschen Bibliothek unter der Bedingung zurück, „daß künftig in keiner einzigen Abhandlung das Mindeste gegen die christliche Religion oder den Staat oder die guten Sitten weder direkte noch indirekte enthalten sein müsse“.180 Der Einfluß der Immediat-Examinations-Kommission in Zensurangelegenheiten war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon deutlich zurückgegangen. Weitere, auf Erhaltung und Ausbau ihrer exklusiven Kompetenzen gerichtete Vorstöße blieben ohne Erfolg.181 Um die gleiche Zeit wurde der Examinations-Kommission sogar die Zeitschriftenzensur in Berlin entzogen.182 IV. Die Verselbständigung und Vorrangstellung der Berliner Examinations-Kommission Nach der Kabinettsorder vom 14. Mai 1791 sollten die Examinations-Kommissionen den Konsistorien nachgeordnete Ausschüsse darstellen. Hieran hatte die Instruktion vom 31. August 1791 nichts geändert; auch die Subordination unter die Präsidenten der jeweiligen Konsistorien sowie den Minister des Geistlichen Departements war erhalten geblieben. Lediglich aus der Randbemerkung des Königs zu § 2 der Instruktion konnte eine Befugnis der Berliner Kommission hergeleitet werden, dem König Regelungsentwürfe auf immediatem Wege zuzuleiten. Mit dieser Stellung gab sich die Berliner Examinations-Kommission jedoch nie zufrieden. Bereits Anfang September 1791, unmittelbar nach der Genehmigung der Instruktion durch den König sowie nach der Kabinettsorder an den Großkanzler, trat sie autonom – ohne Beteiligung des Ministers und ersten Präsidenten des Oberkonsistoriums Woellner sowie des Präsidenten des Provinzialkonsistoriums von der Hagen183 – zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. 180 Hierfür sollte vor allem Nicolai persönlich verantwortlich sein. Auf Betreiben des Justizdepartments wurde die Aufhebung des Verbotes auf die gleiche Weise wie das Verbot publiziert. Cf. zum Ganzen Kapp, Aktenstücke II, S. 293–300. 181 Als die Examinations-Kommission, diesmal unter Einschluß von Woltersdorf, aber ohne Hecker, am 26. Februar 1796 verlangte, die Zensoren des Kammergerichts und der anderen Kollegien sollten alle Manuskripte, die „in Theologie, Theoretische und Praktische Philosophie und insonderheit Moral, dafür ist allein Hillmer zuständig, einschlagen“, an sie weiterleiten und die Strafen wegen Umgehung der Zensur und des Vertriebs verbotener Bücher zu schärfen, gab Woellner die Eingabe unter deutlicher Distanzierung an den Großkanzler Goldbeck weiter („scheinet vom Referent übersehen zu sein [. . .] scheinet dem Referenten entgangen zu sein“), stellte ihm die Entscheidung anheim und bat um gelegentliche Nachricht. Soweit ersichtlich, ist nichts weiter geschehen. Cf. Kapp, Aktenstücke II, S. 304 f. 182 Cf. Göckingk an Benzler, vom 8. Dezember 1795; Kapp, Aktenstücke II, S. 305; ferner Biester, Immanuel Kant, S. 291; Kants Beitrag zu den Berl. Blättern wird im Jahre 1797 von Polizeipräsident Eisenberg die Druckerlaubnis versagt (noch vor dem Thronwechsel). Kapp ist das offensichtlich entgangen. Die Zensur durch Hermes und Hillmer endete freilich erst mit deren Entlassung im März 1798.

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Bei dieser Gelegenheit entwarf sie ohne diesbezüglichen Auftrag des Ministers eine Instruktion für die lutherischen Konsistorien. Woellner reagierte darauf, indem er die Kommission seinerseits für den 5. September 1791 zu einer konstituierenden Sitzung einberief. Bei der Durchführung dieser Sitzung unterlief ihm jedoch das Mißgeschick, daß er selbst die Leitung des Treffens übernahm, obwohl dies – mit Blick auf die Zuordnung der Kommission zum kurmärkischen Provinzialkonsistorium – dessen Präsidenten von der Hagen zugestanden hätte. Auf diese Weise erschien die Kommission nunmehr als dem von Woellner geleiteten Oberkonsistorium zugeordnetes Gremium, was ihre herausgehobene Stellung gegenüber den sonstigen Examinations-Kommissionen unterstrich. Die Berliner Kommission nahm dies zum Anlaß, sogar einen Vorrang vor dem Oberkonsistorium zu behaupten, und sicherte sich ungeachtet der Intervention Woellners auf Dauer das Selbstversammlungs- und Initiativrecht. Schließlich erlangte sie sogar die Stellung einer obersten Behörde, die ihre Beschlüsse selbständig faßte, ausfertigte und vollzog. In der von Woellner einberufenen Sitzung am 5. September 1791 beschloß die Kommission den in der vorausgegangenen, illegalen Zusammenkunft erarbeiteten Instruktionsentwurf. Dieser war nach dem Genehmigungsschreiben dem König vorzulegen.184 Woellner erhob gegen den Inhalt Bedenken und erreichte, daß der König die Instruktion erst am 15. November 1791 sowie mit wesentlichen Modifikationen genehmigte.185 Dessen ungeachtet führte die In183

Cf. Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 505 f. Instruktion für alle Konsistorien zur Aufrechterhaltung und Befolgung des Religionsedikts (Titel nach Bassewitz, Kurmark Brandenburg I, S. 349); in: Kurmärkische Konsistorialakten, Religionsverfassung, Litt. G Fach 1 Nr. 4. 185 Abgedruckt in: Annalen für das preußische Kirchen- und Schulwesen, Band 1, S. 60 ff. Weggefallen war dabei u. a. der § 10, nach dem Leistungsschwächen der Kandidaten in den wissenschaftlichen Fächern durch besondere Orthodoxie ausgeglichen werden sollten. Cf. Hoffmann, Hermes, S. 74. Eine nähere Darstellung des Inhalts der Instruktion und ihres Entwurfs gibt Philippson, Geschichte I, S. 350, der den Entwurf des § 10 wörtlich abdruckt. Ferner war in dem Entwurf der Instruktion vorgesehen, die Feldprediger der Examinations-Kommission zu unterwerfen; auch diese Bestimmungen strich der König; erst viel später erreichte die Immediat-Examinations-Kommission eine ähnliche Kompetenz. Die Literatur hat die ungewöhnliche Verzögerung der Promulgation der Instruktion wenig erhellt: Der Entwurf mußte auf Verlangen des Königs überarbeitet werden, der seine endgültige Fassung am 10. November billigte, aber noch eine Reinschrift forderte, die er erst am 7. Dezember mit dem Datum des 15. November unterschrieb. Philippson, Geschichte I, S. 350, unterstellt eine Einheitsfront von Woellner, der Kommission und des damaligen Generaladjutanten Oberst Manstein. Er führt die Verzögerung daher auf Skrupel des Königs zurück, ohne zu fragen, wer die Skrupel erregt haben könnte. Ein mäßigender Einfluß der Kabinettsräte (etwa Mencken) ist zu jener Zeit, in der Hillmer die Ausweitung seiner Befugnisse als Zensor durchsetzen konnte, eher auszuschließen. Tatsächlich war die Instruktion zwischen Woellner und der Kommission kontrovers. 184

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struktion zu einem neuerlichen Konflikt mit dem Oberkonsistorium, welches sich – als kurmärkisches Konsitorium – weigerte, sie vollständig umzusetzen. Zwar verpflichtete es die ihm unterstellten Inspektoren zur Beaufsichtigung der Amtsführung sowie des Lebenswandels der Geistlichen186, war jedoch nicht bereit, die Inspektoren – gemäß den Anordnungen der Instruktion über das Prüfungsverfahren – anzuweisen, die Rechtgläubigkeit der Geistlichen zu kontrollieren.187 Daher teilte es Woellner am 23. Februar 1792 mit, die Kommission sei aufgrund ihrer Subordination unter das Oberkonsistorium nicht befugt, ihm Anweisungen zu erteilen. Dieser Einwand war freilich nicht stichhaltig, da der König die Instruktion vom 15. November 1791 persönlich autorisiert hatte. Woellner versuchte – wie so oft – auch in diesem Fall zu vermitteln und dem Oberkonsistorium den erneuten Vorwurf der offenen Insubordination gegenüber dem König188 zu ersparen. Mit einem Reskript vom 13. März 1792189 verfügte er als Kompromiß, die Berliner Kandidaten sollten zunächst von der dortigen Examinations-Kommission auf ihre Rechtgläubigkeit und sodann vom Provinzialkonsistorium wissenschaftlich geprüft werden. Im Falle auswärtiger Kandidaten solle zunächst die wissenschaftliche Prüfung durch die Kreisinspektoren (Superintendenten) erfolgen, welche sich anschließend mit der Examinations-

186 Circulare vom 15. Dezember 1791; NCC IX, Sp. 247 ff. Dies war ohnehin deren Aufgabe. 187 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 74. 188 s. bereits supra Teil II, Kapitel 1, G. IV. Es war kennzeichnend für Woellner, daß er Konflikte zu entschärfen und zu vermeiden trachtete, die schon aus formalen Gründen – unabhängig von der Auseinandersetzung in der Sachfrage – zu einer fatalen Konfrontation führen mußten. Ein weiteres Beispiel stellt ein Reskript Woellners dar, das er am 30. März 1796 an die Beschwerdeführer richtete, die sich gegen die Kabinettsorder wendeten, mit der dem Magdeburger Konsistorialrat Schewe die Anwartschaft auf die Abtsstelle in Kloster Berge zuerkannt worden war. Ungeachtet des harschen Wortlauts, der nicht nur die Adressaten, sondern auch den König beeindrucken sollte, stellt das Reskript eine geradezu verzweifelte, in der Einschätzung der den Adressaten drohenden Gefahren durchaus berechtigten Warnung vor einer Klage (Eingabe) dar, die wegen unbeugsamer, durch kein Argument zu erschütternder Entschlossenheit des Königs zu einem Zusammenprall zwischen den Klägern, den Richtern und dem Monarchen führen mußte, gerade wenn sie in der Sache begründet war. Die Alternative des Rücktritts lag offenbar außerhalb des Horizontes eines preußischen Staatsdieners jener Zeit. Im übrigen war der Eingriff in die Autonomie des Klosters so unerhört nicht, schon unter Friedrich II. war es zu einem derartigen Vorkommnis in Berge gekommen. Gleichwohl hat die Historiographie Dokumente wie das hier in Rede stehende Reskript einseitig als Beleg für den gesteigerten Despotismus Woellners angesehen und verbunden mit dem landläufigen Bild des entscheidungsschwachen Königs zugleich dessen Ordern für erschlichen erklärt (cf. hinsichtlich des hier diskutierten Reskripts Gallus, Geschichte der Mark Brandenburg VI, S. 343 f., der das Reskript auch abdruckt.). Ausführlich zu den Auseinandersetzungen hinsichtlich der Abtsstelle im Kloster Berge 1774 und 1788/89–1796 Schwartz, Kulturkampf, S. 327 ff.; Philippson, Geschichte II, S. 90 f. 189 NCC IX, Sp. 877 ff.

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Kommission ins Benehmen setzen und die Themen der Prüfungspredigten anforderten sollten. Das Reskript schloß mit der Bemerkung, die Berliner Examinations-Kommission und das Oberkonsistorium seien voneinander unabhängig und unterstünden gleichermaßen dem Geistlichen Departement: Sowohl das Oberkonsistorium wie die Examinations-Kommission, „welche, da solche immediate angestellt ist, nicht unter dem Ober-Consistorio, sondern bloß unter dem geistlichen Departement stehet, wird zur gleichmäßigen Befolgung von hieraus instruiert“. An dieser Stelle wird der Examinations-Kommission, soweit ersichtlich, erstmals das Attribut „immediat“ beigelegt; die ausdrückliche Bezeichnung als ImmediatExaminations-Kommission erfolgte jedoch erst wesentlich später.190 Mit seiner Bemerkung traf Woellner keineswegs eine – selbstverständlich dem König vorbehaltene – Organisationsmaßnahme. Vielmehr war die Charakterisierung der Kommission als „immediate angestellt“ insofern mißdeutig, als in Preußen grundsätzlich nur unmittelbar dem König unterstehende Institutionen als „immediat“ galten. Da Woellner gleichzeitig die Unterordnung der Kommission unter das Geistliche Departement betonte und ihr auch keinen Vorrang vor dem Oberkonsistorium zubilligen wollte, ist es auszuschließen, daß er die Examinations-Kommission als „im Rechtssinne immediat“ bezeichnen wollte. Die terminologischen und kompetenzrechtlichen Unklarheiten und Unregelmäßigkeiten dauerten von der Entstehung der Kommission bis zu ihrer Auflösung an. Die außerordentliche Machtposition, welche sie zwischenzeitlich erwarb, war nicht rechtlich, sondern rein faktisch bedingt.191 Sie ergab sich nicht aus kompetenzrechtlichen Vorschriften, sondern aus der schlichten Tatsache, 190 Im NCC wird die Bezeichnung „Immediat-Examinations-Commission“ erstmalig in dem Reskript Woellners vom 21. Mai 1793 (NCC IX, Sp. 1621 ff.) gebraucht, nach dem im gleichen Reskript vorweg der verschleiernde Ausdruck „von Uns unmittelbar angeordnete geistliche Examinations-Commission“ verwendet wurde (die unmittelbare Anordnung einer Behörde durch den König besagt nichts über ihre Stellung in der Verwaltungshierarchie!). Die Bezeichnung stellt eine Analogie zu den Immediat-Examinations-Kommissionen her, die für die Kandidaten des Justiz- und Verwaltungsdienstes bestünden, sich aber grundlegend von der geistlichen Examinations-Kommission unterschieden: Zum einen handelte es sich bei jenen um Kollegien zur Abnahme von umfassenden, für Gesamtpreußen zentralisierten Diensteingangsprüfungen, wohingegen die Diensteingangsprüfungen für die evangelischen Prediger bei den Konsistorien verblieben waren und selbst die hinzutretende Bekenntnisprüfung eine Sache von Provinzial-Examinations-Kommissionen sein sollte. Die zentralen Kompetenzen der geistlichen Immediat-Examinations-Kommission lagen sämtlich nicht unmittelbar in der Durchführung von Prüfungen, sondern in der Gesetzgebung, sowie der Kontrolle und Leitung nicht nur des Prüfungswesens, sondern der gesamten lutherischen Kirche, Schulen und Universitäten. Zum anderen waren die anderen Immediat-ExaminationsKommissionen sämtlich allein und unmittelbar dem König unterstellt, und ihre immediate Stellung war auch vom König ausdrücklich angeordnet worden; selbst die Gesetzkommission, die nicht immediat war, beruht auf einem königlichen Patent. Überdies war keine Immediat-Examinations-Kommission zugleich gesetzgebend und beaufsichtigend tätig.

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daß der König ihr – respektive einzelnen ihrer Mitglieder – formlos den direkten und unmittelbaren Zugang zu ihm eröffnete. Dabei nahm er es hin, daß der eigentlich zuständige Minister des Geistlichen Departements über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeschaltet wurde. Den Rang einer Immediatbehörde „im Rechtssinne“ hat die Kommission zu keinem Zeitpunkt innegehabt.192 Allerdings konnte sie sich ungeachtet der Tatsache, daß sie in Ermangelung einer Rechtsgrundlage de iure in dieser Form gar nicht existierte, zeitweilig als ein zentrales Aufsichts- und Rechtssetzungsorgan in der preußischen Religions- und Zensurpolitik etablieren und dabei am Minister vorbei agieren. Die Brüskierung des Ministers geriet zur Demütigung, als der König Woellner im Frühjahr 1794 verpflichtete, als Protokollführer an den Sitzungen der Berliner ExaminationsKommission teilzunehmen.193 Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Kommission auf dem Höhepunkt ihrer Machtstellung194, zumal die Mehrheit ihrer Mitglieder zu jenem Zeitpunkt in das Oberschulkollegium berufen wurde.195 Gegen Ende des Jahres 1794 begann der Einfluß der Immediat-Examinations-Kommission zu schwinden. V. Woellners Versuche der Gegensteuerung Das Eigenleben, welches die Berliner Examinations-Kommission entfaltete, konnte Woellner nicht gleichgültig sein. Er unternahm daher verschiedene Versuche, seine Autorität zu wahren und die Kontrolle über die preußische Religionspolitik, soweit ihm diese seinem Amt nach zustand, zurückzugewinnen. Zu diesem Zweck schlug er etwa nach dem Tod Silberschlags dem König vor, den Berliner Inspektor196 Johann Baptista Ambrosi zu dessen Nachfolger

191 Siebmann, der Herausgeber des jährlich erscheinenden amtlichen Handbuchs über den königlich preußischen Hof und Staat, der sämtliche Behörden und ihre Kompetenzen in einem Anhang oder in Anmerkungen beschreibt, hat die Kommission nie behandelt. 192 Zu Recht hat Nicolai, Wegweiser für Fremde und Einheimische durch die Königl. Residenzstädte Berlin und Potsdam, S. 64, sie daher weiterhin dem kurmärkischen Provinzialkonsistorium zugeordnet. 193 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 87, Anm. 2, 109 mit Anm. 90 (Hinweis auf die zynisch anmutende, die kompetenzrechtliche Situation verschleiernde Bemerkung von Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 511: „Diese Anordnung brachte die Commission mit ihrem Chef in noch nähere Verbindung und erleichterte ungemein ihren Geschäftsgang.“). Cf. hierzu auch infra Teil II, Kapitel 2, C. VIII. 194 Daß diese Machtstellung nicht absolut war, zeigt sich nicht nur in ihrer Fragilität, sonder auch darin, daß die Immediat-Examinations-Kommission – soweit ersichtlich – keinen Einfluß auf die (überaus freiheitlichen) religions- und kirchenpolitischen Regelungen des Allgemeinen Landrechts genommen haben, die vom König zu dem Zeitpunkt endgültig in Kraft gesetzt wurden, als der Einfluß der Kommission am größten war. Cf. Krause, Überforderung, S. 165 f. 195 s. hierzu auch infra Kapitel 2, C. VIII.

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im Oberkonsistorium und in der Examinations-Kommission zu ernennen. Friedrich Wilhelm ernannte jedoch statt dessen den seit langem favorisierten, mit Hermes und Woltersdorf befreundeten Hecker197 zum Nachfolger Silberschlags. Die Beteiligung Ambrosis an der Ausarbeitung des lutherischen Landeskatechismus scheiterte ebenfalls.198 Auch der Versuch Woellners, die Examination aus der Entscheidung über ein verbindliches Lehrbuch der Theologie für die Universitäten und Gymnasien herauszuhalten, hatte keinen Erfolg. Nach die Hallenser theologische Fakultät durch den Minister mit der Abfassung beauftragt worden war199, schritt die Kommission gegen mehrere Fakultätsmitglieder, insbesondere gegen Niemeyer, ein.200 Die Fakultät sah daraufhin ihre Rechtgläubigkeit in Zweifel gezogen und gab den Auftrag zurück, da sie für die Fortsetzung der Arbeit keine Grundlage mehr sah.201 Es gelang Woellner lediglich – auch dies ist ein Beweis für das stetige Streben des Ministers nach Ausgleich und Kompromiß zwischen den Lagern der Neologen und Orthodoxen –, dem rationalistischen Theologen und Kantianer Tieftrunk202 eine Professur der Philosophie in Halle sowie den eigens honorier196 Nach den Pröpsten von St. Petri und St. Nicolai war dies der dritthöchste lutherische Geistliche in Berlin. 197 Andreas Jacob Hecker (1746–1819), 1785 Prediger an der Dreifaltigkeitskirche, 1792 Oberkonsistorialrat und Mitglied der Examinations-Kommission, 1794 Oberschulrat, als einziges Mitglied der Examinations-Kommission 1798 nicht entlassen. Hecker war schon im Gesangbuchstreit aktiv gewesen und dem schon damals an dem Vorgang interessierten Kronprinzen und späteren König positiv aufgefallen. 198 s. zum Ganzen bereits supra Teil II, Kapitel 2, A. VIII. 199 Cf. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 87; Niemeyer, Nösselts Leben, S. 42. 200 Auf Antrag der Examinations-Kommission vom 20. Juli 1792 befahl der König Woellner, Niemeyer zu verbieten, über das eigene Lehrbuch zu lesen. S. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 710. Cf. auch Krause, Ära Woellner, S. 116. Die Darstellung von Schwartz, Kulturkampf, S. 363 ff., ist hinsichtlich der Charakterisierung der Rolle Woellners unzutreffend. 201 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 116, Anm. 110. 202 Johann Heinrich Tieftrunk, mit dem Kant in einem freundschaftlichen Briefwechsel stand, war gerade erst mit dem „Versuch einer Kritik der Religion und aller religiösen Dogmatik“ (Berlin 1790) hervorgetreten. Er hatte sich darin als überzeugter Kantianer ausgewiesen. Tieftrunk war bereits zuvor als kantisch geprägter Rechts- und Staatsphilosoph hervorgetreten. Sein Woellner gewidmetes Buch „Ueber Staatskunst und Gesetzgebung“ (Berlin 1791) hatte mit einer Eloge auf Kant begonnen und eindringlich gemahnt, die von diesem geforderte liberale Staats- und Rechtsreform gerade angesichts der Vorgänge in Frankreich energisch fortzusetzen. Woellner konnte nicht entgangen sein, daß Tieftrunk Kantianer und strikter Vertreter der Vernunftreligion war, als er dem Rektor der Schule in Joachimsthal – nicht des Joachimsthaler Gymnasiums in Berlin – einen Lehrstuhl in Königsberg oder in Halle anbot. Die bis heute kolportierte Behauptung, er habe der theologischen Fakultät in Halle mit Tieftrunk einen orthodoxen Strafprofessor gleichsam als Spitzel an die Seite gesetzt (Kertz, Die Religionsphilosophie Joh. Heinr. Tieftrunks, S. 11; Schwartz, Kulturkampf, S. 362, 370; Philippson, Geschichte II, S. 68), geht allein auf Eifersüchteleien der Hallenser

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ten Auftrag zu verschaffen, den dortigen Theologiestudenten gratis religionsphilosophische Vorlesungen zu halten, obwohl Hermes augenscheinlich alles andere als begeistert war.203 Auch als sich eine Abordnung Berliner Bürger wegen der Visitation der Berliner Schulen durch Hermes bei Woellner beschwerte, versicherte dieser den Beschwerdeführern, daß es gewiß nicht zu einer Absetzung von Predigern und Lehrern kommen werde, und stellte sich damit gegen Hermes.204 VI. Die weitere Verselbständigung der Berliner Examinations-Kommission Am 30. März 1792 richtete die Berliner Examinations-Kommission die Bitte an Woellner, die Inspektorate nur an Geistliche zu vergeben, die als „Bekenner der Wahrheit und als Verehrer Jesu Christi“, mithin als Vertreter der Orthodoxie, bekannt waren. Woellner war davon augenscheinlich nicht angetan und vertröstete die Kommission mit einer freundlichen Antwort ohne konkrete Zusagen.205 Am 27. April 1792 fand eine außerordentliche Conferenz der Kommission beim König statt.206 Sie hatten den Zweck festzustellen, „was zur Consolidierung des Collegiums und zur leichteren Betreibung der verschiedenen GeTheologenfakultät zurück, die schon in der Verweigerung der Druckgenehmigung für Fichtes Kritik aller Offenbarung ihr konservatives Gesicht gezeigt hatte. In Wahrheit war Woellner überzeugt, Tieftrunk, der das Religionsedikt in der Form seiner einschränkenden Interpretation durch den König im Würtzerprozeß, d. h. als kirchliches Polizeigesetz gerechtfertigt hatte (zum richtigen Verständnis dieses Begriffs s. supra Teil II, Kapitel 1, D. II. 4.), könne zum Ausgleich des Widerstreits zwischen Glauben und Philosophie beitragen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß Woellner sich noch in seinen frühen Predigten (cf. supra Fn. 26 dieses Kapitels) als rationaler Theologe der Schule Wolffs zeigte (cf. Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 578 f.). Öffentlich ist kein Werk von ihm erschienen, indem er sich für Orthodoxie bekannt hätte. Daß Woellner sich in der rationalen Theologie Tieftrunks wiederfand und seine Wertschätzung Kants keineswegs vorgespiegelt war, kann keineswegs ausgeschlossen werden. Cf. auch Kertz, Die Religionsphilosophie Joh. Heinr. Tieftrunks, S. 17, der Woellner als einen Mann des Ausgleichs charakterisiert, sowie Schwartz, Kulturkampf, S. 357 ff., der sich die Berufung Tieftrunks nach Halle augenscheinlich kaum erklären kann. 203 Hermes konnte nur erreichen, daß Tieftrunk vor Beginn seiner Lehrtätigkeit in Halle bei ihm Vorlesungen über die reine, ächte, altorthodoxe Theologie zu hören hatte. Cf. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 87. 204 Cf. Nicolai, Antwort, S. 11 f. 205 Er versprach lediglich, auf die von der Kommission empfohlenen Geistlichen Rücksicht zu nehmen. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 281. Auch dies spricht für den Gegensatz zwischen Woellner und der Kommission (kein konkretes Eingehen auf die Forderungen) und gleichzeitig für das Streben des Ministers nach Verständigung (Dank für die löbliche Absicht). Die Datierung des Vorgangs durch Schwartz (1793 statt 1792) scheint ein Versehen zu sein.

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schäfte notwendig erschien. Die Commission erhielt die höhere Bewilligung eines besonderen Amtssiegels und manche anderen bis dahin unberichtigten Punkte, ihre äußeren Verhältnisse betreffend wurden izt berichtigt. Die Geschäfte der Commission vermehrten und vervielfältigten sich nun von Vierteljahr zu Vierteljahr.“207 Da der Kommission das Führen eines eigenen Siegels gestattet worden war, konnte sie – ohne auf den Minister angewiesen zu sein – nach Gutdünken Verfügungen mit Außenwirkung treffen. Über eine derartige Unabhängigkeit verfügten seinerzeit weder das Oberkonsistorium208 noch die Justizminister.209 In der von Woellner auf königlichen Spezialbefehl erlassenen Instruktion für die geistlichen Examinations-Commissionen in den Provinzen, de Dato Berlin, den 3. Februar 1793, gedruckt bei Georg Decker, Königl. Geheim. Ober-HofBuchdrucker210 wurden sämtliche Examinations-Kommissionen bei den Provinzialkonsistorien ausdrücklich der Kommission in Berlin unterstellt. Nach der Instruktion hatten sie die Pflicht, der Berliner Kommission halbjährlich Bericht zu erstatten, das Religionsedikt auszuführen, Listen der der glaubenstreuen Prediger zu erstellen und zu führen sowie vorläufige Examina abzunehmen. Diese reichten weit in den – bis dahin den Konsistorien exklusiv vorbehaltenen – wissenschaftlichen Bereich hinein; gleichzeitig wurden die bisherigen öffentlichen Tentamen vor den Konsistorien aufgehoben.211 Der Erlaß der Instruktion läßt darauf schließen, daß die Position des Ministers Woellner zu diesem Zeitpunkt deutlich geschwächt war. Hierfür spricht auch, daß um die gleiche Zeit erneut das Gerücht kursierte, Woellner werde die Leitung des Geistlichen Departements niederlegen.212 Am 1. Mai 1793 unternahmen Hermes und Hillmer einen erneuten Versuch, die Einflußnahme der Immediat-Examinations-Kommission auf die Besetzung 206 Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 508 f.; Woellner scheint bei ihr nicht anwesend gewesen zu sein. 207 Cf. Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 508 f. Dies weist auf eine stetige Ausweitung der Kompetenzen hin. 208 Nach § 16 der Instruktion für das Oberkonsistorium von 1750 bedurften dessen Beschlüsse der Ausfertigung durch den Minister im Geistlichen Departement, um Wirksamkeit nach außen zu erlangen. Bei dessen Verhinderung trat nicht der zweite Präsident des Oberkonsistoriums, sondern ein anderer Minister an seine Stelle. Die Beschlüsse des Oberkonsistoriums wurden in der Geheimen Kanzlei auf Anweisung des Ministers gesiegelt, da das Oberkonsistorium als solches nicht über ein eigenes Siegel verfügte, sondern allenfalls als kurmärkisches Konsistorium nach außen autonom handlungsfähig war. 209 Ihre Anordnungen waren durch das Sekretariat des Staatsrates auszufertigen und zu siegeln. 210 Abgedruckt bei Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 517 ff. 211 Näher hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 225, sowie Philippson, Geschichte II, S. 70. Beide Autoren weisen auf den geringen Anteil Woellners an der Instruktion hin. 212 Gothaer Gelehrte Zeitungen, März 1793, S. 192.

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der Inspektorate zu verstärken. Sie erinnerten Woellner an seine vor Jahresfrist getätigte – wenngleich unverbindliche – Aussage, rechtgläubige Geistliche zu berücksichtigen, soweit nicht bestimmte Geistliche – etwa Feldprediger – zur Versorgung anstünden. Wenig später wollten sie dem König eine Liste beförderungswürdiger Geistlicher vorlegen.213 Der konkrete Anlaß für das Vorbringen lag darin, daß seinerzeit ein als Neologe bekannter Feldprediger demnächst befördert werden sollte. Woellner versprach allerdings auch in diesem Fall nur, den betreffenden Geistlichen nicht zum Inspektor zu machen, weitere Zusagen lehnte er ab.214 Am 11. Mai 1793 wurden die Prüfungskompetenzen der Examinations-Kommissionen nochmals erweitert; diese erhielten nunmehr das ausschließliche Recht, den Kandidaten die Erlaubnis zum Predigtdienst, die licentia concionandi, selbst zu bewilligen. Das öffentliche Examen vor dem Konsistorium sollte erst und ausschließlich anläßlich der eigentlichen Ordination stattfinden.215 VII. Aufsehenerregende Maßnahmen der Kommission Kurze Zeit nach der Berufung der neuen Mitglieder in das Oberkonsistorium kam es zu zwei Verfahren gegen mißliebige Pastoren. Die Verurteilung und Amtsenthebung des Berliner Predigers Stork durch das Kammergericht sorgte nicht für Aufsehen, da sie wegen vierfachen Ehebruchs und nicht wegen seiner Lehre oder eines Verstoßes gegen das Religionsedikt erfolgte.216 Anders verhielt es sich mit dem auf Betreiben von Hermes erneut in Gang gesetzten Verfahren gegen den als „Zopfschulzen“ bekannt gewordenen Prediger Schulz aus Gielsdorf. Dieses wurde gemeinhin als Modellfall für die Disziplinierung von Geistlichen wegen mangelnder Rechtgläubigkeit anzusehen.217 Im Juni 1792 untersagte Hillmer unter Mitwirkung von Hermes die Publikation des zweiten Teils von Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ in der von Biester herausgegebenen Berlinischen Monatsschrift.218 In Abweichung von den ausdrücklichen Vorschriften der Instruktion für die Examinations-Kommission begründete Hermes die Maßnahme in der mündlichen Be213

Dazu kam es am 3. Juni 1793; cf. Schild, Feldprediger II, S. 233 (im Zitat). Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 282. 215 Die praktische Umsetzung gestaltete sich nicht ohne Schwierigkeiten; der bekanntermaßen auf Ausgleich bedachte Woellner war hier im Einzelfall zu Zugeständnissen bereit. Cf. Philippson, Geschichte II, S. 70 f. 216 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 81. 217 Ausführlich hierzu infra Kapitel 2, D. 218 Näher dazu Philippson, Geschichte II, S. 81; cf. auch Krause, Ära Woellner, S. 97 f., Anm. 31, und S. 120. 214

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gründung nicht mit dem Zensuredikt, sondern bezog sich auf weitere Instruktionen, die er jedoch nicht offenlegte. In der schriftlichen Begründung verwies er auf das Religionsedikt, was insofern fehlging, als das Edikt keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Publikation selbst theologischer Schriften enthielt.219 Als sich Biester daraufhin mit einer sorgfältig begründeten Beschwerde an den Staatsrat wandte, wurde diese ohne Begründung zurückgewiesen. Zu vermuten ist, daß der Staatsrat keinen anderen Ausweg aus einer Situation sah, die für ihn lediglich Unannehmlichkeiten mit sich bringen konnte. Hätte er zu der Beschwerde Stellung bezogen, so hätte er entweder die für Preußen unerhörte Existenz unbekannter Gesetze bestätigen oder aber den vom König persönlich gedeckten Übergriff in dessen Abwesenheit abwehren müssen. Auch in der Folgezeit war die Kommission an vorderster Front und mit wiederholten Initiativen an der Maßregelung Kants beteiligt.220 VIII. Die Erweiterung der Machtposition im Frühjahr 1794 Etwa zur Jahreswende 1793/94221 befand sich die inzwischen als solche bezeichnete Immediat-Examinations-Kommission auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Schon während der Abwesenheit des Königs während des Feldzuges gegen Frankreich hatte Hermes behauptet, es läge bereits eine Reihe von Kabinettsordern vor, die unmittelbar nach der Rückkehr des Königs ausgeführt werden könnten.222 Tatsächlich kam es kurz nach Kriegsende zu einer theologischen Konferenz des Königs mit Hermes; bei dieser Gelegenheit wurden zahlreiche Maßnahmen geplant und in die Wege geleitet. Insbesondere gelang es Hermes, Friedrich Wilhelm II. eine Reihe von Personen und Einrichtungen verdächtig zu machen223: einige Geistliche – insbesondere Inspektoren – wegen ihrer Unzuverlässigkeit, Kant wegen seiner angeblich schädlichen Schriften, Teller, Gedike und Zöllner sowie verschiedene Professoren der Theologie als Neologen und Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek mit Blick auf die dort erschienene Abhandlung Henkes, in welcher dieser die aus Anlaß des Religionsedikts erschienenen Schriften zusammenstellte und rezensierte.224 Gleichzeitig machte er Woellner, der das Verbot der Allgemeinen Deutschen Bibliothek nach 219

Cf. bereits supra Teil II, Kapitel 1, C. III. Ausführlich hierzu Krause, Ära Woellner, S. 122 ff. 221 Am 31. Dezember 1793 hatte die Kommission dem König von dem niederschmetternden Ergebnis ihrer Visitation der Berliner Schulen berichtet; dem folgten Verfügungen des Geistlichen Departements an die Aufsicht und Leitung der Schulen. Ausführlich hierzu Schwartz, Kulturkampf, S. 313 ff. 222 Cf. den Brief Kiesewetters an Kant vom 23. November 1793 (Kant, Briefwechsel II, S. 468–470). Zu Hermes’ Neigung, öffentlich Drohungen auszustoßen, s. auch Nicolai, Antwort, S. 10 f. 223 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 89 f. mit Anm. S. 90 m.w. N. 224 s. dazu bereits supra Teil II, Kapitel 1, A. mit Fn. 1. 220

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Möglichkeit zu vermeiden suchte225, den Vorwurf, aus Furcht vor der Öffentlichkeit in Zensurangelegenheiten zu nachlässig zu verfahren. Auf diese Weise gelang es ihm, den Minister über einen längeren Zeitraum hinweg vom König fernzuhalten.226 In kurzer Folge konnte Hermes, der zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich erneut Ambitionen hatte, die Leitung des Geistlichen Departements zu übernehmen227 und sich daher bereits wie ein Ressortchef aufführte228, eine Reihe von Kabinettsordern zu erwirken, welche zahlreiche Kompetenzen des Ministers im Geistlichen Departement, des Oberkonsistoriums sowie einzelner Oberkonsistorialräte auf die Immediat-Examinations-Kommission verlagerten oder deren Aufsicht unterwarfen. Dies bedeutete – natürlich bei unbestrittener Fortdauer des landesherrlichen Kirchenregiments – eine umfassende Veränderung der preußischen Kirchenverfassung. Am 5. März 1794 stellten Hillmer229 und Hermes den Antrag, die in Berlin tätigen Buchhändler anzuweisen, der Immediat-Examinations-Kommission eine Liste der vorrätigen Bücher und auf Wunsch ein Exemplar zur Kontrolle vorzulegen.230 Die daraufhin von Woellner entworfene und von allen fünf Justizministern unterzeichnete Anweisung des Justizdepartements vom 10. März 1794 an den Berliner Magistrat wurde mangels Weisungsbefugnis nicht ausgeführt.231 Als Hermes und Hillmer am 16. Dezember 1794 ihren Antrag wiederholten, war der Einfluß der Immediat-Examinations-Kommission bereits geschwunden. Auf Bericht des Generaldirektoriums vom 27. Februar 1795 und Vortrag von Svarez beschloß der Staatsrat am 23. März 1795, die Immediat-ExaminationsKommission solle Bücherlisten erhalten und Bücher zur Kontrolle anfordern dürfen, jedoch nicht ohne Not und nicht allzu häufig. Vor allem habe sie sich streng an das Zensuredikt zu halten.232 Am 17. März 1794 verlangte Friedrich Wilhelm auf Veranlassung Hermes’ von der Immediat-Examinations-Kommission einen schriftlichen Bericht über 225 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 115; Schwartz, Kulturkampf, S. 267 mit Anm. 1; ferner supra Teil II, Kapitel 2, C. III. 226 Woellner richtete daher im Mai 1794 die flehentliche Bitte an den Monarchen, wieder vorgelassen zu werden. Abgedruckt bei Stölzel, Svarez, S. 256, Anm. 2. 227 Cf. Baranius, Biographie der Gräfin von Lichtenau, S. 48. 228 Cf. Krause, Ära Woellner, S 106. 229 Er verfaßte den Entwurf. 230 Abgedruckt bei Kapp, Aktenstücke II, S. 256. Eine Rechtsgrundlage für eine solche Verpflichtung bestand nicht; cf. jedoch die Kabinettsorder vom 21. April 1794 (GStA PK, Rep. 9 F 2a Fasz. 27; möglicherweise sollte sie den Antrag von Hermes und Hillmer vom 5. März abstützen; am 23. April 1794 erging ein entsprechendes Reskript Woellners an alle Konsistorien; cf. Kapp, Aktenstücke II, S. 258 ff.; Schwartz, Kulturkampf, S. 315). Wiederholt wurde der Antrag am 7. Mai, am 21. September und am 16. Dezember 1794 (cf. GStA PK, Rep. 9 F 2 a Fasz. 27). 231 Cf. Brief Goeckinghs an Benzler vom 8. April 1794 (abgedruckt bei Pröhle, Günther von Göckingk, S. 31–33). 232 s. bereits supra Teil II, Kapitel 2, C. III. a. E.

