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German Pages [408] Year 2017
GWZO Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V.
Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa Herausgebergremium: Arnold Bartetzky, Winfried Eberhard, Christine Gölz, Frank Hadler, Matthias Hardt, Christian Lübke, Stefan Troebst
Band 51
Das Kuttenberger Dekret von 1409 Von der Eintracht zum Konflikt der Prager Universitätsnationen von Martin Nodl
Aus dem Tschechischen übersetzt von Roswitha und Pavel Cervicek
2017 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Herausgegeben und gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. an der Universität Leipzig und des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. ˇ Kniha vychází za podpory Cesko-nˇ emeckého fondu budoucnosti.
Dieses Buch entstand im Rahmen eines Projektes der Grant-Agentur der Tschechischen Republik (P405/12/G148) mit dem Titel „Kulturní kódy a jejich promˇeny v husitském období“ („Kulturelle Codes und deren Veränderungen in hussitischer Zeit“).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Prager Universitätssiegel. Historisches Archiv des Erzbistums Köln (Slg. Beissel 4)
© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Redaktion und Korrektorat: Madlen Benthin, Leipzig Register: Madlen Benthin, Leipzig, und Maja Hetmank, Leipzig Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50565-3
Allen Unterlegenen
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
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Einleitung: Nation und Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johann Theobald Held und František Palacký . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Václav Vladivoj Tomek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Alexander Helfert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Adolf Konstantin von Höfler und František Palacký . . . . . . . . . . . Friedrich Matthaesius und Václav Novotný . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . František Michálek Bartoš versus marxistischer Dogmatismus . . . . . . . Renaissance der Forschung zur Prager Universitätsgeschichte in den 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Versöhnung der Nationen“ in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meinungen und Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuch einer neuen Interpretation: Rätsel, Unklarheiten und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursachen und Folgen der Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Concordia nacionum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III Vor dem Sturm: die goldenen neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stärkung der Universitätsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nation über den Nationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prager Reformbewegung und Rezeption der Wyclif’schen Lehre . . . . .
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IV Disziplinierung der Universitarier und Zuspitzung der Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Heidelberger Universität als Stütze des rechten Glaubens . . . . . . . . Johannes Malkaw in Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Verurteilung von Wyclifs Lehre an der Prager Universität . . . . . . . Abschwörung des Magisters Stanislaus von Znaim . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgenössisches Echo auf die Abschwörung des Stanislaus von Znaim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschwörung des Magisters Matthias von Knín . . . . . . . . . . . . . . . . . . In Böhmen gibt es keine Irrgläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Das Kuttenberger Dekret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brüchiger Waffenstillstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 13 13 17 19 23 26 29 30
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Inhalt
Stille Tage im Carolinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quodlibet des Magisters Matthias von Knín . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Weg zum königlichen Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am Vorabend der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das königliche Dekret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktiver versus passiver Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuspitzung der Konflikte und Durchsetzung des Dekretes . . . . . . . . . . . Sezession der Magister der drei deutschen Universitätsnationen . . . . . . Gründung der Leipziger Universität: vollkommene Tochter einer missratenen Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Universitätsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Erzbischof versetzt einen Schlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epilog: Ende der akademischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI Schluss: von der „Versöhnung der Nationen“ zum unversöhnlichen Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Kuttenberger Dekret. Deutsche Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vor wor t Jede historische Forschung, sofern sie den Historiker in seinem innersten Wesen anspricht, muss einen starken Impuls haben – eine Idee, in deren Hintergrund eher Zufälle und Erleuchtungen als die Lektüre der Romane von Walter Scott und Umberto Eco stehen. Ich muss zugeben, dass ich vor ein paar Jahren gar nicht auf die Idee gekommen wäre, mich der Geschichte der Prager vorhussitischen Universität zu widmen. Zwei Zufälle führten jedoch dazu, dass meine weitreichenden und manchmal zerstreuten Forschungen über die Sozialgeschichte der Städte, ehelichen Rituale oder die Gedankenbrüche in der Entwicklung (nicht nur) der böhmischen Geschichtsschreibung des 19. und des 20. Jahrhunderts in den Hintergrund traten und für eine Zeit lang Themen zu Wort kommen ließen, denen sich bei uns in Tschechien die renommiertesten Historiker widmeten und widmen. Den ersten Impuls gab die erneute Lektüre einer einmaligen und scheinbar ausgewerteten Quelle – der notariellen Akten des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag. 1 Vor 15 Jahren waren mir in dieser durch Ladislav Klicman perfekt zugänglich gemachten Quelle die Zeugenaussagen der ehemaligen Prager Universitarier aufgefallen. (Das Wort „Universitarier“, das sich in diesem Buch fast auf jeder Seite wiederfindet, ist eine Neubildung. Mit seiner Hilfe beabsichtige ich, die innere Verknüpfung der Studenten und Professoren zum Ausdruck zu bringen, die nur in ihrer gegenseitigen Verbindung den ganzen Universitätskörper ausmachten. Im Tschechischen und auch im Deutschen gibt es dafür bisher keinen Begriff.) Diese haben nämlich in Bezug auf die Ereignisse, welche dem Erlass des Kuttenberger Dekretes vorangingen, eine so überraschende Gleichgültigkeit gegenüber dem Zeitverlauf und gegenüber der „Wahrhaftigkeit“ ihrer Zeugenaussagen an den Tag gelegt, dass ich stutzig wurde. Meine mit einer inneren Spannung geschriebene, der Problematik des schwachen Gedächtnisses der Intellektuellen gewidmete Studie 2 und der zur selben Zeit entstandene Aufsatz über die Art der Zeitwahrnehmung bei Landbewohnern an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert 3 hatten ihr unheilvolles Schicksal. Ich hatte sie eigentlich für die in Vorbereitung befindliche Festschrift meines Lehrers, scharfen Kritikers und geschätzten Freundes František Šmahel geschrieben, die aus Anlass seines 60. Geburtstages erscheinen sollte. Da diese Festschrift jedoch jahrelang nicht erschien (erst 1994), ließ ich die Beiträge nach etwa fünf Jahren für die Festschrift eines Zeitgenossen von Šmahel, Pavel Spunar, „übersetzen“. Spunar rief
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Processus iudiciarius contra Jeronimum de Praga habitus Viennae a. 1410–1412. Hg. v. Ladislav Klicman. Pragae 1898. Nodl, Martin: Pamˇet’ a intelektuál [Das Gedächtnis und der Intellektuelle]. In: Septuaginta Paulo Spunar oblata (70 + 2). Hg. v. Jiˇrí K. Kroupa. Praha 2000, 376–384. ˇ a minulost ve vnímání vesniˇcan˚u pozdnˇe stˇredovˇekých Cech ˇ Nodl, Martin: Cas [Zeit und Vergangenheit in der Wahrnehmung der Dorfbewohner des spätmittelalterlichen Böhmen]. In: LF 121/3–4 (1998), 255–275.
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Vorwort
in der Zeit der sog. Normalisierung, also nach 1968/69, einen Mediävistik-Kreis ins Leben, der bei der Erforschung des Mittelalters in Tschechien den Ton angab und bis heute angibt (auch wenn viele seiner informellen Mitglieder bereits im tschechischen Mediävistikhimmel weilen). Gleichzeitig leitete er mit der ihm eigenen Noblesse die regelmäßigen Mediävistentreffen an der Prager Juristenfakultät, auf denen ich als der ewig Unzufriedene zu diskutieren und zu kritisieren lernte (beides habe ich hoffentlich beibehalten). Das Schicksal wollte es schließlich so, dass mein Beitrag in Spunars Festschrift gleich neben dem Text von Šmahel erschien, der nicht müde wird, mich an diese meine Umwidmung des eigentlich ihm zugedachten Jubiläumstextes ab und zu schadenfroh zu erinnern. Als ich jenen von Klicman herausgegebenen Band zum Wiener Inquisitionsprozess gelesen und ausgewertet hatte, glaubte ich nicht, je wieder zu ihm zurückzukehren, da man nach den Studien von Jiˇrí Kejˇr, František Šmahel und Alfred A. Strnad nichts Weiteres darin finden könne. Wie öfters habe ich mich jedoch geirrt. 2007 fand ich nämlich darin etwas, was ich nie gesucht hatte, und zwar die Möglichkeit einer neuen Auslegung des Begriffes, der im ganzen Buch anklingt: concordia nacionum. Die Aussagen der Prager Universitarier brachten mich auf den Gedanken, sämtliche Quellen und die ganze Literatur erneut zu studieren, welche dem Streit um die Besetzung der Präbenden in den Magisterkollegien von 1384 bis 1390 und seiner scheinbar klaren Auslegung gewidmet sind. Seine Aufmerksamkeit auf schon erforschte Themen zu richten, kann langweilig sein und in eine Sackgasse führen. Der Historiker wiederholt dann nur mit eigenen Worten, was bereits anderswo geschrieben worden ist, zitiert ab und zu etwas, am häufigsten neue Arbeiten. Die Rückkehr zu bereits gut erforschten Themen kann aber auch zu einem Abenteuer werden, das den Historiker einige Jahre in Atem hält und dem er v. a. einsame Abende und schlaflose Nächte widmet. Und gerade als ein solches Thema hat sich die concordia nacionum herausgestellt. Zur Verstärkung dieses Gefühls trug auch ein zweiter, mit dem Studium des ältesten Manuskriptes der Prager Universitätsstatuten verbundener Zufall bei. Ich war nicht der erste, der drei fast vollkommen ausgekratzte Pergamentfolien (10 r–11 r) im Manuskript XIV D 25 der Prager Nationalbibliothek bemerkt hat. Durch den Entzifferungsversuch der nur schwer lesbaren Buchstaben und durch die Suche nach allen möglichen Alternativen kam ich am Ende zu dem Schluss, dass sich auf diesen drei Seiten das Abkommen über die Besetzung der Präbenden in den Magisterkollegien befand sowie die Vereinbarung zwischen den vier Prager Universitätsnationen über die Einhaltung der Eintracht, also jene concordia nacionum. Die siegestrunkenen böhmischen Magister ließen sie nach 1409 bei der Reform der Statuten und des Schwurs von Rektor und Studenten tilgen. Dahinter stand die Absicht, beide Abmachungen für immer aus dem Universitätsgedächtnis zu verbannen. In diesem Buch versuche ich v. a. zu zeigen, dass beide Verträge bzw. beide Vereinbarungen zwei vollständig eigenständige Akte darstellten, wobei der zweite und bedeutendere, die concordia nacionum, weitreichende Folgen für die gesamte Prager Universitätsgeschichte besaß. Ferner stelle ich die allgemein tradierte These in Frage, der Streit um die Besetzung der Magisterkollegien sei das Vorspiel zum Streit um das
Vorwort
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Kuttenberger Dekret. Aufgrund analytischer Sonden und manchmal sehr hypothetischer Interpretationen bemühe ich mich um den Nachweis, dass jener Streit aus den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts nur in sehr beschränktem Maße national motiviert war. Nach der dieses Buch prägenden These herrschte bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts im Gegenteil Eintracht zwischen den Universitätsnationen, also das Bemühen, einen Modus Vivendi zu suchen, in dem Gruppen- und „ständische“ korporative Interessen (und bisweilen auch zugespitzte Spannungen) eine viel größere Rolle spielten als nationale. Meine Arbeit soll erklären, wie die nationalen Aspekte nicht nur von den Akteuren des Streites um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes, sondern auch von den meisten modernen Historikern in die Vergangenheit zurückprojiziert wurden. Sie ließen sich dabei von den Glossatoren des Jahres 1409 verführen. Vor allem aus diesem Grund entstand der zweite, den Ursachen und den Folgen des Kuttenberger Dekretes gewidmete Teil des vorliegenden Buches. Da ich das Kuttenberger Dekret für ein prägnantes Diskontinuitätsmoment in der Prager Universitätsgeschichte halte, bedingt durch die zeitgenössischen Ereignisse der Jahre 1408/09, mache ich in erster Linie auf die problematischen Stellen im Verständnis der böhmischen Reformation aufmerksam: auf das allmähliche und sehr langsame Eindringen der nationalen Aspekte in die philosophischen Streitigkeiten zwischen den Prager Realisten und Nominalisten sowie auf die Maßregelung der Prager Universitätsreformer durch Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg. Gleichzeitig versuche ich zumindest anzudeuten, dass die zeitweilige Unterstützung der Reformströmung der Prager Universität durch den königlichen Hof mit der nicht ganz offenen Absicht Wenzels IV. zusammenhing, den Gallikanismus in Böhmen durchzusetzen. Dies steht auch im Hintergrund der königlichen Unterstützung der böhmischen Universitätsnation – sowohl im Streit mit den übrigen Universitätsnationen im Jahre 1409 als auch im Streit mit dem der römischen Autorität treuen, Neutralität und Konziliarismus ablehnenden Erzbischof von Prag und mit seinem Kapitel, das zwar von national indifferenten, jedoch antiwiklifitisch eingestellten und reformfeindlichen Prälaten und Klerikern besetzt war. Das Ergebnis ist ein Buch, das nicht auf eine erschöpfende Darstellung der Prager Universitätsgeschichte an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert zielt, sondern auf einige mit den beiden großen Konflikten zwischen den Prager Universitariern verknüpfte Phänomene hinweist, ihre gegenseitige Bedingtheit in Zweifel zieht und auf eine neue Weise die Bedeutung des Nationalismus und des nationalen Bewusstseins in der Welt der mittelalterlichen Intellektuellen interpretiert. Ganz bewusst betone ich hier die Suche nach einem Modus Vivendi zwischen den Angehörigen der verschiedenen Universitätsnationen, nach der Aufrechterhaltung der brüchigen Zusammenarbeit, die vom Bedürfnis der Versöhnung und der Konfliktbeilegung auch um den Preis erzwungener Kompromisse ausgeht. So hatte es einst Karl IV. intendiert. Gleichzeitig vertrete ich die These, dass der unversöhnliche und durch das Kuttenberger Dekret hervorgerufene Konflikt keine Sieger hatte und haben konnte. Die aktive böhmische Minderheit an der Universität wurde plötzlich zur Mehrheit und war nicht darauf vorbereitet, augenblicklich anstehende Probleme zu lösen. Der scheinbare Sieg der böhmischen Magister, die zu Mitläufern der unerforschlichen Politik Wenzels IV. geworden waren, der sich in den folgen-
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Vorwort
den Jahren das Recht anmaßte, in das Universitätsleben und auch in die religiösen Streitigkeiten einzugreifen, führte schließlich zum Niedergang der Prager Universität. Dieser zeigte sich sowohl im Verlust ihres Universitätscharakters als auch im nachlassenden Interesse an einer Universitätsausbildung. Die Prager Universitätsmagister blieben zwar die treibende Kraft der böhmischen Reformation. Sie versuchten, philosophisch, theologisch und naturrechtlich verankerte Ideale in die Praxis umzusetzen. Fast zwei Jahrzehnte waren sie jedoch Magister ohne Schüler. Sie entbehrten daher des natürlichen Korrektivs, das allein einen ausgewogenen Zustand zwischen dem Traum und der Realität des Möglichen finden kann. Für unzählige Ratschläge bin ich František Šmahel verpflichtet, der mich wiederholt dazu ermunterte, das Buch zum Kuttenberger Dekret zu Ende zu schreiben, und immer bemüht war, meine Skepsis zu mildern. Seinen Anteil an der Vollendung des vorliegenden Buches hat auch Martin Wihoda, mein enger Freund. Er brachte mir eine Engelsgeduld entgegen, die er hoffentlich nie bedauern wird. Kein Buch, also auch nicht dieses, kann ohne Diskussionen über den noch nicht fertigen Text entstehen. Sie zwingen den Autor, auf etwas zurückzukommen, das er bereits für „perfekt“ gelöst hielt. Für die freundliche Hilfe bei der Suche nach Worten und bei der Vermittlung von in unzugänglichen Bibliotheken verborgener Literatur danke ich daher Jan Hrdina, Jitka Komendová, Pavlína Rychterová, Pavlína Cermanová, Jaroslava Hausenblasová, Paweł Kras, Michal Svatoš und Vladimír Urbánek. Die Übersetzung der tschechischen Ausgabe übernahmen dankenswerterweise Roswitha und Pavel Cervicek. Die Zitate aus tschechischsprachigen Werken wurden, soweit keine publizierte deutsche Übersetzung vorliegt, direkt übersetzt. Herzlich danken möchte ich zudem Madlen Benthin für Ihre umsichtige Redaktion der deutschen Ausgabe sowie Winfried Eberhard und dem Kreis der Herausgeber der „Forschungen zur Geschichte und Kultur des Östlichen Mitteleuropa“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, die es ermöglichen, dass das „Kuttenberger Dekret“ nun auch einem deutschen Leserkreis zugänglich wird. Jedes Buch entsteht jedoch zuvorderst in der Abgeschiedenheit des Autors, begleitet von seinen Zweifeln über die Berechtigung der ausgesprochenen Bewertungen oder über die zu große Eindeutigkeit der Interpretationen. Aus dieser notwendigen Abgeschiedenheit holten mich aber alltäglich Anežka und Eliška hervor, die mich in ihre Märchengeschichten hineinnahmen und denen ich viel verdanke und noch mehr schulde – auch wenn ich bestrebt war, sie durch das Verfassen des vorliegenden Buches und durch die damit verbundenen ewigen Reisen zwischen Lissa an der Elbe (tschech. Lysá nad Labem) und Prag (tschech. Praha) um keine Minute ihres Lebens zu bringen.
I Einleitung: Nation und Ideologie Das Zusammenleben der Universitätsnationen an der Prager vorhussitischen Universität wird unter dem Einfluss der mit dem Erlass und der Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes verbundenen Ereignisse als konfliktbehaftet angesehen. Die späteren Reaktionen der ehemaligen Prager Universitarier, die nach dem Jahre 1409 v. a. an der Leipziger und Wiener Universität wirkten, ebenso die Reaktionen der böhmischen Magister, die den Abgang der Deutschen priesen, hauchten dem Zusammenleben der Nationen an der Prager Universität einen xenophoben Nationalismus ein, dessen Wurzeln bis in die achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zurückreichen sollen. Insofern betrachtete man den Streit um die Besetzung der Präbenden in den Magisterkollegien, der in den letzten Monaten des Jahres 1384 begann, als die erste Äußerung national motivierter Spannungen. Die retrospektive Betrachtung der Beziehungen zwischen den Universitätsnationen war sowohl tschechischen als auch deutschen Historikern eigen. Nur wenige von ihnen schafften es dabei, den ständigen Kurzschluss zu vermeiden, der zwischen den Jahren 1384 und 1409 eine Parallele sieht. Dabei gilt das Kuttenberger Dekret geradezu leitmotivisch als logischer Höhepunkt der lange Zeit anhaltenden nationalen Streitigkeiten an der Prager Alma Mater, also der Auseinandersetzungen zwischen der zahlenmäßig ständig anwachsenden nacio bohemorum und den anderen drei Universitätsnationen, die hier zusammenfassend als nacio teutonica bezeichnet werden. Die Anfänge dieser Deutung reichen in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, namentlich zu František Palacký, Václav Vladivoj Tomek, Joseph Alexander Helfert und Karl Adolf Konstantin von Höfler, ganz ohne Rücksicht darauf, zu welchen Bewertungen diese so unterschiedlichen Historiker kamen.
Johann Theobald Held und František Palacký Zum Gegenstand der historiographischen Forschung und zum Problem der national motivierten Streitigkeiten, in deren Hintergrund der Gegensatz zwischen dem Landes- und dem Nationalprinzip stand, wurde das Kuttenberger Dekret Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts. In den akademischen und bildungsbürgerlichen Diskurs beförderte es Johann Theobald Held, Professor der Prager Medizinischen Fakultät. Anlässlich seiner Inauguration als Rektor am 4. November 1826 wählte er das Kuttenberger Dekret zum Gegenstand seiner Rede. Die Exzerpte aus den Quellen und der Literatur übernahm für ihn der junge František Palacký, der Held als den Hausarzt der Familie Mˇechura kannte. 4 Ihr Verhältnis im Jahr 1826 wird detail4
Meine Annahme von František Palackýs Anteil an Johann Theobald Helds Text basiert auf: Kuˇcera, Karel: Pˇríspˇevek k rektorskému roku Jana Theobalda Helda [Beitrag zum Rektorjahr des Johann Theobald Held]. In: AUC – HUCP 1 (1960), 171–190.
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Einleitung
liert durch Palackýs Tagebücher dokumentiert; diese enthüllen außerdem die Art und Weise, in der Palacký Held half. Der Autor der ursprünglich in Deutsch geschriebenen Inaugurationsrede war aller Wahrscheinlichkeit nach Held selbst. So scheint auch deren überraschende These, der Erlass des Kuttenberger Dekretes und der darauffolgende Auszug der Deutschen hätten in der Folge zur Stärkung der bestehenden deutschen und zur Gründung neuer Universitäten beigetragen, auf ihn zurückzugehen. Eine wohltuende Wirkung habe das Dekret auf die Reformation ausgeübt, da es in Böhmen durch den Auszug der Deutschen den modernen Reformationsgedanken zu entfalten half. Held behauptet, wohl durch den jungen Palacký inspiriert, dass die national motivierten Streitigkeiten an der Prager Universität älteren Datums seien und nach dem Tod Karls IV., der die Prager Universitätsverwaltung nach dem Vorbild der Pariser Universität gestalten ließ, begonnen hätten. 5 Der König, der im Geiste der Aufklärung als weiser Monarch über das Land herrscht und die Ratschläge der Gebildeten in seiner Umgebung befolgt, war für Held die zentrale Gestalt der gesamten Prager Universitätsgeschichte – Karl IV., der die Universität gründete und sie in vier Nationen gliederte, gleichermaßen wie Wenzel IV., sein Sohn, der den Löwenanteil am Erlass des Kuttenberger Dekretes besaß. Nicht Johannes Hus ist hier – wie noch bei den deutschen Chronisten – der Urheber des Bösen, sondern Wenzel IV., der seine eigene Position stärken wollte und auf die nationalen Streitigkeiten an der Universität mit dem Kuttenberger Dekret als Höhepunkt reagierte. Diese Neubewertung brachte Held in Konflikt mit der österreichischen Zensur, die für religiöse Toleranz und eine national-heroische Auslegung des Hussitismus keinerlei Verständnis hatte. Das Gleiche, wenn auch in viel größerem Umfang, wiederholte sich bei Palacký, als er sich beim Verfassen des dritten Teiles seiner „Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren“ den strengen Prager Zensoren beugen musste. 6 Wenn man die Passagen seiner Auslegung der Ereignisse liest, die dem Erlass des Kuttenberger Dekretes vorangingen und die seine Inkraftsetzung herbeiführten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles Wesentliche bereits bei Held zu finden ist – durch Palackýs Feder und Gedanken geführt. Das Novum bei Palacký stellen nur zwei Aspekte dar: die Fatalität des Dekretes sowie die Betonung und Hervorhebung der national motivierten Spannung an der Universität und im ganzen Land seit den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts: „Ein starker Andrang der Ausländer, und insbesondere der Deutschen, während des ganzen XIV. Jahrhunderts, sowohl nach Prag als auch nach Böhmen insgesamt, und insbesondere an die Prager Universität, musste auch nationale Reibungen und Streitigkeiten verursachen, die später zu einer großen und fast entscheidenden Wirkung
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Die Originalität von Johann Theobald Helds Ansichten sowie die heuristische Hilfe seitens Max Millauers und Josef Jungmanns betonte nach Jahren selbst Palacký, Franz: Die Geschichte des Hussitenthums und Prof. Constantin Höfler. Kritische Studien. Prag 1868, 92. Dazu Koˇralka, Jiˇrí: František Palacký (1798–1876). Životopis [František Palacký (1798–1876). Biographie]. Praha 1998, 220–228.
Johann Theobald Held und František Palacký
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anwuchsen.“ 7 Die Luxemburger-Könige führten laut Palacký immer mehr Ausländer nach Böhmen, weil sie in diesen eine Art Gegenpol im Konflikt mit dem Adel erblickten: „Nicht nur, dass die Ankömmlinge in Bezug auf die einheimische Bevölkerung keinen Ausgleich, keine Versöhnung und keine Freundschaft suchten, sondern sie versuchten, sich durch ihre oft beleidigende Überheblichkeit sowohl Vorteile als auch Vorherrschaft zu verschaffen. Auch an der Prager Universität, weil sie dort ein zahlenmäßiges Übergewicht hatten, verteilten sie unter sich die ehrenvollen Posten und die damit verbundenen Einkünfte so, dass die Tschechen unter ihnen von ihrer Gnade abhängigen Gästen und Fremden in der eigenen Heimat ähnelten.“ 8 Dies bildet Palacký zufolge die Ursache des Streites von 1384, den der König und der Erzbischof von Prag angeblich gemeinsam schlichten mussten. Für die weitere Entwicklung besitzen nach Palacký zwei Tatsachen entscheidende Bedeutung: erstens Wenzels Absetzung im Reich und sein Streit mit dem einheimischen Adel, mit den österreichischen Herzögen, mit dem Gegenkönig Ruprecht und mit Sigismund von Luxemburg; zweitens die Anknüpfung der bereits älteren Reformbestrebungen der böhmischen Magister an die Lehre des John Wyclif. Den ausschlaggebenden Impuls zum Erlass des Dekretes hätten jedoch erst die Einberufung des Konzils nach Pisa und die unterschiedliche Haltung der Universitätsnationen zur Entsendung von Vertretern bzw. zur Neutralitätserklärung gegenüber den beiden Päpsten geliefert. Diese begrenzte Wenzel IV. laut Palacký in seinem Bestreben, erneut als rechtmäßiger römischer König anerkannt zu werden. Wenzel IV. sah sich also wegen der Haltung der deutschen Magister und wegen der ablehnenden Haltung des Erzbischofs von Prag, Zbynko Zajíc von Hasenburg, vor eine grundsätzliche Entscheidung gestellt, die dann einen fatalen Charakter annahm. Denn zu jenem Zeitpunkt ging es nicht nur um „den Fortschritt oder die Unbeweglichkeit im Leben der Christenheit als solcher, vielmehr sollten die alten Bestrebungen der böhmischen Reformer entweder obsiegen und gestärkt oder endgültig verworfen werden; ja auch der nationale Zwist zwischen den Tschechen und den Deutschen an der Universität sollte gelöst werden“. 9 Also ein Entweder-oder, entweder siegen oder endgültig besiegt werden. Alles hing von Wenzel und der aktiven Haltung der böhmischen Magister ab. Hätte der König das Dekret nicht erlassen, wäre der Fortschritt der Reform gänzlich zum Stillstand gekommen! Wäre das Stimmenverhältnis an der Universität erhalten geblieben, hätten die Böhmen den Aufstieg in der Universität nie geschafft. Vielleicht wären sie für immer eine unfreie Nation geblieben! Und zwar nicht nur als eine Universitätsnation, sondern auch als eine politische Nation. Laut Palacký sprach jedoch alles an der Universität für eine Veränderung, da wegen neuer Universitätsgründungen die Zahl der Studenten der „drei ausländischen Nationen“ immer mehr abnahm, wodurch die Ungerechtigkeit der rechtlichen Verhältnisse zwischen den Nationen offensichtlich und himmelschreiend wurde. Den 7 8 9
ˇ Palacký, František: Dˇejiny národu cˇ eského v Cechách a v Moravˇe [Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren]. Bd. 3/1. Praha 1928, 37. Ebd., 38. Ebd., 67.
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Einleitung
zeitgenössischen Chronisten folgend behauptet Palacký dann, dass sich die Deutschen den Tschechen gegenüber überheblich benommen und diese unterdrückt hätten. 10 In ihrer Anmaßung und Überheblichkeit hätten es die Magister der drei Nationen – im Übrigen treue Anhänger des Gegenkönigs – abgelehnt, Papst Gregor XII. zu verwerfen und sich zur Neutralität zu bekennen: „Es kam der kritische Zeitpunkt für reformatorische, als auch nationale Bewegungen; die Überheblichkeit, Herrschsucht und Überlegenheit der Deutschen konnte man in Prag entweder jetzt, mit Hilfe des erzürnten Königs, oder nie wieder aufheben.“ 11 In diesem schicksalhaften Moment hätten die Tschechen zu handeln begonnen, auch wenn ihr Sieg unsicher schien. Der König sei wankelmütig gewesen und habe Johannes Hus und Hieronymus von Prag noch vor dem Erlass des Dekretes mit dem Scheiterhaufen gedroht. Hätte es Nikolaus von Lobkowitz nicht gegeben – so Palacký treu dem Zeugnis Hussens, Nikolaus habe den König davon überzeugt, dass „das Übergewicht der deutschen Nationen nicht auf dem Gesetz, sondern nur auf einer Sitte begründet ist“ 12 –, wäre wohl alles zu Gunsten der Deutschen ausgegangen, und zwar auch noch nach dem Erlass des Dekretes, als der König gemeinsam mit seinen Höflingen bereits zur Aufteilung der Universität in eine böhmische und eine deutsche neigte. 13 Über die Logik dieser Auslegungslinie zerbrach sich Palacký (wie auch seine Nachfolger) jedoch nicht den Kopf. Er stellte lediglich fest, dass die Deutschen nicht bereit gewesen seien nachzugeben und deshalb die Wahl der Universitätswürdenträger vereitelt hätten. Dies habe den König erneut in Rage gebracht und zum Entschluss bewogen, das Dekret durch die Einsetzung eines neuen Rektors und eines neuen Dekans der Artistenfakultät umzusetzen. Danach hätten die Deutschen nichts anderes tun können, als ihrem gleich nach dem Erlass des Dekretes geleisteten Schwur Folge zu leisten und in Eile Prag zu verlassen. Die Sezession bezeichnet Palacký, der sonst konsequent von Wenzels Dekret spricht, als „Umzug“. Ihre Folgen bewertet er allerdings wie Held, auch wenn die Nachteile für die einheimische deutsche Bevölkerung damals entschieden größer als die Vorteile waren. Prag habe aufgehört, die Hauptstadt des Reiches und der Bildung zu sein. Der Strom der Gelehrsamkeit aus Prag in die umliegenden Länder sei versiegt. In Prag selbst habe der „Auszug der Deutschen“ zudem einen wirtschaftlichen Rückschlag verursacht, der sowohl die Kaufleute als auch die Bürger traf, die von der Vermietung von Wohnungen an Deutsche lebten, unter denen es eine ganze Reihe vermögender Studenten gab. Die Deutschen insgesamt hätten durch den „Auszug“ der Studenten und Magister derart gelitten, dass sie sich in Böhmen einige Jahrhunderte lang nicht erholen konnten. Auch in dieser Hinsicht war also das Kuttenberger Dekret laut Palacký eine Tat mit fatalen Folgen. Auf der anderen Seite räumt auch Palacký ein, dass die deutschen Universitäten dank der Prager Zuwanderer neue Kräfte
10 11 12 13
Ebd., 68. Ebd., 69. Ebd. Ebd., 70.
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geschöpft hätten: „Der wissenschaftliche Geist der Deutschen, indem er nicht unter dem Einfluss der Hauptstadt stand, fing an, sich selbständiger und allseitiger zu entwickeln.“ 14 Dadurch sprach er – gleichsam nebenbei – der Prager Universität vor 1409 eine hohe Qualität und einen hohen Standard zu, woran nicht nur die böhmischen Reformer, sondern auch die deutschen, nominalistisch orientierten Magister ihren Anteil hatten. Letzte habe die gespannte Lage in Prag und im ganzen Königreich eher eingeengt, und erst die neue Umgebung habe ihnen die Möglichkeit gegeben, ihr Können voll zu entfalten, auch wenn es oft ausschließlich gegen die Prager Reformer gerichtet gewesen sei. Das Ende der deutschen Dominanz habe den böhmischen Magistern die freie Entfaltung ihrer reformatorischen Ideen ermöglicht, deren Intensität und Auswirkungen auf das kirchliche Leben einigen Magistern nicht passten, die sich zuvor selbst für eine Änderung der Stimmenverhältnisse an der Universität eingesetzt hatten. Bei Palacký, der gelegentlich Urteile und Ansichten von Hus wiedergibt, spielen die nationalen Aspekte des Streites eine Führungsrolle. Das Grundprinzip aber, das er wählt, ist das Landesprinzip, und zwar wohlwissend, dass der Abgang der deutschen Magister und Studenten bis zu einem gewissen Grad die wirtschaftliche Stellung der Hauptstadt geschwächt hatte und eine deutlich nationale Spannung in den bürgerlichen Kreisen hervorrufen konnte. Man muss jedoch hinzufügen, dass über allem Palackýs Wahrnehmung des Kuttenberger Dekretes und seiner Durchsetzung als ein fatales Moment der böhmischen Geschichte thront, das auf prägnante Weise über die Zukunft des Königreiches und der tschechischen Nation entschied, v. a. dank dem Mut der führenden böhmischen Persönlichkeiten an der Universität und in den höfischen Kreisen.
Václav Vladivoj Tomek „Die Geschichte der Prager Universität“, parallel auf Deutsch und Tschechisch im Jahre 1849 veröffentlicht, gehört durch ihre Auswertung bis dahin unbekannter oder übersehener Quellen zu dem Bedeutendsten, das Václav Vladivoj Tomek geschrieben hat. Obwohl die Niederschrift der Universitätsgeschichte ein Ergebnis zusammenwirkender Zufälle und für Tomek auch ein Weg aus materieller Not war, 15 stellt sie in ihrer Zeit eine historiographische Arbeit von grundsätzlicher Bedeutung dar. Sie eröffnete dem jungen Adepten der Historie den Weg in die akademische Welt und war ein Meilenstein bei seinem allmählichen Heraustreten aus Palackýs Schatten.
14 Ebd., 71. 15 Nodl, Martin: Václav Vladivoj Tomek a František Palacký. Pohled do badatelské dílny a myšlení o dˇejinách [Václav Vladivoj Tomek und František Palacký. Einblick in die Forschungswerkstatt und das Denken über die Geschichte]. In: W. W. Tomek, historie a politika (1818–1905). Sborník pˇríspˇevk˚u ˇ královéhradecké konference k 100. výroˇcí úmrtí W. W. Tomka. Hg. v. Miloš Rezník. Pardubice 2006, 87–110, hier 88–92, und in: Ders.: Dˇejepisectví mezi vˇedou a politikou. Úvahy o historiografii 19. a 20. Století. Brno 2007, 11–33.
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Beim Schreiben der Passagen, die das Jahrzehnt vor dem Erlass des Dekretes und das Krisenjahr 1409 betrafen, hatte Tomek sicher den dritten Teil von Palackýs „Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren“ vor Augen und ließ sich in vielerlei Hinsicht durch ihn leiten. Daher ist es überraschend, dass Tomek im Unterschied zu Palacký nicht vom königlichen Dekret spricht und stattdessen die Ausdrücke „königliches Schreiben“, „königlicher Befehl“ bzw. „königliche Urkunde“ benutzt. Allerdings braute sich auch seiner Ansicht nach der Streit unter den Magistern der Prager Universität langsam zusammen. 16 Vollends sei dieser erst in dem Augenblick ausgebrochen, als Wenzel IV. von der Universität verlangte, sich in Bezug auf das päpstliche Schisma zur Neutralität zu bekennen, sich also de facto von Papst Gregor XII. loszusagen. Nachdem im Dezember 1408 offenbar geworden war, dass sich die Mehrheit der deutschen Magister gegen das Pisaner Konzil wenden würde, schöpften die böhmischen Magister laut Tomek Hoffnung, im Rahmen der Universität einen größeren Machtanteil erlangen zu können, zumal der König gegenüber den deutschen Magistern wegen ihrer Haltung Missfallen zeigte. Das am 18. Januar 1409 erlassene königliche Dekret, das Tomek als eine Reaktion auf die Haltung der Deutschen betrachtet, stand nicht im Einklang mit der ursprünglichen Absicht Karls IV., die Hohe Schule allen Nationen gleichermaßen zu öffnen und zwischen den „Einheimischen“ und den „Auswärtigen“ keinen Unterschied zu machen. 17 Tomek fügt hinzu, ein solcher Zustand habe immer mehr dem Wohl der böhmischen Nation widersprochen. Wenzel IV. als der Hauptakteur handelte ihm zufolge zwar nach dem augenblicklichen Bedarf, gleichzeitig tat er jedoch dem uralten Wunsch der großen Mehrheit der Nation Genüge. Hier zielt Tomek allerdings nicht auf die Nation als nacio bohemorum, sondern auf die tschechische Nation als solche. Das dokumentiert auch seine Feststellung, die Universität sollte somit zum „Vermögen der Nation“ werden. Den Weggang der Deutschen nach der Einsetzung des neuen Rektors der Dreifakultätenuniversität und des neuen Dekans der Artistenfakultät bezeichnet Tomek konsequent als „Auszug“. Durch den Weggang habe die Universität zwar ihren althergebrachten Ruhm verloren. Jedoch, so stellt er im selben Atemzug fest, habe die böhmische Nation bis zur Änderung der Stimmenverteilung in den Universitätsgremien den wenigsten Nutzen davon besessen und den meisten geistigen Schaden genommen. Die Prager Hohe Schule sei angeblich ganz auf „Kosten der böhmischen Nation unterhalten“ worden. So scheint es zunächst, als ob Tomek in allen seinen Grundthesen an Palacký anknüpft. Sein Seufzer jedoch, durch den Auszug der Deutschen sei „der Ruhm der Institution für immer untergegangen“, 18 lässt schließlich klar erkennen, dass die Folgen des Kuttenberger Dekretes sowohl für die Universität als auch für das ganze Land tragisch waren. Er stellt also nicht die Fatalität des Sie16 Tomek, W. Wladiwoje [Václav Vladivoj]: Dˇeje university pražské. 1348–1409 [Geschichte der Prager Universität. 1348–1409]. Praha 1849, 148 [deutsche Ausgabe: Geschichte der Prager Universität. Prag 1849]. 17 Ebd., 151. 18 Ebd., 153.
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ges wie bei Palacký heraus, sondern den untergegangenen Ruhm, wie es in Hussens Konflikt mit dem Erzbischof von Prag zum Ausdruck kommt. In seiner Universitätsgeschichte bringt Tomek im Geiste seines methodologischen Zugangs zur Geschichte insgesamt konsequent seine Meinungsneutralität zum Ausdruck, für welche die Symbiose des Landes- mit dem Nationalprinzip kennzeichnend ist. Von dieser Neutralität wich Tomek auch Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts bei seiner umfangreichen und systematischen Darstellung der vorhussitischen Geschichte im dritten Band der „Geschichte der Stadt Prag“ nicht ab. Der durch Karl Adolf Konstantin von Höflers scharf antitschechisches Auftreten hervorgerufene Streit berührte Tomek nur in dem Punkt, als er im Vergleich zu seiner Universitätsgeschichte vom Ende der vierziger Jahre nun stärker Hussens Einfluss auf den Erlass des Dekretes betont (dies kann aber auch durch die Darstellung Joseph Alexander Helferts beeinflusst worden sein). Tomeks Meinung nach verteidigte Hus dabei lediglich die Interessen der böhmischen Magister und der böhmischen Reformer. 19 Sein Auftreten entbehrte in jedem Fall des xenophob-nationalen Stachels und sollte vielmehr zur Stärkung des tschechischen Nationalbewusstseins beitragen. Stärker als in seiner Universitätsgeschichte hebt Tomek nun die naturrechtliche Argumentation des Herrschererlasses und seiner Verteidiger im Lager der böhmischen Magister hervor. Terminologisch bleibt er aber seinem Konzept aus der Mitte des 19. Jahrhunderts treu und spricht auch in der „Geschichte der Stadt Prag“ entweder von „königlicher Urkunde“ oder „königlicher Anordnung“.
Joseph Alexander Helfert Ein oft übersehener Autor, der aber in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Auslegung des Kuttenberger Dekretes entscheidend beeinflusste, ist Joseph Alexander Helfert. Zunächst als Freiherr, später als Baron, wirkte er in den Jahren 1848– 1861 als staatlicher Untersekretär im Wiener Ministerium für Kultus und Unterricht. Dort war er an der Ausformung der Politik von Minister Leo Graf von Thun-Hohenstein und der wienfreundlichen böhmischen Partei beteiligt, in der Josef Jireˇcek und Václav Vladivoj Tomek jeweils eine der Hauptrollen spielten. 20 Übrigens geriet Tomek dank Helfert in das Blickfeld von Thun-Hohenstein, diesem verdankte er auch seine Professur an der Prager Universität. Helfert war kein ausgebildeter Historiker (er hatte die Juristenfakultät absolviert). Das hinderte ihn aber nicht daran – ganz im Geiste der zeitgenössischen Wahrnehmung der Historie eher als Kunst denn als
19 Ders.: Dˇejepis mˇesta Prahy [Geschichte der Stadt Prag]. Bd. 2. Praha 1871; Bd. 3. Praha 21893; Bd. 5, Praha 21905, hier Bd. 3, 468–474 (die erste Ausgabe des dritten Teiles erschien im Jahre 1875). 20 Treffend Kuˇcera, Jaroslav: Historik a politika. V. V. Tomek a ministerstvo kultu a vyuˇcování 1848– 1863 [Der Historiker und die Politik. V. V. Tomek und das Kultus- und Unterrichtsministerium 1848– 1863]. In: W. W. Tomek (wie Anm. 15), 59–67; Ders.: Konzervativní pouˇcení z revoluce: Politická kariéra J. A. Helferta [Konservative Belehrung aus der Revolution: die politische Karriere J. A. Helferts]. In: MD 14 (2006), 309–321.
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Wissenschaft –, sich auf eine heftige Polemik gegen Palackýs Interpretationsrichtung einzulassen, und zwar ausschließlich vom ideellen Standpunkt aus. Wie er aber selbst zugab, geht seine in Prag 1853 erschienene Studie mit dem Titel „Hus und Hieronymus“ v. a. von Tomeks Universitätsgeschichte und von Palackýs „Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren“ aus. Erst nach der deutschen Herausgabe seines Werkes machte er sich, angeregt von Jan Erazim Vocel und Karl Adolf Konstantin von Höfler, mit einigen neuen, Palacký unbekannten Quellen vertraut. Speziell durch die „Defensio mandati“ des Johannes von Jessenitz inspiriert entschied er sich, den früher gesammelten Stoff zu Hussens Lebenslauf neu aufzuarbeiten und 1857 in der Neuböhmischen Bibliothek des Museums des Königreichs Böhmen zu veröffentlichen. Unter Palackýs Einfluss nennt Helfert die königliche Verordnung bezüglich des Stimmenverhältnisses an der Prager Universität „Dekret“, genauer „schicksalhaftes Dekret“, 21 durch welches das bisherige Verhältnis umgekehrt worden sei. Palacký ist auch Helferts „Hauptquelle“ für die Schilderung der Ereignisse vor dem Erlass des Dekretes. Wenzels Eingriff in die Universitätsverhältnisse sieht er hauptsächlich begründet in der Haltung des Königs zum Pisaner Konzil, in der Ablehnung der Neutralität durch die Universität im Dezember 1408 und in der aktiven Einflussnahme der Gesandten des französischen Königs in Kuttenberg. Die nationale Partei, die zu jenem Zeitpunkt ihre Vertreter sowohl an der Universität als auch am Hof des Königs hatte, habe die entstandene Lage ausgenutzt und sei vor den König getreten mit der Bitte um Änderung der Stimmenaufteilung an der Universität. Laut Helfert geschah dies jedoch nicht zum ersten Mal in der Universitätsgeschichte. Eine Änderung des Stimmenverhältnisses in den Universitätsgremien strebten nach seiner Ausführung auch die böhmischen Magister an, die im Jahre 1384 den Kampf um die Präbenden in den Magisterkollegien ausfochten. Im Geiste moderner staatsrechtlicher Auffassungen hält Helfert beide Forderungen vom Jahre 1409 für berechtigt. Denn die Spannungen an der Universität, bereits in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens spürbar, hätten ihre primäre Ursache in der Hintanstellung der böhmischen Magister gehabt. 22 Das kam seinem Urteil nach darin zum Ausdruck, dass die drei auswärtigen Nationen „nicht nur die Universitätswürden fast ausschließlich an ihre Landsleute verliehen, sondern sich untereinander auch alle Pfründen und Stiftungen teilten, welche die Hohe Schule vergab, unter Weglassung und zum Schaden der Einheimischen“. 23 Die Gründung neuer Universitäten in Köln am Rhein und in Heidelberg wirkte sich laut Helfert jedoch paradoxerweise zu Gunsten der böhmischen nationalen Interessen aus. Die Anzahl der Studenten insgesamt und der graduierten Studenten habe sich nämlich verringert und zum Verschwinden der zahlenmäßigen Überlegenheit der auswärtigen Magister und Studenten geführt, die zuvor fünf Sechstel aller Universitarier gebildet hätten. Das nationale Element sei damals aber nicht ˇ 21 Helfert, Jos[eph]. Alex[ander].: Mistr Jan Hus aneb poˇcátkové církevního rozdvojení v Cechách [Magister Johannes Hus oder die Anfänge der Kirchenspaltung in Böhmen]. Praha 1857, 73. 22 Ebd., 48 f. 23 Ebd., 51 f.
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nur an der Universität angewachsen, sondern auch in den Städten, in den Stadträten und Kanzleien sowie im literarischen Leben. All das spiegelte sich Helfert zufolge auch im Konflikt um die Kollegiatsplätze wider, aus dem die böhmischen Magister siegreich hervorgegangen waren, und allgemein in der Stärkung des böhmischen Elementes, das in den neunziger Jahren ein Fünftel an der Universität bildete. 24 Für einen Meilenstein bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Universitätsnationen betrachtet Helfert die Verurteilung der sog. 45 Artikel Wyclifs im Jahre 1403, die von Zeitgenossen nicht als eine Position der Universität, sondern als eine Position der „drei auswärtigen Nationen gegen die böhmische Nation“ wahrgenommen worden sei. 25 In der Folge habe diese Position den Zuwachs der böhmischen Partei, die Stärkung ihres Widerstandes und die zunehmende Verstimmung zwischen den Universitätsnationen befördert. Helfert schildert die Ereignisse nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes in den Fakten zwar im Einklang mit Palacký und Tomek, seine Auslegung der Folgen des Dekretes und der Streitigkeiten um seine Durchsetzung kann man jedoch für eigenständig halten. Zwischen den Angehörigen der auswärtigen Nationen herrschte demnach eine gewisse Spannung. Auf der einen Seite standen diejenigen, die Prag nicht verlassen wollten, welche die Gültigkeit des Dekretes verneinende Rechtsinterpretationen suchten und in der Selbsterhaltungsphase schließlich die Teilung der Universität in eine böhmische und eine deutsche vorschlugen. Die Radikalen auf der anderen Seite fürchteten diese Zugeständnisse und setzten gegen die Gemäßigten einen gemeinsamen Schwur durch, der das Dekret als Ganzes ablehnte und als die einzig mögliche Weise der Streitlösung die Rückkehr zur Ordnung vor dem 18. Januar betrachtete. Andernfalls galt es, Prag zu verlassen. Als Hauptargument der böhmischen Seite, um das Dekret ins Leben zu rufen, betrachtet Helfert dann die Niederschrift der Verteidigung von Wenzels Mandat. Für deren Autor hält er – ganz im Geiste der zeitgenössischen Auslegung – Johannes Hus, in seinen Augen der führende Repräsentant der Reformströmung und der tschechischen Nationalpartei. Es ist bekannt, dass Helfert für seine Argumentation Exzerpte von Vocel benutzte. In der letzten Phase griff er jedoch auch auf die unvollkommene Edition Höflers zurück. Auf deren Grundlage, speziell von Höflers Sperrung einiger Stellen verführt, betont er und schildert überspannt die antideutsche Haltung dieser Schrift. Dessen war sich übrigens auch Tomek bewusst, der am 14. April 1858, also schon nach dem Erscheinen der Schrift, korrekte Exzerpte aus dem Bˇrevnover Manuskript an Jireˇcek schickte, 26 bei dem sich jene Verteidigung von Wenzels Mandat befand, um sie an Helfert weiterzugeben.
24 Ebd., 53. 25 Ebd., 64. 26 Spoléhámt’ se docela na zkušené pˇrátelství Vaše . . . Vzájemná korespondence Josefa Jireˇcka a Václava Vladivoje Tomka 1858–1862 [Ich verlasse mich völlig auf Ihre erprobte Freundschaft . . . Die wechselseitige Korrespondenz von Josef Jireˇcek und Václav Vladivoj Tomek 1858–1862]. Hg. v. Magdaléna Pokorná. Praha 2008, 60–63, dort die Edition der betreffenden Briefe.
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Helfert glaubt einerseits, einige der angeblich von Hus genannten Gründe akzeptieren zu müssen, anderseits meint er jedoch, dass die Schrift beleidigende und unhöfliche Stellen enthalte, die keine Verteidigung, sondern eher Angriffe auf die „deutsche Nation“ darstellten. Diese Angriffe habe Hus nicht nur gegen auswärtige, sondern auch gegen einheimische Deutsche gerichtet, die im Lande geboren und sesshaft geworden waren. Laut Hus waren sie Eindringlinge, die in Böhmen nichts zu suchen hatten und – wenn ihnen die Landesordnung nicht zusagte – dorthin gehen sollten, wo sie hergekommen waren. 27 Die Ereignisse der folgenden Monate schildert Helfert nüchtern, wiederum durch Palacký und Tomek geleitet, ohne nationale Leidenschaften und ohne Sympathien für die eine oder andere Seite. Die Hauptfolgen des Kuttenberger Dekretes sieht er im Schaden, den die deutschen Prager Kaufleute und Gastwirte durch den Weggang der seiner Meinung nach 5000 Universitarier erlitten hätten, und selbstverständlich in den Veränderungen innerhalb der kirchlichen Bewegung – also in der Radikalisierung der Reformströmung, in der Verschärfung der Eingriffe des Erzbischofs gegen diese und in der Aufspaltung der ursprünglich einheitlichen Reformer, die vor 1409 den nationalen Interessen an der Universität den Vorrang gegeben hätten. Den Auszug der Deutschen, die zu ihrem Schwur gestanden, sich aber gleichzeitig nach einer Rückkehr nach Prag gesehnt hätten, bezeichnet Helfert als den „Ausschluss der auswärtigen Elemente“ oder als den „Auszug der auswärtigen Doktoren, Magister und Studenten“. Sieht man von Helferts kritischer Bewertung Hussens und von dessen Haltung in den Jahren nach 1409 ab, muss man zugeben, dass auch er, der von vielen Historikern am Ende des 19. Jahrhunderts als Repräsentant konservativer, proösterreichischer Haltungen, manchmal sogar als eine Art Verkörperung des Bachabsolutismus im Rahmen des Ministeriums für Kultus und Unterricht betrachtet worden war, in seiner Auslegung des Kuttenberger Dekretes die staatsrechtlichen Ansprüche der tschechischen Nationalpartei betont. Diese sei an der Universität von den auswärtigen Nationen unterdrückt und hintangesetzt worden und habe lediglich ihre Rechte angemeldet, die ihr wegen ihrer Beziehung zum Land, zum Königreich Böhmen gebührten, mehr jedenfalls als den Ausländern, die sich mit dem Königreich Böhmen nicht identifizierten. Die tschechische Nationalpartei bemühte sich laut Helfert langfristig um die Stärkung dieser ihrer berechtigten Stellung, und am Anfang des Jahres 1409 wusste sie nur die Situation zu nutzen, die v. a. durch die allgemeine politische Lage und durch Wenzels Parteinahme für das Pisaner Konzil entstanden war. Helfert wirft der tschechischen Nationalpartei lediglich vor, sich durch Deutschfeindlichkeit blenden gelassen zu haben und in ihrer antideutschen Argumentation auch gegen die einheimischen, in Böhmen sesshaft gewordenen Deutschen aufgetreten zu sein, welche dieselben Rechte wie die Tschechen genießen sollten, da sie keine Ausländer, sondern in Böhmen geborene, einheimische Einwohner gewesen seien. Aus Helferts Auslegung spricht also direkt die Hervorhebung des Landesprinzips, das über dem nationalen Prinzip steht, und ebenso ein gewisser naturrechtlicher Anspruch der
27 Helfert (wie Anm 21), 75.
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einheimischen Bevölkerung, ohne Rücksicht auf die Sprache, ihre Angelegenheiten in ihrem Lande auf eigenständige Weise zu verwalten, und zwar ohne Einmischungen und Beschränkungen seitens der Ausländer, die in Wirklichkeit ein fremdartiges Element in der auf der Ebene des Landes zwar einheitlichen, ethnisch jedoch verschiedenartigen Gesellschaft seien.
Karl Adolf Konstantin von Höfler und František Palacký Die Zugänglichkeit der Hauptquellen, die das Kuttenberger Dekret unmittelbar berührende Ereignisse ansprechen, war in der Zeit, als Václav Vladivoj Tomek seine Universitätsgeschichte schrieb, gelinde gesagt, traurig. Das änderte sich jedoch z. T., als Karl Adolf Konstantin von Höfler, Professor für allgemeine Geschichte an der Prager Universität, einen umfassenden Komplex von Quellen böhmischer Provenienz zur hussitischen Zeit zu veröffentlichen begann. 28 Die Kritik ließ allerdings aufgrund grundsätzlicher editorischer Mängel nicht lange auf sich warten. Wesentlicher jedoch als die schlechte Übertragung der Quellen war Höflers antitschechischer Nationalismus, der seine frühen Arbeiten prägt. In zugespitzter Form findet sich diese die Tschechen verachtende Haltung in seiner umfangreichen, gekonnt verfassten Arbeit „Magister Johannes Hus und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag 1409“. Bereits der Titel verrät, in welche Richtung das Buch zielen wird. Es legt den Fokus auf die Gestalt des Johannes Hus, einen armen, schon von seinem Wesen her vom Adel abhängigen Dorfjungen und beliebten Prediger. Hus war in Höflers Augen nur ein mittelmäßiger Intellektueller, der sich selbst überschätzte, jedoch im Volk als Prediger sehr beliebt war. Dies traf nach Höfler aber nicht nur auf ihn zu. Eine unberechtigt hohe Meinung über sich selbst sei den Magistern der böhmischen Universitätsnation mehrheitlich eigen gewesen, ihnen habe ein Korrektiv in Form von erfahrenen und anerkannten Magistern gefehlt. Hus hörte Höfler zufolge nur auf sich selbst, 29 vermochte deshalb nicht, die Bedürfnisse seiner Zeit zu verstehen, und besaß so nicht den Sinn für das richtige Maß. Als Prediger in der Bethlehemskapelle sei Hus bereits in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts zum Anführer der böhmischen Partei geworden. Das grundsätzliche 4. Kapitel des zweiten Buches mit dem Titel „Der Streit der böhmischen Wikleffiten mit dem Erzbischof-Kanzler“ legt die Eigenständigkeit von Höflers Darlegung offen, mit der er sich von den Interpretationen Palackýs, Tomeks und Helferts unterscheidet. Darin wird Hus vorgestellt als der spiritus movens und der spiritus agens einer übertrieben kritischen Einstellung gegenüber dem Klerus und v. a. als maßgeblicher Aufwiegler der Spannungen zwischen Tschechen und Deutschen, die nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes 28 Zu seiner Person vgl. Zilynská, Blanka: Karl Adolf Constantin Ritter von Höfler jako univerzitní uˇcitel [Karl Adolf Konstantin Ritter von Höfler als Universitätslehrer]. In: Nˇemecká medievistika v cˇ eských zemích do roku 1945. Hg. v. Pavel Soukup und František Šmahel. Praha 2004, 193–224. 29 Höfler, Carl Adolf Constantin von: Magister Johannes Hus und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag 1409. Prag 1864, 181.
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zur Vertreibung der Deutschen geführt hätten. (Höfler verwendet im Text tatsächlich mehrmals das Wort „Vertreibung“, für den Titel des Buches wählt er aber nach dem Vorbild Tomeks ein neutraleres Wort: „Abzug“ im Sinne von Weggang.) Hus trage überdies die Hauptschuld am Verderben der Prager Universität, denn er sei es gewesen, der den König zum Erlass des Dekretes bewogen habe. Laut Höfler hasste Hus, selbst Slawe, die Deutschen und stellte das nationale Prinzip und die Vertreibung der Deutschen aus Böhmen über alle Rechte und ethischen Forderungen; der Vertreibung widmete er all sein Streben und betrachtete sie als eine gottgefällige Tat. 30 Allerdings ist hinzuzufügen, dass die Eigenständigkeit von Höflers Auslegung de facto nur in seiner Voranstellung Hussens in Klammern besteht, den er als den hauptsächlichen Urheber des Bösen bezeichnet. Damit präjudizierte Höfler für lange Zeit das Urteil der deutschen (und anschließend auch der sudetendeutschen) Historiker über das Kuttenberger Dekret. Ansonsten folgt er mehr oder weniger Palacký, Tomek und Helfert, etwa durch die Betonung der seit den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts andauernden nationalen Spannung an der Universität, ohne jedoch die Forderungen der böhmischen Magister für berechtigt zu halten, im Sinne des nationalen Prinzips einen größeren bzw. gerechteren Machtanteil an der Universität und im Königreich zu erhalten. Ganz im Gegenteil – diese Forderungen störten in seinen Augen den universalen, das gesamte Reich umfassenden Charakter der Universität. Höfler ist sich dabei durchaus der Tatsache bewusst, dass sich die Lage nach 1400 nicht nur wegen der starken Rezeption der (häretischen) Lehre Wyclifs geändert hatte, sondern in gleichem Maße auch wegen der Absetzung Wenzels IV. vom Reichsthron, zumal damit das Königreich Böhmen und Prag vom Zentrum des Geschehens im Reich an die Peripherie gelangten. Im Unterschied zu anderen Forschern betont Höfler dann nur den Anteil des böhmischen Klerus an der Stärkung der böhmischen Partei unter Johannes von Jenstein und Zbynko Zajíc von Hasenburg, also bis zu dem Zeitpunkt, als die Kritik am Lebenswandel des Klerus um 1407 das tragbare Maß überstieg. 31 Höflers Schilderung der Kämpfe um das Dekret (er benutzt in Übereinstimmung mit Palacký den Ausdruck „königliches Dekret“) ist sehr suggestiv. Sie gründet sich auf Böhmen feindlich gesinnte Berichte, die mit einem Abstand von nur wenigen Jahren die Ereignisse von 1409 als Tragödie wahrnahmen, und auf Anmerkungen in den Texten Hussens und des Hieronymus von Prag sowie auf Verhören. Als Tragödie sieht auch Höfler das Kuttenberger Dekret an, als den Anfang des bitteren Endes, also der hussitischen Revolution: Der vernichtete Glanz der Zeit Karls IV., der Kunstdenkmäler, der einheimischen und auswärtigen Literatur samt ihrer Folgewirkung, war gleichzeitig die Vernichtung des ganzen Königreiches, wie es die deutschen Magister Wenzel IV. voraussagten, um ihn zur Aufgabe des Dekretes zu bewegen. 32 30 Geschichtsschreiber der hussitischen Bewegung in Böhmen. 3 Bde. Hg. v. Dems. Wien 1856–1866, hier Bd. 3, 17 f., 27, 56. 31 Höfler, Magister Johannes Hus (wie Anm. 29), 186. 32 Ebd., 320.
Karl Adolf Konstantin von Höfler und František Palacký
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František Palacký, der sich durch Höflers Buch persönlich angegriffen fühlte, wählte in seiner Antwort einen überraschend ruhigen Ton. 33 Auf der Basis der erhaltenen Quellen lehnt er darin Höflers Hauptthese, Hus sei schon seit der Jahrhundertwende antideutsch aufgetreten und habe sich langfristig um die Vertreibung der Deutschen aus der Universität und letztlich auch aus dem ganzen Königreich bemüht, gänzlich ab. Im Folgenden sucht er auch die These von Hussens absoluter Führerschaft in der böhmischen Partei beim Streit um das Dekret zu entkräften. Dabei stellt er aber dessen persönliches Engagement und seine Kontakte zu Wenzels Hof, die seiner Ansicht nach für den Erlass und die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes ausschlaggebend waren, keineswegs in Frage. Im Unterschied zu seiner „Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren“ behauptet Palacký nun (um Höflers These vom wütenden nationalen Konflikt an der Prager Universität seit den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts abzumildern), dass jener Kampf um die drei Stimmen erst nach dem Erlass des Dekretes ausgebrochen sei und nicht schon vor dem 18. Januar. 34 Selbst dieser Kampf sei aber kein Ausdruck nationalen Hasses gewesen, von dem Höfler geblendet durch seinen eigenen, gegenüber den Tschechen gehegten Hass spreche und den er entgegen den üblichen Regeln der Kritik (auf die er sich oft berufe) in sein Werk eingebracht habe. 35 Allerdings trifft es zu, dass Palacký in seinem Bestreben, Hus und seine Anhänger vom Vorwurf eines xenophoben, unversöhnlichen antideutschen Nationalismus reinzuwaschen, absichtlich alle Quellen in Frage stellt, die das Vorhandensein manchmal extremer, durch die angespannte zeitgenössische Situation angestachelter Ansichten bezeugen. Am deutlichsten kommt dies in seiner Ablehnung von Hieronymus’ Zeugenaussage auf dem Konstanzer Konzil zum Ausdruck, welche die Änderung des Prager Altstädter Rates zu Gunsten der Tschechen betraf, an der Hieronymus seinen Anteil hatte. Laut Palacký hat Hieronymus nämlich nie gesagt, dass die Deutschen das Prager Rathaus und eigentlich das ganze Königreich beherrschten sowie alle weltlichen Ämter inne hätten, was wiederum ein schlechtes Beispiel gebe und zum Untergang der tschechischen Sprache und somit der tschechischen Nation führe. 36 Die Notare, die das Verhör aufzeichneten, haben Palackýs Auffassung nach Hieronymus’ Rede nicht verstanden und daher fehlerhaft protokolliert. Im selben Atemzug zweifelt Palacký das von Hieronymus proklamierte Übergewicht der Tschechen im Prager Altstädter Rat an und vertritt aufgrund der Berichte über die Zusammensetzung der Räte in den Jahren 1412 und 1413 die Meinung, dass das Übergewicht vielmehr auf der Seite der Deutschen gelegen habe bzw. dass das Verhältnis zu einer
33 Koˇralka (wie Anm. 6), 471–478. 34 Palacký, Die Geschichte des Hussitenthums (wie Anm. 5), 95. 35 Dies ergibt sich eindeutig, so denke ich, aus den nüchtern geschriebenen Betrachtungen Palackýs, vgl.: Ebd., 97. 36 Magnum Oecumenicum Constantiense Concilium. Bd. 4. Hg. v. Hermann von der Hardt. Francofurti-Lipsiae 1699. col. 758; dazu zuletzt Šmahel, František: Leben und Werk des Magisters Hieronymus von Prag. Forschung ohne Probleme und Perspektive? In: Historica 13 (1966), 81–111, hier 106 f.
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paritätischen Vertretung der beiden Nationalitäten tendierte. Die Angabe von sechzehn tschechischen und zwei deutschen Ratsherren im Jahre 1409 verweist er dann in das Reich der Träume. Sein Bestreben, das nationale Prinzip auf ein Minimum zu reduzieren, leitete Palacký auf einen Irrweg: Höflers Pamphlet musste in seinen Augen als Ganzes abgelehnt werden. Für eine offene Diskussion, abseits festgefügter Gedankenschemata, war die zweite Hälfte der 1860er Jahre noch nicht reif genug. Ein wie auch immer geartetes Nachgeben schien nicht möglich. Denn die Berechtigung der Ansichten des Opponenten zuzugeben, hätte in Palackýs politisch scharfsichtigen Augen geradezu fatale Folgen haben können. Und weil Palacký an die Fatalität des Kuttenberger Dekretes glaubte, obwohl er sie in seiner Polemik gegen Höfler keineswegs betont, hielt er sich auch in diesem Fall an die konservative Einstellung, die zur gleichen Zeit auch für die tschechischen Reaktionen auf die deutsche Infragestellung der Echtheit der Manuskripte (Königinhofer und Grünberger Handschrift) typisch war.
Friedrich Matthaesius und Václav Novotný Die Protagonisten der Auseinandersetzungen um das Kuttenberger Dekret in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Palacký, Tomek und Helfert, versuchten im Geiste ihrer staatsrechtlichen Vorstellungen, noch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Landes- und dem Nationalgedanken in der böhmischen Geschichte zu finden. Erst Karl Adolf Konstantin von Höfler brachte, Andeutungen seiner Vorgänger nutzend, in diesen Disput die Dimension des modernen, unversöhnlichen Nationalismus ein. Dieser begann seiner Darlegung nach an der Prager Universität bereits kurz nach ihrer Gründung. Seinen gesetzmäßigen Höhepunkt bildete dabei der Erlass des königlichen Dekretes. Das Dekret habe schließlich zu einer präzedenzlosen Unterdrückung der hochentwickelten deutschen Kultur zu Gunsten der ambitiösen, jedoch ihre Möglichkeiten überschätzenden tschechischen Kultur geführt. Nach Höflers Ausführungen, deren nationale Stacheln v. a. Palacký durch den Nachweis ihrer Unhaltbarkeit zu unterdrücken versuchte (Tomek reagierte auf Höfler indirekt durch eine betonte und nüchterne Neutralität seiner Darlegung), gab es aber kein Zurück mehr. Trotz großer Unterschiede stimmten hernach die tschechische und die deutsche Historiographie völlig darin überein, dass die unmittelbare Ursache des Kuttenberger Dekretes der langfristige und unversöhnliche Antagonismus der böhmischen und deutschen Magister gewesen sei. In den letzten Jahren der Monarchie und v. a. in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik, als sich die tschechische und deutsche Historiographie entweder kämpferisch gegenüberstanden oder ignorierten, 37 gewann in der Diskussion über die Prager Universitätsgeschichte besonders die Frage nach dem Charakter 37 Zur jeweiligen Ausblendung der tschechischen und deutschen Historiographie vgl. Nodl, Martin: Nˇemecká medievalistika v cˇ eských zemích a studium sociálních a hospodáˇrských dˇejin [Die deutsche Mediävistik in den böhmischen Ländern und das Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte]. In:
Friedrich Matthaesius und Václav Novotný
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der Universitätsgründung an Bedeutung. 38 Die Frage nach dem Kuttenberger Dekret trat hingegen in den Hintergrund. Alles Wesentliche war scheinbar bereits geschrieben und editorisch zugänglich gemacht worden. Falls sich ein Historiker unter dem Einfluss der zeitgenössischen Umstände dennoch dazu entschloss, die mit dem Kuttenberger Dekret verbundenen Probleme zu lösen, so wich er bei seiner Darstellung kaum vom nationalen Prinzip ab. Dies ist – im Geiste von Palackýs Verteidigung Hussens und seiner Anhänger – in der Sammlung der Vorträge erkennbar, die aus Anlass des 500. Jahrestages des Kuttenberger Dekretes erschien. 39 Die Studien von Gustav Friedrich, Josef Šusta, Kamil Krofta und Václav Novotný brachten jedoch nichts wesentlich Neues. Um so überraschender war dann die Veröffentlichung der umfangreichen Studie aus der Feder von Friedrich Matthaesius. In zwei Fortsetzungen bzw. Teilen bot er auf den Seiten des Flaggschiffes der einheimischen deutschen Historiographie, der Zeitschrift „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen“, nicht nur eine erschöpfende Übersicht aller erhaltenen Quellen, sondern versuchte durch seine Darstellung auch eine Art Gegenpol zu Höflers unversöhnlicher Position zu schaffen. 40 Die bis heute wenig wertgeschätzte Studie von Matthaesius fiel jedoch auf keinen fruchtbaren Boden. Die künftige Forschung hat sie entweder nicht beachtet, obwohl sie aus ihrer Quellenübersicht wiederholt schöpfte, oder in Bausch und Bogen als tendenziös und in den Details verwirrend und irreführend abgelehnt. Die politische Ordnung der Ersten Republik, mit der sich die deutschen Universitätseliten nie abfanden und sich daher ostentativ als „Nachkommen“ der 1409 vertriebenen deutschen Magister betrachteten (mit mindestens gleichwertigem Anspruch auf das Erbe der Karlsuniversität wie die akademischen tschechischen Eliten), ermöglichte keine nüchternen Betrachtungen des Kuttenberger Dekretes. Jene den Nˇemecká medievistika v cˇ eských zemích do roku 1945. Hg. v. Pavel Soukup und František Šmahel. Praha 2004, 21–66; Ders.: Bedˇrich Mendl a sociální dˇejiny stˇredovˇeku [Bedˇrich Mendl und die Sozialgeschichte des Mittelalters]. In: Jaroslav Goll a jeho žáci. Hg. v. Bohumil Jiroušek, Josef Blüml ˇ und Dagmar Blümlová. Ceské Budˇejovice 2005, 475–501. 38 Zuletzt beleuchtet Šmahel, František: Poˇcátky pražského obecného uˇcení. Kritické reflexe k jubileu jednoho „národního monumentu“ [Die Anfänge des Prager Studium generale. Kritische Reflexionen ˇ CH ˇ 96 (1998), 253–291, kritisch die Ansichten zum Jubiläum eines „nationalen Monumentes“]. In: C zur Entstehung der Universität. Sämtliche ältere Literatur findet sich hier zusammengefasst. Darunter bemerkenswert sind die Versuche, die Entstehung der Prager Universität in die allgemeine Universitätsgeschichte einzugliedern – vgl. besonders: Denifle, Heinrich: Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. Berlin 1885; Rexroth, Frank: Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat. Köln-Weimar-Wien 1992. – Šmahel bezieht in obiger Untersuchung auch klar Stellung gegenüber den zahlreichen, oft voreingenommenen und Zweifel erweckenden Studien von Peter Moraw, die heute v. a. in folgender Werkausgabe zugänglich sind: Moraw, Peter: Gesammelte Beiträge zur Deutschen und Europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen – Personen – Entwicklung. Leiden-Boston 2008. 39 Dekret Kutnohorský. Pˇrednášky a stati [Das Kuttenberger Dekret. Vorträge und Aufsätze]. Praha 1909. 40 Matthaesius, Friedrich: Der Auszug der deutschen Studenten aus Prag. In: MVGDB 52 (1914), 451–499; 53 (1915), 58–110.
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Deutschen gegenüber eindeutig ablehnende Haltung spiegelt die sonst bis heute nicht überholte Biographie des Johannes Hus von Václav Novotný wider. 41 Bei dieser allumfassenden Freske der vorhussitischen Geschichte nutzte Novotný, auf den Spuren von Jan Sedlák (dessen Beurteilungen und Interpretationen er jedoch sehr oft nicht teilt), eine beachtliche Anzahl an bis dahin unbekannten Traktaten, hauptsächlich aus dem zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Damit erhörte er bewusst das ferne Rufen von Palacký. Vor allem gegenüber Matthaesius nimmt Novotný (zu Unrecht) eine hyperkritische Haltung ein und beeinflusste damit viele Jahrzehnte die einheimische Forschung. Novotný legte viel Wert auf handwerkliche Akribie. Er hatte ein Gefühl für das erschöpfende Sammeln neuer Quellen und für das mosaikhafte Zusammenlegen kleiner, einige Jahrzehnte voneinander entfernter Erwähnungen. Novotný begriff als Erster, dass die vorhussitische Geschichte der Prager Karlsuniversität sowie die graduelle Entwicklung der reformatorischen Ansichten und der Reformschritte Hussens und seiner Anhänger auf Erinnerungen zeitgenössischer Akteure beruhten, die in die theologischen Traktate und in die Zeugenaussagen der Konstanzer Prozesse eingeflossen waren. Das Problem besteht nun darin, dass Novotný seine früher bewährte, auf diplomatisches Material angewandte Arbeitsmethode auf eine neue Quellenart übertrug. Aufgrund seiner Ausbildung glaubte er nämlich, dass nach der Durchführung der formalen diplomatischen Analyse und der Quellenkritik die Aussage aller Quellenarten klar, wahrhaftig und unbezweifelbar zu Tage trete und dass man auch durch persönliche Erinnerungen und durch Zeugenaussagen eine ideale Geschichte konstruieren könne, wenn die Stimmen, die man zu Wort kommen lässt, sich gegenseitig nicht widersprechen. Alles, was nicht in diese Geschichte passe, sei dann in den erschöpfenden Anmerkungen zu verbergen, die den Lesern ermöglichen, das Interpretationsvorgehen des Historikers zu kontrollieren. Auf diese Weise ist auch Novotnýs „Hus“ aufgebaut und auf diese Weise analysiert er auch die mit dem Erlass und der Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes verbundenen Ereignisse. Und gerade hier ist er in die Falle getappt. Er wollte nämlich alle Zeugen im Wiener Inquisitionsprozess gegen Hieronymus von Prag zu Wort kommen und alle Zeugnisse erklingen lassen, die dessen und Hussens erbitterte Gegner auf dem Konstanzer Konzil vortrugen. Ihm war dabei anscheinend überhaupt nicht bewusst, dass fast alle Zeugnisse durch persönliche Leidenschaften eingefärbt sind und in sich den Charakter eines bestimmten Zwecks bergen, den man im betreffenden Fall freilich nur schwer entdecken kann. Novotnýs „Hus“ bietet einen überreichen und kaum zu übertreffenden Fundus an Quellen. Auf ihn könnte auf jeder Seite einer beliebigen Arbeit über das vorhussitische Böhmen verwiesen werden. Gleichzeitig beabsichtigte er, einen über jeden Zweifel erhabenen Text vorzulegen. Und gerade durch seinen Glauben an die Wahrhaftigkeit der geschilderten Ereignisse, betrat er unbewusst und ungewollt den Weg der Zweifel und alternativer Erklärungen. (Eine andere Sache
41 Novotný, Václav: M. Jan Hus. Život a uˇcení. Teil 1: Život a dílo [Mag. Johannes Hus. Sein Leben und seine Lehre. Teil 1: Sein Leben und Werk]. 2 Bde. Praha 1919–1921.
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ist, dass Novotný in den Anmerkungen bei vielen Detailfragen der Quellendatierung auf deren hypothetischen Charakter oder deren Unlösbarkeit verweist.)
František Michálek Bartoš versus marxistischer Dogmatismus Diese Gelegenheit nutzte der junge František Michálek Bartoš und schrieb – geleitet durch sein grenzenloses Bestreben, neue Quellen zu entdecken, genau zu datieren und anonyme Werke konkreten Autoren zuzuschreiben – eine neue Geschichte des Hussitentums und damit auch auf eine neue Weise die Geschichte des Kuttenberger Dekretes. Schon seine erste große Studie, poetisch „Am Vorabend des Kuttenberger Dekretes“ genannt, 42 warf ein neues Licht auf die möglichen Ursachen von Wenzels Dekret. In den nächsten Jahren setzte Bartoš seine Suche nach den Zusammenhängen fort zwischen der Änderung des Wahlrechts der Universitätsnationen und der Politik Wenzels IV. gegenüber dem französischen König, dem Herzog von Brabant, den widerstrebenden Kardinälen und dem Pisaner Konzil. Obwohl Bartoš den nationalen Antagonismus zwischen den böhmischen und deutschen Magistern keineswegs leugnete, wurde er trotzdem zu einem leidenschaftlichen Vertreter des Gedankens eines unerwarteten und langfristig nicht vorbereiteten Erlasses des Kuttenberger Dekretes. Somit verloren Johannes Hus und Hieronymus von Prag in seinen Augen die Rolle der Hauptinitiatoren, und an ihre Stelle trat Wenzel IV. Dieser habe das Dekret vorbereiten lassen und bei einem seiner wiederholten cholerischen Anfälle verfügt, zu dem v. a. die ablehnende Haltung der deutschen Magister zur Entsendung von Gesandten auf das Pisaner Konzil, also zur Erneuerung des Glanzes der im Jahre 1400 für Wenzel verlorengegangenen deutschen Königskrone beigetragen habe. 43 Gegen diese These von Bartoš, mit der er eine unausweichliche Entwicklung der Universitätsgeschichte zum Erlass des Kuttenberger Dekretes ablehnte, verwahrte sich die marxistische Nachkriegshistoriographie. 44 Zum Schaufenster des historischen Materialismus wurde die anlässlich des 550. Jubiläums des Kuttenber42 Bartoš, František Michálek: V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu [Am Vorabend des Kuttenberger ˇ CM ˇ 102 (1928), 97–113. Dekretes]. In: C 43 Nahezu romanhaft hat František Michálek Bartoš diese These in seinem zweifellos besten Buch beˇ arbeitet: Ders.: Cechy v dobˇe Husovˇe 1378–1415 [Böhmen in Hussens Zeit 1378–1415]. Praha 1947 ˇ (Ceské dˇejiny II /6), bes. 281–319, 359–361. Auf die harte bis heimtückische Kritik aus der Feder des jungen František Graus (Sborník pro hospodáˇrské a sociální dˇejiny 2 [1947], 213–216) reagierte Bartoš kämpferisch und ablehnend (Ders.: Na obranu [Zur Verteidigung]. In: JSH 21 [1952], 133–136). In gewisser Hinsicht Vorarbeit leistete dabei seine kritische Besprechung von Graus’ Buch über die ˇ vorhussitischen Armen (Ders.: Kdo vymohl Cech˚ um Dekret kutnohorský [Wer hat den Böhmen das Kuttenberger Dekret erwirkt]? In: JSH 18 [1949], 70–72). Graus’ Kritik trug dazu bei, dass Bartoš in den folgenden zwei Jahrzehnten vorsichtigere Positionen vertrat. 44 Ohne sich offen dazu zu bekennen, schloss sie damit an Václav Chaloupecký an: Chaloupecký, Václav: Karlova universita v Praze. Její založení, vývoj a ráz v XIV. století [Die Karlsuniversität zu Prag. Ihre Gründung, ihre Entwicklung und ihr Charakter im 14. Jahrhundert]. Praha 1948, 98–104; ˇ Ders.: Kdo vymohl Cech˚ um Dekret Kutnohorský [Wer hat den Böhmen das Kuttenberger Dekret ˇ CH ˇ 48–49 (1947–1948), 14–29. erwirkt]? In: C
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ger Dekretes veranstaltete Konferenz. 45 Das Dekret gewann bei den Schöpfern der „neuen“ Wissenschaft den Status einer fortschrittlichen Tradition der böhmischen Vergangenheit. Wenzels Dekret war ein Glied der Ereigniskette im Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt, ein Bestandteil des Prozesses, der in die hussitische Revolutionsbewegung mündete. 46 Keiner der Beiträge brachte etwas Neues. Der gemeinsame Nenner der Autoren (František Kavka, Zdenˇek Fiala, Antonín Škarka, Václav Vanˇecˇ ek, Karel Malý, Milan Machovec) war die Verteidigung der böhmischen Magister. Diese hätten durch ihre Haltung zur Beseitigung der Vorherrschaft auswärtiger reaktionärer Magister beigetragen, die zum „Hindernis für das Wachstum der hussitischen Revolutionsideologie geworden waren“. 47 Die Rechtshistoriker verfochten vehement das Recht Wenzels IV., als souveräner Herrscher in die „staatlichen Institutionen“ einzugreifen. Im Geiste eines xenophoben Nationalismus, für dessen Verkünder sie Johannes von Jessenitz hielten, billigten sie die Austreibung der deutschen Magister. Hier stellt sich freilich die Frage, ob in den 1950er Jahren hinter der Verteidigung der Stimmenänderung an der Universität und der anschließenden Vertreibung der deutschen Magister nicht eine verhüllte Verteidigung der modernen Austreibung der Sudetendeutschen nach 1945 stand, die in den Augen der kämpferischen Nationalisten ebenfalls Fremdlinge und Feinde des Fortschritts waren.
Renaissance der Forschung zur Prager Universitätsgeschichte in den 1960er Jahren In einer Hinsicht hatte das 550. Jubiläum des Kuttenberger Dekretes doch noch einen positiven Einfluss auf die Mediävistik. Am Anfang der 1950er Jahre bekam die Prager vorhussitische Universität den Stempel eines reaktionären Ortes, aus dem nichts Gutes hervorkommen konnte. Josef Macek spricht den Universitätsmagistern und der Universität als solcher in seiner Monographie „Tabor in der hussitischen Revolutionsbewegung“ jeglichen Anteil an der Kristallisation der hussitischen Lehre ab. Seine ganze Aufmerksamkeit richtet er auf Hus, als ob dieser kein Universitarier gewesen wäre. Im Rahmen der Strukturierung der böhmischen Gesellschaft am Vorabend der „Revolution“ ordnet Macek die Universitätsmagister zwar in die „bürgerliche Opposition“ ein, betrachtet sie jedoch als deren konservativen Flügel. Zum Schein hätten sie sich zwar zu Hus bekannt, ihn in Wirklichkeit aber nicht voll akzeptiert und so bewusst die radikalsten Teile seiner Lehre ausgeblendet. Ihre
45 Dekret kutnohorský a jeho místo v dˇejinách. Sborník k oslavˇe 550. výroˇcí vydání Dekretu kutnohorského [Das Kuttenberger Dekret und sein Platz in der Geschichte. Festschrift zum 550. Jubiläum des Kuttenberger Dekretes]. Praha 1959 (Acta Universitatis Carolinae. Philosophica et Historica 2 [1959]). 46 Zahajovací projev rektora University Karlovy prof. dr. Jaroslava Procházky [Eröffnungsrede des Rektors der Karlsuniversität Prof. Dr. Jaroslav Procházka]. In: Ebd., 7–9. 47 Kavka, František: Dekret kutnohorský a jeho místo v dˇejinách [Das Kuttenberger Dekret und sein Platz in der Geschichte]. In: Ebd., 11–17, hier 15.
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Schriften, voll von fruchtlosem, theoretischem Eifer, der nur für die „Universitätslehrstuben“ bestimmt war, seien ohne ein Echo in der Gesellschaft geblieben und hätten für „den Ausbruch und Verlauf der Revolutionsbewegung praktisch keine Bedeutung“ gehabt. 48 Erst durch das Verständnis des Kuttenberger Dekretes als ein Element der hussitischen Revolutionstradition erfuhr die vorhussitische Universität eine gewisse Rehabilitation, auch wenn nur eine bedingte. Aus Anlass des feierlichen Gedenkens des Kampfes des tschechischen Universitätselementes mit den deutschen Fortschrittsgegnern erklang nämlich aus dem Munde des Rektors Jaroslav Procházka eine nachdrückliche Warnung: „Solange die Universität mit dem Volk Schritt hielt, mit der Volksbewegung und ihren progressiven Gedanken, solange sie die Dolmetscherin der progressiven Bedürfnisse, Interessen und Ideen war, blühte sie auf. Sobald sie sich später von der Volksbewegung lossagte, sobald sie von den progressiven Ideen ihres Volkes und Landes abwich, kam ihre gedankliche Entwicklung zum Stillstand.“ 49 Nicht nur für die Mediävistik der 1960er Jahre war es charakteristisch, dass die Historiker, denen es um die wirkliche Erkenntnis und um die Entdeckung des Geahnten ging, die halboffene Tür zu nutzen verstanden, die früher die Dogmatiker fest verschlossen hielten. Das Jahrzehnt nach dem 550. Jubiläum des Kuttenberger Dekretes zeigt dies ganz deutlich; es ließ nämlich der Forschung zur Prager Universitätsgeschichte nach dem Jahre 1918 die größten Anregungen zuteil werden. Zu einer wirklichen Reflexion des Forschungsstandes wurde die Studie von Jiˇrí Kejˇr mit dem Titel „Strittige Fragen in der Forschung über das Kuttenberger Dekret“. 50 In vielerlei Hinsicht klingt sie auch in meinem Versuch einer Erklärung der Streitigkeiten an der Prager Alma Mater an. Kejˇr war für die Diskussion jener strittigen Fragen bestens vorbereitet durch seine Studien über das hussitische Rechtswesen 51 und über Johannes von Jessenitz, 52 dem er definitiv die Urheberschaft der „Defensio mandati“ zusprach. Kejˇr konnte einerseits seine Zugehörigkeit zur rechtshistorischen Schule nicht verleugnen, die durch seine Zustimmung zu Johannes’ zweckgebundenem Nationalismus der modernen Prägung zum Ausdruck kommt. Anderseits bereicherte er die Forschung um einen neuen Quellentyp, und zwar um Quodlibet-Handbücher und Universitätsquästionen, in denen sich die intellektuelle Gärung der Universitarier vor
48 Macek, Josef: Tábor v husitském revoluˇcním hnutí [Tabor in der hussitischen Revolutionsbewegung]. 2 Teile. Praha 1952–1955, hier Teil 1. Praha 1952, 53 f. 49 Zahajovací projev (wie Anm. 46), 9. 50 Kejˇr, Jiˇrí: Sporné otázky v bádání o Dekretu kutnohorském [Strittige Fragen in der Forschung über das Kuttenberger Dekret]. In: AUC – HUCP 3/1 (1962), 83–121. – Eine neue Auffassung von der Geschichte der vorhussitischen Universität vertritt die beinahe noch zeitgenössische Studie von Šmahel, František: Karlova universita a husitské revoluˇcní hnutí (Úvaha na okraji marxistické literatury) [Die Karlsuniversität und die hussitische Revolutionsbewegung (Betrachtung am Rande der marxistischen Literatur)]. In: AUC – HUCP 4/1 (1963), 107–115. 51 Kejˇr, Jiˇrí: Dvˇe studie o husitském právnictví [Zwei Studien über das hussitische Rechtswesen]. Praha 1954. 52 Ders.: Husitský právnik M. Jan z Jesenice [Der hussitische Jurist Mag. Johannes von Jessenitz]. Praha 1965.
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und nach dem Erlass des Dekretes deutlich widerspiegelt. Die umfangreiche Analyse des Quodlibet von Matthias von Knín 53 erinnert an Novotnýs felsenfesten Glauben an die Wahrhaftigkeit der Zeugenaussagen des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag. Sie verleitete Kejˇr, den Erlass des Kuttenberger Dekretes als einen voluntaristischen Akt Wenzels IV. erneut zu verneinen. Die stark nationalistisch gefärbte Auslegung des Kuttenberger Dekretes von Wenzel IV., der den berechtigten Ansprüchen der durch die deutschen Magister hintangestellten und unterdrückten böhmischen Magister entgegengekommen sei, beeinflusste wiederum die Entwicklung der quantitativen Forschung. Dies geschah sicher auch deshalb, weil die Argumentation auf der Basis von Magisterzahlen sowohl beim Streit um die Kollegiatsplätze in den Jahren 1384–1390 als auch beim Streit um die Umsetzung des Kuttenberger Dekretes eine zeitgenössische Angelegenheit war. Außerdem spielte die Tatsache eine entscheidende Rolle, dass die Universitätsmatrikel der Juristenfakultät, ebenso wie das Dekansbuch der Artistenfakultät, nach ihrer scheinbar ausreichenden Auswertung durch Tomek außerhalb des Interesses der Forscher geblieben waren. Zur Wiederbelebung des Interesses an ihnen trugen die zweckbedingt entstandenen und in der Interpretation strittigen Arbeiten aus dem Seminar des Professors der Prager deutschen Universität Heinz Zatschek bei. 54 Weil Zatscheks Arbeiten im Unterschied zu Ernst Schwarz’ Forschungen zur Nationalitätenzusammensetzung der vorhussitischen Städte 55 Verdacht erregten, bot sich die Möglichkeit, einerseits national eingefärbte Interpretationen zu eliminieren und anderseits einen neuen Quellenimpuls in die Forschung einzubringen, ausgehend von der quantitativen und sozialhistorisch ausgerichteten Forschung. Kavka, der seine dogmatische Sicht auf die Prager Universitätsgeschichte von 1959 aufgegeben hatte, richtete seine Aufmerksamkeit nun auf die Magisterregenten, die durch ihre Vorlesungen die Masse der Universitätsstudenten formten. 56 Mit den bisherigen Erkenntnissen grundsätzlich brach jedoch erst die der Sozialgeschichte der Prager Universität und der Pager Universitarier in den Jahren 1399–1420 gewidmete Monographie Šmahels. Er wies darin eindeutig nach, dass sämtliche zeitgenössischen Urteile über den mächtigen Anstieg der Studentenzahlen aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation vor 1409 in das Reich der Träume zu verweisen seien. Die einheimischen Intellektuellen waren laut Šmahel zwar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihren ausländischen Kollegen zahlenmäßig gleichgestellt, nie-
53 Ders.: Kvodlibetní disputace na Pražské universitˇe [Quodlibetdisputationen an der Prager Universität]. Praha 1971. 54 Vgl. insbesondere Zatschek, Heinz: Studien zur Geschichte der Prager Universität bis 1409. In: ZSG 3 (1939), 81–128. 55 Schwarz, Ernst: Die Volkstumsverhältnisse in den Städten Böhmens und Mährens vor den Hussitenkriegen. In: Bohemia 2 (1961), 27–111; Ders.: Volkstumsgeschichte der Sudetenländer. Teil 1: Böhmen. München 1965; Teil 2: Mähren-Schlesien. München 1966. 56 Kavka, František: Mistˇri-regenti na artistické fakultˇe pražské univerzity v letech 1367–1420 [Die Magister-Regenten an der Artistenfakultät der Prager Universität in den Jahren 1367–1420]. In: Z cˇ eských dˇejin. Sborník prací in memoriam prof. dr. V. Husy. Praha 1966, 77–96.
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mals wuchs jedoch ihre Anzahl derart, um eine Änderung der Universitätsstimmen zu Gunsten der böhmischen Nation zu rechtfertigen. 57 Ende der 1970er Jahre revidierte Šmahel dann die neueren Urteile über die quantitativen Folgen des Auszugs der deutschen Magister für die Prager Alma Mater und für die Entwicklung der benachbarten Universitäten. 58 Er reagierte kritisch auf die einzige deutsche analytische Arbeit, die zur Geschichte des Kuttenberger Dekretes nach dem Jahre 1945 entstanden war: die Monographie von Sabine Schumann. 59 Er konnte sich dabei sowohl auf seine früher veröffentlichten Forschungen stützen, die Schumann nicht kannte, als auch auf den Fragen des mittelalterlichen Nationalismus gewidmeten Forschungsstrom. Zu diesem gehörten seine „Idee der Nation im hussitischen Böhmen“, die auf die nationalen Aspekte des Prager vorhussitischen Reformismus ein neues Licht wirft, sowie die strukturale Analyse der Anfänge des Hussitismus als einer frühbürgerlichen Revolution aus der Feder von Ferdinand Seibt. 60 Seibts Studien, so ist hervorzuheben, schlugen eine echte Bresche in die deutsche Hussitismusforschung. Er vermochte sich als Erster (nach Friedrich von Bezold) von der rein nationalistischen Einstellung dem Hussitismus gegenüber freizumachen. Sein Aufsatz über Hussens Anteil am Erlass des Kuttenberger Dekretes verdrängte schließlich den Geist Höflers aus der deutschen Wahrnehmung. 61 In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts kann man fast von einer Wiederbelebung der Forschung über die Prager Universität und die Prager Universitarier sprechen. Die Studien von Jiˇrí Kejˇr, František Šmahel oder Vilém He-
57 Šmahel, František: Pražské universitní studentstvo v pˇredrevoluˇcním období 1399–1419 [Die Prager Universitätsstudentenschaft in der Vorrevolutionszeit 1399–1419]. Praha 1967. An Šmahels For˚ Hana: Poˇcet graduovaných a schungen hat in den 1960er bis 1980er Jahren angeknüpft Václavu, negraduovaných student˚u na pražské artistické fakultˇe v letech 1367–1398 a jejich rozdˇelení podle p˚uvodu do universitních národ˚u [Die Anzahl der graduierten und nicht graduierten Studenten an der Prager Artistenfakultät in den Jahren 1367–1398 und deren Eingliederung gemäß der Herkunft in die Universitätsnationen]. In: AUC – HUCP 17/1 (1977), 7–32. 58 Šmahel, František: The Kuttenberg Decree and the Withdrawal of the German Students from Prague in 1409. A Discussion. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter – The Charles University in the Middle Ages. Gesammelte Aufsätze – Selected Studies. Leiden-Boston 2007, 159–171 [zuerst in: HU 4 (1984), 153–166]. 59 Schumann, Sabine: Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte. Berlin 1975. 60 Seibt, Ferdinand: Hussitica. Zur Struktur einer Revolution. Köln-Wien 21990 [Köln-Graz 1965]. Seibts Buch muss man als Polemik gegen die hussitische Ideologie Robert Kalivodas lesen. Dazu vgl. dessen umfangreiche Besprechung: Kalivoda, Robert: Seibtova Hussitica a husitská revoluce [Seibts „Hussitica“ und die hussitische Revolution]. In: AUC – HUCP 8/2 (1967), 61–83. 61 Seibt, Ferdinand: Johannes Hus und der Abzug der deutschen Studenten aus Prag 1409. In: AfK 39 (1957), 63–80. Obwohl Seibts Studie nachweislich vor den Feierlichkeiten zum 550. Jubiläum des Kuttenberger Dekretes erschienen war, hat sie die marxistische Forschung völlig ignoriert und die neue Strömung in der deutschen Mediävistik nicht sehen wollen. An Seibts Auffassungen hat angeknüpft Schmidt, Roderich: Fundatio et confirmatio universitatis. Von den Anfängen deutscher Universitäten. Goldbach 1998; Ders.: Die Prager Universitätsnationen bis zum Kuttenberger Dekret von 1409 und die Anfänge „nationaler“ Gedanken im Königreich Böhmen. In: Deutsche in den böhmischen Ländern. Hg. v. Hans Rothe. Köln-Weimar-Wien 1992, 47–65.
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rold 62 trugen eindeutig bei zur Vertiefung der Kenntnisse über die Entwicklung der Juristenfakultät und des philosophischen Realismus Wyclif’scher Prägung als Motor der Reformbestrebungen der böhmischen Magister. Dank ihrer sieht man heute die Konflikte zwischen den Vertretern zweier philosophischer Richtungen, die nach 1403 einen immer deutlicheren nationalen Hintergrund bekamen, detaillierter und in schärferem Licht. Und weil diese Renaissance bis heute andauert, sind wir nun viel besser als noch in den 1960er Jahren unterrichtet über die institutionelle Form der Prager Juristenfakultät, 63 über die rechtlichen Aspekte des Konfliktes Hussens mit den kirchlichen Autoritäten, 64 über das Schicksal des Hieronymus von Prag, 65 einer der Hauptakteure der Konflikte um das Kuttenberger Dekret, und sogar über die Universitätsnationen bis zum Jahre 1409. 66 Ganz abgesehen davon stellt der erste, leider ohne Anmerkungsapparat veröffentlichte Band der Prager Universitätsgeschichte eine reife Synthese der mittelalterlichen Geschichte der Prager Alma Mater dar. 67
62 Herold, Vilém: Pražská universita a Wyclif [Die Prager Universität und Wyclif]. Praha 1985. – Dazu vgl. auch eine ganze Reihe weiterer analytischer Studien des Autors. 63 Moraw, Peter: Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet. In: Schule und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hg. v. Johannes Fried. Sigmaringen 1986, 439–486 [tschech. Übersetzung: Pražská právnická univerzita 1372–1419. Studie k jejím institucionálním a sociálním dˇejinám. In: AUC – HUCP 32/1–2 (1992), 7–50]. 64 Kejˇr, Jiˇrí: Hus˚uv proces [Hussens Prozess]. Praha 2000. 65 Šmahel, František: Život a dílo Jeronýma Pražského. Zpráva o výzkumu [Leben und Werk des Hieronymus von Prag. Ein Forschungsbericht]. Praha 2010. 66 Stoˇces, Jiˇrí: Pražské univerzitní národy do roku 1409 [Die Prager Universitätsnationen bis zum Jahre 1409]. Praha 2010. Die Ergebnisse dieses im letzten Kapitel über die sächsische Universitätsnation an der Juristenfakultät bahnbrechenden Werkes konnte ich leider nur sehr beschränkt berücksichtigen. 67 Dˇejiny Univerzity Karlovy [Geschichte der Karlsuniversität]. Bd. 1: 1347/48–1622. Hg. v. Michal Svatoš. Praha 1995. Mit Anmerkungen ist lediglich das Kapitel über die Artistenfakultät aus der Feder František Šmahels erschienen: Šmahel, František: The Faculty of Liberal Arts 1348–1419. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), 213–317 [zuerst in: Dˇejiny Univerzity Karlovy, 101–161], hier allerdings mit zwei wichtigen Anlagen: mit einer Liste der Dekane und der Beamten-Dignitare der Fakultät, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Semestern, sowie mit einer Interpretation der chronologischen Reihenfolge der Statuten der Prager Artistenfakultät.
II „Versöhnung der Nationen“ in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunder ts Der universitäre Raum, die freie Welt, in der es möglich war, in Disputationen die feinsten Subtilitäten der mittelalterlichen Auffassung des Universums zu berühren, war ein fremdartiges Element, das unter rechtlichen Gesichtspunkten außerhalb der allgemein akzeptierten Gewohnheiten bestand. Insbesondere aus diesem Grund bildete allein die Existenz der Universität, deren Entstehung eng mit der Stadt verknüpft ist, eine Quelle permanenter Spannungen, Streitigkeiten und Anstrengungen der aufgeklärten Gebildeten, sich der Aufsicht der grobschlächtigen, ungebildeten Analphabeten zu entziehen. Die mit der Universität und ihrem Umfeld verbundenen Auseinandersetzungen pflegten am häufigsten dreierlei Art zu sein. Die erste und schwerwiegendste Form betraf den Streit der durch den Rektor repräsentierten Universität um die Jurisdiktion über die Universitarier. Dieser Streit übertrug sich v. a. auf die Beziehungen zwischen der Universität und der betreffenden städtischen Korporation, auf deren durch die Stadtmauern begrenztem Gebiet die Universität wirkte. 68 Die Prager Universität wählte im Streit mit der Altstadtgemeinde in diesem Fall den Weg über Herrscherprivilegien. Sie lösten die ausbrechenden und ausgebrochenen Konflikte zu Gunsten der Universitätsautonomie, wobei die Vorteile dieser Autonomie alle nutzen konnten, die mittels eines Schwurs Teil des Universitätskörpers geworden waren (Näheres hierzu in diesem und im IV. Kapitel). 69 Die zweite Form der Auseinandersetzungen ging vom Wesen des Universitätsunterrichts aus, dessen Zweck in der Lösung philosophischer bzw. theologischer Probleme und Fragen bestand, und betraf die Rechtgläubigkeit der (öffentlich oder im Rahmen der Universitätsgemeinde) verkündeten Lehre. Streitigkeiten um die Recht-
68 Literatur zur Stadt und zur Universität bei: Koller, Heinrich: Stadt und Universität im Spätmittelalter. In: Stadt und Universität im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Hg. v. Erich Maschke und Jürgen Sydow. Sigmaringen 1977, 9–26; Brincken, Anna-Dorothee von den: Die Stadt Köln und ihre Hohen Schulen. In: Ebd., 27–52. – Wriedt, Klaus: Stadtrat – Bürgertum – Universität am Beispiel norddeutscher Hansestädte. In: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. v. Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann. Göttingen 1983, 499–523; Moraw, Peter: Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter. In: Ebd., 524–552. – Wriedt, Klaus: Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters. In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hg. v. Johannes Fried. Sigmaringen 1986, 487–525; Schwinges, Rainer Christoph: Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland. In: Ebd., 527–564. – Nuding, Matthias: Die Universität, der Hof und die Stadt um die Wende zum 15. Jahrhundert: Fragen an die ältesten Heidelberger Rektorsakten. In: ZGO 146 (1998), 197–248. 69 Zur Beziehung zwischen der Prager Alma Mater und den Prager Städten vgl. Svatoš, Michal: Mˇesto a univerzita ve stˇredovˇeku [Stadt und Universität im Mittelalter]. In: DP 11 (1994), 40–46.
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gläubigkeit der Lehre, die oft auf die Ebene der Gelehrtenhäresie gerieten, 70 brachen entweder zwischen den Universitariern selbst aus, die sich als Schiedsstelle die Universität gewählt hatten, oder zwischen den Universitariern und der Universität bzw. zwischen den Universitariern und den Repräsentanten der Kirche. Im Prager Umfeld waren die Repräsentanten der Kirche, die ex officio auf die Rechtgläubigkeit der universitären Lehre achten sollten, der Erzbischof von Prag und sein Kapitel sowie die Beamten des erzbischöflichen Hofes, auf die der Erzbischof seine Aufsichts- und Strafrechtsbefugnisse delegierte. An der durch König Karl IV. im Jahre 1348 gegründeten Prager Universität ist das Vorhandensein dieser beiden Typen von Streitigkeiten belegt. (Für die Rechtgläubigkeit der Lehre sind beispielhaft der Streit um Matthias von Janov, 71 um Johannes Munczinger 72 oder zwischen Adalbertus Ranconis de Ericinio und Heinrich Totting von Oyta 73 sowie der Vorwurf der Verkündigung der Remanenzlehre durch Stephan von Páleˇc und Matthias von Knín 74 bzw. der Vorwurf der Verkündigung häretischer Ansichten durch Peter von Mährisch Neustadt 75.) Das bezeugen unter anderem die Meinungsvielfalt, die an der ersten transalpinen Alma Mater herrschte, und das Bestreben der Erzbischöfe von Prag, 70 Zum Begriff der Gelehrtenhäresie treffend Miethke, Jürgen: Gelehrte Ketzerei und kirchliche Disziplinierung; die Verfahren gegen theologische Irrlehren im Zeitalter der scholastischen Wissenschaft. In: Ders.: Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken. Leiden-Boston 2004, 361–405. 71 Zum Vorwurf der Verkündung häretischer Ansichten gegen Matthias von Janov immer noch am ausführlichsten: Kybal, Vlastimil: M. Matˇej z Janova. Jeho život, spisy a uˇcení [Mag. Matthias von Janov. Sein Leben, seine Schriften und seine Lehre]. Praha 1905, 17–21; Šmahel, František: Husitská revoluce. Bd. 2: Koˇreny cˇ eské reformace [Hussitische Revolution. Bd. 2: Die Wurzeln der böhmischen Reformation]. Praha 1993, 208 f. 72 Zur Beschuldigung der christologischen Häresie des Prager Bakkalaureus der Theologie Johannes Munczinger durch die Ulmer Dominikaner und zu seiner Entscheidung, sich als Scholar dem Gericht der Prager Universität unterzuordnen vgl. Lang, Albert: Johann Müntzinger, ein schwäbischer Theologe und Schulmeister am Ende des 14. Jahrhunderts. In: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Festschrift für Martin Grabmann. Hg. v. Dems. u. a. Münster 1935, 1200–1230. Munczinger trat am 12. Oktober 1385 tatsächlich vor die Kommission, die von den Repräsentanten der Theologischen Fakultät gebildet wurde – allesamt gleichzeitig Kollegiaten des Allerheiligenkollegs: Konrad von Soltau, Johannes Marienwerder, Johannes Wenceslai von Prag, Friedemann von Prag. 73 Ihren Streit von 1369/70 schildert Lang, Albert: Heinrich Totting von Oyta. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der ersten deutschen Universitäten und zur Problemgeschichte der Spätscholastik. Münster 1937, 18–28. – Neuerdings Kadlec, Jaroslav: Mistr Vojtˇech Raˇnk˚uv z Ježova [Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio]. Praha 1969, 24–27; Ders.: Leben und Schriften des Prager Magisters Adalbert Rankonis de Ericinio. Münster 1971, 14–16; Herold, Vilém: Vojtˇech Raˇnk˚uv z Ježova a cˇ eská reformace [Adalbertus Ranconis de Ericinio und die böhmische Reformation]. In: Per saecula ad tempora nostra. Sborník prací k šedesátým narozeninám prof. Jaroslava Pánka. Teil 1. Hg. v. Jiˇrí Mikulec und Miloslav Polívka. Praha 2007, 82–85. 74 Zur Beschuldigung des Stanislaus von Znaim und des Matthias von Knín vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 161–164, 218–220; Nodl, Martin: Veˇrejné versus soukromé, aneb jak odpˇrisáhnout herezi [Öffentliches versus Privates oder wie der Häresie abschwören]. In: Rituály, ceremonie a festivity ve stˇrední Evropˇe 14. a 15. století. Hg. v. Dems. und František Šmahel. Praha 2009, 385–414. 75 Zum Vorwurf der Häresie und zum Bekenntnis zum Laienkelch sowie zur Deklaration der Prager Universität über die Verkündigung des Laienkelches zuletzt Bok, Václav/Löser, Freimut: Der Wi-
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speziell des Zbynko Zajíc von Hasenburg, die ihnen unterstellte Universität unter dem Gesichtspunkt des kanonischen Rechtes zu disziplinieren. Die Frage nach der Rechtgläubigkeit der Lehre stand auch im Mittelpunkt jener Konflikte, die durch unterschiedliche Vorstellungen von der Freiheit des Unterrichts und der Verkündigung theologisch problematischer Ansichten hervorgerufen wurden. Diese Art der Auseinandersetzung lernte die Prager Universität ebenfalls sehr gut kennen und löste sie auf zweierlei Weise: durch Beschränkungen der Freiheit des Unterrichts (durch das Verbot, Wyclifs Thesen zu verkündigen, das für alle Mitglieder der Universitätsgemeinde galt) und durch die Übergabe der Konfliktlösung an die päpstliche Kurie (dazu Näheres im 3. Kapitel). 76 Den dritten Streit-Typus, dem sich dieses Kapitel ausführlich widmet, bildeten die Kontroversen der einzelnen Universitätskorporationen untereinander, die alle Aspekte machtpolitischer Art aufwiesen und in denen es primär um die Rivalität untereinander, um die Durchsetzung vorteilhafterer Bedingungen für eine Korporation auf Kosten der übrigen ging. Dazu gehören beispielsweise der Streit um die Jurisdiktion der Konservatoren der Prager Hohen Schule 77 oder das systematische und schließlich erfolgreiche Bestreben der Prager Juristen, sich aus der Vierfakultätenuniversität auszugliedern und eine eigene Universität zu gründen. 78 Der bedeutendste und für die Geschicke der Universität in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts geradezu kardinale Streit dieses Typs war der national geprägte Kampf um den Erlass und die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes. Diesem Streit gingen jedoch der Streit zwischen der böhmischen Universitätsnation und den übrigen drei Universitätsnationen um eine gleichberechtigte Stellung an der Universität voran und die damit verbundene Meinungsverschiedenheit um die Art der Besetzung der Kollegiatsplätze im Karlskolleg sowie auch im Allerheiligenkolleg und im Kolleg König Wenzels. Dieser Streit brach gegen Ende des Jahres 1384 aus und ist von der bisherigen Geschichtsschreibung überwiegend im kausalen Zusammenhang mit dem Streit um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes wahrgenommen worden. Wie ich jedoch nachzuweisen versuchen werde, geht diese Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs derruf des Peter von Uniˇcov vor der Prager Universitätsgemeinde (1417). In: Schriften im Umkreis mitteleuropäischer Universitäten um 1400. Lateinische und volkssprachige Texte aus Prag, Wien und Heidelberg: Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Wechselbeziehungen. Hg. v. Fritz Peter Knapp, Jürgen Miethke und Manuela Niesner. Leiden-Boston 2004, 231–250. 76 Zu diesen Problemen vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 375–498; Herold, Pražská universita a Wyclif (wie Anm. 62); Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 214–257. – Zuletzt zusammenfassend, oft jedoch ohne eine kritische Analyse des Aussagewertes der benutzten Quellen Marin, Olivier: Libri hereticorum sunt legendi: svoboda výuky na pražské univerzitˇe (1347– 1412) [Libri hereticorum sunt legendi: Freiheit des Unterrichts an der Prager Universität (1347– 1412)]. In: AUC – HUCP 42/1–2 (2002), 33–57. 77 Zuletzt zu den Befugnissen der Konservatoren: Stoˇces, Jiˇrí: Konzervátoˇri práv pˇredhusitského pražského obecního uˇcení [Konservatoren der Rechte des vorhussitischen Prager Studium generale]. In: AUC – HUCP 45/1–2 (2005), 29–66. 78 Zur Verselbständigung der Juristenfakultät vgl. Moraw, Pražská právnická univerzita (wie Anm. 63), 18–21; Kejˇr, Jiˇrí: Dˇejiny pražské právnické fakulty [Geschichte der Prager Juristenfakultät]. Praha 1995, 22–32.
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vom etwas überschätzten oder sogar rückwirkend in die Mitte der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts übertragenen nationalen Hintergrund des Streites 79 um die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien aus. 80 Und weil die Quellen meiner Meinung nach eine neue – auch wenn gelegentlich von älteren Ansichten ausgehende – Erklärung der „Eintracht der Nationen“ ermöglichen, also der concordia nacionum, deren Verletzung das Hauptargument der drei auswärtigen Universitätsnationen für die Ablehnung des Kuttenberger Dekretes darstellte, beabsichtige ich in diesem Buch, den Konflikt von 1384/85 unter dem Gesichtspunkt seiner strukturellen Ähnlichkeit und seiner strukturellen Verschiedenheit zum Streit um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes zu analysieren. Den Fokus lege ich dabei auf die Unterschiede bei der Lösung der beiden Konflikte, zumal sie ein Vierteljahrhundert voller Umbrüche und Teilstreitigkeiten sowie Änderungen bei den Immatrikulationszahlen und bei der Verleihung akademischer Grade voneinander trennt.
Meinungen und Interpretationen Die kritische Erforschung der Geschichte der Prager vorhussitischen Universität ist eng mit der Person Václav Vladivoj Tomeks verbunden. 81 Als Tomek im Jahre 1849 seine „Geschichte der Prager Universität“ veröffentlichte, 82 hatte er ein Monument geschaffen, das in vielerlei Hinsicht auch vor den kritischsten Urteilen der heutigen Historiker besteht. Tomek trat nämlich an seine Forschung mittels einer gründlichen Analyse der erhaltenen Quellen heran, wie es übrigens für seine ganze Forschungswerkstatt kennzeichnend war. Im Unterschied zu seiner späteren, der Prager Stadtgeschichte gewidmeten Forschung konnte er sich zwar auf Editionen der ältesten Universitätsurkunden stützen und v. a. auf die juristischen Matrikeln und die Dekansbücher der Artistenfakultät. Deren Aussagen ergänzte und präzisierte er jedoch durch weitere Quellen universitärer und kirchlicher Provenienz. Der zwischen den Universitätsnationen in den Jahren 1384/85 ausgebrochene Streit stellt allerdings in Tomeks Universitätsgeschichte eine Ausnahme dar. Am Ende der 1840er Jahre stand Tomek nämlich nur die „Chronik der Prager Universität“ und die notarielle Urkunde der Lösung des Streites im Karlskolleg im Jahre 1390 zur Verfügung. Auf deren Grundlage, also ohne Kenntnis des Prozessverlaufes, kam er zu Schlussfolge-
79 Zur zeitgenössischen Auffassung des Nationalbewusstseins und des Nationalismus treffend, auch für ˇ die ältere und jüngere Zeit: Šmahel, František: Idea národa v husitských Cechách [Die Idee der ˇ Nation im hussitischen Böhmen]. Praha 22000 [Ceské Budˇejovice 1972]. 80 Svatoš, Michal: Obecné uˇcení (1347/48–1419) [Das Studium generale (1347/48–1419)]. In: Dˇejiny Univerzity Karlovy (wie Anm. 67), 86. 81 Zu seiner Person als Historiker und Politiker vgl. Nodl, Václav Vladivoj Tomek a František Palacký (wie Anm. 15), 87–110 bzw. 11–33. 82 Nach seinem eigenen Zeugnis begann er sie am 10. Mai 1845 zu schreiben: Tomek, W. W. [Václav Vladivoj]: Pamˇeti z mého žiwota [Erinnerungen aus meinem Leben]. Bd. 1. Praha 1904, 204.
Meinungen und Interpretationen
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Abb. 1 Urkunde Karls IV. von 1366 zur Gründung des Karlskollegs.
rungen, 83 die er unter dem Eindruck des Aussagenwertes neu entdeckter Quellen im dritten Teil der „Geschichte der Stadt Prag“ revidieren musste. 84 Bereits Tomek vertrat die These, Karl IV. habe bei der Gründung des Karlskollegs gewünscht, dass – obwohl die auswärtigen Studenten an der Universität überwogen – die Kollegiatsplätze häufiger mit böhmischen Magistern besetzt würden, und zwar sowohl mit gebürtigen Tschechen als auch mit einheimischen Deutschen. Daher hätten unter den ersten sechs Kollegiaten angeblich die Magister der böhmischen Universitätsnation die Hälfte gebildet. Die deutschen Nationen beneideten jedoch laut Tomek die Böhmen ob dieses Vorteils und wollten daher „für sich mindestens die Anzahl der Präbenden, die sie bis dahin im Karls- sowie im neueren Wenzelskolleg innehatten, durch die Einführung eines neuen Wahlverfahrens absichern, und zwar so, dass, wenn ein Posten von einem Deutschen frei wird, die deutschen Kollegiaten selbst für sich ein neues Mitglied wählen“. Diese Gegebenheit, oder eine
83 Ders., Dˇeje university pražské (wie Anm. 16), 110–112. Tomek hatte nur eine allgemeine Kenntnis von der Appellation, und zwar aufgrund einer kurzen Erwähnung in Bohuslav Balbíns Schrift „Bohemia docta“. 84 Ders., Dˇejepis mˇesta Prahy (wie Anm. 19), hier Bd. 3, 331–335.
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ihr ähnliche, sei nun die Ursache des Streites von 1384. Die böhmischen Magister hätten sich gegen dieses Bestreben der deutschen Magister beim Erzbischof von Prag verwahrt, und dieser habe dann am 2. Dezember eine Anordnung erlassen, nach der in das Karls- und Wenzelskolleg nur ein Magister der böhmischen Universitätsnation gewählt werden darf. Gleichzeitig habe er auf Wunsch der Magister, für deren Anführer Tomek Johannes Wenceslai von Prag hält, dem Rektor Neuerungen bei der Einberufung des Universitätsrates verboten. Die deutschen Magister widersetzten sich laut Tomek diesen Anordnungen. Daher habe sie der Erzbischof auf den Rechtsweg verwiesen. Die Richter fällten dann am 6. Dezember ihr Urteil, das den deutschen Magistern jene eigenständige Wahl auf einen frei gewordenen Posten untersagte. Nach weiteren Gerichtsverhandlungen erlaubte der Erzbischof am 23. Dezember doch noch die Wahl, allerdings sollten zu ihr die böhmischen Magister ebenso wie die anderen eingeladen werden. Als eigentliche Ursache des nachfolgenden Streites benennt Tomek die Anerkennung der Jurisdiktion des Erzbischofs über die Universität und die Universitarier. Dem Bann vom 14. Januar 1385, mit dem die Magister wegen ihrer Abwesenheit von der Gerichtsverhandlung belegt wurden, misst er dabei entscheidende Bedeutung bei. Gerade dieser habe zum Nachgeben der führenden Mitglieder der drei deutschen Universitätsnationen geführt und zum Versuch, einen Vergleich mittels acht Friedensrichtern zu schließen. Nachdem die Friedensrichter ihren Spruch vorgetragen hatten, wurden angeblich die acht Magister vom Bann befreit, die sich dem Urteil beugten. Unter ihnen soll sich auch Magister Menso von Beckenhusen befunden haben (27. Februar). Die übrigen Magister und Studenten hätten jedoch den Friedensspruch nicht akzeptiert und seien deshalb am 1. März mit dem Bann belegt worden. Da die deutschen Magister keine Unterstützung für ihr Vorgehen bei König Wenzel IV. gefunden hatten, mussten sie sich schließlich dem Urteil der zwei Friedensrichter Nikolaus Puchˇ ník von Cernice und Konrad von Soltau beugen, das Tomek erst in die Zeit nach dem Rektorat Konrads datiert. Nach diesem Urteil sollten fünf plus fünf Kollegiatsplätze den Magistern der böhmischen Universitätsnation vorbehalten bleiben, die sechste und zwölfte Präbende dagegen ohne Unterschied der Nationszugehörigkeit besetzt werden. Die Streitbeilegung und den Vergleich bestätigte dann angeblich ein besonderes königliches Schreiben. Das Verbot des Rektors, Vorlesungen zu halten, datiert Tomek ebenfalls nicht genau. Dem Kontext nach ordnet er es in den Zeitraum von Ende Dezember 1384 bis Januar 1385 ein, ganz sicher aber vor die Anordnung über die Benutzung privater Gefängnisse, also vor den 20. Januar 1385. In direkter Beziehung zum Streit von 1384/85 steht für ihn auch die Ablehnung der Berufung von sechs Theologieprofessoren (darunter Friedemann von Prag, Johannes Wenceslai von Prag, Johannes Marienwerder, Konrad von Soltau und Menso von Beckenhusen) beim Papst am 22. Dezember 1384, wodurch diese auf die „vermeintlich völlige Unabhängigkeit der Universität“ verzichteten. Die neue Vereinbarung vom Jahre 1390 erwähnt Tomek in seiner „Geschichte der Stadt Prag“ merkwürdigerweise nicht, obwohl sie ihm bekannt war und er damit in seiner Universitätsgeschichte arbeitete. Den Folgen des Streites um die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien widmet er sich ebenfalls nicht – bis auf die Annahme, der Streit habe unter
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der Prager Bevölkerung sicher eine „beträchtliche Erregung“ verursacht. Der endgültige Sieg der Böhmen an der Universität stärkte aber laut Tomek zweifellos das Bestreben der tschechischen Bevölkerung, eine größere Vertretung und Bedeutung in der Stadtverwaltung zu erlangen. Tomeks Forschungsbeitrag besteht außerdem darin, dass er im fünften Teil seiner „Geschichte der Stadt Prag“ die erste Liste der damals bekannten Kollegiaten aller Magisterkollegien vorlegte. 85 Einen noch deutlicheren nationalen Hintergrund sieht Karl Adolf Konstantin von Höfler in dem Streit von 1384/85. 86 Obwohl seine der vorhussitischen Universität und den Nationalitätenbeziehungen gewidmete Arbeit an nationalistischer Voreingenommenheit leidet, stellt sie im Vergleich zu Tomeks „Geschichte der Prager Universität“ quellenmäßig dennoch eine große Bereicherung dar. Höfler benutzt darin nämlich die von ihm entdeckten Appellationen gegen die erzbischöflichen Erlasse und – wenn auch nicht allzu kritisch – die Protokolle der Gerichtsakten der Generalvikare. Unter interpretativen Gesichtspunkten bringt Höfler jedoch kaum neues Licht in den Streit – vielleicht mit Ausnahme der von ihm vorausgesetzten Folgen des Streites für die weitere Existenz der Prager Alma Mater. Ihm zufolge wandte sich die böhmische Universitätsnation vor dem Dezember 1384 nicht nur an den Erzbischof, sondern auch an den König und den königlichen Rat und bat diese darum, zukünftig nur Böhmen zu Kollegiaten wählen lassen zu dürfen. Es sollen angeblich nicht einmal zehn Tage vergangen sein bis der Erzbischof ihrem Gesuch schließlich am 2. Dezember entsprach. 87 Bei der Konfliktbeilegung geht Höfler von der „Chronik der Prager Universität“ aus, nach der die Böhmen fünf Kollegiatsplätze erwarben und der sechste ohne Nationalitätenunterschied besetzt werden sollte. Die Vereinbarung über die Kollegiatsplätze verbindet er dann mit dem von Nikolaus Puchník ˇ von Cernice und Konrad von Soltau geschlossenen Vergleich, fügt jedoch hinzu, dass sich der Streit um die Kollegien auch nach Abschluss dieser Vereinbarung fortgesetzt habe. Als deren Bestandteil betrachtet er die am 22. Dezember 1385 seitens der Magister erfolgte Rücknahme der Schritte, die sie bei der Kurie gegen den Erzbischof unternommen hatten, und ihre völlige Unterordnung unter die erzbischöfliche Jurisdiktion. Im Unterschied zur weiteren Forschung spricht Höfler jedoch unbegreiflicherweise von vier Magistern: Konrad von Soltau, Matthäus von Krakau, Johannes Marienwerder und Friedemann Janko. Letzter war dabei seiner Meinung nach Magister einer der drei auswärtigen Universitätsnationen, die gemeinsam mit Magistern der böhmischen Universitätsnation von der Artistenfakultät gegen die Bemühungen Konrads protestierten, die Statuten und die Gestalt der Universitätsverwaltung zu ändern. Den Abgang der Prager Magister an die neu gegründeten Universitäten in Heidelberg und Köln am Rhein bezieht Höfler eindeutig auf den Ausgang des Streites um die Kollegiatsplätze und auf den Verlust des Übergewichts der drei deutschen Universitätsnationen. Der Streit um die Kollegiatsplätze bzw. seine für die Böhmen 85 Ebd., hier Bd. 5, 192–195, 294 (die erste Ausgabe des fünften Teiles erschien im Jahre 1881). 86 Zu seiner Person zuletzt Zilynská, Karl Adolf Constantin Ritter von Höfler (wie Anm. 28), 193– 224. 87 Höfler, Magister Johannes Hus (wie Anm. 29), 125.
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vorteilhafte Lösung verursachte laut Höfler in den folgenden Jahren auch das Absinken der Immatrikulationszahlen. Dabei räumt er ein, nicht genau sagen zu können, ob die drei deutschen Nationen tatsächlich das zehnfache Übergewicht verloren haben, das sie einer der Appellationen zufolge am Ende des Jahres 1384 besaßen. 1909, im großen Jubiläumsjahr des Kuttenberger Dekretes, formulierte Václav Novotný seine Darstellung des Streites um die Besetzung der Magisterkollegien. Diese Darstellung wird mit gewissen Abänderungen größtenteils bis heute akzeptiert. 88 Laut Novotný lag die Ursache des Streites im Missverhältnis zwischen den bisherigen Magisterkollegiaten der böhmischen Universitätsnation und den Magisterkollegiaten der drei übrigen Nationen, das zum gegebenen Zeitpunkt nicht mehr der Vertretung und Bedeutung des böhmischen Elementes an der Dreifakultätenuniversität entsprach. Zu diesem Schluss kommt Novotný durch die hypothetische Rekonstruktion der personellen Zusammensetzung des Allerheiligenkollegs. Für die Jahre 1367–1371 berechnet er zwei deutsche und vier böhmische Magister und fügt hinzu, dass die Böhmen schon früher Kapitelmitglieder gewesen sein könnten. Für die Jahre 1380–1383 berechnet er neben zwei böhmischen Magistern sechs neue deutsche Magister. 89 Als Ende 1384 die Wahl nach dem alten Verfahren vorgenommen werden sollte, hätten sich die Vertreter der böhmischen Nation an den Erzbischof als Universitätskanzler mit der Bitte gewandt, er möge diese Wahl verhindern. Erzbischof Johannes von Jenstein reagierte auf diese Bitte positiv. Am 2. Dezember ordnete er den Kollegienmitgliedern an, künftig nur noch Magister aus der böhmischen Universitätsnation zu wählen. Die Kollegiaten kündigten dann gegen diese Entscheidung Proteste an, und zwar – wie Novotný hervorhebt – ohne Rücksicht auf ihre Nationalität. Zu den Verfechtern der alten Rechte zählten nämlich auch die Magister Nikolaus von Rakonitz und Nikolaus von Leitomischl. Daraus ergibt sich, dass Novotný die Appellation eindeutig mit dem Karlskolleg verbindet. Der Universitätsrektor, Magister Konrad von Soltau, war in der Zeit des Streites der Kollegiaten mit dem Erzbischof von Prag Mitglied der sächsischen Nation. Er bemühte sich laut Novotný „gerade in der Zeit, als die ältere Rivalität eine sachliche Grundlage durch den Streit um die Kollegiatsplätze fand [. . . ], um irgendwelche, näherhin unbekannte, aber allem Anschein nach mit dem Streit um die Kollegien zusammenhängende Änderungen in den Universitätsstatuten zum Schaden der böhmischen Nation und zum Schaden der zahlenmäßig größten Artistenfakultät, und daher vielleicht zu Gunsten der Theologischen Fakultät, an der die Ausländer damals bereits die Mehrheit stellten“. 90 Dieses Vorgehen hält Novotný für unberechtigt. Deswegen sei es zu einem
88 Novotný, Václav: Dekret kutnohorský [Das Kuttenberger Dekret]. In: Dekret kutnohorský (wie Anm. 39), 5–28. 89 Ebd., 27, Anm. 9. Václav Novotnýs hypothetische Rekonstruktion ist jedoch sehr umstritten. Denn nach den erhaltenen Quellen war es vom Jahre 1381, in dem acht bis neun Kollegiaten belegt sind, bis zum Jahre 1385 zu keiner deutlicheren Änderung gekommen. Die Situation vor 1381 ist hingegen kaum bekannt, und schwierig zu bestimmen bleibt daher, wer von den ursprünglichen Mitgliedern des Karlskollegs zum Kollegiaten des Allerheiligenkollegs geworden war. 90 Ebd., 12.
Meinungen und Interpretationen
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Sturm der Entrüstung gekommen. Die böhmische Nation habe dagegen mit einigen ausländischen Magistern der Artistenfakultät beim Erzbischof protestiert. Auch diesmal attestiert Novotný den Protestierenden also kein ausgeprägtes Nationalitätendenken, allerdings ohne daraus den Schluss zu ziehen, dass es primär um die Verteidigung der alten Rechte und erst sekundär um einen Konflikt zwischen den Nationen ging. Der Erzbischof von Prag verbot jedenfalls am 4. Dezember dem Rektor, Beratungen an der Universität anders als nach der alten Ordnung abzuhalten. Dadurch entstand laut Novotný ein scharfer Konflikt, der sich in seinem Verlauf zu „einem großen Streit der böhmischen Nation mit den auswärtigen Nationen entwickelte, zu einem Streit, der eine längere Zeit andauerte und durch verschiedene kleinere Streitigkeiten durchdrungen wurde, zu einem Streit, dessen Phasen man nicht alle genau verfolgen kann und von dessen Ergebnis wir nicht in jeder Hinsicht gut unterrichtet sind“. 91 Konrad von Soltau legte laut Novotný gegen den erzbischöflichen Erlass beim Papst Berufung ein. Unter dem Einfluss dieser Berufung änderte angeblich der Erzbischof am 20. Dezember seinen Erlass und erlaubte die Abhaltung von Universitätsversammlungen, auf denen die notwendigen Wahlen stattzufinden hatten, „aber so, dass die böhmische Nation zur Teilnahme eingeladen wird“. Konrad, der nicht bereit gewesen sein soll, seine Änderungen der Universitätsstatuten aufzugeben, reagierte darauf mit einem Vorlesungsverbot und ließ einige Böhmen einkerkern. Die böhmischen Magister gehorchten ihm jedoch Novotný zufolge nicht und hielten trotz des Verbots Vorlesungen und Disputationen ab, einige Studenten griffen dann sogar den Rektor und andere deutsche Magister tätlich an. Novotný sieht also im Streit um die Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien und im Streit um die Änderung der Universitätsstatuten eindeutig eine Verbindung. Der erste Streit sei schließlich durch die Intervention des Königs mittels des Spruches zweier Friedensrichter, darunter auch Konrad, gelöst worden. Dieser Spruch erkannte laut Novotný den Böhmen im Karlskolleg fünf frei gewordene Präbenden zu, wobei die sechste Präbende ohne Rücksicht auf die Nationalität der Magister besetzt werden sollte. Die übrigen sechs Kollegiatsplätze waren den Mitgliedern der drei auswärtigen Universitätsnationen vorbehalten. Der zweite Streit, an dem Rektor Konrad beteiligt war, sei erst nach drei Jahren entschieden worden, und dies obwohl die Partei des Rektors aufgrund des Eingriffs Wenzels IV. im Dezember 1385 ihre Berufung beim Papst zurückgenommen hatte. Der Streit um die Besetzung des sechsten Kollegiatsplatzes im Karlskolleg eskalierte erneut in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als ein Magister der böhmischen Nation zum Kollegiat gewählt wurde, dessen Geburtsort aber strittig war. Diese abermalige Eskalation wurde erst 1390 „durch den Spruch von zwei deutschen Magistern so gelöst, dass es einen erneuten Erfolg der Böhmen bedeutete“. 92 Die concordia nacionum, über die in späteren Jahren gesprochen wird, ist laut Novotný das Ergebnis der Schlichtung dieses zweiten Streites von 1390 um die Besetzung der Kollegien. Darin sei die Reihenfolge der Besetzung des zwölften
91 Ebd., 13. 92 Ebd., 13, 27 f. mit Anm. 10.
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Kollegiatsplatzes festgelegt worden, und zwar in der Linie Böhme – Bayer – Pole – Böhme – Sachse – Bayer – Böhme – Pole – Sachse. Einen fundamentalen Beitrag der einheimischen deutschen Forschung zur Art und Weise der Lösung der Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen in den Jahren 1384/85 stellt die Arbeit von Friedrich Matthaesius von 1914 dar. Er kritisiert darin die mit dem Jubiläum des Kuttenberger Dekretes verbundenen Interpretationen im Jahre 1909 und legt besonderen Wert auf die wachsende Bedeutung der Universitätsnationen für die Verwaltung der Prager Alma Mater. 93 Im Gegensatz zur älteren Literatur weist Matthaesius nach, dass es an der Prager Universität, obwohl ihre Verwaltung auf einer paritätischen Vertretung der einzelnen Nationen gründete, kein Stimmrecht nach den Nationen gab. Dieses Prinzip kam dann an der 1409 gegründeten Universität Leipzig zur Geltung. Seine Analyse der erhaltenen Quellen belegt, dass bei Verhandlungen des Prager Universitätsrates, dessen Zusammensetzung im Laufe der Zeit die Gestalt einer Versammlung aller graduierten Universitätsmitglieder annahm, Beschlüsse nicht aufgrund der Stimmen der einzelnen Universitätsnationen gefasst wurden, sondern aufgrund der Zustimmung der Mehrheit der anwesenden Magister ohne Rücksicht auf ihre nationale und korporative Zugehörigkeit. Der Streit selbst wurde laut Matthaesius durch das Bemühen der Magister aus der böhmischen Universitätsnation ausgelöst, ihre Vertretung in den universitären Kollegien zu vergrößern. Nachdem sie in der Universitätsversammlung auf eine ablehnende Haltung gestoßen waren, wandten sie sich an den Erzbischof von Prag als den Universitätskanzler. Er nahm sich ihrer auch an und appellierte an die Delegierten, künftig neue Kollegienmitglieder aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation zu wählen. Noch bevor die zehntätige Frist abgelaufen war, um sich zum Standpunkt des Erzbischofs zu äußern, erließ der Erzbischof jedoch am 2. Dezember eine endgültige Anordnung bezüglich der Wahlen. Beeinflusst von Novotný meint Matthaesius, alle Kollegiaten hätten sich gegenüber dem erzbischöflichen Edikt verwahrt, also auch die böhmischen Magister, und gegen dieses eine Appellation eingereicht. Den Verlauf des Streites verfolgt Matthaesius eher allgemein, er verweist auf den fragmentarischen Charakter der Quellen und versucht nicht, seine einzelnen Phasen zu datieren. Als einen wesentlichen Beitrag zur Konfliktlösung betrachtet er die Verˇ einbarung zwischen Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau, deren Inhalt angeblich mit dem Protokoll über die Aufteilung der Kollegiatsplätze in der „Chronik der Prager Universität“ übereinstimmt. Die Präzisierung dieser Vereinbarung im Jahre 1390 sieht Matthaesius dann als die Hauptursache der allmählichen Veränderung der Prager Universität hin zu einer von der böhmischen Universitätsnation beherrschten Landesuniversität an. Der Hass auf die Böhmen, hervorgerufen durch die Niederlage der drei auswärtigen Universitätsnationen in den Streitigkeiten 93 Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 52 (1914), 451–499. Friedrich Matthaesius hat, genauso wie Václav Novotný fünf Jahre zuvor, den ideologisch motivierten und interpretatorisch absolut wertlosen Versuch der Auslegung der Streitigkeiten an der Universität durch den kämpferischen Bachmann, Adolf: Der älteste Streit zwischen Deutschen und Tschechen an der Prager Universität. In: HV 7 (1904), 39–52, für veraltet erklärt.
Meinungen und Interpretationen
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von 1384–1390, habe gemeinsam mit der Gründung neuer Universitäten dazu geführt, dass die Immatrikulationen auswärtiger Studenten an der Prager Alma Mater zurückgingen. Matthaesius teilt außerdem Novotnýs Ansicht, die concordia nacionum beziehe sich auf den Friedensvertrag von 1390. Mit Berufung auf das Bittgesuch der deutschen Magister vom 6. Februar 1409 behauptet er dann, Wenzel IV. habe die concordia nacionum bestätigt. 94 Hinzuzufügen ist hier, dass Matthaesius als Erster nach dem Wesen der concordia nacionum fragt und nach einer Antwort in den erhaltenen Quellen um das Kuttenberger Dekret sucht. Auf ihrer Grundlage gelangt er schließlich zu der Auffassung, dass jene concordia nacionum in den Jahren 1386– 1390 geschlossen werden musste. Den Schwur des Rektors und der Universitarier und den darin enthaltenen Passus über die Einhaltung der concordia nacionum von 1385 berücksichtigt er allerdings nicht, und dies im Widerspruch zu einigen ihm nicht bekannten bzw. von ihm nicht benutzten Quellen (das Manuskript führt den Wortlaut der Universitätsstatuten und der „Defensio mandati“ an). Nichtsdestotrotz gehört die Studie von Matthaesius in Bezug auf die Auseinandersetzungen zwischen den Universitätsnationen zu den anregendsten, speziell durch ihren Fokus auf die Bedeutung der Nationen für die Verwaltung der Prager Alma Mater. Den Ursachen und Folgen dieser Auseinandersetzungen schenkt Matthaesius hingegen kaum Aufmerksamkeit, offenbar weil er sie im Geiste der älteren Literatur (und auch die neuere Literatur gibt ihm darin Recht) für eine bloße Vorstufe des Kuttenberger Dekretes und der damit verbundenen Eingriffe in die Universitätsgewohnheiten hält. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg legte František Michálek Bartoš eine neue Deutung des Streites um die Besetzung der Kollegiatsplätze vor, der an der Prager Universität im Jahre 1384 ausbrach. Dieser sei bedingt gewesen durch den großartigen Aufschwung der Wiener Universität und v. a. durch die Errichtung der Theologischen Fakultät, an welche die Prager Magister Heinrich von Langenstein und Heinrich Totting von Oyta gewechselt waren. Diese beiden Aspekte ließen seiner Meinung nach erst die Stimmen aufkommen, die eine Revision des Verhältnisses der Karlsuniversität zu den Ausländern und eine Neuregelung der Universitätsstatuten forderten. 95 Im Rahmen dieser Neuregelung habe sich die Theologische Fakultät angeblich bemüht, an der Dreifakultätenuniversität eine privilegierte Stellung zu erlangen, und zwar zu Ungunsten der Artistenfakultät. Für diese Revision der Statuten soll sich der im Herbst 1384 neu gewählte Rektor Konrad von Soltau eingesetzt haben. An diesem Punkt entwickelt Bartoš eine weitere Hypothese, nach der zu jenem Zeitpunkt sowohl im neu gegründeten Kolleg von König Wenzel als auch im Karlsund Allerheiligenkolleg die Magister der drei deutschen Nationen ein zahlenmäßiges Übergewicht aufwiesen. 96 Nach dem Weggang von Professoren und Kollegiaten nach Wien sei unter den böhmischen Kollegienmitgliedern und in der Theologischen 94 Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 52 (1914), 483. Friedrich Matthaesius leitet jene Bestätigung vom folgenden Passus ab: „Concordia inter nationem Bohemorum parte ex una et aliis tres nationes parte ex altera ante multa tempora celebrata, quam litera Vestrae Serenitatis roborastis.“ ˇ 95 Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 63. 96 Ebd., 64.
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Fakultät die Befürchtung aufgetaucht, keinen Vorrang auf die nunmehr vakanten Kollegiatsplätze gewährt zu bekommen, sodass sie wiederum mit Angehörigen der drei auswärtigen Universitätsnationen besetzt würden. Daher hätten sie sich an den Erzbischof von Prag als den Universitätskanzler gewandt. Dieser entsprach laut Bartoš am 2. Dezember 1384 dem Gesuch der böhmischen Magister und ernannte Richter, die den Streit um die Kollegien entscheiden sollten. Gleichzeitig untersagte er, jemand anderes als Mitglieder der böhmischen Universitätsnation zu wählen. Zwei Tage später kam er dann der Beschwerde der böhmischen Magister der Artistenfakultät mit Matthias von Prag und Johannes von Chlum an der Spitze entgegen und verwehrte dem Rektor, die Universitätssitzungen auf eine andere als die bisherige Weise abzuhalten. Daraufhin habe der Rektor Berufung beim Papst gegen die durch den Erzbischof eingesetzten Richter eingelegt. Der Erzbischof wiederum soll diese Berufung als unberechtigt angesehen und am 20. Januar 1385 acht Mitglieder des Karls- und Wenzelskollegs, welche die Berufung beim Papst eingelegt hatten, wegen Nichterscheinens vor Gericht exkommuniziert haben. Der Rektor habe sich angesichts dieser Lage schließlich an Wenzel IV. mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Unterstützung sei ihm zuteilgeworden mit der Beauftragung des Primislaus von Teschen, in dieser Angelegenheit zu vermitteln. Auf dessen Drängen hin habe der Erzbischof die Exkommunikation aufgehoben, und die Kollegiaten hätten ihre Berufung beim Papst zurückgenommen (das Allerheiligenkolleg stellte das Verfahren gegen Johannes von Jenstein bei der römischen Kurie am 22. Dezember 1385 ein). Beide Seiten ordneten sich Bartoš zufolge dem Friedensgericht – bestehend aus je vier Vertretern – unter, wobei deren Anzahl später auf zwei gesenkt wurde. Diese ˇ beiden, mit Namen Konrad von Soltau und Nikolaus Puchník von Cernice, arbeiteten dann die Vereinbarung über die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien aus. Bartoš datiert diese in den Zeitraum zwischen dem 28. Februar und dem 4. März 1385 und behauptet ohne Quellenbeleg, dass die Vereinbarung vom König bestätigt und für alle Kollegienmitglieder verbindlich gemacht worden sei, die auf die Vereinbarung schwören mussten. Diesen Schwur, fügt er dann hinzu, hätten später alle Universitätsmitglieder leisten müssen. Und für diesen Schwur hält er jenen Text, der in Wirklichkeit erst dem Wortlaut des Schwurs nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes entspricht. 97 Dieser Friedensspruch beendete jedoch keineswegs den Streit, den der Rektor bis vor die päpstliche Kurie gebracht hatte. Denn am 1. März erklärte der Advokat des Rektors, Ludwig von Dresden, dass das Nachgeben der acht Kollegiaten angesichts ihrer drohenden Exkommunikation nicht gleichzeitig die Unterwerfung der drei auswärtigen Universitätsnationen bedeute, in deren Namen die Berufung bei der Kurie eingelegt worden war. Daraufhin entsprach das erzbischöfliche Gericht dem Antrag des Advokaten der böhmischen Nation, Andreas Zabitec, und erließ die Exkommunikation der Angehörigen aller drei deutschen Universitätsnationen. Erst auf diesen Schritt reagierte der Rektor laut Bartoš mit dem Verbot, Vorlesungen zu hal-
97 Codex juris bohemici. Bd. 2/3. Hg. v. Hermenegild Jireˇcek. Pragae 1889, 281, 300 f.
Meinungen und Interpretationen
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Abb. 2 Kopf der Statue des jungen Königs Wenzel IV. vom Altstädter Brückenturm in Prag.
ten, das die böhmischen Magister aber nicht befolgten. Sie hielten Vorlesungen ab und disputierten auch weiterhin, angeblich begleitet von physischen Übergriffen wie Raufereien und einem Angriff auf den Rektor. Daraufhin habe sich der Herrscherhof abermals in den Streit eingeschaltet und die Aufhebung der Exkommunikation einerseits und des Vorlesungsverbotes anderseits bestimmt. Der Prozess selbst setzte sich Bartoš zufolge nur wegen Trägheit bis Januar 1387 fort, möglicherweise auch länger. Jedoch sind die Quellen, die darüber Auskunft geben könnten, also die Gerichtsakten des Prager Konsistoriums, für die nachfolgenden Jahre leider nicht erhalten. Mit dem Vergleichsspruch hätten sich die Angehörigen der böhmischen Nation dann angeblich zufriedengegeben, da der Versuch einer Änderung der Universitätsstatuten zu ihren Ungunsten fehlgeschlagen sei. 98 Zur Beilegung des Streites habe überdies beigetragen, dass Rektor Konrad von Soltau inzwischen gemeinsam mit 23 Magistern und Bakkalaurei an die im Oktober 1385 gegründete Universität Heidelberg gegangen war und seine Partei in der Folge jegliches Interesse an der Weiterführung des
ˇ 98 Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 66.
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Prozesses und an der Reform der Prager Universitätsstatuten verlor. Die concordia nacionum bezieht sich laut Bartoš daher auf das Jahr 1385. Ursprünglich hätten nur die Kollegienmitglieder darauf geschworen, später angeblich auch alle Universitarier. Bartoš macht allerdings keinerlei Aussagen über die Art und Weise des Schwurs. Jiˇrí Spˇeváˇceks Darstellung der Besetzung der Kollegiatsplätze, auch wenn teilweise mit einer abgeänderten (und etwas wirren) Chronologie, basiert auf Bartoš’ Interpretationen. 99 Als Auslöser der Auseinandersetzungen an der Prager Universität benennt er ebenfalls das Erscheinen der Pariser Magister-Theologen in Prag sowie die Bestrebungen um die Reorganisation der Theologischen Fakultät (die Statutenreform im Jahre 1383) und um eine privilegierte Stellung gerade für die Theologen und ihre Fakultät. Das Vorgehen des Rektors in dieser Sache sei aber auf den Widerstand der Artistenfakultät gestoßen und national motiviert gewesen, weil die Böhmen an der Artistenfakultät die Mehrheit gebildet hätten. Die Deutschen hingegen sollen an der Theologischen Fakultät und in allen Magisterkollegien das Übergewicht besessen haben. Durch den Weggang einiger Prager Professoren nach Wien wurden dann Kollegiatsplätze frei, nach denen angeblich die Mitglieder der böhmischen Universitätsnation mit Unterstützung des Erzbischofs von Prag strebten. Dieser regelte zu deren Gunsten nicht nur das Wahlverfahren, sondern untersagte auch die angestrebte Änderung der Besetzungsweise des Universitätsrates zum Vorteil der deutschen Vertreter der Theologischen Fakultät. Der Universitätsstreit wurde laut Spˇeváˇcek durch „das Abkommen zwischen dem Karlskolleg und den Vertretern der böhmischen Universitätsnation“, durch die concordia nacionum, beendet. Es sicherte den Böhmen fünf Kollegiatsplätze in den beiden Magisterkollegien und wurde seiner Ansicht nach bereits Ende 1384 zwischen dem erzbischöflichen Offizial Nikolaus ˇ Puchník von Cernice und Rektor Konrad von Soltau geschlossen. Der Rektor habe jedoch nur zum Schein eingewilligt und weiter taktiert, sodass sich der Erzbischof am 20. Januar 1385 angeblich genötigt sah, insgesamt acht Mitglieder aus dem Karls- und Wenzelskolleg, im Übrigen allesamt Anhänger der deutschen Universitätsnationen, zu exkommunizieren. An dieser Stelle griff jedoch der König in den Streit ein und beauftragte Primislaus von Teschen mit der Schlichtung. Primislaus gelang es, die Aufhebung der Exkommunikation zu erreichen. Im Gegenzug mussten die Betroffenen ihre Berufung beim Papst zurücknehmen und einem Vergleich durch acht Friedensrichter zustimmen. Schließlich akzeptierten die Streitparteien tatsächlich den Friedensspruch von Nikolaus und Konrad, „durch deren Bemühungen das alte Abkommen in etwas abgeänderter Form erneuert“ worden sei. Worin diese Abänderung des Abkommens besteht, führt Spˇeváˇcek jedoch nicht an. Das zweite Abkommen ist in seinen Augen mit dem ersten identisch. Demnach sollten in jedem Kolleg die Böhmen fünf Kollegiatsplätze erhalten und die übrigen Nationen sechs, die zwölfte Präbende hatten sich die Nationen zu teilen. Laut Spˇeváˇcek bestätigte dann König Wenzel IV. das Abkommen, wohl Anfang März 1385, und die einzel-
99 Spˇeváˇcek, Jiˇrí: Václav IV. 1361–1419. K pˇredpoklad˚um husitské revoluce [Wenzel IV. 1361–1419. Zu den Voraussetzungen der hussitischen Revolution]. Praha 1986, 375–379.
Meinungen und Interpretationen
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nen Kollegienmitglieder mussten darauf schwören. 100 Den Schwur identifiziert er genauso wie Bartoš mit dem von Hermenegild Jireˇcek abgedruckten. Da es sich dabei jedoch um einen Schwur auf die Treue zum Land und zum Herrscher handelt, also um einen im Wortlaut revidierten Schwur wie jener, der auf die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes reagierte, wird offensichtlich, woher Spˇeváˇcek Wenzels angebliche Bestätigung des Abkommens konstruiert (concordia nacionum). Dem ersten Universitätsstreit folgte laut Spˇeváˇcek ein zweiter, der durch die Erklärung Ludwigs von Dresden, des Prokurators Konrads von Soltau, hervorgerufen wurde. Nach dieser sei die Aufhebung der Exkommunikation der acht Kollegiaten nicht misszuverstehen als eine Unterwerfung der drei auswärtigen Universitätsnationen, in deren Namen die Berufung beim Papst eingelegt worden war. Darauf habe der Prokurator der böhmischen Universitätsnation, Andreas Zabitec, mit dem Vorschlag reagiert, alle Angehörigen der drei deutschen Universitätsnationen zu exkommunizieren, da sie die Entscheidung des erzbischöflichen Gerichts nicht akzeptierten (um welche Entscheidung es sich genau handelt, führt Spˇeváˇcek nicht aus). Rektor Konrad soll dann erneut Vorlesungen und Disputationen verboten haben (zum ersten Mal tat er dies im Dezember 1384 als Reaktion auf den erzbischöflichen Erlass zur Wahl der Kollegiaten und des Universitätsrates). Die Böhmen beachteten dieses Verbot abermals nicht, und so kam es erneut zu Zusammenstößen, bei denen auch Konrad wieder verprügelt wurde. Die endgültige Beilegung des Streites soll erst die massenhafte Sezession der 24 Magister und Bakkalaurei der deutschen Universitätsnationen nach Heidelberg gebracht haben (Spˇeváˇcek nennt sie gleichzeitig Kollegiaten), wo die Gründung der Universität kurz bevorstand. Spˇeváˇcek ist sich augenscheinlich bewusst, dass vor dem erzbischöflichen Gericht zwei Streitsachen verhandelt wurden (seiner Meinung nach die eine bis März und die andere ab März 1385). Er schließt jedoch daraus völlig unglaubwürdig auf eine Duplizität des Streites und eine Duplizität des Verbots, Vorlesungen und Disputationen abzuhalten. Ebenfalls jeglicher Argumentation entbehrt seine Behauptung eines doppelten Schiedsspruches im Dezember 1384 und dann im Februar des folgenden Jahres durch Nikolaus Puchník von ˇ Cernice und Rektor Konrad von Soltau, wobei Spˇeváˇcek die concordia nacionum mit dem Friedensspruch von Ende 1384 identifiziert. So wirft Spˇeváˇcek schließlich kein neues Licht auf die Beilegung des Streites. Im Gegenteil: Seinen Inhalt vernebelt er eher, ja verwirrt ihn geradezu. Eine neue Interpretation des Streites um die Art der Besetzung der Magisterkollegien lieferte hingegen Eric Wagner am Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts in seiner den Magisterkollegien in Prag, Wien und Heidelberg gewidmeten Arbeit. 101 Und tatsächlich ist Wagner der erste Forscher, der das Funktionieren des Karlskollegs und des mit ihm eng verknüpften Allerheiligenkollegs analytisch untersucht. Mit
100 Ebd., 378. 101 Wagner, Wolfgang Eric: Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg. Eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. Berlin 1999.
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Hilfe der Prosopographie widmet er sich der Frage nach deren personellen Zusammensetzung, wobei er die Anzahl der bekannten Kollegiaten v. a. im Allerheiligenkolleg erweitert. Ferner denkt er über die Beziehung des Stifters, des böhmischen Königs, zu den Kollegien nach und verwendet auch viel Aufmerksamkeit auf die Art der Besetzung der Kollegiatsplätze in diesen beiden Magisterkollegien, selbstverständlich mit Nachdruck auf die „causa nacionis Bohemorum et Theutonicorum“ in den Jahren 1384–1390. Aus Wagners fundamentaler Analyse des Funktionierens der beiden Kollegien ergeben sich einige wesentliche Schlüsse. Vor allem macht der Autor neu auf das Faktum aufmerksam, dass die Gründungsurkunde des Karlskollegs keinen Passus über die Besetzungsmodalitäten der freien oder später frei gewordenen Präbenden enthält. Karl erließ für das Kolleg auch keine selbständigen Statuten. Diese schufen dann die ersten Kollegiaten selbst ohne Einmischung seitens des Königs oder des Erzbischofs von Prag. Den Streit verbindet Wagner im Unterschied zu Bartoš weder mit der Revision der Universitätsstatuten noch mit der Gründung der Theologischen Fakultät in Wien. Außerdem legt er unabhängig von Bartoš eine neue Datierung seines Verlaufs vor. Dabei geht er v. a. von der Appellation gegen den erzbischöflichen Eingriff vom 2. Dezember 1384 aus und betont deren Wortlaut. Demzufolge sei die erzbischöfliche Anordnung zur Wahl der frei gewordenen Kollegiatsplätze nur aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation ein willkürlicher Eingriff, der sich „contra fundacionem, ordinacionem, voluntatem predictorum fundatorum ac juris disposicionem“ gerichtet und der nicht dem Verhältnis der böhmischen Nation zu den drei übrigen Nationen entsprochen habe, die nicht zweimal, sondern zehnmal zahlreicher als die böhmische Nation gewesen seien. Obwohl Wagner den Bericht der „Chronik der Prager Universität“ sehr kritisch bewertet und sich seines tendenziösen Charakters wohl bewusst ist, gibt er dennoch seiner Schilderung des Verbots des Rektors Recht, Vorlesungen und Disputationen abzuhalten, und datiert es vor den Dezember 1384, also vor die erzbischöfliche Intervention. Den nachfolgenden, durch die Appellation der acht Kollegiaten und durch ihre darauf folgende Exkommunikation hervorgerufenen Streit interpretiert er treffend als einen Streit um die Anerkennung der Jurisdiktion des Erzbischofs über die Universitarier und um die Autonomie des Rektors, die Universitätsstatuten auszulegen. Im Unterschied zu Novotný und Bartoš lehnt Wagner jedoch eine direkte Einflussnahme Wenzels IV. auf die Konfliktlösung ab. Zu diesem Schluss gelangt er aber nur durch die schwer zu vertretende neue Datierung der Zurückname der Berufung der Kollegiaten des Allerheiligenkollegs beim Papst, zu der es angeblich nicht am 22. Dezember 1385 kam, wie die Edition der Gerichtsakten des Prager Konsistoriums behauptet, sondern bereits ein Jahr früher. 102 Die Reaktion auf diese Berufung
102 Ebd., 77. Diese neue Datierung Eric Wagners ist aber unhaltbar. Denn sie ignoriert völlig die Art der Protokollführung in den Gerichtsakten der Generalvikare, bei denen Eintragungen von einem Tag auf den anderen und nicht rückwirkend nach dem Verlauf der Gerichtsverhandlung registriert wurden. Wie noch gezeigt wird, stehen dieser Datierung auch die Anführungen zweier Magister der böhmischen Universitätsnation unter den Appellanten entgegen, und zwar des Friedemann von Prag und des Johannes Wenceslai von Prag. Denn beide zählten im Dezember 1384 nachweislich zur
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habe dann der Erlass des Erzbischofs vom 23. Dezember 1384 dargestellt, der die Abhaltung der Wahlen gestattete und die gegen die drei auswärtigen Universitätsnationen gerichteten Mandate annullierte. Die von der „Chronik der Prager Universität“ erwähnte Vereinbarung sei nach dem 28. Februar 1385 geschlossen worden, nachdem sich der Rektor und die Vertreter der drei auswärtigen Universitätsnationen endgültig der erzbischöflichen Jurisdiktion untergeordnet hätten. Die concordia nacionum ist also auch Wagners Meinung nach jene Vereinbarung über die Aufteilung der Kollegiatsplätze (fünf für die böhmische Nation und sechs für die restlichen Nationen), wobei diese in Bezug auf die genaue Festlegung der Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes im Jahre 1390 geändert wurde. In diesem Zusammenhang stellt Wagner heraus, dass das Wahlverfahren keinen Niederschlag in den Kollegstatuten gefunden habe und dass die Regelung, sei es die von 1385 oder die von 1390, den Absichten der Kolleggründer widerspreche, welche das Wahlverfahren in keiner Weise geregelt hatten. Die so entstandene Lage versucht Wagner dann damit zu erklären, dass die Kollegiaten den das Funktionieren ihrer Gemeinschaften betreffenden Teil der Rechte in die Hände der Universitätsnationen gelegt hätten, deren Bedeutung dadurch im Rahmen der Universitätsgemeinde gestärkt worden sei. Etwas überraschend lässt Wagner die nachweisliche Fortsetzung des Streites zwischen dem Rektor und dem Erzbischof in den Jahren 1386/87 beiseite. Aufmerksamkeit verdient auch Wagners Überlegung, warum die Änderung der Besetzungsweise der Kollegiatsplätze im Karlskolleg nicht in die Kollegstatuten eingetragen wurde. Seiner Ansicht nach war es nämlich auch zu einer Änderung der Nominierung geeigneter Kandidaten gekommen. Für die Zeit vor dem Ausbruch des Streites erwägt er ein Prinzip, nach dem die Kollegiaten selbst die Kandidaten vorschlugen und dann wählten, und für die Zeit nach der Beilegung des Streites im Jahre 1385 eines, nach dem die Universitätsnationen die Kandidaten nominierten und anschließend durch die Wahl bestätigten. Unter dieser Voraussetzung zieht er dann den Schluss, dass die Kollegiaten einen Teil ihrer Kollektivrechte auf die Universitätsnationen übertragen hätten und dass es so zu keiner Änderung der Kollegstatuten gekommen sei. 103 Das grundsätzliche Problem dieser Hypothese besteht in zwei Punkten. Erstens ist sich Wagner anscheinend nicht bewusst, dass Kollegstatuten erst aus dem 16. Jahrhundert erhalten sind, nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes also, als die Universitätsnationen als solche aufgehört hatten, eine Rolle in der universitären Verwaltung und im alltäglichen Universitätsleben zu spielen. Und nur deshalb enthalten die bis heute überlieferten Statuten keinen Passus über die Wahl der Kollegiaten. Das hat bereits František Šmahel, wie noch zu zeigen ist, überzeugend dargestellt. Zweitens (und das ist noch wesentlicher, da nicht mehr nur die Annahme
Seite des Erzbischofs. Selbst Wagners Behauptung, dass der Erzbischof am 23. Dezember, also unmittelbar nachdem die Kollegiaten des Allerheiligenkollegs auf ihre Schritte gegen den Erzbischof verzichtet hatten, seine vorherigen Entscheidungen aufgehoben habe, fehlt die Erklärung, warum der Erzbischof seine Schritte dem Karlskolleg gegenüber mit der Haltung der Kollegiaten des Allerheiligenkollegs hätte verknüpfen sollen. 103 Ebd., 81.
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herhalten muss, die Statuten von 1528 hätten sich in bestimmten Aspekten von den Statuten vom Ende des 14. Jahrhunderts unterschieden) hätte es 1390 nicht zum Streit kommen können, da die böhmische Universitätsnation wohl kaum einen Kandidaten nominiert hätte, gegen dessen Wahl sie sich hätte nachher verwahren müssen – sofern das Prinzip der Nominierung der Kandidaten tatsächlich auf den Erwerb der Kollegiatur zielte, wie es sich Wagner vorstellt! Ein wirklich erhellendes Licht in den Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze im Karlskolleg brachte erst eine Studie von Šmahel, die er bereits Anfang der 1990er Jahre geschrieben hatte, aber durch eine Fügung des Schicksals erst 2007 veröffentlicht wurde. 104 Die verkürzte deutsche Fassung der Studie 105, die sich der Problematik der Bursen und Kollegien widmet, macht in analytischer Form auf die Verwendung des Wortes „collegium“ für die einzelnen Kollegien und manchmal auch für die Universität als solche aufmerksam. Jedoch erst ihre tschechische Fassung zeigt, v. a. in der hypothetischen Rekonstruktion der Zusammensetzung des Karlskollegiums in den Jahren 1384 und 1390, dass einige strittige Fragen überraschend leicht verifizierbar sind. 106 Zugegebenermaßen ist auch Šmahels Rekonstruktion, wie noch detailliert gezeigt wird, speziell für das Jahr 1384 nicht unproblematisch. So ist die Anzahl der Personen, die er für 1384 als nicht eindeutig belegte Kollegiaten bezeichnet (Šmahel gibt drei an), in Wirklichkeit viel höher (maximal sogar sieben). Nach Šmahel bildeten die Magister der böhmischen Universitätsnation 1384 ein Drittel der Belegschaft des Karlskollegs. Im Jahre 1390, zur Wahl des neuen Kollegiaten Konrad von Beneschau, hatten die böhmischen Magister nach dem in der „Chronik der Prager Universität“ erfassten Abkommen bereits sechs Kollegiatsplätze inne. Die Anzahl der vertretenen böhmischen Magister entsprach im Jahre 1384 keinesfalls der Anzahl der böhmischen Magister-Regenten, die in den achtziger Jahren nicht einmal ein Viertel des Lehrkörpers ausmachten. Diese starke Vertretung ist auf den ersten Blick überraschend, zeugt sie doch eher vom Gegenteil als einer Hintanstellung der Magister einheimischer Herkunft. Aus der Anzahl der böhmischen Regenten schließt Šmahel sogar, dass die „Korporation Nacio bohemica einige Zeit lang nicht imstande war, die freien Kollegiatsplätze im Karlskolleg zu besetzen“, 107 wobei er v. a. an die Zeit zwischen dem Ende der sechziger und der ersten Hälfte der siebziger Jahre des 14. Jahrhunderts denkt. Infolgedessen seien die böhmischen Kollegiaten allmählich zur Minderheit (im Jahre 1366 setzt also Šmahel, genauso wie vor ihm Tomek, die Parität voraus) geworden und nicht in der Lage gewesen, die Wahl eines weiteren 104 Šmahel, František: Doplˇnky k dˇejinám mistrovských kolejí pražské univerzity do roku 1420 [Ergänzungen zur Geschichte der Magisterkollegien der Prager Universität bis zum Jahre 1420]. In: AUC – HUCP 33–34/1–2 (1993–1994 [2007]), 13–43. 105 Ders.: Scholae, collegia et bursae universitatis Pragensis. Ein Beitrag zum Wortschatz der mittelalterlichen Universitäten. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), 85–102 [zuerst in: Vocabulaire des collèges universitaires (XIIIe–XVIe s.). Hg. v. Olga Weijers. Louvain 1994, 115–130]. 106 Ders., Doplˇnky (wie Anm. 104), 33–41, erweitert darin die veröffentlichten Angaben von Wagner, Universitätsstift und Kollegium (wie Anm. 101), 429 f. 107 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 24.
