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German Pages 311 Year 2012
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 236
Das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz („KapMuG“) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids
Von
Stephanie Haufe
Duncker & Humblot · Berlin
STEPHANIE HAUFE
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz („KapMuG“)
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 236
Das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz („KapMuG“) Streitgegenstand des Musterverfahrens und Bindungswirkung des Musterentscheids
Von
Stephanie Haufe
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen.
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© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-13528-8 (Print) ISBN 978-3-428-53528-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83528-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Johannes
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Ekkehard Schumann. Die Erfahrungen und Anregungen, die ich in den Jahren als seine wissenschaftliche Mitarbeiterin sammeln durfte, schätze ich sehr. Sie haben sehr zu meiner juristischen Entwicklung sowie zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen. Ich danke Herrn Professor Dr. Schumann für die wertvolle Unterstützung im Vorfeld und während der Promotion sowie für die rasche und genaue Begutachtung meiner Arbeit. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Jörg Fritzsche für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Bastian Bohn, Johannes Bolkart, Sebastian Herrler, Matthias Schweiger, Derek Spieler und Petra Wech, deren wertvolle Anregungen ich nicht missen möchte. Für Ihre Mühe und Hilfe möchte ich mich hiermit herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, insbesondere meinen Eltern KarlHeinz und Sieglinde Haufe. Dem Leser wünsche ich eine gewinnbringende Lektüre. München, im September 2011
Stephanie Haufe
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Praktische und prozessuale Probleme bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die prozessuale Ausgangssituation bei Anlegerstreitigkeiten am Beispiel des Verfahrens gegen die Deutsche Telekom AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kurzüberblick zur Entstehungsgeschichte des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . .
29
§ 2 Überblick über die gesetzgeberische Zielsetzung und die Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ziel des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zuständigkeitskonzentration gemäß § 32b ZPO und § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG, § 66 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 35 38 41 41 42 44
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Streitgegenstandsverständnis der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Gegenstand des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 56 58
§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die anfängliche „Häufung von Feststellungszielen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die nachträgliche Erweiterung des im Vorlagebeschluss festgelegten Gegenstands des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens . . . . . . . . . . . . . . .
138 138 148 185
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung . . . . . . . . . . C. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220 221 224 231
§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
A. Praktische und prozessuale Probleme bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
B. Die prozessuale Ausgangssituation bei Anlegerstreitigkeiten am Beispiel des Verfahrens gegen die Deutsche Telekom AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
C. Kurzüberblick zur Entstehungsgeschichte des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . .
38
§ 2 Überblick über die gesetzgeberische Zielsetzung und die Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
A. Ziel des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
B. Zuständigkeitskonzentration gemäß § 32b ZPO und § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG, § 66 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
I.
Ausschließlicher Gerichtsstand gemäß § 32b ZPO . . . . . . . . . . . . . . . .
42
II. Sachliche Zuständigkeitskonzentration gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
I.
Die Einleitung des Musterverfahrens: Das Vorlageverfahren, § 1 bis § 5 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1. Grundsatz der Individualklageerhebung, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2. Antrag auf Musterverfahrensdurchführung, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
3. Anforderungen an den Musterfeststellungsantrag gemäß § 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
a) Statthaftigkeit des Musterfeststellungsantrags, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
b) Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
4. Bekanntmachung des Musterfeststellungsantrags und Vorlage an das Oberlandesgericht, § 2 bis § 4 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
II. Die Durchführung des Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht, § 6 bis § 15 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
1. Auswahl des Musterklägers, § 8 Abs. 2 KapMuG, und öffentliche Bekanntmachung des Musterverfahrens, § 6 KapMuG . . . . .
50
12
Inhaltsverzeichnis 2. Aussetzung der übrigen Ausgangsstreitigkeiten nach § 7 KapMuG und Beiladung zum Musterverfahren nach § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erlass des Musterentscheids, § 14 KapMuG, Rechtsbeschwerde, § 15 KapMuG, und Fortführung des erstinstanzlichen Verfahrens, § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Streitgegenstandsverständnis der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Gegenstand des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffs- und Inhaltsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auslegung der Begriffe „Feststellungsziel“ und „Streitpunkte“ anhand der Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das „Feststellungsziel“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . b) Die „Streitpunkte“ i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . c) Das Verhältnis zwischen Feststellungsziel und Streitpunkten . . 3. Normative Korrektur des bisherigen Auslegungsergebnisses . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erkennbares Bedürfnis für ein erweitertes Verständnis vom Inhalt des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begrenzung der Inhaltserweiterung des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auf Ausnahmefälle . . . . . 4. Die Bestimmung des „zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Abgrenzung zwischen einem gleichem und einem unterschiedlichen Lebenssachverhalt im Rahmen des KapMuG . . . . . . a) Das Erfordernis einer normativen, auf den Kern der Streitigkeit bezogenen, Betrachtungsweise – die Herausgabe eines konkreten Informationsträgers bzw. ein entsprechendes Unterlassen als entscheidendes Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . b) Verdeutlichung anhand einiger Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beispiele für einen „gleichen Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beispiele für einen „unterschiedlichen Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unabhängigkeit der Grenzziehung zwischen gleichen und unterschiedlichen Lebenssachverhalten von den individuell vorgetragenen Streitpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Unabhängigkeit der Einordnung als einheitlicher „Lebenssachverhalt“ von der Person des Beklagten . . . . . . . . . . . . .