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den religiösen Zustand und die Lage der Schulen und Universitäten.233 Daß dieser Bericht schon zwei Tage später, am 19. März 1794, einging234, zeigt, daß er offenbar schon fertig vorlag.235 Der Bericht zeichnete ein verheerendes Bild vom Zustand des religiösen Lebens und des Bildungswesens. Er beklagte, an den Universitäten würden die Hauptlehren noch immer nach dem jetzt herrschenden Ton vorgetragen, die Allgemeine Deutsche Bibliothek, die Jenaer Allgemeine Litteratur-Zeitung und die seit 1792 in Preußen verbotene Gothaer Gelehrten Zeitungen führen mit ihrer grenzenlosen Frechheit fort, wie denn überhaupt von den Buchhändlern, trotz aller Zensurgesetze, Schriften verbreitet werden, wie sie kaum jemals in dem unglücklichen Frankreich zur Verbreitung des jetzigen Unwesens ins Publikum gebracht worden. Die Schulen seien im alten Verfall, das Oberschulkollegium versage die Zusammenarbeit, die Einführung des Landeskatechismus scheitere an der Willkür der Inspektoren und Prediger, die nach wie vor Verdrehungen der Hl. Schrift verbreiteten. Mit der Schilderung der Lage verband sich der nicht ausgesprochene, aber deutlich spürbare Vorwurf, Woellner habe als Minister auf der ganzen Linie versagt und dies vor dem Monarchen verheimlicht. Zugleich beschloß die Examinations-Kommission am 19. März 1794, die Schulen und Universitäten in Magdeburg, Halle236 und Halberstadt zu visitieren.237 Dem übergangenen Woellner blieb augenscheinlich keine andere Wahl, als den zusammen mit dem Bericht eingereichten, von Hillmer konzipierten Reisekostenantrag zur Visitation des Schulwesens im Gebiet von Elbe und Saale befürwortend weiterzuleiten. Zu dem eingereichten Bericht bemerkte der Minister: „Ich bin immer mehr dafür, lieber langsam und sicher zu gehen und mit Gelindigkeit zu verfahren, als nach dem urteil des cholerischen Hermes mit dem Schwerte dareinzuschlagen, weil aller Ungestüm und Härte nur Bitterkeit und immer Gärungen verursacht, die am Ende in öffentlichen Unruhen ausbrechen.“238 233 Die Anregung war immediat, d. h. unter Ausschaltung Woellners an den König gelangt. 234 Dies geschah unter Einhaltung des Dienstweges. So konnte dem Minister abermals deutlich gemacht werden, was ohne sein Zutun in die Wege geleitet worden war. 235 Hoffmann, Hermes, S. 114; cf. auch Schwartz, Kulturkampf, S. 258 f. Philippson, Geschichte II, S. 88, datiert die Vorlage des Berichts bereits auf dem 18. März 1794. 236 Halle wurde als der Ort identifiziert, „wo der pp. Niemeyer aller bisherigen Ermahnungen und Verbothe unerachtet, sich noch allerhand Anomalien erlauben soll“. 237 Dies verstieß gegen die Instruktion der Kommission, wonach der Minister für die Erteilung von Visitationsaufträgen zuständig war. 238 Zitiert nach Schwartz, Kulturkampf, S. 259; von Philippson, Geschichte II, S. 155, aufgrund eines Lesefehlers (Maji statt Martii) falsch datiert; dort auch zu der vorhergegangen Anklage der Lässigkeit durch Hermes. Diese findet sich auch in den „Neuesten Religionsbegebenheiten“ und ist am 10. Mai 1794 sogar öffentlich bekannt. Cf. zudem Bailleu, Art. Woellner, S. 155 ff., der bereits klarstellt, daß alle Maßnah-

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Die Einlassung des Ministers vermochte den König, der sich getäuscht sah, nicht zu überzeugen. Er entzog Woellner die Leitung des Hofbauamtes, welches dieser bis dahin in Personalunion mit verwaltet hatte, und erwog sogar, ihn ganz zu entlassen.239 Als Woellner sich weiter sträubte, folgte die Kabinettsorder vom 12. April 1794: „Ihr kennt Meinen ganzen Ernst, die alte reine Religion Jesu in Meinen Staaten aufrechtzuerhalten; Eure jetzige Erfahrung wird Euch belehrt haben, wie sehr die im R.E. befohlene Gelindigkeit auf Mutwillen gezogen und gemißbraucht wird, und wie wenig Ihr bisher damit ausgerichtet habt. Ich befehle Euch demnach unter Androhung meiner Ungnade, mehrere Strenge anzuwenden und strafende Exempel zu statuieren, weil die Sache für den Staat zu wichtig ist, als das ich nicht alle in der Hand habenden Mittel anwenden sollte, dem einreißenden Strome des Unglaubens in Meinen Landen als Landesherr entgegenzuarbeiten. Hiernach habt Ihr Euch zu achten.“240 men des Jahres 1794 nicht von Woellner initiiert sind, sondern ganz auf eine persönliche Initiative des Königs zurückgehen. Tendenziell richtig auch Lotz, Geschichte des Deutschen Beamtentums, S. 277: „das Vertrauensverhältnis zwischen Woellner und dem König lockerte sich um 1794 [richtiger: 1791] erheblich [. . .] An den nunmehr eintretenden Vorgehen gegen renitente Prediger, Schullehrer und Professoren, das selbst vor einem Kant nicht haltmachte, hatte er keinen Anteil mehr.“ 239 Der Gräfin Lichtenau schrieb er: „Die berichte der Examinations-Commission sind so abscheulich, das ich so gleich enderung trefen mus. Woellner hat mir belogen ich habe ihm so oft den winter gefragt und er sagte es ginge alles gut er ist kleinmütig furchtsam und eitel, ich werde ihn das bau departement wegnehmen, das er desto mehr das andre vor steht und hilft das nicht so mus er fort [. . .] Man möchte das hitzig Fieber darüber bekommen [. . .] Woellner [. . .] versäumte [. . .] seine weit wichtige bestimmung; worüber ich ihm tüchtig meine Meinung geschrieben habe.“ (abgedruckt bei Schwartz, Kulturkampf, S. 260; nach Baranius, Biographie der Gräfin von Lichtenau, S. 48, ging eine Intrige von Hermes voraus, der Woellner vom Ministerium verdrängen wollte, was von der Gräfin Lichtenau verhindert worden sei). Das in dem Brief an die Gräfin erwähnte Schreiben an Woellner vom 30. März 1794 ist in dessen Nachlaß ebenfalls erhalten. Es billigte die ihm von der Kommission im Entwurf vorgelegte Anweisung für die Evangelischen Lutherischen Prediger vom 9. April 1794 und forderte ein neues Gesangbuch, anstelle des von Teller (mit Dietrich und Spalding) verfaßten, zu publizieren, d. h. gesetzlich vorzuschreiben. [Dies deutet darauf hin, daß der zu Zeiten Friedrichs des Großen begonnene Gesangbuchstreit noch nicht abgeschlossen war.] An Nösselt sei ein Exempel zu statuieren, Niemeyer sei zurechtzuweisen. Steinbart in Frankfurt und Hasse in Königsberg müßten kassiert werden. Mit Kants schädlichen Schriften dürfe es nicht weitergehen. Die Allgemeine Deutsche Bibliothek sei in Preußen zu verbieten. Eine Reihe von Predigern sei zu überprüfen und nötigenfalls zu entlassen. Woellner habe allem Unwesen unbedingt zu steuern, „ehe werden wir nicht wieder gute Freunde“. Abgedruckt und ausführlich besprochen bei Krause, Ära Woellner, S. 87 ff. Der Abdruck bei Schwartz, Kulturkampf, S. 479, ist fehlerhaft und unvollständig. 240 Abgedruckt in Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 2. Band, 1. Quartal 1795 (gedruckt 1796), S. 182. Die Übereinstimmung mit dem Handschreiben vom 30. März 1794 (s. vorherige Fn.) ist signifikant. Damit ist die These von Philippson, Geschichte II, S. 73 f. und Schwartz, Kulturkampf, S. 260, widerlegt, die – völlig in den eigenen Vorurteilen gefangen – von einer Selbstvermahnung sprechen,

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Der an den Minister gerichtete Vorwurf, er habe seine Amtspflichten vernachlässigt, wurde sogar öffentlich erhoben. Anfang 1794 erschien in den Gießener Neuesten Religionsbegebenheiten ein anonymer Artikel241, der sogleich dem König zur Kenntnis gebracht wurde. Der Text sprach von Ministern, die ihren Aufgaben nicht nachkämen. Zedlitz wurde lediglich als religiös gleichgültig hingestellt, doch „nächst ihm leben auch viele Staatsmänner, wenn sie gleich nicht so übel gesinnt sind, doch in einer gewissen Unthätigkeit in Bezug auf das Religionswesen in dem Lande dahin, und bilden sich ein, es gehe alles gut und seinen sonst gewohnten Gang, weil sie nicht gerade ganz grobe Exzesse erfahren, genügen sich, daß alte Verordnungen wegen der Religion vorhanden sind; sehen es nicht gerne, wenn über Abweichungen Berichte eingehen, die ihnen allenfalls Mühe machen, und geben es auch wohl zu verstehen, daß sie dergleichen Dinge für blos theologische Zänkereien ansehen, von welchen Notiz zu nehmen unter ihrer und des Staates Würde sey, wodurch sie dann noch weniger erfahren242. Sie würden „ihre Trägheit und Menschenfurcht“ hinter der Phrase verstecken, „daß Zwang hier nichts [. . .] vermöge, die Wahrheit am Ende siegen werde, Gott schon Mittel wüste, seine Kinder zu erhalten“243. die Woellner dem König diktiert habe. Das folgt auch nicht aus der Abschwächung des Königs („Der Zöllner dauert Mich; er ist sonst ein guter Prediger. Ihr habt Euch Mühe zu geben, ihn von seinem Irrglauben ab, und zum wahren zu führen.“), solche Ergänzungen entsprachen vielmehr auch und gerade bei selbst entworfenen Ordern seinem Arbeitsstil. Die Frage, ob und inwieweit es sich bei ungnädigen Schreiben des Königs an Woellner um bloße Selbstvermahnungen handeln kann, diskutiert ausführlich und mit Bezug auf den hier interessierenden zeitlichen Kontext Krause, Ära Woellner, S. 93 ff. 241 Anonymus (Hillmer), Austritt aus geheimen Gesellschaften. In dem Artikel wurden nicht nur die Zustände im Lutherischen Geistlichen Departement kritisiert, sondern auch Riem und Campe, Stäudlin und Kant angegriffen (S. 108); gegen Kant s. S. 33 ff. und passim. 242 Anonymus (Hillmer), Austritt aus geheimen Gesellschaften, S. 93 f. 243 Anonymus (Hillmer), Austritt aus geheimen Gesellschaften, S. 94 f. Das entspricht teils ganz den Worten Woellners, teils ganz den Angriffen von Hermes und Hillmer bzw. den Vorwürfen des Königs, so daß der Text auf Hermes oder Hillmer zurückgeführt werden muß. So heißt es in der von Hermes der Tübinger Theologischen Fakultät eingereichten Vita (abgedruckt bei Hoffmann, Hermes, S. 126): „Woellner subtimidus nihil ausus est.“ Daß das Wort von der Menschenfurcht Woellners beim König ebenso ankam, wie die gegenteilige Einschätzung von Hermes durch Woellner (cf. dessen Stellungnahme vom 19. März 1794), belegt der Brief, den Friedrich Wilhelm II. ein Jahr später an den Erlanger Theologen Seiler richtet (abgedruckt bei Hoffmann, Hermes, S. 115 ff.): „Bei manchem, der gegen das Übel kämpfen soll, herrscht Menschenfurcht, andere wieder wollten mit Feuer und Schwert darein schlagen.“ (cf. Woellner vom 19. März 1794 und die Gräfin Lichtenau in ihrem Verhör 1797/98: „Ich muß zu [Woellners] Ehre sagen, daß er in Religionssachen den Principiis des Oswald und Konsorten Widerspiel hielt. Diese Leute wollten nämlich den Glauben, den sie hatten, mit Feuer und Schwert ausbreiten: D. h. wer nicht glauben wolle, der solle es; wie ich von des Königs M. und auch von Hermes bei dem einzigen Besuch von ihm gehört, es aber geradezu abgelehnt habe.“ (zitiert nach Schwartz,

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Am 19. März 1794 hatte die Kommission dem König jedoch nicht nur auf dem Dienstweg den geforderten Bericht, sondern unmittelbar unter Umgehung Woellners ein Promemoria eingereicht. Darin verlangten sie, den Minister in die Kommission einzubinden, ihren Beschlüssen zu unterwerfen und zu entschiedenerem Einschreiten gegen renitente Prediger sowie zu exakter Ausführung der königlichen Befehle aufzufordern. Hermes, Hillmer und Hecker sollten in das Oberschulkollegium berufen werden.244 Friedrich Wilhelm II. übernahm die Vorschläge sofort in eine Kabinettsorder.245 Danach mußte Woellner an den Sitzungen der Kommission teilnehmen und sie für den König protokollieren246, wobei er – obgleich er der zuständige Minister war – keineswegs den Vorsitz führte und auch kein Stimmrecht hatte.247 Die Anordnung machte den Minister von der Kommission abhängig; die bisherige – regelmäßig gepflegte – Brüskierung geriet zur Demütigung. Demgemäß heißt es bei Hillmer in zynisch anmutender Diktion248: „Diese Anordnung brachte die Commission mit ihrem Chef in noch nähere Verbindung und erleichterte ungemein ihren Geschäftsgang.“ Die gleiche Kabinettsorder verpflichtete die Kommission zur jährlichen Berichterstattung an den König. Auf diese Weise wurde ihr erstmals förmlich und dauerhaft der direkte Zugang zum Monarchen eröffnet; ihr Status wurde dem einer echten Immediatbehörde weiter angenähert. Bereits in der ersten Sitzung, an der Woellner auf Befehl des Königs teilnahm, entwarf die Immediat-Examinations-Kommission am 26. März 1794249 eine Umständliche Anweisung für die Evangelisch-Lutherischen Prediger in den Königlichen Landen zur gewissenhaften und zweckmäßigen Führung ihres Amtes, die nach Billigung durch den König am 5. April 1794 publiziert wurde.250 Damit nahm sie – ohne dazu berufen zu sein – ein Gesetzgebungsrecht in Anspruch.251 Zugleich versuchte sie, sich den Vorrang vor dem Oberkonsistorium S. 267, Anm. 2). Die Aussage erklärt zugleich, daß es im Interesse der Schonung Friedrich Wilhelms II. lag, die Schuld auf Woellner zu häufen. Ausführlich zur Frage der Verfasserschaft Krause, Ära Woellner, S. 97 ff. 244 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 261. 245 Abgedruckt bei Schwartz, Kulturkampf, S. 261 ff. 246 Cf. auch die Kabinettsorder vom 12. April 1794 an Woellner: „Eure jetzige Erfahrung wird Euch belehrt haben, wie sehr die im Religions-Edikt befohlene Gelindigkeit [. . .] gemißbraucht wird und wie wenig Ihr damit angerichtet habt. Ich befehle Euch demnach unter Androhung meiner Ungnade, mehrere Strenge anzuwenden [. . .]“. 247 Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß die am 26. März 1794 in Woellners Anwesenheit beschlossene Anweisung für die Prediger (s. sogleich infra) durch die Kommissionsmitglieder Hillmer, Hermes, Woltersdorf und Hecker vollzogen, unterzeichnet und publiziert wurde. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 109. 248 Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 571. 249 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 264. 250 NCC IX, Sp. 2119 ff. 251 Der König konnte zwar durch Genehmigung der Publikation den Gesetzesbefehl erteilen, jedoch nur in einer Form, die es Woellner unmöglich machte, den Vorgang an

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zu sichern, indem sie ihm Anweisungen erteilte. Hiergegen erhob das Oberkonsistorium mit Erfolg Einspruch.252 Woellner, der sich natürlich auf der Seite des Oberkonsistoriums befand, zögerte jedoch, die Kommission eindeutig in ihre Schranken zu weisen. Vielmehr stellte er die vom Oberkonsistorium beanstandete Passage als ein Redaktionsversehen dar.253 Die Usurpation des Gesetzgebungsrechts durch die Kommission brachte die preußischen Behörden indessen in größte Verlegenheit. Ein eigenes Verordnungsrecht der Examinations-Kommission entbehrte jeglicher Grundlage.254 Als die Öffentlichkeit – wohl um den Widerstand Woellners zu wecken – mit großer Verwunderung registrierte, daß Hermes, Hillmer, Woltersdorf und Hecker, „unter dem Titel einer Königl. geistlichen Immediat-Examinations-Commission, anders nicht, als machten sie ein höchstes Landescollegium in geistlichen Angelegenheiten aus“, eine umständliche Anweisung für die Evangelisch-Lutherischen Prediger in den Königlich-Preuß. Landen, zur gewissenhaften und zweckmäßigen Führung ihres Amtes, De Dato Berlin, den 9. April 1794, Gedruckt bey George Decker, Königl. Geheimen Oberhofbuchdrucker255 erließen, zeigten sich die preußischen Landesbehörden mit der Situation überfordert. Da sie nicht wagten, das vom König augenscheinlich gestützte, wenngleich illegale Verfahren zu kritisieren, bemühten sie sich, es – wenn auch unbeholfen – zu legalisieren. Woellner begnügte sich in seinem Versendungsreskript an die Konsistorien vom 20. April 1794 mit der lapidaren Bemerkung, die Anweisung sei auf allerhöchsten Befehl abgefaßt worden. Diesem Beispiel schloß sich das Oberkonsistorium am 5. Mai 1794 an.256

den Staatsrat als förmliches Publikationsorgan weiterzuleiten. Offensichtlich war Woellner weder zur Unterzeichnung der Instruktion noch zu ihrem Erlaß auf Spezialbefehl bereit und überließ die Publikation daher der Kommission selbst. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 110. 252 Die Verwahrung des Oberkonsistoriums vom 8. Mai 1794 gegen den Versuch seiner Mediatisierung wurde auch von den weltlichen Oberkonsistorialräten unterstützt. Cf. Philippson, Geschichte II, S. 76. 253 Cf. Philippson, Geschichte II, S. 76, der mit Blick auf das angebliche Redaktionsversehen auf die Parallele (Druckfehler) zum Streit um das Schema Examinis verweist. Cf. supra Fn. 116 (in diesem Kapitel). 254 Nach der Kabinettsorder vom 14. Mai 1792 sollten Hermes, Hillmer und Woltersdorf als Mitglieder des Oberkonsistoriums verschiedene neue Konsistorial- und Schul-Reglements ausarbeiten. Das zielte jedoch nur auf die Anfertigung von Entwürfen und begründete keineswegs die Kompetenz, diese autonom in Kraft zu setzen. Auch die Instruktion für die Examinations-Kommission (§§ 2 und 10 II 2 b) vom 31. August 1792 sprach nur von der Anfertigung von Entwürfen, die der Minister in Kraft setzen konnte. Im Beischreiben hatte sich der König den Erlaß sogar selbst vorbehalten. 255 Ebenfalls abgedruckt in Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 1. Band, Drittes Quartal 1794 (gedruckt 1795), S. 1 ff. mit krit. Anm. des Herausgebers auf S. 1 und 2; zur mangelnden Gesetzgebungsbefugnis s. auch Philippson, Geschichte II, S. 74.

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Ein halbes Jahr später sollte sich der Akt einer angemaßten eigenständigen Gesetzgebung durch die Kommission mit der Anweisung für die Lehrer der niederen Schulen in Städten und auf dem Lande zu zweckmäßiger Besorgung des Unterrichts der ihnen anvertrauten Jugend. De Dato Berlin, den 16ten Dezember 1794, Gedruckt bey George Decker, Königl. Geh. Ober-Hof-Buchdrucker257 wiederholen. Auch hier wußte sich das Oberkonsistorium nicht anders zu helfen, als auf den der Anweisung zugrundeliegenden allerhöchsten Befehl zu verweisen.258 In einem Rundschreiben an alle Konsistorien vom 3. April 1794 verlangte die Immediat-Examinations-Kommission eine Namensliste der Prediger, welche die Einführung des neuen Landeskatechismus unterließen.259 Zugleich unternahm sie den Versuch, das Oberkonsistorium bloßzustellen, indem sie am 4. April 1794 erklärte, der von diesem als Nachfolger des amtsenthobenen Predigers Schulz vorgeschlagene Geistliche sei unfähig.260 Am 11. April 1794 erreichte sie es, daß keinem Feldprediger eine Pfarre oder ein Inspektorat ohne ihr vorheriges Zeugnis übertragen werden durfte.261 Die Tatsache, daß Woellner das betreffende Circulare262 auf königlichen Spezialbefehl erließ, zeugt – unter Berücksichtigung der Vorgeschichte – vom Unwillen des Ministers.263 Am 18. April 1794 wurde ihrem Antrag gemäß die Allgemeine Deutsche Bibliothek verboten, am 21. April 1794 erwirkte sie eine Kabinettsorder, wonach sie auf alle in Berlin herauskommenden Schriften, die in Theologie und Moral ein256 Beide Reskripte sind abgedruckt in Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 1. Band, Drittes Quartal 1794 (gedruckt 1795), S. 145 f. Auch wenn der König das Verfahren tatsächlich gebilligt hatte (cf. das Handschreiben vom 30. März 1794 – supra Fn. 239 (in diesem Kapitel) – an Woellner: „die Reglements u Instruction kann also gedruckt werden.“), bleibt das Verfahren befremdlich. Eine Ermächtigung durch königlichen Spezialbefehl, die herkömmlich nur Minister erhielten, wurde nicht behauptet. Eine formlose Übertragung der Gesetzgebungsgewalt war unerhört und mit dem Allgemeinen Landrecht unvereinbar. 257 Ebenfalls abgedruckt in Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 3. Band, 2. Quartal 1796 (1797), S. 391–429. 258 Circulare des Oberkonsistoriums (hier als märkisches Provinzialkonsistorium handelnd) vom 29. Januar 1795, NCC IX, Sp. 2479 f. 259 Cf. Philippson, Geschichte II, S. 65 f., mit Beispielen harter Kritik am Katechismus auch von orthodoxer Seite. Zur Einführung des Landeskatechismus s. supra Teil II, Kapitel 2, A. IX. 260 Cf. Philippson, Geschichte II, S. 64 f. mit Anm. sowie Tradt, Religionsprozeß, S. 173. 261 Schwartz, Kulturkampf, S. 282 f.; Philippson nennt dazu die Daten 24. Februar und 2. April 1794. In diesem Zusammenhang muß man wohl die Verdächtigung gegen den Bruder des Feldpropstes Kletschke im Schreiben des Königs an Woellner vom 30. März 1794 – supra Fn. 239 (in diesem Kapitel) – sehen. 262 Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Viertes Stück, S. 65. 263 Insgesamt hat sich Woellner über zwei Jahre gesträubt, eine derartige Regelung zu erlassen.

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schlugen, ein unverwandtes Auge haben und alle Verstöße sofort anzeigen sollte. Bei weiteren Versuchen, ihre Kompetenzen in Zensurangelegenheiten zu erweitern, stieß die Kommission jedoch – wie beim Verbot der Allgemeinen Deutschen Bibliothek – auf erheblichen Widerstand des Staatsministeriums.264 Am 30. April 1794 setzte die Kommission beim König den – von Woellner trotz gegebener Zuständigkeit nicht erteilten265 – Auftrag zur Visitation aller Schulen und Hochschulen im Herzogtum Magdeburg und im Fürstentum Halberstadt durch.266 Außerdem wurden am 2. Mai 1794 auf ihr Betreiben alle angehenden Gymnasial- und Schullehrer verpflichtet, das Festhalten an der Orthodoxie zu versprechen.267 Unter dem 1. Oktober 1794 erließ Woellner – wiederum auf königlichen Spezialbefehl, was auf maßgebliches Drängen der Kommission hindeutet – ein Circulare, demzufolge sämtliche Zivilprediger sich einer Prüfung zum Nachweis der Rechtgläubigkeit zu unterziehen hatten.268 Am 5. November 1794 wurde durch ein – ebenfalls auf königlichen Spezialbefehl erlassenes – weiteres Circulare Woellners269 eine Art Inspektoratsprüfung angeordnet, wonach die Bewerber für Inspektoratsstellen zur Feststellung seiner Rechtgläubigkeit ein längeres Examinationsverfahren mit Probepredigt und -katechese, Prüfungsaufsatz und mündlicher Prüfuhng vor der Immediat-Examinations-Kommission oder der jeweiligen Provinzial-Examinations-Kommission zu durchlaufen hatte, bevor das – faktisch bedeutungslose – Kolloquium in pleno Consistorio durchgeführt werden durfte. Auch die Reihe von Kabinettsordern vom 12. April 1794 ging auf die Anregung der Immediat-Examinations-Kommission zurück. Carmer hatte danach die Fiskäle zur disziplinarischen Verfolgung der Übertreter des Religionsedikts an264

s. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 2, C. III. s. hierzu bereits die Darstellung im Verlauf dieses Abschnitts. Unzutreffend Philippson, Geschichte II, S. 88, der auch hier offenbar nach seinem Prinzip verfahren ist, daß alles Schlimme nur von Woellner herrühren könne. 266 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 315. 267 Cf. das entsprechende Circulare vom 4. September 1794; NCC IX, Sp. 2395 f.; dazu Bassewitz, Kurmark Brandenburg I, S. 351. Die Regelung wurde am 9. Oktober 1794 auf die angehenden Prediger ausgedehnt und im Oktober 1796 auch für Ansbach-Bayreuth eingeführt; am 25. Oktober 1797 mußten alle Professoren in Erlangen die Erklärung abgeben. 268 Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Viertes Stück, S. 66. Nach Philippson, Geschichte II, S. 154, erreichte Woellner am 1. Oktober 1794 auch, daß ihm das schlesische Schulwesen unterstellt wurde. Andererseits wurde noch am 24. August 1794 aus Schlesien gemeldet, dort gelte nicht nur das Religionsedikt nicht, sondern sei auch der Katechismus nicht eingeführt (Anonymus, Irrungen über Einführung eines Katechismus in Schlesien, S. 325 ff.). S. dazu auch supra Teil II, Kapitel 2, A. X. 269 Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Viertes Stück, S. 67. 265

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zuweisen.270 Anstelle der Zivilgerichte sollten künftig wieder die Konsistorien für die Entlassung von Predigern zuständig sein, die entgegen dem Religionsedikt lehrten.271 Woellner wurde hiervon mit dem Zusatz benachrichtigt, die „notorischen Neologen und sogenannten Aufklärer Teller, Zöllner und Gedike, die ich zwar auf eine kurze Zeit noch dulden werde“, hätten sich in Kassationssachen einer Stellungnahme zu enthalten.272 Eine zweite an Woellner gerichtete Kabinettsorder schränkte das Prüfungsrecht des Oberkonsistoriums ein, eine dritte Order übertrug auf Antrag der Immediat-Examinations-Kommission273 die Vornahme der Ordinationen von dem Propst Teller auf Woltersdorf, der jedoch Tellers Anrede und Gebet bei der Ordination beibehielt.274 In dieser dritten Order wurde angeordnet, „daß die bisherige Privatbeichte der Ordinandorum bei den Diaconis der Petrikirche zwar ferner verbleiben, diese aber strenge admoniret werden soll, im Beichtstuhle nichts wider die Lehre Jesu, wie bisher geschehen, vorzubringen“.275 270 Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 2. Band, 1. Quartal 1795 (gedruckt 1796), S. 181. Offenbar ist es zu keinem einzigen Verfahren vor einem Konsistorium wegen Verstoßes gegen das Religionsedikt gekommen. 271 Abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 39; cf. auch Henke, Abgekürzter Religionsproceß in den Preussischen Staaten, S. 59; Reskript Woellners dazu auf königl. Spezialbefehl vom gleichen Datum in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Erstes Stück, S. 42; Reskript des Justizdepartements dazu vom 14. April 1794, NCC IX, Sp. 2143; auf die Verstöße nach dem Religionsedikt beschränkt durch Reskript des Justizdepartements, dem auch Woellner angehörte, vom 30. Juni 1794 (cf. Philippson, Geschichte II, S. 76). 272 Abgedruckt in Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte 1795, 2. Band, 1. Quartal 1795 (gedruckt 1796), S. 182. Cf. hierzu Hoffmann, Hermes, S. 89. Zur Frage der Selbstvermahnung s. bereits supra Fn. 240 (in diesem Kapitel). Ungeachtet der Kabinettsorder verbreitete sich unter Zöllners Gemeinden das Gerücht seiner bevorstehenden Absetzung. Auf Antrag Woellners vom 29. April 1794 bestätigte der König, daß er nicht an eine Absetzung denke. Cf. Philippson, Geschichte II, S. 152; Hoffmann, Hermes, S. 113 f. 273 Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte, 1. Band, 3. Quartal 1794 (gedruckt 1795), S. 144 f. 274 Cf. Henke, Anrede und Gebet bey Ordinationen in Berlin. 275 Hierdurch wurde ein neues, alsbald öffentlich gemachtes Verfahren ausgelöst. Nach Zustellung der Kabinettsorder zur Beachtung (8. Mai) und deren Veröffentlichung am folgenden Tag im Altonaer Merkur erstatteten die Diakone Troschel und Reinbeck gegen die Examinations-Kommission Anzeige wegen durch die Kabinettsorder publik gemachte Verleumdung (14. Mai 1794) und wandten sich, als daraufhin nichts geschah, an den Staatsrat (29. Juni 1794). Die zur Stellungnahme (wiederholt oder von dem unter äußersten Druck stehenden Woellner zögerlich? So Philippson, Geschichte II, S. 86) aufgeforderte Immediat-Examinations-Kommission erklärte, die – auf ein voraugegangenes Fehlverhalten der beiden Diakone hindeutenden Worte „wie bisher geschehen“ fänden sich nicht in ihrem Protokoll. Nach Mitteilung dieser Auskunft und nachdem eine Aufforderung (18. August) an die Kommissionsmitglieder, sich in den Berliner Zeitungen von der Aussage zu distanzieren, erfolglos geblieben war (Hermes und Woltersdorf hatten es abgelehnt, sich öffentlich zu einer königlichen Kabinettsorder zu äußern und damit dem König die alleinige Verantwortung für

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Am 17. April 1794 folgte die schon erwähnte Kabinettsorder an den Großkanzler: „Es hat die Examinationscommission bei mir [immediat276] darauf angetragen daß die allgemeine deutsche Bibliothek als ein gefährliches Buch gegen die Religion in Meinen Staaten verboten werden möchte. Ich trage Euch danach hierdurch auf, solches nicht nur gleich zu verfügen, sondern befehle Euch zugleich, die gedachte Commission ungesäumt aufzufordern, Euch eine Liste von allen solchen Büchern und Schriften zu übergeben, welche nach ihrem Urtheile [das gewährte allem Anschein nach carte blanche] schädliche Principien wider den Staat und die Religion enthält, damit ihr solche ohne Anstand durch den General Fiskal confiscieren und den Verkauf derselben verbieten könnt. Dies muß mit allem Ernst ohne die mindeste Nachsicht geschehen, und die Bücher-Censur überhaupt strenger wie bisher gehandhabt werden, wofür Ihr mir reponsable bleibet.“277 Der Großkanzler teilte dem König am 19. April 1794 unter Hinweis auf seine Unzuständigkeit mit, er möge sich an das Kabinettsministerium, das Generaldirektorium und an Woellner wenden. Gleichwohl erließ er am 26. April 1794 das geforderte Reskript.278

die herabsetzende Bemerkung zugeschoben), verfolgten Troschel und Reinbeck diesen Weg nicht mehr weiter, sondern publizierten die Unterlagen in einer „Abgenöthigten Ehrenrettung“, die schnell drei Auflagen erlebte. Zum Verfahren gegen Troschel und Reinbeck cf. außerdem Philippson, Geschichte II, S. 85 f. sowie Gallus, Geschichte der Mark Brandenburg VI, S. 335. Die Examinations-Kommission war durch die Publikation bloßgestellt. Auch Hermes und Woltersdorf dürften durch die Publikation den Rest ihrers öffentlichen Ansehens verloren haben und darüber hinaus bei dem nach außen stets um ein gutes Bild bemühten König in Mißkredit geraten sein, da sie ihn als Verleumder hingestellt hatten. Von Interesse ist noch ein Detail des Verfahrens. Zu der Eingabe Reinbecks und Troschels hieß es in der später vorgelegten Publikation: „Wir respektiren des Königs Kabinettsorder mit der Ehrfurcht, die wir als Unterthanen, als Prediger und Christen unserem Landesherrn schuldig sind.“ Dies war insofern bedenklich, als der König im fraglichen Vorgang gerade nicht als Landesherr, sondern vielmehr als Inhaber der bischöflichen Gewalt gehandelt hatte. Dies zeigt, daß die Differenzierung zwischen den beiden in der Hand des Landesherrn vereinigten, aber nicht vermischten Kompetenzbereiche nicht nur dem Monarchen und der Staatsleitung, sondern auch den Untertanen schwer fiel. 276 Cf. den Bericht der Immediat-Examinations-Kommission vom 19. März 1794. Daß die Initiative zum Verbot nicht von Woellner ausging, vielmehr auf seinen Widerstand sowie den Bischoffwerders stieß, ist nicht allein durch diese Stelle belegt (cf. etwa supra Fn. 176 [in diesem Kapitel]); Hoffmann, Hermes, S. 94, 122. Philippson, Geschichte II, S. 43, 46 f., hat keinen Grund für die gegenteilige Annahme. Tatsächlich wurde die Kabinettsorder verfälschend publiziert, nämlich ohne den Hinweis auf die Immediat-Examinations-Kommission; Hoffmann, Hermes, S. 93 ff.; cf. auch den Brief Goeckingks an Benzler, abgedruckt bei Pröhle, Günther von Göckingk, S. 32. 277 Zitiert nach Kapp, Aktenstücke II. S. 258. Carmer war abgesehen von der Aufsicht über die Fiskäle und Gerichte für die Zensur und die Zensurbehörden nicht zuständig. 278 Cf. bereits supra bei Fn. 176 (in diesem Kapitel).

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IX. Der Anfang vom Ende: Die Visitation der Schulen und Universitäten im Sommer 1794 Hermes und Hillmer begannen ihre Reise zur Visitation der Schulen und Universitäten im Herzogtum Magdeburg am 12. Mai 1794. Nachdem sie bereits einige berühmte Gymnasien besucht hatten279, gelangten sie am 29. Mai 1794 nach Halle, wo sie – nachdem es schon am Abend ihrer Ankunft zu Protestkundgebungen gekommen war – am darauffolgenden Tag das Gymnasium inspizierten. Nach der Ankündigung, am nächsten Tag im Rahmen ihrer Visitation die Universität zu besuchen, kam es abends zu einem erneuten Aufruhr der Studenten. Die Scheiben der Gastzimmer, in denen Hermes und Hillmer wohnten, wurden eingeworfen. Auf den nächtlichen Straßen kam es zu Versammlungen drohender Haufen sowie zu tumultartigen Szenen. Die Visitatoren gerieten derart in Furcht, daß sie die Stadt am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe geradezu fluchtartig verließen.280 So endete die Reise in das als Zentrum der Neologie angesehene Halle unter chaotischen Umständen.281 Damit begann die noch wenig zuvor scheinbar übermächtige Kommission, ihre Macht zu verlieren.282 Woellner konnte nach dem katastrophalen Ende der Visitationsreise in Halle den König auf seine Vorbehalte verweisen: „Dies ist nur umso mehr glaublich, weil Hermes leider! durch seinen aufgeblasenen Stolz und durch sein Poltern auf der Kanzel, so ofte er gepredigt, sich alle Menschen in Berlin zu Feinden gemacht hat. Alle meine Ermahnungen haben weiter nichts vermocht, als daß er mich am Ende bei E. K. M. verleumdet hat. Die gute Sache hat aber dabei unendlich verloren, denn ungeschickte Werkzeuge in der Ausführung verderben auch den besten Plan, zumal wenn sie nicht folgen, sondern alles besser wissen wollen.“283 279

Cf. die tagebuchartige Darstellung bei Schwartz, Kulturkampf, S. 315 ff. Cf. Philippson, Geschichte II, S. 89; Schwartz, Kulturkampf, S. 375 f. 281 Die Visitationsreise wurde am 31. Mai 1794 in Könnern fortgesetzt und endete am 13. Juni 1794. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 323 ff. 282 Cf. Philippson, Geschichte II, S. 90, der aber noch eine Reihe von Maßnahmen aus dem Herbst 1794 aufführt. 283 Daß Woellner von Hermes und Hillmer in die Enge getrieben wurde, belegen die Aussagen unverdächtiger Zeugen, etwa der Gräfin Lichtenau (supra Fn. 243) und Niemeyers (Nösselts Leben, S. 50): „Die neuen geistlichen Räthe, Hermes, Hilmer und Woltersdorf, waren dem, wie es Eiferern vorkommen mochte, viel zu nachsichtigen Woellner als eine Immediatexaminationscommission an die Seite gestellt.“ Dazu (S. 52) berichtet er, daß Woellner, der zuvor „keinen üblen Willen gegen die Fakultät gezeigt hatte“, Nösselt und Niemeyer, als sie im Dezember 1792 in Berlin waren, nicht empfing und „als sich der Minister v. Struensee, wie er uns selbst sagte, ,das Fest machte‘, uns mit Woellner zugleich zum Diner einzuladen, [. . .] dieser sichtbar jeder Annäherung und jedem Gespräch aus[wich]“. Bei der Reise fand auch ein Zusammentreffen mit Hermes und Hillmer statt, die sich „über das Zögern der Regierung, die sie noch immer hemmte“, beklagten (S. 53). Zum Verhältnis Woellners zu Hermes und Hillmer nach den Tumulten von Halle s. auch S. 58: „Für die Universität 280

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In dem Bericht, den die Professoren von Halle nach der mißglückten Visitation durch Hermes und Hillmer zu erstatten hatten, rechtfertigten sie den Aufstand durch die Übergriffe der Immediat-Examinations-Kommission: „Es hatte sich nämlich hier der Ruf verbreitet, als ob diese Männer es unternommen hätten, ihre Privatmeinungen über religiöse Gegenstände den anderen Lehrern als Gesetze vorzuschreiben, alle Bücher, wodurch ihre Meinung widerlegt würde, zu verbieten und ein Inquisitions-Gericht aufzurichten.“284 Ihre Lehrfreiheit konnte die theologische Fakultät beim Staatsrat gleichwohl behaupten.285 Darüber hinaus legte Woellner dem König – entgegen der Gewohnheit, namenlose Eingaben zu ignorieren – die anonyme Vorstellung von 120 preußischen Bürgern (Leipzig vom 10. Mai 1794) vor, in welcher der Immediatiat-Examinations-Kommission der Vorwurf gemacht wurde, ihre Befugnisse über das geltende Recht hinweg auszudehnen. Friedrich Wilhelm II. kam nicht umhin, daraufhin in einer Kabinettsorder festzustellen, „daß es in Höchst Dero Landen keinen Despotismus gibt, und die Examinations-Commission würde sich selbst verantwortlich machen, wenn sie die Grenzen ihrer Autorität im geringsten überschritte“.286 Zwar wurde im Herbst 1794 noch die Anfang Mai angeordnete Abgabe einer Verpflichtungserklärung für alle Lehrer durch ein Circulare des kurmärkischen Konsistoriums verbindlich gemacht sowie am 6. November 1794 verordnet, die Gymnasien hätten das von Tieftrunk kritisierte lateinische Kompendium von Morus sowie in den Unterklassen – wie die sonstigen Schulen – die „Christliche Lehre im Zusammenhange“ zu verwenden.287 Außerdem zog Woellner –

sollte zwar nach dem ersten Reskript dieser Vorfall ,die schrecklichsten Folgen haben‘. Sie blieben aber aus; und da sich [. . .] die öffentliche Stimmung gegen solche Inquisitionen so laut ausgesprochen hatte [. . .] mochte der Minister – der gewiß im Herzen kein Freund dieser ihn selbst bedrängenden Commission war – noch mehr Vorsicht anrathen.“ 284 Zitiert nach Philippson, Geschichte II, S. 89. 285 Näher hierzu Philippson, Geschichte II, S. 91 f. 286 Die Kabinettsorder datiert vom 26. Mai 1794. Cf. auch Goeckingk an Benzler, Brief vom 30. Juni 1794, abgedruckt bei Pröhle, Günther von Göckingk, S. 35: „Mit der Bürgerdeputation an den Minister W. hat es seine Richtigkeit. Die Deputierten sind hernach zu Protokoll vernommen worden und der Minister hat solches an den König geschickt.“ Wenn Woellner dem Beschluß als Mitglied des Staatsrates nicht zugestimmt haben sollte, dann läßt das nicht von vorneherein auf Ablehnung schließen, es könnte auch durch seine Zwangslage erklärt werden. 287 NCC IX, Sp. 2349. Die Reverse, die den Kandidaten des Predigtamtes vor ihrer Ordination abverlangt wurde, enthielt die eidesstattliche Versicherung zu orthodoxer Lehre im Sinne der Augsburger Konfession und der Instruktion vom 9. April 1794. Die eidesstattlichen Versicherungen der neu einzusetzenden Professoren (nicht nur der Lehrer der Theologie) und Lehrer an sämtlichen Schulen versprachen die Einhaltung des Religionsedikts und eine christliche Erziehung (Reskript vom 20. November 1794, abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchen- und Schulwesens, Viertes Stück, S. 105). Cf. Philippson, Geschichte II, S. 79.

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nachdem er sich lange dagegen gesträubt hatte – am 1. Oktober 1794 Kant zur Rechenschaft.288 Doch schon am 2. Oktober 1794 sah sich Hillmer gezwungen, durch seine – ungeachtet des Titels nicht vollständig den Tatsachen entsprechende – „Kurze authentische, und actenmäßige Nachricht“ der Geistlichen Immediat-Examinations-Commission ein Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung zu bewahren. Von dem Schlag, den die abgebrochene Visitation in Halle und die binnen acht Tagen in zweiter Auflage vergriffene „Abgenöthigte Ehrenrettung“ von Troschel und Reinbeck der Immediat-Examinations-Kommission versetzt hatten, konnte sich diese nie wieder erholen.289 X. Das Verfahren gegen Hermanni als Beispiel für den Niedergang der Immediat-Examinations-Kommission Die Macht der Immediat-Examinations-Kommission war spätestens seit dem Frühjahr 1795 gebrochen. Die Bindung der Kommission an das Zensuredikt wurde, soweit es daran fehlte, wieder hergestellt, das Verbot der Allgemeinen Deutschen Bibliothek aufgehoben. Ein Jahr später wurde Hillmer die Zuständigkeit für die Zensur der in Berlin erscheinenden Zeitschriften entzogen.290 Zwar verlangte die Kommission noch im Herbst 1796 von den Inspektoren und sonstigen Behörden, ihr die Visitationspredigten einzusenden und die Kandidaten strengstens zu prüfen291, sie erreichte es auch, daß im Oktober 1796 das Religionsedikt in Ansbach und Bayreuth eingeführt wurde. Außerdem hatten nach einer Anordnung vom Juli 1797 an die dort tätigen Hochschullehrer ebenfalls den Glaubensrevers zu unterschreiben. Die Regelungen wurden aber nicht mehr beachtet, sondern allenfalls formal erfüllt.292 Am Ende war es den Mitgliedern der Immediat-Examinations-Kommission faktisch nicht mehr möglich, sich durchzusetzen. Dies galt insbesondere für das Verbot mißliebiger Bücher. 288 Daß diese Maßregelung vom König erzwungen worden war, steht außer Zweifel. Woellner verstand es daher, das maßregelnde Reskript – auch im Vergleich zu früheren Maßnahmen dieser Art – so milde wie möglich abzufassen, so daß es – bei richtiger Auslegung – Kant weder in der Lehre noch in der Forschung einschränkte. Ausführlich dazu Krause, Ära Woellner, S. 127 ff. mit Anm. 142 ff. 289 Cf. Kosmann, Versuch I, S. 407. 290 Offenbar hatte der König das Interesse an der forcierten Durchsetzung seiner Religions- und Zensurpolitik verloren und kehrte zu der zwischen 1788 und 1791 vertretenen Linie zurück. 291 24. September 1796; abgedruckt in: Gedike, Annalen des Preußischen Kirchenund Schulwesens, Viertes Stück, S. 70. 292 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 117. Daß sich die Kommission machtlos fühlte, bezeugte Hermes selbst Niemeyer gegenüber: „Man hält uns für mächtig, aber nicht einen einzigen neologischen Prediger haben wir abzusetzen vermocht: so arbeitet alles uns entgegen.“ (zitiert nach Niemeyer, Nösselts Leben, S. 61).

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Auch der Versuch Hermes’, die Werke und ihre Verleger öffentlich anzugreifen, fruchtete nichts, da seine Gegner ebenfalls öffentlich gegen ihn vorgingen. Als Hermes daraufhin Woellner zum Einschreiten aufforderte, wurde er von diesem barsch zurückgewiesen.293 Die Neigung der Kommission, ihre Kompetenzen zu überdehnen, hielt jedoch an, wobei sie aber zunehmend auf Widerstand derjenigen stieß, gegen die sich ihre Maßnahmen richteten. Dies läßt sich etwa am Verfahren gegen den Soester Prediger Hermanni ablesen.294 Dieser hatte eine – offensichtlich nicht wirklich gehaltene – Visitationspredigt in der offenbaren Absicht eingereicht, die Immediat-Examinations-Kommission herauszufordern.295 Die Kommission tat Hermanni, der ihr Einschreiten nicht ohne Larmoyanz aufnahm, den Gefallen296, verhielt sich dabei aber höchst ungeschickt, indem sie – wohl um ein Reuebekenntnis zu erzwingen297 – am 22. Januar 1797 die Provinzial-Examinations-Kommission in Soest anwies, Hermanni zunächst einen Verweis zu erteilen und dann Gehör zur Sache zu gewähren. Hermanni hielt sich nicht für verpflichtet, zu einem solchen Verfahren vor der Provinzialkommission zu erscheinen und legte statt dessen eine Verteidigungsschrift vor. Darin sprach er der Immediat-Examinations-Kommission alle obrigkeitlichen Rechte in einem Verfahren zur disziplinarischen Bestrafung von Predigern ab, nach allen öffentlich bekannt gemachten Gesetzen sei sie nur berechtigt, Kandidaten zu examinieren. Außerdem rügte er die Verfahrensweise298 und eröffnete den wissenschaftlichen Diskurs um die Richtigkeit der angegriffenen Sätze seiner Predigt. Weil Hermannis Zweifel an ihrer Kompetenz begründet waren, sah die Kommission keine Möglichkeit mehr, direkt zu reagieren, sondern beantragte am 293 Hierzu kam es am 27. Oktober 1797, d. h. noch zu Lebzeiten von Friedrich Wilhelm II. Cf. GStA PK, Rep. 9 F 2a Fasz. 32, S. 89. 294 Cf. hierzu auch die von Teller publizierten „Akten in Sachen Hermanni“. 295 Darin hatte er jeden Untertan scharf davor gewarnt, als Individuum auf ungesetzlichem Wege Widerstand gegen vermeintliches oder wirkliches Unrecht des Staates zu üben, zugleich aber dem gesamten Volk das Recht zugesprochen, den Staatsvertrag wegen tyrannischer Herrschaft aufzuheben. Diese Bemerkung war überflüssig und ebenso trivial wie oberflächlich, da sie nicht problematisierte, wie sich das gesamte Volk zum Widerstand konstituieren konnte. Letztlich war sie – wie Teller in seinem Gutachten (Akten in Sachen Hermanni, S. 98 f.) richtig erkannte – nur geeignet und wohl auch nur dazu gedacht, die Immediat-Examinations-Kommission zum Eingreifen zu bewegen, um ihre Mitglieder in den Geruch zu bringen, Verteidiger der Tyrannis zu sein. 296 Cf. Teller, Akten in Sachen Hermanni, S. 100. 297 Daß die Vorgehensweise nicht das rechtsstaatliche Ziel hatte, die Wahrheit zu finden und dem Angeschuldigten die Verteidigung zu ermöglichen, liegt auf der Hand. 298 Das Verfahren widerstreite der gesunden Vernunft, der Bibel, den deutlichsten Vorschriften des Landrechts und der Prozeßordnung; es komme dem Zerrbild spanischer Inquisition nahe.