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Abb. 3 Älteste Statuten der Universität Prag.
böhmischen Kollegiaten durchzusetzen. Diese Lage verschlechterte sich noch durch die Ankunft der Pariser Professoren in Prag am Anfang der achtziger Jahre. Das schließt aber selbstverständlich die Möglichkeit nicht aus, dass die Pariser zu den heißen Kandidaten und zu den sich nach Pfründen sehnenden Anwärtern zählten und dass sie Kollegiatsplätze im Wenzelskolleg erwarben, dessen Zusammensetzung für die Jahre 1380–1409 praktisch unbekannt ist. Unbekannt ist deshalb auch, ob die Magister der böhmischen Universitätsnation darin irgendwelche Pfründen innehatten. Für den Anfang der 1380er Jahre ist hingegen bekannt, dass es den böhmischen Magistern nur schwer gelang, Kollegiat des Allerheiligenkollegs zu werden. Das könnte Šmahels These eines Mangels an böhmischen Bewerbern für die Pfründen im Karlskolleg in den siebziger Jahren stützen. Es lagen nämlich – wie er zeigt – nach dem Prinzip der Kollegiatenanciennität (d. h. der Dienstalterfolge) durchschnittlich acht Jahre zwischen der Wahl ins Karlskolleg und dem Aufstieg auf einen finanziell besser abgesicherten Kollegiatsplatz im Allerheiligenkolleg. Šmahel arbeitet in seiner bedeutenden Analyse außerdem heraus, dass bei der Gründung des Kollegs im Jahre 1366, als sechs Kollegiaten ernannt wurden, die böhmischen Magister die Hälfte stellten. Hier besteht für ihn die Möglichkeit, dass durch
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diese Ernennung „am ehesten eine Anweisung zur anteilsmäßigen Nominierung der sechs übrigen Kollegiaten nach ihrer Zugehörigkeit zu den Universitätsnationen gegeben wurde“. Dass die Statuten des Karlskollegs eine Wahl nach der Zugehörigkeit zu den nationalen Körperschaften nicht kennen, zweifelt Šmahel zu Recht mit dem Argument an, dass der früheste erhaltene Wortlaut der Statuten aus dem Jahre 1528 stamme und daher erst die nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes entstandene Lage widerspiegeln könne, also nachdem die Universitätsnationen als solche aufgehört hatten, eine gewichtige Rolle im Universitätskörper zu spielen. Im gleichen Atemzug fügt Šmahel aber hinzu, dass in den 1360er Jahren die „Korporationen der vier Universitätsnationen bei Weitem nicht ein solches Gewicht wie einige Jahre später hatten“, dass die „Regelung der Prinzipien in dieser Hinsicht übrigens auch in den Universitätsstatuten einmalig ist“ 108 und dass also die Besetzung der Kollegiatsplätze der Universitätswürdenträger nach nationalen Körperschaften sehr schwach war. 1370 war diese Gegenstand der Novelle des Wahlverfahrens für die Verwalter, 1378 des Wahlverfahrens für die Examinatoren, 1385 (auch wenn diese Anordnung älter sein kann) kam sie bei der Wahl des Rektors zur Geltung. Hinzuzufügen ist, dass das Prinzip der Parität der Universitätsnationen 1385 auch bei der Wahl der Vermittler zur Geltung kam, die vor der Reform des Universitätsrates 1391 einen beträchtlichen Einfluss auf die Universitätsverwaltung ausübten. Aus diesen Gründen kann man meiner Meinung nach nicht von einer geringen Bedeutung der Nationen in der Universitätsverwaltung sprechen, sondern muss im Gegenteil eher die Hypothese von einer wachsenden Bedeutung der nationalen Körperschaften gerade an der Wende von den siebziger zu den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts aufstellen, die schließlich auch in die concordia nacionum einfloss. Šmahel versucht neben der überzeugenden Analyse der Zusammensetzung des Karlskollegs in den Jahren 1384 und 1390 auch den vor dem erzbischöflichen Gericht geführten Streit zu rekonstruieren. Wie Novotný ist ihm bewusst, dass die zur Verfügung stehenden Protokolle sehr knapp ausfallen und aus ihnen so keine zusammenhängende logische Reihe zusammengestellt werden kann. Šmahel zieht eine unbestimmtere Einordnung des Vorlesungs- und Examensverbotes durch Rektor Konrad von Soltau zwischen dem 2. Dezember 1384 und dem 20. Januar 1385 einer genauen Datierung vor. In diesem Zusammenhang macht er darauf aufmerksam, dass an der Artistenfakultät die Bakkalaureatsexamina vom 13. bis 18. Dezember 1384 unterbrochen worden seien, also in einer Zeit, in welcher der Prozess noch kein schnelles Tempo aufnahm. Im Einklang mit Bartoš behauptet Šmahel, dass die Sprecher der drei deutschen Nationen ungeduldig die Ankunft von König Wenzel erwartet hätten, dessen Aufenthalt in Prag am 11. Januar 1385 oder kurz vor diesem Datum sicher belegt ist. Trotz der Anwesenheit des Königs wurden acht deutsche Magister am 20. Januar mit dem Bann belegt, und am selben Tag verwehrte der Erzbischof von Prag als Universitätskanzler dem Rektor, Privatgefängnisse zu benutzen. In der gegebenen Lage erschien Primislaus von Teschen als Vertreter des Königs vor Gericht,
108 Ebd., 23.
Meinungen und Interpretationen
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und die Repräsentanten der drei Nationen versprachen dem Erzbischof ein zweites Mal Gehorsam. Danach geriet der Prozess laut Šmahel in eine Pattlage: Weder der Erzbischof noch der König wünschten angeblich seine Verlegung vor die römische Kurie, und unter unbekannten Umständen wurde eine Friedenskommission aus acht Mitgliedern zusammengestellt, die ihren Spruch am 27. Februar vortrug. Dem habe sich am selben Tag Menso von Beckenhusen untergeordnet gemeinsam mit sieben weiteren exkommunizierten Magistern. Die übrigen Magister samt dem Rektor widersetzten sich jedoch laut Šmahel dem Spruch und wurden deshalb am 1. März exkommuniziert. Drei Tage später habe sich noch ein Mitglied der bayerischen Nation, Nikolaus von Meppen, dem Spruch untergeordnet und sei dann einige Wochen später zum Dekan der Artistenfakultät gewählt worden. Obwohl es der Autor nicht ausdrücklich sagt, nimmt er durch diese Schritte eine Beendigung des Prozesses an. Damit stellen dann die späteren Auseinandersetzungen zwischen den böhmischen Magistern und dem ehemaligen Rektor Konrad, die bis zum Januar 1387 andauerten, einen zweiten Prozess dar, in den der ehemalige Rektor auch seine Kollegen von der Theologischen Fakultät einschaltete. Šmahel gibt dabei zu, dass dieser Streit offensichtlich die Revision der Statuten betraf. Für den Spruch der Friedenskommission hält er sowohl den Eintrag in der „Chronik der Prager Universität“ als auch sein Echo im Streit um die Wahl Konrads von Beneschau im Jahre 1390. Dabei neigt er zu der Ansicht, dass die Magister der böhmischen Nation durch diesen Spruch fünf Kollegiatsplätze im Karls- und Wenzelskolleg erworben hätten und dass sich bei der Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes Angehörige aller vier Universitätsnationen abwechseln sollten. Die Wahl Konrads von Beneschau betrachtet er dann als die Wahl jenes zwölften Magisters, der durch die Mehrheit der drei deutschen Universitätsnationen gewählt wurde, obwohl er schlesischer Deutscher war. In diesem Punkt hält sich Šmahel an Novotný. Dessen Ordnung der Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes nach dem Abkommen vom Jahre 1390 übernimmt er ebenfalls. Die concordia nacionum ist ihm zufolge die Vereinbarung zwischen Nikolaus Puchník ˇ von Cernice und Konrad von Soltau aus dem Jahre 1385, und diese concordia nacionum identifiziert er de facto mit dem Spruch der Kommission aus acht Mitgliedern vor dem 27. Februar 1385. Dem widersprechen jedoch meiner Meinung nach die von Šmahel vorausgesetzte Exkommunikation Konrads am 1. März 1385, die Fortsetzung des von diesem geführten Streites mit der böhmischen Universitätsnation bis Anfang des Jahres 1387 und damit auch die Erklärung vom 22. Dezember 1385 über die Ungültigkeit aller Schritte, die Friedemann von Prag, Johannes Wenceslai von Prag, Johannes Marienwerder, Konrad von Soltau, Menso von Beckenhusen und weitere Magister gegen den Erzbischof bei der päpstlichen Kurie unternommen hatten, und schließlich auch ihr Versprechen, dem Papst mitzuteilen, alles „per errorem“ getan zu haben. Auch nach der Studie von Šmahel, welche die Zusammensetzung des Karlskollegs vor dem Ausbruch des Streites im Jahre 1384 und vor seiner Fortsetzung im Jahre 1390 darlegt und zeigt, dass die Vertretung der böhmischen Magister proportional ihrer Vertretung im Lehrkörper entsprach, bleiben einige Fragen des vor dem erzbischöflichen Gericht geführten Streites weiterhin diskutabel. Vor allem bieten
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sich, und gerade das ist das Wesentliche meiner Betrachtung, neue Interpretationen der Form der Eintracht zwischen den Nationen (concordia nacionum) an der Prager Alma Mater an. 109
Versuch einer neuen Interpretation: Rätsel, Unklarheiten und Hypothesen Wie bei der Rekapitulation der acht dominanten Deutungen mehrmals erwähnt, besteht ein Hauptproblem bei der Analyse dieses universitären Konfliktes in der Einstellung zur einzigen Quelle, die darüber ausführlich berichtet, also zu der „Chronik der Prager Universität“. 110 Der Chronist, der seinen Bericht mit großem Zeitabstand schrieb, war ganz bestimmt kein unparteiischer Informator. Obwohl sein Name unbekannt ist, gehörte er der Diktion der ganzen Chronik nach zur böhmischen Universitätsnation und war Anhänger der Reformströmung, gegenüber der er wiederholt große Sympathien äußert. Es verwundert daher nicht, dass er den Streit aus den 1380er Jahren durch und durch national interpretiert. Seiner Ansicht nach brach der Streit aus, nachdem Konrad von Soltau zum Rektor gewählt worden war, und zwar als Streit „inter nacionem Bohemicam et alias tres naciones“ über die Besetzung der
109 In vielerlei Hinsicht gehe ich von den kritischen Anregungen aus, die František Šmahel in die Forschung eingebracht hat: Šmahel, Poˇcátky (wie Anm. 38), 253–291. Darin rechnet er ab mit einigen übertriebenen Urteilen von Moraw, Peter: Die Universität Prag im Mittelalter. In: Die Universität zu Prag. München 1986, 9–134; Ders.: Die Prager Universitäten des Mittelalters. In: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus. Hg. v. Susanne Burghartz. Sigmaringen 1992, 109–123. – Zuletzt hat sich Stoˇces, Pražské univerzitní národy (wie Anm. 66), 99–121, dem Streit um die Kollegiatsplätze gewidmet, der teilweise mein kurzes Interpretationsschema in Thesenform berücksichtigt hat, das in Nodl, Martin: „Smíˇrení národ˚u“ na pražské univerzitˇe na pˇrelomu 14. a 15. století [Die „Versöhnung der Nationen“ an der Prager Universität an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert]. In: Rituál smíˇrení. Konflikt a jeho ˇrešení ve stˇredovˇeku. Hg. v. Dems. und Martin Wihoda. Brno 2008, 261–272, veröffentlicht wurde, jedoch nicht die Studie Ders., Auf dem Weg zum Kuttenberger Dekret: Von der Versöhnung der Nationen zum unversöhnlichen Nationalismus. In: Bohemia 49/1 (2009), 52–75, und den Aufsatz Šmahel, František/Nodl, Martin: Kutnohorský dekret po 600 letech. Bilance dosavadního bádání [Das Kuttenberger Dekret nach 600 Jahren. Biˇ 107 (2009), 1–45. In den grundlegenden Aspekten folgt lanz der bisherigen Forschung]. In: Cˇ CH Stoˇces weitgehend der Darlegung von Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 13–23. 110 Fontes rerum bohemicarum. Bd. 5. Hg. v. Josef Emler. Pragae 1893; Bd. 8. Hg. v. Václav Novotný. Pragae 1932, hier Bd. 5, 567: „Anno domini MCCCLXXXIIII in die sancti Galli electus fuit Soltow in rectorem universitatis, in cuius rectoratu magnum certamen inter nacionem Bohemicam et alias tres naciones insurrexit propter collegiaturas, quas non Bohemi, sed extere naciones possidebant. Pro quo prefatus rector suspendit omnes lecciones sub gravissimis penis. Nacio autem Bohemica non advertens rectoris mandatum publice cum armis, scholaribus lecciones visitantibus, legit, disputavit et ceteros actus scholasticos in collegio locis deputatis exercuit. Et ipsis sic altercantibus rector cum quibusdam aliis pro ceteris Bohemis adversantibus fuerunt a Bohemis mutatis habitibus siccis plagis percussi et Theotonici post multiplices labores circa regem Wenceslaum et archiepiscopum et regis consiliarios videntes, se non posse proficere, quinque collegiatos Bohemos in collegio Karoli et sextum indifferentem admiserunt. Et conformiter in collegio regis Wenceslai secundum numerum collegiatorum fuit concorditer pronunciatum. Pro quo Bohemi in eternum sint benedicti!“
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Kollegiatsplätze. Diese hätten nicht die Böhmen, sondern die „auswärtigen Nationen“ („extere naciones“) inne gehabt. Wegen dieses Streites habe der Rektor dann unter Androhung schwerer Strafen die Abhaltung von Vorlesungen suspendiert. Die Angehörigen der böhmischen Universitätsnation gehorchten jedoch dem Chronisten zufolge dem Verbot des Rektors nicht, griffen ihn sogar tätlich an und hielten Disputationen und Lektionen ab. Die Deutschen („Theotonici“) versuchten, gegen die Böhmen („Bohemis“) die Unterstützung des Königs, des Erzbischofs und der königlichen Berater zu gewinnen. Nachdem sie jedoch erkannt hatten, dass sie damit keinen Erfolg haben werden, mussten sie sich schließlich unterordnen und der folgenden Besetzungsweise der Kollegiatsplätze im Karls- und Wenzelskolleg zustimmen: Fünf Präbenden gingen künftig an die Böhmen, der sechste Kollegiatsplatz sollte ohne Rücksicht auf die Nationalität besetzt werden („quinque collegiatos Bohemos in collegio Karoli et sextum indifferentem admisserunt“). Diese Lösung preist der Chronist durch den hochtrabenden Ausruf: „Pro quo Bohemi in eternum sint benedicti“. Für ihn ist also alles klar: Der ganze, ausschließlich national motivierte Streit wurde zu Gunsten der böhmischen Nation gelöst. Er datiert diesen Streit in das Jahr 1384 bzw. in die Zeit des Rektorats von Konrad, ohne seinen einzelnen Peripetien größere Aufmerksamkeit zu widmen. Die neue Besetzungsweise der Kollegiatsplätze von 1390 erwähnt er überhaupt nicht. Weitere Informationen zur Universitätsgeschichte, bis auf die fehlerhafte Datierung des Umzugs des Karlskollegs vom Haus des Juden Lazarus in das Haus Rotlöws, 111 führt er erst 1403 in Zusammenhang mit dem Beginn der Streitigkeiten um John Wyclif an. Für die Ursache des neuen Streites an der Universität um 1408/09 hält der Chronist die unterschiedliche Haltung der böhmischen Universitätsnation und der drei übrigen Universitätsnationen zur Einstellung des Königs gegenüber dem Schisma. Das habe Wenzel IV. auf den Gedanken gebracht, das Stimmenverhältnis zu Gunsten der Böhmen zu ändern. Darauf hätten die auswärtigen Nationen mit einer teuflischen Konspiration reagiert, die sie dazu verpflichtete, lieber das Land zu verlassen als die Zuteilung der drei Stimmen an die Böhmen zu akzeptieren. 112 Die Sicht des Chronisten auf den Streit um die Besetzung der Magisterkollegien ist also nicht nur national zugespitzt, sondern auch retrospektiv, denn er betrachtet den Streit von 1384/85 unter dem Gesichtspunkt des Kuttenberger Dekretes. So ist seine Wahrnehmung des Konfliktes samt Ursachen (tendenziös)
111 Ebd.: „Anno domini MCCCLXXXVI translato collegio de domo Lazari in domum Rotlebi Nicolaus Luthomissl, magister arcium, fuit ibidem electus primus rector.“ Bemerkenswert ist, dass in der „Chronik der Prager Universität“ Eintragungen über (aus unserer Sicht) so grundsätzliche Ereignisse fehlen wie die Errichtung der Bethlehemskapelle und die Übergabe der Verwaltung der Fronleichnamskapelle der böhmischen Universitätsnation. 112 Ebd., 570: „Item eodem anno in rectoratu Magistri Heningi Balthehagen facta est dissensio inter nacionem Bohemicam et alias tres naciones, scilicet Bavarorum, Polonorum et Saxonum propter desiderium regis, qui optabat, ut sibi et cardinalibus ad abstraccionem obediencie papalis assisterent. [. . . ] Ex cuius donacione omnes turbate sunt extere naciones nullatenus consentire volentes, sed facta inter eos diabolica conspiracione et sub fidei promissione pocius exire et nunquam Pragam redire, quam Bohemos, incolas regni, ad tres voces admittere in preiudicium, ut dixerant, et aliarum nacionum gravamen.“
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vereinfachend. Er lässt nämlich den Streit zwischen dem Rektor und dem Erzbischof von Prag um die Jurisdiktion und um die Möglichkeit, die Universitätsstatuten zu revidieren und zu interpretieren, völlig außer Acht. Berücksichtigt man jedoch bei der Interpretation die – wenn auch nur bruchstückhaft erhaltenen – Quellen amtlichen Charakters, bricht die Geradlinigkeit und Eindeutigkeit der Schilderung des Chronisten zusammen und wird bestenfalls zu einer von mehreren möglichen Auslegungen. Die Quellen, welche die Streitigkeiten vor dem erzbischöflichen Gericht, also vor dem Gericht der Generalvikare erfassen, 113 belegen das schon oft erwähnte Verbot von Lektionen und Disputationen durch den Rektor nicht. Und weil sie sich auch über den Angriff auf den Rektor ausschweigen, bleibt er schwer datierbar. Im Lichte dieser Quellen sind möglich: der Dezember 1384, wie Novotný urteilt; der März 1385, wie Bartoš meint; oder der Anfang des Rektorats Konrads von Soltau, also kurz nach dem St. Gallusfest 1384. Neben den Gerichtsakten der Generalvikare spielen zwei Appellationen (d. h. gerichtliche Berufungen) gegen die Anordnungen des Erzbischofs von Prag eine Schlüsselrolle beim Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien. Beide sind nur in der Formularform erhalten. Sie lehnen die erzbischöflichen Interventionen in das Universitätsleben mit dem Argument der rechtlichen Gewohnheiten ab, die an der Universität und in den Kollegien seit ihrer Gründung geherrscht hätten. Die erste Appellation betrifft die ausdrücklich erwähnte und auf den 2. Dezember 1384 datierte Anordnung des Erzbischofs. Mit dieser habe er dem Gesuch der böhmischen Magister entsprochen. Zudem habe er seinen Beamten Kuneš von Tˇrebovle (Doktor der Dekrete, Kustos der Prager Kirche und Prager Kanonikus), Friedemann von Prag (Professor der Theologie, Allerheiligenkollegiat) und Jakob Aristoteles (Archidiakon) aufgetragen, sie sollten alle oder einer von ihnen zum Propst des Karlskollegs, Nikolaus von Rakonitz, gehen und zu Bartholomäus von Torgelow und Nikolaus von Leitomischl als Mitglieder dieses Kollegs sowie zu weiteren Kollegmitgliedern bzw. zum Propst des Wenzelskollegs, genannt Martin, und zu Nikolaus Storch als Mitglied dieses Kollegs sowie zu weiteren Mitgliedern – und zwar mit der Anordnung, zum Kollegiaten nur einen Magister aus der böhmischen Universitätsnation wählen zu dürfen. Die Formulierungen der erzbischöflichen Urkunde 114 lassen allerdings erahnen, dass es sich hier nicht um einen eindeutig
113 Zum Amt der Generalvikare und zu den durch ihre Tätigkeit entstandenen Quellen vgl. Hledíková, Zdeˇnka: Úˇrad generálních vikáˇru˚ pražského arcibiskupa v dobˇe pˇredhusitské [Zum Amt der Generalvikare des Erzbischofs von Prag in vorhussitischer Zeit]. Praha 1971. Darin befinden sich auch Kurzporträts der einzelnen Generalvikare. – Zur Gerichtstätigkeit der Generalvikare vgl. auch die neuesten Studien der Autorin: Dies.: Nˇekolik zlomk˚u soudních písemností z církevní praxe druhé poloviny 14. a poˇcátku 15. století [Einige Bruchstücke der Gerichtsurkunden aus der kirchlichen Praxis der zweiten Hälfte des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts]. In: TA 12 (2003–2004), 25–52; Dies.: Das schriftliche Vermächtnis der kirchlichen Gerichte in der mittelalterlichen Prager Diözese. In: La diplomatica dei documenti guidiziari (dai placiti agli acta secc. XII–XV.). Hg. v. Giovanna Nicolaj. Roma 2004, 499–520. 114 Tadra, Ferdinand: Pˇríspˇevky k dˇejinám university Pražské ve cˇ trnáctém století [Beiträge zur Geˇ schichte der Prager Universität im vierzehnten Jahrhundert]. In: VKCSN (1890), 283–308, hier
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verbindlichen Imperativ handelt, der für alle Zukunft in den betreffenden Kollegien die Wahl eines Kollegiaten aus den drei nicht böhmischen Universitätsnationen ausschließen soll, sondern um eine auf die aktuelle Wahl – mit höchster Wahrscheinlichkeit im Karlskolleg – bezogene Anordnung. Auch der Erzbischof von Prag beabsichtigte hiermit also nicht, aus den Kollegien ausschließlich durch die Magister der böhmischen Nation beherrschte Institutionen zu machen. (Übrigens muss er sich der Tatsache bewusst gewesen sein, dass es nicht möglich war, einen Magister von seinem Kollegiatsplatz abzusetzen, sofern er nicht selbst resignierte.) Hätten die Kollegienmitglieder seine Anordnung akzeptiert, hätte das einen gefährlichen Präzedenzfall bedeutet, auf den sich die böhmischen Magister und der Erzbischof in Zukunft hätten berufen können. Auch aus diesem Grund ist gegen die erzbischöfliche Entscheidung die Appellation eingelegt worden. Die Appellanten selbst werden darin leider nicht erwähnt. Späteren Zeugnissen zufolge scheinen es jedoch die Mitglieder des Karlskollegs gewesen zu sein. (Wie noch detailliert ausgeführt wird, spricht dafür v. a. das zwischen ˇ Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau geschlossene Abkommen, das ein Abkommen zwischen der böhmischen Universitätsnation und dem Karlskolleg ist.) Die Beteiligung der Magister aus dem Kolleg von König Wenzel oder der Kollegiaten des Allerheiligenkollegs ist aber nicht auszuschließen. Gegen den Erlass des Erzbischofs wenden die Appellanten ein, dass Magister-Kollegiaten seit der Zeit der Gründung der beiden Kollegien neue Mitglieder ohne Rücksicht auf ihre Nationalität, ohne jegliche Streitereien und ohne den Eingriff Dritter gewählt hätten. 115 Entgegen dieser Gewohnheit habe nun der Erzbischof auf den Rat der böhmischen Magister hin und aufgrund schlechter Informationen sowie gegen die Rechte und unter Androhung der Exkommunikation festgelegt, dass nur ein Angehöriger der böhmischen Nation zum Kollegiaten gewählt werden dürfe (die Formulierungen in der Appellation und in der Urkunde des Erzbischofs unterscheiden sich ein wenig voneinander). 116 Die Appellanten verwahrten sich gegen diesen Erlass, auch unter dem Gesichtspunkt
305: „ut nullum omnino alium magistrum elligant nec elligere audeant ad collegia predicta, quam magistros nacionis Boemice universitatis antedicte diocesis Pragensis“. 115 Ebd., 304: „a tempore fundacionis predictorum collegiorum magistros ydoneos de quacunque nacione elligendi ad dicta collegia sine reclamacione contradiccioneque et absque causis voluntate et consilio cuiuslibet alterius hominis vel persone pacifica et quieta“. – Die Anfänge des Karlskollegs am ausführlichsten bei Wagner, Universitätsstift und Kollegium (wie Anm. 101), 37–70, mit einer Analyse der Kollegstatuten und mit Berücksichtigung der Genese des Allerheiligenkollegs. – Die Kollegstatuten veröffentlichte zuletzt Tˇríška, Josef: Starší pražská univerzitní literatura a karlovská tradice [Die ältere Prager Universitätsliteratur und die karolinische Tradition]. Praha 1978, 75– 87. – Die materielle Absicherung des Karlskollegs analysiert Svatoš, Michal: Hospodáˇrské zázemí pražské univerzity v dobˇe Karla IV. (1347–1378) [Die wirtschaftliche Basis der Prager Universität in der Zeit Karls IV. (1347–1378)]. In: AUC – HUCP 18/21 (1978), 7–36. – Mit dem Allerheiligenkolleg befasst sich, jedoch ohne Berücksichtigung seiner personellen Zusammensetzung: Ders: Pražská univerzitní kolej Všech svatých [Das Prager Allerheiligenuniversitätskolleg]. In: AUC – HUCP 31/1 (1991), 85–93. 116 In der Appellation heißt es: „ut nullum omnino alium magistrum quam de sua tantum videlicet Boemica nacione ad predicta collegia elligere deberent“. – Tadra, Pˇríspˇevky (wie Anm. 114), 304.
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des Naturrechtes, nach dem nicht die Nationalität, sondern die Tugend einen Menschen gottgefällig macht und nach dem derjenige, der seine Pflichten erfüllt, nicht hintangesetzt werden soll. Die böhmischen Magister hätten jedoch entgegen ihrem Schwur, das „bonum et utile“ der Prager Hohen Schule zu wahren, 117 das erzbischöfliche Mandat erwirkt. Wie im Jahre 1409 argumentiert man also auch 1384 mit der Verletzung des Schwurs, der offenbar bei der Intitulation (Immatrikulation) zu leisten war und nach dem die Universitarier auf das Wohl der Universität achten und keine Schritte dagegen unternehmen sollten. Ihre Argumentation gründeten sie, sicher gegen die unwahre Behauptung gerichtet, die Deutschen würden die böhmische Universitätsnation nur doppelt überwiegen, auf der Tatsache, dass die drei Nationen die böhmische Nation zehnfach überboten: „non solum in duplo sed ultra quam in decuplo numero maiori nacionem Boemorum excellunt“ 118. Die zweite Appellation betrifft die erzbischöfliche Anordnung vom 4. Dezember 1384, nach welcher der Rektor die Art der Einberufung des Universitätsrates nicht neu regeln dürfe. Diese Anordnung wurde dem Wortlaut der erzbischöflichen Urkunde nach auf Antrag der Magister der böhmischen Universitätsnation erlassen, vertreten durch Magister Johannes Wenceslai von Prag, der im Jahre 1382 Rektor der Dreifakultätenuniversität gewesen war, und durch einen Magister unbekannten Namens, der nur mit der Initiale M. angeführt ist, aber auch auf Antrag der Magister anderer Nationen, wie es ausdrücklich heißt. 119 Die erzbischöfliche Anordnung auszuführen hatten wieder Kuneš von Tˇrebovle und Jakob Aristoteles. Der Erzbischof argumentiert in seinem an den vom 2. Dezember 1384 anknüpfenden Erlass nun selbst mit Gewohnheiten, die es an der Universität seit ihren Anfängen gegeben habe, und untersagt dem Rektor, diese Gewohnheiten zu Ungunsten der böhmischen Nation und der Magister der Artistenfakultät zu ändern. 120 Aus der Diktion des erzbischöflichen Mandates, das wir dank der Appellation kennen, ergibt sich also, dass der Erzbischof beide Anordnungen zur Demonstration seiner höchsten Gewalt als Universitätskanzler erlassen hat, der einerseits die Universitätsgewohnheiten ändern und anderseits dem Universitätsrektor verbieten kann, neue Gewohnheiten einzuführen. Ohne einen expliziten Verweis geht er von den „Ordinaciones“ des Ernst von Pardubitz aus, 121 in denen der Kanzler zwar auf die Universitarier das Recht dele-
117 Ebd., 304 f.: „predicti magistri intueri non curarunt et quamvis bonum et utile alme universitatis studii Pragensis facere juraverunt, contra ipsorum juramenta venientes mandatum pretensum et iniquum infrascriptum inpetrare procurarunt“. 118 Ebd., 305. 119 Ebd., 307: „pro parte supradictorum magistrorum nacionis boemice et aliorum“. 120 Ebd.: „ne per alium modum aut ordinem quemcunque consilium universitatis supradicte celebrent et celebrari disponant, quam iuxta morem et consuetudinem hactenus ab inicio studii Pragensis antedicti inconcusse tentum et observatum, nullas omnino innovaciones et adinvenciones inducendo in nacionis predicte Boemice et magistrorum facultatis arcium in prejudicium et gravamen“. 121 Zum Inhalt der „Ordinaciones“ kritisch Boháˇcek, Miroslav: Založení a nejstarší organizace pražské university. Nˇekolik postˇreh˚u právního historika [Die Gründung und die älteste Organisation der Prager Universität. Einige Bemerkungen eines Rechtshistorikers]. In: AUC – HUCP 6/1 (1965), 5–31, hier 16 f.
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giert, die Universitätsstatuten zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Dies sollte jedoch – in den Augen des Johannes von Jenstein – nur aufgrund der Gewalt des Erzbischofs und Kanzlers geschehen, der Universität Rechte als solche zu verleihen und gleichzeitig zu entziehen. Der Rektor, ebenso wie die Kollegiaten der Magisterkollegien, war nicht bereit, sich der klar definierten Oberhoheit unterzuordnen. In der unter seinem Namen und dem Namen der Universität eingereichten Appellation argumentiert er ähnlich wie der Erzbischof mit den Gewohnheiten, die an der Universität seit ihrer Gründung geherrscht hätten. Nach diesen haben der Rektor und die Universität die Befugnis, ohne Anfragen und ohne Zustimmung von wem auch immer die Statuten zu erlassen, aufzuheben oder auszulegen und den Rat („Consilia faciendi“) einzuberufen – und das alles nach den aktuellen Verhältnissen und nach der Anzahl und der Zuständigkeit der Personen. 122 Die Argumentation mit der Anzahl der Universitarier kann ein bewusstes Echo auf die gegensätzlichen Standpunkte bezüglich der Anzahl der Böhmen an der Universität sein, die in der erzbischöflichen Urkunde vom 2. Dezember und in der nachfolgenden Appellation der Kollegiaten auftauchen. Am Ende der Appellation betont dann der Rektor ausdrücklich, er wüsste nicht, dass an der Universität etwas gegen die böhmische Nation und gegen die oben angeführten Magister (offenbar die Magister der Artistenfakultät) unternommen worden sei, und dass ihm und der ganzen Universität durch die erzbischöfliche Anordnung Unrecht widerfahren sei und in Zukunft erneut widerfahren könne. 123 Im Falle der beiden Appellationen ist zu fragen, ob sie tatsächlich in der Form eingereicht wurden wie in der erhaltenen Formularfassung oder in einer etwas abgeänderten Form bzw. ob man mit ihrer Versendung nur drohte, falls es zu keiner Vereinbarung kommen sollte. Jedenfalls wurde der Erzbischof über die Entwürfe der beiden Appellationen informiert und über die Weigerung des Rektors, sich der
122 Tadra, Pˇríspˇevky (wie Anm. 114), 306: „quod licet de juris consuetudine observancia, que actenus ab inicio et fundacione studii tenta nec non inconcusse observata existit, ipsa universitas atque rector eiusdem pro tempore existens habuerunt et habent potestatem, facultatem absque consensu voluntate vel requisicione cuiusque alterius hominis sue persone condendi statutaque interpretandi atque tollendi suffocandi seu pro non statutis haberi debere declarandi, consilia faciendi, loca tempora modus celebrandi, eadem consilia ponendi inveniendi et constituendi secundum et iuxta varietatem temporum industriamque et discrecionem universitati et rectori supradictis a domino deo datam et concessam attentis qualitate et quantitate maioritate meritisque membrorum ac personarum universitatis supradicte“. Über die Vollmachten des Universitätsrektors detailliert Haasová-Jelínková, Marie: Správa a kanceláˇr pražské university v první dobˇe jejího trvání [Die Verwaltung und die Kanzlei der Prager Universität in der ersten Zeit ihres Bestehens]. In: SPDHMP. Praha 1948 [Sonderdruck], 9–23. 123 Tadra, Pˇríspˇevky (wie Anm. 114), 307: „Cum tamen non constat neque constare possit, predictum rectorem universitatis aliud in prejudicium nacionis Boemice et magistrorum predictorum attemptasse vel attemptare velle et gravamen et cum pro futuris culpis et delictis sentencie generales sive specialies non debeant fulminari presertim excommunicacionis sentencia, que est anime medicina, et quibus quidem pretensis mandatis contra juris ordinem, salva ipsius reverencia promulgantis, promulgatis memoratus magister Conradus suo et universitatis supradicte nomine senciens se ipsamque universitatem fore gravatam timens infuturum forcius aggravari posse.“
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Anordnung über die Einberufung des Universitätsrates zu beugen, sowie über die Weigerung der Kollegiaten, sich der Anordnung über die Wahl eines neuen Kollegiaten unterzuordnen. Und gerade hier begegnet uns das erste Rätsel: Bereits an dem Tag, als der Erzbischof das Mandat über die Wahl der Kollegiaten erließ, also am 2. Dezember, wurde vor seinem Gericht der Prozess „in causa nacionis Bohemorum et Theutunicorum studii Pragensis“ eröffnet. 124 Darin traten als Parteien die böhmische und die deutsche Universitätsnation auf, was unter verfahrensrechtlichem Gesichtspunkt überraschend ist, denn eine solche Korporation, „Nacio Theutonicorum“, gab es an der Universität nicht. Wie jedoch aus einer späteren Eintragung in den Gerichtsakten vom 10. Dezember ersichtlich wird, nach der als Parteien die böhmische Nation und die drei weiteren Universitätsnationen auftraten, handelt es sich lediglich um eine verkürzte Notiz des Generalvikars bzw. seines Notars, der sich mit der Verwendung der Wortverbindung „Nacio Theutonicorum“ wohl etwas die Arbeit vereinfachen wollte. Die schnelle Prozesseröffnung, die dasselbe Datum wie das erzbischöfliche Mandat trägt, ist überraschend. Es stellt sich somit die Frage, ob sich dieser Gerichtsprozess tatsächlich auf den Streit über die Besetzung der Kollegiatsplätze bezieht. Wäre das der Fall, hätte der Erzbischof am selben Tag, auf den die in Vorbereitung befindliche Wahl eines neuen Mitglieds des Karlskollegs hätte fallen können, die Anordnung über die Art der Wahl des neuen Kollegiaten erlassen und dem Karlskolleg zustellen müssen. Und noch am selben Tag hätten die Kollegiaten beschließen müssen, dass sie diese Anordnung nicht akzeptieren, bzw. die Appellation niederschreiben und dem Erzbischof übergeben müssen. Noch am selben Tag hätte der Erzbischof wiederum die zuständigen Richter einsetzen und den Prozess eröffnen müssen. Eine solche Anhäufung von Ereignissen ist jedoch sehr unwahrscheinlich und kaum erklärlich, falls man die Datierung des Mandates so akzeptiert, wie sie das Appellationsformular anführt. Anderseits besteht kein Zweifel daran, dass der Prozess zwischen der böhmischen Universitätsnation und den drei übrigen Universitätsnationen, der polnischen, der bayerischen und der sächsischen, an jenem 2. Dezember formal durch die Einsetzung der Richter eröffnet wurde. Bereits am 10. Dezember traten die Prokuratoren der zerstrittenen Parteien vor die Richter: für die böhmische Nation Jakob Aristoteles, der bekanntermaßen der Vollstrecker des erzbischöflichen Mandates war, und Jakob von Budweis sowie für die übrigen drei Nationen Magister Konrad, den Šmahel mit dem Rektor Konrad von Soltau identifiziert. 125 Laut Šmahel überreichte hier Magister Konrad dem Erzbischof die Appellation des Rektors beim Papst. 126 Im Unterschied zu Šmahel glaube ich jedoch nicht, dass es sich eindeutig um eine Appellation gegen
124 Soudní akta konsistoˇre pražské [Die Gerichtsakten des Prager Konsistoriums]. Bd. 2. Hg. v. Dems. Praha 1893, 299 (Nr. 274). 125 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 30. 126 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 301 (Nr. 282): „Ibidem statim dictus mag. Conradus obtulit quandam cartham excepcionis, contra quam ea perlecta per me notarium statim replicavit dicens, quod cause in eadem cartha pretensa descripte non descendunt a jure nec subiacent eidem et petivit non obstantibus in eadem cartha descriptis mandare respondere libello et mag. Conradus
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die Anordnung über die Wahl der neuen Kollegiaten gehandelt haben muss. Die Interpretation, diese Appellation stelle im Gegenteil die Appellation des Rektors gegen das erzbischöfliche Mandat dar, das dem Rektor untersagt, die Universitätsstatuten zu ändern und auszulegen und auf eine neue Weise den Universitätsrat einzuberufen, ist nämlich – wie noch ausführlich gezeigt wird – ebenso wahrscheinlich. Mittels der Appellation und des Protestes vor dem Gericht lehnte Konrad von Soltau als Universitätsrektor die Zuständigkeit des erzbischöflichen Gerichts für den ganzen Streit ab. (Bemerkenswert ist, dass er in den Protokollen der Gerichtsakten nie in der Funktion des Universitätsrektors auftritt und dass sein Nachname „von Soltau“ nicht angeführt wird – mit Ausnahme des Protokolls vom 7. Januar 1385, 127 in dem er als „Conradum Zoltaw, rectorem universitatis“ gemeinsam mit drei weiteren Kollegiaten, Prokuratoren der drei Nationen, belegt ist, und mit Ausnahme des Protokolls vom 18. Januar, 128 in dem er nicht als Prokurator, sondern als Rektor und Repräsentant der ganzen Universitätsgemeinde auftritt.) 129 Gleichzeitig teilte Konrad mit, dass er jedoch zu einer Vereinbarung nach dem Recht bereit sei. Am selben Tag erschienen vor Gericht auch Nikolaus von Rakonitz, Propst des Karlskollegs, Nikolaus von Leitomischl und Peter von Znaim, beide Kollegiaten des Karlskollegs, sowie Martin, Propst des Kollegs von König Wenzel. Aus ihrer Anwesenheit kann man schließen, dass der verhandelte Gegenstand die Besetzung der Kollegiatsplätze betraf. Dagegen spricht allerdings, dass die Universitätsnationen im betreffenden Prozess als zerstrittene Parteien auftraten, während die eine Appellation gegen den erzbischöflichen Erlass der Rektor im Namen der Universität und die andere Appellation (wahrscheinlich) die Kollegiaten eingelegt hatten. Für die glaubhafteste Auslegung halte ich somit, dass die beiden Auseinandersetzungen, die des Rektors und die der Kollegiaten, zum gegebenen Zeitpunkt miteinander verknüpft waren und dass die böhmischen Kollegiaten eher das Terrain sondierten und nur dem Erzbischof und seinen Generalvikaren zur Verfügung standen. Bemerkenswert ist noch, dass Johannes Wenceslai von Prag der Verhandlung am 10. Dezember 1384 nicht beiwohnte, 130 war er doch der Hauptinitiator des erzbischöflichen Eingriffs gegen die Erlasse des Rektors und gegen die
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predictus referebat se ad Speculatorem dicens, eundem clare probare, causas allegatas in dicta causa esse legitimas et obtulit se paratum concordare de arbitrio iuxta disposicionem juris.“ Ebd., 307 (Nr. 5). Ebd., 309 (Nr. 14). Es ist daher zu fragen, ob der Prokurator der drei auswärtigen Universitätsnationen immer nur Konrad von Soltau war. Hypothetisch besteht die Möglichkeit, dass die drei deutschen Universitätsnationen manchmal auch die Dienste eines anderen Prokurators in Anspruch genommen hatten, beispielsweise des damals am erzbischöflichen Hof als Prokurator wirkenden Magisters Konrad de Braclis. Quellenbasiert ist dieses Problem jedoch nicht überzeugend lösbar. Auf das Prokuratorenproblem und die mögliche Identifikation des Magisters Konrad mit Konrad de Braclis machte bereits aufmerksam: Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 52 (1914), 477. Zu seiner Person vgl. Bartoš, František Michálek: M. Jenek z Prahy, rektor univerzity Karlovy [Mag. Johannes von Prag, Rektor der Karlsuniversität]. In: JSH 9 (1936), 41–43; Herold, Vilém: Komentáˇr M. Jenka Václavova z Prahy k Aristotelovu spisu „Politika“ [Kommentar des Mag. Johannes Wenceslai von Prag zur Schrift „Politika“ des Aristoteles]. In: AUC – HUCP 19/2 (1979), 19–40.
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Bemühungen, die bisherigen Gewohnheiten in der Universitätsverwaltung zu ändern. Aus dem Protokoll vom 10. Dezember ergibt sich jedoch ganz eindeutig, dass sich das Gericht an diesem Tag nur mit rein verfahrensrechtlichen Angelegenheiten befasste. Überraschend und unerklärlich ist aber, dass die Prokuratoren der böhmischen Nation bereits am 10. Dezember den Kontumazialbescheid gegen die drei Universitätsnationen wegen des Versäumnisses des Gerichtstermins verlangten, obwohl die Gerichtsakten der Generalvikare von früheren Verhandlungen kein Zeugnis ablegen. Die Frage zu beantworten, ob der Streit nicht vielleicht eine längere Genese hatte, deren Schritte leider unbekannt sind, ist jedoch genauso unmöglich wie die Lösung des oben angedeuteten Rätsels, warum das erzbischöfliche Mandat und die Eröffnung der Gerichtsverhandlung das gleiche Datum tragen, obwohl das in der Praxis nicht möglich war. Rein hypothetisch kann man freilich vermuten, dass die beiden Auseinandersetzungen früher als am Anfang des Dezember ausbrachen und dass die Protokolle in den Akten der Generalvikare erst die Phase widerspiegeln, als sich der Erzbischof von Prag bereits entschlossen hatte, sie auf dem rechtlichen Wege zu lösen. Sieben Tage später, am 17. Dezember, traten erneut Konrad als Prokurator der drei Nationen und Jakob als Prokurator der böhmischen Nation vor die Richter. Neben ihnen erschien zum ersten Mal auch der Anführer der böhmischen Universitätsnation und Kollegiat des Allerheiligenkollegs vor Gericht: Magister Johannes, also Johannes Wenceslai von Prag. Nur am Rande sei daran erinnert, dass weder Jakob noch Johannes ausdrücklich als Prokuratoren angeführt werden. 131 Zwischen dem 17. und dem 23. Dezember, als eine weitere Gerichtsverhandlung stattfand, kam es zu Begebenheiten, von denen keine Details bekannt sind. Bekannt ist lediglich der erzbischöfliche Erlass, nach dem die polnische, bayerische und sächsische Nation die Wahl wie gewohnt durchführen und die böhmische Nation dazu einladen sollte. 132 Gemeinsam damit revozierte dann der Erzbischof seinen gegen die drei Nationen gerichteten Erlass (im Protokoll heißt es zwar erneut „contra nacionem Theutunicorum“; da diese Eintragung gestrichen wurde, scheint es jedoch, dass sich hier der Notar wieder nur seine Arbeit vereinfacht hat). 133 Außerdem ordnete der Erzbischof dem Magister Matthäus („Matheo“) und weiteren Magistern an, sich binnen einer Frist von acht Tagen zu äußern, ob sie bereit seien, sich der erzbischöflichen Jurisdiktion zu fügen. 134 Wer jener Magister Matthäus war, ist unsicher. Šmahel vermutet,
131 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 302 (Nr. 285). 132 Ebd., 303 (Nr. 289): „dominus Prag. consensit, quod naciones Polonie, Bavarie et Saxonie de universitate studii Prag. celebrent eleccionem iuxta consuetudinem observatam laudabiliter vocata nacione Bohemorum et de eorum consensu eosdemque in statu reposuit et cassavit inhibicionem decretam contra dictas naciones ad instanciam nacionis Bohemorum“. 133 Ebd. Die im Original gestrichene notarielle Anmerkung lautet: „Inhibicionem, quam vicarii fecerunt contra nacionem Theutunicorum, revocavit et reposuit in statu pristino mandavitque dictis Theutunicis, ut nullam eleccionem celebrent nisi vocatis ad hoc Boemis et cum consensu eorum.“ 134 Ebd.: „mandavitque eciam mag. Matheo et aliis magistris, ut respondeant sibi infra VIII dies, an velint subiacere jurisdiccioni sue plene tamquam ordinario et cancellario studii eorum“.
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dass es sich um Matthäus von Krakau handele. Später trat Matthäus zwar als Prokurator und Consiliarius der polnischen Nation auf, zum gegebenen Zeitpunkt aber kann jener Magister auch jemand anders gewesen sein. Wichtig ist noch, dass an diesem Tag Konrad von Soltau nicht an der Verhandlung teilnahm. Denkbar ist, dass sich hinter dem Magister Matthäus und den weiteren Magistern Personen verbergen, die eine eigenständige Appellation gegen die Anordnung bezüglich der Wahl in den Kollegien eingelegt hatten (oder drohten, diese einzulegen). Dann stellt sich aber die Frage, ob Matthäus von Krakau dieser Matthäus hätte sein können, der kein Mitglied des Karlskollegs mehr war, weil er am Anfang der 1380er Jahre zum Kollegiaten des Allerheiligenkollegs gewählt wurde, oder ob das beispielsweise nicht der Magister Matthias von Liegnitz sein konnte, der Kollegiat des Karlskollegs war, auch wenn man nicht weiß, ob bereits am Ende des Jahres 1384 oder zumindest während des Jahres 1385. 135 Da nicht mit Sicherheit festzustellen ist, wer die Appellation gegen die erzbischöfliche Anordnung bezüglich der Wahl eingelegt hat, ob also die Kollegiaten des Karls-, Wenzels- oder des Allerheiligenkollegs bzw. auch Vertreter aller drei Kollegien zusammen, bleibt die Identität jenes Magisters Matthäus reine Spekulation. Es bietet sich auch eine ganz prosaische Erklärung an: Jener Matthäus könnte tatsächlich Matthäus von Krakau gewesen sein, und zwar als der einzige Vertreter der deutschen Magister oder als Vertreter des zum gegebenen Zeitpunkt abwesenden Rektors. Wichtiger als die Identität des Magisters Matthäus ist jedoch die Klärung der Eintragung vom 23. Dezember 1384. Sicher ist nur eins: Wie die Eintragung vom 10. Dezember bezieht sie sich auf die prozessualen Angelegenheiten mit Ausnahme der erzbischöflichen Konzession, die Wahl nach den alten Gewohnheiten abzuhalten. Diese Konzession kann man meiner Meinung nach mindestens auf zweierlei Art und Weise erklären. Akzeptiert man die verlockende, durch die bisherige Forschung gestützte Interpretation, es handele sich hierbei um die Wahl der Kollegiaten, dann ist hinzuzufügen, dass der Erzbischof von Prag durch diesen Schritt seine ursprüngliche Anordnung bewusst zurückgenommen hätte, nach welcher der neue Kollegiat ausschließlich aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation gewählt werden sollte. Träfe dies zu, wären aber die weiteren Verhandlungen über die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien gegenstandslos geworden. Kaum etwas stünde dann sogar der Behauptung entgegen, zwischen dem 10. und dem 23. Dezember sei ein Abkommen über die Besetzungsweise der Kollegiatsplätze zwischen der böhmischen Universitätsnation und den Kollegiaten geschlossen worden, also ein ˇ Abkommen zwischen Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau, der als Rektor damals die unzufriedenen Kollegiaten des Karlskollegs repräsentiert habe. Dieser Interpretation widerspricht jedoch bis zu einem gewissen Maße die Gegebenheit, dass der Erzbischof von dem Magister Matthäus die Anerkennung der obersten erzbischöflichen Gerichtsbarkeit verlangt hat und nicht den Beitritt zum Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze. Wie jedoch noch gezeigt werden wird, ist der Beitritt zum Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze von den Magis-
135 Angaben zu den beiden Kollegiaten bringt Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 35, 37.
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tern oder von allen Universitariern nie verlangt worden, sodass der oben angeführte Einwand mehr oder weniger gegenstandslos ist. Auch aus diesem Grund kann man daher mit der Hypothese arbeiten, der Streit über die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien sei relativ schnell gelöst worden und habe nur drei Phasen besessen, die in den Akten der Generalvikare durch die Eintragungen vom 2. Dezember, vom 10. Dezember mit der Appellation bezüglich der Kollegien und zuletzt vom 23. Dezember in Form der Rücknahme des eigenen Erlasses vom 2. Dezember durch den Erzbischof erfasst sind. Im Gegenzug kann man jedoch auch die nachfolgende Hypothese aufstellen, die meiner Meinung nach aufgrund der erhaltenen Eintragungen ähnlich wahrscheinlich ist, obwohl auch sie wie die oben angeführte Hypothese ihre Schwachstellen hat, die dadurch verursacht werden, dass die Prozessakten nicht erhalten sind. Im Folgenden versuche ich also einen anderen Verlauf der Streitaustragung zu beschreiben: Im Dezember 1384 wurde vor dem erzbischöflichen Gericht wegen der Streitigkeiten, die zwischen den Universitätsnationen ausgebrochen waren (Kollegiatsplätze, Neuregelung der Statuten, Wahl der Consiliarii bzw. Art der Zusammenstellung des Rates) ein Prozess geführt, dessen Hauptinhalt die Anerkennung der obersten Gerichtsbarkeit des Erzbischofs als Universitätskanzler war. Wie kann man dann aber die Konzession bezüglich der Wahl erklären, nach der die Magister der böhmischen Universitätsnation nicht hintangestellt werden sollten? Aus dem erzbischöflichen Mandat vom 4. Dezember geht hervor, dass Konrad von Soltau die Universitätsstatuten ändern und die Art der Einberufung des Universitätsrates darin neu regeln wollte. Der Universitätsrat wurde jedoch nicht gewählt, und das einzige gewählte Organ auf der Gesamtuniversitätsebene waren die Consiliarii. 136 Neue Consiliarii wurden offenbar – obwohl aus den Universitätsstatuten nicht herleitbar – kurz nach der Wahl eines neuen Rektors gewählt. Im Dezember 1384 sollten daher die neuen Consiliarii bereits gewählt gewesen sein. Hat Konrad sein Rektorat aber schon mit dem Gedanken angetreten, das Wahlverfahren der Consiliarii zu ändern, könnte er die alten Consiliarii noch im Amt belassen haben und erst im Dezember zur Wahl der Consiliarii nach der neuen Regelung geschritten sein. Nach dieser Neuregelung wäre die Artistenfakultät zu kurz gekommen. Die einzige Erklärung dafür ist, dass so den Vertretern der Theologischen Fakultät eine viel größere Rolle als zuvor eingeräumt werden sollte. 137 Die Argumentation über die Anzahl der Angehörigen der einzelnen Universitätsnationen weist darauf hin, dass die Neuregelung des Wahl136 Hier verweise ich lediglich auf die Basisliteratur: Boháˇcek, Založení a nejstarší organizace pražské university (wie Anm. 121), 19 f.; Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 10. – Vor ihnen zusammenfassend, allerdings manchmal nicht eindeutig interpretierend Haasová-Jelínková, Správa a kanceláˇr pražské university (wie Anm. 122), 24–26. 137 Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 35, hat die Hypothese aufgestellt, dass es in dem Streit um „die häufigere Wahl eines einheimischen Magisters auf den Posten des Dekans der Artistenfakultät“ ging. Weiter hat er sie jedoch leider nicht entwickelt. Dieser Auslegungslinie steht aber meines Erachtens die Tatsache im Wege, dass der Rektor keine Befugnis hatte (zumindest hat man keine Belege darüber), in die verwaltungsmäßige und statutarische Autonomie der einzelnen Fakultäten einzugreifen. Zutreffend ist jedoch, und darauf spielt Šmahel offensichtlich an, dass Dekane aus den
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verfahrens der Consiliarii auch irgendeine proportionelle Vertretung der einzelnen Nationen unter den Consiliarii betreffen könnte, auch wenn ich diese Interpretation für nicht sehr wahrscheinlich halte. Denn sie würde dem an der Prager Alma Mater eindeutig funktionierenden Prinzip der Parität der einzelnen Universitätsnationen widersprechen. Durch die erzbischöfliche Anordnung vom 23. Dezember wären so die Wahlen der Consiliarii neu geregelt worden, bzw. die Initiative des Rektors, in diesem Sinne die Statuten zu ändern, wäre nach gegenseitiger Einigung abgelehnt worden zu Gunsten der alten Gewohnheiten, nach denen die böhmische Universitätsnation die gleiche Vertretung wie die anderen Universitätsnationen besaß. Der verlockenden und von der Forschung präferierten Verbindung zwischen der Anordnung vom 23. Dezember und der Besetzungsweise der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien widerspricht meiner Meinung nach v. a. jener deutliche Hinweis auf die alten Gerichtsgewohnheiten und damit auch die Einladung und insbesondere die Zustimmung der Böhmen („cum consensu eorum“). Kollegiatsplätze wurden jedoch bekanntermaßen nach den alten Gewohnheiten nicht unter dem Gesichtspunkt der Universitätsnationen besetzt. Die Wahl erfolgte durch die einzelnen Kollegiaten, die hier nicht die nationalen Korporationen, sondern sich selbst repräsentierten. So scheint es also, dass der Erzbischof in seinem Erlass vom 23. Dezember eher auf die Appellation des Rektors reagierte, die jegliche Benachteiligung der böhmischen Universitätsnation bestritt, und de facto als Universitätskanzler den an der Universität herrschenden Zustand sanktionierte. Der zweite, gegen den Magister Matthäus und gegen die weiteren Magister (deren Nationszugehörigkeit in keiner Weise spezifiziert ist) gerichtete erzbischöfliche Erlass hingegen könnte in dieser Auslegungsrichtung einen Appell zur Akzeptanz der erzbischöflichen Jurisdiktion bedeuten – möglicherweise ebenfalls ohne Rücksicht auf die Nationen, da der Erzbischof bei den weiteren Verhandlungen die Anerkennung seiner obersten Jurisdiktion auch von den Repräsentanten der böhmischen Universitätsnation verlangte. Bis zu dem Termin, der den Magistern vorgegeben wurde, kam es jedoch nicht zu dieser Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion. Am 4. Januar 1385 bemühte sich nämlich der Prokurator der böhmischen Universitätsnation Jakob Aristoteles vor Gericht um die Exkommunikation der deutschen Magister, die sich innerhalb der Frist, die ihnen gesetzt worden sei, nicht geäußert hätten, ob sie sich der Jurisdiktion des Erzbischofs als Universitätskanzler und als Ordinarius der Diözese unterordneten. 138 Wesentlich dabei ist, dass sich der Eingriff von Jakob Aristoteles gegen die deutschen Magister richtete und nicht gegen die Kollegiaten. Das spricht wiederum eher für die Annahme, dass der vor dem erzbischöflichen Gericht geführte Streit die Kollegiatsplätze nur am Rande betraf. Der Termin der Gerichtsverhandlung wurde nämlich nicht den Kollegiaten, sondern allen Ma-
Reihen der böhmischen Universitätsnation in den siebziger und achtziger Jahren eine Ausnahme darstellten. 138 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 305 (Nr. 2).
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gistern der drei Nationen auferlegt, die durch jenen Magister Matthäus repräsentiert wurden, der im gegebenen Fall wirklich Matthäus von Krakau gewesen sein könnte. Magister Konrad, Prokurator der drei Nationen, die hier wiederum ausdrücklich mit ihren Namen angeführt werden, also der polnischen, bayerischen und sächsischen Nation („magistrorum nacionum Polonie, Bavarie et Saxonie“), beantragte jedoch am 4. Januar eine Verlängerung der Frist auf den achten Tag nach der Beschneidung des Herrn, also auf den nächsten Mittwoch, und verlangte, über diesen seinen Antrag eine notarielle Aufzeichnung anzufertigen. 139 Merkwürdigerweise erschienen vor Gericht bereits drei Tage später, also nicht erst zum festgelegten Termin (dies zeugt meiner Meinung nach davon, dass in den Gerichtsakten nicht die Protokolle von allen Verhandlungen des Gerichtsverfahrens erhalten sind, über das eine selbständige Prozessakte geführt wurde), Konrad von Soltau als Universitätsrektor, Heinrich Totting von Oyta, Matthäus von Krakau und Menso von Beckenhusen, die in ihrem Namen und im Namen der Universität die Jurisdiktion des Erzbischofs von Prag als Universitätskanzler über die Universität anerkannten. Bezüglich des Umfangs dieser Jurisdiktion müsse er (Konrad) sich allerdings nach den Gewohnheiten mit der ganzen Universität beraten. 140 Zwei anwesende Magister der Artes liberales hingegen, in denen Šmahel Johannes Wolf und Matthias Stephani von Prag erkennt (erinnert sei daran, dass Bartoš in ihnen Matthias von Prag und Johannes von Chlum erblickt), 141 die hier die böhmische Universitätsnation hätten vertreten können, ohne dass es jedoch ausdrücklich erwähnt wird (übrigens wird bei den übrigen Magistern auch nicht erwähnt, dass sie Vertreter oder Prokuratoren der drei auswärtigen Universitätsnationen seien), erkannten die Jurisdiktion des Erzbischofs in vollem Umfang an. Dabei bemerkten sie, der Erzbischof und Kanzler übe über sie die gleiche Jurisdiktion aus wie über die übrigen Laien und Kleriker der Diözese. 142 Offenbar verlangte der Erzbischof – obwohl er zu Gunsten der böhmischen Universitätsnation handelte – aus formalen und aus repräsentativen Gründen auch von den böhmischen Magistern die öffentliche und vorbehaltlose Anerkennung seiner Jurisdiktion. Die
139 Ebd.: „mag. Conradus petivit fieri instrumentum“. 140 Ebd., 307 (Nr. 5): „Sabbato in crastino Epiphanie D. die VII. m. Jan. venerab. d. Johannes prepositus Sderasiensis vicarius domini Prag. de speciali ipsius mandato sibi oraculo vive vocis facto requisivit venerab. magistros Conradum Zoltaw rectorem universitatis, Henricum de Oytha, Matheum de Cracovia et Menssonem, presentes, an recognoscant, dictum dominum Prag. esse eorum et universitatis studii Prag. cancellarium et in eos et singulos alios et totam universitatem dicti studii Prag. habere ordinariam jurisdiccionem ut archiepiscopum Prag., qui deliberati responderunt et confessi sunt, prefatum d. archiepiscopum Prag. ipsorum et dicti studii fore cancellarium, quod autem habeat in eos et univeristatem predictam jurisdiccionem plenam ordinariam, dixerunt se velle deliberare cum universitate predicta iuxta consuetudinem hactenus observatam.“ ˇ 141 Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 64. 142 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 307 (Nr. 5): „Ibidem magistri Johannes et Mathias, magistri in artibus, requisiti per dictum d. prepositum Sderas. commissarium responderunt super premissis, quod acta et peticiones eorum probant clare et distincte, quod prefatus d. archiepiscopus Prag. est eorum cancellarius et studii Prag. ut studencium et ordinariam habere jurisdiccionem in eosdem et alios ut clericos sibi et diocesi sue subiectos.“
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Magister Johannes Wolf und Matthias Stephani von Prag leisteten dem auch für die ganze böhmische Universitätsnation Folge. Die Vertreter der drei deutschen Universitätsnationen nahmen nach ihrer vorläufig begrenzten Unterordnung unter die erzbischöfliche Jurisdiktion vom 7. Januar 1385 an der vier Tage später stattfindenden Gerichtsverhandlung, also am 11. Januar (d. h. am achten Tag nach der Beschneidung des Herrn), nicht teil. Offensichtlich hielten sie das in der entstandenen Lage für überflüssig, hatten sie sich doch allgemein der Jurisdiktion des Erzbischofs und des Kanzlers untergeordnet. Zudem hatte jene Verhandlung der ganzen Universitätsgemeinde, womit wohl der aus allen Magistern zusammengesetzte Universitätsrat gemeint ist, bis dahin noch gar nicht stattgefunden. (Aus verfahrensrechtlicher Sicht sollte ihnen jedoch das Fernbleiben von der Gerichtsverhandlung am 11. Januar zum Verhängnis werden.) Für die böhmische Partei hingegen nahm an der Gerichtsverhandlung, 143 die zum gegebenen Zeitpunkt eine bloße Formalität war und bei der den deutschen Magistern ein weiterer Gerichtstermin auf den nächsten Samstag, also auf den 14. Januar gelegt wurde, neben den Magistern Wolf und Matthias auch Magister Stephan teil, wahrscheinlich Magister Stephan von Kolin, der in den nächsten Jahren nachweislich zum Kollegiaten des Karlskollegs gewählt wurde. 144 Drei Tage später, am 14. Januar, wie das Protokoll sagt, in Anwesenheit vieler Magister der böhmischen Universitätsnation, 145 erschienen die Magister der drei auswärtigen Universitätsnationen wiederum nicht vor Gericht. So setzte man ihnen einen weiteren Termin auf den nächsten Freitag, also den 20. Januar fest. Im Widerspruch zu dieser Festsetzung trat jedoch am Mittwoch, den 18. Januar, der Universitätsrektor Konrad von Soltau vor Gericht auf. Vor dem 18. Januar muss daher mit höchster Wahrscheinlichkeit jene Universitätsvollversammlung stattgefunden haben bzw. die Magisterkongregation, auf der beschlossen wurde, dass sich die Universität in allem der erzbischöflichen Jurisdiktion unterordne, und zwar sowohl nach dem Recht als auch nach den Universitätsgewohnheiten: „in omnibus, in quibus debent et tenentur et ad hoc sunt de jure vel consuetudine astricti, parati sunt eidem domino Prag. in efectu obedire sine dolo et fraude“. 146 Die von den drei auswärtigen Universitätsnationen mit dem Rektor an der Spitze bisher verfolgte Taktik 143 Ebd., 308 (Nr. 7). Bei dieser Eintragung benutzt der Notar wiederum die Bezeichnung „nacionum Theutonicorum“. 144 Hypothetisch kann er es aber bereits am Anfang des Jahres 1385 gewesen sein. Nachweislich ist er aber als Kollegiat erst im Jahre 1390 belegt. Für seinen mehrjährigen Aufenthalt im Kolleg vor 1390 könnte jedoch die Tatsache sprechen, dass er im Jahre 1390 als Propst des Kollegs auftritt. Zu Stephan von Kolin vgl. Odložilík, Otakar: M. Štˇepán z Kolína [Mag. Stephan von Kolin]. Praha 1924. Odložilík behandelt Stephan als Reformer, der stark von den Reformvorstellungen des Matthäus von Krakau beeinflusst war. Gleichzeitig versucht er zu beweisen, dass Stephan die defätistische Haltung des Erzbischofs nach der Folter seiner Beamten und dem Ertränken des Johannes von Pomuk im Jahre 1393 hart kritisierte und dass er schließlich anfing, in der Person des Erzbischofs eine der Ursachen des kritischen Zustands der Kirche und des kirchlichen Lebens in den böhmischen Ländern zu erblicken. 145 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 308 (Nr. 11): „in presencia plurimorum magistrorum nacionis Bohemorum“. 146 Ebd., 309 (Nr. 14).
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des Abwartens war damit zu Ende, denn die abgegebene Erklärung war eine Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion ohne jede Ausnahme. Durch diese Erklärung wurde der Streit jedoch nicht beendet. Im Gegenteil: Die Initiative der offensichtlich weiterhin unzufriedenen Repräsentanten der böhmischen Universitätsnation befeuerte ihn eher. Die Generalvikare erklärten in Übereinstimmung mit dem Antrag des Prokurators der böhmischen Nation, Andreas Zabitec, die Exkommunikation der deutschen Magister wegen ihres Ungehorsams gegenüber dem Gericht, 147 also nicht wegen der Nichtanerkennung der obersten Jurisdiktion des Erzbischofs, sondern wegen der Nichtwahrnehmung der festgesetzten Gerichtstermine, d. h. aus verfahrensrechtlichen Gründen. Jene Exkommunikation betraf jedoch, wie im Protokoll angeführt, 148 nur die Prokuratoren der drei deutschen Universitätsnationen und nicht die Nationen als solche. Gleichzeitig ordnete der Erzbischof dem Rektor an, statt Privatgefängnissen künftig nur noch das erzbischöfliche Gefängnis
147 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 31, schreibt über die Exkommunikation der acht Magister am 20. Januar 1385. Das Gerichtsaktenprotokoll spricht allerdings von der Exkommunikation der Magister, die Prokuratoren der drei Nationen waren. Hypothetisch kann man sie den acht Magistern gleichsetzen, von denen am 1. März als von den exkommunizierten und danach absolvierten Magistern die Rede ist. Das Problem besteht aber darin, dass es keine einzige Erwähnung einer Absolution vor dem 1. März in den Akten der Generalvikare gibt. Das zweite Problem ist zudem die Anzahl von acht Magistern, da es nur zwei Prokuratoren (Consiliarii) für jede Nation gab. Ohne eine Stütze in den Quellen könnte man noch die Hypothese vorlegen, dass zu den Exkommunizierten auch Heinrich Totting zählte, der im Januar durch Bruno von Osenbrughe ersetzt wurde, der neu als Prokurator der sächsischen Nation auftritt, und damit auch als Universitätsrektor, womit die Anzahl von acht Personen erreicht wäre. Šmahel hat Recht darin, dass ein großer Teil dieser acht Magister, sofern man sie mit den Prokuratoren der Nationalkurien gleichsetzt, die uns aus den Gerichtsverhandlungen bekannt sind, zu den gut honorierten Professoren der Magisterkollegien gehörte. Akzeptiert man jedoch seine Hypothese, dass Menso von Beckenhusen, Consiliarius der bayerischen Nation, am 27. Januar den Spruch der achtköpfigen Friedenskommission annahm und sich dem „noch am selben Tag oder bald danach die weiteren sieben exkommunizierten Kollegen anschlossen“, dann muss man daraus schließen, dass alle deutschen Magister, mit Ausnahme der acht Magister, deshalb exkommuniziert wurden, weil sie von sich aus den Friedensspruch nicht angenommen hatten, und dass jene Appellation, die im Spruch vom 1. März durch Ludwig von Dresden erwähnt wird, welche die Nationen nicht widerrufen hatten, nur die Appellation des Rektors und folglich der drei auswärtigen Universitätsnationen gegen den Eingriff des Erzbischofs und nicht die Appellation der Kollegiaten gegen die erzbischöfliche Anordnung bezüglich der Besetzung der Kollegiatsplätze sein kann. Folgt man also Šmahels Konstruktion, dann ist sie ein weiteres Argument dafür, dass die Vereinbarung der acht Friedensrichter nicht die Besetzung der Kollegiatsplätze betraf. Nur am Rande erwähne ich, dass man jene acht Magister nicht mit den Kollegiaten gleichsetzen kann, welche die Appellation gegen den erzbischöflichen Eingriff in das Wahlverfahren bezüglich der Kollegiatsplätze eingereicht hatten, wie es Václav Novotný tut. Noch weniger sind sie mit den Theologieprofessoren zu identifizieren, die am 22. Dezember 1385 die von ihnen gegen den Erzbischof eingeleiteten Schritte zurückgenommen hatten, weil sich unter ihnen, wie noch zu zeigen ist, am Ende des Jahres 1385 zwei böhmische Magister befanden, die Ende 1384 noch treu auf des Erzbischofs Seite gestanden hatten (Friedemann von Prag und Johannes Wenceslai von Prag). 148 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 310 (Nr. 17): „In causa universitatis studii Prag. Andreas Zabitecz procurator nacionis Bohemorum accusavit contumaciam magistrorum nacionum supradictarum, nominatim in procuratoriis eorum positorum.“
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zu benützen. 149 Diese Anordnung war offenbar ein Echo auf die Zusammenstöße an der Universität mit dem Angriff auf den Rektor als Höhepunkt, von denen die „Chronik der Prager Universität“ spricht. Die aufsässigen Studenten bestrafte der Rektor jedoch nicht nur mit Gefängnis. Denn an der ganzen Universität stellte er die Abhaltung von Vorlesungen und Prüfungen ein. Wann es genau zu diesen Zusammenstößen kam und wann genau der Universitätsunterricht eingestellt wurde, ist auf Basis der Quellen nicht bestimmbar, auch wenn der erzbischöfliche Erlass deren Widerhall sein kann. Diesen Vorfall könnte man aber auch als eine Form der Druckausübung der böhmischen Studenten und Magister, welche die Vorlesungen ja angeblich nicht zu stoppen gedachten, auf den Rektor und die drei übrigen Universitätsnationen interpretieren – mit dem Ziel von deren Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion. In diesem Fall hätten sich die Zusammenstöße zwischen dem 7. und 18. Januar 1385 ereignen müssen, als der Universitätsrat mit dem Ergebnis der Unterordnung unter die erzbischöfliche Jurisdiktion tagte. Innerhalb dieser Zeitspanne gab es anscheinend ebenfalls Verhandlungen zwischen den deutschen Magistern und dem Herrscherhof. Die Anwesenheit Wenzels IV. in Prag ist für den 11. Januar nach seiner Rückkehr aus dem Reich belegt. In seine Residenz kann er theoretisch auch einige Tage früher zurückgekehrt sein. 150 Die Unterordnung der drei auswärtigen Universitätsnationen unter die erzbischöfliche Jurisdiktion ist möglicherweise auch eine Antwort auf die Haltung des Königs. Der erzbischöfliche Erlass vom 20. Januar hingegen spiegelt sicher das fortdauernde Bemühen des Johannes von Jenstein wider, die Universitarier mittels verfahrensrechtlicher Schritte einzuschüchtern und gehörig in die Schranken zu weisen und damit die Universität zu disziplinieren. Unter prozessualem Gesichtspunkt nutzte man offensichtlich die Tatsache aus, dass nur der Universitätsrektor Konrad von Soltau die erzbischöfliche Jurisdiktion anerkannte, nicht jedoch jene Vertreter der drei auswärtigen Universitätsnationen vom 7. Januar, also deren jeweilige Prokuratoren Matthäus von Krakau, Menso von Beckenhusen und Heinrich Totting von Oyta. Nach weiteren Besprechungen, an denen wohl wiederum der Herrscherhof teilnahm – so legt es jedenfalls die Anwesenheit seines Diplomaten Primislaus von Teschen bei der Gerichtsverhandlung vom 28. Januar nahe –, schritten auch die Vertreter der drei deutschen Universitätsnationen zur Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion. Als Ersatz für Totting, dessen Schlüsselrolle im Streit noch erwähnt wird, trat hier Magister Bruno als Vertreter der sächsischen Nation auf, also wahrscheinlich Bruno von Osenbrughe, Kollegiat des Karlskollegs. Alle drei (Matthäus, 149 Ebd.: „dominus Pragensis decrevit dari monicionem cum sentencia contra rectorem universitatis, ut non utatur carceribus privatis, sed qui ex universitate venerint corrigendi, quod eosdem remittat ad carceres curie ipsius archiepiscopalis et revocavit expresse omnes concessiones per eum et predecessores suos super dictis carceribus eorum datas“. 150 So bereits Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 31. – Zu Wenzels Itinerar zuletzt Hlaváˇcek, Ivan: K organizaci státního správního systému Václava IV. [Zur Organisation des staatlichen Verwaltungssystems Wenzels IV.]. Praha 1991. Das detaillierte Itinerar bleibt allerdings weiterhin verborgen in Hlaváˇceks fundamentaler Arbeit: Ders.: Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel IV. 1378–1419. Stuttgart 1970.
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Menso und Bruno) gaben für die Universitätsnationen die Erklärung ab, der Erzbischof könne die Jurisdiktion genauso wie seine Vorgänger anwenden, sie würden sich seinen Anordnungen unterordnen. Gleichzeitig fügten sie hinzu, dass sie jedoch auf keinen Fall der den Erzbischöfen nicht ausdrücklich zustehenden Jurisdiktion unterstellt seien, also „quod in mandatis non habent“. 151 Meiner Meinung nach geht gerade dieser Passus bei der Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion auf den Königshof zurück, der sich durch die erzbischöflichen Eingriffe in das Universitätsleben sicher pikiert gefühlt hat. Auf diese Weise gab er gemeinsam mit den Magistern zu erkennen, künftig die universitären Angelegenheiten nach den alten Gewohnheiten leiten zu wollen, d. h. ohne die Möglichkeit des Erzbischofs in den Universitätskörper einzugreifen. Jenes „quod in mandatis non habent“ kann daher bedeuten, dass sich das Universitätsleben nach den Universitätsstatuten und den altehrwürdigen Anordnungen richten solle. Die Lösung strittiger Fragen bezüglich der Besetzung der Kollegiatsplätze wurde dadurch allerdings nicht berührt, selbstverständlich nur wenn man die mögliche Auslegung nicht akzeptiert, der Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze sei bereits vor dem 23. Dezember 1384 beigelegt worden. In den folgenden Tagen begannen neue Verhandlungen, von deren Inhalt gar nichts bekannt ist. Auch diese mussten nicht die Besetzung der Kollegiatsplätze betreffen, sondern vielmehr die Auslegung dessen, was Bestandteil der Anordnungen des Erzbischofs ist, die er und seine Vorgänger an der Universität erlassen haben, und die Frage der Exkommunikation, die ja formal nicht aufgehoben worden ist, da sie sich – wie schon gesagt – auf prozessuale Prinzipien gründete. Während dieser Verhandlungen wurde eine Friedenskommission eingesetzt. Von deren Existenz erfahren wir erst ex post am 27. Februar 1385, als Menso von Beckenhusen, früher Prokurator der bayerischen Nation, erklärte, sich dem im Streit zwischen den Universitätsnationen geschlossenen Abkommen unterzuordnen, das vier Arbiter (Schiedsrichter) für die böhmische Universitätsnation und vier Arbiter für die übrigen Universitätsnationen vermittelt hatten. 152 (Daraus könnte hypothetisch geschlossen werden, dass sich die bayerische Universitätsnation, damals die stärkste an der Universität, jenem Abkommen mit einer gewissen Selbstverleugnung unterordnete und möglicherweise in einigen Punkten nicht in voller Übereinstimmung mit den übrigen Nationen vorging, also mit der polnischen und der sächsischen Nation.) Noch am selben Tag fand eine weitere Gerichtsverhandlung statt, an welcher der Prokurator der böhmischen Nation, Magister Matthias (wahrscheinlich wiederum Matthias Stephani von Prag), und die Prokuratoren der drei auswärtigen Univer-
151 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 311 (Nr. 23): „magistri Matheus de Cracovia, Mensso et Brumo suo et nomine nacionum Polonie, Bavarie et Saxonie studii Prag. recognoverunt, dictum Rev. in Chr. patrem dom. Johannem ipsorum et dictarum nacionum esse archiepiscopum et cancellarium et quod velint eidem obedire et mandatis suis subsistere ut predecessori suo, sed non subiacere jurisdiccioni sue, quod in mandatis non habent“. 152 Ebd., 315 (Nr. 36): „quod velit stare ordinacioni et parere conclusioni facte per VIII arbitratores, IV ex parte nacionis Bohemorum et IV ex parte aliarum trium nacionum“.
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sitätsnationen, Magister Konrad und der erfahrene Magister Ludwig von Dresden, teilnahmen. Sie verwahrten sich gegen die Kontumazierung der drei auswärtigen Universitätsnationen wegen Nichterscheinens vor Gericht, vor das sie in seiner Zitation (d. h. Ladung vor Gericht) der Verwalter des erzbischöflichen Gefängnisses Vitek geladen hatte. 153 Deshalb wurde ein weiterer Verhandlungstermin festgelegt, und zwar gleich auf den folgenden Tag. Hier aber tritt merkwürdigerweise Andreas Zabitec als Prokurator der böhmischen Universitätsnation auf und nicht Magister Matthias sowie als Prokurator der drei Nationen nur Ludwig von Dresden und nicht auch Magister Konrad – als ob diese verfahrensrechtliche Auseinandersetzung, deren Kern Viteks Zitation war, der im Zusammenhang damit auf das Evangelium schwören musste, bereits zu einer entpersönlichten Angelegenheit erfahrener Juristen geworden wäre. Zabitec verlangte in dieser Verhandlung wieder die Exkommunikation der drei Nationen wegen Nichtbefolgung der Zitation und Nichterscheinens vor Gericht. Ludwig, obwohl er Prokurator aller drei Nationen war, wich einer offenen Stellungnahme mit der Ausrede aus, er könne nur im Namen der früher exkommunizierten acht Magister sprechen, denen jedoch bereits die Absolution erteilt worden war, nicht jedoch im Namen der Nationen, die exkommuniziert wurden, aber gegen diese Exkommunikation Berufung eingelegt hatten. Darauf entgegnete Zabitec, er verlange nicht die Exkommunikation jener Magister, denen bereits die Absolution erteilt worden sei, sondern der übrigen Magister der deutschen Universitätsnationen. Und darin kam ihm auch das Gericht entgegen, das mit Ausnahme jener acht Magister alle Angehörigen der drei auswärtigen Universitätsnationen kollektiv und individuell vom Kirchenbesuch suspendierte und für exkommuniziert erklärte. Danach legte das Gericht die Taxe für die Urkunden fest, welche die Magister bezahlen sollten, denen vorher die Absolution erteilt worden war, und zwar innerhalb einer Frist von acht Tagen und in Höhe von 30 Groschen. 154 Die Magister, die früher wegen Nichterscheinens vor Gericht exkommuniziert worden waren (meiner Meinung nach handelt es sich um die Exkommunikation vom 20. Januar 1385, welche die Vertreter der drei deutschen Universitätsnationen und den Rektor betraf) und über die am 1. April verhandelt wurde, waren also die Vertreter der drei Nationen, denen bereits vor der Verhandlung am 1. März die Absolution erteilt worden war. In den weiteren Protokollen der Akten der Generalvikare gibt es jedoch keinen Hinweis auf neue Verhandlungen bezüglich der Exkommunikation der drei auswärtigen Universitätsnationen. Daraus kann man meines Erachtens schließen, dass der ganze, an diesem Punkt bereits aus rein verfahrensrechtlichen Gründen geführte Streit schließlich zu nichts geführt hat. 155 Die Tatsache, dass drei Tage später Ma-
153 Es handelt sich um die Zitation, die bereits am 14. Januar 1385 vor dem Gericht verhandelt wurde: Ebd., 309 (Nr. 11). 154 Ebd., 316 (Nr. 42). 155 Der Streit kann selbstverständlich auf eine bestimmte Weise endgültig beigelegt worden sein. Seine Lösung ist jedoch nicht mehr in die Gerichtsakten der Generalvikare eingetragen worden. Dies geschah nämlich oft, auch wenn es keine Regel war.
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gister Nikolaus von Meppen vor Gericht erschien 156 und erklärte, sich dem Spruch der Arbiter unterzuordnen (in keinem Fall ist jedoch angegeben, welchem Friedensspruch der Arbiter sich die Magister fügten), betraf die Exkommunikation nicht. 157 Nikolaus wiederholte lediglich das Vorgehen Mensos von Beckenhusen vom 27. Februar. Wesentlich dabei ist, dass sie beide Mitglieder der bayerischen Universitätsnation waren. Das Vorgehen von Nikolaus könnte wie bei Menso Meinungsverschiedenheiten innerhalb der bayerischen Universitätsnation widerspiegeln. Bis zum 22. Dezember 1385 verschwinden dann aus den Akten der Generalvikare jegliche Aufzeichnungen über Auseinandersetzungen, in denen die böhmische Nation und die drei auswärtigen Universitätsnationen als streitende Parteien auftreten. Daraus kann man schließen, dass der Prozess ruhte und daher auch die Frage der Exkommunikation der Mitglieder der drei deutschen Universitätsnationen. Das Protokoll vom 22. Dezember 1385, dessen Datierung Wagner ohne jegliche Quellenbasis anzweifelt, 158 verzeichnet ganz sicher andere Angelegenheiten als den an der Wende der Jahre 1384/85 geführten Prozess. Das Protokoll an sich ist etwas rätselhaft, weil ihm keine in den Gerichtsakten aufgezeichnete Gerichtsverhandlung vorangeht. 159 Am 22. Dezember erschienen nämlich vor Gericht mindestens fünf Magister, Professoren der Theologie, die Mitglieder des Allerheiligenkollegs waren: Friedemann von Prag, Johannes Wenceslai von Prag, Menso von Beckenhusen, Konrad von Soltau und Johannes Marienwerder. Aus dem Protokoll kann man erahnen, dass gemeinsam mit ihnen vor die Richter auch ein weiterer Magister bzw. weitere Magister traten, die nicht namentlich genannt sind (ob auch sie Kollegiaten des Allerheiligenkollegs waren, ist nicht zu bestimmen). Alle Kollegiaten erklärten dann vor Gericht die Ungültigkeit sämtlicher Schritte, die sie bei der päpstlichen Kurie gegen den Erzbischof unternommen hatten, und versprachen, dem Papst zu schreiben, alles „per errorem“ getan zu haben. 160 Da alle Magister Mitglieder des Allerheiligenkollegs waren, ist es
156 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 31, vermutet, dass er sich dadurch den Weg zur Wahl zum Dekan der Artistenfakultät im Sommersemester des selben Jahres vorgebahnt hat. 157 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 316 (Nr. 316). 158 Wagner, Universitätsstift und Kollegium (wie Anm. 101), 77. 159 Boháˇcek, Založení a nejstarší organizace pražské university (wie Anm. 121), 26, hat von dieser Eintragung eine weitreichende Schlussfolgerung bezüglich der erzbischöflichen Jurisdiktion abgeleitet. Obwohl Boháˇcek genau das Wesen des Streites zur Jahreswende 1384/85 erfasst hat und zum Schluss gekommen ist, dass der Streit um die Jurisdiktion durch den Spruch der Arbiter beigelegt wurde, kann man seine weitere Konklusion, die erzbischöfliche Jurisdiktion über die Universität sei durch diesen Spruch nicht definitiv geklärt worden, nicht mehr akzeptieren. Boháˇcek behauptet nämlich, dass die „Erklärung der deutschen Magister“ vom 22. Dezember nicht als eine Anerkennung der Jurisdiktion betrachtet werden könne. Er übersieht dabei jedoch, dass diese Erklärung nicht die deutschen Magister, sondern die Kollegiaten des Allerheiligenkollegs abgegeben und dass sich unter ihnen auch zwei Mitglieder der böhmischen Universitätsnation befunden haben. 160 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 353 f. (Nr. 201): „Constituti personaliter coram Rev. in Chr. p. et d. Johanne archiepiscopo [. . . ] venerab. viri dd. et magistri Fridmanus, Jenco, Johannes Mariewerder, Conradus Zoltow, Mensso et [. . . ] sac. theologie professores, evocati per eundem dom. archiepiscopum, ubi omnia acta facta et proposiciones facte nomine ipsorum contra dictum d. archiepiscopum coram sanctissimo in Chr. p. et domino nostro d. Urbano div. prov. papa VI. sunt
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möglich, dass ihre gegen den Erzbischof gerichtete Aktion das Allerheiligenkolleg betraf. In diesem Fall scheint es unwahrscheinlich, dass sich ihre Aktion, wie Novotný urteilt, in irgendeiner Weise auf den Streit um die Kollegien bezogen hätte, zumal Friedemann von Prag und v. a. Johannes Wenceslai von Prag fest an der Seite des Erzbischofs standen bei seinem Versuch, die vorrangige Stellung der böhmischen Universitätsnation am Ende des Jahres 1384 durchzusetzen. Für viel wahrscheinlicher halte ich daher die Interpretation, dass der Streit, bei dem auf der einen Seite die Kollegiaten des Allerheiligenkollegs standen und auf der anderen Seite der Erzbischof von Prag, entweder die Theologische Fakultät betraf (möglicherweise die Frage des Vorrangs der Theologen vor den übrigen Magistern, wie sie einige Jahre später durch die concordia facultatum ins Leben gerufen wurde, oder die Frage einer Statutenreform) oder das innere Leben des Allerheiligenkollegs. Es liegt sogar die Vermutung nahe, obwohl es dafür keinen Beleg gibt, dass das Auftreten der Kollegiaten gegen den Erzbischof auf die Besetzung der Pfründe nach Johannes von Boskowitz zielte, der versucht hatte, die Pfründe seinem gleichnamigen Neffen zu übergeben, eventuell auch auf die Besetzung des Dekanspostens. 161 Und außerdem, wie noch zu zeigen ist, besteht durchaus die Möglichkeit, dass dieses Protokoll ein Echo auf den Konflikt zwischen dem Erzbischof von Prag und der Prager Theologischen Fakultät darstellt, letzte erließ nämlich in Bezug auf den Streit des Johannes Munczinger mit dem Bischof von Konstanz einen Schiedsspruch. 162 Wichtig nicht nur für dieses Protokoll, sondern allgemein für die Streitigkeiten zwischen den Nationen an der Prager Universität ist aber die Tatsache, dass als Gegner des Erzbischofs von Prag hier sowohl auswärtige Magister als auch zwei Kollegiaten und Theologen auftraten, die noch ein paar Monate zuvor Vollstrecker der erzbischöflichen Mandate oder Vertreter der böhmischen Universitätsnation waren. So agierten am Ende des Jahres 1385 Konrad von Soltau und Johannes Wenceslai von Prag, die sich kurz zuvor noch als zwei scheinbar unversöhnliche Gegner gegenübergestanden hatten,
sublata et totaliter cassata, promiseruntque dicti magistri scribere d. pape, quia predicte proposiciones sunt facte per errorem.“ 161 Mit Hinweisen auf die vorangehenden und späteren Streitigkeiten um die Besetzung der Kollegiatsplätze im Allerheiligenkolleg Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 25. 162 Hypothetisch kann die Rücknahme der Appellation bei der Kurie auch mit dem Gutachten zusammenhängen, das die Vertreter der Theologischen Fakultät, Konrad von Soltau, Johannes Marienwerder, Johannes Wenceslai von Prag und Friedemann von Prag, am 12. Oktober 1385 Johannes Munczinger ausgestellt hatten. Dazu vgl. Lang, Johann Müntzinger (wie Anm. 72), 1200–1230. Obwohl Munczinger durch seinen Schritt versucht hatte, der Inquisitionsuntersuchung durch den Bischof von Konstanz zu entkommen, konnte der Erzbischof von Prag als Universitätskanzler oder als höchster kirchlicher Repräsentant der Diözese in seinem Falle das Recht beanspruchen, in die eine Häresie betreffende Frage einzugreifen, ohne dass die Prager Theologen ihm dieses Recht abstreiten konnten. Im entstandenen Streit, dessen Verlauf eine weitere Appellation hätte anheizen können, jetzt der Kollegiaten des Allerheiligenkollegs, wäre es also wiederum um die Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion gegangen. In diesem Fall würde es sich bei der Eintragung vom 22. Dezember 1385 um eine völlig isolierte handeln, während die weiteren Eintragungen von 1386 und 1387 ganz andere Angelegenheiten betreffen.
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nach dem Abschluss der concordia nacionum an der Universität gemeinsam gegen den Erzbischof. Es scheint also, dass der Streit, der im Protokoll vom 22. Dezember 1385 nachklingt, die Allerheiligenkollegiaten oder die Theologieprofessoren betraf. Zu fragen bleibt, ob sich auf das Protokoll vom 22. Dezember im Verlauf des Jahres 1386 weitere Protokolle in den Gerichtsakten der Generalvikare beziehen. Solche Protokolle werden nämlich durch den Terminus „in causa magistrorum cum mag. Conrado“ bzw. lakonisch mit „causa magistrorum“ eingeleitet. Das schließt meines Erachtens einen Zusammenhang eher aus, denn am 22. Dezember 1385 trat gegen die Kollegiaten des Allerheiligenkollegs keine Gegenpartei auf. Zur Berufung zwang sie ausschließlich der Erzbischof. Beim Streit von 1386 trat Andreas Zabitec als Prokurator anderer Magister auf, deren Nationszugehörigkeit nicht angeführt ist. Zum ersten Mal trafen sich die Parteien am 9. Juli 1386 163 vor Gericht und danach am 20. Juli. Als Prokurator für die Magisterpartei mit Konrad von Soltau an der Spitze trat hier der bereits gut bekannte Ludwig von Dresden auf. 164 Diesen Streit umgibt jedoch ein noch viel größeres Geheimnis als den von 1384/85. Auch das Protokoll vom 25. August 165 oder das vom 27. August 1386, 166 als Zabitec 167 – nun als Prokurator der böhmischen Nation – im Streit die Eintragungen aus den Universitätsstatuten und -matrikeln benutzt hat, bringen hier kein Licht ins Dunkel. 168 Nach den weiteren Protokollen agierte dann Magister Pribislaus als Prokurator der böhmischen Nation und führte am 1. September drei Zeugen gegen Konrad vor 169 und am 7. September einen weiteren. 170 Bereits am 22. September trat wieder Zabitec als Prokurator der böhmischen Nation auf und verwahrte sich gegen außergerichtlich erlassene Urkunden, deren Kopien er nicht besitze. 171 Einige Wochen später, am 15. Oktober, trat dann Nikolaus von Rakonitz, zu jener Zeit Kollegiat des Karlskollegs, im selben Streit vor das Gericht – in Anwesenheit von Johannes Winkleri, Kollegiat des Karlskollegs, und Peter von Znaim, zum gegebenen Zeitpunkt möglicherweise ebenfalls bereits Kollegiat des Karlskollegs. Nikolaus zeigte während dieser Verhandlung die Vollmachten des Erzbischofs vor, von denen Johannes Winkleri Kopien besaß. 172 Was
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Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 388 (Nr. 192). Ebd., 390 (Nr. 202). Ebd., 395 (Nr. 223). Ebd., 395 (Nr. 226). In diesem Protokoll tritt Andreas Zabitec als Prokurator „nacionis Boemorum“ auf. Im Protokoll vom 9. Juli tritt er als Prokurator „aliorum magistrorum“ auf: Ebd., 388 (Nr. 192). Ebd., 395 (Nr. 226): „in causa magistrorum Andreas Zabitecz procurator nacionis Boemorum verbo produxit matriculam et statuta studii universitatis“. Ebd., 396 (Nr. 232): Hier wird der Streit als „causa magistrorum nacionis Bohemorum cum mag. Conrado“ angeführt. Ebd., 397 (Nr. 235). Ebd., 399 (Nr. 250): „Ibidem eciam mag. Loduicus protestatus est, quod nec consensit nec consensit de aliquibus instrumentis sive literis extraiudicialiter productis, quarum copiam ipse non habuit.“ Ebd., 403 (Nr. 264): „Feria secunda in vig. s. Galli die XV. m. Oct. comparens coram mag. Cunssone vicario judice ad presentem causam specialiter delegato in presencia mag. Johannis Vincleri citati,
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jedoch diese Vollmachten betraf, wissen wir – wie üblich bei universitären Streitigkeiten – nicht. 173 In den folgenden Monaten verschwindet der Streit wieder im Nebel. Am 12. Dezember 1386, 174 am 19. Januar 175 und am 23. Januar 1387 176 wurden lediglich neue Verhandlungstermine festgesetzt, jedoch ohne Angabe des jeweiligen Verhandlungsgegenstandes. Und da für die nächsten Tage und Monate keine Protokolle überliefert sind, ist die Frage kaum zu beantworten, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck sich der Streit fortsetzte. Die Teilnahme von Nikolaus und Johannes Winkleri als Angehörige der böhmischen und polnischen Universitätsnation und gleichzeitig als Kollegiaten des Karlskollegs lässt allerdings vermuten, dass dieser Streit eben das Karlskolleg betraf. Da jedoch Konrad von Soltau und weitere Magister als national in keiner Weise bestimmte Gegenpartei auftraten, ist es möglich, dass es sich um den nicht näher bekannten Streit zwischen dem Karls- und dem Allerheiligenkolleg bzw. der böhmischen Universitätsnation und den Kollegien handelte. Die Argumentation mit den Universitätsstatuten, der Matrikel, der außerordentlichen Urkunde und den erzbischöflichen Erlassen legt meines Erachtens die Vermutung nahe, dass die Frage der Besetzung der Kollegiatsplätze abermals zurückkehrte. Jene außergerichtliche Urkunde könnte das Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze sein, das (irgendwann am Ende des Jahres 1384 oder im Verlauf des Jahres 1385, keinesfalls jedoch mit der concordia nacionum identisch) zwischen ˇ Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau, eigentlich aber zwischen der böhmischen Universitätsnation und dem Karlskolleg geschlossen wurde. Der Inhalt dieses Abkommens ist nur mittelbar bekannt. Aus der notariellen Urkunde von 1390, mit der kraft der Friedensrichter Bartholomäus von Torgelow, Mitglied der bayerischen Universitätsnation, und Albert Engelschalk, Mitglied der polnischen Universitätsnation, (beide Kollegiaten und aktive Würdenträger des Karlskollegs) ein Abkommen zwischen der böhmischen Universitätsnation und dem Karlskolleg über die Besetzung der zwölften Präbende im Karlskolleg geschlossen wurde, geht hervor, dass dieser Vergleich ausdrücklich an den zwischen Nikolaus und Konrad geschlossenen Vergleich („concordia facta“) anschließe und diesen nicht verletzen wolle. Der zwischen Nikolaus und Konrad geschlossene Vergleich wird in der notariellen Urkunde von 1390 als concordia zwischen der böhmischen Nation und dem Karlskolleg („inter nacionem Boemicam et collegium Caroli“) behandelt, wobei dieses Abkommen festlegt, dass die zwölfte Präbende frei und ohne Rücksicht auf die Nationalität
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de qua citacione Vitko custos carcerum fecit fidem, mag. Nicolaus Raconik exhibuit commissionem d. archiepiscopi, cuius copiam premissa protestacione idem mag. Johannes sibi decerni petivit per d. judicem, quam idem d. iudex decrevit et feriam quartam ante Luce ad dicendum contra eandem hora et loco solitis pro termino assignavit, presentibus dd. Wenceslao preposito Missnensi, mag. Petro de Znoyma mag. in artibus et Johanne de Duba notario.“ Nur am Rande sei erwähnt, dass er drei Tage später zusammen mit Matthäus von Krakau als Zeuge im Streit zwischen dem Bischof von Schwerin, der mit den oben angeführten Streitigkeiten in keiner Weise zusammenhing, und Konrad von Soltau auftrat: Ebd., 403 (Nr. 266). Ebd., 407 (Nr. 279). Ebd., 414 (Nr. 16). Ebd., 414 (Nr. 18).
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besetzt werden solle. 177 Bemerkenswert ist, dass die böhmische Universitätsnation von einem erzbischöflichen Beamten und das Karlskolleg von einem Kollegiaten bzw. dem Rektor des Allerheiligenkollegs vertreten wurde. Da jedoch der genaue Wortlaut dieses Abkommens unbekannt ist, könnte es ebenso sein, dass wir es im Jahre 1390 eher mit einer Art Interpretation der Vereinbarung zwischen Nikolaus und Konrad zu tun haben, und zwar mit der Interpretation der Arbiter von 1390. In dieser neuen Vereinbarung legte man das Prinzip der Wahlrotation nach einem Schlüssel fest, der in gewisser Weise die böhmische Nation bevorzugte. Denn er bestimmte, dass jeder dritte gewählte Kollegiat der böhmischen Nation entstammen solle. Die Reihenfolge der einzelnen Nationen wurde jedoch nicht ausdrücklich angeführt. Es wird nur erwähnt, dass als erster Kollegiat ein Mitglied der böhmischen Universitätsnation, dann der bayerischen und danach „de nacione illa sequenti, iuxta ordinem supra (cancelatum) scriptum in libro statutorum ipsius universitatis“ 178 gewählt werden solle. In den überlieferten Universitätsstatuten findet sich jedoch kein Statut, weder ein allgemeines noch ein singuläres, das die Reihenfolge der Universitätsnationen betrifft. Nur der 12. Artikel, der von den Universitätsnationen spricht, führt die Nationen in der Reihenfolge des Abkommens von 1390 an: die böhmische, polnische, bayerische und sächsische. 179 Diese Reihenfolge entspricht jedoch nicht der Reihenfolge, nach der künftig der zwölfte Kollegiatsplatz vergeben werden sollte.
177 Monumenta historica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis (im Folgenden MUPr) II, 294 (Nr. XXIII): „in qua concordia exprimitur de electione duodecimi, quod ille scilicet duodecimus eligatur libere, et indistincte de quacumque sive Boemorum, sive alia natione“. 178 Ebd., 294 f. (Nr. 23): „quod duodecimus praedictus in electione ejusdem proxime futura eligatur de nacione Boemica; post hoc, cum proxime locus duodecimi vacaverit, eligatur de natione Bavarorum; post hoc tertio cum vacaverit, de natione illa sequenti, juxta ordinem supra (cancellatum) scriptum in libro statutorum ipsius universitatis; deinde quum quartus locus duodecimi vacaverit, iterum eligatur de natione Boemorum. Et post hoc quinto cum vacaverit, eligatur de natione quarta, de qua prius nondum fuit electus; sexto de natione sequenti modo supra scripto; septimo iterum de natione Boemorum, et sic continuando in perpetuum secundum ordinem supra scriptum, videlicet quod natio Boemorum habeat duodecimum semel respectu aliarum trium nationum, et aliae tres nationes bis secundum ordinem suum supra scriptum.“ 179 MUPr III, 10: „De nationibus Universitatem constituentibus. In Universitate sint quatuor naciones, ut de facto sunt: scilicet: Bohemorum, cui nationi conjuncti sunt Moravi, Ungari, atque Slavi; alia sit natio Polonorum, alia Bavarorum alia Saxonum.“ Liest man die Urkunde von 1390 wortwörtlich, dann folgt entsprechend den Statuten die sächsische Nation auf die bayerische. Erst als der fünfte Kollegiat sollte ein Kollegiat aus der polnischen Nation gewählt werden. – Eine andere Reihenfolge der Nationen als im 12. Artikel der Gesamtuniversitätstatuten, übrigens eine Reihenfolge, die Novotnýs Reihenfolge der Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes im Kolleg nach den Nationen entsprechen kann, führt die „Chronik der Prager Universität“ an, und zwar gleich zweimal: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 567: „Bohemorum, Bavarorum, Polonorum, et Saxonum“, 570: „Bavarorum, Polonorum et Saxonum“. – Die Eintragungen in den Gerichtsakten, sofern die Universitätsnationen überhaupt namentlich angeführt werden, halten hingegen die Reihenfolge des 12. Statutenartikels ein: Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 303 (Nr. 289), 305 (Nr. 2), 311 (Nr. 23). – Dieselbe dem 12. Artikel der Statuten entsprechende Reihenfolge ist auch in der ablehnenden Stellungnahme der drei auswärtigen Universitätsnationen vom 6. Februar gegen den Erlass des Kuttenberger Dekretes angegeben: Documenta Mag. Ioannis Hus vitam, doctrinam, causam in Constantiensi concilio actam et controversias de religione in Bohemia, annis 1403–1418
Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen
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Novotný setzt zwar nach diesem Schlüssel an die dritte Stelle die polnische Nation. 180 Das erklärt aber nicht, warum ein bayerisches Mitglied der zweite gewählte Kollegiat sein sollte. Möglich ist allerdings, dass dies auf Druck der bayerischen Universitätsnation geschah, deren Angehörige um 1390 unter den Kollegiaten eine Minderheit gewesen sein könnten (und es scheint, dass sie es auch gewesen sind). Die Vereinbarung schweigt jedenfalls darüber. Ebenso unerwähnt lässt sie, ob sich der Schlüssel zur Wahl des zwölften Kollegiaten auch auf das Wenzelskolleg bezieht. So bleibt diese Frage ungelöst. Ihrer Diktion nach ist dies mindestens umstritten, auch ob sie überhaupt die ursprüngliche Vereinbarung zwischen Nikolaus Puchník von ˇ Cernice und Konrad von Soltau betraf, die in der notariellen Urkunde von 1390 – wie erwähnt – ausschließlich als Vereinbarung zwischen der böhmischen Universitätsnation und dem Karlskolleg behandelt wird. Dasselbe kann man auch von der Vereinbarung von 1390 sagen.
Ursachen und Folgen der Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen Aufgrund der oben angeführten Betrachtungen und aufgrund des hier dargestellten Versuchs einer Neuinterpretation der universitären Auseinandersetzungen, die 1384– 1387 vor dem erzbischöflichen Gericht in Prag verhandelt wurden und die meines Erachtens der vereinfachten und ex post konstruierten Sicht der „Chronik der Prager Universität“ widersprechen, vermute ich, dass die Beilegung dieser Streitigkeiten zweierlei Art war. Die eine betraf die Erneuerung der Eintracht zwischen den Universitätsnationen auf der allgemeinen Ebene, wie später noch ausgeführt wird, und die andere die Besetzungsweise der Kollegiatsplätze im Karlskolleg, die auch im Wenzelskolleg hätte praktiziert werden können – aber nicht musste. Um die unterschiedlichen Wege der Einigung zu verstehen, ist es notwendig, zu ihrem Anfangspunkt zurückzukehren bzw. bis zu den ihm vorangegangenen Jahren. Gerade hier muss man nämlich die Ursachen der Streitigkeiten suchen, jene Ursachen, welche die bisherige Forschung manchmal ohne Rücksicht auf die breiteren Zusammenhänge betrachtete. Außerdem soll auch den Hauptakteuren dieser Auseinandersetzungen Aufmerksamkeit gewidmet werden, wobei bereits einleitend vorausgeschickt sei, dass ich für den Hauptinitiator des Streites Erzbischof Johannes von Jenstein halte. Er nutzte bei seinen Bemühungen die rumorende Unzufriedenheit der böhmischen MagisterRegenten aus, die wiederum im Erzbischof (wohl übertrieben und auch einigermaßen unbedacht) die Möglichkeit erblickten, ihre bisherige Stellung zu verbessern.
motas illustrantia. Hg. v. Franciscus Palacký. Pragae 1869, 351: „Bohemorum, Polonorum, Bavarorum et Saxonum.“ 180 Novotný, Dekret kutnohorský (wie Anm. 88), 28. – Dagegen kommt bereits Tomek, Dˇeje university pražské (wie Anm. 16), 112, zum Schluss, dass die Vereinbarung aus dem Jahre 1390 folgende Reihenfolge festgelegt habe: Böhme – Bayer – Sachse – Böhme – Pole – Bayer – Böhme.
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Als den ersten Impuls zur Suche eines neuen Modus Vivendi an der Prager Alma Mater und zur Infragestellung der bisherigen Besetzungsweise der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien betrachtet man heute dank Bartoš den Weggang der rebellierenden Magister von der Pariser Universität. Sie waren nicht bereit, sich – angesichts des Schismas – dem Bekenntnis der Universität zum Avignonesischen Papst Klemens VII. unterzuordnen. Der Erzbischof von Prag sondierte in Paris – offenbar in Übereinstimmung mit König Wenzel – bekanntlich die Lage. Im September 1381 schrieb er nach Böhmen an die Rektoren der Universitäten und an die Magister des Karlskollegs, dass es ihm vielleicht gelingen werde, einige Magister für die Prager Alma Mater zu gewinnen, und dass der König in dieser Angelegenheit an den Papst schreiben und eine besondere, von dem damals noch Papst Urban VI. treuen Kardinal Pileus de Prato geleitete Abordnung nach Rom entsenden wolle. 181 Für die Pariser Magister, die nach Prag wechseln sollten, mussten dort auch Pfründen bereitstehen, die ihnen beim Verlust der Kollegiatsplätze in Paris eine angemessene Existenz sichern würden. Den geeigneten Hintergrund für einige Pariser Magister stellte möglicherweise das neu gegründete Kolleg von König Wenzel dar. 182 Es ist nämlich vorstellbar, dass nicht alle Kollegiatsplätze in einem Kolleg gleich nach seiner Gründung besetzt worden sind und dass die Errichtung des neuen Magisterkollegs, in dem nach dem Vorbild des Karlskollegs sowohl Magister
181 Holinka, Rudolf: Církevní politika arcibiskupa Jana z Jenštejna za pontifikátu Urbana VI. [Kirchenpolitik des Erzbischofs Johannes von Jenstein unter dem Pontifikat Urbans VI.]. Bratislava 1933, 51 f. 182 Das Gründungsdatum des Kollegs von König Wenzel kennt man nicht. Zu diesem Kolleg zuletzt Svatoš, Michal: Kolej krále Václava pražské univerzity [Das Kolleg von König Wenzel der Prager Universität]. In: PP 5 (1977), 257–262. – Zum möglichen Gründungsdatum vgl. ferner Bartoš, František Michálek: Hus a jeho uˇcitelé a kolegové na bohoslovecké fakultˇe Karlovy Univerzity [Hus und seine Lehrer und Kollegen an der Theologischen Fakultät der Karlsuniversität]. In: JSH 13 (1940), 41–47, hier 42, der die Vermutung äußert, dass es erst kurz vor dem Jahre 1383 gegründet worden sein könne, nachdem das Professorenkollegium die Fakultätsstatuten beschlossen hatte. Im Zusammenhang mit der Theologischen Fakultät behauptet Bartoš zudem, dass die Lösung der Besetzung der Kollegiatsplätze zwar die an der Universität herrschende Spannung gemildert, jedoch in ihrer Folge dazu geführt habe, dass die Ausländer sich um so mehr gegen den Zustrom der Böhmen an die Theologische Fakultät stemmten und diese am Erwerb der Doktorengrade hinderten. Dies lege die niedrigere Anzahl der Theologiedoktoren aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation bis zum Jahre 1400 nahe, die angeblich dadurch verursacht worden sei, dass laut den Statuten der Theologischen Fakultät zwei Drittel der Professoren ihre Zustimmung erteilen mussten, unter denen die Mitglieder der drei auswärtigen Universitätsnationen überwogen. Diese Hypothese Bartoš’ zu verifizieren ist allerdings nicht möglich. Das Grundproblem seiner Interpretation besteht darin, dass sie die im Rahmen der Generalstudien lehrenden Theologen nicht berücksichtigt. Außerdem vernachlässigt sie die Frage, ob die Mitglieder der nacio bohemorum in den achtziger und neunziger Jahren überhaupt genug geeignete Personen hatten, die zu Theologiedoktoren hätten promoviert werden können. Bartoš’ Nichtberücksichtigung der an den Ordensgeneralstudien wirkenden Theologen macht der Umstand um so problematischer, als in der sechsköpfigen Kommission, welche die bestehenden Statuten der Theologischen Fakultät revidierte, drei Magister wirkten, die Ordensmitglieder waren und im Rahmen der Generalstudien ihres Ordens lehrten. Vgl. Sommerfeld, Gustav: Zu Heinrich Totting von Oyta. In: MIÖG 25 (1904), 585–596, hier 581 f. Alle drei gingen dann gemeinsam mit Heinrich Totting von Oyta nach Wien.
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als auch Theologiestudenten Pfründen bekommen sollten, eine Reaktion auf das im Jahre 1378 ausgebrochene Schisma war und unter dem Einfluss der zeitgenössischen Umstände genauso umsichtig und langsam verlaufen sein kann, wie es (selbstverständlich aus anderen Gründen) im Jahre 1366 bei der Gründung des Karlskollegs der Fall gewesen war. Die Gründung des neuen Magisterkollegs kann unabhängig vom Schisma auch die wachsenden Studentenzahlen, speziell in den siebziger Jahren, an der Prager Alma Mater widerspiegeln. Bei allen Betrachtungen über die mögliche translatio studii 183 aus Paris nach Prag vergisst man allerdings eine wichtige Tatsache. Zwischen den weggehenden Pariser Magistern und den politischen Vorstellungen des Prager Hofes, des Prager Erzbischofs und von Wenzels Kanzler selbst gab es nämlich einen wesentlichen Unterschied. Johannes von Jenstein und am Anfang der 1380er Jahre auch Wenzel IV. waren unerschütterliche Anhänger des römischen Papstes Urban VI. Die Beendigung des Schismas konnte in ihren Augen auf keine andere Weise geschehen als durch die Unterordnung der Schismatiker unter den römischen Bischof. 184 Die Pariser Magister hingegen, welche die strikte Avignon-Orientierung der Pariser Universität nicht akzeptieren wollten, nahmen in dieser Hinsicht einen neutralen Standpunkt ein oder vertraten sogar wie Heinrich von Langenstein oder Konrad von Gelnhausen den neu entstehenden Konziliarismus. Heinrich erläuterte seine Position bereits im Sommer 1379 im Traktat „Epistola pacis“. Konrad tat dem ebenso – zunächst im Traktat „Epistola brevis“, den er dem französischen König Karl V. widmete, und dann im Mai 1380 im Traktat „Epistola concordiae“, der durch seine Gedanken wiederum den nächsten Traktat Heinrichs „Epistola concordiae pacis“ beeinflusste. Dadurch war aber jene translatio studii, 185 auf die Johannes von Jenstein hoffte und um die er sich bemühte, bereits von Anfang an bedroht. Die führenden Pariser Magister deutscher Herkunft beschritten in ihren Überlegungen andere Wege als der Bischof. Dies bemerkte bereits Rudolf Holinka, ohne jedoch daraus die Folgen für den Streit um die Kollegiatsplätze abzuleiten, und dies trotz seines weitsichtigen Urteils, dass „Jensteins Freude verfrüht war und dass er sich schließlich mit seinem Vorschlag doch nicht durchsetzte“. 186 Insofern ist es ebenfalls problematisch, mit der vermutlichen 183 Zur translatio studii vgl. Kałuza, ˙ Zenon: Translatio studii. Kryzys uniwesytetu paryskiego w latach 1380–1400 [Translatio studii. Krise der Pariser Universität in den Jahren 1380–1400]. In: StM 13 (1974), 71–108, der detailliert die Haltung der Pariser Universität zum Schisma und v. a. ihre Zuwendung zu den Anhängern von Klemens VII. analysiert. Im Vergleich zu Prag in der Mitte der achtziger Jahre war aber die Lage in Paris an der Wende von den siebziger zu den achtziger Jahren entschieden stürmischer und dramatischer. Den Ursachen des Misserfolgs der Bemühungen des Johannes von Jenstein hat sich Kałuz˙ a allerdings nicht ausführlich gewidmet. 184 Zur Problematik der Beziehungen Wenzels zu den römischen Päpsten und zu den Ansichten seines Hofes über die Beilegung des Schismas vgl. Holinka, Církevní politika (wie Anm. 181), 21–62; Polc, Jaroslav V.: Svatý Jan Nepomucký [Der heilige Johannes von Nepomuk]. Praha 21993, 155– 168. 185 Zuletzt wird die Genese des Begriffs translatio studii v. a. in Bezug auf die Krakauer Universität verfolgt: Kałuza, ˙ Zenon: Topos translatio studii w Krakowie po odnowieniu Uniwersytetu [Topos translatio studii in Krakau nach der Erneuerung der Universität]. In: PT 11 (2005), 71–150. 186 Holinka, Církevní politika (wie Anm. 181), 52.
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Sezession der Pariser Magister die Inkorporation des Prager Ordensstudiums der Dominikaner in die Universität Ende 1383 zu verbinden. 187 Denn dazu kam es erst nach der Spaltung an der Pariser Universität. Deren Auswirkung konnte nur den Anteil der Dominikaner am Theologieunterricht der Prager Alma Mater, nicht jedoch die Pariser Sezession als Ganzes beeinflussen. Insoweit die Quellen überhaupt ein Urteil zulassen, war niemand von den aus Paris weggegangenen Magistern am Prager Ordensgeneralstudium als Lektor erschienen. Prag kam wegen der Haltung von Bischof Johannes und König Wenzel gegenüber dem Schisma für eingefleischte Anhänger des Konziliarismus nicht in Frage. So begaben sich die Pariser Magister nach Wien, in dem Papst Urban VI. am 20. Februar 1384 die Errichtung einer Theologischen Fakultät genehmigte. 188 Diese Handlung war jedoch keinesfalls gegen Prag gerichtet und schon gar nicht gegen Johannes oder gegen Wenzel, sondern ging vom allgemeinen Bemühen des Papstes aus, die Anzahl der Theologischen Fakultäten und der gebildeten Theologen in der Zeit des Schismas zu erhöhen und sich selbstverständlich den österreichischen Herzog Albrecht III. zu Dank zu verpflichten. Dieselben Intentionen veranlassten übrigens Urban VI. ein Jahr später, die Theologische Fakultät in Heidelberg zu gründen und bis zu einem gewissen Maße auch vier Jahre später in Köln am Rhein, von der Errichtung neuer Theologischer Fakultäten in Italien ganz zu schweigen. 189 Der Bischof selbst kann sich allerdings durch Urbans Vorgehensweise gekränkt gefühlt haben, denn er hatte all seine Hoffnungen in das Projekt der translatio studii gelegt. Seine freundliche Haltung gegenüber Urban wurde davon aber nicht berührt, auch wenn anderseits das Entgegenkommen des Papstes gegenüber der Wiener Universität in Johannes’ Denken bezüglich der Prager Alma Mater eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt haben mag. Für Prag gelang es dem Bischof nur, den gegenüber dem Schisma neutral eingestellten Heinrich Totting von Oyta zu gewinnen. Dieser war in den 1360er und 1370er Jahren Prager Magister und Kollegiat des Karlskollegs gewesen. Totting, der sich dann in dem an der Prager Universität ausgebrochenen Streit als die Schlüsselfigur erwies, hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich. In Prag ist er zuerst im Jahre 1355 als Magister der Artes liberales und als Theologiestudent belegt. In den folgenden Jahren verließ er zeitweilig Prag und wirkte als Rektor des
187 Zur Eingliederung des dominikanischen Ordensstudiums in die Prager Universität im Jahre 1383 am ausführlichsten Koudelka, Vladimír: Raimund von Capua und Böhmen. In: AFP 30 (1960), 206–226, hier 209–213. 188 Zur Errichtung der Theologischen Fakultät an der Wiener Universität in breiteren Zusammenhängen vgl. Sommerfeld, Gustav: Aus der Zeit der Begründung der Universität Wien. In: MIÖG 29 (1908), 291–322; Uiblein, Paul: Mittelalterliches Studium an der Wiener Artistenfakultät. Wien 1987, 15–22; Ders.: Die Universität Wien im Mittelalter: Beiträge und Forschungen. Wien 1999, 75–99; Wagner, Universitätsstift und Kollegium (wie Anm. 101), 91–176, mit Nachdruck auf das Allerheiligenkolleg und das Collegium ducale. 189 Zur Geschichte der Theologischen Fakultäten Asztalos, Monika: Die theologische Fakultät. In: Geschichte der Universität in Europa. Bd. 1: Mittelalter. Hg. v. Walter Rüegg. München 1993, 359– 385.
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Studium generale in Erfurt (1362/63). 190 Dorthin begab er sich vermutlich Ende der 1350er Jahre, weil es ihm in Prag nicht gelungen war, ein Benefizium zu bekommen. Irgendwann im Jahre 1362 oder 1363 rief ihn Karl IV. jedoch wieder zurück nach Prag. 1366 arbeitete er, zumindest laut Karls Rotulus, in Prag als „cursor in theologia et magister in artibus in universitate Pragensi actu regens“. 191 In den Jahren 1366–1371 gehörte er zu den aktivsten Lehrern der Artistenfakultät, unter dessen Leitung 20 Studenten den Bakkalaureus- und Magistertitel erwarben. Viele von ihnen setzten dann ihr Studium an der Theologischen Fakultät fort, betrachteten sich als Tottings Schüler und schufen in Prag eine eigenständige, wenn auch in Bezug auf den theologischen Standpunkt nicht ganz homogene Gruppe, 192 die dank ihrem
190 Das in Mitteleuropa einmalige Erfurter Studium generale untersucht Sönke Lorenz auf eine detaillierte Weise: Ders.: Studium generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert. Stuttgart 1989, 185–200 (zu Heinrich Totting), 209–218 (zu Hermann von Winterswijk). 191 Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia. Teilbd. 3: Acta Urbani V: 1362–1370. Hg. v. Bedˇrich Jenšovský. Pragae 1944, 432 (Nr. 700 f.). 192 Heinrich Tottings Tätigkeit an der Artistenfakultät detailliert bei Krzyzaniakowa, ˙ Jadwiga: Henryk Totting z Oyty i jeho prascy uczniowie [Heinrich Totting von Oyta und seine Prager Schüler]. In: RH 61 (1995), 87–109. Krzyz˙ aniakowa vermutet, Totting sei aus Avignon direkt nach Paris gegangen und gemeinsam mit Heinrich von Langenstein nach Prag zurückgekehrt (seinen Prager Aufenthalt leitet sie von einer Bemerkung im Traktat „De contractibus“ des Matthäus von Krakau ab, wonach dieser sich über die Fragen, denen der Traktat gewidmet sei, persönlich mit Totting und Heinrich ausgetauscht habe) und habe dann die Professur des Hermann von Winterswijk erhalten. Der eigentliche Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien verband sich ihres Erachtens in den achtziger Jahren bereits mit den durch die Rezeption Wyclifs beeinflussten philosophischen und theologischen Streitigkeiten unter den böhmischen Magistern. Nur allgemein bleibt Krzyz˙ aniakowa mit ihrer Behauptung, Totting sei in Prag in den achtziger Jahren erneut in einen Streit mit Adalbertus Ranconis de Ericinio geraten, nun angeblich um die Frage der unbefleckten Empfängnis Mariä (ebd., 98). Wie es scheint, hat sie offenbar Adalbertus’ undatierbare Reaktion auf Tottings Predigt über die unbefleckte Empfängnis Mariä im Sinn, auf die Kadlec, Leben und Schriften (wie Anm. 73), 27 f., aufmerksam macht. Die Tatsache, dass Totting in Prag als Prokurator der sächsischen Nation noch im Januar 1385 aufgetreten war, bemerkt Krzyz˙ aniakowa allerdings nicht. Ihrer Ansicht nach stand König Wenzel im Streit um die Kollegiatsplätze auf der Seite der Böhmen. Dieser Streit sei 1387 schließlich durch einen Kompromiss gelöst worden, nach dem die Böhmen zehn Kollegiatsplätze und die auswärtigen Magister nur zwei Präbenden bekommen hätten. Damit kehrt sie ohne jegliche Argumentation zum alten Irrtum Václav Vladivoj Tomeks zurück (ebd., 104). Trotz einiger Ungenauigkeiten und durch Quellen nicht belegter Behauptungen ist die Arbeit der Autorin richtungweisend v. a. durch die Erfassung der Bakkalaurei und Magister, die an der Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren unter Tottings Betreuung promovierten, ferner aus der Sicht der Prosopographie und durch die Verfolgung der pädagogischen Tätigkeit von Tottings Schülern an der Prager Alma Mater. Einigermaßen strittig ist allerdings Krzyz˙ aniakowas Behauptung, dass die Theologieprofessur nach Tottings Weggang nach Wien Johannes Marienwerder erworben habe, dessen Schüler angeblich Konrad von Beneschau gewesen sei, also der Kollegiat, dessen Wahl in das Karlskolleg im Jahre 1390 den Streit hervorgerufen hat. – In Bezug auf die Prager Universitätsprosopographie, genauer die Beziehungen zwischen der Krakauer und der Prager Alma Mater, verdient auch eine weitere Studie der Autorin Aufmerksamkeit: Dies.: Profesorowie krakowscy na uniwersytecie w Pradze – ich mistrzowie i koledzy [Die Krakauer Professoren an der Universität in Prag – ihre Magister und Kollegen]. In: Cracovia Polonia Europa. Studia z dziejów s´ redniowiecza ofiarowane Jerzemu Wyrozumskiemu w sze´sc´ dziesiat ˛ a˛ piat ˛ a˛ rocznic˛e urodzin i czterdziestolecie pracy naukowej. Hg. v. Waldemar Bukowski u. a. Kraków 1995, 505–527.
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Einfluss gemeinsam mit ihrem Magister gegen die bischöflichen Eingriffe in den Universitätskörper am Ende des Jahres 1384 auftrat. Tottings Prager Universitätskarriere, die sich Ende der 1360er Jahre noch glänzend entwickelte, endete 1371 mit dem von Adalbertus Ranconis de Ericinio gegen ihn gerichteten Vorwurf, häretische Ansichten verkündet zu haben. Zur selben Zeit wirkte Totting, Bakkalaureus der Theologie, als Lektor an der Theologischen Fakultät. Adalbertus’ Beschuldigungen riefen in Prag aber kein positives Echo hervor. Sie entsprangen nicht nur seinem Bemühen um die Reinheit des Glaubens, sondern auch seiner negativen Einstellung (er selbst war Magister der Pariser Universität) der Prager Universität gegenüber und seinem überzogenen Selbstbewusstsein, in dem er Erzbischof Johannes von Jenstein nicht nachstand. Der damalige Erzbischof von Prag, Johannes Oˇcko von Wlašim, beendete den Prager Streit energisch und erlegte Adalbertus Schweigen auf. Adalbertus ordnete sich dieser Anordnung jedoch nur zum Schein unter. Bereits am 24. April 1371 legte er in Avignon dem päpstlichen Auditor Peter Villani Tottings Thesen zur Überprüfung vor. Bald darauf wurde Totting zur Gerichtsverhandlung nach Avignon vorgeladen, bei der er tatsächlich erschien und sich einem schleppenden Verfahren unterzog. Das rief wiederum in Prag großen Unmut hervor. Erst nach zwei Jahren, am 13. August 1373, wurde er von jeglichem Verdacht der Ketzerei freigesprochen. 193 Unter dem Einfluss der Prager Ereignisse ging bzw. flüchtete Adalbertus nach Paris. Vorher bat er die Prager Universität um Entschuldigung. Darin behauptete er jedoch heuchlerisch, gar keine Anklage erhoben zu haben, und warf der Prager Universität im Gegenteil vor, Totting einen größeren Geldbetrag gegeben zu haben, der in Avignon bei der Eröffnung des Prozesses gegen ihn benutzt worden sei (es haben sich jedoch keine Nachrichten über diesen Prozess erhalten). 194 Totting hatte den Streit zwar gewonnen, doch hinterließ der Häresieverdacht bei ihm unzweifelhaft Spuren der Verbitterung. Außerdem ist es überhaupt nicht sicher, ob er 1373 tatsächlich nach Prag zurückkehrte. Die Quellen schweigen sich darüber aus. Bekannt ist lediglich, dass er an der Artistenfakultät keine Lehrtätigkeit mehr ausübte, ganz im Gegensatz zur Zeit vor der Beschuldigung, als er zu den aktivsten Pädagogen und Examinatoren gehörte. Ebenfalls möglich ist, dass er
193 Über den im Jahre 1373 in Avignon geführten Prozess hat sich das Protokoll erhalten, veröffentlicht bei Sommerfeld, Zu Heinrich Totting von Oyta (wie Anm. 182), 585–596. – Korrekturen nach einem anderen Manuskript bei Lang, Heinrich Totting von Oyta (wie Anm. 73), 19–24. – Zuletzt zum Streit über die sechs von Heinrich Totting auf dem Campus ad disputandum vorgelegten Thesen: Kadlec, Mistr Vojtˇech Raˇnk˚uv z Ježova (wie Anm. 73), 24–27; Ders., Leben und Schriften (wie Anm. 73), 14–16; Herold, Vojtˇech Raˇnk˚uv z Ježova (wie Anm. 73), 82–85. 194 Adalbertus’ Urkunde ist zugänglich in Výbor z cˇ eské literatury doby husitské [Auswahl aus der böhmischen Literatur der hussitischen Zeit]. 2 Bde. Hg. v. Bohuslav Havránek, Josef Hrabák und ˇ Jiˇrí Danhelka. Praha 1963–1964, hier Bd. 1, 72–75: „Und sich damit nicht begnügend, haben sie gegen mich eine feindselige Gruppe gebildet und gegen den Willen von manchen anderen das Geld Eurer Hohen Schule dem genannten Heinrich an den päpstlichen Hof geschickt, und somit Eure für bestimmte Bedürfnisse Eurer Hohen Schule gesammelten Schätze nach eigenem Gutdünken weggerafft und vergeudet.“ – Der lateinische Text zuletzt bei Kadlec, Leben und Schriften (wie Anm. 73), 267–277.
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sich in Prag dem Theologiestudium widmete, an das er dann 1377 nachweislich in Paris anknüpfte. Genauso wahrscheinlich ist auch, dass er sich 1373 nach Wiedenbrück in der Osnabrücker Diözese auf seine Kanonikerpfründe zurückzog und von da aus dann an die Pariser Hohe Schule ging, wo er erneut auf Adalbertus traf. Tottings Rückkehr nach Prag im Jahre 1381 bzw. 1382 war daher für Johannes von Jenstein ein Sieg. Ihm war es gelungen, offenbar unter Mithilfe vieler damals bereits selbständig auftretender und denkender Schüler Tottings, einen bedeutenden Repräsentanten der Pariser Alma Mater zu gewinnen. Totting wurde bald Universitätsvizekanzler, 195 beteiligte sich als Vertreter der Universität an der Inkorporation des dominikanischen Ordensstudiums am 8. Dezember 1383 und an der Redaktion der Statuten der Prager Theologischen Fakultät, 196 offenbar immer in Übereinstimmung mit Erzbischof Johannes. Zwischen 1381–1383 hatte sich jedoch Johannes’ Position radikal verändert. Seine permanenten Differenzen mit Wenzel IV. führten dazu, dass er des Königlichen Kanzleramtes enthoben wurde. Dadurch verlor er de facto seinen direkten Einfluss auf die Entscheidungen des Herrscherrates und auf Wenzels auswärtige wie kirchliche Politik. 197 Bereits in den Auseinandersetzungen der 1380er Jahre – sei es, dass es sich um erzbischöfliche Güter handelte, um das Wyschehrader Kollegiatkapitel oder um das Mitglied der königlichen Familie, den Bischof Johannes Sobˇeslav – 198 trat er kompromisslos auf, überzeugt von der Unbegrenztheit seiner Vollmachten. Nach der Schwächung seiner Position – und dies sollte so bleiben – fing er jedoch an, neue Unterstützer für seinen politischen Kurs zu suchen. Und gerade aus diesem Grund wandte er seine Aufmerksamkeit der Universität zu, die er bisher in die strittigen Fragen nicht einbezogen hatte. Ein Nachklang dessen können seine späteren dem Papst gegenüber geäußerten Reflexionen sein, dass er sich ursprünglich auf den Rat und die Hilfe der Ausländer verlassen habe; nachdem diese ihn aber enttäuscht hätten, habe er seine Aufmerksamkeit den einheimischen Ratgebern zugewandt, von denen ihn jedoch manche ebenfalls enttäuschten. 199 Obwohl Johannes von Jenstein seine Suche nach Unterstützern unter den Klerikern und möglicherweise auch unter den Universitariern 195 Lang, Heinrich Totting von Oyta (wie Anm. 73), 35. 196 Einen Beleg über Tottings Anteil an der Redaktion der Statuten der Theologischen Fakultät liefert Sommerfeld, Zu Heinrich Totting von Oyta (wie Anm. 182), 581. – In breiteren Zusammenhängen behandelt Kavka, František: Zur Frage der Statuten und der Studienordnung der Prager theologischen Fakultät in der vorhussitischen Zeit. In: FD 1 (1971), 129–144, die Statuten der Prager Theologischen Fakultät und deren Beziehung zu den Wiener Statuten. ˇ 197 Zum politischen Fall des Johannes von Jenstein vgl. Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 45–55; Spˇeváˇcek, Václav IV. (wie Anm. 99), 148–168. 198 Alle diese Streitigkeiten analysiert auf detaillierte Weise Weltsch, Ruben Ernest: Archbishop John of Jenstein (1348–1400). Papalism, Humanism and Reform in Pre-Hussite Prague. The Hague-Paris 1968, 40–78. 199 Polc, Svatý Jan Nepomucký (wie Anm. 184), 191 f.: „Ich holte mir also als Berater Menschen von außen und Ausländer aus allen Nationen, diejenigen, die Gerechtigkeit übten, vor allem jedoch die Seelenliebhaber und die Gott fürchtenden Männer, und so sind die Ausländer zu meinen Freunden geworden. [. . . ] Nachdem mir später auch Geistliche fehlten – Prälaten, Magister und Doktoren –,
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verschiedener Nationalitäten nur allgemein schildert, kann sich darin eine Änderung seiner Einstellung gegenüber der Universität widerspiegeln. Jedenfalls hat er sich Ende 1384 eindeutig zu Gunsten der böhmischen Universitätsnation ausgesprochen und bewusst zum Nachteil der drei anderen Universitätsnationen, unter denen er früher seine Verbündeten gefunden hatte. 200 Sein Vorgehen im Dezember 1384 war aber keine plötzliche Gemütsregung, sondern ein durchdachter Zug, mit dem er als Kanzler demonstrativ seine Oberhoheit über die Universität zur Schau zu stellen und die Universität zu disziplinieren versuchte. Möglicherweise beabsichtigte er damit auch gegenüber dem König, seine (ansonsten deutlich geschwächte) Macht zu demonstrieren. Die böhmische Universitätsnation, die bei Weitem nicht die Mehrheit an der Universität bildete und die auch unter den Magister-Regenten keine bedeutende Stellung einnahm, 201 hatte er sich in diesen seinen Bemühungen zum Verbündeten auserkoren. Damit die böhmischen Magister in seiner Schuld standen, unternahm Johannes den präzedenzlosen Eingriff in die Besetzung der Magisterkollegien. Zudem versuchte er, die Vollmachten und die Handlungseigenständigkeit des Universitätsrektors einzuschränken, und zwar bei der Einberufung seiner beratenden Gremien, der Consiliarii und des Universitätsrates, und bei der Auslegung und Änderung der Universitätsstatuten. Im Fall der Besetzung der Magisterkollegien traf er die Generation von Tottings Schülern, darunter Konrad von Soltau, Johannes Marienwerder und Matthäus von Krakau, in einem empfindlichen Punkt. Diese waren zwar als Kollegiaten des Allerheiligenkollegs materiell abgesichert. Aber Erzbischof Johannes’ Eingriff berührte auch ihre Einflusspositionen und den Aufbau ihrer eigenen Schulen
suchte ich bei Rittern und Höflingen Zuflucht und bat sie um Rat in der Angelegenheit des Zwiespalts oder der Freiheit der Kirche oder darum, dass sie meine Boten zur königlichen Erhabenheit sein mögen. Auf diese Weise erhielt ich von ihnen viele geistige Ratschläge, die ich ausgeführt habe. Aber das hat in keiner Weise meine einheimischen Berater blamiert und beschämt, die auch nicht einmal meinten, dass sie niederträchtig gehandelt hätten; diejenigen, die mir zuvor zur Standhaftigkeit geraten hatten, waren der Unstandhaftigkeit verfallen und sprachen gegen mich, ja, was das allerschlimmste ist, sie schämten sich nicht, gegen mich aufzutreten und aufzubegehren und mich schlimmer als meine anderen wütenden Feinde anzugreifen.“ Es handelt sich um ein undatierbares Schreiben des Johannes von Jenstein an Peter Clarificator. Polc datiert es hypothetisch in die Jahre 1384/85, in der chronologischen Linie von Johannes’ Briefsammlung jedenfalls vor das Jahr 1388. Johannes’ Briefsammlung bei Loserth, Johann: Beiträge zur Geschichte der husitischen Bewegung. 1. Der Codex epistolaris des Erzbischofs von Prag Johann von Jenzenstein. In: AÖG 55 (1877), 265–400, hier 306 (Nr. 4). 200 Eine detaillierte Erforschung des erzbischöflichen Hofes und eine Prosopographieanalyse der Personen, deren Dienste Johannes von Jenstein in den achtziger und neunziger Jahren nutzte, liegen bisher nicht vor. Von den Arbeiten, die dieses Thema berühren, vgl. Hledíková, Zdeˇnka: (Arci)biskupský dv˚ur v Praze do doby husitské [Der (erz)bischöfliche Hof in Prag bis zur hussitischen Zeit]. In: DP 9/2 (1991), 341–360; Dies.: Biskupské a arcibiskupské centrum ve stˇredovˇeké Praze [Das bischöfliche und erzbischöfliche Zentrum im mittelalterlichen Prag]. In: PHS 27 (1994), 5–25. – Leider nur beschränkt finden gerade diese Aspekte Aufmerksamkeit bei Weltsch, Archbishop John of Jenstein (wie Anm. 198), 154–179. 201 Den allmählichen Aufstieg der böhmischen Magister-Regenten an der Artistenfakultät verfolgt: Kavka, Mistˇri-regenti (wie Anm. 56), 77–96.
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in den Intentionen, die sie Ende der sechziger Jahre bei ihrem Magister kennengelernt hatten. Im Fall der Beschränkung des Universitätsrektors richtete sich dann der Erzbischof direkt gegen diese, durch den Nominalisten Konrad vertretene Gruppe. 202 Johannes’ Haltung kann zu einem beträchtlichen Maße auch dadurch motiviert gewesen sein, dass Totting selbst am Ende des Sommers 1384 an die Wiener Universität gegangen war. Zu dessen Übersiedlung an das konkurrierende Studium generale, das im Unterschied zum Erzbischof die berühmtesten Pariser Magister gewonnen hatte, kam es eindeutig noch vor dem Ausbruch des Streites im Dezember 1384. Bereits am 4. August 1384 bekam nämlich Totting gemeinsam mit Heinrich von Langenstein sein erstes Honorar: Heinrich 150 und Totting 100 Schock Pfennige. Im Oktober 1384 erhält man dann Kenntnis von Tottings erstem Schüler, Peter Druxnicht de Lebin; das bezeugt, dass er bereits im Herbst in Wien Vorlesungen gehalten haben muss. 203 Die Gründe für Tottings Weggang nach Wien kennt man nicht. Meines Erachtens spricht alles dafür, dass Totting auf den Kurswechsel des Erzbischofs Johannes und auf seine Zuwendung zur böhmischen Universitätsnation reagiert hat. In der entstandenen Lage und möglicherweise in Erinnerung an das Jahr 1371 nutzte er das Angebot seines ehemaligen Pariser Kollegen Heinrich von Langenstein und siedelte nach Wien über. Sein Weggang kann aber auch eine Maßnahme zur Absicherung seiner Existenz gewesen sein. Während Totting in der Zeit seines ersten Prager Aufenthaltes Kollegiat des Karlskollegs gewesen war, ist über seine finanzielle Absicherung in Prag nach dem Jahre 1381 nichts bekannt. Es ist selbstverständlich möglich, dass er auch nach seinem Weggang nach Paris Kollegiat des Karlskollegs geblieben war (der erste Beleg, der von einem Zwang zur Freigabe eines Kollegiatsplatzes spricht, stammt erst von 1387 und betrifft Johannes Marienwerder) und dass er auf seinen Kollegiatsplatz 1381 nur zurückkehrte. Nach dem Anciennitätsprinzip sollte Totting allerdings Mitglied des Allerheiligenkollegs gewesen sein. 204 Ein entsprechender Beleg fehlt jedoch. Auf welche Weise die frei gewordenen Präbenden während der Abwesenheit eines Magisters besetzt wurden, ist ebenfalls nicht bekannt, sodass Tottings Stellung und Absicherung völlig unklar bleibt. Zieht man jedoch in Betracht, dass durch seinen Weggang nach Wien entweder im Karls- oder im Allerheiligenkolleg eine Präbende frei wurde, dann könnte gerade das Freiwerden dieser Präbende der Impuls für den Eingriff des Johannes von Jenstein in die bisherigen Gewohnheiten bei der Art der Besetzung der Kollegiatsplätze gewesen sein. Johannes kann sich durch Tottings Verrat so sehr gekränkt gefühlt haben, dass er sich wenigstens an sei-
202 Zu seinem Nominalismus zuletzt Zega, Włodzimierz: Filozofia Boga w Quaestiones Sententiarum Mikołaja Bicepsa. Krytyka pradów ˛ nominalistycznych na Uniwersytecie Praskim w latach osiemdziesiatych ˛ XIV wieku [Die Philosophie Gottes in den „Quaestiones Sententiarum“ des Nikolaus Biceps. Eine Kritik am nominalistischen Trend an der Universität Prag in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts]. Warszawa-Bydgoszcz 2002, v. a. 30–42, 102–154, mit weiterer Literatur. 203 Lang, Heinrich Totting von Oyta (wie Anm. 73), 38. 204 Unter den Kollegiaten des Allerheiligenkollegs erscheint er jedoch am 26. Oktober 1381 nicht: Tadra, Pˇríspˇevky (wie Anm. 114), 298.
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nen Schülern und ihren potenziellen Nachfolgern rächen wollte. Dabei nutzte er die national aufgewühlte Stimmung unter den böhmischen Universitätsmagistern aus. Die Sezession an die Wiener Universität, die manchmal für eine der Ursachen des Ausbruchs des Streites um die Kollegiatsplätze gehalten wird, als die böhmischen Magister angeblich die frei gewordenen Präbenden gewinnen wollten, fand jedoch keinesfalls statt. Totting beeinflusste möglicherweise den Weggang weiterer bedeutender Prager Theologen an die Wiener Universität. Dazu kam es jedoch erst im Verlauf des Jahres 1386. Insofern könnte man deren Weggang eher als ein mögliches Echo auf die zwischen den Prager Universitätsnationen ausgebrochenen Streitigkeiten verstehen, eventuell auch als ein Echo auf das Chaos und die Spannungen in der Prager Theologischen Fakultät. Im letzten Fall ginge man nicht von der Hypothese aus, dass der vor dem erzbischöflichen Gericht im Jahre 1386 geführte Streit nicht die Kollegiatsplätze, sondern die Statuten der Theologischen Fakultät betraf, wie Šmahel urteilt. Allerdings wurden durch den Weggang des Augustiners Leonhard von Kärnten, des Zisterziensers Konrad von Ebrach und des Karmeliters Friedrich von Nürnberg nach Wien im Jahre 1386 keine Kollegiatsplätze frei. Alle drei waren nämlich Ordensmitglieder und unterrichteten an ihrem jeweiligen Studium generale, das auch ihren Lebensunterhalt sicherte. 205 Durch den Wechsel dieser Prager Theologen nach Wien wurde der Einfluss der Prager Gewohnheiten auf den Lehrbetrieb der Wiener Theologischen Fakultät gestärkt. Dies fand seinen Ausdruck im Wortlaut der Statuten vom Jahre 1388, 206 an deren Erstellung Totting, Leonhard, Konrad und Friedrich gemeinsam mit Heinrich von Langenstein, Gerhard von Kalkar und Franziskus von Retz beteiligt waren. Aber das ist eine andere Sache, die eher die Bedeutung und die Vorrangstellung der Prager Theologischen Fakultät in den siebziger Jahren und am Anfang der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts belegt. Eine bemerkenswerte, aber bisher unbeachtet gebliebene Tatsache ist der Anteil Tottings an dem vor dem erzbischöflichen Gericht geführten Prozess. Obwohl er bereits ein ordentliches Mitglied der Wiener Universität war und dort im Herbst 1384 nachweislich lehrte, trat er trotzdem am 7. Januar 1385 als Prokurator der sächsischen Universitätsnation gemeinsam mit seinen Schülern Konrad von Soltau, Matthäus von Krakau und Menso von Beckenhusen in Prag vor die Generalvikare. Im Bemühen zu retten, was nur zu retten war, anerkannte er an ihrer Seite die Jurisdiktion des Prager Erzbischofs als Universitätskanzlers über die Universitarier. Totting unterstützte damit zum letzten Mal seine Schüler, die ihm Vieles verdankten. Vermutlich spielte gerade Totting eine gewisse Rolle dabei, dass diese Unterordnung unter die
ˇ 205 Zu den Ordensgeneralstudien zusammenfassend Kadlec, Jaroslav: Reholní generální studia pˇri Karlovˇe universitˇe v dobˇe pˇredhusitské [Ordensstudien an der Karlsuniversität in vorhussitischer Zeit]. In: AUC – HUCP 7/2 (1966), 63–108, mit Kurzporträts der einzelnen Lehrenden einschließlich der inkriminierten Theologen, die nach Wien gegangen waren. In diesen behauptet Kadlec, dass Leonhard von Kärnten nach dem Zerfall der Pariser Universität nach Prag kam – allerdings ohne Belege. 206 Sommerfeld, Aus der Zeit der Begründung der Universität Wien (wie Anm. 188), 291–322; Kavka, Zur Frage der Statuten und der Studienordnung (wie Anm. 196), 129–144.
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erzbischöfliche Gerichtsbarkeit nicht definitiv war und der Entscheidung der ganzen Universität überlassen wurde bzw. des Universitätsrates (eventuell auch der Entscheidung der Consiliarii). An den nachfolgenden Verhandlungen nahm dann Totting nicht mehr teil. An seinen Platz trat der Kollegiat des Karlskollegs Bruno von Osenbrughe. Oben habe ich versucht nachzuweisen, dass der Weggang der Prager Universitätsmagister, v. a. der Theologen, nach Wien zwar eine Schwächung des Theologieunterrichts an der Prager Alma Mater zur Folge gehabt haben könnte, die Besetzung der Kollegiatsplätze jedoch auf keinen Fall betraf, vielleicht mit Ausnahme des frei gewordenen Kollegiatsplatzes von Totting. Daher kann dadurch auch nicht das Bemühen der böhmischen Magister angeregt worden sein, die Kollegiatsplätze für sich selbst zu gewinnen. Die Besetzung der Kollegiatsplätze betraf in gewissem, wenn auch wiederum nur beschränktem Maße hingegen der spätere Weggang einiger Magister an die neu gegründete Universität in Heidelberg. Die Gründung der Heidelberger Universität 207 und die erfolgreiche Wiederbelebung der Wiener Universität wurden zweifellos durch zwei wesentliche Tatsachen bedingt. Beide hingen dabei mit dem Schisma zusammen. Es versetzte nämlich die Kleriker, deren Pfründen auf dem Gebiet des römischen Papstes lagen, aber die sich entweder in Avignon aufhielten oder im Falle der Universitarier an der Pariser, dem Avignonesischen Papst treu gebliebenen Universität wirkten, in eine Lage, in der sie nach neuen Existenzmöglichkeiten suchen mussten. Daher begann man sehr früh, eine translatio studii aus Paris an die Prager Universität zu erwägen, wie oben bereits ausgeführt, eventuell auch an eine andere, neu gegründete Universität. Das Schisma veränderte auch die bisherige Haltung der Kurie gegenüber der Errichtung neuer theologischer Fakultäten, also vollwertiger Vierfakultätenuniversitäten. Die Bedingungen für die Entstehung neuer Universitäten waren jedoch am Anfang der 1380er Jahre auf den einzelnen Reichsgebieten sehr unterschiedlich, und daher konstituierte sich die Kölner, die Heidelberger und die Wiener Universität unter jeweils anderen Umständen. Wenn die Kölner Universität de facto die erste städtische transalpine Universität ist, analog einer ganzen Reihe von norditalienischen Universitäten, dann stellt die Wiener Universität das Modell einer landesherrlichen Universität dar. Im Falle Heidelbergs ist die Lage komplizierter. Obwohl Heidelberg die Residenzstadt der rheinischen Pfalzgrafen und Kurfürsten war, besaß die Stadt mit bestenfalls 4000 Einwohnern trotzdem nur geringe Kapazitäten. Der Initiator der Universitätsgründung war hier nicht der Herrscher, sondern seine Umgebung, seine Ratgeber und Höflinge, 208 gemeinsam mit den Intellektuellen, die bestrebt waren, ihre eigenen Interessen mit denen des ambitiösen kurfürstlichen Hauses zu verknüpfen. Ihre Ambitionen wurden jedoch im Vergleich zu Wien, sicher unter dem Einfluss der man-
207 Für die Geschichte der Heidelberger Universität weiterhin bedeutend Ritter, Gerhard: Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte. Bd. 1: Das Mittelalter (1386–1508). Heidelberg 1936. 208 Zu Ruprechts Hof detailliert Moraw, Peter: Beamtentum und Rat König Ruprechts. Im: ZGO 116 (1968), 59–126; Ders.: Ruprecht von der Pfalz – ein König aus Heidelberg. In: ZGO 149 (2001), 97–110.
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gelnden Kapazitäten, beschränkt, und der eigentliche Prozess der Konstituierung der Heidelberger Hohen Schule verlief kompliziert und langsam. Auch wenn Papst Urban VI. seine Zustimmung zur Gründung der Universität bereits am 23. Oktober 1385 gegeben hatte, gelangte das Privileg selbst erst am 24. Juni des folgenden Jahres nach Heidelberg. Zwei Tage später wurde es dann durch Ruprechts Rat genehmigt. 209 Einer der Hauptinitiatoren der Universitätsgründung in Heidelberg war der Pariser Magister Marsilius von Inghen. Eine ebenso bedeutende Rolle kam auch dem Magister der Artes liberales Heilmann von Worms und dem Pariser Theologiedoktor Reginald von Aulne zu. Für uns ist die bedeutendste Gestalt Heilmann, der sich bis zu seiner Ankunft in Heidelberg aktiv am Leben der Prager Universität beteiligt hatte. 1373 wurde er dort Bakkalaureus, drei Jahre später Magister der Artistenfakultät und 1382 deren Dekan sowie ein Jahr später sogar Rektor der Dreifakultätenuniversität. 210 Auf welche Weise Heilmann in Prag materiell abgesichert war, ist nicht bekannt, obwohl seine Universitätskarriere sehr reichhaltig war und wegen seines Dekanats und Rektorats am Anfang der achtziger Jahre auf eine gewisse Weise den Streit um die Kollegiatsplätze und um die Beziehung zwischen den Universitätsnationen hätte vorwegnehmen können. Dasselbe gilt merkwürdigerweise auch für Dietmar Swerthe, Prager Bakkalaureus von 1373 sowie im Jahre 1381 Magister und Dekan der Artistenfakultät. 211 Ob einer dieser beiden Magister Kollegiat eines der Kollegien war, ist nicht bekannt. Unbekannt ist auch, ob sie in Prag irgendein kirchliches Benefizium innehatten. Swerthe wurde im Oktober 1384 erneut zum Dekan der Artistenfakultät gewählt und leitete sie so auch während der Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen. Über irgendwelche Beiträge seinerseits zu deren Beilegung schweigen sich die Quellen aus (dasselbe gilt für Heilmann von Worms). Trotzdem ist es möglich, dass ihn gerade die Spannungen zwischen den Nationen an der Prager Universität zur Entscheidung bewogen haben, an die neu gegründete Universität in Heidelberg zu gehen. Ebenso gut könnte aber sein Weggang auch materiell motiviert gewesen sein, denn Heidelberg bot ihm die Möglichkeit, eine einträgliche Pfründe zu erwerben, um die er sich in Prag vergeblich bemüht hatte. Sollte das zutreffen, war Swerthe keine Einzelgestalt. Zu den aktiven Mitgliedern der Universitätsgemeinde, die als Dekane, Examinatoren oder Verwalter an der Artistenfakultät wirkten, zählen nämlich sehr viele Personen, über deren materielle Absicherung man gar nichts weiß. Nicht jeder von ihnen, so ist anzunehmen, wird irgendeine Pfründe innegehabt haben. Da auch die Quellen darüber kein Zeugnis abgeben, scheint es eher wahrscheinlich,
209 Zu den Anfängen der Heidelberger Universität vgl. Miethke, Jürgen: Die Anfänge der Universitäten Prag und Heidelberg in ihrem gegenseitigen Verhältnis. In: Ders.: Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken. Leiden-Boston 2004, 407–428. In der Anthologie vgl. weiter Marsilius von Inghen als Rektor der Universität Heidelberg (ebd., 429–451). 210 Grundlegende Angaben zu Heilmann von Worms bei Tˇríška, Josef: Životopisný slovník pˇredhusitské pražské univerzity 1348–1409 [Biographisches Lexikon der vorhussitischen Universität 1348–1409]. Praha 1981, 137. 211 Grundlegende Angaben zu Dietmar Swerthe: Ebd., 92 f.
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dass die Stellung einer ganzen Reihe von Universitariern, auch wenn sie aktiv und langfristig an der Prager Alma Mater arbeiteten, ständig materiell unabgesichert war. 212 Dies kann v. a. die Angehörigen der drei auswärtigen Universitätsnationen betroffen haben, wovon die bisher kaum in Details bekannte Zusammensetzung der Prager Kollegiatkapitel oder die Besetzung der kirchlichen Benefizien in Prag zeugen. Unter die Prager Benefizianten drangen die Universitarier nämlich in einem nur sehr beschränkten Maße ein und falls ja, dann handelte es sich nur ausnahmsweise um Ausländer. 213 Hypothetisch besteht zwar die Möglichkeit, dass die auswärtigen Universitarier Benefizien in ihren Heimat-Diözesen besaßen. Die bisherige auf der Prosopographie gegründete Forschung gibt uns jedoch mit Ausnahme der Juristen, die an der Prager Juristenfakultät studierten, auf diese Frage keine Antwort. 214 Die frühere Forschung legte besonderen Wert auf die sog. Sezession der Prager Universitarier nach Heidelberg in der zweiten Hälfte der 1380er Jahre. Die Matrikeln der neu gegründeten Universität schienen dies auf den ersten Blick auch zu bestätigen. 1387 tauchen in der Universitätsmatrikel mindestens 33 Personen auf, die Prager Magister oder Bakkalaurei gewesen waren. In den nächsten zwei Jahren kann man dann weitere zehn Personen identifizieren, die ursprünglich Prager Universitarier waren. 215 Stellt man jedoch die Frage, wer von diesen neuen Heidelberger Universitariern in Prag eine Pfründe besaß und wer von ihnen Mitglied eines der Magisterkollegien war, dann ist zu ermitteln, dass Konrad von Soltau und Tilmann von Kassel eine Ausnahme bildeten. Konrad 216 ging 1387 nach Heidelberg (er immatrikulierte sich hier im Januar). Dasselbe gilt für Tilmann. 217 Beide waren in diesem
212 Moraw, Pražská právnická univerzita (wie Anm. 63), 28–44. Unter den böhmischen Magistern stellt Matthias von Janov in den achtziger Jahren ein Beispiel par excellence dar. Er erwarb zwar auf dem Prozessweg eine Kanonikerstelle im Prager Kapitel, jedoch ohne Pfründe, und überlebte in den achtziger Jahren in Prag dank der materiellen Unterstützung des Adalbertus Ranconis de Ericinio – Kybal, M. Matˇej z Janova (wie Anm. 71), 17–19. 213 Ich gehe hier von den durch Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy (wie Anm. 19), hier Bd. 5, 135–206, veröffentlichten Listen aus. 214 Mit vielen Beispielen für die Prager Jurastudenten vgl. Moraw, Peter: Über gelehrte Juristen im deutschen Spätmittelalter. In: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Hg. v. Jürgen Petersohn. Stuttgart 2001, 125–147; Stoˇces, Jiˇrí: Absolventi pražské právnické univerzity (1372–1418) ve službách hanzovních Mˇest [Absolventen der Prager Universität (1372– 1418) in den Diensten der Hansestädte]. In: Mˇesto a intelektuálové od stˇredovˇeku do roku 1848. Hg. v. Olga Fejtová, Václav Ledvinka und Jiˇrí Pešek. Praha 2008, 199–234. – Für die Prager Theologen vgl. Miethke, Jürgen: Karrierechancen eines Theologiestudiums im späteren Mittelalter. In: Ders.: Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken. Leiden-Boston 2004, 97–131. 215 Die Magister und Studenten, die nach Heidelberg gingen, hat aufgrund der Prosopographie ermittelt Schumann, Die „nationes“ (wie Anm. 59), 127–136. 216 Die reichhaltige Karriere Konrads von Soltau untersucht detailliert Brandt, Hans-Jürgen: Universität, Gesellschaft, Politik und Pfründen am Beispiel Konrads von Soltau († 1407). In: The Universities in the Late Middle Ages. Hg. v. Jozef Ijsewijn und Jacques Paquet. Leuven 1978, 614–627. 217 Grundlegende Angaben zu Tilmann von Kassel bei Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 512.
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Jahre Mitglieder des Allerheiligenkollegs. Dort wurden also ihre Präbenden frei, wobei offenbar beide auf ihre Kollegiatsplätze verzichteten. Im Unterschied zum dritten Kollegiaten, Johannes Marienwerder, hört man nämlich nichts von einem Streit um die Kollegiatsplätze. Am Ende des Jahres 1386 oder während des Jahres 1387 wurden daher drei Präbenden im Allerheiligenkolleg frei. Das ermöglichte drei Kollegiaten des Karlskollegs dank dem Anciennitätsprinzip zum Allerheiligenkolleg zu wechseln und die drei frei gewordenen Präbenden im Karlskolleg mit neuen Magistern zu besetzen. Wer diese drei Präbenden dann besetzte, ist leider nicht eindeutig zu bestimmen. Durch den Vergleich der Personen, die in den Jahren 1384 und 1390 zu den Kollegiaten des Karlskollegs gehörten, kommen bei der Unvollständigkeit der erhaltenen Quellen gleich mehrere Personen in Frage (Primislaus von Jessenitz und Stephan von Kolin aus der böhmischen Universitätsnation, Nikolaus Prowin, Jakob von Briczen, Albert Engelschalk, Matthias von Liegnitz und Heinrich von Rybnitz von den deutschen Magistern). Ob es bereits 1387 zur Ausführung des Abkommens über die Besetzung der Kollegiatsplätze kam, ist nicht bekannt. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, weil die Wahl Konrads von Beneschau im Jahre 1390 den zwölften Kollegiatsplatz betraf, der ohne Rücksicht auf die Nationenzugehörigkeit besetzt werden sollte. Da jedoch drei Kollegiaten aus dem Karlskolleg in das Allerheiligenkolleg gewechselt hatten, muss unter ihnen auch einer der drei böhmischen Magister gewesen sein, die 1384 zum Karlskolleg gehörten (Nikolaus von Rakonitz, Peter von Znaim und Nikolaus von Leitomischl). Gibt man zu, dass ein Kollegiat des Karlskollegs im Jahre 1384 auch der sonst etwas rätselhafte böhmische Magister Johannes Wolf war, 218 dann hätte nicht nur er einen Kollegiatsplatz im Allerheiligenkolleg erworben, sondern auch ein weiterer von den drei oben erwähnten böhmischen Magistern. Diese Fragen können nicht sicher geklärt werden. Meines Erachtens ebenfalls strittig ist, ob Konrad von Beneschau tatsächlich jener zwölfte Kollegiat war, wie man allgemein voraussetzt, oder ob er auf den letzten, fünften Kollegiatsplatz im Karlskolleg gewählt wurde, der den böhmischen Magistern vorbehalten war. Auch in diesem Fall sind beide Möglichkeiten wahrscheinlich. Wäre er nämlich auf den zwölften Kollegiatsplatz gewählt worden, dann müsste man sich bewusst machen, ˇ dass sich aus dem Abkommen zwischen Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau für die böhmische Universitätsnation kein Anspruch auf diese Präbende ergab. Durch die Wahl Konrads von Beneschau hätte sich daher die böhmische Universitätsnation in ihren Rechten keineswegs beeinträchtigt fühlen können; dagegen aber schon, wenn Konrad die fünfte Präbende im Karlskolleg erhalten hätte. Logi-
218 Šmahels Einstufung (auch wenn mit Fragezeichen) von Johannes Wolf als Kollegiat des Karlskollegs im Jahr 1384 ist sehr problematisch, denn als Kollegiat ist dieser lediglich im Jahre 1375 belegt. Auf jeden Fall ist er nicht identisch mit jenem Wolf, der als Propst des Kollegs für das Jahr 1400 in der späten Propstliste angeführt wird. Denn nach dem Anciennitätsprinzip hätte er da schon längst Mitglied des Allerheiligenkollegs sein müssen. Die Propstliste für die Zeit seit dem Ende des 14. Jahrhunderts bei Hrdina, Karel: Seznam probošt˚u koleje Karla IV. [Liste der Pröpste des ˇ 57 (1948), 5–15. Kollegs Karls IV.]. In: VCA
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scherweise hätte sich dann die böhmische Universitätsnation nach dieser unter dem Nationalitätenprinzip strittigen Wahl um die Anpassung der Wahl auf den zwölften Kollegiatsplatz zu ihren Gunsten bemüht. Damit wäre der durch Konrads Wahl verursachte Nachteil ausgeglichen worden. Angenommen Konrad von Beneschau war jener fünfte Vertreter der böhmischen Universitätsnation im Kolleg, dann hätten auf die frei gewordenen Präbenden im Allerheiligenkolleg in den Jahren 1385– 1390 zwei, und wenn Johannes Wolf unter ihnen gewesen sein sollte, sogar drei böhmische Magister nachrücken müssen. Wie dem auch sei, der Weggang der zwei Kollegiaten des Allerheiligenkollegs an die neu gegründete Universität in Heidelberg und der Umzug von Johannes Marienwerder nach Preußen, der mit dem Versuch des Deutschen Ordens verbunden wird, eine neue Universität in Kulm zu gründen, bereiteten den Boden für die Umsetzung des Abkommens über die Besetzung der Kollegiatsplätze und damit auch für die Festigung der Eintracht zwischen den Nationen an der Prager Alma Mater vor. Ansonsten traf der Weggang weiterer zehn Prager Magister und Bakkalaurei an die Heidelberger Universität die Prager Alma Mater jedoch nur in beschränktem Maße. Diese Sezession wurde auf keinen Fall durch den Streit der Universitätsnationen hervorgerufen, sondern durch den immer stärker werdenden Trend zur Regionalisierung der Universitätsbildung. 219 An die Heidelberger Universität siedelten nämlich neben den exponierten Prager Universitariern v. a. Mitglieder der damals in Prag stärksten bayerischen Universitätsnation über. Die Nähe Heidelbergs und später auch die Nähe der neu gegründeten Universität in Köln am Rhein führten zur Senkung der Immatrikulationszahlen an der Prager Alma Mater und zum Verlust des Übergewichts der bayerischen Universitätsnation, deren territorial zuständige Scholaren für ihr Studium die nähere, auch wenn im Prestige Prag nachstehende Heidelberger Universität wählten. Jene Regionalisierung der Universitätsbildung stellte aber einen sehr langsamen und langfristigen Prozess dar. Davon zeugt, dass weder die Gründung der Universität in Erfurt 220 noch die Erneuerung der Krakauer Universität 221 im
219 Auf die gleiche Weise bewertet die „Sezession“ nach Heidelberg bereits Šmahel, František: Die Prager Universität und der Hussitismus. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), 172–195, hier 178. Und v. a. Miethke, Die Anfänge der Universitäten (wie Anm. 209), 424 f. – Zu den Sezessionen von der Prager Alma Mater in allgemeinen Zusammenhängen vgl. auch Seibt, Ferdinand: Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa. In: Ders.: Mittelalter und Gegenwart. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem 60. Geburtstag. Hg. v. Winfried Eberhard und Heinz-Dieter Heimann. Sigmaringen 1987, 197–217. 220 Zu den Anfängen der Erfurter Universität vgl. Kleineidam, Erich: Universitas studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt. Teil 1: [Spätmittelalter] 1392–1460. Leipzig 2 1985 [1964]. 221 Zur Erneuerung der Krakauer Universität am Anfang des 15. Jahrhunderts vgl. Moraw, Peter: Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400. In: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen zum 65. Geburtstag. Bd. 1. Hg. v. Johannes Helmrath und Heribert Müller. München 1994, 521–539; Szczur, Stanisław: Papiez˙ Urban V i powstanie uniwersytetu w Krakowie w 1364 r. [Papst Urban V. und die Entstehung der Universität in Krakau im Jahre 1364]. Kraków 1999, mit Fortsetzung bis zur Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert; Gasiorowski, ˛ Antoni: Die Graduierten der Krakauer Universität im 15. Jahrhundert im Lichte des
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letzten Jahrzehnt des 14. und im ersten Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts zu einer radikalen Senkung der Prager Studenten der territorial abgegrenzten sächsischen und polnischen Nation führten, die mit jener der bayerischen Nation vergleichbar wäre. 222 Es ist charakteristisch für die Verhältnisse an der Prager Universität in den siebziger und achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts, also in der Zeit des Übergewichts der bayerischen Nation, 223 dass die Mitglieder dieser Nation weder unter den Kollegiaten des Karlskollegs noch unter denen des Allerheiligenkollegs in irgendeiner Weise dominierten. Unter den Dekanen der Artistenfakultät hingegen spielten die Bayern eindeutig die führende Rolle sowohl in den siebziger als auch in den achtziger Jahren, in denen ihnen aber die Sachsen allmählich ebenbürtig wurden. Wenn sich also jemand in den 1370er und 1380er Jahren angesichts der Universitarierzahlen bei der Besetzung der Kollegiatsplätze hätte beeinträchtigt fühlen können, dann wohl die Mitglieder der bayerischen Universitätsnation. Von einem Bemühen ihrerseits, sich gegen die anderen Universitätsnationen durchzusetzen, ist jedoch nichts bekannt – mit Ausnahme vielleicht der nur langsamen Akzeptanz der concordia nacionum durch ihre bedeutenden Magister. Trotzdem ist es möglich, dass, nachdem der Streit an der Universität eskaliert und schließlich zu Gunsten der böhmischen Universitätsnation gelöst worden war, eine gewisse Verstimmung darüber bei den Bayern aufkam und sich mit jener Regionalisierung der Universitätsbildung und so mit dem leichteren Studium und der leichteren Gewinnung von Pfründen an der Heidelberger Universität verband. Die fehlende zahlenmäßige Überlegenheit an der Prager Universität hingegen kann unter den Angehörigen der sächsischen und polnischen Nation eine gewisse Rolle bei der Herausbildung ihres Gruppenbewusstseins gespielt und darauf eingewirkt haben, dass weder die Gründung der Universität in Erfurt noch die Erneuerung der Universität in Krakau (poln. Kraków) zu einer Abnahme des Interesses der territorial zur sächsischen und polnischen Universitätsnation gehörenden Studenten geführt hat, wie die Immatrikulationen an der Prager Alma Mater in den Jahren 1398/99–1409 zeigen. Die Passivität der bayerischen Universitätsnation bei der Besetzung der Kollegiatsplätze, die hypothetisch dadurch verursacht worden sein kann, dass ihre exponierteren Mitglieder Inhaber kirchlicher Benefizien an ihren Herkunftsorten waren, bestätigt Šmahels These, in den 1360er Jahren hätten die „Korporationen der vier
Liber promotionum Facultatis Artium in Universitate Cracoviensi. In: The Development of Literate Mentalities in East Central Europe. Hg. v. Anna Adamska und Marco Monsert. Turnhout 2004, 247–265; Ders.: Pierwsi studenci odnowionego Uniwersytetu Krakowskiego (1400/1401) [Die ersten Studenten der erneuerten Krakauer Universität (1400/1401)]. In: RH 71 (2005), 63–98; Ozóg, ˙ Krzysztof: Uczeni w monarchii Jadwigi Andegawe´nskiej i Władysława Jagiełły (1384–1434) [Die Universitätslehre in der Monarchie von Hedwig von Anjou und Władysław Jagiełło]. Kraków 2004. 222 Die Studentenzahlen der polnischen und sächsischen Nation detailliert bei Šmahel, Pražské univer˚ Poˇcet graduovaných a negraduovaných student˚u sitní studentstvo (wie Anm. 57), 16–37; Václavu, (wie Anm. 57), 18–22, 27 f. ˚ ebd., 17–21, die Studentenzahlen der Prager Alma Mater sowie die Do223 Statistisch hat Václavu, minanz der bayerischen Universitätsnation von den sechziger bis neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts ermittelt.
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Universitätsnationen bei Weitem kein solches Gewicht wie einige Jahre später“ 224 gehabt und das Besetzungsprinzip der Kollegiatsplätze von Universitätswürdenträgern nach den nationalen Kurien sei bis zum Streit von 1384/85 an der Universität sehr schwach gewesen. An dieser Stelle macht es keinen Sinn, die Genese der Universitätsnationen an der Prager Alma Mater zu wiederholen. Der erste direkte Hinweis auf die Geltung der nationalen Kurien in der Universitätsverwaltung stammt bekanntlich erst aus dem Jahre 1360 und betrifft die Wahl der Consiliarii bzw. der Prokuratoren. 225 Seit dem Anfang der siebziger Jahre gewannen die nationalen Kurien an Bedeutung: 1370 setzte sich das nationale Prinzip in der Novelle zur Wahl der Verwalter durch, 1378 bei der Wahl der Examinatoren und 1385 – auch wenn diese Bestimmung offenbar älter ist – bei der Wahl des Rektors. 226 Vor dem Ausbruch des Streites im Jahre 1384 gab es also an der Prager Universität faktisch kein gewähltes Amt, das nicht nach den nationalen Kurien oder durch alle vier Nationen gemeinsam gewählt worden wäre. Mit Ausnahme der Wahl des Rektors und der Dekane hatte sich das Prinzip der Parität der Nationen voll durchgesetzt, jenes Prinzip also, auf dem die Eintracht zwischen den Nationen beruhte. Irgendeine Spannung zwischen den einzelnen Universitätsnationen ist bis 1384 in keiner Form belegt. Alle Unterlagen sprechen vielmehr von einer Zusammenarbeit der Nationen bzw. der Magister der einzelnen Nationen. Ein Beispiel par excellence für diese Kooperation ist eine Begebenheit aus der Zeit vor 1380, als sechs Universitätsmagister ihre Kräfte und v. a. ihre Geldmittel verbanden und für 120 Schock Groschen ein Haus vom Altstädter Bürger Frana und seiner Frau Klara kauften. 227 Dieses stattliche Gebäude befand sich zwischen dem Kollegiatshaus des Allerheiligenkapitels und dem Kolleg der Mediziner. Als Käufer hatten die sechs Magister dem Kreuzherrenspital eine jährliche Rente von zwei schweren Pfund, also 128 Groschen, abzuführen, mit der das Haus belastet war. Diese Gruppe der unternehmungslustigen Magister ist hier v. a. deshalb interessant, weil sie Angehörige aller vier Universitätsnationen vereinte: Johannes Papendorf aus der sächsischen Nation, Johannes Geser offensichtlich aus der bayerischen Nation, Johannes Ryppin aus der polnischen Nation, Hermann Gesing von Winterswijk aus der bayerischen Nation und Kollegiat des Allerheiligenkapitels, Nikolaus von Rakonitz aus der böhmischen Nation und Kolle-
224 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 23. 225 Die „Ordinaciones“ des Ernst von Pardubitz identifizieren die nach den einzelnen Nationen gewählten Consiliarii mit den Prokuratoren der einzelnen Nationen: „Item eligantur consiliarii sive procuratores de nacionibus.“ – Boháˇcek, Miroslav: O rukopisech statut pražské university [Über die Handschriften der Prager Universitätsstatuten]. In: StR 3 (1964), 73–124, hier 75. 226 Zum Prager Rektorwahlverfahren und zu seiner Anwendung an den weiteren mitteleuropäischen Universitäten vgl. Schwinges, Rainer Christoph: Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert. Sigmaringen 1992, 20–27. – Zuletzt hat Stoˇces, Pražské univerzitní národy (wie Anm. 66), 80–98, auf die wachsende Bedeutung der Nationen an der Prager Universität aufmerksam gemacht. 227 Dazu Beránek, Karel: Pˇríspˇevek k nejstarším dˇejinám pražských universitních kolejí [Beitrag zur ältesten Geschichte der Prager Universitätskollegien]. In: AUC – HUCP 23/1 (1983), 57–63, mit Edition des Kaufvertrags.
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giat des Karlskollegs, Martin von Pilsen aus der böhmischen Universitätsnation und in den achtziger Jahren aktiver Examinator an der Artistenfakultät. Welches Schicksal diese sechs Magister zusammengeführt hatte, weiß man nicht, ihre gemeinsame Initiative zeugt jedoch von den Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen graduierten Universitariern quer durch alle nationalen Kurien. Die Vertretung aller vier Universitätsnationen in dieser Gruppe könnte sogar die Hypothese stützen, jene erste Prager Burse sei durch die Fürsorge und die Kooperation aller nationalen Korporationen errichtet worden und die jeweils zwei Vertreter der böhmischen und bayerischen Nation stünden für die zahlenmäßig an der Universität am stärksten vertretenen Nationen. Außerdem ist es möglich, dass Hermann von Winterswijk als Allerheiligenkollegiat und Nikolaus von Rakonitz als Kollegiat des Karlskollegs unter den sechs Magistern als Repräsentanten der beiden bedeutendsten, eng mit der Theologischen Fakultät verknüpften Magisterkollegien figurierten. Dabei ist stillschweigend vorauszusetzen, dass in der Burse nicht nur Studenten der Artistenfakultät, sondern auch Studenten der Theologischen Fakultät wohnen sollten. Wie dem auch sei: Der Kauf dieses Altstädter Hauses, das an einer strategisch günstigen Stelle für die Schaffung eines Universitätscampus lag, belegt ganz unzweifelhaft, dass es am Anfang der 1380er Jahre Formen und Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen den Universitätsnationen gab, die im gegebenen Fall eine gemeinsame, kostenaufwendige Investition gestatteten und zum Wohl der Prager Alma Mater beitrugen. Spannung herrschte also nur innerhalb der böhmischen Universitätsnation selbst, sie kam im Verlauf der achtziger Jahre mehr und mehr zum Vorschein. Aufgrund statistischer Untersuchungen, die von der Analyse des „Liber decanorum“ der Artistenfakultät ausgehen, ist sehr gut bekannt, dass die 1380er Jahre unter quantitativem Gesichtspunkt die Zeit der höchsten Studentenzahlen an der Prager Dreifakultätenuniversität waren. Eine dominante Rolle spielte hier die bayerische Universitätsnation, deren Angehörige mehr als ein Drittel der graduierten Studenten stellten. Das Verhältnis zwischen der polnischen, sächsischen und böhmischen Universitätsnation war in den achtziger Jahren mehr oder weniger ausgeglichen. Die tatsächliche Zugehörigkeit der einzelnen Bakkalaurei, Lizenziaten und Magister zu den jeweiligen Universitätsnationen kennt man nicht. Sie ist nur aus den Herkunftsorten rekonstruierbar. (Der Herkunftsort bedeutet jedoch noch nicht, dass sich die betreffende Person auch zu der territorial zuständigen Nation bekannte. Die Studenten konnten sich nämlich die Universitätsnationen mehr oder weniger frei auswählen, und eine gewisse Rolle dabei kann sowohl die Beliebtheit als auch die zahlenmäßige Stärke der einzelnen Nationen gespielt haben.) Auch wenn es sich also oben nur um sehr grobe Schätzungen handelt, zeigen sie trotzdem, dass die böhmische Universitätsnation aus der Sicht ihrer Vertretung unter den graduierten Studenten nicht einmal ein Viertel des Universitätskörpers bildete. 228 Anderseits war die Argumentation der Magister und Studenten, die am Ende des Jahres 1384 beim Papst gegen den Spruch des Erzbischofs Berufung einlegten und behaupteten, die Böhmen bildeten an der Uni-
˚ Poˇcet graduovaných a negraduovaných student˚u (wie Anm. 57), 18–21. 228 Václavu,
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versität bloß ein Zehntel, einigermaßen überzogen, auch wenn sie heute unbekannte Fakten berücksichtigt hätten, also den Anteil der einzelnen Nationen an den Immatrikulierten und die tatsächliche ethnische Zugehörigkeit der einzelnen Universitarier im Rahmen der böhmischen Universitätsnation. 229 Dass diese ethnische Zugehörigkeit eine bedeutende Rolle spielte, bestätigen der Streit von 1390 um die Wahl Konrads von Beneschau zum Kollegiaten und v. a. die Besetzung der Kollegiatsplätze im Karlskolleg nach 1385. Obwohl nicht alle Magister aus der böhmischen Universitätsnation, die Kollegiaten des Karlskollegs wurden, namentlich bekannt oder ethnisch – wie im Mittelalter kaum möglich – mit letzter Sicherheit zuzuordnen sind, fällt auf, dass unter ihnen die „veri Bohemi“ und nicht die Deutsch sprechenden Bewohner des Königreiches Böhmen überwogen. 230 Das Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze hatte also eine Bevorzugung der tschechischen Magister und eine Übervorteilung der deutschen Magister der böhmischen Universitätsnation zur Folge. Ob es sich im Rahmen der böhmischen Universitätsnation um ein Novum handelte, ist schwer zu sagen, weil die Anzahl ihrer Kollegiaten vor 1385 so klein und die ethnische Zugehörigkeit der Magister so umstritten war. Nach 1385 überwogen jedenfalls eindeutig die „veri Bohemi“ unter den Kollegiaten. Das gab ihnen die Möglichkeit, künftig auch mehr Kollegiaten im Allerheiligenkolleg zu stellen. Für die deutschen Angehörigen der böhmischen Universitätsnation bedeutete dies also für die nächsten Jahre eine keineswegs günstige Lage. Charakteristisch ist jedoch, dass sich unter den Prager (oder den anderen) Deutschen nie eine Fraktion herausgebildet hat, die ihre Rechte im Konflikt mit den tschechischen Magistern der böhmischen Universitätsnation durchzusetzen versuchte. In dieser Hinsicht begann sich die Lage erst unter dem Einfluss der Reformbewegung am Anfang des 15. Jahrhunderts und der dann bereits eindeutig nationalen Argumentation ihrer Anführer zu ändern. Auf eine ebenso detaillierte Weise wie bei der Besetzung der Kollegiatsplätze werde ich mich nun den Argumenten widmen, mit denen der Erzbischof von Prag seinen Versuch begründete, den Rektor Konrad von Soltau zu disziplinieren und die alten Gewohnheiten weiterhin gelten zu lassen, die an der Universität vor Konrads Bemühungen um eine Revision bzw. Reform der universitären Selbstverwaltung geherrscht hatten. Bartoš stellt, wie gewohnt, die kühne Hypothese auf, die Theologische Fakultät sollte im Rahmen dieser Umgestaltungen zum Nachteil der Artistenfakultät bevorzugt werden. Im erzbischöflichen Mandat ist jedoch ausschließlich von einer Reform der Einberufung des Universitätsrates („concilium universitatis“) die Rede, die auf eine in der Urkunde nicht spezifizierte Weise die böhmische Universitätsnation und die Artistenfakultät übervorteilen sollte. Im Mandat wurde dann dem Rektor angeordnet, er solle den Universitätsrat nach den alten Gepflogenheiten einberufen und keine Neuerungen einführen.
229 Dieser Problematik widmet sich bisher nur Zatschek (wie Anm. 54), 25–28. 230 Vgl. die Liste bei Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 37–39.
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Schenkt man also dem erzbischöflichen Mandat Glauben, dann hatte der Rektor versucht, die Gepflogenheiten bei der Einberufung des Universitätsrates zu ändern. Darüber, welche Form der Universitätsrat vor 1385 aufwies und auf welche Weise er zusammentrat, werden bis heute Auseinandersetzungen geführt, die man aufgrund der erhaltenen Quellen kaum eindeutig auflösen kann. Die spätere Form des Universitätsrates ist durch das singuläre Statut von 1391 eindeutig überliefert. 231 Darin heißt es, zum Rat hätten alle Doktoren und Magister und gemeinsam mit ihnen auch die Consiliarii der einzelnen Nationen Zutritt. Da zu den Consiliarii der einzelnen Nationen auch Bakkalaurei gewählt werden konnten, erließ man ein Jahr später ein neues singuläres Statut, nach dessen Wortlaut ausschließlich Magister und Doktoren an den Tagungen des Rates teilnehmen durften. Wie die Lage vor dem Jahr 1391 aussah, ist allerdings nicht bekannt. Jegliche Nachrichten über den Universitätsrat fehlen, und auch in den ältesten Statuten, also den 15 erhaltenen Artikeln, ist keine Rede von ihm. 232 Die Einlassung im Statut von 1391 (den Universitätsrat bilden alle Magister, Doktoren und Consiliarii der einzelnen Nationen), dies sei bereits bei der Gründung der Universität der Fall gewesen, kann nur allgemein sein und muss nicht ganz der Wirklichkeit entsprechen. Ein Hinweis kann aber die Lage an der Artistenfakultät sein. 233 Dort ist eine Bestimmung aus den 1360er Jahren überliefert, die auf der Universitätsvollversammlung („congregatio universitatis“) beschlossen wurde und nach welcher der Fakultätsrat, „concilium facultatis“, aus Magistern bestehen sollte, die bereits fünf Jahre als Magister und zwei Jahre als Regenten gewirkt hatten. 234 Zu fragen ist jedoch, ob sich diese Bestimmung auf die ganze Universität bezog, v. a. vor der Trennung der Universität im Jahre 1372. Dadurch wäre aus dem Universitätsrat ein beträchtlicher Teil der Juristen ausgeschlossen worden, die vorher keinen Universitätsgrad erworben hatten bzw. einen erworben hatten, jedoch nicht als Regenten tätig waren. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Universität für die Artistenfakultät als größte Fakultät eine besondere Art und Weise der Einberufung des Rates beschlossen hat, um seine Tätigkeit zu vereinfachen. Denn bei der Teilnahme aller ihrer Magister wäre er ein unwirksames Organ gewesen. In den Räten der weiteren Fakultäten hätten hingegen alle Magister vertreten sein können, weil ihre Anzahl im Vergleich zur Artistenfakultät viel niedriger war. Bei der Übertragung der Lage, die an der Artistenfakultät herrschte, auf die gesamte Dreifakultätenuniversität ist allerdings anzumerken, dass an der Juristenfakultät andere Gewohnheiten 231 MUPr III, 17: „quod omnes magistri, doctores, cujuscunque facultatis nostrae Universitatis Prag. intersint, sive interesse possint consilio Universitatis praedictae, cum consiliariiis nationum illo modo sicut a principio Studii, videlicet per inductionem seu voces singulorum fuit observatum“. – Zu diesem Statut ausführlich Boháˇcek, Založení a nejstarší organizace pražské university (wie Anm. 121), 19 f.; Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 10. 232 MUPr III, 19: „hoc proviso, quod nullus intret Consilium Universitatis antedictae, nisi sit magister vel doctor alicujus facultatis antedictae“. 233 Die Statuten der Prager Artistenfakultät zuletzt analysiert und neu datiert bei Šmahel, The Faculty of Liberal Arts (wie Anm. 67), 221–229, 308–315. 234 MUPr I /1, 93: „quod amplius nullus magistrorum deberet interesse conciliis facultatis, nisi quintum annum sui magisterii attigisset, et regentiam suam per duos annos complevisset“.
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herrschten. Dort wurden im Jahre 1373 zwar Statuten niedergeschrieben, aber nie veröffentlicht. 235 Interessant ist hier der Prozess der Niederschrift selbst. Der Gedenkeintrag aus der Juristenmatrikel sagt dazu, der Rektor habe sie in Zusammenarbeit und mit Zustimmung der 16 Consiliarii abgefasst und korrigiert. 236 Da für den gesamten Zeitraum der Tätigkeit der Juristenfakultät keine Nachrichten über die Existenz des Universitätsrates vorliegen – im Unterschied zur Tätigkeit der Consiliarii, die offenbar nach den Universitätsnationen gewählt wurden (dies legt ihre die Parität wahrende Anzahl nahe) –, ist anzunehmen, dass dort der „Rat“ und das Gremium der Consiliarii identisch waren. Daraus könnte man wieder schließen, dass die Juristen vor der Trennung der Universität im Jahre 1372 in dieser Hinsicht vom Prinzip des Funktionierens des Rates ausgingen. Trifft dies zu, dann bestand vor 1372 und möglicherweise auch eine gewisse Zeit danach der Universitätsrat eben aus dem Gremium der Consiliarii, und zwar sowohl an der Vierfakultäten- als auch später an der Dreifakultätenuniversität. Jedenfalls stellen beide Arten der Zusammensetzung des „Rates“ – die nach der Artistenfakultät und die nach der Juristenfakultät – gleichermaßen relevante Möglichkeiten der Einberufung des Rates an der Universität vor 1372 dar. Gleichzeitig ist es möglich, dass gerade die Abtrennung der Juristen im Jahre 1372 einen Einfluss auf die Änderung der Einberufung des Rates an der Dreifakultätenuniversität hatte. Denn für die achtziger Jahre gibt es bereits klare Belege für die Trennung des Gremiums der Consiliarii und des Gremiums des Rates. Viel problematischer als die Unkenntnis der Einberufungsart des Universitätsrates ist jedoch, dass man von den sechziger bis achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts fast nichts über den Wirkungsbereich und die Befugnisse des Universitätsrates weiß. Daraus könnte man schließen, dass der große Universitätsrat keine bedeutendere Funktion erfüllte und dass er nur in Ausnahmefällen einberufen wurde. Jedenfalls hört man bei der Beilegung der universitären Streitigkeiten in den achtziger Jahren nichts von einer Beteiligung des Universitätsrates an der Seite des Rektors – nicht einmal 1384/85, als die Streitigkeiten die Universitätsautonomie und die Jurisdiktion des Erzbischofs von Prag als Kanzler betrafen. Fast dasselbe gilt für das Gremium der Consiliarii, das der Rektor für die Lösung der alltäglichen Fragen zur Hand hatte. Ihre Wahl regelt der 13. Artikel der Gesamtuniversitätsstatuten „De consiliariis eligendis“. Ihre Anzahl ist merkwürdigerweise auch nicht genau festgelegt, denn je nach Bedarf bestand ihr Gremium aus acht oder 16 Personen, die gemeinsam mit dem Rektor tagten. 237 Bereits aus den „Ordinaciones“ des Ernst von Pardubitz ist
235 Kejˇr, Dˇejiny pražské právnické fakulty (wie Anm. 78), 13. 236 MUPr II, 25: „Item statuta qaedam de consilio et consensu XVI consiliariorum, ad hoc per totam universitatem electorum et deputatorum, concepit et correxit, sed non publicavit, quae successor suus publicare et expedire procuret etc.“ 237 MUPr III, 10 f.: „De consiliariis eligendis. Consiliarii eligantur de quatuor nationibus per hunc modum. Consiliarii, qui fuerunt tempore antiqui Rectoris, coadjuncta sibi natione sua, quique in sua natione nominabit 6 discretos viros suae nationis quos meliores credunt ad hoc officium, consentiente tota illa natione, et hos in charta tradant Rectori, et tunc Rector electus ex sex duos de unaquaque natione recipiet, et sic fiet in qualibet natione, et erunt octo consiliarii, de qualibet na-
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bekannt, 238 dass die Consiliarii nach den nationalen Kurien gewählt wurden. Daraus ergibt sich, dass ihre Tätigkeit die universitäre Selbstverwaltung betraf. Die Consiliarii, die de facto Prokuratoren der einzelnen Nationen waren, verschafften sich gegenüber dem Universitätsrat bei der Beilegung der Auseinandersetzungen von 1384/85 sehr deutlich Geltung und spielten bei der Anerkennung der erzbischöflichen Jurisdiktion die entscheidende Rolle. Genauso könnten sie sich als Obleute beim Abschluss der concordia nacionum durch die acht Arbiter Geltung verschafft haben, auch wenn die konkrete Zusammensetzung dieses achtköpfigen Gremiums nicht bekannt ist. (Hypothetisch ist es möglich, dass die vier Personen für die böhmische Partei die Consiliarii der böhmischen Universitätsnation waren und die vier Personen für die Partei der drei Nationen je ein Consiliarius für jede Nation, dazu der Universitätsrektor Konrad von Soltau.) Anderseits kann man die Ablehnung des Rektors und der Prokuratoren der drei auswärtigen Universitätsnationen, sich dem Erzbischof unterzuordnen, und zwar mit Hinweis darauf, sich erst noch mit der Universität beraten zu müssen, als einen Verweis auf den Universitätsrat interpretieren, der aber auf den Universitätsbetrieb faktisch keinen Einfluss ausübte, oder als einen Verweis auf das Gremium der Consiliarii. Bereits oben habe ich zu zeigen versucht, auf welche Weise sich der Rektor vermutlich bemühte, den Rat (bzw. das Gremium der Consiliarii) zu reformieren. Möglicherweise wollte er dessen Einberufung auf die Vertreter der einzelnen Fakultäten beschränken. Möglicherweise wollte er aus ihm die Bakkalaurei ausschließen, wie es 1391 geschah und wodurch er, falls die Bakkalaurei vor 1391 an den Ratstagungen teilnahmen, wirklich den Einfluss der Artistenfakultät eingeschränkt hätte. Möglicherweise wollte er aber nur im Rahmen des Rates eine Hierarchie festlegen, vergleichbar mit der concordia facultatum von 1392, in welcher der vordere Platz der Theologischen Fakultät aufgrund der Entscheidung der sechs Arbiter zugesprochen wurde. 239 Hierfür ist wichtig, dass im März 1392 das Abkommen über die
tione duo. Praeter hos eligantur alii octo, si opus fuerit, de qualibet facultate sex, ex quibus Rector recipiet duos et hi 16. dum opus fuerit erunt in judicio cum Rectore. Si tamen esset consulendum de re multum ardua, Rector Universitatis congregavit consilium Universitatis, ad consulendum super re illa, et quod ibi diffinitum fuerit, illud servetur per Rectorem; et consiliarii prius electi assistant Rectori ad prosequendum et explendum, quod ei dictatum est in consilio Universitatis.“ – Das Wahlverfahren nach den einzelnen Fakultäten, von denen der Rektor je zwei Consiliarii auswählen soll, zeugt davon, dass das Statut die Lage vor der Aufteilung der Universität im Jahre 1372 erfasst. Sonst könnte man nicht auf die Zahl „16“ kommen. Bei der Revision der Statuten, sofern es zu ihr tatsächlich kam, hat man offensichtlich durch ein Versehen vergessen, das Verfahren der Wahl der Consiliarii nach den Fakultäten anzupassen. Wenn ich mich nicht irre, hat bisher niemand diesen Widerspruch in den redigierten Statuten bemerkt. 238 Ebd. II, 229–231. 239 Zu dieser Vereinbarung vgl. Boháˇcek, Založení a nejstarší organizace pražské university (wie Anm. 121), 24. Boháˇcek setzt voraus, dass von jeder Fakultät zwei Arbiter gewählt wurden. Es gibt allerdings keinen Beleg für diese Behauptung. Deshalb ist es genauso möglich, dass auch hier die Arbiter nach den Universitätsnationen bestellt wurden und gemeinsam mit ihnen weitere zwei Arbiter der Rektor und der Vizerektor sein konnten.
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Art der Einberufung des Rates mit einem Abkommen ergänzt wurde, das derselbe Friedensrichter wie 1391 verkündete, Magister Nikolaus von Gubin, Kollegiat des Allerheiligenkollegs. Dieses zweite Abkommen bestimmte neben der Zusammensetzung des Rates auch die Reihenfolge der Fakultäten und der einzelnen Magister und Doktoren. Den vorderen Platz räumte es der Fakultät und den Doktoren der Theologie ein, und zwar sowohl bei den Universitätsfeiern als auch bei Prozessionen und Totenmessen sowie bei der Zusammenstellung der Rotuli und bei der Einberufung des Universitätsrates. Eine etwaige Nichteinhaltung dieser concordia facultatum sollte mit einer Geldstrafe in Höhe von 2000 Gulden bestraft werden. 240 Dass der Rat und das Gremium der Consiliarii eigenständige Organe waren, wie es in der Literatur heißt, veranschaulicht der bisher unterschätzte Beleg über die beratende Funktion der Consiliarii. Es handelt sich dabei um die in Formularform erhaltene Appellation der Medizinprofessoren Luder Rennen und Peter de Cothebus gegen die Entscheidung des Rektors Johannes Wenceslai von Prag bezüglich der Promotion von Dietrich de Ymochusen unter Magister Bruno. Dem Wortlaut nach gab der Rektor Dietrich und Bruno Recht. Den beiden Medizinprofessoren zufolge tat er das jedoch nur mündlich und nicht schriftlich, und so legten sie Berufung beim Erzbischof von Prag ein. Dessen Generalvikare unterbrachen den Promotionsfortgang und luden die streitenden Parteien vor. Der Rektor lehnte jedoch diesen Eingriff ab und berief die Consiliarii ein, den Appellanten nach allerdings nur deren kleineren Teil („maiori parte consiliariorum exclusa“), und ordnete den beiden Professoren an, Dietrichs Promotion anzuerkennen. Gleichzeitig schloss er sie aus dem Universitätsrat („consilium universitatis“) aus. Rektor Johannes benutzte also als sein beratendes Gremium die Consiliarii, aber wohl nicht alle, wie man ihm vorwarf. Anschließend schloss der Rektor dann die aufsässigen Magister aus dem Universitätsrat aus, um künftig ihren Einfluss einzuschränken. Im Zusammenhang mit dem Streit um die Kollegiatsplätze ist kennzeichnend, dass – obwohl der Rektor in diesem Fall die erzbischöfliche Jurisdiktion bzw. das Recht, gegen seine Entscheidungen beim erzbischöflichen Gericht Berufung einzulegen, bewusst ablehnte – der Erzbischof und seine Beamten gegen dieses Vorgehen nicht eingriffen. Übrigens fand der im Formular erfasste Streit in den Gerichtsakten der Generalvikare kein Echo. Im Zusammenhang mit der Frage nach den Ursachen und Folgen des Streites an der Universität und der Findung eines Modus Vivendi in Gestalt der concordia nacionum muss man über die Beziehung zwischen der Theologischen Fakultät und dem erzbischöflichen Hof in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre nachdenken. Eine der Folgen der Spannung zwischen der Universität und dem die Universität disziplinierenden Erzbischof war die bewusste Passivität der Mitglieder der Theologischen Fakultät in den doktrinären Streitigkeiten, die der Erzbischof führte. Von den Prager Theologen findet man auf seiner Seite nach dem Universitätsstreit nur Matthäus von
240 MUPr III, 19.
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Krakau, der 1386 als synodaler Prediger auftrat. 241 Matthäus’ Parteinahme für Johannes von Jenstein hing meines Erachtens auch mit seinem Fernbleiben beim Streit der Kollegiaten des Allerheiligenkollegs mit dem Erzbischof 1386/87 zusammen, obwohl Matthäus Mitglied dieses Kollegiums war. Übrigens befand sich Matthäus, damals Prokurator der polnischen Universitätsnation, auch am Anfang des Jahres 1385 in einer zwiespältigen Lage. Anfang 1384 griff er nämlich noch unter Mitwirkung des Erzbischofs und in Übereinstimmung mit dem königlichen Hof aktiv bei der damaligen Kampagne gegen die Waldenser und die Begarden ein. 242 Ein Jahr später trat er jedoch aktiv gegen den Erzbischof auf und verteidigte die korporativen Interessen seiner Universitätsnation. In den folgenden Jahren ergriff er allerdings wiederum Partei für den Erzbischof. Es scheint, dass er bei diesem Unterstützung für seine Reformen zu finden versuchte, die zur Gesundung des geistigen Lebens und der verdorbenen Kirche führen sollten, und zwar mittels Katechese, Disziplinierung der Kleriker und geistiger Umkehr der Laien, deren Bestandteil auch die Durchsetzung eines häufigeren Abendmahls unter beiderlei Gestalt war. 243 Wie andere vor ihm verließ auch Matthäus schließlich den Erzbischof in seinem Konflikt mit dem König und seinem Hof und ging an die konkurrierende Heidelberger Universität, um seine Ansichten über die Kirchenreform durchzusetzen. Dorthin folgte ihm im Übrigen nach einigen Jahren auch sein bedeutendster Schüler, der in den neunziger Jahren in Prag wirkende Reformer Nikolaus Magni von Jauer. 244 Von den übrigen Magistern findet man an der Seite des Erzbischofs niemanden. Der Erzbischof bemühte sich um ein Gutachten der Theologischen Fakultät in
241 Angaben zu den synodalen Predigten des Matthäus von Krakau bei Hledíková, Zdeˇnka: Synody v pražské diecési v letech 1349–1419 [Synoden in der Prager Diözese in den Jahren 1349–1419]. In: ˇ CH ˇ 18 (1970), 117–146, hier 132 (18. Oktober 1385, „Sorbi estote“; 18. Oktober 1386, „Digne CS ambuletis“). – Nuding, Matthias: Matthäus von Krakau. Theologe, Politiker, Kirchenreformer in Krakau, Prag und Heidelberg zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas. Tübingen 2007, 69, behauptet, dass Matthäus die Predigt „Quid est quod dilectus meus“ auf der Synode am 18. Ok´ tober 1384 gehalten habe, mit Berufung auf Senko, Władysław: Mateusza z Krakowa „De praxi Romanae Curiae“ [Des Matthäus von Krakau „De praxi Romanae Curiae“]. Wrocław-WarszawaKraków 1969, 127–139, bei dem sich jedoch nur die Edition befindet. Tatsächlich ist die Predigt des Matthäus von Krakau, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine synodale gewesen sein kann, nicht datierbar. Für Matthäus’ Wirken in Prag und v. a. für sein Reformdenken in Prag und in Heidelberg ist Nudings Arbeit allerdings richtungweisend. 242 Die häretischen Artikel der Predigt des Matthäus von Krakau in Quellen zur böhmischen Inquisition im 14. Jahrhundert. Hg. v. Alexander Patschovsky. München 1985, 318–323. 243 Zur häufigen Kommunion des Altarsakramentes und zur Rolle des Johannes von Jenstein sowie der Universitätsmagister in dieser die Prager Gesellschaft beunruhigenden Frage zuletzt: Jindˇrich z ˇ Bitterfeldu. Eucharistické texty [Heinrich von Bitterfeld. Eucharistische Texte]. Hg. v. Pavel Cernuška. Brno 2007, 52–135, mit Übersicht zur älteren Literatur. 244 Zu seiner Person detailliert und zu seiner Position im Prager Reformumfeld Franz, Adolph: Der Magister Nikolaus Magni de Jawor. Ein Beitrag zur Literatur- und Gelehrtengeschichte des 14. und ´ 15. Jahrhunderts. Freiburg im Breisgau 1898; Bracha, Krzystof: Teolog, diabeł i zabobony. Swiadectwo traktatu Mikołaja Magni z Javora De superstitionibus (1405 r.) [Der Theologe, der Teufel und der Abergläubische. Das Zeugnis des Traktates „De superstitionibus“ von Nikolaus Magni von Jauer (1405)]. Warszawa 1999.
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seinem Konflikt mit Adalbertus Ranconis de Ericinio wegen der Einführung des Festes Mariä Heimsuchung, 245 der Lehre vom Fegefeuer und mit dem Prager Kapitel wegen der Aufgabe des Heimfalls der erzbischöflichen Güter 246. Aber auch die Fakultät versuchte nicht, als Arbiter in Lehrstreitigkeiten aufzutreten. In rechtlichen Fragen stützte sich der Erzbischof auf die Ansichten des Kuneš von Tˇrebovle. 247 Dieser sollte den Erzbischof aber schließlich auch im Stich lassen. Im Konflikt mit Adalbertus verteidigte er sich selber, lehnte bei der Einführung des Festes Mariä Heimsuchung, das er in seinen Homilien mit Berufung auf die Offenbarung befürwortete, die Zuständigkeit des Kapitels ab, neue Feste zu genehmigen, und benutzte als Arbiter die ihm günstig gewogene römische Kurie. 248 Die kühle Beziehung zur Theologischen Fakultät und die Passivität der Fakultät in Fragen kirchlich-politischen Charakters waren meiner Meinung nach dann auch mitverantwortlich für das Nichteingreifen der Theologen in den neuen Streit des Erzbischofs mit dem König am Anfang der neunziger Jahre. 249 In Johannes von Jenstein rief das ein Gefühl des Verrates durch alle seine früheren Anhänger hervor – egal ob aus den Reihen der einheimischen Prälaten oder der mit der Universität eng verbundenen Ausländer. An dieser Stelle muss man jedoch anmerken, dass auch König Wenzel IV. die Dienste der Universitarier in seinen Streitigkeiten mit dem Erzbischof nicht in Anspruch nahm. Die Frage des Einflusses und der Bedeutung der akademisch ausgebildeten Kleriker am Hofe des böhmischen und römischen Königs wird zwar noch ein detailliertes Studium erfordern, 250 und zwar v. a. unter dem Gesichtspunkt ihrer
245 Dazu vgl. die umfangreiche Arbeit von Polc, Jaroslav V.: De origine festi visitationis B. M. V. Roma 1967. – Neuerdings Ders.: Tˇri homilie Jana z Jenštejna o Nanebevzetí Panny Marie [Drei Homilien des Johannes von Jenstein über Mariä Himmelfahrt]. In: AUC – HUCP 31/1 (1991), 41–51. 246 Auf detaillierte Weise bearbeitet Kadlec, Leben und Schriften (wie Anm. 73), 38–46, die Polemik zwischen Johannes von Jenstein und Adalbertus Ranconis de Ericinio. ˇ 247 Cerný, Miroslav: Kuneš z Tˇrebovle. Stˇredovˇeký právník a jeho dílo [Kuneš von Tˇrebovle. Der mittelalterliche Jurist und sein Werk]. Plzeˇn 1999. 248 Zu den mit der Durchsetzung des Festtages verbundenen Peripetien vgl. Polc, De origine festi visitationis (wie Anm. 245), 73–99. 249 Zu ihm detailliert: Bartoš, František Michálek: Jan z Jenštejna a jeho zápas [Johannes von Jenstein und sein Kampf]. In: JSH 13 (1940), 94–108; Polc, Svatý Jan Nepomucký (wie Anm. 184), 200– 262; Ders.: Proˇc nebyl arcibiskup Jan z Jenštejna svržen do Vltavy [Warum Erzbischof Johannes von Jenstein nicht in die Moldau gestürzt wurde]. In: MHB 4 (1995), 199–219; Poˇrízka, Aleš: Kdy a proˇc byl napsán Planctus cleri? K zákulisí stˇretu v roce 1393 [Wann und warum wurde der „Planctus cleri“ geschrieben? Zum Hintergrund des Konfliktes im Jahre 1393]. In: MHB 6 (1999), 111–128. 250 Von der bisherigen Forschung vgl. Weigel, Helmut: Männer um König Wenzel. Das Problem der Reichspolitik 1379–1384. In: DA 5 (1941–1942), 112–177; Hlaváˇcek, K organizaci státního správního systému (wie Anm. 150); Ders.: Überlegung zum Kapellanat am Luxemburgischen Hof unter Johann von Luxemburg, Karl IV. und Wenzel. In: Alltag bei Hofe. Hg. v. Werner Paravicini. Sigmaringen 1995, 83–109; Ders.: Hof und Hofführung Wenzels IV. (1346–1419). In: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter. Hg. v. Peter Moraw. Stuttgart 2002, 105–136, und weiterere, im Detail richtungweisende kleinere Studien Hlaváˇceks. – Vereinzelte Belege zur Tätigkeit der Juristen und Theologen von den Ordensstudien in den Diensten Wenzels IV. ˇ bei Kadlec, Reholní generální studia (wie Anm. 205), 63–108; Zelený, Rostislav/Ders.: Uˇcitelé
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Inanspruchnahme (oder Nichtinanspruchnahme) in so prinzipiellen Fragen wie der Reichsreform, des kirchlichen Schismas, der Absetzung Wenzels vom Reichsthron und seines späteren Griffes nach der Kaiserkrone. Im Vergleich zu Władysław II. Jagiełło (bzw. noch früher zu Kasimir dem Großen und zu Ludwig von Ungarn) oder zu den Kurfürsten von der Pfalz liegt aber bereits heute auf der Hand, dass der böhmische König seinen politischen Rivalen darin deutlich nachstand 251 und dass er sich erst während des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts – als er sich zeitweilig der Reformströmung an der Prager Universität anschloss – der Bedeutung akademisch gebildeter Politiker und Propagandisten bewusst zu werden begann. Diese einseitige Bindung an die Reformströmung, die im Zusammenhang mit der Beschickung des Pisaner Konzils schließlich zum Erlass des Kuttenberger Dekretes führte, ist Wenzel schließlich zum Verhängnis geworden und hat ihn de facto daran gehindert, seine Rechte als römischer König und folglich auch als potenzieller römischer Kaiser wahrzunehmen. 1384/85 betrachtete er die an der Universität ausgebrochenen Streitigkeiten jedoch vorläufig als eine willkommene Gelegenheit, den Einfluss und die Befugnisse seines größten Rivalen im Königreich, Erzbischof Johannes, einzuschränken. Davon zeugt meines Erachtens auch die Tatsache, dass er in den folgenden Jahren der Universität keine größere Aufmerksamkeit widmete. Die Initiative in dieser Sache ergriffen, wie im nächsten Kapitel dargelegt wird, einflussreiche Höflinge durch die Unterstützung der böhmischen Universitätsnation bei ihren Anliegen. Damit schufen sie günstige Bedingungen für ihren machtpolitischen und gleichzeitig auch theoretisch verankerten Aufstieg in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts. Diesen der böhmischen Universitätsnation gewogenen Höflingen muss man dann bis zu einem gewissen Maße auch die Stärkung der gerichtlichen Autonomie der Prager Universität zuschreiben – mittels des Privilegs, das Wenzel IV. der Universität im Jahre 1392 erteilte, ohne dass er damals selbst die Dienste der Universitarier zu seinen Gunsten genutzt hätte.
právnické fakulty a právnické univerzity pražské v dobˇe pˇredhusitské (1349–1419) [Die Lehrer der Juristenfakultät und der Prager Juristenuniversität in vorhussitischer Zeit (1349–1419)]. In: AUC – HUCP 18/1 (1978), 61–106. – In Bezug auf Juristen vgl. auch Moraw, Pražská právnická univerzita (wie Anm. 63), 7–50. 251 Ich gehe hier von folgenden hervorragenden vergleichenden Studien aus: Ozóg, ˙ Krzysztof: Miejsce i rola uczonych w pó´zno´sredniowiecznym pa´nstwie polskim. Poglady ˛ mistrzów krakowskich a rzeczywisto´sc´ [Platz und Rolle der Gelehrten im spätmittelalterlichen polnischen Staat. Ansichten der Krakauer Magister und die Wirklichkeit]. In: Genealogia – władza i społecze´nstwo w Polˇ sce s´ redniowiecznej. Hg. v. Andrzej Radziminski und Jan Wroniszewski. Toru´n 1999, 271–299; Ders.: Intellektuelle im Dienst des Staates – das Beispiel Polens im späten Mittelalter. In: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter. Hg. v. Thomas Wünsch. Ostfildern 2003, 301–321; Ders.: Intellektuelle im Dienst der Staaten Ostmitteleuropas. Vergleichende Betrachtungen. In: Die „Blüte“ der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert. Hg. v. Marc Löwener. Wiesbaden 2004, 229–255; Ders., Uczeni w monarchii (wie Anm. 221).
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Concordia nacionum Der Begriff concordia nacionum wird in der bisherigen Literatur mit der Lösung des Streites um die Besetzung der Kollegiatsplätze an der Wende von 1384/85 verbunden, und zwar vorbehaltlos. Lediglich Novotný bezieht diesen Begriff auf die definitive Lösung der Besetzung der zwölften Präbende im Karlskolleg von 1390. Damit bleibt er allerdings so gut wie allein. 252 Im ältesten erhaltenen Manuskript der Universitätsstatuten unter der Signatur XIV D 25 der Tschechischen Nationalbibliothek in Prag befand sich auf dem Blatt fol. 6 b im Artikel „De iuramento rectoris“ vor der Einschwärzung und Streichung folgender Passus: „Item [rector] iurabit, quod concordiam circa ordinationem factam inter nacionem Boemorum et alias tres naciones observabit ac faciet ab omnibus observari.“ 253 Vor dem Abschluss der concordia nacionum schwor man, wie zuvor gezeigt, aber offenbar „bonum et utile universitatis“ zu beachten. 254 Nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes entfiel der dritte Satz des Schwures zur Einhaltung der concordia nacionum und an seine Stelle trat als zweiter Satz folgender Passus: „Item promittet fidelitatem regi nostro et regno.“ 255 Da sich in diesem Manuskript nur 15 Artikel erhalten haben (die übrigen Folios sind verloren), weiß man nicht, ob sich hier auch der angepasste Wortlaut des Schwures der neu aufzunehmenden Mitglieder der Universität befand. Das zweite erhaltene Manuskript der Universitätsstatuten mit der Signatur XIV A 4 stammt erst aus dem 16. Jahrhundert und erfasst nur die nach dem Kuttenberger Dekret revidierte Schwurfassung: „Item promittet fidelitatem regi nostro et regno.“ Allerdings fand Jireˇcek im Manuskript 14.446 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien den Wortlaut des Schwurs für die Aufnahme in die Universität, der durch die Rubrik „Nova formula juramenti studiosorum“ eingeleitet wird. 256 Der Schwur selbst lautet wie folgt: „Ego N. juro vobis rectori et vestris successoribus obedientiam in licitis et honestis, servare statuta et statuenda pro posse meo et ordinaciones factas inter naciones
252 Nach Václav Novotný betrachtet nur Tˇríška, Josef: Rétorický styl a pražská univerzitní literatura ve stˇredovˇeku [Der rhetorische Stil und die Prager Universitätsliteratur im Mittelalter]. Praha 1975, 42, das Jahr 1390 als das Jahr des Abschlusses der concordia nacionum, allerdings ohne jegliche Argumentation. 253 Boháˇcek, O rukopisech (wie Anm. 225), 87; Ders.: Pražská universitní statuta a jejich boloˇnský vzor [Die Prager Universitätsstatuten und deren Bologneser Vorbild]. In: StR 8 (1969), 11–64, hier 29. 254 Der wahrscheinliche Wortlaut des Schwurs verbirgt sich in der Appellation gegen das erzbischöfliche Mandat bezüglich der Wahl in die Kollegien. Vgl. Tadra, Pˇríspˇevky (wie Anm. 114), 304 f.: „predicti magistri intueri non curarunt et quamvis bonum et utile alme universitatis studii Pragensis facere juraverunt, contra ipsorum juramenta venientes mandatum pretensum et iniquum infrascriptum inpetrare procurarunt“. 255 Boháˇcek, Pražská universitní statuta (wie Anm. 253), 28. Dieser Satz kommt nicht im Rektorschwur der Edition der Universitätsstatuen vor: MUPr III, 4 f. 256 Codex juris bohemici (wie Anm. 97), 300 f.
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Bohemorum et alias tres naciones et collegia. et quod bonum universitatis velim procurare, ad quemcumque statum devenero, et quod injuriam propriam non velim per metipsum nec per alium vindicare, sed super hoc rectoris officium implorare, et quod non utar conservatorio sive signeto, dummodo commodose id habere potero sine dolo et fraude. Sic me Deus adiuvet et sancta Dei evangelia.“ Durch die Hinzufügung „et collegia“ unterscheidet sich dieser Schwur erheblich vom Schwur des Rektors, in dem sich ein die Kollegien betreffender Passus nachweislich nicht befand. Der bisherigen Forschung ist dies nicht aufgefallen. Boháˇcek lässt sich bei seiner Interpretation von Bartoš leiten und behauptet, sowohl der Schwur des Rektors als auch der Schwur der neu aufzunehmenden Studenten beziehe sich auf das Abkommen zwischen den Nationen über die Besetzung der Kollegiatsplätze vom März 1385 und spiegele die Revision der Statuten etwa zwischen März und August 1385 wider. Im Grunde steht man hier aber vor einem Dilemma. Entweder folgt man dem im Manuskript der Universitätsstatuten belegten Schwur des Rektors und interpretiert dann seine Änderung auf verschiedene Weise oder dem bei der Aufnahme in die Universitätsgemeinde geleisteten Schwur der Universitarier und verbindet diesen dann mit der Änderung der Besetzung der Kollegiatsplätze, und dies mit der Statutenreform von 1385 oder erst mit dem neuen Abkommen über die Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes im Karlskolleg von 1390. In meiner Darlegung neige ich zur ersten Variante, also zur Authentizität des Rektorschwurs. Meines Erachtens kann man aber aus ihm auch einen anderen Schluss als den allgemein akzeptierten ziehen, der die concordia nacionum ausschließlich mit der Besetzung der Kollegiatsplätze verbindet. Gegen die Authentizität des von Jireˇcek im Wiener Manuskript 14.446 entdeckten Schwurs spricht aber noch eine Tatsache. Dieses Manuskript enthält verschiedenste bohemistische Texte, die sich v. a. auf das Iglauer Bergrecht beziehen. Unter dem Gesichtspunkt der Zusammensetzung des Manuskriptes wirkt der Einschub zweier auf die Prager Universität bezogener Einträge auf fol. 72 b–73 a einigermaßen unorganisch. Der erste Einschub betrifft die neue Form des Schwurs und der zweite einige Vorschläge zur Neuordnung der Universität nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes. Der Wortlaut des Schwurs kann also – analog zu den Veränderungsvorschlägen in Bezug auf die Universitätsverwaltung – ebenfalls nur Vorschlagscharakter besessen haben. Neben dem Passus „et collegia“ enthält er nämlich auch den woanders ebenso unbekannten Passus, nach dem die Studenten schwören, kein Konservatorium ohne Signet benutzen zu wollen: „quod non utar conservatorio sine signeto“. Da jedoch die Universitätsverwaltung etwaige Differenzen wegen einer Benutzung des Konservatoriums ohne Signet erst nach dem Erwerb des neuen Privilegs bezüglich der Konservatoren der Rechte der Prager Universität zu schlichten versuchte, also nach 1397 (so jedenfalls eine Reihe von Einträgen in den Statuten; mehr über sie im nächsten Kapitel), kann jener Vorschlag eines neuen Schwurs, der meines Erachtens auch ein bloßer Vorschlag blieb, ebenfalls erst nach 1397 vorgetragen worden sein. Da darin jedoch der Passus über die Treue zu König und Land bzw. Böhmischer Krone fehlt, liegt auch die Vermutung nahe, dass dieser Vorschlag vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes entstanden war und in der Zeit
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der Kämpfe um das königliche Dekret als eine Art Kompromiss den Passus über die concordia nacionum ersetzen sollte. 257 Zu fragen ist, was die Änderung der concordia nacionum, sofern sie sich wirklich auf das Jahr 1385 und den Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze bezieht, für den Universitätsbetrieb bedeutet hätte. Lässt man die Änderung der Anzahl bei der Besetzung der Kollegiatsplätze außer Acht (eine Änderung übrigens, die realiter über mehrere Jahre hätte durchgesetzt werden müssen, da sie die zukünftige und nicht die aktuelle Besetzung der Kollegiatsplätze betraf und langfristig den Aufstieg der böhmischen Magister-Regenten zu fördern versuchte), hätte sich nach deren Abschluss für den Universitätsbetrieb nichts Wesentliches verändert. Das Sagen hätten weiterhin die Nationen gehabt, deren Vertretung wie vor 1385 bzw. 1390 paritätisch war. Die Parität wäre bei der Wahl der Consiliarii und aller Universitäts- bzw. Fakultätswürdenträger weiterhin zur Geltung gekommen. Die concordia nacionum hätte in den Schwur des Rektors und in den Schwur der Universitarier im Jahre 1385 neu eingegliedert werden können als ein Echo auf die Konflikte an der Universität, die sich in der fehlenden Bereitschaft der böhmischen Universitätsnation äußerten, das Verbot des Rektors zu akzeptieren, Lektionen und Disputationen abzuhalten, und in ihrem Übergriff auf den Rektor selbst. Der von der böhmischen Seite durch national-korporative Interessen motivierte Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze hätte die latente Spannung nur steigern können. Meiner Meinung nach appellierte jedoch die concordia nacionum eher an die Einhaltung der Eintracht der Nationen – den konstitutiven Grundartikel des Verwaltungssystems der Prager Universität. Jedenfalls kennen die Universitätsstatuten nur die Parität der vier Universitätsnationen, nichts weiter. Die Neuregelung der Besetzung der Kollegiatsplätze verletzte diese Parität, allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Gesamtuniversitätsverwaltung, sondern unter dem Gesichtspunkt des ungleichen Zugangs zu den Kollegienpfründen. Auch die neu gefundene Lösung kann Zwietracht und Spannungen hervorgerufen haben. Hierfür ist nur wichtig, dass in den folgenden Jahren, also nach 1390, von neuen national motivierten Spannungen aber nichts zu vernehmen ist. (Unterschwellig können diese aber ihre Spuren in der ebenfalls national zugespitzten Stimmung der Prager Gesellschaft hinterlassen und ihren Ausdruck in solchen Werken gefunden haben wie der scharf antideutschen Satire „De teutunicis bonum dictamen“ oder dem Werk „Usque modo tacui“, deren Autoren böhmische Universitarier sein könnten, v. a. des zweiten moralistischen Werkes, das alles ablehnt, was seinen Weg nach Prag über den Rhein gefunden hat einschließlich
257 Nur am Rande sei hier angeführt, dass eine Verbindung der Universität und der Kollegien in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich war, also unter bereits geänderten Bedingungen. Davon zeugt beispielsweise die leider nur allgemeine Bestätigung der Universitätsprivilegien Władysławs II. vom 22. April 1472, in der sich einige Male die Wendung wiederholt: „statuta universitatis et collegiorum“, „studio seu universitati et collegiis“, „omnia statuta dicte universitatis et omnium collegiorum“, „studio seu universitatis Pragensis et collegiis“. Vgl. Tˇríška, Starší pražská univerzitní literatura (wie Anm. 115), 89.
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des Weines und der Auswüchse bei der Bekleidung). 258 Außerdem ist nichts von einer Rivalität der drei auswärtigen Universitätsnationen bezüglich der restlichen sechs Präbenden im Karlskolleg (und im Wenzelskolleg) zu hören. Daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass die concordia nacionum tatsächlich primär von der Neuregelung der Besetzung der Kollegiatsplätze ausgegangen war. Übrigens setzte sich die concordia nacionum als eine allgemeine Norm, als ein Appell zur Einhaltung der bestehenden paritätischen Vertretung der Universitätsnationen in der Verwaltung der Universitätsgemeinde, im Rahmen der Universitätsstatuten nur in dem Schwur des Rektors durch und möglicherweise auch in dem Schwur der neu aufzunehmenden Mitglieder der Universitätsgemeinde, nicht jedoch in dem 12. Artikel der Gesamtuniversitätsstatuten, der von vier Universitätsnationen spricht. Lakonisch gesagt, schworen weder der Rektor bei seiner Amtseinsetzung noch die neu aufzunehmenden Universitarier auf ein Abkommen über die Art der Wahl in den Magisterkollegien, sondern auf eine allgemeine Norm, die für die Universitätsgemeinde alte Rechte repräsentierte, die nicht zu verletzen waren. Und jene allgemeine Norm stellte der durch die acht Arbiter zwischen dem Februar und dem März 1385 gefundene Modus Vivendi dar. Dieser ermahnte und verpflichtete die Nationen dazu, nichts gegeneinander zu unternehmen, keine Gerichtsprozesse gegeneinander zu führen und in Eintracht zu leben. Wie die concordia nacionum im Rahmen der Universitätsgemeinde aufgefasst worden ist, zeigen die Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit des Kuttenberger Dekretes, die sofort nach seinem Erlass ausbrachen und die auch später an der Wiener oder Leipziger Universität nachklangen. Die deutschen Magister bauten ihre ablehnende Argumentation dem Dekret gegenüber gerade damit auf, bei ihrer Aufnahme in die Universitätskorporation auf die Universitätsstatuten geschworen zu haben. Und da das Kuttenberger Dekret nach ihrer Auslegung den Universitätsstatuten widersprach, würden sie durch dessen Annahme ihren früheren Schwur brechen. 259 In ihrer auf den 6. Februar 1409 datierten Supplik brachten sie den Kompromissvorschlag ein, die böhmische Nation solle – ohne die Schwüre zu brechen – von den anderen Nationen abgetrennt werden und eigene Räte, Gerichte, Wahlen und
258 Zu ihnen vgl. Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 35 f., 72, 74. – Das lateinische Original „Usque modo tacui“ in: Výbor ze starší univerzitní literatury [Auswahl aus der älteren Prager Universitätsliteratur]. Hg. v. Josef Tˇríška. Praha 1977, 35–43. – Die tschechische Übersetzung unter dem Titel „Die Klage Prags“ in: Sestra m˚uza. Svˇetská poezie latinského stˇredovˇeku [Schwester Muse. Weltliche Poesie des lateinischen Mittelalters]. Hg. v. Anežka Vidmanová. Praha 1990, 475–480. Die Datierung vor das Jahr 1403 ist jedoch in keiner Weise eindeutig und man kann sie ohne Weiteres bis vor das Jahr 1409 in einen langen Zeitabschnitt einordnen. 259 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 351: „Ideo Vestrae inclytissimae Dignitati supplicamus humillime toto cum affectu, quatenus praefatas tres naciones in suis consuetudinibus statutis, quae ab initio studii usque in praesentem diem de benigna ordinatione vestri progenitoris inclytissimi habuisse dinoscuntur, et praecipue in concordia inter nationem Bohemorum parte ex una et alias tres nationes parte ex altera ante multa tempora celebrata, quam litera Vestrae Serenitatis roborastis, gratiose conservetis. Quia salvis juramentis nostris et honoribus nequaquam ab istis valemus recedere, cum natio Bohemorum et aliae tres nationes ipsa multipliciter juraverunt.“
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Examina haben. Durch ihren Hinweis auf die Bedeutung des Schwures auf die Statuten verunsicherten die Magister der drei auswärtigen Universitätsnationen wohl auch einige böhmische Magister, die nun darüber nachzudenken begannen, ob die königliche Anordnung im Einklang mit ihrem vorangegangenen Schwur stehe. Deutlich brachte Andreas von Brod, in jener Zeit ein eifriger Anhänger der böhmischen Reformströmung, 260 diese Unsicherheit zum Ausdruck. Er stieß aber bei Johannes Hus und Hieronymus von Prag offenbar auf starke Ablehnung. Auch bei den weiteren böhmischen Magistern gelang es ihm nicht, diese Ansicht durchzusetzen. In ihrer Reaktion auf das Kuttenberger Dekret stellten die deutschen Magister auch ihre Auslegung der Geschichte der Prager Universität vor. Darin betonen sie, dass Karl IV. an die von ihm gegründete Universität Magister aus verschiedenen Teilen der Welt berufen habe. Das habe wiederum eine große Anzahl an Studenten aus den verschiedensten Ländern an die Prager Hohe Schule gelockt. Diese Tatsache führte dann ihrer Meinung nach dazu, dass die Verwaltung der Universität bereits bei ihrer Gründung nach den vier Nationen aufgeteilt worden ist. 261 Nach dem Tode des Kaisers seien allerdings bis dahin unbekannte Konflikte zwischen der böhmischen Nation und den übrigen Nationen ausgebrochen, die eine Abnahme der Studentenzahlen zur Folge gehabt hätten. 262 Dieser Passus ist zweifellos eine Anspielung auf die Auseinandersetzungen der Jahre 1384/85 bzw. 1384–1387. Die concordia nacionum, welche diese Konflikte gelöst hatte, wurde laut der Stellungnahme der deutschen Magister vom Jahre 1409 zu ihrem beträchtlichen Nachteil geschlossen. Obwohl es auf den ersten Blick scheinen mag, die concordia nacionum könne sich in dieser Hinsicht expressis verbis auf das Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze beziehen, darf man sich dieser Sichtweise nicht hingeben. Der Blick der Magister der drei Nationen war nämlich im Januar 1409 durch das soeben er260 Ebd., 181: „Mgr. Andreas Broda, canonicus ecclesiae Pragensis, inter alia medio juramento deponit: ponit primo, sibi constare, quod M. Hus procuravit a rege et a consilio literas contra tres naciones ad obtinendum tres voces pro natione Boemorum contra ordinationem universitatis et concordiam factam inter nationes. [. . . ] Interrogatus, quomodo sciat predicta? Respondit, se interfuisse in Montibus Kuthnis cum aliis magistris trium nationum praedictarum; et in consiliis universitatis publicis hoc ipsum fecit et induxit ad tantum, quod seniores magistri propter minas et terrores sua vota dicere non praesumserunt; quia si quis magistrorum dixit, quod ordinationes firmatae juramento tenerentur, statim ipse Hus cum suis complicibus appellavit eum proditorem regis et regni, et (ut praesumit ipse depones) regi consilia revelavit. Et sic credit articulum esse verum.“ – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 328 f., begründet Andreas’ von Brod Haltung durch seine Angst vor Wenzel IV. für den Fall, dass dieser seine Entscheidung über die Änderung der Universitätsstimmen zurücknimmt und Andreas der Charakterlosigkeit beschuldigt. 261 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 350 f.: „Quod quidem studium in principio suae fundationis de suae benignitatis dispositione in quatuor nationes, scil. Bohemorum, Polonorum, Bavarorum et Saxonum fuit divisum et distinctum: quae quidem nationes in conciliis, judiciis, examinibus, electionibus et ceteris actibus praefati studii usque in praesentem diem omnino fuerunt aequales.“ 262 Ebd., 351: „Post felicem vero obitum D. Imperatoris quaedam dissensio non modica inter nationem Bohemorum ex una et alias tres nationes parte ex altera fuit suborta, quae non cum parvo damno praefatarum trium nationum fuit sopita et exstincta; quare statim ad idem studium non tanta multitudo studentium uti prius affluebat.“
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lassene Kuttenberger Dekret getrübt, und nur durch das Raster dieses momentanen Nachteils konnten sie auch sämtliche vorhergehende Vorgänge betrachten. Für diese Behauptung spricht, dass sie ex post die Auseinandersetzungen aus den 1380er Jahren als die Ursache der sinkenden Studentenzahlen an der Prager Universität ansahen, obwohl auch sie sich bewusst sein mussten, dass dafür das Entstehen vieler neuer Universitäten auf dem Reichsgebiet und die Regionalisierung der Bildung verantwortlich waren. Gegen die Verbindung der hier behandelten concordia nacionum mit dem Kompromiss in Bezug auf die Besetzung der Kollegiatsplätze sprechen auch die weiteren Zeilen jener Supplik der deutschen Magister. Darin wird die concordia nacionum nämlich als ein Abkommen zwischen der böhmischen Universitätsnation und den weiteren drei Universitätsnationen dargestellt („concordia inter nationem Bohemorum parte ex una et alias tres nationes parte ex altera“). Theoretisch kann man dann voraussetzen, auch wenn sich das aus der Wendung „quam litera Vestrae Serenitatis roborastis, gratiose conservetis“ keineswegs eindeutig ergibt, dass dieses Abkommen urkundlich festgeschrieben (offensichtlich in der Form eines notariellen Instrumentes, wie es an der Universität üblich war) und anschließend im Universitätsarchiv aufbewahrt wurde. Aus dem Abkommen über die Kollegien im Jahre 1390 ˇ weiß man jedoch, dass der zwischen Nikolaus Puchník von Cernice und Konrad von Soltau geschlossene Vergleich kein Vergleich zwischen den einzelnen Universitätsnationen war, sondern ein Vergleich zwischen der böhmischen Universitätsnation und dem Karlskolleg. Auch deshalb vermute ich, dass die concordia nacionum, von der die Supplik vom 6. Februar 1409 spricht, kein Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze ist. Der Umstand, dass sich die Urkunde nicht erhalten hat, obwohl sie im Jahre 1409 zweifellos existierte und man ihren Wortlaut überprüfen konnte, legt eher die Vermutung nahe, dass die böhmischen Magister die Urkunde (concordia nacionum) und auch das Abkommen zwischen Nikolaus und Konrad irgendwann nach 1409 vernichten ließen. Ebenso veranlassten sie vermutlich die Einschwärzung des Schwurs in den Universitätsstatuten und die Ersetzung des alten Schwurs, in dem die concordia nacionum vorkam, durch einen neuen, mit einem dem Herrscher und dem Land gegenüber verbindlichen Wortlaut. Die Hypothese von der Tilgung der concordia nacionum aus dem Universitätsgedächtnis unterstützt auch, dass nirgendwo in den singulären Statuten von der concordia nacionum die Rede ist. Hypothetisch besteht die Möglichkeit, dass sich Eintragungen über die concordia nacionum und über das Abkommen zwischen Nikolaus und Konrad im Manuskript XIV D 25 der Tschechischen Nationalbibliothek befinden, das als einziges die singulären Statuten aufbewahrt. Nach dem ersten singulären Statut über die Bursen von 1385 sind dort nämlich die drei folgenden Seiten fast vollkommen ausgekratzt. Ihnen folgen weitere singuläre Statuten aus dem Jahre 1389. Die ausgekratzten Eintragungen betrafen also höchstwahrscheinlich die Jahre 1385–1389 und damit eventuell die Konflikte zwischen den Nationen und die Konflikte um die Besetzung der Kollegiatsplätze. 263 Wenn dies der Fall war, dann würde das Auskratzen der Eintra-
263 Die Bemühungen, diese Eintragungen im Manuskript XIV D 25 mit Hilfe einer Siliziumlampe zu
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Abb. 4 Handschriftliches Blatt aus der Prager Nationalbibliothek, auf dem sich wahrscheinlich die Eintragungen über die Streitigkeiten in den Magisterkollegien und die Concordia nationum befanden.
gungen für die oben angeführte Hypothese sprechen, dass die böhmischen Magister nach 1409 versucht haben, in Prag jegliche Erwähnung der concordia nacionum in den Universitätsquellen zu tilgen. Übrigens kann dasselbe auch bei den Statuten des entziffern, haben bisher nur sehr bescheidene Erkenntnisse gebracht. Das offenbar wichtigste Folio (10 v) ist fast vollständig ausgekratzt. Lesbar ist nur der Anfang der Überschrift: „Anno domini millesimo [. . . ] die IX mensis decembris in rectoratu magistri [. . . ] stuba magistrorum [. . . ].“ Auf dem weiteren Folio (11 r) sind die Reste in der zweiten Zeile lesbar „et tres personas eidem collegio“, dann in der neunten und den folgenden Zeilen die Fragmente: „Item [. . . ] solidam pacem [. . . ] concordiam volumus et promittimus ut nacio boemorum [. . . ] sine dolo ab eliminacione magistri Jacobi [. . . ] de collegio Caroli [. . . ] statuta [. . . ] in libro universitatis [. . . ] sub [. . . ] iuramentis [. . . ] in antea quilibet [. . . ] facultate [. . . ] iuravi [. . . ].“ Ab Zeile 16 ist dann die Eintragung wiederum völlig unentzifferbar. Das folgende Folio (11 v) wurde nur zu einem Viertel beschrieben, die Eintragung ist aber wieder unlesbar. Die einzig möglichen Schlüsse daraus sind, dass die Eintragung auf dem Folio (11 r) das Karlskolleg betraf, dass hier offenbar der Kollegiat „Jacobus“ erscheint, der im gegebenen Augenblick nur Jakob von Briczen sein kann, und dass hier die Rede von drei Kollegiatsplätzen ist. Ferner kann nur festgestellt werden, dass dieser Eintragung eine andere Eintragung vorangegangen war, und zwar auf dem Folio (10 v), wahrscheinlich vom 9. Dezember eines unbekannten Jahres. Für die Hilfe bei der „Entzifferung“ der Eintragungen bin ich Jan Hrdina verbunden.
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Karlskollegs vom Ende des 14. Jahrhunderts stattgefunden haben. Im Wortlaut aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts findet sich nämlich nicht einmal der geringste Hinweis auf die Auseinandersetzungen um die Kollegiatsplätze bzw. um das Prinzip der Besetzung der Präbenden nach der Zugehörigkeit zu den Universitätsnationen. Aus der Logik der Sache ergibt sich, dass nach 1385 bzw. 1390 die Kollegstatuten reformiert und dass die geschlossenen Abkommen auf irgendwelche Weise in ihrem Wortlaut erwähnt werden mussten. Die Zeit der mündlichen Überlieferung war an der Prager Alma Mater nämlich längst zu Ende gegangen und an ihre Stelle trat die schriftliche Fixierung der Vorschriften und Gewohnheiten. In Bezug auf die Aufteilung der Universität in vier Nationen bereits bei ihrer Gründung ist es bezeichnend, dass der Autor der „Chronik der Prager Universität“ eine analoge Argumentation verfolgt, 264 und zwar ungeachtet dessen, dass in der Gründungsurkunde von den Nationen keine Rede ist. Anderseits arbeiten die „Ordinaciones“ des Ernst von Pardubitz von 1360, in denen die vier Nationen zum ersten Mal erwähnt werden, mit den Nationen als voll funktionierenden Institutionen. Das deutet darauf hin, dass ihre Einführung in das Universitätsleben älteren Datums war, möglicherweise bereits in den allerersten Anfängen der Universität erfolgte, auch wenn nicht in der ausgeprägten Form wie Anfang der siebziger Jahre, als die Universitätswürdenträger nach den einzelnen Nationen gewählt wurden. Aber auch so bezeugen beide Überlieferungen (die „Chronik der Prager Universität“ und die Supplik der deutschen Magister, in der sie die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes ablehnen) das in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts bestehende Bewusstsein von den Anfängen des Universitätslebens. Zu diesem gehört auch die Vorstellung von der Aufteilung der Universität in vier Nationen als Urgrund des Studium generale. Die Anregung dazu kann selbstverständlich der Hinweis in Karls Gründungsurkunde geliefert haben, nach dem sich die Prager Hohe Schule sowohl nach dem Bologneser als auch nach dem Pariser Vorbild richten sollte, wo Universitätsnationen (die französische, die normannische, die picardische und die englische) eine bedeutende Rolle in der Universitätsverwaltung spielten. Auf der Argumentationsebene der deutschen Magister hatte die Berufung auf die anfänglichen Gewohnheiten ihre Bedeutung v. a. darin, dass die Repräsentanten der drei auswärtigen Universitätsnationen bereits von Anfang an die Existenz der Nationen mit der Universitätsverwaltung, mit der Rektor- und Examinatorenwahl, mit der Tätigkeit der Gerichtsorgane und des Gremiums der Consiliarii verbanden. Da das Kuttenberger Dekret die Aufteilung der Universi264 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 567: „Anno domini MCCCXLVIII Karolus imperator fundavit in Praga studium universale in theologia, iure canonico, medicina et in artibus. Cuius locus primo fuit in domo contigua cimiterio sancti Francisci, post in domo Lazari inter Judeos. Et nunc in domo Rotlebi in foro sancti Galli. Hec itaque universitas in quattuor naciones fuit distincta: Bohemorum, Bavarorum, Polonorum, et Saxonum. Et de die in diem miro modo augebatur. Sub uno tantum universitatis rectore.“ – Für die Bedeutung des Schwurs und seiner Verletzung ist allerdings bemerkenswert, dass der Autor der „Chronik der Prager Universität“ die Juristen als Meineidige betrachtet, die sich 1372 von der Vierfakultätenuniversität abgetrennt hatten – ebd.: „Hinc iuriste ab artistis et aliis facultatibus se contra eorum iuramenta diviserunt, in quo hucusque indurato animo persistunt.“
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tät in vier Nationen nicht in Zweifel zog, sondern die ursprüngliche Parität ersetzte, argumentierten die deutschen Magister mit der Stärke der rechtlichen Traditionen und Gewohnheiten, die ihrer Überzeugung nach seit der Gründung der Universität geherrscht hatten. Die deutschen Magister waren in ihrem Bestreben, die ursprüngliche, also paritätische Vertretung zu bewahren, anderseits auch imstande, alte Gewohnheiten aufzugeben. So schlugen sie den oben angeführten Kompromiss vor, dessen Kern die Aufteilung der Dreifakultätenuniversität in einen böhmischen und in einen Teil der drei auswärtigen Universitätsnationen war. Das erinnert an den radikalen Schritt, zu dem sich 1372 die Juristen entschlossen hatten. Es bleibt jedoch die Frage, ob dieser Kompromiss nicht bloß eine spontane Eingebung irgendeines geschäftigen Magisters war. Er kommt nämlich in keiner weiteren Verhandlung und in keinen späteren Echos auf den Streit um das Kuttenberger Dekret vor. Deshalb ist es mehr als strittig, ob sich mit ihm der böhmische König oder Repräsentanten der böhmischen Universitätsnation überhaupt einmal befasst haben. Denkbar ist auch Folgendes: Die Verhandlungen verliefen so schnell, dass sich die deutschen Magister schließlich mehrheitlich dazu entschlossen, den Streit durch einen radikalen Schritt zu lösen, nämlich durch die Androhung ihres gemeinschaftlichen Weggangs von Prag. Sie bekräftigten ihr Ansinnen mit einem Schwur, dessen Bruch unter vierfach schwerer Strafe stand. Einem Schwurbrecher drohten der Vorwurf des Meineids, die Belegung mit dem Kirchenbann, der Verlust der Ehre und eine Geldstrafe in Höhe von 100 Schock Groschen. 265 Auf den Schwur bezüglich der Einhaltung der concordia nacionum reagierte auch die „Defensio mandati“ des Johannes von Jessenitz. 266 Er verteidigt darin v. a. das Recht des Königs, die Universitätsstatuten zu ändern, und zwar aufgrund des kanonischen und des natürlichen Rechts. Und da der König auf eine beliebige Weise in das Universitätsleben eingreifen und ein neues Recht bzw. neue Privilegien erteilen dürfe, verliere der zuvor geleistete Schwur seine Gültigkeit. 267 Für diese Untersuchung ist jedoch Johannes’ Auslegung des vierten Einwands der „deutschen Nation“ (nacio teutonica) wichtiger. Ihm zufolge argumentierte die deutsche Nation damit: Nach dem Abschluss der concordia nacionum zwischen der böhmischen und den drei übrigen Universitätsnationen habe jeder Universitarier bei seiner Intitulation (Immatrikulation) geschworen, dass keine Nation, auch nicht mehrere Nationen gemeinsam, einen Streit einleiten oder Unruhen gegen eine andere Nation bzw. andere Nationen stiften werde wegen eines Vorteils oder einer anderen Sache, zu der sie kein sich aus den bis dahin erlassenen Urkunden des Papstes oder des Königs ergebendes
265 Der Wortlaut des Schwurs in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 352. 266 Zu seiner Urheberschaft überzeugend Kejˇr, Dvˇe studie o husitském právnictví (wie Anm. 51); Ders., Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52). 267 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 355, 361 f.
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Recht genieße. 268 Dass Johannes dem Vorwurf der deutschen Magister mit der Behauptung auswich, zum gegebenen Zeitpunkt habe die böhmische Universitätsnation keinen Streit mit den Nationen bzw. mit der deutschen Nation angefangen, sondern lediglich das Geschenk des Fürsten angenommen, 269 lasse ich vorläufig beiseite. (Seine Argumentation ist unter rechtlichen Gesichtspunkten wirklich durchdacht, denn im Unterschied zu 1384 begannen die Mitglieder der böhmischen Universitätsnation 1409 keinen Streit mit den drei anderen Universitätsnationen vor dem Gericht des Erzbischofs und Universitätskanzlers.) Viel wichtiger für das Verständnis der concordia nacionum ist, dass das Abkommen zwischen der böhmischen Universitätsnation und den drei auswärtigen Universitätsnationen zu einem Teil aus einer gegenseitigen Verpflichtung bestand, nach der keine Universitätsnation einen Streit gegen eine andere Universitätsnation oder gegen die übrigen Universitätsnationen beginnen und führen werde. Damit spielte dieses Abkommen zweifellos auf die Ereignisse vom Dezember 1384 an, als die böhmische Universitätsnation unter Mitwirkung des Johannes von Jenstein einen Prozess vor dem erzbischöflichen Gericht anstrengte. Aus der Schilderung des Johannes von Jessenitz geht gleichzeitig hervor, dass der Erzbischof von Prag als Vermittler der concordia nacionum, deren Abschluss in die ersten Monate des Jahres 1385 zu datieren ist, in der Folge bei der Beilegung von Auseinandersetzungen zwischen den Universitätsnationen ausgeschlossen wurde, und zwar auch als Universitätskanzler. Er konnte also die Universitätsverwaltung künftig nicht mehr beeinflussen, wie er das noch Ende 1384 versucht hatte. Charakteristisch ist dabei, wie oben schon detailliert aufgezeigt, dass nach dem Spruch der acht Arbiter bereits die Einträge bezüglich des Streites zwischen den einzelnen Universitätsnationen in den Akten der Generalvikare verschwinden – mit Ausnahme der aus rein verfahrensrechtlichen Gründen angestrengten Exkommunikation der deutschen Magister, die trotz deren Kontumazierung zu einer leeren Geste wurde. Im Zusammenhang mit der Schrift „Defensio mandati“ ist auch darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Autor – auch wenn er Punkt für Punkt die Argumentation der „deutschen Nation“ ablehnt – nicht auf den Wortlaut der Supplik vom 6. Februar 1409 reagiert, sondern auf den heute unbekannten Einspruch, mit dem sich die deutschen Magister an Wenzel IV. gewandt hatten. In der Supplik vom 6. Februar findet sich nämlich keine Passage, die einer solchen Auslegung der concordia nacionum entspräche. Das bestätigt meines Erachtens die Hypothese, dass die von den drei deutschen Universitätsnationen vorgelegten Vorschläge viel zahlreicher waren als der allein überlieferte, die Dreifakultätenuniversität in eine böhmische und eine deutsche aufzuteilen, und dass man Hals über Kopf nach einer Lösung suchte.
268 Ebd., 360: „Quarto objicit natio Teutonica sic: Post concordiam factam inter nationem Bohemicam et alias tres nationes quilibet intitulando se in librum universitatis juravit, quod una nationum vel plures non moveat aut moveant litem vel disturbium contra aliam vel alias super quacumque praerogativa aut materia, nisi expresse sibi jus competat super talibus ex literis et privilegiis papalibus aut regalibus hucusque habitis et concessis.“ 269 Ebd.: „Nam natio Bohemica non movit litem contra nationes vel nationem Teutonicam, sed grate donationem serenissimi acceptans principis, vult juste de donatione trium vocum gaudere.“
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Die Behauptung, Johannes von Jessenitz reagiere nicht auf die Supplik vom 6. Februar, unterstützt auch die Tatsache, dass er sich in der „Defensio mandati“ in keiner Weise zu deren Argumentation äußert. Das hat in der modernen Literatur die Ansicht befördert, Wenzel IV. habe die concordia nacionum mit einer eigenen Urkunde bestätigt. 270 Johannes konnte zwar im Zusammenhang mit dem Schwur auf die concordia nacionum verschweigen, dass Wenzel jenen Vergleich bestätigt hat. Tatsächlich hatte er jedoch nicht den mindesten Grund dazu, weil er von der Prämisse ausging, dass der Herrscher das Recht habe, seine früheren Entscheidungen beliebig zu ändern und den inneren Universitätsbetrieb auf eine beliebige Weise zu regeln. Die Berufung auf die Bestätigung der concordia nacionum durch den böhmischen König mit einer eigenen Urkunde, von der die Supplik vom 6. Februar 1409 spricht, scheint auf den ersten Blick eindeutig: „praecipue in concordia inter nationem Bohemorum parte ex una et alias tres nationes parte ex altera ante multa tempora celebrata, quam litera Vestrae Serenitatis roborastis, gratiose conservetis“. 271 Betrachtet man die Supplik jedoch als ein Ganzes, dann verliert sie an Eindeutigkeit. Wie bereits angeführt, behaupten die deutschen Magister darin, die Aufteilung der Prager Universität in vier Universitätsnationen habe bereits von Anfang an geherrscht, und dies obwohl die gegnerische Partei sehr leicht anhand der Gründungsurkunde nachprüfen konnte, dass dem nicht so war. Die deutschen Magister waren sich dessen offenbar bewusst. Auf der anderen Seite kann man ihre Schilderung der Ereignisse auch als ihre Auslegung, ihre Interpretation der universitären Anfänge verstehen, von denen sie bereits einige Jahrzehnte trennten. Dasselbe gilt meiner Meinung nach für die Urkunde Wenzels IV., von der in der Supplik die Rede ist. Die Magister der drei deutschen Universitätsnationen können nämlich das Verb „roborare“ im Sinne von „stärken“ benutzt haben. Dann hätte die Urkunde Wenzels IV. die concordia nacionum „gestärkt“ oder „unterstützt“ und nicht „bestätigt“, auch wenn man das Verb „roborare“ auch so auslegen kann. Nur ist dann zu fragen, ob im diplomatischen Sinn des Wortes. Jene „Stärkung“ kann nämlich theoretisch auch eine Urkunde gewesen sein, in welcher der König dem Abkommen zwischen den Universitätsnationen seine allgemeine Zustimmung ausgesprochen hat. Eine solche Urkunde ist jedoch nicht erhalten. Und um die Wahrheit zu sagen, bis 1409 fehlen jegliche Hinweise auf eine Einmischung des Königs in die Universitätsverwaltung, mit Ausnahme der erteilten Privilegien und Vorrechte. Das erste Statut übergab der Erzbischof von Prag der Universität in Form der „Ordinaciones“, die einen Passus über das Recht der Universität enthalten, ihr Leben mittels Statuten zu regeln. Der König griff auch in keiner Weise in die Aufteilung der Universität im Jahre 1372 ein. Es gibt auch keinen Beleg einer rückwirkenden Sanktionierung des entstandenen Zustands durch Karl IV. Das könnte daran liegen, dass der Kaiser durch seine Haltung de facto die Kontinuität mit der Zeit 270 Eine Bestätigung der concordia nacionum, einerlei was mit dieser gemeint sein mag, setzen z. B. voraus Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy (wie Anm. 19), hier Bd. 3, 334; Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 327; Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 52 (1914), 483; Spˇeváˇcek, Václav IV. (wie Anm. 99), 378. 271 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 351.
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vor 1372 deklarierte, denn auch weiterhin gab es in Prag nur ein Studium generale. Analog dazu muss es auch keine beurkundeten Sanktionierungen der Lösung des Konfliktes von 1385–1390 durch den König gegeben haben, ungeachtet dessen, dass sowohl das Karls- als auch das Wenzelskolleg landesherrliche Stiftungen waren und dass der König ihnen gegenüber seine Stifterrechte hätte geltend machen können. Wenn also Wenzel IV. im Jahre 1385 wirklich keine Bestätigungsurkunde erlassen hat, dann kann er sich tatsächlich wie sein Vater im Jahre 1372 verhalten haben, d. h. durch seine äußerlich passive Haltung deklarierte er die Kontinuität der Universitätsgewohnheiten vor und nach 1385. Denn auch vorher hatte die Eintracht der Nationen an der Universität geherrscht, obwohl von ihr keine Rede in den Universitätsstatuten ist und obwohl sie unter dem Einfluss der Konflikte zwischen den Nationen in Form jenes Schwurs des Rektors und der Universitarier neu in die Statuten eingefügt werden musste. Meiner Ansicht nach ist es sehr bedeutend, dass nicht einmal eine dieser vorausgesetzten Urkunden, Bestätigungen oder selbständigen Herrscherprivilegien in den Listen der Universitätsprivilegien aufgeführt ist, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts zusammengestellt wurden. 272 Das spricht eher für die Behauptung, solche Urkunden habe es überhaupt nicht gegeben. Im Falle der Bestätigung der concordia nacionum wird diese Auffassung noch dadurch gestützt, dass es außer dem problematischen Passus in der Supplik vom 6. Februar 1409 in den Quellen keinen weiteren Hinweis auf die Zustimmung oder die Bestätigung der concordia nacionum durch den König gibt, obwohl eine solche in der Argumentation der ehemaligen Prager Universitarier gegen Wenzel einen willkommenen und leicht propagandistisch benutzbaren Artikel dargestellt hätte. Aus den oben angedeuteten Gründen vermute ich daher, dass jener Passus „quam litera Vestrae Serenitatis roborastis“ andere Urkunden Wenzels betrifft, mittels derer er zur Stärkung der Gerichtsautonomie der Universität beigetragen hat. Aus Johannes’ von Jessenitz Darstellung weiß man nämlich, dass die concordia nacionum Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen verbot und so die Jurisdiktion des Erzbischofs und Universitätskanzlers schwächte. Als eine Art Unterstützung der concordia nacionum kann von den deutschen Magistern in ihrer retrospektiven Sicht von 1409 daher auch Wenzels Privileg aufgefasst worden sein, das 1392 die Universitarier der Jurisdiktion aller Gerichte im Königreich Böhmen entzog, 273 eventuell auch Wenzels Beitrag zum Erwerb des päpstlichen Privilegs, 274 mittels dessen der Universität eine neue Gerichtsautonomie zuteil wurde und mittels dessen die Universitarier der Jurisdiktion aller Gerichte der Prager Diözese entzogen wurden (dazu ausführlicher im nächsten Kapitel).
272 Dazu vgl. Beránek, Karel: Akta komise pro reformu pražské university z roku 1547 [Akten der Kommission für die Reform der Prager Universität aus dem Jahre 1547]. In: StR 31 (1995–1996), 45–67. – Zur Privilegienliste vgl. Haas, Antonín: Archiv Karlovy university [Archiv der Karlsuniˇ versität]. In: CAŠ 15–16 (1939), 8–16. 273 MUPr II /2, 325–327. 274 Ebd., 370–374.
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Unter dem Aspekt der bisherigen Universitätsgewohnheiten widersprach Johannes’ Verteidigung des Mandates von Wenzel völlig dem Geist der Universitätsstatuten (mit Ausnahme des Hinweises darauf, dass die böhmische Universitätsnation damals keinen Streit gegen eine andere oder gegen alle übrigen Universitätsnationen angefangen hat). Selbst die deutschen Magister räumten ein, der König könne der Universität Vorrechte erteilen. Gleichzeitig bestritten sie jedoch, dass er das allgemeine Abkommen zwischen den Universitätsnationen verletzen dürfe, also die concordia nacionum, die an der Universität herrschte und auf die alle Universitarier schworen. Der Vorschlag der deutschen Magister, die Universität in eine böhmische und eine „deutsche“ aufzuteilen, stellte – sofern er keine spontane Eingebung eines Einzelnen ohne breiteren Anklang war – keine Verletzung der concordia nacionum dar, sondern vielmehr ein Versuch zur Wiederherstellung jener durch das Kuttenberger Dekret zerstörten Eintracht. Auch wenn der Vorschlag, die Dreifakultätenuniversität in zwei eigenständige Universitätsgemeinden aufzuteilen, den bisherigen Gewohnheiten widersprach, hielt er nichtsdestoweniger am paritätischen System der Jurisdiktion der einzelnen Nationen fest – zweifellos mit einer bewussten Bevorzugung der böhmischen Universitätsnation, also analog ihrer Bevorzugung bei der Besetzung der Kollegiatsplätze in den 1380er Jahren. Die Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit des Kuttenberger Dekretes waren nicht das einzige Echo auf die Form der bestehenden concordia nacionum. Ins Gespräch kam diese Frage auch im Rahmen des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag, in dem der Hitzkopf der Universität unter anderem des Meineids beschuldigt wurde: „Item et quod ipse iuravit, quod inter naciones studii Pragensis servare et procurare vellet unionem et amiciciam et divisionem evitare, quo non obstante et fecit divisionem, discordiam et inimiciciam maximam inter naciones predictas, usque ad desolationem universitatis eiusdem fere deductis; et sic reatum periurii incurrit palam, publice et notorie.“ 275 Bereits diese Beschuldigung interpretiert die concordia nacionum als Verbundenheit und Freundschaft zwischen den Universitätsnationen, also auf einer ganz allgemeinen Ebene, und behandelt Hieronymus als einen Menschen, der gegen diese Eintracht auftrat und Feindschaft zwischen den Universitätsnationen schürte. Dessen Antwort darauf ist leider unbekannt. Aber aus seinen Aussagen bei der Untersuchung in Konstanz geht eindeutig hervor, dass er sich des Meineids und der Verletzung der Eintracht der Nationen an der Prager Universität für nicht schuldig befand. 276 Zum vermeintlichen Meineid des Hieronymus von Prag äußerten sich in Wien auch einzelne Zeugen. Wenn auch gerade diese Zeugen, also diejenigen, die ursprünglich an der Prager Alma Mater studierten, zweckgebunden und ungenau aussagten, bieten ihre Betrachtungen trotzdem ein subjektives Zeugnis von der zeitge275 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 9 f. 276 Zum Konstanzer Prozess des Hieronymus von Prag und zu seiner Haltung in Konstanz zuletzt Šmahel, František: The Acta of the Constance Trial of Master Jerome of Prague. In: Text and Controversy from Wyclif to Bale. Essays in Honour of Anne Hudson. Hg. v. Helen Barr und Ann M. Hutchison. Turnhout 2005, 323–334.
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Abb. 5 Eid auf die Universitätsstatuten.
nössischen Auslegung der concordia nacionum. Johannes Schwab von Butzbach 277 sagte Folgendes aus: „Secundo interrogatus de periurio respondit, quod sic, quia de more universitatis studii Pragensis sit, quod quilibet iurat, cum primo intitulatur, quod velit servare concordiam inter naciones; et contra hoc venerit propria in persona, quia visitaverit dominum regem ad extrahendum litteras contra concordiam
277 Zu Johannes Schwab von Butzbach und zu weiteren Zeugen im Wiener Inquisitionsprozess gegen Hieronymus von Prag vgl. Strnad, Alfred A.: Die Zeugen im Wiener Prozeß gegen Hieronymus von Prag. Prosopographische Anmerkungen zu einem Inquisitionsverfahren im Vorfelde des Hussitismus. In: Husitství, reformace, renesance. Sborník 60. narozeninám Františka Šmahela. Bd. 1. Hg. v. Jaroslav Pánek, Miloslav Polívka und Noemi Rejchrtová. Praha 1994, 331–368. Die einzelnen Aussagen sind allerdings nicht unproblematisch und man kann sie nicht unkritisch übernehmen, wie es die bisherige Forschung meistens getan hat. Dazu Nodl, Pamˇet’ a intelektuál (wie Anm. 2), 376–384.
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factam et fuerit in convocacione dando vocem suam, ut nacio Bohemorum haberet tres voces et alie tres naciones solum unam, et ex hoc ortum sit scisma et discordia inter naciones Prage; per quod violaverit iuramentum. Interrogatus, unde sciat, quod dederit talem vocem, dicit, quod interfuerit, quod expresserit ita in stuba facultatis in collegio Karoli, anno nono, mensem ignorat et diem, imo plures convocaciones fuerint acte, presentibus magistris de universitate omnibus, nisi aliqui contra iuramentum ipsorum se absentassent.“ 278 Laut Schwab schwor also jeder Universitarier, die Eintracht zwischen den Nationen einzuhalten, und das Dekret verletzte diese Eintracht. Konrad Kreuczer von Nürnberg, dessen Aussagen denen von Schwab oft ähneln, sodass eine vorherige Abstimmung der Zeugenaussagen zwischen den beiden neuen Magister-Regenten der Wiener Universität anzunehmen ist, fasste jene Eintracht wiederum allgemein auf und beschuldigte Hieronymus, mit Taten und Traktaten aktiv gegen die Eintracht der Nationen aufgetreten zu sein. 279 Johannes von Voburg, ebenfalls ein Wiener magister actu regens, in Prag jedoch wie seine beiden Vorgänger bloß Bakkalaureus, fügte sogar hinzu, Hieronymus sei dadurch zum Meineidigen geworden, weil er gegen die Universitätsstatuten auftrat, auf die er geschworen hatte. 280 Auch Nikolaus Czungl, der Prager Student und Schüler des Prager Magisters Georg Meller war, hielt die concordia nacionum für eine althergebrachte Gewohnheit, die Hieronymus durch seine auf den Erlass des Kuttenberger Dekretes abzielenden Aktivitäten verletzt habe. Dies habe dann die Nationen an der Universität zur Zwietracht gebracht. 281 Johannes Tesser, ebenfalls ein früherer Prager Student, verband
278 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 16. Dazu vgl. die Aussage Konrad Kreuczers (ebd., 18 f.): „De periurio dicit, ut supra magister Johannes Puczpach respondit et dixit. Sed tamen dicit se non interfuisse tractatibus suis, quibus mediante laboravit ad discordiam, sed viderit eum currere cum aliis Boemis ad regem et alibi hincinde, et clareat luce, quod per hoc fecerit contra iuramentum suum; nec ipse neget per se, et audiverit noviter ab ipso magistro Jeronimo, quod, si non fecisset discordiam, adhuc vellet laborare cum Boemis, quia dignum et iustum esset incolas habere prerogacionem. Interrogatus, ubi dixerit, dicit, quod circa apothecam domini prepositi hic Wienne, in presencia magistri Johanni Puczpach et aliorum, quia ex abrupto convenerint volentes ire pro spacio; et sic increpaverit magistrum Johannem Puczpach, quod digito eum in scolis monstrasset, et dixerit, quod caritative deberent vivere, et sic ipsi dixerint, quod ipse non caritative vixisset, quod laborasset contra iuramentum suum. Tunc dixerit, quod fuisset minimus inter laboratores contra deuthunicos, subiugendo predicta, scilicet si non fecisset et.“ 279 Ebd., 18 f. 280 Ebd., 20: „Item de periurio dicit, quod credat eum periurum, quia venerit contra statutum matricule universitatis Pragensis, ubi quilibet intitulatus iurat servare concordiam nacionum; contra quod, ut credat laboraverit magister Jeronimus ex eo, quia viderit eum vehi cum Johanne Huss in quodam curru in via, que ducit de opido Petlern, ubi residet rex, et non credat eum pro illis tribus nacionibus laborasse, sed pro nacione Boemorum.“ 281 Ebd., 23 f.: „Item de periurio dicit, quod audiverit a magistro suo Georgio Mellear, quod, veniente magistro Jeronimo de studio Parisiensi ad Pragense, nolebatur admitti, nisi prius faceret iuramentum solitum, in quo cavetur, quod non debet quis facere et seminare discordiam inter naciones. Et contra hoc venerit magister Jeronimus post prestitum iuramentum. Interrogatus, quomodo sciat, quod violaverit iuramentum vel venerit contra, et per quem, dicit, quod sic, quia laboraverit ad hoc, ut nacio Boemorum haberet tres voces et alie solum unam, contra antiquam consuetudinem et modum.
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wie Johannes von Voburg die Verletzung der Eintracht zwischen den Universitätsnationen mit der Verletzung der Universitätsstatuten. 282 Der Wiener (und vormalige Prager) Student Achacius Chenczl von Salzburg sagte aus, dass Hieronymus im Widerspruch zu dem bei der Intitulation zu leistenden Schwur die Zwietracht zwischen den Universitätsnationen geschürt habe: „Sed de periurio dicit quod credat, eum esse periurum. Interrogatus, quare, dicit, quia procuraverit discordiam inter naciones, quod est contra iuramentum intitulatorum matricule universitatis, ut fuerit communis fama inter studentes Prage pro tunc.“ 283 Die übrigen Zeugen im Wiener Prozess wussten nichts von einem Meineid und äußerten sich deshalb nicht zur Beziehung zwischen der Verletzung des Schwurs und der Eintracht der Nationen an der Universität. Das Formular der Inquisitionsuntersuchung zwang sie in keiner Weise dazu. Übrigens wussten die Richter zum gegeben Zeitpunkt bereits genug, und man brauchte deshalb keine weiteren Beweise für den Meineid und die Verletzung der concordia nacionum an der Prager Hohen Schule. Für diese Untersuchung ist es bedeutend, dass alle Stimmen zur concordia nacionum in Zusammenhang mit dem Meineid des Hieronymus sie als ein althergebrachtes Abkommen auffassten, das die Stabilität der Prager Hohen Schule sichern sowie Konflikte und Streit zwischen den einzelnen Universitätsnationen verhindern sollte. Die ehemaligen Prager Universitarier verbanden die concordia nacionum mit den Universitätsstatuten und mit dem Schwur bei der Intitulation. Dabei erwähnt jedoch keiner von ihnen, dass ein Bestandteil dieses Schwurs die Einhaltung der Eintracht nicht nur zwischen den Nationen, sondern auch in den Magisterkollegien war. Es spricht daher nichts dafür, dass der Wortlaut des Schwurs, der aus dem Manuskript 14.446 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien bekannt ist und durch die Rubrik „Nova formula juramenti studiosorum“ eingeleitet wird, dem Wortlaut des Schwurs bei der Intitulation entsprochen hat. Alle analysierten Quellen, die sich im Zusammenhang mit den Streitigkeiten um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes direkt und indirekt auf die concordia nacio-
Interrogatus, quibus mediis laboraverit ad hoc, vel quando et apud quos, dicit, quod apud regem et Boemos temptaverit hec introducere, et hoc fuerit communis fama et vox singulorum; imo iam clareat luce, quod ipse magister Jeronimus et ceteri magistri Boemi hoc attemptarunt, propter que ut ortum sit scisma inter naciones studii Pragensis. Alias non sciat, quia non interfuerit tractatibus suis.“ 282 Ebd., 25: „Item de periurio dicit, supposito, quod iuravit in intitulacione, sicut quilibet iurat, servare concordiam factam inter naciones tres ex una parte et nacione Boemorum ex altera parte, tunc sit factus periurus, qui quesiverit cum aliis Boemis prerogativam contra consuetudinem et statuta universitatis Pragensis, videlicet habere tres voces in disposicione universitatis; ex una prerogativa ortum sit scisma et discordia inter naciones, et consequenter non servaverit concordiam. Interrogatus, ubi laboraverit pro illa prerogativa, dicit, quod Prage; unde sciat, dicit, quod ex fama communi magistrorum et studencium aliarum trium nacionum. Interrogatus, quomodo quesiverit prerogativam, et quibus mediis, dicit, quod non sciat, sed magistri de nacione Boemorum per se sciant, que attemptaverint in mitigando et inducendo regem.“ 283 Ebd., 27.
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num berufen, belegen, dass die concordia nacionum von den Universitariern als ein allgemeines Abkommen betrachtet wurde, das an der Prager Universität bis zum Erlass des königlichen Dekretes im Januar 1409 galt. Welche Form dieses Abkommen hatte, weiß man leider nicht. Mit größter Wahrscheinlichkeit nahm man es in die Universitätsverwaltung als ein singuläres Statut auf, das durch eine Vereinbarung aller Universitätsnationen entstanden war. Außerdem wurde offenbar gleich im Jahre 1385 ein Hinweis auf die concordia nacionum in den Schwur des Rektors bei seiner Amtseinweisung und in den Schwur der Universitarier bei ihrer Intitulation eingegliedert. Der Kern des Abkommens, dessen Nichteinhaltung mindestens mit den sich auf den Schwurbruch beziehenden Strafen bedroht wurde, waren v. a. der Appell zur paritätischen Vertretung der einzelnen Nationen in der Verwaltung der Universitätsgemeinde und das Verbot, Streitigkeiten und Händel zwischen den einzelnen Nationen aus der Universitätsgemeinde hinauszutragen, also vor den König, den Erzbischof als Universitätskanzler oder gar vor die päpstliche Kurie. Die Beilegung künftiger Streitigkeiten sollte den Universitariern selbst überlassen werden, die dazu aus ihren Reihen Friedensrichter auswählen sollten. Wie jedoch die Aussagen der Zeugen des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag zeigen, kann die Auslegung der Verletzung der Eintracht zwischen den Nationen sehr frei gewesen sein. Wie in den weiteren Kapiteln noch detailliert gezeigt wird, standen den deutschen Magistern in dem Augenblick, als sie davon überzeugt waren, dass die Magister aus der nacio bohemorum jenes allgemeine Abkommen verletzt hatten, keine Mittel zur Verfügung, seine Einhaltung zu erzwingen. Die concordia nacionum war also in Wirklichkeit ein brüchiges Abkommen, das an der Universität nur insoweit gelten konnte, als die Universitätsnationen in konfliktträchtigen Situationen Kompromissbereitschaft äußerten. Der Begriff concordia kam im Umfeld der Prager Universität sehr oft vor. Das die Besetzung der Kollegiatsplätze betreffende Abkommen zwischen Nikolaus Puchník ˇ von Cernice und Konrad von Soltau wurde im Jahre 1390 als concordia bezeichnet. Dasselbe gilt auch für das Abkommen zwischen den einzelnen Fakultäten aus dem Jahre 1392, dessen Nichteinhaltung mit einer Strafe von 2000 Gulden bestraft und das ebenfalls mittels der durch die Universitarier gewählten Friedensrichter geschlossen wurde. 284 Vor allem dieses Abkommen zwischen den Fakultäten war analog der concordia nacionum eine allgemeine Vereinbarung zwischen den Parteien, im gegebenen Fall zwischen den Fakultäten, welche die Form eines allgemein verbindlichen singulären Statuts hatte. Im Unterschied zur concordia nacionum wurde jedoch der Schwur auf die Einhaltung des Friedens zwischen den Fakultäten nicht in den Schwur des Rektors und in den Schwur der Universitarier aufgenommen und so auch nicht zu einem „Grundgesetz der Universität“. Dieses war dagegen die concordia nacionum, das Abkommen über die Eintracht zwischen den Nationen an der
284 MUPr III, 18: „concordia facta inter facultates“, 20: „ad dictandum poenam excedentibus contra concordiam inter facultates“.
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Prager Universität. Es wollte die latente Spannung zwischen diesen unterdrücken und überließ die Lösung der den gewöhnlichen Rahmen des Universitätslebens überschreitenden Streitigkeiten künftig den Universitariern selbst. Für diese stärkte die Einhaltung der Eintracht die wiederholt durch die Außenwelt bedrohte Universitätsautonomie.
III Vor dem Sturm: die goldenen neunziger Jahre des 14. Jahrhunder ts In der Forschung stehen die 1390er Jahre im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten und auch zu den ersten 20 Jahren des „hussitischen“ Jahrhunderts bisher nicht im Fokus. Und dabei kam es gerade in den neunziger Jahren zu grundsätzlichen Veränderungen, die jene Spannungen zwischen den Ansichten vorbereiteten, die in ihren damals noch ungeahnten Folgen zum Prestigeverlust der Prager Alma Mater führen sollten. In den neunziger Jahren verschwanden aus dem Umfeld der Prager Universität die reformorientierten Theologen deutscher Herkunft. Zur gleichen Zeit begann ein Generationswechsel bei den aktiven Magistern der böhmischen Universitätsnation, verbunden mit einer umfangreichen Rezeption der an Wyclif orientierten realistischen Philosophie, welche die alten und jungen Magister in Konfrontation brachte. Möglicherweise als Folge des Konfliktes um die Kollegiatsplätze bzw. des Konfliktes um einen leichteren Zugang der böhmischen Magister zu den Universitätsbenefizien, also zu einer freieren und wirtschaftlich unabhängigeren Ausübung ihres akademischen Berufes, nahm auch bei einem Teil des böhmischen Adels und des böhmischen Bürgertums das Interesse an der Universität zu. Diese Schichten trugen mittels Stiftungen und Schenkungen an die böhmische Universitätsnation zur deutlichen Verbesserung ihrer materiellen Absicherung bei. So war die böhmische Universitätsnation, die vorläufig noch nicht durch die wiklifitische Reformpartei repräsentiert wurde, sondern durch Gelehrte alter Prägung wie Johannes Wenceslai von Prag, Nikolaus von Rakonitz, Johannes von Hohenmauth und Stephan von Kolin, im Vergleich zu den übrigen Nationen zum exklusiven Empfänger von Schenkungen geworden. Im Hintergrund dieser Schenkungen standen freilich auch Motive wie die Entwicklung der tschechischen Predigt in Prag und bei Stiftungen speziell für arme Studenten auch die Vertiefung des Glaubens – eine innere Christianisierung bei den Laien im Sinne der neuen Frömmigkeit. Dass von diesen erhöhten Stiftungsaktivitäten, die v. a. den künftigen Generationen der böhmischen Universitätsstudenten und -magister galten, in einigen Fällen bereits ausschließlich die Universitarier tschechischer Sprache und daher die Intellektuellen mit tschechischem Nationalbewusstsein, schließlich die durch die Wyclif’sche Lehre beeinflussten Magister und Bakkalaurei profitieren sollten, konnte zum gegebenen Zeitpunkt noch niemand ahnen. Bis zum Ende der neunziger Jahre beschränkte sich nämlich die Rezeption der philosophischen Ansichten des „Doctor evangelicus“ nur auf einen engen Kreis von bis dahin nicht sehr einflussreichen böhmischen Universitariern, und die Konflikte mit den Anhängern des Buridanischen Nominalismus blieben auf akademische Disputationen während der Universitätslektionen und der Jahresquodlibets begrenzt.
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Stärkung der Universitätsautonomie Ab den siebziger und achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts besaß die Prager Universität ein voll entwickeltes Studium generale, das auch die Verselbständigung der sozial exklusiven Juristen ohne Probleme zu verkraften vermochte. 285 Die Universität hatte – wie auch die zahlenmäßig stärkste und aktivste Fakultät: die Artistenfakultät – ausgefeilte und vom funktionellen Standpunkt aus betrachtet reformierte Statuten, die in mancher Hinsicht neu gegründeten Universitäten ein Vorbild waren. 286 Durch den Tod des Universitätsgründers und durch den Beginn des päpstlichen Schismas im Jahre 1378, das die Gründung neuer Universitäten zur Folge hatte, von denen sich sowohl der Avignonesische als auch der römische Papst Unterstützung versprachen, änderte sich die Lage der Prager Alma Mater allmählich. Die Universitätsgemeinde fühlte sich aufgrund der neuen Bedingungen sicher etwas verunsichert. Konnte sie sich doch 30 bis 40 Jahre nach ihrer Gründung in der Tat für das Zentrum der transalpinen Bildung halten und für Mittel- und Ostmitteleuropa gleichermaßen universalistische Ansprüche wie die Pariser Universität für Westeuropa oder die Paduaner und Bologneser Universität für die Apenninenhalbinsel erheben. Zu dieser Verunsicherung mochte auch der langwierige – und hier ausführlich diskutierte – Streit um die Anerkennung der Jurisdiktion des Universitätskanzlers und Erzbischofs von Prag Johannes von Jenstein beigetragen haben. Dieser Streit endete bekanntermaßen für den Erzbischof siegreich. Er hatte einerseits seine Aufsicht über die Universitarier als Kleriker voll durchgesetzt und anderseits das Recht des Rektors deutlich eingeschränkt, die Universitätsverfassung und -gewohnheiten nach seinem Gutdünken und ohne Zustimmung des Universitätskanzlers zu ändern. Die Universitätsgemeinde als Ganzes, auch wenn nach außen nur durch die kleine Gruppe der Universitätsmagister repräsentiert, wurde durch diesen Streit innerlich geschwächt. Indes zeigen die Streitigkeiten der achtziger Jahre eindeutig, dass die Universitätsnationen in Krisenzeiten eine gemeinsame Sprache suchten und dass durch Kompromisse an der Universität Eintracht herrschen konnte. Diese Tendenz kam dann in den neunziger Jahren vollends zum Vorschein, als die Universitätskorporationen als Ganzes systematisch bemüht waren, ihre Befugnisse mittels verschiedenster Privilegien zu stärken. Die gewährten Sonderrechte sollten ihre rechtliche Stellung gegenüber der außeruniversitären Umwelt festigen, die der Universitätsgemeinde nicht immer wohlgesonnen war. Wie noch detailliert gezeigt wird, wendete die Universität zur Stärkung ihrer Autonomie 287 eine beträchtliche Geldsumme
285 Zur Juristenfakultät allgemein vgl. Moraw, Pražská právnická univerzita (wie Anm. 63), 7–50; Kejˇr, Dˇejiny pražské právnické fakulty (wie Anm. 78). 286 Zur Genese der Universitätsstatuten vgl. Boháˇcek, Pražská universitní statuta (wie Anm. 253), 11– 64; Ders., Založení a nejstarší organizace pražské university (wie Anm. 121), 5–31. – Zu den Statuten der Artistenfakultät: Šmahel, The Faculty of Liberal Arts (wie Anm. 67), 221–229, 308–315. 287 Für die ältere Zeit vgl. Svatoš, Michal: Pražská univerzitní autonomie za Karla IV. [Die Prager Universitätsautonomie unter Karl IV.]. In: Scientia nobilitat. Sborník prací k poctˇe prof. PhDr. Františka Kavky, DrSc. Hg. v. Dems. Praha 1998, 57–69.
Stärkung der Universitätsautonomie
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auf, welche ihre gesamten Einnahmen deutlich überstieg und mittels Schenkungen und Abgaben aller Mitglieder der Universitätskorporation ausgeglichen werden musste. 288 Diese Zusammenarbeit quer durch die Universitätsnationen, die in den neunziger Jahren an der Artistenfakultät relativ proportionell vertreten waren, trug zweifellos zur Stärkung des Gruppenbewusstseins und der Gruppensolidarität bei. Man kann sie als eine Art der Erfüllung des Abkommens über die Eintracht zwischen den Universitätsnationen betrachten – der concordia nacionum. In Prag bestand wie an den meisten Universitätsorten ursprünglich eine sehr gespannte Beziehung zwischen Stadt, also Prager Altstadt, und Universität. 289 Für die Stadt war die Universität ein fremdartiges Element, das sich den Vorrechten und Pflichten der Bürger entzog. Die Universitätsmitglieder, sofern sie nicht Häuser besaßen, zahlten keine Stadtsteuer und trugen auch sonst in keiner Weise die Lasten der Stadtgemeinde mit. Sehr bald nach der Gründung der Hohen Schule versuchten sie sich zudem der Jurisdiktion des Stadtrates und der Stadtgerichte zu entziehen. Der Weg zur gerichtlichen Autonomie war zumindest in Prag sehr lang und von Meilensteinen gesäumt. Ein erster stellt das Abkommen von 1374 zwischen den beiden Universitäten, also der Dreifakultäten- und der Juristenuniversität, und den Prager Städten dar (zum gegebenen Zeitpunkt wurden nämlich die Prager Alt- und Neustadt zu einer Gemeinde mit einem Schultheiß an der Spitze vereinigt, der gemeinsam mit dem Stadtrat als Garant des Abkommens auftrat). In diesem Abkommen wird die Universitätsjurisdiktion voll anerkannt und den städtischen Beamten angeordnet, ordentlich immatrikulierte Universitarier bei Rechtsbruch dem Gericht des Rektors zu übergeben. 290 Ein zweiter Meilenstein war das Privileg vom 22. November 1392, das die Universität von König Wenzel IV. erbat. Auf seiner Grundlage wurde die Universität als Ganzes der Jurisdiktion aller Gerichte im Königreich Böhmen entzogen. 291 Bei Verletzung dieses Vorrechtes war eine Geldstrafe von 100 Goldbarren vorgesehen. Das Privileg befreite zudem alle Universitätsmitglieder von der Zahlung der Landessteuer. Da darin jedoch erneut die Ratsherren aller Prager Städte genannt werden („maioris, minoris et novae civitatum Pragensium“), liegt die Vermutung nahe, dass das Abkommen von 1374 ab und zu verletzt zu werden pflegte und dass es offenbar die Universität selbst war, die sich um das Herrscherprivileg bemühte, welches das Abkommen zwischen der Stadt und der Universität auf eine höhere Stufe stellte. Eine gewisse Rolle bei den Bemühungen der Universität um die Stärkung der Gerichtsautonomie kann auch die Tatsache gespielt haben, dass zur selben Zeit die
288 Zum ersten und leider auch zum letzten Mal hat Tomek, Dˇeje university pražské (wie Anm. 16), 122–134, die Bedeutung der Bemühungen der Prager Magister um die Stärkung der Universitätsautonomie bemerkt. 289 Allgemein für die Prager Gesellschaft: Svatoš, Mˇesto a univerzita (wie Anm. 69), 40–46. 290 Dazu mehr bei Hlaváˇcek, Ivan: Jeden dokument k vztahu univerzity a pražských mˇest v druhé polovinˇe 14. století [Ein Dokument zur Beziehung zwischen der Universität und den Prager Städten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts]. In: AUC – HUCP 2/2 (1961), 89–96, mit der Edition des Dokuments. 291 MUPr II, 325–327 (Nr. XXXIII).
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Spannungen zwischen dem König von Böhmen und dem Erzbischof von Prag ihren Höhepunkt erreicht hatten und dass Johannes von Jenstein seine Schutzmacht über die Universität verlor, denn weltliche Richter verletzten auch die Jurisdiktion der kirchlichen Gerichte. Obwohl nur ein einziger Fall bekannt ist, in dem Anfang 1392 der königliche Unterkämmerer Sigismund Huler einen des Diebstahls beschuldigten Studenten in der Prager Neustadt gefangen nehmen und hinrichten ließ, 292 kann diese eine und offensichtliche Verletzung der Befugnisse des Rektors und im Kern auch der erzbischöflichen Jurisdiktion die Universitätsgemeinde veranlasst haben, sich um einen belastbareren Schutz zu bemühen. So ersetzte man den alten, brüchig gewordenen Schutz des Erzbischofs und Universitätskanzlers durch königliche Garantien, wenn auch nur auf der normativen Ebene. Die Stärkung der Universitätsautonomie war eine sehr aufwendige Angelegenheit und verlangte von der Universität eine gründliche Vorbereitung. Aus diesem Grund entschied sie sich bereits 1389 zur Ausschreibung der ersten Kollekte, die von allen Mitgliedern der Hohen Schule erhoben werden sollte („ab omnibus suppositis universitatis“). Unter dem Rektorat von Johannes Winkleri beschloss am 7. April die Magisterversammlung („plena congregatione magistrorum de consilio universitatis“) 293, künftig vom St. Gallusfest an bis zum Fest der Geburt des Herrn eine Kollekte („collecta“) zu erheben, und zwar in Höhe eines Groschens von den Magistern und in Höhe eines halben Groschens von den Bakkalaurei und den übrigen Scholaren. Die Hälfte der Einnahmen sollte zur Tilgung der Schulden verwendet werden, welche die Universität bei der größten und aus Sicht der Einnahmen in Form studentischer Taxen reichsten Fakultät – der Artistenfakultät – hatte, während die andere Hälfte für andere Bedürfnisse der Universität benutzt werden sollte. Es lag in der Folge an der Universität selbst, ob sie diese Kollekte weiterhin erheben oder ob sie davon Abstand nehmen würde. 294 Noch im selben Jahr, am 30. Juli 1389, beschloss man unter dem Rektorat des Bartholomäus von Torgelow wiederum auf einer Magistersitzung („plena congregatione magistrorum de consilio universitatis“), dass jeder, der an einer beliebigen Fakultät einen der Grade erwerben möchte, außer der gewöhnlichen Taxe die Hälfte der festgelegten Taxe in die Gesamtuniversitätskasse einzuzahlen habe. Diese zusätzlichen Mittel sollten wiederum sowohl zur Schuldentilgung als auch zum Erwerb neuer Universitätsvorrechte und -privilegien benutzt werden. Ein Tag später wurde dann auf der Magistersitzung der Erlass aus der Rektoratszeit des Johannes Winkleri aufgehoben und der Beschluss gefasst, dass jedes Universitätsmitglied („quodlibet suppositum universitatis“) jährlich so viel bezahlen solle, wie er wöchentlich für seine Verpflegung ausgebe („pro mensa“). 295 Da die Erweiterung der Privilegien tatsächlich einen langen Atem erforderte, entschied die Magisterversammlung unter Rektor Bartholomäus von Torgelow, zu diesem Zweck 292 Polc, Svatý Jan Nepomucký (wie Anm. 184), 221, aufgrund des Manuskripts zu den Beschwerden des Johannes von Jenstein. 293 MUPr III, 14. 294 Ebd. 295 Ebd., 15.
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zwei Prokuratoren, zwei Syndizi zu ernennen, und zwar einen in Rom mit Magister Johannes Gatzikow (offenbar einer der Kurialen) 296 und den zweiten in Prag mit Magister Ludwig. 297 Von ihrer Tätigkeit geben die Universitätsquellen jedoch keine Auskunft. So ist unbekannt, inwieweit sie sich tatsächlich zu Gunsten des Studium generale engagierten. Da aber die Magisterkongregation am 2. Dezember 1391 die Steuer in Höhe der wöchentlichen Lebenskosten aufhob, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Initiative vom Ende der achtziger Jahre ins Leere gelaufen war. Zu fragen ist zudem, ob mit dieser Initiative irgendwie die Änderung der Teilnahmemodalitäten an der Universitätsversammlung zusammenhängt, die am 5. Dezember 1391 unter dem Rektorat Heinrichs von Bremen genehmigt wurde. Ihr Kern war die Beschränkung des Zugangs zur Versammlung lediglich auf Magister und Doktoren aller Fakultäten gemeinsam mit allen Consiliarii aller Universitätsnationen. Jeder der Zugelassenen besaß eine Stimme. An der Ausarbeitung dieses Abkommens – wie in den neunziger Jahren üblich – beteiligten sich die Vertreter aller vier Nationen mittels ihrer jeweiligen Friedensarbiter („coarbiter“). An deren Spitze stand der oberste Friedensrichter, Doktor der Theologie und Dekan des Allerheiligenkapitels Nikolaus von Gubin. 298 Bezeichnend ist, dass drei Monate später ein Abkommen zwischen den einzelnen Fakultäten geschlossen wurde über die Reihenfolge der Fakultätswürdenträger bei der Zusammenstellung der Universitätsrotuli, im Universitätsrat, bei den Prozessionen und den übrigen Universitätsaktionen. Auch in diesem Fall war der oberste Arbiter Nikolaus von Gubin, jetzt aber mit Mitarbitern aus allen Fakultäten. Von der Reihenfolge der einzelnen Universitätsnationen ist hier jedoch keine Rede. Vermutlich lag das an der festgelegten, aus den Universitätsstatuten bekannten Reihenfolge. Jedenfalls zeugen beide Beschlüsse, also der über die Änderung der Einberufung des Universitätsrates und der über das Abkommen zwischen den Fakultäten, von dem Trend, an der Wende von den achtziger zu den neunziger Jahren im Rahmen der ganzen Universität Einheit und Eintracht zu stärken. Einige Jahre später sollte sich zeigen, dass gerade diese Erfahrung zur Suche eines Konsenses während der erneuten Bemühungen um die Stärkung der Universitätsprivilegien beitrug. In ihnen kollidierten sowohl die partikularen Interessen einiger 296 Ebd., 16. Ich habe nichts Näheres zur Person dieses Vertreters der Prager Universität ermitteln können. Von den bekannten Prager Scholaren könnte er vielleicht mit dem ehemaligen Wiener und seit 1393 Prager Studenten der Juristenfakultät identisch sein, der im juristischen Matrikel als „Joannes Gantzecow“ vorkommt und von dem man nicht mehr weiß, als dass er im Jahre 1393 als Mitglied der sächsischen Nation immatrikuliert wurde. Ob dieser jedoch mit dem Magister identisch ist, der zu Gunsten der Universität in Rom gewirkt haben soll, ist umstritten, allerdings nicht unwahrscheinlich. 297 Ebd. Auch über ihn habe ich wegen seiner Bezeichnung nur mit dem Taufnamen keine weiteren Informationen ermitteln können. Schuchard, Christiane: Die Deutschen an der päpstlichen Kurie im späten Mittelalter (1378–1447). Tübingen 1987, 259, führt einen päpstlichen Auditor an, der „Johannes Gatzcow“ hieß. 298 MUPr III, 17. – Zu Nikolaus von Gubin führt Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 395, grundlegende Angaben an. Er war Mitglied der polnischen Nation, Kollegiat des Allerheiligenkapitels, Professor der Theologischen Fakultät und in den Jahren 1378, 1385 und 1387 Rektor der Dreifakultätenuniversität.
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Magister oder Magistergruppen als auch die Interessen der einzelnen Nationen, in denen der Partikularismus mit den korporativen Interessen wetteiferte. Im Jahre 1393 gewann nämlich das Bemühen um die Stärkung der Jurisdiktion des Rektors, der Gerichtsbarkeitsvorrechte der Universität als Ganzes und gemeinsam damit auch der materiellen Interessen der durch Benefizien abgesicherten Kleriker eine neue Form. Auf der am 8. Juli 1393 abgehaltenen Universitätsversammlung („in consilio universitatis“) wurde nach dem Prinzip der Universitätsnationen eine achtköpfige Kommission aufgestellt, die erste Schritte zur Stärkung der Universitätsfreiheiten unternehmen sollte. 299 Zu ihren Mitgliedern waren die bedeutendsten und aktivsten, meistens bereits an der Theologischen Fakultät wirkenden Magister berufen worden: Menso von Beckenhusen, 300 Nikolaus von Gubin, Nikolaus von Leitomischl, 301 Heinrich von Rybnitz, 302 Albert Engelschalk, 303 Johannes Isner, 304 Johannes von Hildesheim 305 und Primislaus von Jessenitz. 306 Bemerkenswert ist dabei, dass die einzelnen Nationen in der Kommission nicht paritätisch vertreten waren und dass darin die Mitglieder der polnischen Nation zum Nachteil der bayerischen Nation überwogen. Dies zeugt wiederum von der Unterdrückung bzw. von der abnehmenden Bedeutung dieser Nation nach dem Verlust ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit. Während des akademischen Jahres sollte sich herausstellen, dass man die Tätigkeit der Kommission finanziell würde absichern müssen. Deshalb beschloss die Magisterversammlung („plena congregacione magistrorum universitatis“) am 3. März mit der Mehrzahl der Stimmen, so das zeitgenössische Protokoll, dass der Rektor und seine Nachfolger mit Zustimmung jener acht Magister-Kommissare bis 200 Ungarische Gulden aus den Mitteln der Universität zum Erwerb neuer Privilegien ausgeben könnten. 307 Über diesen Beschluss ließ dann Rektor Heinrich von Homberg vom Notar Lorenz ein für alle Magister verbindliches Notariatsinstrument ausfertigen.
299 MUPr III, 22. 300 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 371. Menso von Beckenhusen war Mitglied der bayerischen Nation, Kollegiat des Allerheiligenkapitels und Professor der Theologischen Fakultät. 301 Ebd., 405. Nikolaus von Leitomischl war Mitglied der böhmischen Nation, Kollegiat des Allerheiligenkapitels, Professor der Theologischen Fakultät und in den Jahren 1386 und 1402 Rektor der Dreifakultätenuniversität. 302 Ebd., 167. Heinrich von Rybnitz war Mitglied der sächsischen Nation und Kollegiat des Karlskollegs. Belege über sein Wirken an der Theologischen Fakultät fehlen, im Jahre 1391 war er aber Rektor der Dreifakultätenuniversität. 303 Ebd., 16. Albert Engelschalk war Mitglied der polnischen Nation, Kollegiat des Karlskollegs, Professor der Theologischen Fakultät und im Jahre 1391 Rektor der Dreifakultätenuniversität. 304 Ebd., 261. Johannes Isner war Mitglied der polnischen Nation, Kanoniker des St. Apollinariskapitels in Prag, Inhaber einiger Benefizien in Schlesien und mindestens Lizenziat der Theologischen Fakultät, später dann Professor der Theologischen Fakultät in Krakau. 305 Ebd., 259. Johannes von Hildesheim war Mitglied der sächsischen Universitätsnation, Kanoniker des Allerheiligenkapitels und später auch Lizenziat und Professor der Theologischen Fakultät. 306 Ebd., 471. Primislaus von Jessenitz war Mitglied der böhmischen Nation, Kollegiat und Propst des Karlskollegs. Belege von seinem Theologiestudium und von seinem Wirken an der Theologischen Fakultät liegen nicht vor. 307 MUPr III, 23.
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Bestandteil dieses Instrumentes sind auch fünf Artikel, die ein Maximalprogramm zur Stärkung der Universitätsautonomie als Ganzes beinhalten, um dessen Umsetzung sich die Universität beim römischen Papst einsetzen sollte. Der erste Artikel betrifft die Jurisdiktion des Rektors. Dieser sollte künftig das Recht erhalten, schuldige Studenten ohne jegliche Einschränkung einzukerkern. Genauso sollte er die Möglichkeit haben, sie mit einem Kirchenbann in Form der Exkommunikation zu belegen. In der Praxis, so zumindest das Protokoll, sollte sich die Stärkung der Jurisdiktion des Rektors auch zu Gunsten der Bürger und Handwerker auswirken. Bei kleineren Delikten, also bei Geldsachen, Händel oder anderen Streitigkeiten mit Studenten, hatten sie bisher keine realistische Möglichkeit, ihrem Recht Geltung zu verschaffen. Unter der Anrufung des erzbischöflichen Gerichts hätte ihre Beschäftigung gelitten – Gerichtskosten, Advokaten, Prokuratoren und Notare bedeuteten immense zusätzliche Ausgaben. Künftig sollten sie ihre Klagen an das Gericht des Rektors richten, in dessen Vollmacht es lag, solche Streitigkeiten zwischen weltlichen Personen und Universitariern schnell und ohne unnötige Kosten zu lösen. Die bisherige Lage habe nämlich dazu geführt, dass derartige Streitigkeiten oft störend in das Universitätsleben hineinragten, indem sie etwa die ordentliche Abhaltung der Lektionen und Disputationen verhinderten. 308 Nach dem Protokoll verließen angeblich viele ältere und vornehmere Universitätsmitglieder gerade wegen der beschränkten Jurisdiktion des Rektors die Prager Universität. 309 Ob der Autor dieses Passus auf eine konkrete Situation anspielt oder ob er übertreibt und die Lage schlimmer schildert, als sie in Wirklichkeit war, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist die Intention des ganzen ersten Artikels klar: die Universitarier sämtlichen Gerichtsinstanzen, sowohl den weltlichen als auch den kirchlichen, zu entziehen und ihre Vergehen ausschließlich dem Gericht des Rektors der Dreifakultätenuniversität zu unterstellen. Davon profitierte die ganze Universität, auch wenn eher auf der symbolischen als auf der materiellen Ebene. Der zweite Artikel betrifft hingegen nur einen sozial exklusiven Teil der Studenten, der nach seiner Ankunft an der Universität ein Benefizium erhielt. Unter dem Gesichtspunkt des kanonischen Rechtes waren alle Benefizieninhaber zum Aufenthalt an der Universität verpflichtet. Im Falle ihres Weggangs an eine andere Universität verloren sie somit via facti das Recht, die Einnahmen aus ihren Benefizien zu genießen. Da jedoch ein bestimmter Teil der kirchlichen Benefizien als Studentenstipendien errichtet wurde, geriet die Intention ihrer Gründer in Widerspruch zu den kirchlichen Vorschriften. Deshalb ersuchte die Universität den Papst um die Zustimmung dafür, dass Universitarier-Benefizianten zehn Jahre lang die Erträge aus ihren Benefizien genießen können, ohne die Aufenthaltspflicht einzuhalten. Und es ist bezeichnend, dass auch dieser Artikel die Folgen des bestehenden Zustandes erwähnt: 308 Ebd., 24: „quod consilium civitatis sustinere non valens cogitur studentes incarcerare et sic totam Universitatem turbari, in lectionibus, praedicationibus et disputacionibus, et ceteris actibus scholasticis impediri“. 309 Ebd.: „propter quod studium notabiliter recipit et recepit detrimentum, et antiquiora et nobiliora supposita coguntur et coacti fuerunt recedere“.
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den Weggang solcher durch Einnahmen aus den Benefizien abgesicherten Studenten an andere Hohe Schulen, die im Unterschied zu Prag bereits analoge Privilegien besaßen. 310 Der dritte Artikel beabsichtigt ebenfalls die Jurisdiktion des Rektors zu stärken, und zwar durch die Befugnis, gemeinsam mit dem Dekan des mit der Universität verbundenen Allerheiligenkapitels und mit dem ältesten Theologieprofessor („senior magister in theologia“) allen Studenten die Absolution zu erteilen, die sich der Gewaltanwendung gegenüber geistlichen Personen schuldig gemacht hatten. So mussten sich die auf diese Weise schuldigen Studenten nicht an den Apostolischen Stuhl wenden. Der vierte Artikel ist allgemein ausgedrückt: Die Konservatoren der Universitätsrechte und -privilegien, die bereits im Rahmen der Prager Hohen Schule arbeiteten, sollten eine zeitlich unbegrenzte Wirkungsbefugnis erhalten. 311 Der fünfte Artikel bezieht sich auf die im Universitätsrotulus angeführten Personen, 312 von denen mindestens 20 in der Sache ihrer Suppliken Genüge geleistet werden sollte. Unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Universitätsautonomie stellen der erste, dritte und vierte Programmartikel einen ausgeprägten Impuls zu Gunsten der ganzen Korporation dar. Der zweite Artikel hat auf den ersten Blick hingegen partikularen Charakter. Obwohl dort zweifelsohne partikulare Interessen eine bedeutende Rolle spielen, werden auch sie in Wirklichkeit vom Gesamtuniversitätsinteresse überlagert. Schenkt man den Auslegungen der Ursachen für die Beantragung der Anerkennung dieses oder jenes Privilegs Gehör, dann könnten gerade der erste und der zweite Artikel den tatsächlichen Impuls für die Bemühungen um die Stärkung der Gesamtuniversitätsautonomie widerspiegeln. Die Hinweise auf weggehende Magister bzw. auf Studenten, die Privilegien ausländischer Universitäten nutzten, sind meines Erachtens Ausdruck der tiefen inneren Beunruhigung der aktiven Magister an der Prager Alma Mater und eine Reaktion auf die Entwicklung der neuen Universitäten auf dem Reichsgebiet. Wie noch gezeigt wird, erreichten die Immatrikulationszahlen in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt und nahmen erst im Verlauf der neunziger Jahre ab. Trotzdem brachten die Prager Magister, ohne Rücksicht auf ihre Nationenzugehörigkeit, Forderungen ein, die mindestens auf der normativen Ebene die Autonomie und die rechtliche Eigenständigkeit der Universität stärken sollten, und dies auch zum Preis hoher Ausgaben. Diese waren aber letztlich jenen Magistern ein Dorn im Auge, die sich durch die Regionalisierung der Universitätsbildung im Reich
310 Ebd.: „Item quod studentes beneficiati habeant redditus beneficiorum suorum, pro studio ad decem annos, ne beneficiati cogantur ad alia studia se divertere, ubi etiam inter alia privilegia hoc privilegium habent.“ 311 Das Institut der Konservatoren der Rechte der Prager Universität zuletzt bei Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 29–66; Ders., Pražské univerzitní národy (wie Anm. 66), 121–126. ˇ 312 Zu den Rotuli aus böhmischem Umfeld zuletzt Poˇrízka, Aleš: Rímská rota a stˇredovˇeký systém papežských provizí [Die Römische Rota und das mittelalterliche System der päpstlichen Provisionen]. In: PHS 35 (2000), 21–58.
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nicht bedroht fühlten und möglicherweise an die unerschütterliche Universalität und Überlegenheit der Prager Hohen Schule glaubten. Zu den Initiatoren der Bemühungen um die Stärkung der rechtlichen Autonomie und zu den Verkündern einer möglichen Bedrohung der Prager Alma Mater durch die neu gegründeten Universitäten gehörte zweifellos der Dekan des Allerheiligenkapitels, Magister Wolf. 313 Dieser disputierte 20 Jahre später auf dem Quodlibet des Matthias von Knín mit Hieronymus von Prag so verbissen, dass ihr Streit auf einen neuen Kampfplatz verlegt werden musste. Ein Eingriff des Erzbischofs von Prag beendete ihn jedoch alsbald darauf, wie einer der Zeugen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus behauptet. 314 Jedenfalls wurde der Dekan des Allerheiligenkapitels Blasius Wolf nicht nur mit der Erledigung von mindestens 20 Suppliken aus dem Universitätsrotulus beauftragt, sondern auch mit den Verhandlungen bei der päpstlichen Kurie um den Erwerb der einzelnen Privilegien. Die Magisterkongregation beschloss nämlich mit Zustimmung der schon bekannten Kommission aus acht Magistern, an Magister Wolf 30 Ungarische Gulden für seine Aufwendungen bei den Verhandlungen in Rom auszuzahlen. Gleichzeitig händigte ihm der Rektor weitere 30 Ungarische Gulden für die Bezahlung der mit dem Erwerb der päpstlichen Urkunden verbundenen Taxen aus. Da sich Wolf nicht sicher war, ob die erhaltenen Mittel auch reichen werden, trotzte er am 5. April dem Rektor und der MagisterKommission den Schwur ab, ihm alle Kosten bis zu einer Höhe von 200 Ungarischen Gulden zu erstatten, über welche die Magisterversammlung bereits früher einen Beschluss gefasst hatte. 315 Der Rektor und die acht Universitätsvertreter verpflichteten sich außerdem (sollte es Magister Wolf gelingen, jene Privilegien zu erwerben), ihm eine Sonderbelohnung durch die Universität zukommen zu lassen. Bemerkenswert ist, dass es den Magistern v. a. um jene beiden ersten Artikel ging, also um diejenigen, die ihrer Meinung nach zur Stärkung der Universitätsautonomie beitragen konnten und zur Beibehaltung sowohl der bisherigen Lehrkräfte als auch der Immatrikulationszahlen der Prager Hohen Schule. 316 Nachrichten über Privilegien betreffende Universitätsverhandlungen bleiben dann für einige Zeit aus. Magister Wolf reiste höchstwahrscheinlich nach Rom und er-
313 Da er in den Quellen ausschließlich als „Lupus“ auftaucht, ist es kaum zu entscheiden, ob es sich um den Kanoniker des Karlskollegs Johannes Wolf oder um Blasius Wolf handelt. Wahrscheinlicher ist jedoch Letzter, also Blasius, gemeint. Johannes erscheint nämlich im Jahre 1400 als Dekan des Karlskollegs, aber auch hier nur unter dem Namen „Lupus“. Dazu Hrdina, Seznam probošt˚u (wie Anm. 218), 5 (Nr. 2). – Blasius Wolf ist hingegen als Kanoniker des Allerheiligenkapitels bereits im Jahre 1383 belegt, woraus sich ergibt, dass er 1400 nicht Dekan des Karlskollegs gewesen und daher auch nicht mit jenem Wolf („Lupus“) identisch sein kann, dessen Aufgabe die Frage der Universitätsprivilegien war. Zu seinem Streit um das Dekanat des Allerheiligenkapitels 1392/93 vgl. Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 25. 314 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 43; Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 20, 26. 315 MUPr III, 26. 316 Ebd.: „et si signaturam omnium articulorum, et maxime primi et secundi de mediis fructibus elaboret“.
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öffnete dort den langwierigen Prozess bis zum Erlass der Privilegien. Warum er anschließend durch Magister Heinrich Ruwe ersetzt wurde, 317 ist unbekannt. Jedenfalls erwirkte erst Magister Ruwe den Erlass der Bulle. Das Protokoll vom 7. April 1395 ist leider unvollständig, 318 sodass nur die Einberufung der Magistervollversammlung für diesen Tag belegt ist, an der die acht bereits genannten Kommissare teilnahmen. Dann fehlt ein Folio. Das Protokoll setzt erst wieder ein unter dem Datum des 18. April mit einem Passus über die Personen, welche die Universitätskasse verwalten. Damals erschien vor dem Rektor und dem Kassenverwalter der bereits erwähnte Magister Ruwe, der als „scriptor seu ingrossator literarum apostolicarum“ bezeichnet wird. Ruwe war daher in jener Zeit höchstwahrscheinlich einer der Kurialen, 319 der die Verhältnisse am päpstlichen Hof kannte und der von der Universität anstelle des Magisters Wolf beauftragt wurde, um ihr Anliegen schneller und erfolgreich zu Ende zu führen. Damals erfuhren die Magister von Ruwe, dass zusätzlich zu den bereits gezahlten Beträgen weitere 20 Gulden erforderlich sein werden. Sie wurden ihm dann auch aus der Universitätskasse mit Zustimmung der Consiliarii und der Kassenverwalter durch den Rektor ausgezahlt. Ob dies bereits 1395 geschah oder erst 1396, ist schwer zu entscheiden. Da sich die nachfolgende Eintragung im ältesten Manuskript der Universitätsstatuten erst auf den 19. November 1396 bezieht, 320 scheint es wahrscheinlicher, dass es dazu erst am 18. April 1396 kam. Nachdem Magister Ruwe die erforderlichen finanziellen Mittel bekommen hatte, begab er sich vermutlich erneut nach Rom und bezahlte die erforderlichen Taxen für die von Papst Bonifaz IX. am 11. Juli 1396 erlassenen Bullen. In der ersten Bulle entbindet der Papst die Doktoren, Magister und Scholaren der Prager Universität von der Aufenthaltspflicht an ihren Benefizien für fünf Studienjahre – mit Ausnahme der höheren Ämter an den Kathedral- und Kollegiatkapiteln. 321 In der zweiten Bulle ernennt dann der Papst zu den Exekutoren der ersten Bulle den Dekan des Breslauer Kapitels, den Dekan des Lübecker Kapitels und den Dekan des Allerheiligenkapitels. 322 Die beiden Bullen stellen allerdings nur einen päpstlichen Vorschlag mit beschränkter Gültigkeit dar, abhängig vom päpstlichen Willen. Die Universität schien aber mit der
317 Die Quellenbasis dazu erweitert hat Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 41. ˇ 318 Národní knihovna Ceské republiky [Die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik]: Manuskript: XIV D 25, f. 17 v. 319 Schuchard (wie Anm. 297), 259, führt an, dass Heinrich Ruwe alias de Bentorf päpstlicher und königlicher Vertrauter gewesen und im Jahre 1400 gestorben sei. ˇ 320 Národní knihovna Ceské republiky [Die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik]: Manuskript: XIV D 25, f. 18 r. 321 MUPr II, 334–337 (Nr. XXXVI), hier auf 335 f.: „dummodo in cathedralibus post pontificales majores, vel in collegiatis ecclesiis principales dignitates hujusmodi non existant, cum ea integritate usque ad quinquenium tantum continuum, vel interpulatum a die, qua quilibet vestrum hujusmodi nostra concessione inchoaret, uti proxime computandum, quotidianis distributionibus duntaxat exceptis, percipere valeatis, cum qua illos perciperetis, si in ecclesiis, sive locis, in quibus hujusmodi beneficia consistunt, personaliter residerentis, et ad residendum interim in eisdem ecclesiis sive locis minime teneamini, neque ad id inviti a quoquam valeatis coarctari“. 322 Ebd., 338–341 (Nr. XXXVII).
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Abb. 6 Der Liber decanorum, Eintragung aus dem Jahr 1401, in dem Jan Hus als Dekan der Artistenfakultät fungierte. Daher die erste Zeile oben: „Das Dekanat des Magisters Johannes von Hussynecz“.
bloßen Lockerung der Aufenthaltspflicht für fünf Jahre bei Ausnahme der einträglichen Benefizien an den Kathedral- und Kollegiatkapiteln nicht zufrieden zu sein. Der Papst erließ deshalb am 26. Januar 1397 eine weitere Bulle, in der er die Ausnahme für die höheren Benefizien aufhob und die Nichteinhaltung der Aufenthaltspflicht auf acht Jahre verlängerte. Dies unterschritt allerdings immer noch die gewöhnliche, durch die Statuten vorgeschriebene zwölfjährige Studienzeit an der Theologischen Fakultät. 323 Am selben Tag entsprach Bonifaz IX. noch einem weiteren Gesuch und bestätigte mit Berufung auf die Bulle von Papst Urban VI. vom Jahre 1383 als Konservatoren der Rechte und der Privilegien der Prager Universität den Propst des Mainzer Kapitels, den Propst des Breslauer Kapitels und den Propst des Allerheiligenkapitels auf der Prager Burg. Alle drei erwarben erneut das Recht, vor ihr Gericht auch drei Tagesmärsche von den Diözesangrenzen entfernte Personen vorzuladen. Die Supplik
323 Ebd., 352–354 (Nr. XL). – Kadlec, Jaroslav: Teologická fakulta [Theologische Fakultät]. In: Dˇejiny Univerzity Karlovy (wie Anm. 67), 135–162, hier 139.
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um ewige Gültigkeit dieses Privilegs genehmigte der Papst aber nicht. Er befristete es auf 25 Jahre. Es ist paradox, aber Papst Bonifaz IX. entsprach dem ersten Artikel des Gesuchs der Prager Universität, also der Erweiterung der Jurisdiktion des Rektors, am spätesten, und zwar am 21. Dezember 1397. 324 Das Ansinnen der Universität, zuerst solle den beiden ersten Artikeln des Gesuchs entsprochen werden, war also ins Leere gelaufen. Die Erweiterung der Jurisdiktion des Rektors könnte bei der Kurie auf einen gewissen Widerstand gestoßen sein, schmälerte sie doch gleichzeitig die Rechtsprechung des Universitätskanzlers und Erzbischofs von Prag. Außerdem kollidierte dies in gewisser Weise mit der Jurisdiktion der bereits bestehenden Konservatoren. Da die Ausweitung der Gerichtsbarkeit des Rektors für die Universität mit Blick auf die Stärkung der inneren Gerichtsautonomie aber die wichtigste Forderung darstellte, bestand sie darauf auch ungeachtet der Tatsache, dass bereits Mitte 1397 inneruniversitäre Streitigkeiten um die Bezahlung der mit den Bullen verbundenen Kosten ausbrachen, die offenbar mit den übrigen Ausgaben den im Jahre 1394 auf 200 Ungarische Gulden festgelegten Maximalbetrag überstiegen. In der päpstlichen Urkunde vom 31. Dezember heißt es, dass sie nicht nur aufgrund des Gesuchs der Prager Hohen Schule, sondern auch aufgrund der Supplik König Wenzels IV. ausgestellt worden sei. 325 Das spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der Bedeutung der beiden ersten Artikel des Gesuchs der Universitätsgemeinde. Neben diesem Hinweis in der päpstlichen Bulle hat sich nämlich auch die undatierte, ebenfalls an Papst Bonifaz gerichtete Supplik Wenzels IV. erhalten, in welcher der König ein gutes Wort für die Lockerung der Aufenthaltspflicht einlegt, also für den zweiten Punkt des Universitätsgesuches. 326 Es scheint daher, dass die Frage eines ewigen Konservatorenprivilegs nicht gleichermaßen wichtig war wie die Erweiterung der Jurisdiktion des Rektors und die Dispens von der Aufenthaltspflicht. Die Intervention Wenzels IV. in beiden Fällen zeugt nicht nur davon, dass man den beiden ersten Punkten des Gesuchs Vorrang einräumte, sondern auch von den mit dem Erwerb der päpstlichen Bullen verbundenen Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten ergaben sich aus dem langen Zeitraum zwischen dem Absenden der Supplik der Universität und dem Absenden der Privilegien. Im Privileg vom 31. Dezember legte der Papst fest, dass Universitätsmitglieder nicht zum bischöflichen Gericht, aber auch nicht zum Gericht der Legaten oder anderer subdelegierter Richter geladen werden dürften. Sämtliche Zivil- und Strafangelegenheiten sollten weiterhin nur der
324 MUPr II, 374 (Nr. XLV). 325 Ebd., 370 f. (Nr. XLV): „Devotis igitur dilectorum filiorum universitatis studii Pragensis, pro quibus etiam charissimus in Christo filius noster Wenceslaus, Romanorum et Bohemiae rex illustris, nobis humiliter supplicavit, petitionibus inclinati volumus, et apostolica auctoritate tenore praesentium irrefragibiliter statuimus, et etiam ordinamus.“ 326 Tomek, Dˇeje university pražské (wie Anm. 16), 127, Anm., erwähnt das Vorhandensein einer undatierbaren Supplik, die von Wenzel IV. gerade zum Zweck der Erlangung des Privilegiums bezüglich der Nichteinhaltung der Residenzpflicht erlassen wurde.
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Jurisdiktion des Rektors unterliegen bzw. seines Rates und der vier von der Universität gewählten Consiliarii, also entsprechend den bestehenden Gewohnheiten. Der Rektor erwarb zudem die Erlaubnis, alle Universitätsmitglieder zu richten, zu strafen und einzukerkern (in öffentlichen wie privaten Gefängnissen) – ohne Rücksicht auf ihren Stand, ihre Würde oder ihre Zugehörigkeit zu einem Orden nach den Bestimmungen des kanonischen Rechtes. Jedes Universitätsmitglied konnte er von seinem Amt suspendieren, mit dem Bann belegen und über es sogar das Interdikt verhängen. Er vermochte ferner gegen Personen vorzugehen, die den Universitätsmitgliedern Unrecht angetan hatten, also v. a. gegen Prager Bürger. Gerade dieser Sachverhalt führte offenbar zu dem ungewöhnlichen Vorgang der Eintragung des päpstlichen Privilegs in das älteste Altstädter Gedenkbuch („Liber vetustissimus“). 327 Zumindest auf normativer Ebene scheint es daher zu einer Stärkung der Jurisdiktion des Rektors zum Nachteil des Erzbischofs von Prag gekommen zu sein. So konnte sich vorerst nicht mehr die Situation aus der Mitte der achtziger Jahre wiederholen, als Johannes von Jenstein die Mitglieder der Universitätsgemeinde zwang, seine Gerichtsbarkeit anzuerkennen, und als er gegen die Universitarier Sanktionen einschließlich der Exkommunikation einleitete, die sie bei der Lehre und der Ausübung ihrer Funktionen im Rahmen der Universitätsselbstverwaltung hindern konnten. Dieses Privileg, das auch dank der Intervention König Wenzels IV. in die Praxis eingeführt wurde, kann dazu beigetragen haben, dass Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts die Universitarier nur noch in dogmatischen Angelegenheiten disziplinierte, und das nicht als Universitätskanzler, sondern als Oberhirte der Prager Erzdiözese. Jenes die Jurisdiktion des Rektors hervorhebende und die Universitätsautonomie stärkende Privileg kann auch – wie noch zu zeigen ist – einen gewissen Einfluss darauf ausgeübt haben, dass der Erzbischof in keiner Weise in die Streitigkeiten um das Kuttenberger Dekret eingriff und daher eine ganz andere Position einnahm als Erzbischof Johannes in den Streitigkeiten Mitte der 1380er Jahre. Kehren wir jedoch zurück in den Juni 1397, vor den Erlass des päpstlichen, die Jurisdiktion des Rektors stärkenden Privilegs, als an der Universität die Auseinandersetzungen bezüglich der mit dem Erwerb der Universitätsprivilegien verbundenen Kosten ausbrachen, welche die Obergrenze von 200 Ungarischen Gulden überstiegen hatten. Der Universitätsrektor war zum gegebenen Zeitpunkt einer der letzten Reformer aus den Reihen der drei auswärtigen Universitätsnationen, der schlesische Magister Nikolaus Magni von Jauer. 328 Auf den Sitzungen vom 16. und vom 23. Juni 1397 wurde der Beschluss gefasst, Heinrich Ruwe im Zusammenhang mit der Ausstellung der päpstlichen Bullen aus Universitätsmitteln den Schuldenbetrag von 101 Gulden auszubezahlen. 329 Seine Zustimmung gab wiederum die achtköpfige
327 Ebd., 128, Anm. 328 Die Aktivitäten des Nikolaus Magni von Jauer detailliert bei Franz (wie Anm. 244), 49–55. 329 MUPr III, 30.
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Kommission, zu der nun auch Magister Henning von Burg 330 anstelle des wahrscheinlich verstorbenen ehemaligen Rektors Nikolaus von Gubin gehörte. Die Mitglieder der sächsischen Nation gewannen damit vorübergehend das Übergewicht in der Kommission. Da jedoch weder Johannes Isner noch Henning von Burg anwesend waren, nahmen folgende Ersatzmänner ihren Platz ein: Peter von Posern 331 als Dekan der Artistenfakultät und Theologieprofessor Johannes Winkleri 332. Dabei kehrte das zahlenmäßige Übergewicht auf die Seite der polnischen Nation zurück. Das Protokoll sagt aus, dass an der Magisterversammlung auch die Magister Johannes Eliae, 333 Heinrich von Homberg, 334 Johannes von Hohenmauth, 335 Daniel von Prag, 336 Johannes Eberspach 337 und Nikolaus Czeiselmeister 338 teilnahmen, also wiederum Angehörige der Theologischen Fakultät oder sehr aktive Magister der Artistenfakultät. Aufgrund der leeren Universitätskasse musste die Magisterkongregation sieben Tage später (am 30. Juni) erneut zusammenkommen. Auf dieser Versammlung wurde eine Kommission von vier Magistern eingesetzt, die über die Höhe der festgelegten Steuer und über die Art der Besteuerung der Universitätsmitglieder entscheiden sollte. 339 Mitglieder dieser Kommission waren Johannes Winkleri, Nikolaus von Lei-
330 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 140. Henning von Niendorf oder von Borch (Burg) war Mitglied der sächsischen Nation, Kanoniker des Halberstädter und Magdeburger Kapitels und Bakkalaureus der Medizinischen Fakultät. 331 Ebd., 458. Peter von Posern war Mitglied der polnischen Nation und Dekan der Artistenfakultät im Jahre 1397. 332 Ebd., 325. Johannes Winkleri war Mitglied der polnischen Universitätsnation, Kollegiat des Karlskollegs, Professor der Theologischen Fakultät und Universitätsrektor im Jahre 1388. 333 Ebd., 238. Johannes Eliae von Bischofteinitz war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, Kollegiat des Karlskollegs, Pilsener Archidiakon, Professor der Theologischen Fakultät und Rektor der Dreifakultätenuniversität im Jahre 1393. 334 Ebd., 156 f. Heinrich von Homberg war Mitglied der bayerischen Nation, Kollegiat des Karlskollegs, Professor der Theologischen Fakultät und Rektor der Dreifakultätenuniversität im Jahre 1394. 335 Ebd., 281 f. Johannes von Hohenmauth war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, Kanoniker des St. Apollinariskapitels und des Prager Kapitels, Bakkalaureus der Theologie und Rektor der Dreifakultätenuniversität im Jahre 1395. 336 Ebd., 90. Daniel von Prag war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, Dekan der Artistenfakultät im Jahre 1398 und Universitätsvizekanzler im Jahre 1399. 337 Ebd., 238. Johannes Eberspach war seit dem Jahre 1393 Magister der Artistenfakultät. Sonst ist von ihm nichts bekannt mit Ausnahme der Übernahme von Ämtern an der Artistenfakultät in den Jahren 1396 und 1397, als er als Examinator wirkte. 338 Ebd., 386. Nikolaus Czeiselmeister von Prag war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, seit dem Jahre 1396 Magister der Artistenfakultät. Nach 1400 hat er eine große Karriere im Rahmen der erzbischöflichen Verwaltung gemacht. – Hledíková, Úˇrad generálních vikáˇru˚ (wie Anm. 113), passim; Budský, Dominik: Intelektuálové v Metropolitní kapitule pražské od druhé poloviny 14. století do poˇcátku husitství [Intellektuelle im Metropolitankapitel von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum Anfang des Hussitismus]. In: Mˇesto a intelektuálové od stˇredovˇeku do roku 1848. Hg. v. Olga Fejtová, Václav Ledvinka und Jiˇrí Pešek. Praha 2008, 21–61, hier 52 f. 339 MUPr III, 31 f.
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tomischl, Johannes Arsen von Langenfeld 340 und Helmold von Salzwedel, 341 abermals v. a. Theologen und Kollegiaten. Diese legten noch am selben Tag der Versammlung – die im Karlskolleg im großen, auch vornehmster Fakultätsraum genannten Hörsaal („in stuba majori superiori stuba facultatis alias nuncupata“) 342 zusammengetreten war – einen Vorschlag vor, nach dem die Mitglieder des Allerheiligenkollegs 16 Groschen, die Mitglieder des Karlskollegs 12 Groschen und die Mitglieder des Wenzelskollegs 8 Groschen bezahlen sollten, die übrigen Universitarier aber nach dem üblichen Prinzip die Summe ihrer wöchentlichen Lebenshaltungskosten. Diejenigen, die diesen Vorschlag einbrachten, ebenso der Rektor sowie die Theologen und Kollegiaten, die den Gedanken durchgesetzt hatten, auch um den Preis riesiger Kosten neue Universitätsprivilegien zu erwerben, ahnten aus den Erfahrungen der 1380er und 1390er Jahre sicher, damit auf den Widerstand der breiten Masse der gewöhnlichen Scholaren zu stoßen. Daher inszenierten sie die Versammlung fast wie eine Theatervorstellung. Als Erstes stand das vordere Mitglied der achtköpfigen Kommission und gleichzeitig Mitglied des Allerheiligenkapitels Menso von Beckenhusen auf und entrichtete an Ort und Stelle den Betrag von 16 Groschen. Danach sprachen sich die Magister, angefangen beim Rektor und einer nach dem anderen, für die Genehmigung der erteilten Privilegien aus und für die vorgeschlagene Höhe der allen Universitätsmitgliedern auferlegten Steuer. Das notarielle Protokoll führt nach dem Rektor Nikolaus Magni von Jauer namentlich an: Johannes Eliae, Nikolaus von Leitomischl, Johannes von Hildesheim, Matthias von Liegnitz, 343 Konrad von Beneschau, 344 Albert Engelschalk, Peter Reddin, 345 Peter von Posern, Johannes von Hohenmauth und Johannes Otto von Münsterberg. Wiederum handelt es sich v. a. um Theologen und Kollegiaten, also um exklusive Universitätsmitglieder. Am folgenden Tag sollte dann zur Verlesung der neu erworbenen Privilegien eine Versammlung der ganzen Universität einberufen werden („congregatio generalis totius universitatis“) 346. Im Anschluss daran war die Aufteilung der Versammlung nach den einzelnen Nationen geplant, dabei hatten die älteren Magister die anderen zu überzeugen, freiwillig die festgelegte Steuer zu akzeptieren. Jene Freiwilligkeit be-
340 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 217. Johannes Arsen war Mitglied der bayerischen Nation, wahrscheinlich Kollegiat eines der Magisterkollegien und einer der agilsten Magister an der Artistenfakultät in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts. 341 Ebd., 138. Helmold von Salzwedel war Mitglied der sächsischen Nation, Bakkalaureus der Theologischen Fakultät und Rektor der Dreifakultätenuniversität im Jahre 1398. Sein ständiges Einkommen hatte er durch seinen Kollegiatsplatz im Kolleg König Wenzels gesichert. – MUPr II, 336. 342 Ebd. III, 31. 343 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 364. Matthias von Liegnitz war Mitglied der polnischen Nation, Kollegiat des Karlskollegs, Magister der Theologischen Fakultät. 344 Ebd., 70. Konrad von Beneschau war Mitglied der böhmischen Nation, Kollegiat des Karlskollegs und Bakkalaureus der Theologischen Fakultät. 345 Ebd., 459. Peter Reddin war Mitglied der polnischen Nation, Kanoniker des Kapitels im schlesischen Brieg, im Jahre 1387 Student der Theologischen Fakultät und 1391 Rektor der Dreifakultätenuniversität. 346 MUPr III, 32.
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stand allerdings nur zum Schein. Denn denen, die nicht einwilligten bzw. die neue Steuer offen ablehnten, drohte man mit Geldstrafen, Suspensionen aus den Schulakten und der Ungültigkeit ihrer Pflichtlektionen. Sie durften bis zur Bezahlung der Gebühr nicht zu Prüfungen zugelassen werden, wodurch sie am Erwerb der angestrebten universitären Grade gehindert werden sollten. Gleichzeitig wurden den ungehorsamen Scholaren alle Vorrechte und Freiheiten der Universitätsgemeinde entzogen. Wie sich bald zeigte, waren jene Befürchtungen eines Ungehorsams nicht unberechtigt. Gegen die neue Steuer stellten sich jedoch nicht die gewöhnlichen Universitarier, sondern die Angehörigen der sächsischen Universitätsnation – und dies obwohl zwei Angehörige dieser Nation Mitglieder der achtköpfigen Kommission waren (Heinrich von Rybnitz und Johannes von Hildesheim). Die Sachsen störten sich jedoch nicht an der Höhe der Steuer, sondern am Wortlaut des das Amt der Konservatoren betreffenden Privilegs, das formal das Privileg von Papst Urban VI. kopierte. Zum Stein des Anstoßes wurde nämlich das Fehlen eines Konservators aus dem Rekrutierungsgebiet der sächsischen Nation. Die strittigen Verhandlungen dauerten eine ganze Woche. Schließlich mündeten sie am 7. Juli 1397 in den Vorschlag, 347 dem zufolge die Universität auf eigene Kosten zwei Subkonservatoren aufstellen würde. Dies lehnte die sächsische Nation jedoch ab wegen der angeblich unzureichenden Anzahl der Subkonservatoren und des großen territorialen Einzugsbereiches der Angehörigen der sächsischen Nation, der ihrer Meinung nach der strikten Festlegung des Wirkungsortes der Subkonservatoren widersprach. Am 9. Juni wählten die übrigen drei Nationen ihre Vertreter, wiederum aus den Reihen der aktivsten Kollegiaten. Für die bayerische Nation war das Menso von Beckenhusen, für die böhmische Nation Nikolaus von Leitomischl und für die polnische Nation Johannes Winkleri. 348 Diese sollten der sächsischen Nation einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen. Dies geschah dann auch am 11. Juni. Zu jedem der bestehenden Konservatoren sollten zwei Subkonservatoren bestellt werden. Diese hatten im Dienste der sächsischen Nation an konkreten Orten zu wirken, die auf Antrag der sächsischen Nation auch wechseln konnten. Bei einer solchen Änderung des Sitzes eines Subkonservators gingen allerdings die Aufwendungen für seine Lebenshaltungskosten von der Universität als Ganzes auf die sächsische Universitätsnation allein über. 349 Nach der Lösung dieses Problems musste man noch den Mechanismus der Erhebung der Sondersteuer abstimmen, an der sich die sächsische Nation nicht störte. Zu den Steuerzahlern zählten auch die neu immatrikulierten Universitätsmitglieder. Sie hatten innerhalb eines Monats nach der Einschreibung die Steuer zu bezahlen, und zwar unter Androhung des Entzugs aller Rechte und Privilegien, d. h. der Löschung aus der Universitätsmatrikel. Diese Bestimmung bezog sich auch auf alle Universitarier, die zum gegebenen Zeitpunkt nicht anwesend waren und sich nicht
347 Ebd., 33 f. 348 Ebd., 34. 349 Ebd., 33–35.
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durch einen Schwur zur Zahlung der Steuer verpflichtet hatten. 350 Drei Tage später entschied die Magisterkongregation („congregatione magistrorum in stuba facultatis“), der Rektor solle künftig in allen Generalversammlungen der Universität („temporibus congregationum universitatis generalium“) die Namen der Säumigen bekannt geben. Sollten diese der Zahlung der Steuer innerhalb von acht Tagen nicht nachkommen, durften sie im nächsten halben Jahr nicht zu Prüfungen zugelassen werden. 351 Im Juni (ohne Tagesangabe) gestand die Magisterkongregation auf Empfehlung der achtköpfigen Kommission, für die anstelle von Johannes Ilsner und Henning von Burg die Mitglieder der Theologischen Fakultät Heinrich von St. Gallus 352 und Nikolaus Beyer auftraten, 353 dem Rektor die vollständige Jurisdiktion zu, Universitätsmitglieder zu exkommunizieren und einzukerkern. 354 Damit nahm sie de facto das noch nicht erlassene päpstliche Privileg vorweg. Einen Monat später erhöhte die Magisterversammlung („congregatione magistrorum generaliter omnium“) die Universitätseinahmen noch auf folgende Weise: Sie legte eine Gebühr für die Benutzung des Signets fest, auf dessen Grundlage sich ein Universitätsmitglied an die Konservatoren und Subkonservatoren mit der Bitte um Hilfe wenden konnte. Ein Magister sollte für die Ausstellung des Signets einen Groschen, ein Bakkalaureus zwei Groschen und ein gewöhnlicher Scholar drei Groschen bezahlen. 355 Das privilegierte die graduierten Universitätsglieder eindeutig gegenüber der Masse der Nichtgraduierten. Den Konservatoren wurde dann ausdrücklich verboten, sich der Streitfälle der Universitarier anzunehmen, die sich nicht durch ein Signet ausweisen konnten. Da es jedoch Unklarheiten gab, wie im Falle von Personen vorzugehen ist, die nicht bezahlt, aber trotzdem die Ausstellung eines Signets beantragt hatten, legte man am 18. August fest, dass solche Personen für das Signet neun Groschen zu bezahlen hatten. Über weitere strittige Angelegenheiten sollte die achtköpfige Kommission entscheiden. Das notarielle Instrument,
350 Ebd., 36. 351 Ebd., 37: „sub poenis praestiti iuramenti, privationis usus privilegiorum et aliis poenis per Universitatem infligendis, scilicet, quod in examinibus pro gradibus impediantur pro illa vice, et tam diu, donec contribucionem dederint tantam, et proportionabiliter ad illos, qui erant praesentes temporis contribucionis factae universalis superius memoratae“. 352 Ebd., 37 f. – Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 152. Heinrich von St. Gallus, im gegebenen Augenblick Bakkalaureus der Theologischen Fakultät, wurde im Jahre 1397 zum Quodlibetarius an der Artistenfakultät gewählt. Von seiner Wahl kaufte er sich jedoch durch den Betrag von zwei Schock Groschen los. Durch die Vermittlung des Universitätskanzlers hat er dann am 15. Juli von der Universität die Zusage erhalten, niemals wieder zum Quodlibetarius gewählt zu werden. – MUP I, 326 f. Zur Zeit seiner Bestellung in die Universitätskommission im Juli 1397 war er Bakkalaureus der Theologie. 353 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 380. Nikolaus Beyer war Mitglied der sächsischen Nation, im Jahre 1390 Dekan der Artistenfakultät und Bakkalaureus der Theologischen Fakultät. Sein ständiges Einkommen hatte er durch den Kollegiatsplatz im Kolleg König Wenzels gesichert. – MUPr II, 336. 354 Ebd. III, 38: „Et etiam de hoc, quod Rector, qui pro tempore fuerit, sit exemtus, et quod habeat jurisdictionem plenam in sua supposita excomunicandi et incarcerandi etc.“ 355 Ebd.
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das über die Versammlung vom 18. August Auskunft gibt, spricht bemerkenswerterweise von mindestens 22 anwesenden Magistern, davon werden 14 namentlich aufgeführt. Unter ihnen befanden sich auch einige neue Gesichter, die bisher nicht in die Streitigkeiten eingegriffen hatten: Marcus von Hradetz, 356 Johannes Hübner, 357 Stanislaus von Znaim, 358 Johannes von Chlum, 359 Lorenz von Buchwald, 360 Johannes de Eysteth, 361 Johannes de Folonia, 362 Johannes Eberspach. Zu ihnen gehörten auch Arnoldus de Stargardia, 363 Henning Hildesen 364 und Johannes von Hildesheim, die mit den Verhandlungen unzufrieden waren und gegen die Entscheidungsbefugnis der achtköpfigen Kommission in strittigen Fragen protestierten. Sie stammten aus den Reihen der sächsischen Nation. Hintergrund ihres Protestes könnte daher die alte, durch den Streit um den „sächsischen Konservator“ hervorgerufene Animosität gewesen sein. Gleichzeitig haben sich jene drei Mitglieder der sächsischen Nation wohl auch an der neu zusammengesetzten achtköpfigen Kommission gestört, die laut Protokoll vom 24. August aus Matthias von Liegnitz, Peter von Znaim, 365 Ludolf, 366 Heinrich von Homberg, Johannes Altenaw, 367 Helmold, 368 Jo356 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 348. Marcus von Hradetz war Mitglied der böhmischen Universitätsnation und in den späteren Jahren einer der aktivsten Magister an der Artistenfakultät. 357 Ebd., 257. Johannes Hübner war Mitglied der polnischen Nation, Bakkalaureus und später Magister der Theologischen Fakultät. Sein ständiges Einkommen hatte er durch seinen Kollegiatsplatz im Kolleg König Wenzels gesichert. MUPr II, 336. 358 Zu Stanislaus von Znaim, der im gegebenen Augenblick Kollegiat des Karlskollegs und Student an der Theologischen Fakultät war (im Jahre 1395 war er bereits als aktiver Magister Dekan der Artistenfakultät), vgl. Sousedík, Stanislav: Stanislaus von Znaim († 1414). Eine Lebensskizze. In: MPP 18 (1973), 37–56. 359 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 259. Johannes von Chlum war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, aktiver Magister an der Artistenfakultät, später Student der Theologischen Fakultät. 360 Ebd., 368. Lorenz von Buchwald war Kollegiat des Karlskollegs und Doktor der Medizin. 361 Ebd., 290. Johannes Pfyster de Eystet war Mitglied der bayerischen Nation und in den neunziger Jahren ein aktiver Magister an der Artistenfakultät. 362 Ebd., 242. Johannes de Folonia war Mitglied der bayerischen Nation und in den neunziger Jahren ein aktiver Magister an der Artistenfakultät. 363 Ebd., 36. Arnoldus de Stargardia war Mitglied der sächsischen Nation und in den neunziger Jahren ein aktiver Magister an der Artistenfakultät. 364 Ebd., 139. Henning Hildesen war Mitglied der sächsischen Nation und ein aktiver Magister an der Artistenfakultät am Ende der neunziger Jahre und im ersten Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts. 365 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 468. Peter von Znaim war Mitglied der böhmischen Universitätsnation, Kanoniker des Karlskollegs und Inhaber anderer Benefizien, im Jahre 1397 bereits Professor der Theologischen Fakultät. 366 Jener Ludolf war wahrscheinlich Ludolf Meistermann von Lübeck, Mitglied der sächsischen Nation, in den neunziger Jahren ein sehr aktiver Magister an der Artistenfakultät und Bakkalaureus der Theologischen Fakultät. Zu ihm vgl. ebd., 343. 367 Ebd., 215. Johannes Altenaw war Mitglied der bayerischen Nation, in den neunziger Jahren und am Anfang des 15. Jahrhunderts ein aktiver Magister an der Artistenfakultät. 368 Jener Helmold war offensichtlich Helmold von Salzwedel aus der sächsischen Nation, in den neunziger Jahren ebenfalls sehr aktiv an der Artistenfakultät.
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hannes von Hohenmauth und Johannes Otto von Münsterberg und damit teilweise aus neuen Personen bestand, die nicht zum Kern der alten Magister-Kollegiaten gehörten. Bei ihnen handelte es sich meistens um Theologen, die das Vorhaben der Universität teilten, Privilegien zu erwerben und die Universitätsautonomie zu stärken. Neben den neuen, unmittelbar das Wort ergreifenden Theologen (Peter von Znaim) fanden auch die sehr aktiven Magister der Artistenfakultät Eingang in die Kommission. Stein des Anstoßes kann daher auch die Nichtberücksichtigung einiger sächsischer Magister zum Nachteil ambitiöser Magister aus derselben Korporation gewesen sein, also rein partikulare Interessen im Rahmen einer „nationalen“ Universitätsgemeinschaft. Um keine übereilten Schlüsse zu ziehen: Es ist ebenfalls möglich, dass den unzufriedenen Magistern aus der sächsischen Nation nur die Höhe der Geldstrafe, ein halber Gulden, für die unberechtigte Benutzung des Signets missfiel, eventuell auch die Unklarheit, wie im Falle neuer Universitätsmitglieder vorzugehen war. Ob sich diese neue achtköpfige Kommission in den folgenden Monaten für das die Jurisdiktion des Rektors erweiternde Privileg einsetzte, weiß man nicht. Die folgenden Folios im ältesten Buch der Universitätsstatuten fehlen erneut. Dasselbe gilt leider auch für die ganze Zeitspanne bis zum Jahre 1403 bzw. bis zum Jahre 1409. Daher ist nur schwer zu entscheiden, ob es nach 1397 im Rahmen der Universität zu einer Änderung kam, die sich v. a. in der Modifikation der Gruppe der aktiven Magister geäußert hätte. Die erhaltenen Quellen aus den neunziger Jahren zeugen nichtsdestoweniger eindeutig davon, dass hinter den Bemühungen um die Stärkung der Universitätsautonomie eine kleine Gruppe bereits etablierter Magister stand. Diese waren meist durch Einnahmen aus den Präbenden in den drei Magisterkollegien abgesichert (Allerheiligen-, Karls- und Wenzelskolleg). Die überwältigende Mehrheit von ihnen wirkte an der Theologischen Fakultät. Dies gibt bis zu einem gewissen Maße auch Aufschluss über das Zustandekommen des Vertrages zwischen den Fakultäten über den Vorrang der Theologischen Fakultät vor den übrigen Fakultäten am Anfang der neunziger Jahre. Es scheint daher, dass in den neunziger Jahren die Dreifakultätenuniversität von Magister-Theologen ohne Unterschied der nationalen Zugehörigkeit beherrscht wurde. Diese Magister-Theologen wirkten v. a. in den Kommissionen, welche sich um die Stärkung der Universitätsautonomie bemühten. Sie setzten sich mit dem Gewicht ihrer Autorität für die Sanierung der dabei entstandenen Kosten ein, welche die Gesamteinnahmen der Universität bei Weitem überstiegen. Dazu nahmen sie alle Universitätsglieder in die Pflicht. Sie beanspruchten also auch die Mittel der gewöhnlichen Universitarier, die keine Inhaber kirchlicher Benefizien waren, gerichtlich nichts einfordern und folglich auch aus den neu erworbenen Privilegien keinen Nutzen ziehen konnten. In dieser Hinsicht waren die 1390er Jahre eine Zeit der Eintracht v. a. zwischen den aktiven und materiell abgesicherten Universitätsrepräsentanten. Einzige Ausnahme dabei war die Missbilligung der Tätigkeit der drei Konservatoren der Rechte und Privilegien an der Prager Universität durch die sächsische Universitätsnation, weil sie auf symbolischer Ebene die Angehörigen der drei übrigen Universitätsnationen bevorzugt habe. In diesem Fall stellten sich die einfachen
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sächsischen Magister und Studenten gegen ihre eigenen Vertreter an der Spitze der Universität und versuchten, ihre korporativen Interessen durchzusetzen. Im Zusammenhang mit diesem Auftreten der sächsischen Nation lohnt sich ein genauerer Blick auf die neuere Interpretation des ganzen Problems von Jiˇrí Stoˇces. Dieser schließt aus dem Verlauf des Streites, dass „die Nationen ambitionierte autonome, ihre Interessen mit Druck durchsetzende Korporationen darstellten“, und dass man ihre „Forderungen auch nicht im Rahmen einer Universität übergehen konnte“. 369 Das im Juli 1397 geschlossene Abkommen ist seiner Meinung nach ein Kompromiss, denn die Forderungen der sächsischen Universitätsnation mussten die übrigen drei Nationen als Anmaßung wahrnehmen. Ihre Beschwerde sollte die sächsische Nation laut Stoˇces an die Kurie richten und nicht im Rahmen der Magisterkongregation zu lösen versuchen. Stoˇces geht dabei von der Prämisse aus, dass die Vollmachten an einen Subkonservator nur ein vom Papst bestellter Konservator und nicht die Universität als Ganzes delegieren konnte. Stoˇces’ Schlussfolgerungen sind meines Erachtens allerdings übertrieben. Sicher waren die Prager Universitätsnationen autonome Korporationen. Mit Ausnahme der Streitigkeiten von 1384 bis 1390 und von 1397 kennt man jedoch bis zum Erlass des Kuttenberger Dekretes keinerlei Konflikte, die von einem partikularen Interesse der einzelnen Nationen herrührten. Die Quellen, die Stoˇces für die Tätigkeit der einzelnen Konservatoren versammelt, belegen keineswegs, dass die Konservatoren als zuständig für die Mitglieder der konkreten Universitätsnationen empfunden worden wären. Eindeutig gilt das für die Belege über die Tätigkeit der einzelnen Subkonservatoren, die nicht nur im Falle von Streitigkeiten der Angehörigen der sächsischen Nation tätig wurden. Ihre Beschwerde konnte die sächsische Universitätsnation allerdings weder an die päpstliche Kurie noch an eine andere Gerichtsinstanz richten, denn dann hätte ihr Vorgehen als eine Verletzung der concordia nacionum wahrgenommen werden müssen. Bei dieser verpflichtete sich die Universität als Ganzes, wie man aus den Interpretationen der concordia nacionum aus den Jahren 1409/10 weiß, dass keine Universitätsnation irgendeinen Gerichtsstreit aus der Universität hinaus tragen werde. Die sächsische Universitätsnation ging daher auf eine Weise vor, die am Prager Studium generale üblich werden sollte. Sie löste den Streit mittels der Friedensrichter, die im Rahmen der Universität mit der sächsischen Nation verhandelten. Jenes Abkommen bevorzugte dabei keinesfalls die sächsische Universitätsnation zum Nachteil der drei übrigen Nationen. Denn die Subkonservatoren, auf welche die einzelnen Konservatoren ihre Vollmachten delegieren konnten und deren Tätigkeit die Universität als Ganzes finanzierte, sollten in Wirklichkeit nicht nur die Streitfälle der Angehörigen der sächsischen Nation lösen. Der einzige Vorteil für die sächsische Nation bestand darin, dass sie den Residenzort der einzelnen Subkonservatoren beeinflussen konnte. Im Vergleich zu den drei örtlich festgelegten Konservatoren schien dieser Vorteil den übrigen drei Nationen nicht allzu groß und leicht akzeptabel gewesen zu sein.
369 Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 40 f.
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Nation über den Nationen? Analysiert man die neunziger Jahre unter dem Gesichtspunkt der Immatrikulationen an der Artistenfakultät, dann sind sie das erste Jahrzehnt in der Universitätsgeschichte, in dem es zu einem Rückgang kam. Dieses rückläufige Interesse an einem Studium in Prag kann man nur aufgrund der Anzahl der Personen verfolgen, denen der Erwerb eines Bakkalaureus- oder Magistergrads an dieser Alma Mater gelungen war. Wie von anderen mitteleuropäischen Fakultäten an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert bekannt ist, überstieg die Anzahl der Studenten, die sich an der Artistenfakultät einschrieben und nur einige Semester an ihr studierten, ohne auch nur die Bakkalaureatsprüfungen abzulegen, die Anzahl der Studenten bei Weitem, die mit einem Universitätsabschluss weggingen. 370 Deshalb spiegeln die heute bekannten Zahlen der graduierten Prager Universitarier, der Absolventen der Artistenfakultät, nur jene wider, die eine höhere Beziehung zur Universitätsbildung hatten. Da die Matrikel der Artistenfakultät nicht zur Verfügung steht, ist mit den Angaben über die Studenten vorlieb zu nehmen, die in den neunziger Jahren einen der Grade erworben haben. Im Dekansbuch der Artistenfakultät, dessen erste Eintragungen ins Jahr 1367 zurückreichen, wird zudem die Zugehörigkeit des betreffenden Universitariers zur Universitätsnation nicht angeführt. So hängen sämtliche quantitativen Analysen ausschließlich von den Angaben der Herkunftsorte der einzelnen Universitarier ab und von ihrer hypothetischen und bis zu einem gewissen Maße subjektiven Zuordnung zu dieser oder jener Universitätsnation durch die Forscher. Aus der quantitativen Analyse, die Hana Václav˚u auf den Spuren von František Šmahel in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchführte, ergibt sich, dass die Immatrikulationszahlen ihren Höhepunkt in den 1380er Jahren erreichten. 371 Zwischen 1379 und 1388 erwarben mindestens 1596 Personen einen Universitätsgrad. Dabei hatten die Mitglieder der böhmischen Universitätsnation einen bloßen Anteil von 12,7 Prozent. In den neunziger Jahren (1389–1398), die hier v. a. interessieren, war die Anzahl der Personen, die einen der Grade erworben hatten, deutlich gesunken. Belegt sind nur 923 Personen, von denen die Mitglieder der böhmischen Universitätsnation 21,9 Prozent bildeten. Dadurch erreichte die böhmische Universitätsnation unter dem Gesichtspunkt ihrer Vertretung an der Artistenfakultät annähernd das Niveau der übrigen Nationen. 372 Diese Senkung der Immatrikulationszahlen war bekanntermaßen v. a. durch den Rückgang der Mitglieder der bayerischen und sächsischen Nation bedingt, die ihre Universitätsgrade künftig in größerer Anzahl an den neu gegründeten Universitäten in Erfurt, Heidelberg und Köln am Rhein erwarben bzw. an der in den achtziger Jahren gründlich reformierten Wiener Universität. 373 Dieser Trend könnte bereits am Ende der achtziger Jahre eingesetzt haben, 370 371 372 373
Allgemein Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte (wie Anm. 68), 527–564. ˚ Poˇcet graduovaných a negraduovaných student˚u (wie Anm. 57), 7–32, hier 18–20. Václavu, Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 1–45, hier 21. Die gegenseitigen Beziehungen bei Schwinges, Rainer Christoph: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches. Stuttgart 1986.
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also bald nach der Gründung der Heidelberger und der Kölner Hohen Schule. Denn die rückläufigen Graduiertenzahlen werden wohl die rückläufigen Immatrikulationen um einige Jahre verzögert spiegeln. Die Universitätsbildung an der Artistenfakultät dauerte nämlich in der Regel drei bis vier Jahre. Daher können die quantitativen Daten der Graduierten vom Anfang der neunziger Jahre drei bis vier Jahre ältere Daten zur Anzahl der Immatrikulierten wiedergeben. Hierfür ist jedoch bedeutsamer, dass der Rückgang der Einschreibungen in keiner Weise mit dem Streit um die Besetzung der Kollegiatsplätze zusammenhing. Dieser betraf eher nur die schmale Elite der Universitarier, die eine Universitätskarriere anstrebten. Der Rückgang der Einschreibungen war in der überwältigenden Mehrheit der Fälle eine Folge der sich allmählich durchsetzenden Regionalisierung der Universitätsbildung in Mitteleuropa, die später noch durch die Erneuerung der Krakauer und die Gründung der Leipziger Universität vertieft wurde. Die Errichtung einer paritätischen Vertretung der vier Universitätsnationen an der Artistenfakultät war also auf keinen Fall durch die Zunahme der Angehörigen der böhmischen Universitätsnation bedingt. In den neunziger Jahren erwarb nämlich die gleiche Anzahl (202) der Mitglieder der nacio bohemorum einen Universitätsgrad wie im vorangegangenen Jahrzehnt. Und da auch in den Jahren 1399–1409 die Graduierten aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation keineswegs zahlreicher wurden (im Gegenteil: Es sind aus diesem Jahrzehnt nur 189 Personen bekannt), 374 schien die Förderung der nacio bohemorum durch adlige und bürgerliche Mäzene, über die gleich noch gesprochen wird, ihren Hauptzweck zu verfehlen, nämlich die Erhöhung des Interesses an einer Universitätsbildung bei Laien böhmischer Herkunft. Diese etwas skeptische Feststellung kann nur die Tatsache abschwächen, dass gemessen am Herkunftsort die Universitarier aus Böhmen von den neunziger Jahren an langsam die Oberhand gewannen. Jener Trend zur Regionalisierung der Universitätsbildung wurde auch im Königreich Böhmen Realität durch höhere Immatrikulationszahlen von Studenten mährischer Herkunft an der Wiener Universität. Für diese war die österreichische Metropole schlichtweg leichter zu erreichen als Prag. 375 Obwohl die nacio bohemorum zahlenmäßig nicht anwuchs, nahm in den neunziger Jahren ihr Einfluss auf die Universitätsverwaltung erkennbar zu. Besonders deutlich wurde dies durch die häufigere Besetzung des Dekanspostens der Artistenfakultät aus ihren Reihen. Während in den siebziger und achtziger Jahren ein Mitglied der böhmischen Universitätsnation nur ausnahmsweise Dekan der Artistenfakultät wurde und Dekane aus den Reihen der bayerischen Nation dominierten, wechselten sich in den neunziger Jahren die böhmischen Dekane mit den Dekanen
374 Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 21. ˚ Poˇcet graduovaných a negraduovaných student˚u (wie Anm. 57), 375 Das bemerkt bereits Václavu, 23 f. – Zu den Mährern und Böhmen an der Wiener Universität vgl. Hlaváˇcek, Ivan/Hlaváˇcková, Ludmila: Studenti z cˇ eských zemí a Slovenska na vídeˇnské univerzitˇe [Studenten aus den böhmischen Ländern und der Slowakei an der Wiener Universität]. In: AUC – HUCP 2/1 (1961), 107– 114, mit Auszügen aus der Wiener Universitätsmatrikel.
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der übrigen drei Nationen regelmäßig ab. 376 Diese Praxis ähnelt der alternierenden Besetzung des zwölften Kollegiatsplatzes im Karlskolleg. Allerdings war im Falle des Dekans dieses Prinzip in keiner Weise normativ verankert. Letztlich spiegelte es nur das Vorhandensein einer ausreichenden Zahl an böhmischen Magistern wider, die imstande waren, akademische Funktionen zu übernehmen (in den siebziger Jahren erwarben nur 93 Angehörige der nacio bohemorum einen Grad an der Artistenfakultät). Gleichzeitig ergab sich aus dieser Situation, die František Kavka für die Magister-Regenten erforschte, 377 dass die böhmischen Magister an der Artistenfakultät im Vergleich zu den Magistern der drei auswärtigen Universitätsnationen im Durchschnitt eine höhere Anzahl von Jahren wirkten und an Verwaltungsaufgaben mehr interessiert waren. Die ausländischen Universitarier verbanden ihr Studium nicht derart mit der künftigen akademischen Laufbahn, obzwar sich unter ihnen in den neunziger Jahren auch solche befanden, die einige Jahre sehr aktiv als Fakultätswürdenträger arbeiteten. Alle quantitativen Forschungen beweisen daher, dass die böhmische Universitätsnation während der neunziger Jahre in keiner Hinsicht eine Majoritätsstellung erlangte und sich nur durch die häufigere Ausübung des Dekanspostens hervortat. Im Falle der Magister-Regenten hingegen kopierten die Mitglieder der nacio bohemorum lediglich die proportionale Vertretung der Anzahl der graduierten Studenten aus dieser Nation. Da die böhmischen Magister in den neunziger Jahren ungefähr 26 Prozent aller Magister-Regenten stellten und ihr Anteil im folgenden Jahrzehnt nur auf 29 Prozent anwuchs, kann man keinesfalls von einem deutlichen Übergewicht böhmischer Magister-Regenten sprechen. 378 Dem steht auch nicht die Feststellung im Wege, die jeweiligen Anteile der Regenten seien gar nicht genau feststellbar. Denn die hier gemachten Angaben geben nur vereinzelte Erwähnungen ihrer Tätigkeit und nicht ihre Gesamtaktivität wieder. Selbst wenn man die Länge des pädagogischen Wirkens der einzelnen Magister-Regenten berücksichtigt, wird der Anteil der Magister aus der nacio bohemorum nicht deutlich höher. Die einzige markante Änderung in Bezug auf die böhmischen Magister erfolgte in den neunziger Jahren und betrifft ihren nachweislich leichteren Zugang zu den beiden Magisterkollegien, also dem Karls- und dem Wenzelskolleg, und zwar infolge der Abkommen über eine überproportionale Vertretung der Angehörigen der nacio bohemorum. Für die künftige Ausrichtung der aus Böhmen und Mähren stammenden Universitätsmagister war allerdings damals am wichtigsten, dass die meisten Kollegiatsplätze mit dem Studium an der Theologischen Fakultät und mit dem Erwerb des Lizenziats und des Doktorats verknüpft waren. Die erhöhte Vertretung der böhmischen Magister unter den Professoren der Theologischen Fakultät, die erst am Anfang des 15. Jahrhunderts vollends
376 Zu diesem Schluss gekommen ist Šmahel, The Faculty of Liberal Arts (wie Anm. 67), 226. 377 Kavka, Mistˇri-regenti (wie Anm. 56), 77–96. 378 Ebd., 81–84. – Neue Angaben bei Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 22.
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zum Vorschein kam, war jedoch für die Entwicklung der Reformansichten die wesentlichste Folge. 379 Es mutet daher einigermaßen paradox an, dass sich gerade in den neunziger Jahren eine bis dahin nicht bekannte Welle mäzenatischer Aktivität erhebt – und dies ausschließlich zu Gunsten der nacio bohemorum. Den Auftakt bildete die Stiftung eines Stipendiums für zwei aus Böhmen stammende Studenten an der Pariser oder Oxforder Universität. Der freigebige Mäzen war der Pariser Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio, der Mitte der sechziger Jahre auf die Prager Alma Mater noch sehr despektierlich herabschaute. An seinem Lebensende, nach scharfen Konflikten mit Erzbischof Johannes von Jenstein und seinen Kurialen, schwächte Adalbertus seine Ansichten zwar etwas ab. Seine Stiftung legt jedoch offen, dass für ihn eine höhere Bildung eher westwärts von Prag zu erlangen war. Diese Auffassung, nach der die Konfrontation mit dem gebildeten Ausland ungeahnte Früchte trage, hält sich übrigens bis heute. Dass die akademische Migration zwischen Prag und Oxford (Paris kam wegen seiner Zugehörigkeit zum Avignonesischen Papsttum in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts nicht in Frage) höchstwahrscheinlich zu einer massenhaften Rezeption von John Wiclifs Lehre beigetragen hat, ist ein ungewolltes und für Adalbertus, hätte er es noch erlebt, sicher niederschmetterndes Ergebnis seiner frommen Stiftung. Dies konnte jedoch im Jahre 1388, als er am 4. März und am 2. April seine Testamente niederschrieb, niemand ahnen. Wiclif war, wie noch zu zeigen ist, zu diesem Augenblick ein von den englischen kirchlichen Autoritäten eindeutig verurteilter Häretiker. Hierfür ist v. a. die Urkunde vom 2. April bedeutsam, in welcher Adalbertus seinen gesamten beweglichen Besitz (250 goldene Dukaten, 323 Ungarische Gulden, 20 Französische Gulden und 15 Englische Gulden) zu Händen seiner Testamentsvollstrecker vermachte. Das waren Johann und Heinrich von Rosenberg, der Kleruskorrektor und Pfarrer von Miltschin (tschech. Miliˇcín) Adalbert, der berühmte Apotheker Angelus und v. a. die beiden Prager Bürger, der Tuchscherer Otto und der Krämer Kreuz. Vor allem sie sollten gemeinsam mit Heinrich von Rosenberg Adalbertus’ Hinterlassenschaft (umgerechnet handelte es sich um die beträchtliche Summe von 270 Schock Groschen) 380 in ewige Renten investieren, die genug Mittel für zwei Stipendien eintragen würden, für jeden Studenten 13 ½ Schock Groschen. Ein solcher Betrag kann jedoch für das Studium in Paris oder Oxford nicht gereicht haben. Adalbertus setzte voraus, dass die Stipendiaten auch andere Einnahmen haben werden, die allerdings 40 Schock Groschen jährlich nicht übersteigen durften. Die Stipendien sollte ein Domscholastiker tschechischer Nationalität verteilen (erinnert 379 Zur Zusammensetzung der Theologischen Fakultät vgl. Flajšhans, Václav: Pražští theologové ˇ kolem r. 1400 [Prager Theologen um 1400]. In: CNM 89 (1905), 16–31; Ders.: Husovi uˇcitelé [Husˇ 18 (1909), 245–254; Bartoš, Hus a jeho uˇcitelé a kolegové (wie Anm. 182), sens Lehrer]. In: VCA 41–47; Ders.: Ještˇe jednou Husovi uˇcitelé a kolegové na bohoslovecké fakultˇe Karlovy univerzity [Noch einmal Hus und seine Lehrer und Kollegen an der Theologischen Fakultät der Karlsuniversität]. In: JSH 14 (1941), 105. 380 Dies ergibt sich aus der Urkunde vom 21. Oktober 1388, veröffentlicht bei Loserth, Johann: Beiträge zur Geschichte der husitischen Bewegung. 2. Der Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio. In: AÖG 57 (1878), 203–276, hier 212 f.
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sei daran, dass Adalbertus selbst einst Domscholastiker war). Gehörte dieser einer anderen Nationalität an, hatten über die Auswahl der Stipendiaten der Kapiteldekan und drei ältere Kanoniker zu entscheiden. Sie sollten unter den Universitariern ausschließlich solche auswählen, deren Eltern beide tschechischer Herkunft waren. 381 Das Stipendium war also für gebürtige Tschechen bestimmt, jedoch nicht für arme und angehende Scholaren, sondern vielmehr für bereits etablierte und gebührend vorgebildete Kleriker und Universitarier. Für die Geschichte des Mäzenatentums an der Prager Universität ist es bezeichnend, dass Adalbertus’ Testament im Haus des Prager Krämers Kreuz niedergeschrieben wurde und dass dieser vermögende Altstädter Bürger – der wahrscheinlich vom Handel und von Einnahmen aus hohen Renten lebte – 382 einer der Testamentsvollstrecker war. Der Hypothese von Šmahel 383 zufolge verletzten gerade Kreuz und Leute aus seiner Umgebung dann die ursprüngliche Bestimmung der Stiftung, die dem Kapitel nicht vollständig bekannt gewesen sein muss (auch wenn die Anwesenheit des Kleruskorrektors nicht dafür spricht), und verteilten die Stipendien nach eigenem Gutdünken und ohne Rücksicht auf die Meinung des Domscholastikers bzw. des Kapiteldekans. Krämer Kreuz, der in Prag sicher eingefleischte Feinde hatte und 1406 möglicherweise (eher aber nur seine Diener) gemeinsam mit dem Altaristen der Bethlehemskapelle Matthias von Tuˇcap vor das Gericht der Generalvikare als Anhänger von Wyclifs Remanenzlehre geladen wurde, 384 stand im Hintergrund vieler weiterer Mäzenatenaktivitäten zu Gunsten der nacio bohemorum. Er war einer der Hauptstifter der Bethlehemskapelle und erlebte als einziger von ihnen noch den Erlass des Kuttenberger Dekretes (er starb um 1412). Obwohl die Bethlehemskapelle v. a. ein Ort tschechischsprachiger Predigten im tschechischen Viertel der Prager Altstadt werden sollte, wo in den neunziger Jahren auch manch ein bedeutender deutscher Prediger wirkte (Nikolaus Magni von Jauer und nach ihm im 15. Jahrhundert Johannes von Mies), 385 rechnete man schon von Anfang an mit ihrer engen Verbindung zur böhmischen Universitätsnation. Das Patronatsrecht der Kapelle behielt zwar ihr Hauptstifter Johannes von Mühlheim. Die Prediger sollte er jedoch auf Vorschlag der drei ältesten böhmischen Magister aus dem Karlskol-
381 Das Testament von Adalbertus Ranconis de Ericinio bei Loserth, Johann: Nachträgliche Bemerkungen zu dem Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio. In: MVGBD 17 (1879), 198–213, hier 210–212. – Zur Literatur vgl. Kadlec, Mistr Vojtˇech Raˇnk˚uv z Ježova (wie Anm. 73), 67 f. 382 Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy (wie Anm. 19), hier Bd. 2, 484 f.; Mendl, Bedˇrich: Z hospodáˇrských dˇejin stˇredovˇeké Prahy [Aus der Wirtschaftsgeschichte des mittelalterlichen Prag]. In: SPDHMP 5/2 (1932), 161–390, zum Krämer Kreuz im Register. 383 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 24. 384 Diese Darlegung geht von der einigermaßen verworrenen Nachricht in der Chronik der Prager Universität aus: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 8, 569. – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 173; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 221. 385 Zu Johannes von Mies vgl. die heute fast vergessene Studie von Schreiber, Rudolf: Johann von Mies. Ein vorhussitischer Prediger der Prager Deutschen. In: Heimat und Volk. Forschungsbeiträge zur sudetendeutschen Geschichte. Festschrift für Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Wostry. Hg. v. Anton Ernstberger. Brünn 1937, 157–194.