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9. Mai 1797 beim Justizstaatsrat, die weiteren Verfügungen zur Zurechtweisung des Hermanni zu treffen.299 Ihre Antragskompetenz stützte die Immediat-Examinations-Kommission auf eine allerhöchste Anweisung vom 21. Mai 1793. Eine Anweisung des Königs mit diesem Datum und Inhalt ist jedoch nicht zu finden. Nachweisbar ist allein ein Reskript Woellners von jenem Tag300, aus dem sich jedoch eine Antragsbefugnis in Disziplinarangelegenheiten nicht ableiten läßt.301 Trotz des in jeglicher Hinsicht unzulässigen Antrags erteilte der Justizstaatsrat am 22. Mai 1797 der Clevischen Regierung die Anweisung, ein (Dienststraf-)Verfahren gegen Hermanni einzuleiten.302 Die Clevische Regierung wußte mit der Anweisung offensichtlich nichts anzufangen. Sie eröffnete kein förmliches Verfahren über eine bestimmte Anklage, sondern erhob sogleich Beweis über die letzte Frage. Mit der Durchführung innerhalb von vierzehn Tagen beauftragte sie das Stadtgericht in Soest. Die Vernehmung303 blieb ergebnislos, der Küster erinnerte sich aber, die Predigt allein zum Zwecke der Einsendung abgeschrieben zu haben. Auf den Bericht 299 Auch das war rechtlich verfehlt. Soweit ihm ein Verstoß gegen das Religionsedikt vorgeworfen werden sollte (was aber nicht in Betracht kam), war seit 1794 das Clevische Konsistorium für den Prozeß zuständig, für sonstige Disziplinarvorstöße allein das Justizkollegium, also die Regierung zu Cleve; in beiden Fällen mußte der Fiskal des dortigen Konsistoriums die Anklage erheben. Er bedurfte dafür der Angabe eines bestimmten normativen Tatbestandes, den der Angeschuldigte, Hermanni, mit seiner Predigt verletzt haben sollte. 300 Cf. NCC IX, Sp. 1621 ff. 301 Das Reskript zog aus dem Bericht der von Uns unmittelbar angeordneten geistlichen Examinations-Commission über die Visitationspredigten des verwichenen Jahres den Schluß, die Verfasser vieler Predigten bedürften wegen der darin geäußerten neologischen und heterodoxen Grundsätze der Admonition und trug den Mitgliedern der Kommission auf, das Nöthige dieserhalb einem solchen Prediger durch seinen vorgesetzten Inspector insinuieren zu lassen. Dem konnte erstens keine allgemeine Regelung für das Verfahren nach künftigen Visitationspredigten entnommen werden. Zum andern berechtigte es die Kommission nur dazu, eine Ermahnung durch den zuständigen Superintendenten zu veranlassen. Von einer Befugnis, einen disziplinarischen Verweis auszusprechen oder eine Anklage im Disziplinarverfahren zu erheben, ist dort keine Rede. Zum dritten war Hermannis Predigt nicht der Vorwurf der Neologie oder Heterodoxie zu machen. 302 Dieser sei unbesonnen in seiner Predigt auf eine Materie eingegangen, die schlechterdings nicht auf die Kanzel gehöre. Er verdiene insofern an sich nur einen Verweis, da ihm keine strafbare Absicht zu unterstellen sei. In seiner Rechtfertigungsschrift habe er sich aber mit höchst strafbarem Trotz aufgelehnt, deshalb sei Fiscum zu excitiren. Letztlich komme es aber entscheidend darauf an, ob die Predigt tatsächlich gehalten worden sei. 303 Hermanni stand während der gesetzten Frist nicht zur Verfügung, er war „zufällig“ außer Landes. So konnte das Stadtgericht nur einige der vornehmsten Gemeindemitglieder darüber zu vernehmen, ob in einer Predigt der berüchtigte Satz gefallen sei: „Die ganze Nation könne zwar den bürgerlichen Vertrag aufheben, wenn der Regent die ihm verliehene Gewalt zur Bedrückung und Tirannei anwendet, aber einzelne Untertanen dürfen keine anderen Mittel gegen vermeintes Unrecht, als die der bescheidenen Gegenvorstellung gebrauchen, oder können das Land höchstens verlassen.“

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der Provinzialregierung nach Berlin erging von dort am 18. September 1797 das Ministerialreskript, der bereits verordnet gewesene fiskalische Untersuchungsprozeß sei niederzuschlagen. Als nächstes befahl die Provinzialregierung am 17. Oktober 1797 dem Stadtgericht in Soest, es solle Hermanni den Unfug vorhalten, in eine Visitationspredigt anstößige Stellen einfließen zu lassen und gegen die Verfügungen der geistlichen Examinations-Kommission aufsässig gewesen zu sein, ihm einen nachdrücklichen Verweis erteilen und ihm die Verfahrenskosten auferlegen. Ein ordentliches gerichtliches Erkenntnis war hierin nicht zu erblicken. Hermanni legte dagegen auch kein ordentliches Rechtsmittel ein, sondern wandte sich am 22. Dezember 1797 mit dem Argument, er sei rechtsgrundlos und in einem nicht ordnungsgemäßen Verfahren verfolgt worden, an den neuen König Friedrich Wilhelm III.304 Die Eingabe blieb erfolglos. Der König leitete sie an den Minister – damals noch Woellner – weiter, der in einem in scharfem Tonfall gehaltenen Reskript den Verweis bestätigte und Hermanni anwies, von weiteren Beschwerden Abstand zu nehmen.305 XI. Das Ende der Immediat-Examinations-Kommission und die Entlassung Woellners Kurze Zeit nach dem Tod Friedrich Wilhelms II. am 16. November 1797 endete auch die Tätigkeit der Immediat-Examinations-Kommission. Am 15. Dezember 1797 richtete Steinbart 306 an den neuen König Friedrich Wilhelm III. 304 Außerdem rügte er, Woellner sei in dem Verfahren sowohl als Ankläger als auch als Richter tätig geworden. 305 Cf. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1800, S. 791 f. Hermanni entschloß sich daraufhin, den Vorgang zu veröffentlichen. 306 Gotthold Samuel Steinbart zählte zu den Personen, deren Maßregelung Friedrich Wilhelm II. am 30. März 1794 verlangt hatte (s. supra Fn. 239 dieses Kapitels). Obwohl er seinerzeit sein Schullehrerseminar verloren hatte, hat er diesem König später das Zeugnis bedeutender Reformen ausgestellt (Steinbart, Die Vorzüge der Königl. Preußischen Staatsverfassung in einer Kanzelrede ans Licht gestellt, S. 105 ff.; ähnlich Teller in seiner Gedächtnispredigt, abgedruckt bei Kosmann, Versuch V, S. 437 f.: Es kann mit Wahrheit von ihm gesagt werden, daß er alles, was zum Glück seiner Untertanen gereichen konnte, nach seinem friedlichen Sinne wollte [und] nicht dafür konnte, wenn seine Verfügungen, selbst in den wichtigsten Angelegetenheiten der Religion bald mißverstanden, bald übertrieben, und wohl noch öfter von falschen Eiferern oder von irregeleiteten Schwärmern, oder von arglistigen Heuchlern gemißbraucht wurden.“): die Beseitigung der Regie mit ihren rigorosen Eingriffen in Wohnung und Privatsphäre (cf. dazu auch Kosmann, Versuch V, S. 79, sowie dens., Leben und Taten, S. 1 ff.), die Öffnung der Akademie für deutsche Wissenschaftler, die Verbesserung des Erziehungswesens (cf. auch Kosmann, Versuch V, S. 408 ff., 495 f. m.w. N.) und die Gesetzgebung (cf. auch Kosmann, Leben und Taten, S. 73). Die wesentlichen Güter Sicherheit, Freyheit und Gleichheit seien in einem höheren Grade garantiert ge-

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den Antrag, die Immediat-Examinations-Kommission abzuschaffen und Woellner zu entlassen, da dieser über die höhere Freimaurerei Einfluß auf den verstorbenen Monarchen ausgeübt habe. Auch das lutherische Oberkonsistorium bat am 25. Dezember 1797 darum, seine alten Rechte und Kompetenzen zurückzuerhalten. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Übertragung der Prüfungen der Kandidaten auf die Examinations-Kommissionen, deren Mitglieder zum Teil nicht in hinreichendem Maße wissenschaftlich qualifiziert seien, habe zu Qualitätseinbußen bei den jungen Geistlichen geführt, da bei den Prüfungen nicht die Fähigkeit zur Beförderung wahrer Gottesverehrung, sondern die Beibehaltung des tradierten theologischen Systems den Ausschlag gegeben habe und die Kandidaten zur Heuchelei verleitet worden seien. Der von der Immediat-Examinations-Kommission gegen das ausdrückliche und begründete Votum des Oberkonsistoriums eingeführte Landeskatechismus sei nach einstimmigem Urteil des In- und Auslandes ungeeignet. Das von Mitgliedern der Kommission entworfene Schema Examinis habe zu allgemeinem Spott und Verwirrung geführt und werde weder von der Berliner Kommission noch von den ProvinzialExaminations-Kommissionen angewendet. Die Anweisungen für Prediger und Schullehrer entsprächen nicht den Bedürfnissen der Zeit und würden weder der Pädagogik noch der Struktur des Unterrichts gerecht. Darüber hinaus wies das Oberkonsistorium auf zahlreiche Rechtsbrüche hin. Es machte geltend, daß die auf der Instruktion von 1750 für das Oberkonsistorium beruhende Kompetenz zur Besetzung der Pfarrstellen königlichen Patronats, systematisch unterlaufen, und das Recht der Behörde zur Mitentscheidung bei der Besetzung theologischer Lehrstühle von der Examinations-Kommission verletzt worden sei. Die nach Maßgabe des Zensuredikts zum Kompetenzbereich des Oberkonsistoriums zählende Zensur, sei in die Hände von „Mitgliedern der Examinations-Commission gefallen, welche sich auf eine geheime Instruction berufen und die lautstarke Klagen veranlaßt“ hätten. Bereits am 27. Dezember 1797 entsprach König Friedrich Wilhelm III. dem Antrag des Oberkonsistoriums.307 Am 13. Januar 1798 wurde durch ein Circuwesen, als schwerlich die Einwohner Frankreichs durch alle Aufopferung von Bürgerblut und Landesschätzen sie so bald erringen werden. (Kosmann, Leben und Taten, S. 4, 12 ff., 23 ff., 48 ff.). Dazu kam die Reorganisation der Verwaltung durch die (Re-)Kollegialisierung der Behörden (Kosmann, Leben und Taten, S. 76 ff.), die Förderung der Gewerbefreiheit (Kosmann, Versuch V, S. 400) und der Judenemanzipation (Kosmann, Versuch V, S. 150). 307 „Se. Königl. Majestät von Preußen haben die Vorstellung erhalten, worin das Ober-Konsistorium um Wiedereinsetzung in diejenigen Rechte bittet, welche demselben nach der Instruktion zustehen, und finden um so weniger Bedenken, diesem Gesuche zu genügen, da das Oberkonsistorium dadurch in den Stand gesetzt wird, die ihm obliegenden Pflichten ohne Einschränkung zu erfüllen, und seinen Wirkungskreis mit zweckmäßiger Thätigkeit zur Beförderung wahrer Religiosität und Sittlichkeit auszubreiten. Höchst Se. Majestät wollen daher, daß das Oberkonsistorium seinen Geschäftsgang überall nach den Worten und dem Sinn seiner Instruktion einrichte, und

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lare Woellners verfügt, die Prüfungen seien „wie vor Errichtung der Examinations-Commissionen“ wieder allein von den Konsistorien abzunehmen. Die Verpflichtung der Prediger, Lehrer und Universitätsprofessoren zur Abgabe eines Bekenntnisses ihrer Rechtgläubigkeit wurde wieder abgeschafft. Außerdem wurde die Auswahl der Texte für die Visitationspredigten und deren Beurteilung wieder den Inspektoren überlassen. Die Aufsicht über die Inspektoren sollten – wie früher üblich – die Konsistorien ausüben.308 Die Immediat-Examinations-Kommission war damit völlig funktionslos geworden. Gleichzeitig brachte Friedrich Wilhelm III. seine Ansicht, das Religionsedikt sei überflüssig, gegenüber Woellner deutlich zum Ausdruck.309 Am 5. März 1798 erfolgte die förmliche Aufhebung der Immediat-ExaminationsKommission, die der König als „schädlich“ ansah. Geichzeitig wurden Hermes und Hillmer mit der Bemerkung entlassen: „Wenn sie die Mittel in Erwägung zögen, die sie angewendet hätten, um zu ihren bisherigen Ämtern zu gelangen und sich darin zu erhalten, auch ihre weitgreifenden Absichten durchzusetzen, so müßten sie sich selbst überzeugen, daß der König keine Verpflichtung habe, alle dagegen eingeschlichenen Mißbräuche, besonders bei Examinirung der Kandidaten, Einführung der Lehrer, Besetzung der Pfarrstellen, Censur theologischer und philosophischer Bücher und dergleichen in Zukunft vermeide, und mit gehöriger Behutsamkeit abstelle, wogegen Höchstdieselben von sämmtlichen Mitgliedern des Oberkonsistoriums einer erneuete Anstrengung ihres Diensteifers zur gewissenhaften Erfüllung ihres so wichtigen Berufs mit vollem Vertrauen gewärtigen.“ Zitiert nach Kosmann/ Heinsius, Denkwürdigkeiten und Tagesgeschichte der Mark Brandenburg, 5. Band, S. 250. Auf die mögliche Einflußnahme von Steinbart weist Schwartz, Kulturkampf, S. 447 ff., hin; den Anteil von Svarez betont Hoffmann, Hermes, S. 117. Dies ist mit Blick darauf, daß Svarez dem damaligen Kronprinzen und nunmehrigen König Vorträge über das Allgemeine Staatsrecht sowie das positive preußische Recht gehalten hat (cf. infra 3. Kapitel dieses Teils) und ihm daher gut bekannt gewesen sein dürfte, durchaus plausibel. 308 Abdruck des Circulare bei Kosmann/Heinsius, Denkwürdigkeiten und Tagesgeschichte der Mark Brandenburg, 5. Band, S. 261 ff. 309 Dieser hatte am 5. Dezember 1797 bei der Weiterleitung einer königlichen Kabinettsorder „wegen Wegschaffung der physisch und moralisch untauglichen Subjekte“ aus dem Staatsdienst vom 23. November 1797 die geistlichen Behörden nochmals zur strengen Einhaltung des Religionsedikts angewiesen, obwohl dies in der Kabinettsorder so nicht stand. Dies rügte Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsorder an Woellner vom 12. Januar 1798 mit scharfen Worten, gleichzeitig kritisierte er das Religionsedikt heftig als ein zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes weder geeignetes noch erforderliches „Zwangsgesetz“. Abdruck der Kabinettsorder: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels, Band 8, S. 326 f., ferner auszugsweise bei Tradt, Religionsprozeß, S. 255 m.w. N. in Anm. 842. Die Kabinettsorder war vermutlich von Mencken entworfen; cf. Schlichtegroll, Nekrolog der Teutschen für das neunzehnte Jahrhundert, 1. Band, S. 101 ff., 125. Zur möglichen Rolle Menckens bei der Entlassung Woellners s. infra Fn. 314. Woellner und das Oberkonsistorium hielten das Religionsedikt damit für aufgehoben, gingen damit jedoch nicht an die Öffentlichkeit, sondern behandelten es nach außen nur als in seiner Wirkung suspendiert. Auch Friedrich Wilhelm III. erklärte noch in einem Hofreskript von 1802, das Religionsedikt sei noch in Kraft. Ausführlich hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 255 f. m. N.

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sie für den Verlust ihrer Stellung zu entschädigen oder zu pensionieren, jedoch aus bloßem Mitleid solle diese Dienstentlassung mit einer Pension von 500 Talern für jeden begleitet sein; sie möchten dies mit Dank annehmen und dem Könige keine Veranlassung geben, ihr Betragen nach der Strenge zu untersuchen, und, wie es die Gesetze mit sich brächten, ahnden zu lassen.“310 Das Vorgehen des Königs gegen Hermes und Hillmer war rechtlich bedenklich, da sie ohne Verteidigungsmöglichkeit geradezu in Schimpf und Schande gerieten. Es stieß bei ihnen jedoch nicht auf Widerstand311, so daß es zu einer umfassenden Klärung der Vorgänge und Verantwortlichkeiten nicht kam. Die Verfügung ist noch von Woellner gegengezeichnet, der nur sechs Tage später aus ihm hinlänglich bekannten Gründen ohne jede Pension entlassen wurde.312 Dieses Verfahren war äußerst befremdlich, da die Entlassung eines Minister aus politischen Gründen im Preußen des 18. Jahrhunderts kaum vorkam. In der Regel verband der Monarch, der einen dienstfähigen Minister entließ, damit den Vorwurf ungenügender Pflichterfüllung.313 Die Entlassung Woellners trug den Charakter einer Strafaktion, zumal der König ihm anders als Hermes und Hillmer keine Pension gewährte und ihn dazu noch auf die ihm selbst hinlänglich bekannten Gründe verwies.314

310 Intelligenzblatt der Jenaer Allg. Litteratur Zeitung, Nr. 53 vom 31. März 1798; cf. Hoffmann, Hermes, S. 121 f., der auch hier Svarez großen Einfluß zuschreibt. 311 Cf. Abegg, Reisetagebuch, S. 280 f. Danach führte Hermes seinen Sturz auf die Illuminaten zurück. Auf nähere Frage verwies er auf eine bestimmte Gesellschaft, womit er möglicherweise die Mittwochsgesellschaft meinte, führte dies jedoch nicht näher aus. 312 Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 463. Noch am selben Tag wurde der seinerzeitige Präsident der Provinzialregierung von Pommern, Julius von Massow, zum Staats- und Justizminister und zum Chef des Lutherischen Geistlichen Departements ernannt. Cf. Schwartz, Kulturkampf, S. 466, Anm. 2. 313 So bei der Entlassung des Ministers Görne, der sich kriminell verhalten hatte. Auch die Übertragung der Funktionen des Großkanzlers von Fürst auf Münchhausen und dann auf Carmer war in der Öffentlichkeit unter diesem Gesichtspunkt registriert worden, obwohl Friedrich II. seinerzeit Fürst den Sitz im Staatsrat gelassen hatte und Zedlitz auch nach der Ernennung Woellners Justizminister geblieben und später ausgezeichnet worden war (näher hierzu supra Teil II, Kapitel 1, Fn. 12). 314 Die Gründe für die ungnädige Behandlung sind unklar. Bei der ersten Ministeraudienz hatte der neue König Woellner noch mit den Worten begrüßt. „Sie haben Ihren besten Freund verloren, wollen Sie mich annehmen.“ (von Ranke, Hardenberg I, S. 480). Selbst bei der Zurechtweisung am 12. Januar 1798 (s. supra Fn. 309 dieses Kapitels), wollte er ihn noch im Amt halten, sofern der Minister eng mit dem Oberkonsistorium zusammenarbeite. Woellner erfuhr, daß ihm die Mitgliedschaft im Rosenkreuzerorden zum Vorwurf gemacht wurde, und verwies darauf, daß das gleiche für Bischoffwerder und eine ganze Reihe von Ministern zutraf, ohne daß sie ihr Amt verloren. Wahrscheinlich handelte es sich um eine ähnlich spontane Strafaktion wie die gegenüber der Gräfin Lichtenau. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ihre Aussagen vor der Untersuchungskommission, die Woellner entlasteten, ihn gerade verdächtig machten. Ob der seinerzeit einflußreiche Kabinettsrat Mencken, der zu den schärfsten Geg-

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Gegen eine diffamierende Entlassung gewährten beide Reichsgerichte Rechtsschutz. Auch das Allgemeine Landrecht sah eine Anhörung des Beamten vor der Entlassung vor.315 Woellner hingegen wurde weder vor der Entlassung noch zu einem späteren Zeitpunkt Gehör gewährt.316 Als er am 12. März 1798 den König um Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe bat und die strengste Untersuchung forderte317, geschah nichts.318 Hierbei ist freilich zu bedenken, daß Friedrich Wilhelm II. aus einer gründlichen Untersuchung nicht unbeschänern Woellners zählte und vermutlich die zurechtweisende Kabinettsorder vom 12. Januar 1798 entworfen hatte, die Absetzung Woellners betrieb und Svarez zu seinem Nachfolger machen lassen wollte, ist unklar, aber nicht ausgeschlossen. Nicht zu übersehen ist allerdings, daß Mencken in der Kritik des Koalitionskrieges (Schlichtegroll, Nekrolog der Teutschen für das neunzehnte Jahrhundert, 1. Band, S. 342) mit Woellner voll übereinstimmte, dadurch in Ungnade fiel, aber sein Amt – beschäftigungslos – behielt, und überdies genau wußte, wie schwer es für einen Beamten im Absolutismus sein konnte: „Ich bin nie gebrochen, habe mich nie weggeworfen; allein ich habe mich in Rücksicht meiner politischen Lage immer in den Verhältnissen eines Menschen betrachtet, der als Passagier eine Seereise macht. Er wird es vermeiden können, mit den Matrosen zu fluchen und mit dem Schiffer zu saufen, auch dem eingebildeten Steuermann seine Unwissenheit vorzuwerfen, die [was] ihm nur Grobheiten zuziehen würde; denn er muß durchaus lernen, seine Bewegungen nach dem Schwanken des Schiffes abzupassen, sonst fällt er und erregt Schadenfreude. Dieß letztere habe ich sorgfältig beobachtet, und ich bin nicht gefallen. Wäre ich gefallen, hätte ich die Hand dessen, der mir ein Bein gestellt, nicht verschmäht, um mich daran aufzurichten. Aber geküßt hätte ich sie nimmermehr.“ (Schlichtegroll, Nekrolog der Teutschen für das neunzehnte Jahrhundert, 1. Band, S. 339). Den Ausschlag sollen allerdings andere hohe Staatsbeamte gegeben haben, denen zu Ohren gekommen war, wie sich Woellner dem früheren König gegenüber zu ihnen geäußert hatte. Cf. Bischoffwerder an Woellner, Brief vom 28. April 1798: „Was Ihnen teuerster Freund, am meisten geschadtet haben soll, ist: daß man unter den Papieren des verstorbenen königs Briefe von Ihnen gefaunden hat, worinnen Sie die Ehre einiger Männer, welche man für Stützen des staates hält, angegriffen haben, dieses ist dem König vorgelegt worden und hinc illae lacrimae.“ Abgedruckt bei Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 140; sie vermutet, es habe sich um Schulenburg-Kehnert und Heinitz gehandelt. Woellner blieb bis zu seinem Tode an der Spitze der Freimaurermutterloge zu den drei Weltkugeln in Berlin; er hatte 1784 durchgesetzt, daß sie sich von dem System der strikten Observanz lossagte (Eismann, Neue Beiträge zur Geschichte des Staatsministers von Woellner, S. 28). Sein Nachfolger dort wurde Zöllner. 315 ALR Teil II, Titel X, § 99. Zwar waren die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts auf die Entlassung von Ministern nicht direkt anzuwenden, da sie außer dem König keinen Vorgesetzten hatten und auch nicht dem Staatsrat unterstellt waren; das bedeutete aber nicht, daß der König sie nach freiem Ermessen entlassen konnte. 316 Auch wenn dem König in (Dienst-)Strafsachen die Letztentscheidung zukam, befreite ihn das nicht von der Pflicht zu einer vorherigen Untersuchung. Insofern handelte es sich – ähnlich wie im Fall der Gräfin Lichtenau, an der eine von ihm eingesetzte Untersuchungskommission nichts zu beanstanden hatte – um einen Racheakt an einem Vertrauten seines Vaters. Die Gräfin Lichtenau hatte – anders als Woellner – das Glück, noch vor ihrem Tode wenigstens teilweise rehabilitiert zu werden. 317 Brief an Friedrich Wilhelm III. vom 12. März 1798; abgedruckt bei Schwartz, Kulturkampf, S. 484 f. 318 Woellner nahm dies hin, ohne – was möglich gewesen wäre – rechtliche Schritte zu unternehmen.

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digt hervorgegangen wäre; zumindest wären die okkulten Neigungen des verstorbenen Monarchen vermutlich ans Licht gekommen. Daran konnte der neue König, der 1790 in Breslau dabei gewesen war, jedoch nicht interessiert sein.319 Möglicherweise wollte Friedrich Wilhelm III. auch – zumindest zu diesem Zeitpunkt – einer klaren Stellungnahme zur Lage und Reform des lutherischen Kirchenwesens ausweichen. Es scheint, daß dem Minister Woellner, dem Hermes noch in seiner lange nach dem Tode des Ministers verfaßten Vita attestierte, die strenge Religionsund Zensurpolitik nicht hinreichend durchgesetzt zu haben, von allen Seiten die Verantwortung für die unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. eingetretenen (Fehl-)Entwicklungen zugesprochen wurde.320

D. Der Zopfschulzenprozeß321 I. Vorgeschichte bis zum Erlaß des Religionsedikts Johann Heinrich Schulz, seit 1765 evangelisch-lutherischer Prediger zu Gielsdorf, Wilckendorff und Hirschfelde322, wurde erstmals im Mai 1782 durch seinen Patronatsherrn von Bismarck beim zuständigen Konsistorium323 angezeigt, da er während der Predigt anstelle der üblichen Perücke einen Zopf trage – daher der Name „Zopfschulze“ – und eine fatalistisch-deterministische Lehrmeinung vertrete.324 Die Behörde ließ, obwohl die Mehrzahl der Räte einen Verweis oder zumindest eine Ermahnung für angezeigt hielt, die Sache noch 319 Im übrigen hatte Friedrich Wilhelm III. ebenfalls ohne Richterspruch – hier sogar entgegen dem Gutachten einer von ihm eingesetzten Untersuchungskommission – die Gräfin Lichtenau durch Machtspruch enteignet. Auch in dieser Hinsicht war der Monarch vermutlich daran interessiert, unnötige öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. 320 Cf. Hoffmann, Hermes, S. 126. 321 Einen raschen Überblick über die wichtigsten Stationen des Prozesses bietet die von 1791 bis 1799 reichende Zeittafel bei Tradt, Religionsprozeß, S. 192 ff. 322 Johann Heinrich Schulz, 1739–1823. 1758–61 Studium in Halle; dann Lehrer an der Berliner Realschule; 1799 Inspektor beim Fabrikendepartement (Gewerbeaufsicht); 1808 im Ruhestand. Ein Verzeichnis der Schulzschen Schriften findet sich bei Tradt, Religionsprozeß, S. 321 ff. 323 Gemeint ist das für Schulz zuständige, mit dem lutherischen Oberkonsistorium identische kurmärkische Provinzialkonsistorium in Berlin. 324 Cf. das Urteil des Königl. Preuß. Ober-Appellations-Senats beim Kammergericht zu Berlin, bei Anonymus (Hillmer), Kurze Nachricht, S. 548; Gothaer Gelehrte Zeitungen, 30. Stück, den 14. April 1792, S. 473, 474; Amelang, Verteidigung I, S. 45. Die Darstellung von Stölzel, Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung II, S. 310 ff., ist oberflächlich und wegen ihrer polemischen Form fast unbrauchbar. Nur einzelne Daten lassen sich ihr entnehmen. Zur Vorgeschichte der Auseinandersetzung zwischen Schulz und von Bismarck s. Tradt, Religionsprozeß, S. 13 f.

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auf sich beruhen, was dadurch zusätzlich erleichtert wurde, daß der anzeigende Patronatsherr die Angelegenheit ebenfalls nicht weiter verfolgte.325 Im gleichen Jahr wurde der Antrag des Predigers Schulz, den Druck des vierbändigen Werkes „Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen ohne Unterschied der Religionen“ zu gestatten, vom Oberkonsistorialrat und Propst Teller als theologischem Zensor zurückgewiesen.326 Schulz beschwerte sich daraufhin beim Departement für auswärtige Angelegenheiten und machte geltend, es handle sich – wie aus dem Titel hervorgehe – nicht um ein theologisches, sondern um ein philosophisches Werk, so daß Teller gar nicht zuständig gewesen sei. Dieser habe die Druckgenehmigung überdies nur versagt, weil er sie mit seinem rigorosen theologischen System für unvereinbar gehalten habe. Die beiden Kabinettsminister, Finckenstein und Hertzberg, legten die Angelegenheit zunächst dem Kriegsrat Schlüter als Zensor für politische Schriften vor und baten darüber hinaus den weltlichen und liberalen, Schulz durchaus gewogenen327 Oberkonsistorialrat Irwing als philosophischen Denker um eine weitere Prüfung, obwohl dieser nicht Zensor für die philosophischen Schriften war. Nach dessen positivem Votum wiesen sie Schlüter an, die Druckgenehmigung zu erteilen.328 Das Oberkonsistorium befaßte sich weiterhin mit der Angelegenheit; dabei plädierte Silberschlag für eine unmißverständliche Zurechtweisung des Predigers Schulz. 1783 kam es zur Veröffentlichung des Buches329, welches sich eindeutig zum Determinismus bekannte und damit den Vorwurf des Fatalismus bekräftigte. Das Oberkonsistorium, dem damals Spalding, Teller und Diterich sowie die meisten auch zu Beginn des eigentlichen Prozesses 1791 noch amtierenden weltlichen Räte angehörten, eröffnete daraufhin ein neues Ermittlungsverfahren, in dessen Verlauf Schulz die Provokation und Konfrontation suchte. Sodann beantragte das Oberkonsistorium die Bestrafung und fragte am 4. Dezember 1783 mit einem durch von der Hagen, Irwing, Lamprecht, Büsching, Teller, Silberschlag und Diterich unterzeichneten Schreiben bei dem für das Lutherische Geistliche Departement zuständigen Minister Zedlitz an, wie es sich hinsichtlich der Lehre des Schulz weiter zu verhalten habe. Der Minister schlug die Sache jedoch in einem Reskript vom 12. Dezember 1783 durch einen Machtspruch nieder und forderte – im Vorgriff auf die kantische Unterschei325 326

s. im einzelnen hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 17 f. Insoweit unzutreffend die verkürzte Darstellung bei Tradt, Religionsprozeß,

S. 18. 327

Cf. Krause, Ära Woellner, S. 131 mit Anm. 155. Cf. GStA PK Rep. 9 F 2 a Fasz. 15 S. 66 ff. Cf. auch Krause, Ära Woellner, S. 130. 329 Cf. hierzu auch Kant, Rezension zu „Johann Heinrich Schulz, Versuch der Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen, ohne Unterschied der Religion(en), nebst einem Anhang von den Todesstrafen, Erster Theil Berlin 1783“. 328

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dung zwischen öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch330 –, die Prüfung und Beurteilung des Werkes dem Publikum zu überlassen, für das es bestimmt sei. Die Aufsicht des Konsistoriums hingegen sei auf die Lehren des Predigers in der Gemeinde sowie auf dessen Lebensführung beschränkt.331 Ein vom Geistlichen Department entworfener Verweis an Schulz wurde diesem – offensichtlich mit Bedacht – nicht zugestellt.332 Das Konsistorium nahm dies nicht widerspruchslos hin. Der am 5. Februar 1784 an den Minister gerichtete Antrag, diese Entscheidung zu revidieren, wurde jedoch nicht beantwortet. Sofort nach Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. wandte sich das Oberkonsistorium am 14. September 1786 erneut an den Minister. Auch dieser Versuch blieb jedoch ohne Erfolg.333 II. Vom Erlaß des Religionsedikts zum Schulz-Prozeß Der neue König Friedrich Wilhelm II. war über die früheren, die Schulzschen Lehren in Wort und Schrift betreffenden Vorgänge nicht im einzelnen informiert, wies jedoch unmittelbar nach dem Regierungsantritt den Minister von Zedlitz an, für die Beseitigung des Zopfes zu sorgen, was dieser nicht im Wege – bereits konzipierter, jedoch nie abgeschickter – förmlicher Reskripte, sondern durch die Vermittlung von Irwings auf privatem Wege erreichte.334 Mit den religiösen Thesen des Predigers Schulz wurde der neue König indes erst nach dem Erlaß des Religionsedikts im Sommer 1788 befaßt, als ihm der schlesische Kriegsrat Triebel 335 zwei Predigtnachschriften übersandte, um so Schulz’ fehlende Treue zum lutherischen Bekenntnis zu dokumentieren. Mit der Bestrafung des Predigers beauftragte Friedrich Wilhelm II. umgehend Woellner336, welcher dem König den Eindruck vermittelte, er habe die Justizbehörden eingeschal330

Cf. Krause, Ära Woellner, S. 130 f. Cf. Urtheil des Ober-Appellations-Senats, S. 549. 332 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 20 f. 333 Cf. GStA PK, Rep. 9 F 2a Fasz. 18, S. 28 f., 36 f.; ferner Amelang, Verteidigung I, S. 47 ff. 334 Näher dazu Tradt, Religionsprozeß, S. 22 f. m. N. 335 Wie weit er, der an sich mit der Sache gar nichts zu tun hatte, auf Einfluß von Hermes handelte, ist ungewiß, ein Zusammenwirken ist jedoch wahrscheinlich. Eine abweichende Darstellung des Vorgangs – Übermittlung nicht durch Triebel, sondern durch den Prediger Karl Wilhelm Brumbey nicht an den König, sondern an das Konsistorium schildert Schwartz, Die beiden Opfer, S. 130. 336 Woellner, der seit dem 3. Juli 1788 das Lutherische Geistliche Departement leitete, besaß vom 4. März 1789 an die königliche Vollmacht, unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Oberkonsistorium handeln zu dürfen. Cf. Schwartz, Die beiden Opfer, S. 105. Das Verfahren gegen den Zopfschulzen hat Woellner – entgegen der landläufigen Meinung sowie der augenscheinlichen Annahme Tradts – jedoch nicht vorangetrieben, sondern vielmehr so weit wie möglich gehemmt. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 104 mit Anm. 60, 130. 331

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tet.337 Tatsächlich stellte er das Verfahren gegen Schulz nach dessen Vernehmung durch den Oberkonsistorialrat von Irwing am 5. September 1788 ein und vernichtete sodann das Vernehmungsprotokoll sowie alle weiteren Unterlagen.338 Nachdem Schulz mit seiner Schrift „Erweis des himmelweiten Unterschiedes der Moral von der Religion“ dem König sowie dem Oberkonsistorium erneut Anlaß zur Mißbilligung gegeben hatte339, beschloß dieses – wohl auf Betreiben Woellners340 – am 27. November 1788 erneut, der Angelegenheit nicht nachzugehen.341 Die erneute Anzeige durch Triebel 1789 führte ebenfalls nicht zu einem Einschreiten Woellners342, obgleich der König selbst die Absicht bekräftigte, Schulz aus dem Amt zu entfernen.343

337 Immediatberichte Woellners über das Religionsedikt, Schreiben vom 5. August 1788, cf. Stölzel, Svarez, S. 369 ff. (= Akten des GStA PK R 47 Nr. 1 fol. 1): „Ich für meine Person werde ganz sanfte verfahren, damit man nicht über Intoleranz schreie, der Fiscus, die Gesetze und der Großkanzler werden ihn schon züchtigen, wie er verdient; und wenn in diesen zwei Predigten nur die Hälfte als wahr erwiesen, so sehe ich nicht, wie er der Cassation entgehen will.“ 338 Cf. Henke, Actenstücke, S. 124. Eine Abschrift des Protokolls gelangte jedoch im April 1792 durch Schulz an das Kammergericht. Schulz wollte auf diese Weise die Billigung seiner Lehre von höchster Stelle her dokumentieren. Woellner stellte die Vernehmung durch von Irwing bei der Behandlung der Vorgänge durch den Staatsrat am 30. April 1792 als Privatbelehrung dar, die zur Warnung des Predigers bestimmt gewesen sei. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 91 f. m. N. 339 Cf. Religionsprozeß des Predigers Schulz zu Gielsdorf, o. O. 1792. Nach Anonymus, Erinnerung an das Ministerium Wöllner, S. 10 soll der Anstoß zu dem Verfahren hier vom König ausgegangen sein. 340 Dieser setzte anscheinend die von Zedlitzsche Taktik fort. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 131, sowie supra Fn. 333 (in diesem Kapitel). 341 Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 274; cf. Henke, Actenstücke, S. 122. Tradt, Religionsprozeß, S. 27 f., verweist darauf, daß das Konsistorium von einer ergebnislos verlaufenen Untersuchung des gleichen Vorgangs durch Woellner erfahren habe. Henke, Beurteilung, S. 540 ff., ist der Meinung, daß Schulz wegen der beiden Bücher, vornehmlich wegen des hier in Rede stehenden zweiten, als christlicher Prediger untragbar war, weil er sich offen zum Atheismus bekannt habe. Gleichwohl wendet er sich gegen die beabsichtigte Kassation, S. 551. 342 Cf. Philippson, Geschichte I, S. 353; Hoffmann, Hermes, S. 82. 343 Als der Generalmajor von Pfuel, der als Patronatsherr für eine der von Schulz betreuten Gemeinden zuständig war, im gleichen Jahr eine Vokation für eine andere Pfarre ausstellte, die vom Oberkonsistorium beanstandet wurde, weil sie weder mit dem Religionsedikt noch mit der traditionellen Kirchenverfassung vereinbar war, verschärfte sich der Druck des Königs auf Schulz. In seiner Kabinettsorder vom 11. Juli 1788 an Pfuel hieß es: „Vermuthlich hat der berüchtigte Prediger Schulz, den ich nächstens fortjagen werden, diejenige Vorstelung und Vocation aufgesetzt, die ihr mir zuzusenden keine Bedenken getragen“ (cf. Amelang, Verteidigung I, S. 64; Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 274 f.). Pfuel war inzwischen verstorben, und erst die von seinem Erben verfaßte Vokation fand die Zustimmung des Oberkonsistoriums, was darauf hinweist, daß es die Schulzschen Lehren nach wie vor für bedenklich ansah. Dennoch machte das Verfahren keine Fortschritte. Daß die königliche Kabinettsorder an von Pfuel von Woellner entworfen war, wie noch Tradt, Religionsprozeß, S. 31, annimmt, ist nicht erwiesen und in Anbetracht der mehrfachen, bis dato erfolg-

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III. Der Beginn des Verfahrens in erster Instanz Die Oberkonsistorialräte Hermann Daniel Hermes344 und Gottlob Friedrich Hillmer hatten gleich nach ihrer Berufung in das Oberkonsistorium im Sommer 1791 belastendes Material gegen Schulz erhalten345; hieran war vermutlich auch Woltersdorf beteiligt.346 Sie veranlaßten daraufhin den König zum Erlaß der Kabinettsorder vom 13. August 1791 an Woellner, ohne dabei das Oberkonsistorium einzubeziehen und den Dienstweg einzuhalten.347 Ausweislich dieses Befehls sollte der Minister den Fiskal des Berliner Konsistoriums, George Carl Huulbeck, anweisen, zusammen mit einigen Mitgliedern des Oberkonsistoriums eine Untersuchung einzuleiten, „weil der König von dem berüchtigten Prediger Schulz, dergleichen von dem Prediger Stork zu Berlin, so viele böse Dinge hört“.348 Woellner kam dem Auftrag nach, eröffnete am 23. August 1791 das Verfahren und berief im Namen des Königs Hermes und Hillmer neben Huulbeck mit separaten Kommissoria zu Mitgliedern der Untersuchungskommission.349 Den Untersuchungsauftrag an Hermes und Hillmer versah Woellner mit der vielsagenden Bemerkung, sie seien deshalb zur Mitwirkung berufen worden „weil ihnen am besten bekannt sei, wie Unsere höchste Person in Ansicht der

reichen Versuche Woellners, Schulz zu schützen, auch sehr unwahrscheinlich. Cf. auch infra Fn. 347 (in diesem Kapitel). 344 Hermes hatte von Schulz möglicherweise schon während der gemeinsamen Unterrichtstätigkeit an der Berliner Realschule gehört, cf. Krause, Ära Woellner, S. 132. 345 Näher zu Hermes und Hillmer sowie zu deren Werdegang Tradt, Religionsprozeß, S. 36, Anm. 142 m.w. N. Richtigzustellen ist freilich das Verhältnis zwischen Hermes und Hillmer einerseits sowie Woellner andererseits, das nicht etwa von enger Vertrautheit, sondern von scharfer Konkurrenz geprägt war, worauf Krause, Ära Woellner, S. 102, Anm. 48, S. 126, Anm. 139, S. 129, Anm. 146, hingewiesen hat. Cf. auch die Darstellung bei Philippson, Geschichte II, S. 90. Daß nicht Woellner, sondern Hermes und Hillmer die eigentlichen Urheber und Betreiber des Schulzprozesses waren, war seinerzeit öffentlich bekannt. Cf. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 32. 346 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 132. 347 Nach Hoffmann, Hermes, S. 82, war Woellner selbst der Autor: „Jetzt 1791 exzitierte dieser unter dem 13. Aug. eine Kabinettsorder an sich selbst“. Diese – von Tradt, Religionsprozeß, S. 34, übernommene – These stellt eine mit der Vorgeschichte unvereinbare, vorurteilsgeladene Fehlinterpretation dar. Die Öffentlichkeit erkannte, daß die Examinations-Kommission hinter dem Verfahren stand, cf. Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 32. Die Mutmaßung, unmittelbar nach der Ernennung von Woellner hätten sich die Fronten verkehrt, der neue Minister habe nun das Verfahren gegen Schulz angestoßen, das Oberkonsistorium seine Verteidigung übernommen, erweist sich damit als falsch. Allenfalls im Jahre 1792 nimmt es für Schulz Partei, während Woellner das Verfahren seit 1791 bestenfalls widerwillig betreibt. 348 Zum Fall des Predigers Storck s. Tradt, Religionsprozeß, S. 35. 349 In dem unterschiedlichen Wortlaut der Kommissoria ist kein eigenmächtiges Vorgehen Woellners zu erblicken, wie Tradt, Religionsprozeß, S. 36, zu unterstellen scheint. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 133, Anm. 167. Der Streit um den Wortlaut der Kommissoria und die sich daraus ergebende Frage nach dem – womöglich – unterschiedlichen Untersuchungsauftrag erscheint überbewertet.

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anzustellenden Untersuchung gesonnen sei“.350 Hauptgegenstand der Untersuchung sei die Feststellung, „ob [Schulz] seit Bekanntmachung Unsers ReligionsEdikts [. . .] fortfahre, seine Irrthümer in Religions-Sachen, unter seiner Gemeine auszubreiten und übrigens demjenigen, was Ordnung und Vorschriften mit sich bringen, zuwider handle“.351 Das Verfahren trug damit von Anfang an den Charakter eines politischen Prozesses.352 Der Verteidiger des Predigers Schulz, der Berliner Kriminalrat Amelang, gestaltete das nun beginnende Verfahren353 als öffentlichen Prozeß um die Verbindlichkeit der symbolischen Bücher und des Religionsedikts, wobei er die reichhaltige Literatur, die aus Anlaß des Religionsedikts erschienen war, in die sogleich veröffentlichte Verteidigungsschrift ausdrücklich einbezog.354 Da der Protestantismus keine Bindung an ein einmal festgesetztes Bekenntnis kenne, könne eine solche auch nicht vertraglich begründet und erst recht nicht auf die nachfolgenden Generationen übertragen werden.355 Hieran vermöge auch das Religionsedikt nichts zu ändern. Ein protestantischer Fürst sei als solcher nicht imstande, Glaubenslehren vorzuschreiben. Im übrigen sei das Religionsedikt schon deshalb nicht gültig zustandegekommen, „weil es nicht von der von Sr. Majestät verordneten Gesetzkommission verfaßt worden ist“.356 Ferner sei es inzwischen durch das Allgemeine Gesetzbuch als neues milderes Gesetz aufge350 Dies deutet zusätzlich darauf hin, daß die Initiative zum Verfahren gegen Schulz von ihnen ausgegangen war, was entscheidend gegen die These spricht, daß Woellner die an ihn gerichtete Kabinettsorder vom 13. August 1788 selbst entworfen habe. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 132 mit Anm. 165. 351 Cf. Urtheil des Ober-Appellations-Senats, S. 557 und Hoffmann, Hermes, S. 82 f. 352 Zutreffend Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 388. 353 Cf. hierzu auch Henke, Beurteilung, S. 546 ff., 549 f. 354 Die Publikation der Verteidigungsschrift (Amelang, Verteidigung I) wurde vom König als Geheimnisbruch angesehen; sie löste eine breite Diskussion aus; cf. Hoffmann, Hermes, S. 85 ff. Es erschienen noch „Religionsprozeß des Predigers Schulz zu Gielsdorf“ 1792 sowie „Wichtige bisher ungedruckte Actenstücke aus dem Religionsprocesse des Predigers Schulz zu Gielsdorf,“ o. O. 1794; z. T. wieder abgedruckt im 2. Band von Henkes Archiv für die neueste Kirchengeschichte (Henke, Actenstücke) mit weiterem Material zum Fortgang der ersten Instanz, Wiedergabe des Urteils des Kammergerichts und des sogenannten „Machtspruchs“ des Königs, sowie Amelang, Verteidigung II, Hamburg 1798. Amelang erklärte dort, „der Weg zur Publizität wurde von mir als Mittel gewählt, der bitteren Verfolgung Grenzen zu setzen“. Die „Sache des Schulz“ sei dadurch zur Sache „der ganzen protestantischen Kirche“, die „Vertheidigung des Schulz“ zur „Vertheidigung der Gewissensfreiheit“ geworden. Der Prozeß habe die Folge gehabt, „daß dergleichen nie wieder versucht würde“ (S. 2, 3). Friedrich Wilhelms II. Bestätigungsschreiben sei ein Machtspruch gewesen (S. 22, 171). Schon in seiner ersten Vertheidigungsschrift hatte er darauf aufmerksam gemacht, daß Kurfürst Johann Sigismund am 28. April 1614 erklärt hatte, in Gottes Sachen seien Reverse ungültig, und das Ansinnen, die Konkordienformel für verbindlich zu erklären, als papistisch zurückgewiesen hatte (S. 144 f., 159). Das Religionsedikt sei mangels Befassung der Gesetzkommission nichtig und durch das AGB aufgehoben (S. 177 m.w. N.). Weitere Akten bei Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 50–478. 355 Ausführlich zu dieser Argumentationslinie Tradt, Religionsprozeß, S. 59 ff.