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leg und des Altstädter Bürgermeisters auswählen. 386 Bei der Gründung rechnete man ebenfalls mit der Stiftung von Stipendien, einer Burse oder eines Kollegs für arme böhmische Studenten der Theologischen Fakultät sowie mit einem zweiten Prediger, einem Altaristen am privaten Altar von Krämer Kreuz, und zwar ebenfalls aus den Reihen der Universitarier. 387 Durch die Errichtung der Bethlehemskapelle gewann die böhmische Universitätsnation Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf die religiöse Formung eines Teiles der tschechischen Altstädter Bürger und der in Miete lebenden Tagelöhner. Sicher wurde dadurch auch ihr Prestige gestärkt. Trotzdem sei daran erinnert, dass diese mäzenatische Tätigkeit wie im Falle der Magisterkollegien und der Stiftung von Adalbertus Ranconis de Ericinio v. a. auf Theologen abzielte. Im gegebenen Fall handelte es sich immerhin um Theologen (auch wenn ihre Anzahl sehr beschränkt war und in der Blütezeit des Stipendiums höchstens vier Personen betraf) ohne ein Benefizium, das ihnen ein materiell sorgloses Leben gesichert hätte. Neben Krämer Kreuz, über dessen Universitätsstudium und religiöse Einstellungen nichts Näheres bekannt ist, war Magister Johannes Wenceslai von Prag ein bedeutender Mäzen der Prager Universität. Sie bewahrte sein Andenken auch bis ins 17. Jahrhundert hinein. 388 Johannes trat bereits durch seine aktive Rolle im Streit um die Kollegiatsplätze und im Konflikt der Theologieprofessoren mit Erzbischof
386 Die Gründungsurkunde ist zugänglich in MUPr II, 300–308 (Nr. XXV), hier 304 f.: „Ut habita prima praesentatione per me de persona, quam voluero, eodem cedente vel decedente tres magistri de collegio Caroli, natione Boemi et seniores, assumto ad se in consilium magistro civium majoris civitatis Pragensis, qui fuerint pro tempore, mihi aut heredibus et successoribus meis tres personas habiles et idoneas, et quas meliores in veritate et utiliores in praedicationis officio omnibus affectionibus, favoribus et aliis circumductis noverint, praesentabunt et offerent, super quo eorum conscientiam coram Deo volo praesentibus onerari, ex quibus unum, qui mihi aut meis heredibus et successoribus convenientius videbitur aptior et utilis, ad instituendum et confirmandum loci ordinario praesentabo, aut mei heredes et successores praesentabunt, ipseque capellarius seu praedicator facere ibidem tenebitur residentiam personalem.“ 387 Zusammenfassend Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 209–214. – Die Edition der Altarstiftungsurkunde befindet sich in MUPr II, 329–334 (Nr. XXXV). – Offenbar erst 1409 (am 19. Juni) hat der Krämer Kreuz einen zweiten Altarposten gestiftet und als Prediger Stephan von Páleˇc vorgeschlagen, der im gegebenen Augenblick nicht in Prag war. Jener Predigerposten war tatsächlich eine sehr einträgliche Pfründe, denn der zweite Prediger sollte jährlich zwölf Schock und 22 Groschen beziehen. Das Patronatsrecht behielt sich Kreuz auch weiterhin persönlich und für seine Erben vor, nach dem Muster des ersten, im Jahre 1391 gestifteten Predigerpostens; den Vorschlag von zwei geeigneten Kandidaten hat er allerdings den tschechischstämmigen Altstädter Ratsherren überlassen. Es ist bekannt, dass 1409 die Tschechen im Altstädter Rathaus tatsächlich die Vorherrschaft erlangt hatten. Kreuz konnte jedoch rechnen und wusste, dass nichts ewig dauern muss, und daher hatte er in die Gründungsurkunde die Klausel eingefügt, dass vier ältere Magister aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation die beiden Kandidaten vorzuschlagen haben, sollten die Tschechen einmal nicht im Rat vertreten sein. Die betreffenden Quellen bei Sokol, Vojtˇech: Pˇríspˇevek k ˇ dˇejinám kaple Betlémské [Beitrag zur Geschichte der Bethlehemskapelle]. In: CNM 97 (1923), 24– 34, hier 29 f. 388 Polišenský, Josef/Vobrátilová, Jana: M. Jana Kampana kalendáˇr dobrodiní, prokazaných pražské akademii [Des Mag. Johannes Campanus Kalender der der Prager Akademie erwiesenen Wohltaten]. In: AUC – HUCP 4 (1963), 67–95, hier 76.
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Abb. 7 Die Bethlehemskapelle in der Altstadt Prag.
Johannes von Jenstein in Erscheinung. Im Jahre 1390 schenkte er der nacio bohemorum jedenfalls sein Haus und seine umfangreiche Bibliothek. Daraus entwickelte sich dann später das Kolleg der böhmischen Nation. Obwohl sich die Quellen über die Anfänge dieses Kollegs ausschweigen und der Beitrag von Johannes’ Vermächtnis zur Entwicklung der böhmischen Universitätsnation in den neunziger Jahren daher unsicher ist, 389 steht nicht zu vermuten, dass diese Stiftung die Ausbildung böhmischer Studenten entscheidend förderte. Vom Kolleggeld konnten sich nämlich höchstens vier Studenten ernähren, am ehesten solche aus der Artistenfakultät. Die für die Studenten böhmischer Herkunft bestimmte Burse entstand in den neunziger Jahren offenbar im Haus „Zur schwarzen Rose“. Dieses kam jedoch unter unbekannten Umständen erst 1402 in die Hände der böhmischen Universitätsnation. Erst von diesem Zeitpunkt an entwickelte es sich zum Zentrum des intellektuellen Lebens der böhmischen Universitarier. 390 Zur selben Zeit ging auch die Fronleichnamskapelle auf dem Ring der Prager Neustadt in den Besitz der böhmischen Universitätsnation über. Sie wurde 1393 von der Bruderschaft des Reifens und des Hammers gegründet,
389 Šmahel, Doplˇnky (wie Anm. 104), 17 f. 390 Ders., Husitská revoluce (wie Anm. 71), 209.
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die sich ursprünglich aus Höflingen Wenzels IV. und Prager Bürgern ohne jegliche national emanzipatorische Motivation zusammensetzte. 391 Die Verwalter der Bruderschaft übergaben im Jahre 1403 die Kapelle an Johannes Hus als Repräsentanten der nacio bohemorum. Damit gaben sie zu erkennen, welchem Kreis von Universitariern die Kapelle und v. a. ihre ansehnlichen Jahreseinkünfte in Höhe von 110 Schock Groschen dienen sollten. Wie diese Geldmittel genutzt wurden, weiß man nicht, leider schweigen sich die Quellen darüber aus. Höchstwahrscheinlich kamen sie tatsächlich der böhmischen Universitätsnation zugute 392 – ungeachtet dessen, dass das Patronatsrecht der Kapelle weiterhin in den Händen König Wenzels IV. lag und dass einer der Kapellenverwalter ab 1403 Johannes von Pustimir war, 393 ein bereits in den neunziger Jahren sehr aktiver Magister an der Artistenfakultät, von dessen Reformhaltung im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts allerdings nichts bekannt ist. 394 Das auf dem ersten Blick sehr ausgeprägte Mäzenatentum ab Anfang der neunziger Jahre, auch wenn durch einige kleinere Stiftungen von Prager Bürgern für konkrete Institutionen erweitert, trug realiter nur in beschränktem Maße zur Unterstützung der nacio bohemorum bei. Die Errichtung der Bethlehemskapelle und die spätere Schenkung der Fronleichnamskapelle hatten sicher propagandistische Bedeutung und können die Mitglieder der drei übrigen Universitätsnationen gereizt haben, denen gleichartige korporative Schenkungen nicht zuteil wurden. Davon ausgenommen sind freilich die der Universität als Ganzes zugedachten Schenkungen, sie beförderten in der Praxis aber ebenfalls in erster Linie das böhmische Element unter den von ihrem Wesen her etwas exklusiven Theologiestudenten. Für die Studenten der Artistenfakultät wurden hingegen nur wenige Stipendien errichtet. Sie vermochten die Kosten des Studiums der überwältigenden Mehrheit der Personen, die an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert einen der Universitätsgrade an der Artistenfakultät erwarben, nicht annähernd zu decken. Die Möglichkeit, eines der Stipendien zu erwerben, kann die Entwicklung eines Gruppenbewusstseins sicher initiiert haben. Tatsächlich hatten diese Stipendien (zumindest nach den bekannten quantitativen, von der Anzahl der graduierten Böhmen ausgehenden Daten) aber in keiner Weise das Interesse an einer Universitätsbildung im böhmischen und mähri-
391 Polívka, Miloslav: K šíˇrení husitství v Praze (Bratrstvo a kaple Božího tˇela na Novém Mˇestˇe pražském v pˇredhusitské dobˇe) [Zur Verbreitung des Hussitismus in Prag (Fronleichnamsbruderschaft und -kapelle in der Prager Neustadt in vorhussitischer Zeit)]. In: FHB 5 (1983), 95–118. 392 So urteilt Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 214. – Šmahels Ansicht relativiert Zilynská, Blanka: Pražská univerzita – patron církevních beneficií? [Die Prager Universität – Patronin kirchlicher Benefizien?]. In: AUC – HUCP 47/1–2 (2007), 75–87, hier 83, jedoch nur aufgrund der fehlenden Quellen über die Nutzung der Kapelle durch die böhmische Universitätsnation. Tatsächlich ist es aber unwahrscheinlich, dass die böhmische Universitätsnation, nachdem sie die Kapelle unter ihre Verwaltung bekommen hatte, jene 110 Schock jährlicher Einnahmen nicht hätte nutzen können. Die Übergabe der Kapelle in die Hände der böhmischen Nation ergäbe dann keinen Sinn. 393 MUPr II, 410–412 (Nr. LIV). 394 Grundlegende Angaben bei Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 294. Johannes von Pustimir war im Jahre 1403, als er zum Verwalter der Fronleichnamskapelle wurde, Dekan der Artistenfakultät, ein Jahr später Rektor der Dreifakultätenuniversität und im Jahre 1405 Vizekanzler.
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Abb. 8 Die Fronleichnamskapelle auf dem Viehmarkt, heute Karlsplatz, in der Prager Neustadt, zerstört 1791, Ausschnitt aus der Prager Stadtansicht von Egidius Sadeler (1606).
schen Umfeld erhöht. Die meisten Studenten waren auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, bzw. im Falle der Studenten der höheren Fakultäten auf den Ertrag kirchlicher Benefizien, und profitierten v. a. von frommen Schenkungen ihrer nahen und entfernteren Verwandten, die bei der Stiftung von Privataltären das Entstehen des Benefiziums mit einem Einkommen zur Universitätsausbildung ihres künftigen konkreten Trägers verbanden. Diese privaten Stiftungen zur Erreichung eines Universitätsgrades werden in den erhaltenen Quellen zwar nur vereinzelt erwähnt, 395 dies kann aber an der Quellenlage und nicht am tatsächlichen Zustand liegen, wie übrigens bei vielen Phänomenen der mittelalterlichen Realität.
395 Ein solcher Fall ist die Stiftung für einen Studenten, einen Verwandten der Herren von Swinˇcan, die Nikolaus von Swinˇcan gegründet hat. Den Namen des Studenten sollten Nikolaus von Leitomischl, Stephan von Kolin und Johannes von Hohenmauth vorschlagen. Dazu Odložilík, M. Štˇepán z Kolína (wie Anm. 144), 17. – Ein anderer Fall ist die Stiftung des Pfarrers Dietmar von Wschetat (tschech. Všetaty) aus dem Jahre 1406 für Johann, Sohn des Wenzel von Hodkowitz, dessen Studienerfolge Johannes Hus und Paul von Prag beaufsichtigen sollten (ebd., 21).
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Allen bereits angeführten Erwägungen ist schließlich eine grundsätzliche Anmerkung hinzuzufügen, die in der Forschung bisher nicht derart herausgestellt worden ist. Außer der Stiftung des Adalbertus Ranconis de Ericinio war nämlich keine weitere Schenkung und keine weitere mäzenatische Initiative ausschließlich für mütterund väterlicherseits gebürtige Tschechen bestimmt. Alle Stiftungen waren der nacio bohemorum als Ganzes zugedacht. In keinem einzigen Fall haben sich Belege erhalten, welche die Nutzung der von der böhmischen Universitätsnation verwalteten Stipendien mit der ethnischen oder sprachlichen Zugehörigkeit verknüpften. Auch aus späteren Zeiten hört man keine Beschuldigungen oder Klagen, die „wahren Böhmen“ hätten sich sämtliche Einkünfte und sämtliche Stiftungen vorbehalten und seit den neunziger Jahren bewusst die deutschsprachigen (oder sogar die deutsch empfindenden) Mitglieder der nacio bohemorum benachteiligt. Den Forschungen Zatscheks und der Präzisierung bzw. Relativierung seiner Daten durch Václav˚u und Šmahel 396 zufolge war deren Anzahl nicht gering. Sicher, die mit der Bethlehemskapelle verbundenen Stipendien richteten sich an Personen mit einem ausgeprägten tschechischen Nationalempfinden. In anderen Fällen, vielleicht mit Ausnahme der Fronleichnamskapelle, fehlt aber eine derartig belegte Tendenz. Das Fehlen jeglicher national motivierter Streitigkeiten an der Karlsuniversität in den 1390er Jahren und das Fehlen jeglicher Belege über Konflikte zwischen ethnisch wie sprachlich tschechischen und ethnisch wie sprachlich deutschen Angehörigen der nacio bohemorum legen die Vermutung nahe, dass das letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts das Kuttenberger Dekret keineswegs vorbereitete und dass auch die Unterstützung der nacio bohemorum nicht national zugespitzt gesehen werden darf.
Prager Reformbewegung und Rezeption der Wyclif’schen Lehre Sähe man die Anfänge der Reformbewegung mit den Augen des im Jahre 1409 neu gewählten und durch den Erfolg der böhmischen Nation im Konflikt um das Kuttenberger Dekret siegestrunkenen Universitätsrektors Johannes Hus, entstünde wohl ein Bild, bei dem die Geschichte als Argumentationsfigur auftaucht, das aber nichts mit der eigentlichen Realität gemein hat. Der künftige Märtyrer schildert seinen Zuhörern die Geschichte der einheimischen Reformströmung mit offensichtlichen und gezielten Auslassungen. Die Bedeutung der Prager, meist aus den Reihen der drei deutschen Universitätsnationen stammenden Magister, die in den achtziger und
396 Vgl. Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 19, für die Verhältnisse an der Juristenfakultät mit Revision der Schlüsse von Zatschek (wie Anm. 54), 17. Laut Šmahel bildeten die Deutschen im Rahmen der nacio bohemorum etwa ein Viertel (laut Zatschek beinahe die Hälfte). Für die nacio bohemorum an der Artistenfakultät ist eine so konzipierte Forschung bisher nicht durchgeführt worden. Es ist selbstverständlich problematisch, die Ergebnisse von der Juristen- auf die Artistenfakultät zu übertragen. Eine erste Orientierung geben diese Verhältnisse von Tschechen zu Deutschen allerdings.
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neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts an der Artisten- und v. a. an der Theologischen Fakultät und an den Ordensgeneralstudien wirkten, schmälert er dabei. 397 Hus begann 1409 mit der Niederschrift der böhmischen Reformationsgeschichte, freilich ahnte er da noch nicht, welche Richtung sie einmal einschlagen werde. Seiner Meinung nach waren die Kritiker des zeitgenössischen kirchlichen Lebens aus den Reihen der böhmischen Universitätsmagister die Väter der böhmischen Reformation, namentlich Adalbertus Ranconis de Ericinio, Nikolaus Biceps und Stephan von Kolin. Nicht zu ihnen zählte er in seinen Universitätspredigten 398 Johannes Militsch von Kremsier und Matthias von Janov, vielleicht weil sie keine direkten Prager Universitarier waren. Dabei stand der Pariser Magister Matthias nicht nur ihm sehr nahe, weil er – wie Stephan von Páleˇc, Stanislaus von Znaim oder später Jakobellus von Mies – die Kirche, in der er lebte, mit dem religiösen, als Urbild empfundenen Leben der Urkirche konfrontierte. Hus und Jakobellus strebten eine Art Wiederherstellung des Lebens der frühen Kirche an, nicht zuletzt durch den Ausschluss unwürdiger Geistlicher aus dem Körper der Kirche. Dies sollte zunächst durch den Eingriff der obersten, durch Zbynko Zajíc von Hasenburg repräsentierten Kircheninstanz erreicht werden. Als der Erzbischof von Prag den Reformern aber die kalte Schulter gezeigt hatte, wandten sie sich ihnen gewogenen Vertretern der weltlichen Macht zu, und zwar König Wenzel IV. und einem Teil seiner Höflinge. Um Hus jedoch nicht Unrecht zu tun, sei hinzugefügt: Seine radikale Sicht auf die Anfänge der böhmischen Reformation hatte auch einen realen Ausgangspunkt. Im Unterschied zu den reformorientierten Theologen, die in ganz Europa an den Universitäten disputierten und ihre Ansichten in gelehrten Traktaten verkündeten, stand er selbst – wie auch die ihm treuen philosophischen Realisten – der damals populären Idee des Konziliarismus sehr reserviert gegenüber. 399 Diese sollte nicht nur das päpstliche Schisma beenden, sondern mittels des Kollegiums der Kardinäle und Theologen auch eine Kirchenreform von oben herbeiführen. Diese waren aber in den Augen Hussens im Jahre 1409 nicht weniger verderbt als das Papsttum. Die reservierte Einstellung gegenüber dem Konziliarismus war aber offenbar nicht zentral. Hus lehnte nämlich v. a. deshalb das Erbe der Prager Reformströmung ab, weil diese in den 1380er und 1390er Jahren mehrheitlich von Theologen repräsentiert wurde, die Angehörige der drei – für Hus, Hieronymus von Prag oder Johannes von Jessenitz – damals bereits rein deutschen Universitätsnationen waren. Und von diesen Nationen trennte Hus und seine Anhänger nicht nur das Kuttenberger Dekret, sondern
ˇ 397 Zu den Ordensgeneralstudien zusammenfassend Kadlec, Reholní generální studia (wie Anm. 205), 63–108. 398 Hussens Predigt zuletzt kritisch in: Johannes Hus. Positiones – recommendationes – sermones. Hg. v. Anežka Schmidtová. Praha 1958, 119–130. 399 Es hat keinen Sinn, an dieser Stelle die unübersichtliche Literatur zum Konziliarismus zu zitieren. So verweise ich auf die hervorragende Forschungsübersicht bei Miethke, Jürgen: Konziliarismus. Die neue Doktrin einer neuen Kirchenverfassung. In: Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Hg. v. Ivan Hlaváˇcek und Alexander Patschovsky. Konstanz 1996, 29–59.
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auch der nach 1403 beginnende scharfe Konflikt zwischen den Anhängern des philosophischen Nominalismus und des Realismus Wyclifs. Gegenseitige Anfeindungen und später auch der Vorwurf der Ketzerei machte beide Parteien unversöhnlich, bis zum Äußersten entschlossen und füreinander blind. 400 Dabei hatten – ob das Hus nun zugeben konnte oder nicht – beide Strömungen, die böhmisch-reformorientierte vom Anfang des 15. Jahrhunderts und die universitäre der achtziger und neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts, viel gemeinsam. Vor allem die achtziger Jahre, in denen Konrad von Soltau, Matthäus von Krakau, Johannes Marienwerder, Heinrich von Bitterfeld und später Nikolaus Magni von Jauer sowie der böhmische Magister und Lehrer Hussens Stephan von Kolin (seiner geistigen Nähe v. a. zu Matthäus von Krakau 401 muss sich Hus voll bewusst gewesen sein) die erste Geige spielten, 402 waren durch eine offene und kompromisslose Kritik der zeitgenössischen Kirche geprägt, die wegen prunkvoll lebender Prälaten und ihre Pflichten vernachlässigender Pfarrer missfiel. Diese Kritik im Geiste des aufkeimenden Konziliarismus, der bekanntermaßen nicht den Vorstellungen des Erzbischofs Johannes von Jenstein oder des Königs Wenzel IV. entsprach (letzter wurde erst in dem Moment zum Anhänger der Pisaner Kardinäle, als sich damit die Hoffnung auf den erneuten Erwerb der römischen Königskrone verband), forderte allerdings keine öffentliche Sündenbestrafung, materielle Armut oder Rückkehr zu den Praktiken der Urkirche. Neben der Lösung rein spekulativer theologischer Fragen konzentrierten sich die reformorientierten Universitarier nämlich auf die Katechisation der unzureichend ausgebildeten Geistlichen. Dazu schrieben sie didaktische Bibelauslegungen, stellten Beichthandbücher zusammen, schlugen Reformen des Mönchlebens vor oder formulierten klare Anleitungen, wie die Grundartikel des christlichen Glaubens zu begreifen und an die Laien zu vermitteln seien. In den neunziger Jahren verfassten die Reformer ebenfalls praktische Pönitenzialschriften. Deren Autoren waren Matthäus von Krakau („Confessionale“), Stephan von Kolin („Libellus de poenitencia“) und möglicherweise Konrad von Ebrach, auch wenn sein „Compendium confessionis“ erst während seiner Lehrtätigkeit an der Wiener Universität entstanden sein kann. 403 Für die frühe Reform ist die zeitnahe Übersetzung der ersten beiden
400 Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79). 401 Zu dessen Reformwirken und zu seinen in Prag entstandenen theologischen Schriften zuletzt Nuding, Matthäus von Krakau (wie Anm. 241), 25–75. – Zu unserem Thema muss man v. a. berücksichtigen Kałuza, ˙ Zenon: Eklezjologia Mateusza z Krakowa. Uwagi o De praxi Romanae curiae [Ekklesiologie des Matthäus von Krakau. Bemerkungen über „De praxi Romanae curiae“]. In: StM 18 (1977), 51–174; Dies.: Metateologia Mateusza z Krakowa. Rozwaz˙ ania wst˛epne nad „Rationale operum divinorum“ [Metatheologie des Matthäus von Krakau. Überlegungen zu „Rationale operum divinorum“]. In: Ebd. 20 (1980), 19–90. 402 Zu Stephan von Kolin und zu seinen kirchenkritischen Ansichten treffend Odložilík, M. Štˇepán z Kolína (wie Anm. 144), 10–16, 27–45. 403 Eine Liste der in den tschechischen Bibliotheken erhaltenen Handbücher bei Kejˇr, Jiˇrí: Summae confessorum a jiná díla pro foro interno v rukopisech cˇ eských a moravských knihoven [„Summae confessorum“ und andere Werke pro foro interno in den Manuskripten der böhmischen und mährischen Bibliotheken]. Praha 2003; zu den Handbüchern böhmischer Herkunft oder zu den mit der
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Schriften ins Deutsche bemerkenswert. 404 Ihr Kern war eine Reform der Priesterschaft, die auf eine neue, aufgeklärte Weise zur Erneuerung der ganzen Kirche wirken sollte, die Laien nicht ausgenommen. Es ging ihnen nicht wie Konrad Waldhauser 405 oder Johannes Militsch von Kremsier 406 um eine bloß Blitz und Donner speiende Kritik (auch wenn man diese ebenfalls bei ihnen findet), sondern um neue Wege zur Bekehrung der nur äußerlich christianisierten, unzureichend ausgebildeten und auf weltliche Weise lebenden Pfarrer und Leutpriester. 407 Ein Beleg dafür ist beispielsweise die „Postilla super epistolas dominicales“ des Prager Theologiedoktors Matthias von Liegnitz (genannt Hildebrendi), geschrieben für die Deutsch predigenden Studenten-Kleriker, wovon sein Seufzer über den Niedergang des Predigens in deutscher Sprache zeugt. 408 Die Erwägungen der frühen Reformer reichten oft noch weiter. So schlossen sie bereits in den achtziger Jahren auch gebildete Laien ein, die nicht als bloße Empfänger der religiösen Wahrheiten betrachtet wurden. Deshalb unterstützte Matthäus von Krakau ebenso wie Adalbertus Ranconis de Ericinio (dieser stand aber sonst außerhalb der Reformströmung) auch die volkssprachliche didaktisch-religiöse Lite-
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Prager Universität verbundenen vgl. ebd., 93–109. Kejˇrs Arbeit berücksichtigt allerdings nicht die Gelehrtentexte böhmischer Provenienz, die zwar keine klassischen Beichthandbücher darstellen, sich jedoch detailliert den theologischen Fragen widmen, die mit der Beichte und Buße verbunden sind. Odložilík, M. Štˇepán z Kolína (wie Anm. 144), 10. Zu Konrad Waldhauser mit Nachdruck auf seine Reformgedanken Loskot, František: Konrad Waldhauser, ˇreholní kanovník sv. Augustina, pˇredch˚udce M. Jana Husa [Konrad Waldhauser, Ordenskanoniker an St. Augustin, Vorläufer des Mag. Johannes Hus]. Praha 1909; Bylina, Stanisłav: Wpływy Konrada Waldhausera na ziemiach polskich w drugiej połowie XIV i pierwszej połowie XV wieku [Die Einflüsse Konrad Waldhausers in den polnischen Ländern in der zweiten Hälfte des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts]. Wrocław-Warszawa-Kraków 1966, 9–34; Nechutová, Jana: Ranˇe reformní prvky v „Apologii“ Konráda Waldhausera [Frühe Reformelemente in der „Apologie“ des Konrad Waldhauser]. In: SPFFBU 29 (1980), 241–248. Johannes Militsch von Kremsier steht im Vergleich zu Konrad Waldhauser heute stärker im Fokus der Forschung, und zwar sowohl wegen seiner apokalyptischen Denkweise als auch wegen seiner praktischen Reformtaten, die sich an fromme Laien, v. a. Frauen, richteten. – Mengel, David C.: From Venice to Jerusalem and Beyond: Milíˇc of Kromˇeˇriž and the Topography of Prostitution in Fourteenth-Century Prague. In: Spec 79/2 (2004), 407–442. – Militsch’ Eschatologie neuerdings bei Nechutová, Jana: Eschatologie in Böhmen vor Hus. In: Eschatologie und Hussitismus. Hg. v. Alexander Patschovsky und František Šmahel. Prag 1996, 61–72; Cermanová-Libichová, Pavlína: Apokalyptické vize husitského vˇeku [Apokalyptische Visionen des hussitischen Zeitalters]. Praha 2010. – Militisch’ Predigten in der sonst etwas schematischen Arbeit Morée, Peter C. A.: Preaching in Fourteenth-Century Bohemia. The Life und Ideas of Milicius de Chremsir († 1374) and his Significance in the Historiography of Bohemia. Heršpice 2000. Am Beispiel des Stephan von Kolin Odložilík, M. Štˇepán z Kolína (wie Anm. 144), 12–16; Nuding, Matthäus von Krakau (wie Anm. 241), 34. Die Postille des Matthias von Liegnitz wurde aber auch von tschechischen Studenten gelesen, wie die Manuskripte mit tschechischen Glossen bezeugen. – Bylina, Wpływy Konrada Waldhausera (wie Anm. 405), 61.
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ratur wie die Übersetzungen und Kompilationen des Thomas Štítný von Štítné. 409 Im Geiste der damals lebendigen, neuen Frömmigkeit (Devotio moderna), 410 die im böhmischen Umfeld jedoch einen anderen Charakter als im entfernten Flandern hatte, 411 begannen manche reformorientierte Universitarier, wiederum v. a. Matthäus von Krakau und Heinrich von Bitterfeld, 412 den Gedanken der häufigen oder sogar täglichen heiligen Kommunion für die durch die neue Frömmigkeit erfassten Laien zu unterstützen. 413 Der komplizierte, aber erfolgreiche Kampf um diese Idee – die Ansichten der universitären Reformer stimmten hier im Übrigen mit den Ansichten des reformorientierten, religiös eifrigen Kreises um Matthias von Janov überein – 414 beeinflusste die Gestaltung der böhmischen Reformation grundsätzlich. Die Durchsetzung der 409 Zu Thomas Štítný von Štítné und seinem didaktisch religiösen Eklektizismus zuletzt Rychterová, Pavlína: Die Offenbarungen der heiligen Birgitta von Schweden. Eine Untersuchung zur alttschechischen Übersetzung des Thomas von Štítné (um 1330–um 1409). Köln-Weimar-Wien 2004. 410 Zu diesem Begriff zuletzt Elm, Kaspar: Die „Devotio moderna“ und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spätmittelalter. Hg. v. Marek Derwich und Martial Staub. Göttingen 2004, 15–29, mit einer Forschungsübersicht. – Für die Beziehung der Devotio moderna zur Buchkultur sehr inspirativ Kock, Thomas: Die Buchkultur der Devotio moderna. Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels. Frankfurt am Main u. a. 1999. 411 Für die böhmischen Verhältnisse treffend Gerwing, Manfred: Malogranatum oder der dreifache Weg zur Vollkommenheit. Ein Beitrag zur Spiritualität des Spätmittelalters. München 1986; Ders.: Die sogenannte Devotio moderna. In: Jan Hus. Zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen. Hg. v. Ferdinand Seibt. München 1997, 49–58. – Dagegen heute schon etwas veraltet Spˇeváˇcek, Jiˇrí: Devotio ˇ moderna. Cechy a roudnická reforma. K úsilí o zmˇenu mentalit v období rostoucí krize morálních hodnot [Devotio moderna. Böhmen und die Raudnitzer Reform. Zu den Bemühungen um eine Mentalitätsänderung in der Zeit der wachsenden Krise moralischer Werte]. In: MHB 4 (1995), 171–197; ˇ Spunar, Pavel: Ceská devotio moderna – fikce a skuteˇcnost [Böhmische Devotio moderna – Fiktion und Wirklichkeit]. In: LF 127 (2004), 356–370. – Zuletzt durch die neue Auffassung belehrt Rychterová, Pavlína: Konzepte der religiösen Erziehung der Laien im spätmittelalterlichen Böhmen. Einige Überlegungen zur Debatte über die sog. Böhmische Devotio Moderna. In: Kirchliche Reformimpulse des 14./15. Jahrhunderts in Ostmitteleuropa. Hg. v. Winfried Eberhard und Franz Machilek. Köln-Weimar-Wien 2006, 219–237. 412 Seiner Person hat Vladimír Koudelka unter dem Titel „Heinrich von Bitterfeld O. P. (gest. um 1405) – Universitätsprofessor und Regens in Prag“ (Freiburg im Üechtland 1949) eine Dissertation gewidmet. Einen Auszug daraus hat er veröffentlicht unter Koudelka, Vladimír: Heinrich von Bitterfeld O. P. (gest. um 1405) – Professor an der Universität Prag. In: AFP 23 (1953), 5–65. – Zuletzt zu seiner literarischen Tätigkeit: Henricus Bitterfeld de Brega OP: Tractatus de vita contem´ ´ plativa et activa. Hg. v. Bruno Mazur, Ladislaus Senko und Richardus Tatarzynski. Warszawa 2003, IX–XXVII, mit Vorbereitung einer kritischen Edition von Heinrichs Traktat über die aktive und kontemplative Lebensweise. 413 Jindˇrich z Bitterfeldu (wie Anm. 243), mit Analyse der Schriften „De institucione sacramenti eukaˇ ristie“ und „De crebra communione“; Cernuška, Pavel: The Eucharist in the Writings of Heinrich of Bitterfeld. In: BRRP 7 (2009), 80–90. – Zuletzt hat Marin, Olivier: L’archevêque, le maître et le dévot. Genèses du mouvement réformateur pragois. Années 1360–1419. Paris 2005, 477–508, die ganze Problematik übersichtlich behandelt. 414 Bemerkenswert ist, dass Matthias von Janov, obwohl es gerade er war, der die Aufmerksamkeit der böhmischen Reformer auf das Ideal der frühen Kirche gerichtet hatte, ganz abseits der Forschungsinteressen bleibt. Die bis heute einzige Monographie über ihn stellt die im Geiste der systematischen
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täglichen Kommunion, welche die Laien den geweihten Klerikern annähert und als geistige Speise auf ihrem Weg zur Erlösung stärkt, machte die Frage der Eucharistie im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zum Angelpunkt der böhmischen Reformation. Mit der eucharistischen Frage war bereits in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts die Frage einer tieferen Christianisierung der Laien verbunden, konkret auch durch eine Abkehr von abergläubischen Praktiken. Die Kirche hatte nämlich in ihrem Bestreben, sich dem naturalistisch aufgefassten Glauben der Laien anzupassen, der Meinung vieler Reformer nach allzu sehr das alltägliche rituelle Verhalten geheiligt, das von der religiösen Orthodoxie und den theologischen Vorstellungen der Gelehrten weit entfernt war. Am ausgeprägtesten kommt diese Denkrichtung des Prager Reformkreises in den Schriften des Nikolaus Magni von Jauer zum Tragen. Sie wurden zwar erst am Anfang des 15. Jahrhunderts in der Zeit seines Wirkens in Heidelberg geschrieben, sind jedoch ohne Zweifel Prager Prägung. 415 Nikolaus erwarb 1395 in Prag das Theologiedoktorat und wirkte gleichzeitig als Prediger in der zentralen Prager Reformkirche St. Gallus. 416 Frucht seines Prager Aufenthalts ist unter anderem die Schrift „Concordancia evangelistarum de passione Domini“, die als ein elementares Handbuch für Prediger gedient haben könnte. Sie führt nämlich auf eine systematische Weise die strittigen Stellen der einzelnen Evangelien an, selbstverständlich mit Kommentaren von theologischen Autoritäten. Nach Heidelberg siedelte Nikolaus 1402 über. Dort schrieb er dann neben dem Traktat über den Aberglauben, übrigens im Waldhauser’schen Geiste, die „Questio de mendicantibus“, welche die Bettelorden angreift. Durch Waldhauser beeinflusste Schriften schrieb er aber bereits in Prag. Um 1400 entstand dort der Traktat „De tribus votis religiosorum“ („De tribus substantibus votis“ bzw. „De tribus essentialibus votis“), der die klösterliche Lebensweise scharf kritisiert, v. a. die Nichteinhaltung der Armut, der geistigen Reinheit und des Gehorsams. Nikolaus behandelt aber nicht nur die Mönche kritisch, sondern auch ihre Vorgesetzten, die Pröpste und die Bischöfe, die den Niedergang der mönchischen Lebensweise zuließen. 417 Theologie geschriebene Arbeit Kybal, M. Matˇej z Janova (wie Anm. 71), dar. Sie nimmt durch ihre Methode die gleichermaßen konzipierte Analyse /Beschreibung von Hussens Theologie vorweg. – Zuletzt zu Matthias von Janov vgl. die Festschrift Mladá Vožice k poctˇe Mistra Matˇeje z Janova († 1393) [Mladá Vožice zu Ehren des Magisters Matthias von Janov]. Hg. v. Milan Machovec und Jana Nechutová. Mladá Vožice 1994. – Die Historiker ziehen forschungsmäßig am meisten die ikonoklastischen Ansichten des Matthias von Janov an. Dazu Bartlová, Milena: Understanding Hussite Iconoclasm. In: BRRP 7 (2009), 115–126, mit Übersicht zu der älteren Literatur. 415 Eine allseitige Analyse dieser Schrift bei Bracha (wie Anm. 244). 416 Franz (wie Anm. 244), 56–76. 417 Eine analoge Rolle wie Nikolaus Magni von Jauer spielte auch Johannes von Ohlau, der in Prag in den siebziger Jahren studierte. 1372 wurde er Bakkalaureus der Artes liberales und 1383 Doktor der Theologie. 1408/09 war er Prediger in Görlitz. Ihm schreibt Bylina, Wpływy Konrada Waldhausera (wie Anm. 405), 78–90, den Traktat „Regulae et modus vivendi sacerdotum“ zu, der am Anfang des ˇ 15. Jahrhunderts in Prag entstand und dort in zwei Exemplaren erhalten ist (Národní knihovna Ceské republiky [Die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik]: Manuskript: I A 35, f. 229 r–271 v; verkürzte Version: XIII G 6, f. 77 r–119 v). Johannes behauptet in seinem Traktat, dass er Zuhörer der Predigten von Konrad Waldhauser, Johannes Militsch von Kremsier und Adalbertus Ranconis
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Die Prager Reformimpulse strahlten am Anfang des 15. Jahrhunderts nicht nur nach Heidelberg aus, sondern in einem wohl noch größeren Umfang auch nach Krakau, dessen erneuerte Universität eine achtbare Tochter der Prager Alma Mater war. 418 Dort entstanden nämlich gleich zu Beginn des 15. Jahrhunderts einige Schriften, die durch ihre Form und ihren nicht allzu großen Umfang der Elementarbildung der Geistlichen dienen konnten. Es handelt sich dabei in erster Linie um Traktate von Johannes Isner, des bedeutendsten Krakauer Theologen (zuvor übrigens sehr aktiver Magister an der Prager Artistenfakultät), konkret um die „Expositio missae“ und den kürzeren „Tractatus de abusionibus missarum“. Derartige vom Prager Reformumfeld inspirierte, didaktisierte Darstellungen verfasste auch ein weiterer ehemaliger Prager Universitarier – der Theologe Matthias von Liegnitz („De officio missae“ und „De missa et horis canonicis“). 419 So scheint die Krakauer Universität auf ihre Weise zur Erbin des Prager Universitätsreformismus der achtziger bis neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts geworden zu sein. Dass die Krakauer Magister schließlich einen ganz anderen Weg einschlugen und sich in der Zeit der hussitischen Revolution sowohl dem Radikalismus der Taboriten als auch dem gemäßigten Prager Utraquismus entschieden entgegenstellten, ist eine andere Sache und rührt von der verspäteten Christianisierung des Königreiches Polen-Litauen und der engen Zusammenarbeit der Krakauer Magister mit dem königlichen Hof her. Diese Zusammenarbeit äußerte sich v. a. in der ideologischen Unterstützung des Königs und des Landes im Konflikt mit dem Deutschen Orden. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts entstanden gerade in Krakau (bzw. in Verbindung mit den Krakauer Intellektuellen) die radikalsten, gegen die Simonie und das verdorbene Papsttum gerichteten Reformschriften. Besonders zu erwähnen ist hier das „Speculum aureum“, für dessen Autor man heute eindeutig den Juristen Peter Wysz von Radolin hält. 420 Dieser war zwar kein Prager, sondern Paduaner Universitarier. Das „Speculum aureum“, das man früher irrtümlich de Ericinio gewesen sei. Er tritt als Moralist und Asket auf, der das Benehmen des Klerus wie Trunksucht, Würfelspiele, Tragen teurer Gewänder, Jagd, Tragen von Jagdvögeln in die Kirche oder Kontakte der Geistlichen zu Prostituierten hart kritisiert. 418 Die vielseitigen Einflüsse der Prager Hohen Schule auf die Krakauer Universität analysieren Krzyzaniakowa, ˙ Jadwiga: Zwiazki ˛ uniwersytetu praskiego z uniwersytetem krakowskim w drugiej połowie XIV wieku [Verbindungen der Prager Universität zur Krakauer Universität in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts]. In: AUC – HUCP 5/1–2 (1964), 53–134; Ozóg, ˙ Krzysztof: Utrum Universitas Pragensis sit mater Universitatis Cracoviensis? Czyli o wzorcach korporacyjnych krakowskiej wszechnicy w XV wieku [Utrum Universitas Pragensis sit mater Universitatis Cracoviensis? Oder über Korporationsmuster der Krakauer Universität im 14. Jahrhundert]. In: Wspólnoty małe i duz˙ e w społecze´nstwach Czech i Polski w s´ redniowieczu i w czasach wczesnonowoz˙ ytnych. ´ Hg. v. Wojciech Iwanczak und Janusz Smołucha. Kraków 2010, 59–81. 419 Ausführlich widmet sich Ozóg, ˙ Krzysztof: Kleine Pastoralkompendien in den spätmittelalterlichen Synodalstatuten Polens. In: Partikularsynoden im späten Mittelalter. Hg. v. Nathalie Kruppa und Leszek Zygner. Göttingen 2006, 216–237, im Kontext seiner Forschung über die polnischen Intellektuellen an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert den Krakauer Professoren und ihren katechetischen Gelehrtenschriften. ´ 420 Eine kritische Edition hat Senko, Władysław: Piotr Wysz z Radolina i jego dzieło „Speculum aureum“ [Peter Wysz von Radolin und sein Werk „Speculum aureum“]. Warszawa 1995, vorbereitet. Die Urheberschaft von Peter Wysz von Radolin verteidigen im Großen und Ganzen überzeugend
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dem Prager Theologen Albert Engelschalk zuschrieb, 421 verfasste er aber als einen juristischen Kommentar zur scharf antipäpstlichen Schrift des Matthäus von Krakau, die Mitte des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts ein nie dagewesenes Echo hervorrief und ganz Europa empörte. Sie erschien entweder unter dem Titel „De praxi Romanae curiae“ oder unter der schmählichen Bezeichnung „De squaloribus curiae Romanae“. 422 Obwohl Matthäus diese scharfe Kritik der simonistischen Praktiken aus persönlichen Erfahrungen mit der römischen Kurie heraus schrieb, kann man sie trotzdem auch als einen Widerhall des Prager, durch den Konziliarismus beeinflussten Reformdenkens der 1390er Jahre betrachten. Es ist bezeichnend, dass der Traktat „De squaloribus curiae Romanae“ und das „Speculum aureum“ nach ihrem Erscheinen kein vernehmliches Echo in Prag hervorriefen, bis auf ihre Aufbewahrung in böhmischen Bibliotheken. 423 Der Konziliarismusgedanke war in Prag zu dieser Zeit nämlich fast schon erloschen. Zu Wort sollte er sich erst wieder unter dem Einfluss der neuen politischen Konstellation im Zusammenhang mit der Einberufung des Pisaner Konzils melden. 424 Zur Erbin Prags wurde in dieser Hinsicht wiederum die
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sowohl Se´nko als auch Kałuza, ˙ Zenon: Autor „Speculum aureum“. In: RFi 28 (1980), 203–232; Ders.: Matthieu de Cracovie, Pierre Wysz de Radolin et les autres: en reponse a Jürgen Miethke. In: PPM 3–4 (2005–2006), 239–252. – Letzte Studie polemisiert gegen die Ansichten von Miethke, Jürgen: Eine unsichere Rekonstruktion von Textverhältnissen oder die offenen Fragen um die „Squalores“ und das „Speculum aureum“. In: Ebd., 253–261, der die Urheberschaft von Peter Wysz zwar teilweise anerkennt, gleichzeitig aber auch eine Autorenschaft von Job Vener erwägt, die einst Heimpel, Hermann: Studien zur Kirchen- und Reichsreform. Teil 2: Zu zwei Kirchenreform-Traktaten des beginnenden 15. Jahrhunderts. Heidelberg 1974, einbrachte. Nach Novotný, Václav: Náboženské hnutí cˇ eské ve 14. a 15. stol. [Die böhmische Religionsbewegung im 14. und 15. Jahrhundert]. Praha 1915, 104–108, ist das „Speculum aureum“ während des Prager Aufenthaltes von Albert Engelschalk entstanden (nach 1402 ging er an die Wiener Universität), also etwa zehn Jahre vor 1404. ´ Kritische Editionen: Senko, Mateusza z Krakowa (wie Anm. 241); Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts. Teil 1: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414–1418). Ausgew. und übers. v. Jürgen Miethke und Lorenz Weinrich. Darmstadt 1995, 60–165. – Dieser Edition gegenüber skeptisch: Mateusz z Krakowa: O praktykach Kurii Rzymskiej ´ [Matthäus von Krakau: Über die Praktiken der römischen Kurie]. Übers. v. Władysław Senko. K˛ety 2007, 32 f. Die mögliche Beeinflussung des Matthäus von Krakau durch den Traktat „De simonia“ Heinrichs von Bitterfeld und Matthäus’ Einfluss auf Hussens und andere Urteile über die Simonie müssen allerdings noch untersucht werden, auch wenn Hussens Kritik mehr gegen die simonistischen Praktiken der Kleriker gerichtet war, während Matthäus ausschließlich die Simonie der päpstlichen Kurie attackierte. Das Echo ist die Disputation von Maˇrík Rvaˇcka mit Johannes von Falkenberg in Prag. Dazu vgl. Boockmann, Hartmut: Johannes Falkenberg, der Deutsche Orden und die polnische Politik. Untersuchungen zur politischen Theorie des späten Mittelalters. Göttingen 1975, 180–183. Laut Boockmann nahm er zu Gregor IX. eine Art Mittelposition ein, auf keinen Fall hatte jedoch sein Auftritt etwas mit der Politik Wenzels IV. zu tun oder unterstützte diese. Anderseits räumt Boockmann ein, dass Johannes’ in Prag am 7. Dezember vorgetragene Quästion einen Gegenpol zu den Heidelberger Postillen darstellt. Zuletzt zu dieser Disputation Uhlíˇr, Zdenˇek: Determinace Maˇríka ˇ Rvaˇcky na obranu Rehoˇ re XII. [Die Determination Maˇrík Rvaˇckas zur Verteidigung Gregors XII.]. In: AUC – HUCP 41/1–2 (2001), 177–193.
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Krakauer Universität, jenen Konziliarismusgedanken brachten die ehemaligen Prager Magister schlesischer oder polnischer Herkunft in ihrem Gepäck mit. 425 Der Schwanengesang des frühen Prager Reformismus war aber nicht erst der Weggang der Universitätstheologen nach Heidelberg oder nach Krakau. Im Kern begann sein Niedergang bald nach der synodalen Zustimmung des Johannes von Jenstein zur täglichen Laienkommunion. 426 Der Konflikt des Erzbischofs mit Wenzel IV., der in einen harten Eingriff des Königs gegen die Höflinge und Beamten des Erzbischofs mündete, entfremdete dem Haupt der böhmischen Kirche nämlich eine Reihe seiner früheren Anhänger, die nun sein Vorgehen hart, wenn auch anonym kritisierten. 427 Nach und nach verließen Prag: Matthäus von Krakau, Johannes Isner, Nikolaus Magni von Jauer, Matthias von Liegnitz, Albert Engelschalk und weitere. Anfang des 15. Jahrhunderts hatte also keiner der ursprünglichen Prager Reformer mit Ausnahme des Heinrich von Bitterfeld, der weiterhin an der Kathedralschule und im dominikanischen Ordensstudium an St. Clemens lehrte, das innere Bedürfnis und den Willen, mit der neu auftretenden, generationsmäßig geschlossenen Gruppe der böhmischen Universitätsmagister 428 eine gemeinsame Sprache zu suchen. Bis heute bleibt es ein Rätsel, wann und v. a. warum sich diese Gruppe der böhmischen Magister aus dem früher beinahe einheitlichen Universitätskörper ausgliederte. Die junge Generation der böhmischen Reformer, unter denen in der ersten Phase die Professoren der Theologischen Fakultät Stephan von Páleˇc und Stanislaus von Znaim tonangebend waren, konzentrierte sich zunächst auf die Lösung von Problemen der philosophischen Spekulation. In religiösen Fragen beschränkte sie sich wie Militsch von Kremsier auf die Kritik des weltlichen Lebenswandels der Kleriker. Dabei ließ sie sich besonders von Stephan von Kolin inspirieren. Stephan von Páleˇc, Stanislaus von Znaim, Peter von Stupno, Johannes Hus, Marcus von Hradetz oder Simon von Tischnowitz wirkten durch die Prager Universität, die Universitätsdisputationen, die Konflikte mit den nominalistisch argumentierenden Magistern der drei Nationen oder mit den Konservativen im bischöflichen Kapitel. Als Prediger 429 hatten sie direkten Kontakt zum gebildeten Prager Bürgertum, Hus insbesondere in 425 Zum Konziliarismus in der polnischen Gesellschaft vgl. Ozóg, ˙ Uczeni w monarchii (wie Anm. 221), der die problematische Arbeit von Wünsch, Thomas: Konziliarismus und Polen. Personen, Politik und Programme aus Polen zur Verfassungsfrage der Kirche in der Zeit der mittelalterlichen Reformkonzilien. Paderborn u. a. 1998, grundsätzlich revidiert. 426 Pražské synody a koncily pˇredhusitské doby [Prager Synoden und Konzilien der vorhussitischen Zeit]. Hg. v. Zdeˇnka Hledíková und Jaroslav V. Polc. Praha 2002, 254. 427 Poˇrízka, Kdy a proˇc byl napsán Planctus cleri? (wie Anm. 249), 111–128, zweifelt an, dass Stephan von Kolin der Autor des Flugblattes „Planctus cleri“ ist, das Odložilík, Otakar: Leták M. Štˇepána z Kolína o pronásledování knˇeží z roku 1393 [Flugblatt des Mag. Stephan von Kolin über ˇ die Priesterverfolgung im Jahre 1393]. In: VKCSN (1926), 1–48, herausgegeben hat und Stephan zuspricht. 428 Auf die Generationenverwandtschaft hat bereits aufmerksam gemacht: Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 37. 429 Zur heimischen Reformpredigertätigkeit zuletzt Soukup, Pavel: „Ne verbum Dei in nobis suffocetur . . . “ Kommunikationstechniken von Predigern des frühen Hussitismus. In: Bohemia 48 (2008), 54–82; Ders.: Die Predigt als Mittel religiöser Erneuerung: Böhmen um 1400. In: Böhmen und
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der Bethlehemskapelle. Trotzdem dominierten unter den Zuhörern die tschechischen Universitätsscholaren. Die Welt des Pfarrklerus außerhalb von Prag – von den Laien ganz zu schweigen – blieb ihnen bis dahin verschlossen. Mit der Zeit änderten sich jedoch ihre kirchenreformatorischen Ansichten durch die Übertragung der Impulse Wyclifs von rein spekulativen philosophischen Fragen auf die brennenden Probleme der praktischen Theologie und des alltäglichen Glaubens. Dadurch bekam aber ihr Tun in den Augen der nicht reformorientierten nominalistischen Magister einen ketzerischen Anstrich. Es ist sinnlos zu verschleiern, dass für die Universitarier, welche die kirchliche Autorität unbeschränkt bejahten, jene Unterstellung einer ketzerischen Neigung nicht unbegründet war. Die neue Generation der böhmischen Universitätsmagister bekannte sich bewusst und demonstrativ zu den Gedanken des englischen Philosophen und Theologen John Wyclif, dessen Schriften bereits am Ende der 1370er Jahre in die Prager Universitätswelt einzudringen begannen. In einem Kommentar zu den „Sentenzen“ von Petrus Lombardus verurteilte der an der Universität wirkende Prager Dominikaner Nikolaus Biceps die Remanenzlehre Wyclifs, die in Prag aber 20 Jahre später einen starken Anklang finden wird. 430 Diesen Kommentar datiert Włodzimierz Zega vor den 4. Oktober 1381. 431 Daraus kann man schließen, dass bestimmte Schriften Wyclifs in Prag bereits einige Jahre früher bekannt waren und studiert wurden. Biceps stützte seine negativen Ansichten von Wyclif und seinen Schülern sicher auch auf die neuerliche Verurteilung der Thesen des „Doctor evangelicus“, wie später Hus und Hieronymus von Prag den Oxforder Magister nennen werden, durch Papst Gregor XI. im Mai 1377. Die päpstliche Verurteilung beantwortet jedoch nicht die Frage, auf welchen Wegen Wyclifs Schriften (oder Auszüge aus ihnen) bald nach der Niederschrift nach Böhmen gerieten. Bartoš geht davon aus, dass hierbei die Kontakte des Dominikanerordens, gegen den Wyclif hart auftrat, und diplomatische Beziehungen bei den Verhandlungen über die Heirat von Richard II. und der Tochter Karls IV. Anna entscheidend waren. 432 Jedenfalls wurde die zweite Verurteilung der 24 ketzerischen Artikel Wyclifs durch die Londoner Synode vom 17. Mai 1382, die den Oxforder Magister aus dem Bereich der christlichen Orthodoxie verwies, 433 in Prag möglicherweise noch schneller bekannt als die päpstliche Verurteilung. Vom Erlass der
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das Deutsche Reich. Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich (13.–16. Jahrhundert). Hg. v. Eva Schlotheuber und Hubertus Seibert. München 2009, 235–264, vorerst ohne Berücksichtigung der deutschen Reformpredigertätigkeit. Zuerst bemerkt bei Stein, Evžen: Mistr Mikuláš Biceps, jeho osobnost historická a literární, doba, prostˇredí, význam [Magister Nikolaus Biceps, seine historische und literarische Persönlichkeit, ˇ seine Zeit, sein Umfeld, seine Bedeutung]. In: VKCSN 4 (1928), 1–92, hier 44, der den Kommentar von Biceps in die Jahre 1378/79 datiert hat. Zega (wie Anm. 202), 56–62. ˇ Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 34 f. Zur Verurteilung von Wyclifs Ansichten durch die Londoner Synode vgl. Larsen, Andrew Eric: John Wyclif, c. 1331–1384. In: A Companion to John Wyclif. Late Medieval Theologian. Hg. v. Ian Christopher Levy. Leiden 2006, 1–66, hier 50–58.
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Londoner Synode wusste nämlich Mitte der 1380er Jahre der Erzbischof von Prag, Johannes von Jenstein. 434 Er hielt es allerdings nicht für notwendig, die Verurteilung Wyclifs in der Diözesansynode bekannt zu geben. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass dessen schmähliche Ketzerlehre, wie er urteilte, in Böhmen irgendein Echo finden könnte. Da an der Prager Universität, wie im nächsten Kapitel ausführlich gezeigt wird, bei Bildungsinhalten eine ausgeprägte akademische Freiheit herrschte, wurden Wyclifs Werke auch nach ihrer Londoner Verurteilung gelesen und kommentiert, wie die weiteren Schriften von Biceps aus der Mitte der achtziger Jahre belegen. Übrigens zählt Biceps, sonst eher ein Gegner der Wyclif’schen Ketzerei, völlig zu Recht zu den Vätern der böhmischen Reformation um Hus. Im Unterschied zu seinen Prager Universitätsopponenten war er ein Anhänger des logischen und metaphysischtheologischen Realismus. 435 Für die Prager Rezeption der Wyclif’schen Lehre ist bezeichnend, dass in den zehn Jahren nach Biceps Anklänge an Wyclif aus den Universitätsschriften verschwinden. Dies kann am Erhaltungszustand der Quellen oder an der unzureichenden Erforschung der bekannten Texte liegen. Anderseits gibt Šmahels Verzeichnis der böhmischen Quellen zu den Streitigkeiten um die universalia realia 436 der Auffassung Recht, dass ein neues oder eher erneuertes Interesse an Wyclif erst Mitte der neunziger Jahre einsetzte, und zwar dank der Ausführungen des Stephan von Páleˇc und des Stanislaus von Znaim. Damals entstand der Kommentar zu Wyclifs Schrift „De universalibus“, den Ivan Müller abermals Stephan zuschreibt. 437 Außerdem vollendete Stanislaus, der Realist par excellence, noch vor 1400 438 seine große Schrift „De universalibus realibus“, die einen regelrechten Universitätskrieg voll von Beschuldigungen und erzbischöflichen Eingriffen auslöste. 439
434 Joannis de Jenstein. Tractatus de consideratione. Hg. v. Jan Sedlák. In: Studie a texty k náboženským dˇejinám cˇ eským 2 (1915), 44–108, hier 105. 435 Zega (wie Anm. 202), 142–154. 436 Šmahel, František: Verzeichnis der Quellen zum Prager Universalienstreit 1348–1500. Wrocław 1980. – Darauf weist im Übrigen ebenfalls hin Herold, Pražská universita a Wyclif (wie Anm. 62), 139–265. Diese Feststellung trifft auch für die Quästion UYAR des Johannes Arsen von Langenfeld zu, die auf dem Quodlibet des Matthias von Liegnitz vorgetragen wurde. Dieses Quodlibet wird heute nicht mehr in das Jahr 1394 datiert, wie bei Herold (ebd., 225), sondern in das Jahr 1399. Dazu Šmahel, František: Die Verschriftlichung der Quodlibet-Disputationen an der Prager Artistenfakultät bis 1420. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), 359–386, hier 377 [zuerst in: Schriften im Umkreis mitteleuropäischer Universitäten (wie Anm. 75), 63–91]. 437 Commentarius in De universalibus Iohannis Wyclif Stephano de Palecz ascriptus. Hg. v. Ivan Müller. Praha 2009, Einleitungsstudie. 438 Zur Datierung vgl. Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 184 f., mit Literaturübersicht. 439 Der Traktat des Stanislaus von Znaim, allerdings Wyclif zugeschrieben, herausgegeben in: Johannis Wyclif Miscellanea Philosophica. 2 Bde. Hg. v. Michael Henry Dziewicki. London 1902–1905, hier Bd. 1. – Als extremen Realisten (Ultrarealisten) bezeichnet Stanislaus Herold, Vilém: Zum Prager philosophischen Wyclifismus. In: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter. Hg. v. František Šmahel. München 1998, 133–146, hier 140.
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Viel bedeutsamer als die erste Rezeptionswelle von Wyclifs Schriften ist aber die Antwort auf die Frage, warum sich die neue Generation der böhmischen Universitätsmagister so demonstrativ zu dem verurteilten Häretiker bekannte. Hier ist wohl dem Urteil der ehemaligen Prager Universitarier beizupflichten, nach dem die böhmischen Magister v. a. Neuerungen suchten. 440 Auch Šmahel hält fest, dass sie „die Gelegenheit nutzten, sich doktrinär von der Mehrheit der deutschen Nominalisten abzusondern“. 441 Einer solchen Haltung entsprechen auch die Glossen Hussens in den philosophischen Schriften Wyclifs vom Ende des 14. Jahrhunderts. So beschloss Hus am 30. September 1398 die Abschrift von Wyclifs Traktat „De materia et forma“ mit einer Glosse, die seinen momentanen Gemütszustand ausdrückte: „O Wyclif, Wyclif, du verdrehst manchem den Kopf.“ 442 Außerdem brachte Hus (oder jemand aus seinem engeren Umkreis) in kleinen Glossen die Motivation für die Zuwendung zu Wyclif zum Ausdruck: „Ha, ha, die Deutschen, ha ha.“ Diese gegen die deutschen Nominalisten an der Prager Universität gerichtete Glosse benutzt der Autor gleich mehrmals, sei es in dieser Fassung oder in der Fassung, von der man manchmal zu Unrecht Hussens überspitzten Nationalismus ableitete: „Haha, die Deutschen, haha, raus, raus.“ Fallen diese Glossen tatsächlich in die Zeit der Abschrift des Traktates am Ende des 14. Jahrhunderts, dann geben sie mehr oder weniger die programmatische Nutzung von Wyclifs Auffassung der Universalien im Konflikt mit den Prager deutschen Nominalisten wieder. Es trifft zu, wie Šmahel zeigt, dass sich dieser Prager Streit um die Universalien fast ausschließlich in den Diskussionen zu den vorab schriftlich ausgearbeiteten Antworten auf die gestellten Fragen äußerte. 443 Große Kommentare hingegen, die Traktate des Stephan von Páleˇc und des Stanislaus von Znaim ausgenommen, entstanden in Prag nicht. Vielmehr kommentierte man die Schriften von Boëthius, Porfyrius, Aristoteles und an der Theologischen Fakultät selbstverständlich die von Petrus Lombardus. Dies unterstützt bis zu einem gewissen Maße den Standpunkt, dass bis 1403 jener Konflikt um die universalia realia nicht grundsätzlich und v. a. nicht national bedingt wahrgenommen wurde. Jedenfalls enthält das von Šmahel entdeckte Quodlibet des bayerischen Magisters Johannes Arsen von Langenfeld, der sich – wohl als Kanonikus eines der Universitätskollegiatkapitel – in der Spätphase in das Bemühen um die Stärkung der Universitätsautonomie eingeschaltet hatte, keinen Hinweis auf einen nationalen Hintergrund des Streites. In diesem war der buridanisch orientierte Johannes unversöhnlich gegen die Realisten aufgetreten, die er jedoch nicht namentlich mit Wyclif identifiziert. 444 Dafür, dass Johannes Mitglied
440 Bartoš, František Michálek: Husitství a cizina [Hussitismus und das Ausland]. Praha 1931, 255. 441 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 185. 442 Auf diese Glossen hat zuerst Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 59–61, aufmerksam gemacht, der sie eindeutig Hus zuspricht. 443 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 188. 444 Ders.: Ein unbekanntes Prager Quodlibet von ca. 1400 des Magisters Johann Arsen von Langenfeld. In: Ders.: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), 336–358 [zuerst in: DA 33/1 (1977), 199–215].
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eines der Kapitel hätte sein können, das zur Hälfte aus böhmischen Magistern bestand, und dass er nicht den nationalen Unterton der philosophischen Streitigkeiten um die universalia realia empfand, spricht die Schenkung seiner eigenen Bücher an das Karlskolleg oder das Allerheiligenkapitel. 445 Hinzuzufügen ist allerdings, dass andere Magister, beispielsweise Johannes Otto von Münsterberg, 446 zu dieser Zeit anders vorgingen und eindeutig gegen Wyclif polemisierten, indem sie seine Ansichten mit den Ansichten der böhmischen Magister verbanden. Dadurch überschritten sie noch immer nicht die Grenzen akademischer Diskussionen. Es blieb vorläufig bei einem Ideenkonflikt. Ein Problem bei der Interpretation des Konfliktes um Wyclif besteht darin, dass man die Magister, die gegen die Anhänger des „Doctor evangelicus“ auftraten, bis auf wenige Ausnahmen nicht kennt. Aus dem Dunkel der Quellen ans Licht treten nur Johannes Otto von Münsterberg, Johannes Hübner, Ludolf Meistermann und Walter Harrasser. Letzter muss allerdings kein eingeschworener Wyclifgegner gewesen sein, sein Anteil an der Verurteilung der 45 Wyclif’schen Artikel im Jahre 1403 kann sich auch nur aus seinem Amt als Universitätsrektor ergeben haben. Warum die eher kleine Gruppe von deutschen Magistern gegen die böhmischen Wiklifiten vorging (die später noch zu erwähnenden dominikanischen inquisitorischen Bemühungen um die Reinheit des Glaubens ausgenommen), ist daher schwer zu beantworten. Man kann aber davon ausgehen, dass auf Seiten der drei deutschen Universitätsnationen durch den Weggang der Reformer der älteren Generation nach Heidelberg und Krakau ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Mit den Magistern, die sich dazu entschlossen hatten, ihre akademische oder kirchliche Karriere an anderen Universitäten oder in anderen Diözesen fortzusetzen, verschwinden in den Quellen allmählich auch die aktiven Magister-Regenten und Theologen, die einst an der Stärkung der Universitätsautonomie beteiligt waren und die sich die nationale Spannung und den möglichen nationalen Hintergrund der philosophischen Streitigkeiten höchstwahrscheinlich überhaupt nicht zu Herzen nahmen. Für diese Arbeit ist es wichtig, sich Folgendes bewusst zu machen: Der Angriff auf die böhmischen Anhänger Wyclifs erfolgte lange bevor sie dessen Ansichten auf das praktische und religiöse Leben übertrugen und lange bevor Wyclif – dem hl. Augustinus gleich – zur hochanerkannten Autorität wurde, auf die man sich in jeder Hinsicht berufen konnte. Im Jahre 1403 war die Wyclif-Rezeption noch nicht derart, dass die böhmischen Reformer in ihren theologischen Ansichten grundsätzlich von der Lehre der Amtskirche abwichen. Die Frage der Remanenz 447 gewann zwar bereits an Bedeutung. Jedoch identifizierten sich weder Johannes Hus noch Stephan von
445 Polišenský/Vobrátilová, M. Jana Kampana kalendáˇr (wie Anm. 388), 76. 446 Zu seiner Person vgl. Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 279 f. – Seine Ansichten über die Universalien bei Markowski, Mieczysław: Die Stellungnahme des Johannes von Münsterberg gegenüber den Universalien. In: AM 8 (1995), 57–68. 447 Dazu zuletzt Sousedík, Stanislav: Uˇcení o eucharistii v díle M. Jana Husa [Die Eucharistielehre im Werk des Mag. Johannes Hus]. Praha 1998, der aber bei der Bewertung Hussens mehr den Prager Pfarrern, die Hus als Anhänger der Remanenzlehre beschuldigten, Gehör schenkt als den Aussagen
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Páleˇc jemals vollständig mit der Wyclif’schen Auffassung von der Remanenz. Sie suchten gemeinsam mit dem zunächst etwas hin und her lavierenden Stanislaus von Znaim eher neue, theologisch und philosophisch verankerte Interpretationen, welche die Grenzen der Orthodoxie nicht überschritten. Obwohl dazu die Quellen nicht eindeutig Auskunft geben, standen hinter dem Auftritt der deutschen Magister im Jahre 1403 höchstwahrscheinlich ähnliche partikulare und generationsbedingte Interessen und Gefühle wie hinter dem demonstrativen Bekenntnis der böhmischen Reformer zu Wyclif. Mit dem Wandel bei den Universitätseliten, der durch den Vergleich der im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts und im ersten Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts an der Artistenfakultät wirkenden Magister-Regenten zu beobachten ist (auch wenn so nicht die Änderungen innerhalb der einflussreichen Gruppe der Theologen erfasst werden), veränderte sich bei den aktiven Magistern auch das Zugehörigkeitsgefühl zur Universität. Dieses äußerte sich in den früheren Jahren durch Kompromissbereitschaft und durch ein intensives Bemühen um die Stärkung der inneren Autonomie des Prager Studium generale. Die Stärkung der Universitätsautonomie kann am Anfang des 15. Jahrhunderts sogar kontraproduktiv gewirkt haben. Das mehrjährige und finanziell aufwendige Unternehmen erschöpfte nämlich nach und nach das Potenzial der Zusammenarbeit. Durch den Weggang ihrer führenden Reformgeister nach Heidelberg und Krakau kam möglicherweise bei den zurückgebliebenen deutschen Magistern das Gefühl eines Autoritätsverlustes auf, ohne dass sie sich zunächst programmatisch gegen die böhmischen Magister verbündeten (es gibt keine Belege eines deutschen Gruppenbewusstseins vor 1409). Sie befürchteten wohl in der Zuwendung zum häretischen Wyclif den Beginn einer anders konzipierten und für sie inakzeptablen Reform, welche schließlich die kirchliche Autorität – als deren Beschützer sich die deutschen Magister fühlten – in Frage stellen könnte. So fühlten sie sich vielleicht bald selbst von Wyclif bedroht! Der wirkliche, erst im Konflikt um das Kuttenberger Dekret voll ausgebrochene Nationalismus spielte 1403 bzw. in den frühen Auseinandersetzungen um Wyclif noch keine wesentliche Rolle. Er ist meines Erachtens eine sekundäre Folge der partikularen und generationsmäßig bedingten Interessen der beiden aktiv auftretenden Magister-Gruppen. Diese argumentierten ganz im Geiste ihrer universitären Ausbildung mit gegensätzlichen und philosophisch verankerten Ansichten, die ursprünglich quer durch die Universitätsgemeinde existierten. Der Konflikt von 1403 öffnete somit dem modernen Nationalismus nebenbei die Tür. Im Prager bürgerlichen Umfeld fand er bald starken Anklang und führte in der Folge zum Verlust des Universalismus und zur Regionalisierung der Prager Universität, von der zeitweiligen Hervorhebung des Nationalitätenprinzips gegenüber dem Glaubensprinzip ganz zu schweigen. 448
Hussens. Die Analyse der Ansichten des Stanislaus von Znaim im ersten Teil von Sousedíks Buch ist hingegen zutreffend. Zu ihr Näheres im folgenden Kapitel. 448 Dazu in breiteren Zusammenhängen Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 282 f., mit einer Reflexion seiner älteren Ansichten und der Urteile seiner Kritiker.
IV Disziplinierung der Universitarier und Zuspitzung der Streitigkeiten Die gelehrte Häresie gehört gemeinsam mit den klassischen, „laizistischen“ Häresien der Katharer und der Waldenser zu den Äußerungen unorthodoxen religiösen Denkens, welche doktrinäre Schlüsselfragen berührten. Für die Spitzen der kirchlichen Hierarchie, die mittels der Disziplinierung von Geistlichen und Laien die Reinheit des Glaubens zu überwachen hatten, war die gelehrte Häresie genauso gefährlich wie die „laizistische“. 449 Da die Träger der gelehrten Häresien keine bloßen Laien waren, deren religiöse Vorstellungen man (manchmal selbstverständlich gewaltsam) in die inquisitorischen Schemata hineinpassen konnte, sondern universitär gebildete Artisten oder sogar Theologen, bekämpfte die Kirche gelehrte häretische Vorstellungen auf eine etwas andere Weise als im Falle der Laien. Diese unterschiedliche, seit dem 13. Jahrhundert erkennbare Vorgehensweise hing mit der Entwicklung der Universitäten zu einer eigenständigen intellektuellen Welt mit einer von Anfang an beträchtlichen akademischen Freiheit zusammen. 450 Diese bezog sich nicht nur auf Vergehen vermögensrechtlicher Art oder moralische Verfehlungen bei der Lebensführung der Universitarier-Kleriker. Das Wesen dieser akademischen Freiheit bestand auch darin, im Rahmen der Universitätsgemeinde more scholastico über philosophische und theologische Fragen disputieren zu können, auch wenn sie – wie oft geschehen – die Grenzen der Orthodoxie berührten oder sogar spekulativ und auf der theoretischen Ebene überschritten. Seit der Gründung der norditalienischen, französischen und englischen Universitäten kam es jedoch zu Konflikten um das rechte Maß der akademischen Freiheit in Fragen der Glaubenslehre. Der Fall des Stephan Tempier, des Bischofs von Paris, der 1277 die Freiheit der Pariser Universität durch die Verurteilung von 219 averroistischen, aristotelischen und thomistischen Thesen radikal einschränkte, stellt nur die Spitze des Eisberges dar. 451 Bis zur Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert wurden aber die meisten Streitigkeiten entweder von den örtlichen Bischöfen, in deren Jurisdiktionsbereich die Universitäten lagen, oder durch Generalkonzilien gelöst, welche die Entwicklung der gregorianisch reformierten Kirche vorgaben. Mit dem Beginn des Avignonesischen, durch die Pontifikate Johannes’ XXII. und Benedikts XII. repräsentierten Papsttums änderte sich dies grundsätzlich. Die 449 Zum Begriff der Gelehrtenhäresie vgl. Miethke, Gelehrte Ketzerei (wie Anm. 70), 361–405. 450 Treffend Courteney, William J.: Inquiry and Inquisition: Academic Freedom in Medieval Universities. In: ChH 58 (1989), 168–181. – Für das böhmische Umfeld hat sich in letzter Zeit Marin, Libri hereticorum sunt legendi (wie Anm. 76), 33–57, der Problematik des Umfanges der akademischen Freiheit gewidmet. In seiner Studie fehlt allerdings eine kritische Analyse des Aussagewertes der benutzten Quellen. 451 Zuletzt zu einigen Aspekten der Verurteilung im Jahre 1277: Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte. Hg. v. Jan A. Aertsen, Kent Emery und Andreas Speer. Berlin-New York 2001.
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Zentralisierung der päpstlichen Macht, meist als immer mehr wuchernder und bürokratisierter päpstlicher Fiskalismus wahrgenommen, 452 nahm nämlich auch bei Eingriffen in die akademische Freiheit zu sowie bei der Disziplinierung von Universitariern, die grundlegende religiöse Wahrheiten relativierten oder direkt umstürzten. Nunmehr war Avignon für doktrinäre Streitigkeiten zuständig. Lösungsversuche auf lokaler Ebene wurden unterdrückt. Als Beispiele kann man die Avignoner Prozesse gegen Jean de Pouilly, Wilhelm von Ockham, Richard von Lincoln und Nikolaus von Autrécourt anführen. Dasselbe gilt für die posthumen Verurteilungen der intellektuellen Häretiker Petrus Johannes Olivi, Marsilius von Padua und Meister Eckhart. 453 Jede Münze hat jedoch zwei Seiten. Wenn man einerseits über Einschränkungen der akademischen Freiheit an spätmittelalterlichen Universitäten spricht und über die gezielten Bestrebungen, Inquisitionsprozesse gegen Universitarier (fast) ausschließlich bei der päpstlichen Kurie zu führen, also unter Ausschluss der örtlichen Bischöfe und Erzbischöfe bzw. der örtlichen Inquisitoren, dann muss man anderseits betonen und daran erinnern, dass die Universitäten als Korporationen, eventuell auch einzelne Universitarier, in den Inquisitionsprozessen, die Studenten und Magister anderer Universitäten oder örtliche Kleriker betrafen, eine bedeutende Rolle spielten. Am Beispiel der Prager und der Heidelberger Universität soll gezeigt werden, wie sich diese Universitätsgemeinden an der Bekämpfung der Häresie beteiligten und auf welche Weise sie in die Inquisitionsprozesse eingriffen. Im Falle der Prager Universität ist außerdem danach zu fragen, wie sie mit den einheimischen Universitariern umging, die von außen der Ketzerei beschuldigt worden waren.
Die Heidelberger Universität als Stütze des rechten Glaubens Die Heidelberger und die Prager Universität konkurrierten von Anfang an miteinander. In der ersten Heidelberger Universitarier-Generation dominierten Magister aus Prag. 454 Manche von ihnen, wie Konrad von Soltau, kamen sicher nicht ohne Verbitterung. Die Abwanderung kluger Köpfe aus Prag nach Heidelberg setzte sich auch in den neunziger Jahren fort (Matthäus von Krakau), möglicherweise als Folge der widersprüchlichen Haltung des einst reformorientierten Erzbischofs Johannes von
452 Zum Einfluss und zu den Eingriffen des päpstlichen Fiskalismus im böhmischen Umfeld zusammenfassend: Správní a finanˇcní vztahy avignonského papežství k cˇ eským zemím ve tˇretí cˇ tvrtinˇe 14. století [Die verwaltungsmäßigen und finanziellen Beziehungen des Avignoneser Papsttums zu den böhmischen Ländern im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts]. Hg. v. Jaroslav Eršil. Praha 1959. – Neuerdings Hledíková, Zdeˇnka: Pronikání kuriálního centralismu do cˇ eských zemí (Na dokladech provizních listin do roku 1342) [Das Eindringen des kurialen Zentralismus in die böhmiˇ CH ˇ 88 (1990), schen Länder (auf den Belegen der Provisionsurkunden bis zum Jahre 1342)]. In: C 3–33. 453 Miethke, Gelehrte Ketzerei (wie Anm. 70), 396–398. 454 Zu den Anfängen der Heidelberger Universität zuletzt Miethke, Die Anfänge der Universitäten (wie Anm. 209), 407–428. In der Anthologie vgl. ferner Marsilius von Inghen als Rektor der Universität Heidelberg (ebd., 429–451).
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Jenstein. 455 Die daher ohnehin schon angespannte Beziehung dieser beiden Universitäten verschlechterte sich nach 1400 durch die Absetzung Wenzels IV. und durch die nachfolgende Wahl von Pfalzgraf Ruprecht zum neuen römischen König. Die Heidelberger Universität hatte seit ihrer Gründung einen ausgeprägt landesherrlichen Charakter. Diese Tatsache fand ihren Ausdruck im Treueschwur der Heidelberger Universitarier auf den Pfalzgrafen bei ihrer Immatrikulation 456 und in der materiellen Abhängigkeit der Universität vom Herrscher. Damit zusammen hing die enge Beziehung zum Hof und zum Rat des Pfalzgrafen, des späteren römischen Königs Ruprecht. Im Rat saßen gleich mehrere Heidelberger Magister. Ihnen gelang dank ihrer Herrschernähe immer wieder der Erwerb einträglicher Prälatenpfründen. Zur weiteren Eskalation der Beziehungen zwischen den Universitäten kam es dann im Zusammenhang mit der negativen Einstellung des Heidelberger Hofes gegenüber dem Pisaner Konzil. 457 Die im Vergleich zu Prag geringen Immatrikulationszahlen 458 und der erkennbar regionale Charakter der Heidelberger Universität hinderten die Universität und ihre Universitarier, v. a. die Theologen, in keiner Weise an ihrer Aufsicht über die Reinheit des Glaubens. Übrigens wurde das genau so bereits bei der Gründung der Heidelberger Universität deklariert. Die an der Theologischen Fakultät wirkenden Geistlichen saßen in Inquisitionstribunalen als Richter oder als Beisitzer und in Kommissionen zur Begutachtung von Ketzereivorwürfen. Auf eine vermittelnde Weise, wie noch detailliert gezeigt wird, griff die Heidelberger Universität bei der Beschuldigung der Remanenzhäresie ein, die der Prager Magister Ludolf Meistermann bei der päpstlichen Kurie gegen Stanislaus von Znaim vorgebracht hatte. Im Übrigen machte die Heidelberger Universität mit den Prager Reformern mindestens seit April 1406 unmittelbare Erfahrungen, als sich dort Hieronymus von Prag immatrikulierte und bei dieser Gelegenheit sich zu öffentlichen Disputationen verpflichtete. Seine Ausführungen empörten jedoch die Heidelberger Universitarier derart, namentlich den Magister der Theologie Konrad von Soest, dass sie dem ehemaligen Prager Magister mit Johannes von Frankfurt einen offiziellen Opponenten bestellten. 459 Anschließend wurde Hieronymus suspendiert. Laut mindestens zweier
455 Die Beziehung des Johannes von Jenstein zu den Reformern am ausführlichsten bei Weltsch, Archbishop John of Jenstein (wie Anm. 198); Polc, Svatý Jan Nepomucký (wie Anm. 184), 168–199. 456 Miethke, Jürgen: Der Eid an der mittelalterlichen Universität. Formen seines Gebrauchs, Funktionen einer Institution. In: Ders.: Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken. Leiden-Boston 2004, 39–62, hier 57. 457 Moraw, Beamtentum und Rat König Ruprechts (wie Anm. 208), 59–126; Ders., Heidelberg (wie Anm. 68), 524–552; Ders., Ruprecht von der Pfalz (wie Anm. 208), 97–110; Nuding, Die Universität, der Hof und die Stadt (wie Anm. 68), 197–248. 458 Die Immatrikulationszahlen der Prager Universität in den achtziger und neunziger Jahren bei ˚ Poˇcet graduovaných a negraduovaných student˚u (wie Anm. 57), 7–32; Šmahel, Pražské Václavu, universitní studentstvo (wie Anm. 57), 24–27, 63–68. – Zu Heidelberg und anderen mitteleuropäischen Universitäten vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 373). 459 Zuletzt hat Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), die Heidelberger Episode des Hieronymus von Prag bearbeitet, von dessen Darlegung ich vollständig ausgehe.
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Zeugen des Wiener Inquisitionsprozesses, dem Magister Nikolaus Tell de Tungris und dem Magister Konrad Duvel von Hildesheim, 460 wurde gegen den ehemaligen Prager Magister Klage beim Bischof von Worms, Matthäus von Krakau, erhoben. Hieronymus ließ sich allerdings von keinem dieser Schritte einschüchtern. Durch eine öffentliche, an das Tor des Universitätsgebäudes angeschlagene Anzeige gab er bekannt, seinem Opponenten entgegnen zu wollen. Der Dekan Ysebrandus de Wyringia verbat darauf die Abhaltung jeglicher Universitätsveranstaltungen und drohte Hieronymus mit dem Ausschluss aus der Artistenfakultät. Hieronymus ließ das abermals kalt, und er trug seine Entgegnung auf dem Friedhof der Kirche St. Peter vor. Da der Rektor den Universitariern den Schwur abgenommen hatte, nicht an der Disputation teilzunehmen, predigte Hieronymus der spöttischen Eintragung im Rektorbuch zufolge nur Bauern und Greisinnen („rusticos et vetulas“). 461 Wichtig für diesen Zusammenhang ist, dass gegen Hieronymus vorläufig nur der Universitätsrektor und nicht der Bischof von Worms eingeschritten war. Den eigentlichen Inhalt der Klage, welche die Universität beim Bischof eingereicht hatte, kennt man nicht. Die Aussagen der Wiener und Konstanzer Zeugen legen aber die Vermutung nahe, dass Hieronymus in Heidelberg seinen „Schild des Glaubens“ vorgestellt sowie die bedeutendsten Nominalisten mit Wilhelm von Ockham, Johannes Buridan und Marsilius von Inghen an der Spitze angegriffen und Häretiker der wahren Dialektik genannt hat („non dialectici, sed vere dialectice heretici sunt“). 462 Ob gegen Hieronymus eine Untersuchung eingeleitet wurde, ist nicht bekannt. Auch die Wiener und Konstanzer Zeugen bestätigen das nicht. Daraus kann geschlossen werden, dass trotz der provokanten Schritte alle Gegenmaßnahmen bis dahin ins Leere liefen. Das einzige Echo auf Hieronymus’ Auftritt an der Heidelberger Universität war die Annahme eines neuen Statuts durch die Artistenfakultät. Darin ordnete man den ausländischen Magistern an, wenn sie Teil des Heidelberger Universitätskörpers werden wollten, dem Dekan der Fakultät den wörtlichen Text der Rede (Determination) vorzulegen. Ihnen wurde zudem der Schwur abverlangt, öffentlich nur den unveränderten Text vorzutragen. Bei dem Vorgehen gegen Hieronymus kann auch der Umstand eine gewisse Rolle gespielt haben, dass Matthäus von Krakau 1406 andere Sorgen als Hieronymus hatte, der in seiner Heidelberger Quaestio v. a. Universalien behandelte und philosophische Fragen berührte, wenn auch auf eine provokante Weise. Im Jahre 1406 wurde Matthäus nämlich selbst durch Johannes von Falkenberg der Häresie beschuldigt. 463 So bewertete jedenfalls der ehemalige Prager Student und damalige Lektor des Krakauer Dominikanerstudiums Matthäus’ provokante Schrift „De squaloribus curiae Romanae“. 464 Obwohl auch hinsichtlich dieser Beschuldi-
460 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 12–15. 461 Die Rektorbücher der Universität Heidelberg. Bd. 1/2: 1386–1410. Hg. v. Jürgen Miethke. Heidelberg 1990, 414 (Nr. 427). 462 Analog haben in Wien auch Nikolaus Tell de Tungris und Konrad Duvel von Hildesheim ausgesagt: Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 13, 15. 463 Boockmann, Johannes Falkenberg (wie Anm. 424), 135–154. 464 Zuletzt herausgegeben als Mateusz z Krakowa (wie Anm. 422).
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gung die Quellenlage defizitär ist (nur die astronomische Summe, die Matthäus von Johannes für die Wiederherstellung seiner Ehre verlangte, ist gut belegt), scheint sich die Heidelberger Universität dazu nicht geäußert zu haben. Der Vorwurf der Häresie war in dieser Zeit eine absolute Ausnahme (an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert wurde kein Bischof der Häresie beschuldigt). Die Haltung der Universität war offensichtlich auch dadurch bedingt, dass die Beschwerde an den zuständigen Diözesanbischof gerichtet war. Sonst griffen die Heidelberger Theologen nämlich sehr oft in Inquisitionsprozesse mittels theologisch fundierter Urteile ein. Detailliert bekannt sind vier Prozesse innerhalb von 30 Jahren. Die Einstellung der gelehrten Theologen zum Aberglauben und ihr Einfluss auf die Bekämpfung der Häresie (an der Grenze zwischen Laien- und Gelehrtenhäresie) werden am besten verständlich im Prozess gegen Werner von Friedberg. Dieser war zur Zeit der Beschuldigung Lektor der Augustiner-Eremiten in Landau. Nikolaus Magni von Jauer, dessen „Tractatus de supersticionibus“ in direktem Zusammenhang mit diesem Prozess entstand 465 und dabei aus den Prozessakten schöpfte, nahm als Assessor auch an zwei Inquisitionsuntersuchungen teil, die gegen potenzielle Anhänger der hussitischen Häresie in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts eingeleitet worden waren, also gegen Helwig von Dringenberg, Martin Borchard und den ehemaligen Prager Studenten Johannes Drändorf. 466
Johannes Malkaw in Heidelberg Für die Beziehung der Heidelberger Universität zur Inquisition ist der Fall des Johannes Malkaw am bedeutendsten. Malkaw predigte in den Jahren 1388–1390 in Köln, Koblenz, Mainz, Basel und Straßburg gegen die Anhänger des Avignonesischen Papstes und gegen die Neutralisten. Wegen dieser Predigten und wegen der Kritik an der unmoralischen Lebensweise Straßburger Kleriker, v. a. der Mitglieder der Bettelorden, wurde er 1390 der Häresie beschuldigt. Die aktivste Rolle spielte dabei der Straßburger Inquisitor Nikolaus Böckler, der Malkaw einkerkern ließ und die Untersuchung einleitete. Im Jahre 1392 wandte sich der Inquisitor dann an die Heidelberger Universität mit der Bitte, ein Gutachten bezüglich des häretischen Inhalts von Malkaws Artikeln zu erstellen. Und er wusste sicher sehr gut, warum er das tat. Die Heidelberger Universität engagierte sich nämlich in den neunziger Jahren stark gegen Häretiker in den nahen Diözesen. 467 1390 beschloss die Universitätskongregation die Vertreibung der Flagellanten, die in die Stadt gekommen waren und sich mit einem Aufruf an den Pfalzgrafen gewandt hatten. Zwei Jahre später wurde Friedrich von Braunschweig in Speyer wegen chiliastischer Ansichten verurteilt, und 465 Bracha (wie Anm. 244). 466 Die Prozessakten in: Drei Inquisitions-Verfahren aus dem Jahre 1425. Akten der Prozesse gegen die deutschen Hussiten Johannes Drändorf und Peter Turnau sowie gegen Drändorfs Diener Martin Borchard. Hg. v. Hermann Heimpel. Göttingen 1969. 467 Zusammenfassend Ritter, Die Heidelberger Universität (wie Anm. 207), 347–361.
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die Heidelberger Universität hatte das theologische Gutachten über seine häretischen Artikel erstellt. 1393 nahmen Konrad von Soltau und Johannes von Noet, beide ehemalige Prager Magister, als Beisitzer an der Untersuchung teil, die gegen den Laien Henne Russenyeden von Luetesdorf bei Neuwied geführt wurde. Am 22. Juni 1392 trat dann auf Böcklers Bitte hin im Haus der Theologen eine Versammlung von acht Magistern und Doktoren der Theologie zusammen. Darunter befanden sich der damalige Rektor Heilmann von Worms sowie Konrad von Soltau, Marsilius von Inghen und Johannes von Noet. 468 Der Zweck ihrer Versammlung war die Untersuchung der 50 häretischen Artikel, die Böckler zusammengestellt hatte. Sie unterstellten Malkaw unter anderem, er vertrete die Waldenser- und Lollardenhäresie bezüglich des Vermögensbesitzes der Priester und predige im Geiste dieser Häresie, nehme Beichten ab und spende Sakramente ohne bischöfliche Zustimmung. Nachdem die Theologiedoktoren zugelassen hatten, dass Malkaw der Prozess vor dem Inquisitor gemacht wurde, kamen sie zu dem Schluss, dass einige seiner Artikel tatsächlich häretisch seien und dass man ihm eine kanonische Strafe auferlegen sollte. Dem fügten sie allerdings eine Erklärung hinzu, die eine Art Auslegung des Wesens der gelehrten (und nicht nur der gelehrten) Häresie darstellt: Als Ketzer könne lediglich derjenige verurteilt werden, der an den betreffenden Artikeln wirklich festhält und bereit ist, sie zu verteidigen. Sollten alle diese Bedingungen bei Malkaw zutreffen, dürfe ihm lebenslange Gefängnisstrafe und Buße auferlegt werden. Obwohl die Heidelberger Theologen sich insgesamt eindeutig gegen Malkaws Ansichten aussprachen, scheint durch einen Eingriff des Bischofs, der ursprünglich auf der Seite des Inquisitors stand, sich jedoch später gegen diesen stellte, der Prozess beendet und Malkaw aus dem Gefängnis entlassen worden zu sein. Am 1. Oktober immatrikulierte sich Malkaw nämlich, offenbar formal, an der Kölner Universität. Mehr als ein Jahr später ernannte ihn dann Bonifaz IX. zum päpstlichen Kaplan, wodurch er der Obödienz der örtlichen Ordinarien entzogen wurde und künftig nur noch der päpstlichen Jurisdiktion unterlag. Am 7. Dezember gab ihm der Papst das Recht, einen Tragaltar zu benutzen und an ihm die Messe zu zelebrieren. Durch diese Privilegien gestärkt, wandte er sich dann irgendwann vor dem 28. Juli 1394 an die Heidelberger Universität mit dem Bestreben, sich rein zu waschen. Ihren Magistern ließ er zunächst eine Schrift zusenden, in der er seine Ansichten verteidigte, und schließlich begab er sich persönlich nach Heidelberg, um belehrt zu werden. Böckler legte der Universität, offenbar auf Aufforderung der Heidelberger Doktoren, sämtliche Prozessakten vor. Anschließend waren beide, Malkaw und Böckler, damit einverstanden, sich dem Friedensspruch der Universität unterzuordnen. Die Heidelberger Theologen gerieten so in eine wenig beneidenswerte Lage. Nach einem gewissen Zögern fanden sie jedoch einen Ausweg: Den Gerichtsspruch von 1392 erklärten sie kurzerhand zu einem bloßem Gutachten. Zudem behaupteten sie, der Inquisitor habe ihnen damals 468 Ich gehe hier aus von der hervorragenden Monographie Tönsing, Michael: Johannes Malkaw aus Preussen (ca. 1360–1416). Ein Kleriker im Spannungsfeld von Kanzel, Ketzerprozeß und Kirchenspaltung. Warendorf 2004, v. a. 34–125, mit Edition aller Quellen (ebd., 224–372), einschließlich der Universitätsgutachten.
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nicht die vollständigen Prozessakten, sondern nur einige häretische Artikel vorgelegt, ferner sei der Hintergrund der Denunziationen nicht berücksichtigt worden und alles habe ohne Malkaws persönliche Anwesenheit stattgefunden. Eine neue Theologenkommission beschloss unter Einbezug aller bekannten Fakten und aufgrund eines Verhörs, dass Malkaws Artikel nicht häretisch seien und dass er nicht für einen Ketzer gehalten werden könne. Von den Mitgliedern der Kommission sind namentlich nur die drei ehemaligen Prager Magister bekannt, und zwar der Rektor Johannes von Noet sowie Nikolaus Prowin und Matthäus von Krakau. Eine Woche später bestätigten auf Initiative der Universität zwei Friedensrichter, der von Böckler ausgewählte Johannes und der von Malkaw ausgewählte Matthäus, erneut Malkaws vollständige Reinwaschung. Der geschlagene Böckler resignierte. Mit Malkaws Rehabilitierung wollten sich die Repräsentanten der örtlichen Bettelorden allerdings nicht abfinden. Gegen sie erhob Malkaw einst scharfe Vorwürfe. Der Provinzial der Minoriten und der Provinzial der Augustiner-Eremiten versuchten daher ein Jahr später, den Friedensspruch anzuzweifeln und verlangten von der Universität Malkaws Bestrafung. Die Universitätskongregation lehnte jedoch ihren Antrag ab, der auf der Behauptung basierte, Malkaw vertrete einige der vorgelegten Artikel weiterhin. Der Prozess war damit beendet. Malkaw begann anschließend formal an der Kölner Universität zu studieren, wurde bereits 1396 Komtur des Deutschen Ordens in Straßburg und wirkte aktiv im diplomatischen Dienst des Pfalzgrafen Ruprecht. Es ist ein Paradox der Geschichte, dass sich die Schicksale des Johannes Malkaw und des Hieronymus von Prag, die beide mit Disziplinierungsmaßnahmen der Heidelberger Universitätsmagister in Berührung kamen, noch mehrmals kreuzten und gewisse Parallelen aufweisen. Im September 1411 leitete man in Köln gegen Malkaw einen neuen Inquisitionsprozess ein, verursacht durch dessen Agitation gegen die Pisaner Obödienz. Malkaw war nämlich ein treuer Anhänger von Papst Gregor XII. geblieben. Nach einer flammenden Predigt hatte man ihn beim Kölner Offizial und päpstlichen Inquisitor angezeigt. Wie Hieronymus in Wien unterzog sich Malkaw in Köln der Inquisitionsuntersuchung. Wie Hieronymus schwor er, die Stadt während des Prozesses nicht zu verlassen. Wie Hieronymus nahm er schließlich aus Furcht vor Bestrafung sein Schicksal in beide Hände und floh aus Köln. Das Schicksal der beiden Intellektuellen erfüllte sich dann in Konstanz, wenn auch unter ganz anderen Umständen. Malkaw wandte sich an das Konzil mit der Bitte um Absolution, denn er war durch den Kölner Offizial exkommuniziert worden. Ob seiner Bitte, in die sich auch die Kölner Universität einschaltete, entsprochen wurde, ist nicht bekannt. Der Fall Johannes Malkaw, der in der Stadt, in der er der Häresie beschuldigt worden war, schließlich Komtur des Deutschen Ordens wurde, und der Fall Johannes von Falkenberg, der 1412 in Magdeburg sogar zum Inquisitor ernannt wurde, zeigen die Brüchigkeit der akademischen Freiheit und der gelehrten Häresie im Spätmittelalter auf und deren Abhängigkeit von aktuellen Machtkonstellationen zwischen Erzbischöfen, Päpsten und Konzilien. So gelang es einigen Intellektuellen, der Bestrafung zu entgehen und ihre universitäre oder kirchliche Karriere fortzusetzen, während andere wie Johannes Hus und Hieronymus von Prag ihre „häretischen“ Ansichten mit dem Leben bezahlen mussten.
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Die aktive Rolle der Heidelberger Universität in Inquisitionsprozessen ist für das erste Jahrzehnt ihres Bestehens gut belegt. Nach außen sollte dies das Bemühen der Pfalzgrafen um Glaubensreinheit in der Zeit des Schismas demonstrieren. Ein analoger Trend ist für die Prager Universität kaum erkennbar. Ihre Passivität bei der Disziplinierung von Klerikern und bei der Bewahrung der Glaubensreinheit kann letztlich auch vorgeblich gewesen sein. Die Prager Universität hatte es dank ihrer universalistischen Gründung und ihrer vorrangigen und unangefochtenen Stellung im Reich bis zum Erlass des Kuttenberger Dekretes bzw. bis zu dessen Umsetzung Anfang des Jahres 1409 nicht nötig, ihr Prestige auf der symbolischen Ebene zu betonen. Vereinzelt sind sogar Fälle bekannt, in denen sich an die Prager Universität als Gelehrtenkorporation Kleriker aus benachbarten Diözesen mit der Bitte um ein Gutachten wandten. Zum Beispiel trifft dies auf den bereits in anderen Zusammenhängen erwähnten Johannes Munczinger zu. Er wurde als Rektor der Ulmer Schule von den örtlichen Dominikanern der christologischen Häresie beschuldigt. Dagegen legte Munczinger bei der Prager und Wiener Universität Berufung ein. Die Prager Theologen-Kommission, in der Konrad von Soltau, Johannes Marienwerder, Johannes Wenceslai von Prag und Friedemann von Prag saßen, wusch Munczinger nach eingehender Überprüfung rein. 469 Zu fragen ist, ob sie damit einen neuen Streit zwischen den Universitariern und dem Erzbischof Johannes von Jenstein verursacht hat. Zur selben Zeit mussten nämlich dieselben Mitglieder der Prager Theologischen Fakultät und die Kollegiaten des Allerheiligenkollegs die erzbischöfliche Jurisdiktion anerkennen und ihre Appellation bei der Kurie aufgeben. 470 Die knappen Quellen sind diesbezüglich zwar nicht eindeutig, aber es ist möglich, dass der Erzbischof als Universitätskanzler oder als höchster kirchlicher Repräsentant in der Diözese auch in diesem Fall das Recht hätte beanspruchen können, in Fragen der Häresie – ohne Vetomöglichkeit der Prager Theologen – einzugreifen. Auf ihre eigene Glaubensreinheit achtete die Prager Universität von Anfang an. Nach außen war sie bemüht, alle Vorwürfe der Ketzerei durch einzelne Universitarier bzw. durch die Universität selbst abzustreiten. Aus diesem Grund unterstützte die Prager Universität auch einen ihrer bedeutendsten und aktivsten Magister der 1360er Jahre, Heinrich Totting von Oyta, finanziell. Adalbertus Ranconis de Ericinio, damals Domscholastiker, beschuldigte ihn 1371 der Verkündigung häretischer Artikel während der Vorlesungen. Wichtig ist, dass man in diesem Zusammenhang weder von einem Gutachten der Prager Theologischen Fakultät noch von der Beteiligung eines Inquisitors hört. Offenbar kam es gar nicht zu einer Inquisitionsuntersuchung, 471 denn der Erzbischof entschied allein nach seinem Gutdünken. Die Erzbischöfe von Prag, Johannes von Jenstein und Zbynko Zajíc von Hasenburg, sollten bei Häresie469 Dieser Streit am ausführlichsten bei Lang, Johann Müntzinger (wie Anm. 72), 1200–1230. 470 Soudní akta konsistoˇre pražské (wie Anm. 124), 353 f. (Nr. 201). 471 Zur Inquisition im böhmischen Umfeld im 14. Jahrhundert zuletzt übersichtlich Soukup, Pavel: Die Waldenser in Böhmen und Mähren im 14. Jahrhundert. In: Friedrich Reiser und die „waldensischhussitische Internationale“ im 15. Jahrhundert. Hg. v. Albert de Lange und Kathrin Utz Tremp. Heidelberg-Ubstadt-Weiher-Basel 2006, 131–160, mit Hinweis auf ältere Literatur und Editionen.
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beschuldigungen der Prager Universitarier auch in den folgenden Jahren so vorgehen, konkret bis zum Wendejahr 1408 und bis zum Streit um die Verurteilung der Schriften Wyclifs. Die Berufung gegen den erzbischöflichen Erlass hatten Prager Magister und Studenten bei der römischen Kurie eingelegt. Sie brachten den Streit aus der Prager Diözese nach Rom, um die Disziplinierungsmaßnahmen des Erzbischofs abzuschwächen, dessen Autorität und Obödienz sie unterstellt waren. In dieser Hinsicht folgten sie also Ludolf Meistermann und verstießen bewusst gegen die Gewohnheiten, die vom Prinzip der Eigenständigkeit der böhmischen, durch die Diözesanautoritäten repräsentierten Landeskirche ausgingen. Sich der eigenen Autorität bewusst und ohne Rücksicht auf die römische Inquisition und auf die Prager Universität als Berufungsinstitution bei theologischen Streitigkeiten ging Johannes von Jenstein auch bei der Untersuchung des Magisters Matthias von Janov in den Jahren 1389–1392 vor. 472 Matthias hatte sein Theologielizenziat an der Pariser Universität erworben. Nach seiner Rückkehr nach Prag studierte er höchstwahrscheinlich nicht an der Theologischen Fakultät und lehrte hier auch nicht. Umstritten ist ferner, ob er sich überhaupt an der Prager Alma Mater immatrikulieren ließ. Sein Verfahren, über das nur wenig bekannt ist, entbehrt wiederum eines Gutachtens der Theologischen Fakultät. Alle angesetzten Verhandlungstermine fanden vor dem Gericht des Generalvikars statt, ohne Teilnahme eines Inquisitors. Dasselbe gilt vermutlich auch für die Anhänger Matthias’. Sie wurden irgendwann vor 1393 einem Verhör unterzogen. Die Akten dazu haben sich in Fragmenten erhalten, auch wenn nicht eindeutig zu unterscheiden ist, ob es sich um die Akten des Gerichts der Generalvikare oder des Gerichts des Inquisitors handelt. 473 Matthias wurde im Herbst 1389 vor das Gericht der Generalvikare geladen wegen seiner Ansichten bezüglich des Heiligenkultes, der Bilder und der häufigen heiligen Kommunion. Diese Ansichten hatte er bezeichnenderweise auf der Synode am 19. Oktober 1389 zu widerrufen. Anschließend musste er den Generalvikaren (nicht der theologischen Kommission) seine beiden Schriften vorlegen, eine lateinische auf Papier und eine tschechische auf Pergament. Gleichzeitig wurde er von der Ausübung des Priesteramtes suspendiert. Nachdem er jedoch versprochen hatte, die Anweisungen des Bischofs zu befolgen, wurde die Suspension aufgehoben. Im eigentlichen Prozess stand also die Universität abseits. Anderseits schrieben Matthäus von Krakau („Dialogus racionis et consciencie de communione sive de celebracione misse“) 474 und Heinrich von Bitterfeld („De institucione“ und „De crebra conmunione“) an der Prager Universität gerade am Ende der achtziger Jahre Traktate, welche die häufige Laien-Kommunion verteidigten. Deren Datierung ist gewiss nicht unproblematisch.
472 Der Vorwurf der Verkündigung häretischer Ansichten durch Matthias von Janov immer noch am ausführlichsten bei Kybal, M. Matˇej z Janova (wie Anm. 71), 17–21; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 208 f. 473 Hlaváˇcek, Ivan: Böhmische Inquisition und Häresiebekämpfung um das Jahr 1400. In: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter. Hg. v. František Šmahel. München 1998, 109–131, hier 117, Edition: 124–127. 474 Nuding, Matthäus von Krakau (wie Anm. 241), 34–42.
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Trotzdem können sie die damals in Prag aktuellen und konfligierenden Ansichten widerspiegeln. Gleichzeitig können sie auch als Gutachten für den Erzbischof entstanden sein. Dieser zögerte bekanntlich erst bei der Erlaubnis der häufigen Kommunion, änderte einige Jahre später aber seine Meinung dazu radikal: Im Oktober 1389 wurde die häufige Kommunion auf der Synode noch verboten, zwei Jahre später aber dann erlaubt, und zwar in Form der täglichen Kommunion. Nicht auszuschließen ist, dass die zweite Schrift des Heinrich von Bitterfeld eine Verteidigung gegen die Beschuldigungen darstellt, die gegen ihn im Zusammenhang mit der Empfehlung der häufigen Kommunion erhoben wurden. 475
Erste Verurteilung von Wyclifs Lehre an der Prager Universität Bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts herrschte an der Prager Universität eine weitreichende akademische Freiheit, die nicht durch Disziplinierungsbemühungen der Prager Erzbischöfe eingeschränkt wurde. Wie aber bereits gezeigt wurde, begann sich dies während der neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts mit der Rezeption der Wyclif’schen Lehre, speziell seiner realistisch zugespitzten philosophischen Ansichten, durch böhmische Magister und Bakkalaurei zu ändern. Einige wenige aktive und nicht reformorientierte deutsche Magister beschuldigten, als der Prager Erzbischofsstuhl gerade unbesetzt war, die Anhänger des Wyclif’schen Realismus in beispielloser Weise. Sie stützten sich dabei auf die kirchliche Autorität (und zwar auf die Verurteilung der 24 Artikel Wyclifs auf der Londoner Synode) und wollten so die aus ihrer Sicht gefährdete Reinheit des Glaubens bewahren. Namentlich bekannt ist nur der Dominikaner Johannes Hübner. Die beim Prager Kapitel eingereichten Klagen und Hübners Zusammenstellung der 45 häretischen Artikel interpretiert man meistens als einen bewusst national motivierten Angriff auf die böhmischen reformorientierten Magister. Dieser Auslegung spielen die späteren Aussagen der ehemaligen Prager Magister in die Hände. Darin behaupten sie, die Böhmen seien immer auf der Suche nach Neuerungen gewesen, nach etwas Besonderem, das sie von den drei deutschen Nationen unterschied und womit sie gegen sie auftreten konnten. 476 Deshalb hätten sie sich so heftig der Wyclif’schen Lehre zugewandt und sie auch gegen die Mehrheit der Universitarier verteidigt, die sich im Unterschied zu ihnen der Erzketzerei Wyclifs bewusst war. Späte Schriften des Johannes Hus und Hieronymus von Prag unterstellen den deutschen Magistern bei ihrer Kritik an den böhmischen Reformern ebenfalls nationale
475 Jindˇrich z Bitterfeldu (wie Anm. 243), 127–130. 476 Diese Reflexion hat Bartoš, Husitství a cizina (wie Anm. 440), 255, nachgedruckt: „Cum post principium studii Prage, cum collegium esset inter Iudeos, Bohemi semper cogitaverunt contra alias naciones et propter hoc semper quesierunt specialitates, ut ab aliis differrent; quapropter quidam Mauricius, postea sacre theologie doctor, ivit Uxoniam et portavit primo libros Wiklef heretici, quibus Bohemi consencientes huic divisioni et odio acceptaverunt huiusmodi libros et magna sollicitudine, licet diversificati, in eis profecerunt.“
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Motive. Ihnen zufolge war die unterdrückte böhmische universitäre Minderheit durch das Studium von Wyclifs Schriften zu einer tieferen Erkenntnis der philosophischen Grundwahrheiten gelangt, deren Durchschlagskraft die nominalistischen „Häretiker der wahren Dialektik“ aber nicht imstande waren zu erkennen und gebührend zu schätzen. Diese späten und zugespitzten Deutungen lassen leicht übersehen, dass Hübner bei seiner Initiative auch durch seine dominikanisch geformte Frömmigkeit beeinflusst worden sein kann, in der inquisitorische Vorstellungen eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Diesen zufolge war es nämlich nötig, die von der kirchlichen Autorität enthüllten und verurteilten häretischen Artikel gleich im Keim zu ersticken. Ihr Nachleben und Wuchern hätte zur Störung der bisherigen Rechtgläubigkeit der Prager Universität führen können. Die Verketzerung sollte dem einen Riegel vorschieben. Auf rhetorischer Ebene wurde sie während der folgenden Jahre auf beiden Seiten benutzt und diente einerseits zur Vorverurteilung des Gegners und anderseits zur Propagierung der eigenen Rechtgläubigkeit. Im Einklang damit zeigen sich die zeitgenössischen Berichte über die Universitätsversammlung vom 28. Mai 1403, nach denen auch einige böhmische Magister die Verteidigung von Wyclifs Artikeln beanstandeten. In eben diesem Zusammenhang muss man den Vorwurf der eucharistischen Häresie betrachten, dem sich die Prager Universitarier und Mitglieder der böhmischen Universitätsnation Stanislaus von Znaim und Matthias von Knín im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ausgesetzt sahen. Ihre beiden Fälle haben geradezu modellhaften Charakter. Um die Frage nach der Spezifik ihrer Reinwaschung von der Häresie und nach der Wirkung dieses Vorfalls auf die Beziehungen zwischen den Universitätsnationen zu beantworten, sind zunächst einige Vorbemerkungen erforderlich. In beiden Fällen war entscheidend, dass die Jurisdiktion des Erzbischofs von Prag, der gleichzeitig Universitätskanzler war, in Glaubensangelegenheiten alle Angehörigen der Prager Universität betraf – es sei denn, sie waren durch besondere Privilegien seiner Rechtsprechung entzogen. Dies traf in der Praxis v. a. auf die Universitarier zu, die Ordensmitglieder waren. Eine gewisse Rechtsunsicherheit kann bei den Universitariern geherrscht haben, die Untertanen auswärtiger weltlicher und geistlicher Obrigkeiten waren. Die erhaltenen Quellen legen aber die Vermutung nahe, dass eine derart bedingte Exemtion bei Mitgliedern der Prager Universitätsgemeinde nur in vermögensrechtlichen Angelegenheiten erfolgte. 477 In Glaubensangelegenheiten blieb der Erzbischof von Prag einziger und oberster Richter. De facto konnte der Erzbischof aber nur unter Mitwirkung von Universitätsvertretern tätig werden. Sie nahmen entweder als Mitglieder der Untersuchungskommissionen oder als Zeugen an den Gerichtsprozessen teil. Des Weiteren sei daran erinnert, dass die beschuldigten Universitarier die oberste Jurisdiktion des Erzbischofs von Prag nicht in Frage stellten, mit Ausnahme der Zurückweisung des Urteils und /oder der Appellation beim Apostolischen Stuhl als der höchsten Berufungsinstanz. Damit unterschied sich die
477 Anschaulich beleuchtet diese Problematik zuletzt Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 37–44.
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Lage am Anfang des 15. Jahrhunderts deutlich von der in den 1380er Jahren. Damals lehnten der Universitätsrektor Konrad von Soltau, die Kollegiaten der Magisterkollegien und die Repräsentanten der sächsischen, der polnischen und der bayerischen Universitätsnation im Streit die oberste Jurisdiktion des Erzbischofs ab. Im weiteren Verlauf des Prozesses anerkannten sie diese zwar, doch herrschte weiterhin Unsicherheit darüber, wo die Jurisdiktion des Erzbischofs unter dem Gesichtspunkt der Universitätsautonomie anfing und wo sie endete. Das Hauptproblem bei der Interpretation von Häresie-Abschwörungen im Umfeld der Prager Universität am Anfang des 15. Jahrhunderts sind die Quellen. Von keinem der Prozesse haben sich nämlich die Akten erhalten. Fast alles, was über diese Abschwörungen bekannt ist, stammt von Zeugenaussagen. Die Zeugen waren aber keineswegs unbefangen. Im Gegenteil: Die Schärfe der Konflikte an der Prager Universität zwischen Reformern und Traditionalisten, zwischen Realisten und Nominalisten, zwischen Realisten und gemäßigten Realisten und nicht zuletzt zwischen der böhmischen Universitätsnation und den drei weiteren Universitätsnationen stachelte die Zeugen zu subjektiven und ideologisch gefärbten Aussagen an. Ein weiteres Problem stellt das Gedächtnis dar, selbst in die Erinnerung an nur kurz zurückliegende Ereignisse können sich eigene Vorstellungen und Empfindungen einschreiben, die oft nichts mit der Realität gemein haben. Im Falle der Universitarier betraf dieses unzuverlässige Gedächtnis nicht die Texte, mit denen sie tagtäglich arbeiteten und von deren Inhalt sie sich dank der memorierenden Art des Unterrichts manchmal jedes Wort merkten, sondern vielmehr konkrete Ereignisse, deren zeitliche Verankerung und – kriminalistisch gesagt – deren Tatbestand. Das subjektive, selektive und Fakten manchmal gezielt, manchmal unwillkürlich manipulierende Gedächtnis ist entscheidend bei der Interpretation der verschiedenen Formen der Häresie-Abschwörung im Prager Umfeld. Die Geschichte des Stanislaus von Znaim und des Matthias von Knín kann man so auf zweierlei oder sogar auf dreierlei Art und Weise erzählen. Dabei ist die Entscheidung für eine bestimmte Auslegung weitgehend subjektiv. Schenkt man den beiden Zeugen des Wiener Prozesses gegen Hieronymus von Prag Glauben, dann liegt mit Matthias ein eindeutiges Beispiel für die gewaltsame und politisch beeinflusste geheime Abschwörung vor. Im Anschluss daran wäre konsequenterweise die Haltung von Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg neu zu bewerten. Aber dabei bliebe es nicht stehen. Gleichzeitig ließe sich die Geschichte auch so schildern, dass König Wenzel IV. oder der Erzbischof von Prag, eventuell beide zusammen, als Initiatoren auftraten. Den beiden Zeugenaussagen zufolge sind alle drei Varianten gleich wahrscheinlich und gleich belegbar. Ich bin mir also der Tatsache bewusst, dass die Streitigkeiten an der Prager vorhussitischen Universität wegen der stark subjektiv eingefärbten Quellen unterschiedlich ausgelegt werden können. Keine Deutung darf da absolute Gültigkeit beanspruchen. Dies kann man schon mal im heiligen Eifer, die Geschichte schreiben zu wollen, vergessen. So lege ich hier nur eine von vielen möglichen Geschichten über die gelehrte Häresie und über die Möglichkeiten der Abschwörung vor – und dies in einem Umfeld, in dem Gedanken und Ideen eine eigenständige, oft auch realitätsferne Seinsweise darstellten.
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Abschwörung des Magisters Stanislaus von Znaim Im Falle der beiden Prager Häresie-Abschwörungen war die Kardinalfrage das Festhalten an der Remanenzlehre und die Verkündigung häretischer Ansichten. Es handelte sich hier also um eine intellektuelle Häresie, die dem Apostolat der Laien und den doktrinär nicht verankerten Ansichten der Waldenser sehr fern lag. Der Streit um die Remanenzlehre 478 nahm die spätere Betonung der eucharistischen Frage durch die Reformströmung vorweg, die mit der Einführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt in der Zeit der Konstanzer Einkerkerung Hussens ihren Höhepunkt erlebte. Zum ersten Mal geriet die Remanenzlehre an der Prager Universität während der Versammlung der Universitätsmagister vom 28. Mai 1403 im Carolinum („in stuba facultatis collegii Caroli“) in eine Kontroverse. Nach leidenschaftlichen Verhandlungen und nach einer Abstimmung beschloss man, dass niemand öffentlich oder heimlich („publice vel occulte“) irgendeinen der vorgelesenen 45 Artikel Wyclifs verkündigen dürfe (die ersten drei betrafen die Remanenz und eucharistische Fragen), ohne wegen Schwurbruchs bestraft zu werden („sub poena praestiti juramenti“). 479 Bei der Verwerfung der 45 Artikel Wyclifs bediente man sich also des an der Universität üblichen kollektiven Schwurs, dessen Bruch oft mit Exkommunikation bestraft wurde. Denn der Betreffende wurde de facto und de jure zum Meineidigen. Bemerkenswert sind aber auch die Art der Einberufung der Magisterversammlung und die Eingriffe des erzbischöflichen Hofes bzw. des bischöflichen Kapitels in den internen Universitätsstreit in einer Zeit, als der erzbischöfliche Stuhl vakant war. Magister Johannes Hübner, der den 24 von der Londoner Synode verurteilten Artikeln Wyclifs 21 weitere hinzufügte, legte dem Prager Kapitel einen Satz der seiner Meinung nach ketzerischen Ansichten des „Doctor evangelicus“ zur Bewertung vor. Der damalige Offizial Johannes Kbel bat gemeinsam mit dem Bechiner Archidiakon Wenzel Nos die Universität um ein Gutachten. Rektor Walter Harrasser berief daraufhin die Kongregation der Magister-Regenten ein. In strittigen Fragen, wegen denen bisher keine Einzelpersonen beschuldigt worden waren, entschied also 478 Eine Analyse der zeitgenössischen Streitigkeiten um die Remanenzlehre und um Wyclif mit einer erschöpfenden Prüfung der bisherigen Literatur bei Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 214–235. 479 Das notarielle Instrument des Verbots, öffentlich oder heimlich einen der 45 Artikel Wyclifs zu verkünden, ist herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 327–331, hier 331: „Quibus quidem articulis sic lectis, idem D. Waltherus Harrasser rector, scrutatis votis omnium et singulorum magistorum ibidem praesentium, antedictam universitatem Pragensem repraesentantium, tandem secundum pluralitatem vocum per eandem universitatem conclusum fuit, quod nullus dogmatiset, praedicet vel asserat, publice vel occulte, supradictos articulos dicto domino rectori per dominos Joannem officialem Pragensem et Wenceslaum archidiaconum suprascriptos praesentatos, sub poena preastiti juramenti.“ – Dazu vgl. den Bericht der Tak zvané Kroniky univerzity pražské [Sog. Chronik der Prager Universität]. In: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 569: „Item eodem anno XXVIII die mensis Maii hora vesperarum in collegio Karoli presentati sunt pretacti articuli Johannis Wicleff rectori pro tunc universitatis Pragensis et mandatum est ex parte capituli, archiepiscopali sede pro tunc vacante, ut rector prohiberet, sicut et prohibuit, ne magistri et scholares tenerent aut disputarent prefatos articulos, sub pena prestiti iuramenti.“
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die Universität allein als Korporation. Sie verpflichtete sich öffentlich und gemeinschaftlich mittels des Kollektivschwurs zur Einhaltung der eigenen Beschlüsse. Wie das Kapitel auf den von ihm angeregten Beschluss reagierte, weiß man nicht. Nur aus einem Schreiben Hussens an Hübner aus Anlass eines Quodlibets, bei dem Hübner scharf gegen Wyclif aufgetreten war und ihn wie auch seine Anhänger als Ketzer beschimpfte, erfährt man, dass das Kapitel im Laufe der Zeit auf die ganze Angelegenheit immer zurückhaltender reagiert habe. 480 Obwohl sich Hussens Brief nicht genau datieren lässt, fällt er mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in die Amtszeit des neuen Erzbischofs von Prag: Zbynko Zajíc von Hasenburg. Stanislaus von Znaim verteidigte in der Versammlung der Universitätsmagister Wyclif demonstrativ. Damit hat er angeblich auch einige ältere Magister der böhmischen Universitätsnation empört. 481 Offensichtlich unter dem Einfluss des Beschlusses, an den er – obwohl er gemeinsam mit weiteren böhmischen Magistern dagegen gestimmt hatte – durch den gemeinschaftlichen Schwur gebunden war, entschied er sich, die Remanenzlehre nun noch nachdrücklicher zu verteidigen. 482 Aus Hussens späterer Polemik („Contra Stanislaum“) ist bekannt, dass Stanislaus Wyclifs Remanenzauffassung bereits in seiner Auslegung der „Sentenzen“ des Lombardus vertrat. 483 In ausgearbeiteter Form legte er dann seine Ansichten im Traktat „De
480 M. Jana Husi korespondence a dokumenty [Des Mag. Johannes Hus Korrespondenz und Dokumente]. Hg. v. Václav Novotný. Praha 1920, 11–15; Ders., M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 117 f. 481 Alles, mit Ausnahme des Beschlusses, was sich über das notarielle Instrument erhalten hat, kennt man nur aus späteren Anspielungen Hussens und des Stephan von Páleˇc, der sich in der Versammlung genauso eifrig wie Stanislaus von Znaim für Wyclif einsetzte. Dazu vgl. Sedlák, Jan: M. Jan Hus [Mag. Johannes Hus]. Praha 1915, 93 f., der aber die weggegangenen Magister für deutsche Magister hält; Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 109–111, der jene verärgerten Magister bis auf ihr akademisches Alter in keiner Weise spezifiziert; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 219, der die verärgerten Magister für böhmischer Herkunft hält, was aus Sicht des Sitzungsverlaufs am logischsten ist. Denn im Falle des Weggangs der Magister der drei auswärtigen Universitätsnationen hätte die nominalistische Partei, der es um Wyclifs Verurteilung ging, geschwächt werden können. Hypothetisch kann man den im Traktat gegen Stanislaus getätigten Ausspruch Hussens jedoch sowohl auf die Versammlung im Jahre 1403 als auch auf die im Jahre 1408 beziehen: Magistri Iohannis Hus Opera omnia. Bd. 22: Polemica. Hg. v. Jaroslav Eršil. Praha 1966, 274: „Olim enim in congregacione universitatis studii Pragensis non dicebat esse illam sentenciam katholicam, sed arguebat, quod illi 45 articuli non sunt ut erronei, heretici vel scandalosi condempnandi. Unde propter eius argumentum seniores doctores de congregacione exiverant, tollerare illud non volentes.“ Der Ausspruch in Bezug auf Stephan von Páleˇc, der angeblich Wyclifs Traktat über die Universalien in die Versammlung geworfen habe, im Traktat gegen denselben und der Ausspruch in Bezug auf Stanislaus von Znaim, der jene Schriften Wyclifs verteidigen wollte, passen mit Hinweis auf den Nominalismus mehr ins Jahr 1403: Ebd., 252. 482 Mit der theologischen und philosophischen Grundlage der Lehre des Stanislaus von Znaim befasst sich detailliert Sousedík, Uˇcení o eucharistii (wie Anm. 447), 11–36, 42–47. 483 Diese Anspielung kennt man wiederum lediglich aus Hussens Darstellung in seinem Traktat gegen Stanislaus von Znaim: Magistri Iohannis Hus (wie Anm. 481), 353: „Capiat eciam ante se istud suum scriptum, quod ponit Super 4o sentenciarum ita dicens: ‚Unum ego dico: Si non constat ex auctoritate Scripture sacre, nec ex forma determinacionis sancte matris ecclesie, nec ex sufficienti racione, quod panis cesset esse et quod accidencia sunt sine subiecto, tunc securus sum, quod propter solas
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corpore Christi“ vor, der bald darauf den Anlass für die gegen ihn gerichteten Ermittlungen lieferte. Dieser Traktat entstand aber in einer ganz anderen Atmosphäre als noch seine Auslegung der „Sentenzen“. Der neue Erzbischof von Prag ließ auf den ersten Synoden seine Sympathie mit den um die Besserung des priesterlichen Lebens bemühten Anhängern der Reformströmung erkennen. 484 In Übereinstimmung mit den Reformern wollte er nicht nur den auf weltliche Weise lebenden Klerus disziplinieren, sondern auch das religiöse Leben der Laien vertiefen. Offenbar auf Anregung der Reformer ernannte der Erzbischof im Jahre 1403 eine Kommission, welche die Echtheit des Wunders der drei blutenden Hostien im brandenburgischen Wilsnack untersuchen sollte. 485 Bezeichnenderweise waren die Mitglieder dieser Kommission drei Reformer: Johannes Hus, Stanislaus von Znaim und wohl auch Stephan von Kolin. Ergebnis ihrer Tätigkeit war nicht nur die Feststellung der Unechtheit des Wunders in Wilsnack, sondern auch die Feststellung von falschen Heilungen in Böhmen und einer abergläubischen Verehrung des Altarsakraments durch Geistliche und Laien auf dem Gebiet der Prager Erzdiözese. Die Kommissionsmitglieder Hus und Stanislaus gehörten damals zu den Günstlingen des Erzbischofs. Er beauftragte sie im folgenden Jahr mit den synodalen Predigten, in denen beide den damals üblichen priesterlichen Lebenswandel scharf kritisierten. 486 Damit schufen sie sich unter dem Prager Klerus zweifellos viele Feinde. Stanislaus’ Teilnahme an der Untersuchung des vermeintlichen Wilsnacker eucharistischen Wunders (die wegen des synodalen Verbotes, jenen falschen Wallfahrtsort zu besuchen, unter den Klerikern allgemein bekannt sein musste), sein kritischer Ton und seine offene Verteidigung der Wyclif’schen Lehre haben sicher zu dem Vorwurf der Verkündigung remanenter Auffassungen durch den Zisterzienser Johannes Štˇekna geführt. Štˇekna war in den neunziger Jahren Prediger in der Prager Bethlehemskapelle und danach dank der Unterstützung der polnischen Königin Hedwig Professor an der Krakauer Universität. Über Štˇeknas Vorwurf berichten dreierlei Quellen. Der sehr gut informierte Glossator im Wiener Manuskript 4483 behauptet, Stanislaus’ Traktat habe öffentlichen Aufruhr und weithin Zweifel (bis nach Polen) hervorgerufen. Von den polnischen Biopiniones scolasticas et propter legendas vel prosas, ex illis opinionibus factas, non teneor credere sub pena peccati mortalis nec alius, quod panis cesset esse et accidencia sint sine subiecto. Nisi ergo nova determinacio sancte matris ecclesie vel sufficiens racio hoc approbare poterit, non oportet hoc katholice credi.‘“ 484 Die persönliche Vorliebe des Erzbischofs für die Reformer hat Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 135–159, genau erfasst und belegt. 485 Die Wallfahrten nach Wilsnack zuletzt im Sammelband: Die Wilsnackfahrt. Ein Wallfahrts- und Kommunikationszentrum Nord- und Mitteleuropas im Spätmittelalter. Hg. v. Felix Escher und Hartmut Kühne. Frankfurt am Main u. a. 2006, v. a. die Studie von Hrdina, Jan: Wilsnack, Hus und die Luxemburger. In: Ebd., 41–63. – Zur Kritik aus der Feder des Magisters Johannes Hus und zur Überprüfung einiger angeblicher Wunder gibt es eine einzige beredte Quelle, nämlich Hussens Quästion mit dem Traktat „De sanguine Christi“. Dessen kritische Edition in Spisy M. Jana Husi [Die Schriften des Mag. Johannes Hus]. 8 Bde. Hg. v. Václav Flajšhans. Praha 1903–1908, hier Bd. 3: De sanguine Christi. Praha 1903. – Die Korrektur einiger strittiger Lesungen bei Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 106 f. 486 Der Inhalt bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 152–157.
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schöfen und von Štˇekna sei er schließlich auch beim Erzbischof angezeigt worden. 487 Über die Art der Beschuldigung sagt Hus in seinem Brief an Kardinal Johannes von Reinstein nichts. 488 In der Anzeige Ludolf Meistermanns heißt es hingegen ausdrücklich, Štˇekna habe Stanislaus in der Universitätsversammlung beschuldigt, die speziell zur Disputation über den inkriminierten Remanenztraktat einberufen worden war. 489 Auf diese Versammlung könnte sich meines Erachtens der bei Hus erwähnte Ausspruch von Stanislaus beziehen, Štˇekna werde vor ihm wegen seiner Beschuldigungen niederknien müssen. 490 Diese Behauptung in der Anzeige Meistermanns halte ich für wahrscheinlicher als die allgemeiner gehaltenen Aussagen des Wiener Manuskripts 4483, denn sie spiegelt die zeitgenössische Lage bei der Lösung der Streitigkeiten an der Universität genau wider. Stanislaus’ Behauptung, seinen Traktat nur disputative, also für das Umfeld der Universität vorgelegt zu haben, kann ebenfalls auf den gegen ihn gerichteten Vorwurf anspielen. Die Aufforderung der Untersuchungskommission, Stanislaus solle seine Behauptungen auf dem Boden der Universität widerrufen (also an der Stelle, an der sie für Aufregung gesorgt hatten), kann ein Echo auf die Universitätsversammlung sein. Hypothetisch kann sich dann auch Hussens Erinnerung an einen Ausspruch Meistermanns auf diese Universitätsversammlung („congregacione universitatis“) beziehen. Demnach hätten es einige Böhmen verdient, mit dem Kreuz gekennzeichnet zu werden. Dann soll Meister-
487 Sedlák, Jan: Miscellanea husitica Ioannis Sedlák. Praha 1996, 105: „Notandum. Hunc tractatum nolui suo loco supra XV. folio post prohemium scribere, quia prius bone duobus annis vel medio altero vel citra in publicum exivit et multum partes christianitatis turbavit et ad dubitacionem de sacramento venerabili posuit et confudit. Et tunc post denuncciatus per episcopos regni Kracovie et mag. Iohannem dictum Sczekna archiepiscopo Pragensi per eundem magistrum dictus Stanislaus, auctor dicti tractatuli de mandato accepit, ut alium tractatulum componeret, quo istum compleret et turbatos reformaret, quod fecit in tractatu superiori secundo.“ 488 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 170 f. 489 Bartoš, V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu (wie Anm. 42), 108: „Verum, p. s., quidam magister Stanislaus de Sneuma, sacre theologie professor, si sic dici meretur, coram multis magistris dicti studii Pragensis dicere non erubuit, quod panis universalis manet in sacramento altaris post verba consecracionis prolata. Et quidam tractatus reperitur compilatus de corpore Christi, in quo docetur, quod in missa post verba consecracionis prolata panis, qui in altari ponitur, est corpus Christi, et quod panis manet post verba consecracionis prolata; et in eodem tractatu ponuntur alii errores. Qui quidem tractatus ad diversas mundi partes pervenit et fama communis est, quod idem tractatus reperitur compilatus per Stanislaum memoratum quodque tractatus huiusmodi presentatus fuit per venerabilem sacre theologie professorem magistrum Johannem Štˇekna de a. d. 1406 proxime preterito et ante mensem Augusti venerabili viro magistro Johanni Hoveman, tunc rectori universitatis dicti studii Pragensis coram magistris dicte universitatis eisdem magistris ad hoc specialiter et consilianter congregatis.“ Johannes Štˇeknas im Neustädter Karmeliterkloster vorgetragene Predigt enthält hingegen keinerlei Anschuldigungen gegenüber Stanislaus von Znaim oder irgendjemand anderen: Sedlák, Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 300 f. 490 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 171: „Et antequam fuit vocatus ad curiam archiepiscopi, dixit: ‚Oportet, quod Stiekna monachus flectat ante me genua et petat, quod parcam, quod ausus est tractatum meum novam plantacionem erroneam annotare.‘“
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mann hinzugefügt haben, Stanislaus’ Traktat sei häretisch. 491 Es ist auch möglich, dass Meistermanns Äußerung jüngeren Datums ist und den bereits korrigierten Traktat betrifft. Dann könnte sie sich aber auch auf das Jahr 1407 oder sogar auf das Jahr 1408 beziehen, also auf die Zeit, bevor sich Meistermann mit seiner Klage zunächst an Heidelberg, dann an die römische Kurie wandte. Es spricht auch nichts dagegen, dass Štˇekna nach der für ihn im Ergebnis nicht zufriedenstellend verlaufenden Universitätsversammlung die Causa Stanislaus an den Erzbischof herantrug. Dieser konnte, auch wenn Stanislaus sein Günstling war, die Beschuldigung nicht mit Schweigen und Untätigkeit beantworten. So vertraute er die Untersuchung – wie auch in den folgenden Jahren – einer ad hoc ernannten vierköpfigen Kommission an. Ihre Zusammensetzung kennt man leider nicht, und so lässt sich nicht sagen, ob ihr auch der zuständige Prager Inquisitor angehörte oder ob sie nur aus erzbischöflichen Beamten und Kapitelmitgliedern, eventuell aus Universitätsvertretern zusammengestellt war. 492 Aus dem Bericht eines Kommissionsmitglieds ist bekannt, dass im Traktat „De corpore Christi“ remanente Auffassungen gefunden wurden und dass Stanislaus auf Empfehlung der Kommission zum Verhör geladen worden ist. Während dieses Verhörs soll er behauptet haben, den Traktat „disputando“ bzw. „collative“ geschrieben zu haben, also nach dem Muster der zum Universitätsunterricht bestimmten Schriften, und ihm einen zweiten Teil anschließen zu wollen, der dann die Remanenzlehre ablehne. Er wisse zudem nicht, wie der unfertige Traktat über die Grenzen des Königreiches habe gelangen können. Damit reagierte er auf den Vorwurf der polnischen Bischöfe. 493 Trotz dieser Beteuerung empfahl die Kommission dem Erzbischof, Stanislaus dasselbe noch einmal vor dem Erzbischof und vor der Magisterversammlung wiederholen zu lassen. Zudem sollte seine öffentliche Zustimmung dazu eingefordert werden, dass Brot und Wein nach der Wandlung 491 Diese Anspielung macht Johannes Hus in seiner polemischen Schrift gegen Stephan von Páleˇc: Magistri Iohannis Hus (wie Anm. 481), 235. Dessen Erinnerung ist allerdings schwer datierbar. Sie kann sich sowohl auf die Beschuldigung des Stanislaus von Znaim beziehen, die mit seiner Vernehmung vor der erzbischöflichen Kommission endete, als auch auf die Zeit nach seiner Abschwörung, allerdings im Privaten und somit für seine Gegner unzureichend, oder erst auf spätere Jahre, möglicherweise sogar auch auf das Jahr 1408, also unmittelbar vor Ludolf Meistermanns Beschuldigung Stanislaus’ bei der Kurie. Hypothetisch, und das halte ich bis zu einem gewissen Grad für wahrscheinlich, kann man sie aber auf die Universitätsversammlung beziehen, auf der Johannes Štˇekna Stanislaus beschuldigt hatte, auch wenn es viel mehr Universitätsversammlungen gegeben haben kann, in denen Wiklifiten oder Stanislaus selbst der Verkündung häretischer Ansichten beschuldigt wurden, als die Quellen berichten. 492 Die Teilnahme eines Universitätsmagisters setzt Sedlák, Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 109, voraus, weil der Autor der Nachricht die übrigen drei Kommissionsmitglieder als Prälaten bezeichnet. 493 Ebd., 305: „Licet igitur predictus magister coram nobis quatuor dixit, quod dictum tractatum non assertive sed disputando et collative scripserit nec ipsum alicui miserit ex intencione scolari vel magistro, sed nescit, quomodo exierit ad partes alienas, quia adhuc ipsum voluit perficere pro secunda parte arguendo.“ – Ebd., 308 f., die von Stanislaus von Znaim vorgetragene Formel in einem analogen Wortlaut: „In isto tractatu nec pono nec assero nec dogmatizo nec persuadeo nec faveo nec aliquatenus induco, quod post consecracionem panis remaneat in substancia panis et quod accidencia panis non stant sine subiecto, sed per verbum ‚videtur‘ apparencias ad hoc sonantes posui.“
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nicht im Altarsakrament verbleiben, sondern substanziell zu Leib und Blut des Herrn werden. Ferner müsse er an den „Schulen“ und in Predigten das Ärgernis wieder gutmachen, das sein Traktat unter Scholaren und Magistern sowie unter dem gemeinen Volk („vulgares plebeiosque homines“) – das nun in Zweifel bezüglich des Altarsakramentes gebracht worden sei – angerichtet habe. 494 Schließlich empfahl die Kommission dem Erzbischof den Erlass eines synodalen Beschlusses, der bei Androhung der Exkommunikation untersagen sollte, den Verbleib der Brotsubstanz nach der Wandlung in der Eucharistie zu vertreten oder disputative zu verkündigen. 495 Vor allem dieser Appell an den Erzbischof, der auf der nächsten Synode das geforderte Statut tatsächlich erlassen hat, 496 spricht meines Erachtens dafür, dass in der Kommission die Kapitelmitglieder überwogen. Die Mitbeteiligung der Universität, bei der sich Stanislaus reinwaschen wollte, ist ebenfalls nicht auszuschließen. Wie es genau zur Abschwörung kam, weiß man leider nicht. Mehrere Indizien legen aber eine Interpretation nahe, die sich in einigen Aspekten von den Ansichten der älteren Forschung unterscheidet. Einen Ausgangspunkt, wenn auch nicht richtungweisend, bietet Hussens Zeugnis von 1413, also aus der Zeit seines „Traktatenkrieges“ mit Stanislaus von Znaim und Stephan von Páleˇc. Alle Akteure dieses Konflikts kehrten darin zu Hussens Beschuldigung der Verkündigung remanenter Ansichten durch Prager Pfarrer zurück. In jenem Schreiben an Kardinal Johannes von Reinstein vom Juni 1413 reagiert Hus darauf und erinnert an die frühere Einstellung von Stanislaus zur Remanenzlehre und v. a. an seine Abschwörung. Hus behauptet darin, Stanislaus habe tatsächlich die Remanenzlehre verkündigt, dann aber zwei Jahre nach der Niederschrift des Traktates geschworen und abgeschworen („iuravit et abiuravit“). Unter Schwur („per iuramentum“) und aus Angst vor dem Erzbischof habe er dann ausgesagt, der Traktat sei noch gar nicht vollendet. 497 Laut Hus schwor also Stanislaus der Remanenzauffassung vor dem Erzbischof ab, und zwar noch bevor er seinen Traktat vollendet und ihm eine andere als die von ihm ursprünglich beabsichtigte Bedeutung gegeben hat – für die er übrigens vergeblich Hus zu gewinnen versuchte. 498 Diesen Widerruf der Aussagen des ersten Teils seines Traktates
494 Sedlák, Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 305: „tamen quia scandalum est exortum ex illo tractatu et aures Christi fidelium sunt offense, nedum in alienis partibus, verum hic inter scolares et magistros et eciam vulgares plebeiosque homines fides de sacramento posita est in dubio“. 495 Ebd.: „Item videtur mihi, quod dominus archiepiscopus per modum statuti in synodo prohibeat omnibus et singulis hominibus, quod nullus audeat aliter credere nec disputare, nisi quod post consecrationem manet corpus Christi et sanguis sub speciebus sive accidentibus panis et vini et nichil aliud et qui aliter dixerit, crediderit vel disputaverit publice vel occulte, sentencia excomunicacionis sit innodatus eo ipso, ‚quam ferimus in hiis scriptis, qua eum nullus absolvere valeat, sed ipsam absolucionem sedi apostolice reservamus‘.“ – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 161– 163. 496 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 280. 497 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 170 f.: „Ecce postea iuravit et abiuravit, et post duos annos, quando Stiekna venit cum suo tractatu, postquam timuit archiepiscopum, nesciens subterfugere, dixit per iuramentum, quod tractatum illum non perfecit.“ 498 Dies führt Johannes Hus in seinem Schreiben an Kardinal Johannes von Reinstein an: Ebd.
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bestätigt auch das Protokoll der Untersuchungskommission. Dem Wortlaut nach gab Stanislaus zu, bisher nur den ersten unvollendeten Teil des Traktates geschrieben zu haben und einen zweiten Teil gegen die Remanenzlehre noch schreiben zu wollen. Die Kommission akzeptierte seine Aussage und schlug in sechs Punkten vor, dieselbe Erklärung noch einmal vor dem Erzbischof abzugeben, ferner zu bekennen, dass nach der Wandlung nicht die Brotsubstanz verbleibe, und schließlich in Schulen und von der Kanzel herab das Ärgernis wieder gutzumachen, das er angerichtet habe. 499 Aus dem Bericht der Kommission ergibt sich nicht eindeutig, ob Stanislaus das noch vor der Vollendung seines Traktates oder erst danach tun sollte. Auf die Fertigstellung des Traktates verweist folgende Anmerkung in einem der Manuskripte seines eucharistischen Traktates: „Et in commodo suo collegii Karoli de licencia venerabilis in Christo patris domini dom. Sbinconis, Pragensis archiepiscopi, publice pronunciavit.“ 500 Das Manuskript betont also die erzbischöfliche Anordnung und die Worte „publice pronunciavit“. Anderseits sagt es über den Traktat: „Pronunciatus sub a. d. 1406, finitus est die 9. mensis Februarii.“ 501 Jan Sedlák schließt daraus, dass der Erzbischof Stanislaus erlaubt habe, den Traktat privat zu diktieren, und zwar in seinem Zimmer im Karlskolleg. Diese Meinung vertritt auch Václav Novotný. 502 Der Wortlaut des Bˇrevnover Manuskriptes lässt allerdings auch eine andere Interpretation zu. Stanislaus könnte auch angetragen worden sein, seinen Traktat zu vollenden und dann zu verlesen, eventuell während des Jahres 1406 auch verlesen zu lassen, was bis zum 9. Februar 1406 dann auch tatsächlich geschah. „Pronunciatio“ bedeutete nämlich im Umfeld der Prager Universität, ein Werk in vollem Wortlaut zu diktieren. Die Art des Diktierens eines Werkes wurde durch das Statut „De modo pronunciandi“ der Artistenfakultät vom Jahre 1367 geregelt, das typische Fehler beim Diktieren eines fremden Werkes zu verhindern suchte. 503 Der eigentliche Umfang von Stanislaus’ Traktat lässt vermuten, dass das Verlesen mehrere Tage in Anspruch genommen haben muss und am 9. Februar wirklich zu Ende gebracht worden sein kann, also zur Hochzeit der universitären Lehre. 504 Der Terminus „in
499 Sedlák, Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 305: „propterea mihi videtur et prelatis, quod dictus magister clarissime dicat et asserat hec eadem coram domino archiepiscopo pragensi et magistris quam pluribus per eum congregatis. Item dicat, quod cum sancta matre romana ecclesia tenet firmiter et simpliciter confitetur quod post consecracionem non remaneat panis, sed tantum corpus et sanguis Christi sub speciebus panis et vini sive accidencia sine substancia, quod est idem. Item hoc idem in scolis et in ambone predicando asserat et caute reformet scandalum, quod per eum est exortum ex dicto tractatu disputato.“ 500 Ebd., 111. 501 Ebd., 106. 502 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 164. 503 Zum Terminus „pronunciatio“ treffend Kejˇr, Dˇejiny pražské právnické fakulty (wie Anm. 78), 125 f.; Tˇríška, Josef: Modus pronunciandi. In: AUC – HUCP 12 (1972), 87–90, beide ohne Berücksichtigung der „pronunciatio“ des Traktates Stanislaus’ von Znaim. 504 Zum Kalender des Universitätsunterrichts vgl. Kavka, František: Organisace studia na pražské artistické fakultˇe v dobˇe pˇredhusitské [Organisation des Studiums an der Prager Artistenfakultät in vorhussitischer Zeit]. In: AUC – HUCP 8/1 (1967), 7–39; Šmahel, František: Fakulta svobodných
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commodo suo collegii Karoli“ lässt erahnen, dass der öffentliche Zugang zu dieser Lesung sehr beschränkt war. Sie fand zwar auf dem Campus im Karlskolleg statt, aber nicht im großen Saal, sondern in Stanislaus’ Zimmer, eventuell auch in einem anderen Raum, der für seine Vorlesungen gedacht war. 505 Zu fragen bleibt, ob diese Lesung mit einem erneuten Bekenntnis zur Rechtgläubigkeit verbunden war. Schon mit dem Traktat distanziert sich Stanislaus klar von der Remanenzlehre. Anderseits hat sich auch die Formel seiner Abschwörung erhalten, 506 auf die Hus anspielte. Auf welchen Akt sich diese Formel bezog, ist aber schwer zu sagen. Sie kann vor dem Erzbischof vorgetragen worden sein, der von der Kommission aufgefordert wurde, Stanislaus mit allen seinen Feinden zu versöhnen. Sie kann aber auch irgendwann nach dem Diktat des Traktates in aller Abgeschiedenheit, etwa in Stanislaus’ Zimmer, gesprochen worden sein, also wiederum nicht öffentlich wie ein paar Monate zuvor beim Erzbischof. Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese Formel vor einer größeren Universitätsversammlung verkündet wurde. Das ist aber weniger wahrscheinlich: Die Quellen liefern keine Belege dafür, und in der Formel selbst ist von der Universität überhaupt nicht die Rede. Auch Hussens Schreiben an Kardinal Johannes von Reinstein erwähnt nur die Abschwörung vor dem Erzbischof, nicht aber eine Abschwörung auf dem Campus. Es ist jedoch nur ein Hilfsbeleg, da für Hus damals allein entscheidend war, dass Stanislaus die Remanenzlehre abgestritten und ihr abgeschworen hatte. Ob er dies mehrmals tat, vor dem Erzbischof, vor einer Universitarierversammlung oder privat an seinem Lesepult, spielte im Jahre 1413 keine Rolle mehr. Möglich, aber wiederum unwahrscheinlich ist, dass Hus von einer Abschwörung auf dem Campus nichts gewusst hat, etwa wenn sie im persönlichen Amtszimmer in aller Abgeschiedenheit erfolgte. Dies wäre aber kaum vor Hus zu verheimlichen gewesen. Dafür standen sich beide 1406 zu nahe. Im Jahre 1413 hätte Hus einen solchen, mit der Universität verbundenen
umˇení [Die Fakultät der freien Künste]. In: Dˇejiny Univerzity Karlovy (wie Anm. 67), 109–119; Stoˇces, Jiˇrí: Pátrání po p˚uvodu semestru. Pˇríspˇevek k univerzitní chronologii [Suche nach dem Ursprung des Semesters. Beitrag zur Universitätschronologie]. In: AUC – HUCP 47/1–2 (2007), 59– 74. 505 Jene „halbprivate“ Abschwörung hält auch Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 221, für wahrscheinlich. 506 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 164, Anm. 3, mit Nachdruck der Abschwörungsformel: „Creditur enim illa per viam laboris talis et gratitudinis uno modo consequenda. Verum quia ipsa datur non tam pro victima laboris, quam pro obediencia subieccionis, ideo adhuc hic ultimo hanc viam subieccionis preeligendo expresse protestor, quod in hoc sripto nec in quocumque alio intendo vel intendi aliquid ponere vel asserere contra Scripturam sacram, contra sacros canones, contra determinacionem et approbacionem sancte matris ecclesie Romane vel aleas (!) quovismodo hereticum, erroneum aut impium. Si autem aliquid talium posuissem ex ingorancia mea magna vel undecumque, ego revoco exnunc prout extunc et extunc prout exnunc et habeo pro non dicto et in toto me subicio primum correccioni sacrosancte sedis apostolice, demum correccioni reverendissimi in Christo patris et domini, domini Sbinkonis archiepiscopi ecclesie Pragensis, apostolice sedis legati et cancellarii alme universitatis Pragensis studii, postremo correccioni omnium, ad quos pertinet taliter errantes corrigere et reducere in viam veritatis, per quam ipse dominus veritatis nos perducat ad superius memoratam visionem sue beatitudinis. Amen.“
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Akt dann auch hervorgehoben und als ein Argument gegen Stanislaus benutzt: Ein Mann, der seine Ansichten so oft und so sehr ändere, gebühre in der entstandenen Lage nicht das Recht, ihn in irgendeiner Weise des Irrglaubens zu bezichtigen. Sedláks Hypothese, dass sich die Abschwörung auf den Prozess beziehen könnte, den Kardinal Francesco Uguccione gegen Stanislaus bei der päpstlichen Kurie führte, ist aber auch nicht zu vernachlässigen. 507 Das Vorhandensein der Abschwörungsformel, die nicht nur das Verb „abiurare“, sondern auch das Verb „revocare“ verwendet, das sonst bei der Abschwörung häretischer Artikel nur ausnahmsweise vorkommt (in den erhaltenen Akten des Konstanzer Prozesses gegen Hus und gegen Hieronymus 508 begegnet es etwa im Unterschied zu „abiurare“ nicht), zeugt davon, dass sich Stanislaus tatsächlich einer „abiuracio“ – wahrscheinlich noch vor der Vollendung seines Traktates – unterzogen hat. Die Abschwörungsformel beweist außerdem, dass der vom Erzbischof gegen Stanislaus angestrengte Inquisitionsprozess ordentlich beendet worden ist. Denn der Magister hat sich durch die Abschwörung vom Verdacht der Verkündigung häretischer Ansichten reingewaschen. 509 Gerade diese Verwendung der Abschwörung als ein Mittel zur Reinwaschung spricht für die Interpretation, dass Stanislaus diese Formel vor dem Erzbischof und nicht vor der Universitätsversammlung vorgetragen hat. Im Unterschied zum Erzbischof von Prag besaß sie nicht das Recht zur Absolution. Zu betonen ist, dass Stanislaus nicht bestraft wurde. Ihm wurde keine Buße auferlegt – bis auf die Ratschläge der Untersuchungskommission, sich öffentlich zu bekennen und wieder gutzumachen, was er durch seinen Traktat angerichtet hatte. Die Buße war üblicherweise Bestandteil einer öffentlich vollzogenen Strafe. Das Fehlen aber von Strafe und Buße – sofern das nicht am Erhaltungszustand der Quellen liegt – spricht für eine milde Vorgehensweise des Erzbischofs gegenüber Stanislaus. Das schloss auch den Verzicht auf eine öffentliche und damit besonders demütigende Abschwörung ein. Vermutlich sofort nach dem Versprechen, den zweiten Teil des Traktates zu schreiben, und nach der Abschwörung am erzbischöflichen Hof verkündete Zbynko Zajíc von Hasenburg – der Empfehlung der Untersuchungskommission entsprechend – auf der Synode den Erlass, der die Verkündigung der Remanenzlehre verbietet. 510 Nach der in vielerlei Hinsicht tendenziösen „Chronik der Prager Universität“ wurden dann wegen der Remanenz noch im selben Jahr und in den folgenden Jahren
507 Sedlák, Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 114 f. – Dessen Meinung lehnt ab: Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 164. 508 Zu den Akten des Hieronymus-Prozesses vgl. Šmahel, The Acta of the Constance Trial (wie Anm. 276), 323–334. 509 Zur „abiuratio canonica“ und „purgatio canonica“ im kanonischen Recht vgl. Flatten, Heinrich: Der Häresieverdacht im Codex Iuris Canonici. Amsterdam 1963, 35–51. 510 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 280: „Item mandatur, ut de sacramento altaris per omnes christifideles sic teneatur, quod postquam forma verborum consecracionis per sacerdotem in missa fuerit prolata, quod ibi nichil substancie panis remaneat, sed verum corpus Christi. Similiter completa forma verborum super calicem nichil ibi substancie vini remaneat, sed verus sanguis Christi, quod per omnes teneatur. Alioquin si aliqui contrarium dicerent, predicarent, dogmatizarent, domino archiepiscopo Pragensi sub pena excommunicacionis tamquam heretici denunccientur et manifes-
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weitere Kleriker und auch Laien untersucht. 511 Das zeugt nicht nur von den fortschreitenden Bemühungen des Erzbischofs, den Klerus und die Laien zu disziplinieren, sondern auch von der tatsächlichen Verbreitung der Remanenzauffassung unter dem gemeinen Volk. Davon spricht auch das Gutachten der Untersuchungsrichter im hier erörterten Fall. 512 Die „Chronik der Prager Universität“ sagt leider nicht, auf welche Weise die Untersuchung jener Kleriker und Laien beendet wurde. Sie erwähnt nur lakonisch, dass sie gerechterweise freigesprochen worden seien („iusticia mediante fuerunt soluti“). Um die verbreitete Remanenzauffassung zu beseitigen, die sich im Laienumfeld mit abergläubischen, durch das Wilsnacker und ihm ähnliche (und in den Augen der Reformer selbstverständlich falsche) Wunder angeregten Vorstellungen bezüglich des Altarsakramentes vermischen konnte, machte der Erzbischof die Transsubstantiationsformel verbindlich. 513 Diese wurde jedoch berechtigterweise zur Zielscheibe der Kritik, in erster Linie der Hussens. 514 Im Bereich der Laien kann sie zudem noch mehr die bisherige Form der eucharistischen Frömmigkeit in Zweifel gezogen haben. Um die Rechtgläubigkeit dieser Formel soll es an dieser Stelle nicht gehen, das würde zu weit führen. Hierfür entscheidend ist, dass der Erzbischof – obwohl er sich für die Unterdrückung der Remanenzlehre einsetzte – im Falle eines Anhängers der Reformrichtung auf eine umsichtige Weise vorging. Er ermöglichte diesem die Abschwörung von der Verkündigung der Irrlehre in weitgehender Abge-
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tentur et de premissis informare cum omni diligencia studeatis ipsisque tribus diebus dominicis continuis intimare post festum sancti Iohannis Baptiste se sequentibus premissa publicetis.“ Die Chronik der Prager Universität erwähnt die Ermittlungen gegen Stanislaus von Znaim überhaupt nicht und führt nur die Berichte über den synodalen Erlass des Erzbischofs gegen die Verkündung von Wyclifs Ansichten an samt des dazu auffordernden, anderswoher unbekannten Schreibens von Papst Innozenz VII. sowie Berichte über Ermittlungen gegen Geistliche und auch Laien, die des Festhaltens an Wyclifs Irrlehren beschuldigt worden waren. – Tak zvaná Kronika univerzity pražské [Die sog. Chronik der Prager Universität]. In: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 569: „Item anno domini MCCCCV Innocencius papa VII instigavit et monuit Sbinkonem, archiepiscopum Pragensem, ut sit diligens et sollicitus ad errores Wicleff et hereses extirpandas. Hanc monicionem prelati procuraverunt. Item anno domini MCCCCVI dominus Sbinko, archiepiscopus Pragensis, edidit statutum et eodem anno in synodo publice mandavit, quod quicunque predicaret, assereret vel disputaret errores Wicleff, in certas ibidem nominatas incideret penas, pro tunc doctore Adam vicario generali existente etc. Item eodem et sequenti anno multi ex sacerdotibus et laicis ad falsam delacionem sunt examinati super prefatis erroribus, de quorum numero fuit quidem sacerdos Crucis et eius pincerna. Et quidam pellifex, Abraham et Sigismundus et plures alii, qui iustitia mediante fuerunt soluti.“ Wie man aber sieht, datiert der Autor der Chronik jene Ermittlungen gegen Geistliche und Laien sehr vage. Die erste Beschuldigung könnte man vielleicht auf das Jahr 1406 beziehen, diejenige der Priester Abraham und Sigismund von Jistebnitz allerdings erst auf die Mitte des Jahres 1408 im Zusammenhang mit dem zweiten Versuch des Erzbischofs zur Disziplinierung der Universitarier und der Prager Kleriker. – Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 110, hat aus dem chronikalischen Bericht geschlossen, dass sich sowohl die deutschen Magister als auch das Prager Kapitel irgendwann am Ende des Jahres 1404 oder am Anfang des folgenden Jahres an den Papst gewandt haben. Ich stimme hier mit Jan Sedlák überein und nicht mit Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 159, der jene Verbreitung in die Laienwelt bestreitet. Diese Formel ist abgedruckt in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 335. Detailliert bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 164–173.
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schiedenheit und verhinderte wohl so einen Skandal, der sicher bis über die Grenzen des Königreiches hinaus bekannt geworden wäre. Gleichzeitig gab er durch seine synodale Anordnung deutlich zu erkennen, dass er künftig nicht mehr bereit war, irgendwelche öffentlich verkündete Abweichungen von der eucharistischen Lehre (aus seiner rechtgläubigen Sicht) zu dulden. Dadurch hat hier das Öffentliche schließlich auf seine Art das Private überdeckt, das rein persönlichen Charakter hatte und damit zusammenhing, dass der Erzbischof den Reformern des kirchlichen Lebens zuhörte. Wie schon angedeutet kann Stanislaus’ nicht öffentliche, eher private Abschwörung häretischer Ansichten eine Ursache für die wiederholten Angriffe auf seine Person gewesen sein. In den Augen der nicht reformorientierten Magister konnte er nach einem nur beschränkt öffentlichen Prozess nicht für reingewaschen und daher weiterhin der Häresie verdächtig gelten. Diese Tatsache nutzte meines Erachtens Ludolf Meistermann aus, der sich am Anfang des Jahres 1408 nach Rom über Heidelberg begab. Dort ließ er sich ein unterstützendes Gutachten ausstellen. Möglicherweise auch dank diesem gelang es ihm in Rom, seine Beschuldigung des werdenden Anführers der böhmischen Reformer erfolgreich vorzutragen. 515 Meistermann äußert sich in seiner Klage interessanterweise nicht zu Stanislaus’ Abschwörung, also auch nicht zu ihrem privaten oder halbprivaten Charakter. Er beschuldigt ihn aber des Festhaltens an Wyclifs Lehre und der Verkündigung der Remanenzauffassung, wobei er dessen Remanenztraktat in der ursprünglichen Fassung rezipierte, also ohne die späteren Anpassungen, welche die gegen die Remanenz zeugenden Autoritäten an515 Bartoš, František Michálek: Pˇríspˇevky k dˇejinám Karlovy university v dobˇe Husovˇe a husitské [Beiträge zur Geschichte der Karlsuniversität in Hussens und der hussitischen Zeit]. In: SH 4 (1956), 33–70, hier 34–36, darin in verkürzter Fassung (ebd., 35, Anm. 6) das Gutachten der Heidelberger Universität vom 18. Januar 1408, das Ludolf Meistermanns Klage empfahl. Bartoš ist aufgrund dieser Empfehlung der Meinung, dass der endgültige Wortlaut der Klage gegen Stanislaus von Znaim und gegen alle Anhänger Wyclifs gerade im Prag gegenüber feindselig eingestellten Heidelberg angefertigt wurde. Sollte dies der Fall sein, hätte es sich um eine gezielte Aktion gehandelt, die mit dem Kurfürsten von der Pfalz und römisch-deutschen König Ruprecht und möglicherweise, wie Bartoš meint, auch mit dem päpstlichen Nuntius Jacobus Arrigoni Ballardi koordiniert werden musste. Bartoš schreibt ferner, dass Meistermann behauptet habe, dass Stanislaus’ Traktat 1406 beim Universitätsrektor Johannes Hoffmann im Rahmen einer Universitätsversammlung von Johannes Štˇekna angezeigt wurde. Davon, dass Hoffmann Universitätsrektor gewesen sein soll, gibt es allerdings keine weiteren Belege. Man weiß lediglich, dass er 1408 Dekan der Artistenfakultät war. (Im Jahre 1405 war „Johannes Hoffmann“ der Verwalter für die polnische Nation: Šmahel, The Faculty of Liberal Arts [wie Anm. 67], 295; in den Jahren 1404/05 erschien er auch als Examinator an der Artistenfakultät und danach erneut im Oktober 1406, was eine Tätigkeit als Universitätsrektor im Semester zwischen St. Georg und St. Gallus des Jahres 1406 möglich machte.) Da für das Jahr 1406 die Person des Universitätsrektors unbekannt ist (Dˇejiny Univerzity Karlovy [wie Anm. 67], 291; als Rektor gibt ihn aber merkwürdigerweise bereits Tˇríška, Životopisný slovník [wie Anm. 210], 255, an), scheint es möglich, dass „Johannes Hoveman“ mit Johannes Hoffmann identisch ist, einem im Rahmen der Universitäts- und Fakultätsverwaltung sehr aktiven Mitglied der polnischen Universitätsnation, und dass wir dank Meistermanns Klage einen bisher unbekannten Rektor der Prager Dreifakultätenuniversität vom Jahre 1406 neu identifizieren können. In den Universitätsquellen kommt nämlich kein „Johannes Hoveman“ vor, und daher ist er höchstwahrscheinlich mit Johannes Hoffmann identisch. Zu seiner Person vgl. Machilek, Franz: Johannes Hoffmann aus Schweidnitz und die Hussiten. In: ASKG 26 (1968), 96–123.
Abschwörung des Magisters Stanislaus von Znaim
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führen. Papst Gregor XII. betraute Kardinal Uguccione mit diesem Fall. Sein Dekret vom 20. April 1408 untersagte es dann, an der in Wyclifs Schriften enthaltenen sowie an der im Incipit und Explicit des Traktates von Stanislaus zitierten Irrlehre festzuhalten und diese zu verkündigen. 516 Dem der Häresie verdächtigen Prager Magister sollte innerhalb von 60 Tagen nach dem Erlass des Dekretes eine persönliche Zitation vor das päpstliche Gericht zugestellt werden. Der durch dieses Vorgehen zufrieden gestellte Meistermann ließ sich auf dem Rückweg am 26. Mai 1408 an der Heidelberger Universität eine notarielle Abschrift des Kardinalsdekretes anfertigen. 517 Zusammen mit seinem ersten Halt in Heidelberg zeugt das von einem gezielten Bemühen der Universität (gemeinsam mit Ruprechts Hof), einige Prager Magister zur Tätigkeit gegen die der Häresie beschuldigten Prager Reformer anzuregen. Dabei war ihre primäre Absicht nicht die Destruktion der Prager Alma Mater, sondern die Schwächung von König Wenzel IV., der bereits seit einigen Jahren den Reformern sein Gehör schenkte und diese auch in den Streitigkeiten mit Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg benutzte. Im Hintergrund kann dabei selbstverständlich auch Wenzels Bemühen um eine Revision der Verhältnisse im Reich, um die Revokation seiner Absetzung vom Reichsthron im Jahre 1400 und um die Anerkennung als rechtmäßiger römischer König eine Rolle gespielt haben. Diese Ziele des Sohnes von Karl IV. werden dann ein paar Monate später auf dem Pisaner Konzil vollends sichtbar werden. In Prag tauchte Meistermann, so scheint es, erst am 18. Juni auf, also sehr spät. Allgemein vorausgesetzt wird, dass seine Beschuldigung von Stanislaus bis zu sei-
516 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 224–227, äußert die Ansicht, dass Ludolf Meistermanns Anzeige doppelt erfolgte – die erste bereits zu Beginn des Pontifikats Gregors XII., also Anfang 1407. Außerdem behauptet Novotný, dass weitere Klagen in Rom eingegangen wären. Wenzel IV. habe angeblich von ihnen erfahren und auch die Ermittlungen gegen Matthias von Knín angeordnet sowie in seiner Botschaft an die Pisaner Kardinäle zu erkennen gegeben, jeden durch Verbrennung zu bestrafen, welcher der Ketzerei für schuldig befunden wurde. Der Erzbischof hat laut Novotný auch versucht, selbst Abhilfe zu schaffen. Daraus zieht dann Novotný den Schluss, dass die Anmeldung des Matthias von Knín als Quodlibetarius (hier glaubt er wiederum völlig den Wiener Zeugen) eine gegen den Erzbischof gerichtete Aktion gewesen sei, ohne jedoch zu betonen, dass es sich in seinem Auslegungsschema auch um eine gegen den König gerichtete Aktion hätte handeln müssen. Novotný behauptet aber das Gegenteil, nämlich dass Wenzel diesen Schritt begrüßt habe, was einigermaßen unlogisch ist. Jedenfalls kann man die doppelte Anschuldigung durch Meistermann in keiner Weise belegen, und sie scheint auch nicht wahrscheinlich. Novotný konstruiert sie aufgrund der Tatsache, dass Stanislaus von Znaim gemeinsam mit Stephan von Páleˇc nach Rom gegangen war, sie habe so beide Prager Theologen betroffen, beide seien darauf auch beichten gegangen. Träfe dies zu, hätte aber auch Stephan von Páleˇc zitiert werden müssen. Über seine Zitation liegen jedoch keine Belege vor. Der wahre Zweck ihrer Reise war laut Novotný allerdings die Überbringung einer diplomatischen Botschaft an Papst Gregor XII. im Dienste Wenzels IV. (ebd., 86). Wenn Novotný sagt, die Beschuldigung hätten sie leicht widerlegen können, stellt er in keiner Weise das Argument in Frage, dass es seinerzeit zumindest ungewöhnlich war, zu heiklen Verhandlungen über die Beilegung des Schismas und über Wenzels Absetzung der Häresie verdächtige Personen als Boten einzusetzen. 517 Bartoš, V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu (wie Anm. 42), 97–113, mit Edition des königlichen Erlasses.
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ner Ankunft in Böhmen nicht bekannt war, auch nicht das betreffende Dekret von Kardinal Uguccione. Den deutschen Magistern war es somit gelungen, die Aktion – die nicht nur Stanislaus, sondern die ganze Reformströmung an der Universität betraf – ein halbes Jahr lang unter Verschluss zu halten. Folgt man jedoch Hus, der 1413 wiederum bei der Polemik gegen Stanislaus dessen Streit mit Meistermann erwähnt, dann könnten in das Prager Umfeld bereits früher als im Juni 1408 Informationen zu Meistermanns Aktion durchgesickert sein. Dann müsste sich allerdings auch die Sicht auf die Untersuchung des Universitariers Matthias von Knín wesentlich ändern. Das Auftreten des Erzbischofs gegen diesen Magister der böhmischen Nation wäre nun als ein deutliches Bemühen zu interpretieren, die Universität zu disziplinieren, deren vorderer Repräsentant und Professor der Theologie in Rom der Verkündigung der Remanenzauffassung beschuldigt worden war.
Zeitgenössisches Echo auf die Abschwörung des Stanislaus von Znaim Obwohl die Klage Ludolf Meistermanns nicht einmal andeutungsweise das zeitgenössische Echo auf die Abschwörung des Stanislaus von Znaim reflektiert und darin die Abschwörung zur Nichtigkeit verdreht wird, spielt sie für die Anfänge der böhmischen Reformation, die von Konflikten der Reformer mit den kirchlichen Autoritäten geprägt waren, eine bedeutende Rolle. Stanislaus’ Abschwörung der Remanenzlehre sollte seine Anhänger, unter ihnen auch Hus, schwer treffen und die ganze Reformbewegung erschüttern. 518 Die bisherige Forschung ließ sich in dieser Hinsicht bisher allzu sehr durch die spätere Reflexion und Verurteilung des Verhaltens von Stanislaus in Hussens Texten verführen, der sich damals in einer gleichermaßen prekären Lage befand. 519 Stephan von Páleˇc und Stanislaus hatten ihn nämlich wegen vermeintlicher häretischer Ansichten in seiner Schrift „De ecclesia“ angegriffen, und einige Zauderer mahnten ihn, seine Urteile abzumildern oder sich sogar von ihnen loszusagen. Darauf äußerte er sich offen gegen Stanislaus’ allzu leichtfertige Abschwörung seiner vertretenen theologischen Ansichten. Den Schwur als solchen ließ Hus im Unterschied zum „Doctor evangelicus“ zu, wenn auch mit gewissen Einschränkungen in Bezug auf seinen Missbrauch vor Gericht. 520 In Glaubenssachen vertrat Hus jedoch einen unnachgiebigen Standpunkt. Einen Schwur, der einen zu Unrecht beschuldigten Menschen reinwaschen sollte,
518 So beispielsweise Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 166. 519 Treffend Kejˇr, Jiˇrí: Z poˇcátk˚u cˇ eské reformace [Von den Anfängen der böhmischen Reformation]. Praha 2006, 27. 520 In derselben Zeit hatte Hus die Auslegung des dritten Buches der „Sentenzen“ abgeschlossen und dort widmet er sich dem Universitätsschwur: Mag[istri]. Jo[annis]. Hus Opera omnia. Bd. 2, Teil 1: Mag. Joannis Hus Super IV. sententiarum I–II. Hg. v. Václav Flajšhans und Marie Komínková. Pragae 1905–1906, 482 f., 494. – Zum Schwur an der Prager Alma Mater vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes und nach seiner Annahme Nodl, Martin: Iurare vel promittere. Pˇríspˇevek k
Echo auf die Abschwörung des Stanislaus von Znaim
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lehnte er ab. Im Jahre 1412, als er sich als Gebannter auf dem Lande aufhielt und der Vorschlag aufkam, die Bethlehemskapelle in Prag abzureißen, riet er in diesem Sinne seinen zur Abschwörung aufgeforderten Anhängern: „Auch sollt ihr wissen, dass abzuschwören bedeutet, der Sache, die man glaubt, abzuschwören. Und derjenige, der abschwört, der schwört somit entweder dem rechten Glauben ab, den er bekannte, oder der Ketzerei oder dem Irrglauben, den er bekannte. Zum Beispiel: Wenn jemand Christ war und aus Angst oder vom Teufel verführt zu den Juden oder zu den Heiden geht und schwört, nicht mehr seinen Glauben bekennen zu wollen. Zum Zweiten, wenn jemand die Ketzerei bekennt und glaubt, Christus sei nicht wahrer Gott, wie die Juden und die Heiden glauben, und dann diesem Irrglauben abschwört, hat sich selbst abgeschworen. Daher wisst, wenn jemand von euch abschwören würde, wie sie in ihrem Schreiben verlangen, dann würde er entweder dem rechten Glauben und der Wahrheit oder der Ketzerei und dem Irrglauben abschwören, und somit würde er nach der Abschwörung entweder die Ketzerei oder den Irrglauben oder das Erste, dem er abschwört, bekennen. Und deshalb sollt ihr wissen, dass sie euch in dem Schreiben für Ketzer halten und verlangen, dass ihr der Ketzerei abschwört, die ihr, wie sie meinen, bekennt. Und daraus ergibt sich, wenn jemand von euch abschwören würde, könnte man zu jedem seiner Kinder und zu jedem seiner Freunde sagen, es oder er habe einen Ketzer als Vater oder Freund gehabt. Zweitens ergibt sich daraus, dass zu jedem, der abschwören würde, ein anderer zu Recht sagen könnte: ‚Du hast der Ketzerei abgeschworen, die du bekannt hast, du bist meiner nicht würdig.‘ Drittens ergibt sich daraus, dass, wenn einer abschwören würde und im Herzen die Wahrheit, der er abgeschworen hat, oder die Neigung zu ihr bewahrt hätte, er dann ein Meineidiger wäre.“ 521 Ähnlich verhielt sich Hus auch während des Konstanzer Prozesses. 522 Die Kardinäle, die ihn vor dem Scheiterhaufen bewahren wollten, um die gespannte Lage im Königreich Böhmen nicht weiter aufzustacheln, boten ihm – ihres Erachtens in Übereinstimmung mit seinem Gewissen – die Abschwörung der Artikel an, die zu seiner Anklage geführt hatten und von denen er behauptete, sie seien nicht die seinen oder aus dem Zusammenhang gerissen bzw. falsch interpretiert worden. Eine Abschwörung der Thesen, die er nicht vertrat, kam für ihn jedoch nicht in Betracht. Denn so spräche nur die Angst aus ihm. Zu dieser Überzeugung gelangte Hus, so scheint es, erst allmählich. In Konstanz war er fest in seinen Ansichten, ganz im Unterschied zu Hieronymus von Prag. Derart gefestigt zeigte er sich bereits 1413, als er Stanislaus’ Abschwörung der Remanenzlehre aus Angst vor einer möglichen Strafe vehement ablehnte. Vor der Eskalation seines Streites mit dem Erzbischof von Prag und vor seiner Zitation nach Konstanz war Hussens Einstellung gegenüber der Abschwörung allerdings ganz anders.
problematice pražských univerzitních Statut [Iurare vel promittere. Beitrag zur Problematik der Prager Universitätsstatuten]. In: AUC – HUCP 47/1–2 (2007), 49–58. 521 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 140 f. 522 Kejˇr, Z poˇcátk˚u cˇ eské reformace (wie Anm. 519), 17 f.
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Obwohl Hus an der Abschwörung des Matthias von Knín im erzbischöflichen Palast höchstwahrscheinlich nicht teilgenommen hatte, äußerte er trotzdem leise seine Zustimmung zu ihr und bekundete sie durch seine Teilnahme an dessen JanuarQuodlibet. Und solange Stanislaus Anhänger der Reformpartei war, trat er ihm gegenüber weder kritisch noch ablehnend auf – dessen Bekenntnis zur Art des Traktates „De corpore Christi“ eingeschlossen. Im Gegenteil: Nachdem Stanislaus gemeinsam mit Stephan von Páleˇc von Kardinal Balthasar Cossa, dem späteren Papst Johannes XXIII., auf dem Weg nach Rom, wo er sich von dem durch Ludolf Meistermann gegen ihn erhobenen Häresieverdacht reinwaschen wollte, gefangen genommen worden war, engagierte sich Hus gemeinsam mit anderen Universitariern und sogar mit dem damaligen Rektor Henning von Baltenhagen für dessen Freilassung und verteidigte seine sittliche Reinheit. 523 Vor 1413 bzw. vor seiner Einkerkerung und der Bedrohung mit dem Tod in Konstanz überwogen also auch bei Hus in Bezug auf die Abschwörung der Häresie, sei es einer unbewiesenen oder einer vertretenen und aus Angst aufgegebenen, eher pragmatische, mit einer Demonstration der Stärke und des akademischen Ruhmes der ganzen böhmischen Universitätsnation verbundene Erwägungen. Außerdem beherrschten wohl noch alte personelle Bindungen an die Anhänger der Reformrichtung die späteren moralischen Imperative. Zum Zeitpunkt der privaten oder halbprivaten Abschwörung von Stanislaus äußerte jedoch noch niemand öffentlich Zweifel. Sie scheint bei den böhmischen Reformern, wie ihre Angriffe auf die Transsubstantiationsformel des Erzbischofs von Prag zeigen, weder Angst noch Unsicherheit hervorgerufen zu haben, geschweige denn eine Abwendung vom gebildetsten und meist geschätzten ihrer Theologen.
523 Das Schreiben des Rektors in: Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 345 f. Hier auch das Formular des Schreibens, das die Versammlung der Magister der böhmischen Universitätsnation dem Schreiben des Rektors beigelegt hat. Im Kontext der Beschuldigung des Stanislaus von Znaim wegen Verkündigung der Remanenzlehre ist wichtig, dass keines der Schreiben irgendeine Anspielung auf dessen Abschwörung enthält. Der Bericht über den Anteil des Johannes Hus, Johannes von Jessenitz und Christian von Prachatitz an der Befreiung von Stanislaus und Stephan von Páleˇc aus dem Bologneser Gefängnis in Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570: „Item anno domini MCCCCVIII post Galli Stanislaus de Znoyma, doctor theologie, et Stephanus Palecz, magister arcium, euntes ad Pisanum concilium fuerunt in Bononia a Balthasar cardinale capti et carceribus mancipati. Quos Johannes Hus, Jessenicz et Cristannus, magistri arcium, per interpositas personas liberarunt. Qui post recessum de Praga studencium salvi Pragam pervenerunt.“ Der Autor der Chronik der Prager Universität begründet Stanislaus’ Weggang nach Italien bemerkenswerter Weise nur mit dessen Reise zum Pisaner Konzil und nicht mit der persönlichen Zitation als Folge des Vorwurfs der Häresie durch Ludolf Meistermann. – Zur Reise nach Rom und zum Auftritt als Bevollmächtigter Wenzels IV. auf dem Pisaner Konzil (gemeinsam mit Stephan von Páleˇc) vgl. ˇ Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 285–289; Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 293–298; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 231.
Abschwörung des Magisters Matthias von Knín
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Abschwörung des Magisters Matthias von Knín Nachdem sich Stanislaus von Znaim vor der erzbischöflichen Kommission von seinen im Traktat „De corpore Christi“ bekanntgemachten Ansichten losgesagt und in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung im Karlskolleg den umfangreicheren, die Remanenz bestreitenden und zur Konsubstantiation neigenden Teil seines Traktates zu Ende geschrieben und offenbar persönlich einem ausgewählten, zahlenmäßig aber sehr beschränkten akademischen Publikum verlesen („pronunciavit“) hat, finden sich keinerlei Hinweise mehr auf die Verfolgung von Anhängern der Remanenzauffassung. Der Streit um die Transsubstantiationsformel lebte hingegen fort, blieb aber, wie es scheint, auf den Campus beschränkt und erweiterte sich nicht bis zu den niedrigeren Schichten der Laiengesellschaft. Die Reformer fühlten sich stark und unterschätzten deshalb wohl mögliche Folgen ihrer Kritik am Erzbischof. Im Mai 1408 änderte sich die Lage allerdings grundsätzlich, vielleicht unter dem Einfluss unklarer Informationen über die Anklage von Stanislaus in Rom. Damals bezichtigten der Prager Kanonikus Johannes Cifra und der Theologieprofessor und Kollegiat des Karlskollegs Johannes Eliae den vor Kurzem (1404) promovierten Magister der Artes liberales Matthias von Knín des Festhaltens an der Remanenzlehre. Matthias wurde angeblich sofort festgenommen, am erzbischöflichen Hof eingekerkert und möglicherweise auch der Folter unterzogen. Warum Cifra und Johannes Eliae, sofern sie es wirklich waren (das belegt nur die „Chronik der Prager Universität“), gerade Matthias beschuldigten, ist unklar. Im Prozess konnte man ihm nämlich die Verkündigung häretischer Ansichten nicht nachweisen. Matthias, wie man aufgrund seines Quodlibets urteilen kann, gehörte zu den aktiven und hochgebildeten Magistern der böhmischen Universitätsnation. Gleichzeitig war er ein profilierter und auch einer der jüngsten Vertreter der Reformströmung. Gerade diese akademische Jugend kann in seinem Fall ausschlaggebend gewesen sein. Prüft man weitere Beispiele für akademische Häresien, dann fällt auf, dass ein ähnlich schroffes (und oft auch exemplarisches) Vorgehen besonders gegenüber Universitariern an den Tag gelegt wurde, die sich erst vor Kurzem graduiert hatten. 524 Ob nun die Wahl auf Matthias aus persönlichen oder exemplarischen Gründen gefallen war oder ob sie nur durch die Kritik der böhmischen Reformer am Erzbischof verursacht wurde bzw. ob dabei bereits die Anklage der Reformer in Rom eine Rolle gespielt hat – eines ist sicher: Durch sein rasantes Vorgehen nach der Anklage gab der Erzbischof von Prag eindeutig zu verstehen, sich in Glaubensangelegenheiten die oberste Jurisdiktion über alle Angehörigen der Universitätsgemeinde vorzubehalten und in grundsätzlichen Fragen künftig das Verhalten und die Gesinnung der Universitarier in den Grenzen seiner Kompetenzen zu disziplinieren. Im Unterschied zu Stanislaus, der auf der Wahrhaftigkeit seines Traktates bestand, wenn auch mit der Ausrede, er sei vorerst nicht vollendet, lehnte Matthias den Vorwurf des Festhaltens an der Remanenzauffassung strikt ab. Nach kanoni-
524 Miethke, Gelehrte Ketzerei (wie Anm. 70), 392.
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schem Recht war er aber trotzdem „suspectus de heresi“, also der Häresie verdächtig. So leitete man gegen ihn einen Inquisitionsprozess ein. Eine oft benutzte Möglichkeit, sich des Verdachts der Häresie zu entledigen, war die kanonische Reinwaschung („abiuracio canonica“), und zwar in Form des persönlichen Schwurs und des Schwurs von vier glaubwürdigen Zeugen. Im Gegensatz zu Stanislaus, der wohl nur vor den Kommissionsmitgliedern und vor dem Erzbischof abschwören musste bzw. in der Abgeschiedenheit seines Zimmers im Karlskolleg, ging der Erzbischof bei Matthias genau nach dem kanonischen Recht vor – offensichtlich weil dieser die Beschuldigungen zurückwies und es keine Möglichkeit (und v. a. keinen Willen dazu beim Erzbischof) gab, die gegebenen Anschuldigungen mit einem Hinweis auf den Disputations- und scholastischen Charakter der Verkündigung der Remanenzansichten abzumildern. Nachdem das bisherige, durch die öffentliche Problematisierung der erzbischöflichen Transsubstantiationsformel in Frage gestellte Vorgehen gegen die Remanenzlehre keine Früchte getragen hatte, könnte sich der Erzbischof unter dem Druck des Kapitels auch zu einer demonstrativen Vorgehensweise gegen die Anhänger der Remanenz entschlossen haben: im erzbischöflichen Palast, vor den Mitgliedern des ganzen Kapitels, die ja Matthias der Remanenzauffassung bezichtigt hatten (und nicht die Universitarier wie bei Stanislaus), und insbesondere vor den Universitariern und vor geladenen Volksvertretern (vielleicht Mitglieder des Altstädter Rates, unter denen seit Januar 1408 die tschechischen Ratsherren tonangebend waren). 525 Von Matthias’ Abschwörung am 14. Mai 1408 haben sich drei (mit der lakonischen Eintragung der „Chronik der Prager Universität“ vier) Zeugnisse erhalten, von denen jedes das Ereignis in einem etwas anderen Licht schildert, und zwar gerade in Bezug auf seine Öffentlichkeit oder Heimlichkeit. Auf der einen Seite steht das notarielle Instrument, das auf Matthias’ Wunsch hin den gesamten Ablauf seiner Reinwaschung beschreibt. Auf der anderen Seite stehen die Aussagen der beiden Zeugen, die über Matthias’ Abschwörung während des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag in Wien berichteten. Das waren der Prager Bakkalaureus (später Wiener Magister) der Artes liberales Konrad Kreuczer von Nürnberg 526 und der Prager Bakkalaureus (später Wiener Magister der Artes liberales) Johannes Schwab von Butzbach – übrigens eine entscheidende (nicht jedoch problemlose) Gestalt zum Verständnis des Hintergrundes des Kuttenberger Dekretes. 527 Novotný versuchte, um
525 Mezník, Jaroslav: Praha pˇred husitskou revolucí [Prag vor der hussitischen Revolution]. Praha 1990, 158–160; Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 93. 526 Strnad (wie Anm. 277), 348 f. Zum Bakkalaureus der Artes liberales wurde er in Prag im Jahre 1406 graduiert, im Jahre 1408 immatrikulierte er sich an der Juristenfakultät; ein Beleg darüber, dass er in Prag einen Magistergrad erworben hätte, liegt aber nicht vor. Im Wintersemester des Jahres 1410 wirkte er als Magister Artium an der Wiener Universität, wohin er im Jahre 1409 gemeinsam mit weiteren ehemaligen Prager Universitariern gegangen war. 527 Zu ihm zuletzt Strnad (wie Anm. 277), 346 f. Schwab wurde im Jahre 1406 in Prag zum Bakkalaureus der Artes liberales graduiert, und im selben Jahr ließ er sich auch an der Juristenfakultät als „pauper“ immatrikulieren. In Wien trat er dann im Wintersemester 1410/11 als „magister artium actu regens“ auf. Ein eindeutiger Beleg über seinen Erwerb des Magistergrades in Prag fehlt allerdings, woraus sich ergibt, dass er höchstwahrscheinlich nicht an Magistersitzungen, auch nicht an
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ein möglichst plastisches Bild zu zeichnen, eine Art Symbiose aller drei Zeugnisse. Absolute Gültigkeit schrieb er dabei aber nur den Zeugenaussagen des Wiener Prozesses zu. 528 Ihm folgte dann die gesamte Forschung – sowohl in Bezug auf Matthias’ Abschwörung als auch in Bezug auf sein Quodlibet und das Kuttenberger Dekret. Tatsächlich widersprechen sich aber jene drei Zeugnisse auf eine grundsätzliche Weise. Den eigentlichen Verlauf des Prozesses erfasst meiner Überzeugung nach nur das authentische notarielle Instrument. Darin heißt es, die Sitzung habe im oberen Saal des erzbischöflichen Palastes in Anwesenheit des Erzbischofs, der Kapitelmitglieder, vieler Magister und Doktoren der Prager Universität und der Volksvertreter stattgefunden. Während der Verhandlung soll der Erzbischof dann Matthias mittels der kanonischen Reinwaschung („purgatio canonica“) zur Abschwörung der das Altarsakrament betreffenden häretischen Ansichten gezwungen haben. Matthias wollte darauf angeblich die Bedeutung der Abschwörung („abiurare“) erläutert bekommen. Hatte man ihm doch schließlich keine Häresie nachgewiesen. Folglich war er seiner Meinung nach nicht verpflichtet, sich der kanonischen Reinwaschung zu unterziehen. Der Generalvikar Johannes Kbel soll ihm darauf schroff geantwortet haben, auch der Häresie abschwören zu müssen, die er nie vertreten habe. 529 Dies erregte die Gemüter offenbar derart, dass der Erzbischof schlichtend eingreifen musste. Er befahl Matthias dann abermals die Abschwörung. Andernfalls werde er hier verbleiben, womit er offenkundig das erzbischöfliche Gefängnis meinte. Matthias habe dann aus Furcht vor diesen Drohungen, weiteren Kränkungen und Strafen (einschließlich der Gefängnisstrafe) gemeinsam mit vier – namentlich nicht bekannten – Zeugen die kanonische Reinwaschung vollzogen. 530 Nach der notariellen Bescheinigung wollte er sich auch die Gewaltanwendung und anderes Unrecht der Richter ihm gegenüber der Wahl des Matthias von Knín zum Quodlibetarius teilnehmen konnte. Für einen Magister der Artes liberales hält ihn jedoch Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 78, Anm. 3, mit Verweis auf MUPr I /1, 397, wo „Joan. Czowop de Buczbach“ angeführt ist. In den weiteren Eintragungen im Dekansbuch (ebd., 389) und in der Matrikel der Juristenfakultät (ebd., 83) figuriert er allerdings immer als „Joannes Swab“, also ohne Herkunftsort, und unter dem gleichen Namen erscheint er auch an der Wiener Universität im Jahre 1402 und im Jahre 1410 sowie in den folgenden Jahren. Kejˇrs Identifikation halte ich daher für unbewiesen, wenn auch nicht für ganz ausgeschlossen. 528 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 218–220. – Novotnýs Konstruktion hält Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 335, Anm. 107, für haltbar, auch wenn er im Text selbst mehr dem Wortlaut des notariellen Instruments beipflichtet (ebd., 227). – Unkritisch übernimmt sie auch Kejˇr, Z poˇcátk˚u cˇ eské reformace (wie Anm. 519), 17, der sogar von einer nichtöffentlichen Verhandlung spricht, während der Matthias von Knín abgeschworen haben soll. 529 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 338 f.: „Magister Mathia, abjurare cogeris haeresim, quam nunquam tenuisti.“ 530 Ebd., 339: „Ipse autem magister metu carceris, et aliarum poenarum et flagitiorum, quae sibi comminabantur per vicarios D. Archiepiscopi praedicti et suos familiares, qui metus etiam potest cadere in constantem virum, sic adhuc existens detentus et captivatus, purgationem canonicam cum quatuor testibus fecit et abjurationem personaliter tactis sacrosanctis evangeliis praestitit, protestans publice, et invocans officia notariorum publicorum ibidem praesentium de violentiis, captivationibus et ceteris injuriis sibi per D. Archiepiscopum praedictum sic illatis, omnia illa ad animum revocando, ac arram domino Dominico, ecclesiae S. Apollinaris canonico, curiae dicti archiepiscopi et cancellariae notario, exhibendo super praemissis conscribendis.“
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belegen lassen. Der Erzbischof verbot dies jedoch. Allerdings lief dieses erzbischöfliche Verbot, wie man weiß, ins Leere. Die drei Notare, Anhänger von Matthias, stellten das Instrument tatsächlich aus. Demzufolge ist alles klar und logisch. Es findet sich darin keine Andeutung für irgendeinen Streit um die öffentliche oder private Abschwörung. Wegen der Bindung der Notare an Matthias ist das notarielle Instrument sicher bis zu einem gewissen Grad tendenziös. Es betont die kanonische Reinwaschung („abiuracio canonica“). Insgesamt zu Recht erfasst es Matthias’ Zweifel, ob er überhaupt verpflichtet sei, sich der kanonischen Reinwaschung gemeinsam mit vier Zeugen zu unterziehen, da ihm doch keine Häresie nachgewiesen worden sei. (Da die Prozess-Akten nicht erhalten sind, weiß man nicht, ob Zeugnisse glaubwürdiger Zeugen vorlagen. Es ist aber anzunehmen. Die Zeugen könnten dabei Johannes Eliae und Johannes Cifra gewesen sein. Eine Beschuldigung aufgrund irgendeiner seiner Schriften halte ich hingegen für unsicher. Diese Schrift hätte man nämlich im notariellen Instrument und in den Aussagen der Wiener Zeugen erwähnt.) Die „Chronik der Prager Universität“ informiert als einzige Erzählquelle über Matthias’ Abschwörung, allerdings sehr knapp. Über die Form der Abschwörung sagt sie leider gar nichts: „Anno domini MCCCCVIII examinatus est Magister Pater ad delacionem Johannis Helie et Cifre, canonici Pragensis, qui et abiuravit sibi imposita, scilicet de remanencia panis post consecracionem. Et post non longo tempore vixit.“ 531 Gibt man allerdings wie Novotný den beiden Wiener Zeugen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag Recht, dann verlief die Abschwörung ganz anders: in zwei Phasen und mit einem unsicheren Ausgang. Laut Johannes Schwab von Butzbach wollte der Erzbischof, dass Matthias bestimmten Artikeln abschwört. Dieser habe das jedoch („ipse nolens facere propter confusionem nacionis et scandalum aliorum“) wegen der Streitigkeiten zwischen den Universitätsnationen abgelehnt. 532 Und erst nachdem die zur Abschwörung eingeladenen Universitätsmagister weg-
531 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570. 532 Aus der Zeugenaussage des Johannes Schwab von Butzbach – im Folgenden vollständig zitiert – ergibt sich eindeutig, dass er bei der Abschwörung des Matthias von Knín gar nicht anwesend war und dass er sie nur vom Hörensagen kannte, war sie in Prag doch das Stadtgespräch schlechthin: Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 16 f.: „Ad undecimum articulum interrogatus respondit, quod de illis hic expressis non sciat, sed [fuerit Prage] magister Mathias Knyn, dictus Pater, nacione Boemus, valde suspectus de heresi, ita et in tantum, quod tractus fuerit ad archiepiscopum Pragensem super illo. Qui archiepiscopus, ut audiverit, quia fuerit tunc vox et fama Prage, Mathiam requisiverit et voluerit, ut abiuraret certos articulos, et ipse nolens facere propter confusionem nacionis et scandalum aliorum, sed tandem exeuntibus magistris ad abiuracionem videndam vocatis abiuraverit, ut dicebatur communiter. Demum, ipso ita habito pro suspecto de heresi, presentaverit se ad disputandum quodlibetum, et fuerit rumor, quod presentasset se sponte, cum hoc prius longis temporibus non fuerit factum, propterea ut in huiusmodi actu expurgaret se de suspicione tali modo; quia ex quo fuit diffamatus de heresi et tractus ad archiepiscopum ut supra ad faciendam aliis fidem de ipso, isto modo ecce talis, qui fuit suspectus omnibus, iam ascendit kathedram et est magister magistrorum. Et eo volente disputare multi magistri, videlicet Baltherus Harasser, magister Petrus Storch, magister Johannes Hofman et alii noluerunt visitare actum suum, dicentes publice se volentes pocius a Praga recedere quam actum talis suspecti de heresi visitare, imo eciam rex mandavit tribus nacionibus per litteram suam, quam audiverit et viderit legere, ut visitarent magistrum Mathiam.“
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gegangen waren, soll er gemeinsam mit den Zeugen wirklich abgeschworen haben (so verstehe ich die Redewendung „abiuraverit, ut dicebatur communiter“). Schwabs Zeugnis widerspricht zwar dem notariellen Instrument, erweckt aber auf den ersten Blick keine Zweifel. Erst die folgende Schilderung legt tendenziöse Anpassungen seines Autors nahe. Matthias solle weiterhin der Häresie verdächtig gewesen sein („suspectus de heresi“). Aus diesem Grund hätten manche Magister die Teilnahme an seinem Quodlibet abgelehnt. Dazu habe er sich – wie lange schon nicht mehr geschehen – selbst als Quodlibetarius angemeldet („presentaverit se ad disputandum quodlibetum, et fuerit rumor, quod presentasset se sponte, cum hoc prius longis temporibus non fuerit factum“). Kanonischem Recht zufolge war Matthias aber nach der Reinwaschung nicht mehr der Häresie verdächtig. Das konnte auch die nicht öffentliche Form der Abschwörung nicht in Zweifel stellen, die Schwab Hieronymus’ Richtern vorschlug. Obwohl dieser von Matthias’ Abschwörung gehört hatte (er wohnte ihr seinen Worten nach aber nicht persönlich bei), versuchte er die Rechtmäßigkeit der kanonischen Reinwaschung durch einen Hinweis auf ihren nicht öffentlichen Charakter in Zweifel zu ziehen. Damit wollte er auch das von diesem geführte Quodlibet anzweifeln und Hieronymus in ein noch negativeres Licht rücken. Zweifelhaft und nicht sehr glaubwürdig ist auch die Aussage von Konrad Kreuczer, der den Streit ebenfalls national konnotiert. 533 Dass die Beschuldigung vom Jahre 1408 eine Folge der Nationalitätenstreitigkeiten an der Universität gewesen sei, kann aber nur schwer belegt werden. Die beiden Kanoniker, die Matthias beschuldigt hatten, waren eingefleischte Feinde der Reformströmung. Hier hätte die Möglichkeit bestanden, sich auf die deutschen Magister zu beziehen, die den Reformern ebenfalls ablehnend gegenüber standen. Sie haben sie nicht wahrgenommen. Eine national motivierte negative Gesinnung kann man ihnen daher nicht nachwei533 Auch die Aussage von Konrad Kreuczer führe ich vollständig an. Aus ihr geht hervor, dass auch er bei der Abschwörung des Matthias von Knín nicht persönlich anwesend war, von ihr lediglich von dem einen oder anderen gehört hatte, der bei der Streitverhandlung zugegen war. – Ebd., 17 f.: „Interrogatus, quomodo venerit ad propositum, respondit, quod magister Mathias Knyn propter certos articulos heresim sapientes tractus fuerit ad arciepiscopum, ut abiuraret certos illos articulos: videlicet presertim unus, quod Wikleph esset evangelicus doctor, secundus articulus, quod post consecrationem manent panis et vinum. Et idem magister Mathias per archiepiscopum requisitus coram magistris ad hoc vocatis ad abiurandum illos articulos et alios quamplures, quos tenuit, tunc noluit abiurare in presencia multitudinis magistrorum, et sic vicarius in spiritualibus dixit: ‚Ecce, vos abiurabitis illos articulos, aut manebitis hic!‘ Et sic Boemi clamassent: ‚Nechci [ich will nicht], magister, tu bene dixisti, non confundaris ita!‘ Et tunc magister Mathias dixerit archiepiscopo: ‚Reverendissime pater, non faciatis vobis et regno ac michi talem confusionem, ut abiurem publice!‘ Et tunc dicebatur, quod facto prandio abiurasset in privato, qua revocacione non interfuerit, et volens se excusare presentaverit se ad disputandum quodlibetum. Quo disputato et finito surrexerit magister Jeronimus cum recomnendando in hec verba: ‚Maledicantur omnes, qui te confuderunt, et ecce, qualis honor tibi est,‘ et plura alia. Interrogatus, quo mense fuerit, cum fuerit tractus magister Mathias ad archiepiscopum, dicit, quod mensem nesciat, sed fuerit utique inter festivitates Pasce et Ascencionis in curia archiepiscopi et in palacio ante horam prandii, ut credit, quandam feria secunda. Quibus presentibus, dicit, quod archiepiscopo et capitulo suo et duobus rectoribus universitatis et quodam doctore nomine Ceyslmaister, qui loquebatur occulte sibi, ut deberet abiurare, et ipse nolens dixit, quod redderetur infamis. Et hec audiverit, quia magis propinque astiterit illis.“
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sen. Zudem halte ich es für nahe liegender, dass sie als Doktoren der Rechte in den Diensten des Erzbischofs und des Königs national neutral waren. 534 Laut Kreuczer wurde Matthias beschuldigt, Wyclif als einen „Doctor evangelicus“ zu verkündigen und für die Remanenzlehre einzutreten, also für die Auffassung des substanziellen Verbleibs von Brot und Wein nach der eucharistischen Wandlung. (Später wurden auch Hus und Hieronymus für die Behauptung angeklagt, Wyclif sei ein „Doctor evangelicus“. Kreuczer sagte aus, Magister Hieronymus habe dasselbe auf dem Quodlibet von Matthias verkündigt. Somit ist nicht auszuschließen, dass Kreuczer diese Beschuldigung schlichtweg auch auf Matthias übertrug). Matthias wurde laut Kreuczer also vom Erzbischof zur Abschwörung dieser Artikel vor die versammelten Magister geladen. Er wollte dies jedoch angeblich nicht in Anwesenheit so vieler Magister tun. Darauf soll der Generalvikar mit den Worten reagiert haben: Er möge abschwören, sonst bleibe er hier, also im Gefängnis (laut Schwab hat das aber der Erzbischof gesagt). Als Antwort darauf sollen wiederum die Tschechen gerufen haben: Er möge das nicht tun, und er solle sich nicht beschämen lassen, denn er spreche gut. Matthias habe dann darauf zum Erzbischof gesagt: „Reverendissime pater, non faciatis vobis et regno ac michi talem confusionem, ut abiurem publice!“ – „Hochwürdigster Vater, tun Sie nicht Ihnen und dem Königreich und mir so eine Schande an, dass ich öffentlich abschwören soll!“ 535 Der Erzbischof kam ihm dann laut Kreuczer entgegen und erlaubte die private Abschwörung („in privato“). Aus Kreuczers Formulierung geht hervor, dass auch er kein Zeuge des Prozesses war und seine Anmerkungen hierzu nur vom Hörensagen kannte, ebenso wie man in Prag erzählte, Matthias habe privat abgeschworen. Eine solche Abschwörung war aber Kreuczer zufolge ungültig. Matthias habe sich außerdem von dem Häresievorwurf reinwaschen wollen, indem er sich selbst zum Quodlibetarius erklärte. Auf die anschließende Frage, wann Matthias vor den Erzbischof geladen worden sei, sagte er: Den genauen Monat wisse er nicht, es müsse aber zwischen Ostern und Christi Himmelfahrt im erzbischöflichen Palast irgendwann vormittags gewesen sein („ante horam prandii“), und zwar an einem Dienstag und in Anwesenheit des Erzbischofs, des Kapitels, der beiden Rektoren und des Doktors Nikolaus Czeiselmeister (damals Offizial). Czeiselmeister habe Matthias dann zur öffentlichen Abschwörung aufgefordert. Dieser sei der Aufforderung aber nicht nachgekommen und somit unehrenhaft geblieben. Kreuczer habe das angeblich gehört – denn viele Anwesende konnten davon berichten. Er wohnte also wie Schwab der Abschwörung nicht persönlich bei und wollte durch seine Schilderung beweisen, dass sich Matthias kanonisch nicht reingewaschen hatte und dies erst durch seine Anmeldung als Quodlibetarius zu tun beabsichtigte. Tatsächlich bemühte sich auch Kreuczer ähnlich wie Schwab während des Wiener Inquisitionsprozesses um eine Betonung der nationalen Spannungen an der Prager Universität vor Matthias’ Quodlibet und vor dem Auftritt des
534 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 224. 535 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 17 f.
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Abb. 9 Vorlesung an der theologischen Fakultät.
Hieronymus von Prag auf ihm. Durch die Falschaussage, Matthias habe sich faktisch nicht von dem Häresievorwurf reingewaschen, wollte er nachträglich die Nichtteilnahme der deutschen Magister am Quodlibet entschuldigen. Auch den Erzbischof versuchte er in der Folge in ein negatives Licht zu rücken, der im Geiste späterer Invektiven nicht imstande gewesen sei, in Böhmen die eucharistische Häresie auszumerzen. Matthias’ Anmeldung als Quodlibetarius spielt bei den Beschuldigungen der beiden Wiener Zeugen eine so grundsätzliche Rolle, dass hier ein genauerer Blick sinnvoll ist. Matthias’ Bestellung zum Quodlibetarius bei der Magister-Versammlung der Artistenfakultät, die höchstwahrscheinlich erst nach der erzbischöflichen Synode stattfand (welche auf den selben Tag gefallen war, an dem regelmäßig die Wahl des Quodlibetarius stattfand: auf den zweiten Samstag vor dem Fest des hl. Johannes des Täufers), kann man zweifellos für eine demonstrative und provokante Tat des Reformflügels halten. Eine solche Demonstration war aber im Prager Universitätsleben nichts Neues. Ihr Vorspiel hatte sie mit der Wahl des Johannes Hübner zum Quodlibetarius am 23. Juni 1403, der einen oder zwei Monate vorher die 45 irrgläu-
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bigen Artikel Wyclifs zusammengestellt hatte. 536 Durch jene Demonstration vom Jahre 1408 sowie durch den kollektiven Schwur, keinen der 45 Artikel Wyclifs zu vertreten, versuchte die böhmische Reformpartei nachdrücklich bekannt zu geben, dass die böhmische Universitätsnation in ihrer Gesamtheit rechtgläubig und bar des Verdachts der Häresie sei. In diesem Sinne sollte dann später auf dem Quodlibet Hieronymus argumentieren. Nichts spricht jedoch dafür, dass die Behauptung der beiden Zeugen des Wiener Prozesses gegen Hieronymus von der freiwilligen Anmeldung Matthias’ wahr ist. Wichtig ist die Tatsache, dass offenbar keiner der beiden an dieser Wahl teilgenommen hatte, denn sie waren im Mai 1408 wahrscheinlich keine wahlberechtigten Magister (Johannes Schwab von Butzbach kann aber hypothetisch Magister der Prager Artistenfakultät seit Anfang 1408 gewesen sein). Obwohl das Universitätsstatut vom Jahre 1391 gestattet, sich selbst vorzuschlagen, 537 und obwohl in einem solchen Falle der Dekan das Angebot annehmen musste, war dies keine normale Vorgehensweise. Neben den angeführten Zeugenaussagen gibt es für die ganze Prager Universitätsgeschichte keinen weiteren Beleg dafür, dass sich jemand selbst zum Quodlibetarius vorgeschlagen hat. Das Universitätsstatut von 1391 ist aber auch wegen der Anordnung wichtig, dass sich eine beliebige Anzahl von Kandidaten als Quodlibetarii freiwillig anmelden konnte. War dies der Fall, sollte ihr akademisches Alter entscheiden. Die deutschen Magister hatten also genug Möglichkeiten, Matthias’ Bestellung zum Quodlibetarius zu verhindern. Denn er war erst seit 1404 Magister der Artes liberales. Auch Hieronymus’ Abschlussrede auf dem besagten Quodlibet gibt nicht eindeutig Auskunft darüber, ob sich Matthias tatsächlich als Quodlibetarius angeboten hat. Seine Worte „tibi oblatum honorem per dominum decanum facultatis arcium et magistrum reverendum cum honore accepisti“ 538 kann man nämlich auch als das gewöhnliche Vorgehen auslegen. Demzufolge wurde Matthias vorgeschlagen, der Dekan teilte ihm dieses Angebot mit, er war damit einverstanden und die Magister, einschließlich der deutschen Magister, akzeptierten ihn. Übrigens ist aus der Geschichte der Prager Quodlibets kein Fall bekannt, in dem die Magister den von einer Universitätsnation vorgeschlagenen Quodlibetarius überstimmt hätten, der mit seiner Kandidatur einverstanden war. Im Gegenteil: Es gibt Fälle, bei denen der Vorgeschlagene ablehnte, Quodlibetarius zu werden – wie beispielsweise im Jahre 1411 Stephan von Páleˇc und Simon von Tischnowitz. Sie sagten offenbar aus Angst ab. Die Rolle des Quodlibetarius übernahm dann Johannes Hus
536 Zu Johannes Hübners Quodlibet und zu seiner Wahl zum Quodlibetarius vgl. Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 72 f. 537 MUPr I /1, 102. 538 Zu Hieronymus’ von Prag „Lob der freien Künste“ vgl. Šmahel, František: Pramen Jeronýmovy Chvály svobodných umˇení [Die Quelle der „Recommendacio arcium liberalium“ des Hieronymus von Prag]. In: StK 5–6 (1970–1971), 169–180. – Das „Lob der freien Künste“ ist abgedruckt in Výbor z cˇ eské literatury (wie Anm. 194), hier Bd. 1, 244–250.
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durch seine freiwillige Anmeldung, der sich für das Quodlibet so gewissenhaft wie niemand vor ihm vorbereitete. 539 Matthias wurde also vorgeschlagen, und die deutschen Magister, welche die Mehrheit innehatten, schlugen auch keinen anderen Kandidaten zum Quodlibetarius vor. Auch anderweitige Gegenmaßnahmen zur drohenden Wahl eines – den Wiener Zeugen nach – der Häresie verdächtigen Universitariers zum Quodlibetarius sind nicht belegt. Die deutschen Magister waren sich meines Erachtens sehr wohl der Tatsache bewusst, dass sich Matthias mittels der kanonischen Abschwörung wirklich von dem gegen ihn erhobenen Häresieverdacht reingewaschen hat. Der Umstand, dass die Mitglieder der drei übrigen Universitätsnationen durch Matthias’ Kandidatur überrumpelt gewesen sein könnten, widerspricht dem, so glaube ich, in keiner Weise. Möglicherweise hielten sie irgendwelche negative Reaktionen zum gegebenen Zeitpunkt überhaupt nicht für nötig, immerhin war die Änderung der Stimmen in den Universitätsgremien im Mai noch nicht in Sicht. In den letzten Monaten des Jahres 1408 änderte sich jedoch die Lage. Gegen eine Teilnahme am Quodlibet traten einige deutsche Magister also erst unmittelbar vor dessen Abhaltung auf. Dabei musste es ihnen klar sein, dass ihre Nichtteilnahme einen bewussten Verstoß gegen die Statuten darstellen würde. Und gerade diese Verletzung der Statuten versuchten meines Erachtens die beiden ehemaligen Prager Universitarier während des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag im Jahre 1410 in Wien vor Gericht zu rechtfertigen. Schwab dachte sich deshalb nicht nur die nicht kanonische und daher nicht öffentliche Abschwörung des Matthias von Knín aus, sondern auch dessen Selbstvorschlag zum Quodlibetarius. Möglich ist sogar, dass auch die woanders nicht belegte Information über Wenzels Dekret, in dem er den Magistern die Teilnahme am Quodlibet angeordnet habe, nur seine Erfindung ist, eventuell ein Echo auf die zeitgenössische Stimmung und auf mündliche Drohungen des Königs. Bis zum Erlass des Kuttenberger Dekretes ist nämlich kein Fall schriftlich belegt, in dem der König durch ein Mandat direkt in das Universitätsleben eingegriffen hätte – und zwar in Fragen, welche die Einhaltung oder die Verletzung der Universitätsstatuten betreffen. Nicht zuletzt wollte Schwab durch seine Erfindung die Unrechtmäßigkeit des späteren Eingriffs Wenzels in das Universitätsleben in Form der Anordnung über die Änderung des Gewichts der Stimmen der einzelnen Universitätsnationen betonen.
In Böhmen gibt es keine Irrgläubigen Ende Juni 1408 lud der Generalvikar den Abraham genannten Priester Nikolaus, Prediger in der Prager Heiliggeistkirche, vor sein Gericht. Da Abraham den Schwur auf das Kreuz ablehnte und die Laienpredigt verkündigte, übergab er ihn den Inquisito-
539 Das Quodlibet des Matthias von Knín am ausführlichsten bei Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 77–90.
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ren. Den Verlauf ihrer Inquisitionsuntersuchung kennt man nur sehr unvollkommen, denn es sind auch hier keine Prozessakten überliefert. (Bei Matthias von Knín wurden wahrscheinlich überhaupt keine geführt. Das spricht meines Erachtens für das Verbot des Erzbischofs, über das Verhör ein Notariatsinstrument auszustellen.) 540 Aus den erhaltenen Quellen weiß man jedoch, dass an der Untersuchung vor den Inquisitoren neben Maˇrík Rvaˇcka und dem Bischof Jaroslav von Sarepta auch Johannes Hus teilnahm (in welcher Eigenschaft, ist allerdings unbekannt). Hus griff in die Prozessführung mit der Bemerkung ein, Abraham wolle – laut Johannes Chrysostomus völlig ausreichend – bei Gott schwören. Daher solle man nicht von ihm den Schwur auf das Kreuz fordern (später beschwerte er sich über das Vorgehen des Gerichtes beim Erzbischof). 541 Abraham wurde zwar nach dem Verhör eingekerkert. Am folgenden Tag hat man ihm aber mitgeteilt, er solle nächsten Freitag erneut zum Verhör erscheinen. Diese Aufforderung erhielt auch der Bakkalaureus der Artes liberales Sigismund von Jistebnitz, dem offenbar wegen öffentlichen Sprechens über einige verbotene Artikel Wyclifs die Predigterlaubnis entzogen wurde. Ob sie dann am folgenden Freitag wirklich vor Gericht erschienen, weiß man nicht. 542 Bemerkenswert ist, dass es sich um den ersten Beleg für die Teilnahme eines Inquisitors
540 Ein Bruchstück der Prozessakten mit Bezug zum Predigtverbot, das Generalvikar Johannes Kbel gegen Nikolaus, genannt Abraham, und Sigismund von Jistebnitz ausgesprochen hat, findet sich in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 342 f. 541 Johannes Hus spielt auf seine Teilnahme an den Ermittlungen gegen den Priester Abraham in seiner Antwort auf die Beschuldigung an, er habe verkündet, es sei besser auf den lebendigen Gott als auf ein Bild oder ein Pergament zu schwören („quod melius est jurare in vivo deo, quam in imaginem vel pergameno“). – Ebd., 184 f.: „Istud dixi coram inquisitoribus haereticorum, M. Mauritio et Jaroslao episcopo, et coram vicario in spiritualibus, quando vexabant sacerdotem Abraham, dicentes coram me, quod noluisset jurare. Ad quem dixi eorum ipsis: non vis tu jurare? Qui respondit: Juravi ipsis per deum vivum, quod volo veritatem dicere, et ipsi urgebant me, ut jurarem super evangelium et imaginem crucifixi. Quibus ego Joannes Hus dixi, quod S. Joannes Chrysostomus tales vocat stultos, qui expetunt juramentum super creatura, quasi majus sit jurare per creaturam, quam per deum. Et statim vicarius in spiritualibus nomine Kbel dixit furiose: ha magister! Vos venistis huc ad audiendum, non ad arguendum. Cui dixi: Ecce vos vultis istum sacerdotem condemnare, dicentes eum tenere errorem Waldensium, et ipse juravit vobis per deum: estne hoc justum? Et alia multa loquebar eis.“ Unter dem Einfluss der Beschuldigung, die bis zum Vorwurf des Festhaltens am Waldenser, den Schwur als solchen verneinenden Artikel hätte führen können, widmet sich Hus hier nur dem Teil des Streites, der ihn betraf. Der Kern des Streites war bekanntermaßen Abrahams Verneinung der erzbischöflichen Vollmacht, Klerikern das Predigen zu erlauben oder zu verbieten. Abraham vertrat die Meinung, dass nach dem Evangelium nicht nur alle Kleriker, sondern auch Laien predigen dürfen. Und gerade wegen dieser Vorstellung, die tatsächlich der Waldenser Auffassung des Apostolats sehr nahe stand, ermittelte, wie es die Eintragung in den Gerichtsakten belegt, ein Inquisitor gegen ihn, woran auch Hus beteiligt war. Zu den Ermittlungen vgl. auch den Bericht in der Prager Universitätschronik, der die Vergehen Abrahams und Sigismunds von Jistebnitz bereits mit der Verkündung von Wyclifs Irrlehren verbindet: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 569. 542 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 127, behauptet, dass Abraham deshalb verurteilt und aus der Diözese ausgewiesen worden sei, weil er Johannes Hus erwähnte in seinem Schreiben an Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg über demütige Kleriker in der Diözese, die eingekerkert und des Landes verwiesen würden, während sündhafte Kleriker unbestraft blieben.
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an der Untersuchung eines der Häresie verdächtigen Geistlichen handelt. Später kam es alles in allem regelmäßig dazu, so auch bei Hus. Nachdem Johannes Protiva von Neudorf, Pfarrer in St. Clemens und einst wie Johannes Štˇekna Prediger in der Bethlehemskapelle, 543 Hus beschuldigt hatte, musste dieser sich rechtfertigen, und dies – wie es scheint – recht erfolgreich und ohne vor dem Inquisitor Rvaˇcka (der auch den Priester Abraham untersucht hatte) einen Schwur leisten zu müssen. 544 Es ist bezeichnend, dass weder Abraham noch Hus zum Schwur gezwungen wurden, obwohl sie der Häresie verdächtig waren. Die Abschwörung wurde im Prager Umfeld demnach nur dann verlangt, wenn dem Beschuldigten die Häresie tatsächlich nachgewiesen worden war. Genau das war der Fall bei Stanislaus von Znaim. Man ermöglichte ihm zwar als Bestandteil der Reinwaschung, eine neue Auslegung der Transsubstantiation vorzulegen. Die von ihm – wie er behauptete – nur disputative verkündigten Ansichten waren aber so gefährlich, dass er vom Schwur nicht befreit werden konnte. Der Erzbischof, in jener Zeit noch voll auf der Seite der Reformströmung stehend, gestattete ihm jedoch eine mehr oder weniger nicht öffentliche Form der Reinwaschung. Das führte allerdings später, wie es scheint, zur Anzweiflung der Reinwaschung als solcher wie etwa durch Ludolf Meistermann bei der Kurie. Das gegen Matthias von Knín angewandte Vorgehen war im Prager Umfeld eher eine Ausnahme, da er ohne Nachweis zur Abschwörung häretischer Ansichten gezwungen wurde – so jedenfalls das notarielle Instrument. Oben habe ich zu zeigen versucht, dass die Aussagen der beiden Wiener Zeugen über die nicht öffentliche Form der kanonischen Reinwaschung Matthias’ sehr fragwürdig sind. Durch die Entstellung des Prozessverlaufs mittels der Behauptung einer faktisch nicht erfolgten Reinwaschung vom Verdacht der Häresie scheinen sie rückwirkend das Vorgehen der deutschen Magister rechtfertigen zu wollen, die wegen der Anklage von Matthias ihre Teilnahme an dem von ihm geführten Quodlibet abgelehnt hatten. Die Autoren des notariellen Instrumentes, die es trotz eines erzbischöflichen Verbots ausstellten, hatten hingegen keinen Grund, den Verlauf der Abschwörung zu verschweigen. Selbstverständlich ist es möglich, dass sie auf Matthias’ Bitte hin gerade die Form der Reinwaschung mittels seines Schwurs und mittels des Schwurs von vier Zeugen betonten und somit auch die Tatsache, dass man ihm keine Häresie nachweisen konnte und ihn de facto nur durch Drohungen und Einkerkerung zur Abschwörung gezwungen hatte. Offenbar unter dem Einfluss des Kapitels und Meistermanns Anklage von Stanislaus wegen der angeblichen Verkündigung der Remanenzlehre und von Wyclifs Ansichten im böhmischen Reformumfeld entschloss sich der Erzbischof von Prag, 543 Die Beschuldigungen wurden in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 164–169, herausgegeben. 544 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 381. Auch die Akten dieses Prozesses haben sich nicht erhalten, und man kennt nur die Invektiven Johannes Protivas sowie Hussens Antworten, die allerdings erst mit einem mehrjährigen Abstand geschrieben worden sind. Da jedoch die Ermittlungen in diesem Geiste nicht fortgesetzt wurden, obwohl die gleichen Invektiven gegen Hus auch in den folgenden Jahren auftauchten, wurde Hus offensichtlich von allen Beschuldigungen nur aufgrund seiner Antworten freigesprochen, also auch von dem schwerwiegenden Vorwurf der Verkündigung der Remanenzlehre.
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sein Vorgehen gegen die Kleriker zu verschärfen, welche die Remanenzauffassung verkündeten und seine durch den synodalen Erlass vom Jahre 1406 ausgedrückte Auffassung von der Transsubstantiation anzweifelten. Dabei hatte der Erzbischof nicht den mindesten Grund, Matthias die heimliche Abschwörung zu gewähren, wie zwei Jahre zuvor bei Stanislaus. Das aktive Auftreten seines Hofes und der Kapitelkanoniker hinderte den Erzbischof auch an der Wiederholung seiner damaligen Vorgehensweise. Übrigens gab er bereits in den folgenden Tagen klar zu erkennen, am eingeschlagenen strengen Kurs festhalten zu wollen. Dies belegt nicht nur die Juni-Synode, sondern auch der offenbar vom Erzbischof ausgehende Druck auf die böhmische Universitätsnation, sich durch einen kollektiven Schwur zu verpflichten, die Artikel Wyclifs nicht im ketzerischen und irrgläubigen Sinn zu verkündigen. Ferner sprechen für den neuen erzbischöflichen Kurs die Befolgung des Dekretes von Kardinal Uguccione und die Befolgung der Anordnung, die Schriften Wyclifs zur Untersuchung vorzulegen, sowie die Einleitung eines Prozesses gegen zwei Kleriker, jetzt bereits unter Mitwirkung eines Inquisitors. Völlig unerwartet schaltete sich dann der König in die ganze Angelegenheit ein. Wenzel IV. hatte nicht vor, den Kriegszug des Erzbischofs gegen potenzielle Häretiker zu unterstützen. 545 Er zwang Zbynko Zajíc von Hasenburg auf der für den 17. Juli außerordentlich einberufenen Synode vielmehr zur Ausstellung einer Bescheinigung, nach der die Inquisitionsuntersuchungen in der ganzen Prager Diözese keine Irrgläubigen oder Häretiker gefunden haben sollen. 546 Ansonsten hätte der Erzbischof sein hartes Vorgehen wohl fortgesetzt. Es fehlen jedoch von nun an Belege für weitere Untersuchungen und für weitere Verhöre von Remanenzanhängern. Die beiden oben vorgestellten Fälle der Abschwörung häretischer Ansichten – der erste in einem Privatzimmer des Karlskollegs und der zweite öffentlich vor den Mitgliedern des erzbischöflichen Kapitels, den Vertretern der Universität und offenbar auch vor den Altstädter Ratsherren (später jedoch gezielt als geheim geschildert) – untermauern meines Erachtens sehr überzeugend die These von der Bedingtheit der Abschwörungsweise durch die zeitgenössischen politischen und machtpolitischen Interessen. Die Form der Abschwörung zeigte sich außerdem beeinflusst vom Druck der überwachenden und disziplinierenden Prälaten, die – von eigenen Zielen geleitet – mit den Postulaten des kanonischen Rechtes sehr frei umgingen. Sie waren nicht bereit, sich nach den Inquisitionshandbüchern zu richten, die aus der Abschwörung eine öffentliche Show zu machen versuchten, bestehend aus einem ausgeklügelten Ritual mit einer ganzen Reihe durchdachter und demonstrativer Schritte. Die Universitäten waren kurz gesagt eine Welt sui generis, in der Glaubens- und Religionssachen auf eine andere Weise behandelt wurden als in der Welt der vom Satan so leicht verführbaren Laien.
545 Zur Haltung König Wenzels IV. vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 250; Bartoš, ˇ Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 290–294. 546 Dazu zuletzt Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 19 f.
V Das Kuttenberger Dekret Mit Sicherheit weiß man heute nur, dass König Wenzel IV. irgendwann vor dem 26. Januar 1409 das Mandat erlassen haben muss, das unter dem Namen „Kuttenberger Dekret“ in die Geschichte eingegangen ist. Obwohl das Dekret auf den 18. Januar desselben Jahres datiert ist, stellt der Tag seines Erlasses weiterhin einen Streitpunkt dar. Auf der Universitätsversammlung wurde das Dekret nämlich erst am 26. Januar veröffentlicht, also mehr als eine Woche nach seiner Datierung. Wann jedoch der Rektor jenes Dekret erhalten hat, weiß man nicht. Die Konstanzer Zeugenaussagen legen die Vermutung nahe, dass dies an demselben Tag geschah, an dem auch Johannes Hus das Dekret – übrigens vom selben Boten – zugestellt wurde. Die deutsche Historiographie hat Hus seit Karl Adolf Konstantin von Höfler für den maßgeblichen Anstifter dieses gegenüber den deutschen Magistern so missgünstigen Textes gehalten. Zwischen dem Erlass des Dekretes und dem 26. Januar war also gut eine Woche vergangen. Wohl eine zu lange Zeit; aus Kuttenberg (tschech. Kutná Hora), in dem der König vom 7. bis 29. Januar weilte, hätte es sicher auch früher nach Prag überbracht werden können. Zögerte der König etwa die Absendung des Dekretes hinaus? Oder hat er es gar aus uns unbekannten Gründen vordatiert? Schenkt man der Konstanzer Aussage Hussens Glauben, 547 dann hatte er das Dekret in der Hand, noch bevor die beiden böhmischen Consiliarii Magister Andreas von Brod und Magister Johannes Eliae zu ihm kamen. Beide hatten an den Verhandlungen der Universitätsdelegation mit dem König in Kuttenberg teilgenommen. Zögerte vielleicht auch der Universitätsrektor Henning von Baltenhagen, das Dekret bekanntzugeben? Er könnte wie die übrigen deutschen Magister durch den Wortlaut des Dekretes überrumpelt worden sein. Denn nach Andreas’ Aussage war bei den eigentlichen Kuttenberger Verhandlungen keine derartige Drohung aus dem Munde des Königs und seiner Ratgeber zu vernehmen gewesen. Wusste der König überhaupt, was für ein Dekret er erlässt? Es war ein Kind des zugespitzten tschechischen Nationalismus, das sämtliche Macht im Königreich Böhmen auf den König übertrug, also völlig gegen den ständischen Geist des böhmischen Adels gerichtet. Dieser war seit der Zeit des Streites um die „Maiestas Carolina“ bestrebt, als ein gleichwertiger Partner des Herrschers aufzutreten, dessen oberste Gewalt durch die Gewalt der Repräsentanten des Königreiches beschränkt war. 548 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass der Inhalt des Dekretes den Gewohnheiten an der Dreifakultätenuniversität widersprach und seine Umsetzung – sofern die deutschen Magister damit einverstanden gewesen wären –
547 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 181. 548 Nodl, Martin: Maiestas Carolina. Kritické postˇrehy k pramen˚um, vyhlášení a „odvolání“ Karlova zákoníku [„Maiestas Carolina“. Kritische Bemerkungen zu den Quellen, der Verkündung und „Abberufung“ von Karls Gesetzbuch]. In: SMB 1/1 (2009), 21–36.
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Das Kuttenberger Dekret Abb. 10 Mag. Jan Hus in seinem Studierzimmer, Holzschnitt Anfang des 16. Jahrhunderts.
von einer gründlichen Reform der Universitätsstatuten hätte begleitet werden müssen. War sich dessen der König bzw. waren sich dessen seine Ratgeber bewusst? Ging es ihnen wirklich um die Änderung des Stimmenverhältnisses an der Prager Alma Mater? Wollten sie durch das Dekret lediglich den Magistern aus der polnischen, sächsischen und bayerischen Nation drohen und sie zur Änderung ihrer Einstellung gegenüber dem widerspenstigen Kardinalskollegium und dem von ihm einberufenen Pisaner Konzil zwingen? Das Original der Urkunde sagt zu diesen Fragen und zu vielen anderen, denen die nachfolgenden Seiten gewidmet sind, leider nichts. Im Unterschied zur Gründungsurkunde der Prager Universität ist es nämlich nicht erhalten. Man kennt es nur aus der Abschrift des Manuskriptes der Universitätsstatuten, die sich Hus vor seiner schicksalhaften Reise nach Konstanz anfertigen ließ. Im Manuskript der Universitätsstatuten (auch das ist leider nicht erhalten), von dem für Hus ein öffentlicher Notar die Abschrift anfertigte, befand sich der Wortlaut des Kuttenberger Dekretes auf dem dritten Folio. Dieses Universitätsmanual hatte die Form eines Pergamentmanuskriptes, das in mit rotem Leder bezogenen Holztafeln eingebunden war. Daher wurde es
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in seiner Zeit als „Liber rubeus“ bezeichnet. 549 Es wurde, wie es scheint, irgendwann im Jahre 1409 550 angelegt. Fast am Anfang hat man dann den „Grundtext“ eingefügt, der künftig die Verwaltung der Prager Dreifakultätenuniversität regeln sollte. Der „Liber rubeus“ sollte gerade wegen des Dekretes und wegen der Änderungen beim Schwur des Rektors und aller Universitarier während der Intitulation das alte, bei feierlichen Akten und bei dem alljährlichen Verlesen der Statuten benutzte Manuskript ersetzen. Darin war das alte (durch das Dekret aufgehobene) „Universitätsgesetz“, die concordia nacionum verankert. Sie sollte für immer aus dem Universitätsgedächtnis verschwinden. War aber nicht infolge der späteren Entwicklung auch das Kuttenberger Dekret aus dem Universitätsgedächtnis verschwunden? Nach der Sezession der 700 bis 800 Magister und Scholaren aus den Reihen der drei auswärtigen Universitätsnationen (vom Weggang der einheimischen Deutschen weiß man nichts) verlor nämlich das königliche Dekret seine Gültigkeit. Waren doch nur wenige Ausländer an der Alma Mater geblieben. Bis auf wenige Ausnahmen wurden sie zu einer geduldeten Minderheit, deren Stimme bis zu Hussens Streit mit der Theologischen Fakultät beinahe überhaupt nicht zu vernehmen war. Das Kuttenberger Dekret wurde somit nach dem 9. Mai 1409 ein leeres Grundgesetz, das in der Praxis das Universitätsleben in keiner Weise regelte. Die Statuten wurden nur in Bezug auf den Schwur abgeändert, der nicht mehr auf die concordia nacionum geleistet wurde, sondern als ein Ausdruck der Treue dem Herrscher und dem Land gegenüber, wie schon seit mehreren Jahrzehnten im „feindlichen“ Heidelberg. 551 Sonst jedoch herrschte an der Dreifakultätenuniversität weiterhin die einfache Mehrheit der Stimmen. Immer mehr trennte sie sich in Anhänger und Gegner der religiösen Reformen auf, was die Universität letztlich entzweite. Zu einer wesentlichen Änderung war es aber trotzdem gekommen. Während sich die Prager Alma Mater vor dem Jahr 1409 einer umfangreichen akademischen Freiheit erfreute, die sie vor den Eingriffen des Universitätskanzlers und Erzbischofs sowie des böhmischen Königs schützte, geriet sie nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes unter den direkten Einfluss des Königs. Dieser Einfluss äußerte sich in Krisenmomenten durch Anordnungen, die jene akademische Freiheit stark beschnitten. Dies war sicher eine ungewollte und ungeahnte Folge der Tätigkeit der durch aktuelle Probleme geblendeten Eiferer, die in den ersten Tagen nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes noch für die Befreiung gedankt hatten. In den folgenden Jahren sollten sie dann aber Gefühle der Unsicherheit plagen. Denn das einst ruhmreiche Prager Studium generale wurde zu einer durch die umgebenden Universi-
549 Auf die formalen Unterschiede zwischen dem „Liber rubeus“ und den Manuskripten XIV D 25 und XIV A 4 in der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik verweist bereits Svatoš, Michal: Diplomatický rozbor listin k dˇejinám pražské univerzity. Studie k univerzitnímu diplomatáˇri [Diplomatische Analyse der Urkunde zur Geschichte der Prager Universität. Studie zu den Universitätsurkunden] II. In: AUC – HUCP 29/2 (1989), 71–95, hier 83, ohne sich allerdings bewusst zu machen, dass der „Liber rubeus“ erst nach dem Jahre 1409 entstanden sein kann. 550 Dies hat bereits nachgewiesen Boháˇcek, O rukopisech (wie Anm. 225), 95. 551 Miethke, Der Eid an der mittelalterlichen Universität (wie Anm. 456), 57.
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täten angeprangerten und verketzerten Hohen Schule ohne Lektionen, Disputationen und v. a. ohne Studenten. Sieg und Niederlage trennt eben manchmal eine so schmale Linie, dass sie für die zeitgenössischen Akteure kaum wahrnehmbar ist. Heute kann man sagen, dass das Kuttenberger Dekret die Streitigkeiten nicht gelöst hat, die an der Universität Mitte des Jahres 1408 eskaliert waren und deren Ursache die Überantwortung der philosophischen und theologischen Konflikte an die päpstliche Kurie und an deren blindes, von Korruption und von Freundeskreisen geprägtes Gericht war. Das Kuttenberger Dekret hat ihnen nur eine kurzfristige Atempause verschafft, aber auch eine neue Dimension verliehen, in der es wiederum mehr Verlierer als Sieger geben musste. Möglicherweise hätte aber in einigen Situationen nur ein Weniges gereicht, um die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken. Die Geschichte wird öfter durch Zufälle bestimmt und durch momentane Gemütsregungen ihrer Hauptakteure. Hier gaben sie durch den Erlass eines Dekretes der Geschichte eine Wendung, die sie sich selbst gar nicht wünschten und die sie dann nicht mehr rückgängig machen konnten. In diesem Kapitel soll aber keine alternative Geschichte geschildert werden. Die erhaltenen Quellen mögen im Gegenteil zeigen, dass der alte Streit zwischen den Vertretern eines gezielten Bemühens um den Erlass des Kuttenberger Dekretes mit ihrer Meinung nach eindeutig kausalen Ursachen und den Anhängern der Geburt des Kuttenberger Dekretes durch einen königlichen Federstrich in einem Wutanfall eher einer Glaubenssache gleicht als einer tatsächlichen Reflexion der Geschichte. Das Hauptproblem, wie es in der mittelalterlichen Geschichte zu sein pflegt, liegt nämlich im Falle des Kuttenberger Dekretes in dem Aussagewert und daher in der Wahrhaftigkeit der erhaltenen Quellen. Es fehlen Dokumente amtlicher Provenienz, Protokolle über die Verhandlungen der Universitätsversammlungen, über die Sitzungen der einzelnen Nationen oder des Rektorates, schließlich auch Gerichtsakten. Denn der Streit um das Kuttenberger Dekret war in seiner Zeit kein Gerichtsstreit. (Das unterscheidet ihn zu einem beträchtlichen Maße von den Streitigkeiten an der Universität Mitte der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts, wobei auch die übrigen Unterschiede viel zahlreicher sind als die Übereinstimmungen). 552 Angesichts dieser defizitären Quellenlage ist man oft auf das Zeugnis konkreter Akteure angewiesen. Wie bereits im Zusammenhang mit den Anstrengungen des Erzbischofs von Prag zur Disziplinierung der Prager Universitarier gezeigt, sind derartige (in jenem Fall aus Inquisitionsprozessen stammende) Aussagen meistens stark subjektiv gefärbt. Die Akteure verfolgten dabei ihre persönlichen Interessen. Ihre Motivation war nicht, die Wahrheit zu sagen, sondern ihre eigene, manchmal bewusst entstellte oder zumindest angepasste Sicht der Ereignisse mitzuteilen. Außerdem spielte beim Erinnern lang und länger zurückliegender Ereignisse auch das brüchige Gedächtnis eine wichtige Rolle. So fiel es ihnen schwer, die Ereignisse genau in der Zeit und manchmal auch im Raum
552 Dazu grundsätzlich Nodl, „Smíˇrení národ˚u“ (wie Anm. 109), 261–272. – Ausführlicher vgl. dann das Kapitel „II ‚Versöhnung der Nationen‘ in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts“ in diesem Buch.
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zu strukturieren. Das erklärt die vielen Unklarheiten, die vielen sich widersprechenden Zeugnisse. Dabei kann man einige Personen nicht einfach nur deshalb anderen vorziehen, weil man sie (oft zu Recht) für moralisch reifer und folglich der Wahrheit näher hält. Auch Hus irrte sich regelmäßig, verwechselte Ereignisse miteinander und mischte seinen Reflexionen über die Vergangenheit Gefühle bei, die er zum Zeitpunkt seiner Aussagen empfand. Darin unterscheidet er sich nicht von den Akteuren der „verlorenen Revolution“ von 1989, die aus der Rückschau ebenfalls Geschichten schildern, von deren Wahrhaftigkeit sie felsenfest überzeugt sind. Auch er – wie so mancher böhmische und deutsche Magister, der die Monate vor und nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes erlebt hat – konstruiert kausale Zusammenhänge zwischen Phänomenen, die in ihrer Zeit möglicherweise isoliert voneinander existierten und keine gemeinsame Geschichte bildeten. Mit Sicherheit gilt dies für die späten Erzähler der mit dem Kuttenberger Dekret verbundenen Geschichten, unter denen übrigens die Gegner überwiegen (der anonyme Autor der „Leipziger Chronik“, Ludolf von Sagan, Nikolaus Tempelfeld, Enea Silvio de Piccolomini und andere). Ihnen lag Wenzels Dekret tief im Magen. Mit seinen Folgen kamen sie ihr ganzes Leben lang nicht zurecht, ohne dass sie sich jedoch wirklich nach Prag zurückgesehnt hätten. Die Quellenlage macht also Fehlschlüsse leicht. Vom überkommenen und allzu einheitlichen Auslegungsstrom soll nun ein abweichender Weg gefunden werden. Begleiter auf diesem neuen Weg werden die Generationen von böhmischen und ausländischen Historikern sein, die wie bei der Universitätsgeschichtsschreibung die Erforschung des Kuttenberger Dekretes gebahnt haben und aus deren Interpretationskunst nun punktuell geschöpft werden soll. Anders kann es im Falle einer Geschichte, die jahrhundertelang die nationale Historiographie so bewegt hat, auch gar nicht sein. Die Geschichte des Kuttenberger Dekretes ohne eine ständige Diskussion der Quellen und ihrer Interpretation durch Historiker wäre nämlich völlig gegen den Geist der modernen historiographischen Forschung. Für das Mittelalter kann sie meist keine neuen Fakten liefern, sondern nur (und das ist nicht wenig) neue, durch die Entstehungszeit der Bücher und Studien bedingte Interpretationen und Urteile. Ich möchte nicht verheimlichen, dass ich dieses Kapitel nicht ohne Unbehagen allen nationalistischen Äußerungen gegenüber und damit nicht ohne ein gewisses Unsicherheitsgefühl schreibe. Das betrifft sowohl die Art der „Verteidigung des Mandates“ von Johannes von Jessenitz als auch die nationalen Ausfälle der aus Prag vertriebenen Magister. Zudem stellt sich mir die Frage, ob ich in die Darstellung des Kuttenberger Dekretes nicht allzu viel aus meiner Zeit hineintrage, die wegen der Heuchelei der 20 Normalisationsjahre und wegen der heute intellektuell analog sterilen Postmoderne den Glauben an Begriffe wie Nationalstolz, nationale Bedrohung oder nationale Eigenständigkeit in ihrem kulturellen (nicht zweckgebunden politischen) Sinn verloren hat.
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Brüchiger Waffenstillstand Sich demütigen oder sich mit Mauern umgeben, welche die Inquisition und die kirchlichen Autoritäten mit ihren Disziplinierungsmaßnahmen nicht überwinden? Vor dieser komplizierten Entscheidung standen die Magister der böhmischen Nation nach der Abschwörung des Matthias von Knín. Sie ist ausführlich im vorigen Kapitel behandelt worden. Sicher wechselte während der wenigen Tage die Stimmung hin und her. Einmal gewannen die jungen Hitzköpfe die Oberhand, die durch den Wyclif’schen Realismus inspirierten Magister, einmal rieten die erfahrenen Altgedienten zur Vorsicht, die sich noch an die goldenen Jahre der Prager Alma Mater erinnerten, als Frieden herrschte und die Universität nach außen als Trägerin universalistischer Gelehrsamkeit auftrat. Warum schließlich für den 24. Mai 1408 ins Haus „Zur schwarzen Rose“ eine Versammlung der böhmischen Universitätsnation einberufen wurde, weiß man nicht. Wie in den meisten Fällen informieren über diesen grundsätzlichen Schritt der böhmischen Universitarier leider nur spätere Augenzeugenberichte. Ein notarielles Protokoll, das zum Zeitpunkt der Versammlung sicher ausgestellt wurde, ist nicht überliefert. Da sich alle Zeugen bei den Verhandlungen stark engagierten, ist Vorsicht geboten. Den ausführlichsten Bericht hat der spätere konservative Utraquist Johannes von Pˇribram hinterlassen. Obwohl er 18 Jahre nach der Versammlung verfasst wurde, kann man seine Schilderung bejahen. Sie erinnert auffallend an die öffentliche Abstimmung in modernen Parlamenten. Laut Johannes wurden die Magister einzeln gefragt, ob sie der Verurteilung der 45 Artikel Wyclifs zustimmten. Alle sollen dann ihre Zustimmung geäußert haben. Stephan von Páleˇc, damals noch der anerkannte alte Anführer der böhmischen Mehrheit, las darauf die folgende Erklärung vor: „Notum sit universis, quod nos omnes et singuli nullo penitus contradicente articulos infrascriptos Jo. Wikleff reprobamus, refutamus et prohibemus in sensibus eorum hereticis, erroneis et scandalosis, mandantes omnibus et singulis sub pena exclusionis a nacione nostra, quatenus nullus hos articulos audeat tenere vel docere publice vel occulte.“ 553 Verlief die Versammlung tatsächlich so, wie es Johannes berichtet, dann hatte sie einen ausgeprägt rituellen Charakter. 554 Die Magister hatten zuerst für oder gegen den Vorschlag zu stimmen, und nachdem der Vorschlag angenommen worden war, mussten sie sich per Kollektivschwur zur Respektierung des Beschlusses verpflichten. Hätte dies jemand nicht getan, dann drohte ihm der Ausschluss aus der böhmischen Universitätsnation. Ich lasse hier beiseite, dass die Form der Annahme des Vorschlags die fast ein Jahr spätere Vorgehensweise der drei deutschen Universitätsnationen gegen die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes vorwegnimmt. Die einzelnen Quellen sind sich nicht einig darin, ob die Anzahl der böhmischen Magister zum gegebenen Zeitpunkt 50, 60 oder sogar 80 betrug. Auch wenn es von großem Interesse wäre, die genaue Anzahl der aktiven 553 Die Nachrichten bei Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 125 f., mit Edition des Zeugnisses von Johannes von Pˇribram über die Erklärung des Stephan von Páleˇc. 554 Zur Versammlung ausführlich Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 221 f.; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 227 f.
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böhmischen Magister zu kennen, ist hierfür noch bedeutsamer, dass alle Quellen von den Abstimmenden als den Magistern sprechen. Die Versammlung der böhmischen Universitätsnation verlief also genauso wie die Magisterkongregation an der Gesamtuniversität unter aktiver Teilnahme der Magister, wahrscheinlich der Magister-Regenten. Die Bakkalaurei und die Studenten werden in dem Beschluss hingegen als solche aufgeführt, auf die er sich bezieht. Ihm sind sie untergeordnet, ihn müssen sie einhalten. Über ihn aus eigenem Antrieb entscheiden können sie aber nicht. In ihrem Fall ist die von Johannes von Pˇribram genannte Anzahl, also tausend Personen, stark übertrieben, sodass sich die Frage stellt, ob nicht auch seine Bezifferung der böhmischen Magister und Doktoren etwas zu reduzieren ist. 555 Der eigentliche Inhalt des Beschlusses ist an sich noch bedeutsamer als die Frage nach der Anzahl der Magister, die im Haus „Zur schwarzen Rose“ diskutierten und dann abstimmten. Der zweite Zeuge, Stephan von Páleˇc, verschweigt in seiner Schrift „Antihus“ das Wesentliche und stellt den Beschluss wie eine vollständige Verurteilung der 45 irrgläubigen Artikel Wyclifs dar. Der Bericht des Johannes von Pˇribram hingegen verdeutlicht im Großen und Ganzen die Taktik der böhmischen Magister. Einerseits verurteilten sie erneut alle 45 vor Jahren von Johannes Hübner zusammengestellten Artikel. 556 Anderseits fügten sie im gleichen Atemzug hinzu, keinen dieser Artikel künftig im ketzerischen, irrgläubigen oder anstößigen Sinn zu verkündigen, wodurch die allgemeine Verurteilung sofort zunichte gemacht wurde. Ein Zusatz verbat dann den Bakkalaurei und den Studenten, die drei problematischen Schriften Wyclifs zu lesen, also den „Dialog“, „Trialog“ und „De eucharistia“. Johannes von Pˇribram betont dann in dem Traktat „De non remanencia“, dass der die Verurteilung abschwächende Vorschlag von Hus stammte. Gemeinsam damit hob er jedoch bei der allgemeinen Bezeichnung von Wyclifs Artikeln als den Hauptverurteilten gerade den hervor, in dem Wyclif die Remanenzauffassung verkündigt. 557 Obwohl Johannes von Pˇribram die Taktik der böhmischen Magister mit einem Abstand von 20 Jahren beschreibt, spricht Vieles dafür, dass die Magisterkongregation der böhmischen Universitätsnation v. a. als Reaktion auf den Prozess gegen Matthias von Knín und auf den in Vorbereitung befindlichen Beschluss der bischöflichen Synode vom 15. Juni 1408 stattgefunden hat.
555 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 125, Anm. 2. 556 Von der Verurteilung spricht eindeutig Stephan von Páleˇc: „condempnacione articulorum facta in domo nacionis in Fossato“; „super illa condempnacione“. – Sedlák, Jan: Mgri Stephani de Páleˇc Antihus [Mag. Stephans von Páleˇc „Antihus“]. In: Ders., Miscellanea husitica (wie Anm. 487), 366–514. – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 221, behauptet, dass Stephan versucht habe, sich durch jene Verleugnung des wahren Grundes der Verurteilung, also des Verbotes, die Artikel im ketzerischen und anstößigen Sinne zu verkünden, von seiner Teilnahme und vom geleisteten Schwur zu distanzieren, um im gegebenen Augenblick nicht im ungünstigen Licht zu erscheinen. In dieser Logik könnte man aber behaupten, dass Johannes von Pˇribram ebenfalls nicht von der Verurteilung der 45 Artikel spricht, um das defensive Vorgehen der böhmischen Reformer abzumildern. 557 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 125, Anm. 2.
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Keine Erinnerung an diese Versammlung deutet an, die böhmischen Magister hätten zum betreffenden Zeitpunkt Kenntnis vom Schiedsspruch des Kardinals Francesco Uguccione gehabt. Dieser ordnete aufgrund der Anzeige Ludolf Meistermanns allen Laien und Geistlichen an, sich mit den irrgläubigen Artikeln Wyclifs nur dann zu befassen, wenn sie diese widerlegen wollen. 558 Die Diktion des Schiedsspruches des Kardinals, der nicht verboten hatte, über Wyclifs Artikel zu disputieren, sondern nur zu ihrer rechtgläubigen Auslegung ermahnte, 559 spielte dabei dem Beschluss der böhmischen Magister in die Hände. Denn auch sie behaupteten, nicht an der ketzerischen Auslegung dieser Artikel festhalten und über sie – ohne Anstoß zu erregen – disputieren zu wollen. Da es in den universitären Quästionen üblich war, Argumente für und gegen einen Gegenstand vorzutragen, konnten sie sich jederzeit auf die Entscheidung des Kardinals als goldenen Mittelweg berufen. Eine andere Sache war die persönliche Zitation des Stanislaus von Znaim wegen der Vertretung remanenter Ansichten, welche die bis dahin sicheren und nur vom Erzbischof bedrohten böhmischen Universitarier erschrecken musste. Denn sie brachte die Streitigkeiten auf eine neue Ebene, und zwar mittels der Anzeige eines der bayerischen Magister und Theologen. Als Reaktion darauf hätten gerade die Radikalen die salomonische Lösung bejahen können, die im Beschluss der Versammlung im Haus „Zur schwarzen Rose“ enthalten ist. Die Vorladung des Kardinals Uguccione ist auf den 20. April 1408 datiert. Meistermann reiste mit ihr im Gepäck über Heidelberg nach Prag zurück. Von der Heidelberger Universität ließ er sie am 26. Mai bestätigen und in die Rektorakten eintragen. Trotz des Umweges war er sicher um Eile bemüht. Da die Sitzung der böhmischen Nation im Haus „Zur schwarzen Rose“ zwei Tage früher stattgefunden hatte, ist eine Reaktion der böhmischen Magister auf den Wortlaut des Kardinalserlasses auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite ist die Haltung der beiden Beschlüsse in Bezug auf den Umgang mit den Schriften Wyclifs verblüffend ähnlich. So gilt es zumindest zu erwägen, ob der Spruch des Kardinals – der sicherlich längere Zeit vorbereitet wurde, denn Meistermann erschien bereits im Februar 1408 in Rom (erinnert sei daran, dass die Heidelberger Universität ihm das Gutachten vor seiner Reise am 18. Januar 1408 angefertigt hatte) – in Prag nicht bereits vor jenem 26. Mai bekannt gewesen sein könnte. Das Vorgehen der böhmischen Magister wäre dann sowohl durch die Maßnahmen des Erzbischofs und seines Kapitels gegen Matthias von Knín als auch durch den Spruch von Kardinal Uguccione bedingt.
558 Šmahel, František: „Universalia realia sunt heresis seminaria“. Filosofie pražského extrémního realismu ve svˇetle doktrinálnˇe institucionální kritiky [„Universalia realia sunt heresis seminaria“. ˇ CH ˇ Philosophie des Prager extremen Realismus im Lichte der institutionellen Lehrkritik]. In: CS 16 (1968), 797–818, hier 808, neigt eher der Interpretation zu, dass die versammelten Magister der böhmischen Nation, welche die 45 Artikel Wyclifs verurteilt hatten, wenn auch nur in ihrem ketzerischen, irrgläubigen oder anstößigen Sinn, vom Erlass des Kardinals Francesco Uguccione noch nicht wussten. 559 Ein Abdruck des Ausspruchs des Kardinals Francesco Uguccione befindet sich in der richtungweisenden Studie von Bartoš, V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu (wie Anm. 42), 97–113.
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Dasselbe gilt dann auch für das Vorgehen des Erzbischofs gegen Wyclifs Anhänger, wie im synodalen Beschluss vom 15. Juni 1408 überliefert. 560 Von dieser Synode haben sich sieben Artikel erhalten, die in drei Manuskripten fehlerhaft auf den 15. Juni 1406 datiert wurden. Auf der Junisynode von 1406 legte Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg tatsächlich im 20. Artikel eine verbindliche Auslegung der Transsubstantiation fest. Danach würde nach der Wandlung im Altarsakrament nicht die Substanz von Brot und Wein verbleiben, sondern nur der wahre Leib Christi („verum corpus Christi“) und das wahre Blut Christi („verus sanguis Christi“). Alle, die gegen diese Auffassung etwas sagten, predigten oder lehrten, sollte man beim Erzbischof unter Strafe der Exkommunikation als Häretiker anzeigen. 561 Die erzbischöfliche Auffassung von der Transsubstantiation erweckte im universitären Umfeld geradezu Entsetzen, v. a. durch ihren reinen Materialismus. Hus und weitere Magister sollten darauf reagieren. 562 Diesem erzbischöflichen Spruch ging der im vorigen Kapitel analysierte Streit um die Auffassung des Altarsakramentes bei Stanislaus von Znaim voran. Der damals noch junge und wenig bekannte Jakobellus von Mies, der sich bis dahin nicht in die Streitigkeiten eingeschaltet hatte, und der alte und angesehene Magister Andreas von Brod reagierten darauf, wie es scheint, ablehnend, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. 563 Jedenfalls sind die von der heutigen Forschung auf den Juni 1408 datierten Artikel gegen die Wyclif’sche Auffassung des Altarsakramentes gerichtet, die sich angeblich mancherorts in Böhmen verbreitet habe. Dabei berufen sie sich auf die erzbischöflichen Erlasse zur Transsubstantiationsfrage, die mit der Lehre der heiligen römischen Kirche und des heiligen Kanons in Einklang stehen. Dem Erlass gegen die Verkündigung der Remanenzlehre folgt dann in denselben Statuten ein Artikel, der von Wyclifs Lehre ausgehende skandalöse Aussagen gegen Prälaten und Kleriker während der Predigten in der Volkssprache verbietet. 564 Dadurch wurde dieser antiwyclifsche Artikel mit dem antiwyclifschen Remanenzartikel verknüpft. Der Wortlaut des erzbischöflichen Synodalbeschlusses vom Juni 1408 weist keine Spuren vom Vergleichsspruch des Kardinals Uguccione auf. Dies könnte dafür spre-
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Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 285 f. Ebd., 280. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 165–174. Kadlec, Jaroslav: Studien und Texte zum Leben und Wirken des Prager Magisters Andreas von Brod. Münster 1982, 27–29. – Bartoš, František Michálek: Studie o Husovi a jeho dobˇe [Studie zu Hus und seiner Zeit]. Teil 2: Hus ve sporech o Viklefa 1401–8 [Hus in den Streitigkeiten um Wyclif ˇ CM ˇ 21 (1915), 275–289, hier 277 f., 282 f. 1401–8]. In: C 564 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 285 f.: „Item coram sanctissimo in Christo patre et domino, domino Gregorio, divina providencia papa XII extitit predicatum, quod in diversis locis insurrexerint quidam sectarii supersticiosi et signanter in Bohemia quidam Wiklephiste male credentes de sacramento corporis et sanguinis domini nostri Iesu Christi. Unde huic morbo pestifero dominus noster archiepiscopus occurrere cupiens statutum per eum conditum de premissis ac synodaliter publicatum de observacione dicti sacramenti renovando ipsum mandat observari, ita videlicet, quod predicent et dogmatisent quod completa forma verborum, ut supra, quia sacrosancta Romana ec-
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chen, dass Meistermann erst am 18. Juni in Prag ankam 565 und dass der Synode das Schreiben in seinem Gepäck nicht bekannt war. Auf der anderen Seite wusste Meistermann allerdings sehr gut, dass die bischöflichen Synoden regelmäßig am 15. oder am 16. Juni stattfanden und dass die Synode ein sehr geeignetes Forum für die Veröffentlichung des Kardinalsspruches und für die Durchführung der sich daraus ergebenden Schritte darstellte. Und da er am 26. oder 27. Mai Heidelberg verließ, ist es eher unwahrscheinlich, dass er die Synode nicht mehr erreichte. Andernfalls wäre zu vermuten, dass der Erzbischof wie die böhmischen und deutschen Magister nur den Inhalt des Spruches, nicht jedoch seinen genauen Wortlaut kannte und dass er nicht auf den Brief des Kardinals warten konnte, da die Abhaltung der Synode am 15. oder 16. Juni seit Jahren die Regel war. Daher erließ der Erzbischof lediglich allgemeine, gegen die Wyclif’sche Auffassung der Remanenz gerichtete Bestimmungen (im Anschluss an seine autoritativen Äußerungen von vor zwei Jahren) und das Verbot, Prälaten im Wyclif’schen Geist anzugreifen, mit denen er offenbar auf konkrete Anschuldigungen reagierte. Wie die bereits erwähnten Untersuchungen gegen den Priester Abraham (welche die beiden Prager Inquisitoren Maˇrík Rvaˇcka und Bischof Jaroslav von Sarepta 566 mit dem Generalvikar Johannes Kbel geführt hatten) und das Verhör des Bakkalaureus der Artes liberales Sigismund von Jistebnitz Ende Juni 1408 gezeigt haben, war der erzbischöfliche Synodalerlass keine bloße Drohung geblieben. Zumindest in Prag
clesia decrevit asserere, predicare et dogmatisare, nec disputare alias. Contra facientes tamquam hereticos domino nostro archiepiscopo denunccient et manifestent iuxta sacros canones puniendos. Item ad audienciam domini nostri archiepiscopi pervenit, qualiter nonnulli predicatores civitatis et diocesis Pragensis per verba inutilia et scandalosa christifideles animas offendunt et corda inficiunt indiscrete describendo statum clericorum et prelatorum, ut presumitur ex dicti Wikleph opinionibus. Unde mandat dominus archiepiscopus quod de cetero scandalosa contra statum prelatorum et clericorum et ecclesie Romane non predicent vulgariter in ambonibus populo christiano.“ – Zu dieser Bestimmung vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 223 f., mit dem bereits erwähnten problematischen Versuch, die doppelte Anzeige Ludolf Meistermanns bei der Kurie zu unterscheiden (ebd., 224 f., Anm. 2). 565 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 228. – Die Erwähnung in der Rechnung des Propstes ˇ des Prager Kapitels bei Graus, František: Dˇejiny venkovského lidu v Cechách v dobˇe pˇredhusitské [Geschichte des Landvolks im Böhmen der vorhussitischen Zeit]. 2 Teile. Praha 1953–1957, hier Teil 2, 350. – Es handelt sich um die im Archiv der Prager Burg erhaltene Rechnung des Propstes des Prager Kapitels: Bestand des Archivs des Metropolitankapitels am St. Veitsdom, cod. 27/2. – Zu dieser Rechnung vgl. Maˇríková, Martina: Uˇcetní rejstˇríky a další písemnosti vzniklé v souvislosti se správou „spoleˇcné pokladny“ pražské Metropolitní kapituly v dobˇe pˇredhusitské [Rechnungsregister und weitere im Zusammenhang mit der Verwaltung der „gemeinsamen Kasse“ des Prager Metropolitankapitels in der vorhussitischen Zeit entstandene Schriftstücke]. Praha 2008, 81–93. – Die von Graus editierte Eintragung (f. 23 r) lautet: „Item feria tercia octavas Viti dedimus pro laga malvasie 3 sex. et 23 gr., quam presentavimus regi in Zabyehlicz contra Wiklefistas. Item 16 gr. pro coopertorio tumbe sancti Wenczeslai. Item eodem die dedimus nuncio eunti ad archiepiscopum cum littera capituli contra Wiklef 10 gr.“ ˇ 566 Zu seiner Person zuletzt Soukup, Pavel: Inkvizitoˇri v Cechách v letech 1315–1415 [Inquisitoren ´ in Böhmen in den Jahren 1315–1415]. In: Inkwizycja Papieska w Europie Srodkowo-Wschodniej. Hg. v. Paweł Kras. Kraków 2010, 147–172, hier 163–165.
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versuchten seine Beamten und das Prager Kapitel ungehorsame Kleriker und Universitarier, die keine Magister waren, einzuschüchtern. Dass v. a. das Prager Kapitel an einer härteren Vorgehensweise gegen die Wiklifiten interessiert war, belegt indirekt die Rechnung des Propstes vom 19. Juni 1408. Dieser zufolge begab sich der Kanoniker Wenzel Knobloch auf die Burg Raudnitz /Elbe (tschech. Roudnice nad Labem), wohin sich offenbar der Erzbischof von Prag gleich nach der Synode zurückgezogen hatte. Ziel seiner Reise war, mit dem Erzbischof die Artikel gegen die Wiklifiten zu besprechen. František Šmahel schließt daraus, dass dem Erzbischof nun erst der Spruch des Kardinals Uguccione durch einen schnellen Boten zugestellt wurde und er dann auf seiner Grundlage anordnete, alle Besitzer der Schriften Wyclifs hätten ihre Codices bis zum 4. Juli im erzbischöflichen Palast zur Überprüfung vorzulegen. 567 Aber war dies tatsächlich der Fall? Trat der Erzbischof wirklich bereits im Juni 1408 gegen die Besitzer der Bücher Wyclifs auf und ließ sie, nachdem sie die Bücher innerhalb der festgelegten Frist nicht abgeliefert hatten, bald danach exkommunizieren, wie es in den 1960er Jahren Jiˇrí Kejˇr behauptete? 568 Die allgemeine Anordnung, Wyclifs Schriften abzuliefern, ist eine Sache und die Exkommunikation ungehorsamer Magister eine andere. Der Erlass zur Ablieferung ist erst durch die synodale Anordnung vom 15. Juni 1409 belegt. Zu dieser Zeit hatten, wie man allgemein meint, die meisten deutschen Magister und Studenten Prag bereits demonstrativ verlassen: „Primo mandatur, quod libros Wicleff infra hinc et festum sancti Procopii in cancellaria reponant propter errores in eisdem contentos corrigendos.“ 569 Auf der am 18. Oktober abgehaltenen Synode ordnete der Erzbischof mit Berufung auf die päpstliche Autorität lediglich an, niemand solle an Wyclifs Artikeln und Büchern festhalten, diese in Predigten benutzen und nach ihnen in Schulen unterrichten bzw. niemand solle über sie disputieren, sie verteidigen oder auslegen. Somit kam der Erzbischof einerseits dem Spruch von Kardinal Uguccione entgegen (allerdings erst vier Monate nach seiner Zustellung), anderseits reagierte er auf jene Verurteilung der 45 Artikel Wyclifs am 26. Mai durch die böhmische Universitätsnation im Haus „Zur schwarzen Rose“. Mit keinem Wort erwähnt jedoch dieser Beschluss die Ablieferung der Bücher innerhalb einer festgelegten Frist. Die entsprechende Anordnung könnte der Erzbischof aber durchaus irgendwann während des Sommers erlassen haben. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass der im Juli ausgebrochene Konflikt zwischen ihm und dem König bzw. zwischen ihm und den Klerikern in Bezug auf die Wahrung der Neutralität gegenüber Papst Gregor XII. und gegenüber der Einberufung des Pisaner Konzils vorläufig ins Leere gelaufen war. Für viel wahrscheinlicher halte ich jedoch, dass der Erzbischof eine solche Anordnung nicht vor dem 15. Juni 1409 er-
567 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 228 f., 336. – Zum Streit zwischen dem Erzbischof und den böhmischen Reformmagistern zuletzt zusammenfassend, jedoch ohne ausreichende Kritik der Aussagefähigkeit der Quellen Marin, Libri hereticorum sunt legendi (wie Anm. 76), 33–57. 568 Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 27 f.; Ders., Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 87. 569 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 289. – Zdeˇnka Hledíková datierte bereits früher diesen Erlass in das Jahr 1409 – Hledíková, Synody v pražské diecési (wie Anm. 241), 140 f.
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lassen und dass er sich mit einer allgemeinen Verurteilung der häretischen Ansichten Wyclifs begnügt hat. Die einzige Anspielung auf die Bücherablieferung findet sich somit bei Hieronymus von Prag während seines abschließenden Auftritts auf dem Quodlibet des Matthias von Knín. 570 Von einem direkten Verbot ist hier aber nicht die Rede. Die Redewendung, Studenten sollten Schriften keinen unbelehrten Leuten abliefern, kann auch als ein Hinweis auf den Beschluss im Haus „Zur schwarzen Rose“ ausgelegt werden. Der war gegen die Bakkalaurei und Studenten gerichtet. Ihnen wurde das Recht abgesprochen, Wyclifs Bücher überhaupt zu lesen (und aus der Logik der Sache auch zu besitzen). Zudem betraf der Beschluss auch Prediger wie Sigismund von Jistebnitz. Sie durften fortan nicht mehr über Wyclifs Artikel predigen. Im Kern richtete sich also Hieronymus’ Auftritt gegen den synodalen Erlass vom 18. Oktober, der nicht nur verbot, Wyclifs Artikel und Bücher zu studieren und über sie an der Universität zu disputieren, sondern auch sie zu besitzen. Kejˇr hat kürzlich in seinem Buch über den „Prozess Hussens“ seine älteren Ansichten revidiert. Er behauptet nun, das erste Echo auf den Ablieferungsbefehl stamme vom Anfang des Jahres 1409 571 und daher sei der erste Erlass entweder ganz am Ende des Jahres 1408 oder vor der Fastenzeit oder am Anfang der Fastenzeit des Jahres 1409 ausgegeben worden. War ihm für seine frühere Datierung in das Jahr 1408 die Aussage des Kaspar Weinstein von Ingolstadt während des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus in Wien eine klare Richtschnur gewesen, so veranlassten ihn weitere Zeugnisse des Wiener Inquisitionsprozesses nun zur Revision. Diese erwähnen allerdings nicht den Erlass über die Bücherablieferung, sondern nur die Exkommunikation derjenigen, die es nicht getan haben. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal muss man aber über die einzelnen Aussagen in dieser Hinsicht nachdenken und zeigen, dass sie für die Datierung konkreter Ereignisse mindestens problematisch sind. Hieronymus’ Exkommunikation bezeugen gleich sechs Personen. Dabei unterscheiden sich ihre Aussagen bezüglich ihres Inhalts und ihrer Datierungen beträchtlich. Heinrich von Aura, Bakkalaureus der Prager Universität, glaubt während einer Predigt in St. Clemens von der Existenz eines erzbischöflichen Mandates gehört zu haben, nach dem alle Besitzer von Büchern des Häresiarchen Wyclif exkommuniziert worden seien. Der Prediger soll im Anschluss einige Personen genannt haben, ob sich jedoch unter ihnen Hieronymus befand, wusste er nicht mehr. Eindeutig gab er jedoch an, dass Hus unter ihnen war. Zeitlich einzuordnen vermochte er diesen Vorfall nicht und fügte bloß an: „utique
570 Magistri Hieronymi de Praga Quaestiones, Polemica, Epistulae. Hg. v. František Šmahel und Gabriel Silagi. Turnhout 2010, 216: „Igitur absit a vobis in posterum, ut libros prefati magistri hiis, qui eos minime intelligant, concedatis vel contribuatis, qui prius irrident veritates quam ipsas percipiunt, et antequam vel partem intellexerint, iam in toto reprehendunt.“ 571 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 23, macht darauf aufmerksam, dass Hieronymus von Prag nur allgemein von Büchern spricht. Im Unterschied zu mir behauptet er jedoch, dass dieser gerade deshalb in seinem „Lob“ den Beschluss der Sitzung der böhmischen Universitätsnation vom 26. Mai 1408 nicht berücksichtigt habe.
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dies celebris“. 572 Johannes Stuckler von Passau will in der Prager Teynkirche gehört haben, dass alle Wiklifiten exkommuniziert worden seien – speziell diejenigen, welche die Ablieferung der Schriften Wyclifs ablehnten. Dabei sollen konkrete Personen genannt worden seien, unter ihnen auch Hieronymus. 573 Johannes von Voburg wusste hingegen nichts von Hieronymus’ Exkommunikation. In der Teynkirche glaubt er allerdings gehört zu haben, dass alle Anhänger Wyclifs exkommuniziert worden seien. Wann das genau war, konnte er aber nicht angeben. 574 Berthold von München verfolgte als Bakkalaureus der Prager Universität die Bekanntgabe der Exkommunikation in der St. Galluskirche. Dort will er auch die erzbischöfliche Urkunde gesehen haben, auf deren Grundlage der Prediger die Besitzer der Bücher Wyclifs exkommunizierte. Nach dem allgemeinen Bewusstsein, fügt er hinzu, habe sich auch Hieronymus darunter befunden. Vom genauen Zeitpunkt der Exkommunikation hatte er wie die meisten Zeugen keine Ahnung. 575 Johannes Schwab von Butzbach erinnert sich, dass Hieronymus in der Teynkirche gemeinsam mit allen, die Wyclifs Ansichten vertraten, exkommuniziert worden sei. 576 Der immer so gut informierte Konrad Kreuczer von Nürnberg wusste hingegen von der Exkommunikation nichts. Dasselbe gilt auch für den Prager Studenten Achacius Chenczl von Salzburg. Er will in Prag und in Wien lediglich wiederholt von Hieronymus’ Exkommunikation gehört haben. Dagegen erinnert sich der ehemalige Prager Bakkalaureus Johannes Tesser viel klarer an die Exkommunikation. Er will von ihr irgendwann in der Fastenzeit des Jahres 1409 577 in der St. Niklaskirche gehört haben. Mit Glockengeläut sei dort die Exkommunikation aufgrund des erzbischöflichen, gegen die Besitzer von Wyclifs Schriften und die Vertreter seiner Ansichten gerichteten Mandates bekanntgegeben worden. An das Tagesdatum des Quodlibets von Matthias von Knín erinnert sich Tesser aber nicht. Er datiert es in den Januar oder Februar des Jahres 1409. Diese unklare Datierung macht seine Datierung der Bekanntgabe der Exkommunikation verdächtig, welche die Forschung im Anschluss an Václav Novotný, wenn auch mit gewissen Zweifeln, immerhin übernahm. 578 Für Kejˇr, der heute zu Novotnýs Datierung neigt, 579 war dagegen einst die Aussage des Kaspar Weinstein von Ingolstadt maßgeblich. 580 Dieser behauptet, nach seiner Rückkehr vom Quodlibet von den Leuten im Haus des Kürschners, in dem er wohnte, gefragt worden zu sein, warum Johannes Hus, Johannes von Jessenitz, 572 573 574 575 576 577 578
Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 33. Ebd., 30. Ebd., 20. Ebd., 32. Ebd., 15. Ebd., 25: „in ecclesia sancti Nicolai Prage quadam die tempore quadragesimali, anno etc. nono“. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 346–349, nimmt an, dass es dazu irgendwann im März 1409 gekommen sei. Ich habe selbst vor Jahren zu Novotnýs Ansicht tendiert, obwohl es zur Exkommunikation auch später im Jahre 1409 gekommen sein könnte – vgl. Nodl, Pamˇet’ a intelektuál (wie Anm. 2), 380. 579 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 24 f. 580 Ders., Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 28.
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Marcus von Hradetz, Hieronymus von Prag und Stephan von Páleˇc exkommuniziert wurden. Laien aus seiner Wohnung hätten zugleich gesagt, dass die Exkommunikation in der Teynkirche verkündet wurde. Dort hätten sie in der Predigt außerdem gehört, das Brot verbleibe nach der Wandlung nicht mit dem Leib Christi und es gebe einen einzigen universalen Esel und ähnliche Sachen. Weinstein wollte sich aber nicht auf eine Debatte mit den einfachen Handwerkern einlassen und antwortete ihnen auf alle Fragen daher nur lakonisch, davon wisse er nichts. In Bezug auf die Exkommunikation fügt er bei seiner Aussage nur hinzu, von ihr von Laien und auch von Studenten gehört zu haben. Er war also nicht selbst Zeuge der Exkommunikation und sagte lediglich aus, was ihm vor dem Quodlibet Laien und ungenannte Studenten erzählt hätten. Da auch er nicht imstande war anzugeben, wann das Quodlibet stattgefunden hat, also wiederum weder den Tag noch den Monat, ist auch seine Datierung der Exkommunikation sehr unglaubwürdig. Nikolaus Czungl, im Jahre 1409 Prager Student der Artistenfakultät und Schüler des Magisters Georg Meller von Regensburg, übergeht einfach das Datum der Exkommunikation in seiner Aussage. Er erzählt jedoch ausführlich über ihren Inhalt, über seine Erfahrungen aus der St. Clemenskirche und über den anschließenden Konflikt Hieronymus’ mit dem dortigen dominikanischen Prediger. Auch wenn er die Exkommunikation datiert hätte, wäre es wertlos gewesen. Denn das Quodlibet fand seiner Ansicht nach drei oder vier Wochen vor Pfingsten statt, das im Jahre 1409 auf den 26. Mai gefallen war. Laut Novotný verwechselt Czungl das Quodlibet mit Hieronymus’ Disputation mit dem Magister Blasius Wolf. Dies ist selbstverständlich möglich. Dem würde auch Czungls Zusatz über die Teilnahme der Stadträte und bewaffneter Soldaten entsprechen, sodass neben den vielen Magistern, Doktoren und Laien niemand weiter in den Vorlesungssaal hineinpasste. 581 Da jedoch Czungls Schilderung vor Verwechslungen nur so strotzt, ist seine Aussage bezüglich der Exkommunikation vorsichtig zu behandeln. So gibt er an, selbst das erzbischöfliche Mandat gesehen zu haben, dem zufolge alle Prager Pfarrer öffentlich alle diejenigen exkommunizieren sollten, die zum gegebenen Termin – den der Erzbischof ursprünglich gerade auf diesen Sonntag festgesetzt hatte – die von Irrtümern vollen Bücher Wyclifs nicht abgeliefert hatten. Und gerade an dem Tag, an dem die Frist abgelaufen war, will er der deutschen Predigt des Dominikaners Peter von St. Clemens beigewohnt haben, der im Auftrag des Erzbischofs die Exkommunikation all derer verkündete, die Wyclifs Bücher nicht abgeliefert hatten und behaupteten, es gebe einen allgemeinen Esel 582 und einen allgemeinen Mann. Czungl wünscht dann ausdrücklich alle Exkommunizierten zu nennen, und zwar ungeachtet des Verbotes der Ratsherren. Das waren angeblich Johannes Hus, Hieronymus von Prag, Johannes von Jessenitz und Stanislaus von Znaim. Czungl erinnert sich zwar nicht mehr genau an ihre Namen, wolle aber lieber schwören, dass es sich um diese Ketzer gehandelt
581 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 22. 582 Zur Idee des Esels im Prager Universalienstreit vgl. Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 183–186.
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habe („die keczrey“), als gar keine Namen zu nennen. Auf den Prager Straßen soll man unter den Laien erzählt haben, dass Magister Hieronymus die Kirche und das Kloster angegriffen hätte, wenn in der Kirche keine Laien und Handwerker, v. a. Messerschmiede gewesen wären. Zur gleichen Zeit hörte Czungl angeblich oft und von vielen Leuten, dass Magister Hieronymus seine Exkommunikation missachtet habe und mit seinen Freunden in alle Kirchen gehe. 583 Czungls Erinnerungen sind selbstverständlich sehr wichtig für die öffentliche Stimmung in der Prager Altstadt, v. a. unter den deutschen Handwerkern, die den Reformern nicht gewogen waren. Dies belegt übrigens auch ein Konstanzer Zeugnis, nach dem Hieronymus im August 1411 einen Altstädter Messerschmied wegen Aufwiegelung einkerkern und danach am Pranger mit Steinen und Kürbissen zuschütten ließ. Er hätte sich abschätzig über die Lehre von Johannes Hus und John Wyclif geäußert. 584 Auch die Datierung dieses Konstanzer Zeugnisses ist problematisch. Denn der Altstädter, mehrheitlich aus Tschechen bestehende Rat kam, wie noch gezeigt wird, bereits 1408 an die Macht. Aus diesem Grund könnte man das von Czungl erwähnte Verbot der Ratsherren, bei der Exkommunikation konkrete Personen zu nennen, noch auf das Jahr 1408 beziehen, genauer auf den Juni bzw. auf den Zeitraum vor dem 4. Juli. Einige Zeugen verbinden die Exkommunikation also lediglich mit dem Bekennen von Wyclifs Ansichten, andere – und das sind nicht wenige – sprechen im gleichen Atemzug auch über den Besitz von Wyclifs Büchern bzw. über die Verweigerung ihrer Ablieferung. Einige Zeugen reden von einer allgemeinen Exkommunikation, andere wiederum von einer Exkommunikation, welche die betroffenen Personen namentlich nennt. Bei der Datierung gehen ihre Meinungen so weit auseinander, dass man aus ihnen nichts Konkretes schließen kann. Denn diejenigen, die ein relativ genaues Datum angeben, sind nicht imstande, das Datum des Quodlibets von Matthias von Knín zu bestimmen. Obwohl die Frage der Exkommunikation und v. a. ihrer Ursachen, also die Vertretung der Ansichten Wyclifs oder der Besitz bzw. die Nichtablieferung seiner Schriften, zweitrangig zu sein scheint, birgt sie ein Dilemma, das für die Beurteilung des erzbischöflichen Vorgehens im Jahre 1408 und für die Stellung des einflussreichen Teiles der böhmischen Magister im langen Konflikt um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes in der ersten Hälfte des Jahres 1409 Bedeutung hat. Waren Johannes Hus, Hieronymus von Prag, Johannes von Jessenitz, Marcus von Hradetz, Stephan von Páleˇc und Stanislaus von Znaim (die beiden zuletzt genannten waren allerdings nicht in Prag, sondern auf dem Weg nach Rom bzw. im Bologneser Gefängnis) von einer erzbischöflichen Exkommunikation ex officio bzw. von einer namentlich auf ihre Person bezogenen Exkommunikation betroffen? Oder kam es erst zu ihrer Exkommunikation, nachdem der gordische Knoten am 9. Mai 1409 durchhauen war? Wäre dies der Fall, dann wäre aber ein Teil der Zeugen, nämlich die Prager Universitarier, bei der Erklärung der Exkommunikation anwesend gewe-
583 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 23. 584 Der Messerschmied soll angeblich an den Folgen der Folter gestorben sein: Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 666.
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sen. Insofern können diese Zeugen nicht mit der ersten Welle von Magistern und Studenten weggegangen sein, die sich nicht dem königlichen Eingriff in den Universitätskörper unterzuordnen gedachten. Sie wären dann noch mindestens bis zu den ersten Wochen der Universitätsferien in Prag geblieben. Diese Interpretation ist sehr verlockend, denn sie würde auf die Geschichte des Kuttenberger Dekretes ein neues Licht werfen. Wäre sie wahr, dann müsste das erzbischöfliche Mandat tatsächlich erst der Zeit der am 15. Juni 1409 abgehaltenen Synode zugeordnet werden, als die Anordnung zur Ablieferung von Wyclifs Schriften bekanntgegeben und eine Frist bis zum Fest des hl. Prokop, also bis zum 4. Juli 1409, als dem letzten möglichen Tag der Ablieferung festgelegt wurde. Die Exkommunikation hätte dann erst nach dem 4. Juli erfolgen können, und die Prager deutschen Studenten und Bakkalaurei hätten in großer Anzahl noch nach diesem Datum in Prag sein müssen, also mehr als einen Monat nach der mutmaßlichen großen, massenhaften Sezession. 585 Damit wären die problematischen Datierungen des Johannes Tesser und des Kaspar Weinstein von Ingolstadt hinfällig. Von der Forschung bisher unbemerkt, aber an dieser Stelle hinzuzufügen ist, dass kein Zeuge das genaue Datum jener Sezession der deutschen Magister und Studenten anführt, sodass die Datierung der Exkommunikation in den Zeitraum nach dem 15. Juni bzw. erst nach dem 4. Juli den Zeugenaussagen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag in keiner Weise widerspricht. Akzeptiert man diese späte Datierung der Exkommunikation, dann muss auch der Blick auf den Verlauf der Sezession teilweise geändert werden. Erinnert sei auch daran, dass gleich mehrere Zeugen von der Exkommunikation überhaupt nichts wussten. Trifft dies tatsächlich zu, ist das nicht unwichtig. Denn diese Zeugen könnten nämlich dann mit der ersten Welle der protestierenden Magister noch vor der erzbischöflichen Synode aus Prag weggegangen sein bzw. vor dem Fest des hl. Prokop und vor der anschließenden Exkommunikation. Die Exkommunikation blieb ihnen daher verborgen, von einer Teilnahme daran ganz zu schweigen. Noch komplizierter ist die Frage, wer exkommuniziert wurde. Einige Zeugen geben sofort die Namen der Exkommunizierten an, andere erst nach einem gewissen Zögern, darunter Hieronymus. Eine Ausnahme davon stellen Kaspar Weinstein von Ingolstadt und Nikolaus Czungl dar. Der Erste gibt sechs Exkommunizierte an, unter ihnen auch Stanislaus von Znaim und Stephan von Páleˇc. Der Zweite spricht von vier Personen, darunter wiederum der in Böhmen nicht anwesende Stanislaus. Die übrigen Zeugen äußern sich allgemeiner: Von Besitzern der Schriften Wyclifs oder von Vertretern der Wyclif’schen Lehre ist hier die Rede. Schließlich nehmen sie aber
585 Der Verschiebung des Datums der Exkommunikation durch die Zeugen im Inquisitionsprozess gegen Hieronymus von Prag, die auf der Hypothese des späten Weggangs der Prager Universitarier an die Wiener Universität beruht, widersprechen in keiner Weise die Daten in der Wiener Universitätsmatrikel, die für konkrete Personen Strnad (wie Anm. 277), 332–368, ermittelt hat. Alle neuen Wiener Universitarier immatrikulierten sich nämlich erst im Sommersemester, denn auch in Wien gab es vom 11. Juli bis zum 16. August Ferien. – Stoˇces, Pátrání po p˚uvodu semestru (wie Anm. 504), 66 f.
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doch an, dass unter den Exkommunizierten wegen seiner Ansichten auch Hieronymus gewesen sein muss. Es bleibt allerdings die Frage offen, warum der Erzbischof von Prag die Abwesenden namentlich exkommuniziert und dabei nur einen Teil der böhmischen Magister, wenn auch den aktivsten, einbezogen und die fünf Studenten hingegen weggelassen haben sollte, die gegen seinen Erlass Appellation eingelegt hatten. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Erzbischof (nicht namentlich) nur die Inhaber der Bücher, welche diese nicht abgeliefert hatten, und die Verkünder der Wyclif’schen Lehre, v. a. seiner Remanenzauffassung, exkommunizierte. Hypothetisch kann er auch jene Appellanten exkommuniziert haben. In der Erinnerung der Zeugen wurden jedoch die bedeutungslosen Studenten durch die führenden Köpfe der böhmischen Universitätsnation ersetzt, selbst durch die damals gar nicht in Prag anwesenden. Die Zeugenaussagen bezüglich der Exkommunikation sind aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt wichtig. Insgesamt überzeugend legen sie dar, dass im Prager Umfeld, und zwar nicht nur unter den Klerikern und Universitariern, sondern auch unter den Laien, die Frage der Exkommunikation der böhmischen Reformer einen ausgeprägten Widerhall fand. Ferner machen sie deutlich, dass der Altstädter, mehrheitlich aus tschechischen Ratsherren bestehende Rat auf eine gewisse Weise in den Prozess der Exkommunikation eingriff. Bei den Prager Studenten sollen zudem bestimmte Kirchen besonders beliebt gewesen sein. Dorthin gingen sie, um Predigten zu hören: zu den Dominikanern in St. Clemens, in die Teynkirche und in die St. Galluskirche, 586 die in den achtziger und in den neunziger Jahren ein Zentrum der universitären Reformpredigt war. Die Zeugenaussagen erwähnen aber auch die Bemühungen der Kleriker um Hieronymus, seine Exkommunikation zu verhindern oder vielmehr zu widerlegen bzw. richtigzustellen. Auch wenn man die Datierung der Exkommunikation der Wiklifiten in den Juni 1408 ablehnt, sind doch die Zeugnisse über die erste Untersuchungs- und Verfolgungswelle – sei es der vermeintlichen oder tatsächlichen Verkünder remanenter oder radikaler, von Wyclif beeinflusster und sich v. a. gegen die Prälaten wendenden Ansichten – glaubwürdig. In diesen Vorgang schaltete sich, wie man weiß, gemäß seiner Autorität der Bethlehemsprediger Hus ein. Sein Schreiben brachte nicht nur den Erzbischof, sondern auch sein Kapitel auf. 587 Allein kann Hussens Schreiben sicher nicht den Erzbischof zu seinem autoritären Vorgehen veranlasst und zu dessen erstem offenen Konflikt mit dem König geführt haben. Von der hohen Intensität dieses Konfliktes zeugt die Tatsache, dass die bedeutenden, dem Erzbischof ergebenen Mitglieder des Prager Kapitels und Konsistoriums wahrscheinlich am 13. Juli dem Erzbischof folgend nach Raudnitz geflohen waren. 588 Hypothetisch können sich dar586 Die St. Galluskirche war allerdings in den vorangegangenen Jahrzehnten ein Zentrum der deutschen Reformpredigertätigkeit, in ihr predigten Nikolaus Magni von Jauer und Johannes von Mies. 587 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 28–30 (Nr. 11). ˇ 588 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 229, folgt Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), ˇ 292 f. – Eršil, Jaroslav: Zatížení církevními dávkami v Cechách na poˇcátku 15. století [Belastung ˇ CH ˇ 10 (1962), 533– durch kirchliche Steuern in Böhmen am Anfang des 15. Jahrhunderts]. In: CS
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auf auch die späten Chronikeintragungen beziehen, nach denen der König – wie im Jahre 1411 – die Reliquien und die Kleinodien aus den Prager Kirchen nach Karlstein (tschech. Karlštejn) bringen ließ. 589 Es besteht eventuell auch ein Bezug zur Klage des Johannes Protiva von 1409, 590 Hus habe durch seine Predigt die Zuhörer angestachelt, sich in großer Anzahl an den Hof des Erzbischofs zu begeben und diesen mit Beschimpfungen zu beleidigen. Zu fragen ist, ob der Erzbischof im Juli 1408 ebenfalls das Interdikt verkündete und die Kleinodien aus dem Grab des hl. Wenzel nach Raudnitz bringen ließ. Zu fragen ist auch, ob man dem in das Jahr 1409 datierten, wiederum sehr späten Bericht des „Chronicon breve regni Bohemiae“ glauben kann, nach dem König Wenzel in die Einkünfte des Klerus eingriff, um den Erzbischof zum Nachgeben zu zwingen. 591 Meines Erachtens ist ein solcher Eingriff Wenzels aber im Jahre 1411 wahrscheinlicher. Durch den Mangel an authentischen Quellen drängt sich die Interpretation auf, der Konflikt sei erst durch einen Wutausbruch von König Wenzel IV. wegen der härteren Gangart des Erzbischofs gegen die Wiklifiten hervorgerufen worden. Mittel dieser härteren Gangart waren der synodale Erlass vom 16. Juni und wohl auch die anschließende, auf den Spruch des Kardinals Uguccione reagierende Anordnung. So bezeugt es jedenfalls die Rechnung des Propstes des Prager Kapitels über die Entsendung eines Boten zum Erzbischof bezüglich eines Kapitel-Schreibens gegen Wyclif. Wenzel IV. kann diese Vorgänge als Bestätigung übler Nachreden über ein angeblich wucherndes Wyclif’sche Ketzertum in der Prager Diözese wahrgenommen haben. Die Haltung des Königs beeinflusste möglicherweise auch das Eintreffen
555, hier 553: „Anno domini MoCCCCVIIIo in festo Margarethe, quando fugimus in Rudnycz, recepit idem dominus Wenceslaus Portulanus de cista 30 sex. minus gr. in diminucionem debiti ut supra.“ 589 Horˇciˇcka, Adalbert: Eine Handschrift des Klosters Ostrow aus dem Jahre 1403. In: MVGDB 37 (1898), 308–324, hier 323: „[deinde] in die sancti Johannis inferuentis olei venit ad castrum dominus rex et, intrans ecclesiam Pragensem, ad sacristiam fecit portare omnes reliquias et alia clenodia ad currus, quos secum duxerat, quas mandavit sequente die videlicet feria V ante festum Stanislai ducere in Karlsteyn, timens, ne in illa dissensione archiepiscopus et canonici ad alia loca ducerent, sicut fecerant anno domini MoCCCCIX in festo Margarethe, ubi eciam in ecclesia Pragensi propter ablaciones porcionum nec dyaconus nec subdyaconus ministrabat ad altare. Item feria sexta post festum Viti, que evenit in octava corporis Christi posuit interdictum dominus archiepiscopus in civitate Pragensi et infra duo miliaria, contra quem omnes abbates fecerunt appellacionem et divina peregerunt.“ – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 372, datiert diese Ereignisse meines Erachtens fehlerhaft in das Jahr 1409, da er die Eintragung in der Rechnung des Johannes von Maleschitz nicht kennt, die sich aber eindeutig auf das Jahr 1408 bezieht. – Eršil, Zatížení církevními dávkami (wie Anm. 588), 553. 590 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 168. 591 Horˇciˇcka, Adalbert: Chronicon breve Bohemiae ab anno 1402 usque ad annum 1411. In: MVGDB 37 (1898), 454–467, hier 464. Die Datierung der Eintragung ist an sich sehr vage, denn die Sezession der deutschen Magister und Studenten bezieht diese Chronik auf das Jahr 1407. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Eintragung über Wenzels Vorgehen gegen die Kleriker erst auf das Jahr 1411 bezieht. Václav Novotný datiert allerdings alles in das Jahr 1409 und spricht von einer Belegung mit dem Interdikt. Die Interdikteintragung bezieht sich jedoch eindeutig erst auf das Jahr 1411. – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 370.
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einer französischen Gesandtschaft – gerade während der ersten Junitage – in Prag mit dem Diplomaten und Magister des Navarra-Kollegs Jakob von Nouvion an der Spitze. 592 Diese informierte über die Erklärung der „gallikanischen“ Freiheiten der französischen Kirche sowie über die Obödienzaufkündigung gegenüber dem Avignonesischen Papst Benedikt XIII. und über die Neutralitätserklärung Frankreichs. Jakob sollte Wenzel IV. zu ähnlichen Schritten bewegen, also zur Verweigerung des Gehorsams gegenüber dem römischen Papst Gregor XII. und zur Neutralitätserklärung. Wie die Verhandlungen verliefen, ist leider nicht bekannt. Der einzige glaubwürdige Beleg spricht von einer Einladung Jakobs in die Universität, sicher durch die böhmischen Magister, zu einem festlichen Mittagessen. 593 In seinem Verlauf, wie es bei solchen informellen Zusammenkünften der Fall zu sein pflegt, kam es zu einer hitzigen Debatte über die Rechtmäßigkeit jeglichen kirchlichen Vermögens. In ihrer Wyclif’schen Diktion quälte sie aber mehr die böhmischen Magister als den Pariser Diplomaten. Als ein geborener Intellektueller verfasste Jakob den gelehrten Traktat „Utrum licet clericis bona possidere“. 594 Darin polemisiert er gegen die ihm dargelegten Ansichten, v. a. des Jakobellus von Mies, ohne jedoch seinen Opponenten allzu scharf anzugreifen. Dies sollte aber in den nächsten Jahren im Prager Umfeld leider zu einer unheilvollen Gewohnheit werden. Die französische Gesandtschaft wusste höchstwahrscheinlich noch nichts von den rebellischen römischen Kardinälen, die von Gregor XII. abgefallen waren. Zu diesem Abfall kam es nämlich erst am 24. Mai, und Wenzel IV. erhielt die Information darüber erst irgendwann in der zweiten Junihälfte 1408. Sein Kaplan und Beichtvater Nikolaus, Titularbischof von Nezero, überbrachte sie ihm. Seine Antwort, so scheint es, zögerte Wenzel IV. heraus. Er verhandelte gleichzeitig mit der französischen Gesandtschaft und mit dem Erzbischof bzw. mit seinen Kurialen. Sehr bald sollte sich allerdings herausstellen, dass der Erzbischof nicht bereit war, den aus seiner Sicht meineidigen Kardinälen zu folgen, und konsequent auf der Seite des ordnungsgemäß gewählten römischen Papstes stand. Schließlich zwang jedoch der König durch Drohungen 595 Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg, zumindest teilweise seinen Standpunkt zu ändern. Dass ein Teil der Kurialen mit dem mächtigen und einflussreichen Generalvikar Johannes Kbel nach Raudnitz geflohen war, spricht allerdings mehr für den Ausbruch einer regelrechten Panik im erzbischöflichen Palast, vergleichbar mit der Situation nach der Verhaftung des Johannes von Pomuk und des Niˇ kolaus Puchník von Cernice 15 Jahre zuvor. Ergebnis der Druckausübung des Königs war die erzbischöfliche, in der Fachliteratur mit der Einberufung der außerordentlichen Synode verbundene Erklärung vom 17. Juli. Welche Form die kirchliche Versammlung hatte, ist unwesentlich. Bedeutend ist hingegen der Inhalt der erzbischöf592 Dazu vgl. einschließlich der neuen Datierung der französischen Mission nach Prag Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 24. 593 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 244, Anm. 1. 594 Jacobi de Noviano. Mgri Parisiensis, Disputatio cum Hussitis. Hg. v. Jan Sedlák. Brunae 1914. 595 Zum Vorgehen Wenzels IV. vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 250; Bartoš, ˇ Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 290–294.
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lichen Erklärung. Ihr zufolge hat nämlich die Inquisitionsuntersuchung in der ganzen Prager Diözese keinen Irrgläubigen oder Häretiker ermittelt. 596 Es existiert zwar kein direkter Beleg über die Abhaltung dieser außerordentlichen Synode, auf ihren Erlass spielt jedoch Hus in seinen späteren Briefen zweimal an. 597 Gemeinsam mit ihm beriefen sich auch die Gesandten Wenzels IV. nach Pisa auf einen analogen Beschluss. 598 Und da es fortan an Belegen für eine Fortsetzung der erzbischöflichen Untersuchungsverfahren fehlt (vollständig gilt das für Nikolaus, genannt Abraham, und Sigismund von Jistebnitz, deren Untersuchung eingestellt wurde), scheint es, dass der Erzbischof zumindest zeitweilig den erzwungenen Waffenstillstand respektierte. Zwei Tage nach dem entgegenkommenden Schritt des Erzbischofs traf Wenzel IV. eine der wichtigsten politischen Entscheidungen seines Lebens. Freilich ließ er sich dabei eine Hintertür offen. Am 19. Juli 1408 lobte er nämlich in einem Schreiben die besagten Kardinäle für ihre Bemühungen um die kirchliche Einheit. Diese habe angeblich auch ihm immer am Herzen gelegen. Dann versprach er, zu ihnen eine ruhmreiche Gesandtschaft entsenden und – etwas hochtrabend – den polnischen König Władysław II. Jagiełło für die Durchsetzung der kirchlichen Einheit gewinnen zu wollen. Mit dem König von Polen verbanden ihn damals zwar bundesgenössische, jedoch keine freundschaftlichen Beziehungen. Wie aus dem Ende des Schreibens hervorgeht, knüpfte Wenzel IV. sein Entgegenkommen an die Wiedergutmachung der Schmach, die seine Person und sein Geschlecht durch die Absetzung vom römischen Thron erlitten hätten. 599 Von Gregor XII. sagte er sich einstweilen noch nicht vollständig los. Neutral verhielt er sich aber auch nicht. Das ist für den Moment wohl als ein Zugeständnis an den Erzbischof von Prag zu werten, mit dem Wenzel IV. und sein Rat vorläufig nicht ganz brechen wollten. Auch diese vorsichtige, durch näher nicht bekannte Absprachen mit dem Erzbischof bedingte Haltung des Königs vermochte nicht zu verhindern, dass man in Prag offen über die Neutralität zu diskutieren begann und dass Hussens Gegner vor Ort neue Wege zur Schwächung der Reformpartei suchten. Dabei zielten sie v. a. auf den Prediger der Bethlehemskapelle. Die alten Anführer, Stanislaus von Znaim und Stephan von Páleˇc, hatten nämlich zwischen September und Oktober Prag verlassen. Es scheint, dass Stanislaus keinen Augenblick darüber nachdachte, sich der kirchlichen Autorität und der persönlichen Zitation des Kardinals Uguccione zu entziehen. Zu seiner Verteidigung hatte er eine neue, kürzere Fassung des Traktates über
596 Dazu zuletzt Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 19 f. 597 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 38 (Nr. 12), 63 (Nr. 17). 598 Deutsche Reichstagsakten unter König Ruprecht VI. Bd. 3: 1406–1410. Hg. v. Julius Weizsäcker. Gotha 1888, 577 (Nr. 311). 599 Wenzels Antwort in ebd., 574 f. (Nr. 310). – Bei dieser Gelegenheit kann auch die undatierte Gedenkschrift entstanden sein, die Wenzels Boten den Kardinälen übergaben und in welcher der König in diplomatischer Sprache zu erkennen gab, dass es ihm in erster Linie um die Vereinigung der Kirche und nicht um die eigene Person gehe, obwohl seine Prioritäten bekanntermaßen genau im Gegensatz dazu standen: Ebd., 575 f. (Nr. 311).
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die Universalien vorbereitet. Sie sollte ihn vor einer möglichen Verurteilung schützen. Warum sich allerdings mit ihm auch Stephan von Páleˇc auf die lange Reise mit einem ungewissen Ausgang begeben hat, ist nicht ganz klar. Auf Stephan, der zu den Grundpfeilern der Theologischen Fakultät gehörte, bezog sich die Vorladung auf keinen Fall. Möglicherweise hatte er aus eigenem Antrieb beschlossen, seinen Freund zu unterstützen, möglicherweise war er auch mit einer geheimen diplomatischen Mission im Dienst des Königs beauftragt worden, 600 und zwar sowohl in Bezug auf die rebellischen Kardinäle als auch in Bezug auf den Papst. Jedenfalls hatten die beiden Prager Magister vom böhmischen König Empfehlungsschreiben erhalten, 601 die für sie vorübergehend schicksalhaft wurden. Nachdem sie nämlich in Bologna angekommen waren, kerkerte sie Kardinal Balthasar Cossa ein. Er stand zu jenem Zeitpunkt bereits auf der Seite der Pisaner Kardinäle. Durch die Gefangennahme wollte er die Kontaktaufnahme des böhmischen Königs mit dem römischen, den Kardinälen feindlich gegenüber stehenden Papst unmöglich machen. Wann es genau zu dieser Einkerkerung kam, weiß man nicht. Jedenfalls traf die Nachricht darüber am 5. Dezember in Prag ein, also in dem Augenblick, als Wenzel IV. den Kardinälen bereits viel näher stand als dem Papst. Die Kardinäle blieben nämlich bei ihrer Rebellion gegen den römischen Papst nicht auf halbem Wege stehen und entschlossen sich, für den 25. März ein Konzil nach Pisa einzuberufen. Dieser Schritt der Kardinäle sollte für die künftige Geschichte der Kirche von so grundsätzlicher Bedeutung sein, dass sie sich sogar zur Vordatierung ihrer Einberufungsschreiben entschlossen, 602 um auf symbolischer Ebene der Einberufung des Konzils durch Gregor XII. nach dem norditalienischen Cividale am 2. Juli 1408 zuvorzukommen. Aus diesem Grund enthalten die Schreiben der Kardinäle, in Wirklichkeit vom 14.–18. Juli, das Datum des 24. Juni. Nach Prag überbrachte die Einladung der Kardinäle das Kurienmitglied Hieronymus Seidenberg, zu dessen Ehrung das Prager Kapitel, wie die Rechnungen zeigen, am 12. Oktober ein Festmahl veranstaltete. 603 Wenzel IV., zum gegebenen Zeitpunkt unterwegs in der Lausitz und in Schlesien, wartete wohl zunächst etwas ab. Denn er war sich bewusst, dass ihn eine auffällige Kursänderung in einen neuen Konflikt mit dem Erzbischof bringen könnte. Deshalb blieb er lieber nach außen neutral, was er sich im Unterschied zu den Reformern auch leicht leisten konnte. Erneut, wie in diesem Buch schon mehrmals, soll es nun um die mit der Datierung der erzbischöflichen Eingriffe gegen die einheimischen Kleriker verbundenen Fragen gehen. Auf den ersten Blick ist es unwesentlich, ob der Erzbischof direkt auf
600 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 231, 337. 601 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 286–289. – Die Empfehlungsschreiben in zwei Textversionen sind herausgegeben in Deutsche Reichstagsakten (wie Anm. 598), 580 (Nr. 313), 581 (Nr. 314). 602 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 290. 603 Ebd., 291.
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die ersten gegen Hus erhobenen Klagen reagiert hat. 604 In ihnen wird der Prediger der Bethlehemskapelle beschuldigt, gegen Kleriker zu predigen und diejenigen als Ketzer anzuprangern, die – besonders von den Armen – für das Spenden der Sakramente Geld verlangen, egal ob vor oder nach der Ausübung der sakramentalen Zeremonien. Ferner wird Hus vorgeworfen, den Kanoniker Peter von Wscherau als Mehrfachpfründner bezeichnet und schließlich vor dem Erzbischof den Wunsch geäußert zu haben, seine Seele möge dort sein, wo die Seele Wyclifs ist. Die Worte zu Wyclifs Heiligkeit wird man in den nächsten Jahren abwechselnd Hus oder Hieronymus von Prag in den Mund legen. Sie selbst werden bis zu ihrer Verurteilung auf dem Konstanzer Konzil die verschiedensten Auslegungen unterbreiten. 605 Die beanstandeten Äußerungen brachte Hus angeblich bei seiner Predigt am 17. Juli 1407 in der Bethlehemskapelle vor. Gegen Kleriker soll er abermals nach dem Fest des hl. Veit gepredigt haben, also nach dem 15. Juni 1408, obwohl es die Synode untersagt habe. Damit spielen die Prager Pfarrer, welche die genannten Vorwürfe gegen Hus erhoben, auf den bekannten synodalen Erlass vom 16. Juni 1408 an. Außerdem behaupten sie ganz allgemein, in der Prager Diözese sei bis heute die Remanenzauffassung lebendig und dies alles zusammen habe bei der römischen Kurie und auch außerhalb zum schlechten Ruf der böhmischen Nation als ein Haufen von Irrgläubigen und Wiklifiten geführt. 606 Novotný datiert diese Vorwürfe in die Zeit nach dem 25. August 1408, aber nicht aufgrund der Daten im Schreiben, sondern aufgrund der bereits bekannten Rechnung des Propstes zur Reise des Wenzel Knobloch zum Erzbischof. 607 Im Unterschied zu František Graus datiert er diese jedoch „in die translationis s. Adalberti“, also auf den 25. August bzw. in die Zeit danach. Der Hinweis auf die Synode und der Hinweis auf Hussens Predigt nach dem Fest des hl. Veit ermöglichen aber meines Erachtens eine Datierung der Klagen in die Zeit kurz nach der synodalen Bestimmung, also in die zweite Junihälfte, und nicht erst in den August des gleichen Jahres. Übrigens ist František Michálek Bartoš zu Recht diesen Weg gegangen, wenn auch nicht ganz eindeutig. 608 Wann Hus auf diese Beschuldigungen reagiert hat, ist aus seiner Antwort nicht klar zu entnehmen. 609 Das einzige Indiz ist seine Reaktion auf den erzbischöflichen Erlass vom 17. Juli, nach dem es in der Prager Diözese angeblich keine Irrgläubigen gebe und somit auch keine Bekenner remanenter Ansichten. Insofern hätten die Kläger überhaupt kein Recht, irgendetwas über die angebliche 604 Die ersten Klageartikel sind herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 153–155. 605 Dazu umfassend Nodl, Pamˇet’ a intelektuál (wie Anm. 2), 381 f. 606 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 343–345 (Nr. 166); Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 153–155. 607 Archiv der Prager Burg, Bestand des Archivs des Metropolitankapitels am St. Veitsdom, cod. 27/2, f. 23 v: „Item pro expensis domini prepositi Misnensis eunti Rudnicz ad archiepiscopum cum articulis contra Wiklefistas 36 gr.“ ˇ 608 Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 290. 609 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 30–41 (Nr. 12). Václav Novotný datiert Hussens Antwort auf die Klageartikel in den Juli bis August des Jahres 1409. Diese Antworten sind herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 155 f.
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Vertretung der Remanenz zu behaupten. Jedenfalls sind keine weiteren Vorwürfe gegen Hus im Jahre 1408 zu verzeichnen, sodass sich der Erzbischof wohl mit Hussens Antwort zufrieden gab. Wenn die Klage gegen Hus Ende Juni oder Anfang Juli erhoben worden ist, dann würde das Vorgehen des Erzbischofs übrigens mit seinem, auf Druck des Königs geschlossenen Kompromiss übereinstimmen, und Hussens Antwort wäre de facto gegenstandslos geworden. Ebenfalls unklar ist die zeitliche Einordnung des angeblich an den Türen der Prager Kirchen angeschlagenen erzbischöflichen Erlasses gegen Prager Magister wie Hus, die sich den Kardinälen zugewandt hätten und vom Gehorsam gegenüber Papst Gregor XII. abgefallen seien. Mittels des Erlasses soll ihnen der Erzbischof jegliche priesterliche Handlungen verboten haben. Den Wortlaut des Erlasses kennt man allerdings nur aus zwei späteren Anspielungen in Hussens Briefwerk. Die erste findet sich in seinem Brief an das Kardinalskollegium vom September 1411. Er stellt Hussens Reaktion auf die persönliche Zitation nach Rom dar wegen des durch Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg gegen ihn eingeleiteten Prozesses. In dem an den Brief vom 1. September 1411 anknüpfenden und an Papst Johannes XXIII. adressierten Schreiben sagt Hus, dass er in der Zeit des Abfalls von Papst Gregor XII. in seinen Predigten den Fürsten, Adligen, Herren, der Priesterschaft und dem Volk riet, sich im Interesse der Einheit dem Kardinalskollegium zuzuwenden. Für diese Predigt habe ihn dann der Erzbischof angeblich bestraft, und zwar gemeinsam mit allen Magistern der Prager Hohen Schule, welche die Partei des heiligen Kardinalskollegiums ergriffen hatten. Der Erzbischof untersagte ihnen, wie schon erwähnt, wegen der Verweigerung des Gehorsams gegenüber Papst Gregor XII. und gegenüber dem Apostolischen Stuhl dann künftig die Ausübung aller priesterlichen Handlungen. Ein Anschlag an den Kirchentüren machte dieses erzbischöfliche Mandat schließlich öffentlich. 610 Hus verfolgt mit seinem Schreiben freilich bestimmte Ziele. 611 Er versucht die Kardinäle davon zu überzeugen, dass er bereits sehr früh einer ihrer Anhänger war und deshalb den Erzbischof gegen sich aufbrachte. Seine Zuwendung zum Kardinalskollegium und sein Abfall von Papst Gregor XII. seien gleichsam der Ursprung aller Verleumdungen seiner Person und seiner Schwierigkeiten mit kirchlichen Autoritäten. Durch diese Darlegung wollte Hus zweifellos die Kardinäle im Rahmen des laufenden Gerichtsstreites für seine Sache gewinnen. Sein an den Erzbischof von Prag im Laufe des Jahres 1408 adressiertes Schreiben spricht hingegen eine ganz andere Sprache. Hus spielt hier zum zweiten Mal auf die erzbischöfliche Verordnung an, die angeblich auf Latein und in der Volkssprache, also auf Tschechisch und möglicherweise auch auf Deutsch erlassen wurde. Darin sei Hus als ein ungehorsamer Sohn der Kirche bezeichnet und ihm fortan verboten worden, das heilige Evangelium zu predigen. Dies geschah laut Hus aufgrund wiederholter übler Nachrede. Damit spielt er wohl auf die Klagen an, die weiter oben schon besprochen
610 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 101 f. (Nr. 32). 611 Auf die Zweckgebundenheit von Hussens Darlegung verweist bereits Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 22.
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wurden, auch wenn in ihnen expressis verbis nicht von Neutralität die Rede ist. Eventuell bezieht er sich aber auch auf andere Klagen. Am Ende des Schreibens spricht Hus dann ausschließlich von dem Verbot, das Predigeramt auszuüben, und nicht von dem Verbot, gottesdienstliche Handlungen vorzunehmen. Dies hatte er noch in seinem Schreiben an die Kardinäle getan, was aber nur ein Ausdruck der Betonung des einen oder anderen Amtes sein kann. Viel wichtiger ist, dass Hus in seinem Gesuch an den Erzbischof zur Aufhebung des Erlasses behauptet, dem Erzbischof eine schriftliche Bestätigung seines Gehorsams gegenüber Papst Gregor XII. – den er in seiner Predigt vom letzten Sonntag angeblich auch öffentlich machte – geschickt zu haben. Gleichzeitig äußert er, dass er in Bezug auf den Streit zwischen Papst Gregor XII. und Papst Benedikt XIII. die Neutralität vertritt. Das betrifft auch Gregors Schwur nach seiner Wahl, dann zurückzutreten, wenn auch der Avignonesische Gegenpapst auf sein Amt verzichtet. 612 Hus widerspricht sich also in seinen Aussagen grundsätzlich. Dieser Widerspruch kann aber bis zu einem gewissen Grad mit der Datierung seiner Neutralitätserklärung begründet werden, die er im Schreiben an den Erzbischof so anschaulich darstellt, auch wenn die erwähnte schriftliche Bestätigung seines Verbleibs auf der Seite Gregors XII. mehr von einem durch den Druck des Erzbischofs bedingten Lavieren zeugt. Hus bringt in seinem Schreiben an die Kardinäle – und das ist viel bedeutender – vor, das erzbischöfliche Verbot der Ausübung priesterlicher Handlungen habe alle Universitätsmagister betroffen („omnibus magistris universitatis studii Pragensis“), die sich dem Kardinalskollegium zugewandt hatten, und sei daher in erster Linie gegen die Universität gerichtet gewesen. Folgt man seiner Darlegung, dann kann es zu diesem Verbot erst während der Verhandlungen über das Bekenntnis zum Kardinalskollegium und über die Beschickung des Pisaner Konzils im Januar 1409 gekommen sein. Folgt man jedoch der Hypothese, dass Hus die Magister nur zur Verfolgung bestimmter Ziele zum Gegenstand der erzbischöflichen Verordnung gemacht hat, wie auch sein ganzer Brief an die Kardinäle zweckgebunden ist, dann wird jene auf die Verhandlungen an der Universität bezogene Datierung hinfällig. Die Verordnung des Erzbischofs von Prag wäre dann in das Jahr 1408 zu datieren. Übrigens erwähnt Hus in seinem Schreiben an den Erzbischof die Universitätsmagister gar nicht und betont im Gegenteil sein Bekenntnis zu Papst Gregor XII. So drängt sich die Möglichkeit auf, jenes erzbischöfliche Vorgehen gegen die Prager Magister, welche sich zwar zur Neutralität bekannten, de facto aber zum Abfall vom Papst aufforderten, zeitlich den Juliereignissen zuzuordnen, von denen nur bloße Bruchstücke bekannt sind. Die Wende wurde, wie man weiß, durch das erzbischöfliche Mandat vom 17. Juli und durch das nachfolgende Schreiben Wenzels an das Kardinalskollegium vom 19. Juli eingeleitet. Wenzels Zusage der Entsendung einer Gesandtschaft stellt dabei einen ersten Schritt zur Neutralität dar, die Hus und seine treuen Anhänger unterstützen konnten. Jenes an die Kirchentüren angeschlagene Mandat spiegelt dann die angespannte Lage wider, die in Prag um den 13. Juli herrschte und von der eine flüchtige Notiz in der Rechnung des Kanonikers Johannes
612 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 42–44 (Nr. 13).
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von Maleschitz zeugt. Sie belegt, wenn auch nicht ganz widerspruchsfrei, die Flucht des Erzbischofs und seiner Kurialen nach Raudnitz. Eine weitere Datierungsmöglichkeit drängt sich an dieser Stelle auf. Sie ist ebenfalls nicht ganz unproblematisch. Das erzbischöfliche Vorgehen gegen die Wiklifiten und die Bekenner der Neutralität wäre demnach in den August 1408 zu datieren. Das Entgegenkommen des Erzbischofs auf der kirchlichen Versammlung vom 17. Juli (das darin bestand, Irrgläubige in der Prager Diözese als nicht vorhanden zu erklären) wäre dann erwiesenermaßen durch die (wenn auch vorläufig nicht ganz eindeutige) Zustimmung des Königs zum antipäpstlichen Kriegszug der römischen Kardinäle überdeckt worden. Der Erzbischof hätte dann irgendwann im August einen neuen Kriegszug gegen die Wiklifiten eingeleitet, worauf die Notiz zur Reise des Meißener Propstes und des Prager Kanonikers Wenzel Knobloch – dem Erzbischof folgend – nach Raudnitz anspielt. Diese Notiz kann man wirklich erst in die Zeit nach dem 25. August datieren, wie es das Manuskript der Rechnungen des Propstes des Prager Kapitels belegt. Die gegen die Vertreter der Neutralität gerichteten Verordnungen – wie Hus, gegen den man schon früher beim Erzbischof Klageartikel eingereicht hatte, oder Prager Magister – können diese Hypothese gleichermaßen bestätigen. Auf diese Ereignisse könnte man dann auch die sonst nicht näher bekannte „Leipziger Chronik“ beziehen. Ihr zufolge waren am 5. August 1408 in Prag Flugblätter aufgetaucht, die den Erzbischof, die Prager Kanoniker und sogar auch einige böhmische Magister diffamierten. 613 Ob diese Flugblätter auch die Frage der Neutralität und der Einstellung gegenüber Papst Gregor XII. berührten, ist schwer zu entscheiden, genauso ob die Datierung dieser isolierten Eintragung richtig ist. Die weiteren Eintragungen der Chronik in Bezug auf die Universität sind jedoch zutreffend, also in Bezug auf die Universitätsversammlung, in der Rektor Henning von Baltenhagen das Kuttenberger Dekret veröffentlichte, und in Bezug auf die gewaltsame Übernahme des Rektorats und des Dekanats am 9. Mai. Insofern kann man wohl auch der Eintragung zu den Flugblättern Glauben schenken und sie mit dem sonst vom Nebel eingehüllten Konflikt zwischen dem Erzbischof und den Magistern verknüpfen, die sich zur Neutralität bekannten und sich mit dem erzbischöflichen Verbot, Predigten zu halten und priesterliche Handlungen vorzunehmen, nicht abfinden wollten. Wann genau und in welchen Zusammenhängen es zu diesen Ereignissen gekommen war, ist – wie ich zu zeigen versucht habe – unsicher. Das trifft auch auf das bei Papst Gregor XII. eingereichte Gesuch des Erzbischofs von Prag zu, über das die „Chronik der Prager Universität“ informiert. Darin heißt es, die höchste kirchliche Autorität möge das erzbischöfliche Vorgehen gegen die Wiklifiten genehmigen. Hier wird auch jene Anordnung bezüglich der Bücherablieferung erwähnt. 614 Die Frage nach deren Glaubwürdigkeit aber würde wieder fast an den Anfang meiner Betrachtungen zurückführen, die auch so schon voll von Unklarheiten und Hypothesen sind. 613 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 7, 6. 614 Ebd., Bd. 5, 570: „Item eodem anno [d. h. 1408] Gregorio XII pontificatum papalem regente Sbinko archiepiscopus transmisit processus contra Wiclefistas ad curiam cum informacionibus, utinam veris, supplicans, ut processus eius de reposicione librorum Wicleff et combustione confirmaretur.“
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Das Kuttenberger Dekret
Stille Tage im Carolinum Als am 8. Oktober 1408 Albert Varentrape zum Dekan der Artistenfakultät und zu den Aufsehern über die Einhaltung der Fakultätsstatuten für die böhmische Nation Brikzius von Saaz, für die polnische Nation Magister Alexius, für die sächsische Nation Burchard von Balingen und für die bayerische Nation Heinrich Bernhagen gewählt wurden, deutete noch nichts an, dass dies die letzten nach den alten Gewohnheiten gewählten Würdenträger der Artistenfakultät sein werden. Das gilt auch für die beiden Kollektoren Helmold von Salzwedel und Gregor Leonis von Prag sowie für die vier Verwalter Nikolaus Prowin, Heinrich Bernhagen, Johannes Kro und Konrad Domini. Noch vor dem Jahresende wurden dann vier Examinatoren gewählt: Peter von Politz, der Lizenziat der Medizin Albertus Ditmari de Bremis, wiederum Magister Alexius und Georg Meller von Regensburg. Zu den Prüfungen, die einen Tag vor dem Fest der Geburt des Herrn stattfinden sollten, hatten sich 38 Personen angemeldet, von denen dann 30 tatsächlich zur Prüfung zugelassen wurden. Am selben Tag, an dem die Prüfer bestellt wurden, wählte man auch zwei Assessoren: Heinrich Grunt und Burchard von Balingen. 615 Keiner der 30 Prüflinge mit Ausnahme des Georg von Knönitz und des Brikzius von Buda ist in den folgenden Jahren in die Universitätsgeschichte eingegangen und kaum einer von ihnen gehörte zu den künftigen hussitischen Revolutionären. Im Oktober deutete also nichts im mindesten darauf hin, dass binnen zwei Monaten die ganze Universitätsverwaltung auseinander gefegt werden sollte und dass die meisten der gewählten Würdenträger und der zu den Bakkalaureatsprüfungen zugelassenen Studenten binnen einem halben Jahr Prag verlassen und eine Stellung an irgendeiner der bestehenden mitteleuropäischen Universitäten oder an der neu gegründeten Leipziger Universität finden sollten. Trotz der Attacken des Erzbischofs von Prag auf die Neutralitätsanhänger und nach dem Ende der Untersuchungen gegen vermutliche oder tatsächliche Bekenner der Remanenz, welche die Universität nur in einem sehr beschränkten Maße getroffen hatten, herrschte Friede an der Prager Alma Mater. In aller Ruhe übten, disputierten und trugen die Magister vor. Nur ab und zu störte eine studentische Revolte ihre beschaulichen Kreise wie z. B. am Tag der Geburt des Herrn 1408, als Magister Zdenko am Eingang der St. Galluskirche irgendeinem Studenten eine Ohrfeige verpasste. Dieser Student verletzte anschließend den Diener des Magisters namens Košata an der linken Kopfseite. Der benommene Diener vermochte zwar noch bis zur St. Jakobskirche zu gehen, fiel dort aber dann zu Boden. Ein halbes Jahr lang konnte er nicht sprechen, und seine rechte Körperhälfte war gelähmt. 616 Unter den Magistern der böhmischen Universitätsnation herrschte eine Vielzahl von Ansichten. Die einen blieben Papst Gregor XII. treu, die anderen neigten zur Neutralität. Die einen waren eifrige Anhänger des „Doctor evangelicus“ Wyclif, die
615 MUPr I /1, 401 f. 616 Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 9.
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anderen suchten einen Mittelweg zwischen der extremen realistischen Auslegung der Universalien und dem Buridanischen Nominalismus. Die einen strotzten vor Reformbestrebungen, die gegen den habsüchtigen und weltlich lebenden Klerus gerichtet waren, andere genossen hingegen in aller Ruhe ihre Benefizien und standen den Kapitelprälaten nahe. Die Information über die gegen Stanislaus von Znaim erhobene Klage brachte zwar einige von ihnen wohl zu der Frage, ob die philosophischen Spekulationen nicht doch das erträgliche Maß überschritten und ob sie nicht die immer häufigere Verketzerung der böhmischen Kleriker verursacht hatten, denn zu den Irrgläubigen, wenn auch nur vermutlichen, wollten sie selbst nicht gehören. Doch wenn sie sich umschauten und auf dem Universitätscampus nahe dem Carolinum spazieren gingen, wenn sie sahen, wie die Universität seit dem Beginn ihres Studiums gewachsen war, dann müssen sie bis zu einem gewissen Maße Befriedigung empfunden haben. Die Anzahl der Magister böhmischer Herkunft stieg allmählich an und noch viel schneller wuchs die Anzahl der Magister-Regenten, die im Rahmen der Artistenfakultät die größte Macht hatten. Gerade sie konnten über das Fakultätsleben mitentscheiden und sich leichter um die Kollegiatspfründen bewerben, bei denen der Anteil der Böhmen den Anteil der Magister der drei auswärtigen Universitätsnationen weit überstieg. Dabei spielten ihnen teilweise die Immatrikulationszahlen der Prager Alma Mater in die Hände, wie sie nach den Bakkalaureats- und Doktoratspromotionen rekonstruiert wurden. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts kam es nämlich im Vergleich zum letzten Jahrzehnt des vorangegangenen Jahrhunderts zu keiner ausgeprägteren Änderung der Anzahl der graduierten Studenten aus den Reihen der böhmischen Nation: 189 gegenüber 202. 617 Diese geringfügige Senkung spielte keine Rolle und hatte auch keinen Einfluss auf die Vertretung der graduierten Studenten im Rahmen der ganzen Universitätsgemeinde. Ihr Anteil war nämlich gleich geblieben und überstieg nur unwesentlich 21 Prozent. Das ist durch die generelle Stabilität der Immatrikulationszahlen in den beiden zu vergleichenden Jahrzehnten bedingt. Daran änderte nicht einmal die Entstehung neuer Universitäten wie in Erfurt oder in Krakau etwas. Beim vergleichenden Blick auf diese beiden Dezennien sieht man allerdings, dass sich die regionale Zusammensetzung der graduierten Studentenschaft verändert hat. Die Abnahme der Studenten aus den Reihen der bayerischen Universitätsnation setzte sich fort, und zwar ungeachtet der damaligen Stagnation der Heidelberger Universität. 618 Diese Abnahme wurde jedoch durch einen deutlichen Anstieg graduierter Studenten polnischer Nation ausgeglichen, der sogar das bisherige Maximum der 1380er Jahre überstieg. Ebenfalls ausgleichend wirkte sich der Zuwachs der sächsischen Nation aus, der zwar hinter dem Gipfel von vor 20 Jahren blieb, aber im Vergleich zum letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts ungefähr 80 Prozent betrug. 619 Es scheint, dass nach der ersten Welle von Interessierten und Neugierigen die neu gegründete Erfurter 617 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 63–68. 618 Ritter, Die Heidelberger Universität (wie Anm. 207), 407; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 373). 619 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 61–64.
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Das Kuttenberger Dekret
Universität nicht mehr attraktiv genug war für potenzielle Intellektuelle aus Sachsen. Sie hatte zwar einen sehr guten Hintergrund in der Form eines älteren Studium generale. 620 Als landesherrliche Universität war sie jedoch nicht imstande, die meisten der sich in Prag zur sächsischen Universitätsnation bekennenden Studenten anzuziehen. Dasselbe gilt für die Krakauer Universität, die nie zu einem besonderen Anziehungspunkt für die Universitarier aus Schlesien wurde, mit Ausnahme vielleicht der ersten aus Prag kommenden Professoren, die an der erneuerten Hohen Schule eine einträglichere Pfründe und damit materielle Unabhängigkeit zu erwerben gedachten. 621 Betrachtet man die Zahlen der böhmischen Universitätsnation, könnte es auf den ersten Blick scheinen, dass ihre großzügige Unterstützung durch Mäzene, bis zu einem gewissen Maße auch im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und v. a. in Form einiger Studentenkollegien (Kolleg der Königin Hedwig, 622 Kolleg der böhmischen Nation, Nutzung der Einkünfte der Fronleichnamskapelle; vgl. drittes Kapitel), das Bildungsinteresse der Bewohner der Städte und Dörfer des Königreiches Böhmen nicht wesentlich hob. Diese Feststellung lässt sich auch auf die juristische Universität übertragen, die hier sonst eher im Hintergrund steht, weil sie die zu den nationalen Streitigkeiten und zum Erlass des Kuttenberger Dekretes führenden Wege in keiner Weise bahnte. 623 Auch an der juristischen Hohen Schule blieb nämlich der Anteil der böhmischen Universitätsnation beim Vergleich des letzten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts und des ersten Jahrzehnts des folgenden Jahrhunderts, trotz des Rückgangs der Gesamtzahlen, mehr oder weniger gleich: 19,7 Prozent zu 20,1 Prozent. 624 Die
620 Lorenz, Studium generale Erfordense (wie Anm. 190). 621 Ozóg, ˙ Krzysztof: Udział Andrzeja Łaskarzyca w sprawach i sporach polsko-krzyz˙ ackich do soboru w Konstancji [Der Anteil von Andreas Laskarii an den Angelegenheiten und Streitigkeiten zwischen Polen und dem Deutschen Orden auf dem Konzil in Konstanz]. In: Polska i jej sasiedzi ˛ w póz˙ nym s´ redniowieczu. Hg. v. Dems. und Stanisław Szczur. Kraków 2000, 159–186; Ders., Uczeni w monarchii (wie Anm. 221), 34–67; Gasiorowski, ˛ Pierwsi studenci (wie Anm. 221), 63– 98, mit Übersicht zur älteren Literatur. 622 Zum Kolleg von Königin Hedwig, also zum Litauischen Kolleg, vgl. Svatoš, Michal: Litevská kolej pražské univerzity 1397–1622 [Das Litauische Kolleg der Prager Universität 1397–1622]. In: Praha – Vilnius. Sborník prací k 400. výroˇcí založení univerzity ve Vilniusu. Hg. v. Jan Petr und ˇ Luboš Rehᡠcek. Praha 1981, 19–32. 623 Zum Verhältnis der Juristenuniversität zum Kuttenberger Dekret vgl. Kejˇr, Dˇejiny pražské právnické fakulty (wie Anm. 78), 105–109, der behauptet, dass sich das königliche Dekret „sensu stricto“ nicht auf die Juristenuniversität bezogen habe. Dazu ist jedoch zu sagen, dass die Juristenuniversität immer abseits jeglicher Streitigkeiten gestanden hatte – auch in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts, und genauso war sie in keiner Weise am Erwerb der neuen Universitätsprivilegien am Ende des 14. Jahrhunderts beteiligt. In ihrer Beziehung zur Dreifakultätenuniversität war die Juristenuniversität passiv, und passiv trat ihr gegenüber auch der König und sein Hof auf. Da jedoch die Statuten der Juristenfakultät nicht erhalten sind, weiß man nicht, in welchem Maße im Rahmen ihrer Verwaltung die Nationalkurien zur Geltung kamen und hier über wichtige Fragen mit einer einfachen Mehrheit entschieden und abgestimmt wurde. Anderseits ist aber ganz klar, dass die Sezession auch die Juristenuniversität deutlich getroffen und dass nach 1409 die Juristenfakultät am Studenten- und Lehrermangel gelitten hatte, sodass sie stagnierte, bis ihre Tätigkeit schließlich ganz aufhörte, und zwar noch früher als diejenige der Dreifakultätenuniversität bzw. der Artistenfakultät. 624 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 17.
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Entwicklung an der juristischen Universität entsprach somit ungefähr der Entwicklung an der Artistenfakultät, und zwar auch hinsichtlich des höheren Anteils der Personen aus den Reihen der böhmischen Nation, die den Lizenziatsgrad erworben hatten: Im ersten Jahrzehnt umfassten die Angehörigen der nacio bohemorum etwa 29 Prozent aller graduierten Juristen. Für die Artistenfakultät kann man leider einen solchen Vergleich nicht durchführen. Es bietet sich aber eine andere erhellende Methode an, nämlich der Abgleich der böhmischen Mitglieder im Kollegium der aktiven Magister-Regenten, wie im Anschluss an František Kavka bereits im Kapitel „Vor dem Sturm: die goldenen neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts“ angeführt. Unter den neuen MagisterRegenten waren die Mitglieder der nacio bohemorum in den neunziger Jahren mit 26 Prozent und im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts mit 29 Prozent vertreten. 625 Dieser Anstieg spielt keine allzu große Rolle, denn er kann auch durch die beschränkten Kenntnisse von den Magister-Regentenzahlen bei vollständigem oder teilweisem Fehlen der Angaben über die Promotoren im Dekansbuch verursacht sein. Bereits Kavka bemerkt, dass ein beträchtlicher Teil der Magister-Regenten ihr Amt höchstens zwei Jahre lang aktiv ausübte. Von den Magistern, die nach dieser kurzen Frist von der Universität weggingen, waren die deutschen Magister tonangebend, denn sie bildeten mehr als 80 Prozent dieses Kollegiums. 626 Dies kann bedingt gewesen sein durch ihre beschränkten Möglichkeiten, die Kollegienpfründen an der Universität und die kirchlichen Benefizien in Prag zu erwerben, sowie durch ihre Rückkehr an ihre Herkunftsorte, an denen sie dann ihre akademische Ausbildung geltend machen konnten. 627 Übrigens graduierten sich die meisten Universitarier gerade zu diesem Zweck und nicht wegen einer Karriere als Universitätslehrer, auch wenn mit der Entwicklung der Hohen Schule in Mitteleuropa diese Einstellung immer häufiger wurde. 628 Jedenfalls bildeten die böhmischen Magister unter den Magister-Regenten, die länger als zwei Jahre in ihrem Amt wirkten, fast 40 Prozent. Tatsächlich war ihr
625 Kavka, Mistˇri-regenti (wie Anm. 56), 84. 626 Die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Jahren bei der Anzahl der neuen Magister-Regenten spiegeln meines Erachtens doch noch gewisse Begrenzungen von Kavkas Analyse wider, die nur von der Registrierung der Fakultätswürdenträger ausgeht und nicht von den Angaben über die tatsächlichen Lehrkräfte, welche die erhaltenen Universitätsquellen nicht registrieren. Problematisch sind auch die großen Unterschiede bei der Anzahl der gleichzeitig wirkenden Regenten in den einzelnen Jahren, die wiederum auf die Qualität und die Struktur der erhaltenen Quellen zurückgehen. 627 Für die Juristen aus der sächsischen Nation hat das prägnant nachgewiesen Stoˇces, Absolventi pražské právnické univerzity (wie Anm. 214), 199–234. 628 Allgemein Wriedt, Stadtrat – Bürgertum – Universität (wie Anm. 68), 499–523; Ders., Bürgertum und Studium (wie Anm. 68), 487–525; Rexroth, Frank: Karriere bei Hof oder Karriere an der Universität? In: ZGO 141 (1993), 155–183; Irrgang, Stephanie: Peregrinatio academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert. Stuttgart 2002; Gramsch, Robert: Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts. Leiden-Boston 2003; Miethke, Karrierechancen (wie Anm. 214), 97–131; Schwinges, Rainer Christoph: Studenten und Gelehrte. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter. Leiden-Boston 2008, 515–578.
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Anteil etwas niedriger, denn Kavkas Berechnungen sind durch die Anrechnung der böhmischen Magister-Regenten nach 1409 beeinflusst, als fast keine Regenten mehr aus den Reihen der übrigen Universitätsnationen an der Prager Universität lehrten. Viel wichtiger als der schlichte Vergleich der Anzahl der Magister-Regenten, der als Trend das allmähliche Anwachsen der Mitglieder der nacio bohemorum feststellt (mit dem Anstieg der Anzahl der graduierten Theologen bzw. Theologiestudenten meines Erachtens leider die einzige Folge jener mäzenatischen Welle in den 1390er Jahren), ist anscheinend das zahlenmäßige Verhältnis der aktivsten Magister in bestimmten Zeitabschnitten, wie es wiederum bereits Kavka untersucht hat. Die Jahre 1385–1409 hat Kavka in drei Generationsschichten gegliedert. 629 In der ersten, bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, scheint die zahlenmäßige Vertretung der Magister der böhmischen Nation und der drei übrigen Nationen relativ ausgeglichen zu sein. Das ist auf die Tätigkeit der vielen, früher sehr aktiven Magister aus der Generation der Schüler des Heinrich Totting von Oyta an der Theologischen Fakultät und dann auf deren allmählichen Weggang von der Prager Alma Mater zurückzuführen. In der zweiten Generationsschicht, welche die „am Ende der achtziger und am Anfang der neunziger Jahre [mit ihrer Arbeit] beginnenden und überwiegend knapp nach dem Jahre 1405 endenden“ Magister bildeten, 630 dominieren dagegen die (deutschen) Magister der drei Universitätsnationen (Johannes Arsen, Heinrich Stubing von Homberg, Matthias von Liegnitz, Johannes Otto von Münsterberg, Helmold von Salzwedel, Friedrich Süner von Rotheim, Ludolf Meistermann, Peter von Posern und Peter von Primiswald) die Magister böhmischer Herkunft (Johannes von Hohenmauth, Andreas von Brod, Christian von Prachatitz und Stanislaus von Znaim). Von den Studenten her gesehen, die bei ihnen den Unterricht besuchten, 631 hält Kavka dabei für die einflussreichsten Johannes von Hohenmauth, Johannes Otto von Münsterberg, Helmold von Salzwedel und Peter von Posern sowie für die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert Johannes Arsen, Albert Engelschalk und Nikolaus von Leitomischl. Diese sieben Magister waren am aktivsten. Für eine Einflussnahme auf die Studenten ist das freilich von entscheidendem Vorteil. Andere Magister, so sprechen zumindest die von Kavka genutzten Quellen, sahen ihr bevorzugtes Tätigkeitsfeld in der breiteren Universitätsverwaltung. Einige hinterließen bei den Studenten so kaum Spuren. Erinnert sei aber daran, dass auch heute ein Gelehrter an der Universität mehr als 20 Jahre wirken kann, ohne auf irgendeine Weise die Universitarier zu prägen oder zur wissenschaftlichen Entwicklung seines Faches beizutragen. Und dasselbe gilt für das späte Mittelalter. Auch in Hussens Generation waren die aktiven böhmischen Magister-Regenten wie Johannes Hus, Johannes von Pustimir und Stephan von Páleˇc weiterhin in der Minderheit gegenüber Elias von Neiße, Stephan gen. Mladota von Czersk, Nikolaus Stoer von Schweidnitz, Markvard Krineman, Walter Harrasser, Henning Hildesen,
629 Kavka, Mistˇri-regenti (wie Anm. 56), 93 f. 630 Ebd. 631 Ebd., 94.
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Burchard von Balingen und Henning von Baltenhagen. Übrigens konnten die Magister aus der nacio bohemorum unter den aktiven, aus Sicht der Fakultätswürdenträger wahrgenommenen Magister-Regenten bei der paritätischen Wahl der Vertreter der einzelnen Nationen nie die Mehrheit erreichen. Die einzige Möglichkeit in dieser Hinsicht bestand in einem Zuwachs an böhmischen Promotoren. Dazu hätte jedoch die Anzahl der böhmischstämmigen Studenten im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts und im ersten Dezennium des nachfolgenden Jahrhunderts deutlich anwachsen müssen. Das ist sie aber nicht. Der verfolgbare quantitative Anstieg der Anzahl der Magister-Regenten aus der nacio bohemorum wurde also v. a. durch die deutliche Zunahme der böhmischen Kollegiaten infolge der Abkommen über die Besetzung der Kollegiatsplätze in den Magisterkollegien verursacht. Diese hatten zu einer überproportionalen Vertretung der böhmischen Magister geführt, die auch dem Anteil der böhmischen graduierten Studenten nicht entsprach und mehr oder weniger auch nicht dem Anteil der aktiven Magister-Regenten. Nach der bisherigen Forschung ist also die Argumentation der Verteidiger des Kuttenberger Dekretes, die böhmischen Magister hätten „zahlenmäßig um ein Vielfaches die deutschen Magister übertroffen und in allen Wissenschaften die Ausländer überragt“, völlig gegenstandslos. 632 Sicherlich konnte sich bei den Wiklifiten das Gefühl eingeschlichen haben, dass die Nominalisten buridanischer Prägung (jene Häretiker der wahren Dialektik, wie Hieronymus von Prag die Heidelberger Nominalisten spöttisch bezeichnete) 633 und die Glieder der Theologischen Fakultät, die sämtlicher Kritik des sündhaften und dem göttlichen Gesetz offensichtlich widersprechenden Klerus wehrten (v. a. dann der Prälaten), im Wissen den aufgeklärten, sakrosankten Magistern der böhmischen Universitätsnation nachstanden. Das ist aber eine Sache der persönlichen Einstellung und der inneren Überzeugung und berechtigte sie nicht dazu, eine höhere Vertretung in der Universitätsverwaltung zu beanspruchen, in der sie, wie die Tschechen im ganzen Lande, angeblich von den Deutschen unterdrückt würden. Aufgrund der statistischen Erforschung der Immatrikulationszahlen warf Šmahel Ende der 1960er Jahre die Frage auf, ob sich die böhmischen Magister, die als Regenten in der Verwaltung der Artistenfakultät eine immer stärkere Stellung gewannen, nicht überrumpelt fühlten durch den bis zu einem gewissen Grad überraschenden Anstieg der graduierten Studenten, Bakkalaurei und Magister v. a. aus den Reihen der bayerischen und sächsischen Nation in den letzten fünf Semestern vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes, 634 also vom Sommersemester 1407 an. Dieser Anstieg war selbstverständlich auch durch die Zunahme der Studenten, die sich zu diesen beiden Nationen bekannten, bedingt gewesen. Ein ähnlicher Anstieg ist auch bei der Juristenuniversität zu verzeichnen, hier allerdings für die bayerische und die polnische Nation. Die Anzahl der Personen mit neu erworbenen Graden an der Artistenfakultät 632 Es mutet geradezu paradox an, dass Jiˇrí Kejˇr in seinen sonst weitblickenden und inspirativen Betrachtungen dieser Feststellung vollständig folgt: Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 91. 633 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 13, 15. 634 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 26 f., 83–85 (Tabellen).
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aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation sank hingegen im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren, v. a. im Sommersemester 1408. Fraglich ist, ob sich die böhmischen Magister des teilweisen Anstiegs der Immatrikulationszahlen und der Anzahl der graduierten Personen aus den Reihen der drei auswärtigen Universitätsnationen wirklich bewusst waren. Dieser spiegelte sich sicher in einer größeren Anzahl neuer Magister („magistri moderni“) wider, welche die Fakultätsstatuten nach Ablegung der Magisterprüfung zu zwei Jahren Lehre verpflichteten. Sollten die böhmischen Magister diesen Anstieg wahrgenommen haben (in den Hörsälen wohl eher nicht, denn die Studenten wählten sich die Lehrkräfte nach ihrer Zugehörigkeit zur Universitätsnation aus), dann musste ihnen dennoch klar sein, dass die meisten auswärtigen Magister die Universität bald verlassen und als vollberechtigte Magister-Regenten nicht länger als zwei Jahre an ihr wirken würden. Zum gegebenen Zeitpunkt drohte den böhmischen Magistern also keine Beeinträchtigung ihrer bisherigen Positionen. Außerdem hatten sie keinen Grund, skeptisch in die Zukunft zu blicken. Waren doch die letzten Jahrzehnte eher Jahre des Anwachsens der nacio bohemorum gewesen als Jahre der Bedrohung oder sogar des Niederganges. Die einzige Universitätskorporation, an der die bisherige Forschung ein gewisses Übergewicht der böhmischen Magister festgestellt hat, war die Theologische Fakultät. Das damit zusammenhängende Problem, das bereits vor mehr als 100 Jahren Václav Flajšhans geäußert hat, 635 besteht darin, dass die sich direkt auf die Theologische Fakultät beziehenden Quellen sehr knapp und quantitativ nicht verifizierbar sind. Die ganze Situation wird dann noch dadurch verkompliziert, dass sich die Theologische Fakultät de facto sowohl aus ordentlichen Professoren (Theologiedoktoren) als auch aus Bakkalaurei verschiedenster Grade zusammensetzte: den Bakkalaurei, die zunächst biblische Passagen kommentierten (baccalarius cursor), den Bakkalaurei, die anschließend Lombardus’ „Sentenzen“ kommentierten (baccalarius sentenciarius), und im höchsten Grad aus den sog. fertigen Bakkalaurei (baccalarius formatus), die der verantwortliche Professor zur Graderteilung vorgeschlagen hatte. 636 Nach den Wiener und Heidelberger Statuten, die vom heute nicht erhaltenen Prager Vorbild ausgingen, konnten in der Fakultätsversammlung alle Mitglieder abstimmen, daher auch die Bakkalaurei. 637 Zu den Mitgliedern der Theologischen Fakultät gehörten gleichzeitig Lehrkräfte einiger Ordensgeneralstudien, die in die Universität stufenweise eingegliedert worden waren. Trotz der Bemühungen von Jaroslav Kadlec kennt man die Lektoren dieser Generalstudien leider nur im begrenzten Maße. Sehr oft ist
635 Flajšhans, Pražští theologové (wie Anm. 379), 26: „die theologische Fakultät war um das Jahr 1409 mehrheitlich böhmisch“, 31: „die Böhmen überragen in jener Zeit in jeder Hinsicht ihre Gegner“. 636 Kadlec, Teologická fakulta (wie Anm. 323), 141, zu den cursores, die eine Dispens erhalten konnten: Ebd., 146. 637 Die Edition der fragmentarischen Statuten der Prager Theologischen Fakultät und die Analyse von deren Beziehung zu den Statuten der Wiener Theologischen Fakultät bei Kavka, Zur Frage der Statuten und der Studienordnung (wie Anm. 196), 129–144.
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deren Zugehörigkeit zu den Universitätsnationen gar nicht bestimmbar. Fraglich ist, ob sie sich überhaupt zu irgendeiner konkreten Universitätsnation bekannt haben. 638 Die recht übertriebenen Ansichten von Flajšhans hat bereits Bartoš zu revidieren versucht. 639 Er kommt dabei zu dem Schluss, dass um 1400 an der Theologischen Fakultät elf Professoren wirkten, und zwar Heinrich Perching, Nikolaus Magni von Jauer, Johannes Winkleri, Menso von Beckenhusen, Johannes von Hildesheim, Matthias von Liegnitz, Johannes Isner, Peter von Znaim und Nikolaus von Leitomischl. Das waren bei absoluter Mehrheit Magister der drei deutschen Universitätsnationen, die – wie bereits gezeigt – in den neunziger Jahren maßgeblich an der Stärkung der Universitätsautonomie beteiligt waren und die Universität mehr oder weniger beherrschten. Um 1402/03 kamen hinzu: Albert Engelschalk, Hermann von Mindelheim, Johannes Hübner und aus der böhmischen Nation Johannes Eliae und später auch Stephan von Kolin, Stanislaus von Znaim, Nikolaus von Rakonitz und Peter von Stupno. Bartoš erwägt durchaus, dass einige von diesen Mitgliedern der nacio bohemorum auch schon etwas früher Theologieprofessoren hätten sein können. Flajšhans folgend behauptet er dann, dass nach 1400 die Anzahl der Bakkalaurei gerade aus den Reihen der böhmischen Nation angestiegen sei. Dessen These aber, die Theologieprofessoren, die über die Ernennung eines neuen Professors offenbar durch die Mehrheit ihrer Stimmen selbst entschieden, hätten vor 1400 und in den ersten Jahren danach die Ernennung neuer böhmischstämmiger Professoren behindert, übernahm er hingegen nicht voll. 640 Es gibt auch keinerlei direkte Belege für ein derartiges Vorgehen. Bartoš’ Hypothese, der neue Prager Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg habe sich in der Zeit, als er auf der Seite der Reformer stand, für die Ernennung der neuen böhmischen Professoren stark gemacht, ist ebenfalls zurückzuweisen, auch wenn die Fakultätsstatuten dem Erzbischof die Möglichkeit gaben, die Ernennung eines Theologielizenziaten gegen die Meinung der Mehrheit durchzusetzen. 641 Auf der anderen Seite kann man nur bejahen, dass in den Quellen nach 1400 viel mehr Bakkalaurei verschiedenster Grade aus den Reihen der nacio bohemorum auftauchen (Matthäus von Königsaal, Andreas von Brod, Stephan von Setsch, Peter von Konˇeprus, Michael von Malenitz, Honorius von Welwarn, Johannes von Rischt, Jakobellus von Mies oder Simon von Tischnowitz) 642 als Bakkalaurei aus den übrigen drei Nationen. Ob dies durch die Erhaltung der Quellen bedingt ist, welche die Zugehörigkeit zur Theologischen Fakultät (meistens nur ganz zufällig) angeben, bzw. durch die noch umfangreicher erhaltenen attribuierten Kommentare aus der Feder böhmischer Bakkalaurei oder ob hier v. a. die paritätische Vertretung der böhmischen Magister im Rahmen der Magisterkollegien zum Ausdruck kommt, deren Kollegiatsplätze den ˇ 638 Vgl. die Übersicht bei Kadlec, Reholní generální studia (wie Anm. 205), 63–108. 639 Bartoš, Hus a jeho uˇcitelé a kolegové (wie Anm. 182), 41–47. 640 Ebd., 43. – Kadlec, Teologická fakulta (wie Anm. 323), passim, spricht hingegen nicht von solch einem Vorgehen des Erzbischofs Zbynko Zajíc von Hasenburg. 641 Bartoš, Hus a jeho uˇcitelé a kolegové (wie Anm. 182), 45. 642 Flajšhans, Pražští theologové (wie Anm. 379), 22–26; Ders., Husovi uˇcitelé (wie Anm. 379), 245– 254.
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Das Kuttenberger Dekret
Theologiestudenten vorbehalten waren, kann man vorläufig nicht ausreichend klären. Jedenfalls hatten die Mitglieder der nacio bohemorum in den Monaten vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes nicht die geringste Veranlassung, sich an der Theologischen Fakultät übervorteilt zu fühlen. Nach dem Weggang einer ganzen Reihe von Prager Theologen an auswärtige Universitäten vor und nach dem Jahr 1400 gelangten die Böhmen nämlich in das Professorenkollegium im Großen und Ganzen regelmäßig und in häufigerer Anzahl als früher. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts weist nichts an der Prager Dreifakultätenuniversität auf durch übermäßige Geldausgaben hervorgerufene Streitigkeiten in Verbindung mit dem Erwerb der neuen Universitätsprivilegien und -vorrechte hin. Die Eintragungen im Dekansbuch der Artistenfakultät bezeugen übrigens, dass die Universität als Ganzes dieser zahlenmäßig größten Prager Universitätskorporation weiterhin eine in keiner Weise spezifizierte Schuld abbezahlte, höchstwahrscheinlich in Verbindung mit der Stärkung der Universitätsautonomie. Für die Jahre 1400–1409 ist nur ein einziges Privileg überliefert, das Papst Innozenz VII. auf Antrag der Universität am 13. Januar 1405 erteilt hat. 643 Infolge der mehrjährigen Nichtbesetzung des erzbischöflichen Stuhls hatte sich die Universität mit der Bitte an ihn gewandt, in der Zeit der Sedisvakanz dem Rektor der Dreifakultätenuniversität das Amt des Universitätskanzlers zu übertragen. Im Jahre 1403 konnten nämlich keine Magisterprüfungen ausgeschrieben werden, da es nach dem Tod von Erzbischof Olbram von Škvorec keinen Zustimmungsberechtigten dafür gab. Wie die Verhandlungen verliefen, wer an ihnen beteiligt war und wie viel der Erlass des Privilegs die Universität kostete, weiß man nicht. Außerdem ist von irgendeinem Engagement von König Wenzel IV. in dieser Sache nichts bekannt. 644 Da der Antrag offenbar bereits im Laufe des Jahres 1403 abgeschickt wurde, belastete er das universitäre Budget sicher mit neuen Ausgaben. Erst Anfang 1405 wurde ihnen dann Genugtuung zuteil. Im Kern betraf das Privileg alle Universitarier, und sollte es wie früher mittels einer speziellen Sammlung bezahlt worden sein, dann hat niemand seine Stimme dagegen erhoben. Es zählt zu den Paradoxien der Geschichte, dass gerade dieses Privileg der Universität ermöglichte, auch während der Sedisvakanz des päpstlichen Stuhls in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts formal zu existieren. De facto trifft das auch auf die Zeit nach der Attacke des Konstanzer Konzils auf die Prager Alma Mater zu, die sich 1417 vollständig mit dem Laienkelch identifizierte und ihre Mitglieder zwang, einen Schwur auf die Einhaltung dieser Bestimmung zu leisten. 645
643 MUPr II, 413–416 (Nr. LV). 644 Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts unterstützte Wenzel IV. eher die partikularen Interessen der einzelnen Universitätskorporationen, wie seine Zustimmung zum Disponieren der böhmischen Universitätsnation über die Einkünfte der Fronleichnamskapelle im Jahre 1406 oder die Exemtion des Kollegs von König Wenzel von der Zahlung der Landessteuer durch das Privileg vom 30. Januar 1399 bezeugen. – Ebd., 374–377 (Nr. XLVI). 645 Svatoš, Michal: Kališnická univerzita (1419–1556) [Die Utraquistenuniversität (1419–1556)]. In: Dˇejiny Univerzity Karlovy (wie Anm. 67), 205–217, hier 207.