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hoben, so daß ein disziplinarrechtlich relevantes Dienstvergehen nur anzunehmen sei, wenn ein Prediger durch die Abweichung vom Bekenntnis den „Anstoß seiner Gemeine“ errege. Daher könne sich auch aus dem Religionsedikt keine Rechtspflicht zur Beachtung der lutherischen Bekenntnisschriften ergeben. Im Hinblick auf die beanstandete jüngste Veröffentlichung des Schulz sei an das Reskript des Geistlichen Departements vom 12. Dezember 1783357 zu erinnern, wonach ein Prediger wissenschaftlich volle Freiheit genieße und sich nur vor seinem lesenden Publikum, nicht aber vor seiner Gemeinde zu verantworten habe.358 Die seitens der Verteidigung mehrfach erhobene Rüge, Woellner habe damit seinen Auftrag überschritten, denn der König habe nur eine Untersuchung der Lebensführung und nicht der Lehrweise angeordnet359, konnte nicht überzeugen, da Friedrich Wilhelm II. in der Tat eine umfassende Untersuchung wünschte.360 Gleiches gilt für den Einwand der unzulässigen Mitwirkung von Hermes und Hillmer, die – was weder formal noch faktisch der Fall war – zugleich als Ankläger und Richter fungieren würden und daher befangen seien.361 Mit Blick auf die erhobenen Bedenken hinsichtlich des zulässigen Untersuchungsgegenstandes suchten Hermes und Hillmer am 12. Dezember 1791 von Woellner nochmals Klahrheit zu erlangen, was am 15. Dezember 1791 zu einer Kabinettsorder des Königs an Woellner führte. Dort machte Friedrich Wilhelm II. deutlich, er habe a priori eine umfassende Untersuchung nicht nur des sittlichen Verhaltens des Schulz, sondern auch seiner Lehre beabsichtigt. Der König habe die Hoffnung, daß das Kammergericht ohne weiteres zur Bestrafung des Predigers schreiten werde, sobald die Untersuchungskommission Schulz überführt habe. Woellner, der diese Stellungnahme am 22. Dezember 1791 an Hermes und Hillmer weiterleitete, erhielt die ausdrückliche Anweisung, das Kammergericht zur maßgeblichen Beachtung des Religionsedikts bei der Urteilsabfassung anzuhalten.362 Die ausgedehnte Voruntersuchung machte nicht nur die Verteidigung, sondern auch den König ungeduldig. Dieser überwies den Fall am 25. Dezember 1791 an das Kammergericht mit dem Befehl, „das Erkenntnis in dieser Sache, auf

356 Amelang, Verteidigung II, S. 177, gemeint ist offenbar: weil das im Patent über die Gesetzkommission von 1781 angeordnete Verfahren nicht eingehalten ist. 357 Cf. supra Teil II, Kapitel 2, D. I. 358 Cf. hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 62 ff. 359 Dies hätte die Untersuchung rechtswidrig gemacht. Cf. zum Begriff des Kommissioriums Tradt, Religionsprozeß, S. 36 m. N. 360 Cf. auch die später ergangene Kabinettsorder an Woellner, sogleich infra. 361 Cf. zum Ganzen Amelang, Verteidigung II, S. 123, sowie Gothaer Gelehrte Zeitungen 1792, S. 276. 362 Cf. zu diesem Vorgang Tradt, Religionsprozeß, S. 70 f.

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welche Unsre höchste Person Ihre Aufmerksamkeit besonders gerichtet sein lassen, möglichst zu beschleunigen“.363 IV. Der Beweisbeschluß des Kammergerichts Inzwischen war der Prediger Schulz in dem Verfahren, das sich hauptsächlich mit der inhaltlichen und kompetenzrechtlichen Problematik des Religionsedikts beschäftigte, geradezu zur Randfigur geworden. Selbst Friedrich Wilhelm II. strebte keine Bestrafung mehr an, wie sich aus seiner eigenhändigen Randbemerkung zur Kabinettsorder vom 27. April 1792 ergibt: „Christlicher Prediger kann Schulz nicht seind, wenn aber übrigens sein Betragen als Bürger des Staates gut ist, so bin ich nicht abgeneigt seine Fähigkeiten auf andere Art zu nutzen“. Einige Oberkonsistorialräte – unter ihnen Spalding –, die noch 1783 für die Amtsenthebung plädiert hatten, unterstützten nunmehr den ihnen theologisch und ideologisch näherstehenden Schulz; dabei ging es ihnen jedoch auch um die Opposition gegen ihren vermeintlichen Gegner Woellner.364 Die Argumentation der Verteidigung aufgreifend, sprach sich das Kammergericht die Kompetenz ab, über theologische Kontroversen zu urteilen. Es faßte daher einen Beweisbeschluß, wonach das Oberkonsistorium über den theologischen Dissens verbindlich entscheiden sollte. Zu diesem Zweck sollte die Behörde zunächst vier Fragen über Inhalt und Gegenstand des christlichen Dogmas und der lutherischen Konfession grundlegend beantworten und sodann zur entscheidenden Frage Stellung beziehen, ob Schulz weiterhin das Amt eines lutherischen Predigers bekleiden könne.365 Das Kammergericht regte außerdem unter Hinweis auf das Edikt vom 16. Mai 1760366 die Überlegung darüber an, ob der Fall überhaupt einer rechtlichen Entscheidung zuzuführen sei.367 363 Cf. Stölzel, Svarez, S. 330. Zwischenzeitlich war das Gerücht aufgekommen, die Regierung plane, das Verfahren nicht beim Kammergericht, sondern bei der Breslauer Oberamtsregierung einzuleiten. Cf. hierzu Amelang, Verteidigung II, S. 46 f. mit Anm. 364 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 130; Tradt, Religionsprozeß, S. 73. 365 Cf. dazu Stölzel, Svarez, S. 326, der freilich die Problematik des Beweisbeschlusses nicht würdigt und Woellner zum Betreiber des gegenläufigen Verfahrens erklärt; Hoffmann, Hermes, S. 87; Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 391. Der Wortlaut des Fragenkatalogs ist auch abgedruckt bei Tradt, Religionsprozeß, S. 77 f. 366 NCC II, Sp. 419–424. Durch dieses Edikt war die Erstzuständigkeit der Konsistorien als Disziplinargericht der Geistlichen wiederhergestellt worden, jedoch mit begrenzter Sanktionsbefugnis. 367 Zur möglichen Motivation dieses Zusatzes s. Tradt, Religionsprozeß, S. 264. Beide dort angeführten Möglichkeiten erscheinen denkbar. In jedem Fall läßt der weitere Fortgang des Schulzprozesses darauf schließen, daß die Mehrheit der Kammergerichtsräte ein deutliches und subjektiv berechtigtes Interesse daran hatte, eine Entscheidung in der Sache nach Möglichkeit zu vermeiden. Der dogmatische und prozessuale Weg zur Umgehung eines Urteils war demgegenüber zweitrangig.

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Problematisch war der Beweisbeschluß schon deshalb, weil das Oberkonsistorium seiner Entstehungsgeschichte sowie seiner aktuellen Funktion nach ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde darstellte. In dieser Funktion war es zur Ausübung des Kirchenregiments im Namen des Königs berufen und ausschließlich hierdurch legitimiert.368 Nun aber sollte es – wie eine Synode, die es gerade nicht war – verbindlich über den Inhalt des lutherischen Bekenntnisses entscheiden.369 Eine derartige gutachterliche Tätigkeit in Bekenntnisfragen – ob das lutherische, das evangelische oder das christliche Bekenntnis betreffend – verstieß aber nicht nur gegen die Kirchenverfassung, sondern außerdem gegen das Religionsedikt, welches die verbindliche Lehre einzig an die symbolischen Bücher – und gerade nicht an die Entscheidung einer Synode – geknüpft hatte. Darüber hinaus stand dem Oberkonsistorium die Entscheidung über die Duldung einer neuen Sekte schon nach der monarchischen Staatsverfassung nicht zu.370 Der Beweisbeschluß gelangte auf nicht näher bekannten Wegen vorab an die Konsistorialräte, ohne daß Woellner – an den der Beweisbeschluß aufgrund seines Vorsitzes im Oberkonsistorium zu richten war – zu diesem Zeitpunkt davon erfuhr. Der nach dem erfolglosen Versuch, eine einstimmige Stellungnahme zu erreichen, getroffene Beschluß, in einem – vom 10. bis 28. März 1792 tatsächlich durchgeführten371 – Umlaufverfahren Einzelvoten zu sammeln, war daher ebenso irregulär wie seine Durchführung. Denn eine solche Beschlußfassung und Abstimmung hätte nur stattfinden können, wenn Woellner als Präsident der Oberkonsistoriums die Angelegenheit auf die Tagesordnung gesetzt hätte; überdies war seitens des Kammergerichts nach der Meinung der einzelnen Konsistorialräte gar nicht gefragt worden. Die vermutliche Ursache für das insgesamt irreguläre Procedere – daß nämlich versehentlich anstelle des vom Kammergericht angesprochenen Oberkonsistoriums das mit diesem personell identische kurmärkische Provinzialkonsistorium unter der Leitung seines Präsidenten von der Hagen tätig geworden war – vermag den Vorgang zu erklären, aber nicht zu rechtfertigen.372 368 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 134 Anm. 172. Ausführlich hierzu supra Teil II, Kapitel 1, G. I. sowie infra Kapitel 2, E. V. 369 Unzutreffend daher die Bemerkung von Tradt, Religionsprozeß, S. 83, wonach die amtliche Stellung der Oberkonsistorialräte darin bestanden haben soll, „Hüter der überlieferten Glaubensinhalte der lutherischen Konfession“ zu sein. 370 Cf. zum Ganzen Krause, Ära Woellner, S. 133 f. 371 Die gesammelten Voten wiesen eine große Divergenz auf, wobei sich jedoch eine Tendenz abzeichnete, Schulz zwar ein Abweichen von der lutherischen Lehre zu attestieren, nicht jedoch den Abfall vom Christentum. Spalding weigerte sich aus „gültigen Ursachen“, ein Votum abzugeben, ebenso Volkmar, der sich auf Krankheit berief. Auch Sack als reformiertes Mitglied des Oberkonsistoriums erstattete kein Gutachten; das Verhalten Schulz’ als Lehrer sei offen- und gerichtskundig, ein Gutachten daher überflüssig. Ausführlich zum Ganzen Tradt, Religionsprozeß, S. 78 ff. m.w. N. 372 Cf. zum Ganzen Krause, Ära Woellner, S. 133 f.

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Als Woellner schließlich Ende März 1792 von dem Beweisbeschluß erfuhr, ordnete er durch ein an den Konsistorialpräsidenten von der Hagen gerichtetes Reskript vom 27. März 1792 die Einsendung der Einzelvoten an das Geistliche Departement an. Mit der Rückgabe des Vorgangs an das Oberkonsistorium am 2. April 1792 verbot er – in der Sache völlig zu Recht – dem Gremium die Antwort auf die ersten vier Fragen und ordnete lediglich für die fünfte Frage eine Mehrheitsentscheidung an373, was aufgrund des Vorsitzes von Woellner im Oberkonsistorium ungeachtet des abweichenden Beschlusses im Staatsrat kompetenzrechtlich unbedenklich374 und daher auch von den Mitgliedern des Gremiums375 selbstverständlich hinzunehmen war.376 Die am 19. April 1792 im Umlaufverfahren durchgeführte Abstimmung der Oberkonsistorialräte377 ist insofern bemerkenswert, als unklar blieb, ob die Mitglieder des Gremiums als königliche Räte378, als selbsternannte Kirchenrepräsentanten und Verfechter einer allgemeinen Vernunftreligion379 oder als privat agierende theologische Sachverständige380 auftraten. Anhaltspunkte dafür, daß die Oberkonsistorialräte sich hierüber Gedanken gemacht haben, bestehen jedenfalls nicht. Freilich wurden derartige Mißverständnisse durch die zahlreichen im Zusammenhang mit

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Reskript vom 2. April 1792. Krause, Ära Woellner, S. 133 Anm. 169, nimmt – gegen Tradt, Religionsprozeß, S. 80 ff. – mit Blick auf das wiederholt artikulierte Interesse des Königs an der Beschleunigung des Verfahrens an, daß die Intervention Woellners gegen den Beweisbeschluß auf königliche Anweisung hin erfolgte und sein Verhalten in dieser Situation in diesem Licht zu würdigen ist. Diese Deutung ist jedoch nicht zwingend. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Woellner die staats- und kirchenrechtliche Situation besser und treffender als die meisten seiner Zeitgenossen zu analysieren verstand, scheint es durchaus denkbar, daß er der von ihm als richtig und vernünftig erkannten Lösung der Situation gewissermaßen auf diplomatischem Wege zur Durchsetzung verhelfen wollte. 375 Zur Opposition einiger Mitglieder des Gremiums cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 82. 376 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 134. Unzutreffend insoweit Tradt, Religionsprozeß, S. 81. 377 Diese zeitigte folgendes Ergebnis: Nach der Auffassung von Woltersdorf, Hermes, Hillmer und von der Hagen war Schulz eindeutig und zweifelsfrei vom lutherischen Bekenntnis und vom christlichen Dogma abgewichen. Dagegen vertraten Diterich, Zöllner, Teller, Gedike und von Irwing eine differenzierende Ansicht. Im Ergebnis tendierten sie dazu, Schulz als christlichen, nicht als lutherischen Prediger zu akzeptieren. Näher hierzu Amelang, Verteidigung II, S. 48–58. Der Inhalt der Voten der zweiten Abstimmung ist ausführlich wiedergegeben auch bei Tradt, Religionsprozeß, S. 82 f. 378 Zum Charakter des Konsistoriums als königliche Behörde s. supra Teil II, Kapitel 1, G. I. sowie infra Kapitel 2, E. V. 379 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 83. Dies trifft vor allem auf das Gutachten Tellers zu. 380 Hierzu hätte den weltlichen Räten die fachliche Kompetenz gefehlt, wie Krause, Ära Woellner, S. 134 Anm. 174, zu Recht zu bedenken gibt. 374

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dem Charakter und Wesen der kirchlichen Behörden aufgetretenen Unklarheiten und Unstimmigkeiten maßgeblich gefördert. Die Ungeduld des Königs nahm unterdessen zu. Am 27. April 1792 ergingen Cabinets-Ordres an Woellner und Carmer381, in denen der Beweisbeschluß des Kammergerichts als wunderlich bezeichnet wurde. In dem an Woellner gerichteten Dokument wurde dessen Anweisung, nur die fünfte Beweisfrage zu beantworten, ausdrücklich gebilligt.382 Außerdem sollte im „churmärkischen Konsistorio“ die Frage des Kammergerichts „ob der Prediger Schulz dem Religionsedikt konform gelehrt habe und also ein lutherischer Prediger sey oder nicht?“ eindeutig beantwortet werden – eine Frage, die vom Beweisbeschluß des Kammergerichts sowohl dem Wortlaut nach als auch inhaltlich abwich, gleichwohl aber in der Sache gerechtfertigt war, da sie – staatsrechtlich korrekt – das Religionsedikt und seinen Inhalt zum Maßstab erklärte und gerade nicht auf eine eigene theologische Expertise des Oberkonsistoriums oder seiner Räte abzielte.383 Dem Großkanzler gegenüber äußerte der König Bedenken gegen die Vorgehensweise des Kammergerichts, das in seinem Beweisbeschluß die Bedeutung des Religionsedikts heruntergespielt und damit die Bindung der Rechtsprechung an die königlichen Gesetze relativiert hatte: „Ich frage Euch nur ganz kurz: ob meine Edikte ein Gesetz für den Richter seyn müssen oder nicht? Ich will hierüber augenblicklich Antwort haben, und befehle Euch zugleich, die Sentenz in Zeit von vier Wochen an mich einzusenden.“384 Der Präsident des Konsistoriums, von der Hagen, drängte sodann – auf Anweisung Woellners385 – auf eine klare Beantwortung der Frage, ob Schulz 1. ein lutherischer und 2. ein christlicher Prediger sei. Zöllner, Teller und Gedike verweigerten daraufhin die Antwort. Irwing verneinte die erste Frage, bejahte aber die zweite. In einer durch von der Hagen einberufenen außerordentlichen Sitzung des Konsistoriums am 30. April 1792 legte dieser den Anwesenden die Kabinettsorder vor und bestand auf einer Abstimmung. Diese ergab mehrheitlich, daß Schulz nicht dem Religionsedikt konform gelehrt habe und daher kein lutherischer Prediger sei.386 Die von Zöllner, Sack und Teller zu den Akten gereichten schriftlichen Sondervoten387 wurden nicht an das Kammergericht wei381 Mit der Anmerkung, Schulz anderweitig versorgen zu wollen, cf. Stölzel, Svarez, S. 333 ff.; Philippson, Geschichte I, S. 358 ff. 382 Die – inhaltlich unbedingt billigenswerte – Kabinettsorder war vermutlich von Woellner selbst entworfen, cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 84. Als Beleg für die Vernunft und Einsicht des Königs kann sie daher nur eingeschränkt herangezogen werden. 383 Cf. Krause, Ära Woellner, S. 134 Anm. 175. 384 Amelang, Verteidigung II, S. 59–61. 385 Dieser verlangte die Übersendung von Gutachten sowohl zur fünften Frage des Beweisbeschlusses als auch zur Frage des Königs aus der Kabinettsorder an Woellner vom 27. April 1792. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 85 m. N.

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tergeleitet. Teller388 wollte sich dadurch „die Freiheit der evangelisch-lutherischen Kirche besonders vorbehalten und seine Erklärung vor der ganzen evangelischen Kirche vertreten“. Nachdem er festgestellt hatte, Schulz habe nicht dem Religionsedikt entsprechend gelehrt, erklärte Teller: „Ob er nun aber überhaupt ein lutherischer Prediger sey, oder nicht, kann nicht so gerade zu entschieden werden. Nach der Theorie des Protestantismus oder Luthertums giebt es nur zwei Grundwahrheiten dieses: Die Erste Ein jeder ist in Glaubenssachen sein eigener Richter. Die Zweite Die heilige Schrift ist die alleinige Quelle der daraus herzuleitenden Lehre, wobey aber unbestimmt gelassen, wieviel Bücher dazu gerechnet werden müssen, und dieses auch nach dem ersten Grundsatz nicht für alle Zeiten bestimmt werden konnte. Hiernach kann Schulz überhaupt ein lutherischer Prediger sein.“ Zwar entspreche dies nicht „der deutschen Reichspraxis, nach welcher Grundwahrheiten des Luthertums alle diejenigen sind, die in der Augsburgischen Konfession und deren Apologie nach den Ueberzeugungen der damaligen Reformatoren sind festgesetzt worden“. Doch erkenne er diese Praxis nicht als maßgeblich an, „um den Rechten der freien lutherischen Kirche durch ganz Europa nicht präjudicirlich zu sein“. In einem nach bestem Wissen und Gewissen und unter Berufung auf die ganze evangelische Kirche schriftlich abgegebenen weiteren Votum erklärte er, es sei, „bekannt, daß in der Christenheit niemals eine Uebereinstimmung darin gewesen“ sei „und sind daher so viel Trennungen entstanden“. In seinen Predigten habe Schulz den höchsten, allgemein zugestandenen Grundsatz der Religion (Johannes 4, 23, 24) nicht geleugnet und auch alle in der Religion enthaltene Moral gelehrt, soweit sie auf die Erhaltung von Sicherheit und Ordnung im Staat gerichtet sei. Am 7. Mai 1792 beschwerten sich die Richter der Kriminaldeputation des Kammergerichts beim Großkanzler.389 Das Verbot des geistlichen Ministers an das Konsistorium, sämtliche Fragen zu beantworten, stelle „einen offenbaren Eingriff und eine Verhinderung der reinen und lauteren Rechtspflege, wodurch die Sicherheit eines Angeschuldigten und die Festigkeit richterlicher Entscheidungen in Gefahr gesetzt“ werde, dar. Vielmehr habe das Oberkonsistorium 386 So das gemeinsame Votum, unterzeichnet von den Räten Gedike, von der Hagen, Hermes, Hillmer, von Irwing, Nagel, Sack, Teller, Woltersdorff und Zöllner. Verhindert waren von Lamprecht und Dieterich; zusätzlich zu den Genannten war der Konsistorialrat Hecker anwesend. Nicht im Protokoll vermerkt ist die An- oder Abwesenheit Spaldings. Cf. im einzelnen Tradt, Religionsprozeß, S. 86 mit Anm. 304. 387 Diese sind auf unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Gremiums über die Bedeutung der Formulierung „nach dem Sinne des Religionsedikts“ zurückzuführen. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 86. 388 Das der Nachwelt überlieferte Sondervotum Tellers ist vielfach abgedruckt; Nachweise bei Tradt, Religionsprozeß, S. 86 Anm. 305. 389 Nachweise über den Abdruck des Beschwerdeschreibens bei Tradt, Religionsprozeß, S. 88 Anm. 312.

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„ohne weitere Anmaßung und Einfluß seines Chef-Präsidenten“ die Fragen zu beantworten.390 Der Großkanzler wies die Beschwerde am 8. Mai 1792 – völlig zu Recht – zurück. Für die Entscheidung des Rechtsstreits seien allein die §§ 7 und 8 des Religionsedikts maßgeblich. Daher sei durch ein Sachverständigengutachten allenfalls zu klären, ob Schulz’ Lehre von dem nach dem Religionsedikt vorgeschriebenen Bekenntnis abweiche. Zu diesem Zweck sei es entbehrlich, im Sinne der ersten vier Fragen das gesamte System der christlichen und lutherischen Dogmatik zu ermitteln. Zugleich kündigte der Großkanzler dem Kammergericht die Übersendung der Voten der Konsistorialräte an391 und wies auf die Möglichkeit hin, die Entscheidung zu verweigern, wenn das Gericht der Auffassung sei, ein vollständiges Gutachten über das Wesen des lutherischen Bekenntnisses zu benötigen. Unklar ist, weshalb das Kammergericht diese „goldene Brücke“ nicht beschritt, sondern in der Sache entschied, zumal dies – wenn man den Beweisbeschluß und die Behauptung, ohne eine vollständige Beantwortung des Fragenkatalogs nicht entscheiden zu können, ernst nimmt – in hohem Maße inkonsequent war.392 Offenbar war die Senatsmehrheit jedoch nicht gewillt, das von ihr verfolgte kirchenpolitische Ziel, „über Kirche, Christentum und lutherische Lehre zu urtheilen, der Aufklärung gegenüber den Fesseln des Religions-Edictes zum Siege zu verhelfen“393, ohne weiteres aufzugeben. V. Das erstinstanzliche Urteil und seine Publikation In seiner Sitzung vom 20. Mai 1792 entschied das Kammergericht394 mit 14 gegen 11 Stimmen395, Schulz im Amt zu belassen. Er sei zwar kein luthe390 Die Einwendungen lagen – wie dargelegt – neben der Sache. Im übrigen handelte es sich nicht um einen Fall der Versagung der Aussagegenehmigung, wie Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 391 f., mit einem hohen Maß an Bedenkenlosigkeit annimmt, sondern um die Versagung der Genehmigung, ein Gutachten zu erstatten. 391 Die Voten trafen jedoch erst nach nochmaliger Vorstellung der Kammergerichtsräte am 13. Mai 1792 ein; cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 90 m. N. 392 Die von Pathos und Enthüllungsjournalismus geprägte Darstellung von Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 394, verdeckt das Problem; es ging nicht um die Gewährleistung des gesetzlichen Richters, eher um Eitelkeit, cf. Beyme, Brief an Eduard Gans vom 3. März 1836, S. 31. 393 Cf. Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 394. Cf. auch Schwartz, Die beiden Opfer, S. 146. 394 Auf Anordnung des Großkanzlers von Carmer wurde das Urteil in pleno collegio, d. h. durch den vollständigen Instruktionssenat, nicht nur durch die Kriminaldeputation, gefällt. Zum prozeß- und kompetenzrechtlichen Hintergrund dieser Anweisung cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 92 f. 395 Das bisher angenommene Stimmenverhältnis von 13 zu 11 ist dank des Nachweises von Tradt, Religionsprozeß, S. 93 Anm. 338 m. N., überholt. Ausführlich zu

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rischer, wohl aber ein „christlicher“ Prediger. Ausschlaggebend waren zwei Voten, die Schulz wegen der vorherigen ministeriellen Duldung seiner Lehren in Gemeinde und Öffentlichkeit vom Vorwurf eines Dienstvergehens freisprachen – sei es wegen Verbotsirrtums, sei es wegen eines daraus nach dem Religionsedikt fließenden Anspruchs auf weitere Duldung.396 Gleichwohl habe Schulz die Verfahrenskosten zu tragen.397 Das Urteil wurde sowohl von Mitgliedern des Gerichts398 als auch vom König, dem das Urteil vom Geistlichen Departement mit der Empfehlung übersandt wurde, es gemäß dem unbestrittenen monarchischen Strafschärfungsrecht399 dahingehend zu bestätigen, daß Schulz sein Amt verliere, für untragbar gehalten. Dies war in den Augen Friedrich Wilhelms II. jedoch keine ausreichende Reaktion auf die Provokation durch das Gericht. Er hielt das Urteil für eine „elende Sentenz“; diese sei „ein wahrer Schandfleck des Kammergerichts“. Es sei unbegreiflich, „wie vernünftige Leute, sofern sie nicht bösen Willen haben, wie hier offenbar zu Tage liegt, dergleichen Unsinn vorbringen und wider ihre Pflicht und Gewissen behaupten können“. In der Sache mißbilligte er vor allem den – nicht in erster Linie beabsichtigten, aber de facto unternommenen – Versuch der Senatsmehrheit, nach Art der französischen Parlamente über die Gültigkeit der königlichen Gesetzesbefehle zu entscheiden.400 Dies stellte einen Anschlag auf die Verfassung des Staates und die königliche Gesetzgebungsgewalt dar. Dabei war dem König nicht bewußt, daß der Fall schon deswegen schwerlich für die Statuierung eines Exempels geeignet war, weil er selbst – augenscheinlich ohne sich über diese Problematik Gedanken zu machen – das Kirchenregiment mit der absoluten monarchischen Staatsgewalt vermengt und

den mitwirkenden Richtern sowie zu Aufbau und Inhalt des Urteils Tradt, Religionsprozeß, S. 94 ff. 396 So Beyme, der selbst für Schulz stimmte (cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 94 ff.); die Gründe belegen mit zahlreichen Hinweisen, daß es sich bei der Gemeinde des Predigers Schulz um eine geduldete Sekte handle. 397 Ausführlich zur Problematik der Kostenentscheidung Tradt, Religionsprozeß, S. 97. 398 So etwa der Präsident des Kriminalsenats und spätere Kanzler Schrötter, der daraufhin Berlin verließ und erst zurückkehrte, als sich die Angelegenheit wieder beruhigt hatte. Cf. Krause, Ära Woellner, S. 135. Stölzels Behauptung, Kircheisen habe dem Senat vorgesessen, ist falsch, desgleichen seine Annahme, dessen Vortrag zum Machtspruchverbot vom 10. März 1792 habe bereits auf den Schulz-Prozeß gezielt (Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 415 f.). Im Strafverfahren ging es nämlich um die Grenzen des königlichen Bestätigungsrechts, nicht um das absolute Verbot der Ingerenz in sonstigen Prognosen, was das Machtspruchverbot meinte. Außerdem hatte Friedrich Wilhelm II. bereits bei seiner Huldigung erklärt, auf Machtsprüche verzichten zu wollen (cf. von der Reck, Huldigungsanrede, S. 3). 399 Näher hierzu sowie zum Verhältnis des Strafschärfungsrechts zu § 6 der Einleitung zum Allgemeinen Gesetzbuch Krause, Überforderung, S. 181 f. 400 Cf. Krause, Überforderung, S. 183 Anm. 79.

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die Staatshoheit über die Grenze der Religions- und Gewissensfreiheit hinweg ausgedehnt hatte. Diese außergewöhnliche Konstellation führte dazu, daß die Konfrontation in geradezu regelloser Weise fortgeführt wurde. Mit einer auf Vorschlag Woellners401 erlassenen Kabinettsorder vom 6. Juni 1792 erteilte der König dem Großkanzler – offenbar zur Vorbereitung eines Strafverfahrens – den Befehl, das Stimmverhalten der Kammergerichtsräte im Schulz-Prozeß festzustellen. Damit stand eine mögliche Wiederholung des Müller-Arnold-Skandals im Raum.402 Eine auf das Beratungsgeheimnis des Gerichts gestützte Befehlsverweigerung durch den Großkanzler kam nicht in Betracht.403 Vielmehr mußte die Ermittlung des Stimmverhaltens schon im Rahmen eines Verfahrens wegen Rechtsbeugung schon deshalb zulässig sein, weil ansonsten Rechtsbeugung durch ein Kollegialgericht a priori straffrei wäre. Mit dem offensichtlichen Ziel, die drohende Strafverfolgung zu vermeiden, versuchte Carmer daraufhin, den Senat zu einer Revision seiner Entscheidung zu bewegen, was nach damaliger Auffassung keine undenkbare Maßnahme darstellte, wiewohl sie den Grundsatz der prinzipiellen Endgültigkeit einer Gerichtsentscheidung mißachtete.404 Bei einem von Carmer am 7. Juni 1792 in dessen Privatwohnung abgehaltenen Konveniat, an dem – mit Ausnahme des verreisten Präsidenten von Schrötter sowie des ebenfalls verreisten von Hartwig – sämtliche Mitglieder des Gerichts teilnahmen405, wurde daher nochmals über die Fragen abgestimmt, ob (1) Schulz lutherischer Prediger sei, ob (2) seiner Entlassung eine Abmahnung vorauszugehen habe, und ob (3) Schulz und seine Gemeinde als christliche Sekte nach staatlichem Recht geduldet werden könnten oder müßten. Das Stimmergebnis wurde durch einen Gerichtsreferendar protokolliert, die Voten der beiden abwesenden Mitglieder wurden nach der Erinnerung rekonstruiert. Die beiden ersten Fragen wurden durchgängig verneint. Nach Ansicht von Raumer und Paalzow fehlte dem Kammergericht jedoch hinsichtlich der ersten Frage die Beurteilungskompetenz. Hartwig hielt als einziger eine Abmahnung 401 Dieser hatte tags zuvor an den König geschrieben, daß doch „gewiß nicht alle Mitglieder des Kriminalsenats an dieser miserablen Sentenz Schuld haben werden“. Zitiert nach Tradt, Religionsprozeß, S. 105 m. N. (Hervorhebung im Original). 402 Cf. Stölzel, Svarez, S. 326, dessen Parallelisierung allerdings ansonsten oft willkürlich ist. 403 Insoweit unzutreffend Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 397. 404 Ob das Vorgehen des Großkanzlers – die Wiederholung der Abstimmung – mit der königlichen Ordre vom 6. Juni 1792 in Einklang stand, ist eine andere Frage. Näher hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 109 m. N. 405 Dies waren der Gerichtsdirektor Kircheisen, ferner Gerlach, Warsing, Schewe, Lüderitz, Raumer, Winterfeld, Braunschweig, Rappard, Arnim, Mayer, Rudolphi, Rimpler, Woldermann, Bohm, Friedel, Philippi, Eisenberg, Heidenreich und Beyme sowie die Kriminalräte Franke, Paalzow und Otto. Ausführlich zum Ablauf der Sitzung am 7. Juni 1792 Tradt, Religionsprozeß, S. 106 ff.

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für erforderlich. In der dritten Frage blieb die Meinung – wie schon bei der ursprünglichen Entscheidung – gespalten.406 Die Minderheit – Schrötter, Winterfeld, Schewe, Warsing, Gerlach, Heidenreich, Phillippi, Friedel, Bohm, Woldermann und Rudolphi – vereinigte bei gleichem Ergebnis drei unterschiedliche Auffassungen. Diese reichten von der bedingungslosen Entlassung des Schulz über die Forderung, Schulz zwar als lutherischen Prediger zu entlassen, seine Duldung und die seiner Gemeinden jedoch in das Ermessen des Landesherrn zu stellen, bis hin zu der Lösung, die weitere Duldung der Gemeinden dem Ermessen des Landesherrn zu überlassen, jedoch im Falle der Duldung keine Trennung des Predigers und der Gemeinde zuzulassen.407 Augenscheinlich ging die Minderheit insgesamt davon aus, die Entscheidung sei im konkreten Fall bereits im Sinne einer Duldung des Schulzschen Bekenntnisses gefallen. Carmer übersandte das Protokoll und das ausdrücklich angeforderte Votum Tellers an den König und beantragte – wie auf Vorschlag des Geistlichen Departements im Justizdepartement beschlossen –, das Urteil des Kammergerichts dahingehend zu bestätigen, „daß der Schulz für einen protestantisch-lutherischen Prediger nicht zu achten und solchem nach seines Amtes zu entsetzen sei“. Dem entsprach das königliche Bestätigungsreskript vom 21. Mai 1792408, das selbst kein Urteil darstellte, sondern lediglich die in einem Strafverfahren prinzipiell zulässige Anweisung, das Urteil mit einem bestimmten Inhalt zu verkünden. Das Mißgeschick bestand jedoch darin, daß der König das Bestätigungsreskript nicht an das mit dem Fall befaßte Kammergericht, sondern an das Oberkonsistorium gerichtet hatte, welches jedoch gemäß den Edikten vom 10. Mai 1748 sowie vom 16. Mai 1760409 nicht mehr die Zuständigkeit besaß, ein auf Amtsenthebung lautendes Disziplinarurteil verbindlich auszusprechen. Hilflos gab das Oberkonsistorium den Auftrag an die als Anklagebehörde fungierende Untersuchungskommission „das Königl. Konfirmations-Reskript vom 21sten May in Vim sententiae zu publiciren“, d. h. an Stelle eines Urteils zu verkünden. Nicht aufgetragen wurde – entsprechend dem ausdrücklichen Auftrag Woellners – die Publikation der eigentlichen Sentenz. Die dem Oberkonsisto-

406 Das Stimmenverhältnis betrug nunmehr 13 zu 11. Das Votum von Schrötters wurde rekonstruiert und der Minderheit zugerechnet. Der Kammergerichtsrat Philippi wechselte als einziger von der Mehrheits- auf die Minderheitsseite, wo er den Platz des abwesenden von Hartwig einnahm. Cf. im einzelnen Tradt, Religionsprozeß, S. 108 f. 407 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 107. 408 Dieses „offizielle“ Datum stellt eine Rückdatierung dar; das Konfirmationsreskript wurde erst zwischen dem 8. und 11. Juuni 1792 durch den König vollzogen. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 101 m. N. 409 Cf. Amelang, Verteidigung II, S. 96, sowie supra Teil I, Kapitel 1, C. VIII. 5 a. E.

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rium nachträglich durch Woellner erteilte Genehmigung, der Untersuchungskommission neben dem Konfirmationsreskript auch die Sentenz zwecks Publikation an Schulz zuzusenden, kam nicht mehr zum Tragen.410 Die Entscheidung wurde so völlig formlos. Am 27. Juni 1792 verlasen Hermes, Hillmer und Huulbeck dem tags zuvor vorgeladenen Verteidiger das Reskript; dieser verweigerte sogleich und trotz wütender Proteste von Hermes die Annahme des Dokumentes, weil es kein Urteil sei und seinem Mandanten nur gegen ein Urteil im Rechtssinne die hierfür vorgesehenen Rechtsmittel zuständen. Nach erneuter Einschaltung Woellners und Carmers wurden schließlich der Untersuchungskommission über das Oberkonsistorium das ursprüngliche Urteil des Kammergerichts zusammen mit dem königlichen Bestätigungsreskript zur Verkündigung „wie gewöhnlich“ an Schulz übersandt.411 Auf diese Weise entstand ein irgendwie dem Willen des Königs angepaßtes vollzugs- und appellationsfähiges Urteil, das am 11. Juli 1792 schließlich durch Bekanntgabe sowie durch Übergabe von Abschriften an Amelang publiziert wurde. VI. Die Maßregelung der Kammergerichtsräte Da dem König der Müller-Arnold-Skandal412 als warnendes Beispiel vor Augen stand, suchte er im nun anstehenden Konflikt mit Kammergericht und Oberkonsistorium eine Wiederholung dieses Fehlers zu vermeiden. Die von ihm favorisierte Lösung war freilich noch fragwürdiger als die seinerzeit von Friedrich II. gefundene. Problematisch war nicht die verschärfende Bestätigung des „Urteils“ des Kammergerichts413, sondern vielmehr die folgende Maßregelung der Richter414:

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Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 103 m. N. Unklar ist, ob diese Verfügung – wie von Amelang, Verteidigung II, S. 100, behauptet – erst am 7. Juli 1792 auf Beschluß des Staatsrates erfolgte. In den Akten findet sich hierfür kein Beleg, cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 104 Anm. 384. Da die angeordnete Publikation aber erst am 11. Juli 1792 erfolgte, würde die Beteiligung des Staatsrates den längeren Zeitraum zwischen Erlaß und Ausführung der Verfügung erklären, zumal die vorherigen Verfahrensschritte beinahe im Tagesrhythmus erfolgten. 412 Näher hierzu Diesselhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold, sowie Dickel, Friedrich der Große und die Prozesse des Müllers Arnold. 413 Die dahingehende Charakterisierung durch Stölzel ist unzutreffend; tatsächlich handelte es sich um ein die „Bestätigung“ nicht bindendes, sondern erst ermöglichendes Gutachten. Cf. Krause, Überforderung, S. 181 f. 414 Die Maßregelung erfolgte durch eine – mit Datum 9. Juni 1792 von Woellner entworfene – Kabinettsorder an den Großkanzler, die vom König am 11. Juni 1792 vollzogen wurde. Der Wortlaut ist abgedruckt bei Stölzel, Svarez, S. 339 f. Weitere Nachweise bei Tradt, Religionsprozeß, S. 110 Anm. 406. Von Carmer erließ daraufhin am 12. Juni 1792 ein harsches Reskript an die Richter sowie am gleichen Tag ein Reskript an von Arnim. Näher zum Inhalt der Reskripte Tradt, Religionsprozeß, S. 114 f. m. N. 411

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Hierdurch wurde in den „Lauf der Gerechtigkeit“ nach Art eines Machtspruches eingegriffen, so daß die „[u]ngeschränkte Stimmfreiheit des Richters und die Sicherheit, daß ihm für seine ohne Neben-Absichten abgegebene Meinungen keine andere Belohnung oder Strafe treffen könne, als die Hochschätzung oder der Tadel des vernünftigen Publikum“ als „erste und wesentlichste Erfordernis einer guten Justizpflege“415 gefährdet wurden. Friedrich Wilhelm II. warf den die Senatsmehrheit bildenden Richtern in der Kabinettsorder vom 11. Juni 1792 vor, Rechtsbeugung begangen zu haben. Diese hätten bei ihrer Entscheidung den klaren Inhalt des Religionsedikts mißachtet und versucht, dem König die Duldung einer Sekte vorzuschreiben. Solches Verhalten stelle Widerstand gegen die landesherrlichen Gesetze dar, und zwar in Gestalt des Versuchs, ihre Ausführung zu vereiteln. Im Unterschied zu Friedrich dem Großen sah Friedrich Wilhelm II. von der Eröffnung eines förmlichen Strafverfahrens gegen die für Schulz stimmenden Kammergerichtsräte ab. Nur aus Mitleid mit ihren Familien und in der Hoffnung auf künftige Besserung beschränkte er sich – obwohl die betreffenden Richter eigentlich die härtere Strafe der Amtsentsetzung verdient hätten, der Berichterstatter gar Festungshaft – darauf, diese von künftigen Beförderungen auszuschließen und sie dazu zu verpflichten, ein Vierteljahresgehalt – von Arnim sogar einhundert Dukaten416 – an das Armendirektorium, und zwar zugunsten des Irrenhauses, zu zahlen.417 Gleichzeitg erhielt Woellner die Anweisung418, Teller ebenfalls für ein Vierteljahr vom Dienst zu suspendieren; sein Gehalt sollte während dieses Zeitraums ebenfalls dem Armendirektorium zufließen419. Die an Woellner gerichtete Kabinettsorder enthielt im übrigen die an die Oberkonsistorialräte auszurichtende Warnung, daß künftig jegliche heimliche oder öffentliche Opposition gegen das Religionsedikt ohne weiteres zur 415 Eingabe von Schrötters an den König vom 30. Juni 1792, Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 77; dort weitere Argumente für die richterliche Unabhängigkeit. 416 Die härtere Strafe sollte von Arnim wegen Anmaßung treffen; zu diesem Vorwurf s. Tradt, Religionsprozeß, S. 110 f. mit Anm. 407, 408. 417 Die milde Sanktion stand in krassem Widerspruch zu der Schwere der Vorwürfe; cf. hierzu den Entwurf der Stellungnahmen von Schrötters bei Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 412 f. Von Schrötter macht in seiner über Bischoffswerder an den König gerichteten Eingabe vom 30. Juni 1792 darauf aufmerksam, daß die Strafe viel zu milde war, wenn Rechtsbeugung vorlag, aber völlig illegitim, wenn sich den Richtern keinerlei Rechtsbeugung nachzuweisen war. Cf. hierzu Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 75. Andererseits sollte der Verwendungszweck der Geldstrafe – „zum Besten des Irrhauses“– eine gezielte Demütigung der Richter bewirken; diese Wirkung wurde nicht verfehlt, wie die Vorstellung des Kammergerichtspräsidenten von Schrötter an den König vom 30. Juni 1792 belegt. Cf. Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 475. 418 Auch diese Kabinettsorder vom 11. Juni 1792 war – auf den 9. Juni 1792 datiert – von Woellner selbst entworfen. Nachweise bei Tradt, Religionsprozeß, S. 113, Anm. 418. Woellner erließ daraufhin am 18. Juni 1792 ein Reskript an das Konsistorium sowie am 20. Juni 1792 ein weiteres Reskript an Teller. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 114 m. N.

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Amtsenthebung führe. Hieran schloß sich die Bemerkung an, der König werde – falls diese Anordnung nicht beherzigt werde – „Eurem ganzen Konsistorio“420 auf nachdrückliche Art zeigen, daß er Herr in seinen Landen sei und seine Befehle respektiert wissen wolle. Diese Formulierung zeigt deutlich, daß es dem König hier in erster Linie um die Territorialhoheit und deren Durchsetzung ging und auch das Konsistorium als eine in erster Linie weltliche, zur Ausführung der königlichen Befehle berufene Einrichtung angesehen wurde. Der kirchliche Charakter der Behörde sowie der Umstand, daß die in Rede stehenden Befehle zumindest indirekt das Gebiet des Kirchenregiments betrafen, traten vollständig in den Hintergrund. Die gemaßregelten Kammergerichtsräte, welche den Vorwurf der Rechtsbeugung keinesfalls akzeptieren wollten, versicherten daraufhin dem König ihre Gesetzestreue und baten darum, den Befehl in Gnaden wieder aufzuheben.421 Der hierauf folgende Versuch des Großkanzlers von Carmer, den Konflikt im Wege eines Kompromisses zu lösen, war nur teilweise erfolgreich. Von Carmer hielt die Richter subjektiv für schuldlos, da sie durch aus früheren Zeiten herrührende, unzutreffende Ideen von vermeintlich uneingeschränkter Toleranz zu ihrer irrigen Entscheidung verleitet worden seien. „Da nun das Publikum, welches die Sache nach ihrer wahren Lage nicht übersehen kann, dem Vorurtheile, als ob den Richtern bei Abgebung ihrer votorum die gesetzmäßige Freiheit durch die Allerhöchste Cabinets-Order verschränkt würde, Gehör zu geben scheint und dadurch der allgemeine gute Ruf der Preußischen Justiz-Verfassung, besonders der E.K.M. preiswürdige Gerechtigkeits-Liebe allerhand widrigen Urtheilen ausgesetzt werden könnte“, rege er eine „mit Ernst und Milde verbundene Behandlung“ an. Die Richter sollten daher nochmals ausdrücklich ermahnt, aber nicht bestraft werden. Der König nutzte die öffentliche Meinung – entgegen der Intention von Carmers und Svarez’ – jedoch zumindest vorübergehend zur zusätzlichen Demütigung der betroffenen Richter, indem er die Anordnung gab, den von Svarez entworfenen und von ihm übernommenen Antworttext „ungesäumt durch die Zeitungen öffentlich bekannt machen zu lassen, damit das Publikum von der wahren Beschaffenheit dieser für die Justiz so nachtheiligen Sache unterrichtet werde“.422 Durch die Aussage des Königs, er 419 Stölzel, Svarez, S. 340 m.w. N. Unklar ist, warum der König Tellers Voten erhielt und allein ihn bestrafte. Denkbar erscheint eine dahingehende Intervention durch Hermes, Hillmer oder Woltersdorf. 420 Aus der spöttischen Bezeichnung ist ersichtlich, daß für den König Woellner Anwalt und Verantwortlicher für das Konsistorium war. Abdruck der Kabinettsorder bei Amelang, Verteidigung II, S. 91 ff. 421 Cf. hierzu Stölzel, Svarez, S. 341 ff.; Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 404 ff, 463. Nach Stölzel, Svarez, S. 342 hatte Svarez bei Kircheisen eine gütliche Einigung angeregt. Das Original der Eingabe befindet sich im GStA PK, Rep. 96, Nr. 222 B, Band 1, fol. 51–51 v. Näher zu diesem Dokument Tradt, Religionsprozeß, S. 117 Anm. 435.

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werde „die Versicherung der Supplikanten, daß sie diesen groben Fehler nicht aus Vorsatz und bösem Willen begangen haben, für diesmal noch in Gnaden annehmen“, sollte der Öffentlichkeit ein Schuldeingeständnis der Richter suggeriert werden, zumal diese den vorgeschriebenen Weg, bei Zweifeln über Sinn und Gültigkeit einer Norm die Gesetzkommission anzurufen, nicht eingehalten hätten.423 Die Absicht des Königs ließ jedoch den gewünschten Erfolg vermissen. Das Ansehen des Kammergerichts in der Öffentlichkeit nahm durch die Veröffentlichung keinen Schaden, zumal selbst Gegner von Schulz als Garanten des Rechts gegen den König Position bezogen.424 Daß die betroffenen Kammergerichtsräte die Veröffentlichung der königlichen Antwort zu Unrecht nicht dem Monarchen, sondern von Carmer und Svarez anlasteten, führte indes zu einer erneuten Entfremdung.425 VII. Das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz: Die „weitere Verteidigung“ Gegen das durch die verschärfende Bestätigung des Königs auf Amtsentsetzung lautende Urteil ergriff der inzwischen förmlich suspendierte426 Schulz das Rechtsmittel der weiteren Verteidigung427, woraufhin er – nachdem Amelang vom Konsistorium die Mitteilung gemacht hatte, daß dem Antrag auf weitere Verteidigung stattgegeben sei428 – von Beyme zunächst am 11. Januar 1793 zu prozessualen Fragen angehört und am 5. Februar 1793 nochmals über Fragen der Irrlehre vernommen wurde.429 Gleichwohl erkannte der Ober-AppellationsSenat – mit Goßler als Berichterstatter – am 5. September 1794 wiederum auf Entlassung aus dem Amt.430 422 Nach Stölzel, Svarez, S. 340 ff., soll die Idee von Woellner stammen (Verweis auf GStA PK Rep. 47 Immediatberichte Woellners über das Religionsedikt, fol. 38 f.). 423 Cf. hierzu Stölzel, Svarez, S. 345, 348; abgedruckt z. B. auch in Brünns Magazin, Band 1, S. 55. 424 Cf. Henke, Beurteilung, S. 542, 557. Zur Haltung Spaldings, der ursprünglich Schulz’ Entlassung gefordert hatte, cf. Stölzel, Svarez, S. 341. Zur Einbeziehung von Humboldts s. Tradt, Religionsprozeß, S. 119 m. N. 425 Ungewiß ist, ob die Eingabe von Schrötter der bessere Weg gewesen wäre. Cf. dazu Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 71 ff. 426 Ausführlich hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 123 ff. 427 Dieses Rechtsmittel wurde hilfsweise eingelegt, soweit nicht die primär begehrte Wiedereinsetzung in das Amt erreicht werden konnte. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 126 f. 428 Cf. Amelang, Verteidigung II, S. 108, 269. 429 Ausführliche Schilderung der beiden Vernehmungen bei Tradt, Religionsprozeß, S. 131 ff. Zum Inhalt der Verteidigungsschrift Schulz’ zu theologischen Fragen in zweiter Instanz s. Tradt, Religionsprozeß, S. 135 ff. Zum Inhalt der Verteidigungsschrift Amelangs zur rechtlichen Seite des Falles s. Tradt, Religionsprozeß, S. 141 ff. 430 Cf. hierzu das Urteil, ferner Holtze, Geschichte des Kammergerichts III, S. 414. Das angegebene Datum war vermutlich der Termin der Urteilsfindung, cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 157 f.

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Das Gremium stützte sein – vom Votum des Berichterstatters abweichendes – Urteil auf die Annahme, es liege im Fall Schulz eine zulässige Einschränkung der – grundsätzlich beschränkbaren – Freiheit der Lehre vor, während die – uneinschränkbare – Freiheit des Glaubens gar nicht erst betroffen sei. Zwar könne über Fragen des Bekenntnisses sowie religiöser Meinungen nicht menschlich gerichtet werden; diese Erkenntnis liege auch dem Religionsedikt zugrunde. Die – grundsätzlich einschränkbare – Lehrfreiheit hingegen sei bei einem Prediger stärkeren Schranken unterworfen als bei einem Schriftsteller. Jemandem beim Eintritt in seinen Beruf besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, stelle daher keinen ungerechten Zwang dar, so daß es auch zulässig sei, einen Prediger auf gewisse Dogmen zu verpflichten. Seit der Reformation komme die kirchliche Aufgabe, dies zu überwachen, dem Regenten des Hauses Brandenburg zu, wie sich aus der Visitations- und Consistorial-Ordnung von 1573, der Instruktion über Kirchenvisitation vom 9. Februar 1600, der Verordnung vom 24. Februar 1614, den Geistlichen und Consistorial-Verordnungen des Großen Kurfürsten vom 3. Dezember 1656 und vom 1. April 1666 ergebe. Ergänzend verwies das Gericht auf ein Edikt Friedrichs I. sowie auf einige Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. Darüber hinaus sei Schulz bei seiner Vokation die ausdrückliche Verpflichtung eingegangen, „das reine und unverfälschte Wort Gottes, wie solches in den prophetischen und apostolischen Schriften verfasset und in der Confession welche anno Christi 1530 zu Augspurg Ihro K. M. und denen sämtlichen Reichsstädten übergeben, und derselben Apologie, auch den 4 Haupt-Symbolis wiederholt ist, treulich und mit allem Fleiße“ zu lehren. Daß er den Inhalt der Schriften für irrig und unvernünftig halte, lasse diese Verpflichtung nicht entfallen. Allein der Bruch dieses Vokationsversprechens rechtfertige den Verlust des Predigeramtes. Der Verstoß gegen § 6 des Religionsedikts komme lediglich hinzu. Im Anschluß an die Darstellung der voraufgegangenen Verfahren, von denen eines durch Machtspruch zugunsten des Schulz eingestellt worden sei, heißt es in dem Urteil weiter: „Fast zu gleicher Zeit mit dem Religionsedikte erschien eine neue Schrift des Inculpaten im Drucke über den Titel ,Erweis des himmelweiten Unterschiedes der Moral von der Religion‘, deren Inhalt auf das gelindeste zu urtheilen mit den symbolischen Büchern nicht übereinstimmt.“ Zwar sei hierdurch nicht erwiesen, daß Schulz solche Ansichten auch gepredigt habe, doch habe Schulz durch seine schriftstellerische Tätigkeit zu einer – insoweit rechtmäßigen – Untersuchung Anlaß gegeben. Die Beteiligung der Oberkonsistorialräte Hermes und Hillmer an den Ermittlungen könne nicht beanstandet werden. Daß Schulz von der Kanzel sowie beim Schulunterricht gelehrt habe, die Bibel sei nicht Gottes Wort, sei – aufgrund des von Schulz abgelegten Geständnisses und einer gedruckten Predigt sowie den Zeugenaussagen zufolge – erwiesen. Auch die von Schulz selbst benannten Gutachter Döderlein und Eckermann hätten ausgeführt, daß Schulz als lutherischer Prediger deswegen untrag-

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bar sei. Die Gottessohnschaft Christi sowie dessen Tod und Auferstehung zur Sündenvergebung habe Schulz ebenfalls geleugnet. Selbst Teller habe nicht daran gezweifelt, daß Schulz vom lutherischen Bekenntnis abgewichen sei. Das von Schulz beigebrachte Gutachten des Generalsuperintendenten Löffler attestiere ihm den Abfall von der Trinitäts- sowie von der Rechtfertigungslehre. Das Oberkonsistorium habe am 30. April 1792 die fehlende Konformität der Schulzschen Lehre mit dem Religionsedikt mehrheitlich festgestellt. Für diesen Fall ordne das Religionsedikt zwingend die Strafe der Kassation an, die – da Schulz eine Änderung seiner Lehre und seines Verhaltens kategorisch ausgeschlossen habe – auch ausgesprochen werden müsse. Eine andere Entscheidung als die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung sei daher nicht in Betracht zu ziehen gewesen.431 Noch am Tag der Publikation des – mit der Verkündung rechtskräftigen – Appellationsurteils in der ersten Septemberhälfte 1793432 wurde der bisher vorläufig suspendierte Schulz dauerhaft seines Amtes enthoben.433 Die unmittelbar an den König gerichtete Intervention des Gielsdorfer und Wilkendorfer Patrons von Pfuel 434 sowie mehrfache Eingaben Schulz’ an das Kammergericht435 blieben ohne Erfolg. VIII. Nachwirkungen des Schulzprozesses Friedrich Wilhelm II., der mit dem Ergebnis des Schulz-Prozesses nach wie vor unzufrieden war, verlangte von Carmer die Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Zuständigkeit für die disziplinarische Entlassung von Geistlichen von den Gerichten auf die beiden geistlichen Minister unter Vorsitz des Großkanzlers übertragen sollte.436 Ein derartiges Procedere wäre freilich in hohem Maße bedenklich gewesen, soweit es um die Kassation wegen Abweichung vom Bekenntnis ging. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts höchst problematische Identifikation von Staat und Kirche wäre verstärkt worden. Darüber hinaus hätte im Fall einer Amtsenthebung wegen Verstoßes gegen das lutherische Be431 Zum Inhalt des zweitinstanzlichen Urteils cf. auch Tradt, Religionsprozeß, S. 154 ff. 432 Die genaue Datierung ist unklar, cf. bereits supra Fn. 430 (in diesem Kapitel). 433 Fischer, Evangelisches Pfarrerbuch II/2, S. 798. 434 Näher hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 159 f. 435 Zunächst am 25. Dezember 1793, eingegangen am 2. Januar 1794, sodann am 28. Januar 1794 und schließlich am 1. Mai 1794 (mit an den König selbst gerichteten Anträgen). Alle drei Vorstellungen wurden zurückgewiesen, die ersten beiden durch von Schrötter, dessen Zuständigkeit hierfür unklar war, die dritte durch den Präsidenten des Oberappellationssenats, von Wyckersloot, an den die Eingabe persönlich gerichtet war. Zu Einzelheiten s. Tradt, Religionsprozeß, S. 160 ff. 436 Kabinettsorder vom 4. April 1794, GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 222 B, Band 1, fol. 58. Abgedruckt bei Tradt, Religionsprozeß, S. 380.

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kenntnis die Entscheidung hierüber einem Kollegium oblegen, dessen Mitglieder diesem Bekenntnis mehrheitlich nicht angehörten.437 Der Großkanzler empfahl deshalb, die Zuständigkeit für die Amtsenthebung – unter Aufhebung der Verordnung vom 16. März 1760 – von den Gerichten zurück auf das Oberkonsistorium zu übertragen. Nachdem Woellner den diesem Vorschlag am 9. April 1794 befürwortet hatte, wurde mit Kabinettsorder an Carmer vom 12. April 1794 die Einhaltung des Religionsedikts ausdrücklich angemahnt und die Zuständigkeit für die Amtsenthebung im Falle eines Verstoßes dem (Ober-)Konsistorium übertragen. Diese – zweifellos sachgerechte – Kompetenzregelung wurde von Carmer durch Reskript vom 30. Juni 1794 – sicher nicht ohne Zustimmung Woellners – authentisch dahingehend interpretiert, daß sie nur auf Verstöße gegen das Religionsedikt, nicht auf sonstige Disziplinarvergehen anzuwenden war; die Verfolgung letzterer oblag damit weiterhin den Gerichten.438 Ebenfalls am 12. April 1794 erging eine Kabinettsorder an Woellner als Präsidenten des lutherischen Oberkonsistoriums mit folgendem Wortlaut: „Da aber die Ober-Consistorial-Räthe Teller, Zöllner und Gedike bekannte Neologen und sogenannte Aufklärer sind, die Ich zwar auf eine kurze Zeit noch dulden werde, so ist doch mein Wille, daß sie sich in Cassationssachen ihren Voti enthalten sollen.“ Der König hatte eigenhändig hinzugefügt: „Der Zöllner dauert mich, er ist sonst ein guter Prediger. Ihr habt Euch Mühe zu geben, ihn von seinem Irrglauben ab, und zum wahren zu führen.“439 Noch im Sommer 1792, unmittelbar nach dem ersten Urteil, erklärten sich die Gemeinden, in denen Schulz als Prediger tätig war, für eigenständig.440 Die Anerkennung und Duldung als nicht-lutherische christliche Sekte blieb ihnen jedoch versagt. Den Katalog der zu duldenden Sekten im Religionsedikt (§ 2 RE a. E.) erklärte Woellner am 15. August 1792 für geschlossen. Nach der endgültigen Amtsenthebung des Schulz441 weigerte sich der für die Gemeinden zuständige Patronatsherr von Pfuel, einen anderen Prediger als Schulz zu berufen, so daß die Neubesetzung der Stelle kraft des Devolutions-

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Carmer und Dörnberg waren reformierten, Woellner lutherischen Bekenntnisses. Reskript des Großkanzlers an das Kammergericht vom 14. April 1794, NCC IX Nr. 40 Sp. 2143; die Kabinettsorder vom 12. April 1794 ist als Anlage hierzu abgedruckt. Näher hierzu Philippson, Geschichte II, S. 73 f. 439 Abgedruckt bei Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 91. Cf. Philippson, Geschichte II, S. 73, 85. 440 Henke, Drey Mittelmärkischer Gemeinden Absagung vom Luthertum, S. 103 ff. 441 Inwieweit Schulz auch nach der vorläufigen Amtsenthebung noch als Seelsorger tätig war, ist im einzelnen unklar. Die von zur Vertretung berufenen fremden Geistlichen abgehaltenen Gottesdienste wurden von der Gemeinde boykottiert. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 167 ff. 438

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rechts442 an das Oberkonsistorium fiel, wobei es zu einem erneuten Konflikt mit der Examinations-Kommission kam. IX. Das Wiederaufnahmeverfahren Einen von Schulz nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. am 1. Februar 1798 gestellten Wiederaufnahmeantrag genehmigte der neue König bereits am 8. Februar 1798. Svarez forderte daraufhin von Woellner die Akten an und lehnte sodann auf dessen Empfehlung hin Schulz’ Antrag ab, ihm Einsicht in die Akten der Geheimen Staatskanzlei zu gewähren, um „namentlich die Einwirkung des Chefs des geistlichen Departements auf den derzeitigen Chef der Justiz, Großkanzler von Carmer,“ nachzuweisen.443 Schulz begehrte neben der Aufhebung des Urteils gewissermaßen die königliche Bestätigung, er sei ein wahrer Protestant und Lutheraner, sowie Ersatz des durch das Verfahren sowie den Verlust des Amtes verursachten Schadens.444 Der kompetenzrechtlich nicht unerhebliche Umstand, daß der König das erste und dritte Gesuch als Landesherr, das zweite hingegen als Oberhaupt der Kirche hätte erfüllen können, fand weder in den Ausführungen des Schulz noch in der „rechtlichen“ Revisionsbegründungsschrift Amelangs Berücksichtigung; die diesbezügliche Sorgfalt der Untertanen war also nicht größer als jene des Staates. Eine Aufhebung des rechtskräftigen Urteils wurde im Wiederaufnahmeverfahren nicht erreicht445; das Obertribunal folgte auch nicht dem Vorschlag der Berichterstatter von Grolmann und Büsching, dem Konsistorium sowie dem König die Entscheidung über die erneute Betrauung des Schulz mit einem Lehramt ausdrücklich anheimzustellen.446 Schulz gelangte daher nicht mehr in ein Predigeramt; statt dessen wurde er zumindest ab 1804 in der preußischen Gewerbeaufsicht beschäftigt.447

442 Zum Devolutionsrecht im Zusammenhang mit dem Patronat cf. supra Teil I, Kapitel 2, E. IX. 3./4. 443 Näher hierzu Tradt, Religionsprozeß, S. 176 ff. m. N. 444 Tradt, Religionsprozeß, S. 181. 445 Das am 15. Februar 1799 gefällte Urteil wurde Schulz am 7. März 1799 eröffnet. Nachweise bei Tradt, Religionsprozeß, S. 188 f. Anm. 643, 645, 647. 446 Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 186 f., 188. 447 Die erstmalige Erwähnung Schulz’ als Fabrikeninspektor findet sich im Handbuch über den königlich preußischen Hof und Staat für 1804, S. 187. Für den Zeitraum von 1799 bis 1804 fehlen verläßliche Angaben. Cf. Tradt, Religionsprozeß, S. 190 Anm. 654.

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E. Zusammenfassende Würdigung der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms II. I. Ein vernichtendes Urteil? Die Versuchung ist groß, über die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. zumindest hinsichtlich der Kirchen- und Religionspolitik ein vernichtendes Urteil zu fällen. Ein Großteil der Historiographie hat – was in Ansätzen oft nachvollziehbar, im Detail jedoch nicht immer gerechtfertigt war – insbesondere aus dem Erlaß des Religionsedikts und der Tätigkeit der Immediat-ExaminationsKommission den Schluß gezogen, daß es sich bei der Herrschaft Friedrich Wilhelms II. um ein anti-modernistisches, rückwärts gewandtes und im übrigen autoritäres Regime gehandelt habe. Wie bereits dargelegt, wurde es üblich, die betreffende Epoche als „Ära Woellner“ zu bezeichen, da man – insbesondere auf der Grundlage des hysterischen publizistischen Wirbels um das Religionsedikt, dem sich die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts im wesentlichen blind anschloß – davon ausging, daß Woellner zur Durchsetzung seinen eigenen staats- und kirchenpolitischen Ideen und Anschauungen geradezu nach Belieben auf den König einzuwirken und ihn zu manipulieren vermochte, so daß er im Lutherischen Geistlichen Departement und im lutherischen evangelischen Kirchenwesen überhaupt wie ein Despot agieren konnte. Charakteristisch für die landläufige Einschätzung der preußischen Religionspolitik ausgangs des 18. Jahrhunderts ist die zusammenfassende Bewertung der „Ära Woellner“ durch Paul Schwartz448: 448 Schon der Titel seines Buches, „Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788–1798)“, der eine unübersehbare Parallele zu der ebenfalls überwiegend kritisch gesehenen kirchen- und schulpolitischen Tätigkeit Bismarcks im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zieht, ist bezeichnend. S. jedoch auch die Rezension des Werkes durch Hartung, der kaum ein gutes Haar daran ließ: „Das Buch ist zweifellos die Frucht angestrengten und rühmlichen Fleißes, aber ich muß offen gestehen, daß ich dieses Fleißes nicht recht froh geworden bin und die Not der Zeit, die zur Verkürzung des zunächst auf 50 Bogen berechneten Umfangs gezwungen hat, geradezu als Wohltat empfinde. Der Verf. leidet an der bei Archivbenutzern leider weitverbreiteten Überschätzung seines Materials. [. . .] Gegen diese Art der Geschichtsschreibung muß energisch Einspruch erhoben werden, nicht allein im Interesse der Notgemeinschaft, die ihr Geld besser verwenden kann als für den Wiederabdruck längst bekannter Dinge, und im Interesse der Leser, die gefördert und nicht aufgehalten werden wollen, sondern vor allem im Interesse der geschichtlichen Treue. Von dem ersten Kulturkampf in Preußen – um diese höchst anfechtbare Bezeichnung beizubehalten – entsteht ein ganz falsches Bild, wenn man ihn lediglich auf Grund der preußischen Akten und mit scheuklappenartiger Absperrung von den Vorgängen in den anderen deutschen Ländern behandelt.“ (Schwartz-Rezension, Sp. 1578 f.). Zu einer günstigeren Bewertung der Untersuchung von Schwartz gelangt Zscharnack, Evangelische Kirchengeschichte, S. 415, kritisiert jedoch gleichfalls die über Woellner gefällten Urteile als „zu einfach“ und bemängelt die unzureichende Betrachtung des Religionsedikts und der daran anschließenden Maßnahmen im Licht der seinerzeit einsetzenden geistigen

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„Mit Woellners Sturz brach die Diktatur der Orthodoxie zusammen. Es war nicht eine Diktatur, wie sie die ältere römische Geschichte kennt, nicht eine Zusammenfassung der gesamten Staatsgewalt und Staatskraft zum Besten des Ganzen, die Großes geleistet hat. Mit Sullas Diktatur gewann das Wort die Bedeutung ungesetzmäßiger Gewaltherrschaft einer Minderheit, und diese Bedeutung hat es seitdem in der Geschichte behalten. Wie alle derartige Diktaturen, die sich auf den Schrecken stützen, gewöhnlich eine schnelles Ende mit Schrecken nehmen, so erging es auch der Woellnerschen, nur daß an die Stelle des Schreckens der Schimpf trat. Keine Diktatur bereitet Segen für die Zukunft; sie wirkt nur für die Zeit ihres Bestehens dadurch, daß sie vernichtet, was ihr nicht gemäß ist. Unter ihrer eigenen Wucht bricht sie zusammen. Das war auch das Wesen der Woellnerschen Gewaltherrschaft. Sie hemmte und zerstörte, solange sie bestand, und verschwand mit ihrem Träger. Die böse Erinnerung an eine der trübseligsten Zeiten der innern Geschichte Preußens: das war ihre Hinterlassenschaft.“449

Die Bewertung durch Schwartz ist Ausdruck einer in der promonarchischen und hohenzollernfreundlichen Geschichtsschreibung verbreiteten Tendenz, die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. allgemein in scharfem Gegensatz zu der geradezu verklärten Epoche seines Vorgängers und als Erklärung für die Katastrophe Preußens zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu sehen. Unter diesem Aspekt konnte die Regierung Friedrich Wilhelms II. nur als ein Tiefpunkt der preußischen Geschichte erscheinen.450 II. Korrekturbedarf Die Behauptung, daß die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. durch und durch schlecht gewesen sei, kann jedoch ebensowenig aufrechterhalten werden wie die Einschätzung, es habe sich in erster Linie um ein Werk Woellners gehandelt, der gegen die mutmaßlichen Intentionen des Monarchen oder zumindest ohne maßgebliche Einbeziehung des königlichen Willens agiert habe.451 Auseinandersetzung mit der Aufklärung einerseits und der Reaktionsbewegung der Restaurationsperiode andererseits. 449 Schwartz, Kulturkampf, S. 466 (Anmerkungen ausgelassen). 450 Cf. hierzu Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch zum Allgemeinen Landrecht – preußische Gesetzgebung in der Krise, S. 40 ff., 42: „Dabei liegt eine große Schwierigkeit in dem Umstand begründet, daß Person und Regierungszeit Friedrich Wilhelms eine beinahe einhellig negative Rezeption bei Zeitgenossen und in der Geschichtsschreibung erfahren haben, ohne daß diese sich auf eine quellengestützte Arbeit hätte berufen können. [. . .] Vgl. statt vieler Henri Brunschwig, Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert, 1975, S. 269, Friedrich Wilhelm sei „groß, beleibt, lächelnd und dumm“ gewesen, oder Ernst Berner, Geschichte des Preußischen Staats, 2. Bd., 1891, S. 455, der die preußische Geschichte zwischen 1786 und 1798, also die Regierungszeit Friedrich Wilhelms, unter der Überschrift: „Die Auflösung des Staats“ behandelt. Vgl. Otto Tschirch, Geschichte der öffentlichen Meinung in Preußen vom Baseler Frieden bis zum Zusammenbruch des Staates (1795–1806), Bd. 1, 1933, S. 169, für ein zeitgemäßes Beispiel.“

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Beide Mißverständnisse sind erklärbar. Maßgebliche Bedeutung für die Überschätzung des Einflusses Woellners452 kommt dem Umstand zu, daß sich Friedrich Wilhelm II. in der Öffentlichkeit ausgesprochen sanft, liebenswürdig und menschenfreundlich gab453, was in deutlichem Kontrast zu dem herben und misanthropen öffentlichen Auftreten seines Vorgängers, Friedrichs des Großen, stand. Die Vorstellung, der gutmütige König persönlich könne eigene konkrete religionspolitische Vorstellungen sowie die Absicht haben, diese ohne Rücksicht auf den Zeitgeist oder faktisch gewachsene Machtstrukturen im evangelischen Kirchenwesen konsequent durchzusetzen, fiel schwer.454 Zwar wurde zu Beginn 451 Hiergegen bereits mit aller Vorsicht Hintze, Epochen, S. 102, der zumindest die Möglichkeit andeutet, der König selbst könnte federführend gewesen sein: „Der Verfall des kirchlichen Lebens, wie er beim Tode Friedrichs des Großen vor Augen lag, schien seinem Nachfolger oder dessen Beratern hauptsächlich eine Folge der unkirchlichen Leitung des Kirchenregiments zu sein.“ (Hervorhebung hinzugefügt). 452 Gleiches gilt im Prinzip für die Stimmen, die – außer Woellner – den maßgeblichen Einfluß Bischoffswerders, Goldbecks oder der Rosenkreuzer betonen. Der Hauptschuldige war jedoch Woellner, von dem Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner, S. 577, schreibt, daß ihm unter 260 preußischen Ministern „keiner an Schuld gleicht“. Cf. hierzu Rosenberg, Die Überwindung der monarchischen Autokratie (Preußen), S. 199. Für Vehse, Geschichte des preußischen Hofs und Adels und der preußischen Diplomatie, S. 102, hat sich Bischoffwerder auf Friedrichs des Großen Thron geschwungen. Philippson, Geschichte II, S. 17, spricht vom „Woellner-Goldbeck’schen Regiment“. Kritisch Fontane, Wanderungen III, S. 282 – Marquardt: „[N]iemals ist eine ganze Epoche so weit über Recht und Gebühr gebrandmarkt worden, wie die Tage Friedrich Wilhelms II. und seines Ministers.“ Er läßt freilich nur Bischoffwerder Gerechtigkeit zukommen, Woellner dagegen bleibt auch für Fontane ein Betrüger, dem die Mutter seiner Frau nicht unhold war etc. (Wanderungen IV, S. 44 – Groß Rietz). Insgesamt wurde Woellner in der späteren Historiographie nur vereinzelt eine positivere Beurteilung zuteil. Cf. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 1, Fn. 33 a. E. 453 Friedrich Wilhelm II. war unbestreitbar persönlich bescheiden im Auftreten, äußerst liebenswürdig, voller Menschenfreundlichkeit und Humanität, durch den guten Willen geprägt, jedermann zu erfreuen, zu beglücken, keinen unnötigen Zwang auszuüben und dabei so richtig wie nur möglich zu handeln (Gallus, Geschichte der Mark Brandenburg VI, S. 96–360; Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 9). Cf. andererseits Puhle, Preußen: Entwicklung und Fehlentwicklung, S. 15 Anm. 7, der den Akzent auf die überkommene Sichtweise legt, wonach sich Friedrich Wilhelm II. durch Lethargie und fehlende Askese auszeichnete. Diese Charakterisierung wird ihm nicht gerecht; Friedrich Wilhelm II. war zwar überaus vorsichtig und skrupulös, aber nicht lethargisch. Cf. auch Fontane, Wanderungen IV, S. 44 – Groß Rietz, der die im Volksmund übliche Bezeichnung „der dicke König“ kolportiert. Freilich dürfte der Volksmund wenig Gelegenheit gehabt haben, der – vermeintlichen – Lethargie des Monarchen auf den Grund zu gehen. 454 Durch die ruchbar gewordenen mystischen Neigungen des Königs, die er freilich mit zahlreichen Zeitgenossen, auch unter den Aufklärern, teilte, war dieser in den Verdacht des Aberglaubens und der Schwärmerei geraten. Sein wenig autoritäres Auftreten in der Öffentlichkeit nährte daher die – tatsächlich nicht gerechtfertigte – Vermutung, er handele nicht aus sich heraus, sondern werde von obskuren Mächten gesteuert, die seine Schwächen mit Unterstützung der Schröpferschen Instrumente und anderen obskuren Hilfsmitteln ausnutzten, sei es, um sich zu bereichern, was Woellner fälschlich angehängt wurde, um die Bevölkerung durch eine verdummende Religiosi-

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der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. sogar dessen Engagement für die Religion nach einer Epoche beinahe zügelloser Freigeisterei positiv aufgenommen, doch fiel das insofern leicht, als zunächst niemand seine eigenen religiösen oder kirchenpolitischen Interessen konkret und unmittelbar gefährdet sah. Natürlich mußten die Vertreter der Berliner Aufklärung aufhorchen, doch noch geschah nichts Bedrohliches, zumal der König nach der Regierungsübernahme zunächst mit der Reform der Behördenorganisation, der Finanzen und Wirtschaft, des Bau- und Schulwesens sowie der Justiz und Gesetzgebung konzentriert war.455 Im übrigen läßt sich in der Anfangszeit der Regierung Friedrich Wilhelms II. eine konsequente und geradezu systematische Förderung von Personen feststellen, welche der Aufklärung zugeneigt waren.456

tät in Abhängigkeit zu halten, oder um sie – aus teuflischer Bosheit – einer falschen Religion zuzuführen. Er sei Marionette einer Verschwörung zur Unterdrückung von Aufklärung und freier Vernunftbetätigung, die Jesuiten mit Hilfe von Rosenkreuzern und Kryptokatholiken unterhielten. 455 Cf. Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers von Woellner; Bailleu, Art. Woellner, S. 154; Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 75 ff. 456 U. a. zeigte sich Friedrich Wilhelm II. den Mitgliedern der Mittwochsgesellschaft und anderen geistesverwandten Aufklärern zunächst weit aufgeschlossen (er ließ etwa – wie schon berichtet – die Büste des gerade verstorbenen Moses Mendelssohn in seinem Ankleidezimmer aufstellen), befahl die Aufführung von Schillers Fiesco in Berlin (Philippson, Geschichte I, S. 147), bei der Bildung des Oberschulkollegiums berücksichtigt er neben Woellner ausschließlich Vertreter der Aufklärung, darunter die Mitglieder der Mittwochsgesellschaft Gedike und Irwing und ließ den letzten später sogar zum Präsidenten aufrücken (Philippson, Geschichte I, S. 131, 220). Erst 1794 änderte er die Ausrichtung dieses Gremiums durch die Berufung von Hermes, Hillmer und Hecker (cf. supra Teil II, Kapitel 2, C. IV. a. E.). Er berief sieben Mitglieder der Mittwochsgesellschaft in die Akademie. Unmittelbar nach Regierungsantritt, als er die Akademie bewußt den Deutschen öffnete, lenkte Woellner seine Wahl ausschließlich auf die herausragendsten Repräsentanten der Aufklärung, nämlich Kant und Eberhard, Büsching und Meierotto, Ermann und Ancillon, darunter allein vier Mitglieder der Mittwochsgesellschaft (Engel, Moehsen, Selle und den als Neologen verdächtigen Berliner Propst Teller, einzig den auch bestellten Woellner mag man einem anderen Flügel zurechnen, was aber alles andere als eindeutig ist). 1789 berief der König den erkennbar kantisch denkenden Mitarbeiter bei der Gesetzgebung Klein, 1790 den Mitherausgeber der Berlinischen Monatsschrift Gedike und 1791 den Propst Zöllner, von dem er sich – wie berichtet – zweimal morganatisch trauen ließ. 1786 wurde Dohm in seinem Amt als Geheimer Kreisdirektorialrat bestätigt und nobilitiert, 1787 ernannte der König Svarez erst zum Geheimen Oberjustizrat und dann auch zum Geheimen Obertribunalrat, wodurch er den höchsten Beamtenrang mit dem höchsten Richteramt vereinigte, sowie Engel zum Oberdirektor des königlichen Schauspiels. 1788 bestellte er nach einer schon im Jahr zuvor von Woellner seinem Logenbruder gegebene Zusage Zöllner zum Propst, der damit eines der höchsten Ämter in der lutherischen Hierarchie bekleidete. 1791 wurden Struensee dirigierender Minister, Gedike Direktor beider Berliner Gymnasien, Siebmann und Klein Geheimrat, letzterer auch noch Direktor und Professor der Universität Halle. Erst 1792 beginnt die Beförderung prominenter Aufklärer seltener zu werden, doch baute Friedrich Wilhelm II. noch 1796 Zöllner ein Haus (Hoffmann, Hermes, S. 90).

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Es fällt nicht schwer, Schwächen und Ungeschicklichkeiten in der Kirchenund Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. nachzuweisen, der zwar liebenswürdig und wohlwollend war und einen hohen Anspruch an sich selbst hatte, wahrscheinlich aber keine große Begabung zum Regenten aufwies.457 Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im Bereich des protestantischen Kirchenwesens getroffenen Maßnahmen, mit denen der König sein landesherrliches Kirchenregiment, d. h. die über eine reine staatliche Kirchenaufsicht hinausgehenden Befugnisse der Kirchenleitung im eigentlichen Sinne, zur Geltung brachte. Daß Friedrich Wilhelm II. mit dieser – aus dem reformatorischen Notbischofsrecht zu einem Summepiskopat hochstilisierten – Position, die ihm neben der weltlichen Territorialherrschaft besondere, geistliche Befugnisse in die Hand gab, nicht recht umzugehen wußte, ist offenkundig. Gleichwohl würde es ein Mißverständnis darstellen, dem Monarchen deswegen einen moralischen oder politischen Vorwurf persönlicher Art zu machen, da dieser Umstand auf Friedrich Wilhelm II. nicht wesentlich mehr oder weniger zutraf als auf seine Vorgänger und Nachfolger. Friedrich Wilhelm II. hatte nicht die Möglichkeit, an eine staatsrechtlich wie theologische stimmige, konsequente und kohärente Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments anzuknüpfen, sondern konnte allenfalls versuchen, dasjenige, was vorhanden war, so gut und so vernünftig wie möglich – das war schließlich der Anspruch, den er als aufgeklärter absoluter Herrscher an sich richtete458 – weiterzuführen und in gedeihliche Bahnen zu lenken. Davon, daß die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II. in größerem Maße von Ungenauigkeiten und kompetenzrechtlichen Mißverständnissen geprägt gewesen sein sollte als die Praxis der vorhergehenden oder nachfolgenden Regierungen, kann keine Rede sein. Auch daß die von Friedrich Wilhelm II. eingeleiteten und durchgeführten kirchenpolitischen Maßnahmen schlechterdings unsinnig und somit unvernünftig waren, wird man nicht behaupten können. Die in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. ausgetragenen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wurden allenfalls mit besonderer Heftigkeit geführt, wobei jedoch zu beachten ist, daß das publizistische Echo – zeitbedingt – weitaus stärker war als in früheren Zeiten und sicherlich dazu beigetragen hat, die bereits ausgebrochenen oder latent schwelenden Konflikte zu schüren.

457 458

Cf. Krause, Überforderung, S. 206. Cf. Krause, Überforderung, S. 170.

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III. Friedrich Wilhelm II. und das landesherrliche Kirchenregiment vor dem Hintergrund der Geschichte: Die historisch gewachsene Überforderung Als „Notbischof“ oder summus episcopus der lutherischen Landeskirche trat Friedrich Wilhelm II. kein leichtes Erbe an. Der Blick auf die historische Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen zeigt, daß die Kurfürsten und Könige mit dieser Rechtsposition, die ihnen „aus wilder Wurzel“459 zugewachsen war, überfordert waren, zumal die sich entwickelnde protestantische Kirchenverfassung ohnehin die Grenzen des bestehenden staatskirchenrechtlichen Systems sprengte. Anders als im mittelalterlichen Kirchenrecht, wo Glaube und Recht im Innersten eins gewesen waren und nur die rechte Abstimmung der jeweiligen Sphären aufeinander unvollkommen blieb, hatte mit der Reformation ein Zustand prinzipieller Unsicherheit über das Verhältnis von Religion und Recht begonnen.460 Die Überforderung der quasi über Nacht zu Notbischöfen avancierten Territorialherren bestand zum einen in sachlicher Hinsicht. Die brandenburgischen Herrscher waren zwar – Friedrich II. mit seiner allenfalls deistischen Einstellung ausgenommen – fromme und gottesfürchtige Männer, aber sie waren keine Theologen. Schon unter diesem Aspekt konnten sie keinesfalls einen gleichwertigen Ersatz für die infolge der Reformation protestantischerseits weggefallenen (katholischen) Bischöfe darstellen. Die Funktionen, die sie als „Notbischöfe“ auszufüllen hatten, unterschieden sich inhaltlich und strukturell von den Aufgaben, die sie als weltliche Obrigkeit in ihrem Herrschaftsbereich wahrnahmen.461 Hinzu kam, daß sich die Reformation in einer Epoche ereignete462, in welcher die weltliche Territorialherrschaft der Landesherren noch alles andere als gefestigt war. Selbst im Falle des vielfach als „Musterstaat“ mythologisierten463 459

Liermann, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, Sp. 1953. Cf. J. Heckel, Initia iuris ecclesiastici Protestantium, S. 3. 461 Immerhin verzichteten sie auf spezifisch liturgische geistliche Amtshandlungen. Cf. Richter, Grundlagen der Kirchenverfassung, S. 35: „[N]och bis jetzt haben selbst in den schweren Zeiten eines absoluten Territorialismus die Regenten nicht daran gedacht, zu taufen, das Abendmahl zu reichen und für das Himmelreich zu binden und zu lösen, mit Einem Worte jene Kirchengewalt zu üben, welche die altlutherischen Dogmatiker eine potestas interna zu nennen pflegen.“ 462 Da es sich um eine Volksbewegung handelte, wird man sagen müssen, daß sich die Reformation nur und gerade in dieser Epoche (noch) ereignen konnte. 463 Cf. Haffner, Preußen ohne Legende, S. 23: „Preußen war in seiner klassischen Epoche, dem 18. Jahrhundert, ganz einfach nicht nur der neueste, sondern auch der modernste Staat Europas.“ Besonders faszinierend war Haffner zufolge „die Qualität seiner Staatlichkeit: seine unbestechliche Verwaltung und unabhängige Justiz, seine religiöse Toleranz und aufgeklärte Bildung“. Buchtitel wie „Preußen – Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (Engelmann) oder „Prussia: Myth and reality“/„Preußen: Mythos und Realität“ (Feuchtwanger) weisen auf die besondere Faszination hin, welche 460

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Brandenburg-Preußen wird man von einem allseits gefestigten und reibungslos „funktionierenden“ Staat im heutigen, modernen Sinne erst in der Zeit des Konstitutionalismus, d. h. etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und damit nach dem hier untersuchten Zeitraum sprechen können. Mag es auch aus heutiger Sicht geradezu selbstverständlich erscheinen, daß die Gesetze eines Staates im gesamten Staatsgebiet Geltung beanspruchen und prinzipiell Beachtung finden und notfalls mit den Mitteln der Staatsgewalt durchgesetzt werden – in Preußen war dies jedenfalls noch im 17. und 18. Jahrhundert, mitunter auch noch im 19. Jahrhundert, keineswegs selbstverständlich. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die zum Teil erfolgreichen Versuche einiger Adelsfamilien zur Zeit des Großen Kurfürsten, sich den für die Landeskirche geltenden Rechtsvorschriften durch Erlaß eigener Kirchenordnungen zu entziehen.464 Ein Blick in die preußischen Gesetzessammlungen des 18. Jahrhunderts zeigt die große Anzahl landesherrlicher Anordnungen, welche die erneute Einschärfung von Gesetzen und Befehlen – nicht nur, aber gerade auch im Bereich des protestantischen Kirchenwesens – zum Gegenstand hatten. Ganz offensichtlich waren diese wiederholten Ermahnungen notwendig. Selbst für den weithin glorizifierten Friedrich den Großen war die Verwirklichung des staatlichen Souveränitätsanspruchs durchaus ein Problem. So war der König nicht in der Lage, die Unter- und Mediatsgerichtsbarkeit der Gutsherren, Stände, Städte und geistlichen Korporationen völlig zu eliminieren, sondern vermochte sie allenfalls einer scharfen staatlichen Aufsicht zu unterwerfen, die es wiederum mittels strenger Visitationen durchzusetzten galt.465 Im übrigen mußten die Landesherren ihre Herrschaft nicht nur nach innen, sondern auch nach außen absichern, was der preußische Staat bis in die heutige Zeit hinein auslöst. Noch am 31. Mai 2005 wurde im DeutschlandRadio Kultur (Autor: Klaus Kühnel) unter dem Titel „Preußens Gloria“ an den 265. Jahrestag des Regierungsantritts Friedrichs des Großen erinnert. Daß „Preußens Gloria“ in Wahrheit der Titel eines von Johann Gottfried Piefke (1817–1884) anläßlich des preußischen Sieges über Frankreich 1871 komponierten und bis heute populären Militärmarsches ist, der keinerlei unmittelbaren Bezug zu Friedrich dem Großen und seiner Epoche aufweist, ist eine andere Frage. Insgesamt gilt es freilich zu beachten, daß selbst Modernität und Perfektion relative Begriffe sind. Auch wenn im 18. Jahrhundert Preußen im Vergleich zu den übrigen politischen Gemeinwesen jener Epoche der „neueste“ und „modernste“ (Haffner) Staat Europas war, ist damit noch nichts darüber ausgesagt, wie die Staatsqualität Preußens und die Qualität seiner Staatsverwaltung unter Zugrundelegung heutiger Maßstäbe zu beurteilen sind. Eine unterschiedslose Übertragung heutiger Vorstellungen auf die damalige Zeit verbietet sich jedenfalls. Cf. auch die differenzierte Auseinandersetzung mit der Ära Friedrichs des Großen sowie der preußischen Staatsgeschichte insgesamt bei Schoeps, Preußen, S. 98 f., 297 f. (m.w. N.), der zutreffend darauf hinweist, wie rasch der seinerzeit als „modern“ und „fortschrittlich“ angesehene preußische Staat als „veraltet“ gelten mußte. Auch Haffner verweist darauf, daß Preußens Krise bereits begonnen habe, „als die Französische Revolution es in der Modernität überholte“ und die „Schwächen der preußischen Staatskonstruktion“ zutage traten. 464 Cf. supra Teil I, Kapitel 1, C. V. 7. 465 Ausführlich hierzu Krause, Überforderung, S. 146 ff.

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auch in Brandenburg-Preußen zu zahlreichen, oftmals langwierigen militärischen Auseinandersetzungen führte. Das tendenziell Fragmentarische der landesherrlichen Territorialgewalt zeigt sich auch darin, daß die brandenburgischpreußischen Herrscher schon seit dem 17. Jahrhundert praktisch keine andere Wahl hatten, als die in den Territorien ansässigen Katholiken – in unterschiedlichem Maße, meist passiv – zu dulden, obwohl sie dazu nach dem Westfälischen Frieden nicht verpflichtet waren. Im Bereich des Militärkirchenwesens wurden sogar aktiv staatliche Einrichtungen geschaffen und Geistliche bestellt, um den pastoralen Bedürfnissen der katholischen Soldaten gerecht zu werden. Ganz offensichtlich waren pragmatische Lösungen gefragt. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die weltlichen Herrscher das Kirchenregiment gewissermaßen im „Nebenamt“ ausübten und sich den „notbischöflichen“ Aufgaben nicht mit der Konsequenz und Kontinuität widmen konnten, die für eine sachgerechte Wahrnehmung der kirchlichen Befugnisse und damit für eine in sich stimmige, organische Fortentwicklung des evangelischen Kirchenwesens ideal gewesen wären. Es genügt in diesem Zusammenhang, auf die vielfältigen staatspolitischen Aufgaben zu verweisen, derer sich Friedrich Wilhelm II. – wie er in der Einleitung zum Religionsedikt selbst andeutete – in der Anfangszeit seiner Regierung zu widmen hatte, bevor er sich dem Kirchenwesen zuwenden konnte, obwohl ihm dies nach eigenem – ernst zu nehmendem – Bekunden sehr am Herzen lag. Andere – noch wichtigere – Regierungsaufgaben hatten eben Vorrang. Die solchermaßen begründete Überforderung der brandenburgisch-preußischen Herrscher mit dem landesherrlichen Kirchenregiment führte zu einer in mehrfacher Hinsicht fragwürdigen Praxis seiner Ausübung. Gerade weil die Funktion des „Notbischofs“ mehr oder minder plötzlich und unerwartet über die Landesherren gekommen war, wußte niemand – am wenigsten die Landesherren selbst –, welche Aufgaben und Kompetenzen mit diesem Amt im einzelnen verbunden waren, und wo die exakten Grenzen der Befugnisse lagen. Von Luther und den anderen Reformatoren hatten sie keine Hilfe erfahren: Diese hatten den Schwerpunkt ihrer Lehren auf theologische und kirchenpolitische Inhalte gelegt. Die juristische Seite der Kirchenreform war weniger stark ausgebildet und wies mancherlei Ungenauigkeiten auf; die Reformation war eben kein exakt ausformuliertes kirchenrechtliches Reformprogramm.466 Die hieraus resultierenden Mißverständnisse und Unklarheiten haben sich in der Folgezeit – nicht nur in Preußen, dort aber in besonders deutlicher Weise – ausgewirkt.467 Für die Entwicklung des protestantischen Kirchenwesens war es ausgesprochen ungünstig,

466 Cf. J. Heckel, Initia iuris ecclesiastici Protestantium, S. 4 f. m.w. N., sowie Zorn, Das landesherrliche Kirchenregiment nach der Ansicht der Reformatoren, S. 146 ff., der auf die Vernachlässigung der Verfassungsfrage schon in den Anfangszeiten der Reformation hinweist.