Quodlibet des Magisters Matthias von Knín
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Quodlibet des Magisters Matthias von Knín Das vorangegangene Kapitel widmete sich ausführlich der Disziplinierung der Prager Reformer Stanislaus von Znaim und Matthias von Knín durch den Erzbischof von Prag. In diesem Zusammenhang wurde schon Matthias’ Anmeldung zum Quodlibetarius der Jahresdisputation erwähnt, die am Anfang des Jahres 1409 stattfinden sollte. Die Wahl des Quodlibetarius fiel auf den zweiten Samstag vor dem Fest des hl. Johannes des Täufers (23. Juni 1408) und fand höchstwahrscheinlich erst nach der erzbischöflichen Synode statt. Diese Wahl kann man für einen demonstrativen Akt des böhmischen Reformflügels halten – ähnlich der Situation im Jahr 1404, als Johannes Hübner die Leitung des Quodlibets übernahm. 646 Die Reformpartei wollte so beweisen, dass die böhmische Universitätsnation als Ganzes rechtgläubig und bar jeglichen Häresieverdachts war. Dass sich Matthias zum Quodlibetarius in Übereinstimmung mit den Universitätsstatuten 647 angemeldet hat, wie fünf Jahre zuvor Hübner, 648 belegen zwei in ihren Aussagen nicht allzu glaubwürdige Zeugen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag in Wien. 649 Auch andere Zeugnisse, v. a. Hieronymus’ Glosse, 650 bestätigen zwar Matthias’ Anmeldung nicht hundertprozentig, doch wichtiger ist, dass in der Universitätssitzung selbst die deutschen Magister nichts dagegen einwandten und seine Wahl nicht behinderten. Die Universitätsstatuten hätten ihnen dazu hinreichend Gelegenheit geboten, z. B. mit dem Vorschlag und schließlich mit der Wahl eines eigenen Kandidaten – das konnte ein beliebiger älterer Magister sein – durch die einfache Stimmenmehrheit. Nichts davon war jedoch geschehen. Die Magister der drei deutschen Nationen mochten zwar ihre Vorbehalte gegen Matthias gehegt und mitunter seine kanonische Abschwörung häretischer Ansichten für unzureichend gehalten haben, eine offene Konfrontation, wie sie dann ein paar Tage nach dem Quodlibet ausbrach, kam vorerst jedoch nicht in den Blick. Möglicherweise obsiegte auch nur die im akademischen Umfeld bis heute übliche Bequemlichkeit. Die Leitung eines Quodlibets war nämlich keine leichte Angelegenheit. Es bedurfte dazu monatelanger Vorbereitungen, ohne nennenswerte Vergütung und ohne nennenswerten Nutzen für die akademische Karriere in Form von Pfründen oder Posten im Dekanat bzw. Rektorat. Unter den deutschen Magistern befürchtete man sogar, dass Matthias der Aufgabe nicht gewachsen sei. Er war nämlich erst seit Kurzem Magister der Artes liberales. Der „Liber decanorum“ verzeichnet seine Magisterprü-
646 Zu Johannes Hübners Quodlibet und zu seiner Wahl zum Quodlibetarius vgl. Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 72 f. 647 MUPr I /1, 102. 648 Ebd., 375. Das amtliche Protokoll spricht nicht von einer Anmeldung, sondern von der Wahl zum Quodlibetarius mit einer Stimmenmehrheit. 649 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 16, 18. Dazu Näheres im zweiten Kapitel dieses Buches. 650 Zuletzt wurde das „Lob der freien Künste“ abgedruckt in Magistri Hieronymi de Praga (wie Anm. 570), 199–222, hier 218: „tibi oblatum honorem per dominum decanum facultatis arcium et magistrum reverendum cum honore accepisti“.
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fung im Jahr 1404. 651 Insofern hätte er als magister actu regens nur ein paar Jahre an den Magisterversammlungen teilnehmen können. Ihm fehlte es also auch als Dignitar in der Verwaltung der Artistenfakultät an Erfahrung. Nur einmal ist er als Examinator für die böhmische Universitätsnation bei den Bakkalaureatsprüfungen im Wintersemester 1406/07 belegt. 652 Für eine Fortsetzung dieser aktiven Tätigkeit in den folgenden Jahren gibt es keinen Hinweis. Im Unterschied zu vielen anderen Quodlibetarii ist Matthias’ Vorbereitung zur Jahresdisputation fast vollkommen bekannt. Über sein Manuskript im Original verfügt man zwar nicht, aber über eine Abschrift. Diese weicht vom ursprünglichen Aufbau ab und ordnet die Themen der einzelnen Quästionen anders an – nach ihrer Verwandtschaft. Zudem sind die Namen der Magister nicht nach ihrem akademischen Alter aufgeführt, sondern nach den Themen, zu denen sie ihre positiven und negativen Lösungen vorbringen sollten. 653 Von den Fragen finden sich in der Abschrift 148. Von den meisten weiß man allerdings nicht, ob sie auch tatsächlich gestellt wurden und v. a. welchen Magistern; in anderen Quellen haben sich 18 Quästionen erhalten, die auf dem Quodlibet angeblich vorgetragen worden seien. Die Namen der Personen, die mit höchster Wahrscheinlichkeit auf dem Quodlibet aufgetreten sind, kennt man in 34 Fällen; in die Abschrift wurden sie aber erst nachträglich eingetragen. 16 Disputierende stellten die drei auswärtigen Universitätsnationen. So ist fast die Aussage des Johannes Schwab von Butzbach zu bejahen, manche Magister hätten die Teilnahme am Quodlibet abgelehnt. Namentlich führt er den ehemaligen Rektor Walter Harrasser aus der bayerischen Nation an, den Bakkalaureus der Theologie Peter Storch aus der polnischen Nation und im Jahre 1408 den Artistendekan und Bakkalaureus der Theologie Johannes Hoffmann von Schweidnitz aus der polnischen Nation. 654 Alle drei sollen – öffentlich – ihre Nichtteilnahme mit dem Argument angedroht haben, der leitende Quodlibetarius sei der Häresie verdächtig. Lieber wollten sie daher Prag verlassen als teilnehmen. Matthias war aber zum gegebenen Zeitpunkt bekanntermaßen kein der Häresie verdächtiger Magister, sondern ein kanonisch vom Verdacht der Verkündigung remanenter Ansichten reingewaschener Universitarier. Aus seinen Vorbereitungen ist dann zu entnehmen, dass sowohl Storch als auch Hoffmann dann doch am Quodlibet teilgenommen und disputiert haben – ungeachtet dessen, dass sie als Mitglieder einer höheren, also der Theologischen Fakultät dazu gar nicht verpflichtet waren. Die Anwesenheit von Harrasser ist hingegen nicht belegt, was aber nichts bedeuten muss, denn das trifft auch auf viele böhmische Magister zu. Der Mehrheit der bisherigen Forschung zufolge, welche Schwabs Aussage für glaubwürdig hält, waren die rebellierenden deutschen Magister auf dem Quodlibet auf Anordnung von König Wenzel IV. erschienen. Schwab behauptet sogar, er habe
651 652 653 654
MUPr I /1, 377. Ebd., 391. Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 88 f. Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 16 f.
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diese Urkunde gesehen und verlesen bekommen. Eine solche Urkunde ist aber nicht überliefert. In welchen Teil des Jahres 1408 man sie datieren soll, ist auch strittig. Gegen den Erlass der Urkunde spricht, dass Wenzel IV. vor 1409 nie in das Universitätsleben mittels Mandate eingegriffen hatte. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass Zeitgenossen mit einer nicht weiter spezifizierten Drohung des Königs gearbeitet haben, eventuell mit der Vorstellung, dass die Magister bei Nichtteilnahme am Quodlibet bestraft würden. Eine solche Bestrafung konnte aber mindestens jene zwei Magister nicht betreffen, die als Mitglieder der Theologischen Fakultät am Quodlibet an der Artistenfakultät nicht teilnehmen mussten. 655 Besieht man sich Wenzels Itinerar, fällt seine Abwesenheit von Böhmen in der zweiten Hälfte des Jahres 1408 auf. 656 Es spricht also nicht allzu viel dafür, dass er aus Schlesien oder aus der Lausitz das Geschehen an der Prager Universität näher verfolgt und durch ein Mandat in die Teilnahme oder Nichtteilnahme am Quodlibet von Matthias eingegriffen hat. Schwab könnte sich also das Mandat ausgedacht haben. Das ist freilich weder belegbar noch widerlegbar, denn die übrigen Zeugen des Wiener Prozesses wissen nichts davon. Die Anspielung auf die conspiracio der deutschen Magister im „Lob der freien Künste“ des Hieronymus von Prag am Ende des Quodlibets, Kejˇr zufolge ein Echo auf deren Absprachen vor der Abhaltung des Quodlibets, 657 könnte sich auch auf eine Konspiration einiger Universitätsmitglieder im Jahr zuvor beziehen, z. B. auf das konspirative Verhalten Ludolf Meistermanns gegenüber Stanislaus von Znaim und aller Wiklifiten. Gleichzeitig kann sie auch als ein allgemeiner rhetorischer Appell an diejenigen verstanden werden, die den Jahresdisputationen fernblieben. Dadurch beleidigten sie nämlich ihre Mutter, die Artistenfakultät und machten die übrigen Magister und Schüler ärmer. Einem solchen allgemeinen Topos begegnet man in gegen ungehorsame Universitarier gerichteten Äußerungen sehr oft. 658 Vor der Eröffnung des Quodlibets waren keine Informationen nach außen durchgesickert über seinen möglichen Verlauf oder über Hieronymus’ Auftritt ganz am Ende der Jahresdisputation. (Das war etwas noch nie Dagewesenes. 659 Es beweist, dass Matthias, auch wenn ihn Hieronymus noch so sehr lobte, von den Radikalen aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation im Jahre 1408 zur Durchsetzung ihrer eigenen Ansichten und Vorstellungen benutzt wurde). Die deutschen Magister hatten daher keinen Grund, sich bedroht zu fühlen. Es ist dennoch möglich, dass über Hieronymus’ Auftritt einzelne – den böhmischen Reformern gewogene – Mitglieder des
655 Dies behauptet Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 92, im Zusammenhang mit der Nichtteilnahme einiger Magister an Hussens Quodlibet im Jahre 1411. 656 Hlaváˇcek, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 150), 428 f. 657 Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 86, Anm. 11. 658 Die betreffenden Passagen in Magistri Hieronymi de Praga (wie Anm. 570), 211. 659 Jiˇrí Kejˇr vermutet, dass Hieronymus von Prag auch am Ende von Hussens Quodlibet aufgetreten sein kann: Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 93. Seine Vermutung begründet er damit, dass Hus in seiner Abschlussrede über Hieronymus erst an letzter Stelle spreche und dass er ihn an seiner in der Magisterreihenfolge vorgesehenen Stelle weggelassen habe.
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königlichen Rates im Voraus informiert waren. Auch diese hätten dann nichts verraten, sodass auch die Zeugen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus nichts von irgendwelchen Befürchtungen wussten und ihre Vorwürfe nur auf die Person des Quodlibetarius bezogen. Bei heutigem Erhaltungszustand der Quellen lässt sich die Frage kaum beantworten, wie originell Matthias’ Vorbereitung auf das Quodlibet war. Aus der Zeit vor dem Jahre 1409 ist nämlich das Quodlibethandbuch des Magisters Johannes Arsen von Langenfeld bekannt. Darin befinden sich 66 Quästionen, von denen Matthias mindestens 24 benutzte. 660 Die Quodlibethandbücher des Heinrich von Rybnitz (etwa für das Jahr 1394) und des Matthias von Liegnitz (etwa für das Jahr 1399) sind in dieser Hinsicht bisher nicht ausreichend studiert worden. Erste Untersuchungen zeigen jedoch, dass das zweitgenannte im Vergleich zu jüngeren ein selbständiger Text war. 661 Matthias kann bei seinen Quodlibetvorbereitungen also nicht nur aus dem Handbuch des Arsen von Langenfeld, sondern auch aus anderen Handbüchern des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts geschöpft haben. Prokop von Kladrau und v. a. Simon von Tischnowitz gingen dann bei ihrer Quästionenvorbereitung in den folgenden Jahren nachweislich von seinem Handbuch aus. Die Jahresdisputation wurde von Matthias durch eine einleitende Quästion eröffnet, die am 3. Januar 1409 ein vorab bestimmter Bakkalaureus vortrug. 662 Dieser Anfang gab in keiner Weise zu erkennen, dass in den nächsten Tagen eine Schlacht beginnen würde, welche die gesamte Universität auseinander fegen sollte. Auch die folgenden Quästionen und anschließenden Disputationen hatten keinen revolutionären Charakter. Keine von ihnen erweckte größere Aufmerksamkeit, mit Ausnahme vielleicht der Quästion des Johannes von Jessenitz zur Frage, ob ein Richter aufgrund nachweislich falscher Zeugnisse einen Unschuldigen verurteilen dürfe, 663 und der Diskussion zur einleitenden questio principalis, in der Hieronymus von Prag seinen „Schild des Glaubens“ 664 vorgestellt hatte. Zumindest sagen die Zeugen nichts davon. Ihre Erinnerung kann jedoch durch den präzedenzlosen Abschluss des Quodlibets beeinflusst worden sein, also durch den nationalistisch kämpferischen Auftritt Hieronymus’, der alles Vorangegangene überdeckte und verdrängte. Übrigens spielt die Erinnerung der Wiener Zeugen des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus an den Verlauf des Quodlibets eine geradezu entscheidende Rolle, auch ungeachtet dessen, dass die Beziehung der Intellektuellen zur Zeit oder die Tiefe
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Šmahel, Ein unbekanntes Prager Quodlibet (wie Anm. 444), 354–358. Ders., Die Verschriftlichung der Quodlibet-Disputationen (wie Anm. 436), 369 f. Ebd., 359–376. Die Quästion des Johannes von Jessenitz ausführlich behandelt bei Kejˇr, Dvˇe studie o husitském právnictví (wie Anm. 51), 30 f. 664 Zum „Schild des Glaubens“ vgl. Šmahel, František: Das „Scutum fidei christianae magistri Hieronymi Pragensis“ in der Entwicklung der mittelalterlichen trinitarischen Diagramme. In: Die Bildwelt der Diagramme Joachims von Fiore. Zur Medialität religiös-politischer Programme im Mittelalter. Hg. v. Alexander Patschovsky. Ostfildern 2003, 185–210, 263–275.
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ihres Gedächtnisses im Vergleich zu den einfachen Laien auf einem viel höheren Niveau waren. 665 Das Vorspiel zu Matthias’ Quodlibet, sein eigentlicher Verlauf und das Anfang 1409 noch ganz unerwartete Nachspiel in Form der Änderung des Stimmenverhältnisses an der Prager Universität hinterließen bei den deutschen Studenten und Magistern, die nach dem 9. Mai trotzig das national gemischte Prag verlassen hatten, ein Gefühl der Entzauberung und des Verrats. Daher überrascht es sehr, dass die meisten der bekannten Teilnehmer des Quodlibets nach anderthalb Jahren nicht imstande waren, sich an das genaue Datum zu erinnern. Lediglich Johannes Schwab von Butzbach konnte den Monat bestimmen, in dem disputiert wurde: „In proximo festo Nativitatis Christi erunt duo anni, in mense Januarii, diem ignorat, hora ut credit vesperorum.“ 666 Eine unklarere Vorstellung hatte Johannes Tesser, nach dem das Quodlibet „anno nono, in mense Januarii vel Febuarii, diem ignorat, sed hora prandii“ stattfand. 667 Die übrigen Zeugen konnten sich an den Monat nicht erinnern. Die Beziehung zum Monat als Zeiteinheit war bei ihnen ähnlich wie bei den böhmischen Bauern und den Bewohnern der vorhussitischen Städtchen. Die Landleute unterschieden nämlich bei der Datierung überhaupt nicht zwischen Monaten. Der Monat wurde in ihrer Vorstellung durch eine beliebige Anzahl von Wochen ersetzt. Für einen normalen im Dorf lebenden Laien geschah nichts vor zwei Monaten, sondern immer vor acht Wochen. 668 Im Unterschied zu ihnen kannten die Universitarier durchaus den Monat als Zeiteinheit. Nur drang er überraschenderweise kaum in die Struktur ihrer Betrachtung ein. Das Datum des Quodlibets mit Hilfe eines Festes zu bestimmen, sollte hingegen für jeden Universitarier eine Selbstverständlichkeit gewesen sein. Die festen und beweglichen Festtage des Kirchenjahres waren die wohl einfachsten Orientierungshilfen ihrer Zeit. Die meisten mittelalterlichen Menschen hatten ihren individuellen Kalender, der mit einer zyklischen Regelmäßigkeit von Fest zu Fest führte. Die Bestimmung der Zeit mit Hilfe der kirchlichen Feste war für Literaten und für Ungebildete insgesamt gleich. In den Zeugenaussagen des Inquisitionsprozesses spiegelt sich jedoch anschaulich die Verschiedenartigkeit der Zeitwahrnehmung durch einzelne Personen wider. Die über das gleiche Ereignis aussagenden Zeugen bestimmten das Datum des Quodlibets auf verschiedene Weise. Laut Berthold von München fand das Quodlibet „anno nono, post festum Nativitatis“ statt, 669 laut Heinrich von Aura jedoch „post festum Epiphanie in fine quodlibeti quidam die ante prandium“ 670. Johannes von Voburg glaubt, dass „post proximum festum Nativitatis erunt duo anni,
665 Ausführlich habe ich das Gedächtnis der Intellektuellen am Beispiel der Zeugen, der ehemaligen Prager Universitarier, während des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus von Prag analysiert. – Nodl, Pamˇet’ a intelektuál (wie Anm. 2), 376–384. 666 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 15. 667 Ebd., 25. ˇ a minulost (wie Anm. 3), 255–275. 668 Nodl, Cas 669 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 32. 670 Ebd.
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mensem ignorat“, 671 seit das Quodlibet stattfand. Konrad Kreuczer von Nürnberg antwortete auf die Frage, in welchem Monat das Quodlibet zu Ende gegangen war, dass „quod determinate nesciat, sed post Epiphaniam domini tunc inmediate sequentem citra mensem“. 672 Am waghalsigsten bestimmte der Pfarrer im niederösterreichischen Berndorf Nikolaus Czungl das Disputationsdatum: „quod iam sit in secundo anno ante festum Penthecostes per tres ebedomadas vel quatuor, determinate ignorat, sed fuerit post prandium“. 673 Die Aussage Czungls, über dessen Anwesenheit in Prag keine Zweifel bestehen, ist unter vielen Gesichtspunkten bemerkenswert. Seine Datierung war nämlich absolut falsch. Pfingsten fiel im Jahre 1409 auf den 26. Mai. Bereits Novotný behauptet, wie schon angeführt, dass Czungl einfach das Quodlibet mit der Disputation des Hieronymus von Prag und des Blasius Wolf verwechselt hat. 674 Dies ist selbstverständlich möglich, gleichzeitig zeugt es aber davon, dass sich das Datum des Quodlibets im Gedächtnis der Zeugen sehr individuell eingeschrieben hat. Unter den universitär gebildeten Personen fanden sich allerdings auch solche, die sich nach zwei Jahren an das Datum überhaupt nicht mehr erinnern konnten. Kaspar Weinstein von Ingolstadt antwortet auf die Frage, in welchem Jahr und Monat und an welchem Tag und Ort die Disputation stattfand: „quod nesciat pro presenti determinate, sed fuerit in actu quodlibeti, cum reconmendaverit [d. h. Hieronymus von Prag] prefatum Knyn“. 675 Ähnlich beantwortet die gleiche Frage Johannes von Kärnten. Er gab den Tag, an dem Hieronymus seinen berühmten „Schild des Glaubens“ benutzt hat, sehr unbestimmt an: „quod in proximo quodlibeto erunt duo anni, diem et mensem ignorat“. Die Tageszeit hingegen, in der Hieronymus sein stark antideutsches „Lob der freien Künste“ vorgetragen haben soll, und das später noch eingehend erörtert wird, merkten sich die meisten Zeugen ausgezeichnet. Nach ihrer Aussage war es um die Mittagszeit. 676 Der genaue Tag und der genaue Monat mochten in der Erinnerung der Zeugen nach einer bestimmten Zeit verwischt sein, aber die Erinnerung daran, zu welcher Tageszeit Hieronymus seine Zuhörer provozierte, war ihnen geblieben. Ähnlich verhält es sich auch beim bereits genannten Johannes von Voburg, der über Hieronymus’ Disputation mit Magister Wolf so ausführlich ausgesagt hat. 677 An das Datum der Disputation erinnert er sich jedoch diesmal nicht. Er weiß nur, dass sie 671 672 673 674 675 676
Ebd., 19. Ebd., 18. Ebd., 22. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 350 f., Anm. 2. Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 28. Die Aussagen gehen zwar in diesem Punkt etwas auseinander, wesentlich ist aber, dass nach allen die Disputation in der Mittagszeit stattgefunden hat. – Ebd., 22: „post prandium“, 25: „hora prandii“, 26: „post prandium“, 32: „ante prandium“. Lediglich Johannes Schwab von Butzbach behauptet, dass sie „hora ut credit vesperorum“ gewesen sei. – Ebd., 15. 677 Šmahel, František: Univerzitní kvestie a polemiky Mistra Jeronýma Pražského [Die akademischen Quästionen und Polemiken des Magisters Hieronymus von Prag]. In: AUC – HUCP 22/2 (1982), 7– 41, hier 11–27; Ders., Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 256–262.
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„post prandium in die celebri“ stattfand. 678 Diese Fähigkeit, sich nach einigen Monaten daran zu erinnern, ob dies oder jenes morgens, mittags, abends geschah, ist geradezu auffällig der heutigen Denkweise ähnlich. Die Erinnerungslücken, die im Zusammenhang mit der Hauptjahresdisputation der Universität überraschend sind, werden zum Glück in Bezug auf das Ende des Quodlibets, und daher auf seine Übertragung auf eine neue, politische Ebene, durch das erhaltene „Lob der freien Künste“ von Hieronymus und durch den erhaltenen selbständigen Bericht über die Verteidigung Wyclifs aufgewogen. Im Zusammenspiel mit der zugespitzten nationalen Argumentation überforderte das manche deutsche Magister (und möglicherweise nicht nur deutsche), sodass sie das Quodlibet lieber noch vor seiner Beendigung verließen. Niemand von ihnen hatte geahnt, dass zum Schluss des Quodlibets nicht nur der Quodlibetarius auftreten wird, wie es Sitte war, sondern auch der Magister einiger Universitäten und bekannte Hitzkopf Hieronymus, der sich allerdings in das Prager Universitätsleben bisher nicht allzu oft eingeschaltet hatte. Am festlichen Abschluss des Quodlibets nahmen den Zeugen zufolge die französisch-brabantische Gesandtschaft 679 und die Altstädter Ratsherren 680 teil, damals mit einem großen Übergewicht der Tschechen. Für deren Ernennung hatten sich übrigens Hieronymus und Hus, so die Konstanzer Aussage des ersten, bei Wenzel IV. stark gemacht. 681 Da die meisten Ratsherren sicher nicht Latein verstanden, war für sie Hieronymus’ Auftritt, möglicherweise verkürzt gedolmetscht, v. a. eine Show mit einer unerwarteten Pointe. Ob Hieronymus die Rede zum „Lob der freien Künste“ so, wie sie sich erhalten hat, auch vortrug, weiß man nicht. 682 Sicher hätte ihre Lesung mehrere Stunden in Anspruch genommen. Seine Zuhörer hätte er dabei, wie der hervorragend strukturierte literarische und rhetorische Aufbau dieses Werkes zeigt, 683 aber nicht gelangweilt. Übrigens ging es ihm um das genaue Gegenteil, als die übliche akademische Langeweile voll von leeren Zitaten hervorzurufen. Dass Hieronymus’ Rede in einer anderen Form als in der überlieferten vorgetragen worden sein kann, davon zeugt vielleicht die Aussage des bereits einige Male erwähnten Kaspar Weinstein von Ingolstadt. Er behauptet nämlich, Hieronymus sei während seiner Rede auf das Katheder gestiegen, habe dann den Magister Matthias von Knín am Kinn gefasst und auf Deutsch gerufen: „Si sind dir nach deinem leben nach gangen und wolten dich tött haben von des Wikleph wegen und des pist unschuldig!“ Die Frage dabei ist, warum er deutsch sprach. Waren doch die Altstädter Ratsherren, die er selbst eingeladen hatte, mehrheitlich Tschechen! Auf Latein soll er dann noch hinzugefügt haben: „Ubi sunt nunc, qui confuderunt te?“ – „Wo sind diejenigen, die dich beleidigt ha678 679 680 681 682
Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 20. Ebd., 18. Ebd. Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 758. Zuletzt hat Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 293–302, die Problematik der politischen Reichweite des „Lobes der freien Künste“ des Hieronymus von Prag bearbeitet. 683 Šmahel, Pramen (wie Anm. 538), 169–180.
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ben?“ 684 Zum Schluss führte er laut Zeugenaussage ausdrücklich Henning Hildesen an, der in Matthias’ Quodlibethandbuch jedoch nicht genannt wird. In Hieronymus’ „Lob der freien Künste“ ist nur allgemein von der Nichtteilnahme einiger Magister die Rede, die sich durch dieses feige Verhalten blamiert hätten. Dem Zeugen Heinrich von Aura blieb etwas ganz Anderes im Gedächtnis. Während seiner Lesung des „Lobes“ habe nämlich Hieronymus gesagt: „Ecce, tu es dignus coronari.“ – „Siehe, du bist würdig, gekrönt zu werden.“ 685 Danach soll er dem Quodlibetarius ein Birett auf den Kopf gesetzt und hinzugefügt haben: „quia triumphasti contra illos dialecticos hereticos“, also „da du jene Häretiker der Dialektik besiegt hast“. Und dann rief er angeblich noch den Studenten zu, er rate ihnen nicht dazu, ihre Magister zu verlassen, die Häretiker der wahren Dialektik seien, sondern biete ihnen an, zu ihm und den böhmischen Magistern zu gehen, da sie das wahre Wissen lehren könnten. Auch diese Sätze finden sich im überlieferten Text des „Lobes“ nicht, auch wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass sie Hieronymus in der Hitze des Gefechts spontan geäußert hat. Seine Rede, die voller Zündstoff und voll von verschiedensten Anspielungen ist (zu fragen ist, ob einige nicht erst ex post bei der endgültigen Abfassung hinzugefügt wurden), beginnt er echt akademisch mit dem bilderreichen Lob der sieben Jungfrauen (Mädchen), welche die Verkörperung der sieben Artes liberales seien. Das Lob des Triviums und des Quadriviums ist aber bloß der Einstieg zu seinem eigentlichen Anliegen. Hieronymus möchte nämlich einerseits die Heiligkeit der böhmischen Nation hervorheben und auf ihre Vorrangstellung im Königreich Böhmen hinweisen. Dabei benutzt er absichtlich die Bezeichnung „echte, reine Böhmen“, „puri Bohemi“, 686 die sich angeblich von den auswärtigen Nationen unterschieden, deren Angehörige in Prag der Ketzerei überführt und rechtmäßig verbrannt worden seien. Für jene reinen Böhmen hält er dann gesellschaftlich alle Bewohner des Königreiches, vom König bis zum Ritter, vom Ritter bis zum Gutsherrn, vom Gutsherrn bis zum Bauern, vom Erzbischof bis zum Kanoniker, vom Kanoniker bis zum letzten Priester, vom Bürgermeister bis zum Ratsherrn und Bürger und vom Bürger bis zum beliebigen Handwerker. Anderseits möchte Hieronymus Wyclif verteidigen und v. a. dessen philosophische Lehre. Daher wendet er sich einige Male an die anwesenden Studenten und empfiehlt ihnen, Wyclifs Bücher zu lesen, womit er auf den Beschluss der böhmischen Universitätsnation im Haus „Zur schwarzen Rose“ anspielt, der den Bakkalaurei und Studenten das Studium von Wyclifs Schriften strengstens verboten hatte. Hieronymus sagt hingegen: „Warum sollten wir also Wyclifs Bücher nicht lesen, wenn er in ihnen auf eine glanzvolle Weise unzählige heilige Wahrheiten niedergeschrieben hat, auch wenn diese sowohl hochmütige Priester als auch Laien beunruhigen.“ 687 684 685 686 687
Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 28. Ebd., 33. Zum Begriff „puri Bohemi“ vgl. Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 44–48. Magistri Hieronymi de Praga (wie Anm. 570), 215; so nach der tschechischen Übersetzung aus Výbor z cˇ eské literatury (wie Anm. 194), hier Bd. 1, 244–250.
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Abb. 11 Das „Lob der Freien Künste“ von Hieronymus von Prag.
Niemand kann seines Erachtens die Studenten daran hindern, die Wahrheit kennen zu lernen. Sollten sie in Wyclifs Schriften „wegen ihres noch ungenügenden jungen Denkens“ etwas finden, was sie vorläufig nicht begreifen können, dann mögen sie das „bis ins reifere Alter“ aufschieben. Übrigens räumt Hieronymus ein, dass er töricht wäre, wenn er alles glaubte, was Wyclif geschrieben hat. Dann ermutigt er die Studenten noch, es solle ihnen künftig nicht einfallen, Wyclifs Bücher an Menschen abzuliefern, die sie nicht verstehen. Diese Aussage bestätigt auch der Wiener Zeuge Weinstein. 688 Nach anderen Zeugen soll Hieronymus gesagt haben, Wyclifs Bücher enthielten Wahrheiten, und sie den Studenten empfohlen haben. Das verträgt sich auch mit dem Inhalt des „Lobes“. Manchmal spricht hier aus Hieronymus sein Standes- und Gelehrtenstolz. Er setzt ihn gezielt gegen Prediger ein, die seiner Ansicht nach nur Halbgebildete ohne akademische Ausbildung sind, vor den Laien Lügen erzählen und üble Nachreden verkünden. So behaupten sie angeblich, in Prag lebten viele Ketzer – die Wiklifiten.
688 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 28.
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Das Kuttenberger Dekret
Es lohne sich nicht, diese halbgebildeten Priester ernst zu nehmen, denn sie seien von niemand „durch wissenschaftliche Würden erhöht worden“. 689 Die Prager Ratsherren, die Hieronymus viele Male in seiner Rede anspricht, sollen die sakrosankte „Prager Stadt“ vor der Lästerung dieser ruchlosen Lügner schützen, damit sorgten sie wirklich für den guten Ruf der Stadt und folglich auch des ganzen Königreiches. Bemerkenswert sind auch Hieronymus’ Hinweise auf König Wenzel. Sie nehmen bereits die Auffassung von der Herrschermacht im Kuttenberger Dekret und v. a. in der „Defensio mandati“ vorweg. Dabei sind sie meilenweit von der späteren üblen Nachrede entfernt, dieser sei ein fauler und unfähiger Herrscher. 690 Der König ist für Hieronymus der würdigste und durchlauchtigste Herrscher und selbstverständlich nicht nur der böhmische, sondern auch der römische König, als ob er im Jahre 1400 nicht abgesetzt worden wäre. Der König tritt seiner Auffassung nach als Garant der Heiligkeit der „Prager Stadt“ und des ganzen Königreiches auf. Deshalb sei es nötig, ihn zu lieben und allseitig zu unterstützen. 691 Nachdem Hieronymus seine kämpferische Rede, welche für die Studenten bestimmt war, die er aber in großen Teilen für nicht überzeugt hielt, beendet hatte, zog er einigen Wiener Zeugen 692 zufolge eine Urkunde mit Siegel hervor, die ihm während seines Auftritts ein junger Mann gebracht hatte. 693 Daraufhin habe er das auf den 5. Oktober 1406 datierte Schreiben den angewiderten und weggehenden deutschen Magistern und Studenten vorgelesen. Die Oxforder Universität soll darin Wyclifs Rechtgläubigkeit und Unbescholtenheit bescheinigt haben. Šmahel hat festgestellt, dass dieses Schreiben kurz vorher Nikolaus Faulfisch und Georg von Knönitz überbracht hatten. 694 Sie waren aus England mit zuverlässigen Abschriften von Wyclifs Schriften, aber auch mit einem Stein von seinem Grab zurückgekehrt, als ob sie die flammenden, einige Jahre zurückliegenden Attacken des Johannes Hus und des Stanislaus von Znaim gegen ein solches abergläubisches Verhalten vergessen hätten. Das Schreiben, dessen Anfertigung Peter Payne besorgt hatte, war echt, trotz
689 Magistri Hieronymi de Praga (wie Anm. 570), 214. 690 Die üblen Nachreden Wenzel IV. betreffend bei Machilek, Franz: Ludolf von Sagan und seine Stellung in der Auseinandersetzung um Konziliarismus und Hussitismus. München 1967, 137–158; ˇ Cornej, Petr: Tajemství cˇ eských kronik. Cesty ke koˇren˚um husitské tradice [Das Geheimnis der böhmischen Chroniken. Wege zu den Wurzeln der hussitischen Tradition]. Praha 22003 [1987], 67– 115. 691 Magistri Hieronymi de Praga (wie Anm. 570), 212 f. 692 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 18 (Konrad Kreuczer), 22 (Nikolaus Czungl), 24 (Johannes Tesser), 31 (Berthold von München). 693 Die Aussagen von sechs Zeugen in: Ebd., 15, 18, 22, 28, 31, 34. – Die Antwort des Hieronymus von Prag bei seinem Verhör in Konstanz: Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 644 f.; Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 8, 107 f. – Die einzelnen Zeugnisse kritisch analysiert bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 312 f. ˇ 694 Zu ihnen vgl. ebd., 458–460; Bartoš, František Michálek: Hus˚uv pˇrítel z Ceských Budˇejovic [Hussens Freund aus Budweis]. In: JSH 19 (1950), 43 f.; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 216.
Der Weg zum königlichen Eingriff
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aller anderweitiger Erklärungen der Gegner von Hus und Hieronymus. 695 Selbstverständlich gab es nicht die offizielle Meinung der Oxforder Universität wieder. Die meisten Wiener Zeugen verbanden die Lesung der Oxforder Urkunde über die Rechtgläubigkeit Wyclifs, der übrigens nicht verbrannt wurde, wie man allgemein behauptete, damit, dass Hieronymus vom „Doctor evangelicus“ wie von einem evangelischen bzw. heiligen Doktor sprach oder sogar wie von einem seligen Mann. 696 Hieronymus räumte später selbst ein, Wyclif tatsächlich einen „Doctor evangelicus“ genannt zu haben, aber nur deshalb, weil er über die Evangelien schreibe. Niemals habe er ihn jedoch als heilig bezeichnet. 697 Nach dieser demonstrativen Verteidigung von Wyclif durch Hieronymus endete das ganze Quodlibet. Sein Nachspiel hatte es aber auf den Prager Straßen. Manches von dem, was Hieronymus gesagt hatte, fand sowohl unter den Prager Tschechen als auch unter den Prager Deutschen Widerhall, vielleicht gerade durch die Teilnahme der Prager Ratsherren an den feierlichen Teilen des Quodlibets. Übrigens spricht jene Anspielung auf den universalen Esel im Hause des Kürschners bereits Bände. Zum großen Nachspiel des „Lobes der freien Künste“ kam es jedoch erst einige Tage später, auch wenn Hieronymus durch seine Anspielungen auf den würdigsten und durchlauchtigsten römischen König als den obersten Verteidiger des ganzen Königreiches bereits vorwegnahm und ahnen mochte, auf welchen Wegen es zur Befreiung der „echten“ Böhmen an der Universität kommen würde.
Der Weg zum königlichen Eingriff Als eine der Hauptursachen für den Erlass des Kuttenberger Dekretes betrachtet man im Allgemeinen die Ablehnung der Entsendung einer Gesandtschaft zum Pisaner Konzil durch die deutschen Magister. Leider liefert den einzigen Beleg dazu die antideutsch eingestellte „Chronik der Prager Universität“. Bereits an dieser Stelle sei angemerkt, dass für diese Chronik, dessen Autor höchstwahrscheinlich ein Prager Universitarier war, 698 das Kuttenberger Dekret nicht das Hauptereignis darstellt. Die meisten der auf die Jahre 1408–1410 bezogenen Informationen betreffen nämlich die Streitigkeiten um Wyclif, die Verbrennung von Wyclifs Büchern und den Widerstand des Johannes Hus und seiner Anhänger gegen die erzbischöflichen Entscheidungen. Das Kuttenberger Dekret ist dabei nur eine bloße Episode, die zum Auszug der Magister und Studenten der drei auswärtigen Universitätsnationen geführt hatte, und zwar aufgrund ihrer „satanischen Verschwö-
695 Das Schreiben vgl. bei Emden, A. B.: An Oxford Hall in Medieval Times: being the Early History of St. Edmund Hall. Oxford 1968 [Nachdruck von 1927], 138–141. 696 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 20. 697 Ebd., 8. ˇ 698 Zum Autor der Chronik treffend Cornej, Petr: Tzv. kronika univerzity pražské a její místo v husitské historiografii [Die sog. Chronik der Prager Universität und ihr Platz in der hussitischen Historiographie]. In: AUC – HUCP 23/1 (1983), 7–25.
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Das Kuttenberger Dekret
rung“ („diabolica conspiracione“). Den eigentlichen Erlass des Dekretes, wie auch die Sezession, begrüßt und verherrlicht der Chronist im Unterschied zur Änderung der Besetzungsweise der Magisterkollegien Mitte der 1380er Jahre nicht. Diese Haltung des Chronisten wurde wahrscheinlich durch seine Ablehnung der Radikalen beeinflusst, denen die Sezession den Weg gebahnt hatte, bis sie diese schließlich auf einen Irrweg führte. Die „Chronik der Prager Universität“ kommentiert die Ablehnung der Gesandtschaft zum Pisaner Konzil durch die drei deutschen Universitätsnationen kurz und treffend: „Im selben Jahr [d. h. 1408] kam es unter dem Rektorat von Magister Henning von Baltenhagen zum Zerwürfnis zwischen der böhmischen Nation und den übrigen drei Nationen, wohl verstanden der bayerischen, polnischen und sächsischen, bezüglich des Wunsches des Königs, der verlangte, dass man ihm und den Kardinälen beim Entzug der päpstlichen Obödienz helfe. Da jedoch die Böhmen einverstanden waren und die übrigen Nationen nicht, hatte der Rektor wegen ihrer Stimmenmehrheit nicht den Mut, gegen den königlichen Wunsch eine Entscheidung zu treffen.“ 699 Vom sachlichen Standpunkt her ist die Nachricht klar. Der Rektor hatte eine Universitätsversammlung einberufen. Aus den Verhandlungen ergab sich eindeutig, dass die Mitglieder der böhmischen Universitätsnation mit dem Entzug der römischen Obödienz einverstanden waren, die Angehörigen der drei übrigen Nationen hingegen nicht. Hier wird die Sache jedoch schwierig. Der Bericht sagt nämlich nicht, ob die Angehörigen der drei Nationen für die Aufrechterhaltung der Treue zum römischen Papst plädiert oder ob sie sich für die Neutralität ausgesprochen haben bzw. ob sie zwischen beiden Positionen hin und her lavierten. Der Hinweis auf das Kardinalskollegium spricht für die erste Position, also für die Treue zu Gregor XII. Die Berichte über Hus und seine Anhänger aus der zweiten Hälfte des Jahres 1408 legen jedoch offen, dass auch die böhmische Fraktion in der Frage der Ablehnung des eigentlich legitimen Papstes gespalten war und dass zumindest ein Teil ihrer aktiven Magister vorläufig eher zur Neutralität neigte. Im Bewusstsein dieser Haltungen steht der Bericht der „Chronik der Prager Universität“ dann in einem gewissen Widerspruch zur Realität. Es sei denn, man teilt die Interpretation, die Zustimmung der böhmischen Nation sei eine Äußerung ihrer Neutralität gewesen und die Ablehnung der übrigen Nationen eine kategorische Ablehnung der Einberufung des Konzils und ein entschlossenes Festhalten an der Treue zu Gregor XII. Das wird in den folgenden Monaten zumindest bei Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg der Fall sein. Eine befriedigendere Lösung des Problems gelänge sicher, wenn man jene Universitätsversammlung genauer zu datieren vermöchte. Die „Chronik der Prager Universität“ sagt uns leider nur, dass es zu ihr unter dem Rektorat des Henning von Baltenhagen gekommen sei. Henning war Mitglied der sächsischen Universitätsnation, studierte zum gegebenen Zeitpunkt an der Theologischen Fakultät oder hielt Vorlesungen. In der Oktobermitte 1408 wurde er dann zum Rektor der Dreifakultätenuniversität gewählt. Zu diesem Zeitpunkt stellte man der Universität auch die
699 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570.
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offizielle Einladung der Kardinäle zum Pisaner Konzil zu. Die Einladung für die Universität und selbstverständlich v. a. für den König und den Erzbischof überbrachte das ehemalige Mitglied der römischen Kurie Hieronymus Seidenberg nach Prag. 700 Den Universitätswürdenträgern übergab er sie offenbar sofort, den böhmischen König musste er erst noch in Schlesien und in der Lausitz aufsuchen. Jedenfalls ist es unsicher, wann der Rektor die Versammlung einberufen hat. Die „Chronik der Prager Universität“ bringt sie in einen kausalen Zusammenhang mit der Gesandtschaft der Universität nach Kuttenberg, die dem König angeblich jene unterschiedlichen Positionen der böhmischen Nation und der übrigen drei Nationen mitgeteilt und auf deren Grundlage Wenzel IV. noch am selben Tag sein Dekret erlassen habe. Charakteristisch dabei ist, dass der Chronist kein genaues Datum angibt und dass er auch die Gesandtschaft nach Kuttenberg lediglich mit der Jahreszahl datiert, die mit der Einberufung der Universitätsversammlung identisch ist. Das genaue Datum hatte sich anscheinend nicht in seinem Gedächtnis verankert, wie bei der Erinnerung der ehemaligen Prager Universitarier an das Quodlibet des Matthias von Knín. Nimmt man den Bericht der „Chronik der Prager Universität“ wörtlich, dann kann zwischen der Universitätsversammlung und dem Erlass des Kuttenberger Dekretes am 18. Januar 1409 nicht allzu viel Zeit verstrichen sein. Die böhmischen Magister hätten in der Hitze des Gefechtes gehandelt und dadurch den entscheidenden Augenblick zur Überzeugung des oft so unberechenbaren Königs genutzt. Die bisherige Forschung neigt jedoch eher zur Datierung der Universitätsversammlung in den November oder Dezember des Jahres 1408. Novotný vermutet, dass sie vor dem 5. Dezember stattgefunden haben muss, 701 weil das Schreiben der Universität, das die Entlassung des Stanislaus von Znaim und des Stephan von Páleˇc befürwortet, auf den 5. Dezember datiert sei. 702 Novotný betrachtet diesen Antrag, der an ein etwas schärferes Schreiben der böhmischen Universitätsnation anknüpft, 703 als einen Akt der Solidarität mit den eingekerkerten Universitätsmitgliedern und gleichzeitig als einen Kompromiss, der die Ablehnung der Gesandtschaft zum Konzil ausgleichen sollte. Der zweite Anhaltspunkt für Novotný ist der 26. November, als König Wenzel IV. dem Kardinalskollegium ein Schreiben schickte, in dem er versprach, das Konzil zu beschicken, sofern man ihm im Voraus versichere, die königliche Gesandtschaft werde vom Konzil als eine Gesandtschaft des rechtmäßigen römischen Königs empfangen. 704 Der Überbringer dieses Schreibens, der den Kardinälen eine mündliche Erklärung geben sollte, war der Magister und Kardinal Johannes von Reinstein. Dieser wirkte als einer der wenigen Prager Universitarier als Diplomat in königlichen Diensten und könnte die Entscheidungen des Königs in kirchlichen und universitären
700 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 291 f. 701 Ebd., 298. 702 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 345 f., mit einer fehlerhaften Datierung auf den 8. Dezember. 703 Ebd., 346. – Zur Überlieferung und zur Datierung des Schreibens der böhmischen Nation vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 288, Anm. 2. 704 Deutsche Reichstagsakten (wie Anm. 598), 578 f. (Nr. 312).
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Angelegenheiten beeinflusst haben. 705 Diese zeitliche Konstruktion hat allerdings einen Haken. Die Universität muss sich bei ihren Entscheidungen nicht völlig nach den Schritten des Königs gerichtet haben, und Wenzel IV. war sicher unabhängig von der Universität tätig und sicher ganz unabhängig vom Erzbischof, dessen ablehnende Haltung gegenüber dem Konzil bzw. gegenüber der Lossagung von Gregor XII. damals allgemein bekannt war. Übrigens reiste Wenzel IV. im November durch Schlesien und die Lausitz. 706 Die Informationen aus Prag erreichten ihn daher mit einer gewissen Verspätung. Dasselbe gilt sicher auch für die Informationen, die nach Prag geschickt wurden, sodass die Nachricht über sein Schreiben an die Kardinäle erst irgendwann Anfang Dezember eingetroffen sein kann, sofern die Universität überhaupt davon erfuhr. Jedenfalls war Wenzel IV. unter bestimmten Bedingungen mit der Entsendung einer Gesandtschaft einverstanden. Offenbar im November verbat er dann den einheimischen Klerikern, ohne königliche Zustimmung Benefizien aller Art vom römischen Papst anzunehmen. 707 Nach außen bekannte er sich jedoch weiterhin zur Neutralität. Seine Einstellung änderte er auch in den ersten Monaten des folgenden Jahres nicht. Der sonst eher überstürzt und unangemessen handelnde König wurde durch die Aussicht auf die römische Königswürde allmählich zu einem besonnen handelnden Herrscher, der mit kleinen Schritten auf die Schaffung einer böhmischen „gallikanischen“ Kirche abzielte. Auf diesem – letztlich unvollendeten – Weg zum Gallikanismus liegen das Verbot zur Annahme jedweder Benefizien durch einheimische Kleriker ohne königliche Zustimmung und bis zu einem gewissen Grad auch der Erlass des Kuttenberger Dekretes. Die Abwesenheit des Königs von Prag, begleitet von Neutralitätsbekundungen und der nicht eindeutigen Lossagung von Gregor XII., spricht meines Erachtens dafür, dass es erst irgendwann Anfang 1409 zu jener Universitätsversammlung kam. Ob dies noch vor dem Quodlibet von Matthias von Knín der Fall war oder erst danach, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls glossierte niemand auf dem Quodlibet jene ablehnende Haltung der drei auswärtigen Universitätsnationen, und sie kommt auch nicht in den Zeugenaussagen des Wiener Prozesses gegen Hieronymus von Prag zum Ausdruck. Die Zeugen geben bekanntermaßen nur Auskunft über Wenzels Anordnung, die deutschen Magister mögen am Quodlibet teilnehmen, nicht jedoch über einen irgendwie gearteten Druck auf die Entscheidung der Universität bezüglich der Entsendung einer Gesandtschaft zum Konzil. So scheint es eher erst in den erregten
705 Zu den diplomatischen Aktivitäten des Kardinals Johannes von Reinstein im Dienst Wenzels IV. ˇ Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 300 f., 305. 706 Hlaváˇcek, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 150), 428. 707 Das nur in Formularform erhaltene Mandat bei Palacky, Franz: Über Formelbücher, zunächst in Bezug auf böhmische Geschichte. Nebst Beilagen. Ein Quellenbeitrag zur Geschichte Böhmens und der Nachbarländer im XIII., XIV. und XV. Jahrhundert. Prag 1842–1847 (= Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 5/2 [1842] und 5/5 [1847]), hier Bd. 5, 68 (Nr. 61). – Zur Datierung in die Novembermitte Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 289.
Der Weg zum königlichen Eingriff
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Abb. 12 Wenzel IV. als Römischer König mit Gemahlin (Initiale), am Rand umgeben von den Wappen des Reiches und Böhmens (Adler und zweischwänziger Löwe).
Tagen nach dem Quodlibet zur Universitätsversammlung gekommen zu sein. Gerade diese gereizte Stimmung und national sehr zugespitzte Lage mag Rektor Henning von Baltenhagen dazu bewogen haben, in der Versammlung nicht abstimmen zu lassen, um dadurch die Spannung nicht noch zu steigern. Sein Vorgehen wäre dann sehr weitsichtig gewesen. Zu den Radikalen gehörte der Rektor so ganz bestimmt nicht. Er scheint zur Abkühlung der Spannungen lieber Kompromisse eingegangen zu sein. Wenn die Versammlung im Oktober oder November 1408 und nicht erst nach Matthias’ Quodlibet stattgefunden hätte, wäre übrigens die Veranlassung zu umsichtigem Handeln viel kleiner gewesen, und die deutschen Magister hätten bei der Abstimmung problemlos ihre Mehrheit geltend machen können. Ob in den Tagen nach dem Quodlibet der Heidelberger Hof und die Heidelberger Universität die Entscheidung der deutschen Magister stark beeinflusst haben, ist schwer zu sagen. Trotz der kooperativen Haltung von König Ruprecht gegenüber Papst Gregor war die endgültige Entscheidung darüber auch in der rheinischen Metropole noch nicht gefallen. Auch hier schoben sie der König und seine Ratgeber so gut wie es nur ging auf. 708 Ähnlich handelte Wenzel IV., auch wenn dessen Zuwen708 Zur Politik von König Ruprecht vgl. Wriedt, Klaus: Der Heidelberger Hof und die Pisaner Kardinäle. Zwei Formen des Konzilsgedankens. In: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte. Karl Jordan zum 65. Geburtstag. Hg. v. Horst Fuhrmann, Hans Eberhard Mayer und Dems. Stuttgart 1972, 272–288.
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dung zu den Pisaner Kardinälen selbstverständlich viel deutlicher war als Ruprechts Zögern. Der römische König hatte an der Prager Universität sicher seine Exponenten, v. a. Ludolf Meistermann. Dessen Anzeige des Stanislaus von Znaim war bei stiller Zustimmung der Heidelberger Universität ohne Präzedenz. Auf der anderen Seite war die bayerische Nation an der Prager Alma Mater zum gegebenen Zeitpunkt die schwächste, ohne eine starke Gruppe aktiver Magister. Auch die Meißener Markgrafen, die so etwas wie Protektoren eines beträchtlichen Teiles der Mitglieder der sächsischen Nation waren, deren gerichtlichen Schutz sich Markgraf Wilhelm im Jahre 1401 mittels eines Privilegs vorbehalten hatte, 709 nahmen dem Konzil gegenüber an der Jahreswende keine eindeutige Haltung ein, auch wenn die beiden Mitregenten, deren Beziehungen gerade in diesen Jahren sehr gespannt waren, nach außen als Parteigänger von König Ruprecht auftraten. 710 Auch aus diesen Gründen mögen die Mitglieder der drei deutschen Universitätsnationen Rektor Henning von Baltenhagen nicht zur Abstimmung gedrängt und lieber eine Taktik des Abwartens gewählt haben. Dieses Abwarten hätte sich fast ins Unendliche ziehen können, wenn die nach dem Quodlibet aggressiv eingestellten böhmischen Magister nicht vorgehabt hätten, die Situation auszunutzen. Diese fühlten sich einerseits durch die gelehrten Zänkereien der ersten Januartage berauscht. Anderseits könnte ihr Rausch durch die nachfolgende Universitätsversammlung gehörig abgekühlt worden sein. Denn wiederum bekamen sie zu spüren, eine Minderheit zu sein. Das durchdachte und aus Sicht der deutschen Magister diplomatische Verhalten des Rektors erwies sich letztlich auch als Wasser auf die Mühlen der innerlich etwas gespaltenen böhmischen Magister. Ihr Druck auf die ihnen gewogenen königlichen Höflinge und vielleicht auch auf den König wäre möglicherweise aber ins Leere gelaufen, wenn nicht gleichzeitig die Brabanter und französischen Gesandten auf Wenzel IV. Druck ausgeübt hätten (der Bischof von Châlon-sur-Saône Philibert de Saulx, der Ritter Rainier Pot). 711 Sie verlangten von ihm eine eindeutigere Antwort als die, die er im Dezember 1408 gegenüber den Pisaner Kardinälen vorerst nur sehr bedingungsweise gegeben hatte. Die beiden Gesandten weilten zwar seit Mitte November in Prag. Die kirchlichen Reformfragen verbanden sie aber zunächst mit den Verhandlungen zur Eheschließung der Elisabeth von Görlitz mit dem Brabanter Herzog Anton. 712 Doch das Quodlibet des Matthias von Knín, das sie ursprünglich nur auf Einladung des Hieronymus von Prag und aus purer Laune als aus wirklichem Interesse besucht hatten, öffnete
709 Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 44. 710 Zur Politik der Wettiner vgl. Rogge, Jörg: Die Wettiner. Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter. Ostfildern 2005, 127 f. ˇ 711 Auf Zusammenhänge weist Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 295, 307 f., hin. 712 Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 53 (1915), 62 f. – Graus, František: Nˇekolik zpráv z bruselského archivu k cˇ es. dˇejinám z let 1402–1413 [Einige Berichte aus dem Brüsseler Archiv ˇ ˇ 47 (1949), 107 f., macht auf die mit der zur Geschichte Böhmens der Jahre 1402–1413]. In: CSPS C diplomatischen Mission nach Böhmen verbundenen Rechnungen des herzoglichen Hofes aufmerksam.
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ihnen die Augen, wie grundlegend die national gespaltene Universität die königliche Entscheidung bezüglich der Beschickung des Konzils beeinflussen könnte. Eine gewisse Rolle mag dabei v. a. ein ungenanntes Mitglied der Gesandtschaft, ein Pariser Magister, gespielt haben, der nach der „Chronik der Prager Universität“ an den Verhandlungen der Universitätsvertreter in Kuttenberg teilgenommen hat. 713 Der König kam in Kuttenberg den französischen Gesandten tatsächlich entgegen, indem er am 22. Januar 1409, also vier Tage nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes, Gregor XII. gegenüber seinen Gehorsam aufkündigte. 714 Dabei verblüfft, dass er sich der baldigen Ankunft des Gesandten des Kardinalskollegiums Landulf Marramaldi bewusst gewesen sein musste. Das spricht wiederum dafür, dass König Wenzel IV. das Kuttenberger Dekret eher überstürzt und in Wut darüber erlassen hat, dass die Universitätsversammlung der Obödienz des römischen Papstes nicht entsagte. Marramaldi könnte Wenzel IV. die Reaktion auf sein Angebot an die rebellischen Kardinäle überbracht und die Entscheidung des Königs bezüglich der Lossagung vom Papst und des Verbleibens in klarer Neutralität ins Wanken gebracht haben. Gleichzeitig könnte Wenzel IV. aber auch aufgrund „vorauseilender Nachrichten“ bereits sehr gut über die Anliegen der Gesandtschaft von Marramaldi informiert gewesen sein, v. a. wohl von Kardinal Johannes von Reinstein. Dieser hatte sich auf Vermittlung des Königs während seiner Gesandtschaft der eingekerkerten Magister Stanislaus von Znaim und Stephan von Páleˇc angenommen. 715 Deshalb hatte er sich vom Papst noch vor der Ankunft des Legaten losgesagt und befriedigte damit auch die französischen Gesandten, die somit abreisen konnten und die weiteren Geschicke der Prager Alma Mater nicht zu verfolgen brauchten.
Am Vorabend der Entscheidung Ich kehre nun zu dem Januartag zurück, an dem Wenzel IV. die bisherige Universitätsgeschichte zerriss und sich dabei – obwohl dessen Haltung völlig verleugnend – auf den Gründungsakt seines Vaters berief. Nicht aber mit dem 18. Januar 1409 beginnt dieses Kapitel, sondern mit dem vorangegangenen Tag, an dem der König auch etwas ganz Unerwartetes und Ungewöhnliches getan hatte. Am 17. Januar bestätigte er nämlich den bestehenden, im Jahre 1408 bestellten Altstädter Rat in seinem Amt für das gesamte nächste Jahr. Aufgrund der Forschun-
713 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570: „Item eodem anno [1408] veniente solemni ambasiata a rege et universitate Parisiensi ad regem nostrum Wenceslaum, pro tunc in Montibus Cutnis existentem, qui accersitis rectore universitatis cum doctoribus et magistris.“ – Den Einfluss dieses Pariser Magisters auf die Erinnerung der Pariser Verhältnisse im Text des Kuttenberˇ ger Dekretes hebt hervor Chaloupecký, Kdo vymohl Cech˚ um Dekret Kutnohorský (wie Anm. 44), 16. 714 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 348–350 (Nr. 11). – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 323, hält diese Aufkündigung allerdings für halbherzig. 715 Ebd., 288–290.
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gen zur Besetzung des Altstädter Rates im 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts von Jaroslav Mezník weiß man allerdings, dass Wenzel IV. nur ganz ausnahmsweise zur Erneuerung der Räte ohne jegliche Änderung schritt. 716 Mezníks Analyse der Personen, die im Jahre 1408 im Stadtrat saßen (der dann bis 1412 gewirkt hat), wies nach, dass der Rat größtenteils aus erfahrenen tschechischen Stadtbürgern bestand. Daraus folgert er richtig, dass diese tschechischen Stadtbürger vor dem Jahre 1408 keine geschlossene Opposition gegen die deutsche Stadtregierung bildeten und dass es daher im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in der Prager Altstadt keine fest geformte tschechische Partei gab. 717 In dem Augenblick, in dem sich Wenzel IV. dazu entschloss, in Prag die Karten neu zu mischen und die Regierung den tschechischen Stadtbürgern zu übergeben, setzte er, wie es im Mittelalter üblich war, auf Sicherheit. Zu Ratsherren ernannte er Personen, die bereits im Stadtrat wirkten und die in der Stadtverwaltung oft schon langjährige Erfahrungen gesammelt hatten. Übrigens verhielt sich die nacio bohemorum auf die gleiche Weise bei der Wahl der Würdenträger der Artistenfakultät nach der Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes, als sie die Universitätsverwaltung erfahrenen Dignitaren in die Hände legte. Unter den im Jahre 1408 bestellten Ratsherren waren auch spätere „Märtyrer“ – Opfer der Altstädter Umwälzung im Jahre 1413: Johann Ortli und Vinzenz, der Tuchscherer. 718 Überraschend tauchen im Rat weder der Mäzen der nacio bohemorum Krämer Kreuz noch sein Sohn Wenzel auf. Mezník erklärt dies mit deren Tätigkeit in Räten, die 1402/03 der ungarische König Sigismund ernannt hatte. 719 Da jedoch andere Mitglieder dieser Räte in den folgenden Jahren im Unterschied zur Familie des Krämers Kreuz erneut in die Ratsherrenschicht aufstiegen, kann die Nichtberücksichtigung von Kreuz auch andere Ursachen haben. Krämer Kreuz gehörte, wie bereits erwähnt, zu den vermögendsten Altstädter Bürgern und Renteninhabern. Seine guten Beziehungen zu einigen Mitgliedern des königlichen Hofes waren aber bereits etwas angestaubt, sodass der Generationswechsel sowohl unter den Höflingen 720 als auch
716 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 98 f., zeigt am Beispiel der 1390er Jahre und des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts, dass vor dem Jahre 1408 bei den einzelnen Räten längere Amtszeiten als ein Jahr die Ausnahme darstellten. 717 Ebd., 123. An anderer Stelle (ebd., 156) spricht Mezník jedoch etwas übertrieben davon, dass „es am Jahrhundertende in Prag eine tschechische Nationalbewegung gibt, die gegen die Vorherrschaft der Deutschen in den städtischen Ämtern kämpft, sowie eine Reformbewegung, die sich gegen die Mängel der Kirche wendet. Diese beiden Bewegungen sind nie ganz zusammengeflossen.“ Damit, dass die nationale bzw. nationalistische und die Reformbewegung nie völlig miteinander verschmolzen seien, hat er zweifellos Recht; seine Behauptung aber, dass jene „tschechische Nationalbewegung“ bereits seit dem Ende des 14. Jahrhunderts gegen die Vorherrschaft der Deutschen in der Stadt gekämpft habe, widerspricht meines Erachtens seinen analytischen Feststellungen, die diesen Kampf erst für die Jahre 1412/13 und eine tatsächliche Äußerung der „tschechischen Partei“ erst für die Jahre 1408/09 belegen. 718 Zu deren Hinrichtung vgl. Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy (wie Anm. 19), hier Bd. 3, 550. 719 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 123. 720 Zur tschechischen Partei am Hofe Wenzels IV. im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts vgl. Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 225. – Der Austausch der königlichen Günstlinge zur Jahrhundertwende bei Štˇepán, Václav: Vražda cˇ tyˇr cˇ len˚u královské rady na Karlštejnˇe roku 1397 [Die
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unter den Förderern der „tschechischen Partei“ eine gewisse Rolle bei seiner Nichtwiederaufstellung als Stadtrat gespielt haben mag. Gleichzeitig kann die Erklärung dafür aber auch ganz prosaisch sein: Krämer Kreuz hatte zur besagten Zeit einfach jegliches Interesse an der Ausübung eines Amtes in der Stadtverwaltung verloren. Das ist auch von einer ganzen Reihe anderer Großstädte bekannt, bei denen einige der reichsten und wirtschaftlich aktivsten Patrizier nicht in den Stadträten saßen und die Verwaltung lieber den übrigen Stadtbürgern überließen. 721 Ihr gesellschaftliches Prestige verloren sie dadurch nicht. Übten sie doch ihren gesellschaftlichen Einfluss auch auf eine andere Art aus als auf rein verwaltungspolitische Weise. Und so kann es auch beim Krämer Kreuz gewesen sein. Dieser gehörte weiterhin dem Bethlehemskreis des Johannes Hus an und stiftete 1409, offensichtlich bereits nach der Krise um das Kuttenberger Dekret, in der Bethlehemskapelle einen zweiten Altarplatz. Als seinen Verwalter und als den zweiten Bethlehemsprediger empfahl er Stephan von Páleˇc, der zum gegebenen Zeitpunkt nicht in Prag war. Auch seine Nähe zu Stephan legt die Vermutung nahe, dass Kreuz zu einer anderen Generation von aktiven Tschechen gehörte. Der Stephan von Páleˇc angebotene Predigerposten war eine sehr ertragreiche Pfründe, denn der zweite Prediger sollte jährlich ein Gehalt von 12 Schock und 22 Groschen beziehen. Das Patronatsrecht hatte Kreuz jedoch für sich und seine Erben behalten, nach dem Muster des ersten, im Jahre 1391 gestifteten Predigerpostens. Da er das Vorschlagsrecht zweier Kandidaten den Altstädter Ratsherren tschechischer Herkunft überließ, scheint er die Bindung an den neuen Rat, an die sich formende „tschechische Partei“ nicht verloren und vielmehr zum Kreis seiner Gönner gehört zu haben. Krämer Kreuz war aber ein Mäzen modernen Typs. Er konnte rechnen und wusste, dass nichts ewig dauern muss. Deshalb hatte er in die Gründungsurkunde des zweiten Predigerpostens die Klausel einfügen lassen, dass bei einer fehlenden Vertretung von Tschechen im Rat jene beiden Predigerkandidaten vier ältere Magister aus den Reihen der böhmischen Universitätsnation vorschlagen sollen. 722 Eine Deutung der Beweggründe Wenzels IV. im Jahre 1408 zu einer solch grundsätzlichen Veränderung des Altstädter Rates und zu einer solch starken und erstmaligen Bevorzugung tschechischer Stadtbürger im Rat macht mehr oder weniger ratlos. Mezník vergleicht die Ernennung des Rates im Jahre 1408 mit dem Kuttenberger Dekret und kommt zu dem Schluss, beide Akte seien Ausdruck der Bemühungen zur
ˇ CH ˇ 92 Ermordung von vier Mitgliedern des königlichen Rates auf Karlstein im Jahre 1397]. In: C (1994), 24–44. 721 Zum Verhalten der städtischen Eliten Nodl, Martin: Elity v cˇ eských a moravských pozdnˇe stˇredovˇekých mˇestech jako badatelský a interpretaˇcní problém [Eliten in den böhmischen und mährischen spätmittelalterlichen Städten als Forschungs- und Interpretationsproblem]. In: Pražské mˇestské elity stˇredovˇeku a raného novovˇeku – jejich promˇeny, zázemí a kulturní profil. Hg. v. Olga Fejtová, Václav Ledvinka und Jiˇrí Pešek. Praha 2004, 23–49. 722 Die betreffenden Quellen bei Sokol, Pˇríspˇevek (wie Anm. 388), 29 f. – Zu den Zusammenhängen und zur Person des vorgeschlagenen zweiten Predigers Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 209–214.
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Tschechisierung und zur Entwicklung der Reformströmung. 723 Dabei setzt er voraus, dass der Großteil der tschechischen Ratsherren Hus und seinen Universitätskollegen gewogen war. Dem widersprechen allerdings ausgeprägt reformfeindliche oder direkt antihussitische Äußerungen bei manchen dieser tschechischen Ratsherren in den folgenden Jahren. Wären die tschechischen Ratsherren aber Hus und seinen Universitätskollegen tatsächlich gewogen gewesen, dann wäre ihre Ernennung im Jahre 1408 ein wirklich durchdachter Zug von König Wenzel IV. und von seinen reformorientierten und pronational eingestellten Ratgebern und Höflingen gewesen. Dieser für die Beurteilung des Kuttenberger Dekretes so verlockenden Auslegungslinie steht aber meines Erachtens die Tatsache im Wege, dass Wenzel IV. bei der Änderung der Zusammensetzung des Rates zu Gunsten der Altstädter Tschechen kein Privileg erlassen hat, das auch künftig die ethnische Zusammensetzung des Rates begründen und dauerhaft machen konnte. Nach diesem Schritt griff er erst wieder 1413 im Rahmen der Kämpfe um die Vorherrschaft in der Stadt ein. Er erteilte der Prager Altstadt ein Privileg, in dem er sich dazu verpflichtete, einmal im Jahr den Stadtrat mit Personen zu erneuern, die zuvor von den alten Ratsherren empfohlen worden sind (es sollten 50 Personen sein). Dabei sollten die eine Hälfte des neuen achtzehnköpfigen Rates immer die Deutschen und die andere Hälfte die Tschechen bilden. 724 Dass der neue, überwiegend tschechische und nach der Hinrichtung von Johann Ortli und Vinzenz, dem Tuchscherer am 2. November 1413 ernannte Rat dieses Privileg abgelehnt und an den König zurückgegeben hat, ist eine andere Sache und spiegelt eher das Selbstbewusstsein der aktiven tschechischen Stadtbürger wider, die sich ihr Übergewicht in der Stadtverwaltung nicht mehr nehmen lassen wollten. Wenzels Privileg, 725 verbunden mit einem Erlass der Steuerzahlung an den König binnen zehn Jahren, sollte man meines Erachtens v. a. als ein Versuch des Königs verstehen, zwischen den zerstrittenen Parteien zu schlichten. Hintergrund ihres Streites könnte der bereits sehr zugespitzte Kampf um Hus gewesen sein, dem der König nach der Ablassaffäre bei Weitem nicht mehr so wie früher gewogen war. Es scheint sogar, als wollte Wenzel die radikale Lösung im Kuttenberger Dekret nicht wiederholen. Rief sie doch, wie noch gezeigt wird, stark national gefärbte Reaktionen hervor und richtete die ganze Universität auf neue, in ihrem Wesen selbstzerstörende Streitigkeiten aus. Das hatte Wenzel IV. im Januar 1409 nicht beabsichtigt. Dass die Lösung des Konfliktes in der Prager Altstadt in gewisser Weise auf die mit dem Kuttenberger Dekret verbundenen Probleme reagierte, davon zeugt auch, dass der Berichterstatter des königlichen Privilegs vom Jahre 1413 Nikolaus Augustini war, hier Nikolaus von Okoˇr genannt. 726 Er hatte bereits beim Erlass und der Durchset-
723 Darauf macht bereits Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 128, aufmerksam. 724 Codex juris municipalis regni Bohemiae. Bd. 1: Privilegia civitatum Pragensium. Pragae 1886, 208– 212 (Nr. 131), hier 211: „so sullen sie funfczig gesessen erbere leute und burgere uns geschriben geben ader senden, halb Behem und halb Dewczen, aus denselben sollen wir achtczehen schopfen seczen und kysen, halb Behem und halb Dewczen“. 725 Eine detaillierte Analyse bei Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 168. 726 Codex juris municipalis (wie Anm. 724), 212 (Nr. 131).
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zung des Kuttenberger Dekretes eine bedeutende Rolle gespielt. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass dieses Privileg vom ehemaligen Altstädter Schreiber Georg von Weilburg angefertigt wurde. Dessen Bruder Sigismund (Sigismundus de Pretorio) trat auf dem Quodlibet des Matthias von Knín auf, wird im Jahre 1410 als Promotor ˇ ciˇce 727 angeführt und war im Jahre 1413 Protonotar der Prager des Nikolaus von Reˇ Altstadt, wie früher sein Vater Johannes von Weilburg und bis zum Jahre 1412 auch sein Bruder Georg. 728 Ihre deutsche Herkunft muss dabei überhaupt kein Hindernis bedeutet haben. Sigismund blieb Altstädter Protonotar auch in der Zeit, als im Rathaus die tschechischen Stadtbürger überwogen. Dasselbe gilt auch für Georg, der im selben Amt gerade 1408 wirkte, als die Tschechen zum ersten Mal die Majorität stellten. Die beiden Brüder, aber auch Nikolaus Augustini, hatten mit der Schlichtung national motivierter Streitigkeiten im Prager Umfeld, und zwar zunächst an der Universität, ihre eigenen Erfahrungen. Deshalb konnten gerade sie eine Kompromissbzw. Paritätslösung vorschlagen. Übrigens begegnet man bestimmten Anläufen zu einer paritätischen Entscheidung bereits 1412, als nach Hussens Zeugnis die Stadtgemeinde zusammengetreten war – die der Tschechen und die der Deutschen – und über den Abriss der Bethlehemskapelle und über die Anordnung zum alleinigen Besuch von Pfarrkirchen entscheiden sollte. 729 Ich bin freilich unentschlossen, ob ich diesem Bericht Glauben schenken soll oder nicht. Erregt er doch meinen Verdacht v. a. aus dem Grund, weil er von einer Versammlung der Gemeinde spricht. Solch ein Vorgang ist vor 1419 gar nicht weiter belegt, er kam in Gestalt einer großen Gemeinde erst während der Revolution zur Geltung. 730 Trotzdem kann Hussens Zeugnis sowohl die Geltendmachung des ethnischen Prinzips bei der Lösung der Streitigkeiten in der Prager Altstadt widerspiegeln als auch die Suche nach Kompromisslösungen in Form einer paritätischen Vertretung der beteiligten Parteien, wie es Wenzels Privileg vorschlägt, möglicherweise auch aus Angst vor einer – wenn auch, so glaube ich, unter den gegebenen Umständen sehr unwahrscheinlichen – Sezession, dem Auszug der Prager Deutschen. Das wurde erst nach 1420 aktuell, und zwar nicht wegen eines rein ethnischen, sondern wegen eines religiös-ethnischen Prinzips. 731 Im Bewusstsein all dessen, v. a. der fehlenden normativen Verankerung der neuen Zusammensetzung des Altstädter Rates im Jahre 1408, scheint es wahrscheinlicher, dass Wenzel IV. und sein Hof bei der Bevorzugung des tschechischen bürgerlichen Elements aus anderen, nicht näher bekannten Motiven handelten. Eine überraschende Antwort in dieser Hinsicht bietet die Abschlussrede des Hieronymus von Prag bei seinem Prozess auf dem Konstanzer Konzil. Darin bezeichnet er sich selbst und den zu jenem Zeitpunkt bereits als Häretiker verurteilten und verbrannten Hus als die Hauptinitiatoren der Umwälzungen in der Verwaltung der Prager Altstadt. Damit
727 728 729 730 731
MUPr I /1, 409. Zu beiden vgl. Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 321, 483. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 191, mit Hinweisen zu Hussens Reflexion. Zur Problematik großer Gemeinden vgl. Seibt, Hussitica (wie Anm. 60), 136–138. Šmahel, Idea národa (wie Anm. 79), 119–123.
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bestätigte er nur die bereits vorgefasste Meinung der Konstanzer Richter und v. a. der früheren Prager Universitarier, Hus und Hieronymus hätten langfristig den Niedergang der Deutschen im Königreich Böhmen angestrebt und seien diesen schon lange vor dem Erlass des königlichen Dekretes missgünstig, ja geradezu aggressiv gegenübergetreten – und dies nicht nur in der Universität, sondern auch in der Prager Altstadt. Hieronymus’ Abschlussrede war flammend, patriotisch zugespitzt und mitunter auch stark nationalistisch. Ihr zufolge beherrschten die Deutschen das ganze Königreich Böhmen, bekleideten alle weltlichen Ämter, und die Tschechen galten nichts dagegen. 732 In dieser Hinsicht ähnelten sich die Ansichten von Hieronymus und Hus. Hus soll nämlich laut der Klage des Johannes Protiva von Neudorf bei einer Predigt gesagt haben, die Deutschen unterdrückten die Tschechen und besetzten in Böhmen alle Ämter. Deshalb seien die Tschechen in ihrem Lande armseliger als Hunde oder Schlangen. Denn Hunde verteidigten ihr Lager. Und wenn ein anderer Hund sie je vertreiben wollte, dann kämpften sie mit ihm. Und genauso verhielten sich auch Schlangen. Hus hatte sich zu diesem Ausspruch mit der Einschränkung bekannt, ihn im Zusammenhang mit dem Einfall der Bayern und Meißener gesagt und damit gemeint zu haben, die Tschechen verteidigten ihr Königreich selbst in dem Augenblick nicht, wenn sie dazu einen gerechten Grund („causam iustam“) haben. In diesem Kontext muss man an das Trauma des Tschechentums denken, das sich bezeichnenderweise mit der Abtretung des Sudetenlandes im Jahre 1938 oder mit der russischen Okkupation im Jahre 1968 verbindet! Viel wichtiger sind aber Hussens weitere Darlegungen. Die Tschechen sollten laut Gesetz und Naturrecht die ersten in den Ämtern des ganzen Königreiches sein, wie die Franzosen im französischen Königreich und die Deutschen in ihren Ländern. Die Tschechen mögen das Ihre, und die Deutschen mögen das Ihre verwalten. Wozu wäre es gut, fragt Hus weiter, wenn ein Tscheche, der nicht Deutsch spreche, Pfarrer oder Bischof in Deutschland werden würde? 733 Ein solcher Mensch wäre in seinem Amt so nutzlos wie ein Hund, der beim Hüten der Herde nicht bellen könnte. Und so nutzlos seien auch die der tschechischen Sprache unkundigen Deutschen in Böhmen. Im Falle der Geistlichen, fügt Hus noch hinzu, geschehe dies gegen Gottes Gesetz und gegen die Kanones. 734 Wie man sieht, geht Hus hier in seiner Argumentation viel weiter als Hieronymus. Er argumentiert nicht nur damit, dass die Deutschen die Tschechen unterdrückten und die Ämter besetzten, sondern hebt auch das Naturrecht und die Gewohnheiten in den umliegenden Ländern hervor, die in Böhmen bisher noch nicht zur Geltung gekommen seien. In dieser Hinsicht steht also seine Argumentation der naturrechtlichen Argumentation des Kuttenberger Dekretes und der „Defensio mandati“ des Johannes von Jessenitz näher als die des Hieronymus. Dabei ist sie weniger vordergründig nationalistisch. Hieronymus neigt in seinen weiteren Worten an das ihm nicht sehr gewogene Konstanzer Auditorium zur Vereinfachung
732 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 177. 733 Ebd. 734 Ebd., 178.
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und zur Übertreibung. Nach seinem Zeugnis saßen im gegebenen Augenblick (er stuft diese Ereignisse in keiner Weise zeitlich ein und spricht nur allgemein) 16 Deutsche und bloß zwei Tschechen im Rat. Nachdem er sich dessen bewusst geworden sein will, habe er sich gemeinsam mit Hus dazu entschlossen, zum König und zu einigen tschechischen Adligen und Laien mit denselben Ansichten zu gehen. Schließlich wollen sie Wenzel IV. überzeugt haben, in den Rat 16 Tschechen und zwei Deutsche einzusetzen. 735 Wie es im Allgemeinen zu sein pflegt, lag die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte. Der König ernannte zwischen dem 11. und 26. Januar bestimmt keine 16 Tschechen zu neuen Räten. Nach dem bereits zitierten Mezník gab es in diesem Rat neun Tschechen, vier Deutsche und fünf Personen, deren Nationalität schwer zu bestimmen ist. 736 Warum Hieronymus so übertrieb, weiß man nicht, vielleicht um zu provozieren. Denn in jenem Augenblick hatte er bereits nichts mehr zu verlieren. Möglicherweise hat er aber auch nur seine und Hussens Rolle bei der Veränderung der nationalen Zusammensetzung des Altstädter Rates überschätzt. Sie muss irgendwann am Ende des Jahres 1407 oder am Anfang des folgenden Jahres initiiert worden sein. Wahr ist, dass sich Hieronymus 1407 in Prag aufhielt und dass es ihm am Jahresanfang gelang, Mitglied der Prager Universität zu werden. 737 Sonst fehlt es allerdings an Informationen über seine Tätigkeit in diesem Jahr und an belastbaren Quellen, welche die Beziehungen zwischen den reformorientierten und deutlich national eingestellten Höflingen Wenzels IV. und zwischen den tschechischen Stadtbürgern und den Universitariern aus den Reihen der nacio bohemorum aufschlüsseln. Mit diesen Fragen hängt die Frage der Intensität der Beziehungen der Prager Stadtbürger zur Prager Universität zusammen. Bis zum Quodlibet des Matthias von Knín, zu dem Hieronymus Vertreter des Altstädter Rates eingeladen hatte, also des Rates, hinter dessen Ernennung er, Hus und die pronational eingestellten Höflinge Wenzels IV. standen, gibt es nämlich keinerlei Belege für eine Verknüpfung von Universität und Stadtrat (die Einmischung der beiden späteren Märtyrer Ende 1407 oder Anfang 1408 ausgenommen). Aus der Sicht des Gründers der Universität, Karls IV., spielte die Stadt keine Rolle. Übrigens gab es eine enge Bindung zwischen dem Rat und der Hohen Schule nur dann, wenn der Universitätsstifter die Stadt selbst war wie im Falle Kölns am
735 Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 758: „Quoniam in civitate Pragensi et in consilio civitatis essent octodecim viri, quorum sedecim fuissent Teutonici, et duo Boemi. Et quod totum regnum gubernabatur per Teutonicos, et omnia officia secularia habebant, et laici Bohemi pro nihilo reputabantur. Ipse vero Hieronymus videns hoc, una cum magistro Johannes Huss [. . . ] iverunt ad regem Bohemiae modernorum exponentes sibi talia, cum aliis nobilibus de Bohemia, concludentes, quod talia essent res mali exempli, et tenderent in destruccionem linquae Bohemicalis. [. . . ] Et quod tamen ipsi, Hieronymus et magister Johannes Hus deduxerunt materiam illam cum adiutorio Bohemorum, nobilium et aliorum, quod ubi sedecim Teutonici fuerunt in consilio civitatis Pragensis, fuerunt positi sedecim Bohemi, et loco duorum Bohemorum fuerunt positi duo Teutonici.“ 736 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 120–122. 737 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 36.
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Rhein und Erfurts. In Erfurt, das nach der Gründung seiner Universität einen Teil der Prager Studenten anzog, 738 schworen sogar alle Universitätsmitglieder dem Stadtrat die Treue. 739 Dieser hatte einen sehr starken Einfluss auf die Besetzung der Kollegiatsplätze. Um jedoch keinem Irrtum Vorschub zu leisten: Die tatsächlichen Aufwendungen für den Betrieb der Erfurter Universität aus der Stadtkasse waren nicht allzu hoch, sie betrugen nicht einmal ein Prozent des städtischen Jahreseinkommens. Ein anderes, für das Umfeld der Prager Universität bedeutsameres Problem stellte das Interesse der Bürgersöhne an einer akademischen Ausbildung dar. Mezník stellt bei seiner Analyse der Prager Altstadt am Anfang des 15. Jahrhunderts fest, dass man „sehr oft den Söhnen der Prager Stadtbürger unter den Studenten an der Universität begegnet“. 740 Ist dies aber wirklich der Fall? Šmahels Forschungen zur juristischen Universität haben gezeigt, dass im Rahmen der nacio bohemorum die aus Prag stammenden Studenten nur 16 Prozent aller Böhmen und Mährer bildeten (in den Jahren 1399–1408 waren es 18 Personen bei einer Gesamtanzahl von 112, in den Jahren 1408–1418 bloß 15 Personen von insgesamt 71). Überträgt man diese Zahlen für das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts auf die ganze juristische Universität, dann bildeten die Prager sogar nur 3,4 Prozent aller Jurastudenten. 741 Eine ähnliche Situation herrschte auch an der Artistenfakultät. 19 Prager erwarben dort in den Jahren 1399–1408 einen der Grade im Rahmen der nacio bohemorum. Sie stellten 9–11 Prozent der böhmischen Universitätsnation. Bei Übertragung auf alle in dieser Zeitspanne graduierten Universitarier macht das bloße 2,2 Prozent aus. Die geringere Anzahl an Prager Bürgersöhnen an der Artistenfakultät im Vergleich zur juristischen kann aber auch durch die Art der Immatrikulation beeinflusst worden sein. Bei vielen Personen gerade aus den Reihen der nacio bohemorum gab man nämlich den Herkunftsort nicht an. Daher, so ist zu vermuten, fehlt gerade bei den Pragern der Herkunftsvermerk, bzw. die Herkunft ist weniger regelmäßig als in anderen Fällen angegeben. Trotz dieser Einschränkungen zeigen die quantitativen Erhebungen recht eindeutig, dass die Prager Alma Mater für die Söhne der Prager Stadtbürger nicht allzu anziehend war und dass sie eine universitäre Ausbildung in Prag nur in Ausnahmefällen anstrebten. Als Magister-Regenten im Rahmen der ganzen Artistenfakultät und im Rahmen ihrer nacio bohemorum verschafften sich die Nachkommen der Prager Stadtbürger ebenfalls nur sehr am Rande Geltung. Zwischen 1390 und 1399 gab es unter den 37 Magister-Regenten nur drei oder vier Prager. Zwischen
738 Schumann, Die „nationes“ (wie Anm. 59), 140, führt an, dass man für das Jahr 1392 etwa 50 Personen ermitteln könne, die direkt aus Prag nach Erfurt gekommen seien. 739 Nach den Universitätsstatuten aus dem Jahre 1447 – vgl. Acten der Erfurter Universitaet. Teil 1: Päpstliche Stiftungsbullen. Statuten von 1447. Allgemeine Studentenmatrikel, erste Hälfte (1392– 1492). Bearb. v. J. C. Hermann Weissenborn. Halle 1881, 22. 740 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 148. 741 Umrechnung laut Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 18–20.
Am Vorabend der Entscheidung
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1400 und 1408 waren von den 35 Magister-Regenten wiederum nur vier Personen Prager Herkunft. 742 Dieser Befund ist im Vergleich zu den anderen mitteleuropäischen Universitäten allerdings keine Ausnahme. In Erfurt bildete sich eine engere Bindung zwischen Universität und Stadt erst in der zweiten und dritten Generation der Universitarier heraus, also erst gut 40 Jahre nach der Universitätsgründung von 1392. Die ersten Erfurter Magister waren v. a. ehemalige Prager Universitarier mit westfälischer, niedersächsischer und thüringischer Herkunft. In den weiteren Jahrzehnten erscheinen zwar unter den Magistern und den Rektoren immer häufiger Angehörige der oberen Erfurter Stadtschicht, jedoch mit Ausnahme der Juristenfakultät wurden sie an keiner Fakultät zu einer einflussreichen Gruppe. Im Zusammenhang mit der Änderung der Immatrikulationszahlen an der Erfurter Universität kam es auch zu Änderungen bei dem Erwerb von Universitätspfründen durch die Nachkommen der Erfurter Stadtbürger. Seinen Höhepunkt erreichte das Interesse der städtischen Eliten für die Universität in den 1430er Jahren und dann noch einmal nach 1470. Da bildeten die Erfurter ein Viertel der pädagogisch aktiven Magister, obwohl unter den immatrikulierten Studenten die Nachkommen der politisch bedeutenden Erfurter Familien in den Jahren 1392–1500 bei eindeutigem Übergewicht der Jurastudenten nur mit einem Prozent vertreten waren. 743 In dieser Hinsicht war aber die Bindung der Stadtbürger an die Universität intensiver als in Köln am Rhein, wo die Nachkommen der örtlichen Stadtbürger etwa 15 Prozent aller aktiven Magister stellten. 744 Eine ähnliche Situation herrschte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch an der Leipziger Universität, die aber keine städtische, sondern eine landesherrliche Universität war. In den Jahren 1409–1539 immatrikulierten sich dort 1308 Personen Leipziger Herkunft, wobei 206 Universitarier Nachkommen der Ratsherrenschicht waren. Den Bakkalaureusgrad erreichte jedoch kaum mehr als ein Viertel (316) der aus Leipzig stammenden Personen und den Magistergrad selbstverständlich noch weniger (104). Für die Beziehung der Ratsherrenschicht zur Universität ist charakteristisch, dass ihre Nachkommen einen Universitätsgrad häufiger als gewöhnliche Stadtbürger erwarben, nämlich 36 von 206 Personen. 745 Jedenfalls war das Interesse der Bürgersöhne in Prag für die Bildung und die Leitung der Universität bzw. der Artistenfakultät geringer als in Erfurt, Köln und
742 Dies ergibt sich aus der Prosopographie-Analyse der Regenten aus den Reihen der nacio bohemorum. 743 Gramsch, Robert: Universität, städtische Politik und städtische Führungsgruppen in Erfurt 1379/92–1509. In: Les universités et la ville au Moyen Age. Cohabitation et tension. Hg. v. Patrick Gilli, Jacques Verger und Daniel Le Blévec. Leiden-Boston 2007, 145–162; Ders., Erfurter Juristen im Spätmittelalter (wie Anm. 628). 744 Meuthen, Erich: Kölner Universitätsgeschichte. Bd. 1: Die alte Universität. Köln 1988, 80. 745 Bünz, Enno: Gründung und Entfaltung. Die spätmittelalterliche Universität Leipzig. In: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409–1830/1831. Hg. v. Dems., Manfred Rudersdorf und Detlef Döring. Leipzig 2009, 21–325, hier 286.
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eventuell auch in Krakau. Dort stellten die aus Krakau und den umliegenden Vorstädten stammenden Universitarier einen höheren Anteil als in Prag (etwa 5 Prozent). 746 Aus diesem Grund kann man schließlich feststellen, dass das Interesse des Johannes Hus und des Hieronymus von Prag an der Tschechisierung des Altstädter Rates nicht irgendwelchen engen Bindungen zwischen der Universität und den Universitariern auf der einen Seite und dem Stadtrat und den Stadtbürgern auf der anderen Seite entsprang, sondern vielmehr politisch und in diesem Augenblick auch national motiviert war. Wenzel IV. ließ sich zwar für die Änderung des Rates im Hinblick auf seine Nationalitätenzusammensetzung gewinnen, ging jedoch dabei sehr umsichtig vor. Er schuf eine tschechische Majorität, nicht aber eine solche, wie sie Hieronymus in Konstanz behauptete. Den König hatten dazu möglicherweise auch heute nicht mehr rekonstruierbare wirtschaftliche Interessen veranlasst. Jedenfalls stellt sein Schritt im Kontext seiner Politik einen überraschenden Eingriff in die bestehenden Gewohnheiten dar. Auf symbolischer Ebene schuf er nämlich eine Brutstätte für bedeutende – auch wenn ich denke, Anfang 1408 noch ganz ungeahnte – national motivierte Eingriffe in andere Bereiche, in diesem Fall v. a. in die Verwaltungsstruktur der Prager Universität. Die Bestätigung des Altstädter Rates am 17. Januar 1409, also jenes ein Jahr früher bestellten Rates mit tschechischer Mehrheit, gab ein klares Signal für bedeutende Änderungen, zu denen es gleich am nächsten Tag kommen sollte.
Das königliche Dekret Die Wochen und Monate zwischen dem 18. Januar und dem 9. Mai 1409 schreiben in der mittelalterlichen Historie Böhmens eine der wenigen wirklichen Geschichten. Aus Ermangelung einer dramatischen Schilderung dieser Geschichte kennt man weder ihre Hauptakteure noch die Zeit, in der sie während der einzelnen Akte die Bühne betraten. Und mehr noch: Nach 600 Jahren, die seit diesen Ereignissen vergangen sind, ist auch die Reihenfolge der einzelnen Akte dieses Theaterstücks durcheinander geraten. So steht es nun an, wie Schauspieler ohne Drehbuch nach dem Zuruf des Souffleurs, zu improvisieren. Zum Glück hört man zumindest in groben Tönen die Ouvertüren der königlichen Sinfonie. Sie ertönten in den vorangegangenen Kapiteln. Und was noch wertvoller ist, fast alle Details des großartigen Adagios kann man vernehmen – die tschechischen „Helden“ im Siegesrausch und die deutschen „Verdammten“ zwischen wütendem Niedergang und tiefer Trauer. Große Geschichten brauchen große Erzähler. Derer gibt es allerdings, um die Wahrheit zu sagen, nur zwei. Die übrigen beschränken sich auf kleine Glossen, auf
746 Gasiorowski, ˛ Antoni: O mieszczanach studiujacych ˛ na Uniwersytecie Krakowskim w XV wieku [Über die an der Krakauer Universität studierenden Stadtbürger im 15. Jahrhundert]. In: Aetas media aetas moderna. Studia ofiarowane profesorowi Henrykowi Samsonowiczowi w siedemdziesiat ˛ a˛ rozcnic˛e urodzin. Hg. v. Halina Manikowska, Agnieszka Bartoszewicz und Wojciech Fałkowski. Warszawa 2000, 653–663. – Die aus der Krakauer Woiwodschaft stammenden Universitarier bei Gasiorowski, ˛ Die Graduierten (wie Anm. 221), 256–261.
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gezielte oder kollektive Beschuldigungen, auf Zeugenaussagen zu konkreten Begebenheiten, jedoch ohne Bezug zum Ganzen. Überraschend ist, dass die „Chronik der Prager Universität“ dem Dekret nur drei Absätze widmet. Sie belegen eindeutig, dass für den Autor (oder die Autoren) der Chronik die religiösen und theologischen Streitigkeiten der kommenden Jahre, die zur Durchsetzung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt und zum Ausbruch der Revolution mit den taboritischen Radikalen an der Spitze geführt haben, viel wesentlicher waren. Der erste der beiden großen Erzähler bleibt anonym. Es ist der Autor (oder die Autoren) der „Alten böhmischen Annalen“. Der Schöpfer des sog. Kreuzherrenmanuskriptes schildert die Geschichte so, wie sie sich seine Zeitgenossen an der Universität erzählten, einschließlich der Hauptargumente, die ihr Handeln stützen sollten. Seiner Meinung nach gründete Karl IV. die Universität nach Pariser Vorbild. Da es jedoch im Jahre 1348 in Böhmen nicht genug einheimische Gebildete, also „böhmische Magister“ gegeben habe, lud er viele deutsche Magister ins Land ein: „Er ließ zunächst viele deutsche Magister kommen und erlaubte ihnen, dass sie drei Stimmen und die böhmischen Magister nur eine haben.“ 747 All das sollte jedoch, so argumentierten übrigens auch jene Magister zur Verteidigung des Kuttenberger Dekretes, nur bis zu dem Zeitpunkt gelten, „bis die böhmischen Magister zahlreicher waren“. In der Zeit Wenzels IV. gewannen die böhmischen Magister dann angeblich den Eindruck, „dass es ihnen nicht nach den kaiserlichen Urkunden erging“, und zwar auch deshalb, weil sich „die Deutschen über die Tschechen sehr erhoben und die tschechische Sprache sehr unterdrückten“. Deshalb fuhren sie zum König auf die geliebte Burg Toˇcník und woandershin, wo sie um ihre Rechte „viel rechteten“, nach den Worten des Chronisten „mehr als ein Jahr lang“. Die Deutschen sollen darüber verzweifelt gewesen sein. Noch bevor aber der König ein Urteil gesprochen habe, verschworen sie sich und beschlossen (durch einen kollektiven Schwur besiegelt und bei Strafe des Abhackens des Daumens an der rechten Hand), Prag lieber zu verlassen, sollten ihnen die drei Stimmen nicht bleiben. So sei es dann auch geschehen. Keiner von ihnen blieb dem Chronisten zufolge im Lande, sie zerstreuten sich in alle Richtungen, die meisten gingen „an den Rhein und nach Sachsen und ins Vogtland und nach Bayern und in verschiedene andere deutsche Länder, sodass von ihnen mehr als zwanzigtausend aus Prag auszogen“. 748 Einige von ihnen gründeten dann die Hohe Schule in Leipzig, die „zur Schande der einst ruhmreichen Prager Hohen Schule“ weiterbestehe. Die Prager sollen jedoch den Weggang der deutschen Magister bedauert haben, profitierten sie doch stark von ihnen – Prag war durch ihre Vermittlung verschönert und reich geworden, „denn die Söhne großer Fürsten und Grafen und Bannerherren und anderer Edelleute studierten in Prag, wohnten hier, und reiche Kaufleute brachten ihren Söhnen nach Prag, die hier studierten, ihre Waren, damit sie sie verkaufen, andere Waren einkaufen und diese ihren Vätern nach anderen
747 Staré letopisy cˇ eské z rukopisu Kˇrižovnického [Die alten böhmischen Annalen aus dem Kreuzherˇ renmanuskript]. Hg. v. Miloslav Kanák und František Šimek. Praha 1959, 40. 748 Ebd., 41.
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Ländern schicken“. Einen wirtschaftlichen Nutzen von der Universität habe allerdings nicht nur Prag, sondern das ganze böhmische Land gehabt. Den Weggang der Deutschen aus Prag sollen nicht nur die Prager Kaufleute und Handwerker beklagt haben, sondern auch die Magister und Studenten selbst, die „sich wahrlich lange nach Prag sehnten und diese Vereinbarung und Verschwörung, die sie unter sich gemacht hatten, bedauerten“. Als Hus in Konstanz gerichtet wurde, beschuldigten sie ihn angeblich, er habe sie aus Prag vertrieben, und trugen so zu seinem Todesurteil bei. Wie man sieht, schäumt diese umfangreichste Geschichte aus der Feder eines tschechischen Autors, wahrscheinlich eines Prager Stadtbürgers, 749 nicht über von bunten Bildern. Obwohl er, wie er selbst sagt, auf Grundlage der Berichte und Zeugnisse der alten Magister Johannes von Pˇribram, Johannes Schindel, Johannes von Borotin, Matthias Louda von Chlumtschan und Johannes von Klingenberg erzählt, entbehrt seine Geschichte trotzdem dramatischer Wendungen. Jene alten Magister sollen ihm übrigens gesagt haben, dass die Universität vor dem „Auszug“ der Deutschen 34.000 immatrikulierte Universitarier besessen habe. Das einzige, worin er sich originell zeigt, ist seine Behauptung, dass der Streit ein ganzes Jahr gedauert habe, dass die Parteien miteinander „rechteten“, also gestritten hätten, und dass die Tschechen und die Deutschen wiederholt zum König gefahren seien, wobei der König nur den Tschechen sein Gehör geschenkt habe. Der eigentliche Grund des Wegganges der deutschen Magister und Studenten seien schließlich ihre Unversöhnlichkeit und ihr Verschwörungseid gewesen. Damit wiederholt der Autor des sog. Kreuzherrenmanuskriptes wiederum die zeitgenössischen, bereits aus den Glossen und Reflexionen des Johannes Hus bekannten Argumente. Die Ursache des Streits sei rein national gewesen: Die Böhmen hätten jene ursprüngliche Idee Karls IV. ins Leben rufen wollen, waren sie doch inzwischen zahlreich genug geworden. Darin stimmt der Autor der „Alten böhmischen Annalen“ mit der Darstellung der „Defensio mandati“ überein. Die Deutschen aber hätten sie angeblich daran gehindert und sich über sie erhoben. Deshalb hätten die unterdrückten Böhmen wiederum die Initiative ergriffen und sich an den König gewandt, der ihnen dann auch entgegengekommen sei. Der Autor des sog. Kreuzherrenmanuskriptes argumentiert also überwiegend naturrechtlich. Die angeblich unterdrückten Böhmen, für die ja die Hohe Schule ursprünglich gegründet worden sei, hätten nur auf die ihnen einst erteilten Rechte gepocht, sich gegen die Angriffe der hochmütigen Ausländer gewehrt und sich hilfesuchend an den Herrscher ihres Landes gewandt. Sie wollten nichts Anderes als das, was ihnen „in antiquo“, bei der Gründung der Hohen Schule zugesagt worden sei, auch wenn es zeitweilig wegen der unzureichenden Anzahl an Gelehrten unter ihnen aufgeschoben werden musste. Nach dem Autor der „Alten böhmischen Annalen“ haben sich die Böhmen während des halben Jahrhunderts seit der Gründung der Universität soweit entfaltet, dass sie in ihrem Land und an ihrer Universität zur stärksten Nation geworden sind. Auch wenn sich das aus seinen phantomhaften Berechnungen nicht ergibt,
ˇ 749 Cornej, Tzv. kronika univerzity pražské (wie Anm. 698), 7–25.
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denn vor der Sezession soll die böhmische Nation an der Universität 14.000 Köpfe gegenüber den 20.000 Köpfen derer, die aus Prag „abgereist waren“, gezählt haben, geht er trotzdem davon aus, dass die Böhmen in den Jahren 1408/09 Anspruch auf eine Änderung des Stimmenverhältnisses zu ihren Gunsten hatten. Abermals folgt er damit der Argumentation derer, die den Erlass des Dekretes verteidigten. Der zweite große Erzähler der Geschichte des Kuttenberger Dekretes ist der Breslauer Kanoniker Nikolaus Tempelfeld. 750 Er fügte das Kapitel über den Konflikt an der Prager Universität in seinen Traktat ein, der im Zusammenhang mit der Wahl des Georg von Podiebrad zum böhmischen König entstand und sich gegen diesen ketzerischen König richtete. Dabei schöpfte Tempelfeld reichlich aus der „Leipziger Chronik“, deren trockene Darstellung er um dramatische Momente bereicherte. Im Vergleich zum ersten Erzähler schrieb er mit einem größeren Zeitabstand. Seine Haltung gleicht der des Autors des sog. Kreuzherrenmanuskriptes, auch wenn er selbstverständlich die ganze Geschichte aus gegensätzlicher Sicht schildert. Im Unterschied zum „Alten Annalisten“ ist Tempelfeld ein Erzähler mit Sinn für Dramatik und große Wendungen. Nicht jene nationalen Streitigkeiten hatten seiner Meinung nach das Kuttenberger Dekret verursacht, sondern die Zuwendung der böhmischen Magister zu dem Häresiarchen John Wyclif. Seine Lehre habe dann Prag und das ganze Königreich Böhmen verseucht. Wenn sich jedoch Prälaten, Doktoren und Magister dagegen stellten, seien sie vom König und der Königin gezwungen worden, still zu halten. Anschließend habe der König vorgeschlagen, die frühere Stimmenaufteilung – eine Stimme für die nacio bohemorum und drei Stimmen für die übrigen Nationen – durch eine paritätische zu ersetzen, und zwar bei allen Wahlen zu den Kollegienpfründen, bei der Rektor- und Dekanswahl und bei allen Prüfungen an allen Fakultäten. Da die drei Nationen damit aber wegen ihres Schwurs nicht einverstanden sein konnten und da sie den seit der Universitätsgründung gültigen Schwur einhalten wollten, habe sich der König zur Gewaltanwendung entschlossen und mit Hilfe der Prager Ratsherren und irgendeines Johannes Augustini einen neuen böhmischen Dekan und Rektor bestellt. Die böhmische Nation soll das akzeptiert haben, die drei deutschen Nationen hingegen nicht. Der eigentliche Rektor, ein Deutscher, wollte laut Tempelfeld aber die Universitätsinsignien, die Kleinodien und die Schlüssel des Bücher- und Urkundenarchivs nicht herausgeben und wurde deshalb von bewaffneten Stadtbürgern angegriffen. Anschließend sei auch der sächsische Magister Ludolf Meistermann attackiert worden zusammen mit Johannes Hoffmann, dem späteren Bischof von Meißen, der ihm zu Hilfe gekommen war, um seine und die Rechte der Universität zu schützen. Nach diesen Vorfällen sollen die deutschen Magister den König erneut ersucht haben, er möge der Gewalt und der Verbreitung der Häresie doch Einhalt gebieten, allerdings vergeblich. Da sie nicht mehr länger in einem Land
750 Zu seiner Person Loserth, Johann: Die Denkschrift des Breslauer Domherrn Nikolaus Tempelfeld von Brieg über die Wahl Georg Podiebrads zum König von Böhmen. Ein Beitrag zur Kritik der Husitengeschichte des Johannes Cochlaeus. In: AÖG 61 (1880), 89–188, hier 91–132.
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haben leben wollen, das sich mit aus England eingeschleppten ketzerischen Irrlehren angesteckt hatte, so Tempelfeld, entschlossen sie sich im Jahre 1408, in ihre Heimat wegzugehen. In der Folge sei die einst so ruhmreiche Prager Universität völlig verwildert, und das ganze Land, das sich nicht gegen Wyclifs Irrlehren gestemmt hätte, sei dem Schisma und der Häresie verfallen. Für Tempelfeld waren also die Streitigkeiten an der Universität nicht rein national konnotiert. Zum Stein des Anstoßes wurde vielmehr die Verbreitung der häretischen Lehre Wyclifs, welche die deutschen Magister nicht akzeptieren wollten und konnten. Wenn sie jedoch dagegen auftraten, hatten sie keinen Erfolg, denn der König und die Königin waren auf der Seite der Böhmen. Wesentlicher als das Kuttenberger Dekret war aber für Tempelfeld Wenzels Vorschlag, die Universitätsverwaltung auf paritätische Weise zwischen der nacio bohemorum und den drei übrigen Nationen aufzuteilen. Es scheint daher, dass dem Breslauer Kanoniker so etwas wie Kompromissvorschläge zu Gehör gekommen sein müssen. Derartige Zeugnisse werden eigentlich meistens den böhmischen Magistern zugeschrieben, die zumindest etwas von ihren Vorteilen zu retten bemüht waren, als der König mit der Durchsetzung des Dekretes zögerte. Laut Tempelfeld ging jedoch diese Initiative vom König aus. Er argumentiert – und das ist viel wichtiger – genauso wie die deutschen Magister im Jahre 1409 damit, dass sie nicht gegen die Universitätsgewohnheiten handeln konnten. Die alten Rechte sind also auch für die deutschen Nationen die Hauptsache. Auf diese hatten sie einst geschworen, diese konnten sie daher nicht aufgeben. Ihrer Haltung war nur mit Gewalt beizukommen, Insignien und Ämter waren nur gewaltsam zu erlangen. Diese Gewaltanwendung und die Verbreitung der Wyclif’schen Irrlehren veranlassten schließlich die deutschen Magister, Prag zu verlassen. Unter ihrem Abzug hatten aber dem Chronisten zufolge nicht sie selbst zu leiden, sondern nur Prag und das ganze Königreich Böhmen; diese verfielen anschließend noch einer viel größeren Häresie, welche die Erzketzer, die Taboriten hervorbrachten. Tempelfelds Geschichte beruht also auf der Suche nach unfruchtbaren Kompromissen, auf verhärteten Haltungen der Hauptakteure, die mit dem Recht und der Reinheit der Lehre argumentierten, und auf der Anwendung von Gewalt als dem entscheidenden Element, das die deutschen Universitarier, die vergeblich um den königlichen Schutz nachgesucht hatten, zum Weggang zwang. Die beiden Geschichten aus der Feder von Autoren, die selbst keine direkten Zeugen der Ereignisse zwischen dem Januar und dem Mai des Jahres 1409 waren, haben eines gemeinsam. Der Held, der in den einmal national, einmal religiös motivierten Streit der Magister eingreift, ist Wenzel IV. – der Beschützer und Förderer der böhmischen Magister. Im Unterschied zu den Konstanzer und späteren Invektiven, die für die Vertreibung der Deutschen entweder Johannes Hus, Hieronymus von Prag oder Johannes von Jessenitz bzw. alle gleichzeitig verantwortlich machen, ist die Hauptrolle in den beiden ausführlich zitierten Berichten dem böhmischen König zugedacht. Und durch dieses Prisma, das meines Erachtens der Wirklichkeit nahezu entspricht, werde auch ich die Geschichte des Kuttenberger Dekretes erzählen. (Wenzel IV. war nämlich unter dem Eindruck des verlorenen Glanzes der Reichskrone plötzlich zu seiner Politik der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zurückgekehrt. Er
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glaubte im Bewusstsein seiner völligen Oberhoheit, sowohl in Reichs- 751 und Landes- als auch in Universitäts- und Kirchenangelegenheiten eingreifen zu können, sicher auch als Reaktion auf den zeitgenössischen Gallikanismus, zu dessen Entfaltung es jedoch wegen der Zuwendung des Königs zu den Pisaner Kardinälen nicht kommen konnte.) Ich werde allerdings die Geschichte des Kuttenberger Dekretes in dem Bewusstsein erzählen, dass Wenzels Autorität, die gerade während der ersten Monate nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes zum Vorschein kam, nicht auf festen Fundamenten ruhte und nach den ersten größeren Erschütterungen in der zweiten Jahreshälfte zusammenbrechen sollte, obwohl ihm rein formal die Wiedererlangung der Reichskrone gelungen war. In den Jahren danach ging Wenzel zwar gegenüber der einheimischen Kirche und der Prager Universität mehrmals so autoritär vor wie zwischen dem Januar und Mai 1409, doch feierte er nie wieder einen vergleichbaren Erfolg. (An der großen Reichspolitik verlor er wieder das Interesse, er verzichtete fast ganz darauf.) 752 Die Zeit zwischen dem Januar und dem Mai 1409, die in die zweite Hälfte der Regierungszeit Wenzels IV. fällt, stellt nämlich den Höhepunkt seiner königlichen Macht dar. Der König nutzte die nationale und monarchistische Argumentation der Magister der böhmischen Universitätsnation aus und wurde für eine kurze Zeit zum König der Universitarier, zu einem König, der sich auf ihre gelehrten Ansichten stützte. Władysław II. Jagiełło bediente sich bei der Verteidigung des polnischen Königreiches gegen den Deutschherrenorden nach 1409 gekonnt der Magister der Krakauer Universität, und zwar auch auf den Foren der Kirchenkonzilien, zur Stärkung der rechtlichen und moralischen Argumente bei Gebietsexpansionen und zur Reinwaschung seiner Person vom Makel eines heidnischen, schismatischen oder sogar häretischen Königs. 753 Im Unterschied dazu konnte und wollte Wenzel IV. wahrscheinlich auch nicht jene kurzfristige Verknüpfung seiner Interessen mit den Interessen der böhmischen reformorientierten Universitarier ausnutzen. Seine Welt war meilenweit vom Tagesgeschäft der Politik entfernt, und nach dem Scheitern seiner Reichsherrschaft am Ende des 14. Jahrhunderts zog er sich immer mehr in die Welt der Jagd, der Astronomie, der höfischen Allegorie und der Courtoisie zurück, für die es jedoch in den unruhigen Zeiten auf dem Höhepunkt des Schismas eigentlich keinen Platz gab. Und über all dem stand offenbar auch noch die Eitelkeit und Überheblichkeit des Königs. Sie trieb ihn einerseits zu brudermörderischen Konflikten mit ebenso aristokratisch auftretenden Erzbischöfen und anderseits entfremdete 751 Zu seiner Reichspolitik Hoensch, Jörg K.: Lucemburkové. Pozdnˇe stˇredovˇeká dynastie celoevropského významu 1308–1437 [Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308–1437]. Praha 2003, 179–191. 752 Wenzels Reichspolitik gab es nach 1410 fast gar nicht mehr, denn sein Bruder Sigismund von Luxemburg hatte ihn nach seiner Wahl zum Reichskönig völlig aus ihr verdrängt. Zur ersten Orientierung vgl. Spˇeváˇcek, Václav IV. (wie Anm. 99), 577–608. 753 Ozóg, ˙ Udział Andrzeja Łaskarzyca (wie Anm. 621), 159–186; Ders., Uczeni w monarchii (wie Anm. 221); Miethke, Jürgen: Heiliger Heidenkrieg? Theoretische Kontroversen zwischen Deutschem Orden und dem Königreich Polen vor und auf dem Konstanzer Konzil. In: Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich. Hg. v. Klaus Schreiner. München 2008, 109–125.
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sie ihn den Magistern und Reformatoren vom Typ des Johannes Hus oder des Jakobellus von Mies. Christus und Gottes Gesetz waren ihre alleinigen Autoritäten und nicht die Herrscher, die genauso wenig unfehlbar und genauso sündhaft wie alle innerlich nicht begekehrten Geistlichen oder Laien sind. Trotz all dieser Einschränkungen wird aber König Wenzel der Hauptheld meiner Erzählung sein, denn ohne das Dekret, ohne die Einsetzung neuer Universitätswürdenträger, ohne den Entzug der Pfründen und ohne die Vertreibung der deutschen Magister, die sich nicht untergeordnet hatten, könnte man die Geschichte des Kuttenberger Dekretes nicht schreiben. Sie gehörte dann nur dem Reich der Träume und Sehnsüchte der böhmischen Magister an, die einen Erlöser von der Unterdrückung durch die Deutschen suchten, wie die böhmischen Magister ex post sagten, und die sich selbst der Berechtigung und Rechtmäßigkeit ihrer Taten in jenem für sie schicksalhaften Jahr 1409 versicherten. *** Wann genau die aus acht Consiliarii, je zwei aus jeder Universitätsnation, bestehende Delegation der Universität in Kuttenberg eingetroffen war, weiß man nicht. Wenzel IV. brachte sie jedoch die nicht allzu freudige Nachricht über die vorläufige Aufschiebung der Entscheidung zur Neutralitätserklärung und zur Entsendung einer Gesandtschaft zum Pisaner Konzil. Nicht alle Mitglieder dieser Delegation, die vom Rektor der Dreifakultätenuniversität Henning von Baltenhagen angeführt wurde, kennt man mit Namen. Die böhmische Nation war mit zwei älteren Magistern, den Mitgliedern der Theologischen Fakultät Andreas von Brod und Johannes Eliae vertreten. Hus hingegen, den die „Chronik der Prager Universität“ für ein weiteres Delegationsmitglied hält, 754 befand sich zum gegebenen Zeitpunkt nicht in Kuttenberg. Nach eigenem Zeugnis aus dem Jahre 1414 lag er schwer krank in seiner Wohnung in der Bethlehemskapelle. 755 Dieses Zeugnis Hussens spielt für mich eine Schlüsselrolle. Es beantwortet nicht nur die Frage, ob Hus beim Erlass des königlichen Dekretes in Kuttenberg zugegen war, sondern beleuchtet auch seinen Anteil an der Entscheidung des Herrschers, während nur eines einzigen Tages die alten Universitätsgepflogenheiten zu ändern und der böhmischen Nation drei Stimmen zum Nachteil der übrigen drei Nationen zu geben. Nun soll aber Hus selbst zu Wort kommen, und zwar in seiner Antwort auf die Klageartikel seines früheren Freundes Andreas von Brod. Darin relativiert Hus den Bericht der „Chronik der Prager Universität“, der König habe das Dekret am selben Tag erlassen, an dem die Delegation der Universität vor ihn getreten war. Laut
754 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570: „rectore universitatis cum doctoribus et magistris, de quorum numero fuit Johannes Helie, Broda, sacre theologie doctores, et Johannes Hus, iam arcium magister“. Die Angabe des Johannes Hus als Magister Artium und nicht als Bakkalaureus der Theologie ist hier bemerkenswert. Zu fragen bleibt, warum der Chronist „iam“ sagt, wenn Hus bereits mehr als zehn Jahre Magister der Artistenfakultät war. 755 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 181.
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Abb. 13 Notarielle Abschrift des Kuttenberger Dekretes.
Hus kamen an diesem Tag jedoch Andreas von Brod und Johannes Eliae zu ihm in die Bethlehemskapelle in bedrückter Stimmung; keiner von ihnen hatte das Gefühl, dass die böhmische Universitätsnation drei Stimmen erwerben könnte. Vom Treffen in Kuttenberg kehrten sie wegen der Empörung des Königs mit einem unguten Ge-
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fühl zurück, vom Erlass irgendeines Dekretes hatten sie überhaupt keine Ahnung. Hus, seinen Worten nach todkrank, wusste allerdings schon mehr als sie. Wie zur Prüfung fragte er die beiden Magister, ob es gerecht wäre, wenn die böhmische Nation drei Stimmen hätte. Sie antworteten ihm angeblich, das sei gerecht. Daraufhin zeigte ihnen Hus eine Abschrift der königlichen Urkunde, die er von einem königlichen Boten bekommen haben soll. Andreas und Johannes lasen dann die Urkunde, freuten sich und bejahten die ganze Sache. Aus dieser Schilderung Hussens, sofern sie wahr ist, kann man nur Eines schließen. Die Delegation der Universität suchte den König nicht am 18. Januar 1409 auf, sondern bereits einige Tage früher. An dem Tag, an dem sie mit dem König verhandelte, erhielt sie das erwünschte Schreiben nicht, und in Unsicherheit darüber, wie es weitergehen soll, kehrte sie vielleicht noch am selben Tag nach Prag zurück. Aus Hussens Worten ergibt sich gleichzeitig, dass die böhmischen Magister gewisse, zum Erlass des Kuttenberger Dekretes führende Schritte bereits vor dem 18. Januar unternommen hatten. Hus hatte nach eigener Aussage ja selbst dafür gesorgt, dass so eine Urkunde erlassen wird. Er spielt dann noch auf ein länger zurückliegendes Gespräch mit Andreas an, der ihn im Zusammenhang mit einer möglichen Änderung des Stimmenverhältnisses an der Universität gefragt haben soll, ob es am königlichen Hof jemanden gäbe, der die böhmische Nation vom Übergewicht der drei übrigen Nationen befreien könnte. Hus will ihm darauf geantwortet haben, dass er hoffe, solch einen Befreier zu finden, ohne einen Namen zu nennen. Ob der besagte Befreier dann der Verwalter des Kuttenberger Urbariums Nikolaus der Reiche (Augustini) war, ist im gegebenen Augenblick unwesentlich. 756 Wichtiger ist, dass der Erlass des Dekretes einige Tage vor seiner Datierung vorbereitet wurde, wahrscheinlich kurz nachdem sich die Universitätsversammlung nicht auf die Neutralitätserklärung und die Entsendung einer Gesandtschaft zum Pisaner Konzil zu einigen vermocht hatte. Wenn tatsächlich alles so verlief, wie hier dargelegt, dann muss man in diesem Licht auch die Bestätigung des Altstädter Rates mit dem Übergewicht an tschechischen Ratsherren am 17. Januar 1409 sehen. Der König wollte in Prag durch diesen Schritt den Boden für mögliche Unruhen vorbereiten, die, wie er vermutete, einen Erlass zur Änderung der bisherigen Universitätsregeln zu Ungunsten der Magister der drei Nationen provozieren könnten. Der pronational orientierte Rat, auf dessen Ernennung auch Johannes Hus und Hieronymus von Prag einen gewissen Einfluss ausgeübt hatten, verhielt sich im Laufe des Jahres 1408 ganz loyal und auch im Einklang mit den böhmischen Reformern durch seine Teilnahme am Abschlusstag des Quodlibets von Matthias von Knín. Das Quodlibet war seinerseits eine Präsentation sowohl der Interessen der nacio bohemorum an der Universität als auch der Geistesverwandtschaft zwischen den verschiedenen national und sprachlich definierten Korporationen. Der Rat als ein wesentlicher Machtapparat der Prager Altstadt garantierte somit, die Studenten in den unruhigen Zeiten im Zaum zu halten.
ˇ 756 Chaloupecký, Kdo vymohl Cech˚ um Dekret Kutnohorský (wie Anm. 44), 14–29.
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Von einer gewissen Vorbereitung, die nicht länger als ein paar Tage gedauert haben muss, zeugt auch der Text des Kuttenberger Dekretes. Von den übrigen Mandaten Wenzels unterscheidet es sich nämlich v. a. durch die vehement patriotische, ja direkt nationale Argumentation, die seiner Kanzlei sonst fremd war. Ob Johannes von Jessenitz, 757 Johannes Hus oder Hieronymus von Prag an seiner Konzeption beteiligt waren, ist dabei nicht allzu wichtig. Inhalt und Form des Dekretes stellen nämlich nicht den Wunsch oder das Werk eines Einzelnen dar, sondern die Vorstellungen und Ansichten der bereits in sich geschlossenen böhmischen Universitätsnation. Sie wurde von den Ideologen als der wahre Nachkomme und der wahre Erbe des Königreiches Böhmen aufgefasst, zum Herrschen berechtigt, also zur Besetzung der Ämter, so wie es die Bewohner der anderen Länder auch täten. Das Kuttenberger Dekret erließ Wenzel IV. als römischer und böhmischer König. In dieser Hinsicht knüpfte er an die Gründungsurkunde der Universität vom 7. April 1348 an, in der sein Vater ebenfalls als römischer und böhmischer König figuriert. Nach der bisherigen Forschung war das Kuttenberger Dekret eine Interpretation der Gründungsurkunde Karls IV. bzw. des sog. Eisenacher Diploms, das allerdings mit der Vollmacht des römischen Königs erlassen worden war. Es stimmt, dass Karl IV. in den beiden Urkunden von seinem Bestreben spricht, das Königreich Böhmen zu erhöhen, und dass er v. a. im Eisenacher Diplom das erbliche Königreich Böhmen dem Römischen Reich vorzieht, obwohl der Herrscher für Wohlergehen und Wohlstand aller Reichsuntertanen sorgen soll. Der Autor des Kuttenberger Dekretes folgt in seinem Bemühen, die Gründe des Eingriffs in die Universitätsverwaltung darzulegen, dieser Auslegung: „Obwohl wir allgemein verpflichtet sind, für das Wohl aller Menschen zu sorgen, dürfen wir ihnen nichtsdestoweniger nicht so weit sorgenvoll gewogen sein, dass vielleicht das Wohlergehen derer dadurch Schaden und Nachteil erleiden würde, die uns eng durch geeignete Orte, Zeit oder durch einige andere Umstände verbunden sind. Auch wenn nämlich jeder Mensch verpflichtet ist, jeden Menschen zu lieben, ist es trotzdem nötig, dass diese Liebe selbst nur der gebührenden Zuneigung entspricht; den Ausländer einem Einheimischen vorzuziehen ist deshalb eine Verkehrung der gebührenden Zuneigung, denn die wahre Liebe beginnt immer bei sich selbst und wird dann auf die Nachkommen entsprechend der Verwandtschaft übertragen.“ 758 Die folgenden Passagen des Dekretes sind allerdings ausgesprochen patriotisch und in ihrem Kern auch nationalistisch. Sie heben das Heimatrecht hervor, also das Inkolat, und zwar als das zur Leitung der Universität berechtigende Grundprinzip: „Da die deutsche Nation, die überhaupt kein Heimatrecht im Königreich
757 Dies lässt Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 23, zu und folgt Bartoš, Kdo ˇ vymohl Cech˚ um Dekret kutnohorský (wie Anm. 43), 70. 758 Eine bisher unübertroffene Edition des Kuttenberger Dekretes bei Friedrich, Gustav: Dekret Kutnohorský. Pomˇer jeho rukopisných text˚u [Das Kuttenberger Dekret. Das Verhältnis seiner handschriftlichen Texte]. In: Dekret kutnohorský (wie Anm. 39), 59–72, hier 67 f., Zitat: 67. – Die im Text zitierte Übersetzung beruht auf der tschechischen Übersetzung aus Výbor z cˇ eské literatury (wie Anm. 194), hier Bd. 2, 388 f., Zitat: 388.
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Böhmen hat [„nacio Theutonica, iure incolatus regni Bohemie prorsus expers“], sich in verschiedenen Angelegenheiten an der Prager Hohen Schule zur Benutzung drei Stimmen angeeignet hatte, wie Wir eine glaubwürdige Nachricht darüber erhalten haben, und da die böhmische Nation, der wahre Erbe dieses Königreiches [„regni iusta heres“], nur eine Stimme genießt und benutzt, Wir also, die Wir das für ungerecht und recht unpassend halten, dass vom Wohlergehen der Bewohner, die zu Recht Anspruch darauf haben [„de profectu incolarum, quibus recta competit successio“], die Ausländer und Zuwanderer [„exteri et advene“] über Gebühr profitieren und jene sich dann von Mangel und Nachteilen unterdrückt fühlen, befehlen euch kraft dieses Briefes mächtig und streng, dass ihr sofort, sobald ihr ihn erblickt, ohne jeglichen Widerstand und jegliches Zögern die böhmische Nation auf jegliche Art zu den drei Stimmen bei sämtlichen Beratungen, Gerichten, Prüfungen, Wahlen und jeglichen anderen Verhandlungen und Verfahren der besagten Universität zulasst [„in singulis consiliis, iudiciis, examinibus, eleccionibus et quibuscunque aliis actibus et disposicionibus universitatis predicte“] nach dem Vorbild der Ordnung, der sich die französische Nation an der Pariser Universität erfreut und welche die übrigen Nationen in der Lombardei und in Italien nutzen, und diese von nun an auf ewig ruhig das Vorrecht dieser Stimmen nutzen und sich seiner erfreuen lasst und nicht anders handelt, falls ihr Unseren heftigsten Zorn vermeiden wollt.“ 759 Den abschließenden Hinweis auf die Gewohnheiten in Paris und der Lombardei kann man für ein erneutes Bekenntnis zu Karls Gründungsurkunde halten, freilich in dem Bewusstsein, dass die Pariser Verhältnisse in dieser Hinsicht nicht auf Prag übertragbar waren. Dann hätte es zu einer Aufteilung der böhmischen Nation in eine böhmische, mährische und schlesische kommen müssen, wie einer der späteren Vorschläge zur Lösung des Streites um die Gültigkeit des Dekretes lautet. 760 Wenn also der Hinweis auf die Pariser und lombardischen Verhältnisse nur eine rahmende Funktion hat, also Anfang und Ende des Dekretes miteinander verbinden soll, das sachlich im Geiste der beiden Gründungsurkunden Karls aufgebaut ist, dann ist die wichtige mittlere Passage im Kern eine Leugnung der ursprünglichen universalistischen Intention des Stifters der Universität. Sie widerspricht auch den späteren Anstrengungen des Kaisers, die nationale Spannung im Königreich Böhmen zu dämpfen oder sogar ganz zu unterdrücken. 761 Das Kuttenberger Dekret 762 definiert nämlich die Zugehörigkeit zur böhmischen Nation, der wahren Erbin des Landes, nicht nur nach dem Prinzip des Inkolats, 759 Friedrich, Dekret Kutnohorský (wie Anm. 758), 67 f.; Výbor z cˇ eské literatury (wie Anm. 194), hier Bd. 2, 388. 760 Codex juris bohemici (wie Anm. 97), 297 f. 761 Dazu umfassend Nodl, Martin: Nacionalismus a národní vˇedomí na poˇcátku 14. století a Karlova ˇ snaha o bezkonfliktní obraz soužití zemských Cech˚ u a Nˇemc˚u [Nationalismus und Nationalbewusstsein am Anfang des 14. Jahrhunderts und Karls Bemühen um ein konfliktfreies Bild des Zusammenlebens der Landestschechen und -deutschen]. In: Ders.: Tˇri studie o dobˇe Karla IV. Praha 2006, 65–105, v. a. 83–92. 762 Die bisher detaillierteste diplomatische und juristische Analyse des Kuttenberger Dekretes hat sein Editor Gustav Friedrich vorgelegt. Wertvolle Bemerkungen hat später hinzugefügt Kejˇr, Sporné
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also des Heimatrechtes, sondern auch ethnisch. Denn es stellt als den Gegenpol der böhmischen Universitarier die deutsche Nation dar, die nacio teutonica, deren Angehörige sowohl Ausländer als auch diejenigen seien, die ins Königreich Böhmen gekommen waren. Für Ausländer kann man daher auch die nach Böhmen gekommenen Deutschen halten, die hier zwar ansässig, jedoch nicht zu den wahren Erben geworden sind. Man muss allerdings hinzufügen, dass das Kuttenberger Dekret in seiner Definition der Nation nicht so weit geht wie einige damalige Ideologen, die sie eindeutig sprachlich abgrenzen. Es bleibt also irgendwo in der Mitte – wie Hieronymus von Prag, der in seinem „Lob der freien Künste“ auf dem Quodlibet des Matthias von Knín nur ein paar Tage vor dem Erlass des königlichen Dekretes von den „wahren Böhmen“ („puri Bohemi“) spricht, die ebenfalls durch ihre durch Echtheit und Reinheit ausgedrückte Zugehörigkeit zur Heimat definiert sind. In Bezug auf die Konflikte, die das Kuttenberger Dekret hervorgerufen hat, ist die Argumentation von Bedeutung. Sie geht zunächst von der „Feststellung“ aus, die deutsche Nation beanspruche die Benutzung von drei Stimmen und beziehe somit die Vorteile der einheimischen Bevölkerung auf sich. Dies ist selbstverständlich keine Auslegung der Gründungsurkunde mehr, in der expressis verbis gar nicht von den Nationen die Rede ist. Es ist vielmehr eine Auslegung der Gewohnheiten, die an der Universität herrschten. Übrigens betrachtet der Autor des Kuttenberger Dekretes diese Gewohnheiten eindeutig als ungerecht und unanständig, und zwar lediglich aufgrund des Naturrechtes, und ordnet einfach ihre Änderung an. Wenzel IV. tritt in keinem einzigen Satz seines Dekretes als Universitätsgründer oder als der Erbe des Stifters auf, sondern ausschließlich als Herrscher, in dessen Gewalt es liegt, alles nach seinem eigenen Ermessen zu ändern, was mit dem Landesrecht zu tun hat. Obwohl er die Universität nicht als eine privatrechtliche, sondern als eine landesherrliche Institution definiert, auf die sich das Inkolat bezieht, verlangt er trotzdem keine Zustimmungsbekundung zu seiner Entscheidung und handelt aus Überzeugung von der Oberhoheit seiner königlichen Macht. Es ist selbstverständlich zu fragen, warum das Kuttenberger Dekret die Gewohnheiten, die sich während der bisherigen Existenzdauer der Universität eingebürgert hatten, sanktioniert, also warum es vorhat, das Prinzip der Universitätsnationen beizubehalten. Dem Autor des Dekretes musste doch klar sein, dass die eigentliche Gründungsurkunde keinen Hinweis auf die Universitätsnationen enthält und dass es
otázky (wie Anm. 50), 95 f., der die ideologisch zugespitzten Interpretationen von Václav Vanˇecˇ ek, Zdenˇek Fiala und Karel Malý in der Festschrift Dekret kutnohorský a jeho místo v dˇejinách (wie Anm. 45) für veraltet erklärt. Zuletzt hat František Šmahel in unserer gemeinsamen Studie Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 33 f., die Person des Protonotars ermittelt, der höchstwahrscheinlich an der Ausfertigung des Kuttenberger Dekretes beteiligt war. Demnach muss nicht Wenzel Kralik von Buˇrenitz dieser Protonotar gewesen sein, sondern wohl eher Hussens Kommilitone Jakob von Dauba, alias von Beraun, der am 17. Januar 1409 das königliche Mandat ausgefertigt hatte, das den Altstädter Rat mit der tschechischen Mehrheit im Amt bestätigte. Die Beteiligung Wenzels, der am 14. Januar auf dem Wyschehrad (tschech. Vyšehrad) belegt ist, kann man zwar nicht völlig ausschließen, Jakobs „Urheberschaft“ halte ich jedoch für wahrscheinlicher.
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daher zu jener Aneignung der Rechte durch die deutsche Nation erst während der ersten Jahre des Bestehens der Prager Universität gekommen sein kann. Man könnte einwenden – nur deshalb, weil das einzige funktionelle Modell ohne die vier Nationen, und daher auch ohne die vier Stimmen, die Wahl durch eine einfache Mehrheit der Universitätsmitglieder gewesen wäre. Bei einer solchen Wahl wären die Böhmen im Jahre 1409 jedoch nicht imstande gewesen, die Majorität zu gewinnen. Dieser Einwand ist aber bis zu einem gewissen Grade falsch. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, kam an der Prager Universität das Abstimmungsprinzip nach den Stimmen der einzelnen Universitarier in den gesamtuniversitären Angelegenheiten neben der paritätischen Vertretung durchaus zur Geltung. Das Kuttenberger Dekret spricht zwar auf der allgemeinen Ebene von drei Stimmen für die böhmische Nation bei jeglichen Verhandlungen und der Leitung der Universität, in keiner Hinsicht ändert es jedoch auf der statutarischen Ebene die bisherigen Gewohnheiten. Als ob in der Hitze des Gefechts, die durch den Zorn des Königs über die Haltung der Universität und der Universitätsnationen gegenüber dem Pisaner Konzil und dem römischen Papst Gregor XII. verursacht wurde, der Autor des Kuttenberger Dekretes vergessen hätte, dass die Universitätsverwaltung in einigen Punkten auf dem Prinzip der individuellen und nicht der korporativen Wahl funktioniert. Als ob bei der Konzeption des Dekretes, das sich von den übrigen Mandaten Wenzels durch seinen patriotischen und nationalistischen Geist unterscheidet, die königlichen Ratgeber und Einflüsterer aufgehört hätten, in institutionellen Kategorien zu denken. Und als ob sie – geblendet von der Vision einer plötzlichen Wende an der Universität, die den Sehnsüchten der Radikalen aus den Reihen der nacio bohemorum entgegen kam – keinen Augenblick darüber nachgedacht hätten, dass die Anordnungen des Kuttenberger Dekretes im Widerspruch zu den Universitätsstatuten stehen, der nur durch den Erlass neuer Statuten zu beseitigen ist. Gerade diese Tatsache, wie noch gezeigt wird, ermöglichte den deutschen Magistern, den wirksamen Weg des passiven Widerstands einzuschlagen, der unter bestimmten Umständen teilweise erfolgreich hätte sein können. Gerade diese Nichtbeachtung der Universitätsstatuten spricht meines Erachtens für die Behauptung, Wenzel IV. habe das Kuttenberger Dekret in einem Wutanfall erlassen, sein Dekret sei also ein Werk des Augenblicks, und dessen Wortlaut zeige sich nicht von den Vorstellungen und Kenntnissen der erfahrenen Universitätsdignitare und -funktionäre aus den Reihen der nacio bohemorum beeinflusst. Dagegen trägt es klar die Handschrift der national verblendeten Radikalen, die Anhänger unter den Höflingen und Ratgebern des Königs besaßen, für die jedoch die eigentliche Universitätsverwaltung ein fremdartiges Element war, ähnlich wie für die Stadtbürger, die nicht völlig auf ihre Rechte verzichten wollten, denen sich die Universität in ihrem Autonomiebestreben entzog. Auf diese Weise kann man, so denke ich, auch den unterschiedlichen Informationsstand erklären, der sich in dem Gespräch des kranken Hus mit Andreas von Brod und Johannes Eliae gezeigt hat. Beide waren zwar als Universitätsconsiliarii für die böhmische Nation bei den Verhandlungen mit dem König anwesend gewesen, trotzdem wussten sie nichts vom Erlass des Dekretes. Von seinem Wortlaut wurden sie erst durch den Bethlehemsprediger unterrichtet. Hus selbst kannte die
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Universitätsverwaltung als ehemaliger Rektor eingehend, konnte jedoch seine Erfahrungen wegen seiner Krankheit nicht unmittelbar weitergeben und daher auch nicht den endgültigen Wortlaut des Dekretes beeinflussen. Hieronymus von Prag und Johannes von Jessenitz hingegen, denen man einen maßgeblichen Einfluss auf den Wortlaut des Kuttenberger Dekretes nachsagt, hatten bis zum Jahre 1409 bei Weitem nicht so viele Erfahrungen in der Universitätsadministration gesammelt wie manche andere böhmische Magister-Regenten. 763 Sie könnten es also gewesen sein, die in das Dekret jene naturrechtliche Argumentation, jene Betonung des Inkolats und jenen patriotischen, mit dem wahren Erbe verbundenen Ton eingebaut haben. Durch die Nichtbeachtung der Universitätsstatuten und der Universitätsgewohnheiten hätten sie aber dann gleichzeitig verursacht, dass die Durchsetzung und Anwendung des Kuttenberger Dekretes eine so langwierige und bei dem passiven Widerstand der deutschen Magister ohne einen weiteren Eingriff des Königs in den Universitätskörper faktisch unlösbare Angelegenheit war.
Aktiver versus passiver Widerstand Rektor Henning von Baltenhagen veröffentlichte am 26. Januar 1409 in einer Universitätsversammlung den Wortlaut des Kuttenberger Dekretes. Die Gründe für diesen verspäteten Schritt können, wie bereits angeführt, unterschiedlich sein. Eins ist allerdings sicher. Die deutschen Magister fühlten sich überrumpelt. Niemand von ihnen fiel es jedoch ein, sich der königlichen Anordnung sofort unterzuordnen. Möglicherweise wurde den sächsischen, bayerischen und schlesischen Magistern bereits an jenem 26. Januar bewusst, dass das Dekret seine Schwächen hat und dass man es gerade wegen seines Hinweises auf die Universitätstraditionen und -gewohnheiten angehen kann, also auf eine Art, die im Mittelalter sehr geläufig war. Da sie jedoch als ein Hauptargument gegen den Erlass des Königs den von allen Universitariern zu leistenden Schwur auf die Einhaltung der Eintracht zwischen den Nationen ins Feld führten, konnten sie aus ihrem Widerstand gegen den böhmischen König keinen Gerichtsstreit machen. Daran hinderte sie nämlich bereits die concordia nacionum selbst, die den einzelnen Universitätsnationen untersagte, Gerichtsstreite außerhalb der eigentlichen Universität anzustrengen, also beim Landesgericht, beim päpstlichen Stuhl oder beim Erzbischof von Prag als dem Universitätskanzler. Übrigens reagierte darauf später auch der Autor der „Defensio mandati“. Er bemerkt in die-
763 Hieronymus von Prag hatte in der Universitätsverwaltung nicht die mindeste Erfahrung. Der Jurist Johannes von Jessenitz war zwar in dieser Hinsicht kein so unerprobter Universitarier wie Hieronymus. Da jedoch die felsenfeste Verteidigung der Herrschergewalt seine Richtschnur war, nahm er auf die an der Universität herrschenden Gewohnheiten keinerlei Rücksicht. Eindeutig wird dies durch seine „Defensio mandati“ belegt, die im Wesentlichen die Universitätsautonomie auf ein Minimum beschränkt und die unumschränkte gesetzgebende Gewalt des Herrschers vorzieht, die sämtliche früheren Beschlüsse und Anordnungen für ungültig erklären kann.
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ser Hinsicht treffend, dass kein Gerichtsstreit um die Gültigkeit des Dekretes geführt werde und dass dieses folglich dem Eintrachtsabkommen nicht widerspreche. 764 Den Verlauf der anschließenden Verhandlungen, welche die Magister der drei Universitätsnationen führten, kennt man leider nicht. Auch spielen Zeugen des Wiener Inquisitionsprozesses und des Konstanzer Konzils nicht darauf an. Man kennt nur ihr Ergebnis in Form der Supplik, welche die deutschen Magister am 6. Februar 1409 bei Wenzel IV. einreichten. 765 Die Magister bestreiten darin in keiner Weise das Recht des Königs, Privilegien zu erlassen und in die Universitätsverwaltung einzugreifen. Gegen die Anordnungen des Kuttenberger Dekretes setzen sie allerdings die Tradition und den Schwur auf die Eintracht der Nationen. Wie das Kuttenberger Dekret legt auch die Supplik der deutschen Magister die Gründungsurkunde Karls IV. und v. a. die frühe Universitätsgeschichte aus. Für die Magister wird sie regelrecht zum Argument im Rahmen ihrer Verteidigung. Karl IV. ist für sie der Kaiser, Wenzels Vorgänger, der an die Prager Universität Magister aus verschiedenen Teilen der Welt berufen habe, und diese Magister lockten dann viele Studenten aus den verschiedensten Ländern in die Stadt. Das habe dann dazu geführt, dass am Anfang, „in principio“, die Universität in vier Nationen aufgeteilt worden sei: in die böhmische, polnische, bayerische und sächsische, wobei diese Nationen bei Konzilien, Gerichten, Prüfungen, Wahlen und anderen Akten („in conciliis, judiciis, examinibus, electionibus et ceteris actibus“) gleichgestellt gewesen seien. 766 Die Autoren der Supplik wiederholen bis hierher also nur den Text des Kuttenberger Dekretes und lassen beiseite, dass die Universitätsverwaltung auch eine individuelle Abstimmung und nicht nur die korporative kennt. Im gegebenen Augenblick tun sie das meines Erachtens aus taktischen Gründen, genauso wie sie zweckgebunden davon sprechen, dass die Universität von Anfang an in vier Nationen aufgeteilt worden sei, denn es ging ihnen eben um die Erhaltung dieses Zustandes. Ein Argument gegen die Einführung des Kuttenberger Dekretes liefert den deutschen Magistern jedoch auch die spätere Geschichte der Universität. Nach Karls Tod seien nämlich zwischen der böhmischen Nation und den übrigen Nationen Streitigkeiten ausgebrochen, und die Lösung dieses Konfliktes habe den letzten zum Nachteil gereicht und in der Folge zu geringeren Studentenzahlen als früher geführt. 767 Die neue Anordnung bezüglich der drei Stimmen sei den drei Nationen gegenüber
764 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 360: „Nam nacio Bohemica non movit litem contra naciones vel nationem Teutonicam.“ 765 Ebd., 350–352. 766 Ebd., 350 f.: „Quod quidem studium in principio suae fundationis de suae benignitatis dispositione in quatuor nationes, scil. Bohemorum, Polonorum, Bavarorum et Saxonum fuit divisum et distinctum: quae quidem nationes in conciliis, judiciis, examinibus, electionibus et ceteris actibus praefati studii usque in praesentem diem omnino fuerunt aequales.“ 767 Ebd., 351: „Post felicem obitum D. Imperatoris quaedam dissensio non modica inter nationem Bohemorum ex una et alias tres nationes parte ex altera fuit suborta, quae non cum parvo damno praefatarum trium nationum fuit sopita et exstincta; quare statim ad idem studium non tanta multitudo studentium uti prius affluebat.“
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hart. Sollte man sie nicht aufheben, dann werde sie geradewegs zum Untergang der drei Nationen führen, zu ihrer Ausweisung und damit auch zur unvermeidlichen Destruktion der ganzen Universität. Die Folgen würden also viel schlimmer sein als nach dem Tode Karls IV., als nur die Studentenanzahl zurückgegangen sei. Danach argumentieren die deutschen Magister mit der Eintracht unter den Nationen, auf die alle Nationen, einschließlich der böhmischen, geschworen hätten. Wegen all dieser Gründe, die von den bisherigen Gewohnheiten ausgehen und deretwegen man für die Zukunft die Destruktion der Prager Hohen Schule prophezeie, ersuchten sie den König, er möge für die drei Nationen die bisherigen Rechte und die althergebrachten Gewohnheiten beibehalten, sie nicht unterdrücken. Denn in einem solchen Maße würden sie auch nirgendwo in Deutschland, auch nicht in Paris unterdrückt werden. Aus dem folgenden Passus der Supplik ergibt sich jedoch, dass sich die deutschen Magister der kritischen Lage sehr wohl bewusst waren. Sie äußern ihre Kompromissbereitschaft, sollte sich die böhmische Nation wirklich so sehr unterdrückt und in ihren Rechten beeinträchtigt fühlen. Aus diesem Grund schlagen sie die Gleichstellung der böhmischen und der drei anderen Universitätsnationen bei Konzilien, Gerichten, Prüfungen, Wahlen und anderen Universitätsakten vor. Damit könnte auch der Schwur und die Eintracht der Nationen aufrechterhalten werden. Hätten also die Böhmen eigene Konzilien, Gerichte, Prüfungen und Wahlen wie die übrigen drei Nationen auch, dann könnten sie so einträchtig und ruhig leben wie zuvor. Die deutschen Magister schlagen aber keine Aufteilung der Universität vor, die mit der Abtrennung der Juristen im Jahre 1372 vergleichbar wäre, sondern die Einführung einer neuen Parität im Rahmen der einen Dreifakultätenuniversität und des einen Studium generale. Diese neue Parität würde lediglich eine Änderung der Universitätsverwaltung verursachen. Damit könnten sich die drei Nationen aber einverstanden zeigen, da sie im Einklang mit der Eintracht der Nationen wäre und daher auch mit dem auf die concordia nacionum geleisteten Schwur. Wann und unter welchen Umständen die Supplik König Wenzel zugestellt wurde, weiß man nicht. Als er irgendwann vor dem 15. Februar zeitweilig nach Prag zurückgekehrt war, sprach nichts dafür, dass die Bitten der Magister der drei Nationen erhört werden könnten. Wenzel IV. lehnte es offenbar ab, über den Erlass zu verhandeln, und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das Pisaner Konzil und auf die Anerkennung seiner königlichen Reichswürde. 768 Die deutschen Magister gerieten durch die Zurückweisung ihrer Forderungen und die Nichtbeachtung ihrer Kompromissvorschläge in eine Sackgasse und sahen sich so zur Änderung ihrer Taktik gezwungen. Sie entschieden sich für den aktiven Widerstand, der bei der Wahl der Examinatoren an der Artistenfakultät am 23. Februar voll zum Vorschein kam. Die amtliche Eintragung im Dekansbuch, das zum gegebenen Zeitpunkt vom Dekan der Artistenfakultät Albert Varentrape geführt wurde, sagt dazu lakonisch, dass „secundum statuta“ an diesem Tag vier Examinatoren gewählt worden seien: Gregor Leonis von
768 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 322–325.
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Prag für die böhmische Nation, Johannes Fabri für die polnische Nation, Hermann von Altdorf für die bayerische Nation und Theodericus von Braunschweig für die sächsische Nation. 769 Wer für die böhmische Nation den Magister Gregor Thomae von Prag vorgeschlagen hat, sagt das Dekansbuch leider nicht. Gregor gehörte zu der aktiven Gruppe der böhmischen Magister vor 1409. Nichts spricht dafür, dass er sich gegen seine Universitätsnation gestellt hätte. 770 Nach den Angaben aus der Zeit nach 1409 wirkte er weiterhin an der Fakultät, nahm 1410 am Quodlibet Hussens 771 teil und wurde – was noch wichtiger ist – gleich nach der Bestellung des neuen Dekans Simon von Tischnowitz am 9. Mai 1409 zum Verwalter gewählt. 772 Damit ist klar, auf welcher Seite Gregor im Februar stand. Dagegen legen die knappen Informationen über sein Leben nicht gerade nahe, dass er zum Anhänger der Reformbewegung geworden wäre. Spätestens im Jahre 1421 war er nämlich Kanoniker des Prager Kapitels und 1431–1446 Dekan und nachher Propst des Allerheiligenkapitels. So wurde er möglicherweise auch bald nach 1409 Kollegiat des Karlskollegs. Jedenfalls hatte Gregors Wahl zum Examinator, sei es mit oder ohne seine Zustimmung, keine realen Auswirkungen. Dem Dekansbuch zufolge hatten die böhmischen Magister die Abhaltung der Prüfungen wegen des königlichen Dekretes über die drei Stimmen ohnehin verhindert. 773 Im betreffenden Halbjahr soll nur eine Prüfung stattgefunden haben, und zwar am Jahresende. 30 Bewerber um den Bakkalaureusgrad waren zugelassen worden. 774 Die böhmischen Magister legten das königliche Dekret – und das ist sehr wichtig – demnach so aus, dass künftig drei Examinatoren aus den Reihen der böhmischen Nation und lediglich einer aus den drei übrigen Nationen gewählt werden sollen. Leider sagen die Statuten nichts darüber, auf welche Weise vor 1409 die Examinatoren gewählt wurden: auf Vorschlag der einzelnen Nationen im Rahmen der ganzen Fakultät oder im Rahmen der Nationalkurien. 775 Da vor 1409 keine Belege über Wahlen im Rahmen der Nationalkurien vorliegen (von diesen ging offenbar unter normalen Umständen nur der Vorschlag eines Namens für das Amt des Examinators aus), ist die erste Variante wahrscheinlich, also dass erst die Magisterkongregation mit einer einfachen Stimmenmehrheit die vorgeschlagenen Kandidaten wählte. Dem würde auch
769 MUPr I /1, 402. 770 Angaben zum Magister Gregor Thomae von Prag bei Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 134. 771 Magistri Iohannis Hus Quodlibet. Disputationis de Quodlibet Pragae in Facultate Artium Mense Ianuario anni 1411 habitae Enchiridion. Hg. v. Bohumil Ryba. Turnhout 2006, 147–153. 772 MUPr I /1, 403. 773 Ebd.: „sed pro tunc examen fuit impeditum per quosdam magistros nationis Bohemicae propter quoddam mandatum domini regis de tribus vocibus, et sic illo medio anno solum unum fuit examen“. – Nichts spricht für die Behauptung von Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 327, der Erzbischof habe aus eigenem Willen verboten, die Magisterprüfungen abzuhalten, und bewusst keine Vizekanzler und Examinatoren ernannt. 774 MUPr I /1, 403. 775 Šmahel, The Faculty of Liberal Arts (wie Anm. 67), 228 f. – Die betreffenden Statuten in MUPr I / 1, 42, 110 f.
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die Wahl Gregors durch eine einfache Stimmenmehrheit zum Vertreter der böhmischen Nation entsprechen. Wie sollte aber dann die Wahl den böhmischen Magistern zufolge nach dem Erlass des Dekretes aussehen? Sollten die Magister der böhmischen Nation drei Personen und die Magister aus den übrigen drei Nationen nur eine Person vorschlagen, und sollte dann die ganze Magisterkongregation einen der vorgeschlagenen Kandidaten auswählen? Dieses Verfahren würde wahrscheinlich von dem Usus ausgehen, der vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes geherrscht hat. In diesem Falle könnte allerdings die Mehrheit der deutschen Magister unendlich lange die vorgeschlagenen Kandidaten der böhmischen Nation blockieren und somit die Wahlen trotz des königlichen Dekretes ohne eine Reform der Statuten der Artistenfakultät undurchführbar machen. Es ist jedoch fraglich, wer eine solche Reform der Statuten überhaupt genehmigen sollte. Bisher war nämlich für die Bewilligung neuer Statuten sowohl an der Artistenfakultät als auch an der ganzen Dreifakultätenuniversität die einfache Mehrheit der anwesenden Magister ohne Unterschied der Zugehörigkeit zu den Universitätsnationen nötig. Ich vermute daher, dass die böhmischen Magister ratlos waren und nicht wussten, wie sie das königliche Dekret im Rahmen der Fakultät durchsetzen sollten. Daher entschlossen sie sich zum passiven Widerstand und zur Blockierung der Prüfungen. Aktiv verhielten sich hingegen die Magister der drei Nationen. Es gelang ihnen allerdings nicht, die Zustimmung irgendeines böhmischen Magisters zu gewinnen, um die Bakkalaureatsprüfungen nach der alten Ordnung durchführen zu können. Es gab aber auch niemanden, den sie hätten prüfen können. Die damaligen Studenten verhielten sich ähnlich wie die meisten Studenten in der modernen Zeit. Sie hatten sich zurückgezogen und überließen es den Magistern, die Streitigkeiten für sie zu lösen. Gleichzeitig könnten die Studenten befürchtet haben, dass die Prüfungen, zu denen sie sich anmelden und für die sie eine Taxe bezahlen würden, für ungültig erklärt werden. Die Dinge erst einmal abzuwarten – das betrachteten sie daher als die bessere Lösung. Es scheint, dass die deutschen Magister die Studenten, die sich bei der Immatrikulation zu dieser oder jener Nation bekannt hatten, auch zu keinen unüberlegten Schritt zwangen. Im Februar, nachdem die Wahl nach alter Art für alle wahrnehmbar gescheitert war, gewann also an der Artistenfakultät die Taktik des Abwartens die Oberhand. Der Universitätsbetrieb wurde nämlich nicht durch das königliche Dekret, sondern durch die Statuten gelenkt. Und gegen die Statuten zu handeln, wäre unüberlegt und gefährlich gewesen. Denn im Februar, einen Monat nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes, geschah nichts weiter. Daher war unsicher, wie die ganze Angelegenheit ausgehen würde. Die Examinatorenwahl an der Artistenfakultät zeigt, dass die Magister der drei Nationen nicht bereit waren, sich dem königlichen Dekret unterzuordnen, und dass die Magister aus den Reihen der nacio bohemorum das Dekret an der Universität nicht durchzusetzen vermochten. Die Tür blieb jedoch für Kompromisse weiterhin geöffnet, wie das Abkommen der Universität über die Entsendung eigener Boten zum Pisaner Konzil dokumentiert. Bemerkenswert ist, dass sich die Universität dabei für zwei Boten entschied, und zwar den Intentionen des Kompromissvorschlags der deutschen Magister folgend. Ihr Delegierter war der Bakkalaureus der Theologie und
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der Doktor der Medizin Helmold von Salzwedel aus der sächsischen Nation. 776 Die böhmische Universitätsnation entsandte etwas überraschend den Theologieprofessor Andreas von Brod. Wann es zu dieser Vereinbarung gekommen war, kann man nur annäherungsweise bestimmen. König Wenzel gab jedenfalls am 15. März seinen Boten nach Pisa Instruktionen mit. Darunter befanden sich der Patriarch von Antiochia Wenzel Kralik von Buˇrenitz, der Bischof von Meißen Thimo von Colditz, der böhmische Adelige Benesch von Chausnik (Choustník), der Prager Kanoniker Johannes Náz (Nasonis) und der Kurialbeamte Hieronymus Seidenberg. 777 Die Vorbereitungen zur Reise hatten sie aber wohl eine etwas längere Zeit gekostet, denn in Pisa wurden die Gesandten des Königs von Böhmen erst am 27. Mai empfangen. Zwei Tage später trafen dann die beiden oben erwähnten Magister als Gesandte der Prager Universität ein. 778 Prag verließen sie daher wahrscheinlich mit der königlichen Gesandtschaft, und ihre Ernennung gehört ebenfalls in die Zeit um den 15. März. Sollten die beiden Vertreter der Prager Alma Mater wirklich Mitte März ernannt worden sein, dann leiten sich daraus zwei sehr wichtige Schlussfolgerungen ab. Die deutschen Magister hatten sich entschlossen, eine Gesandtschaft zum Pisaner Konzil zu entsenden und ihre Neutralität erklärt. Die Tatsache, dass es sich nur um einen und nicht um drei Vertreter handelte, ist unwesentlich. Die nicht unerheblichen Kosten waren dabei sicher entscheidend. Dasselbe gilt wohl auch für die nacio bohemorum. Genauso wichtig aber wie die Neutralitätserklärung der deutschen Magister war die Wahl des erfahrenen, theologisch gebildeten alten Magisters Andreas als Vertreter der nacio bohemorum. Er hatte bekanntermaßen als Consiliarius für die böhmische Universitätsnation an den Verhandlungen in Kuttenberg vor dem Erlass des Dekretes teilgenommen. Hus zufolge gehörte Andreas eindeutig zu den böhmischen Magistern, die sich von den auswärtigen Nationen unterdrückt fühlten und die sich nach einer Änderung der universitären Selbstverwaltung sehnten. Allerdings zählte er nach Hus nicht zum Kern der Radikalen, der auf die königlichen Höflinge eingewirkt und der sich für den Erlass des Dekretes eingesetzt hatte. Einer Aussage des Andreas von Brod vom Jahre 1414, als er bereits eindeutig auf der antihussitischen Seite stand, ist zu entnehmen, dass er nach dem Ausbruch der Streitigkeiten über die Gültigkeit des Dekretes bzw. über seine Durchführung, wie weitere ältere böhmische Magister, an der Vereinbarkeit des königlichen Dekretes mit dem Universitätsschwur zu zweifeln begann. Nach seinem Zeugnis fanden in dieser Angelegenheit zahlreiche Versammlungen der nacio bohemorum statt. Seine Anspielung, die älteren Magister hätten nicht gewagt, ihre Stimme abzugeben, legt überdies nahe, dass in dieser nationalen Korporation über das weitere Vorgehen abgestimmt wurde. Andreas führt fort, er und die älteren Magister hätten Angst gehabt, irgendetwas gegen die Radikalen zu sagen. Denn wenn es ihrerseits zu irgendeinem Widerstand gekommen wäre, 776 Über die Art der Wahl der beiden Universitätsvertreter schweigen sich die Quellen aus. 777 Die Beglaubigungsurkunden Wenzels IV. sind in zwei Varianten A und B herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 368–371 (Nr. 19). ˇ 778 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 341; Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 313.
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hätte sie Hus mit seinen Komplizen sofort Verräter des Königs und des Königreiches genannt und dann beim König angezeigt. Hus bestritt zwar später bei seiner Verteidigung die Anschuldigung, er hätte irgendjemanden Verräter genannt, bestätigte aber die besagte Abstimmung. Denn in einer Glosse dazu schreibt er, jene Angsthasen hätten 1409 nicht gewagt, die Wahrheit zu bekennen. Etwas unklar ist hingegen seine Bemerkung, der Vorwurf des Verrats sei nicht gegen ihn, sondern gegen Andreas gerichtet gewesen. 779 Man wird wohl daher nicht weit von der Wahrheit entfernt sein, wenn man behauptet, dass am königlichen Hof über die Beratungen der böhmischen Nation sowohl die alten kompromissbereiten Magister als auch die Radikalen berichteten. Über die Fahrt des Johannes Hus, des Hieronymus von Prag und weiterer böhmischer Magister zum König nach Kuttenberg und auf die Burg Bettlern (tschech. Žebrák) hatten übrigens auch einige Zeugen des Wiener Prozesses gegen Hieronymus Kenntnis. 780 Insofern muss man also die Wahl des Andreas von Brod zum Vertreter der nacio bohemorum auf dem Pisaner Konzil als einen Ausdruck des vorübergehenden Übergewichts der kompromissbereiten böhmischen Magister verstehen. Warum die Radikalen – wenn auch nur vorübergehend – ihre starke Machtposition einbüßten und warum sie nun auch auf die Stimmen der älteren Magister hörten, bleibt allerdings offen. Vermutlich wurde die neue Lage durch die unstete Politik des Königs beeinflusst. Die Haltung des Königs kennt man aber leider nur aus Anspielungen. Die stärkste stammt aus der Feder des königlichen Diplomaten und Prager Kapitelmitglieds Johannes Náz. Er sagte während des Konstanzer Konzils gegen Hus aus. Angeblich sei er einmal zugegen gewesen, als König Wenzel Hus und Hieronymus angefahren und sogar mit dem Scheiterhaufen gedroht haben soll, weil sie Unfrieden stifteten. 781 Laut Náz geschah dies nach dem Empfang der Gesandtschaft der drei deutschen Nationen beim König. Dieser nannte sie Bayern, Sachsen und Schlesier und hörte sich ihre Supplik an. (Die Ersetzung der Bezeichnung „Polen“ durch „Schlesier“ kann auf die Eskalation der Spannungen zwischen dem Deutschherrenorden und dem Königreich Polen auf dem Konstanzer Konzil zurückgehen. Náz betont dabei, dass die Schlesier mit den potenziellen Verbündeten der Schismatiker, also mit den Polen nichts zu tun hätten.) Ob es sich um jene Supplik vom 6. Februar oder um eine andere handelt, ist nicht klar. Jedenfalls soll Wenzel IV. den deutschen Magistern die Beibehaltung ihrer Rechte versprochen haben. Náz war als Vertreter des Olmützer Bischofs Konrad von Vechta und als Vertreter des Prager Kapitels früher als die königliche Gesandtschaft nach Pisa aufgebrochen. 779 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 181: „et in consiliis universitatis publicis hoc ipsum fecit et induxit ad tantum, quod seniores magistri propter minas et terrores sua vota dicere non praesumserunt; quia si quis magistrorum dixit, quod ordinationes firmatae juramento tenerentur, statim ipse Hus cum suis complicibus appellavit eum proditorem regis et regni, et (ut praesumit ipse depones) regi consilia revelavit. Et sic credit articulum esse verum.“ – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 328 f. 780 Es handelt sich um die Aussage des Johannes von Voburg: Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 20. 781 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 8, 79 f.; Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), 312.
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Eindeutig belegt ist er dort am 19. April, so kann er nicht erst mit den königlichen Gesandten weggegangen sein, 782 sondern bereits früher, offenbar gemeinsam mit Hieronymus Seidenberg. Er sollte die Haltung der Kardinäle gegenüber dem böhmischen König sondieren, während die Konzilsväter über die von den Gesandten des Königs Ruprecht vorgelegten Vorschläge verhandelten. In Prag kann Náz also nur bis Mitte März anwesend gewesen sein. Dann würde das von ihm geschilderte Versprechen des Königs, die Rechte der deutschen Magister beibehalten zu wollen, bzw. die geschilderte Beschuldigung von Hus und Hieronymus als Unruhestifter in den Zeitraum zwischen dem 6. Februar und dem 15. März fallen. Und tatsächlich kann das Versprechen des Königs gerade nach dem Kompromissvorschlag vom 6. Februar ausgesprochen worden sein. Dann hätte die Wahl der Universitätsvertreter aber noch vor jener vereitelten Wahl der Examinatoren stattgefunden. War sie doch bei den deutschen Magistern ein Ausdruck ihrer Kompromissbereitschaft und bei der nacio bohemorum ein Ausdruck der vorübergehenden Stärkung der ebenfalls zu Kompromissen neigenden alten Magister um Andreas von Brod. In diese Zeit muss man meines Erachtens auch zwei Schriften datieren, welche die starken Spannungen und unterschiedlichen Ansichten innerhalb der nacio bohemorum wiedergeben: die „Ordinationes magistrorum Boemiae contra magistros Theotunicorum“ 783 und die „Defensio mandati“. 784 Diese beiden durchdachten Texte nehmen dabei selbst zwei Randpositionen im Pool möglicher Haltungen ein: einerseits die Suche nach einer Lösung des bereits sehr zugespitzten Konfliktes, 785 anderseits die nationalistische Haltung, die jeden Kompromiss ablehnt und gekonnt reale und rein zweckgebundene Argumente für die Durchsetzung einer radikalen Lösung sucht, die wiederum als die gerechte und allein akzeptable dargestellt wird. Diese beiden Schriften sind ganz eindeutig noch vor dem gemeinschaftlichen Schwur der deutschen Magister entstanden. Denn nach dem Schwur, also nach jenem Bruch im Denken und Handeln der drei deutschen Nationen, als keine Rückkehr mehr
782 Václav Novotný identifiziert „Joannes Nam“ als Johannes Náz (Nasonis). – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 365. Aus den bereits zitierten Kapitelrechnungen weiß man, dass Náz vom Kapitel Beglaubigungsurkunden für das Pisaner Konzil erhielt. ˇ 783 Bei der Datierung folge ich Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 310, auch wenn ich seine Ansicht nicht teile, dass diese „Gedenkschrift“ für Nikolaus den Reichen bestimmt gewesen sei, den Wenzel IV. angeblich mit der Schlichtung des Streites beauftragt hätte, und dass Nikolaus den Wortlaut des Dekretes vorgeschlagen habe (ebd., 305). 784 Die ungenügende Edition des Karl Adolf Konstantin von Höfler, mit der, wie man aus der Einleitung weiß, noch Joseph Alexander Helfert in seiner deutschen Monographie über Hus gearbeitet hat und deren Mängel Václav Vladivoj Tomek beschreibt, wurde von der Edition aus dem einzigen Manuskript ersetzt, zugänglich in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 355–363. 785 Intentional ist dies mit den Vorschlägen von Präsident Eduard Beneš zur Lösung der Sudetenfrage im Jahre 1938 vergleichbar. Die tschechischen Kompromissvorschläge zur Lösung der Sudetenkrise neuerdings zusammengefasst bei Klimek, Antonín: Velké dˇejiny zemí Koruny cˇ eské [Große Geschichte der Länder der böhmischen Krone]. Teil 14: 1929–1938. Praha 2002, 597–613. Im Unterschied zu den Lösungsvorschlägen bei den Streitigkeiten um das Kuttenberger Dekret suchten Präsident Eduard Beneš und die tschechoslowakischen politischen Repräsentanten erst unter dem Einfluss des internationalen Drucks nach Kompromissen.
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möglich und Kompromissbereitschaft obsolet geworden war, wären die Beiträge zu einer Konfliktlösung völlig gegenstandslos gewesen. Dasselbe gilt, wenn auch in einem beschränkteren Maße, für die aggressive und zweckgebundene Verteidigung des Mandates. Im Unterschied zu der „Defensio mandati“ des Juristen Johannes von Jessenitz kennt man den Autor der „Ordinationes magistrorum Boemiae contra magistros Theotunicorum“ nicht. 786 Das ist aber wie bei Johannes, der den einst allgegenwärtigen und umtriebigen Hus ersetzte, nicht weiter von Bedeutung. Wichtig ist der Inhalt, speziell die sieben Vorschläge, von denen man nicht weiß, ob sie dem König vorgelegt worden sind, ob über sie auf der Magisterkongregation der nacio bohemorum verhandelt oder abgestimmt worden ist oder ob sie ein bloßes Formular von Vorschlägen irgendeines kompromissbereiten Magisters geblieben sind. Unabhängig davon scheinen sie ein Echo in anderen Quellen hervorgerufen zu haben. Jedenfalls lassen sich dort ähnliche Vorschläge finden, v. a. bei Nikolaus Tempelfeld und Andreas von Regensburg. Sie behaupten, Wenzel IV. habe vorgeschlagen, dass sich Böhmen und Deutsche jedes halbe Jahr in den akademischen Ämtern abwechseln könnten. 787 Obwohl die beiden Berichte spät und aus zweiter Hand sind, ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Vorschlag, der sich auch unter jenen sieben Vorschlägen findet, tatsächlich am Herrscherhof ausgesprochen worden ist, in jedem Fall allerdings unter Mitwirkung der kompromissbereiten älteren Magister. Dafür würde v. a. die Steigerung des Entgegenkommens der Vorschläge sprechen. Der erste der sieben Vorschläge ist ein vollkommener Abklatsch des Kuttenberger Dekretes. Der böhmischen Nation erkennt er drei Stimmen zu – nicht nur in allen Konzilien, bei allen Prüfungen, Gerichten, Wahlen und weiteren Universitätsakten, sondern darüber hinaus bei der Wahl des Rektors und der Dekane aller Fakultäten und auf die Kollegiatsplätze aller Kollegien. Im zweiten Vorschlag werden den Böhmen zwei Stimmen und den übrigen Nationen eine zuerkannt bzw. den Böhmen drei und den Deutschen zwei Stimmen bei den einzelnen Universitätsakten. Begründet wurde er damit, dass die Böhmen zahlreicher als alle Magister der übrigen drei Nationen zusammen seien. Der dritte Vorschlag rechnet mit der Aufteilung der Universität in vier Teile. Drei Viertel der solchermaßen aufgeteilten Universität fielen dabei der nacio bohemorum zu, die den Rektor und alle Dekane stellen würde. Im verbliebenen letzten Viertel hätten dieselben Funktionen die drei deutschen Nationen inne. Damit
786 Die „Ordinationes magistrorum Boemiae contra magistros Theotunicorum“ sind herausgegeben im Codex juris bohemici (wie Anm. 97), 297 f. (Nr. 20). – Ausführlich bei Bartoš, Pˇríspˇevky (wie Anm. 515), Kapitel 1: Kolem Dekretu kutnohorského [Um das Kuttenberger Dekret], 33–40, hier 38 f.; Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 101. 787 Loserth, Die Denkschrift (wie Anm. 750), 135. – Andreas von Regensburg: Chronica pontificum et imperatorum Romanorum. In: Andreas von Regensburg: Sämtliche Werke. Hg. v. Georg Leidinger. München 1903, 1–158, 704–707, 710–711, hier 120. – Zur Datierung dieser Nachrichten vgl. Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 53 (1915), 72–75; Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 339 f., der jenen (angeblichen) Vorschlag Wenzels im Zusammenhang mit der misslungenen Wahl des Rektors interpretiert und ihn als die letzte und äußerste Lösung des Königs versteht.
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wiederholt auch dieser Vorschlag de facto die Hauptideen des Kuttenberger Dekretes, auch wenn er die drei Nationen an der Universitätsselbstverwaltung beteiligt. Der vierte Vorschlag geht hingegen weit über das Dekret hinaus und neigt zur Parität: Die böhmische Nation sollte zwei Stimmen haben, eine für die böhmische und eine für die mährische Nation; den übrigen drei Nationen standen ebenfalls zwei Stimmen zu, eine für die polnische Nation und eine für die Nation aller Deutschen. Diese Parität war im Falle der Stimmengleichheit allerdings beschränkt. Dann sollte nämlich entweder ein von allen Nationen gewählter böhmischer Magister oder der Universitätskanzler, also der Erzbischof von Prag, eventuell der von diesem delegierte Vizekanzler über sämtliche Streitigkeiten entscheiden. Das ist der einzige Moment im Streit um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes, in dem der Erzbischof von Prag die Bühne betritt, auch wenn nur in einer bescheidenen Rolle. Sonst werden seine Vollmachten ganz übersehen, ja sogar eliminiert. 788 Der fünfte Vorschlag arbeitet ebenfalls mit der Parität, fasst sie allerdings anders auf. Die böhmische Nation sollte in drei Nationen aufgeteilt werden, die das zur Böhmischen Krone gehörende Gebiet umfassten: Die erste Nation stellten demnach die Prager mit den aus den Regionen in Richtung Mähren und Österreich stammenden Universitariern, die zweite die Mährer mit allen Schlesiern und den aus den östlichen Regionen stammenden Personen und die dritte die Pilsener mit den aus den bayerischen, zum Königreich Böhmen gehörenden Gebieten stammenden Universitariern. Die letzte, vierte Nation sollte sich aus allen Ausländern zusammensetzen. Jede dieser vier Nationen bekam eine Stimme zugesprochen. Aus dem sechsten Vorschlag spricht hingegen Ratlosigkeit. Er sagt lediglich, die Universität möge sich im Geiste der Gründungsurkunde nach den an der Pariser und Bologneser Universität herrschenden Gepflogenheiten richten, ohne dass jene Gepflogenheiten bei der Universitätsleitung irgendwie spezifiziert worden wären. Der siebente Vorschlag ist angesichts des Kuttenberger Dekretes als eine völlige Resignation zu verstehen, auch wenn in ihm gesagt wird, dass er eine Lösung vorschlage, um das Dekret nicht vollständig zunichte zu machen. Ein solcher Rettungsversuch von Teilen des Dekretes für die böhmische Nation war der Vorschlag, der Rektor und der Dekan der Artistenfakultät sollten ausschließlich aus den Reihen der nacio bohemorum gewählt werden, und falls dies nicht möglich war, zumindest der Dekan der Artistenfakultät. Obwohl die sieben Vorschläge zwischen Maximal- und Minimalforderungen hin und her pendeln (die beiden letzten resignieren im Hinblick auf das Kuttenberger Dekret sogar fast völlig), kann man in ihnen die Suche nach einem goldenen Mittelweg erkennen, und zwar in Form der Parität der Nationen entweder mittels einer Umgruppierung der Nationen, bei der die Böhmen das Stimmenübergewicht verlieren würden, oder mittels Stimmengleichheit für die Böhmen und Mährer auf der einen Seite und für die Ausländer auf der anderen Seite. In dieser Hinsicht kam der Vorschlag jener Supplik der deutschen Magister entgegen, die sich darin – im äußersten
788 Nodl, „Smíˇrení národ˚u“ (wie Anm. 109), 266 f.
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Fall – dazu bereit erklären, eine paritätische Kompromisslösung zu akzeptieren, die im Einklang mit dem Schwur auf die Eintracht der Nationen wäre. Und da gerade der Schwur den älteren böhmischen Magistern am Herzen lag, steht es zu vermuten, das jene sieben Vorschläge ihren Köpfen entstammten. Allerdings lassen die Anspielungen des Andreas von Brod auf die aggressive Haltung Hussens und seiner Anhänger, die bei den älteren Magistern Befürchtungen oder sogar Angst erweckte, erahnen, dass die Vorschläge nur bloße Gedankenspiele geblieben und nicht zum Gegenstand tatsächlicher Verhandlungen erhoben worden sind. In einer gewissen Form können sie dennoch dem königlichen Rat zu Ohren gekommen sein, in dem man zwar nicht über den Verzicht auf das Dekret (so weit, denke ich, wollte Wenzel IV. nie gehen), aber über die Einführung eines Kompromisses in Form der paritätischen Vertretung in der Universitätsverwaltung zu debattieren begann. Der zweite Text, der die Spannungen und die Unruhe in der nacio bohemorum widerspiegelt, ist die „Defensio mandati“ des Johannes von Jessenitz. Er reagiert v. a. auf die Supplik der Magister der drei Nationen und berücksichtigt in keiner Weise die „Ordinationes magistrorum Boemiae contra magistros Theotunicorum“. Der erste Teil der Schrift widmet sich der Souveränität Wenzels IV. und leitet sie aus dem Gesetz Gottes und aus dem menschlichen Gesetz ab. In Übereinstimmung mit dem Dekret solle er v. a. sein Königreich leiten und mehr für das Wohl seiner Bewohner („suis regnicolis“) als für das Wohl der Ausländer („exteros“) sorgen. Aus dem göttlichen und menschlichen Recht ergebe sich dann ferner seine Vollmacht über die Prager Universität. Der König könne ihr Statuten geben („instituendum statuta“) und sowohl Ausländer als auch einheimische Bewohner aufnehmen und ablehnen („assumendi et repellendi tam alienigenarum quam indigenarum“). Dabei habe er allerdings zum Vorteil der Einheimischen vorzugehen. Insofern hätte der König auch im Einklang mit dem Recht gehandelt, als er seinen einheimischen Bewohnern („regnicolis“) an der Universität drei Stimmen und der deutschen Nation, deren Angehörige sich vereinigt hatten, nur eine einzige Stimme zusprach. Die Bewohner des Königreiches Böhmen („regnicolae regni Bohemiae“), also die wahren Böhmen („veri Bohemi“), Laien und Kleriker, hätten aufgrund der königlichen Schenkung das Recht, Vorteile in Räten und auf den vorderen und herrschenden Posten zu erhalten zur Stärkung der königlichen Ehre und Würde. Es sei daher gerecht, dass der König in seinem Dekret der böhmischen Nation, den böhmischen Magistern und Scholaren, an der Universität in den Konzilien, bei Gerichten, Prüfungen, Wahlen und anderen Universitätsakten den Vorzug gegeben habe. Die auswärtigen Nationen („nationes exterae“) bzw. die deutsche Nation („nacio Teutonica“) 789 hätten diesen königlichen Spruch demütig zu akzeptieren. Aufgrund des göttlichen Rechtes solle nämlich die böhmische Nation an der Prager Universität die auswärtigen Nationen leiten. Im Geiste Hussens fasst Johannes von Jessenitz diesen Gedankengang in der folgenden Allegorie zusammen: Die böhmische Nation solle in Böhmen der Kopf und nicht der Schwanz sein, daher solle sie an der Universität die auswärtigen
789 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 356.