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daß sein zentraler Dreh- und Angelpunkt mit dem landesherrlichen Kirchenregiment in einem Rechtsinstitut bestand, das sich von einer als Provisorium verstandenen – man wird kaum sagen können: konzipierten – Funktion hin zu einem dauerhaften Amt, mithin zu einem Definitivum, entwickelt hat, ohne a priori darauf angelegt und ausgerichtet gewesen zu sein. Die protestantischen Territorialherren konnten sich daher lediglich in Lauterkeit und in pflichtbewußter Weise bemühen, die zugeflossene Aufgabe so gut wie möglich zu erledigen; die nähere Ausformung des „Notbischofsrechts“ blieb damit der Staatspraxis vorbehalten. So wurde die „normative Kraft des Faktischen“ zum leitenden Prinzip des landesherrlichen Kirchenregiments; was im Zweifel darauf hinauslief, daß die einzelnen Kompetenzen des „Notbischofs“ und späteren summus episcopus durch deren Inanspruchnahme begründet wurden.468 Gleichzeitig erhielt die Wahrnehmung der faktischen Kirchenleitung den Charakter eines persönlichen Regiments.469 Auf diese Weise wurden die theologischen Lehren der Reformation in der rechtlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nur in einer sehr gebrochenen Weise realisiert; dies gilt sowohl für die Staatspraxis als auch für die flankierenden staatsrechtlichen und kirchenrechtlichen Begründungs- und Legitimationsversuche.470 Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die zurückgehende Bedeutung des Bekenntnisses für die Leitung der Kirche und auf das schwindende Bewußtsein für die Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt.471 Seit dem Weihnachtsfest 1613 teilten die (reformierten) brandenburgisch-preußischen 467 Cf. Denifle/Weiß, Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung II, S. 125 ff.; Holl, Die Entstehung von Luthers Kirchenbegriff, S. 311; J. Heckel, Initia iuris ecclesiastici Protestantium, S. 5. 468 Was die Wissenschaft in zeitlicher Parallele zur Staatspraxis über das landesherrliche Kirchenregiment herausfand und verkündete, war eine völlig andere Frage und hat sich – soweit ersichtlich – in Preußen erst bei der Kodifikation des Allgemeinen Landrechts in nennenswertem Maße auszuwirken begonnen (cf. supra Teil I, Kapitel 2, E. II.). Daß die entstehende Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments letztlich in scharfem Gegensatz zu den Rechts- und Kirchenlehren der Reformatoren stand, in denen strikt zwischen geistlicher und säkularer Sphäre, zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt differenziert wurde, ist eine Ironie der Geschichte. Cf. M. Heckel, Art. Rechtstheologie Luthers, Sp. 2823. 469 Ausführlich hierzu Dove, Synoden II, S. 145 ff. In diese Richtung deutet auch ein von Friedrich Wilhelm IV. überlieferter Ausspruch: „Was ein König gemacht hat kraft seines landesherrlichen Episkopats, kann der andere König kraft desselben Rechts ändern!“ (zitiert nach Richter, König Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, S. 38). 470 So ausdrücklich M. Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, S. 10, der dies als eine der „Tragödien des evangelischen Kirchenwesens“ charakterisiert. 471 Cf. M. Heckel, Art. Reformation, Sp. 2902: „Im jeweils eigenen „Bekenntnisstand“ von Territorialstaat und Landeskirche fällt das Bekenntnis einer territorialen Radizierung zum Opfer, die das Wesen ev. Glaubens und Bekennens verkannte und die Konfessionsfrage politisierte.“ (Hervorhebung im Original).

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Herrscher nicht mehr das Bekenntnis ihrer (lutherischen) Landeskirche, der sie jedoch nach wie vor als „Notbischof“ vorstanden. Daß insbesondere Johann Sigismund, in dessen Regierungszeit die Bekenntnisverschiedenheit ihren Anfang genommen hatte, das Gegenteil behauptete und darauf verwies, daß er sich nur für eine andere Spielart des einen reformatorischen Bekenntnisses entschieden und daher gar nicht im eigentlichen Sinne das Bekenntnis oder gar die Kirchenzugehörigkeit gewechselt habe, hatte staatsrechtliche – innenpolitische und reichsrechtliche – Gründe. Da er sich für ein seinerzeit reichsrechtlich nicht legitimiertes Bekenntnis entschieden hatte, war seine Stellung als Territorialfürst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ernsthaft bedroht; erst infolge des Westfälischen Friedens befanden sich die brandenburgischen Kurfürsten insoweit wieder auf sicherem Boden. Darüber hinaus galt es die Schwächung der Legitimation der kurfürstlichen Macht nach innen zu begrenzen: Die Bekenntnisverschiedenheit widersprach der prinzipiellen Einheit von Obrigkeit und Untertanen und mußte daher so weit wie möglich heruntergespielt werden. Diese durchaus nachvollziehbaren Motive, einen Bekenntniswechsel zu leugnen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die brandenburgischen Kurfürsten seit 1613 schlichtweg nicht mehr das Bekenntnis ihrer Landeskirche teilten. Ob sie unter diesem Gesichtspunkt noch Mitglieder der Landeskirche waren, ist höchst fraglich; sie gehörten ihr allenfalls kraft ihres Amtes als Inhaber des Kirchenregiments an. Binnen weniger Generationen hatte man sich jedoch augenscheinlich an diesen Zustand gewöhnt. Daß ab 1637 ein reformiertes Mitglied dem kurmärkischen lutherischen Konsistorium angehörte472 und dieses später sogar durch einen Reformierten geleitet wurde, wurde zwar registriert und in der späteren Geschichtsschreibung und kirchenrechtlichen Literatur mitunter kritisiert, sorgte aber nicht für einen öffentlichen Skandal. Es zeigte sich also die „normative Kraft des Faktischen“. Zwar haben Autoren des Allgemeinen Staatsrechts die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch einen reformierten Fürsten in einem lutherischen Kirchenwesen (und umgekehrt) später als legitim angesehen473, doch ändert dies nichts an der theologischen Fragwürdigkeit dieser Konstellation. 472

Diese Übung setzte sich ab 1750 im lutherischen Oberkonsistorium fort. Cf. etwa Moser, Landeshoheit, S. 231–237, bes. S. 231 f.: „Das Kirchen-Regiment, nach allen dessen Theilen, stehet einem Ev. Lutherischen Landesherrn über seine Ev. Reformirte Landstände und Unterthanen, und einem Ev. Reformirten Landesherrn über seine Ev. Lutherische Landstände und Unterthanen, allerdings und unstreitig zu; Nur muß er sich desselbigen so bedienen, daß dem anderen Religions-Theil nichts 1. gegen die Freyheit des Gewissens, noch 2. gegen die Lehrsäze seiner Religion, zugemuthet werde. [. . .] Der Landesherr behält also nicht nur die Oberaufsicht über die andere Religions-Verwandte, daß nichts von ihnen in Religions- KirchenSchul- oder anderen Sachen wider die Reichs-Geseze, wider die Landes-Verfassung, und wider das gemeine Beste, vorgenommen oder unterlassen werde; sondern er hat auch in Ansehung ihrer das Gesezgebungs-Recht, das Recht, Consistoria, Synodos 473

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Theologische Ungenauigkeiten dieser Art trugen im übrigen dazu bei, ein prinzipielles, gewissermaßen systemimmanentes Problem des landesherrlichen Kirchenregiments zu verstärken: die immer stärker nachlassende Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Gewalt durch den Landesherrn. Ihrem Ursprung nach waren Territorialgewalt und Kirchenregiment zwei unterschiedliche Kompetenzbereiche, welche in der Hand des Landesherrn zwar vereinigt, aber gerade nicht unterschiedslos vermischt waren. Es bestand daher von vornherein die Gefahr, daß das Bewußtsein dieser Unterscheidung und damit letzten Endes die Unterscheidung selbst schwinden würden. Dieser Prozeß läßt sich auch in Brandenburg-Preußen konstatieren, wo die Landeskirche und ihre Behörden und Organe immer stärker den Charakter staatlicher Institutionen gewannen und die Rechtsstellung der Kirchenbediensteten in weitgehender Analogie zu den staatlichen Beamten geregelt war. Dementsprechend übten die brandenburgisch-preußischen Landesherren das Kirchenregiment immer mehr wie einen Teil der allgemeinen Landesverwaltung aus. Zwischen der Funktion als weltliche Obrigkeit und als geistliche Autorität wurde nicht mehr konsequent unterschieden. Immer seltener beriefen sich die Kurfürsten und Könige auf den Titel eines summus episcopus, und wenn sie es taten, wirkte es willkürlich, da es weder konsequent noch kontinuierlich noch mit einer erkennbaren Systematik geschah. Es ist davon auszugehen, daß die Ausblendung der Bekenntnisfrage bei der Ausübung des Kirchenregiments die Sensibilität der brandenburgisch-preußischen Landesherren für das spezifisch Kirchliche dieses Kompetenzbereichs, der ihn wesensmäßig von ihren übrigen Befugnissen als Landesherr unterschied, herabgesetzt hat. Da es im Ergebnis keinen Unterschied bedeutete, auf welche Kompetenzgrundlage sich eine kirchenpolitische Maßnahme des Lanoder Cœtus, Ehegerichte, u. d. anzuordnen, die Subordination und den Rang der anderen Religions-Verwandten Geistlichen und Schul-Diener zu bestimmen, ihnen Vorgesezte beyzugeben, die Kirchen-Disciplin-Sachen zu dirigiren, u. s. w. Indessen kann auch alles dises durch Landes-Verträge und Freyheiten eingeschräncket und so modificiret werden, daß entweder die der anderen Religion zugethane Landstände und Unterthanen mit dabey concurriren, oder daß die Consistoria, Superintendenten- Inspectorsu. d. Stellen resp. ganz, oder doch zum Theil, mit ihren Religions-Verwandten besezet werde, u. s. w. Doch muß auch in solchen Fällen alles unter des Landesherrns Namen und Autorität geschehen, und kommt es auf die Verträge, oder ertheilte Freyheiten an, wie weit besagte andere Religions-Verwandte und deren Consistoria, Synodi, Cœtus, Superintendenten, Inspectores, etc. ohne ein an den Landesherrn zu erstattendes Gutachten, und dessen darauf erfolgende Resolution gehen dörffen, oder nicht.“ Die aus dem Jahr 1773 stammenden Ausführungen atmen deutlich den Geist der Aufklärung, worauf insbesondere die Betonung der Gewissensfreiheit und des staatlichen Rechts der Oberaufsicht hindeutet. Außerdem scheint die Darstellung die in BrandenburgPreußen gängige Praxis, bekenntnisfremde Personen in kirchliche Gremien zu berufen, zu kennen und als bekannt vorauszusetzen. Woraus sich die Fortdauer der Kirchengewalt trotz Bekenntnisverschiedenheit ergeben soll, bleibt auch bei Moser im Dunkeln. Es entsteht der Eindruck, daß Moser nicht unbefangen schreibt, sondern den status quo aus der Sicht des 18. Jahrhunderts legitimieren will. S. zu dieser Tendenz der naturrechtlichen Staats(rechts)lehre bereits supra Teil I, Kapitel 1, A. III.

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desherrn gründete – sein Befehl war Befehl – und es keine Instanz gab, welche die kompetenzrechtliche Zulässigkeit einer landesherrlichen Maßnahme letztverbindlich zu beurteilen hatte474, bestand auch kein praktisches Bedürfnis, die Differenzierung zwischen weltlicher und kirchlicher Sphäre konsequent im Auge zu behalten. Subjektiv waren die brandenburgischen-preußischen Herrscher – soweit ersichtlich – stets der Auffassung, alles richtig zu machen; zumindest waren sie sich der kompetenzrechtlichen Fragwürdigkeit ihres kirchenregiminalen Handelns nicht bewußt. Hinzu kam, daß Friedrich Wilhelm II. – wie insbesondere die Einleitung des Religionsedikts erkennen läßt – von dem Vorhandensein einer religiösen Dimension seiner Regentenstellung sowie seines Herrschaftsauftrags ausging und dies auch bei der Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments anerkannte. Es ist daher zu vermuten, daß der König selbst – getragen von der „christlichen Lauterkeit“ der religiösen Ambitionen, die er seiner Religionspolitik zugrundelegte – das von ihm ausgeübte landesherrliche (d. h. staatliche) Kirchenregiment nicht als staatliche Fremdherrschaft über die außerhalb des Staates liegende Kirche wahrnahm475, auch wenn dies bei formaler, kompetenzrechtlicher Betrachtung der Fall war. Auf jeden Fall wurde so der unzureichenden Differenzierung und Systematisierung im Schnittbereich von staatlicher und kirchlicher Sphäre Vorschub geleistet. So ist es letztlich auch zu erklären, daß Friedrich Wilhelm II. im Religionsedikt staatsrechtliche und binnenkirchliche (dienstrechtliche) Regelungen unbefangen miteinander verknüpft hat und gerade in den kirchenrechtlichen Vorschriften des Edikts recht unbedarft mit Begrifflichkeiten wie „Landesherr“, „christlicher Regent“ etc. umgegangen ist, die gerade nicht auf seine kirchliche Funktion, sondern auf seine Stellung als territoriale Obrigkeit hinweisen. IV. Friedrich Wilhelm II. und das landesherrliche Kirchenregiment vor dem Hintergrund der Praxis des 19. Jahrhunderts Daß sich die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II. nahtlos in die brandenburgisch-preußische Staatspraxis einfügt, gilt nicht nur hinsichtlich der geschichtlichen Entwicklung dieses Instituts in den preußischen Staaten, sondern auch im Hinblick auf dessen weitere Ausformung in Laufe des 19. Jahrhunderts.

474 Allerdings war es zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. nicht mehr selbstverständlich, daß der Monarch selbst das letzte Urteil über die Wirksamkeit seiner Anordnungen zu treffen hatte. Vielmehr bestand die Gefahr, daß es jedermann, zumindest die Richterschaft die Verbindlichkeit der königlichen Gesetze in Frage stellt, was sich etwa im Schulz-Prozeß zeigte. Cf. Krause, Überforderung, S. 196 Anm. 88. 475 Cf. hierzu Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 429.

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Die strukturellen Ungenauigkeiten und Mißverständnisse dauerten fort. Auch Friedrich Wilhelm III. tat sich – trotz der ausführlichen und kompetenten Unterweisung durch Svarez in dessen „Kronprinzenvorträgen“476 – mit der Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments trotz großer persönlicher Frömmigkeit ausgesprochen schwer, wie die ungeschickte, von mancherlei Verwirrungen und Unklarheiten begleitete Herbeiführung der preußischen Union 1817 und die damit im Zusammenhang stehenden Konflikte – der Agendenstreit und die Separation der schlesischen Lutheraner – belegen.477 Auch Friedrich Wilhelm IV., der das landesherrliche Kirchenregiment nach eigenem Bekunden weniger als Auszeichnung denn als Bürde empfand478, hat, obwohl er in kirchenpolitischen Konfliktsituationen ein größeres Geschick als sein Vorgänger an den Tag legte, bis zum Beginn des Konstitutionalismus beharrlich an dem überkommenen Konzept des landesherrlichen Kirchenregiments festgehalten und Reformen der Kirchenverfassung nur zugelassen, soweit seine Befugnisse als Landesherr nicht geschmälert wurden. Freilich haben hier die „weltlichen“ politischen Diskussionen jener Zeit eine wichtige Rolle gespielt; es leuchtet ein, daß Friedrich Wilhelm IV. es tunlichst vermeiden wollte, die verfassungspolitischen Entwicklungen im staatlichen Bereich in der kirchlichen Sphäre vorwegzunehmen. Eine vorläufige Klärung des Verhältnisses von evangelischer Kirche und landesherrlicher Autorität anhand einer weitestgehend konsequenten und sachgerechten Aufgaben- und Kompetenzverteilung erfolgte daher erst nach dem Inkrafttreten der preußischen Verfassung von 1850, auch wenn selbst zu diesem Zeitpunkt noch an der Institution des landesherrlichen Kirchenregiments festgehalten wurde und der König einige der ihm auch zuvor vorbehaltenen, im Ursprung bischöflichen Rechte behielt.479 Allerdings war eine pragmatische Handhabung wie in früheren Zeiten nunmehr durch einen „kirchlichen Konstitutionalismus“480, der die Ausübung der oberbischöflichen Funktionen an die Mit476 Zur Unterweisung des Kronprinzen durch Svarez, die in dieser Form für Preußen ein Novum darstellte, s. Krause, Überforderung, S. 139. 477 s. dazu supra Teil I, Kapitel 2, E. VII. 478 Von ihm ist die Bemerkung überliefert, er sehne sich mit allen Kräften nach dem Augenblick, wo er dem Greuel des landesherrlichen Episkopats entsagen und sein Kirchenregiment in die rechten Hände niederlegen könne. Cf. Geffcken, Staat und Kirche, in ihrem Verhältniß geschichtlich entwickelt, S. 489. 479 s. im einzelnen Jacobson, Kirchenrecht, S. 166 ff. 480 Es kam – nicht nur in Preußen – zu einer stupenden Parallelisierung der staatlichen Ordnung im kirchlichen Bereich. Auf der örtlichen Ebene standen sich Pastor und Bürgermeister gegenüber, auf der Kreisebene Superintendent und Landrat, auf der Provinzebene Generalsuperintendent und Regierungspräsident bzw. Oberpräsident. Die Synode entsprach dem Landtag, das Oberkonsistorium der Regierung. Das Amt des Bischofs, Kirchenpräsidenten oder Präses (die Terminologie war je nach Landeskirche uneinheitlich) fand seine Entsprechung im Amt des Ministerpräsidenten. An der Spitze beider Systeme stand der König. Cf. hierzu auch Maier, Warum das Alte Reich ein

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wirkung kirchlicher Organe – insbesondere der Synoden – band, im wesentlichen ausgeschlossen. Andererseits deutet etwa die Tatsache, daß etwa Wilhelm I. – wie bereits an früherer Stelle erwähnt – beim Erlaß kirchlicher Gesetze die aus der konstitutionellen Monarchie entlehnte Formel verwandte, er verordne „nach Zustimmung der Synode“, darauf hin, daß den preußischen Herrschern auch in Zeiten des Konstitutionalismus, in denen sich das kirchliche Leben in ruhigeren Bahnen vollzog als noch im Jahrhundert zuvor, die wesensmäßige Unterscheidung von kirchlicher und weltlicher Sphäre fremd war. Entweder begriffen die Monarchen nicht, welche Stellung sie im Kirchenwesen einnahmen und welche Funktion sie auszuüben hatten, oder sie wollten es nicht begreifen. V. Die spezifische Problematik der Konsistorialverfassung: Institutionelle Unklarheit Kennzeichnend für die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms II. und die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments in der lutherischen Landeskirche sind die wiederholten Auseinandersetzungen mit dem lutherischen Oberkonsistorium, in denen Woellner als zuständiger Minister beständig zu vermitteln und für Ausgleich und Mäßigung zu sorgen pflegte, soweit ihm das möglich war.481 Hier wirkte sich ein Umstand aus, welcher der – für die lutherische Landeskirche vor allem maßgeblichen – Konsistorialverfassung von Anfang an immanent war und sich unter dem Eindruck der Aufklärung mehr und mehr verstärkte. Der Landesherr war nämlich nicht der einzige, der hinsichtlich seiner Stellung im lutherischen Kirchenwesen Unsicherheit bewies. Auch das Oberkonsistorium war sich augenscheinlich nicht bewußt, welche Funktion es in der lutherischen Landeskirche einzunehmen hatte.482 Während der Regierungszeit Friedrichs des Großen hatte es die Leitung des Kirchenwesens faktisch in die Hand genommen und es nach ihrem Gutdünken umzugestalten versucht. Da Friedrich II. kein persönliches Interesse an kirchlichen Detailfragen hatte und vernunftgläubigen theologischen Ansätzen noch am ehesten etwas abgewinnen konnte, hatten die – überwiegend der Aufklärung und einer rationalistischen Theologie zugewandten483 – Oberkonsistorialräte freie Hand, zumal der damaHort der Toleranz war, Sp. 2: „[Die Kirchen] werden [. . .] auf Jahrhunderte dominiert von einem laikalen ,Summepiskopat‘, regiert von Königen, Innenministern, Parlamenten.“ 481 Er geriet dabei ständig zwischen die Fronten, da das Oberkonsistorium in ihm seinen hauptsächlichen Gegner sah und er andererseits Gefahr lief, den König zu verärgern, wenn er, um die entstandenen kirchenpolitischen Konflikte zu entschärfen, regelmäßig dessen Befehle verwässerte und ihre Ausführung verzögerte. Cf. auch Krause, Überforderung, S. 180 f. 482 s. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 1, G. I. 483 Zur besonderen Bedeutung der Theologen für die Aufklärung cf. Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, S. 184 f.

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lige Justizminister im Lutherischen Geistlichen Departement, Zedlitz, seinerseits ein Anhänger der Aufklärung und den betreffenden Räten gewogen war. Dies ging solange gut, bis sie im Gesangbuchstreit den Bogen überspannten und der König sich zum Eingreifen gezwungen sah. Nachdem Friedrich Wilhelm II. an die Regierung gelangt war, keimte bei den Berliner Aufklärern die nicht unberechtigte Sorge, der neue König werde als Herrscher stärker noch als sein Vorgänger, dessen Einschreiten sich auf den Gesangbuchstreit beschränkte484, jedem Versuch der rationalistischen Kirchenfunktionäre entgegentreten, ihr Amt weiterhin zu nutzen, um ihrer Religionsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.485 Wie für es für Religionslehrer und andere Multiplikatoren typisch ist, meinten sie, allein im Dienst der Wahrheit zu stehen und für ihre Verkündung niemanden Rechenschaft zu schulden. Sie blendeten völlig aus, daß sie als königliche Räte486 in einem Amt standen, welches ihnen der König im Namen des Staats und der sichtbaren Kirche übertragen hatte, und daß sie deshalb über Möglichkeiten verfügten, die ihren Mitbrüdern im Predigeramt verschlossen waren. Insbesondere hatten sie die Macht zur Herrschaft und zur Verkündung inne. Umgekehrt war es ihnen mit Blick auf ihre Verpflichtung dem König gegenüber verwehrt, sich darauf zu berufen, allein ihrem Glauben verpflichtet zu sein. Diese Möglichkeit stand den „nur“ im Dienste der Kirche stehenden gewöhnlichen Predigern durchaus offen, sie mußten allenfalls auf ihr kirchliches Amt verzichten, wenn ihr persönlicher Glaube vom Bekenntnis der Kirche abwich. Die Oberkonsistorialräte hingegen waren als königliche Beamte zum Gehorsam gegenüber dem Monarchen verpflichtet und hatten allein unter diesem Aspekt das Recht – und die Pflicht! – zur diskreten, internen Remonstration. Statt dessen hielten sich die Oberkonsistorialräte jedoch für die Vertreter der Kirche gegenüber dem König und verhielten sich entsprechend. Augenscheinlich waren sie der Meinung, sie wüßten – jedenfalls besser als der König – was „evangelisch-lutherisch“ bedeute und das richtige Bekenntnis der lutherischen Landeskirche sei. Ferner sahen sie sich von ihrem Gewissen her gezwungen, dieses Wissen auch zu behaupten. Auf diese Weise traten sie funktionell an die Stelle der Synode, die es in der lutherischen Landeskirche Preußens aufgrund der konsequent durchgeführten Konsistorialverfassung nicht gab, wobei sie das

484 Hier allerdings hatte sich Friedrich der Große mit Entschiedenheit zu Wort gemeldet. 485 Daß Friedrich Wilhelm II., der den Gesangbuchstreit als Kronprinz mit verfolgt hatte, in dieser Auseinandersetzung nicht auf Seiten des Oberkonsistoriums stand, war bekannt; cf. Krause, Ära Woellner, S. 114 f. 486 Schon die Bezeichnung „Räte“ läßt erkennen, daß es sich um Ratgeber des Königs handelte, die von königlichen Behörden geprüft und von diesen bzw. vom König selbst berufen waren.

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„Erleuchtetsein“ der Synode – das diese im theologischen Sinne zur Festlegung des Bekenntnisses legitimiert – durch ihr eigenes „Aufgeklärtsein“487 ersetzten. Besonders problematisch war, daß sie dabei ihr staatliches ebenso wie ihr kirchliches Amt in die Waagschale warfen und insoweit mit Amtsautorität Anspruch auf Verbindlichkeit erhoben. Ohne es zu merken, agierten sie als selbsternannte Volkstribunen im Sinne Kants, der – auf dem Aufklärungsaufsatz aufbauend – im Streit der Fakultäten den solchermaßen handelnden Predigern vorgeworfen hatte, in die Rechte der bürgerlichen Verfassung einzugreifen, die Anarchie herbeizuführen und es zu verdienen, mit dem zu Recht verhaßten Namen eines Neologen bezeichnet zu werden.488 Daß die Oberkonsistorialräte als 487 Auf diese – vom Oberkonsistorium nie ausdrücklich behauptete – Parallelisierung lief es in der Sache hinaus. Daß sie theologisch unsinnig ist, liegt auf der Hand. 488 Cf. Kant, Der Streit der Fakultäten, Anm. 6 auf S. 41 f. (Originalausgabe), S. 35 (Akademieausgabe), S. 36 (Neuausgabe 2005): „Dagegen, wenn der Streit vor dem bürgerlichen gemeinen Wesen (öffentlich, z. B. auf Kanzeln) geführt würde, wie es die Geschäftsleute (unter dem Namen der Praktiker gern versuchen, so wird er unbefugterweise für den Richterstuhl des Volks (dem in Sachen der Gelehrsamkeit gar kein Urteil zusteht) gezogen und hört auf, ein gelehrter Streit zu sein; da dann jener Zustand des gesetzwidrigen Streits, wovon oben Erwähnung geschehen, eintritt, wo Lehren den Neigungen des Volks angemessen vorgetragen werden und der Same des Aufruhrs und der Faktionen ausgestreut, die Regierung aber dadurch in Gefahr gebracht wird. Diese eigenmächtig sich selbst dazu aufwerfende Volkstribunen treten so fern aus dem Gelehrtenstande, greifen in die Rechte der bürgerlichen Verfassung (Welthändel) ein und sind eigentlich die Neologen, deren mit Recht verhaßter Name aber sehr mißverstanden wird, wenn er jede Urheber einer Neuigkeit in Lehren und Lehrformen trifft. (Denn warum sollte das Alte eben immer das Bessere sein.) Dagegen diejenige eigentlich damit gebrandmarkt zu werden verdienen, welche eine ganz andere Regierungsform oder vielmehr eine Regierungslosigkeit (Anarchie) einführen, indem sie das, was eine Sache der Gelehrsamkeit ist, der Stimme des Volks zur Entscheidung übergeben, dessen Urteil sie durch Einfluß auf seine Gewohnheiten, Gefühle und Neigungen nach Belieben lenken und so einer gesetzmäßigen Regierung den Einfluß abgewinnen können.“ (Hervorhebung im Original). Bereits im Aufklärungsaufsatz hatte Kant darauf hingewiesen, daß der evangelische Geistliche, wenn er als Amtsträger spricht, nur den Privatgebrauch von seiner Vernunft machen darf: „Eben so ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seien Vortrag zu tun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden. Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeindenen Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens, dem Publikum mitzuteilen. Es ist hiebei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn, was er zu Folge seins Amts, als Geschäftssträger der Kirche, lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eins andern vorzutragen angestellt ist. [. . .] Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch; [. . .] und in Ansehung dessen ist er, als Priester, nicht frei, und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen.“ (Kant, Beant-

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– mehrheitlich – evangelische Prediger mit Amtsinsignien auftraten, obwohl die evangelische Kirche nur das allgemeine Priestertum der Gläubigen und gerade kein Oberpriestertum einer besonderen Priesterklasse kennt489, machte die Sache noch schlimmer. Dem Ansinnen, sich demgemäß bei der Amtausübung zurückzuhalten und über sie Rechenschaft abzulegen, setzten die – von der Legitimität ihres Auftretens unerschütterlich überzeugten – Oberkonsistorialräte ein trotziges „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ entgegen und wiesen es als Angriff auf die evangelische, allen Menschen zukommende Glaubens-, Gewissens- und Denkfreiheit zurück.490 Da alle folgenden Predigergenerationen auf ihrer Autonomie bestanden, erschien ihnen ein König, der keine Selbstverwirklichung der Kirchendiener im Amt zulassen wollte, als Tyrann, selbst wenn sie für die rationale Theologie nichts übrig hatten. Die Problematik ihrer Stellung an der Schnittstelle von preußischem Staat und lutherischer Landeskirche und die Fragwürdigkeit ihres Auftretens haben die Oberkonsistorialräte, soweit ersichtlich, nicht kritisch reflektiert.491 Vielmehr entwickelten die aus ihrem Verhalten resultierenden Kontroversen im Laufe der Zeit eine gewisse Eigendynamik, welche die Auseinandersetzung in den Sachfragen zunehmend überlagerte. Ein Vertrauensverhältnis zwischen dem König und dem Oberkonsistorium, das ja zu seiner Beratung berufen und vom Monarchen her legitimiert war, hat vermutlich zu keinem Zeitpunkt bestanden. Aufgrund der durch den Gesangbuchstreit begründeten Voreingenommenheit Friedrich Wilhelms II. war das Verhältnis a priori belastet; spätestens seit der Remonstration gegen das Religionsedikt sah der Monarch in den Oberkonsistorialräten kaum mehr Ratgeber492, sondern lediglich Woellners widerspenstige Prediger.493 Die Wahrnehmung der dem Oberkonsistorium – nach dem Verlust seiner gerichtlichen Befugnisse – noch zukommenden Funktion war demnach beiderseits ausgeschlossen. Damit zeigt sich, daß die religionspolitischen Kontroversen der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. jedenfalls nicht allein der Art und Weise anzulasten sind, in welcher das landesherrliche Kirchenregiment ausgeübt wurde, auch wortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 486 f.). Diese Unterscheidung war den Mitgliedern des Oberkonsistoriums entgangen. 489 Dies bedeutet nichts anderes, als daß im Prinzip jeder mündige Christ seine Stimme erheben und seine Meinung kundtun kann, jedoch lediglich als Privatperson und nicht in amtlicher Eigenschaft oder mit einem zur Schau gestellten „Amtsbonus“. 490 Cf. auch Krause, Überforderung, S. 163. 491 Cf. auch Krause, Überforderung, S. 210. 492 Jedenfalls keine solchen, deren Ratschläge mit besonderer Aufmerksamkeit zu hören und maßgeblich zu berücksichtigen waren. 493 Cf. die Ermahnung Woellners durch den König am 5. September 1788 (supra Teil II, Kapitel 1, Fn. 214), sowie Krause, Einleitung, S. XX.

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wenn die diesbezügliche (Staats-)Praxis im aufgeklärt-absolutistischen Preußen sicher als perfekt bezeichnet werden kann. Andererseits wird das Problem deutlich, daß die brandenburgisch-preußischen Landesherren – so auch Friedrich Wilhelm II. – das landesherrliche Kirchenregiment ausüben mußten, ohne daß ein kirchliches Organ existierte, das – etwa in den besonders sensiblen und konfliktträchtigen Bereichen des Bekenntnisses und der Liturgie – den nach dem kirchlichen Verfassungsrecht unstreitig erforderlichen consensus ecclesiae hätte erteilen oder verweigern können. Hierunter hat die Legitimität des landesherrlichen Kirchenregiments und seiner Praxis in der preußischen Landeskirche deutlich gelitten; dieses Defizit war jedoch systemimmanent. VI. Irrationalität der preußischen Kirchen- und Religionspolitik unter Friedrich Wilhelm II.? Aus den Mängeln, welche die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. unzweifelhaft aufweist, und die teils historisch, teils durch die Umstände der Epoche bedingt sind, kann jedoch nicht auf die allgemeine Irrationalität der Verfahrens- und Entscheidungsprinzipien geschlossen werden, mit welchen der König seine politischen Ziele zu verwirklichen suchte. Vielmehr kam es Friedrich Wilhelm II. als aufgeklärtem Herrscher gerade darauf an, vernünftige – und eben keine irrationalen – Gesetze zu erlassen und der Regierung des Staates eine vernunftnotwendige Struktur zu geben.494 In diesem Zusammenhang ist auf die Kollegialisierung der Staatsorgane zu verweisen, die Friedrich Wilhelm II. von Anfang an energisch betrieb. Zu erwähnen sind die Kollegialisierung des Justizdepartements, die Bildung des Oberkriegskollegiums495 sowie des Oberschulkollegiums.496 Die Kollegialisierungsmaßnahmen erfolgten auf Anregung Woellners. Unter anderem legte dieser dem König zum 26. Dezember 1786 zusammen mit dem Bericht über die Verfahrensweise im Justizstaatsrat eine Order zur Kollegialisierung des Justizdepartements unter Ernennung von Geheimen Oberjustizräten mit Vortragsrecht im Staatsministerium (Großen Staatsrat) vor, die der König sogleich vollzog.497 Auch im Zensurwesen war nach dem Zensuredikt ein Kollegialorgan tätig498; ferner ist die Reorganisation des Generaldirektoriums499 in diesem Kontext zu nennen.

494

Cf. Krause, Einleitung, S. XX Anm. 3. Cf. supra Teil I, Kapitel 2, D. IV. 7. 496 Cf. supra Teil I, Kapitel 2, D. II. 5. 497 Am 9. Januar 1787 wurde Svarez zum Geheimen Oberjustizrat bestellt. Cf. hierzu Krause, Svarez, S. 283. 498 Cf. supra Fn. 163 (in diesem Kapitel). 499 Cf. Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 11 ff. 495

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Darüber hinaus plante der König – auf Vorschlag Hermes’ – die Begründung eines kollegial verfaßten Gremiums für Religionsangelegenheiten, das die Aufgaben des Lutherischen Geistlichen Departements übernehmen sollte. Hierzu kam es nur insoweit nicht, als es Woellner bei den Beratung in Potsdam im Mai 1791 gelang, die völlige Ersetzung seiner Behörde durch das neue Gremium sowie dessen an das Oberschulkollegium sowie an das Oberkriegskollegium angelehnte Bezeichnung als „Ober-Religions-Kollegium“ zu verhindern. Statt dessen kam es zur Errichtung der – später so genannten – Immediat-ExaminationsKommission, womit die Kollegialisierung auch den Bereich der Kirchenpolitik erfaßte.500 Das Bemühen des Königs um eine gute und vernünftige Politik und Gesetzgebung gerade auch im Bereich des Religionswesens ist also deutlich erkennbar. Allerdings bemerkte der Monarch nicht, daß er mit dieser wohlgemeinten Maßnahme das institutionelle und systemimmanente Defizit der lutherischen Landeskirche – das Fehlen eines zur Vertretung der Kirche gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment berufenen Organs – und damit eines der zentralen Probleme, mit denen sich seine Kirchen- und Religionspolitik konfrontiert sah, nicht beheben konnte. Hintergrund dieser auf Kollegialisierung der Staatsorgane gerichteten Maßnahmen war, daß Friedrich Wilhelm II. von der stereotypischen Sorge der absoluten Herrscher vor dem Ministerialdespotismus befallen war501; ihm graute davor, dem Wissens- und Erfahrungsvorsprung seiner Minister schutzlos ausgeliefert zu sein und im Regelfall keine andere Wahl zu haben, als deren Entscheidungsvorschläge ohne ausreichende und umfassende Information in einer einsamen Entscheidung absegnen zu müssen. Gerade bei der Information durch einen einzelnen Minister bestand die Gefahr der einseitigen Wissensvermittlung. Der bereits mehrfach erwähnte, unter Friedrich II. begonnene und beim Thronwechsel noch nicht ausgestandene Gesangbuchstreit stand Friedrich Wilhelm II. als warnendes Beispiel eines – tunlichst zu vermeidenden – Aktes des Ministerialdespotismus vor Augen; die Furcht hiervor hatte Woellner kurze Zeit vorher in seinen staatswissenschaftlichen Vorträgen für den damaligen Kronprinzen nochmals geschürt, indem er (unter anderem) mit dem Minister im Lutherischen Geistlichen Departement und einigen Mitgliedern des Oberkonsistoriums bewußt und gezielt Personen herabsetzte, auf welche der Kronprinz bereits schlecht zu sprechen war.502 Um seinem Selbstanspruch als aufgeklärt-absolutistischer Herrscher gerecht zu werden, versuchte Friedrich Wilhelm II., der ebensowenig wie die Öffent500 Auch Woellner selbst war also beim König in den Verdacht des Ministerialdespotismus geraten, was sich in der Folgezeit noch verstärken sollte. In der Öffentlichkeit hatte er diesen Ruf ohnehin (cf. die einleitenden Bemerkungen zum Zweiten Teil dieser Arbeit sowie zum Ersten Kapitel des Zweiten Teils). 501 Cf. Krause, Überforderung, S. 162. 502 Cf. Krause, Überforderung, S. 159 f.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

lichkeit davon überzeugt war, alles selbst beurteilen und vernünftig entscheiden zu können, sich daher durch Berater abzusichern, ohne sich ihrem Einfluß auszuliefern. Unter diesem Aspekt ist auch die in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. festzustellende Eröffnung einer breiten Diskussion um die Gesetzgebung zu sehen.503 Dabei konnte der König jedoch den Eindruck der Abhängigkeit weder bei sich selbst noch bei anderen vollständig zerstreuen.504 Besonders problematisch war, daß der König – wohl aus seiner durch die Furcht vor dem Ministerialdespotismus begründeten Skepsis gegenüber seinen Ministern heraus – die Tendenz hatte, sich nicht nur von diesen, sondern auch von Personen aus der „zweiten Reihe“ sowie von externen Ratgebern ohne Regierungsmandat oder sonstige Verankerung in der Staatsverfassung beraten zu lassen: in der Anfangsphase seiner Regierung durch Woellner und Svarez, später vor allem durch Hermes und Hillmer. Ein weiteres augenfälliges Beispiel hierfür aus dem Bereich der Kirchen- und Religionspolitik stellt die Immediat-ExaminationsKommission dar. Auf diese Weise lief der König Gefahr, das Vertrauensverhältnis zu seinen Ministern nachhaltig zu stören, was seiner Autorität in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch abträglich war.505 Um einem solchen Autoritätsverlust entgegenzuwirken, pflegte Friedrich Wilhelm II. in rigoroser und geradezu irrationaler506 Weise auf seine Kompetenz zu pochen, konterkarierte diese Absicht jedoch – aus Unsicherheit in der Sache und einem Bedürfnis nach Harmonie heraus – oftmals durch höfliche Floskeln, in denen er die Adressaten harscher und scharfer Befehle seines Wohlwollens versicherte – eine Vorgehensweise, die sich insbesondere bei Maßnahmen auf dem Gebiet der Kirchen- und Religionspolitik feststellen läßt.507 Dies zeigt umgekehrt, daß es der König in diesem Bereich besonders gut machen wollte, wie sich etwa aus der persönlich gehaltenen, ausführlichen Begründung des Religionsedikts in dessen Einleitung ersehen läßt.

503 Cf. Krause, Überforderung, S. 162 f. Daher hatte auch die Zensur nicht das Ziel, die öffentliche Diskussion um die Gesetzgebung zu verhindern, sondern solche öffentlichen Äußerungen zu unterbinden, welche gezielt die landesherrliche Autorität zu unterminieren versuchten. Cf. auch infra Fn. 512 (in diesem Kapitel). 504 Hinzu kam die – mit Sicherheit unbewußte – Neigung des Königs, sich von sachlich inkompetenten Personen beraten zu lassen, was weder die Qualität noch die Akzeptanz seiner Entscheidungen zu erhöhen vermochte. 505 Cf. Anonymus, Brief aus Potsdam, der auf die fatalen Auswirkungen der Einschaltung Hillmers hinweist (näher dazu supra Teil II, Kapitel 2, C. III.); ferner Krause, Überforderung, S. 163, 188. 506 Diese Irrationalität blieb natürlich auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unentdeckt. 507 Cf. hierzu Krause, Überforderung, S. 207.

2. Kap.: Kirchenpolitische Kontroversen Friedrich Wilhelms II.

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VII. Die Religionspolitik Friedrich Wihelms II. als Ausdruck einer gewandelten Staatsauffassung? Mit Skepsis ist die bisweilen geäußerte Vermutung zu betrachen, die religions- und zensurpolitischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. ließen auf eine Abwendung des Königs von der preußischen Staatsidee Friedrichs des Großen schließen, bei dem sich der Beginn einer vorsichtigen konstitutionellen Bindung des Königtums angedeutet hatte.508 Abgesehen von dem prinzipiellen Einwand, daß auch Friedrich der Große mitnichten die Absicht hatte, sich einer konstitutitionellen Bindung in dem Sinne zu unterwerfen, daß er die Letztentscheidung über die Verbindlichkeit seiner königlichen Anordnungen aus der Hand gab und eine rechtliche oder faktische Kontrollinstanz anerkannte509, ergeben sich weder aus dem Inhalt der kirchenpolitischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. noch aus der vom König gewählten Verfahrensweise triftige Anhaltspunkte für eine Distanzierung von der Staatsauffassung Friedrichs des Großen. Friedrich dem Großen war es darum gegangen, durch Leit- oder Programmsätze für die Gesetzgebung deren hohe Qualität zu gewährleisten und auf diese Weise auch den Herrschaftsanspruch des absoluten Monarchen weiterhin legitimieren, der ja – wie sich auch aus seiner persönlichen Einstellung zur Religion ergab – nicht gottgegeben war und maßgeblich auf der Annahme beruhte, der aufgeklärte absolute Monarch werde vernünftige Gesetze erlassen und auch ansonsten vernünftig handeln. Aufgrund seiner persönlichen Autorität und der Anerkennung, über die er im Staat und in der Öffentlichkeit verfügte, war seine Legitimation auch dann nicht in Gefahr, wenn er in Wirklichkeit hinter den an sich selbst gestellten Anforderungen zurückblieb.510 Kein anderes Ziel verfolgte auch Friedrich Wilhelm II.; er hatte lediglich weniger Fortune als sein Vorgänger.511 Der König suchte in seiner Religions508 Cf. Krause, Überforderung, S. 184 f., der diese Auffassung referiert, ohne sie zu vertreten, und die Vermutung, Friedrich Wilhelm II. habe eine gegenüber seinem Vorgänger gewandelte Staatsauffassung besessen, generell ablehnt. 509 Cf. Krause, Überforderung, S. 185. Zum Spezialfall der Einschaltung der Gesetzkomission s. bereits supra Teil II, Kapitel 1, B. II. 510 Cf. Krause, Überforderung, S. 208, 211. Solange man dem Urteil des Königs als Philosophen auch gleichsam per definitionem Vernunft zumaß, solange er absolut vorurteilsfrei (die Parteilichkeit dieses Etiketts blieb unerkannt) erschien, was zur Regierungszeit Friedrichs II. der Fall war, war die Herrschaft der Vernunft wenigsten im Prinzip, im Großen und Ganzen, nicht zu bezweifeln. Selbst für Kant stellte etwa das Gewitter der Müller-Arnold-Affäre die Vernünftigkeit der absoluten Monarchie nicht prinzipiell in Frage. 511 Unter Friedrich Wilhelm II., der viel skrupulöser war, nicht von vorneherein recht hatte, war die prinzipielle Vernünftigkeit der absoluten Monarchie von Beginn seiner Herrschaft an nicht in der gleichen Weise gesichert. Er stand für die Öffentlichkeit in der beständigen Gefahr, der Vernunft nicht aus eigenen Urteil zu folgen, um so

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

politik512 mit der ganzen Kraft seiner landesherrlichen Autorität zu erreichen und durchzusetzen, was er – auf welchem Wege auch immer – als vernünftig erkannt hatte. Problematisch war, daß er sich diesbezüglich frühzeitig festgelegt hatte. Bereits seit dem Erlaß des Religionsedikts513 erblickte Friedrich Wilhelm II. in der Kritik seiner Religionspolitik einen Anschlag auf das Christentum und die Grundfesten der bürgerlichen Ordnung; in dieser Hinsicht ließ er nicht mit sich reden. Dies hatte zur Folge, daß von beiden Seiten fundamentailistische Positionen aufeinanderstießen, zwischen denen keinerlei Diskussion und erst recht keine Verständigung und kein Kompromiß möglich waren. In diesem Punkt mußte die seitens des Königs grundsätzlich erwünschte möglichst breite Debatte um die Gesetzgebung zwangsläufig zu Konflikten führen, weil der Monarch die hierdurch zu findende beste, vernünftigste Entscheidung kraft gött-

weniger als er vom Vorurteil der Altgläubigkeit beherrscht wurde, deshalb handelte er für sie nur mit Vernunft, wenn er richtig bzw. nicht durch „Günstlinge“ falsch beraten wurde. Das Gegenteil war freilich offensichtlich immer der Fall, wenn der König eine falsche Entscheidung traf und jede Entscheidung war falsch, wenn sie dem Betrachter nicht gefiel. Der Mangel wurde nicht prinzipiell, sondern konkret erklärt: Der gute König war einfach ebenso „vertrauensselig“ wie gutherzig, und öffnete deshalb falschen Beratern das Ohr. Da verschlug es nichts, daß Friedrich Wilhelm II. tatsächlich keineswegs vertrauensselig, sondern höchst vorsichtig war (wahrscheinlich haben nur Bischoffwerder als Seelsorger und die von diesem bekämpfte Gräfin Lichtenau wirklich sein Vertrauen gehabt, und abgesehen von ihrem Widerspiel auch nicht in dem vollen Umfang der Politik) und alle Risiken, die eine vernünftige Regierung bedrohten, zu eliminieren oder zu minimieren suchte. Friedrich Wilhelm II. nahm jedenfalls – vielleicht auch wegen seiner Skrupel und Selbstzweifel – zu seiner Rechtfertigung als aufgeklärter Monarch an, die nach sorgfältiger Überlegung getroffene Entscheidung sei auch richtig, und die fortdauernde Kritik gründe nicht in der Vernunft, sondern sei nichts als ein boshafter Angriff auf die Vernunft und die Monarchie, der nicht zu dulden war. Die Unterdrückung von Kritik ist denn auch nicht, wie die Zeitgenossen und weite Teile der Historiographie glauben machen wollen, von den falschen Beratern des Königs zur Abschirmung in Gang gesetzt worden, sondern immer wieder vom König selbst. Der Vorwurf, dem liege ein Mißverständnis von Aufklärung zugrunde, die nicht Richtigkeit, sondern Offenheit bedeute, läuft ebenfalls fehl, denn der aufgeklärte Monarch sollte nicht primär Offenheit der Diskussion gewährleisten, sondern unter wissenschaftlicher Unsicherheit politische Entscheidungen treffen, die trotz fortdauernden wissenschaftlichen Streites vernünftig waren, wofür es jedoch kein verläßliches Kriterium gab. Der Selbstanspruch des aufgeklärt-absoluten Monarchen mußte daher in dessen Überforderung münden. Cf. auch Krause, Überforderung, S. 211. 512 Nichts anderes galt im Prinzip für die Zensurpolitik: Dem König ging es nicht darum, den kritischen gesellschaftlichen Diskurs über die Vernünftigkeit seiner Anordnungen per se zu verhindern; vielmehr galt es lediglich, öffentliche Angriffe auf seine landesherrliche Autorität zu unterbinden (s. bereits supra Fn. 503 dieses Kapitels). Eine Abkehr von der Staatsauffassung Friedrichs des Großen kann hierin nicht gesehen werden. 513 Ausweislich der Einleitung des Religionsedikts (a. E.) lag dem Edict die Religions-Verfassung in den preußischen Staaten betreffend die „unveränderliche Willensmeynung [des Königs] über diesen Gegenstand“ zugrunde.