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Nationen leiten und über sie herrschen (dieses Bild wiederholt er am Ende seiner Verteidigung des Kuttenberger Dekretes). 790 Die deutsche Nation, die den ersten Rang und die Herrschaft über die böhmische Nation beanspruche, widersetze sich somit den königlichen Anordnungen und dürfe auf keinen Fall erhört werden. Dem fügt der Autor dann hinzu, die deutsche Nation wolle sicher auch nicht, dass die Böhmen in Wien oder in Heidelberg ihr gegenüber bevorzugt würden. Und wenn also die Deutschen in Deutschland nicht erlaubten, von den Böhmen beherrscht zu werden, dann gelte das umgekehrt für die Böhmen in Böhmen genauso. Danach argumentiert Johannes wie auch das Kuttenberger Dekret mit dem Inkolat. Nur die Böhmen seien die wahren Erben des Königreiches und könnten daher in den Grenzen Böhmens auch über die Bewohner anderer Herkunft herrschen. Hier sichert sich der Autor wieder mit dem Hinweis auf göttliches Recht ab und sagt, Gott selbst habe den einzelnen Nationen ihre Länder zugeteilt: Böhmen den Böhmen, Bayern den Bayern, Ungarn den Ungarn. Dem fügt er dann das sich aus der böhmischen Geschichte ergebende Argument hinzu, in Böhmen seien einst nur Tschechen ansässig gewesen, ihre verlorenen Rechte sollten sie nun wiederbekommen – ohne Hindernisse von Seiten der Deutschen. Johannes setzt dann seine historische Argumentation fort. Er zitiert und interpretiert im Folgenden Karls Gründungsurkunde. Dabei beruft er sich auf den Passus, nach dem der Zweck der Universität darin bestehe, dass die Bewohner des Königreiches Böhmen zukünftig nicht mehr im Ausland um ihre Ausbildung betteln müssten und die zur Ausübung der Ämter notwendigen Kenntnisse erwerben könnten. Nach der Auslegung der Gründungsurkunde durch den Autor hätten die einheimischen Bewohner ursprünglich Ausländer an der Universitätsverwaltung beteiligen müssen. Diese sollen sich jedoch gegen die Intentionen des Gründers die verschiedensten Benefizien und Kollegiatsplätze angeeignet haben. Gemeinsam damit macht Johannes darauf aufmerksam, dass Karl IV. der Prager Universität als Vorbilder die Pariser und die Bologneser Universität gegeben hatte. Da an den beiden Universitäten die einheimischen Bewohner („regnicolae“) drei Stimmen hätten und über die ganze Universität herrschten, habe Wenzel IV. in seinem Dekret diesen Anspruch auch für die böhmische Nation erhoben und ihr drei Stimmen in allen Konzilien, bei allen Gerichten, Prüfungen, Wahlen und anderen Universitätsakten zugesprochen. Johannes’ Verteidigung von Wenzels Mandat basiert also auf dem nationalen Prinzip. Jene „regnicolae“, jene „puri Bohemi“ werden aber nicht sprachlich, sondern durch ihre ursprüngliche Zugehörigkeit zum Land definiert. In seiner historisierenden Argumentation hält er nur die Tschechen als angeblich erste Landesbewohner für die wahren Erben, während die erst später nach Böhmen gekommenen Bewohner nicht die gleichen Rechte wie diese beanspruchen könnten. Daraus folgt, dass die Deutschen niemals zu den wahren Erben des Landes gehören würden, auch nicht die bereits längere Zeit in Böhmen ansässigen. Ihre fehlende historische Bindung an
790 Ebd., 356, 362.
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das böhmische, den Tschechen von Gott selbst geschenkte Land schließe sie von der Herrschaft über die Tschechen aus. Sollten sie bisher aber dennoch über diese geherrscht haben, dann nur als Usurpatoren und nicht auf rechtlicher Grundlage. Die Sprachgemeinschaft wird also in Johannes’ Augen durch die Landes- und v. a. die historische Gemeinschaft ersetzt. König Wenzel habe sich mit dem Kuttenberger Dekret nur zum Anwalt der Tschechen und der ihnen naturgemäß zustehenden Rechte gemacht. Er versetzte die Verwaltung der Universität lediglich in den Zustand, der schon am Anfang hätte herrschen sollen. Ohne das Dekret hätte die Herrschaft Wenzels der einheimischen Bevölkerung geschadet, ihr Unrecht angetan und im Widerspruch zum göttlichen und natürlichen Recht gestanden. Johannes’ Argumentation lässt keine Kompromisse zu: keine Aufteilung der Herrschaft über die Universität und keine Parität, wie sie die drei Nationen in ihrer Supplik anbieten. Aus diesem Grund versucht er dann im zweiten Teil der „Defensio mandati“, die Argumente der drei Nationen gegen den Erlass des Kuttenberger Dekretes zu widerlegen. Dabei lehnt er ihren Hinweis auf die bisherigen Gewohnheiten und die Tradition ab, also das Argument, die drei Nationen hätten doch bisher und zudem schon sehr lange drei Stimmen gehabt. Als Gegenargument führt er an, dass die böhmische Nation („natio Bohemica“) bisher Papst Gregor XII. nicht den Gehorsam entzogen habe, es allerdings in Zukunft tun könnte. Diese Bemerkung ist für die Datierung der „Defensio mandati“ wichtig. Johannes sagt, die böhmische Nation (die Frage ist, ob er die Universitätsnation oder das Land meint) habe sich bisher nicht von Gregor XII. losgesagt. Das Problem besteht nun aber darin, ob man im Falle Wenzels IV. als eine solche Lossagung die Urkunde vom 22. Januar 1409 791 betrachtet oder erst die Urkunde vom 16. Februar für Kardinal Landulf Marramaldi, in der er sich zur Entsendung einer Gesandtschaft zum Pisaner Konzil und zur Aufkündigung des Gehorsams gegenüber dem römischen Pontifex verpflichtet. 792 Versteht man aber nacio bohemorum als Universitätsnation, dann hätte sich in der Zeit der Niederschrift der „Defensio mandati“ König Wenzel noch zur Neutralität bekannt, und die drei Nationen hätten in Kuttenberg den vollen Gehorsam gegenüber Gregor XII. vertreten. Johannes von Jessenitz wechselt damit aber in eine rein zweckgebundene Argumentation, entstellt dabei bewusst die Behauptung der deutschen Magister und arbeitet mit unwahren Angaben. Ihm zufolge argumentierte die deutsche Nation damit, dass in den päpstlichen und kaiserlichen Urkunden nicht expressis verbis von drei Stimmen für die böhmische Nation die Rede sei. Das bestreitet Johannes zwar nicht, fügt aber doch hinzu, dass darin auch nichts von drei Stimmen für die deutsche Nation gesagt werde. Im Anschluss daran widerlegt er den Einwand bezüglich des Schwurs der Universitarier bei der Immatrikulation, nach dem keine Nation einen Streit gegen eine andere Nation um ein Vorrecht einleiten dürfe, wenn es nicht durch
791 Ebd., 348–350 (Nr. 11). – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 323, betrachtet die Lossagung vom 22. Januar 1409 als unvollständig. 792 Die beiden Urkunden sind herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 364–368 (Nr. 17 f.).
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päpstliche oder kaiserliche Urkunden verbrieft sei. Seiner Auffassung nach hat nämlich die böhmische Nation keinen Streit eingeleitet, die Vorrechte erhielt sie mittels eines Geschenkes vom souveränen Herrscher. Zudem habe die böhmische Nation ein Anrecht darauf auch aufgrund der kaiserlichen Urkunde, der zufolge die Ausländer zur Teilhabe an der Universitätsverwaltung zugelassen werden sollen („extraneos ad participium gratitudinis evocare“). Karl IV. hatte nämlich laut Johannes die Universität für die einheimischen Bewohner, für die „regnicolae“ gegründet, die daher ihr Vorrecht durch kaiserliche Urkunden verbrieft haben. Denkt man seine Ausführungen zu Ende, dann wollte er vermutlich damit sagen, dass das kaiserliche Privileg nicht von der Gleichheit der Nationen, sondern vom Vorrecht der böhmischen Nation spreche. Deshalb widerspreche der neue, von den Magistern der drei Nationen verteidigte Schwur auf die Eintracht der Nationen dann der Intention des Universitätsgründers. Die einheimischen Bewohner, also die „filii regni“, 793 würden das Wohl ihres Königreiches lieben und seien seine guten Ratgeber. Das gelte hingen nicht für die Ausländer. Ein Beispiel dafür sind für Johannes diejenigen Magister, die zwar die Wohltaten des legitimen römischen Königs Wenzel genossen hätten, jedoch dann nach Heidelberg zu Ruprecht weggingen und dort gegen den böhmischen König aufzutreten und zu predigen begannen. Anschließend kommt er auf den auch von ihnen geleisteten Schwur, nicht gegen das Wohl der Universität zu handeln, zurück und sagt, dass sie dies trotzdem getan hätten. Johannes lehnt das Argument ab, dass die böhmische Universitätsnation mit der Annahme der drei Stimmen als königliches Geschenk meineidig geworden sei. Hatten doch alle Universitarier geschworen, das Wohl der Universität zu wahren („bonum universitatis servandum“). Die Oberhoheit der böhmischen Nation sei gerecht und gleichzeitig auch gut, und deshalb solle sie bewahrt werden; ihre Umsetzung in die Praxis erfülle vielmehr den ursprünglichen Schwur. Seine weiteren Ausführungen zeigen jedoch Johannes’ Unsicherheiten im Umgang mit dem Schwur. Wenn er nicht gespürt hätte, dass die Magister der drei Nationen damit einen starken Trumpf in ihren Händen hielten, dann hätte er nicht seine Auslegung mit mehr oder weniger zweckgebundenen und überzeugenden Argumenten fortsetzen müssen. Im Geiste des scholastischen Syllogismus fügt er nämlich unmittelbar hinzu, dass der spätere, dem ursprünglichen widersprechende Schwur nicht gültig sein solle. Die neue, in die Statuten im Zusammenhang mit dem Abschluss der concordia nacionum aufgenommene Schwurfassung widerspreche wohl somit dem ursprünglichen Schwur auf die Bewahrung des „bonum et utile“ der ganzen Universität und sei daher im Kern ungültig. Dazu bringt Johannes ein Beispiel aus jüngster Zeit, nach dem der ungarische König das Kronvermögen entwendet und
793 Zur Interpretation dieses Begriffs treffend Kybal, Vlastimil: Filius regni. In: Naše doba 22 (1915), 481–511. – Teilweise polemisch gegenüber Kybal ist Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 331–336, der Johannes von Jessenitz als Urheber der „Defensio mandati“ nachweist. – An Novotný knüpft dann an Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 15–19, und bereichert in der Analyse der bei der Verteidigung benutzten juristischen Argumente die bisherigen Kenntnisse.
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nachher Schwüre geleistet habe, die jedoch ungültig seien, weil er bereits bei seiner Krönung geschworen hätte, die Rechte und die Ehre der ungarischen Krone zu wahren. Da sich Johannes der Dürftigkeit seiner Argumente bewusst war, behauptet er dann lieber, das königliche Dekret sei eine Auslegung der vom Fürsten erlassenen Goldenen Bulle („interpretatio bullae aureae per principem facta“) und verhelfe den Tschechen zu ihrem Recht. Mit dieser Goldenen Bulle kann er zwar die Goldene Bulle vom Jahre 1356 gemeint haben, in der vom Vorrang des böhmischen Königs vor den Reichsfürsten die Rede ist, höchstwahrscheinlich bezeichnet er aber die tatsächlich unter einem goldenen Siegel erlassene Gründungsurkunde vom 7. April so, auch wenn er in anderen Fällen sie nicht als die Goldene Bulle anspricht. Da das Kuttenberger Dekret eine Auslegung der Goldenen Bulle sei, dürften auch keine Schwüre im Widerspruch zu den Herrscherprivilegien stehen. Damit wiederholt er nur, was er bereits vorher gesagt hat, ohne irgendein neues Argument vorzulegen. Im Fortgang behauptet Johannes auch abermals, dass die Universität nichts gegen die Herrscherprivilegien und -absichten festlegen dürfe. Andernfalls wäre dies ungültig. Denkt man seine Auslegung erneut zu Ende, dann stünde der Schwur auf die concordia nacionum im Widerspruch zu den Herrscherprivilegien und wäre somit ungültig. Übrigens ist nach seinen Worten die Wirksamkeit jedes Schwurs durch die Vollmachten höher gestellter Personen, also der Fürsten, beschränkt. Der Herrscher könne also alles – unabhängig von Schwüren – ändern und neu festlegen. Damit seien sämtliche Einwände und Argumente der Magister der drei Nationen gegenstandslos. Zum Schluss seiner Verteidigung des Kuttenberger Dekretes kommt Johannes erneut auf das historische Hauptargument der drei Nationen zu sprechen (in seiner Diktion freilich der deutschen Nation), dass in den Anfängen der Universität die deutschen Magister an erster Stelle gestanden und die Böhmen geleitet hätten. Daraus folgert er dann, dass die deutschen Magister eigenwillig die Universität in vier Nationen aufgeteilt hätten und infolge dessen die böhmische Nation der deutschen Nation als Dienerin unterstellt worden sei. Darauf räumt Johannes ein, dass die Böhmen anfangs in den Wissenschaften tatsächlich zurückgeblieben und wegen ihres niedrigen wissenschaftlichen Standards Diener der Deutschen gewesen seien. Der Kaiser legte jedoch seines Erachtens fest, dass – wenn sich dieses Verhältnis einmal geändert haben wird – die Tschechen Herren und Erben sein würden. Und gerade jetzt habe sich jene Zeit erfüllt. Hatten doch, als Wenzel IV. sein Dekret bezüglich der drei Stimmen erließ, die böhmischen Magister die deutschen Magister mehrfach an Zahl überholt und sich in allen Wissenschaften und in ihren Fähigkeiten über die Ausländer erhoben. 794 Damit war in die inneruniversitären Auseinandersetzungen das Argument der Anzahl der Universitätsmitglieder zurückgekehrt. Es hatte bereits in den Streitigkeiten Mitte der 1380er Jahre eine Rolle gespielt. 795 Johannes wusste bestimmt, dass er in dieser Hinsicht nicht die Wahrheit sprach und dass er sich die 794 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 362 f. 795 Zur Argumentation mit dem Übergewicht der böhmischen Universitarier bzw. der Universitarier der drei Nationen vgl. die betreffenden Passagen im Kapitel „II ‚Versöhnung der Nationen‘ in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts“ in diesem Buch.
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Realität seinen Zwecken entsprechend zurechtbog. Bezeichnend ist, dass er jenes böhmische Übergewicht nicht auf alle Universitarier bezieht, hier stellten es eindeutig die drei Nationen, sondern lediglich auf die Magister. Die böhmischen Magister bildeten zwar keine Mehrheit und schon gar nicht überholten sie die Magister der drei Nationen mehrfach an Zahl. Ihr Verhältnis entsprach aber zumindest scheinbar den neuen Forderungen, auch wenn es bei Weitem nicht zu drei Stimmen berechtigte. Die wortreiche „Defensio mandati“ des Johannes von Jessenitz, die sich dadurch von den sachlichen und knappen „Ordinationes magistrorum Boemiae contra magistros Theutonicorum“ unterscheidet, beruht im Grunde auf einigen wenigen Argumenten: auf der absoluten Oberhoheit der Herrschergewalt, auf der Verankerung des Vorrechtes der böhmischen Nation vor den Ausländern in der Gründungsurkunde der Prager Universität, auf dem Inkolat und der Anwesenheit im Lande seit den Uranfängen und auf der Ungültigkeit des Schwurs auf die concordia nacionum wegen des Widerspruchs zu den Vorstellungen des Universitätsgründers über das zahlenmäßige und wissenschaftliche Übergewicht der böhmischen über die deutschen Magister. Laut Johannes gab es die Universitätsnationen nicht ganz vom Anfang der Universitätsgeschichte an; sie wurden einschließlich der Stimmen erst von den vom Kaiser im guten Glauben und mit guter Absicht eingeladenen Ausländern eigenwillig festgelegt, und zwar im Widerspruch zur klar vorbestimmten Führungsrolle der Böhmen. Der Schwur, auf den sich die deutschen Magister beriefen, sei in Wirklichkeit ungültig. Er widerspreche sowohl dem ursprünglichen Schwur als auch den kaiserlichen Privilegien. Auf keinen Fall könnten also die böhmischen Magister meineidig geworden sein, als sie das königliche Dekret annahmen. Sie seien es auch deshalb nicht, weil der von ihnen und auch vom Autor selbst geleistete Schwur durch die Obergewalt des Herrschers einfach aufgehoben worden ist. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Johannes bewusst dem Argument der deutschen Magister ausgewichen war, Wenzel IV. habe durch seine Urkunde die concordia nacionum bestätigt. Obwohl er auch hier zweckgebunden vorging, kann seine Haltung nichtsdestoweniger von dem Bewusstsein geprägt worden sein, dass es eine solche Urkunde in Wirklichkeit nicht gab bzw. dass es sich dabei nicht um eine Bestätigung handelte, sondern um ein anderes, allgemeines Privileg (oder um eine allgemeine Bestätigung aller Universitätsprivilegien), welche die Magister der drei Nationen als eine Bestätigung der concordia nacionum auffassten. Noch wichtiger ist aber, dass Johannes wiederum völlig zweckgebunden und wiederum im Geiste des Kuttenberger Dekretes (dessen Grundgedanken er in seiner Verteidigung mehr oder weniger wiederholt, ohne etwas wesentlich Neues zu bringen) die Existenz einer einzigen deutschen Nation konstruiert. Sie war ihm zufolge von Anfang an in der Universität zugegen und hatte sich nur listig, in ihrem Bemühen, die Macht zu usurpieren, in drei Nationen aufgeteilt. Im Unterschied zu Kejˇr, der die „Defensio mandati“ für ein Meisterwerk der juristischen Literatur hält, 796 schreibe ich ihr vielmehr den Charakter einer Apologie oder sogar eines Manifestes zu, in
796 Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 16.
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dem die sachliche Argumentation der Ideologie weicht. Der Autor arbeitet bisweilen mit einer zweckgebundenen historisierenden Auslegung und mit bewussten Unwahrheiten, also im Geiste des modernen Nationalismus, der nach außen vermeintliche natürliche Rechte verteidigt, tatsächlich aber die Macht nicht aufgrund einer ethnischen Majorität zu ergreifen versucht, sondern im Hinblick auf aktuelle politische und gesellschaftliche Konstellationen. Insofern stellt die „Defensio mandati“ durchaus einen modernen Text dar, nicht aber weil sie auf einer brillanten oder sonstwie bemerkenswerten juristischen Argumentation beruht. Im Kern steht der Text den ähnlich ideologisch verankerten, beinahe zeitgenössischen Auslegungen des Rechtes durch den polnischen König nahe. Dazu gehört das Recht, über das vorübergehend zur Benutzung dem Deutschherrenorden anvertraute Gebiet zu herrschen und zum Schutz des Christentums die Hilfe von Schismatikern und von Andersgläubigen zu nutzen. Naturrechtlichen Argumentationen folgend hätten demnach auch Heiden das Recht auf den freien Besitz des Landes, das ihnen nicht lediglich aufgrund der Andersartigkeit ihrer Religion entzogen werden könne. 797 Für die Datierung der „Defensio mandati“ bzw. der mit dem Streit um die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes verbundenen Ereignisse ist wichtig, dass Johannes von Jessenitz an keiner Stelle auf den Schwur der deutschen Magister anspielt, der sie laut Hus zum Weggang von der Prager Alma Mater zwang und die Hauptursache ihrer anschließenden Ausweisung aus dem Land und der Beschlagnahmung ihrer Benefizien durch König Wenzel IV. war. Der Versuch von Kejˇr, jene die Argumente der deutschen Magister widerlegende Verteidigungspassage auf den gemeinschaftlichen Schwur zu beziehen, 798 ist völlig fehl am Platz. Sie stellt nämlich, wie ich zu zeigen versucht habe, die Verbindlichkeit der concordia nacionum in Abrede und nicht die Verbindlichkeit des gemeinschaftlichen Schwurs in der Form einer Sezessionsandrohung. 799 Daraus ergibt sich, dass dieser gemeinschaftliche Schwur erst in eine spätere Zeit gehört. Er hängt dann entweder mit der Vereitelung der Wahl des Rektors der Dreifakultätenuniversität und des Dekans der Artistenfakultät zusammen oder gehört sogar erst in die Zeit unmittelbar nach der Besetzung des Rektorats und Dekanats aufgrund des Erlasses von Wenzel IV.
Zuspitzung der Konflikte und Durchsetzung des Dekretes Die vereitelte Wahl der Examinatoren am 23. Februar 1409 war der erste ernsthafte Konflikt und zeugte von der Unmöglichkeit, das Kuttenberger Dekret ohne einen direkten Eingriff des Herrschers ins Leben zu rufen. Trotzdem bewirkte sie nicht die endgültige Zuspitzung der Streitigkeiten. Unter dem Einfluss vieler Umstände, deren Details vom Schweigen der Quellen verhüllt sind, wählten die beiden Parteien 797 Ozóg, ˙ Udział Andrzeja Łaskarzyca (wie Anm. 621), 184. 798 Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 102, Anm. 87. 799 Der Schwur ist in der Formularform erhalten und herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 352 f. (Nr. 13).
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im gegebenen Augenblick die Taktik des Abwartens und kalkulierten dabei mit den häufigen Stimmungswechseln von Wenzel IV. Diese Taktik konnte man aber nicht unendlich praktizieren. Mit dem Heranrücken des Endes des Monats April, also des gewöhnlichen Wahltermins des Dekans der Artistenfakultät, wuchs offensichtlich auch die Spannung unter den Magistern. Die Eintragung im Dekansbuch ist nicht allzu sehr mitteilsam. Aus ihrer lakonischen Sprache kann man aber herauslesen, dass die beiden verfeindeten Magistergruppen versuchten, das eigene Prinzip der Wahl des Dekans der Artistenfakultät durchzusetzen. 800 Einen Konsens, so scheint es, suchte niemand. Da wie bei der Examinatorenwahl im Februar auch keine Änderung der die Dekanswahl betreffenden Statuten erfolgt war, konnte auch kein Konsens gefunden werden. Auch die Wahl des Rektors nach den alten Statuten war ohne die Kooperation aller Nationen nicht möglich. Und da es vorläufig kein neues Statut gab, welches das Kuttenberger Dekret in Bezug auf die komplizierte Wahl des Rektors interpretieren würde (es wird erst einige Monate später erlassen werden in dem offensichtlichen Bestreben, die Wahl des Rektors den neuen Bedingungen anzupassen), 801 war es faktisch auch mit der Mehrheit der böhmischen Stimmen nicht möglich, einen neuen Rektor zu wählen. Nun war der König am Zug. Schließlich hatte er das Dekret erlassen, ohne seine Auswirkung auf die Universitäts- und Fakultätsverwaltung hinreichend zu erwägen. Es durfte in seinen Augen sicherlich nicht ins Leere laufen. Die Entscheidung über die Art des Eingriffs in den Universitäts- und Fakultätskörper beanspruchte mehr als 14 Tage. Ob die Magister der drei Nationen während dieser 14 Tage zum gemeinschaftlichen, höchst defensiven Schwur geschritten waren oder ob dieser Schwur erst einer späteren Zeit angehört, kann man aufgrund der erhaltenen Quellen nicht belegen. Dasselbe gilt für die Unruhen und für den Angriff auf Ludolf Meistermann und Johannes Hoffmann, wie sie Nikolaus Tempelfeld beschreibt. 802 Im gemeinschaftlichen Schwur, den Hus den deutschen Magistern wiederholt als den wahren Grund ihres Weggangs von der Prager Universität und ihrer Vertreibung aus dem Land unterschob, hatten sich die Magister der drei Nationen unter der Strafe des Meineids, der Exkommunikation und der Entehrung sowie unter einer Geldstrafe in Höhe von 100 Schock Groschen verpflichtet, das Dekret des Königs nicht anzunehmen. Denn es widerspreche den bei der Immatrikulation geleisteten Schwüren und führe zur Destruktion der Universität und zur Katastrophe für das Königreich und den König. Zudem beschlossen sie, lieber Prag zu verlassen und dorthin solange nicht zurückzukehren, bis die Rechte der Nationen an der Universität wieder völlig hergestellt waren, also wie vor dem Erlass des Dekretes. 803 Die rechtlich mit dem Schwur untermauerte Verpflichtung zum gemeinschaftlichen Weggang war die äußerste Lösung, zu der die Magister der drei Nationen wohl hätten greifen können. Es 800 801 802 803
MUPr I /1, 403. Codex juris bohemici (wie Anm. 97), 300. Loserth, Die Denkschrift (wie Anm. 750), 136. Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 353 (Nr. 13).
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blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Allerdings hatten sie einen Weg gewählt, der im universitären Umfeld bei der Lösung von Konflikten durchaus üblich war, v. a. im 13. Jahrhundert. Einigen Prager Universitariern dürfte dieser Schachzug zumindest im Rahmen des Kollektivgedächtnisses aus Paris nach dem Ausbruch des päpstlichen Schismas bekannt gewesen sein. Wenn dieser Schwur tatsächlich in die Zeit vor der Ernennung des neuen Rektors und Dekans durch den König gehört, dann könnte Wenzels Entscheidung für diesen radikalen und unumstößlichen Schritt gerade durch diesen ebenso unumstößlichen gemeinschaftlichen und hart sanktionierten Akt hervorgerufen worden sein. In dieser Geschichte, obwohl das für die Historiographie ungewöhnlich ist, kann man gleichermaßen gut mit beiden Datierungen arbeiten. Die späte Datierung erklärt die verhältnismäßig lange Zeit, die zwischen dem 9. Mai und der Ausweisung der Verschwörer am 28. Juni 1409 vergangen war. Die frühe Datierung weist hingegen auf das Bemühen des Königs hin, nach der misslungenen Wahl alles zu klären. Außerdem ist es möglich, dass jener Schwur der misslungenen Wahl des Dekans der Artistenfakultät vorausgegangen war; das legen v. a. entsprechende Kommentare von Hus zu Lombardus’ „Sentenzen“ nahe und sein Rat an die Studenten, sich diesem nicht unterzuordnen. 804 Allerdings kann man diese höchst aktuelle Anspielung Hussens auch nicht wirklich genau datieren. Insofern ist kaum zu bestimmen, ob sie in die Zeit vor oder nach der Dekanswahl gehört. 805 Zwischen Ende April und dem 9. Mai überwog jedenfalls im königlichen Rat die Ansicht, sicher mit Wenzels Zustimmung, dass man handeln müsse, und zwar demonstrativ, unter Anwendung der weltlichen Macht. Von dem eigentlichen, in der bisherigen Universitätsgeschichte präzedenzlosen Akt haben sich zwei Quellentypen erhalten. Die Berichte der Chronisten beziehen sich ausschließlich auf die Besetzung des Rektorats. Laut Nikolaus Tempelfeld und v. a. laut seines Berichterstatters, also des Autors der „Leipziger Chronik“ waren die königlichen Soldaten und die städtischen Büttel unter Assistenz der Altstädter Ratsherren und des königlichen Höflings und Schreibers des Kuttenberger Urbariums Nikolaus Augustini, auch Nikolaus der Reiche genannt, auf der Magisterkongregation erschienen, die in einem Raum der Artistenfakultät stattfand. Vor dem ganzen Plenum las dann eben dieser Hauptakteur,
804 Umfassend, mit Verweis auf sämtliche Quellen, bearbeitet Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 336 f., Hussens Anspielungen auf den Schwur in seinem Kommentar zu Lombardus’ „Sentenzen“. Novotnýs Datierung der entsprechenden Passagen trifft aber nur annähernd zu, da er von der Grenze der beiden Semester spricht, also vom April 1409. Den eigentlichen Schwur datiert ˇ er dann in die Zeit vom März bis April (ebd., 300). – Analog auch Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 311, der den Schwur in die Zeit nach der Entsendung der Vertreter Wenzels IV. nach Pisa datiert, also nach dem 15. März und vor Ende des April. 805 Kejˇr, Sporné otázky (wie Anm. 50), 102, datiert den Schwur auf Ende Februar, wobei er sich auf die „Defensio mandati“ stützt, die seines Erachtens auf einen gemeinschaftlichen Schwur anspielt. Tatsächlich bezieht sich diese Anspielung jedoch, wie ich nachzuweisen versucht habe, auf den Schwur der Universitarier bei der Immatrikulation bzw. auf den Schwur auf die concordia nacionum. – Nach Kejˇrs Datierung des Schwurs richten sich auch Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 236; Šmahel/Nodl, Kutnohorský dekret po 600 letech (wie Anm. 109), 38.
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Nikolaus Augustini, die (wiederum nicht erhaltene) königliche Urkunde vor, nach der zum Rektor der Dreifakultätenuniversität Zdenko von Laboun und zum Dekan der Artistenfakultät Simon von Tischnowitz bestellt worden war. 806 Den entscheidenden Anteil des Nikolaus Augustini als Befreier der böhmischen Universitätsnation betont auch Hus in einer unmittelbar nach der Sezession der deutschen Magister gehaltenen Predigt. 807 Es scheint daher, dass die Magisterkongregation, auf der die Bewaffneten in königlichen und städtischen Diensten erschienen waren, eine Versammlung der Magister der Artistenfakultät war, die wiederum über die Fakultätsordnungen und offenbar auch über das Verfahren der Dekanswahl stritten. Einigen den böhmischen Magistern nicht gewogenen Chronikberichten zufolge hatte man anschließend bei Rektor Henning von Baltenhagen die Universitätsinsignien und die Kleinodien sowie die Schlüssel für die Universitätsbücher und -urkunden gewaltsam beschlagnahmt, 808 also das ganze Universitätsarchiv, das für die weitere Existenz der Prager Alma Mater einen unermesslichen Reichtum darstellte. Für die zeitgenössischen Beobachter spielte die Teilnahme der Altstädter Ratsherren an diesem Akt eine bedeutende Rolle. Sie dokumentierte eine Verschwörung der ganzen tschechischen Partei, der Universitarier und der Stadtbürger, gegen die deutschen Magister und die Gegner Wyclifs. Übrigens nahmen gerade deshalb auch die Ratsherren Johann Ortli und Peter Habarti ihren Platz in der Parodie der Wyclif’schen Messe ein, auch wenn der erste auf die Liste der größten Aufrührer und Häretiker wohl wegen seines späteren gewaltsamen Todes (als Märtyrer) gelangte. 809 Die Quelle amtlicher Provenienz, also das Dekansbuch der Artistenfakultät, gibt freilich nur die Einsetzung des neuen Dekans wieder. Wahrscheinlich hat dann darin
806 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 339 f. 807 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 183 f.: „Pueri! laudetur deus omnipotens, quia Teutonicos exclusimus, et habemus propositum, pro quo institimus, et sumus victores; et specialiter regratiamini D. Nicolao Augustini, quod ipse ad preces nostras coram rege effecit.“ Der alte Streit um die Person Nikolaus’ des Reichen, der auf den Text des Pamphlets „Invectiva contra Hussitas“ vom Jahre 1432 zurückgeht, das in diesem Kontext von Nikolaus dem Armen von Lobkowitz spricht, – Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 624 f.: „Item dictum Chudý Mikulaj, protonotarius regni, qui nationem eorum, hoc est Boemorum, pestifera dissensionis materiam in universitate tunc Pragensi, rege adhuc Venceslao vivente, de vocibus exorta, coram ipso rege totis permovit viribus et desiderium cordis eorum in effectum perduxit, dignis laudum preconiis attolebant et beatificabant.“ – ist meines Erachtens künstlich, denn jenes Pamphlet hat höchstwahrscheinlich einfach aus Unkenntnis und unter dem Einfluss des Zeitabstands zwei Personen ähnlichen Namens verwechselt, die nah hintereinander die gleichen Ämter bekleidet hatten. Auf keinen Fall teile ich daher die ˇ Meinung von Chaloupecký, Kdo vymohl Cech˚ um Dekret Kutnohorský (wie Anm. 44), 25–29, der das Gegenteil behauptet und versucht, in das Geschehen um das Kuttenberger Dekret die beiden Nikoläuse einzubinden. 808 Vgl. die Schilderungen der „Leipziger Chronik“ in: Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 9, und der „Chronik der Prager Universität“ in: Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570, sowie des Nikolaus Tempelfeld bei Loserth, Die Denkschrift (wie Anm. 750), 136. 809 Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 21 f. – Zur Hinrichtung der beiden Prager Ratsherren, die beim Verlesen des königlichen, die Verurteilung der 45 Artikel Wyclifs gutheißenden Erlasses vom 10. Juli 1412 auf der Burg Bettlern assistiert hatten, vgl. Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 162 f., 172.
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der neue Dekan Simon von Tischnowitz persönlich ein wertvolles Zeugnis vom weiteren Geschehen hinterlassen. Simon wurde der Fakultät demnach als der neue Dekan unter Teilnahme der Altstädter Ratsherren, des Mitglieds des königlichen Rates Nikolaus Augustini und weiterer königlicher Beamten vorgestellt und in das Amt, „in possessionem positus“, eingeführt, also derart, als ob es sich um ein Benefizium oder um den Besitz eines materiellen Gutes gehandelt hätte. Dem fügt Simon an, er sei von der Fakultät angenommen worden, worauf er wiederum der Fakultät geschworen habe, das ihm anvertraute Amt ordentlich auszuüben. 810 Vergleicht man diese Eintragung mit den Eintragungen des Schwurs der Dekane vor dem Mai 1409, dann fällt ein markanter Unterschied auf. Es kommt hier nämlich nicht die Wendung „secundum statuta“ oder „secundum formam expressam in statutis“ vor, die in allen Eintragungen sowohl vor der gewaltsamen Einsetzung Simons als auch danach üblich war. Magister Simon war sich meines Erachtens sehr wohl bewusst, dass seine Amtseinsetzung ein außerordentlicher Eingriff in das Universitätsleben darstellte, der sich den Gewohnheiten und Sitten entzog und vom Standpunkt der Fakultätsverwaltung nur schwerlich zu rechtfertigen war. Der Autor der Eintragung wollte möglicherweise durch die Auslassung des sonst üblichen Passus auch vermeiden, dass die gewaltsame königliche Ernennung des neuen Dekans, die den Fakultätsstatuten widersprach, zukünftig angezweifelt oder sogar für ungültig erklärt würde. Die Eintragung im Dekansbuch sagt aber leider nichts über die weiteren Teilnehmer an der Fakultätsversammlung. Der Passus über die Annahme des neuen Dekans durch die Fakultät legt nahe, dass die deutschen Magister an dieser Kongregation nicht mehr teilnahmen. Andernfalls hätten sie sicher nicht durch die Annahme des neuen Dekans ihre Zustimmung zu diesem Akt ausgesprochen. Waren an dieser Demonstration der Stärke nur die böhmischen Magister beteiligt (vielleicht hatten die deutschen Magister die Versammlung auch aus Protest noch vor der „Wahl“ verlassen), dann schritten sie aus rein pragmatischen Erwägungen nicht zur gewöhnlichen Wahl und akzeptierten nur die königliche Entscheidung. Dass diese Magisterversammlung zu einer Angelegenheit fast ausschließlich der böhmischen Universitätsnation geworden war, davon zeugt die Zusammensetzung der neu gewählten Fakultätsdignitare. Zu den Verwaltern wurden Gregor Thomae von Prag, Brikzius von Saaz, Prokop von Kladrau und der Dominikaner Andreas Wanczik gewählt; zu den Einnehmern Peter von Konˇeprus und Michael von Malenitz; zu den Assessoren Honorius von Welwarn alias von Datschitz und Peter von Politz; zu den Examinatoren der Bakkalaureatsprüfungen, die nach Pfingsten stattfinden sollten, Honorius von Welwarn, Jakob von Sobieslav, Gregor Thomae von Prag und Andreas Wanczik; zu den Examinatoren der Prüfung, die an den Fasttagen nach dem Fest der Kreuzerhöhung stattfinden sollte, Martin Cunssonis von Prag, Johannes von Obersedlitz, Wenzel von Mirovitz und Alexius de Peckari. 811 Die einzigen Ausländer unter den am 9. Mai bzw. während dieses verkürzten Sommersemesters gewählten
810 MUPr I /1, 403: „Juravi eidem officio fideliter praesidere.“ 811 Ebd., 403 f.
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Abb. 14 Universitätsvorlesung.
Universitätswürdenträgern waren somit der Dominikaner Andreas Wanczik 812 und Alexius de Peckari, 813 beide Angehörige der polnischen Nation. Magister Wanczik ging bezeichnenderweise vor 1414 nach Krakau an das dominikanische Ordensstudium, und nach 1409 übte er kein Fakultätsamt mehr aus (dies zeigt, dass er Prag offenbar sehr bald verlassen hat, wohl noch 1409). Magister Alexius hingegen tauchte in der Fakultätsverwaltung bereits 1408 auf, lehrte später auch an der Medizinischen Fakultät und bekleidete manche Fakultätsämter noch mehrmals, zuletzt im Jahre 1419. Dann ging er wie der Dominikaner Wanczik nach Krakau und wirkte einige Jahre an der dortigen Universität. Die beiden Magister polnischer Herkunft wahrten 1409 zumindest den Anschein einer aus vier Universitätsnationen bestehenden Fakultät und damit der – wenn auch sehr dürftigen – Kontinuität. Die Gruppe der neu gewählten Funktionäre für das Sommersemester 1409 ist aber auch aus einem anderen Grund interessant. Bis auf wenige Ausnahmen besteht sie nämlich aus bewährten Magistern, die sich in den vorangegangenen Jahren in der Universitätsverwaltung mehrmals nützlich gemacht hatten. Die besagten Ausnahmen sind der Examinator Wenzel von Mirovitz und der Assessor und Examinator Hono-
812 Tˇríška, Životopisný slovník (wie Anm. 210), 30. 813 Ebd., 22.
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rius von Welwarn. Das Sicherheitsdenken, das die Wahl dieser in der Verwaltung mehrheitlich erfahrenen Magister geprägt hatte, war auch bei der Wahl der neuen Dignitare am 12. Oktober 1409 und am 19. April 1410 ausschlaggebend. Im Oktober 1409 kommen neu hinzu als Verwalter Peter von Nahoschitz und als Examinatoren Matthäus von Königsaal, Nikolaus von Miltschin, Honorius von Radetz und Lorenz von Nymburg; 814 im April 1410 815 dann nur Johannes von Jessenitz als Verwalter. Gemeinsam mit ihm wirkten als Würdenträger dann nur noch die vor 1409 aktiven Magister, eventuell auch alle neuen aus dem Jahre 1409. Die Lage änderte sich auch zum zweiten Wahltermin im Jahre 1410 nicht deutlich: 816 Zu neuen Würden kamen nur Thomas von Lissa als Assessor und als Examinatoren Heinrich von Klobouk und Wenzel Longus von Prag. Die Wende brachte erst die Wahl im Jahre 1411. 817 Neben den in der Fakultätsverwaltung vor 1409 wirkenden Magistern kamen in immer größerem Maße auch die neuen, jungen Magister zur Geltung. Sie nahmen den Platz der erfahrenen Universitarier ein, die nach der gewaltsamen Einsetzung des Simon von Tischnowitz als Dekan an der Artistenfakultät für Ruhe und Ordnung sorgten und durch das Gewicht ihrer Persönlichkeiten die lebendige Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft demonstrieren sollten. Gleichzeitig haben die Jahre 1409–1411 gezeigt, dass das Bemühen, den Anschein einer Viernationenuniversität zu wahren, beinahe unmöglich war. Es mangelte an ausländischen Magistern und noch mehr an fähigen Dignitaren unter ihnen. Nur Alexius de Peckari ist für diese Zeit als Träger von Fakultätsfunktionen belegt! Die Tage nach der gewaltsamen Einsetzung des neuen Rektors der Dreifakultätenuniversität waren sicher voll von Zögern, Anfeindungen, (den bereits erwähnten) Unruhen auf der Straße und Angriffen auf einige deutsche Magister. Gleichzeitig fanden während dieser Tage aber intensive Verhandlungen statt über die Ableistung des gemeinschaftlichen Schwurs der deutschen Magister oder über die Erfüllung dieser diabolischen Konspiration, wie die böhmischen Magister später darüber sprachen. Jedenfalls scheint es keinen Raum mehr für Kompromisse gegeben zu haben, für die Suche nach einem Weg, zum König durchzudringen und ihn mit seinen Höflingen zu überzeugen. Die deutschen Magister hatten somit nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: das Dekret definitiv abzulehnen oder sich den neuen Verhältnissen anzupassen und das Kuttenberger Dekret anzunehmen (das ihnen zwar eine Stimme belassen, sie jedoch faktisch von den Entscheidungen der Universitätsverwaltung ausgeschlossen und ihnen nur das Recht zur Beteiligung an den Prüfungen der Studenten aus den Reihen der jetzt nur einen nacio teutonica zuerkannt hatte). Die meisten Magister, ob sie den Schwur nun geleistet hatten oder nicht, entschlossen sich schließlich zum Weggang aus Prag. Sie betrachteten nämlich den Eingriff in den Universitätskörper als unberechtigt und als allen bisherigen Gewohnheiten
814 815 816 817
MUPr I /1, 405–407. Ebd., 411 f. Ebd., 414 f. Ebd., 415 f.
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widersprechend. Zudem konnten sie sich das künftige Zusammenleben mit den böhmischen Radikalen nicht vorstellen, die jetzt auf dem hohen Ross saßen und die Unterstützung des Königs oder seiner einflussreichen Höflinge hinter sich wussten. Sicher spielten bei der Entscheidung der deutschen Magister auch ihr Stolz und ihr Sinn für Ehre eine Rolle. Dieser Sinn war im Mittelalter viel entwickelter als heute und gemahnte die Christen, das einstmals gegebene Wort zu halten. Johannes von Jessenitz versucht ja in seiner nationalistischen Apologie auf jede mögliche Art, die Verbindlichkeit der Schwüre in Zweifel zu ziehen, und zwar mit dem Hinweis auf die höhere Souveränität der Könige, die das von Gott gegebene Recht hätten, Gewohnheiten zu ändern und neue Ordnungen festzulegen. Die deutschen Magister befanden sich jedoch 1409 nicht in einer Position, die mit der der böhmischen Adligen im Jahre 1355 vergleichbar gewesen wäre. Damals hatten die Repräsentanten der böhmischen politischen Nation aufgrund ihrer partikularen Interessen und in ihrem Bestreben, die alten Gewohnheiten zu erhalten, die uneingeschränkte königliche Oberhoheit abgelehnt. Für die erneute Ablehnung der königlichen Anordnung fehlte es den deutschen Magistern aber an einer entsprechenden Machtposition. Die Bestellung des neuen Dekans und des neuen Rektors nahm ihnen die Trümpfe aus der Hand. Sie konnten zwar weiterhin die Wahlen, Prüfungen und andere Universitäts- oder Fakultätsakte sabotieren, die Macht der königlichen Soldaten und der städtischen Büttel würde ihre einzige Stimme aber sicherlich überflüssig und wertlos machen. Daher leisteten sie nun den defensiven Schwur, bzw. sie lehnten es nach dem 9. Mai ab, von ihm abzurücken. So verließen sie schließlich Prag, aller Privilegien und Benefizien entkleidet und aus dem Lande ausgewiesen durch den nun wieder entschlossenen Wenzel IV. Die Würfel waren gefallen und alle Brücken unwiederbringlich zerstört. Vor dem 17. Januar 1409 kam wahrscheinlich noch niemand auf die Idee, nun aber war der Traum der böhmischen Radikalen an der Universität in Erfüllung gegangen. Die „veri Bohemi“, die einzigen Erben im Königreich Böhmen, konnten jubeln und ergriffen entschlossen die Macht, nach der sie sich so sehr gesehnt hatten.
Sezession der Magister der drei deutschen Universitätsnationen Das Mittelalter liebte das magische Spiel mit den Zahlen. Wollte ein Chronist seine Leser verblüffen, dann nannte er bei der Schilderung von Schlachten, des königlichen Hofes oder irgendeiner Stadt eine möglichst hohe Ziffer für die angeblich beteiligten Personen. Dasselbe gilt auch für die Berichte bezüglich der Anzahl der Magister und Studenten, die Prag nach dem 9. Mai 1409 verließen. Vor diesem Datum hatte niemand Prag verlassen. Das bestätigen alle vorhandenen Matrikeln der umliegenden Universitäten. In ihnen findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass sich an dieser oder jener Universität irgendein früherer Prager Magister oder Student immatrikulieren ließ. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich die deutschen Magister und Studenten bis zuletzt vom König und von seinem Rat eine Kompromisslösung erhofften und dass ihr durch den gemeinschaftlichen Schwur untermauerter passiver Widerstand
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erfolgreich sein werde. Einige weitsichtigere Magister mögen sich bereits vor dem 9. Mai neue Pfründen gesucht haben, um nicht von einem Tag auf den anderen in materielle Unsicherheit zu geraten (die Quellen schweigen sich aber darüber aus), vorläufig blieben sie jedoch weiterhin in Prag in Erwartung der kommenden Tage. Der Eingriff des Königs in den Universitätskörper in Form des Übergehens des überkommenen Wahlprinzips und der Besetzung des Postens des Rektors der Dreifakultätenuniversität und des Dekans der Artistenfakultät durch böhmische Magister hatte allerdings eine Lage geschaffen, auf die man reagieren musste. Wenn jemand zögerte, wurde er von der Kraft der Menge weggefegt. Das Verlassen Prags musste zur Demonstration der Stärke werden wie die Besetzung der Stelle des Dekans und des Rektors. Der Autor des sog. Kreuzherrenmanuskriptes bzw. der „Alten böhmischen Annalen“ sagt dazu: „Und sogleich waren alle deutschen Magister, Doktoren, Bakkalaurei, Studenten und die anderen Kollegiaten an einem Tag gemäß dieser ihrer Vereinbarung aus Prag weggezogen.“ 818 Die übrigen Quellen sprechen zwar nicht von einem Weggang an nur einem Tag. Jedoch ist eine solche nach außen hin spektakuläre Aktion deshalb nicht auszuschließen. Die einzige vom „Alten Annalisten“ abweichende Darstellung ist die spätere Reflexion von Enea Silvio Piccolomini. Er behauptet darin, an einem Tag hätten Prag 2000 Studenten verlassen. Kurz danach seien dann weitere 3000 Universitarier weggegangen und hätten in Leipzig eine eigene Universität gegründet. 819 Die schnelle Entscheidung für die Sezession und ihre ebenso schnelle Durchführung sollte einerseits verhindern, dass die Zauderer doch noch das königliche Urteil akzeptierten und an der Prager Hohen Schule blieben. Das waren v. a. diejenigen mit Posten in den Kollegien oder mit Benefizien in den Prager Kirchen und Kapiteln. Anderseits sollte der überstürzte Weggang allen Überredungskünsten zuvorkommen. Dass dies vor dem 9. Mai geschehen war, belegt die bereits in einem anderen Zusammenhang erwähnte zeitgenössische Reflexion in Hussens Kommentar zu den „Sentenzen“ des Lombardus. Hus spielt darin auf den Schwur der deutschen Magister und Studenten zum Weggang von der Prager Universität an und hält ihn für keinen guten Ratgeber, weil sich die Studenten und Bakkalaurei bei ihrer Immatrikulation zur Verteidigung der Universität verpflichtet hätten, und zwar unabhängig von ihrem Zustand. Da dieser Schwur dem Wohl der Universität widerspreche, würden die deutschen Magister und Studenten gegen den ursprünglichen Schwur verstoßen. In diesem Zusammenhang kann man beiseite lassen, dass Hus auch die Auslegung des Schwurs bei der Aufahme in die Universität angreift, die wohl wiederholt die Magister der drei Nationen dargelegt hatten, und dass er von ihnen eine grenzenlose Unterordnung unter das Dekret über die drei Stimmen verlangt. Viel wichtiger ist nämlich Hussens Äußerung, dass in der Zeit, als die Streitigkeiten ausbrachen, sich
818 Staré letopisy cˇ eské (wie Anm. 747), 41. 819 Enea Silvio. Historia bohemica – Historia cˇ eská. Hg. v. Dana Martínková, Alena Hadravová und Jiˇrí Matl. Praha 1998, 90.
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die Bakkalaurei und Scholaren für die Prüfungen vorbereiten sollten. 820 Obwohl sich das aus seinen Worten nicht ausdrücklich ergibt, scheinen Hus und seine Anhänger in Diskussionen mit Studenten gerade damit argumentiert zu haben, um sie von dem drohenden Weggang von Prag abzuhalten, 821 sowie mit der zweifelhaften rechtlichen Verbindlichkeit ihres Schwurs. Laut Hus ging im Sommersemester also zumindest teilweise der Lehrbetrieb weiter, jedenfalls an der Theologischen Fakultät, an der einige wenige neue böhmische und möglicherweise auch deutsche Theologiestudenten seine Auslegung der „Sentenzen“ des Lombardus besuchten. Am höchsten beziffert der bereits erwähnte Autor des sog. Kreuzherrenmanuskriptes die „nach verschiedenen deutschen Ländern“ ausgereisten deutschen Magister und Studenten. Ihm zufolge waren es mehr als 20.000, angeblich mehr als die Hälfte aller immatrikulierten Personen. Die alten böhmischen Magister, von denen er seine Informationen bezogen haben will, hätten nämlich behauptet, die ganze Universität habe im Jahre 1409 34.000 Universitarier umfasst. Wie diese Magister ohne Studenten auf diese Zahlen gekommen waren, weiß man nicht. Jedenfalls werfen ihre übertriebenen Angaben auch einen Schatten des Zweifels auf ihre Angaben bezüglich der an der Artistenfakultät vor 1409 wirkenden Magister-Regenten aus der nacio bohemorum und auf ihre Kenntnis der steigenden Anzahl der deutschen Studenten nach 1405/06. Den realen Zahlen viel näher kam hingegen der künftige Papst Pius II. Mit seiner Chronik beeinflusste er auch einige spätere Historiker, v. a. Johannes Cochlaeus, die seine niedrigere Zahl der weggegangenen Magister und Studenten übernahmen. Die weiteren böhmischen Renaissancehistoriker gaben hingegen dem Massenexodus den Vorzug und erhöhten manchmal sogar noch die von den „Alten böhmischen Annalen“ angegebenen Zahlen: Prokop Lupáˇc führt 20.000 Personen an, Johannes Dubravius 24.000 und Wenzel Hájek von Libotschan sogar 40.000. 822 Eine seriöse Schätzung der Anzahl der Universitarier, die im Laufe des Jahres 1409 die Prager Universität verließen, kann nur von den Immatrikulationszahlen ausgehen. Da sich jedoch im Unterschied zu Heidelberg, Wien oder Krakau die Prager Universitätsmatrikeln nicht erhalten haben, muss man auf Berechnungen zurückgreifen, die vom Verhältnis der graduierten zu den immatrikulierten Studenten an ande-
820 Mag. Joannis Hus (wie Anm. 520), 483; Mistr Jan Hus – Výklady [Magister Johannes Hus – Ausˇ legungen]. Hg. v. Jiˇrí Danhelka. Praha 1975, 159: „Und nach dieser Sitte sollten die in Böhmen lebenden deutschen Geschlechter vor den König treten und schwören, dass sie ihm und dem Land treu sein werden; aber das wird erst geschehen, wenn sich die Schlange auf dem Eis wärmen wird.“ Die Datierung des 36. Kapitels der alttschechischen „Auslegung“ Hussens ist aber noch weniger eindeutig als die Kommentare zu Lombardus’ „Sentenzen“. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 195, datiert dessen Abschluss in den Anfang des November 1412. Es ist selbstverständlich möglich, dass Hus seine Auslegung des Dekalogs einige Monate oder einige Jahre lang schrieb, aber auch so zeigt seine Erwähnung, dass der Schwur der deutschen Magister in ihm lange nachklang und dass sich ab und zu weiterhin ein zugespitzter Patriotismus bei ihm zu Wort meldete, der auch spezifisch antideutsch angehaucht war. 821 Auf diese Weise haben den betreffenden Passus bereits interpretiert: Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 336–338; Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 69. 822 Matthaesius, Der Auszug (wie Anm. 40), hier 53 (1915), 77.
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ren mitteleuropäischen Universitäten ausgehen. Durch die Berechnungen Šmahels, der in den 1960er Jahren frühere Schätzungen der Immatrikulationszahlen verifizierte oder widerlegte, weiß man heute, dass im Jahrzehnt vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes an der Artistenfakultät etwa 1000–1200 Studenten gleichzeitig studierten. 823 Da die Artistenfakultät die höchsten Studentenzahlen hatte und gleichzeitig die lebhafteste Fakultät der Dreifakultätenuniversität war, muss man bei der Schätzung des zahlenmäßigen Umfangs der Sezession v. a. die Angaben über die Studenten der Artes liberales an den mitteleuropäischen Universitäten berücksichtigen. Durch eine detaillierte Analyse der Matrikeln aus Leipzig, Erfurt, Wien, Heidelberg und Köln gelang Šmahel die Identifikation von 389 Personen an diesen Universitäten. Zu ihnen rechnete er dann 124 Personen hinzu, die in Prag im Sommersemester 1407 studiert und im Wintersemester 1408/09 die Bakkalaureats- und Lizenziatsprüfungen abgelegt hatten, nach 1409 jedoch in Prag nicht mehr registriert waren bzw. an einer anderen Universität. Die meisten deutschen Studenten und Magister, v. a. aus Süddeutschland und aus dem Königreich Ungarn, gingen an die Wiener Universität, und zwar im Sommersemester 1409. Nicht alle Studenten verließen jedoch Prag sofort nach dem 9. Mai. Ein Teil von ihnen wollte das angefangene Studium (auch ungeachtet des gemeinschaftlichen Schwurs) gerade in Prag beenden. So erscheinen noch in den folgenden zwei Semestern ehemalige „Prager“ an der Wiener Universität, wenn auch in einer niedrigeren Anzahl. Charakteristisch dabei ist, dass die Wiener Universität wie die übrigen mitteleuropäischen Universitäten den aus Prag kommenden Studenten die Immatrikulationstaxe nicht erließ. Beabsichtigte also ein ehemaliger „Prager“, woanders sein Studium fortzusetzen, musste er sich an der neuen Universität ordnungsgemäß immatrikulieren und die entsprechende Taxe entrichten, ohne Rücksicht darauf, dass er sie zuvor in Prag beglichen hatte. 824 Eine Ausnahme davon könnte die Erfurter Universität dargestellt haben. Dort werden für das Sommer- und Wintersemester 1409, im Unterschied zu den vergangenen und den kommenden Jahren, keine Immatrikulationstaxen angegeben. 825 Ungeachtet dessen scheint sich keine mitteleuropäische Universität bemüht zu haben, von der Prager Sezession zu profitieren, etwa indem sie Prager Studenten durch irgendwelche Vorteile anlockte oder für sie günstigere Bedingungen gegenüber den „einheimischen“ Studenten schuf. Eine weitere Ausnahme in dieser Hinsicht war möglicherweise die Verkürzung der Regelstudienzeit, also der Zeit zwischen der Immatrikulation und den Abschlussprüfungen, wie in einigen Fällen in Heidelberg geschehen. 826 Gerade Heidelberg gehört aber mit Köln und – auf den ersten Blick überraschend – auch Krakau zu den Universitäten, die von der Prager Sezession fast über-
823 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 24–27, 63–68. 824 Ebd., 71. Die Immatrikulationstaxe in Wien war aber im Vergleich zu der Prager und Leipziger niedriger, denn sie betrug nur zwei Groschen. 825 Ebd., 72. 826 Ebd., 73.
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haupt nicht berührt wurden. 827 Namentlich sind an ihnen nur Einzelne mit Prager Herkunft belegt. Dies kann aber nicht wirklich überraschen, entspricht dies doch der Regionalisierung der mitteleuropäischen Bildung vor 1409 und spiegelt in gewisser Weise die Krise der zeitgenössischen Heidelberger Universität wider. 828 Für potenzielle Mitglieder der bayerischen Nation war Heidelberg bereits am Ende der 1380er Jahre meist anziehender und näher als Prag. Diejenigen der 1409 zahlenmäßig schwächsten bayerischen Universitätsnation, die in den folgenden Jahren Prag weiterhin den Vorzug vor Heidelberg gegeben hatten, gingen nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes eher nach Leipzig. Das Desinteresse an der Krakauer Universität war im Falle der polnischen Universitätsnation durch ihre überwiegend schlesische Herkunft bedingt. Die meisten Angehörigen dieser Nation schlossen sich deshalb mit der sächsischen Nation zusammen und gingen v. a. an die neu gegründete Universität in Leipzig, auch wenn – wie noch gezeigt wird – in den ersten Monaten nach dem 9. Mai 1409 einige der „Polen“ die Gründung einer Universität in Breslau (poln. Wrocław) erwogen. Die meisten Magister und Studenten, welche die Prager Universität verlassen hatten, gingen also an die Wiener (eindeutig belegt sind 36 Personen) oder an die Erfurter (eindeutig belegt sind 60 Personen) Universität. Eventuell wechselten mehrere von ihnen später nach Leipzig. Wenn ich hier von der Mehrheit spreche, dann klammere ich dabei die Magister und Studenten aus, die den zwar riskanteren, möglicherweise aber zukunftsträchtigeren Weg an die neu gegründete Leipziger Universität gewählt hatten. Niemand dachte wohl daran, dass einige der vielen am Ende des 14. Jahrhunderts neu gegründeten „Universitäten“ im mitteleuropäischen Raum (Kulm, Pest, Fünfkirchen [ung. Pécs] u. a.) schon bald wegen des Desinteresses ihrer Gründer und der potenziellen Universitarier wieder eingehen oder am Existenzminimum ihr Dasein fristen würden. Im Jahre 1409 herrschte noch eine ganz andere Situation. Sie bot der Leipziger Universität als Erbin Prags gute Möglichkeiten. An ihr sind namentlich 302 ehemalige Prager Magister und Studenten belegt. Diese bildeten bei der Universitätsgründung zwar nicht die volle Mehrheit, speziell aus Sicht der Studenten, trotzdem hatten sie eine bestimmte Zeit lang eine privilegierte Stellung inne. Jene „Pragenses“, wie die meisten der neu immatrikulierten Universitarier mit „Prager Herkunft“ in der Universitätsmatrikel bis zum Jahre 1433 angeführt werden, mussten in den ersten Jahren die Immatrikulationstaxe in Höhe von sechs Groschen nicht zahlen. 829 Gleichzeitig ist die Immatrikulationstaxe, wie in den ersten Jahren der Leipziger Universität wegen ihrer Imitation Prags in mancher Hinsicht üblich, bei einigen nachweislich aus Prag gekommenen Personen jedoch nicht angegeben. Daher ist möglich, dass eine Immatrikulation mit der Bemerkung 827 Eine Übersicht bietet Schumann, Die „nationes“ (wie Anm. 59). 828 Zur Regionalisierung vgl. Seibt, Von Prag bis Rostock (wie Anm. 219), 197–217. 829 Die Matrikel der Universität Leipzig. 2 Bde. Hg. v. Georg Erler. Leipzig 1895–1897, hier Bd. 1, XLVIII, LIV, der jedoch im Unterschied zu Friedrich Zarncke annimmt, dass bei der Immatrikulation nur die „Pragenses“ nicht zahlen mussten, welche die Taxe bereits in Prag beglichen hatten. Die Frage ist allerdings, wie er das belegen kann.
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„Pragenses“ bis zu einem gewissen Grad vom Willen eines jeden Universitariers abhing. Jedenfalls ging es den die Leipziger Universität leitenden Magistern in erster Linie um maximale Kontinuität. Das Erlassen (oder die Senkung) der Immatrikulationstaxen kann daher als Bestätigung wahrgenommen worden sein, dass der Prager Lehrbetrieb nur in ein anderes Umfeld, in eine andere Stadt, an ein anderes Studium generale verlegt worden war, ohne dass er jedoch unterbrochen wurde. Die auf den ersten Blick niedrigen Zahlen der von Šmahel namentlich identifizierten Personen (unter ihnen befinden sich auch ehemalige Prager Studenten und Magister der Juristenfakultät) stehen also in einem krassen Widerspruch zu den Angaben auch der nüchternsten Chronisten. Šmahel weist – seine eigenen Forschungen relativierend – auf die Schwierigkeit der Identifizierung konkreter Personen in den Matrikeln hin und auf die Möglichkeit, dass eine ganze Reihe von Universitariern nach ihrem Weggang von Prag ihr Studium gar nicht fortsetzte. Zudem räumt er ein, dass sich die ehemaligen Studenten der Prager Artistenfakultät ohne akademischen Grad der quantitativen Forschung bis auf Ausnahmen in der Leipziger Matrikel entziehen. Sie würden an den mitteleuropäischen Universitäten in den Semestern der akademischen Jahre 1409 und 1410 als Studienanfänger erscheinen, d. h. ohne einen Hinweis auf den Beginn ihrer Universitätsbildung am Prager Studium generale. Insofern habe er die Gesamtanzahl der Personen, die Prag verlassen hatten, auf 700– 800 Studenten und Magister geschätzt, von denen nur ein geringer Teil, meistens aus persönlichen Gründen, zurückkehrte 830 und das Studium an der Prager Alma Mater fortsetzte. Eine ausführliche Revision von Šmahels Forschungen unternahm Sabine Schumann in der ersten Hälfte der 1970er Jahre in ihrer Arbeit zu den Universitätsnationen an der Prager, Wiener und Leipziger Universität. Wenn auch ihr Buch im Hinblick auf die rechtliche Stellung der Universitätsnationen in der Prager Universitätsverwaltung nichts Neues bringt und nur die ältere Forschung wiederholt, so wirft es doch auf das Problem der Prager Sezession ein ganz neues Licht. In methodologischer Hinsicht geht die Autorin von einer radikalen Quellenkritik bzw. von einem unbedingten Glauben an die Quellen aus und arbeitet nur mit eindeutig identifizierbaren Personen. Die Berücksichtigung gemeinschaftlicher Immatrikulationen wie bei Šmahel hält sie für einen methodischen Fehler und lehnt sie daher ab. Auf diese Weise gelingt es ihr, 251 Universitarier genau zu bestimmen. Als die maximale Anzahl der Personen, die Prag verließen, nimmt sie das Zweifache an. Über diese angenommenen 500 Magister und Studenten hinaus könne man jedoch nicht gehen. 831 Für die fehlenden Belege von 250 Personen macht sie die üblichen Probleme bei der Identifizierung von Personen im Mittelalter verantwortlich und die Tatsache, dass sich ehemalige „Prager“ an keiner Universität mehr immatrikulieren ließen. Entschieden lehnt sie dann die auf jenen 124 graduierten (und nicht identifizierbaren) Studenten
830 Diese erfasst Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 76, Anm. 92. 831 Schumann, Die „nationes“ (wie Anm. 59), 202–204.
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basierende Extrapolation Šmahels als unbegründet ab, denn ein beträchtlicher Teil von ihnen könne Prag bereits vor dem Jahr 1409 verlassen haben. Es ist eine Fügung des Schicksals, dass Šmahel die Arbeit von Schumann bei seiner Tätigkeit als Straßenbahnfahrer, zu der ihn das Berufsverbot in der Tschechoslowakei zwang, erreichte. Es dauerte einige Jahre, bis er zur gegebenen Problematik zurückkehren konnte und schließlich alle Schlussfolgerungen der Revisionsforschung ablehnte, die aus der Sicht der „harten“ Identifikationen ohnehin nur sehr wenig Korrekturen gebracht habe. 832 Meines Erachtens tat er das völlig zu Recht. Nichts spricht nämlich dafür, dass es vor 1409 zu irgendeiner massiven Senkung der Immatrikulationszahlen an der Prager Alma Mater gekommen wäre. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Paradox ist, dass Schumann selbst mit Šmahels Schätzungen arbeitete und dass ihre Forschung bei exakter Anwendung der von ihr gewollten exakten Kriterien zur Interpretation hätte führen müssen, dass die Immatrikulationszahlen der Prager Hohen Schule nach 1409 nicht so stark einbrachen und dass sich die Universität nur um die Hälfte reduzierte. Ein nur flüchtiger Blick auf die Zahlen der graduierten Studenten nach 1409 zeugt jedoch von etwas ganz anderem. Der Schluss ist offensichtlich. Neue Revisionsforschungen sind im gegebenen Fall überflüssig. Prag hatten nach dem Mai 1409 tatsächlich 700–800 Magister und Studenten verlassen. Diskutieren kann man lediglich darüber, ob sich die überwiegende Mehrheit von ihnen erneut an einer der alten Universitäten bzw. an der neu gegründeten Leipziger Universität immatrikulieren ließ oder ob ein größerer Teil als gewöhnlich angenommen die Universitätsausbildung nach der Prager Erfahrung aufgab und sich einen Beruf suchte, zu dessen Ausübung weder eine universitäre Qualifikation noch ein akademischer Grad notwendig war. Im Hinblick auf die quantitative Forschung neige ich zu den Schlussfolgerungen Šmahels. Denn nach meiner bisherigen Erfahrung mit der Stadtforschung vermute ich, dass alle auf der Basis der Prosopographie rekonstruierten Daten 833 eher für minimale als wirklich reale Zahlen gehalten werden müssen. Zudem bevorzugte die mittelalterliche Lebensweise (dabei bisweilen individuelle Lebensäußerungen unterdrückend) durch freundschaftliche oder verwandtschaftliche Bande verknüpfte Migrationen in Gruppen, die in den Quellen eher in einer verschleierten als in einer ganz deutlichen Form zum Ausdruck kommen. 834 Ein anderes Problem ist der Einfluss der Prager Sezession auf das Leben der Prager Alt- und Neustadt. Auch hier ist es wieder nicht so wesentlich, ob aus Prag 832 Šmahel, The Kuttenberg Decree (wie Anm. 58), 159–171, mit Ergänzungen im Vergleich zur ursprünglichen Ausgabe, die in der Zeitschrift „History of University“ (4 [1984], 153–166) erschien. 833 Zur Methode der Prosopographie, die in Tschechien meistens falsch oder zumindest einseitig verstanden wird, vgl. Nodl, Martin: Stˇredovˇeká prosopografie [Mittelalterliche Prosopographie]. In: Ders.: Dˇejepisectví mezi vˇedou a politikou. Úvahy o historiografii 19. a 20. století. Brno 2007, 173–202. 834 Hier kann ich nur auf meine der spätmittelalterlichen Zuwanderung in die Städte gewidmete Arbeit verweisen, die zwar mit exakt belegten Angaben über die Einwanderer arbeitet, den Gesamttrend jedoch, auch so überraschend stark, betrachtet sie als minimal. – Nodl, Martin: Sociální koncept pozdnˇe stˇredovˇekého mˇestského pˇristˇehovalectví [Das Sozialkonzept der spätmittelalterlichen Zuwanderung in die Städte]. In: Sociální svˇet stˇredovˇekého mˇesta. Hg. v. Dems. Praha 2006, 3–97.
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500 oder 800 Universitarier weggegangen sind. Denn die unidentifizierbaren Personen waren meistens ärmere Scholaren, welche die sozial-ökonomischen Aspekte des Lebens der tschechischen und deutschen Prager Stadtbürger nicht maßgeblich beeinflusst haben können. Diese bewegten damals offenbar viel mehr die Situation im Rathaus als der Weggang der armen, in den Bursen wohnenden Studenten.
Gründung der Leipziger Universität: vollkommene Tochter einer missratenen Mutter Nach der „Chronik der Prager Universität“ zerstreuten sich die ehemaligen Prager Magister und Studenten in ihre Herkunftsländer. 835 Sie gingen also nicht an die alten oder neu gegründeten Hohen Schulen, sondern kehrten an ihre Wohnorte zurück. In der kompliziertesten Lage befanden sich die Universitarier aus der polnischen Nation. Wie man aus statistischen Forschungen weiß, stammten sie mehrheitlich aus Schlesien, das 1409 in der Gestalt der einzelnen Fürstentümer Bestandteil der böhmischen Krone war. König Wenzel IV. wies durch seine Verordnung vom 28. Juni alle Universitarier aus, die sich gegen ihn und das Königreich verschworen hatten. 836 Da der genaue Wortlaut der Urkunde nicht bekannt ist, kann man nur mutmaßen, ob diese Ausweisung das gesamte Gebiet des Königreiches betraf, also auch die der böhmischen Krone einverleibten Länder. Wie man eine solche Ausweisung hätte durchführen können, bleibt allerdings fraglich. Im Unterschied zu den Listen der Geächteten, die sich die königlichen Städte, welche seit den 1380er Jahren aufgrund eines königlichen Privilegs die Pflichten der Kreisscharfrichter ausübten, untereinander zuschickten, 837 haben offenbar ähnliche Listen für die betroffenen Prager Universitarier nie existiert. Dasselbe gilt dann für die Beschlagnahmung ihrer kirchlichen Pfründen. Wenzel IV. setzte sich sicher für die Ernennung der neuen Mitglieder der Magisterkollegien ein. Unsicher ist jedoch, ob die ehemaligen Prager Universitarier ihrer kirchlichen Pfründen in Prag, im ganzen Königreich oder sogar in allen Ländern der böhmischen Krone verlustig gegangen waren. Bei einer gezielten Neubesetzung aller Benefizien von ausgewiesenen Prager Universitariern wäre der König in einen scharfen Konflikt mit dem kanonischen Recht und mit den Rechten der einzelnen Stifter geraten. Deshalb sind Absetzungen von den Benefizien, die keine königlichen Stiftungen waren, eher unwahrscheinlich. Es gibt eindeutige Belege dafür, dass
835 Staré letopisy cˇ eské (wie Anm. 747), 41. 836 Wenzels Mandat ist leider nur in einem alten Regest überliefert (das Original ist nicht erhalten), nachgedruckt in: Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 2, 156. – Bartoš, František Michálek: Po stopách poz˚ustalosti M. J. Husi [Auf den Spuren der Hinterlassenschaft von Mag. J. Hus]. Praha 1939, 9. 837 Popravˇcí a psanecké zápisy jihlavské z let 1405–1457 [Iglauer Hinrichtungs- und Ächtungseintragungen der Jahre 1405–1457]. Hg. v. František Hoffmann. Praha 2000, XV--XXII, XXXI-XXXVII.
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einige in Leipzig sesshaft gewordene ehemalige Prager Universitarier schlesischer Herkunft weiterhin Einnahmen aus ihren schlesischen Benefizien bezogen. Die Zugehörigkeit der schlesischen Fürstentümer zur böhmischen Krone war allerdings ein unüberwindliches Hindernis für die Gründung einer neuen Hohen Schule in Breslau. 838 Ein Indiz für eine derartige Initiative können die auf eine Kollegsgründung für die polnische Nation abzielenden Schritte der beiden einflussreichen und von der Prager Hohen Schule stammenden schlesischen Magister Johannes Otto von Münsterberg und Johannes Hoffmann von Schweidnitz sein. 839 Sie träumten bereits in Prag von der Gründung eines Magisterkollegs und versuchten dafür (nicht allzu erfolgreich) die notwendigen Mittel mittels einer Sammlung einzutreiben. Die eingesammelten Mittel reichten allerdings nur für den Kauf des Dorfes Groß-Tinz unweit von Liegnitz (poln. Legnica). Zur Verwirklichung des ganzen Projektes kam es dann teilweise 1422 in Leipzig, als das Marienkolleg für die Mitglieder der polnischen Nation errichtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt konnte das Kolleg aber nur über die Hälfte des Vermögens verfügen, die einst Johannes Otto von Münsterberg gehört hatte. Die Hälfte des Johannes Hoffmann erwarb das Kolleg dann erst 1442. 840 Die beiden Magister gehörten dabei zu den wenigen, die sich viele Jahre die Rückkehr der alten Zeiten erhofften. Ihr Testament vermachte zwar ihre Anteile an GroßTinz dem an der Leipziger Universität wirkenden Kolleg, jedoch nur bis die Prager Universität wieder in ihren Zustand vor dem Kuttenberger Dekret versetzt würde. 841 Das Marienkolleg sollte sechs Magister ernähren, fünf aus Schlesien und einen aus Deutschordenspreußen. 842 Das verrät unter anderem die politische Orientierung der polnischen Nation an der Leipziger Universität im Konflikt zwischen dem polnischen König und dem Deutschen Orden. Die älteste Leipziger Universitätschronik mit Eintragungen aus dem Wintersemester 1409/10 registriert 369 neu aufgenommene Universitarier. Dies belegt das relativ große Interesse für die neu gegründete Hohe Schule. Es überrascht hingegen, dass nur bei 46 Magistern und bei nur einem Studenten ausdrücklich die Prager Herkunft angegeben ist. 843 Ganz am Anfang der Matrikel befindet sich allerdings eine 838 Hoyer, Siegfried: Auszug der deutschen Studenten aus Prag und die Gründung der Universität Leipzig. Leipzig 1960, 60. Für die Vermittlung dieser Dissertation danke ich Michal Svatoš. – Moraw, Peter: Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag. In: Ders.: Gesammelte Beiträge zur Deutschen und Europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen – Personen – Entwicklung. LeidenBoston 2008, 159–180, hier 173, behauptet dagegen, dass Breslau wegen des Nichtvorhandenseins einer einheimischen Dynastie als potenziellen Universitätsgründers überhaupt nicht in Frage kam. 839 Zu seiner Person vgl. Machilek, Johannes Hoffmann aus Schweidnitz (wie Anm. 515), 96–123. 840 Urkundenbuch der Universität Leipzig von 1409 bis 1555. Hg. v. Bruno Stübel. Leipzig 1879, 13– 16, hier 14 f. (Nr. 9), 23 f. (Nr. 15), 224 f. (Nr. 185); Hoyer, Siegfried: Die Gründung der Leipziger Universität und Probleme ihrer Frühgeschichte. In: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409–1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte. Bd. 1. Leipzig 1959, 1–33, hier 19 f.; Moraw, Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag (wie Anm. 838), 177 f. 841 Das Testament des Johannes Hofmann aus dem Jahre 1451 im: Urkundenbuch des Hochstifts Meißen. Bd. 3. Hg. v. Ernst Gotthelf von Gersdorf. Leipzig 1867, 87–90, hier 88 (Nr. 1004). 842 Hoyer, Die Gründung der Leipziger Universität (wie Anm. 840), 19. 843 Ders., Auszug der deutschen Studenten (wie Anm. 838), 57.
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Liste der immatrikulierten und vom Meißener Markgrafen empfangenen Magister und Doktoren, von denen 37 direkt aus Prag kamen. 844 Daraus ergibt sich also, dass einige ehemals Prager Magister und Doktoren nicht von Anfang an in Leipzig waren und aus verschiedensten Gründen erst später hinzustießen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie noch länger in Prag geblieben waren, obwohl das mitunter nicht auszuschließen ist. Naheliegender ist, dass sie angesichts ihrer Ausweisung zunächst einmal über ihre weitere akademische oder nichtakademische Laufbahn nachdachten und möglicherweise auch erfolglos eine Beschäftigung an einer anderen Universität suchten. Sollte bei einem Student das vorausgegangene Prager Studium nicht angegeben sein, dann kann man von dem oben erwähnten Erlass der Immatrikulationstaxe ausgehen. Dem Editor der ältesten Leipziger Matrikel Georg Erler gelingt so die Identifikation von 46 Personen; das entspricht ungefähr der Anzahl der ehemaligen Prager Magister. 845 Die neueste Forschung kommt bei der Zählung der aus Prag nach Leipzig gekommenen Magister, Bakkalaurei und Studenten insgesamt, d. h. inklusive der weiteren Jahre, auf etwa 200 Personen. 846 Weder die päpstliche noch die markgräfliche Gründungsurkunde der Leipziger Universität enthält einen expliziten Hinweis auf die Prager Universität. Dennoch bemühten sich die neuen Leipziger Magister in jeglicher Hinsicht, die Prager Hohe Schule zu imitieren. Das anonyme lateinische Gedicht „Praga mater arcium“ sagt unumwunden: „Steh auf, Leipzig, jetzt ist dein / der alte Ruhm der Böhmen / und ihre hochgeehrte Berühmtheit, / alle Ehrenrechte. / Die Magister haben Prag verlassen. / Daher hast du sie in Fülle, / da sie dir von dort / große Erfahrung gebracht haben. / So war die Ordnung / der Leipziger Hohen Schule, / dass sie ihren Anfang / von der Prager Vernichtung genommen hat. / Somit ist die Meißener Nation entstanden, / die es früher nicht gegeben hat. / Prag droht das ewige Verderben und der ewige Untergang / in jedem Augenblick.“ 847 Die ehemaligen Prager Magister hatten nach Leipzig Gelehrsamkeit, den Prager Primat und Ruhm unter den Hohen Schulen gebracht. Im Rahmen der translatio studii brachten sie an der neuen Alma Mater zudem ihre früheren Erfahrungen ein, die sich – wie noch gezeigt wird – auf viele Bereiche des Leipziger Universitätslebens auswirkten. Die Hauptrollen dabei spielten sicher Johannes Otto von Münsterberg, der erste Leipziger Rektor, und wohl in einem noch größeren Maße der letzte Prager Rektor der Dreifakultätenuniversität Henning von Baltenhagen. Er wurde zum ersten Dekan der Leipziger Artistenfakultät gewählt. Höchstwahrscheinlich brachte er kein Manuskript der Prager Universitätsstatuten nach Leipzig mit. Denn nach der Besetzung des Prager Rektorats hatte er keine Gelegenheit mehr, Universitätsbücher mitzunehmen. Da die Prager Universitätsstatuten, bestehend aus etwa zehn Artikeln, 844 845 846 847
Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 58. Die Matrikel der Universität Leipzig (wie Anm. 829), hier Bd. 1, XLV. Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 60. Sestra m˚uza (wie Anm. 258), 481–483. – Das lateinische Original mit dem Incipit „Praga mater arcit’“ bei Kraus, Arnošt: Husitství v literatuˇre, zejména nˇemecké [Hussitismus in der Literatur, besonders in der deutschen]. Praha 1914, 1 f.
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regelmäßig vorgelesen wurden, zumindest bei der Einführung eines neuen Rektors in sein Amt, und das Gedächtnis der Intellektuellen auf dem Memorieren von schriftlichen Texten beruhte, brachten die ehemaligen Prager Universitarier ihre Statuten im Kopf nach Leipzig. Ihr Gedächtnis sollte ihnen auch keinen Streich spielen, und so kopierten sie Prag bis ins kleinste Detail. Bei der Installation der Universitätsnationen bemühten sie sich, Prag zu übertreffen und ihnen eine noch größere Bedeutung zu verleihen. Das sollte die Lebensfähigkeit der Viernationenordnung an der Hohen Schule demonstrieren, also jenen Zustand, den die böhmischen, mit Wenzel IV. verbündeten Magister vernichtet hatten. So verstanden die ehemaligen Prager Universitarier jedenfalls deren Vorgehen. Daher sprachen sie in ihren Reden, quer durch ganz Deutschland, wiederholt von der Destruktion der Prager Hohen Schule. Generationen von Historikern haben bereits darüber gestritten, ab wann man in Leipzig bzw. am Hofe des Meißener Markgrafen Friedrich IV. und seines Bruders und Mitregenten Wilhelm II. die Gründung einer Hohen Schule in Betracht zog. Ob dafür der Streit der Prager Magister und der präzedenzlose, bis zur Vertreibung der deutschen Magister führende Eingriff Wenzels IV. in den Prager Universitätskörper ausschlaggebend war oder ob die Idee einer Universitätsgründung bereits früher in den Meißener Köpfen aufkeimte und durch die späteren Prager Ereignisse nur befördert bzw. wiederbelebt wurde, ist schwer zu entscheiden. Aufgrund heutiger Quellenkenntnisse scheint der im Januar 1409 in Prag ausgebrochene Streit die ersten Schritte zur Gründung der Leipziger Universität initiiert zu haben. Zuvor hatten die Meißener Markgrafen an den Prager Universitariern Meißener Herkunft kein besonders großes Interesse gezeigt, vielleicht mit Ausnahme der Befreiung aller Untertanen von der Jurisdiktion sämtlicher auswärtiger Gerichte. 848 In dem Augenblick, als der durch das Kuttenberger Dekret verursachte Streit sich erkennbar verdichtete und die deutschen Magister neben dem passiven Widerstand zum gemeinschaftlichen Schwur griffen, begann man in Meißen die Errichtung einer neuen Universität zu erwägen. Eine aktive Rolle spielte dabei der ehemalige Prager Magister der Artistenfakultät und der Lizenziat an der juristischen Universität Nikolaus Lubich. Er hatte am Ende des 14. Jahrhunderts als Prokurator der Meißener Markgrafen bei der römischen Kurie gewirkt und war irgendwann in den Jahren 1406/07 zu deren Protonotar geworden. 849 Logischerweise vertrat er dann die Meißener Herrscher auf dem Pisaner Konzil und verdiente sich damit 1411 das Merseburger Bistum. Nach der Wahl Alexanders V. am 26. Juni 1409 setzte er sich schließlich für den Erlass der Gründungsurkunde der Leipziger Universität ein, die das Datum des 9. September 1409 trägt.
848 Stoˇces, Konzervátoˇri práv (wie Anm. 77), 44. 849 Zu seiner Person vgl. Schmiedel, Hans: Nikolaus Lubich (1360–1431). Ein deutscher Kleriker im Zeitalter des großen Schismas und der Konzilien, Bischof von Merseburg 1411–1431. Berlin 1911; Vogtherr, Thomas: Die Kanzler der Wettiner (um 1350–1485). Bemerkungen zu ihrer Auswahl, ihrer Tätigkeit und ihren Karrieren. In: Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland. Hg. v. Tom Graber. Leipzig 2005, 185–195, hier 191 f.
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Die lange Zeitspanne zwischen dem Weggang der deutschen Magister aus Prag und dem Erlass der Gründungsurkunde könnte einerseits dafür sprechen, dass Nikolaus Lubich die ersten Schritte zur Gründung der neuen Universität in Leipzig erst unternahm, nachdem die Information über die Sezession in Meißen eingegangen war und man ihm genaue Instruktionen bezüglich des Erwerbs des päpstlichen Privilegs geschickt hatte. Der Weg von Meißen nach Pisa hat eine Länge von 1200 km und dauerte ungefähr 40 Tage. Insofern könnten die Instruktionen im Juli abgeschickt worden sein. Dafür spricht, dass der Stadtrat den Magistern bereits am 4. Juli ein Haus zur Nutzung übergab. 850 Dann müssten Anfang Juli bereits einige Magister in Leipzig gewesen sein und die Markgrafen und die Stadt mit der Vorbereitung der Universitätsgründung begonnen haben. Ob beide Magisterkollegien schon im Sommer errichtet wurden, wie die neueste Universitätsgeschichte behauptet, 851 ist umstritten, denn expressis verbis werden sie erst im markgräflichen Privileg vom 2. Dezember erwähnt. Wie man sieht, warteten die Markgrafen mit der rechtlich unangreifbaren Universitätsgründung und mit ihrer wirtschaftlichen Absicherung auf die päpstliche Urkunde. Sie traf in Leipzig am 12. November ein. Ein Tag später wurde dann die Transsumierung dieser Urkunde im Haus des Henning von Baltenhagen vorgenommen. Die Universität besaß also nur deren Abschrift, während sich das Original (auch in den weiteren Jahren) im markgräflichen Archiv befand. Wichtig ist, dass Henning bereits im November im großen Kolleg wohnte („in comodo loci habitacionis magistri Henninghi Boltenhagen maioris collegii alme universitatis studii Lipczensis“). 852 Das belegt, dass die Markgrafen beide Kollegien, zusammen für 20 Magister, noch vor der formalen Gründung der Universität errichtet hatten bzw. vor der Zustellung der päpstlichen Gründungsurkunde. Übrigens bezeugt die Eintragung vom 24. Oktober 1409, dass Henning an diesem Tag zum Dekan der Artistenfakultät gewählt worden ist. 853 Auch darin ist die Anknüpfung an Prag erkennbar, denn Henning war als der letzte Prager Rektor der Repräsentant der translatio studii nach Leipzig par excellence. Es ist die Frage, warum er in Leipzig nicht zum Rektor gewählt wurde. Im Oktober hatte die neue Universität noch keinen Rektor. Nach amtlicher Schriftführung wurde dieser erst am 2. Dezember gewählt, also am Tag des Erlasses des markgräflichen Privilegs. Es war Johannes Otto von Münsterberg. Ob für die Entscheidung, zuerst den Dekan zu wählen, den Lehrbetrieb aufzunehmen und die ersten Prüfungen abzuhalten (belegt sind sie bereits am 30. November), 854 das Bemühen um Kontinuität in der Gestalt des „alten Rektors“ und des „neuen Dekans“ verantwortlich war oder nur die Befürchtung möglicher rechtlicher Konsequenzen der Universitätstätigkeit vor dem Erlass der Gründungsurkunde, weiß man nicht. Jedenfalls glaubten die Uni850 Hoyer, Siegfried: Die Gründung der Universität Leipzig und Probleme ihrer Frühgeschichte. In: Leipzig. Aus Vergangenheit und Gegenwart 3 (1984), 77–93, hier 81. 851 Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 75. 852 Die Matrikel der Universität Leipzig (wie Anm. 829), hier Bd. 1, 3. 853 Ebd., hier Bd. 2, 89. 854 Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 76, 80.
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versitarier im Herbst 1409 an die Lebensfähigkeit der neuen Universität. Hennings Wahl zum Dekan der Artistenfakultät kann durch seine Zugehörigkeit zur einheimischen, sächsischen Nation bedingt gewesen sein und Johannes’ Wahl zum Rektor durch seine Zugehörigkeit zur stärksten, polnischen (schlesischen) Nation. Die Meißener Markgrafen gaben mit ihrer Gründungsurkunde und v. a. durch die reiche Stiftung ihre Ernsthaftigkeit zu erkennen. Die Leipziger Universitätsgründung war kein bloßer Racheakt gegenüber Prag oder dem böhmischen König, sondern sollte auf soliden Fundamenten ruhen. Für die 20 Kollegiatsplätze im großen (12 Kollegiatsplätze) und im kleinen (8 Kollegiatsplätze) Kolleg wurde der Gesamtbetrag von 500 Rheinischen Gulden gestiftet. Er stammte aus den Einnahmen der markgräflichen Kammer. Zu Betriebszwecken wurden der Universität ferner Einnahmen aus 42 Marktflecken und Dörfern in einer Gesamthöhe von 238 Schock Groschen zuerkannt. Das entsprach ungefähr 685 Rheinischen Gulden. 855 Außerdem bemühten sich die Markgrafen darum, die Kanonikate am Meißener, Merseburger und Naumburger Kapitel mit der Universität zu verbinden. Die ersten 20 Kollegiaten des großen und kleinen Kollegs waren ehemalige Prager Magister. 856 Ob dies auch bei den (besser dotierten) Kanonikaten anderer Kapitel so war, ist nur teilweise bekannt. Für die ersten Jahre kann man das aber wohl voraussetzen. Die einträglichen Kollegiatsplätze hatten sicher die ehemaligen Prager Johannes Otto von Münsterberg, Jakob Rodewitz bzw. Thammo von Bocksdorf inne. 857 Die markgräfliche Gründungsurkunde ist auch unter dem Gesichtspunkt der Anknüpfung an Prag bedeutsam. Im Unterschied zu der Gründungsurkunde Karls IV. ist darin von den vier Nationen die Rede, und zwar von der Meißener, der sächsischen, der bayerischen und der polnischen („quod perpetue in ipsa universitate sint quatuor naciones, videlicet Misnensium, Saxonum, Bavarorum, Polonorum“). Der folgende Passus spricht dann ausdrücklich von der gleichen Stellung aller Nationen in jeglicher Hinsicht, also in den Universitätskonzilien und bei den Prüfungen an der Artistenfakultät, in allen Dienstbezügen und Akten. 858 Darüber hinaus enthält die Gründungsurkunde neben den oben erwähnten Angaben über die jährlichen Einnahmen von 500 Ungarischen Gulden aus der markgräflichen Kammer einen Vermerk zur Errichtung zweier Kollegien. In das große Kolleg sollten demnach drei Magister aus jeder Nation (mit einem Jahreseinkommen von 30 Ungarischen Gulden) und in das kleine Kolleg zwei Magister aus jeder Nation (mit einem Jahreseinkommen von zwölf Rheinischen Gulden) bestellt werden. Auch ohne ausdrücklichen Verweis scheint diese Aufteilung in zwei Kollegien mit verschieden dotierten Kanonikaten das Prager Karlskolleg und das Kolleg von König Wenzel mit weniger Kanoniker-
855 Ebd., 133–138. 856 Kusche, Beate: „Ego collegiatus“. Die Magisterkollegien an der Universität Leipzig von 1409 bis zur Einführung der Reformation 1539. Eine struktur- und personengeschichtliche Untersuchung. Leipzig 2009, 142–164. 857 Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 120 f. 858 Die Statutenbücher der Universität Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihres Bestehens. Hg. v. Friedrich Zarncke. Leipzig 1861, 3.
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pfründen und geringerem Einkommen zu kopieren. Der Hinweis, einer der Magister solle am großen Kolleg „magister sacrae theologiae“ sein, erinnert ebenfalls an Prag, genauso die Reihenfolge der Magister nach dem Alter, also der Länge ihrer Zugehörigkeit zur Universität. Die einzige Ausnahme von der Parität der Nationen in der markgräflichen Urkunde vom 2. Dezember stellt der Passus über den Vorrang der sächsischen Nation im kleinen Kolleg dar. Laut diesem sollen die Mitglieder der sächsischen Nation vorübergehend, also für die Zeit von vier Jahren, vier Kollegiatsplätze besetzen und die Mitglieder der Meißener und polnischen Nation nur jeweils zwei. Damit seien angeblich beide Nationen einverstanden gewesen. 859 Sollten doch nach vier Jahren die Kollegiatsplätze dann entsprechend der Parität besetzt werden. Überraschend ist, dass die bayerische Nation an dieser Stelle nicht erwähnt wird. Dass sie bei der Universitätsgründung die zahlenmäßig kleinste war, muss keine Rolle gespielt haben. Denn die damals zahlenmäßig größte war die polnische Nation, und für diese hatten sich daraus, bis auf die Person des Rektors, keine korporativen Vorteile ergeben. Es scheint allerdings, dass niemand die bayerischen Magister um Zustimmung bat, ungeachtet der Tatsache, dass zwei Kollegiatsplätze ihr gehören sollten. Diese Ungleichheit war dann in der Tat nur vorübergehend. Die bayerische Nation wurde in den folgenden Jahrzehnten an der Leipziger Universität zur zahlenmäßig stärksten Nation, ähnlich wie in Prag in den siebziger bis achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts. Ein Echo der Prager Verhältnisse kann auch die letzte Bestimmung der markgräflichen Gründungsurkunde sein. Darin behalten sich die Markgrafen das Recht vor, in die Universitätsverhältnisse einzugreifen, dem Erlass der Statuten zuzustimmen und als oberste Richter in Streitfällen bezüglich verschiedenster interner Universitätsanordnungen aufzutreten. Nur in diesem einzigen Punkt mussten die Leipziger Universitarier vom Vorbild der früheren Prager Universitätsautonomie absehen und sich dem Willen der Meißener Markgrafen sowie den zeitgenössischen Verhältnissen und Machtkonstellationen unterordnen. Dieser Passus zeigt, dass keine translatio studii eine vollkommene imitatio studii sein kann. Die ältesten Universitätsstatuten wurden 1410 erlassen, noch unter dem Rektorat des Johannes Otto von Münsterberg, also während des ersten Semesters. Auch sie orientieren sich an Prag. An ihrem Anfang heißt es ausdrücklich, sie seien einträchtig von allen Nationen bestätigt worden („per quatuor naciones eiusdem universitatis concorditer approbata“). 860 Bei der Wahl des Rektors knüpften die Leipziger Magister an das komplizierte Prager Modell an, 861 und genauso gingen sie bei dessen Rechten und Pflichten vor. Doch überrascht auf den ersten Blick, dass der Schwur des Rektors nicht den Passus über die Eintracht zwischen den Nationen und über die Treue zu Herrscher und Land berücksichtigt. Dasselbe gilt auch für den Schwur der Universitarier bei der Immatrikulation und für den Schwur der Kollegiaten. 862 859 860 861 862
Ebd., 4. Ebd., 48. Schwinges, Rektorwahlen (wie Anm. 226), 20–24, 55 f. Die Statutenbücher der Universität Leipzig (wie Anm. 858), 50, 53, 176.
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Im zweiten Fall erklärt sich das, so glaube ich, dadurch, dass die neuen Leipziger Magister noch nicht die Prager Änderungen kannten. Hätten sie diese gekannt, dann hätten sie diese ganz bewusst nicht nachahmen wollen, auch wenn der Schwur zur Treue gegenüber dem Herrscher an den anderen Reichsuniversitäten üblich war. Viel gewichtiger ist allerdings die Nichtberücksichtigung der Einhaltung der concordia nacionum beim Leipziger Schwur. Doch auch hier ist die Erklärung meines Erachtens alles in allem verständlich. In Prag wies nämlich jener Passus auf das zwischen den Nationen abgeschlossene Abkommen hin. Dieses Abkommen verbat, Streitigkeiten zwischen den Nationen nach außen zu tragen. Da es in Leipzig ein solches Abkommen nicht gab, war es auch nicht möglich, es in die neuen Statuten zu übertragen. Das Recht in diese einzugreifen, behielten sich die Stifter der Universität zumindest formal vor. Im Unterschied zu Prag genehmigten in Leipzig übrigens die Universitätsnationen selbst und nicht die einzelnen Magister die Statuten. Insofern sind sie von ihrem Wesen her das Ergebnis der allgemeinen Zustimmung aller Nationen und repräsentieren daher sui generis die Eintracht der Nationen. Gerade dieses Modell der Abstimmung nach den Nationen war der größte Eingriff in die Universitätsverwaltung, durch den sich die Leipziger Universität von den Prager Verhältnissen unterschied. Er sollte die Parität der Nationen auf eine höhere Ebene stellen, also in diesem Punkt eine größere Vollkommenheit als die Prager Alma Mater erreichen, die sich von einer nährenden Mutter zum leichten Mädchen gewandelt hatte und „Realisten und Chimären, alte Wiklifiten“ gebar. 863 Im selben Geiste ging es zu bei der Bestimmung über die paritätische Besetzung der Kollegiatsplätze, bei der Immatrikulation nach den Nationen und in der späteren Zeit bei der Identifizierung der Nationen nach Farben: die sächsische – blau, die Meißener – grün, die bayerische – rot und die polnische – gelb. 864 Die Wahl des Universitätsrates unterlag ebenfalls völlig der Kompetenz der Nationen. Die einzelnen Fakultäten waren von ihr ausgeschlossen und wurden durch das Vorschlagsrecht der nationalen Korporationen ersetzt. Bei dieser Differenz zu Prag war sicher nicht die Erhöhung des nationalen Prinzips ausschlaggebend, sondern die im Vergleich zur Artistenfakultät nur langsame Konstituierung und dürftige Vertretung weiterer Fakultäten in Leipzig. Alles andere gestaltete sich aber wieder nach dem Prager Muster. Der Wahltermin des Rektors war identisch: an St. Georg am 23. April und an St. Gallus am 16. Oktober. Die Immatrikulation war wie in Prag während des ganzen Semesters möglich. Etwas komplizierter ist die Frage, ob auch der Lehrbetrieb an der Leipziger Artistenfakultät den Prager Verhältnissen vollständig entsprach. Die Forschung dazu steckt vorläufig noch in den Kinderschuhen. Die Leipziger Universität scheint diesbezüglich aber viel weniger nach Prag geschaut zu haben 865 als beispielsweise die Krakauer Universität, die nach ihrer Erneuerung im Jahre 1400 den Prager Lehrbetrieb praktisch komplett kopierte, in Prag entstandene Kommentare nutzte und die
863 Sestra m˚uza (wie Anm. 258), 480 f. 864 Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 84. 865 Umfassend ebd., 174–217.
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Prager nominalistische Tradition fortsetzte. Die ersten Krakauer Professoren – das macht dies schnell verständlich – waren Prager Herkunft und gehörten zur Generation des Heinrich Totting von Oyta oder zu der seiner Schüler. 866 In Leipzig gab es keine derartig strahlende Pädagogen- und Gelehrtenautorität verbunden mit einer ganzen Schülergeneration. Das kann einen gewissen Einfluss auf die nur partielle Übernahme des Prager Modells gehabt haben, ganz zu schweigen davon, dass die Leipziger Universität nicht ganz eindeutig nominalistisch war und dem Realismus (selbstverständlich nicht Wyclif’scher Prägung) zur Geltung verhalf. 867 Bald nach der Gründung war somit die Leipziger Universität zu einer eigenständigen Hohen Schule geworden, die zahlreiche Studenten aus einem sehr weiten Raum anzog. Sie war also keine rein regionale Größe, keine Meißener Universität. Davon zeugt ihre Attraktivität sowohl für die Studenten aus den bayerischen Regionen als auch während des ganzen 15. Jahrhunderts für die polnischen bzw. schlesischen Studenten. Für ihre Eigenständigkeit spricht, dass die meisten Angriffe auf die Prager Hohe Schule merkwürdigerweise nicht von Leipzig ausgingen, sondern von anderen deutschen Universitäten, wie das auch die Kläger auf dem Konstanzer Konzil beweisen. Die Leipziger Magister betrachteten sich als Erben der Prager Hohen Schule, die von ihrer ehemaligen Wirkungsstätte alles Funktionsfähige übernommen und lediglich das nationale Prinzip bei der Gestaltung der Universität und der Artistenfakultät gestärkt hatten. Gerade die Zerstörung des nationalen Prinzips ließ sie ja Prag zuvor verlassen. Die Prager Hohe Schule existierte nicht mehr für sie. Nur einige von ihnen dachten aus Nostalgie an ihre Prager Jahre zurück und bedachten sie in ihren Testamenten. Da die Meißener Markgrafen für die neue Hohe Schule sehr gute, materiell abgesicherte Bedingungen geschaffen hatten, war jene Prager Nostalgie nicht einmal nötig. Leipzig lebte sein eigenes Leben, in den ersten Jahrzehnten ohne größere Krisen, die sonst so gern neu gegründete Universitäten befielen (das gilt für Wien, Krakau und bis zu einem gewissen Grad auch für Heidelberg). Für die ehemaligen Prager Universitarier war Leipzig zur neuen nährenden Mutter geworden, mit der sie sich voll identifizierten. Sie hatten die Universität bei ihrer Konstituierung der bekannten und in ihrer Erinnerung bewahrten Prager Funktionsweise angepasst. In Leipzig befanden sich zwar auch aktive Gegner der Wiklifiten und der Hussiten, jedoch nicht nur unter den ehemaligen Prager deutschen Magistern (antihussitischer Polemiker schlechthin war der bereits einige Male erwähnte erste Rektor Johannes Otto von Münsterberg), sondern auch unter den ehemaligen Angehörigen der Prager nacio bohemorum. Eine Vorrangstellung nahm dabei Andreas von Brod ein. Er hatte in Leipzig 1413 nach seiner Ausweisung aus Prag Zuflucht gefunden. Von hier
866 Zur Übernahme des Prager Modells in Krakau zuletzt Ozóg, ˙ Krzysztof: Zakres i metody nauczania septem artes na Wydziale Sztuk Uniwersytetu Krakowskiego w XV wieku [Umfang und Methoden des Studiums der septem artes liberales an der Artistenfakultät der Krakauer Universität im 15. Jahrhundert]. In: Septem artes w kształtowaniu kultury umysłowej w Polsce s´ redniowiecznej. Wybrane zagadnienia. Hg. v. Teresa Michałowska. Wrocław 2007, 105–123; Ders., Utrum Universitas Pragensis (wie Anm. 418), 59–81. 867 Bünz, Gründung und Entfaltung (wie Anm. 745), 178–188.
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aus verschickte er nach Böhmen und ganz Europa seine flammenden antihussitischen Traktate. 868 Einst war er aber, daran sei an dieser Stelle erinnert, am Erlass und an der Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes aktiv beteiligt.
Neue Universitätsordnungen Die Besetzung des Prager Carolinums, die Ernennung eines neuen Rektors und eines neuen Dekans der Artistenfakultät bedeuteten eine Wende in der bisherigen Entwicklung. Das Kuttenberger Dekret wurde durch diese Akte, bei denen die Mitglieder von Wenzels Hof und die Altstädter Ratsherren assistierten, mit Leben erfüllt. Die böhmischen Magister ergriffen sofort die Initiative und wählten am 15. Mai aus ihren Reihen bewährte Dignitare, welche die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs und die Ablegung der Prüfungen sichern sollten. Darauf konnten die deutschen MagisterRegenten entweder mit Anpassung an die neuen Verhältnisse reagieren oder Prag demonstrativ und für immer verlassen. Nur so vermochten sie das Gesicht zu wahren und nicht wie die böhmischen Magister, die angeblich den Schwur über die Eintracht der Nationen gebrochen hatten, meineidig zu werden. Ungeachtet der Examinatorenwahl herrschte Chaos an der Prager Alma Mater. Die Magisterprüfungen, die in der Regel zwischen Februar und März ausgeschrieben wurden und die im Wintersemester 1408/09 nicht stattgefunden hatten, wurden durch die späte Einsetzung des neuen Dekans und die späte Wahl der Fakultätsdignitare auch im verkürzten Sommersemester nicht ausgeschrieben. Ob der Grund dafür war, dass bereits am Ende des 14. Jahrhunderts die Magisterprüfungen nur einmal im Jahr stattfanden, und zwar traditionell am Ende des Winters, 869 oder ob das Desinteresse der Studenten überwog, ist nicht bekannt. Der Lehrbetrieb an der Artistenfakultät wurde nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes aber in der Tat mindestens zeitweilig eingestellt. Die Studenten hätten sich auf die anspruchsvollen Magisterprüfungen nicht ordentlich vorbereiten können, sodass eine Ausschreibung des Prüfungstermins im Sommer 1409 erfahrenen Regenten unangebracht scheinen mochte. Übrigens näherten sich schnell die Sommerferien, die das Sommersemester immer halbierten und sechs Wochen dauerten – zwischen dem 14. Juli und dem 25. August. 870 Die Bakkalaureatsprüfungen wurden dann erst zum ordentlichen Termin an den Quatembertagen nach dem Fest der Kreuzerhöhung (14. Oktober) ausgeschrieben, also nach dem Ende der Ferien, als bereits alles in die vom Kuttenberger Dekret vorgezeichneten Bahnen zurückkehren sollte. Zur Prüfung erschienen damals nur zwölf Bewerber, überwiegend böhmischer Herkunft, aber auch Universitarier aus Polen und Ungarn. Nach der Ablegung der Prüfungen notierte der Dekan jedoch lieber im Dekansbuch, dass die Bakkalaureatsprüfungen nach den alten Gewohnheiten
868 Kadlec, Studien und Texte (wie Anm. 563), 48–65. 869 Šmahel, The Faculty of Liberal Arts (wie Anm. 67), 109. 870 Stoˇces, Pátrání po p˚uvodu semestru (wie Anm. 504), 62.
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stattgefunden hätten, 871 wohl um einen etwaigen Streit um ihre Gültigkeit in Zukunft zu verhindern. Vor dem Beginn des neuen Semesters, also vor dem Tag des heiligen Lukas (am 18. Oktober), fand die Wahl des neuen Dekans Peter von Brandeis statt. 872 Die erfahrenen böhmischen Regenten unter den Fakultätswürdenträgern gaben, wie schon erwähnt, auch bei dieser neuen, nunmehr ruhigen Wahl den Ton an. Zum Wahltermin des Dekans und der Würdenträger, also am 12. Oktober, merkt das Dekansbuch flüchtig an, der Dekan habe von dem Magister Primislaus von Jessenitz, Kanoniker des Allerheiligenkapitels, drei Schock Groschen angenommen zur Begleichung der Schulden des Kapitels bei der Artistenfakultät. Die Geldübergabe fand statt in Anwesenheit des Magisters Gregor Leonis von Prag und des Magisters Michael von Malenitz. Beide waren ebenfalls Mitglieder des Allerheiligenkapitels. Ob dieser Betrag bei der sicher überstürzten Neubesetzung der Kollegiatsplätze nach der Ausweisung der deutschen Magister aus Prag durch Wenzel IV. angefallen war, weiß man nicht. Jedenfalls waren auch die Präbenden in allen drei Kollegien: im Karlskolleg, im Kolleg von König Wenzel und im Allerheiligenkolleg, wo auch nach der Anpassung der Präbendenzahl in den Jahren 1384–1390 weiterhin deutsche Magister Eingang fanden, wohl schon ordnungsgemäß durch die neuen böhmischen Magister besetzt. Diese verletzten wissentlich die früheren Vereinbarungen, indem sie auch die Kollegiatsplätze besetzten, die ihnen gar nicht zustanden. Die Namen der Kollegiaten aus der Zeit nach 1409 kennt man in nur sehr beschränktem Maße. Trotzdem scheint klar, dass Ausländer unter ihnen nur spärlich vertreten waren. Eindeutig belegt ist dies nur für den sächsischen Professor der Theologie Johannes von Hildesheim und für den einzigen aktiven polnischen Magister unter den Dignitaren der Artistenfakultät nach 1409: Alexius de Peckari. Er war Kollegiat des Kollegs von König Wenzel. 873 Der Augustiner und Theologieprofessor Herrmann von Mindelheim und spätere Weihbischof von Prag hatte dagegen als Lektor des Augustinerordensstudiums an St. Thomas keine Präbende in einem der Magisterkollegien inne. Zumindest beriefen sich die wenigen in Prag verbliebenen deutschen Magister nicht auf die alten Vereinbarungen über die Kollegiatsplätze. Eine Berufung auf die alte Übereinkunft von 1390 war gar nicht mehr möglich. Betrachtet man das Dekansbuch der Prager Artistenfakultät als Quelle, die das interne Leben der zahlenmäßig größten Universitätsinstitution wiedergibt, dann ist der einzige Unterschied zu der Zeit vor 1409 der Rückgang der graduierten Bakkalaurei und Magister. Der Rückgang der Immatrikulationszahlen der Prager Alma Mater, und gleichermaßen der Juristenuniversität, hing selbstverständlich mit der Sezession der deutschen Prager Universitarier zusammen. Später kamen als Einflussgrößen sicher auch hinzu: die ideellen und religiösen Konflikte unter den böhmischen Magistern bzw. zwischen den Magistern und dem Erzbischof von Prag oder dem pragmatischen 871 MUPr I /1, 405: „Isti omnes determinaverunt sub magistris juxta consuetudinem facultatis tentam ab antiquo.“ 872 Ebd. 873 Ebd., 413.
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König Wenzel IV. sowie in der Endphase auch die Folgen des Konstanzer Konzils. Alle diese Konflikte führten schließlich auch bei den Böhmen zu einer deutlichen Abnahme des Interesses an einer universitären Ausbildung. Im Hinblick auf die akademischen Grade ist dieser Rückgang v. a. nach 1412 erkennbar, mit Ausnahme einer gewissen Belebung in den Jahren 1414/15. Zwischen 1409 und 1419 erwarben nur 48 Personen den Magistergrad, davon 23 im Wintersemester 1409/10 als Folge der Aufhebung der Prüfungen im Jahr zuvor und bis zu einem gewissen Grade auch als eine gezielte Stärkung des Magisterkollegiums und als eine Demonstration der Lebensfähigkeit der Prager Alma Mater nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes. Heute ist es freilich schwer einzuschätzen, ob die an die neuen Magister im Wintersemester 1409/10 gestellten Anforderungen niedriger als in anderen Jahren waren. Für Krisenzeiten, die mit einem Elitenwechsel einhergehen, ist jedenfalls die vorübergehende Aufhebung von Standards charakteristisch. War das auch in Prag der Fall, dann versuchten die alten und die neuen Magister in den nächsten Monaten jedoch zu zeigen, dass es der Prager Hohen Schule nicht an Gelehrsamkeit mangelte und sie es in dieser Hinsicht immer noch mit den anderen Universitäten aufnehmen konnte. Die Disputationen auf dem Basler Konzil zeigten übrigens Jahre später, dass zumindest die theologischen Eliten, welche die Hussitenlehre verteidigten, den hohen Standard der Prager Alma Mater bewahren konnten. Unter dem Gesichtspunkt der Immatrikulationszahlen verlor sie allerdings nach 1409 immer mehr an Bedeutung, bis sie sich schließlich nicht einmal mehr mit den Universitäten in Krakau, Heidelberg oder Wien messen konnte, die früher deutlich weniger Studenten zählten als Prag. 874 Ich habe einige Male betont, dass das Kuttenberger Dekret durch seine Festlegung von drei Stimmen für die böhmischen Magister und von nur einer Stimme für die drei auswärtigen Universitätsnationen den bestehenden Gewohnheiten und einigen Bestimmungen der Universitäts- und Fakultätsstatuten widersprach. Diese kannten keine Abstimmung nach den Nationen und forderten eine einfache Stimmenmehrheit. Ohne eine Statutenreform war das königliche Dekret also nicht umzusetzen und anscheinend auch nicht ohne Gewaltanwendung. Als jedoch nach der Einsetzung der neuen Universitäts- und Fakultätswürdenträger die Magister der drei Nationen Prag verlassen hatten, verlor das Kuttenberger Dekret de facto seine ursprüngliche Bedeutung. Nun war es möglich, seine Artikel in die Universitätsstatuten aufzunehmen, und zwar sowohl durch das neue Stimmenverhältnis als auch durch die Abstimmung in der Magisterkongregation, in der die böhmischen Magister eine überwältigende Mehrheit gewonnen hatten. Aber es kam nicht dazu. Es war nämlich nicht mehr nötig. Die Gründe, die zum Erlass des königlichen Dekretes geführt hatten, waren inzwischen gegenstandslos geworden. So dauerte es sehr lange, bis das Kuttenberger Dekret als nurmehr leere Anordnung in das Buch der Universitätsstatuten eingefügt wurde. Das geschah erst am 27. September 1409 im Rahmen einer Universitätsvollversammlung und noch unter
874 Šmahel, Pražské universitní studentstvo (wie Anm. 57), 37.
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dem Rektorat des Zdenko von Laboun. 875 Dort wurde auch der Beschluss gefasst, das Kuttenberger Dekret auf der Universitätskongregation am 13. Oktober im Auditorium, wo die ordentlichen Disputationen stattfinden, zu publizieren, was auch geschah. Das amtliche Protokoll fügt noch hinzu, seine Vorschläge seien von allen Anwesenden ohne jeglichen Widerspruch angenommen worden. Drei Tage später wählte man wiederum mit absoluter Stimmenmehrheit Johannes Hus zum neuen Rektor der Dreifakultätenuniversität. Damit wurde der Person symbolisch Huldigung dargebracht, die sich von allen Universitariern am meisten für den Erlass und die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes eingesetzt hatte. In Wirklichkeit kam es jedoch zu keiner grundsätzlichen Anpassung der Universitätsstatuten. Auf der Septemberversammlung wurde nur die Änderung des Wahlverfahrens des Rektors beschlossen. Die böhmische Nation sollte drei Wahlmänner ernennen. Die übrigen drei Nationen konnten nur einen Wahlmann für sich beanspruchen. Diese insgesamt vier Personen hatten dann den neuen Rektor zu wählen. 876 Das alte, komplizierte Wahlverfahren, an dem auch die Vertreter der einzelnen Fakultäten beteiligt waren, wurde durch diese Bestimmung modifiziert und vereinfacht. Kam es zur Stimmengleichheit, sollte über die Person des neuen Rektors der alte Rektor nach seinem Ermessen befinden. Diese das Kuttenberger Dekret zwar kopierende Bestimmung war zum gegebenen Zeitpunkt aber eher eine pragmatische Lösung als die Erfüllung des Dekretes. Denn nach dem alten Prinzip wäre der Rektor beinahe unwählbar gewesen. Übrigens war die ganze Bestimmung durch und durch formal, denn zum Rektor oder zum Dekan der Artistenfakultät wurde fortan nur ein Mitglied der böhmischen Universitätsnation gewählt. Für die Fakultätsgeschichte nach 1409 ist dann auch bezeichnend, dass man bei den gewählten Dignitaren im Dekansbuch nicht mehr ihre Zugehörigkeit zur Universitätsnation anführte. Somit waren das formale Handeln und die Beibehaltung des Scheines einer Viernationenuniversität eigentlich obsolet. Ein viel gewichtigerer Eingriff in die Universitätsordnungen war ein weiterer Beschluss der Universität am 27. September. Demnach sollte der Rektor künftig dem König und dem Königreich („regi et regno“) die Treue schwören, und dasselbe sollten auch die Studenten bei der Immatrikulation tun. 877 Zudem beabsichtigte man die Korrektur der Universitäts- und Fakultätsstatuten, welche dem Kuttenberger Dekret angeblich widersprachen, und die Einhaltung der neuen Ordnungen. 878 Insgesamt waren die Eingriffe in die Universitäts- und Fakultätsstatuten allerdings minimal. Im ältesten bis heute erhaltenen Manuskript der Statuten (Prager National-
875 MUPr I /1, 43: „plena congregatione Universitatis“. 876 Codex juris bohemici (wie Anm. 97), 300. 877 Boháˇcek, Pražská universitní statuta (wie Anm. 253), 28. Im Manuskript XIV D 25, f. 6 v, der ˇ Národní knihovna Ceské republiky [Die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik] befindet sich ein eingeschwärzter Passus des alten Rektorschwurs, also die concordia nacionum betreffend. Erst am Ende des Folios ist der neue Schwur mit dem Treuegelöbnis auf den Herrscher hinzugeschrieben: „Item promittet fidelitatem regi nostro et regno.“ 878 MUPr I /1, 44.
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Das Kuttenberger Dekret
bibliothek: XIV D 25) wurde der alte Schwur eingeschwärzt und der neue Wortlaut hinzugefügt. Bekanntermaßen befand sich in dem Artikel „De iuramento rectoris“ ursprünglich der folgende Passus: „Item [rector] iurabit, quod concordiam circa ordinationem factam inter nacionem Boemorum et alias tres naciones observabit ac faciet ab omnibus observari.“ 879 Im neuen Schwur fiel der dritte Satz zur Einhaltung der concordia nacionum weg. An seiner Stelle erscheint als der zweite Satz folgender Passus: „Item promittet fidelitatem regi nostro et regno.“ 880 Außerdem kratzte man in diesem Manuskript beinahe vollständig sämtliche Eintragungen aus, die sich auf den Abschluss der concordia nacionum und auf die Vereinbarung über die Art der Besetzung der Kollegiatsplätze bezogen. (Welche Änderungen die eigentlichen Kollegstatuten betrafen, weiß man nicht, denn diese sind erst im Wortlaut aus dem Jahre 1528 erhalten.) Kurz nach 1409, wahrscheinlich in der Zeit des Rektorats von Hus, wurde ein neues Manuskript der Universitätsstatuten angelegt, der „Liber rubeus“. 881 Darin wurde lediglich die neue Form der Schwüre aufgenommen. Eintragungen bezüglich der concordia nacionum übernahm es freilich nicht. Den Wortlaut des Schwurs in diesem Manuskript gibt höchstwahrscheinlich die zweite bekannte, aus dem 16. Jahrhundert stammende Abschrift der Universitätsstatuten wieder (Prager Nationalbibliothek: XIV A 4). Dort lautet der revidierte Schwur: „Item promittet fidelitatem regi nostro et regno.“ 882 Die neue Fassung des Schwurs spiegelt am anschaulichsten den neuen Charakter der Prager Universität nach dem Kuttenberger Dekret wider. Die ehemalige Autonomie wurde durch die Treue zu König und Königreich ersetzt. Das entsprach genau den Ansichten einiger böhmischer Magister, die während des Konflikts um die Gültigkeit des Dekretes auch von den deutschen Magistern den Schwur auf die Treue zum König verlangten, wie dies symbolisch alle seine Untertanen täten. 883 Anderseits ersuchte die Universität während des Konflikts mit dem Erzbischof von Prag, der im September 1409 bereits in vollem Gange war und die Universitarier offensichtlich viel früher traf, als sie das beim Jubel über die Besetzung des Rektorats und des Dekanats sowie über den Erwerb der Insignien erwarteten, mehrmals den
879 Boháˇcek, O rukopisech (wie Anm. 225), 87; Ders., Pražská universitní statuta (wie Anm. 253), 29. 880 Ebd., 28; Ders., O rukopisech (wie Anm. 225), 90. – Dieser Satz kommt nicht vor im Schwur des Rektors in der Edition der Universitätsstatuten MUPr III, 4 f., denn die Editoren hatten den am Ende des Manuskriptes befindlichen Passus nicht übertragen. 881 Auf die formalen Unterschiede zwischen dem „Liber rubeus“ und den Manuskripten XIV D 25 und XIV A 4 in der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik hat bereits hingewiesen Svatoš, Diplomatický rozbor (wie Anm. 549), 83. 882 Boháˇcek, Pražská universitní statuta (wie Anm. 253), 51. 883 So argumentiert Johannes Hus in seinem Kommentar zur 39. Distinktion des 3. Buches von Lombardus’ „Sentenzen“ – Mag. Joannis Hus (wie Anm. 520), 494: „4o iuratur racione obediencie et hoc tripliciter: primo racione fidelitatis, ut faciunt vasalli regi vel principi et reges communitati, ut habetur 2o Regum 5o, ubi dicitur: ‚Venerunt tribus Israel ad David in Ebron dicentes Ecce nos os tuum et caro tua sumus‘ et sequitur: ‚venerunt quoque et seniores Israel ad regem in Ebron‘ etc. Sic deberent iurare naciones extere cum suis senioribus regi Bohemie Wencezlao, ut forent sibi fideles et obedientes.“
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König um Unterstützung und bemühte sich, jenen Treueschwur ihm gegenüber zum eigenen Vorteil auszunutzen. So könnten die böhmischen Magister erst im Konflikt mit der kirchlichen Autorität auf den Gedanken gekommen sein, in den Schwur den Passus über die Treue zu König und Land aufzunehmen. Der Erzbischof von Prag griff nicht in den Streit um die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes ein, obwohl er weiterhin Universitätskanzler war und die Ausübung einiger Akte, v. a. der Magisterprüfungen, verbieten konnte. Die Zukunft sollte allerdings zeigen, dass die Universitätsmagister mit ihrem Appell an die königliche Autorität und mit ihrem Hilfeersuch in eine Falle geraten waren. Der königliche „Schutz“ sollte ihnen letztlich eher zum Nachteil als zum Vorteil gereichen. Sieger (wenn auch nur zwischenzeitliche) schauen in ihrem Rausch jedoch eher selten in die Zukunft. Das älteste Manuskript der Universitätsstatuten gibt noch über eine weitere gewichtige Änderung in den Universitätsordnungen Auskunft. Diese vollzog sich zwar unabhängig vom Kuttenberger Dekret, stand aber im Einklang mit dem geistigen Klima im Königreich Böhmen, das im Umfeld der Universität von der mächtigen und kämpferischen Gruppe der Reformer um Johannes Hus, Hieronymus von Prag und Johannes von Jessenitz repräsentiert wurde. Diesen Eingriff hat Bartoš als Erster bemerkt. Das Wesentliche bestand dabei in der nicht ganz konsequenten Ersetzung der Termini „iurare“ und „iuramentum“ in den Artikeln 1, 12 und 14 durch die Termini „promitere“ bzw. „conscientia“. Bartoš begründet dies damit, dass die Universitarier, für die der Schwur im Widerspruch zu ihrem Gewissen stand, nun lediglich ein Versprechen abgeben und keinen aus ihrer Sicht Gott widersprechenden Schwur leisten müssten. Die Durchführung dieser Änderung verband er mit dem Rektorat Hussens. 884 Boháˇcek lehnt Bartoš’ Interpretation entschieden ab. Seine ausführliche Analyse des ältesten Manuskriptes der Universitätsstatuten zeigt, dass jene Ersetzung der Termini „iurare“ und „iuramentum“ inkonsequent war. Fand sie doch in einigen Artikeln gar nicht statt oder wäre wie im Falle des 16. Artikels unsinnig gewesen. 885 Unter dem Einfluss des Kuttenberger Dekretes habe es daher in dieser Hinsicht keine Änderung der Universitätsstatuten gegeben. Zur systematischen Ersetzung der Termini „iurare“ und „iuramentum“ schritt man seines Erachtens erst später. Sie kam erst im Wortlaut des jüngeren Manuskriptes der Statuten zum Ausdruck, das in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts entstand und in manchen Aspekten auch eine ältere Situation wiedergeben könnte. Boháˇceks durchdachte Analyse der beiden ältesten Manuskripte der Universitätsstatuten stellt tatsächlich in vielerlei Hinsicht Bartoš’ Interpretation in Frage, die v. a. von der ambivalenten Haltung Hussens zu Schwüren auf erschaffene Dinge und von der radikalen Ablehnung des Schwurs durch einige Reformer ausgeht. Dennoch 884 Bartoš, František Michálek: Zapadlá památka Husovy cˇ innosti jako rektora Karlovy University [Vergessenes Denkmal von Hussens Tätigkeit als Rektor der Karlsuniversität]. In: JSH 9 (1936), 38–40. 885 Boháˇcek, O rukopisech (wie Anm. 225), 90, 110 f. – Ersatzbeispiele bei Bartoš, Zapadlá památka (wie Anm. 884), 40, Anm. 9.
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scheint die Anpassung der mit der Aufnahme in die Universitätsgemeinde verbundenen Gewohnheiten bald nach dem Jahre 1409 mehr als wahrscheinlich. Es muss sich dabei jedoch nicht notwendigerweise um eine grundsätzliche Revision der Statuten gehandelt haben, wie es unmittelbar in den Monaten nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes bei der Einfügung des böhmischen Herrschers und des Königreiches Böhmen in die Institute, denen die neuen Universitarier die Treue schworen, der Fall gewesen war. Aufgrund der erhaltenen Quellen scheint der Streit zwischen Bartoš und Boháˇcek kaum zu lösen. Es gibt keine Belege für die tatsächliche, nicht nur normative Schwurleistung bei der Aufnahme in die Universitätsgemeinde. Es gibt aber einen bisher unbeachteten und in manchem eine Ausnahme bildenden Fall, der auf die ganze Problematik ein neues Licht wirft. Es handelt sich um die Zeugenaussage des Johannes Drändorf während der Inquisitionsuntersuchung gegen seine Person in Würzburg im Jahre 1425. Drändorf 886 stammte aus einer reichen adligen Meißener Familie. Wie viele weitere Kleriker besuchte er die Hohen Schulen nicht zuvorderst zum Erwerb eines akademischen Grades. Er wollte vielmehr die eigenen Ansichten und Vorstellungen ähnlichen oder gegensätzlichen Gedanken anderer Gebildeter aussetzen. Drändorf kam auf diese Weise nicht nur mit der Prager, sondern auch mit der Leipziger Universität in Kontakt. Der Prager Aufenthalt hatte auf ihn jedoch zweifellos einen stärkeren Eindruck gemacht als der Leipziger. In Prag musste er sich mit den radikalen theologischen Ansichten auseinandersetzen, die in der Burse „Zur schwarzen Rose“ im Umlauf waren und die ihn schließlich auf den Scheiterhaufen führen sollten. Während seines ersten Verhörs am 13. Februar 1425 sagte er aus, er sei 34 Jahre alt und habe an den Universitäten in Prag und in Leipzig studiert. Zum Zeitpunkt der Verhaftung war er seinen eigenen Worten nach Geistlicher. Vor acht oder neun Jahren sei er von irgendeinem Suffragan des Erzbischofs von Prag geweiht worden: „Et dicit se ordinatum fuisse circa VIII vel IX annos a quodam suffraganeo archiepiscopi Pragensis, qui postea ab Hussitis accisus fuit.“ 887 Das war der bereits erwähnte Weihbischof Hermann von Mindelheim. Auf der Burg Lipnitz (tschech. Lipnice), die damals Vinzenz von Wartenberg gehörte, hatte er am 6. März 1417 gleich mehrere Personen geweiht. 888 Obwohl Drändorf an zwei Universitäten und an anderen Schulen einige Jahre verbrachte, erwarb er an keiner einen Universitätsgrad. Als er von den Verhörenden gefragt wurde, wo er wirklich studiert habe, sagte er, in Dresden bei Magister Friedrich Eppinge. 889 Während des Verhörs am Nachmittag des selben Tages ergänzte er zu seinem Studium interessante Details, die gerade die Aufnahme in die Prager Universitätsgemeinde betrafen. Zu dieser Aussage über die Prager Alma Mater brachte ihn 886 887 888 889
Zu seiner Herkunft: Drei Inquisitions-Verfahren (wie Anm. 466), 25–30. Ebd., 68. Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 101 f. Drei Inquisitions-Verfahren (wie Anm. 466), 69. – Zu den beiden Dresdner Magistern vgl. Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 58 f.
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Abb. 15 Verhör eines gefangenen Predigers durch den Inquisitor, Holzschnitt aus der Schrift „Processus consistorialis martyrii Johannis Hus“, 1524/25.
das systematische Bemühen der Untersuchungsrichter, die möglichst viel über sein angebliches Priestertum erfahren wollten. Drändorf war nämlich nicht imstande, dies durch einschlägige Urkunden zu beweisen. Deshalb verlangte das Inquisitionstribunal von ihm den Schwur, dass er wirklich Priester sei. Drändorf ging darauf nicht ein und wies auf die Worte des Apostels Jakobus hin: „Fratres nolite omnino iurare“. Er lehnte also den Schwur als solchen ab. 890 Als er gefragt wurde, ob er am Anfang seines Studiums in Prag den Schwur in die Hände des Rektors geleistet habe, verneinte er und fügte hinzu, er habe nur das Versprechen gegeben und generell nie geschworen, auch nicht bei seiner Weihe, weil das Schwören gegen Gott und die allgemeine Kirche sei. 891 Hermann Heimpel, der Editor des Würzburger Inquisitionsprotokolls, schloss daraus, dass Drändorf in Prag bereits vor dem Jahre 1409 studiert habe und mit Eppinge nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes an die Leipziger Universität gegangen sei. Die Verweigerung des Schwurs datierte er dann vor das Jahr 1409. Seines Erachtens kam damit der nicht einmal zwanzigjährige Drändorf an die Prager Alma Mater mit bereits ausgeprägtem waldensischem Gedankengut. 892
890 Drei Inquisitions-Verfahren (wie Anm. 466), 67 f. 891 Ebd., 75. – Dass Johannes Drändorf dem Rektor keinen Schwur leistete, bemerkt bereits Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 59. Konsequenzen für die Gestalt der Universitätsstatuten hat er daraus allerdings nicht gezogen. 892 Drei Inquisitions-Verfahren (wie Anm. 466), 156. Hermann Heimpels Interpretation hat aber den Haken, dass ein Studienaufenthalt des Friedrich Eppinge an der Prager Universität vor dem Jahre 1409 nicht belegt ist, genauso wenig wie Johannes Drändorfs, sodass seine Konstruktion bezüglich des ersten Aufenthaltes Drändorfs in Prag völlig unbegründet ist. – Zu Eppinge immer noch am treffendsten Kejˇr, Jiˇrí: Právnické dílo M. Friedricha Eppinge [Das juristische Werk des Mag. Friedrich Eppinge]. In: StR 15 (1976), 3–11.
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Das Kuttenberger Dekret
Eine kritische Analyse der Quellen zeigt jedoch schnell, 893 wie unzutreffend Heimpels Auslegung ist, Drändorf habe sich vor dem Jahre 1409 zunächst an der Prager Universität immatrikuliert, sei nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes an die Leipziger Universität gegangen und habe anschließend in Dresden und in Zittau und zum Schluss wiederum in Prag studiert. Anzunehmen ist eher, dass er sich zuerst an der Leipziger Universität immatrikulierte und erst danach auf dem Umweg über Dresden und Zittau gemeinsam mit Friedrich Eppinge und Peter von Dresden nach Prag wechselte. Es ist wichtig, dass er vor dem Inquisitionstribunal nicht davon spricht, in Prag einmal vor 1409 geschworen und dann wieder nicht geschworen und lediglich dem Rektor die Treue versprochen zu haben. Er behauptet auch nicht, jene Treue zweimal versprochen zu haben, also beim vermutlichen ersten und beim klar belegten zweiten Aufenthalt. Vor allem deshalb muss man meines Erachtens die Aussage über die Ablehnung des Schwörens und über die Ablegung eines bloßen Versprechens in die Hände des Rektors auf die Zeit um 1412 beziehen, möglicherweise sogar direkt auf das Rektorat Hussens, höchstwahrscheinlich jedoch auf die Monate danach. Wegen seiner negativen Einstellung dem Schwur gegenüber nutzte Drändorf die Möglichkeit aus, die ihm die Änderungen in den Statuten der Prager Alma Mater gaben, wie sie im Wortlaut ihres ältesten, unvollständig erhaltenen Manuskriptes erfasst sind. Ob es eine solche Möglichkeit für alle Angehörigen der Universitätsgemeinde gab oder ob man sie nur den Dresdner Magistern und ihren Schülern anbot, die Gäste der böhmischen Universitätsnation in der Burse „Zur schwarzen Rose“ 894 und daher ordentliche Mitglieder der Universitätsgemeinde waren, kann man nicht beantworten. Allzu wahrscheinlich ist eine Teillösung aber nicht. Derartige Ausnahmen für einen Teil der Universitarier, der Kollegien-, Bursen- oder Nationenmitglieder sind nicht bekannt. Hussens vorsichtige Einstellung dem Schwur gegenüber belegen nicht nur seine theologischen Schriften, sondern auch der offene Konflikt bei der Inquisitionsuntersuchung des Priesters Abraham. 895 Da liegt die Vermutung nahe, dass die Universitätsstatuten nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes tatsächlich die Möglichkeit anboten, zwischen einem Schwur und einem Versprechen
893 Nodl, Iurare vel promittere (wie Anm. 520), 51–53. 894 Zu den Anfängen der Dresdner Schule im Detail Bartoš, Husitství a cizina (wie Anm. 440), 130– 133. – Zuletzt treffend Šmahel, František: Die Tabule veteris et novi coloris als audiovisuelles Medium hussitischer Agitation. In: StR 29 (1992), 95–105, mit älterer Literatur. – Nichts wesentlich Neues bei Mutlová, Petra: Die Dresdner Schule in Prag: eine waldensische „Connection“? In: Friedrich Reiser und die „waldensisch-hussitische Internationale“ im 15. Jahrhundert. Hg. v. Albert de Lange und Kathrin Utz Tremp. Heidelberg-Ubstadt-Weiher-Basel 2006, 361–376, auch wenn man das Bemühen der Autorin, die Existenz einer geschlossenen Dresdner Schule in Zweifel zu ziehen, hervorheben muss. 895 Zu Hussens Haltung zum Schwur und zum Abschwören vgl. beispielsweise: M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 140 f. (Nr. 48). – Zu den Ermittlungen gegen Priester Abraham: Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 184. – Zu Hussens Auffassung vom Schwur in seiner Auslegung der „Sentenzen“ des Petrus Lombardus: Kybal, Vlastimil: M. Jan Hus. Život a uˇcení. Teil 2: Uˇcení [Mag. Johannes Hus. Sein Leben und seine Lehre. Teil 2: Lehre]. 3 Bde. Praha 1923– 1931, hier Bd. 3, 226 f.
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der Treue zum Rektor, zum böhmischen König und zum Königreich Böhmen zu wählen. Insofern würden jene Anpassungen im ältesten erhaltenen Manuskript der Prager Statuten nicht lediglich einen unsystematischen, individuell motivierten Eingriff in den ursprünglichen Wortlaut ohne eine praktische Auswirkung darstellen, wie Boháˇcek meint, sondern vielmehr die tatsächliche Praxis an der Prager Alma Mater nach den stürmischen Monaten des Wendejahres 1409 wiedergeben. Dafür spräche auch eine Anmerkung im „Liber decanorum“ nach 1409. 896 Demnach habe Simon von Tischnowitz bei seiner Inauguration als Dekan noch geschworen („iuravi eidem officio fideliter praesidere“), wie auch Peter von Brandeis, Peter von Konˇeprus, Peter von Politz, Thomas von Lissa, Marcus von Hradetz, Brictius von Saaz, Prokop von Kladrau, Jakob von Sobieslav, Honorius von Welwarn oder Johannes von Beraun. 897 Am 13. Oktober 1414 soll aber der das Dekansamt übernehmende Prokop von Pilsen bei seiner Inauguration nur ein Versprechen und keinen Schwur geleistet haben („et promisi, ac promissa tunc a mgris praesentibus recepi secundum statuta eiusdem facultatis“). 898 Das war keine Ausnahme. Auch wenn der nachfolgende Dekan Johannes von Borotin wiederum einen Schwur leistete und auch ein Versprechen abgab, 899 finden sich gerade nach 1415 gehäuft Dekane, die nicht schworen, sondern nur ein Versprechen abgaben. So berichtet es zumindest der „Liˇ ciˇce im Jahre ber decanorum“ für die feierliche Amtseinführung des Nikolaus von Reˇ 1415, des Wenzel von Mirovitz im Jahre 1417, des Antonius von Laun im Jahre 1418 oder des Boˇrivoj von Prag im Jahre 1419. 900 Gleichzeitig gaben nach 1415 einige Dekane nicht nur ein Versprechen, sondern leisteten auch einen Schwur, wie z. B. Simon von Rokitzan im Jahre 1416, Nikolaus von Pavlíkov im Jahre 1416, Lorenz von Nymburg im Jahre 1417 oder Peter von Sepekau im Jahre 1418. 901 Dieses uneinheitliche Vorgehen kann schließlich mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass der Schwur bei der Immatrikulation wie bei Drändorf nicht mehr gefordert wurde. Aufgrund von Drändorfs Zeugenaussage und der schwankenden Eintragungen im „Liber decanorum“ wird also offenkundig, dass an der Prager Alma Mater die Möglichkeit bestand, den Schwur auszuschlagen und nur in mündlicher Form die Einhaltung der Universitätsstatuten zu versprechen. Deren ältestes erhaltenes Manuskript bezeugt, dass sie nach 1409 ebenfalls zwei Formen des Bekenntnisses zur Einhaltung der bestehenden Universitätsordnungen kannten, also den formalen Treueschwur und das formale Treueversprechen. Gerade der gemeinsame Schwur, von dem man sich nicht freimachen konnte, veranlasste die deutschen Magister nach dem Erlass des
896 897 898 899
Den Hinweis auf ihre Uneinheitlichkeit verdanke ich František Šmahel. MUPr I/I, 403, 405, 414 f., 417, 420 f., 423, 425, 427. Ebd., 429. Ebd., 432: „juravi et promisi eidem officio fideliter praesidere, et promissa a magistris tunc pro electione in stuba facultatis collegii Caroli congregatis recepi secundum statuta ejusdem facultatis manu cujuslibet stipulata“. 900 Ebd., 436, 445, 447, 450. 901 Ebd., 439, 441, 444, 448.
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Das Kuttenberger Dekret
Kuttenberger Dekretes zum Weggang aus Prag. Der zurückgebliebenen böhmischen Minderheit warf man hingegen vor, den gemeinsamen Schwur auf die durch die Statuten verbriefte „Eintracht der Nationen“, auf die concordia nacionum, gebrochen zu haben. Diese Situation spielte einer freieren Auffassung des Schwurs in die Hände, der ohnehin in Widerspruch zur biblischen Botschaft geriet. Da die Bibel für die Prager Reformer die Grundlage all ihrer Bemühungen um eine Reform der Kirche darstellte, wollte man auch an der Universität im Unterschied zu den älteren Gewohnheiten lediglich ein Treueversprechen abgeben, aus dem sich selbstverständlich aber die gleichen rechtlichen Folgen wie aus der Schwurleistung ergeben sollten (der Rechtsschutz des Universitariers vor Eingriffen von außen und die Pflicht zur Einhaltung der Statutenanordnungen). Es lag daher an jedem Mitglied der Universitätsgemeinde selbst, ob es das „promittere“ dem „iurare“ vorzog.
Der Erzbischof versetzt einen Schlag Sucht man nach dem grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Streit von 1384 bis 1390 und dem Streit um die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes, dann ist es wohl das Verhalten der Erzbischöfe von Prag. Im ersten Fall spielte der Erzbischof Johannes von Jenstein eine ganz entscheidende Rolle. Als Universitätskanzler griff er in den Universitätsbetrieb ein. Seine Verletzung der bestehenden Gewohnheiten entfachte schließlich den ganzen Streit. Seine Stellung war auch im Streit zwischen ihm selbst in der Funktion als Erzbischof und dem Universitätsrektor maßgeblich. Der Rektor und weitere Magister hatten als Vertreter der Universitätsnationen bei der päpstlichen Kurie gegen den Erzbischof Berufung eingelegt. Streitgegenstand war in erster Linie die erzbischöfliche Jurisdiktion über die Universität. Der Erzbischof von Prag ging als scheinbarer Sieger aus diesem Streit hervor. Seine oberste Jurisdiktion war, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, anerkannt worden. Wie die hier analysierten Prozesse gegen Prager Universitarier (also Stanislaus von Znaim und Matthias von Knín) in den 1410er Jahren zeigen, wurde auch durch die von der Universität in den 1390er Jahren erworbenen Gerichtsprivilegien die oberste Jurisdiktion des Erzbischofs von Prag vorläufig nicht infrage gestellt. Zu deren Anzweifelung, gerade mit Berufung auf die Universitätsautonomie, kam es erst nach 1409, als die Universität in eine offene Konfrontation mit dem Erzbischof geriet. Sie versuchte sich dabei als eine eigenständige, sich der Herrschergunst erfreuende Korporation zu verteidigen. Insofern überrascht es, dass die Rolle des Erzbischofs als Universitätskanzler im Kampf um die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes völlig zweitrangig war. Alle erhaltenen Quellen, stammen sie aus der Feder der Sieger oder der Besiegten, stimmen darin überein, dass der Erzbischof in keiner Weise während der ersten Hälfte des Jahres 1409 in die internen Vorgänge der Universität eingriff. Auch die deutschen Magister wandten sich nicht an ihn als den Universitätskanzler und als einen möglichen Schlichter. Im Gegenteil – der Erzbischof wurde völlig ignoriert, und seine Rolle als oberster Richter übernahm der König, der durch sein Dekret ja erst sämtliche Konflikte hervorgerufen hatte.
Der Erzbischof versetzt einen Schlag
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Wie ich zu zeigen versucht habe, verzichtete der Erzbischof von Prag zwischen Januar und Mai 1409 auf eine disziplinierende Intervention. 1408 hatte er bei den böhmischen Reformern noch Entsetzen hervorgerufen und sie u. a. dadurch zu jener Annahme des Kompromisses auf der Magisterkongregation im Hause „Zur schwarzen Rose“ gezwungen. Die nachfolgende Druckausübung des Erzbischofs haben die Reformer aber mit Hilfe Wenzels IV. gut verkraftet. Den Hintergrund bildete der Schlichterspruch des Kardinals Francesco Uguccione. Geistliche und Laien sollten sich demnach mit den irrgläubigen Artikeln Wyclifs nur zum Zwecke ihrer Widerlegung beschäftigen. 902 Nach dem erzbischöflichen Erlass vom 17. Juli, nach dem die Inquisitionsuntersuchung in der ganzen Prager Diözese keinen Irrgläubigen oder Häretiker gefunden habe, 903 fühlten sich die Reformer schon wieder sicher. Sie verteidigten Wyclifs philosophische und theologische Ansichten, mit Ausnahme der Remanenz, sogar öffentlich: während des feierlichen Mittagessens mit dem französischen Gesandten Jakob von Nouvion und v. a. auf dem Quodlibet des Matthias von Knín. Dort hatte Hieronymus von Prag den Oxforder Magister als „Doctor evangelicus“, in den Augen der Oxforder Magister völlig tadellos und rechtgläubig, über den grünen Klee gelobt. Eine offene Verteidigung Wyclifs findet man auch in Hussens Kommentar zum dritten und vierten Buch der „Sentenzen“ des Lombardus. Er hatte ihn vom Herbst 1408 bis zum Sommer 1409 bekanntermaßen an der Theologischen Fakultät verlesen. 904 Dasselbe kann man dann auch von Hussens Predigten in der Bethlehemskapelle behaupten. Eine Verteidigung Wyclifs ist für Ende März durch die Zeugenaussage des Johannes Protiva belegt. 905 Die offene Unterstützung der böhmischen Reformströmung durch den König verschreckte also den sonst so stolzen und grimmigen Erzbischof von Prag. Der Erlass des Kuttenberger Dekretes und Wenzels deutliche Solidarisierung mit den Pisaner Kardinälen steigerten das Bangigkeitsgefühl des Zbynko Zajíc von Hasenburg dann noch zusätzlich. Er konnte sich nur auf das Prager Kapitel und das Konsistorium stützen. Repräsentiert wurde dieses v. a. von dem Generalvikar Johannes Kbel, den Offizialen Nikolaus Czeiselmeister, Adam von Neschetitz und dem Doktor der Dekrete Georg von Bor, ferner von den Kanonikern Johannes Náz, Johannes Cifra, Wenzel Knobloch, Johannes von Maleschitz und Johannes Eliae sowie von dem erzbischöflichen Sekretär Matthias von Bilin. Einige von ihnen (Johannes Eliae, und erinnert sei daran, dass z. B. auch Marcus von Hradetz ein Prager Kanoniker war) waren als aktive Universitarier trotzdem mit den radikal pronational orientierten Magistern und 902 Šmahel, „Universalia realia sunt heresis seminaria“ (wie Anm. 558), 808, neigt eher der Interpretation zu, dass den versammelten Magistern der böhmischen Nation, welche die 45 Artikel Wyclifs verurteilten, wenn auch nur in ihrem ketzerischen, irrgläubigen oder anstößigen Sinn, der Erlass des Kardinals Uguccione noch nicht bekannt war. – Der Erlass bei Bartoš, V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu (wie Anm. 42), 107–113. 903 Dazu zuletzt Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 19 f. 904 Dazu Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 351–363, und dass seine Konkurrenten, zumindest im Herbst, Johannes von Hora, der Zisterzienser Matthias von Königsaal und Johannes von Frankenstein waren. 905 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 176.
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damit auch mit dem König verbündet. Vorstellbar ist, dass einige Kanoniker hinter dem Rücken des Erzbischofs den Kontakt zum Gesandten des Pisaner Kollegiums suchten, also zu Kardinal Landulf Marramaldi, mit dem das Kapitel im Januar oft zusammentraf. Dafür spricht jedenfalls die Ernennung des erfahrenen Kurienbeamten Hieronymus Seidenberg und des Doktors der Dekrete Náz zu königlichen Gesandten nach Pisa. Vom Kapitel erhielten sie selbständige Instruktionen (ihren Inhalt kennt man leider nicht) für die Konzilsverhandlungen. 906 Dagegen liegen keine Belege für Kontakte zwischen den Magistern der drei deutschen Universitätsnationen und Erzbischof Zbynko vor. Auch in seinem engsten Umkreis befand sich kein auswärtiger Universitarier. Übrigens verärgerte Ludolf Meistermanns Anklage des Stanislaus von Znaim auch den Erzbischof. Denn sie unterstellte nicht nur dem böhmischen Magister die Vertretung der Wyclif’schen Häresie, sondern warf dem ganzen Königreich, also auch der Prager Diözese, verschiedenste Ketzereien vor, v. a. die Verkündigung der Remanenz. Gegen diese sei der Erzbischof, so heißt es, nur unzureichend eingeschritten und habe sie daher nicht auszumerzen vermocht. Nicht zuletzt aus diesem Grund konnte sich Zbynko nicht mit den Magistern verbünden, die Meistermann vertrat. Hätte er doch ihre Beschuldigungen so bestätigt und seine Person belastet. 907 Insofern griff der Erzbischof nach dem Quodlibet des Matthias von Knín höchstwahrscheinlich zur Taktik des Abwartens. (Das Quodlibet versuchte er, nebenbei gesagt, trotz seiner Vollmacht als Universitätskanzler nicht zu verhindern. Damit demonstrierte er nach außen, er halte den Magister Matthias für kanonisch reingewaschen). Zbynko mischte sich also in die Streitigkeiten an der Universität nicht ein und verzichtete vorläufig völlig auf die Disziplinierung der Universitarier in Sachen des Glaubens. Die einzige, wenn auch umstrittene und schwer zu datierende Handlung des Erzbischofs ist sein Eingriff in die Disputation von Hieronymus von Prag und Blasius Wolf. Laut Johannes von Voburg, der über diese Angelegenheit in Wien während des Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus ausführlich Zeugnis ablegte, stellte Hieronymus seine Quästion nach dem Quodlibet in schriftlicher Form zur Verfügung. Diese war dann unter den Studenten im Umlauf. 908 Johannes hatte zwar am Quodlibet nicht teilgenommen, war aber bei der Fortsetzung der dort begonnenen Debatte anwesend, in der Hieronymus den Ansichten des Magisters Wolf entgegnete und seiner Quästion einen zweiten Teil anfügte. Zu diesem Gelehrtenstreit ging er gemeinsam mit seinem Freund Leonhard von München, Bakkalaureus der Artes liberales. Dort sah er den Universitätsrektor Henning von Baltenhagen und den Magister
906 Archiv der Prager Burg, Bestand des Archivs des Metropolitankapitels am St. Veitsdom, cod. 27/2, f. 24 r: „Item notario Cruci pro pergameno pro instrumento ad concilium Naz doctoris 2 gr.“ 907 Teilweise hat bereits Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 346, darauf aufmerksam gemacht. Er behauptet aber gleichzeitig, dass die deutschen Professoren für den Erzbischof natürliche Verbündete gewesen seien, zu deren Gunsten der Erzbischof zwar gewirkt habe, jedoch ohne sie in ihren antitschechischen Bemühungen unterstützen zu wollen. 908 Die unvollendete Diskussion mit Blasius Wolf kann man von den Aussagen des Johannes von Voburg und des Achacius Chenczl ableiten, nach denen es später zu Repliken „in alio actu“ gekommen war. – Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 20, 26.
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Walter Harrasser. 909 Wann jene zweite Disputation genau stattgefunden hatte, wusste er allerdings nicht. Der zweite Zeuge, der in Wien über die Fortsetzung des Quodlibets sprach, war Achacius Chenczl von Salzburg. Die Teilnahme des Rektors oder der anderen Magister bestätigte er zwar nicht, dagegen aber die von deutschen Studenten. Seine Entgegnung auf Wolf habe Hieronymus mit einem Lob auf Wyclif und mit der beliebten Darlegung des „Schildes des Glaubens“ verknüpft. Im Unterschied zu Johannes ergänzt Chenczl, dass in dem Augenblick, als Hieronymus mit der Darlegung seiner Position begann (also offensichtlich bei jener Fortsetzung, denn den „Schild des Glaubens“ hatte er bereits während des Quodlibets von Matthias dargelegt), sich der erzbischöfliche Bote zu Wort gemeldet und den sofortigen Abbruch der Disputation befohlen habe, und zwar unter Androhung der Exkommunikation. Der Zeuge und weitere deutsche Studenten, von denen leider nur Johannes von Marburg namentlich bekannt ist, verließen – erschrocken von der erzbischöflichen Androhung – den Raum. 910 Als ihn die Verhörenden fragten, wann es dazu gekommen sei, antwortete er, an Ostern sei dies ein Jahr her gewesen. An den genauen Monat und an den genauen Tag vermochte er sich aber nicht zu erinnern, lediglich daran, dass es nach dem Mittagessen passiert sein müsse, und an den Ort: „lectorio ordinariarum disputacionum Prage“, also das Auditorium maximum des Carolinum. Šmahel hat unlängst alle erhaltenen Quellen analysiert, die sich auf diese zweite Disputation beziehen. 911 Aufgrund des Wortlauts, den einer der anwesenden Magister flüchtig protokolliert hat, kommt er zu dem Schluss, dass sowohl die Quästion des Hieronymus als auch die Wolfs den Charakter vollendeter Texte hätten. Dies allein stellt aber noch nicht die Wahrhaftigkeit der Aussage des Achacius Chenczl von Salzburg über die Anordnung des Erzbischofs, die Disputation zu beenden, in Frage. Denn am erzbischöflichen Hof hätten der ursprüngliche Text von Hieronymus und auch die Replik des Kanonikers des Prager Kapitels Wolf durchaus vorab bekannt gewesen sein können. Die einzige überzeugende Erklärung sehe ich darin, dass der Erzbischof die Disputation, an der auch einige Magister und sogar der Rektor teilgenommen haben können (möglicherweise auch nur neugierige deutsche Studenten), beendete, um in der damals gespannten Lage, als nicht klar war, wie der ganze Universitätsstreit einmal ausgehen wird, mittels leidenschaftlicher dogmatischer Streitigkeiten nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Diese drehten sich um die Wyclif’sche Auffassung der Universalien. In ihnen hallte der auch an anderen mitteleuropäischen Universitäten bereits gut bekannte und Verlegenheit oder Ablehnung hervorrufende „Schild des Glaubens“ von Hieronymus als eine auf die heilige Dreifaltigkeit bezogene Auslegung des Universalienbegriffs nach. Wenn also der Erzbischof von Prag tatsächlich die Fortführung der Disputation verbat, möglicherweise unter Androhung der Exkommunikation bei Nichtbefolgung, dann wohl
909 Ebd., 20. 910 So verstehe ich die Wendung „cum processit ad declaracionem posicionis“. – Ebd., 26. 911 Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 183–186.
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eher um die Verhältnisse an der Universität zu beruhigen und nicht um Hieronymus zu disziplinieren. Diese Interpretation der mutmaßlichen Einmischung des Erzbischofs von Prag in die universitäre Disputation im April 1409 erklärt jedoch nicht den Entschluss des Erzbischofs zu einem drastischeren Vorgehen gegen die böhmischen Reformer ab Mitte Juni. Das trifft ebenso auf die oben dargelegte Analyse von Zeugenaussagen des Wiener Inquisitionsprozesses gegen Hieronymus zu. Auf deren Grundlage behaupte ich, dass die Exkommunikation der Besitzer von Wyclifs Schriften und der Vertreter seiner Ansichten erst in die Zeit nach der ordentlichen Junisynode von 1409 gehört. Meiner Meinung nach veranlassten den Erzbischof von Prag zwei Tatsachen zu seiner Kursänderung. Erstens war nach dem Eingriff des Königs, nach seiner Ernennung eines neuen Rektors und eines neuen Dekans der Artistenfakultät und nach dem demonstrativen Weggang des zumindest einflussreichsten Teiles der drei Nationen der Universitätsstreit offensichtlich gelöst. Es begann eine neue Zeit, in welcher das erzbischöfliche Vorgehen gegen die Wiklifiten nicht als Unterstützung der deutschen Magister ausgelegt werden konnte. Diese hatten einst die Beschuldigungen bezüglich der Verbreitung der Irrlehren und der Häresie im Königreich Böhmen erhoben. Zweitens können dem Erzbischof Gerüchte zu Gehör gekommen sein, möglicherweise auch unzutreffende, und zwar über ein etwaiges Schwanken des Königs im Universitätsstreit und über seinen Konflikt mit Hus und Hieronymus. Diesen deutete (wohl als ein Gerücht oder üble Nachrede) Johannes Náz in Konstanz an. 912 Jan Sedlák datiert die Exkommunikation der böhmischen Reformer im Geiste der Aussage von Johannes Tesser in die Fastenzeit des Jahres 1409 und legt die Hypothese vor, der Erzbischof sei aufgrund der Genehmigung Papst Gregors im Jahre 1408 so hart gegen die Wiklifiten vorgegangen. 913 Von dieser päpstlichen Unterstützung erzählt nur die „Chronik der Prager Universität“. Ihr Autor datiert sie in das Jahr 1408, also noch vor die Abreise des Stanislaus von Znaim und des Stephan von Páleˇc nach Italien. 914 Er spricht allerdings nur sehr allgemein von der Verlegung des Prozesses gegen die Wiklifiten vor die päpstliche Kurie. Der Erzbischof habe sich damit seine Anordnung über die Ablieferung und Verbrennung der Bücher Wyclifs bestätigen lassen wollen. 915 Gerade die Erwähnung der Bücherverbrennung macht jedoch die ganze Eintragung sehr unglaubwürdig. Denn zum ersten Mal hört man davon erst im Juni 1410. Der Autor der „Chronik der Prager Universität“ integriert somit in den Passus über die Verlegung des Prozesses vor die Kurie spätere Ereignisse. Diese riefen anscheinend das größte Echo hervor und begründeten erst den mächtigen Widerstand der Reformer gegen den Erzbischof von Prag. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass der Erzbischof keine Unterstützung bei Papst Gregor XII. gesucht und zu ihm nicht bereits irgendwann 912 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 8, 79 f.; Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), 312. 913 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 153. 914 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 570. 915 Ebd.
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in der zweiten Hälfte des Jahres 1408 seinen Boten geschickt hätte. 916 Gleichermaßen problematisch ist eine zweite Anmerkung der „Chronik der Prager Universität“. Sie bezieht sich auf den ersten Blick auf die Zeit vor der Ernennung des Zdenko von Laboun zum neuen Rektor der Universität. Tatsächlich beschreibt sie aber spätere Ereignisse. Der Erzbischof habe sich demnach an den Pisaner Papst Alexander V. und an die Pisaner Kardinäle bezüglich des gegen Hus und seine Anhänger geführten Prozesses gewandt. Diese hätten nämlich gegen die Ablieferung und die Verbrennung von Wyclifs Büchern Berufung eingelegt. 917 Da hier schon Alexanders Bezug des Kurialprozesses auf seine Person und die päpstliche Bulle erwähnt werden, in welcher der Erzbischof von Prag zum Richter in dieser Angelegenheit bestellt wird, ist absolut klar, dass der Chronist in seinem Bericht wiederum spätere Ereignisse (Mitte 1410) einflicht. Wann sich der Erzbischof nun genau an den neuen Papst wandte, ist hingegen unklar. Da jedoch aus anderen Quellen bekannt ist, dass sich Zbynko Zajíc von Hasenburg erst am 2. September 1409 von Gregor XII. lossagte, 918 ist sein Unterstützungsgesuch beim neuen Papst und beim Kardinalskollegium erst nach diesem Datum wahrscheinlich, ganz zu schweigen davon, dass der Chronist erneut auf die Bücherverbrennung und auf Hussens Appellation anspielt, also auf Ereignisse aus der Mitte des Jahres 1410. Das zunächst hartnäckige Festhalten des Erzbischofs von Prag an Papst Gregor XII. war maßgeblich dafür verantwortlich, dass seine synodale Anordnung vom Juni 1409, einschließlich der Terminierung der Bücherablieferung, vorläufig ein leerer Akt blieb. Im Februar 1409 lehnte der Erzbischof die erneute Aufforderung der Pisaner Kardinäle ab. Zur gleichen Zeit hatte er nämlich seinen bevollmächtigten Vertreter, den Magister Maˇrík Rvaˇcka, zu dem von Gregor XII. nach Cividale einberufenen Konzil entsandt. 919 Das Konzil wurde Anfang Juni eröffnet. Daran nahmen auch der Olmützer Bischof Johann der Eiserne, Anhänger Sigismunds von Luxemburg, und Vertreter von König Ruprecht teil. 920 Die Verhandlungen des Konzils in Cividale endeten allerdings nach einigen Wochen wegen eines Krachs. Der Erzbischof von Prag wurde zwar am 15. Juli zum päpstlichen Legaten ernannt. Seine Stellung in Böhmen hat dies jedoch selbstverständlich nicht gestärkt, vielmehr war das Gegenteil der Fall. Der Erzbischof widersetzte sich tapfer den königlichen Erlassen zur Verweigerung des Gehorsams gegenüber Papst Gregor XII. Akzeptiert man jedoch die weiter oben angeführte Interpretation, dass sich die Berichte über seine Flucht nach Raudnitz, über das Fortschaffen der Schätze, über die Verkündigung des Interdiktes und über den anschließenden königlichen Eingriff bereits auf das Jahr 1408 beziehen, dann scheint es eher, dass sich der durch die Entwicklung auf dem Pisaner Konzil geschwächte Erzbischof zu keinen offenen Schritten gegen
916 917 918 919 920
Ebd. Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 30 f. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 273. ˇ Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 314 f. Nuding, Matthäus von Krakau (wie Anm. 241), 207 f.
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die Wiklifiten entschlossen hatte. Auch wenn es an Berichten über die Verhandlungen zwischen dem König, dem Erzbischof und seinem Kapitel fehlt, schien es auf ein unabwendbares Ende hinauszulaufen. Zeugnis davon gibt eine kleine Quellennotiz, nach der sich König Wenzel um das Fest der hl. Margareta, also um den 22. Juli, mit dem Erzbischof Zbynko, dem Prager Kapitel und den Prager Pfarrern bezüglich des Gegenpapstes einig geworden sei. 921 Nach etwa zehn Tagen habe dann der Erzbischof für den 2. September eine außerordentliche Synode einberufen, an der auch Universitätsvertreter teilnahmen, und auf ihr zum Gehorsam gegenüber dem Pisaner Papst Alexander V. aufgerufen. 922 Zur weiteren Beschämung des Erzbischofs sei das Bekenntnis zum Konzilspapst auf eine prunkvolle Weise begangen worden – durch Glockengeläut und eine besonders feierliche Messe. Auf öffentlichen Plätzen, zumindest in Prag, seien zudem festliche Feuer entfacht worden. Mitte des Jahres 1409 stellte also der Erzbischof von Prag seinen Angriff auf die Wiklifiten nach außen ein. Die böhmischen Magister, die zum gegebenen Zeitpunkt ihren Sieg im Konflikt um die Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes feierten, nahmen daher an, der synodale Beschluss und die Exkommunikation der ungehorsamen Magister vom Juni 1409 werde nun ins Leere laufen. Aus diesem Grund stemmte sich die Prager Universität als ganze nicht gegen die erzbischöfliche Anordnung, Wyclifs Bücher bis zum 4. Juli abzuliefern. Auch die Exkommunikation der Verkünder von Wyclifs häretischen Ansichten und der Besitzer seiner Schriften ließ sie kalt. Schenkt man allerdings entsprechenden Anspielungen Hussens während des Konstanzer Prozesses Glauben, dann scheinen einige Magister, darunter auch er selbst, einen Teil der Schriften Wyclifs dennoch nur formal abgeliefert zu haben. In Wirklichkeit suchten jedoch die aktiven böhmischen Magister, die sich nicht mit dem Vorgehen des Erzbischofs abfinden wollten, eine Möglichkeit, bei der sie sich ihm entgegenstellen konnten. Die entscheidende Initiative dazu ging schließlich aber von den Studenten aus, die durch die erzbischöfliche Anordnung am meisten bedroht waren. Ebenso waren gerade sie von dem immer noch gültigen Beschluss der böhmischen Magister auf der Kongregation im Hause „Zur schwarzen Rose“ betroffen. Nach dem synodalen Erlass des Erzbischofs hatten fünf Studenten, Pribislaus von Huschen, Hroch von Podvek, Michael von Drnovitz, Johannes von Landstein und Peter von Valencia, eine Appellation beim päpstlichen Stuhl eingereicht. 923 Die Person des Peter von Valencia, eines armen spanischen Famulus im Dienste des Hieronymus von Prag, legt die Vermutung nahe, dass im Hintergrund dieser Appellation Hieronymus stand. Möglicherweise hat er die Studenten zu dieser für sie nicht zwangsläufig bedrohli-
921 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 732 f. 922 Die Erklärung des Gehorsams gegenüber Alexander V. kennt man aus seinem Schreiben an den Bechiner Kreis, herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 37. – Den spektakulären Charakter dieses Aktes erfasst die „Leipziger Chronik“ in: Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 10. 923 Der authentische Wortlaut der Appellation der fünf Studenten hat sich nicht erhalten. Man kennt ihn nur aus Anspielungen in Hussens Appellationen und im Gerichtserlass des Kardinals Odo Colonna. – Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 30.
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chen Aktion angestiftet, wenn nicht gar überredet. Übrigens gibt die Zeugenaussage des Nikolaus Czungl beim Wiener Prozess darüber Auskunft, dass Hieronymus mit seinen Gefährten den Prediger von St. Clemens angreifen wollte, 924 der die Exkommunikation der Inhaber von Wyclifs Büchern verkündet hatte. Dies belegt, dass Hieronymus bereits zu dieser Zeit eine Schar von Studenten um sich versammelt hatte, die seine Entscheidungen mittrugen bzw. ihm dabei behilflich waren. Nach dem Quodlibet des Matthias von Knín war er in den radikalen Studentenkreisen sicher die anerkannteste Autorität und der nonkonformistischste Anführer. Den eigentlichen Wortlaut der Appellation und das Datum ihrer Einreichung kennt man leider nicht. Sie wird lediglich in Hussens Appellation von 1410 925 und im synodalen, sich auf Papst Alexanders Bulle stützenden Erlass von Erzbischof Zbynko erwähnt. 926 Übrigens ist es unerheblich, ob es dazu unmittelbar nach der Synode oder erst nach Ablauf der Frist am Tag des hl. Prokop, also erst nach der Verkündigung der Exkommunikation gekommen ist. 927 Es erhebt sich freilich die Frage, bei wem die Studenten ihre Appellation einreichten. Papst Gregor war es sicherlich nicht. Da Papst Alexander V. von den Pisaner Kardinälen erst am 26. Juni gewählt wurde, kann die Appellation beim künftigen Papst oder sogar beim Kardinalskollegium eingereicht worden sein. Dieses war dem Erzbischof von Prag, dem kämpferischen Anhänger des gleichermaßen unversöhnlichen Papstes Gregor XII. nicht gewogen. Wie dem auch sei, die Appellation der fünf Prager Studenten musste genauso wie später der Prozess gegen Hus finanziert werden, aber nicht von den finanziellen Mitteln der Studenten, sondern von dem Geld ihrer Gönner. Ihre Vertretung übernahm der Prager Kanoniker und sehr aktive, reformorientierte Magister der böhmischen Nation Marcus von Hradetz. 1408 war er sogar Vizekanzler der Dreifakultätenuniversität gewesen. 928 Wann Marcus die aufwendige Reise begann, bleibt wieder rätselhaft. Der königlichen Gesandtschaft nach Pisa gehörte er nicht an. Im Oktober 1409 war er an der Artistenfakultät zum Kollektor gewählt worden, und am 30. Dezember hatte er gemeinsam mit dem Magister Martin von Prag vom damaligen Dekan Peter von Brandeis für die Überbringung des Rotulus zur römischen Kurie Geld empfangen. 929 Diese Anmerkung dokumentiert einerseits, dass sich die Prager Universitarier um eine lückenlose Kontinuität der Universitätsgewohnheiten bemühten und auch nach dem Weggang der deutschen Magister den Universitätsrotulus mit Anträgen auf Verleihung oder Reservierung von freigewordenen Benefizien
924 Processus iudiciarius (wie Anm. 1), 23. 925 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 57 (Nr. 17). 926 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 291: „a dicta nostra monicione processu sive mandato ad dictam sedem apostolicam frivole appellantes, nos ad eandem sedem apostolicam citari procuraverunt“. 927 Ausführlich zur Datierung der Appellation Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 347, Anm. 4, der sie selbst in den März 1409 datiert; hier auch seine Betrachtungen über die Datierung des synodalen Erlasses des Erzbischofs. 928 MUPr I /1, 393. 929 Ebd., 369.
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zusammenstellten und dem Papst vorlegten. Anderseits lässt jene Anmerkung vermuten, dass Marcus von Hradetz erst Anfang 1410 mit dem Universitätsrotulus zur Kurie aufbrach und während dieser Reise auch die fünf studentischen Appellanten vertreten sollte. Die Appellation könnte theoretisch auch erst irgendwann im Herbst 1409 eingereicht worden sein. Da war der Erzbischof von Prag bereits zum Anhänger des Pisaner Papstes geworden, hatte sich mit dem König von Böhmen ausgesöhnt und erwog wieder geeignete Maßnahmen gegen die Anhänger Wyclifs. Für viel wahrscheinlicher halte ich es daher, dass die Appellation auf jene erzbischöfliche Anordnung zur Aushändigung der Schriften Wyclifs bis zum 4. Juli 1409 reagierte und vom Prokurator nach Rom gebracht und dort verteidigt wurde. Dessen Namen ist leider nicht überliefert. Selbstverständlich kann es Marcus gewesen sein, der dann aber irgendwann im Oktober nach Prag hätte zurückkehren müssen, als er zum Kollektor gewählt wurde. Sollte er bei dieser Wahl nicht persönlich anwesend gewesen sein, dann sicher aber am Jahresende, als er den Universitätsrotulus übernahm. Fast ebenso wahrscheinlich ist die Hypothese, dass Marcus – wie bereits erwähnt – die Angelegenheiten der Appellanten bei der Kurie im Herbst 1409 erledigte und jemand anderes mit dem Rotulus nach Rom aufbrach, vielleicht der Magister Martin von Prag. War dem tatsächlich so, dann ist Hussens Behauptung, Marcus habe von Papst Alexanders Bulle nichts gewusst, nachvollziehbar. 930 Derjenige, der mit dem Universitätsrotulus nach Rom reiste, 931 sei es Marcus von Hradetz oder ein anderer Universitarier, kann in dem Augenblick, als er die notwendigen Angelegenheiten besorgte und das für die aufwendige Reise so nötige Geld zählte (das musste er in bar bei sich führen, denn das Kreditwesen steckte am Anfang des 15. Jahrhunderts in Böhmen noch in den Kinderschuhen), nicht ohne jede Kenntnis von der Bulle Papst Alexanders V. vom 20. Dezember gewesen sein. Diese sollte in der Folge die Geschichte ändern und die Zerstörung der Prager Hohen Schule herbeiführen. Am Anfang des Jahres 1410 hatte aber in Prag von der päpstlichen Entscheidung noch niemand die leiseste Ahnung. Bartoš hat vor Jahren durch eine falsche Datierung eines erhaltenen Quodlibethandbuchs nachzuweisen versucht, dass im Januar, also zum regulären Termin, das Quodlibet stattfinden sollte, dessen Abhaltung der Erzbischof von Prag aber dann angeblich verbat. 932 Träfe dies zu, dann würde dies das fortgesetzte Vorgehen des Zbynko Zajíc von Hasenburg gegen die Wiklifiten belegen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Kejˇr und später auch Šmahel liefern nämlich durch ihre Analysen von Quodlibethandbüchern den Nachweis, 933
930 Der Erzbischof behauptete das Gegenteil, dass er also vom Erlass der päpstlichen Bulle wusste und gut informiert war. – Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 292: „habens noticiam ac clare informatus“. 931 Bei der Datierung des Weggangs stimme ich überein mit Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 30. 932 Bartoš, František Michálek: Nové svˇetlo do Husova rektorátu na Karlovˇe universitˇe [Neues Licht auf Hussens Rektorat der Karlsuniversität]. In: JSH 11 (1938), 3–11, das (vermeintliche) Verbot: 8. 933 Bartoš’ Behauptung widerlegt haben Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 97–101; Šmahel, Die Verschriftlichung der Quodlibet-Disputationen (wie Anm. 436), 367–373.
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dass die Texte, auf die sich Bartoš bezieht, eigentlich zum Quodlibet des Simon von Tischnowitz von 1416 gehören. Er hatte zu seiner Vorbereitung die Hauptquästion des Quodlibets von Hus und weitere Texte aus diesem gelehrten Streit benutzt. Es liegt daher auf der Hand, und das Dekansbuch bestätigt es indirekt durch seine Nichterwähnung der Wahl des Quodlibetarius, 934 dass die böhmischen Magister Anfang 1410 ihre erste Niederlage erlitten. Die Abhaltung der Jahresdisputation war ihnen nicht gelungen. Sie galt als ein Höhepunkt, speziell auch für die Außenwirkung der Prager Hohen Schule. Ausschlaggebend für die Nichtabhaltung war aber wohl die Tradition. Da bis zum ordentlichen Termin am 23. Juni niemand zum Quodlibetarius gewählt worden war, wollten die böhmischen Magister nicht gegen die bisherigen Gewohnheiten verstoßen und wählten ihn daher auch nicht später. Dies war, glaube ich, im gegebenen Augenblick wichtiger als die kürzere Vorbereitungszeit für die Quodlibetdisputation. Der Rückgriff auf Quodlibethandbücher war dabei möglich und üblich. Die Demonstration der immer noch lebendigen Gelehrsamkeit mussten die böhmischen Magister aufgrund der neuen erzbischöflichen, vom Papst unterstützten Attacke auf das nächste Jahr verschieben. In Wirklichkeit verhielt sich der Erzbischof in der zweiten Jahreshälfte von 1409 wie die Universität. Nach außen täuschte er Untätigkeit vor, aber im Geheimen bereitete er einen neuen Angriff auf die Wiklifiten vor. Im Herbst, sicher nach der feierlichen Lossagung von Papst Gregor XII. und nach dem Bekenntnis zum Pisaner Papst Alexander V., entsandte er den Prager Kanoniker Jakeš Jinoch und den Minoriten und Bakkalaureus der Theologie Jaroslav von Bezmˇeˇre als seine Vertreter zur Kurie. Der Papst sollte seine gegen die Anhänger des Häresiarchen Wyclif unternommenen Schritte genehmigen. Darüber informiert wiederum nur die „Chronik der Prager Universität“. 935 Und der Chronist vermengt wiederum das zeitgenössische Zeugnis mit späteren Ereignissen, hier mit Ereignissen aus der zweiten Hälfte des Jahres 1410 oder sogar des folgenden Jahres. Er behauptet, der Erzbischof von Prag habe dem Papst einreden wollen, Wyclifs Lehre (also jene 45 Artikel Wyclifs) verleite die Kleriker zum Ungehorsam und zur Verachtung kirchlicher Strafen. Außerdem lege sie diesen nahe, sich nicht von den Bischöfen, sondern von der weltlichen Macht leiten zu lassen. Derartige Ansichten hätten schließlich viele Magnaten und auch König Wenzel IV. verwirrt. Letzter habe darauf der Kirche allmählich ihre irdische Güter entzogen. Die Vertreter des Erzbischofs sollen dem Papst auch Prozessakten früherer Klagen übergeben haben. Der Kanoniker Nikolaus Henslini hatte sie an die Kurie geschickt. Bis hierher scheint die Quelle glaubwürdig zu sein. Im Anschluss behauptet der Chronist jedoch, die Kanoniker Jakeš und Jaroslav hätten dem Papst eine Bulle bezüglich der Verbrennung von Wyclifs Büchern und der persönlichen Zitation von Johannes Hus zur Kurie entlockt. In der betreffenden Bulle ist aber bekanntermaßen keine Rede von einer Bücherverbrennung und schon gar nicht
934 Von der Wahl des Quodlibetarius ist weder während der Dekansperiode des Simon von Tischnowitz noch während der des Peter von Brandeis die Rede. – MUPr I /1, 403–410. 935 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 571.