2. Kap.: Kirchenpolitische Kontroversen Friedrich Wilhelms II.

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licher Erleuchtung bereits getroffen hatte. Es ist zu vermuten, daß dem König dieser Zusammenhang nicht bewußt war. Das zusätzliche Problem des kirchenpolitischen Agierens Friedrich Wilhelms II. bestand darin, daß die von ihm gewählten Verfahrensweisen entweder als schlechterdings irrational erschienen, wenn sie – wie bei der Bestellung von Hermes und den nachfolgenden kirchenpolitischen Maßnahmen – auf die Einflußnahme eines schlafwandelnden Mediums zurückzuführen waren, oder aber den Eindruck der Sprunghaftigkeit und Konzeptlosigkeit vermittelten, wenn sich der König – in der Absicht, es besonders gut zu machen – hier von diesem, dort von jenem beraten ließ und sich überdies in langwierigen Kontroversen mit seinen Ministern, Ratgebern und Gremien verzettelte. Die konsequente und zielgerichtete Behandlung der Sachfragen trat um so mehr in den Hintergrund, als der König damit beschäftigt war, die entstandenen Konflikte zu bereinigen und sich nach neuen Beratern umzuschauen, wenn sein Vertrauen in die bisherigen geschwunden oder erloschen war. Mitunter drohte dabei die Erreichung der Sachziele sogar ganz vereitelt zu werden – man sehe die bestenfalls fragmentarische Anwendung und Durchsetzung des Religionsedikts oder die nur eingeschränkte Verbindlichkeit des Schema Examinis – oder geriet, wie bei der Einführung des Landeskatechismus, zur Farce. Es muß jedoch betont werden, daß diese Ungeschicklichkeiten in erster Linie durch die historischen und zeitgenössischen Rahmenbedingungen bedingt waren, unter denen Friedrich Wilhelm II. das landesherrliche Kirchenregiment wahrzunehmen hatte, nicht aber durch eine gewisse religiöse Borniertheit und die darin liegende Aufgabe des (Selbst-)Anspruchs, eine vernünftige (Religions-) Politik zu betreiben und auch das Amt des „Notbischofs“ der preußischen Landeskirche in vernünftiger Weise auszuüben. Persönliche Unzulänglichkeiten wie mangelnde Begabung oder eine stetige latente Unsicherheit im Sinne einer „Angst vor der eigenen Courage“ mögen erschwerend hinzugekommen sein; sie haben aber nur ein vorgegebenes – von Friedrich Wilhelm II. nicht zu beeinflussendes – Problem verstärkt. Die enorme kompetenzrechtliche Unordnung macht es schwer, in der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. ein klares und beständiges, rationalen Ansprüchen genügendes Konzept auszumachen. Es kann Friedrich Wilhelm II. als aufgeklärt-absolutem Herrscher jedoch nicht abgesprochen werden.

VIII. Fazit Der Schlüssel zu der Beurteilung, die aus heutiger Perspektive über die insgesamt konfliktträchtige und mäßig erfolgreiche Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II. abgegeben werden kann, ist

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

daher dieser: Das Gelingen der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms II. war – so sehr dies in der Geschichtsschreibung auch betont worden ist – keine Frage seines Charakters514, des Charakters seines Ministers Woellner oder seines Beraters Hermes. Es war vielmehr eine Frage der Rechtsverfassung der christlichen Kirchen im Staat. Diese war im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus ungeachtet aller positiv-rechtlichen Regelungen, die letztlich Stückwerk blieben, ungeklärt. Das rechte Verständnis hierfür fehlte sowohl auf Seiten des Staates als auch auf kirchlicher Seite. Da es also ausgangs des 18. Jahrhunderts – aber auch auf dem Weg dorthin und in der Folgezeit – an einer sachgerechten und stimmigen, der spezifischen Natur von Staat und Kirche gerecht werdenen Verfassungsordnung fehlte, waren die Chancen Friedrich Wilhelms II. für ein gedeihliches Wirken als „Notbischof“ der lutherischen Landeskirche a priori gering. Aus den genannten Gründen kann man jedoch nicht von einem persönlichen Scheitern und Versagen sprechen, sondern vielmehr von einer Verkettung zahlreicher ungünstiger Umstände, welche das redliche Bemühen des Königs um die Stabilität des Bekenntnisses sowie um klare und sachgerechte Verfassungsstrukturen in der Landeskirche als ein Agieren unter widrigen Bedingungen sowie als einen Versuch mit untauglichen Mitteln erscheinen lassen.

514 Die prinzipielle Gutmütigkeit Friedrich Wilhelms II. wird – soweit ersichtlich – nirgends angezweifelt. Ungeachtet der Unangemessenheit im Ausdruck geht die Einschätzung Winkopps jedenfalls im Hinblick auf den König in die zutreffende Richtung, wenn er die Verantwortlichen in der Staatsleitung charakterisiert als „die von ihrem guten Herzen irre geführten Potentaten, die sich von verschrumpften alttheologischen Gehirnen mißleiten lassen, und das zum Nachtheil ihrer Herrscherverdienste“ (Winkopp, Religionsereignis, S. 5).

Drittes Kapitel

Staat und Kirche in den Kronprinzenvorträgen von Carl Gottlieb Svarez A. Die Kronprinzenvorträge als Unterweisung im Allgemeinen Staatsrecht und im positiven preußischen Recht Aufgrund der häufig wechselnden territorialen und konfessionellen Gegebenheiten, aber auch aufgrund einer oftmals unsystematischen oder sprunghaften Kirchenpolitik und Kirchenverwaltung ist das preußische Staatskirchenrecht im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus in hohem Maße unübersichtlich und in zahlreichen Punkten unklar. Dies betrifft insbesondere die – in dieser Arbeit vorrangig untersuchte – Stellung des Landesherrn in der lutherischen Landeskirche und zu ihr. Die zeitgenössische staats- oder kirchenrechtliche Literatur kann nur bedingt zum Maßstab der Rechtslage genommen werden, da sie die Staatspraxis bestenfalls kritisch widerspiegelt. Die wissenschaftliche Behandlung der sich stellenden rechtlichen Probleme und deren staatspraktische Lösung konnten – wie geschildert1 – erheblich divergieren. Aufschlußreich ist daher eine Betrachtung jener Schilderung des Allgemeinen Staatsrechts sowie des positiven preußischen Rechts, die dem damaligen Kronprinzen und Prinzen von Preußen, dem späteren König Friedrich Wilhelm III., im Zeitraum vom Januar 1791 bis zum März 1792 durch den Geheimen Justizrat und Geheimen Obertribunalrat Carl Gottlieb Svarez2 vorgetragen wurde.3 Es ist anzunehmen, daß diese Vorträge zum einen durch die Staatspraxis der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. beeinflußt sind und zum anderen von Friedrich Wilhelm III., den sie auf die Regentschaft vorbereiten sollten, seiner Regierungspraxis zugrundegelegt worden sind. Auf diese Weise ergibt sich ein zumindest ungefähres Bild der staatskirchenrechtlichen Rechtslage und Praxis, so 1 Cf. insbesondere supra Teil I, Kapitel 1, sowie Teil II, Kapitel 1 und 2 (jeweils passim). 2 Ausführlich zu Svarez’ Werdegang und Tätigkeit Krause, Svarez, sowie Birtsch, Carl Gottlieb Svarez (jeweils passim). 3 Zum genauen Inhalt der Vorträge cf. die detaillierte Einleitung von Krause in der von ihm herausgegebenen Neuausgabe von Svarez, Kronprinzenvorträge, S. XI, LIII ff.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

wie sie – mutmaßlich – aus der Perspektive der Staatsleitung gesehen, interpretiert und gehandhabt wurde. Es wäre freilich ein Mißverständnis, der Konzeption und Darstellung von Svarez gleichsam amtlichen Charakter beizumessen und sie im Hinblick auf die Staatspraxis für schlechthin überlegen und authoritativ zu halten. Die in den Kronprinzenvorträgen zum Ausdruck kommende Auffassung Svarez’ ist vielmehr – formal betrachtet – genauso subjektiv und persönlich wie die Ansichten anderer zeitgenössischer Autoren. So zeigen die kirchenpolitischen Schwierigkeiten Friedrich Wilhelms III. im Zusammenhang mit Kirchenunion und Landesagende, daß auch die Unterweisung durch Svarez nicht zu einer rechtlich klaren und reibungslosen Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments geführt hat. Vielmehr hat sich mit der Frage des consensus ecclesiae – d. h. der Zustimmung der Landeskirche zu Maßnahmen im Bereich des Bekenntnisses und des Kultus4 – genau jener Bereich des „Staatskirchenrechts“ als Ursache der auftretenden Probleme erwiesen, dessen Darstellung durch Svarez in besonderer Weise vage geblieben war.

B. Der Standort des Staatskirchenrechts im Allgemeinen Staatsrecht Insbesondere für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Preußischen Landrechts, jedoch auch noch für das 19. Jahrhundert bis zum Beginn des preußischen Konstitutionalismus, verdient das Verhältnis von Allgemeinem Staatsrecht einerseits sowie Kirchenrecht und Kirchenregiment andererseits Beachtung. Hierbei ist maßgeblich zu berücksichtigen, daß das Allgemeine Staatsrecht in Ermangelung geschriebener Verfassungen5 in Preußen sowie in anderen Teilen Deutschlands, in denen sich die politischen Gemeinwesen zu einer staatlichen Ordnung hin entwickelten, als Verfassungsrecht galt. Aufgrund dieses Geltungsanspruchs6 diente es unter anderem als Maßstab für die Gültigkeit des partikularen positiven Rechts7 und wurde daher sowohl als staatsrechtliches Grundlagenfach an den juristischen Fakultäten gelehrt8 und bei der Ausbildung der Territorialfürsten zugrunde gelegt.9 Außerdem wirkte sich das Allgemeine Staatsrecht insgesamt auf das politische Geschehen und auf den

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Näher hierzu supra Teil I, Kapitel 2, F. IV. Die absolutistische Monarchie bedeutete – entgegen landläufiger Annahme – keinen verfassungs- oder gar rechtsfreien Raum. Cf. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 246, Anm. 33 m. N. 6 Cf. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 120 ff. 7 Cf. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 201 ff. 8 Cf. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 213 ff. 5

3. Kap.: Kronprinzenvorträge von Carl Gottlieb Svarez

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gesellschaftlichen Diskurs in den aufgeklärt-absolutistischen deutschen Staaten – so auch in Preußen – aus.10 Die sich für das Allgemeine Staatsrecht stellende Problemlage läßt sich wie folgt umschreiben: Der Staat konnte aufgrund seiner Souveränität nicht dulden, daß die Kirche innerhalb des Staates eine eigene Gesellschaft – einen Staat im Staate – bildete, die zum allgemeinen Staatszweck im Widerspruch stand. Zu diesem Zweck mußte der Staat über alle Gesellschaften im Staate, welche diese Gefahr mit sich brachten – insbesondere die Kirchen- und Religionsgesellschaften, die ihre jeweiligen Wahrheiten prinzipiell als absolut gültig und verbindlich ansahen – die Oberaufsicht erlangen und behalten. Andererseits kam dem Individuum kraft seines natürlichen Freiheitsrechts das Recht der Bekenntnis- und Religionsfreiheit zu. Beide – nicht prinzipiell unvereinbaren, aber zum Teil gegenläufigen – Interessen mußten in Einklang gebracht werden.11 Das Problem hierbei bestand darin, daß der Staat insoweit und zu diesem Zweck nur auf das forum externum, die praktizierte und ausgeübte Religion zugreifen und Regelungen treffen konnte. Er konnte also Gottesdienst und Liturgie oder etwa den Religionsunterricht überwachen und auf das äußere Leben und Wirken der Kirchengesellschaft durch Erlaß letzten Endes als gesellschaftsrechtlich zu qualifizierender Regelungen Einfluß nehmen. Das Bekenntnis als solches war als Bestandteil der individuellen Religions- und Gewissensfreiheit (forum internum) staatlichem Zugriff entzogen und vom Herrschaftsvertrag a priori nicht umfaßt.12 Im Allgemeinen Staatsrecht konnte es daher praktisch ausgeblendet werden. Zu den Rechten des Staates gegenüber der Kirche und umgekehrt entstand im Schrifttum des Allgemeinen Staatsrechts ein beachtliches Spektrum von Theorien, die vom absoluten Primat des Staates bei gleichzeitiger völliger Unterwerfung der Kirche über verschiedene Kompromißlösungen bis hin zur radikalen Trennung von Kirche und Staat reichten.13 Der Umfang der staatlichen Einwirkungsrechte wurde demgemäß schon dem Grundsatz nach höchst unterschiedlich beurteilt. Insbesondere katholische Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts neigten dazu, die prinzipielle Autonomie der kirchlichen Sphäre zu betonen und die Einflußnahme der weltlichen Obrigkeit auf eine Schutz- und Unterstüzungsfunktion – ein Tätigwerden „jure supremae advocatiae, protectionis vel manutenutiae implorato brachio seculari“ zu begrenzen, wohingegen die protestanti9 Cf. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 195 ff. Die Kronprinzenvorträge von Svarez stellen mithin keineswegs die einzige derartige Unterweisung dar; sie können freilich als eines der prominentesten Beispiele gelten. 10 Ausführlich hierzu Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 238 ff. 11 s. Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 110. 12 Cf. Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 419 f. 13 s. etwa Hinschius, Staat und Kirche, S. 192 ff.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

schen Autoren mit der Begründung, „jeder weltlicher Regent [sei] auch Bischof und Pabst in seinem Land zugleich“, die Anerkennung einer dem staatlichen Zugriff entzogenen Sphäre ablehnten und daher extensivere Regelungsbefugnisse der säkularen Gewalt in kirchlichen Angelegenheiten bejahten.14 Dabei wurde im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts das auch in kirchlichen Angelegenheiten als juristische Schranke der Herrschaftsgewalt und als Korrektiv zwecks Sicherung der bekenntnisverträglichen Handhabung des landesherrlichen Kirchenregiments dienende ius divinum durch die – ihrerseits bekenntnisbestimmte – Natur der Sache als Leitlinie der kirchenregiminalen Befugnisse der weltlichen Obrigkeit abgelöst: Wie alles staatliche Recht war auch das Kirchenrecht allein an die Rationalität der öffentlichen Herrschaftsordnung gebunden, ohne deswegen dem Landesherrn zur beliebigen, willkürlichen Verfügung ausgeliefert zu sein.15 Keine befriedigende Lösung bot das Allgemeine Staatsrecht für ein theologisch heikles Problem, das in der Staatspraxis mitunter auftrat: die Konfessionsverschiedenheit von Landesherr und Landeskirche. Diese Konstellation war etwa in Brandenburg-Preußen aufgrund der Konversion Johann Sigismunds zum reformierten Bekenntnis sowie in Sachsen aufgrund des Übertritts Friedrich Augusts I. (des Starken) zum Katholizismus gegeben. Daß der Landesherr das ius 14 Beide Zitate bei Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- u. Bayrischen Staatsrechtes, S. 58 f. Der genaue Umfang der Befugnisse der weltlichen Obrigkeit in geistlichen Angelegenheiten war selbst unter den Autoren, die ein weitergehendes Einwirkungsrecht bejahten, umstritten. Ausführlich zum Ganzen auch Schelp, Das allgemeine Staatsrecht, S. 111, 223 f., der auf die besonders extensive Interpretation der staatlichen Rechte in Religionsdingen durch J. H. Boehmer (Introductio in ius publicum universale, S. 425 ff. – „De Iure imperantis circa sacra“) verweist (S. 224). Tatsächlich dehnte J. H. Boehmer das ius circa sacra, d. h. die staatliche Kirchenaufsicht, auf Fragen der Liturgie und des Bekenntnisses und damit weit in den Bereich des ius in sacra, d. h. des Kirchenregiments im engeren Sinne, aus. Ähnlich weit ging Thomasius, der dem Landesherrn eine Regelungsbefugnis für beinahe alle Bereiche des kirchlichen Lebens zubilligte: Erlaß von Kirchenordnungen (Thomasius, Summarischer Entwurff, S. 254), Festlegung der Liturgie (Thomasius, Dreyfache Rettung, S. 34, 54), Verleihung der geistlichen Ämter, Entscheidung theologischer Dispute, zumindest hinsichtlich der öffentlichen Predigt im Lande (Thomasius, Dreyfache Rettung, S. 33), Durchführung von Inspektionen und Visitationen (Thomasius/Brenneysen, Recht evangelischer Fürsten, S. 164), Aufsicht über die Kirchenzucht (Thomasius, Summarischer Entwurff, S. 254), Vorsitz bei Partikularsynoden (Thomasius, Summarischer Entwurff, S. 254; Thomasius/Brenneysen, Recht evangelischer Fürsten, S. 127 ff.), die auf die Feststellung der Übereinstimmung mit dem Bekenntnis der Gemeinde beschränkte Lehrzucht (Thomasius/Brenneysen, Recht evangelischer Fürsten, S. 148), sowie die volle Verfügungsmacht über das Kirchengut (cf. Thomasius, Von der Vermehrung der Besoldungen der Kirchen-Diener, S. 431). Allerdings durfte der Landesherr Thomasius zufolge weder den Untertanen sein theologisches Urteil aufdrängen noch in anderer Weise ihre Gewissensfreiheit beeinträchtigen. S. im einzelnen Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 425 f. m.w. N. 15 s. im einzelnen Link, Souveränität – Toleranz – evangelische Freiheit, S. 422 ff. m.w. N.

3. Kap.: Kronprinzenvorträge von Carl Gottlieb Svarez

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circa sacra, d. h. die allgemeine Kirchengewalt, auch über die bekenntnisfremden Untertanen behielt, war weithin anerkannt16. Darüber hinaus war unbestritten, daß der Landesherr gegenüber seinen bekenntnisfremden Untertanen in Fragen von Bekenntnis und Gottesdienst keine Befugnisse besaß, die über das ius circa sacra hinausgingen.17 Offensichtlich wurde die Konfessionsverschiedenheit jedoch nur dann als problematisch angesehen, wenn Landesherr und Untertanen verschiedenen Religionsparteien im Sinne des Westfälischen Friedens angehörten, wenn also ein evangelischer Fürst über katholische Untertanen herrschte und umgekehrt. Die Ausübung des Kirchenregiments durch einen reformierten Landesherrn in einer lutherischen Landeskirche und umgekehrt sollte sich hingegen auf den Zuschnitt der kirchenregiminalen Befugnisse des Landesherrn nicht auswirken.18 Hier blieb dem Allgemeinen Staatsrecht des Aufklärungszeitalters nichts anderes übrig, als den bestehenden, in der Staatspraxis als unproblematisch angesehenen bzw. gar nicht erst als problematisch wahrgenommenen status quo nachträglich zu legitimieren.

16 Cf. etwa Moser, Landeshoheit, S. 379 f.: „Wann ein Catholischer Landesherr das Jus circa Sacra über seine Evangelische Unterthanen nicht hätte; so wären sie ja darinn gewissermassen unabhängig:Und das getraue ich mir nicht zu behaupten. [. . .] Man wird auch in keinem einigen Fall [. . .] finden, daß das Jus circa Sacra an sich dem Landesherrn gestritten würde; sondern die ganze Absicht gehet nur auf den modum exercendi, und zu verhüten, daß er sich desselbigen nicht zum Nachtheil seiner einer anderen Religion zugethanen Unterthanen gebrauche, oder vilmehr mißbrauche. [. . .] Dem Landesherrn, er seye nun, welcher Religion er wolle, gebühret nemlich, nach unserm Teutschen Staats-Recht forderist die Ober-Aufsicht über das Religionsund Kirchen-Wesen, wie seiner eigenen Glaubensgenossen, so auch anderer ReligionsVerwandten, daß alles denen Reichs-Gesezen, Landes- und anderen Verträgen, denen Freyheits- und Gnaden-Brieffen, [et]c. gemäß zugehe, und in nichts dagegen gehandelt werde“. Nach Auffassung Mosers konnte der Landesherr jedoch, wenn er sich aus Gewissensgründen dazu gedrängt fühlte, auf die Ausübung der Oberaufsicht gegenüber konfessionsfremden Untertanen verzichten oder die Ausübung an einen der jeweiligen Konfession zugehörigen Minister delegieren (S. 380 f.). 17 Cf. Moser, Landeshoheit, S. 433: „In Ansehung der Lehre kann zwar ein Landesherr anderen Religions-Verwandten an und für sich nichts vorschreiben; wohl aber Zil und Maaß geben, 1. daß keine verwerffliche Lehrbücher zum Unterricht genommen werden, noch 2. sich verdächtige, zweydeutige, irrige, oder besorglich heimlich anderen Religionen und Irrthümern beypflichtende Lehrer einschleichen.“ In Sachsen wurde nach der Konversion des Kurfürsten pragmatisch verfahren. So delegierte August der Starke die Funktion des Oberhauptes der lutherischen Landeskirche zunächst an den (sächsischen) Geheimen Rat sowie an einen Verwandten aus der weiterhin evangelischen Linie der Ernestiner. In späterer Zeit wurde die Landeskirche durch das sächsische Oberkonsistorium weitgehend selbständig geleitet. Gleichwohl standen die sächsischen Kurfürsten und Könige – ungeachtet ihrer persönlichen Bekenntniszugehörigkeit – noch bis 1918 nominell an der Spitze der Landeskirche und trugen nach wie vor den Ehrentitel „Hüter des Protestantismus“. 18 Cf. den Nachweis supra Teil II, Kapitel 2, Fn. 473.

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2. Teil: Die Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.

C. Der Ort des Staatskirchen- und Kirchenrechts im Vorlesungsverlauf Das Verhältnis von Kirche und Staat sowie der rechtlichen Regelungen des Kirchenwesens werden von Svarez insbesondere in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert19: bei der Behandlung des Allgemeinen Staatsrechts in einem auf die Darstellung des Rechts der Oberaufsicht über Einzelpersonen und Gesellschaften folgenden eigenen Abschnitt mit dem Titel „Die Rechte über die Religionsgesellschaften“20 sowie unter der Überschrift „Recht der Kirchen und geistlichen Gesellschaften“21 bei der Schilderung des positiven preußischen Rechts. Hinzuweisen ist ferner auf die kurze Behandlung des Westfälischen Friedens, der kaiserlichen Wahlkapitulationen und des Corpus Evangelicorum im Zusammenhang mit der Schilderung des Reichsverfassungsrechts.22

D. Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften Hinsichtlich der Rechte des Staates und des Landesherrn über die Kirchen unterscheidet Svarez zwischen Befugnissen, die dem Staat kraft des Rechts der Oberaufsicht über alle Gesellschaften – also auch die Religionsgesellschaften – „ohne Unterschied“ zukommen, sowie jenen Rechten, die ihm von bestimmten Kirchen im Einzelfall gesondert übertragen worden sind.23 I. Allgemeine Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften Kennzeichnend für das Verhältnis des Staates zu den verschiedenen Religionsgesellschaften sowie deren Mitgliedern soll – ganz im Geiste und in der Tradition des aufgeklärten Absolutismus friderizianischer Prägung – der Begriff der „wahren Toleranz“24 sein. Svarez erwähnt an erster Stelle die Pflicht der 19 Die nachfolgende Darstellung der Ausführungen Svarez’ legt im wesentlichen die Oktavfassung der Vorlesungsmanuskripte zugrunde; wenn auf die – nicht vollendete – Foliofassung oder die Schriftliche Zusammenfassung Bezug genommen wird, so ist dies jeweils ausdrücklich vermerkt. 20 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 151 ff. Cf. auch die abschließende Übersicht zu den Hoheitsrechten des Landesherrn, S. 306 f. (Schriftliche Zusammenfassung). Wegen der Paginierung der verschiedenen Textschichten und -fassungen siehe dort. 21 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 750 ff. 22 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 473 (Oktavfassung), 488 f. (Foliofassung). 23 Cf. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 151 f. Andere Rechtsquellen nennt Svarez an dieser Stelle nicht (s. aber die auf S. 757 als eigene Rechtsquelle genannten Patronatsrechte).

3. Kap.: Kronprinzenvorträge von Carl Gottlieb Svarez

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Religionsgesellschaften, ihr jeweiliges Bekenntnis, die Pflichten ihrer Mitglieder sowie die Art und Weise, in welcher der Gottesdienst gefeiert wird, den Behörden anzuzeigen, damit diese Punkte staatlicherseits geprüft werden können und auf diese Weise sichergestellt werden kann, daß die fragliche Glaubensgemeinschaft nicht schädlich für „die öffentliche Ruhe und Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft“ ist. Zu diesem Zweck kann der Staat die öffentliche Abhaltung der Gottesdienste oder die Zulassung staatlicher Aufsichtspersonen vorschreiben und nötigenfalls die Verbreitung der Religion untersagen und die entsprechenden Kirchengesellschaften verbieten. Außerdem bedürfen die Lehrer und Vorsteher der Religionsgesellschaften der staatlichen Approbation.25 Die allgemeinen staatlichen Gesetze und die staatliche Gerichtsbarkeit gelten auch für die Religionsgesellschaften.26 In der Foliofassung heißt es dazu ausdrücklich: „[Die Religionsgesellschaft] kann diese ihr verliehnen [Korporations-] Rechte nur nach den Gesetzen des Staats ausüben und ist bey dieser Ausübung der richterlichen Macht und dem Polizeyrechte des Staats unterworfen.“27 Diese Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften gelten jedoch nicht uneingeschränkt: Bei allem legitimen Interesse des Staates an seiner Selbsterhaltung und an der Erreichung des Staatszwecks ist eine vollkommene Gewissens- und Religionsfreiheit geboten; der Staat darf weder dem Individuum noch einer Religionsgesellschaft ein bestimmtes Bekenntnis („was sie lehren [. . .] soll“28) positiv vorschreiben, sondern besitzt nur eine negative Kontrollbefugnis, die letzten Endes Ausfluß der allgemeinen staatlichen Polizeibefugnis ist. Anknüpfungspunkt für ein Verbot oder andere Sanktionen kann nur die Ausübung der Religion (forum externum) sein, nicht eine Glaubenswahrheit als solche oder die Überzeugung davon (forum internum). Maßgeblich soll lediglich sein, daß die jeweiligen Bekenntnisse der bürgerlichen Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen sowie der Obrigkeit nicht entgegenstehen, und daß durch die Religionsausübung „die öffentliche Ruhe, Ordnung und Wohlanständigkeit nicht verletzt werde[n]“.29 Andererseits ist es dem Staat nicht verwehrt, unter dem Aspekt der Staatsraison eine bestimmte Religion oder Konfession zu präferieren und durch „Unterricht und Belehrung“ für sie zu werben, damit sie unter der Bevölkerung möglichst große Verbreitung finde.30 Diese Be24

Zum Begriff siehe Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 155. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 152 (Ziffer 1–4). 26 Svarez, Kronprinzenvorträge (Ziffer 6). 27 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 164. 28 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 153. 29 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 153 ff. Möglich ist auch eine partielle Diskriminierung einer Religionspartei, deren Anhänger ihre bürgerlichen Pflichten aus religiösen Gründen nur teilweise erfüllen können. Svarez erwähnt als Beispiele die Juden und Mennoniten; Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 156 (Oktavfassung), 169 (Foliofassung). 25

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günstigung und Unterstützung scheint dem Staat in erheblichem Umfang möglich gewesen zu sein: Nach Svarez soll die Grenze des Zulässigen erst dann überschritten sein, wenn die Förderung eines bestimmten Bekenntnisses einer Unterdrückung und Verfolgung der anderen Konfessionen gleichkommt.31 Angesichts dieses weiten Spielraums kann von einer Verpflichtung des Staates zu strenger Neutralität oder gar religiöser Indifferenz also keine Rede sein. Den Anknüpfungspunkt für das „legitime religiöse Interesse“ des Staates bildet aber stets der Staatszweck: ein Maximum an Freiheit und Wohlfahrt. Unter diesem Aspekt ist es nur konsequent, daß Svarez auch Abweichungen einzelner Kirchengemeinden von theologisch zentralen Lehrsätzen aus staatlicher Perspektive für irrelevant hält, wenn und solange sie „auf den Staat und deßen Wohlstand“ keinen Einfluß haben.32 Ferner darf der Staat in Streitigkeiten eingreifen, die zwischen verschiedenen Religionsparteien entstanden sind. Svarez verweist in diesem Zusammenhang auf das seit dem 16. Jahrhundert bestehende Verbot der Kontroverspredigten. Derartige Maßnahmen werden ausschließlich mit profanen Beweggründen (Aufrechterhaltung der „allgemeinen Ruhe und bürgerlichen Ordnung“) gerechtfertigt, nicht mit spezifisch religionspolitischen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es sich bei den staatlichen Eingriffen in religiöse Dispute um Maßnahmen der staatlichen Oberaufsicht über die im Staat existierenden Gesellschaften, d. h. der allgemeinen Vereinsaufsicht handelt. Dieses Institut gewinnt keinen spezifisch religionspolitischen Charakter, wenn die aus ihm resultierenden Befugnisse über Religionsgesellschaften ausgeübt werden. Svarez geht allerdings nicht soweit, dem Staat die Befugnis zur Entscheidung der Kontroversen zuzuerkennen; der Staat darf sich in die Streitigkeiten nur „in so weit“ einmischen, „daß er öffentlichen Ausbrüchen derselben [. . .] vorbeuge“.33 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Svarez – in Abweichung von der klassischen Konzeption des Allgemeinen Staatsrechts – nicht nur das Individuum, sondern auch die Religionsgesellschaften als Träger der Bekenntnisfreiheit ansieht. Diese Rechtsposition gewinnt hierdurch eine – zumindest eingeschränkt – kollektive Dimension. Was genau Svarez in diesem Zusammenhang unter „Religionsgesellschaften“ versteht, bleibt undeutlich, da er bei der Beschreibung der staatlichen Aufsichtsbefugnisse teils von den – hierdurch eingeschränkten – Rechten der ReligionsGesellschaften, teils von den Rechten der ReligionsPartheyen spricht und die 30

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 154 (Oktavfassung), 166 (Foliofassung). Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 155 f. (Oktavfassung), 168 (Foliofassung). 32 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 161. 33 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 152 (Ziffer 8). Weitergehend etwa J. H. Boehmer, Introductio in ius publicum universale, S. 475: „Ius decidendi controversias theologicas itidem imperanti proprium est.“ 31

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Begriffe offensichtlich teilweise synonym verwendet. So hat der Staat „jede von ihm aufgenommne Relig.Parthey bey ihren Rechten zu schützen und sie gegen alle Beeinträchtigungen und Stöhrungen in ihren Gottesdienstl. Handl. zu sichern“.34 Ferner steht „[j]eder vom Staat aufgenommnen Relig[ions].P[artei . . .] zwar das Recht [zu], die mit Genehmigung des Staats festgesetzte Ordnung in Begehung ihres Gottesdienst und ihrer Gottesdienstlichen Handlungen zu behaupten und ihre Mitglieder zur Befolgung dieser Ordnung anzuhalten. Sobald aber hierzu weltliche Strafen nöthig sind, kan die R. G. [Religionsgesellschaft] sich deren nicht anmaaßen, sondern muß die Untersuchung und Bestrafung dem Staat anheimstellen.“35 Diese terminologische Unklarheit steht freilich im Einklang mit der gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu konstatierenden Tendenz, über die örtliche Kirchengemeinde hinaus auch das Kirchenwesen auf Provinzial- und Landesebene nicht nur als theologische, sondern auch als juristische Wirklichkeit und damit als Träger von Rechte und Pflichten anzusehen. Bei der Behandlung des Kirchenrechts im Rahmen der Erarbeitung von Allgemeinem Gesetzbuch und Allgemeinem Landrecht hatte diese Frage – wie gesehen – für Diskussionen gesorgt, an denen Svarez maßgeblich beteiligt gewesen war.36 Es scheint, als habe die Auseinandersetzung mit dieser Materie im Rahmen der Kodifizierungsarbeiten bei Svarez einen Prozeß des Überlegens in Gang gesetzt, der in den – kurz vor Ende der Arbeiten am Allgemeinen Gesetzbuch gehaltenen – Kronprinzenvorträgen zu einer Abmilderung des strengen, dem Allgemeinen Gesetzbuch und dem Allgemeinen Landrecht zugrundeliegenden Begriffs der Kirche bzw. Kirchengesellschaft geführt hat.37 Möglicherweise hat Svarez erkannt, daß durchaus ein Bedürfnis dafür bestand, die „Kirche“ bzw. Religionsgesellschaft über die örtliche Ebene hinaus (auch) als juristische Realität anzuerkennen. Des weiteren fällt auf, daß Svarez den Religionsgesellschaften im Rahmen der Vorlesungen einen eigenen Abschnitt widmet, obwohl er sie in erster Linie genau wie andere Korporationen behandelt wissen will: nämlich unter der Perspektive der Vereinshoheit oder Korporationsaufsicht. In der Foliofassung findet sich hierfür eine ausführliche Begründung, die zunächst auf die zahlenmäßige Bedeutung dieser Körperschaften abhebt: „Die zahlreichsten und wichtigsten aller Gesellschaften, die wir im Staate bemerken und die also auch dem Rechte 34

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 152 (Ziffer 9). Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 152 f. (Ziffer 10). 36 Zwar erkannte das Allgemeine Landrecht nur der örtlichen Kirchengemeinde Rechtsqualität zu, hielt dies jedoch terminologisch nicht konsequent durch, was darauf hindeutet, daß diese Konzeption nicht als gänzlich unbedenklich angesehen wurde. Ausführlich hierzu supra Teil I, Kapitel 2, F. II. Zur Entwicklung im 19. Jahrhundert s. supra Teil I, Kapitel 2, E. VII. 4. S. ferner infra Fn. 48 (in diesem Kapitel). 37 Cf. allgemein zur Bedeutung der Kronprinzenvorträge im Rahmen der Kodifizierungsarbeiten Barzen, Die Entstehung des „Entwurf(s) eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ von 1780 bis 1788, S. 236 ff. 35

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der Oberaufsicht des Staats unterworfen sein müssen, sind die ReligionsGesellschaften.“38 Die besondere Bedeutung der Religionsgesellschaften ergibt sich aber für Svarez auch aus dem Inhalt ihrer Tätigkeit, nämlich aus dem Wesen der Religion. Svarez zufolge besteht dieses – anders als in früheren Zeiten – nicht lediglich aus Zeremonien und „äußere[n] Feyerlichkeiten“, sondern aus theologisch-dogmatischen Begriffen und Lehrsätzen, aus moralischen Pflichten, die aus den Begriffen und theologischen Lehrsätzen hergeleitet werden sollen, sowie aus Praktiken, in denen sich die genannten Pflichten äußern. Eine solche Religion besitzt, so Svarez, eine natürliche praktische Relevanz für das bürgerliche Leben, weshalb der Staat sie im Auge zu behalten und daher das Verhältnis der Religionsgesellschaften zur bürgerlichen Gesellschaft – das heißt zum säkularen Staat – „gehörig“ zu regeln hat.39 Es ist daher gefährlich, wenn die Religionsgesellschaften sich der staatlichen Aufsicht und Gesetzgebung vollkommen entziehen, vollständige Unabhängigkeit vom Staat erlangen und einen „Staat im Staate“ bilden können.40 Svarez setzt dies mit den „Zeiten der Herrschaft des Pabstthums“ gleich41, was jedoch bedenklich erscheint, da die Katholiken in vorreformatorischer Zeit doch gerade nicht Autonomie vom säkularen Staat forderten oder praktizierten, sondern vielmehr geistliche und weltliche Herrschaft eine Einheit bildeten. Svarez tut auch keineswegs dar, inwiefern der Katholizismus den damaligen oder derzeitigen Staatszweck gefährden oder staatlichen Interessen zuwiderlaufen könnte. Es dürfte sich daher eher um ein Beispiel antikatholischer Polemik handeln, das im Rahmen der Kronprinzenvorträge keinen Einzelfall darstellt.42 II. Besondere Rechte des Staates über bestimmte Religionsgesellschaften Svarez geht davon aus, daß die im Zuge der Reformation den katholischen Autoritäten (Bischöfen) verlustig gegangenen bischöflichen Rechte den Landesherren übertragen worden sind. Ob er insoweit der Kollegialtheorie folgt und sich somit auf von der Kirche an die Obrigkeit delegierte Körperschaftsrechte bezieht, ist anfangs nicht ganz eindeutig. Svarez benennt nämlich nicht ausdrücklich die Religionspartei selbst als die übertragende Körperschaft; er spricht insoweit zunächst nur von einer „geschehnen Übertragung“.43 Sodann 38

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 161. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 162 (Foliofassung). 40 Cf. zu diesem Begriff bereits die Ausführung über das allgemeine Recht der Oberaufsicht, Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 137, 142. 41 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 162 (Foliofassung). 42 s. etwa die Bemerkungen Svarez’ über die Mönchs- und Nonnenorden, Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 761 ff., 767 f. 43 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 156. 39

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schildert er, daß die Landesherren in den Gebieten der Reformation die Funktionen der Bischöfe für die protestantischen Kirchen übernommen und zur Ausübung dieser Funktionen Konsistorien errichtet hätten. „Daraus“, so Svarez, „entspringen diejenigen Rechte protestantischer Landesherren, auf die in ihren Landen sich befindenden protestantischen Religionsgesellschaften, welche nicht auf das allgemeine Recht der Oberaufsicht, sondern auf eine geschehene Übertragung der bischöflichen Rechte sich gründen.“44 Erst später stellt er klar, daß die dem Staat übertragenen Rechte „Rechte der Gesellschaft“ seien45, und daß er – im Einklang mit der Kollegialtheorie – eine Übertragung dieser Rechte durch die Gesellschaft annimmt.46 Svarez bejaht hier – in Anlehnung an die Episkopaltheorie – ausdrücklich die Eigenschaft des protestantischen Landesherrn als „Bischof in seinem Staat“ und verweist darauf, daß „die protestantischen Fürsten [. . .] in dieser Eigenschaft durch den Westpfälischen Frieden ausdrückl. anerkannt worden“ seien.47 An anderer Stelle spricht er – terminologisch allgemeiner gehalten, aber sachlich gleichbedeutend – vom Landesherrn als „Haupt der Religions- od. KirchenGesellschaft“.48 Jedenfalls scheint Svarez die Befugnisse des protestantischen Landesherrn in den protestantischen Kirchengesellschaften nicht zur allgemeinen Territorialhoheit zu zählen. Zu den durch die protestantischen Kirchengesellschaften an den Landesherrn übertragenen „bischöflichen“ Rechten zählt Svarez insbesondere das Recht, Kirchenversammlungen und Synoden einzuberufen, die Festlegung der Gottesdienstform (Agende, Liturgie), das Recht zur Ernennung der Lehrer und Prediger oder – soweit diesbezügliche Rechte der Kirchengemeinden oder etwaiger Patrone bestehen – das Recht der Prüfung und Bestätigung der zum Lehr- oder Predigtamt gewählten Personen sowie deren Ordination und Amtseinführung49, die Aufsicht über Lehre und Lebenswandel der Prediger, das Recht der Kirchenzucht, die Aufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung, das Recht, über Streitigkeiten innerhalb der Kirchengemeinde oder zwischen verschiedenen Kirchengemeinden zu entscheiden, sowie die Befugnis, zur Ausübung der vor-

44

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 157. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 158 unten. 46 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 159 unten. 47 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 157 unten. 48 Svarez, Kronprinzenvorträge (Foliofassung), S. 163 unten. Hier fällt auf, daß Svarez mit der „Religions- od. KirchenGesellschaft“– anders als zuvor – nicht die örtliche Gemeinde, sondern die Kirche auf Staatsebene („Religionspartei“) meint. Cf. hierzu bereits supra Teil II, Kapitel 3, D. I. 49 Die „Geistlichen Officianten, Prediger“ werden daher auch in der Übersicht über die Landeshoheitsrechte und Staatsorganisation als „mittelbare[] StaatsBeamte“ erwähnt; dort wird die Prüfung der Kandidaten den Konsistorien – wohl als königlichen Behörden – zugewiesen. Svarez, Kronprinzenvorträge (Schriftliche Zusammenfassung), S. 307. 45

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genannten Rechte Konsistorien einzurichten und für die zu bildenden Kirchenkreise Superintendenten oder Inspektoren zu ernennen.50 Diese dem Landesherrn übertragenen bischöflichen Rechte bestehen nicht schrankenlos; für Svarez ist dies augenscheinlich so bedeutend, daß er dieser Frage bereits in der knapperen Oktavfassung einen längeren Abschnitt widmet. Da es sich hier um fremde – nämlich um Rechte der Gesellschaft – handelt, kann der Landesherr sie nur in dem Maße ausüben, in welchem die Gesellschaft es tun könnte. Die Beschränkungen ergeben sich aus dem bei ihrer Errichtung geschlossenen Gesellschaftsvertrag. Nur in dessen Grenzen kann auch der Landesherr seine bischöflichen Rechte wahrnehmen, d. h. vor allem nicht in Fragen, die im Vertrag entweder nicht geregelt worden sind oder sogar nicht haben geregelt werden können.51 Zu diesen „unbegebbaren“ Rechten zählt Svarez insbesondere „das Recht, seine Kenntniße zu erweitern, seine Begriffe zu berichtigen und sich von dem, was er als wahr erkannt, überzeugen zu lassen“. Dieses Recht auf „Wahrheit und Überzeugung“ gilt – so Svarez – auch und zumal in religiösen Dingen, kann daher nicht Gegenstand des Gesellschaftsvertrags einer Religionsgesellschaft und demzufolge auch nicht der protestantischen Obrigkeit als bischöfliches Recht zur Ausübung anvertraut worden sein. Folglich darf der Landesherr auf keinen Fall für eine Religionspartei oder auch nur für eine einzelne Kirchengemeinde (Religionsgesellschaft) einen unveränderlichen Lehrbegriff festsetzen und die Gemeindemitglieder und Lehrer auf diesen verpflichten.52 Für Svarez ist dies nicht nur eine Frage bloßer Logik oder Zweckmäßigkeit; dieser Punkt hat vielmehr rechtliche Relevanz und Qualität: „Es ist also unmögl. und unerlaubt, daß irgendein Mensch sich des Rechts begeben wollte, seine Vernunft in ReligionsAngelegenheiten zu gebrauchen.“53 Dies führt Svarez unter Verweis auf die symbolischen Bücher weiter aus. So ist der Staat nicht berechtigt, „[s]ymbolische Bücher als unabänderliche Lehrvorschriften zu ertheilen“ und die Kirche darauf zu verpflichten. Ein solches Recht haben die protestantischen Gemeinden, so Svarez, der Obrigkeit nicht übertragen wollen, weil dies nicht dem Geist des Protestantismus entspricht. Die Gemeinden haben aber auch ein solches Recht nicht übertragen können, da der darin liegende Verzicht auf den Gebrauch der Vernunft in religiösen Fragen unerlaubt und die Verpflichtung, an möglicherweise nicht mehr bestehenden Überzeugungen wider besseres Wissen festzuhalten, unmöglich ist. Darüber hinaus ist es absurd, sich etwas als Wahrheit vortragen zu lassen, von dessen Unwahrheit man überzeugt ist.54 Zudem schließt er aus beispielhaft angeführten – in der Foliofassung 50 51 52 53

s. im einzelnen Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 157 f. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 158. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 158 f. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 159.