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von einer Zitation Hussens vor die Kurie. Hus wurde erst nach seiner Appellation gegen den Erlass des Erzbischofs vom Juni zur Ablieferung der Schriften Wyclifs vor die Kurie zitiert, also erst einige Monate nach der Bulle Alexanders vom 9. Dezember 1409. Auch die folgenden Anmerkungen der Chronik sind etwas verwirrend. Erstens sei die Bulle bei der Gelegenheit der persönlichen Zitation des Pfarrers von Winarschitz (tschech. Vinaˇrice) namens Jakob nach Böhmen gebracht worden. Dieser habe dann wiederum bei seiner Rückkehr die erzbischöfliche Urkunde mit den entsprechenden Durchführungsbestimmungen der Kurie überbracht. Zweitens sollen der Kanoniker Zdenko von Chrast und der Doktor der Dekrete Kuneš von Zvole in Bologna den Papst und die Kardinäle Giordano Orsini und Odo Colonna mit Pferden und Ringen bestochen haben. Darauf spielte später auch Hus viele Male mit der Bemerkung an, die Bulle gegen ihn sei teuer erkauft worden. 936 Diese Quellennotiz bezieht sich aber bereits eindeutig auf persönliche Auseinandersetzungen Hussens und auf seine Zitation zur Kurie, aber nicht auf die Bulle Alexanders vom Dezember 2009. Hussens Ausführungen sind freilich problematisch, weil auch er die einzelnen Berufungen durcheinanderbringt. Nach dem Zeugnis der „Leipziger Chronik“ ist Papst Alexanders Bulle erst Anfang März 1410 in Böhmen eingetroffen. 937 Sie brauchte also länger als die durchschnittliche Reisezeit von Rom nach Prag. Sedlák glaubt, dass Marcus von Hradetz die Überstellung der Bulle zu verhindern suchte. 938 Novotný macht dagegen die Abkühlung der Beziehungen zwischen dem Papst und Wenzel IV. im Zusammenhang mit der Ernennung eines persönlichen Vikars im Friaul durch den König von Böhmen dafür verantwortlich. 939 Die Beziehungen zwischen dem Pisaner Papst und Wenzel IV. verliefen am Ende des Jahres in der Tat nicht harmonisch. Der Papst fand in dem römischen König, der überdies mit seinem Bruder Sigismund zerstritten war, keine Stütze. Anderseits könnte die Überstellung der Bulle die persönliche Zitation von Erzbischof Zbynko vor die Kurie behindert haben. Die in dieser Hinsicht überraschend gut informierte „Leipziger Chronik“ berichtet zwar, dass der päpstliche Auditor und Doktor der Dekrete Heinrich Krumhart von Westerholz am 8. Dezember die Zitation zur Gerichtsverhandlung vor der Kurie wegen der Appellation der fünf Studenten erlassen habe. 940 Doch ist dieses Datum trotzdem strittig. Kejˇr geht davon aus, dass die persönliche Zitation bereits früher erlassen wurde und am 8. Dezember in Prag eintraf. 941 Das Urteil des Kardinals Colonna vom 25. August 1410 wegen Hussens Appellation und die Berufung der acht Universitarier gegen die Bücherverbrennung geben aber – und darin besteht das Problem – nicht einmal ein annähernd zutreffendes Datum für die Zitation des Erzbischofs vor die Kurie an. Sie sprechen 936 Die Belege bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 386, Anm. 1, 390 f.; neuerdings, sachlich jedoch mehr oder weniger Václav Novotný treu: Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 58. 937 Diese Angabe bringt die „Leipziger Chronik“ in: Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 11. 938 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 166. 939 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 387 f. 940 Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 11. 941 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 34 f.
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nur von ihrer Aufhebung und davon, dass der Papst den ganzen Streit an sich gezogen habe. Dasselbe gilt leider für Hussens Darlegungen in der Appellation vom 25. Juni gegen den synodalen Erlass des Erzbischofs. 942 Hus wusste genau, dass der Erzbischof wegen der Appellation der fünf Studenten von Krumhart vor die Kurie zitiert worden war (davon, dass es sich auch um den Studentenprokurator Marcus von Hradetz gehandelt haben könnte, spricht er im gegebenen Augenblick jedoch nicht). Hus ergänzt, der Erzbischof habe diese Zitation nicht weiter beachtet und heimlich Boten zur Kurie entsandt. Diese hätten den Papst dann durch üble Nachrede und durch Lügen zum Erlass der Bulle überredet, und zwar noch vor Ablauf der von Krumhart wegen der Zitation des Erzbischofs festgelegten Frist. 943 Dass Alexander die Bulle am 20. Dezember 1409 ausstellte, scheint unstreitig. Akzeptiert man Hussens Behauptung, die vom Auditor Krumhart festgelegte Frist sei über den 20. Dezember hinausgegangen, dann ist es eher unwahrscheinlich, dass die Bulle schon am 8. Dezember erlassen wurde. Damit der Erzbischof rechtzeitig vor der Kurie erscheinen konnte, muss die Frist ausreichend lang gewesen sein. Da auch die Dauer der Frist bei der Zitation Hussens vor die Kurie nicht bekannt ist, kann die im Falle von Zbynko Zajíc von Hasenburg festgesetzte Frist auch nicht „per analogiam“ bestimmt werden. Sollte der Zitationsbescheid tatsächlich bereits am 8. Dezember in Prag eingegangen sein, dann könnte er Ende Oktober 1409 erlassen worden sein. Das entspräche im Großen und Ganzen der zeitlichen Reihenfolge von der Einreichung der Appellation bis zu ihrer Behandlung durch den Auditor. Jedenfalls wurde das Problem der persönlichen Zitation des Prager Erzbischofs und der ablaufenden Frist bald auch Papst Alexander V. bewusst. Er hob, so die „Leipziger Chronik“, 944 am 25. Dezember die Zitation auf und zog den ganzen Streit an sich – samt der Appellation der Studenten. Damit brachte er trotz einiger Probleme beim Prozess doch noch die ganze Angelegenheit ins Lot. 945 Hus konnte gegen dieses Vorgehen protestieren, wie er wollte, aber seine Position war lediglich moralisch. Seine Argumentation, er lehne es ähnlich wie der Erzbischof von Prag ab, vor der Kurie zu erscheinen, muss ganz hohl geklungen haben. Die Nachrichten über Papst Alexanders Bulle und über die Aufhebung der persönlichen Zitation von Erzbischof Zbynko zur Kurie waren also in Prag bereits im Frühjahr eingetroffen, höchstwahrscheinlich Anfang März. Hus äußert sich dazu in seiner Appellation vom 25. Juni. Demnach haben weder er noch die Prokuratoren der 942 943 944 945
M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 59. Dazu wiederum Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 34 f. Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 1, 11. Die Interpretation dieses Schrittes hatte der Erzbischof selbst gebracht: Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 292. Obwohl man diesen Schritt des Papstes für ungewöhnlich und den Rechtsgewohnheiten widersprechend halten kann, lag er trotzdem in der päpstlichen Obergewalt, denn alle Richter im Prozess waren als von ihm subdelegierte Richter tätig, sodass im Rahmen der Subdelegation auch der Diözesanbischof mit der Lösung des Streites hätte beauftragt werden können, obwohl gegen sein Vorgehen appelliert worden war. Übrigens versuchte der Papst seiner Obergewalt auch dadurch Ausdruck zu verleihen, indem er künftig Appellationen gegen die Eingriffe des Erzbischofs verbat.
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fünf Studenten bei der Kurie irgendetwas vom Erlass der Bulle gewusst. Nach ihrer Veröffentlichung habe ihn sogar das Gefühl beschlichen, die Bulle könne gefälscht worden sein. 946 Enthalte sie doch viele Lügen, beispielsweise von der Verbreitung der irrgläubigen Artikel im Königreich Böhmen. Befürchtungen und üble Nachrede bezüglich einer möglichen Fälschung der Bulle waren allerdings nicht der wahre Grund, warum der Erzbischof sowohl mit der Veröffentlichung der Bulle als auch mit ihrer Umsetzung mittels Durchführungsverordnungen zögerte, also v. a. mit einem erneuten Verbot des Studiums von Wyclifs Büchern und mit ihrer Überprüfung durch eine vom Erzbischof als dem obersten Richter bestellte Kommission. Aus dem synodalen Erlass, 947 der im Gegensatz zu anderen synodalen Statuten in Form einer durch den Notar Peter von Mokrsko beglaubigten Urkunde erhalten ist, geht lediglich hervor, dass vor dem 16. Juni eine Kommission zur Untersuchung von Wyclifs Schriften zusammengestellt worden sei, und zwar aus zwei Juradoktoren (Záviš von Zapy und Adam von Neschetitz) und vier Theologieprofessoren (Andreas von Brod, Johannes Eliae, Johannes von Hildesheim und Hermann von Mindelheim). 948 Mit Blick auf die Konflikte um das Kuttenberger Dekret ist bedeutsam, dass bereits die zwei böhmischen Magister Andreas von Brod und Johannes Eliae auf der Seite des Erzbischofs standen und damit in Konfrontation zu den Reformern aus den Reihen der nacio bohemorum. Zuvor hatten sie noch die national motivierten Bestrebungen gefördert und zum Erlass des königlichen Dekretes beigetragen. An ihrer Seite befanden sich auch zwei Mitglieder der Theologischen Fakultät und Kollegiaten aus den Reihen der deutschen Magister, die Prag nicht verlassen hatten. Ihre Pfründen waren ihnen anscheinend wichtiger als die korporative Gemeinschaft der Universitätsnationen. Von anderen erzbischöflichen Mandaten, die sich aus den Anordnungen der Bulle ergeben hätten, ist nichts bekannt. Daher ist auch die Behauptung von Kejˇr unwahrscheinlich, dass sich in Prag ein beträchtlicher Widerstand gegen die Bulle erhoben habe und dass es zu ihrer provokativen Verbrennung gekommen sei. 949 Alle von ihm angeführten Berichte kann man nämlich erst auf die Proteste gegen die Ablassbulle von Papst Johannes XXIII. im Jahre 1412 beziehen, wie Šmahel darlegt. 950 Bis zu einem gewissen Grad sind auch Kejˇrs Ausführungen bezüglich der Appellation Hussens beim besser zu informierenden Papst problematisch. 951 Diese Appellation 946 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 60, 62 (Nr. 17). 947 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 292. 948 Eine kunstfertige Rekonstruktion der Kommissionsmitglieder bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 400, 418. 949 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 36. 950 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 253. 951 Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), 168; Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 37, 48 f., mit einer Übersicht der Quellenerwähnungen dieser Berufung, bei denen man nicht immer entscheiden kann, auf welche Appellation sie sich beziehen. Der Streit darüber, ob Hus das Recht besaß, eine solche Appellation einzureichen, oder nicht, ist meines Erachtens gegenstandslos, denn man kann disputierend kanonisch-rechtliche Argumente dafür und dagegen vorbringen, schließlich liegt es nur am Akzent, den man diesen Argumenten beimisst.
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ist nicht erhalten. Man kennt sie nur aus Anspielungen Hussens, die aber oft mit Informationen zur Appellation vom 25. Juni vermengt sind. Ob nun Hus diese selbständige Appellation beim besser zu informierenden Papst tatsächlich einreichte oder ob diese Appellation mehr oder weniger mit der Berufung vom 25. Juni identisch ist, spricht nicht gegen die Behauptung, sie sei erst nach der Synode vom 16. Juni eingereicht worden. 952 Dass die Proteste gegen Alexanders Bulle erst unmittelbar vor der Eröffnung der Synode stattfanden, belegt auch der vom damaligen Rektor Johannes Schindel vorgetragene Universitätsbeschluss. Hus spielt auf diesen Beschluss in seiner Appellation vom 25. Juni an. Darin heißt es, am 14. Juni habe eine Universitätsvollversammlung der Magister, Doktoren, Lizenziaten, Bakkalaurei und Studenten stattgefunden. Es sei darauf beschlossen und mit einem Schwur besiegelt worden, dass die Universität dem Erzbischof und seinen Prälaten ihre Zustimmung zur Bücherverbrennung verweigere. Denn diese würde dem ganzen Königreich schaden. Zudem hätten die Schriften Wyclifs bei einer so kurzen Frist zwischen dem Erlass der Bulle und der Anordnung des Erzbischofs nicht gebührend durchgesehen und untersucht werden können. 953 In einer ähnlichen Form wiederholt auch das Universitätsprotokoll diesen Beschluss. Dieses datiert jedoch die Versammlung auf den 15. Juni und fügt dem aus Hussens Appellation bekannten Wortlaut des Beschlusses eine sehr wichtige Entschließung hinzu. Demzufolge wollten sich die Universitarier im Bedarfsfall an König Wenzel wenden. Er möge die Bücherverbrennung verhindern, da ihre Durchführung eine Katastrophe für das ganze Königreich und auch für die Universität bedeute. 954 Dieser demonstrative und gleichzeitig auch drohende Akt hielt den Erzbischof auf der Diözesansynode aber nicht von dem Erlass gegen jene fünf Studenten ab, die gegen ihn eine Appellation eingelegt hatten, sowie gegen ihren Prokurator Marcus von Hradetz und gegen alle, die weiterhin Wyclifs Ansichten vertraten und seine Bücher besaßen. Bestandteil dieser erzbischöflichen Anordnung war auch die Ablieferung der von den Theologiemagistern angeblich untersuchten und für ketzerisch befundenen Schriften Wyclifs. 955 Sie sollten vor den Augen der Gläubigen beseitigt, d. h. verbrannt werden. Innerhalb von sechs Tagen nach dem Erlass dieser Anordnung hatten die fünf Studenten, ihr Prokurator und all ihre Anhänger die genannten,
952 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 37, 50, versucht nachzuweisen, dass Hus seine erste Berufung zwischen dem 9. März und der Zeit nach dem 3. Mai einlegte, nachdem Papst Alexander V. gestorben war. Da jedoch die Nachrichten von Alexanders Tod und von der Wahl des neuen Papstes Johannes XXIII. am 17. Mai nach Böhmen erst mit großer Verspätung eingetroffen seien dürften, also irgendwann Anfang Juli, war auch die Berufung vom 25. Juni noch an Papst Alexander gerichtet. Übrigens, wenn ich nicht irre, spricht Hus immer nur von einer einzigen Berufung im Jahre 1410 und nicht von mehreren. 953 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 65 (Nr. 17). 954 Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 2, 187; Bartoš, Po stopách (wie Anm. 836), 5; Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 31 f. 955 Auf die Unterschiede bei der Liste der Schriften Wyclifs in der erzbischöflichen Urkunde und in Hussens Berufung macht aufmerksam Flajšhans, Václav: Spálení knih Viklefových 1410 [Die ˇ CH ˇ 42 (1936), 77–88, hier 78 f. Verbrennung von Wyclifs Büchern]. In: C
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aber auch alle weiteren Schriften Wyclifs abzuliefern, und zwar in der Kanzlei des Schatzmeisters am Prager erzbischöflichen Hof. Gleichzeitig verbat der Erzbischof erneut die Lehre und die Verteidigung von Wyclifs Artikel. In Reaktion auf die Androhung der Universität, sie werde sich gegebenenfalls an den König wenden, konterte er, auch er werde sich bei Nichtbefolgung seiner Anordnung an die weltliche Macht wenden. 956 Gemäß der päpstlichen Bulle ordnete Zbynko Zajíc von Hasenburg schließlich an, in Prag solle künftig nur in den Dom-, Kollegiats-, Pfarr- und Klosterkirchen oder auf ihren Friedhöfen gepredigt werden. Das Predigen auf privaten Plätzen sei – unter Strafe der Exkommunikation – untersagt. Dazu würden auch solche Orte gehören, an denen es früher durch apostolische Gnade erlaubt war. Alle diese Erlasse richteten sich eindeutig gegen die böhmischen Reformmagister bzw. gegen Johannes Hus als Prediger in der privaten Bethlehemskapelle. 957 Gleichzeitig stellten sie einen neuen, radikalen, nun auf die päpstliche Macht gestützten Versuch zur Disziplinierung der Universitarier und der Universität dar. Außer dem Predigtverbot in Privatkapellen brachte aber die auf der kirchlichen Synode verkündete erzbischöfliche Urkunde nichts Neues. Sie wiederholt in etwas milderer Form die Anordnungen vom Juni 1408. Die Entschließung zur Bücherverbrennung und zur Exkommunikation all derer, welche dieses Vorgehen verurteilten und Wyclifs Schriften nicht ablieferten, ging in ihren Nachwirkungen allerdings über alle früheren Disziplinierungsbemühungen hinaus und kehrte ganz offen zu den bereits aus dem Prozess gegen Matthias von Knín bekannten Praktiken zurück. Der Erzbischof von Prag hatte also, beflügelt von der Unterstützung des Papstes, seine in den Jahren 1403–1408 charakteristische versöhnliche Haltung gegenüber den böhmischen Universitariern völlig verworfen und durch eine bis dahin unbekannte autoritäre ersetzt. Dieser Wandel war sicher durch den schwelenden Konflikt mit dem König um die Anerkennung der Pisaner Obödienz und um die Lossagung von Papst Gregor XII. bedingt, aus dem der stolze Erzbischof gedemütigt hervorgegangen war. Gleichzeitig kann dieser Einstellungswandel auch durch die konfligierenden Ansichten und Positionen an der Universität beeinflusst worden sein. Obwohl sich der Rektor der Universität und die Universitätsversammlung gegen die Bücherverbrennung ausgesprochen hatten, konnte sich der Erzbischof auf die Autorität jener böhmischen Theologiemagister stützen, die 1409 zwar den Einfluss der böhmischen Nation in der Universitätsverwaltung gestärkt und die Sezession der deutschen Magister befördert hatten, sich jedoch nie mit der auf Wyclif orientierten Universitätsmehrheit identifizierten. Diese Magister versuchten nun ein Jahr nach der Durchsetzung des Kuttenberger Dekretes mit Hilfe des Erzbischofs und seines Kapitels, dem übrigens einige unzufriedene Theologie- und Juramagister angehörten, an der Universität zumindest vergleichbare Verhältnisse wie 1403 herzustellen. Damals hatte ein Teil der deutschen, vom Dominikaner Johannes Hübner angeführten Magister die Verurtei-
956 Pražské synody a koncily (wie Anm. 426), 297. 957 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 242 f.
Der Erzbischof versetzt einen Schlag
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lung der 45 irrgläubigen Artikel Wyclifs durchgesetzt und einen Prozess in Gang gesetzt, der im Juni 1410 zur Verbrennung von Wyclifs Schriften führte. Die Reformer aus den Reihen der nacio bohemorum waren im Jahre 1410 in einer anderen Position als im Jahre 1403. Wyclifs Ansichten hatten damals an der Artistenfakultät zwar bereits starken Anklang gefunden, waren aber auf philosophische Spekulationen bezüglich der Universalienauffassung beschränkt geblieben. Erst einzelne Gelehrte wie Stanislaus von Znaim wandten sie auch auf Fragen rein theologischer Art an. In der Folge wurde die Transsubstantiationslehre in Zweifel gezogen und statt dessen Wyclifs Remanenzlehre verkündet. 1410 beherrschten die Reformer dank des Kuttenberger Dekretes bzw. dank der Sezession der deutschen Magister fast vollständig die Dreifakultätenuniversität – v. a. die größte ihrer Fakultäten: die Artistenfakultät. In den früheren Konflikten mit dem Erzbischof hatten die Reformer Unterstützung beim König gefunden und v. a. bei seinen Höflingen, denen die aristokratische Überheblichkeit und Radikalität des Erzbischofs entschieden zuwider waren. Zbynko war den Kritikern Wyclifs bereits vor 1409 entgegengekommen und hatte sich bemüht, die Identifikation der aktiven böhmischen Magister mit Wyclifs Lehre an der Universität in den Grenzen akademischer Diskussionen zu halten. Übrigens unterband gerade der Erzbischof eine tiefere Verankerung des Gallikanismus in den Köpfen des Königs und seiner Höflinge. Außerdem war es für die Anerkennung Wenzels als römischen Königs notwendig, die Pisaner Kardinäle und den neuen Pisaner Papst zu gewinnen. Diese höheren Geistlichen waren aber dem Gallikanismus französischer Prägung, mit dem der König 1408/09 (zögernd) liebäugelte, ebenfalls nicht gewogen. Wegen all der oben angeführten Tatsachen war die böhmische Universitätsnation nicht bereit, sich dem erzbischöflichen Erlass vom 16. Juni 1410 unterzuordnen, sich mit der Verbrennung von Wyclifs Büchern abzufinden und die erzbischöflichen Eingriffe in die Universitätsautonomie zu akzeptieren. Dazu zählt auch die Einschränkung der akademischen Freiheit, die mit den Interventionen von Stephan Tempier, des Bischofs von Paris im Jahre 1277 vergleichbar ist. Die nationalen Streitigkeiten von 1409 waren vergessen. Hus und weitere aktive Universitarier verzichteten fortan in ihren Verlautbarungen auf jegliche Reminiszenzen an den Weggang der deutschen Magister. Sie sprachen auch nicht mehr von jenem aus ihrer Sicht inadäquaten Schwur. Das einzige, was sich nun in den meisten ihrer Äußerungen ständig wiederholte, sind die Abwesenheit von Ketzern bzw. ketzerischen Ansichten im Königreich Böhmen und damit die fehlende Berechtigung gegenteiliger Vorwürfe. Ihr ursprünglicher nationaler Unterton war dabei völlig erloschen und richtete sich jetzt v. a. gegen die Prälatenpartei. Den Reformern zufolge benutzte diese zur Erreichung ihrer Ziele bewusst Lügen, üble Nachrede und in zahlreichen Fällen auch Bestechungen. In dem Augenblick, als die frühere Minderheit an der Universität zur Mehrheit geworden war, stellte sie das Prinzip des reinen und unbefleckten Glaubens über das Prinzip der Sprache und der Nation bzw. über das Prinzip der territorialen Zugehörigkeit oder Untertänigkeit und der Unterordnung unter eine weltliche Autorität in der Person des böhmischen Königs. Trotz der nicht aufhörenden Invektiven der ehemaligen Prager Universitarier, die nun aus Wien, Erfurt, Leipzig oder Heidelberg
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geringschätzig auf die Prager Hohe Schule schauten, war die Zeit des Kuttenberger Dekretes zu Ende. An ihre Stelle trat während weniger Tage, die mit der Verbrennung von Wyclifs Büchern und mit der Exkommunikation seiner Anhänger verbunden waren, eine Zeit des Kampfes um den Charakter der Prager Alma Mater, um die akademische Freiheit, um die freie Verkündigung des Wortes Gottes, um die nackte Existenz der einst so berühmten und in Mitteleuropa einzigartigen, universalistischen Hohen Schule.
Epilog: Ende der akademischen Freiheit Mit der Missbilligung der Verbrennung von Wyclifs Schriften durch die Universität am Vorabend der erzbischöflichen Synode vom 16. Juni 1410 und mit ihrer Drohung an den Erzbischof von Prag, sich gegebenenfalls hilfesuchend an den König zu wenden, kehrte somit nach langen Monaten Wenzel IV. auf die Bühne zurück – als Beschützer der akademischen Freiheit und als oberster Schiedsrichter in Glaubenssachen. Es ist allerdings ein anderer König als im Januar 1409. Das Pisaner Konzil und Papst Alexander V. hatten ihn als römischen König anerkannt. Wenzel trat nun auch als römischer König auf. Ausdruck seiner Rückkehr zur Reichspolitik war v. a. sein Vermittlungsversuch im Konflikt des Deutschherrenordens mit dem polnischen König Władysław II. Jagiełło bzw. mit der polnisch-litauischen Union. Im Herbst 1409 sah es noch so aus, als ob Wenzels neu erlangte römische Königswürde und Autorität Erfolg haben werde. Seinen Gesandten war es nämlich am 8. Oktober gelungen, in Bromberg (poln. Bydgoszcz) zwischen den verfeindeten Parteien einen Waffenstillstand abzuschließen, der bis zum 24. Juni 1410 dauern sollte. 958 Die Einzelheiten der anschließenden Verhandlungen kennt man leider nicht. Trotz fehlender Quellenbelege existieren Hinweise über Ordensgesandtschaften nach Prag und eine angebliche Bestechung des böhmischen und römischen Königs. Wenzel IV. ergriff jedoch konsequentermaßen die Partei des Legalismus und sprach nach kurzem Zögern am 15. Februar 1410 einen Friedensspruch aus, 959 den die polnische Seite ablehnte. Damit öffnete sie die Tür für die entscheidenden Kämpfe, in denen in Böhmen und in Mähren angeworbene Söldner gegeneinander kämpften. In den folgenden Friedensverhandlungen übernahm Sigismund die Rolle seines Bruders Wenzel. 960 Er hatte sich bereits in den vorangegangenen Jahren als der wahre Erbe der politischen und diplomatischen Fähigkeiten seines Vaters Karl IV. erwiesen und Wenzel aus der großen Reichspolitik verdrängt, obwohl er als Reichsvikar bis zu seiner Wahl
´ 958 Kuczynski, Stefan M.: Wielka Wojna z Zakonem Krzyz˙ ackim w latach 1409–1411 [Der Große Krieg gegen den Deutschen Orden in den Jahren 1409–1411]. Warszawa 1960, 105–108. 959 Seinen Inhalt bringt Ioannis Dlugossii. Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae, liber decimus et liber undecimus: 1406–1412. Hg. v. Marian Plezia. Varsaviae 1997, 50–53. 960 Nowak, Zenon Hubert: Polityka północna Zygmunta Luksemburskiego do roku 1411 [Die nördliche Politik Sigismunds von Luxemburg bis zum Jahre 1411]. Toru´n 1964, 92–116.
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zum römischen König 961 nur in Wenzels Namen agierte. Nach dem Fehlschlag seiner Vermittlungsbemühungen im Konflikt zwischen Polen und dem Deutschherrenorden verfiel Wenzel erneut der politischen Untätigkeit. Auch seine Eingriffe in die kirchlichen und universitären Auseinandersetzungen nach der Verbrennung von Wyclifs Schriften, denen die letzten Seiten dieses Buches gewidmet sein werden, gingen nicht auf seine persönliche Initiative zurück. Das trifft auch auf die Einschränkung der akademischen Freiheit und auf die Disziplinierung der Universitarier durch die Universität zu. In den meisten Fällen wurde der König durch äußere Umstände zu einer Intervention gebracht oder durch Wünsche seiner Höflinge, welche die böhmische Universitätsnation und die böhmischen Reformer unterstützten. Die Geschichte des Kuttenberger Dekretes endete – wie bereits gesagt – mit der erzbischöflichen Anordnung zur Ablieferung der Schriften Wyclifs und zu deren anschließender Verbrennung aufgrund der Empfehlung einer Untersuchungskommission, die aus ranghohen (was die akademischen Grade betrifft) Universitariern bestand. Darauf begann die Geschichte von Hussens Kampf gegen die kirchliche Autorität. Die Hauptakteure dabei waren der Erzbischof von Prag, das Prager Kapitel, die Universitätsmagister und auch die Adligen. Die Universitätsmagister standen zwar grundsätzlich auf Hussens Seite, gehörten aber auch vereinzelt zu seinen Anklägern. Die böhmischen Adligen stellten Hus und seine Anhänger in einer Zeit, in der rebellische Kleriker mit einem Interdikt belegt wurden, entweder unter ihren persönlichen Schutz oder unterstützten sie mittels eines Landtagsbeschlusses und gezielter Druckausübung auf Wenzel IV. Um diese Geschichte hinreichend zu schildern, müsste man aber ein neues Buch schreiben und die Ansichten von Generationen von Historikern revidieren oder bestätigen, wie ich das in den Kapiteln zur concordia nacionum und zum Kuttenberger Dekret getan habe. Solche Ambitionen habe ich aber nicht. Denn dadurch würde es zum Verwischen der internen Verknüpfungen zwischen den korporativ und im Falle von Wenzels Dekret deutlich national motivierten Streitigkeiten an der Prager Universität kommen. Die Folgen des Kuttenberger Dekretes waren unmittelbar spürbar. Die neue Mehrheit an der Universität trat seit der zweiten Jahreshälfte 1409 bis zum Ausbruch der hussitischen Revolution auf eine zugleich kämpferische und defensive Weise gegenüber den kirchlichen Autoritäten auf. Die Einstellung der Magister veränderte sich zudem in dem Augenblick, als die Prager Alma Mater zu einer Universität ohne Studenten wurde. Daher ist auch den Verhältnissen nach dem Kuttenberger Dekret Aufmerksamkeit zu widmen. Sie führten letztlich zum faktischen Untergang der Theologischen Fakultät (dasselbe gilt auch für die Medizinische Fakultät und die juristische Universität, welche das Kuttenberger Dekret scheinbar nicht betraf), 962
961 Zu den politischen Zusammenhängen vgl. Leuschner, Joachim: Zur Wahlpolitik im Jahre 1410. In: DA 11 (1955), 506–553. – Umfassend zu den ersten Jahren der Reichsregierung Sigismunds Baum, Wilhelm: Císaˇr Zikmund. Kostnice, Hus a války proti Turk˚um [Kaiser Sigismund. Konstanz, Hus und die Türkenkriege]. Praha 1996, 86–95. 962 Kejˇr, Dˇejiny pražské právnické fakulty (wie Anm. 78), 105–109.
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zur konfessionellen Umgestaltung der Artistenfakultät und zur zeitweiligen Unterbrechung der pädagogischen Tätigkeit der Universität insgesamt. *** Während jener sechstägigen Frist für die fünf studentischen Appellanten bei der päpstlichen Kurie von 1409 bzw. für alle ihre Anhänger und Inhaber von Wyclifs Schriften hatte ein Teil der Universitarier ihre Manuskripte abgeliefert. Darauf spielt Hus an durch das Zeugnis seiner eigenen Bücherablieferung und in der Appellation vom 25. Juni, als er von der großen Mühe und den Auslagen spricht, die mit dem Einkauf und der Beschaffung von Wyclifs Schriften verbunden waren. 963 Außerdem suchten die Universitätswürdenträger nach Wegen, um die Verbrennung der Manuskripte zu verhindern. Einer davon war die Erneuerung der Erklärung vom 15. Juni 1410 gegen die Bücherverbrennung. Die Universität tat dies symbolisch am 21. Juni, 964 also einen Tag vor dem Ablauf der für die Bücherablieferung festgelegten Frist. Gleichzeitig wandte sie sich an den König. Er hielt sich aber zu dieser Zeit nicht in Prag auf, sondern auf einer seiner beliebten kleinen Burgen. Nach Hussens Konstanzer Zeugnis entsandte der König auf Wunsch der Universität Vertreter zum Erzbischof. Dieser habe Wenzel angeblich versprochen, ohne ausdrücklichen Willen des Königs keinerlei Bücherverbrennungen zu veranlassen 965 und die Ankunft des Markgrafen von Mähren, Jobst von Luxemburg, abzuwarten. 966 Hus und seinen Anhängern war das aber, so scheint es, im gegebenen Augenblick zu wenig. Deshalb entschlossen sie sich zu einem radikalen Vorgehen gegen den erzbischöflichen Erlass vom 16. Juni. Hus hatte sich in seiner Appellation bei der päpstlichen Kurie formal zu den fünf studentischen Appellanten von 1409 bekannt. Da sich inzwischen zwei dieser Studenten und wahrscheinlich auch Marcus von Hradetz dem erzbischöflichen Erlass unterordneten, spricht Hus nun in seinem eigenen Namen und im Namen weiterer sieben Appellanten. Unter ihnen findet man sowohl die drei Studenten Johannes von Landstein, Peter von Valencia und Michael von Drnovitz, die bereits Berufung eingelegt hatten, als auch den Magister Zdislav von Zweretitz und die Bakkalaurei Johannes von Brandeis, Benesch von Lissa und Peter von Sepekau. Auf einer allgemeinen Ebene wurde diese Berufung im Namen aller Getreuen Christi eingelegt. Einbezogen waren damit die ganze Universität, also alle Magister, Doktoren, Lizenziaten, Bakkalaurei und Studenten, ferner alle Adligen, Stadtund Dorfverwalter sowie alle geistlichen und weltlichen Personen, die das erzbischöfliche Vorgehen missbilligten. 967 Bekanntermaßen waren ähnliche Akte unter
963 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 59 (Nr. 17). 964 Die Stellungnahme der Universität in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 386. – Darauf spielt auch Johannes Hus in seiner Appellation an: M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 65 (Nr. 17). 965 Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), 311. 966 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 571. – Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 404. 967 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 57 f. (Nr. 17).
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rechtlichem Standpunkt nur für namentlich genannte Personen verbindlich. Nur gegen diese konnten eventuelle Strafen verhängt werden. So behauptete es übrigens in einem anderen Zusammenhang auch Johannes von Jessenitz. 968 Laut des Instrumentes des öffentlichen Notars Michael Nicolai von Prachatitz wurde diese Berufung in der Bethlehemskapelle in Anwesenheit einiger angegebener Universitätsstudenten eingereicht. Die Berufung war also eine Angelegenheit von Hussens mit der Universität verbundenen Anhängern, wenn auch wahrscheinlich nicht mit der Zustimmung der ganzen Universität. Zwischen der Einreichung der Appellation und der Verbrennung von Wyclifs Büchern im erzbischöflichen Hof auf der Kleinseite am 16. Juli 1410 verstrich beinahe ein Monat. Das lässt erahnen, dass die neue Appellation kein Öl ins Feuer gegossen und auch nicht als Katalysator der erzbischöflichen Entscheidung gewirkt hatte. Der einzige Chronist, der ausführlicher von der feierlichen Verbrennung von etwa 200 Büchern spricht, 969 und zwar bei Glockengeläut, einem „Te Deum“ und in Anwesenheit des Erzbischofs, der Prager Kanoniker und einer großen Anzahl von Klerikern, begründet die Durchführung der Anordnung damit, dass der Markgraf Jobst von Luxemburg lange Zeit ausgeblieben sei. Eine solche Erklärung legt die Vermutung nahe, dass sich der Erzbischof durch die Haltung des Königs gebunden fühlte. Wenn dem tatsächlich so war, dann hätte er sich aber wohl kaum zu einem so radikalen Schritt wie der Exkommunikation (am 18. Juli von Raudnitz aus) von Hus, Zdislav von Zweretitz und allen weiteren Appellanten entschlossen. 970 Ebenso wenig überzeugt das Argument, der Erzbischof habe aus Angst vor einer möglichen Meinungsänderung des Papstes gehandelt. 971 Die Nachricht vom Tod Papst Alexanders könnte gleichwohl einen gewissen Impuls gegeben haben. Hatte doch seine Bulle das Vorgehen des Erzbischofs initiiert. Wie dem auch sei, die Bücherverbrennung rief in Prag heftige Proteste hervor. Es kam auf den Straßen zu Unruhen. Erzbischof Zbynko wurde in Gassenhauern als ungebildet geschmäht. 972 Ob die Situation, wie es das Zeugnis des Stephan von Dolan suggeriert, wirklich erst durch das Einschreiten von König Wenzel beruhigt werden konnte, weiß man nicht. König Wenzel habe angeblich beiden Seiten befohlen, die Ausschreitungen einzustellen, und dem Erzbischof angeordnet, die Magister für die verbrannten Manuskripte zu entschädigen (schon an sich sehr unwahrscheinlich). Viel wichtiger ist an dieser Stelle, dass ein Teil der aktiven Universitätsmagister mit Hus an der Spitze für Ende Juli die Verteidigung einiger verbrannter Schriften Wyclifs ankün-
968 Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 69. 969 Das weitere Echo, das Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 413, registriert, ist eher von annalistischer Art, mit Ausnahme der Reinterpretation der Sicht des Johannes von Jenstein. 970 Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 571 f. – Die Exkommunikation selbst findet sich in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 397–399. 971 Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 412 f.; Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 56. 972 Das Echo auf die Bücherverbrennung und auf die Unruhen in Prag registrieren Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 414 f.; und zuletzt umfassend und treffend Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 241–243.
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digten. Am 27. Juli disputierte Johannes Hus über Wyclifs Traktat „De Trinitate“. Daran schlossen sich in den nächsten Tagen an: Jakobellus von Mies über den „Dekalog“, Simon von Tischnowitz über die philosophische Schrift „De probationibus propositionum“, Johannes von Jitschin über den philosophischen Traktat „De materia et forma“ und Prokop von Pilsen über die an der Universität viel studierte Schrift „De ideis“. Zum Abschluss dieser Disputationsreihe zur Verteidigung der Schriften Wyclifs, am 6. August, widmete sich Zdislav von Zweretitz, damals wie Hus namentlich exkommuniziert, dem vor Jahren so berühmten Traktat „De universalibus“. Dies sollte die Rechtgläubigkeit von Wyclif demonstrieren, aber auch zeigen, dass die erzbischöfliche Anordnung zur Bücherverbrennung die Universitätsmagister nicht eingeschüchtert hatte. Nichts spricht allerdings für nationale Motive, wie Novotný behauptet, 973 auch wenn die Disputation selbstverständlich auch den Schatten des Häresieverdachts von der Universität und vom ganzen Königreich zu entfernen beabsichtigte. Für die Entwicklung an der Artistenfakultät ist es charakteristisch, dass sich der Verteidigung Wyclifs mindestens zur Hälfte jüngere Magister angenommen hatten. Diese neue Generation ersetzte mit diesem demonstrativen Akt die älteren, früher so aktiven Mitglieder der nacio bohemorum. Genauso bedeutsam ist, dass außer Hus, damals Bakkalaureus der Theologie, niemand von den böhmischen Professoren der Theologischen Fakultät Wyclifs Ansichten zu verteidigen suchte. Gemeinsam hätten sie ein Gegengewicht zu der vom Erzbischof zusammengestellten Kommission bilden können. Diese hatte die Verbrennung der theologischen und auch der rein philosophischen Schriften Wyclifs beschlossen oder vielmehr empfohlen. Dasselbe gilt auch für Hussens Quodlibet, das im Januar 1411 die Lebensfähigkeit der Prager Universität nach dem Auszug der deutschen Magister demonstrieren sollte. Stephan von Páleˇc und Simon von Tischnowitz hatten zuvor die Wahl zum Quodlibetarius abgelehnt. 974 Um einen Krach zu verhindern, übernahm schließlich der mit dem Bann belegte Hus die Rolle des Quodlibetarius. In der Eröffnungsrede auf dem Quodlibet legte er seine Motivation dafür offen: Die Universität dürfe – schon um den Gegnern keinen Anlass zu übler Nachrede zu geben – in den Wissenschaften nicht unfruchtbar werden. Laut Hus gab es Versuche, die Abhaltung des Quodlibets zu verhindern. 975 Die Frage ist jedoch, welcher Art diese Versuche waren. Denn der Erzbischof als Universitätskanzler hatte dazu im Unterschied zur Erlaubnis der Magisterprüfungen keine Befugnis. 976 Insofern sind eher Drohungen oder Einschüchterungen in Betracht zu ziehen als ein Verbot. Übrigens konnte der Erzbischof nicht einmal die Verteidigung Wyclifs Ende Juli und Anfang August 1410 verhindern. Und da Anfang 1411 in der Prager Altstadt der bewährte, mehrheitlich
973 Zur Verteidigung von Wyclifs Schriften immer noch am ausführlichsten Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 417–429. 974 MUPr III, 41. 975 Kejˇr, Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 92. 976 Die Rolle des Erzbischofs als des Universitätskanzlers wird in den das Quodlibet betreffenden Fakultätsstatuten überhaupt nicht erwähnt. – MUPr I /1, 65–67, 101 f.
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aus tschechischen Stadtbürgern bestehende Rat an der Macht war, 977 hätte nur die Machtbefugnis des Königs das Quodlibet verhindern können. Dazu bestand aber kein Anlass. Das erhaltene Quodlibethandbuch Hussens rechnet mit dem Vortrag von mehr als 60 Magistern. Allerdings erschienen zwölf von ihnen aus den verschiedensten Gründen nicht. Bei fünf Magistern könnte ausschlaggebend gewesen sein, dass sie sich zu ausgewählten Thesen Wyclifs äußern sollten. Ein beträchtlicher Teil der Fragen, die Hus als Quodlibetarius den Magistern zur Bearbeitung vorgelegt hatte, war nämlich – wie Kejˇr zeigt – im Geiste Wyclifs konzipiert. Die Magister, die ein halbes Jahr zuvor Wyclif verteidigt hatten, bekamen von Hus nahezu identische Fragen. 978 Aus der erhaltenen Abschlussrede von Hus schließt Kejˇr, dass am Ende des Quodlibets möglicherweise wieder Hieronymus von Prag außerhalb der Reihenfolge auftrat. Wenn dem so war, dann löste seine Rede aber kein größeres Echo aus. Das gilt im Übrigen für das ganze Quodlibet. Das Quodlibet des Matthias von Knín blieb in seiner Publizität unerreicht. Das Quodlibet Hussens stellt bis zu einem gewissen Grad zwar ein erneutes Bekenntnis zu Wyclif dar. Zumindest ignoriert es das erzbischöfliche Verbot, über Wyclifs Thesen zu disputieren. Doch konnte es eigentlich kein größeres Aufsehen erregt haben, da es nur an ältere Äußerungen anknüpfte und die mehrheitliche Orientierung der Artistenfakultät widerspiegelte. Von den acht vom Erzbischof exkommunizierten Appellanten trug neben Hus lediglich Zdislav von Zweretitz auf dem Quodlibet vor. Die übrigen waren bis dahin weder Magister noch Regent. Auffallend ist nur die Nichtteilnahme des Marcus von Hradetz. Er zog sich möglicherweise nach seiner Unterordnung unter die Anweisungen des Erzbischofs etwas zurück. Die älteren Magister wie Johannes von Pustimir, Christian von Prachatitz, Johannes von Rischt, Gregor Thomae von Prag, Zdenko von Laboun oder Simon von Tischnowitz nahmen die Einladung zum Quodlibet hingegen an – so auch der Theologieprofessor Stephan von Páleˇc als einer der wenigen aktiv disputierenden Mitglieder der Theologischen Fakultät. Hussens Quodlibet demonstrierte somit gleichzeitig Einheitlichkeit und Eigenständigkeit der Universität im Konflikt mit dem Erzbischof von Prag, und dies trotz des Meinungsspektrums von radikal bis versöhnlich. Aus dieser Korporation gliederten sich nur einige mit Erzbischof Zbynko verbündete Kollegiaten und Kanoniker aus. Nach dem Quodlibet zeigte auch der Konflikt mit dem Altstädter Rat bezüglich der Jurisdiktion über die Universitarier, in den der König eingreifen musste, die Geschlossenheit der Universität auf. Wenzel IV. habe angeblich durch Zdenko von Laboun der Universität ausrichten lassen, bei den Verhandlungen im Rathaus genüge die Anwesenheit von 12–16 Magistern. Dazu gehörten neben Rektor Jakob von Sobieslav auch der Dekan der Theologischen Fakultät Johannes von Hildesheim und die Theologen Peter von Znaim und Stanislaus von Znaim, ferner der Dekan der Ar-
977 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 134. ˇ CH ˇ 44 (1938), 267–295, hier 272 f.; Kejˇr, 978 Flajšhans, Václav: M. Io. Hus: Quodlibet 1411. In: C Kvodlibetní disputace (wie Anm. 53), 93.
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tistenfakultät Peter von Politz, Johannes Hus und weitere Magister. Hus wird hier als Quodlibetarius bezeichnet. 979 Das lässt vermuten, dass die älteren, das ungebührliche Benehmen von Studenten betreffenden Streitigkeiten gerade zu Hussens Quodlibet ihren Höhepunkt erreichten. Das einheitliche Vorgehen der Universität belegen auch die von der Universitätsgemeinde an die Kurie gesandten Fürspracheschreiben, sofern sie echt sind. 980 Unter diesen Schreiben fällt besonders einer der angeblich aus der Kanzlei Wenzels IV. stammenden Texte auf, in dem sich der König für die Erlaubnis der Gottesdienste in der Bethlehemskapelle einsetzt und dem Papst rät, er möge Hus vor dem Gericht der Universität oder vor einem anderen einheimischen Gericht richten lassen. 981 Dies ist zwar höchst unwahrscheinlich, doch können hier damals herrschende Ansichten durchscheinen, nach denen die Universität zur obersten Richterin in Glaubensangelegenheiten werden sollte. Die einheitliche Haltung der Universität beeinflusste sicher auch den neuen Konflikt mit dem Erzbischof. Dieser war nach der Bücherverbrennung nicht in der Lage, seine Standpunkte durchzusetzen. Außerdem beachtete in Prag fast niemand seine neuen, durch eine Anordnung des Kardinals Colonna bedingten Exkommunikationen. 982 Im gegebenen Augenblick war es aber der König, der sich zum Handeln entschloss, wenn auch wohl nicht aus eigenem Antrieb, sondern vielmehr unter dem Einfluss seiner Ratgeber. Hier tritt nun Voksa von Waldstein in das Licht, ein Freund des Hieronymus von Prag. Am 28. April, dem Tag der Reliquienweisung, ließ der König nämlich auf dem Neustädter Ring nahe der Fronleichnamskapelle die Beschlagnahmung der Renten und Einkünfte der Kanoniker des Prager Kapitels, des Allerheiligenkapitels und aller Prager Pfarrer verkünden, deren Taten das Königreich Böhmen schadeten und auf dieses den Verdacht der Ketzerei lenkten. 983 Der Erzbischof reagierte darauf in üblicher Weise. Die Vollstrecker der königlichen Anordnung sollten mit dem Bann belegt werden. 984 Der König und seine Ratgeber waren jedoch nicht bereit nachzugeben. Nach den sicher oft übertreibenden Annalen ordnete Wenzel IV. die Visitation aller kirchlichen Güter an und ließ kirchliches 979 MUPr III, 41 f. 980 Kopiˇcková, Božena/Vidmanová, Anežka: Listy na Husovu obranu z let 1410–1412. Konec jedné legendy? [Briefe zu Hussens Verteidigung aus den Jahren 1410–1412. Ende einer Legende?]. Praha ˇ CH ˇ 98 (2000), 355–359; 1999. Zu deren Echtheit vgl. die Besprechung František Šmahels in: C Poˇrízka, Aleš: Listy na obranu Husovu ze 12. záˇrí až 2. ˇríjna 1410. Konec druhé legendy [Briefe zu Hussens Verteidigung vom 12. September bis 2. Oktober 1410. Ende einer zweiten Legende]? ˇ CH ˇ 99/4 (2001), 701–724. In: C 981 Kopiˇcková/Vidmanová, Listy na Husovu obranu (wie Anm. 980), 54: „coram tota Universitate pragensi, ad sibi obicienda humiliter respondere“. Hier muss man hinzufügen, dass Hus in seinem Schreiben an den Papst und an die Kardinäle seine Bereitschaft zum Ausdruck bringt, sich dem Urteil der Prager Universität unterzuordnen (ebd., 68). – Dazu vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 495; Kejˇr, Husitský právnik M. Jan z Jesenice (wie Anm. 52), 54. 982 Der Erlass des Kardinals Odo Colonna ist herausgegeben in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 401–408. 983 Horˇciˇcka, Eine Handschrift des Klosters Ostrow (wie Anm. 589), 322; Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 572. 984 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 429–431.
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Vermögen beschlagnahmen. Dabei sollen seine Beamten manche Kleriker misshandelt haben. In Prag seien die Pfarrpriester angeblich gefangen genommen und auf das Rathaus geführt und ihre Pfarrhäuser geplündert worden. 985 Der König persönlich habe dann den Schatz des St. Veitsdoms beschlagnahmt und ihn nach Karlstein fortschaffen lassen. Am 5. Juni reagierte auch der Landtag auf die gegebene Lage. Er verbat per Erlass, in „Landessachen“ vor kirchliche Gerichte vorzuladen, und drohte bei Nichteinhaltung der Anordnung mit der Beschlagnahmung von Vermögen und Einkünften. Ob dieser Erlass jedoch für den Erzbischof eine wirkliche Bedrohung bedeutete, ist unsicher, denn ganz am Schluss heißt es: „Denn ihre königliche Gnaden und die Herren wollen, dass in Landessachen das Gericht vor ihnen stattfindet, und in geistlichen Sachen vor dem Erzbischof, wie es seit eh und je gewesen war.“ 986 Erst mit einem überraschend langen zeitlichen Abstand antwortete der Erzbischof auf die Maßnahmen des Königs. Er verhängte das Interdikt über Prag, 987 das jedoch wie die Exkommunikationen nicht eingehalten wurde. Dies interessiert aber nur aus dem Grund, weil es sich hier um eine Kompromisslösung handelt, auf die sich später Johannes Hus und Johannes von Jessenitz bei allen Streitigkeiten und Verteidigungen berufen werden. 988 Im Altstädter Minoritenkloster ordneten sich nämlich am 3. Juli 1411 die Universitätsvertreter in den strittigen Punkten dem Schiedsspruch von König Wenzel IV. und der von ihm bestellten Schiedskommission 989 unter. Deren Mitglieder waren der sächsische Herzog Rudolf III., der Gesandte Sigismunds von Luxemburg, der damals auch Schiedsrichter zwischen dem Deutschen Orden und dem polnischen König war, Honorius von Stiborzicz, der Obersthofmeister Latzek von Krawarn, der Bischof von Olmütz Konrad von Vechta, der Münzmeister Peter Zmrzlík von Svojšín (Schweißing) und der aus der Zeit des Kuttenberger Dekretes gut bekannte Nikolaus, genannt der Reiche. Zu den eher versöhnlich agierenden Universitariern gehörten der Rektor Simon von Tischnowitz, der Dekan der Artistenfakultät Thomas von Lissa, Stephan von Páleˇc, Marcus von Hradetz, Martin von Prag, Michael von Malenitz, Kardinal Johannes von Reinstein, Johannes Schindel und auch Johannes Hus im Namen aller Appellanten. Es handelte sich also um Magister der älteren Generation. Sie beabsichtigten eine möglichst schnelle Schlichtung der Streitigkeiten, am besten wohl einen Kompromiss. Am selben Tag ordnete sich dann auch der Erzbischof mit einigen Kanonikern dem Spruch der Friedenskommission unter. Nach diesem sollte 985 Die verstreuten Belege erneut bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 481. 986 Reliquiae tabularum terrae Regni Bohemiae anno MDXLI igne consumptarum. 2 Bde. Hg. v. Josef Emler. Pragae 1870–1872, hier Bd. 1, 80. 987 Horˇciˇcka, Eine Handschrift des Klosters Ostrow (wie Anm. 589), 323; Geschichtsschreiber (wie Anm. 30), hier Bd. 2, 64. – Dazu vgl. Nováˇcek, Václav J.: O interdiktu v Praze r. 1411 [Über das ˇ CH ˇ 9 (1903), 320–322; Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Interdikt in Prag 1411]. In: C Bd. 1, 483–488; Kejˇr, Hus˚uv proces (wie Anm. 64), 67 f. 988 Beispielsweise in „Ordo procendi“, herausgegeben in: M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 231 f. (Nr. 101). 989 Die Zusammensetzung der Friedenskommission bei Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 491 f.
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Das Kuttenberger Dekret
sich der Erzbischof aber nicht nur dem König unterordnen, sondern auch dem Papst schreiben, es gebe im Lande weder Irrlehren noch Irrgläubige; insofern seien alle mit dem päpstlichen Bann belegten Personen durch die päpstliche Gewalt zu absolvieren. Seine eigenen Bannsprüche und das Interdikt hatte der Erzbischof selbst aufzuheben. Das beschlagnahmte priesterliche Vermögen sollte der Kirche zurückgegeben, und die eingekerkerten Priester sollten freigelassen werden. 990 Für die Universität war es dann wichtig, dass der Erzbischof künftig alle ihre Rechte respektieren sollte, die ihr von Kaiser Karl IV. gegeben worden waren, also die volle Universitätsautonomie. 991 In der Kommission saßen neben den Geistlichen (dem Bischof von Olmütz Konrad von Vechta, dem Propst von Chotieschau [tschech. Chotˇešov] Sulek, dem Manetiner Kommendenverwalter Bohusch) auch weltliche Personen. Ihr Schiedsspruch stellt einen weiteren bedeutenden Eingriff des Königs zur Lösung von rein kirchlichen Auseinandersetzungen dar. Wenzel IV. nahm sich hier also das Recht heraus, Streitigkeiten zu richten, die eigentlich Landesangelegenheiten berührten 992 und sowohl den Erzbischof als auch die Universität zu disziplinieren. Die Universitätsmagister akzeptierten den Spruch aufgrund der königlichen Vollmacht, wie sie auch im Kuttenberger Dekret und in der „Defensio mandati“ ausgedrückt ist. Der König schützte sie gegen die Disziplinierungsversuche des Erzbischofs und seines Kapitels. An keiner Stelle dieser Friedenslösung findet sich ein Echo der Streitigkeiten um das Kuttenberger Dekret. Nur einmal erwähnt Hus die Ursachen des Weggangs der deutschen Magister im Jahre 1409 in seinem Verteidigungsschreiben an Papst Johannes XXIII., 993 um die Aufhebung der persönlichen Zitation und der Exkommunikation zu erreichen. In diesem Schreiben sagt Hus seine Bereitschaft zu, Rechenschaft über seine Taten vor der Universität und vor einer Schar Prälaten abzulegen, falls er von irgendeinem von ihnen wegen irgend etwas beschuldigt worden sei. 994 Die bei der Lektüre des Schiedsspruches auffällige Geschlossenheit der Universität war jedoch nach nicht einmal einem Jahr völlig dahin. Die Flucht des Erzbischofs und seine Verschleppung der Verpflichtungen aus dem Schiedsspruch 995 übten wenig Einfluss darauf aus, sondern eher die positive Einstellung des Königs zum Verkauf
990 Der Friedensspruch findet sich in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 437–439. – Die zeitgenössischen Nachrichten darüber enthalten die Eintragungen des Klosters Ostrow (Insula): Horˇciˇcka, Eine Handschrift des Klosters Ostrow (wie Anm. 589), 324. – Zum Friedensspruch zuletzt Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 249 f. 991 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 438: „Item damit der Rektor der Prager Hohen Schule mit seinen Doktoren und Magistern auch bei ihren Rechten und Freiheiten bleiben, die sie von den Päpsten und vom verstorbenen Kaiser und vom König bis heute besitzen.“ 992 Darauf hat Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 1, 492 f., aufmerksam gemacht, der als Erster den bereits erwähnten Erlass des Landesgerichtes vom 5. Juni 1411 auf das Problem bezogen hat. 993 M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 97 (Nr. 31). 994 Kopiˇcková/Vidmanová, Listy na Husovu obranu (wie Anm. 980), 68. 995 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 441–446.
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päpstlicher Ablässe in Prag im Jahre 1412. 996 In dem daraus entstandenen Streit stellte sich die Theologische Fakultät in der Person des Dekans Stephan von Páleˇc und des Professors Stanislaus von Znaim hinter den König und in der Folge auch die ganze Universitätskongregation. 997 Hus, der nicht bereit war, sich dieser Entscheidung unterzuordnen, kündigte für den 17. Juni eine öffentliche Disputation zur Ablassfrage an. Sie fand dann auf dem Campus im Karlskolleg statt. 998 Die Theologieprofessoren hatten die Disputation um jeden Preis zu verhindern versucht. Ihrem Zeugnis nach ermahnten sie zunächst Erzbischof Albík von Uniˇcov, er solle doch die Disputation abwenden. Nachdem das Haupt der Landeskirche dies abgelehnt hatte, machte die Theologische Fakultät allen ihren Bakkalaurei, also auch Hus, öffentlich bekannt, nicht gegen päpstliche Bullen aufzutreten. 999 In diesem Zusammenhang ist nicht so sehr Hussens Argumentation gegen die päpstliche Bulle wichtig, auch nicht die von Hieronymus von Prag initiierte Demonstration gegen die Ablässe, an der viele ihm ergebene Studenten teilnahmen, sondern vielmehr die Position der Theologischen Fakultät. Ihre Repräsentanten, v. a. Stephan von Páleˇc und Stanislaus von Znaim, traten nämlich bis zum Juni 1412 gemeinsam mit den übrigen Magistern der nacio bohemorum auf und setzten sich im Konflikt mit dem Erzbischof für die Erhaltung der akademischen Freiheit ein. Was sie persönlich dazu motiviert hat, von einem Tag auf den anderen die freundschaftlichen Beziehungen zu Hus abzubrechen, weiß man nicht. Es scheint jedoch, dass ihr Positionswechsel nicht allzu sehr von den unterschiedlichen theologischen Ansichten herrührte oder von der so oft betonten Angst vor den Folgen des Widerstandes gegen die päpstliche Autorität. Waren sie doch an der Wende von 1408/09 mehrere Monate eingekerkert. Ausschlaggebend war für sie meines Erachtens der autoritäre Eingriff des Königs in den Streit mit Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg. Er überantwortete damit der Universität die Rolle eines Richters in kirchlichen Angelegenheiten mit hoher und vielleicht auch mit höchster Autorität. Die Theologieprofessoren hielten sich mehr und mehr für die Repräsentanten dieser gerichtlichen Autorität, wohl auch unter dem Einfluss der alten, vor dem Kuttenberger Dekret herrschenden Gewohnheiten, als die Theologische Fakultät auf der symbolischen und auch auf der faktischen Ebene Vorrang vor den übrigen Fakultäten genossen hatte. Wenzel IV. war für sie weiterhin der oberste Richter. Seine Politik, so wurde ihnen klar, prägten aber nicht ihre Reformideen, sondern mehr das Bemühen zur Erhaltung des Status quo und zur Reinwaschung des Landes nach mehreren Jahren des Häresieverdachtes. Möglicherweise waren die beiden Theologieprofessoren als Angehörige der älteren Universitätsgeneration der perma-
996 Zur Ablassaffäre zuletzt Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 252–254, mit Verweis auf ältere Literatur. 997 Die Stellungnahme der Theologischen Fakultät ist abgedruckt in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 448–451. 998 Zur Disputation und zur Haltung des Stephan von Páleˇc und des Stanislaus von Znaim vgl. Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 89–93; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 254 f. 999 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 449.
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Das Kuttenberger Dekret
nenten Streitigkeiten auch überdrüssig geworden, welche das universitäre Geschehen bereits mehr als zehn Jahre begleiteten. Deshalb suchten sie lieber die Nähe des Königs, den sie nach dem Erlass des Friedensspruches vom Juli 1411 als den einzigen Garanten des allgemeinen Friedens betrachteten. Beleidigte Eitelkeit wegen des Verlustes ihres früheren Einflusses mag ebenfalls eine Rolle dabei gespielt haben. Denn die Führung der nacio bohemorum beanspruchte zum gegebenen Zeitpunkt ganz eindeutig Hus. Ihre Beweggründe waren also eher pragmatischer als persönlicher Natur. Die Versuche, die Disputation über die päpstliche Bulle in Form öffentlicher Bekanntmachungen und Strafandrohungen zu verhindern, konfrontierte das universitäre Umfeld mit Praktiken, die in der Zeit vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes von den Universitariern noch selbst angewandt wurden bzw. von den einzelnen Universitätskorporationen. Stephan von Páleˇc und Stanislaus von Znaim wollten jedoch noch einen Schritt weiter gehen und versuchten, kraft der Machtbefugnis der Theologischen Fakultät auch die Artistenfakultät zu beaufsichtigen. König Wenzel sollte ihnen dabei behilflich sein wie einst 1409–1411 (für die ganze Universität). So wandte sich die Theologische Fakultät mit dem Gesuch an den König, er möge mit Strenge eingreifen, weil das Verhalten Hussens und seiner Anhänger die königliche Ehre und den guten Namen des ganzen Königreiches bedrohe. Gleichzeitig ermahnten sie den König und den Erzbischof, abermals gegen die Verkündung von Wyclifs Thesen einzuschreiten, und zwar sowohl an der Universität als auch in Predigten. Dies sollte in den Intentionen geschehen, wie sie einst die Universität beschlossen hatte. Ihre Verbindlichkeit für alle Universitarier und Kleriker müsse gestärkt werden, und zwar unter der Strafe des Bannes und der Ausweisung aus dem Lande. 1000 Den 45 Artikeln Wyclifs fügte dann die Theologische Fakultät sieben weitere an. 1001 Sie waren verbindlich einzuhalten. Sechs von ihnen betrafen Glaubensangelegenheiten. Der siebte trug den Charakter einer allgemeinen Unterordnung unter den König und den Altstädter Rat. Die Attacke der Theologischen Fakultät gegen die übrigen Universitarier, also v. a. gegen die Reformer, glückte. Der König hatte nämlich am 10. Juli auf der Burg Bettlern einen Erlass veröffentlicht, der die Verurteilung der 45 Artikel Wyclifs guthieß, und einen neuen Stadtrat ernannt, in dem sowohl die Deutschen als auch die Gegner der Reformbewegung gestärkt hervorgingen. 1002 Dieser Rat ließ dann – um im Sinne des Königs die Unruhen in Prag zu unterdrücken – einen Tag später drei Jünglinge hinrichten, die des Auftretens gegen Prediger beschuldigt worden waren. 1003
1000 Umfassend zu den Verhandlungen auf der Burg Bettlern und zu den Disziplinierungsvorschlägen der Theologen Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 113–115. 1001 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 451–456. Der letzte, siebte Artikel lautet (ebd., 456): „Item, quod mandatum domini nostri regis et dominorum civium de eo, quod nullus clamaret contra praedicatores, nec contra bullas papae, est et fuit justum, reationabile atque sanctum.“ 1002 Mezník, Praha pˇred husitskou revolucí (wie Anm. 525), 161–164. 1003 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 256 f., der die Ansichten von Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 116–122, damit revidiert. Dieser habe seines Erachtens den Widerstand
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Die folgenden Wochen und Monate haben allerdings gezeigt, dass die sich so sehr auf die Unterstützung Wenzels IV. verlassenden Professoren der Theologischen Fakultät in eine Falle geraten waren. Hussens Partei an der Artistenfakultät war nämlich nicht bereit, sich den Disziplinierungsbemühungen der Theologiedoktoren unterzuordnen und ihnen die oberste Richtergewalt in Glaubensangelegenheiten zuzubilligen. Die theologischen Streitereien führten auf beiden Seiten zur endgültigen Ausformung unvereinbarer ekklesiologischer Vorstellungen und Ansichten. In einer freien akademischen Welt hätten sie zwar koexistieren können. Doch in einem Umfeld, das einerseits von den Disziplinierungsmaßnahmen der päpstlichen Kurie beeinflusst wurde und anderseits von der mehrdeutigen Politik Wenzels IV. und seiner reformorientierten Höflinge und Adligen, die sich mehr und mehr des Schutzes der vom Papst angegriffenen Kleriker mit Hus an der Spitze annahmen, war ein Konflikt unvermeidlich. Aus diesem konnte nur eine Seite als Siegerin hervorgeˇ hen. Zu Beginn des Jahres 1413, als in Böhmisch Brod (tschech. Ceský Brod) eine Versammlung von Klerikern zusammentrat, um einen Vergleich zwischen Hus und den Theologieprofessoren zu erreichen, war mehr als klar, dass keine der Parteien nachgeben würde. 1004 Einen Kompromiss schlugen die Universitarier von der Artistenfakultät vor. Erneut wurde das Modell einer Friedenskommission gewählt, die allerdings jetzt nur aus Geistlichen bestehen sollte. In ihr sollten der Erzbischof Albík von Uniˇcov, der Propst des Allerheiligenkapitels, der ehemalige Rektor Zdenko von Laboun, der Wyschehrader Propst Jakob und der amtierende Rektor Christian von Prachatitz entscheiden. Die beiden verfeindeten Parteien, die auf der einen Seite durch Stanislaus von Znaim, Stephan von Páleˇc, Peter von Znaim und Johannes Eliae und auf der anderen Seite durch Johannes von Jessenitz als Hussens Prokurator, Jakobellus von Mies und Simon von Tischnowitz repräsentiert wurden, akzeptierten vorab die bedingungslose Unterordnung unter das Urteil. Andernfalls käme es zu einer Geldstrafe von 1000 Silberbarren und zur Ausweisung aus dem Lande. Gleich zu Beginn der Verhandlungen brach jedoch ein Streit um die Definition der Kirche und um den Gehorsam gegenüber den kirchlichen Autoritäten aus. Hier zeigte sich, dass die Theologen nicht bereit waren, von ihren Ansichten abzurücken und sich dem Friedensspruch unterzuordnen. Dabei bedienten sie sich der Ausrede, hierzu von der Theologischen Fakultät nicht bevollmächtigt worden zu sein. 1005 So verlangten sie die Einberufung einer Vollversammlung der Fakultät, die dann über die Annahme des Friedensspruches befinden sollte. Sie waren sich offensichtlich ihrer ablehnenden Haltung ganz sicher. Die Friedensrichter konnten im Sinne der vorläufigen Vereinbarungen über die bedingungslose Unterordnung unter ihren Spruch nichts anderes tun, als dem König davon zu berichten, dass die Theologenpartei im Unterschied zu
gegen den Herrschererlass überschätzt und die Passivität der Anführer der Reformpartei zu sehr betont. 1004 Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 261 f. 1005 Ausführlich zum Streit Novotný, M. Jan Hus (wie Anm. 41), hier Bd. 2, 244–255.
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Das Kuttenberger Dekret
der Gegenpartei den Kompromiss nicht akzeptieren wolle. 1006 Der erboste König verwies daraufhin alle vier Theologen des Landes wegen Störung des Landesfriedens. Nach den sich hinziehenden Streitigkeiten um das Kuttenberger Dekret bevorzugte er schnelle und radikale Lösungen, ohne sich über die möglichen Folgen den Kopf zu zerbrechen. Der Universität und den Magisterkollegien befahl er dann den Ausschluss dieser Theologen aus ihren Reihen und die Ernennung neuer Kollegiaten an deren Präbenden. 1007 Dadurch kehrte das Kuttenberger Dekret auf die Bühne zurück. Gegen die Magister, die nicht bereit waren, sich der Entscheidung des Königs unterzuordnen und den Kompromiss zu akzeptieren, wurden die gleichen Mittel wie gegen die deutschen Magister eingesetzt: die Ausweisung aus dem Lande und die Beschlagnahmung ihrer Universitätsbenefizien. Die vier Theologen, v. a. Stephan von Páleˇc, wurden dann zu entschiedenen Gegnern der Reformströmung und beschuldigten Hus und seine Anhänger nicht nur der Häresie, sondern auch der Vertreibung der Deutschen aus der Prager Universität. In den beiden folgenden Jahren mit dem Prozess gegen Hus und Hieronymus von Prag auf dem Konstanzer Konzil als ihrem Höhepunkt 1008 lebten die Erinnerungen und die Beschuldigungen wieder auf. Darin spielte die konspirative Tätigkeit der beiden verurteilten Häretiker eine sehr bedeutsame, unter dem Gesichtspunkt des Verdachts der Ketzerei aber freilich nur zweitrangige Rolle. Die Prager Universität wehrte sich gegen die Angriffe von außen. Sie führten trotzdem zur Einstellung ihrer Tätigkeit in den Jahren 1417/18 durch den Papst. 1009 Kurz vorher hatte die Universität sich am 10. März 1417 noch in einer feierlichen Deklaration zum Laienkelch bekannt und die Universitarier im konfessionellen Geiste zu disziplinieren versucht, die nicht bereit waren, sich dieser Entscheidung unterzuordnen. Die Universitarier scheinen vom Vorgehen des Erzbischofs Zbynko Zajíc von Hasenburg gegen die Reformer der böhmischen Universitätsnation gelernt zu haben. Zum Opfer dieser universitären Disziplinierung wurde Peter von Mährisch
1006 Umfassend ebd., 275–305. – Weitere Bemerkungen, die Quellen und die neue Literatur zusammenfassen, bei Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 265 f. 1007 Das Dekret Wenzels IV. ist nur in einer Abschrift erhalten in Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 5, 575–579. – Zu seiner Datierung vgl. Sedlák, M. Jan Hus (wie Anm. 481), ˇ 276 f.; Bartoš, Cechy v dobˇe Husovˇe (wie Anm. 43), 366 f.; Šmahel, Husitská revoluce (wie Anm. 71), 346, neigt zu Bartoš’ Datierung in die Zeit vor Ostern. 1008 Außer František Šmahel haben zuletzt den Konstanzer Prozess gegen Hieronymus von Prag in breiteren Zusammenhängen bewertet Brandmüller, Walter: Das Konzil von Konstanz 1414– 1418. Bd. 2: bis zum Konzilsende. Paderborn u. a. 1997, 115–139; Miethke, Jürgen: Die Prozesse in Konstanz gegen Jan Hus und Hieronymus von Prag – ein Konflikt unter Kirchenreformern? In: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter. Hg. v. František Šmahel. München 1998, 147–167. 1009 Kejˇr, Jiˇrí: Deklarace pražské univerzity z 10. bˇrezna 1417 o pˇrijímání pod obojí a její historické pozadí [Deklaration der Prager Universität vom 10. März 1417 über das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und ihr historischer Hintergrund]. In: SH 8 (1961), 133–156, hier 152 f., mit Überlegungen zur Datierung der Suspension der Rechte der Prager Universität.
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Neustadt. 1010 Er soll, wie man später behauptete, durch Folter gezwungen worden sein, sich zur Deklaration der Prager Universität über das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu bekennen. 1011 Bei seiner Abschwörung der Häresie, so bezeichnete er seine früheren Positionen, tat er Buße wegen seiner Beschuldigungen des Johannes Hus und des Hieronymus von Prag in Konstanz und wegen seines offenen Auftretens gegen den Laienkelch, den er nun als rechtgläubig anerkannte. Seine Erklärung gab er auf der Vollversammlung der Universität ab. Dabei bat er die Universität, ihm eine Strafe für sein Vergehen aufzuerlegen, und um die Ausfertigung eines ausführlichen notariellen Instrumentes. Damit sollten alle Vermutungen über einen etwaigen Zwang bei seiner Abschwörung im Keim erstickt werden. Das Auditorium bei Peters Abschwörung war nicht nur auf Universitarier beschränkt, auch Vertreter des Stadtrates waren anwesend, ähnlich wie am letzten Tag des Quodlibets von Matthias von Knín. 1012 Auch hier scheinen die Magister aus Matthias’ Fall gelernt zu haben. Der Erzbischof hatte damals die Ausfertigung eines notariellen Protokolls über die Prozessführung verboten. Und im Unterschied zu jener halbprivaten Abschwörung machten die Magister nun Peters Abschwörung noch öffentlicher als üblich. Davon zeugt im Übrigen auch die Tatsache, dass sich seine Abschwörung und sein Bekenntnis zur Deklaration der Prager Hohen Schule in zeitgenössischen Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Tschechische und ins Deutsche erhalten haben. Sie sollten die Einheit der Prager Hohen Schule im einheimischen und auch im auswärtigen außeruniversitären Umfeld propagieren, letztlich im ganzen durch die hussitische Häresie beunruhigten christlichen Europa. Die spektakuläre Abschwörung des Peter von Mährisch Neustadt und die fehlende Mitwirkung des Erzbischofs Konrad von Vechta an diesem Akt gaben deutlich zu erkennen, dass in Glaubensangelegenheiten künftig ausschließlich die Prager Universität die Jurisdiktion über die Universitarier ausüben wird. Sie verstand sich als oberste Richterin, als höchste und einzig rechtgläubige Autorität, die sich auf Gottes Gesetz und auf seine durch Menschen nicht anzweifelbaren und widerlegbaren Bestimmungen stützte. Die rituelle Gestalt dieses Aktes und das Bemühen um seine Visualisierung durch drei sprachlich eigenständige Berichte kündigten die Betonung des Öffentlichkeitscharakters aller zukünftigen Maßnahmen gegen offensichtliche Verfehlungen (zu denen selbstverständlich auch die Häresie zählte) an. Dies spiegelte sich dann in entwickelter Form in der Prämisse eines der Vier Prager Artikel wider, in der öffentlichen Bestrafung von Todsünden.
1010 Zu seiner Abschwörung zuletzt Bok/Löser, Der Widerruf des Peter von Uniˇcov (wie Anm. 75), 231–250, mit Berücksichtigung des Stanislaus von Znaim und des Matthias von Knín. 1011 Zu ihr umfassend Kejˇr, Deklarace pražské univerzity (wie Anm. 1009), v. a. 145–150. 1012 Bok/Löser, Der Widerruf des Peter von Uniˇcov (wie Anm. 75), 238: „Coram tota universitate studii Pragensis et in praesentia scabinorum et consulum ac communitatum omnium civitatum Pragensium.“ Ein anderes Manuskript spricht sogar von der Anwesenheit des königlichen Rates, „consilio regis“.
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Das Kuttenberger Dekret
In Wirklichkeit bedeuteten jedoch die Universitätsdeklaration vom 10. März 1417 und das erzwungene Bekenntnis des Peter von Mährisch Neustadt zum Laienkelch das Ende der akademischen Freiheit. Ihre Beschneidung hatte bereits im Jahre 1410 begonnen und steigerte sich durch die königlichen Eingriffe in die Streitigkeiten zwischen dem Erzbischof und der Universität bzw. zwischen den Professoren der Theologischen Fakultät und den übrigen Universitariern in den Jahren 1411–1413. Im Kern hatte die Deklaration mit dem Kuttenberger Dekret nichts gemein. Sie war lediglich eine Folge der neuen Verhältnisse an der Universität. Dabei wurde der national zugespitzte Konflikt der böhmischen Universitätsnation mit den drei deutschen Universitätsnationen durch den Konflikt zwischen den Anhängern der Kirchenreform und den Anhängern der alten kirchlichen Autoritäten und Ordnungen ersetzt. Obwohl das manche Magister, die im Sommer 1409 Prag verlassen hatten, behaupteten, war die Ursache der Zerstörung der Prager Hohen Schule nicht das Kuttenberger Dekret allein, sondern auch die kompromisslose und zuletzt beinahe brudermörderische Haltung der Mitglieder der böhmischen Universitätsnation. Sie waren 1409 in ihrem Bemühen, das königliche Dekret umzusetzen, einheitlich vorgegangen und hatten diese Einheit bis zum Juni 1412 nach außen aufrechterhalten und verkündet. Die Demontage der Prager Hohen Schule äußerte sich im massiven Rückgang der Immatrikulationszahlen, im Untergang der Theologischen Fakultät und anschließend auch der juristischen Universität sowie im Lehrverbot der Dreifakultätenuniversität. Den maßgeblichen Impuls dazu gaben erst der (auf den ersten Blick marginale) Konflikt um die päpstlichen Ablassbullen und die nachfolgende Vertreibung der autoritären Theologiedoktoren aus dem Lande. Das Bekenntnis der Universität zum Laienkelch und die konfessionelle Abschottung der Universität waren v. a. eine Folge gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, die in die hussitische Revolution mündeten. Eine Reihe von Magistern, darunter Jakobellus von Mies, Christian von Prachatitz und Johannes von Pˇribram, bedauerte später ihre Einstellung in den Wendejahren. Aber das scheint wiederum eine Erschöpfungserscheinung durch die ewig andauernden Streitigkeiten gewesen zu sein sowie ein Ausdruck der Tatsache, dass die Reformation und Revolution einen anderen Weg einschlugen, als den, den sie (noch als Radikale) in den Jahren nach dem Kuttenberger Dekret beabsichtigt hatten. Und auf diesen waren die Laien ebenso wie die geistliche Gesellschaft nicht ausreichend vorbereitet. Das Kuttenberger Dekret spielte in ihren Erinnerungen aber keine wesentliche Rolle. Denn es wurde ihrer Meinung nach von viel bedeutenderen Taten religiöser und kirchlicher Natur überlagert. Nicht in jedem Punkt ist aber der Wertsetzung der Prager Universitarier beizupflichten. Ohne das Kuttenberger Dekret hätten die böhmischen Magister nicht einmal zeitweilig eine so umfassende akademische Freiheit genossen und die frühe und vielleicht auch vorzeitige religiöse Reformation gedanklich entwickelt. 1013 Ohne das Kuttenberger Dekret wäre es vermutlich nicht zu einer 1013 Zuletzt zur Auffassung der vorzeitigen Reformation Šmahel, František: Zur Einführung: Häresie und vorzeitige Reformation – causa ad disputandum. In: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter. Hg. v. Dems. unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 1998, VII--XIV.
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so mächtigen Entwicklung des tschechischen Nationalbewusstseins gekommen, das Elemente des modernen Nationalismus trug, auch wenn die Grundsteine dazu bereits lange vor 1409 gelegt worden waren. 1014 Ohne das Kuttenberger Dekret wäre wohl auch die Prager Universität der zunehmenden Regionalisierung der Ausbildung zum Opfer gefallen und allmählich zur Landesuniversität geworden, die immer mehr dem böhmischen König als den Ideen der akademischen Freiheit unterstellt gewesen wäre.
1014 Graus, František: Die Bildung eines Nationalbewußtseins im mittelalterlichen Böhmen (Die vorhussitische Zeit). In: Historica 13 (1966), 5–49; Ders.: Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter. Sigmaringen 1980; Schwinges, Rainer Christoph: „Primäre“ und „Sekundäre“ Nation. Nationalbewußtsein und sozialer Wandel im mittelalterlichen Böhmen. In: Europa slavica, Europa orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag. Hg. v. Klaus-Detlev Grothusen und Klaus Zernack. Berlin 1980, 490–532; Šmahel, František: Lingua et sanguis: pokrevní spoˇ leˇcenství „jazykového národa“ ve stˇredovˇekých Cechách [Lingua et sanguis: Die blutsverwandte ˇ Gesellschaft der „Sprachnation“ im mittelalterlichen Böhmen]. In: CMM 117 (1998), 407–416; Tˇreštík, Dušan: Moderní národ, politický národ vrcholného stˇredovˇeku, ranˇe stˇredovˇeký gens a naše genetické software [Die moderne Nation, die politische Nation des Hochmittelalters, die frühmittelalterlichen Gene und unsere genetische Software]. In: Ders.: Mysliti dˇejiny. Praha 1999, 100–120, 214–219; Nodl, Nacionalismus a národní vˇedomí (wie Anm. 761), 65–105.
VI Schluss: von der „Versöhnung der Nationen“ zum unversöhnlichen Nationalismus Betrachtet man die Universitätsgeschichte durch das Prisma des Kuttenberger Dekretes, dann scheint die Prager Universität von Anfang an eine Konfliktgemeinschaft gewesen zu sein, in der nationale Auseinandersetzungen die philosophisch-theologischen Diskussionen dominierten. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, sofern man den Geschichten eine Stimme zuerkennt, welche das erste Jahrzehnt der Universitätsgeschichte nach dem Erlass des Dekretes als eine Ära unversöhnlicher Konflikte zwischen Böhmen und Deutschen ansehen. Die ehemaligen Prager Magister und Studenten, die nach 1409 an der Heidelberger, Erfurter, Leipziger und Wiener Universität wirkten, sahen im Kuttenberger Dekret nicht nur die Ursache des Verderbens der Prager Hohen Schule, sondern auch den Urgrund der böhmischen Ketzerei. Diese sei durch Johannes Hus, Hieronymus von Prag und ihre Anhänger derartig stark aufgeflammt, dass sie mit ihrer Gewalt das ganze, einst so blühende Land in Asche verwandelt habe. Die Gelehrsamkeit, die Prag unter Karl IV. ausgezeichnet habe, sei verfallen und nach der Vertreibung der Deutschen habe es keinen Weg mehr zurück gegeben. Einem dieser ehemaligen Prager Universitarier zufolge suchten die Böhmen immer nach irgendwelchen Neuerungen, nach irgendetwas Besonderem, mit dem sie sich von den drei deutschen Nationen abgrenzen und mit dem sie gegen diese vorgehen könnten. 1015 Deshalb hätten sie sich so vehement John Wyclif zugewandt und ihn auch gegen die Mehrheit der Universitarier verteidigt, die sich seiner Erzketzerei bewusst gewesen sei. Sämtliche Vorwürfe gegen Hus und Hieronymus beziehen sich aber auf die Tage unmittelbar vor dem Erlass des Kuttenberger Dekretes. Nirgends ist ein Hinweis darauf zu finden, dass die Böhmen vor dem Januar 1409 die „Ausrottung“ der deutschen Sprache und der deutschen Gelehrsamkeit angestrebt hätten, vielleicht mit Ausnahme der Autoren des Memorandums vom Februar dieses Wendejahres. Es reagiert unmittelbar auf den Erlass des Dekretes und behauptet, sofort nach dem Tode von Kaiser Karl IV. seien zwischen der böhmischen Nation und den übrigen Nationen bis dahin völlig unbekannte Zwistigkeiten ausgebrochen. 1016 Diese seien schließlich zum erheblichen Nachteil der drei deutschen Nationen beigelegt worden und hätten dann die Abnahme der Studentenzahlen an der Prager Universität verursacht. Bereits Ende 1408 mussten sich die deutschen Magister dessen bewusst gewesen sein, dass ihre Ablehnung des Pisaner Konzils den Zorn König Wenzels erregen würde. Niemand von ihnen rechnete jedoch damit, dass es zu einer Änderung des Stimmenverhältnisses an der Prager Universität kommen könnte und dass sie durch einen einzigen Federstrich des Königs ihre Präbenden und ihre gleichberechtigte,
1015 Diese Reflexion nachgedruckt bei Bartoš, Husitství a cizina (wie Anm. 440), 255. 1016 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 181.
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paritätische Vertretung in der Universitätsverwaltung verlieren könnten. Vor dem Januar 1409 hatte es nämlich keinerlei Pläne zur Änderung der „Universitätsverfassung“ gegeben. Das Kuttenberger Dekret war also für die deutschen Magister und für die meisten Magister der böhmischen Universitätsnation ein völlig unerwarteter Akt. Man könnte ihn auf die momentane Gemütsverfassung des Königs zurückführen, der im Übrigen während seines ganzen Lebens als unruhig und unergründlich galt. Die deutschen Magister wurden also völlig überrumpelt. Nur mühsam suchten sie einen Ausweg aus dieser Situation, deren Tragweite sie noch gar nicht ermessen konnten. Waren sie doch von einem Tag auf den anderen machtpolitisch zu einer Minderheit geworden, was den Verlust aller Entscheidungsbefugnisse und infolge dessen auch des Zugangs zu den Universitätspräbenden bedeutete. Die ersten Monate nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes schienen zu beweisen, dass Wenzel IV. noch lavierte und zögerte, die darin festgelegten Grundsätze in die Praxis umzusetzen. Möglicherweise entschlossen sich die radikaleren deutschen Magister auch deshalb, die Situation beim Schopfe zu packen und alles auf eine Karte zu setzen, ohne irgendwelche Erfahrungen mit einer derartigen Vorgehensweise zu haben. Die Eingriffe des Königs, also die Einsetzung eines neuen Universitätsrektors und eines neuen Dekans der Artistenfakultät sowie die gewaltsame Beschlagnahmung der Insignien, Universitätsstatuten und -matrikeln, überraschten die deutschen Magister dann genauso wie der eigentliche Erlass des Dekretes Mitte Januar. Einige Studenten legten zwar sicherheitshalber noch ihre Prüfungen in Prag ab und verbrachten dort einen Teil der Ferien, aber auch ihnen blieb dann nichts anderes mehr übrig, als Prag zu verlassen. Speziell der Verlust der Mehrheit und der Vorrangstellung sowie die sich überschlagenden Ereignisse stürzten die deutschen Prager Universitarier in eine Situation, die sie durch harte Anfeindungen gegen die Böhmen zu bewältigen versuchten. Dabei meldete sich ein zugespitzter Nationalismus zu Wort (am stärksten bei Ludolf von Sagan 1017 und Nikolaus Tempelfeld), der manchmal geradezu antislawische Züge annahm (Dietrich von Niem). 1018 Später wurde ihre Haltung noch durch die Verurteilung der böhmischen Ketzerei auf dem Konstanzer Konzil verstärkt. Sie gab ihnen – in ihren Augen – quasi Recht. Das im Jahre 1409 beschädigte Selbstbewusstsein erfuhr nun Genugtuung, zumindest in moralischer Hinsicht. Allerdings sehnte fast niemand von den ehemaligen Prager Magistern und Studenten eine Rückkehr nach Prag herbei. Denn die neuen Universitäten, an die sie gegangen waren, boten ihnen vielfach bessere Bedingungen für ihre akademische Laufbahn. Diese wurden dann bisweilen mit dem Erwerb eines einträglichen Benefiziums gekrönt. Selbst wenn es gelungen wäre, mit Hilfe der Kreuzzüge in Prag und im ganzen Königreich Böhmen die vorrevolutionären Zustände wieder herzustellen, begriffen die Gebildeten doch sicher weitaus besser als die weltlichen Herren und die pragmatischen Prälaten, dass eine Wiederbelebung und Erneuerung der Hohen Schule eine sehr aufwendige, 1017 Loserth, Johann: Beiträge zur Geschichte der husitischen Bewegung. 3. Der Tractatus de longevo schismate des Abtes Ludolf von Sagan. In: AÖG 60 (1880), 343–561, hier 429 f. – Machilek, Ludolf von Sagan (wie Anm. 690), 152–158. 1018 Zur Agitation nach 1410 vgl. Šmahel, Život a dílo Jeronýma Pražského (wie Anm. 65), 107–119.
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langfristige und zudem immer von der Unterstützung des Landesherrn oder der Stadt abhängige Angelegenheit darstellte. War die Sicht der deutschen Magister auf die Situation der Prager Alma Mater vor und nach dem Erlass des Kuttenberger Dekretes folgenschwer, so galt dasselbe unter umgekehrten Vorzeichen auch für die böhmischen Magister. Sie waren in den ersten Tagen und Monaten nach der Einführung des Dekretes von der unerwarteten, von oben herabgesandten „Gerechtigkeit“ wie berauscht. Sie begannen die Geschichte ihres Leides und ihrer Unterdrückung zu erzählen, um sich selbst und ihre Position zu stärken, vielleicht auch um ihr Gewissen zu entlasteten, das durch die Verletzung der concordia nacionum und des Universitätsschwurs aufgewühlt worden war. 1019 Nach dieser Erzählung wurden sie in ihrem eigenen Lande und als dessen wahre Erben in ihren Rechten beschnitten und ausgelacht, und dies obwohl sie an der Universität angeblich die Mehrheit stellten. So behauptete es jedenfalls Johannes von Jessenitz, der Autor der, vom Standpunkt des Nationalismus, radikal modernen „Defensio mandati“. Ebenso negativ empfand Hieronymus von Prag die Situation im Prager Rathaus und im ganzen Königreich. Dort würden angeblich die Deutschen den Ton angeben und alle weltlichen Ämter innehaben. Das wiederum gebe ein schlechtes Beispiel und führe zum Untergang der tschechischen Sprache, also auch des tschechischen Volkes. 1020 Dieselbe Meinung vertrat Johannes Hus und verkündete sie auch von der Kanzel. Er behauptete, die Böhmen seien armseliger als Hunde oder Schlangen, denn sie würden ihr Königreich nicht selbst verwalten. Nach dem göttlichen Gesetz und nach dem Naturrecht sollten sie aber in ihrem Lande die ersten in den Ämtern sein, so wie die Franzosen in Frankreich und die Deutschen in ihren Ländern. 1021 Nach den (zugegebenermaßen nur wenigen) Aussagen aus den Tagen unmittelbar nach dem königlichen Erlass vom Januar, die in Bezug auf den Ausgang des Streites unsicher sind, erhofften und ersehnten sich die böhmischen Magister bereits vor 1409 eine Befreiung von der Unterordnung unter die auswärtigen Nationen. 1022 Eine Verwirklichung dieses Traumes sei jedoch unerreichbar gewesen. Daher herrschte in den ersten Tagen nach der Vertreibung der Deutschen eine derartige Begeisterung und vielleicht auch Freude. 1023 Sie löste die aufgestaute Anspannung der Winter- und Frühjahrsmonate 1409 ab, als die endgültige Entscheidung von König Wenzel noch an einem seidenen Faden gehangen hatte und sich auch noch gegen die einheimischen Reformer hätte wenden können. 1024 Doch schon bald, nachdem die deutschen Rivalen aus dem Carolinum und den anderen Kollegien verschwunden waren und sich die Lage beruhigt hatte, stellte sich ein Verantwortungsgefühl ein. Die eins-
1019 Über dieses Gefühl spricht der Magister Andreas von Brod in den Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 181. 1020 Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 758. 1021 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 177. 1022 Ebd., 81. 1023 Ebd., 183 f. 1024 Es gibt zwei Belege für diese schwer datierbare Haltung Wenzels: Magnum Oecumenicum (wie Anm. 36), col. 312; Fontes rerum bohemicarum (wie Anm. 110), hier Bd. 8, 80.
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tige Minderheit an der Universität war zur Mehrheit geworden. Diese Position der Stärke zeigte sich aber zunehmend bedroht, und zwar sowohl von außen durch die Universitäten, an welche die ehemaligen Prager Magister und Studenten gegangen waren, als auch von innen durch einige konservative Magister und reformfeindlich eingestellte Kanoniker mit Einfluss auf den Erzbischof. So machten schon bald nach dem Weggang der deutschen Magister einheimische Gegner der Reformer für die Vertreibung der Deutschen Hus und seine Anhänger verantwortlich. Daraufhin rechtfertigten Hus und Johannes von Jessenitz erstmals ihr und des Königs Vorgehen. 1025 Einerseits versuchten sie nachzuweisen, dass die Prager Alma Mater aus Sicht der Gelehrsamkeit keinen Schaden erlitten hätte. Anderseits gingen sie durch die Verteidigung Wyclifs zur Konfrontation mit dem Erzbischof über. Zu diesem Zeitpunkt verschwanden auch alle nationalen Akzente in den Äußerungen der böhmischen reformorientierten Magister. Der aggressive Nationalismus verlor an Kraft, da er nach der Änderung des Stimmenverhältnisses in den Universitätsgremien als Mobilisierungsfaktor nicht mehr nötig war. Die starke Abhängigkeit vom König, die in der Abänderung des Schwurs des Rektors und des Schwurs aller Studenten bei der Immatrikulation in einen Treueschwur auf den Herrscher und das Land zum Ausdruck kommt, bestätigte die böhmischen Magister nur in ihrer Überzeugung, dass eine Restauration der Verhältnisse von vor 1409 unmöglich geworden war. Sicherheitshalber tilgten sie in den Universitätsstatuten noch alle Hinweise auf die concordia nacionum und den alten Schwur. Höchstwahrscheinlich ließen sie dort auch den Wortlaut dieses alten allgemeinen Abkommens auskratzen, das von 1385 bis zum Erlass des Kuttenberger Dekretes die tatsächliche Eintracht zwischen den territorial definierten Universitätskorporationen, die sich selbst Nationen nannten, sichergestellt hatte. Die Macht über die Universität brachte also zugleich die Macht über das Gedächtnis mit sich. Dieses Gedächtnis konnte auch dann nicht geändert bzw. revidiert werden, als Wenzel IV. mit den Reformern, die er 1409 noch unterstützt hatte, während der Ablassaffäre fast vollständig brach. Die Ansichten der Universitätsmagister bestimmten zu einem beträchtlichen Maße den historiographischen Diskurs über die Geschichte der Prager Alma Mater, und zwar sowohl auf der tschechischen als auch auf der deutschen Seite. Sie schienen überzeugend zu bestätigen, dass die vorhussitische Universität bis 1409 eine Konfliktgemeinschaft gewesen war, in der zumindest seit den 1380er Jahren die Nationalität der einzelnen Magister eine entscheidende Rolle gespielt hatte. So begann man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Parallelen zwischen den Jahren 1384 und 1409 zu ziehen. In dieser Sichtweise war das Kuttenberger Dekret der logische Höhepunkt der jahrelangen nationalen Auseinandersetzungen. 1026 In ihnen stand die
1025 So Johannes Hus in seinen Predigten in der Bethlehemskapelle und im heute bruchstückhaft erhaltenen Schreiben etwa vom Oktober 1409: M. Jana Husi korespondence a dokumenty (wie Anm. 480), 53 f. (Nr. 15). – Johannes von Jessenitz in der Quästion „Utrum iudex corruptus“, der im Wesentlichen seine in der „Defensio mandati“ vorgelegte Argumentation wiederholt: Kejˇr, Dvˇe studie o husitském právnictví (wie Anm. 51), 4–18. 1026 Svatoš, Obecné uˇcení (wie Anm. 80), 86.
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quantitativ ständig wachsende nacio bohemorum den drei auswärtigen Universitätsnationen gegenüber, die im Zusammenhang mit den Konflikten an der Universität im Jahre 1409 zusammenfassend als nacio teutonica bezeichnet wurden. Heute, da die nationalen Leidenschaften bei der Interpretation der spätmittelalterlichen Geschichte Böhmens endlich abgeklungen sind, kann danach gefragt werden, ob die Prager Alma Mater wirklich ein derartiger Konfliktraum war und ob die Entwicklung vor dem Jahr 1409 tatsächlich zwangsläufig auf diese radikale und für einige auch tragische Lösung zusteuern musste. Diese Fragen versuchte das vorliegende Buch zu beantworten. Es wollte hauptsächlich zeigen, dass der Weg zum Kuttenberger Dekret nicht über ein konflikthaftes Zusammenleben der Universitätsnationen führte und dass die Ursachen der Wende von 1409 v. a. im philosophisch und später auch theologisch verankerten Streit um Wyclif lagen. Dieser Streit bekam erst Anfang des 15. Jahrhunderts einen ausgeprägten nationalen Charakter. 1027 Gegen die böhmischen Reformer, die ursprünglich nur eine Minderheit an der Universität gebildet hatten, positionierten sich sowohl die aktiven, die Reinheit des Glaubens und ihre korporativen Interessen verteidigenden Nominalisten aus den Reihen der drei auswärtigen Universitätsnationen als auch die reformfeindlich eingestellten Prälaten des erzbischöflichen Kapitels sowie einige böhmische Magister, v. a. aus der Theologischen Fakultät. Damit soll aber nicht gesagt werden, dass es an der Universität in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz keine Spannungen gegeben hatte. Sie waren allerdings nicht national konnotiert, sondern besaßen einen ausgeprägten korporativen Charakter. Dieser kam beispielsweise zur Geltung in den Auseinandersetzungen zwischen Juristen und Mitgliedern der weiteren drei Fakultäten, zwischen Angehörigen der einzelnen Fakultäten, die jeweils den Vorrang anstrebten, zwischen Kollegiaten und außerhalb der Kollegien stehenden Universitariern oder zwischen Magister-Regenten und gewöhnlichen Scholaren. Alle diese Auseinandersetzungen hatten sich bis 1409 aber auf einer Ebene bewegt, auf der eine Konfliktlösung noch möglich war. Sie bedrohten in keiner Weise die Existenz der Universität. Hier und da schimmerten zwar auch in diesen korporativen Konflikten Elemente des modernen Nationalismus durch, der auch in den Prager Städten gor. Doch erst der Konflikt um Wyclif und das Hinaustragen des religiös-philosophischen Streits in das außeruniversitäre Umfeld hatten die bisherigen Spannungen in Konflikte verwandelt, die auf die alte, einen Konsens suchende Weise nicht mehr lösbar waren. Das Kuttenberger Dekret fasse ich in meiner Darstellung ausdrücklich als ein diskontinuierliches Phänomen auf, das die alten Universitätsordnungen und -gewohnheiten bewusst zerstörte. Auf eine analytische Weise habe ich v. a. zu zeigen versucht, dass das Kuttenberger Dekret mit den Streitigkeiten der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts nicht genetisch verbunden ist. Diesen Befund verstärken meines Erachtens noch die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Konflikten, die
1027 Zu den philosophischen Disputen um Wyclif vgl. Herold, Pražská universita a Wyclif (wie Anm. 62); Šmahel, František: Die Prager Universität im Mittelalter (wie Anm. 58), v. a. 467–598, mit Verweis auf die sämtliche bisherige Literatur.
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Abb. 16 Siegel der Prager Universität von 1414.
zwei verschiedenen Phasen in der Entwicklung der Prager Universität zuzuordnen sind. 1028 Jeder dieser beiden Zusammenstöße war ein Konflikt sui generis. Die Art der Beilegung hing von der jeweiligen machtpolitischen Konstellation ebenso wie von der jeweils aktuellen Wahrnehmung des betreffenden Konfliktes ab. Während der Streit von 1384 bis 1390 von allen Parteien als universitätsintern wahrgenommen wurde, entwickelte sich der Konflikt um die Rechtmäßigkeit des Kuttenberger Dekretes früh zu einem Konflikt zwischen der Souveränität des Königs und der Freiheit der gesamten Universität. Bestandteil beider Konfliktlösungen war ein individueller bzw. kollektiver Schwur, der bei Nichteinhaltung den Ausschluss aus der Gemeinschaft nach sich zog. Die Eintracht der Nationen war in den 1380er Jahren mit Schiedssprüchen herbeigeführt und durch das Bemühen der gesamten Universität um die Stärkung ihrer rechtlichen Autonomie unterstützt worden. Sie verlor für die böhmische Universitätsnation mit der Stärkung ihres Einflusses unter den aktiven
1028 Ausführlich Nodl, „Smíˇrení národ˚u“ (wie Anm. 109), 261–272.
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Universitariern, also unter den Magister-Regenten, an Bindungskraft. Durch ihre neuen weltanschaulichen Vorstellungen auf der Ebene der Philosophie und Theologie, aber auch hinsichtlich der Reform des religiösen Lebens unterschieden sie sich mehr und mehr von den deutschen Magistern. Deren Stellung wiederum beruhte bisher auf der „Eintracht der Nationen“ und auf der bei allen Wahlen zu den Universitätsämtern allgemein anerkannten und angewandten Parität. Die Solidarisierung des Königs mit den Reformern und somit mit dem einflussreichen und aktiv auftretenden Teil der böhmischen Universitätsnation gefährdete nun diese überkommene Stellung der deutschen Universitarier. Die böhmische Universitätsnation suchte daher unter Mitwirkung des Königs bzw. der König unter Mitwirkung der böhmischen Universitätsnation nach einem neuen Weg zur „Eintracht der Nationen“. Diese sollte sowohl die Ambitionen der Reformer mit ihrer nationalen, auf dem Landes- und dem Sprachenprinzip gegründeten Argumentation befriedigen als auch die Ambitionen Wenzels IV., seine Stellung als römischer König zu restituieren und dann auch die Kaiserwürde zu erlangen. Im Hintergrund aller dieser Überlegungen stand die Regionalisierung der Universitäten in ganz Mitteleuropa, 1029 die früher oder später sicher auch die Prager Universität getroffen hätte. In den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz hatte sie immer wieder ihren universalistischen Anspruch deutlich gemacht. Ihre Repräsentanten exportierten dann auch das Modell des Prager universitären Lebens und Unterrichts im Rahmen dieses Universalismus an die umliegenden, neu gegründeten Universitäten. Diese sollten bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts vom Prager Studium generale abhängig bleiben. Das galt insbesondere für Heidelberg, Krakau und Leipzig. Im Unterschied zum Konflikt der Jahre 1384–1390, als die gegnerischen Parteien noch vermocht hatten, eine gemeinsame Sprache zu finden, bestand 1409 nicht mehr die Möglichkeit zu einem erneuten Ausgleich. Der Vorschlag, die Universität in eine böhmische und eine deutsche aufzuteilen, 1030 war eher ein Akt der Verzweiflung und unter den gegebenen Umständen wohl kein tragfähiges Modell. Er war vermutlich von böhmischer Seite in den Wochen nach dem Januar 1409 eingebracht worden, als nicht sicher war, ob Wenzel IV. bei seiner Entscheidung bleibt. Die „Eintracht der Nationen“, die an der Universität von der Gründung bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts geherrscht hatte, war durch das Kuttenberger Dekret unwiederbringlich zerbrochen. Diese Eintracht war sicher manchmal labil, doch hatte sie in diesen Fällen niemals einen bipolaren Konflikt zwischen der böhmischen und den übrigen drei Universitätsnationen auszugleichen. Der Hauptgrund für die tiefe Entfremdung der Nationen bestand darin, dass der Streit um das Kuttenberger Dekret in seiner Zeit ausgesprochen national aufgefasst wurde. In früheren Konflikten, erinnert sei an die Teilung der Universität im Jahre 1372 oder an den Streit der Jahre 1384–1390, hatten 1029 Die Folgen der Regionalisierung der Universitätsausbildung haben genau erfasst Seibt, Von Prag bis Rostock (wie Anm. 219), 197–217; Miethke, Die Anfänge der Universitäten (wie Anm. 209), 424 f. 1030 Documenta Mag. Ioannis Hus (wie Anm. 179), 351. Theoretisch ist selbstverständlich möglich, dass dieser Vorschlag auf Wenzel IV. zurückgeht, wie Nikolaus Tempelfeld behauptet.
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hingegen gesellschaftliche Statuskonflikte die entscheidende Rolle gespielt (Unterschiede in der sozialen und gesellschaftlich-beruflichen Stellung zwischen Juristen und Artisten bzw. zwischen Kollegiaten-Theologen und den Magistern der Artistenfakultät). Die Betonung des nationalen Aspektes im Streit um die Gültigkeit des Kuttenberger Dekretes, die sich sowohl in zeitgenössischen Darstellungen und Reflexionen als auch in historiographischen Schilderungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts widerspiegelt, war maßgeblich dafür verantwortlich, dass man die gesamte frühe Geschichte der Prager Alma Mater meistens durch das Prisma eines xenophoben Nationalismus betrachtete, das nationale Streitigkeiten auch dort zu sehen versuchte, wo es sie noch gar nicht gegeben hatte. Mit diesem Buch lege ich eine etwas abweichende Darstellung vor. Ich bin mir dabei bewusst, dass es auch an der Universität eine latent vorhandene nationale Spannung gab. Sie herrschte vielfach in den königlichen Städten, v. a. in Prag, und war bedingt durch die unterschiedlichen Sehnsüchte und Vorstellungen einer Mehrheit, die ihre durch Tradition und Gewohnheit bestätigten Rechte verteidigte, und einer Minderheit, die sich zu Unrecht übervorteilt fühlte und durch das Bewusstsein ihrer sprachlichen Eigenständigkeit gestärkt nach der Macht sehnte, mit der sie später mal besser, mal schlechter umzugehen verstand. In der Zeit nach dem Konstanzer Konzil, als sich die Universität geschlossen zum Laienkelch bekannte, gaben dann die utraquistischen Magister durch ihre intolerante Haltung gegenüber ihren Gegnern zu verstehen, dass die Mehreit keine Rücksicht auf die Interessen und Bedürfnisse der Minderheit zu nehmen bereit war. Dabei spielte im Unterschied zu den Konflikten in der ersten Hälfte des Jahres 1409 der moderne Nationalismus an der Universität keine Rolle. Das lag allerdings nicht an einer mentalen Veränderung der reformorientierten Magister, sondern war einzig und allein Folge des Kuttenberger Dekretes. Es hatte den Ausländern an der Universität die Rolle einer marginalisierten und kaum wahrnehmbaren Minderheit zugewiesen. Einem vorübergehenden Rückgang national bedingter und national interpretierter Leidenschaften spielte zudem in die Hände, dass sich einige neue Ankömmlinge aus dem Ausland auf die Seite der Reformer und mit ihren unorthodoxen philosophischen und theologischen Ansichten sogar an die Spitze der Reformideologie stellten. Dies galt v. a. für Nikolaus von Dresden und Peter Payne. 1031 Eine neue Welle des Nationalismus, an der auch einige Universitätsmagister ihren Anteil hatten, kündigte sich erst in dem Augenblick an, als das Königreich Böhmen durch die Kreuzzüge in seinem Bestand bedroht war und der Nationalismus und die Propaganda des National- und Landesbewusstseins erneut einen defensiven, selbsterhaltenden Charakter annahmen. Seine Stacheln richtete dieser Nationalismus nun jedoch v. a. gegen äußere Feinde, unter denen sich selbstverständlich auch ehemalige Prager Magister und Studenten hervortaten. Alte Wunden brachen wieder auf und konnten nicht mehr geschlossen werden. Die über 1031 Zu Payne vgl. Šmahel, František: Curriculum vitae Magistri Petri Payne. In: In memoriam Josefa Macka (1922–1991). Hg. v. Miloslav Polívka und Dems. Praha 1996, 141–160. – Zu Nikolaus von Dresden und zur sog. Dresdner Schule übersichtlich und mit Verweis auf die reichhaltige Forschung Mutlová, Die Dresdner Schule in Prag (wie Anm. 894), 361–376.
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die Köpfe der Intellektuellen hinwegrollende Geschichte brachte neue Kränkungen, Anfeindungen und Angriffe, bis schließlich aus dem Kuttenberger Dekret nur eine Episode geworden war in den Geschichten über die heldenhafte Entschlossenheit der hussitischen Märtyrer auf der einen Seite und über den tiefen Fall der hussitischen Ketzer, Diebe und Gewaltmenschen auf der anderen Seite.
Das Kuttenberger Dekret (Mandat)
Übersetzung Dem ehrbaren Rektor und der ganzen ehrbaren Gemeinschaft der Prager Universität, unseren andächtigen Geliebten, Wenzel, von Gottes Gnaden allzeit erhabener Römischer König und König von Böhmen. Ehrbare, Andächtige, Geliebte! Wiewohl wir ganz allgemein verpflichtet sind, auf die Wohlfahrt aller Menschen bedacht zu sein, so dürfen wir sie doch nicht so sehr begünstigen, dass etwa die einen von den anderen, mit denen sie bei Gelegenheit von Ort, Zeit und anderen Umständen zusammen sind, indem diese sich irgendwie zufällig zu uns begeben haben, Verlust und Schaden erleiden. Denn wenn auch ein jeder Mensch den anderen zu lieben verpflichtet ist, so bleibt es doch dabei, dass diese Zuneigung nur einer geordneten Liebe entspringen darf. Deshalb ist es eine Verkehrung der geordneten Liebe, wenn man den Fremden einem Verwandten in der Liebe vorzieht, da die wahre Liebe immer bei sich selbst beginnt und danach über die Verwandten auf die Entfernteren übergeht. Nun hat die deutsche Nation, die im Königreich Böhmen gar kein Einwohnerrecht besitzt, sich bei den einzelnen Verhandlungen der Gemeinschaft der Prager Universität, wie uns glaubwürdig berichtet wurde, sich den Gebrauch von drei Stimmen angeeignet, während die böhmische Nation, die rechte Erbin des genannten Königreichs, sich des Gebrauchs nur einer Stimme erfreut. Wir halten es aber für ungerecht und höchst unziemlich, dass wegen einer Errungenschaft der Einwohner, denen die rechte Erbfolge zusteht, Ausländer und Zuwanderer massenhaft herbeiströmen und jene sich mangels Vorteilen sich unterdrückt fühlen. Daher gebieten wir euch kraft dieses Briefes mit unserem gestrengem Willen, dass ihr, sobald ihr diesen Brief lest, ohne jede Widerrede und Widerspenstigkeit bei den einzelnen Beratungen, Gerichten, Prüfungen, Wahlen und allen anderen Verhandlungen und Entscheidungen der vorgenannten Universität – nach dem Vorbild der Ordnung, derer sich die französische Nation in der Gemeinschaft der Pariser Universität erfreut und wie sie die übrigen Nationen in der Lombardei und Italien gebrauchen – der böhmischen Nation in allen Fällen drei Stimmen überlasset und dass ihr sie dieses Stimmenvorrecht von nun an in alle Zukunft in Ruhe gebrauchen und genießen lasset und nicht anders handelt, sofern ihr unsere schwerste Ungnade unbedingt vermeiden wollet. Gegeben zu Kuttenberg am 18. Januar unserer Reiche des böhmischen im 46., des römischen im 33. Jahre (1409). Übersetzt auf der Grundlage von: Quellenbuch zur Geschichte der Sudetenländer. Bd. 1. Hg. v. Wilhelm Weizsäcker. München 1960 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 7), 66 f., von Winfried Eberhard.
Abkürzungsverzeichnis AfK AFP AM AÖG ASKG AUC – HUCP BRRP ˇ CAŠ ˇ CH ˇ C ˇCCM ˇ ChH ˇ CMM ˇ CNM ˇ CH ˇ CS ˇ CSPS Cˇ DA DP FD FHB HU HV JSH LF MD MHB MIÖG MPP MUPr MVGDB PHS PP PPM PT RFi RH SH SMB SPDHMP Spec
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Quellen- und Literatur verzeichnis Acten der Erfurter Universitaet. Teil 1: Päpstliche Stiftungsbullen. Statuten von 1447. Allgemeine Studentenmatrikel, erste Hälfte (1392–1492). Bearb. v. J. C. Hermann Weissenborn. Halle 1881. Album seu matricula facultatis juridicae universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418. In: MUPr. Bd. 2. Pragae 1834, 1–215. Andreas von Regensburg: Chronica pontificum et imperatorum Romanorum. In: Andreas von Regensburg: Sämtliche Werke. Hg. v. Georg Leidinger. München 1903, 1–158, 704–707, 710– 711. Archiv Pražského hradu, fond Archiv metropolitní kapituly [Archiv der Prager Burg, Bestand des Metropolitankapitels], cod. 27/2. Asztalos, Monika: Die theologische Fakultät. In: Geschichte der Universität in Europa. Bd. 1: Mittelalter. Hg. v. Walter Rüegg. München 1993, 359–385. Bachmann, Adolf: Der älteste Streit zwischen Deutschen und Tschechen an der Prager Universität. In: HV 7 (1904), 39–52. Bartlová, Milena: Understanding Hussite Iconoclasm. In: BRRP 7 (2009), 115–126. Bartoš, František Michálek: Studie o Husovi a jeho dobˇe [Studie zu Hus und seiner Zeit]. Teil 2: ˇ 21 Hus ve sporech o Viklefa 1401–8 [Hus in den Streitigkeiten um Wyclif 1401–8]. In: Cˇ CM (1915), 275–289. Bartoš, František Michálek: V pˇredveˇcer Kutnohorského dekretu [Am Vorabend des Kuttenberger ˇ CM ˇ 102 (1928), 97–113. Dekretes]. In: C Bartoš, František Michálek: Husitství a cizina [Hussitismus und das Ausland]. Praha 1931. Bartoš, František Michálek: M. Jenek z Prahy, rektor univerzity Karlovy [Mag. Johannes von Prag, Rektor der Karlsuniversität]. In: JSH 9 (1936), 41–43. Bartoš, František Michálek: Zapadlá památka Husovy cˇ innosti jako rektora Karlovy University [Vergessenes Denkmal von Hussens Tätigkeit als Rektor der Karlsuniversität]. In: JSH 9 (1936), 38–40. Bartoš, František Michálek: Nové svˇetlo do Husova rektorátu na Karlovˇe universitˇe [Neues Licht auf Hussens Rektorat der Karlsuniversität]. In: JSH 11 (1938), 3–11. Bartoš, František Michálek: Po stopách poz˚ustalosti M. J. Husi [Auf den Spuren der Hinterlassenschaft von Mag. J. Hus]. Praha 1939. Bartoš, František Michálek: Hus a jeho uˇcitelé a kolegové na bohoslovecké fakultˇe Karlovy Univerzity [Hus und seine Lehrer und Kollegen an der Theologischen Fakultät der Karlsuniversität]. In: JSH 13 (1940), 41–47. Bartoš, František Michálek: Jan z Jenštejna a jeho zápas [Johannes von Jenstein und sein Kampf]. In: JSH 13 (1940), 94–108. Bartoš, František Michálek: Ještˇe jednou Husovi uˇcitelé a kolegové na bohoslovecké fakultˇe Karlovy univerzity [Noch einmal Hus und seine Lehrer und Kollegen an der Theologischen Fakultät der Karlsuniversität]. In: JSH 14 (1941), 105. ˇ Bartoš, František Michálek: Cechy v dobˇe Husovˇe 1378–1415 [Böhmen in Hussens Zeit 1378– ˇ 1415]. Praha 1947 (Ceské dˇejiny II /6). ˇ Bartoš, František Michálek: Kdo vymohl Cech˚ um Dekret kutnohorský [Wer hat den Böhmen das Kuttenberger Dekret erwirkt]? In: JSH 18 (1949), 70–72. ˇ Bartoš, František Michálek: Hus˚uv pˇrítel z Ceských Budˇejovic [Hussens Freund aus Budweis]. In: JSH 19 (1950), 43–44.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Bildnachweise Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16
Archiv der Karlsuniversität Prag (Archiv Univerzity Karlovy). Foto: O. Hilmerová. Aus: Václav Chaloupecký: Karlova Univerzita v Praze. Praha 1948, Abb. 6. ˇ Nationalbibliothek der Tschechischen Republik, Prag (Národní knihovna CR). Archivio dell’ Università di Bologna. Aus: Václav Chaloupecký: Karlova Univerzita v Praze. Praha 1948, Abb. 7. Aus: Václav Chaloupecký: Karlova Univerzita v Praze. Praha 1948, Abb. 14. Aus: Václav Chaloupecký: Karlova Univerzita v Praze. Praha 1948, Abb. 15. Biblioteca Angelica, Rom. Aus: Václav Chaloupecký: Karlova Univerzita v Praze. Praha 1948, Abb. 11 ˇ Nationalbibliothek der Tschechischen Republik, Prag (Národní knihovna CR). Österreichische Nationalbibliothek Wien. Archiv der Karlsuniversität Prag (Archiv Univerzity Karlovy). Biblioteca Universitaria di Bologna. Staatliches Bezirksarchiv Tabor (Státní okresní archiv Tábor). Archiv der Karlsuniversität Prag (Archiv Univerzity Karlovy).
Personen- und Or tsregister
Adalbert, Pfarrer in Miltschin 146 Adalbertus Ranconis de Ericinio († 1388), Theologe und Philosoph, Magister der Pariser Universität 36, 83–85, 91, 103, 146–148, 152 f., 155, 157, 173 Adam von Neschetitz, Jurist (Doktor der Dekrete), Magister der Prager Universität 327, 338 Albert Engelschalk (von Straubing), Theologe, Magister und Rektor (1391/92) der Prager Universität, Mitglied der polnischen Universitätsnation, später Magister der Wiener Universität (ab 1403) 77, 92, 128, 137, 159 f., 234, 237 Albertus Ditmari de Bremis, Lizenziat der Medizin an der Prager Universität 230 Albík von Uniˇcov (Mährisch Neustadt; † 1427), Erzbischof von Prag (1412) 351, 353 Albrecht III., Herzog von Österreich (1365–1395) 82 Alexander V., Pisaner Papst (1409/10) 331–333, 335, 337, 339, 342 Alexius de Peckari, Mediziner, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 230, 297 f., 299, 317 Altenaw, Johannes, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 140 Andreas von Brod, Theologe, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 109, 205, 213, 234, 237, 270–272, 276, 282–284, 287, 315, 338, 360 Andreas von Regensburg, Chronist 285 Angelus, Prager Apotheker 146 Anna († 1394), Tochter von → Karl IV., Königin von England 161 Antonius von Laun, Mediziner, Magister und Rektor (1413/14) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1418), Mitglied der böhmischen Nation 325 Anton, Herzog von Brabant (1404–1415) 254 Aristoteles († 322 v. Chr.), antiker Philosoph 163 Arnoldus de Stargardia, Magister der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 140 Arsen von Langenfeld, Johannes, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät
(1392), Mitglied der bayerischen Nation 137, 162 f., 242 Augustinus († 430), Hl., Kirchenvater 164 Avignon 81, 83 f., 89, 167 Balbín, Bohuslav († 1688), Jesuit, barocker Historiker 39 Bartholomäus von Torgelow, Theologe, Magister und Rektor (1389) der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der polnischen Nation 58, 77, 126 Bartoš, František Michálek, Historiker 29, 45–50, 58, 68, 80, 97, 106, 161, 188, 226, 237, 321 f., 334 f., 354 Basel 170 Bechin (tschech. Bechynˇe) 178, 332 Bechynˇe (tschech.) → Bechin Benedikt XII., Avignonesischer Papst (1334–1342) 166 Benedikt XIII. († 1423), Avignonesischer Papst (1394–1409/1417) 223, 228 Beneš, Eduard († 1948), tschechoslowakischer Präsident 284 Benesch von Chausnik (Choustník), böhmischer Adeliger, Höfling von → Wenzel IV. 282 Benesch von Lissa, Bakkalaureus der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 344 Berndorf (Niederösterreich) 244 Bernhagen, Heinrich, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 230 Berthold von München, Bakkalaureus der Prager Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 217, 243, 248 Bettlern (tschech. Žebrák), königliche Burg 283, 296, 352 Beyer, Nikolaus, Theologe, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1390), Mitglied der sächsischen Nation 139 Bezold, Friedrich von, Historiker 33 Biceps, Nikolaus, Dominikaner, Reformanhänger, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 153, 161 f. Böckler, Nikolaus, Straßburger Inquisitor 170–172 Boëthius, spätantiker Philosoph 163
Personen- und Ortsregister Boháˇcek, Miroslav, Historiker 74, 100, 106, 321 f., 325 ˇ Böhmisch Brod (tschech. Ceský Brod) 353 Bohusch, Manetiner Kommendenverwalter 350 Bologna 225, 336 Bonifaz IX., römischer Papst (1389–1404) 132–134, 171 Borchard, Martin, deutscher Hussit 170 Boˇrivoj von Prag, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1419), Mitglied der böhmischen Nation 325 Breslau (poln. Wrocław) 132 f., 267, 268, 304, 308 Bˇrevnov 21, 184 Brikzius von Buda, Magister und Rektor (1414/15) der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 230 Brikzius von Saaz, Magister der Prager Universität 230, 297 Bromberg (poln. Bydgoszcz) 342 Bruno von Osenbrughe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der sächsischen Nation 70–72, 89, 101 Burchard von Balingen, Magister der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 230, 235 Buridan, Johannes († 1359), Philosoph, Magister und Rektor (1327/28, 1340) der Pariser Universität 169 Bydgoszcz (poln.) → Bromberg ˇ Ceský Brod (tschech.) → Böhmisch Brod Chenczl von Salzburg, Achacius, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 120, 217, 328 f. Chotˇešov (tschech.) → Chotieschau Chotieschau (tschech. Chotˇešov) 350 Christian von Prachatitz († 1439), Mediziner, Mathematiker, Astronom und Theologe, Magister und Rektor (1405, 1412/13, 1434, 1437) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1403), Mitglied der böhmischen Nation, später Administrator der utraquistischen Kirche (1437–1439) 192, 234, 347, 353, 356 Cifra, Johannes, Kanoniker des Prager Domes 193, 196, 327 Cividale 225, 331 Clarificator, Peter, Augustiner, Prior des Augustinerklosters in Raudnitz /Elbe 86
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Cochlaeus, Johannes, Humanist und Theologe 302 Colonna, Odo, Kardinal 332, 336, 348 Czeiselmeister, Nikolaus, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation, Offizial des Erzbistums Prag 136, 198, 327 Czungl, Nikolaus, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 119, 218–220, 244, 248, 333 Daniel von Prag, Magister der Prager Universität, Universitätsvizekanzler (1399), Dekan der Artistenfakultät (1398), Mitglied der böhmischen Nation 136 Dietmar, Pfarrer von Wschetat 151 Dietrich de Ymochusen, Student der Prager Universität 101 Dietrich von Niem 359 Drändorf, Johannes († 1425), deutscher Hussit 170, 322–325 Dresden 322, 324 Druxnicht de Lebin, Peter, Student der Wiener Universität 87 Dubravius, Johannes († 1553), Bischof von Olmütz (1541–1553), Humanist, Jurist und Historiker 302 Eberspach, Johannes, Magister der Prager Universität 136, 140 Eck(e)hart, Meister, Dominikaner, Mystiker, Magister der Pariser Universität 167 Eco, Umberto, Schriftsteller 9 Elias von Neiße, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 234 Elisabeth von Görlitz († 1451), Prinzessin von Böhmen, Herzogin von Luxemburg 254 Eppinge, Friedrich, Magister der Prager Universität 322–324 Erfurt 83, 93 f., 143, 231, 262 f., 303 f., 341, 358 Erler, Georg, Historiker 309 Ernst von Pardubitz († 1364), Erzbischof von Prag (1344–1364) 60, 95, 99, 112 Fabri, Johannes, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 280 Faulfisch, Nikolaus, Student der Prager Universität 248 Fiala, Zdenˇek, Historiker 30, 275 Flajšhans, Václav, Literaturhistoriker und Philologe 236 f.
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Personen- und Ortsregister
Frana, Bürger der Prager Altstadt 95 Franziskus von Retz, Dominikaner und Theologe, Magister der Wiener Universität 88 Friedemann Janko, Magister der Prager Universität 41 Friedemann von Prag (von Zittau), Theologe, Magister und Rektor (1376/77) der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs 36, 40, 50, 55, 58, 70, 74 f., 173 Friedrich IV., Markgraf von Meißen (1381–1426) 310 Friedrich von Braunschweig, Chiliast 170 Friedrich von Nürnberg, Karmeliter und Theologe, Magister der Wiener Universität 88 Friedrich, Gustav, Rechtshistoriker 27, 274 Fünfkirchen (ung. Pécs) 304 Gatzikow, Johannes, Magister der Prager Universität, römischer Kurialbeamter 127 Georg von Bor, Jurist (Doktor der Dekrete), Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation, Kanoniker des Prager Domes 327 Georg von Knönitz, Student der Prager Universität 230, 248 Georg von Podiebrad, König von Böhmen (1458–1471) 267 Georg von Weilburg, Protonotar und Schreiber der Prager Altstadt 259 Gerhard von Kalkar, Theologe, Magister der Kölner Universität 88 Geser, Johannes, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 95 Görlitz 157 Graus, František, Historiker 29, 214, 226 Gregor Leonis von Prag, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1405), Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der böhmischen Nation 230, 279, 317 Gregor Thomae von Prag, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 280, 297, 347 Gregor XI., Avignonesischer (zuletzt römischer) Papst (1370–1378) 161 Gregor XII. († 1417), römischer Papst (1406–1415) 16, 18, 172, 189, 215, 223–225, 227–230, 250, 252, 255, 276, 289, 330 f., 333, 335, 340
Groß-Tinz /bei Liegnitz 308 Grunt, Heinrich, Magister der Prager Universität 230 Habarti, Peter, Prager Ratsherr 296 Hájek von Libotschan, Wenzel († 1553), Chronist 302 Harrasser, Walter, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 164, 178, 234, 240, 329 Hedwig (Jadwiga) von Anjou, Königin von Polen (1384–1399) 180, 232 Heidelberg 20, 41, 47, 49, 82, 89–91, 93 f., 102, 143 f., 157 f., 159 f., 164 f., 167–173, 182, 188 f., 207, 212, 214, 231, 235 f., 253 f., 288, 290, 302–304, 315, 318, 341, 358, 364 Heilmann von Worms, Magister und Rektor (1383/84) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1382), später Magister der Heidelberger Universität 90, 171 Heimpel, Hermann, Historiker 323 f. Heinrich (Stubing) von Homberg, Magister und Rektor (1394) der Prager Universität 128, 136, 140, 234 Heinrich III. von Rosenberg († 1412), südböhmischer Magnat, Oberstburggraf von Böhmen 146 Heinrich von Aura, Bakkalaureus der Prager Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 216, 243, 246 Heinrich von Bitterfeld, Dominikaner, Theologe und Reformer, Magister der Prager Universität 154, 156, 159 f., 174 f. Heinrich von Bremen, Magister und Rektor (1391/92) der Prager Universität 127 Heinrich von Klobouk, Magister der Prager Universität 299 Heinrich von Langenstein (auch: Heinrich von Hessen der Ältere; eigentlich: Heinrich Heinbuche; † 1397), Theologe, Magister der Wiener Universität 45, 81, 87 f. Heinrich von Rybnitz (Ribenicz), Magister und Rektor (1392) der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der sächsischen Nation 92, 128, 138, 242 Heinrich von St. Gallus, Magister der Prager Universität 139 Held, Johann Theobald, Mediziner 13 f., 16 Helfert, Joseph Alexander, Jurist, Historiker und Politiker 13, 19–24, 26, 284 Helmold von Salzwedel, Theologe, Magister und Rektor (1398/99) der Prager Universität, Kanoniker des Wenzels-Kollegs und Mitglied
Personen- und Ortsregister der sächsischen Nation 137, 140, 230, 234, 282 Helwig von Dringenberg, deutscher Häretiker 170 Henning von Baltenhagen, Theologe, Magister und Rektor (1408/09) der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 192, 205, 229, 235, 250, 253 f., 270, 277, 296, 309, 311 f., 328 Henning von Borch (Burg), Mediziner, Magister der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation, Kanoniker des Halberstädter und Magdeburger Kapitels 136, 139 Henslini, Nikolaus, Kanoniker des Prager Domes 335 Hermann Gesing von Winterswijk, Magister und Rektor (1378) der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 83, 95 f. Hermann von Altdorf, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 280 Hermann von Mindelheim, Augustiner, Theologe, Magister der Prager Universität, Weihbischof von Prag 237, 322, 338 Herold, Vilém, Historiker 162 Hieronymus von Prag († 1416), Theologe und Reformanhänger, Magister der Prager Universität 9, 16, 20, 24 f., 28 f., 32, 34, 109, 117–121, 131, 153, 161, 168 f., 172, 175, 177, 186, 191, 194, 196–201, 216–221, 225 f., 235, 239, 241–249, 251 f., 254, 259–261, 264, 268, 272 f., 275, 277, 283 f., 321, 327–330, 332 f., 347 f., 351, 354 f., 358, 360 Hildesen, Henning, Magister der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 140, 234, 246 Hoffmann (von Schweidnitz), Johannes († 1451), Theologe, Magister und Rektor (1409) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1408), Mitglied der polnischen Nation, später Magister und Rektor (1413) der Leipziger Universität, als Johannes IV. Bischof von Meißen (1427–1451) 188, 240, 267, 294, 308 Höfler, Karl Adolf Konstantin von, Historiker 13, 19–21, 23–27, 33, 41 f., 205, 284 Holinka, Rudolf, Kirchenhistoriker 81 Honorius von Radetz, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 299 Honorius von Stiborzicz, Student der Prager
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Universität, Mitglied der polnischen Nation 349 Honorius von Welwarn, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 237, 297–299, 325 Hroch von Podvek, Student der Prager Universität 332 Hübner, Johannes, Theologe, Inquisitor, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Wenzels-Kollegs und Mitglied der polnischen Nation 140, 164, 175 f., 178 f., 199 f., 211, 237, 239 f. Huler, Sigismund († 1405), königlicher Unterkämmerer 126 Hus, Johannes (auch: Jan; † 1415), Theologe, Prediger und Reformator, Magister und Rektor (1409/10) der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 14, 16 f., 19–25, 27–30, 33 f., 109, 133, 150–154, 157, 159–165, 172, 175, 178–183, 185–187, 190–192, 198, 200, 202 f., 205–207, 209, 211, 213, 216–219, 221 f., 224, 226–229, 234, 241, 245, 248–250, 257–261, 264, 266, 268, 270–273, 275 f., 280, 282–285, 287, 293–296, 301 f., 319–321, 324, 327, 330–341, 343–355, 358, 360 f. Innozenz VII., römischer Papst (1404–1406) 187, 238 Isner, Johannes, Theologe, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation, Kanoniker des St. Apollinariskapitels in Prag, später Magister der Krakauer Universität 128, 136, 158, 160, 237 Jacobus Arrigoni Ballardi, Bischof von Lodi (1407–1417), Bischof von Triest (bis 1424), Bischof von Urbino (bis 1435) 188 Jakob Aristoteles, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Prager Domes, Mitglied der böhmischen Nation 58, 60, 62, 67 Jakob von Briczen, Magister der Prager Universität 92, 111 Jakob von Budweis, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 62 Jakob von Dauba (auch: Jakob von Beraun), Bakkalaureus der Prager Universität 275 Jakob von Nouvion, Magister der Pariser Universität, Kanoniker des Navarra-Kollegs, Gesandter 223, 327 Jakob von Sobieslav, Magister und Rektor
396
Personen- und Ortsregister
(1410/11) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1413), Mitglied der böhmischen Nation 297, 325, 347 Jakob, Wyschehrader Propst 353 Jakobellus von Mies († 1429), Theologe, hussitischer Prediger, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 153, 213, 223, 237, 270, 346, 353, 356 Jakob, Pfarrer in Winarschitz 336 Jaroslav von Bezmˇeˇre, Minorit, Titularbischof von Sarepta und Inquisitor 202, 214, 335 Jean de Pouilly (auch: Johannes de Polliaco; † nach 1321), Theologe, Magister der Pariser Universität 167 Jinoch, Jakeš, Kanoniker des Prager Domes 335 Jireˇcek, Hermenegild, Rechtshistoriker 49, 105 f. Jireˇcek, Josef, Literaturhistoriker 19, 21 Jobst von Luxemburg, Markgraf von Mähren (1375–1411), römisch-deutscher König (1410–1411) 344 f. Johann der Eiserne (eigentlich: Johann von Bucca; † 1430), Bischof von Leitomischl (1388–1416), Bischof von Olmütz (1416–1430), Administrator von Prag (1421–1430) und Waitzen (1430), Kardinal 331 Johann von Hodkowitz, Sohn des → Wenzel von Hodkowitz Johann von Rosenberg, böhmischer Baron 146 Johannes Augustini 267 Johannes Chrysostomus, griechischer Kirchenvater 202 Johannes de Eysteth, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 140 Johannes de Folonia, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 140 Johannes Eliae (von Bischofteinitz), Theologe, Magister und Rektor (1393) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1387), Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der böhmischen Nation, Pilsener Archidiakon, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 136 f., 193, 196, 205, 237, 270 f., 276, 327, 338, 353 Johann(es) Oˇcko von Wlašim, Bischof von Olmütz (1351–1364), Erzbischof von Prag (1364–1378), Kardinal 84
Johannes Otto von Münsterberg († 1416), Theologe, Vertreter des Semantischen Nominalismus, Magister der Prager und später der Leipziger Universität, Rektor der Universität Prag (1398) und Gründungsrektor der Universität Leipzig (1409), Mitglied der polnischen bzw. schlesischen Nation 137, 141, 164, 234, 308 f., 311–313, 315 Johannes Sobˇeslav, Sohn des mährischen Markgrafen Johann Heinrich, Bischof von Leitomischl (1380–1388) und Patriarch von Aquileja (1387–1394) 85 Johannes von Borotin, Magister der Prager Universität 266, 325 Johannes von Boskowitz, Kanoniker des Allerheiligenkollegs 75 Johannes (auch: Jenko) von Chlum, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 46, 68, 140 Johannes von Falkenberg, Dominikaner in Krakau 159, 169, 172 Johannes von Frankfurt, Magister der Heidelberger Universität 168 Johannes von Hildesheim, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der sächsischen Nation 128, 137 f., 140, 237, 317, 338, 347 Johannes von Hohenmauth, Theologe, Magister und Rektor (1395) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1394), Mitglied der böhmischen Nation, Kanoniker des St. Apollinariskapitels und des Prager Domkapitels 123, 136 f., 140 f., 151, 234 Johannes von Hora, Magister der Prager Universität 327 Johann(es) von Jenstein († 1400), Bischof von Meißen (1376–1378), Erzbischof von Prag (1378–1396) 24, 42, 46, 61, 71, 79, 81, 84–87, 102 f., 114, 124, 126, 135, 146, 149, 154, 160, 162, 167 f., 173 f., 326, 345 Johannes von Jessenitz (auch: Gaßnitz; † um 1420), Jurist, Magister und Rektor (1410/11) der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 20, 30 f., 113–116, 153, 192, 209, 217–219, 242, 260, 268, 273, 277, 285, 287, 289 f., 292 f., 299 f., 321, 345, 349, 353, 360 f. Johannes von Jitschin, hussitischer Priester, Magister der Prager Universität 346 Johannes von Klingenberg, Magister der Prager Universität 266
Personen- und Ortsregister Johannes von Landstein, Student der Prager Universität 332, 344 Johannes von Maleschitz, Kanoniker des Prager Domes 222, 228 f., 327 Johannes von Marburg, Student der Prager Universität 329 Johannes von Mies, Prediger in der Prager Kirche St. Gallus 147, 221 Johannes von Mühlheim, Stifter der Prager Bethlehemskapelle 147 Johannes von Noet, Magister der Prager und Pariser Universität, Gesandter 171 f. Johannes von Obersedlitz, Magister der Prager Universität 297 Johannes von Ohlau, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 157 Johannes von Pomuk (auch: Nepomuk; † 1393), Hl., Generalvikar des Erzbistums Prag (1389–1393) 69, 223 Johannes von Pˇribram († 1448), Theologe, Magister der Prager Universität 210 f., 266, 356 Johannes von Pustimir, Magister und Rektor (1404/05) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1403), Mitglied der böhmischen Nation, Verwalter der Fronleichnamskapelle 150, 234, 347 Johannes von Reinstein, Kardinal, Magister der Prager Universität 181, 183, 185, 251 f., 255, 349 Johannes von Rischt, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 237, 347 Johannes von Voburg, Bakkalaureus der Prager Universität, später Magister der Wiener Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 119 f., 217, 243 f., 283, 328 Johannes von Weilburg, Protonotar und Schreiber der Prager Altstadt 259 Johannes (auch: Jenko) Wenceslai von Prag, Theologe und Philosoph, Magister und Rektor (1374, 1382, 1383/84) der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der böhmischen Nation 36, 40, 50, 55, 60, 63 f., 70, 74 f., 101, 123, 148, 173 Johannes Winkleri, Theologe, Magister und Rektor (1388/89) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1383), Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der polnischen Nation 76 f., 126, 136, 138, 237
397
Johannes XXII., Avignonesischer Papst (1316–1334) 166 Johannes XXIII. (Balthasar Cossa; † 1420), Pisaner Papst (1410–1415) 192, 225, 227, 338 f., 350 Jungmann, Josef († 1847), Sprachwissenschaftler 14 Kadlec, Jaroslav, Kirchenhistoriker 88, 236 Kalivoda, Robert († 1989), Philosoph und Historiker 33 Karl IV., römischer Kaiser (1355), römischdeutscher König und König von Böhmen (1346–1378) 11, 14, 36, 39, 83, 109, 115, 189, 265, 273, 278, 288, 290, 342, 350, 358 Karlstein (tschech. Karlštejn) 222, 349 Karlštejn (tschech.) → Karlstein Kasimir III. der Große, König von Polen (1333–1370) 104 Kavka, František, Historiker 30, 56, 145, 233 f. Kbel, Johannes, Offizial und Generalvikar des Erzbistums Prag 178, 195, 202, 214, 223, 327 Kejˇr, Jiˇrí, Rechtshistoriker 10, 31–33, 155, 195, 215–217, 235, 241, 292 f., 295, 334, 336, 338, 347 Klara, Bürgerin der Prager Altstadt 95 Klemens VII., Avignonesischer Papst (1378–1394) 80 f. Klicman, Ladislav, Kirchenhistoriker 9 f. Knobloch, Wenzel, Kanoniker des St. Ägidius Kapitels 215, 226, 229, 327 Koblenz 170 Köln /Rhein 20, 27, 41, 82, 89, 93, 143 f., 170–172, 261, 263, 303 Konrad de Braclis, Magister der Prager Universität, Prokurator am erzbischöflichen Hof 63 f., 68, 73 Konrad Domini, Magister der Prager Universität 230 Konrad Duvel von Hildesheim, Magister der Heidelberger Universität 169 Konrad von Beneschau, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der böhmischen Nation 52, 55, 83, 92 f., 97, 137 Konrad von Ebrach, Zisterzienser, Theologe, Magister der Pariser und Wiener Universität 88, 154 Konrad von Gelnhausen, Theologe, Magister der Pariser und Wiener Universität 81
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Personen- und Ortsregister
Konrad von Soest († 1437), Theologe, Magister der Heidelberger Universität 168 Konrad (III.) von Soltau († 1407), Theologe, Magister und Rektor (1384/85) der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation, später Magister und Rektor (1393) der Heidelberger Universität, Bischof von Verden (1399–1407) 36, 40–49, 54–59, 62 f., 65 f., 68 f., 71, 74–79, 86–88, 91 f., 97, 100, 110, 121, 154, 167, 171, 173, 177 Konrad von Vechta († 1431), Bischof von Olmütz (1409–1413), Erzbischof von Prag (1413–1421) 283, 349 f., 355 Konstanz 25, 28, 75, 117, 169, 172, 178, 186, 191 f., 205 f., 219, 226, 238, 245, 248, 259 f., 264, 266, 268, 278, 283, 315, 318, 330, 332, 344, 354 f., 359, 365 Košata, Diener des → Zdenko von Laboun 230 Koudelka, Vladimír, Historiker 157 Krakau (poln. Kraków) 81, 83, 93 f., 102, 128, 144, 158, 160, 164 f., 169, 180, 231 f., 264, 269, 298, 302–304, 314 f., 318, 364 Kraków (poln.) → Krakau Kreuczer (von Nürnberg), Konrad, Bakkalaureus der Prager Universität, später Magister der Wiener Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 119, 194, 197 f., 217, 244, 248 Kreuz, Krämer, Prager Patrizier 146–148, 256 f. Krineman, Markvard, Magister der Prager Universität 234 Kro, Johannes, Magister der Prager Universität 230 Krofta, Kamil, Historiker und Diplomat 27 Krumhart (von Westerholz), Heinrich, päpstlicher Auditor 336 f. Kulm 93, 304 Kuneš von Tˇrebovle, Jurist (Doktor der Dekrete), Magister der Prager Universität, Kustos der Prager Kirche und Kanoniker des Prager Domes 58, 60, 103 Kuneš von Zvole, Jurist (Doktor der Dekrete), Kanoniker des Prager Domes 336 Kutná Hora (tschech.) → Kuttenberg Kuttenberg (tschech. Kutná Hora) 20, 205, 251, 255, 270–272, 282 f., 289, 295, 267 Landau 170 Latzek von Krawarn, Obersthofmeister Legnica (poln.) → Liegnitz
349
Leipzig 13, 44, 108, 144, 230, 263, 265, 301, 303–315, 322–324, 341, 358, 364 Leonhard von Kärnten, Augustiner, Theologe, Magister der Prager und Wiener Universität 88 Leonhard von München, Bakkalaureus der Prager Universität 328 Leopold (gen. Leo) von Thun und Hohenstein († 1888), Graf, österreichischer Politiker und Autor 19 Liegnitz (poln. Legnica) 308 Lipnice (tschech.) → Lipnitz Lipnitz (tschech. Lipnice) 322 London 161 f., 175, 178 Longus von Prag, Wenzel, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 299 Lorenz von Buchwald, Arzt 140 Lorenz von Nymburg, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1417), Mitglied der böhmischen Nation 299, 325 Lorenz, Notar 128 Lübeck 132 Lubich, Nikolaus († 1431), Jurist, Magister der juristischen Universität, später Bischof von Merseburg (1411–1431) 310 f. Ludolf von Sagan (von Einbeck; † 1422), Augustinerchorherr und Abt des Stifts Sagan, Autor theologischer und historischer Schriften, Student der Prager Universität (um 1370) 209, 359 Ludwig I. der Große, König von Ungarn (1342–1382) und Polen (1370–1382) 104 Ludwig von Dresden, Jurist, Magister der Prager Universität 46, 49, 70, 73, 76, 127 Lupáˇc, Prokop, Chronist 302 Macek, Josef, Historiker 30 Machovec, Milan, Philosoph 30 Mainz 133, 170, 233 Malkaw, Johannes, Volksprediger, Student der Kölner Universität 170–172 Malý, Karel, Rechtshistoriker 30, 275 Marcus von Hradetz, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation, Kanoniker des Prager Domes 140, 160, 218 f., 325, 327, 333 f., 336 f., 339, 344, 347, 349 Marienwerder, Johannes, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs 36, 40, 41, 55, 74 f., 83, 86 f., 92 f., 154, 173
Personen- und Ortsregister Marramaldi, Landulf, päpstlicher Legat, Kardinal 255, 289, 328 Marsilius von Inghen († 1396), Philosoph und Theologe, Magister und Rektor der Pariser und Heidelberger Universität 90, 167, 169, 171 Marsilius von Padua († 1343), Politiktheoretiker 167 Martin Cunssonis von Prag, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 297 Martin von Pilsen, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 96 Martin von Prag, Magister der Prager Universität 333 f., 349 Martin, Propst des Wenzels-Kollegs 58, 63 Matthaesius, Friedrich, Historiker 26–28, 44 f. Matthäus von Königsaal, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 237, 299 Matthäus von Krakau († 1410), Theologe, Magister der Prager und Heidelberger Universität, Bischof von Worms (1405–1410) 41, 65, 68 f., 71, 77, 83, 86, 88, 101 f., 154–156, 159 f., 167, 169 f., 172, 174 Matthias Louda von Chlumtschan, hussitischer Adeliger und Diplomat, Mäzen der Prager Universität 266 Matthias Stephani von Prag, Magister der Prager Universität 68 f., 72 f. Matthias von Bilin, Sekretär des Erzbischofs von Prag 327 Matthias von Janov († 1393), Prager Reformtheologe 36, 91, 153, 156 f., 174 Matthias von Knín, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 32, 36, 131, 176 f., 189 f., 192–204, 210–212, 216 f., 219, 239–243, 245 f., 251–254, 259, 261, 272, 275, 326–329, 333, 340, 347, 355 Matthias von Liegnitz, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der polnischen Nation 65, 92, 137, 140, 155, 158, 160, 162, 234, 237, 242 Matthias von Tuˇcap, Altarist der Prager Bethlehemskapelle 147 Matthias, Magister der Pariser Universität 153 Mauricius de Bucznina, Mediziner, Magister der Prager Universität 175 Meißen 229, 254, 260, 267, 282, 309–315, 322
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Meistermann, Ludolf, Theologe, Magister der Prager und Heidelberger Universität, Mitglied der sächsischen Nation 140, 164, 168, 174, 181 f., 188–190, 192, 203, 212, 214, 234, 241, 254, 267, 294, 328 Meller von Regensburg, Georg, Magister der Prager Universität 119, 218, 230 Menso von Beckenhusen, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der bayerischen Nation 40, 55, 68, 70–72, 74, 88, 128, 137 f., 237 Merseburg 310, 312 Mezník, Jaroslav, Historiker 256 f., 261 f. Michael Nicolai von Prachatitz, Notar in Prag 345 Michael von Drnovitz, Student der Prager Universität 332, 344 Michael von Malenitz, Magister und Rektor (1413) der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 237, 297, 317, 349 Miliˇcín (tschech.) → Miltschin Militsch von Kremsier, Johann(es), böhmischer Reformprediger 153, 155, 157, 160 Millauer, Max, Historiker 14 Miltschin (tschech. Miliˇcín) 146 Mladota von Czersk, Stephan 234 Müller, Ivan 162 Munczinger, Johannes, Bakkalaureus der Prager Universität, Rektor der Ulmer Schule 36, 75, 173 Naumburg 312 Náz (Nasonis), Johannes, Kanoniker des Prager Domes, Diplomat 282–284, 327, 330 Neuwied 171 Nezero 223 Nikolaus Augustini, genannt der Reiche (auch: Nikolaus von Okoˇr), Prager Bürger und Höfling 258 f., 272, 284, 295, 297, 349 Nikolaus Magni von Jauer († 1435), Theologe, Magister und Rektor (1397) der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation, Prediger in der Prager Reformkirche St. Gallus, später Magister (ab 1402) und Rektor (1406) der Heidelberger Universität 102, 135, 137, 147, 154, 157, 160, 170, 221, 237 Nikolaus von Autrécourt († 1369), Philosoph und Theologe 167 Nikolaus von Dresden, hussitischer Priester 365
400
Personen- und Ortsregister
Nikolaus von Gubin, Theologe, Magister und Rektor (1378, 1385, 1387) der Prager Universität, Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der polnischen Nation 101, 127 f., 136 Nikolaus von Leitomischl, Theologe, Magister und Rektor (1386, 1402/03) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1384), Kanoniker des Allerheiligenkollegs und Mitglied der böhmischen Nation 42, 58, 63, 92, 128, 133 f., 137 f., 151, 234, 237 Nikolaus (der Arme) von Lobkowitz, böhmischer Adeliger, Höfling 16, 298 Nikolaus von Meppen, Magister der Prager Universität, Mitglied der bayerischen Nation 55, 74 Nikolaus von Miltschin, Magister der Prager Universität 299 Nikolaus von Pavlíkov, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1416) 325 Nikolaus von Rakonitz, Theologe, Magister und Rektor (1379/80) der Prager Universität, Propst des Karlskollegs, Mitglied der böhmischen Nation 42, 58, 63, 76 f., 92, 95 f., 123, 237 ˇ ciˇce, Magister der Prager Nikolaus von Reˇ Universität 259, 325 Nikolaus von Swinˇcan, Adeliger 151 Nikolaus, Bischof von Nezero 223 Nikolaus, genannt Abraham, hussitischer Priester 201 f., 224 Nos, Wenzel, Bechiner Archidiakon 178 Novotný, Václav, Historiker 26–29, 32, 42–45, 50, 54 f., 58, 70, 75, 78 f., 105, 184, 189, 194–196, 217 f., 222, 226, 244, 251, 284, 290, 295, 336, 346 Ortli, Johann, Bürger und Ratsherr der Prager Altstadt 256, 258, 296 Olbram (auch: Wolfram; † 1402) von Škvorec, Erzbischof von Prag (1396–1402) 238 Olivi, Petrus Johannes, Franziskanerspirituale und Häretiker 167 Olmütz (tschech. Olomouc) 283, 331, 349 f. Olomouc (tschech.) → Olmütz Orsini, Giordano, Kardinal 336 Osnabrück 85 Otto, Prager Tuchscherer 146 Oxford 146, 161, 248 f., 327 Padua
124, 158
Palacký, František († 1876), Historiker und Politiker 13–28 Papendorf, Johannes, Magister und Rektor (1383/84) der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 95 Paris 14, 48, 53, 80–85, 87–90, 112, 119, 124, 146, 153, 166, 174, 223, 255, 265, 274, 279, 286, 288, 295, 341, 367 Paul von Prag, Magister der Prager Universität 151 Payne, Peter († 1456), englischer Magister der Prager Universität 248, 365 Pécs (ung.) → Fünfkirchen Perching, Heinrich, Theologe, Magister der Prager Universität 237 Pest 304 Peter de Cothebus, Mediziner, Magister der Prager Universität 101 Peter von Brandeis, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1409) 317, 325, 333, 335 Peter von Dresden, deutscher Hussit, Magister der Prager Universität 324 Peter von Konˇeprus, Theologe, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1410) 237, 297, 325 Peter von Mährisch Neustadt, Magister der Prager Universität 36, 354–356 Peter von Mokrsko, Prager Notar 338 Peter von Nahoschitz, Magister der Prager Universität 299 Peter von Politz, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1410), Mitglied der böhmischen Nation 230, 297, 325, 348 Peter von Posern, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1397), Mitglied der polnischen Nation 136 f., 234 Peter von Primiswald, Magister der Prager Universität 234 Peter von Sepekau, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1418), Mitglied der böhmischen Nation 325, 344 Peter von St. Clemens, Dominikaner 218 Peter von Stupno, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 160, 237 Peter von Valencia, spanischer Student der Prager Universität 332, 344 Peter von Wscherau, Kanoniker des Prager Domes 226
Personen- und Ortsregister Peter von Znaim, Theologe, Magister der Prager Universität, Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der böhmischen Nation 63, 76, 92, 140 f., 237, 347, 353 Peter Wysz von Radolin († 1414), Jurist, Bischof von Krakau (1392–1412), Bischof von Posen (ab 1412) 158 f. Peter Zmrzlík von Svojšín (Schweißing), hussitischer Adeliger 349 Petrus Lombardus († 1160), Theologe, Bischof von Paris (1159–1160) 161, 163, 324 Philibert de Saulx, Bischof von Châlonsur-Saône (1409–1413), Gesandter 254 Pileus de Prato, Kardinal, päpstlicher Legat 80 Pisa 15, 18, 20, 22, 29, 104, 154, 159, 168, 172, 189, 192, 206, 215, 224 f., 228, 249–251, 253 f., 269 f., 272, 276, 279, 281–284, 289, 295, 310 f., 327 f., 331–336, 340–342, 358 Pius II. (Enea Silvio Piccolomini), römischer Papst (1458–1464) 209, 301 f. Porfyrius (Publius Optatianus Porfyrius), lateinischer Dichter 163 Pot, Rainier, Ritter und französischer Diplomat 254 Prag (tschech. Praha) – Altstadt 25, 35, 47, 95 f., 125, 135, 147–149, 194, 204, 219, 221, 245, 255–262, 264, 272, 275, 295–297, 316, 346 f., 349, 352 – Bethlehemskapelle 23, 57, 147–150, 152, 161, 180, 191, 203, 224, 226, 257, 259, 270 f., 327, 340, 345, 348, 361 – Burg 133, 214 – Carolinum 178, 231, 316, 329, 360 – erzbischöflicher Hof auf der Kleinseite 345 – Fronleichnamskapelle 57, 149–152, 232, 238, 348 – Haus (Burse) „Zur Schwarzen Rose“ 149, 210–212, 215 f., 246, 322, 324, 327, 332 – Heiliggeistkirche 201 – Juristenfakultät/-universität in Prag 10, 19, 32, 34, 37, 91, 98 f., 124 f., 127, 152, 194 f., 232, 235, 263, 305, 317 – Kirche St. Clemens 160, 203, 216, 218, 221, 333 – Kirche St. Gallus 157, 188, 217, 221, 230, 314 – Kirche St. Jakob 230 – Kirche St. Niklas 217 – Kleinseite 345 – Kreuzherrenspital 95 – Neustadt 125 f., 149, 151, 181, 306, 348
401
– Stadt (Begriff) 16 f., 19, 35, 39–41, 125, 151, 248, 261 – Teynkirche (Maria am Teyn) 217 f., 221 Praha (tschech.) → Prag Pribislaus, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 76 Pribislaus von Huschen, Student der Prager Universität 332 Primislaus von Jessenitz, Theologe, Magister der Prager Universität, Propst des Karlskollegs, Mitglied der böhmischen Nation 92, 128, 317 Primislaus (Przemyslaw) I. († 1409), Herzog von Teschen, Piast, kaiserlicher Hofrichter und deutscher Reichsvikar unter König → Wenzel IV. 46, 48, 54, 71 Procházka, Jaroslav, Rektor der KarlsUniversität Prag 31 Prokop von Kladrau, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1412), Mitglied der böhmischen Nation 242, 297, 325 Prokop von Pilsen, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1414), Mitglied der böhmischen Nation 325, 346 Protiva (von Neudorf), Johannes, Pfarrer in der Prager Kirche St. Clemens, vorher Prediger in der Prager Bethlehemskapelle 203, 222, 260, 327 Prowin, Nikolaus, Magister der Prager Universität 92, 172, 230 ˇ Puchník von Cernice, Nikolaus († 1402), Magister und Rektor (1389/90) der Prager Universität, Generalvikar (1383–1393/1395–1402) und Offizial (1383–1394) des Erzbistums Prag, ernannter Erzbischof von Prag (1402) 40 f., 44, 46, 48 f., 55, 59, 65, 77, 79, 92, 110, 121, 223 Raudnitz /Elbe (tschech. Roudnice nad Labem) 215, 221–223, 229, 331, 345 Reddin, Peter, Magister und Rektor (1391) der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 137 Reginald von Aulne, Theologe, Magister der Pariser Universität 90 Rennen, Luder, Mediziner, Magister der Prager Universität 101 Richard II., König von England (1377–1400) 161 Richard von Lincoln, mittelalterlicher Gelehrter 167
402
Personen- und Ortsregister
Rodewitz, Jakob, Jurist, Magister und Rektor (1412, 1419) der Leipziger Universität 312 Rom 15, 46, 55, 80 f., 103 f., 127, 131 f., 134, 154, 159, 168, 174, 182, 188–190, 192 f., 212, 219, 223–227, 229, 248–254, 273, 290, 310, 333 f., 336, 341–343, 364, 367 Roudnice nad Labem (tschech.) → Raudnitz / Elbe Rudolf III., Herzog und Kurfürst von Sachsen (1388–1419) 349 Ruprecht III. von der Pfalz, Kurfürst (1398–1410) und römisch-deutscher König (1400–1410) 15, 89 f., 168, 172, 188 f., 253 f., 284, 290, 331 Russenyeden von Luetesdorf, Henne, der Ketzerei beschuldigter Laie 171 Ruwe, Heinrich, Jurist, Magister der Prager Universität 132, 135 Rvaˇcka, Maˇrík, Theologe, Inquisitor, Magister der Prager Universität 159, 202 f., 214, 331 Ryppin, Johannes, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 95 Schindel, Johannes († 1443), Mediziner, Mathematiker und Astronom, Magister und Rektor (1410) der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 266, 339, 349 Schumann, Sabine, Historikerin 33, 305 f. Schwab von Butzbach, Johannes, Bakkalaureus der Prager Universität, später Magister der Wiener Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 118, 194, 196, 200, 217, 240, 243 f. Schwarz, Ernst, Historiker 32 Scott, Walter, Schriftsteller 9 Sedlák, Jan, Kirchenhistoriker 28, 184, 186 f., 330, 336 Seibt, Ferdinand, Historiker 33 Seidenberg, Hieronymus, Kurialbeamter 225, 251, 282, 284, 328 Sigismund von Jistebnitz, Prediger, Bakkalaureus der Prager Universität 187, 202, 214, 216, 224 Sigismund von Luxemburg, König von Ungarn (1387–1437), römisch-deutscher (1411–1437) und böhmischer König (1420–1437), römischer Kaiser (1433–1437) 15, 256, 269, 331, 336, 342 f., 349 Sigismund von Weilburg (auch: Sigismundus de Pretorio), Protonotar der Prager Altstadt 259
Simon von Rokitzan, Magister und Rektor (1415/16) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1416), Mitglied der böhmischen Nation 325 Simon von Tischnowitz (auch: Tišnov), Magister und Rektor (1411) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1409), Mitglied der böhmischen Nation 160, 200, 237, 242, 280, 296 f., 299, 325, 335, 346 f., 349, 353 Škarka, Antonín, Literaturhistoriker 30 Šmahel, František, Historiker 9 f., 12, 27, 32–34, 51–56, 62, 64, 66, 68, 70, 88, 92, 94, 97 f., 143, 147, 150, 152, 162 f., 195, 215, 235, 248, 262, 275, 303, 305 f., 323, 325, 329, 334, 338, 354 Spˇeváˇcek, Jiˇrí, Historiker 48 f. Speyer 170 Spunar, Pavel, Historiker 9 f. Stanislaus von Znaim († 1414), Theologe und Reformer, Magister und Rektor (1404/05) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1395/96), Kanoniker des Karlskollegs und Mitglied der böhmischen Nation 36, 140, 153, 160, 162 f., 165, 168, 176 f., 179–194, 203 f., 212 f., 218–220, 224, 231, 234, 237, 239, 241, 248, 251, 254 f., 326, 328, 330, 341, 347, 351–353, 355 Štˇekna, Johannes, Zisterzienser, Theologe, Prediger in der Prager Bethlehemskapelle, später Magister der Krakauer Universität 180–182, 188, 203 Stephan von Dolan, Magister der Prager Universität, Mitglied der böhmischen Nation 345 Stephan von Kolin († 1406), Theologe und Reformer, Magister und Rektor (1397/98) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1392), Mitglied der böhmischen Nation, Prediger in der Prager Bethlehemskapelle (1396–1402) 69, 92, 123, 151, 153–155, 160, 180, 237 Stephan von Páleˇc († 1424), Theologe und Reformer, Magister und Rektor (1400) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1399) und der Theologischen Fakultät (1412), Mitglied der böhmischen Nation, Kanoniker des Wenzels-Kollegs und Magister der Krakauer Universität (ab 1417/18) 36, 148, 153, 160, 162–165, 179, 182 f., 189 f., 192, 200, 210 f., 218–220, 224 f., 234, 251, 255, 257, 330, 346 f., 349, 351–354 Stephan von Setsch, Bakkalaureus der Prager
Personen- und Ortsregister Universität, Mitglied der böhmischen Nation 237 Štítný von Štítné, Thomas, Landedelmann und Schriftsteller 156 Stoˇces, Jiˇrí, Historiker 56, 142 Stoer (von Schweidnitz), Nikolaus († 1424), Theologe, Magister und Rektor (1401) der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1399), Magister der Leipziger Universität (ab 1409) 234 Storch, Nikolaus, Theologe, Bakkalaureus der Prager Universität 58 Storch, Peter, Theologe, Bakkalaureus der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 240 Straßburg 170, 172 Strnad, Alfred A., Historiker 10 Stuckler von Passau, Johannes, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 217 Sulek, Propst von Chotieschau 350 Süner von Rotheim, Friedrich, Magister der Prager Universität 234 Šusta, Josef, Historiker 27 Svatoš, Michal, Historiker 12, 308 Swerthe, Dietmar, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1381, 1384) 90 Tabor (tschech. Tábor) 30 Tábor (tschech.) → Tabor Tell de Tungris, Nikolaus (auch: Nikolaus von Tongern), Magister der Heidelberger Universität 169 Tempelfeld, Nikolaus († 1474), Theologe, Magister und Rektor (1433) der Krakauer Universität, später Kanoniker und Prediger an der Bischofskirche Breslau (ab 1455) 209, 267 f., 285, 294–296, 359, 364 Tempier, Stephan, Bischof von Paris 166, 341 Tesser, Johannes, Bakkalaureus der Prager Universität, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 119, 217, 220, 243, 248, 330 T(h)ammo von Bocksdorf, Jurist, Magister der Prager Juristen- und Leipziger Universität, in Prag Mitglied der polnischen Nation 312 Theodericus von Braunschweig, Magister der Prager Universität, Mitglied der sächsischen Nation 280 Thimo von Colditz († 1410), Bischof von Meißen (1399–1410) 282 Thomas von Lissa, Magister und Rektor (1415/16) der Prager Universität, Dekan der
403
Artistenfakultät (1411), Mitglied der böhmischen Nation 299, 325, 349 Tilmann von Kassel, Magister der Prager und Heidelberger Universität 91 Tomek, Václav Vladivoj (auch: Wenzel Wladiwoj Tomek; † 1905), Historiker und Politiker 13, 17–24, 26, 32, 38–41, 52, 83, 284 Totting von Oyta, Heinrich, Theologe und Philosoph, Magister der Prager, Pariser und Wiener Universität 36, 45, 68, 70 f., 80, 82–89, 173, 234, 315 Uguccione, Francesco, Kardinal 186, 189 f., 204, 212 f., 215, 222, 224, 327 Ulm 36, 173 Urban VI., römischer Papst (1378–1389) 80–82, 90, 133, 138 Václav˚u, Hana, Historikerin 143, 152 Vanˇecˇ ek, Václav, Rechtshistoriker 30, 275 Varentrape, Albert, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1408) 230, 279 Vener, Job († 1447), Jurist und Diplomat 159 Villani, Peter, päpstlicher Auditor 84 Vinaˇrice (tschech.) → Winarschitz Vinzenz von Wartenberg († 1425), böhmischer Baron, Oberstburggraf (1414–1420) 322 Vinzenz, Tuchscherer 256, 258 Vitek, Verwalter des erzbischöflichen Gefängnisses 73 Vocel, Jan Erazim, Archäologe und Volkskundler 20 f. Voksa von Waldstein, Prager Höfling und Reformanhänger 348 Všetaty (tschech.) → Wschetat Vyšehrad (tschech.) → Wyschehrad Wagner, Wolfgang Eric, Historiker 49–52, 74 Waldhauser, Konrad († 1369), Sittenprediger 155, 157 Wanczik, Andreas, Dominikaner, Magister der Prager Universität, Mitglied der polnischen Nation 297 f. Weinstein von Ingolstadt, Kaspar, Zeuge im Wiener Inquisitionsprozess (1410) 216–218, 220, 244 f., 247 Wenzel IV. († 1419), König von Böhmen (1378–1419) und römisch-deutscher König (bis 1400) 11, 14–16, 18, 20–22, 24 f., 29 f., 32, 37, 40, 43, 45–50, 54, 57, 59, 63, 71, 80–83, 85, 103 f., 109, 114–117, 125, 134 f.,
404
Personen- und Ortsregister
137, 139 f., 150, 153 f., 159 f., 168, 177, 189, 192, 201, 204 f., 209, 222–225, 228, 238, 240 f., 245, 248, 251–259, 261, 264 f., 268–270, 273, 275 f., 278 f., 282–285, 287–295, 300, 307, 310, 312, 316–318, 327, 332, 335 f., 339, 341–345, 347–354, 358–361, 364, 367 Wenzel Kralik von Buˇrenitz, Patriarch von Antiochia (1397–1416), Administrator von Olmütz (1413–1416) 282 Wenzel von Hodkowitz, Vater des → Johann von Hodkowitz 151 Wenzel von Mirovitz, Magister der Prager Universität, Dekan der Artistenfakultät (1417), Mitglied der böhmischen Nation 297 f., 325 Wenzel, Hl., böhmischer Fürst (921–935) 222 Werner von Friedberg, Lektor der AugustinerEremiten in Landau 170 Wyclif, John († 1384), Theologe und Reformator 15, 21, 24, 34, 37, 57, 83, 123, 147, 154, 161–165, 174–176, 178–180, 187–189, 198, 200, 202–204, 210–223, 226, 230, 245–249, 267 f., 296, 315, 327–336, 338–347, 352, 358, 361 f. Wiedenbrück 85 Wien 9 f., 13, 19, 28, 32, 45, 48–50, 80, 82 f., 85, 87–89, 105 f., 108, 117–121, 127, 143 f., 154, 159, 169, 172 f., 177, 180 f., 189, 194–196, 198–201, 203, 216 f., 220, 236, 239, 241–243, 247–249, 252, 278, 283, 288, 302–305, 315, 318, 328–330, 333, 341, 358 Wilhelm I. († 1407), Markgraf von Meißen 254 Wilhelm II. († 1425), Markgraf von Meißen 310 Wilhelm von Ockham († 1349), Philosoph, Theologe, Politiktheoretiker 167, 169 Wilsnack 180, 187 Winarschitz (tschech. Vinaˇrice) 336
Władysław II. Jagiełło, litauischer Großfürst (1377–1401), König von Polen (1386–1434) 94, 104, 107, 224, 269, 342 Wolf, Blasius, Magister und Rektor (1383) der Prager Universität, Dekan des Allerheiligenkollegs 131 f., 218, 244, 328 f. Wolf, Johannes, Magister der Prager Universität, Kollegiat des Karlskollegs 68 f., 92 f., 131 Worms 169 Wrocław (poln.) → Breslau Wschetat (tschech. Všetaty) 151 Würzburg 322 f. Wyschehrad (tschech. Vyšehrad) 85, 275, 353 Ysebrandus de Wyringia, Magister und Rektor (1419) der Heidelberger Universität 169 Zabitec, Andreas, Jurist, Prokurator der böhmischen Nation an der Prager Universität 46, 49, 70, 73, 76 Zarncke, Friedrich, Philologe 304 Zatschek, Heinz, Historiker 32, 152 Záviš von Zapy, Jurist, Magister der Prager Universität 338 Zbynko Zajíc von Hasenburg, Erzbischof von Prag (1402–1411) 11, 15, 24, 37, 135, 153, 173, 177, 179, 186, 189, 202, 204, 213, 223, 227, 237, 250, 327 f., 331–334, 336 f., 340 f., 345, 347, 351, 354 Zdenko von Chrast, Kanoniker des Prager Domes 336 Zdenko von Laboun, Magister und Rektor (1409) der Prager Universität, Propst des Allerheiligenkollegs 230, 296, 319, 331, 347, 353 Zdislav von Zweretitz, böhmischer Adeliger, Magister und Rektor (1417) der Prager Universität 344–347 Žebrák (tschech.) → Bettlern Zega, Włodzimierz, Philosophiehistoriker 161 Zittau 324
VISUELLE GESCHICHTSKULTUR HERAUSGEGEBEN VON STEFAN TROEBST IN VERBINDUNG MIT ARNOLD BARTETZKY, STEVEN A. MANSBACH UND MAŁGORZATA OMILANOWSK A
EINE AUSWAHL
BD. 14 | STEFAN ROHDEWALD GÖTTER DER NATIONEN
BD. 11 | ARNOLD BARTETZKY,
RELIGIÖSE ERINNERUNGSFIGUREN
RUDOLF JAWORSKI (HG.)
IN SERBIEN, BULGARIEN UND
G ESCHICHTE IM RUNDUMBLICK
MAKEDONIEN BIS 1944
PANORAMABILDER IM ÖSTLICHEN
2014. 905 S. 18 S/W- UND 10 FARB. ABB.
EUROPA
GB. | ISBN 978-3-412-22244-4
2014. 213 S. 24 S/W- UND 70 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22147-8
BD. 15 | MARINA DMITRIEVA, LARS KARL (HG.)
BD. 12 | ARNOLD BARTETZKY,
DAS JAHR 1813, OSTMITTELEUROPA
CHRISTIAN DIETZ, JÖRG HASPEL (HG.)
UND LEIPZIG
VON DER ABLEHNUNG ZUR
DIE VÖLKERSCHLACHT ALS
ANEIGNUNG? DAS ARCHITEKTONISCHE
(TRANS)NATIONALER ERINNERUNGSORT
ERBE DES SOZIALISMUS IN MITTEL- UND
2016. 299 S. 50 S/W- UND 40 FARB. ABB.
OSTEUROPA
GB. | ISBN 978-3-412-50399-4
FROM REJECTION TO APPROPRIATION? THE ARCHITECTURAL HERITAGE OF
BD. 16 | ROBERT BORN,
SOCIALISM IN CENTRAL AND EASTERN
BEATE STÖRTKUHL
EUROPE
APOLOGETEN DER VERNICHTUNG
2014. 297 S. 43 S/W- UND 175 FARB. ABB.
ODER »KUNSTSCHÜTZER«?
GB. | ISBN 978-3-412-22148-5
KUNSTHISTORIKER DER MITTELMÄCHTE IM ERSTEN WELTKRIEG
BD. 13 | AGNIESZKA GASIOR, AGNIESZKA
2017. CA. 352 S. CA. 59 S/W- UND 4 FARB.
HALEMBA, STEFAN TROEBST (HG.)
ABB. GB. | ISBN 978-3-412-50716-9
G EBROCHENE KONTINUITÄTEN T RANSNATIONALITÄT IN DEN ERINNE-
BD. 17 | ARNOLD BARTETZKY
RUNGSKULTUREN OSTMITTELEUROPAS
GESCHICHTE BAUEN
IM 20. JAHRHUNDERT
ARCHITEKTONISCHE REKONSTRUKTION
2014. 352 S. 51 S/W- UND 12 FARB. ABB.
UND NATIONENBILDUNG VOM
GB. | ISBN 978-3-412-22256-7
19. JAHRHUNDERT BIS HEUTE 2017. CA. 432 S. CA. 200 S/WUND CA. 100 FARB. ABB. GB.
TT166
ISBN 978-3-412-50725-1
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
CHRISTIAN ZSCHIESCHANG
DAS HERSFELDER ZEHNTVERZEICHNIS UND DIE FRÜHMITTELALTERLICHE GRENZSITUATION AN DER MITTLEREN SAALE EINE NAMENKUNDLICHE STUDIE (FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE UND KULTUR DES ÖSTLICHEN MITTELEUROPA, BAND 52)
Für Namenforschung und Mediävistik ist das Hersfelder Zehntverzeichnis, insbesondere aufgrund seines Umfangs, eine Quelle von außerordentlicher Bedeutung. Es überliefert für das 9. Jahrhundert weit mehr als 200 Ortsnamen. Obwohl das Verzeichnis schon häufiger wissenschaftlich ausgewertet wurde, werden die in ihm aufgelisteten Toponyme jetzt zum ersten Mal im direkten Vergleich mit der gesamten Ortsnamenlandschaft zwischen Harz und Saale, Unstrut und Mansfelder Seen analysiert. 2017. 240 S. 3 S/W- UND 20 FARB. ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-50721-3
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
STEFAN TROEBST
ZWISCHEN ARKTIS, ADRIA UND ARMENIEN DAS ÖSTLICHE EUROPA UND SEINE RÄNDER. AUFSÄTZE, ESSAYS UND VORTRÄGE 1983–2016 (FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE UND KULTUR DES ÖSTLICHEN MITTELEUROPA, BAND 53)
Im Zuge von Weltgeschichtsschreibung, Transnationalisierungsforschung und „neuen“ Area Studies ist die im deutschsprachigen Raum vertretene historische Teildisziplin Osteuropäische Geschichte unter Legitimationszwang geraten. Gleichzeitig wurde sie aber von eben diesen global orientierten Forschungsrichtungen als paradigmatischer Prototyp entdeckt. Das Erkenntnispotential der historischen Osteuropaforschung in ihrer Fokussierung auf Ostmitteleuropa, Südosteuropa, Nordosteuropa und den ostslavischen Raum, aber auch auf den Kaukasus und Zentralasien sowie bezüglich der Verflechtung mit anderen Weltregionen wird dabei zunehmend erkannt und genutzt. Dies gilt nicht zuletzt für die in diesem Teilfach entwickelte Konzeption der Geschichtsregion, welche mittlerweile nicht nur von anderen Europahistorikern, sondern auch von Vertretern weiterer geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen kreativ adaptiert wird. Der Band belegt sowohl die Sinnhaftigkeit der geschichtsregionalen Konzeption „östliches Europa“ (samt ihren Untergliederungen) im intraregionalen Kontext als auch deren Konstituierung durch die Interaktion mit angrenzenden historischen Meso-Regionen. 2017. 444 S. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-50757-2
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