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sowie der schriftlichen Zusammenfassung nicht mehr enthaltenen – Hinweisen auf die brandenburgisch-preußische Kirchengeschichte55, daß eine Übertragung solcher Rechte tatsächlich nicht stattgefunden hat. Es liegt nahe zu vermuten, daß er unter anderem darauf verweist, daß sich Kurfürst Johann Sigismund mit der Forderung nach der Abkehr von der Konkordienformel nicht durchsetzen und der Große Kurfürst sich mit ähnlichen Bestrebungen nur unter Anwendung massiven Drucks zur Überwindung erheblichen Protests behaupten konnte, und daß König Friedrich Wilhelm I. die Vereinigung der beiden evangelischen Kirchen auf „praktischem Wege“ sowie unter Ausblendung dogmatischer Lehrbegriffe und -streitigkeiten zuwege bringen wollte.56 Der Staat hat jedoch das Recht, auf Verlangen einer örtlichen Gemeinde – nicht jedoch auf eigene Initiative hin – das Wirken eines Geistlichen am Maßstab der symbolischen Bücher zu überprüfen und diesen gegebenenfalls zu maßregeln.57 Soweit ersichtlich, problematisiert Svarez nicht die Frage, ob sich die protestantischen Kirchengesellschaften bei der Übertragung bischöflicher Rechte an den Landesherrn ein Mitspracherecht – im Sinne eines consensus ecclesiae – vorbehalten haben könnten. Er erblickt die Begrenzungen der bischöflichen Rechte des Landesherrn vielmehr allein im Gesellschaftsvertrag.58 Darüber hinaus geht Svarez mit keinem Wort auf die in Brandenburg-Preußen bestehende, theologisch höchst problematische Bekenntnisverschiedenheit von Landesherr und Landeskirche und auf die Besetzung „staatskirchlicher“ Gremien – wie etwa des lutherischen Oberkonsistoriums – mit bekenntnisfremden Personen ein. Offensichtlich wurde die Legitimität dieses Zustandes von keiner Seite angezweifelt. Da die Frage – soweit zu sehen ist – auch im Rahmen der akademischen Unterweisung der zukünftigen Könige nicht behandelt wurde, kann es nicht verwundern, daß den preußischen Monarchen die Fragwürdigkeit ihrer eigenen Stellung in der Landeskirche nicht bewußt war. Die seit dem frühen 17. Jahrhundert bestehende Staatspraxis und die seit dem frühen 18. Jahrhundert einsetzende Annährung der beiden protestantischen Bekenntnisse taten

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Cf. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 159 f. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 160 oben. 56 s. hierzu die Darstellung der Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments in Brandenburg-Preußen, supra Teil I, Kapitel 1, C. 57 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 160. In Anm. 2 auf derselben Seite weist Krause darauf hin, daß Svarez dabei kaum den soeben neu in Gang gesetzten Schulz-Prozeß gemeint haben dürfte. 58 Hieraus könnte Friedrich Wilhelm III. den Schluß gezogen haben, daß er als König und Oberhaupt des evangelischen Kirchenwesens in Preußen überhaupt die Kirchenunion proklamieren und eine Landesagende im Alleingang einführen konnte, ohne auf eine weitere Zustimmung kirchlicher Institutionen angewiesen zu sein. 55

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ihr übriges dazu, Zweifel an der Legitimität der Ausübung des Notbischofsrecht in der bekenntnisfremden Landeskirche gar nicht erst entstehen zu lassen. III. Das Recht der Kirchen und geistlichen Gemeinschaften In dem Teil der Kronprinzenvorträge, der sich mit dem positiven preußischen Recht befaßt, legt Svarez unter anderem dar, wie die im Rahmen der Ausführungen zum Allgemeinen Staatsrecht ohne spezifischen Bezug auf Brandenburg-Preußen beschriebenen Rechte des Staates über die Kirchen durch das positive Recht näher ausgefüllt werden. Zu Beginn der Vorlesung über die Kirchen- und geistlichen Gesellschaften rekapituliert Svarez die wichtigsten der – schon an früherer Stelle behandelten – Rechte des Staates über die Kirche. 1. Religions-, Kirchen- und geistliche Gesellschaften Svarez definiert zunächst die „ReligionsGesellschaft“ als „[m]ehrere Menschen die unter Genehmigung des Staats zu gemeinschaftlichen ReligionsÜbungen sich verbunden haben“. Je nachdem, ob sich die Religionsgesellschaft zur Feier des öffentlichen Gottesdienstes oder zu anderen religiösen Zwecken gebildet hat, bezeichnet er sie als „Kirchengesellschaft“ oder als „geistliche Gesellschaft“59. 2. Religions- und Gewissensfreiheit Nach einigen Bemerkungen über die individuelle Religions- und Gewissensfreiheit nach Maßgabe des Allgemeinen Staatsrechts legt Svarez dar, wie es sich in Preußen mit dem Verhältnis von Staat und Religionsparteien verhält. Svarez spricht insoweit jedoch nicht von kollektiver Religionsfreiheit als einer Rechtsposition der jeweiligen Religionspartei, sondern erläutert lediglich die sich aus dem Allgemeinen Staatsrecht ergebende Verpflichtung des Staates, „jede ReligionsParthey, deren moralische Lehren der öffentlichen Ruhe nicht zuwieder sind, [zu] dulden und ihr die freye Übung ihres Gottesdiensts [zu] gestatten“, wobei es der Entscheidung des Staates überlassen sei, ob im Einzelfall die öffentliche oder nur die private Religionsausübung zugelassen werde.60 Für die zum Deutschen Reich gehörigen Territorien – d. h. für das gesamte Staatsgebiet außer Schlesien, Ost- und Westpreußen – verweist Svarez ohne weiteres auf die Bestimmungen des Westfälischen Friedens und zählt die Reformierten, Lutheraner und Katholiken als drei selbständige Konfessionen (Religionsparteien) auf, welche nach Maßgabe der Normaljahrregelung das Recht der öffentlichen oder pri59 60

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 750, 771. Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 750.

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vaten Religionsausübung genießen, für die restlichen Gebiete auf die Friedensverträge von Wien und Dresden (Schlesien), auf die Verträge mit den Landständen (Ostpreußen) sowie auf die Vereinbarungen mit Polen (Westpreußen); es handelt sich dabei im wesentlichen um Vorschriften zum Schutz der Katholiken. Svarez betont ausdrücklich, daß der Landesherr die reichsrechtlich oder durch Vereinbarungen festgelegten Mindestanforderungen nicht unterschreiten, andererseits aber durchaus großzügigere Regelungen treffen darf.61 3. Aufsichtsrechte über die Kirchen und Kirchenrecht im eigentlichen Sinne Hinsichtlich der staatlichen Aufsichtsrechte über die Kirchen erwähnt Svarez an erster Stelle einige Vorschriften, die sich insbesondere auf die Katholiken beziehen. So verweist er auf die Regel, wonach die Bischöfe oder anderen katholischen Autoritäten in Religions- oder Kirchenangelegenheiten nur mit staatlicher Genehmigung Verordnungen erlassen oder Vorschriften von fremden geistlichen Oberen annehmen dürfen. Auch müßten die päpstlichen Bullen und Breven sowie alle sonstigen von außerhalb des Staates stammenden Verordnungen – so Svarez –vor ihrer Veröffentlichung und Ausführung dem Staat zur Prüfung vorlegt werden. Außerdem bedürfen die gewählten höheren Amtsträger vor ihrer Ernennung durch den Papst der Approbierung durch den Landesherrn, der durch seine Kommissarien am Wahlverfahren beteiligt ist. Ferner sind den Bischöfen bei der Ausübung ihrer Diözesanrechte durch staatliches Recht Grenzen gesetzt, so etwa bei der Festsetzung der Kirchenstrafen sowie hinsichtlich der bischöflichen Jurisdiktion über den Klerus. Schließlich muß für die Landesteile, die zu den Jurisdiktionsbezirken auswärtiger Bischöfe zählen, ein vom Staat genehmigter Bischofsvikar als Ansprechpartner bestellt werden.62 Aus Gründen des Staatswohls ist, so Svarez, auch die Vermögensverwaltung der Kirchengesellschaften reglementiert. So bedürfen sowohl die Veräußerung als auch der Erwerb von Grundstücken durch die Kirchen- und geistlichen Gesellschaften der Genehmigung des Staates; Schenkungen und Vermächtnisse sind nur in begrenztem Umfang möglich.63 Als zuständige Behörde für die Ausübung der sich aus dem Recht der Oberaufsicht ergebenden staatlichen Befugnisse hinsichtlich aller im Staat aufgenommenen und geduldeten Religionsparteien benennt Svarez das Geistliche Departement.64 Für die Ausübung der dem Landesherrn übertragenen bischöflichen 61 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 750 f. Svarez verweist auf den Bau der katholischen Hedwigskirche in Berlin sowie auf die Einrichtung des reformierten Gottesdienstes in Halle. 62 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 751 f. 63 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 753.

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Rechte über die protestantischen Kirchen bestehen – für die reformierten Gemeinden – das Kirchendirektorium, dem in den Provinzen die Presbyterien unterstehen, sowie – für die lutherischen Gemeinden – das Oberkonsistorium und die Provinzialkonsistorien.65 Ausführlich beschreibt Svarez die Einteilung des Staatsgebietes in Parochien und die sich hieraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen (Parochialsystem) sowie das Procedere zur Verleihung der Pfarr- und Predigerstellen in den protestantischen und katholischen Kirchen mit und ohne Kirchenpatron. Dabei weist er ausdrücklich darauf hin, daß „[d]er von einem Patron ernannte od. von einer Gemeine gewählte Prediger [. . .] den geistlichen Oberen, d. h. bey Catholiquen dem Bischof und bey Protestanten dem Consistorio od. KirchenDirectorio zur Prüfung und Confirmation präsentirt werden“ muß.66 Jedenfalls bei der Einsetzung protestantischer Pfarrer ist damit die Mitwirkung des Staates – in Gestalt der königlichen Kirchenbehörde – erforderlich. Auf die Besonderheiten des Militärkirchenwesens geht Svarez sowohl bei der Erläuterung des Parochialsystems als auch bei der Beschreibung des Ernennungsverfahrens für die Geistlichen ein. Das Vorhandensein der für die Erfüllung der kirchlichen Aufgaben notwendigen Geldmittel stellt der Staat durch die gesetzliche Festsetzung von Kirchenabgaben – zu nennen sind insbesondere der „Zehnte“ sowie Gebühren für Amtshandlungen, sog. Stolgebühren –, aber auch durch Steuerbefreiungen für die kirchlichen Korporationen sowie für Pfarrer und Prediger sicher.67 Schließlich erwähnt Svarez das Patronatsrecht des Monarchen hinsichtlich bestimmter Kirchen als eine eigene „Quelle von Rechten eines Preußischen Regenten über die ReligionsGesellschaften und KirchenGemeinen in seinen Landen“, die eben nicht auf das Recht der Oberaufsicht oder auf die übertragenen bischöflichen Rechte zurückgeführt werden können. Anknüpfungspunkt ist hier der – privatrechtliche – Besitz eines Gutes, mit dem das Patronatsrecht verknüpft ist. Die hieraus resultierenden Rechte unterscheiden sich nicht von jenen anderer Kirchenpatrone und dürfen mit den dem Landesherrn als Souverän (Vereinsaufsicht) und Bischof (ius episcopale) zustehenden Befugnissen nicht verwechselt werden.68 Die „geistlichen Gesellschaften“ – unterteilt in Stifter (Dom- und Stiftskapitel), Klöster (Mönche und Nonnen) und geistliche Ritterorden, behandelt Svarez recht ausführlich.69 Er tritt ihnen jedoch sogleich mit einer gewissen Skepsis 64 65 66 67 68 69

Svarez, Svarez, Svarez, Svarez, Svarez, Svarez,

Kronprinzenvorträge, Kronprinzenvorträge, Kronprinzenvorträge, Kronprinzenvorträge, Kronprinzenvorträge, Kronprinzenvorträge,

S. S. S. S. S. S.

753 unten. 753 f. 755 f., 757 f. 754, 756 oben, 758 ff. 757. 760–771.

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entgegen, wenn er sie als „eigentlich eine Erfindung der catholischen Kirche“ bezeichnet.70 Es scheint, als wolle Svarez durch die detail- und bildreiche Darstellung, deren „Unterhaltungswert“ nicht zu unterschätzen ist71, sicherstellen, daß seine zurückhaltende Position gegenüber Vereinigungen, die zwar nicht dem Staat unmittelbar schaden oder seinen Interessen zuwiderlaufen – dann müßten sie verboten werden –, die aber andererseits auch im Hinblick auf den Staatszweck – Sicherheit, Freiheit, Wohlstand – wenig unmittelbaren Nutzen versprechen, auch vom Kronprinzen und späteren König geteilt wird. Bei der Darstellung der die einzelnen Formen geistlicher Gemeinschaften betreffenden rechtlichen Regelungen legt Svarez folglich auch den Schwerpunkt auf diejenigen Punkte, die unter dem Aspekt der Staatsraison bedeutend sind: Loyalitätskonflikte der Mitglieder dieser Gemeinschaften angesichts der Tatsache, daß im katholischen Bereich ausländische Autoritäten involviert sind, die Wahrscheinlichkeit von Vermögensgeschäften, die der staatlichen Volkswirtschaft unmittelbar oder mittelbar abträglich sind, etwa weil Vermögensgegenstände dem Rechtsverkehr für eine nicht absehbare Zeit oder auf Dauer entzogen werden, und die dem Interesse des Staates zuwiderlaufende Folge des Klostereintritts, daß „dem Staat und der bürgerlichen Gesellschaft nützliche Subjecte, die durch Arbeit und Kinderzeugen zur Vermehrung des öffentlichen Wohlstandes hätten beytragen können“, nicht länger zur Verfügung stehen.72 Zu diesem Zweck sind sowohl vermögenswerte Zuwendungen an die Klöster als auch die Möglichkeit zum Klostereintritt durch staatliche Gesetze eingeschränkt. Darüber hinaus hat der Staat die Möglichkeit, ein Ordensmitglied auf dessen Antrag hin auch gegen den Willen des zuständigen Bischofs von den Gelübden zu befreien, wenn das austrittswillige Ordensmitglied geltend macht, das Gelübde aufgrund von Täuschung oder Zwang abgelegt zu haben, oder zur protestantischen Religion konvertieren zu wollen.73 Svarez verweist darauf, daß „ein Mensch, welcher das Klostergelübde abgelegt hat, in Ansehung aller weltlichen Geschäfte als bürgerlich todt angesehn“ wird.74 Ferner erinnert Svarez daran, daß insbesondere in katholischen Territorien verschiedentlich Klöster aufgrund ihres fehlenden Nutzens für den Staat aufgehoben und ihre Güter eingezogen worden seien. Zwar seien die brandenburgisch-preußischen Herrscher diesem Beispiel nicht gefolgt, doch stehe außer Zweifel, „[d]aß ihnen dazu das Recht eben so gut als den catholischen Fürsten zustehe“. Über mögliche Gegenargumente – „welche Politik und Regierungsweisheit an die Hand geben“ – schweigt Svarez diskret75; seine persönliche 70

Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 760. s. nur die bereits zitierten Bemerkungen über die Mönchs- und Nonnenklöster, supra Fn. 42. 72 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 768. 73 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 768 f. 74 Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 769. 71

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Haltung in dieser Frage hat er damit gleichwohl unmißverständlich deutlich gemacht.

E. Fazit Insgesamt bestätigt die Darstellung des positiven Kirchenrechts den schon hinsichtlich der Schilderung des Allgemeinen Staatsrechts konstatierten Befund, daß die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in allererster Linie unter dem Gesichtspunkt der Staatsraison betrachtet werden, nämlich danach, inwieweit sie für den Staat und zur Erreichung des Staatszwecks nützlich oder dabei schädlich sein oder aber getrost in Ruhe gelassen werden können. Insofern ist es zwar richtig, wenn Svarez etwa bei der Behandlung der Rechte des Landesherrn als Bischof der evangelischen Landeskirche von den „Beschränkungen“ dieser Rechte spricht. Die Beschränkungen aber sind nicht etwa klar definiert, sondern es wird – bewußt oder unbewußt – mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert. Hinzu kommt, daß einige unbeschränkte staatliche Befugnisse – etwa die Ausbildung der Geistlichen sowie die Besetzung der kirchlichen Ämter – einen indirekten Eingriff in diejenigen Bereiche darstellen, welche dem Staat eigentlich entzogen sein sollen (z. B. die Bekenntnisfragen), oder sich auf diese Bereiche mittelbar auswirken. Im übrigen ist es fast immer möglich, selbst unmittelbar bekenntnisrelevante oder mit dem Bekenntnisinhalt eng verknüpfte Sachverhalte so darzustellen, daß staatliche Interessen durch sie berührt werden, und sie so in Fragen der reinen Vereinsaufsicht umzudeuten. Auf diese Weise kann selbst in den Kernbereichen des protestantischen Kirchenwesens und des kirchlichen Lebens überhaupt eine staatliche Einflußnahme gerechtfertigt werden; das legitime staatliche Interesse an der Förderung und Erreichung des Staatszwecks fungiert als Einfallstor für praktisch jede gewünschte Maßnahme. Für eine wirkliche kirchliche Autonomie ist unter diesen Umständen kein Raum gewesen.

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Svarez, Kronprinzenvorträge, S. 768.

Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit beschreibt und würdigt die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments durch Friedrich Wilhelm II. von Preußen, den Nachfolger Friedrichs des Großen sowohl auf dem preußischen Thron als auch an der Spitze der lutherischen Landeskirche. Außerdem wird die Entstehung und Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments und des evangelischen Kirchenrechts in Brandenburg-Preußen vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des preußischen Konstitutionalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben und die Wahrnehmung der Leitung des protestantischen Kirchenwesens durch Friedrich Wilhelm II. in den Kontext dieser Entwicklung gesetzt. Dabei wird auch auf die religionsrechtlichen Ausführungen Carl Gottlieb Svarez’ in dessen „Kronprinzenvorträgen“ eingegangen. Sowohl die zeitgenössische Literatur als auch die Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts haben der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. ein schlechtes, oftmals sogar vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Diese Kritik nährt sich vor allem aus den zahlreichen und heftigen religionspolitischen Kontroversen, die für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. prägend geworden sind: der Konflikt um das Religionsedikt von 1788, der sowohl mit dem lutherischen Oberkonsistorium als auch in der Öffentlichkeit geführt wurde, die Auseinandersetzungen um die das Religionsedikt flankierenden Maßnahmen – die verbindliche Einführung des neuen lutherischen Landeskatechismus und des Schema Examinis sowie die Einrichtung und die Tätigkeit der Immediat-Examinations-Kommission – sowie den Religionsprozeß gegen den Prediger Schulz („Zopfschulze“). Sie läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß der „Religionsminister“ Friedrich Wilhelms II., Johann Christoph von Woellner, den gutherzigen und harmlosen Monarchen dazu gebracht habe, gegen die in der Regierungszeit Friedrichs des Großen zur Blüte gelangte, von der Aufklärung geprägte rationalistische Theologie in aller Schärfe vorzugehen und die weitere Unterwanderung des Bekenntnisses der lutherischen Landeskirche durch diese theologische Strömung zu unterbinden. Auf diese Weise wurde die preußische Religionspolitik ausgangs des 18. Jahrhunderts zu einem Kampf der Aufklärer gegen die Obskuranten hochstilisiert. An dieser Bewertung kann – wenngleich die kirchenpolitischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. nach wie vor als problematisch angesehen werden müssen – nicht festgehalten werden.

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Zusammenfassung

Zum einen ist die bisherige Literatur ganz überwiegend von einer unzutreffenden Sicht des Verhältnisses zwischen Friedrich Wilhelm II. und Woellner ausgegangen. Zahlreiche Indizien lassen darauf schließen, daß der König – und nicht etwa der Minister – die treibende Kraft hinter der Religionspolitik war, und daß der Minister während seiner gesamten Amtszeit bemüht war, den harten kirchenpolitischen Kurs des Monarchen abzumildern und durch Vermittlungsversuche zur Entschärfung der entstehenden Auseinandersetzungen beizutragen. Im übrigen resultiert die Problematik der – trotz gelegentlich mangelnder Konsequenz in Konzeption und Umsetzung keineswegs irrationalen – kirchenpolitischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms II. daraus, daß sie in Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments ergriffen wurden. Dieses Rechtsinstitut – aus dem „Notbischofsrecht“ der Reformationszeit zu einem „Summepiskopat“ fortgebildet, welcher den König an die Spitze der Landeskirche stellte – hat sich in Brandenburg-Preußen in einer Weise entwickelt, die von zahlreichen Unklarheiten und Fragwürdigkeiten geprägt ist. Diese – oftmals nicht spezifisch religiös, sondern geschichtlich und politisch bedingte – Entwicklung hat dazu geführt, daß weder die preußischen Könige noch die übrigen im kirchlichen Bereich tätigen Einrichtungen, insbesondere das lutherische Oberkonsistorium, sich über ihre Stellung in der Kirchenverfassung sowie über das Verhältnis der landeskirchlichen Organe zum Staat im Klaren waren. Durch die seit dem frühen 17. Jahrhundert bestehende Bekenntnisverschiedenheit zwischen Landesherr (reformiert) und Landeskirche (lutherisch) wurden diese Verständnisdefizite noch verstärkt, was bereits im Verlauf des 17. Jahrhunderts zu heftigen Auseinandersetzungen führte und auch in den religionspolitischen Kontroversen um Union und Landesagende in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch deutlich zu spüren war. Die Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. stand daher unter keinem guten Stern. Daß sie so heftig umstritten war und letztendlich nicht als gelungen angesehen werden kann, ist in erster Linie auf die unklare Rechtsverfassung der christlichen Kirchen im aufgeklärt-absolutistischen Staat zurückzuführen. So erscheint das redliche Bemühen des Königs um die Stabilität des Bekenntnisses sowie um klare und sachgerechte Verfassungsstrukturen in der Landeskirche als ein Versuch mit untauglichen Mitteln.

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Sachregister Abendmahl 58, 60, 61, 84, 86, 91, 94, 116, 117, 151, 201, 202, 286, 288, 289, 291, 292, 296, 300, 384, 417, 510 Absolutismus 66, 77, 100, 107, 129, 324, 337, 363, 480, 528, 529, 534 Advocatia ecclesiae 26, 36, Siehe auch Ius advocatiae Agendenstreit 293, 294, 295, 296, 517, Siehe auch Landesagende Allgemeine Deutsche Bibliothek 380, 449, 451, 460, 462, 463, 467, 468, 470, 473 Ämter-Kirchen-Direktorium, Lutherisches 183, 229 Amtstracht 205, 251, 274, 288 Anglikaner 326 Aufklärung 30, 82, 83, 100, 114, 124, 126, 127, 207, 284, 287, 338, 342, 350, 351, 352, 353, 358, 363, 369, 374, 386, 387, 392, 399, 400, 401, 406, 413, 417, 420, 428, 480, 493, 506, 508, 515, 518, 521, 526 Augsburger Konfession 27, 34, 36, 38, 39, 51, 52, 53, 59, 60, 62, 69, 70, 114, 131, 135, 150, 156, 159, 160, 170, 177, 270, 285, 286, 289, 293, 296, 379, 423, 424, 472 Augsburgische Konfessionsverwandte 69, 74, 87, 108, 131, 325 Augsburger Religionsfriede 25, 27, 28, 29, 33, 34, 35, 37, 38, 53, 55, 61, 64, 134, 142, 143, 151, 158, 172, 303 Bekenntnisfreiheit Siehe Religionsfreiheit Bekenntnisverschiedenheit 66, 68, 224, 360, 394, 399, 514, 515, 541 Beneficium a latere 308 Beneficium emigrandi 34 Beneficium resignandi 308

Berliner Religionsgespräch 71 Böhmische Brüder Siehe Brüdergemeinden Brüdergemeinden 111, 130, 131, 325, 379 Christliche Obrigkeit 22, 43, 44, 45, 51, 53, 54, 55, 57, 65, 71, 87, 88, 102, 112, 189, 283, 363, 366, 367, 368, 371, 372, 516 Classicalconvente 191 Collegium charitativum 85, 91 Commission ecclésiastique 86, 271 Confessio Augustana Siehe Augsburger Konfession Confessio Gallicana 270 Confessio Sigismundi 60, 70, 76, 293 Consensus ecclesiae 97, 126, 275, 294, 296, 337, 346, 360, 372, 374, 394, 407, 522, 530, 541 Corpus Catholicorum 36 Corpus Evangelicorum 36, 83, 90, 95, 534 Cuius regio eius religio 369 Cura religionis 25, 30, 31 Custodia utriusque tabulae 26, 29, 30, 61 Departement für auswärtige Angelegenheiten 482 Dimissoriale 217, 220, 280 Discipline ecclésiastique 139, 182, 270, 271, 272 Dissidenten 327 Disziplinargerichtsbarkeit 119, 120, 122, 123, 184, 195, 196, 228, 238, 240, 247, 267, 277, 376, 474, 475, 502, 503 Dominium eminens 334

590

Sachregister

Domkapitel 56, 74, 302, 303, 306, 308, 309, 310, 311, 312, 422, 423, 544, Siehe auch Stiftskapitel Duplex persona 28 Edikt von Fontainebleau 270 Ehegerichtsbarkeit 120, 171, 174 Episkopalismus Siehe Episkopalsystem Episkopalsystem 22, 27, 28, 29, 30, 58, 66, 68, 251, 373, 539 Episkopaltheorie Siehe Episkopalsystem Episkopalverfassung 169 Ewiger Landfriede 33 Examinations-Kommission, Berliner Siehe Immediat-Examinations-Kommission

249, 250, 253, 257, 259, 260, 263, 264, 265, 266, 267, 502, 517 Generalsynode 139, 190, 236, 259, 261, 262, 265, 266, 267, 268, 299, 301 Generalvisitation 53, 67, 86, 87, 88 Gesangbuchstreit 113, 114, 116, 123, 124, 127, 129, 342, 347, 350, 360, 380, 383, 389, 394, 396, 401, 402, 409, 412, 413, 456, 463, 519, 521, 523 Gesellschaftsvertrag 31, 540, 541 Gesetzkommission 343, 344, 345, 381, 397, 445, 454, 486, 487, 500 Gewissensfreiheit 31, 84, 101, 112, 116, 119, 120, 144, 232, 293, 340, 353, 355, 356, 359, 361, 381, 383, 390, 405, 407, 486, 495, 515, 521, 531, 532, 535, 542 Glaubensfreiheit Siehe Religionsfreiheit Goldene Bulle 41

Forum externum 531, 535 Forum internum 531, 535 Französische Reformierte 74, 86, 87, 95, 139, 140, 182, 205, 229, 254, 255, 260, 270, 271, 272 Französische Revolution 252, 400, 447, 511 Freie Religionsausübung 33, 144, 154, 217, 270, Siehe auch Religionsfreiheit

Herrnhuter Siehe Brüdergemeinden Hochabsolutismus Siehe Absolutismus Hofprediger 36, 60, 67, 74, 75, 84, 86, 94, 178, 181, 183, 187, 201, 237, 248, 249, 267, 290, 291, 395, 399, 419 Hugenotten Siehe Französische Reformierte

Geheimer Rat 59, 64, 86, 121, 177, 178, 182, 271, 324 Geistliches Departement 18, 82, 86, 103, 113, 121, 124, 125, 126, 182, 185, 218, 220, 222, 225, 226, 227, 228, 239, 240, 273, 278, 324, 327, 331, 342, 344, 345, 347, 356, 357, 360, 361, 362, 371, 372, 380, 381, 383, 385, 389, 393, 394, 399, 400, 411, 412, 418, 423, 424, 427, 428, 440, 441, 445, 451, 454, 455, 458, 460, 461, 464, 479, 482, 483, 487, 490, 494, 496, 505, 519, 523, 543 Generaldirektorium 105, 128, 182, 239, 449, 450, 470 Generalsuperintendenten 47, 52, 65, 67, 173, 176, 178, 180, 184, 227, 230, 234, 239, 240, 244, 245, 246, 247,

Immediat-Examinations-Kommission 18, 20, 187, 206, 207, 269, 273, 349, 357, 358, 362, 382, 410, 425, 430, 436, 437, 438, 440, 441, 442, 443, 444, 445, 449, 450, 451, 452, 454, 455, 457, 458, 460, 461, 465, 467, 468, 469, 470, 472, 473, 474, 475, 476, 478, 505, 523, 524 Inspectio ecclesiastica 365 Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO) Siehe Westfälischer Friede Itio in partes 36 Iura collegialia 32, 317, 364, 365 Iura reservata 237 Iura vicaria 237, 239 Ius advocatiae 319, 334, 365, 366, Siehe auch Advocatia ecclesiae

Sachregister Ius circa sacra 31, 33, 80, 126, 137, 148, 168, 181, 190, 224, 228, 229, 232, 233, 234, 237, 240, 254, 319, 332, 333, 334, 335, 364, 365, 372, 374, 532, 533, Siehe auch Kirchenhoheit Ius determinandi doctrinas 365 Ius divinum 29, 51, 532 Ius episcopale 28, 56, 57, 58, 68, 77, 78, 79, 80, 86, 87, 89, 99, 169, 177, 180, 181, 212, 236, 271, 272, 313, 319, 332, 365, 372, 544 Ius in sacra 30, 33, 80, 93, 126, 137, 168, 181, 190, 224, 229, 236, 332, 333, 334, 364, 372, 374, 532, Siehe auch Kirchengewalt Ius inspectionis 32, 334 Ius liturgicum 93, 200, 275, 294, 296, 364, 365, 372 Ius reformandi 28, 29, 34, 36, 55, 57, 59, 66, 168, 237, 284, 334 Ius sacrorum Siehe Ius in sacra Juden 35, 75, 327, 355, 535 Justizdepartement 228, 343, 344, 345, 402, 434, 461, 496, 522 Katechismusstreit 309, 410, 418, 432, 433, 438, Siehe auch Landeskatechismus, Lutherischer bzw. Reformierter 410 Katholiken 69, 74, 75, 78, 80, 90, 91, 98, 100, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 111, 117, 130, 135, 157, 159, 160, 161, 208, 209, 210, 212, 215, 217, 221, 227, 278, 302, 321, 326, 327, 354, 355, 374, 512, 538, 542, 543 Kirchenaufsicht Siehe Oberaufsicht, Recht der Kirchenbuße Siehe Kirchenzucht Kirchendirektorium, Reformiertes 182, 183, 187, 191, 193, 222, 223, 229, 324, 344, 346, 347, 395, 418, 419, 420, 544 Kirchengesellschaften 32, 137, 162, 163, 188, 224, 225, 226, 258, 286, 291,

591

299, 315, 316, 317, 318, 320, 321, 325, 326, 330, 331, 332, 333, 335, 357, 531, 535, 537, 539, 541, 542, 543, Siehe auch Religionsgesellschaften Kirchengewalt 28, 33, 80, 93, 126, 137, 168, 181, 237, 296, 320, 332, 333, 363, 366, 370, 372, 418, 510, 515, 533, Siehe auch Ius in sacra Kirchenhoheit 32, 33, 62, 80, 82, 85, 126, 168, 170, 232, 237, 240, 332, 333, 363, 366, 372, Siehe auch Ius circa sacra Kirchenparade 195 Kirchenpatrone Siehe Patronat Kirchenpolizei 77, 286, 332, 364 Kirchenrat 64, 65, 177, 178 Kirchenunion Siehe Union Kirchenvereinigung Siehe Union Kirchenzucht 32, 67, 77, 92, 95, 116, 241, 532, 539 Kirchliches Polizeigesetz 346, 359, 369, 371, 372, 375, 457 Klöster 68, 225, 302, 304, 305, 306, 310, 313, 319, 544, 545 Kollationsrecht 306, 313 Kollegialismus Siehe Kollegialsystem Kollegialsystem 31, 32, 33, 57, 137, 317, 318, 330, 335, 364, 366, 373, 376, 538, 539 Kollegialtheorie Siehe Kollegialsystem Kölner Mischehenstreit 281 Konkordienbuch 39 Konkordienformel 38, 39, 52, 53, 54, 62, 63, 64, 65, 70, 72, 73, 89, 486, 541 Konsistorialverfassung 23, 52, 95, 137, 158, 159, 160, 169, 170, 172, 174, 176, 178, 179, 181, 188, 189, 190, 222, 223, 226, 232, 235, 236, 248, 252, 254, 259, 264, 328, 329, 333, 398, 518, 519 Konstitutionalismus 106, 236, 240, 263, 269, 511, 517, 530 Kontroverstheologie 60, 62, 65, 66, 71, 73, 81, 82, 101, 150, 179, 284, 536 Konvent zu Naumburg 172

592

Sachregister

Kreissynoden 48, 138, 177, 235, 253, 254, 257, 258, 259, 260, 262, 264, 267, 292 Kriegskonsistorium 195, 196, 202, 204, 206, 218, 223, 227, 229, 273, 274 Kultusfreiheit Siehe Freie Religionsausübung Landesagende 293, 294, 297, 298, 300, 337, 338, 530, 541, Siehe auch Agendenstreit Landeshoheit Siehe Territorialhoheit Landeskatechismus, Lutherischer 18, 410, 413, 415, 416, 418, 420, 421, 422, 423, 425, 426, 427, 428, 429, 430, 440, 456, 462, 467, 477, 527 Landeskatechismus, Refomierter 418 Landessynoden 48, 158, 177, 265, 267, 268, 269 Landstände 41, 44, 45, 50, 51, 56, 59, 61, 63, 64, 66, 68, 70, 73, 77, 150, 198, 238, 309, 312, 354, 422, 423, 514, 543 Lehrzucht 363, 376, 532 Liturgische Kommission 231, 256, 294 Lokalkonsistorien 252, 253 Materielle Publikation 108 Mediatkonsistorien 223, 226, 242 Mennoniten 35, 130, 326, 355, 535 Militäragende 275, 291, 295, 296 Militärkirchenwesen 99, 117, 139, 176, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 200, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 213, 214, 219, 220, 221, 248, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 326, 512, 544 Militärseelsorge Siehe Militärkirchenwesen Ministerium der geistlichen Angelegenheiten 123, 258, 277, 280, 281, 282, 295 Mittwochsgesellschaft 386, 392, 397, 409, 413, 479, 508

Naturrecht 30, 37, 80, 119, 135, 136, 341, 363, 515 Neologie 114, 123, 207, 350, 394, 425, 426, 471, 475 Normaljahr 29, 36, 63, 74, 146, 147, 148, 152, 154, 303, 369, 542 Notbischof 21, 22, 26, 27, 39, 46, 55, 79, 223, 283, 360, 370, 375, 394, 509, 510, 512, 513, 514, 527, 528, 542 Notbischofsrecht Siehe Notbischof Oberaufsicht, Recht der 98, 107, 221, 232, 241, 256, 257, 306, 318, 325, 333, 335, 364, 365, 407, 423, 509, 514, 515, 531, 533, 534, 536, 538, 539, 543, 544 Oberkonsistorium (Berg) 252 Oberkonsistorium (Siegen) 155 Oberkonsistorium, Französisches 182, 222, 223, 237, 271 Oberkonsistorium, Lutherisches 18, 114, 121, 124, 125, 126, 127, 185, 186, 187, 206, 207, 222, 227, 229, 230, 233, 238, 239, 285, 287, 327, 335, 337, 338, 344, 346, 347, 353, 360, 361, 371, 382, 395, 396, 397, 398, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 410, 411, 413, 414, 417, 420, 423, 424, 425, 427, 428, 429, 431, 433, 434, 435, 436, 439, 442, 443, 444, 445, 447, 448, 452, 453, 454, 456, 458, 459, 465, 466, 467, 469, 477, 478, 481, 482, 483, 484, 485, 488, 490, 491, 492, 496, 497, 502, 504, 514, 518, 519, 520, 521, 541, 544 Oberkonsistorium, Sächsisches 533 Oberkonsistorium, Schlesisches 187, 438 Oberkriegskollegium 206, 220, 522, 523 Oberreligionskollegium 187, 441, 523 Oberschulkollegium 187, 229, 441, 462, 465, 508, 522, 523

170, 312, 372, 532,

99, 113, 184, 223, 258, 343, 362, 399, 409, 422, 430, 441, 451, 461, 479, 489, 503, 523,

117, 441, 444, 455,

Sachregister Orthodoxie 53, 83, 84, 100, 123, 207, 361, 387, 394, 417, 424, 425, 426, 429, 438, 452, 457, 468, 506 Parität 34, 35, 36, 68, 96, 144, 157, 159, 177, 354, 355 Parochialhandlungen 105, 209, 210, 216, 217, 218, 220, 279, 280 Parochialrechte 67, 105, 195, 215, 216, 281, 326, 327 Parochialsystem 544 Parochialzwang 117 Passauer Vertrag 33, 35, 55 Patronat 24, 40, 59, 63, 81, 87, 97, 98, 177, 190, 193, 237, 239, 241, 257, 258, 291, 296, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 477, 504, 534, 544 Pietismus 82, 83, 84, 91, 98, 111, 127, 284, 417 Pietisten Siehe Pietismus Pius magistratus 45, 58 Polykonfessionalität 66 Potestas ecclesiastica 33, 365 Prädestinationslehre 91 Praecipuum membrum ecclesiae 22, 25, 26, 29 Präsentationsrecht 41, 42, 141, 142, 199, 203, 315 Predigerkonferenzen 262, 263 Presbyterial-Synodal-Verfassung 23, 155, 169, 174, 188, 190, 192, 235, 252, 253, 254, 255, 262, 263, 265, 266, 271, 301, 328, 329 Privilegium fori 309 Provinzial-Schulkollegien 234 Provinzialkonsistorien 113, 184, 185, 223, 225, 228, 231, 233, 238, 239, 240, 242, 243, 266, 276, 277, 280, 285, 331, 337, 360, 428, 445, 446, 452, 453, 455, 458, 481, 489, 544 Provinzialsynoden 138, 158, 162, 183, 191, 235, 253, 254, 257, 258, 259, 260, 261, 264, 266, 267, 323

593

Quäker 326, 379, 409 Rationalismus 73, 82, 83, 84, 394, 414 Reichsdeputationshauptschluß 309, 310, 378 Religionsedikt 18, 19, 39, 89, 219, 232, 287, 340, 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 374, 375, 376, 377, 378, 379, 380, 381, 383, 384, 385, 386, 389, 391, 392, 393, 395, 396, 397, 398, 399, 400, 402, 403, 404, 406, 408, 410, 412, 413, 422, 424, 430, 440, 441, 452, 457, 458, 459, 460, 468, 469, 472, 473, 475, 478, 481, 483, 484, 486, 487, 488, 489, 491, 492, 493, 494, 498, 500, 501, 502, 503, 505, 512, 516, 521, 524, 526, 527 Religionsfreiheit 31, 37, 103, 111, 112, 125, 293, 356, 357, 359, 383, 385, 390, 393, 398, 531, 535, 536, 542, Siehe auch Freie Religionsausübung, Gewissensfreiheit Religionsgesellschaften 30, 112, 136, 234, 240, 298, 304, 326, 327, 331, 357, 364, 374, 375, 391, 407, 531, 534, 535, 536, 537, 538, 539, 540, 542, Siehe auch Kirchengesellschaften Religionsparteien 34, 35, 63, 64, 69, 102, 117, 118, 136, 232, 234, 286, 292, 297, 322, 327, 330, 332, 333, 355, 357, 366, 387, 390, 533, 535, 536, 538, 539, 540, 542, 543 Restitutionstheorie 29 Rosenkreuzer 389, 400, 441, 479, 507, 508 Salus publica Siehe Staatsraison Schema Examinis 18, 410, 429, 430, 431, 434, 439, 466, 477, 527 Schmalkaldische Artikel 39, 171, 302 Separation der Lutheraner 297, 298, 299, 325, 517

594

Sachregister

Simultaneum 58, 63, 64, 67, 92, 94, 154, 159, 160, 201, 237 Simultangottesdienst 85 Socinianer 35, 352, 355 Staat im Staate 119, 531, 538 Staatskirche 24, 74, 100, 335, 354, 355, 360, 373 Staatsraison 77, 79, 80, 92, 97, 99, 103, 107, 108, 109, 116, 118, 122, 128, 129, 203, 205, 232, 364, 366, 411, 535, 545, 546 Staatszweck 30, 80, 119, 257, 531, 535, 536, 538, 545, 546, Siehe auch Staatsraison Stifter 79, 155, 225, 237, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 449, 544 Stiftskapitel 302, 308, 544 Summepiskopat 25, 28, 46, 55, 56, 79, 128, 212, 223, 509, 518 Summus episcopus 22, 26, 46, 56, 58, 62, 79, 87, 109, 211, 275, 394, 396, 510, 513, 515 Superintendenten 63, 70, 72, 89, 97, 124, 126, 142, 144, 147, 149, 151, 171, 173, 174, 175, 183, 184, 194, 226, 231, 233, 237, 239, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 253, 256, 257, 258, 261, 264, 267, 274, 276, 288, 295, 300, 331, 334, 453, 475, 515, 540 Territorialhoheit 28, 32, 49, 80, 85, 370, 372, 396, 418, 499, 512, 515, 539 Territorialismus Siehe Territorialsystem Territorialsystem 22, 29, 30, 31, 32, 57, 80, 82, 86, 90, 94, 99, 112, 119, 121, 122, 123, 128, 137, 193, 251, 254, 258, 260, 268, 316, 318, 329, 331, 333, 337, 366, 373, 376, 510 Territorialtheorie Siehe Territorialsystem Toleranz 30, 36, 37, 39, 64, 66, 69, 71, 84, 92, 103, 118, 127, 137, 287, 338, 354, 356, 378, 381, 383, 384, 400, 439, 499, 510, 534

Union 61, 69, 82, 84, 85, 86, 91, 92, 94, 95, 96, 97, 114, 118, 157, 161, 261, 262, 274, 275, 283, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 296, 297, 298, 300, 301, 322, 329, 337, 338, 355, 361, 517, 530, 541 Unionsagende 291, 292 Unionsbekenntnis 292, 301 Unionskirchen 85, 92 Vereinsaufsicht 31, 32, 332, 536, 537, 544, 546 Vernunftreligion 118, 123, 456, 490 Verwaltungsunion 289 Visitation 43, 47, 67, 88, 89, 98, 109, 154, 158, 159, 160, 173, 180, 189, 211, 251, 257, 457, 460, 462, 468, 471, 472, 473, 501, 511, 532 Visitation Siehe auch Generalvisitation Wahlkapitulationen 37, 38, 134, 378, 447, 534 Westfälischer Friede 26, 29, 35, 36, 37, 38, 63, 64, 67, 69, 71, 78, 90, 99, 108, 111, 134, 143, 146, 147, 148, 152, 160, 172, 186, 208, 284, 303, 307, 354, 355, 368, 378, 423, 512, 514, 533, 534, 542 Wiener Kongreß 168, 226, 231, 232, 280 Wormser Edikt 171 Wormser Konkordat 40 Wormser Matrikel 42 Zensur 18, 92, 112, 229, 258, 353, 361, 380, 381, 427, 437, 438, 445, 447, 448, 449, 450, 451, 461, 468, 470, 473, 477, 481, 524, 526 Zensuredikt 381, 429, 439, 445, 447, 448, 449, 450, 460, 461, 477, 522, Siehe auch Zensur Zivilagende Siehe Landesagende

358, 444, 455, 522, 446, 473,