51
52 54 56 58 61 64 64 65 65 66 69 70 70 72
72 75 81 84
84 88 89 93
95 96
Inhaltsverzeichnis 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Folgerungen für den Begriff der Gleichgerichtetheit i. S. v. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Derzeitiger Streitstand zum musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigene Ansicht zum Streitgegenstand des Musterverfahrens . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung beim musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Inhalts des musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit dem musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Erfordernis einer Differenzierung zwischen Feststellungsziel und Streitpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses bestimmt den Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unerheblichkeit von Streitpunkten und Lebenssachverhalt für die Bestimmung des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Gegenstand der Bindungswirkung des Musterentscheids . . 4. Der Einfluss von Kognitionsschranken auf den musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhaltliche Begrenzung gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begrenzungen auf Grund von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . bb) Begrenzungen auf Grund von § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzung zwischen tatsächlichem und normativem Streitgegenstand sowie Verbescheidung bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Erweiterung gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Bedeutung des Vorlagebeschlusses für den Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches zum Umfang der Bindung des vorlegenden Prozessgerichts an die Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 KapMuG als gesetzlicher Ausgangspunkt für die Bindung des Prozessgerichts an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge bei Erlass des Vorlagebeschlusses . . b) Zulässigkeit und Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge als Grundvoraussetzungen für die Einbeziehung in den Vorlagebeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kreis der im Rahmen der Vorlage zu berücksichtigenden zulässigen und gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge . . . .
13 98 99 103 106 106 107 108 109 110 111 112 113 114 114 115
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Inhaltsverzeichnis aa) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kreis der zu berücksichtigenden Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ungeschriebene Grenzen des Bindungsumfangs des Prozessgerichts an die Fassung der Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . a) Keine strenge Bindung an den Wortlaut der Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgehen bei divergierenden Anträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge betreffend unterschiedliche Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen von unbedingter und bedingter Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontradiktorische Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . . . 3. Streitgegegenstandsbildende Funktion des Vorlagebeschlusses im Hinblick auf die Musterverfahrensdurchführung vor dem Oberlandesgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die anfängliche „Häufung von Feststellungszielen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die in der Literatur vertretenen Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die These der Feststellungszielshäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die These vom inhaltlich dehnbaren Begriff des Feststellungsziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Flexibilität des Begriffs des Feststellungsziels aus dem Blickwinkel der Musterfeststellungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Flexibilität des Begriffs des Feststellungsziels aus dem Blickwinkel des Vorlagebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rollenverteilung im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bestimmung des Musterklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßgeblicher Personenkreis und gesetzgeberischer Grundsatz der Auswahl einer einzigen Person zum Musterkläger nach § 8 Abs. 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine grundsätzliche Zulässigkeit der Auswahl mehrerer Personen zu streitgenössischen Musterklägern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumente im Schrifttum für eine Streitgenossenschaftslösung b) Argumente gegen die generelle Anwendbarkeit der Vorschrift des § 62 ZPO im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kein Fall des § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 138 138 139 139
126 128 128 128 129 130 133
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141 143 143 145 146 148 148 150 151
151 153 153 155 155
Inhaltsverzeichnis
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bb) Kein Fall des § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine entsprechende Anwendung des § 62 ZPO im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Argumente gegen die Geltung der zivilprozessualen Regeln über die einfache Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchbrechung des Grundsatzes der Auswahl einer einzigen Person zum Musterkläger: Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argumente für die Fortsetzung einer bereits im Hauptsacheverfahren bestehenden notwendigen Parteienmehrheit . . . . . . . IV. Die Bestimmung des Musterbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die in der Literatur diskutierten Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ansatz von Fabian Reuschle: Fortsetzung als notwendige Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Ansatz von Sonja Lange: Keine Beiladung auf Beklagtenseite entgegen § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Ansatz von Carina Rau: Auswahl eines einzigen Musterbeklagten analog § 8 Abs. 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Ansatz von Thomas Kilian, Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing: Ernennung des bzw. der vom auserwählten Musterkläger verklagten Person(en) zum Musterbeklagten e) Der Ansatz von Bruno Rimmelspacher: Ernennung eines einzigen Musterbeklagten unabhängig von der Situation im Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Ansicht: Umfassende Geltung der §§ 59 ff. ZPO auf Musterbeklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumente gegen die generelle Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft im Musterverfahren auf Beklagtenseite . . b) Argumente gegen eine Musterbeklagtenauswahl analog § 8 Abs. 2 KapMuG und für die Geltung der Vorschriften der einfachen Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO auf Musterbeklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umfang der Geltung des § 62 ZPO im Musterverfahren: Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite bereits im Ausgangsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die nachträgliche Erweiterung des im Vorlagebeschluss festgelegten Gegenstands des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Derzeitiger Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Lösungsansatz von Fabian Reuschle: Die Einführung weiterer Feststellungsziele über § 263 ZPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157
158
164 164 165 168 168 171 171 172 173
173
174 174 174
176
183 185 185 190 190
16
Inhaltsverzeichnis 2. Der Lösungsansatz von Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing, Josef Fullenkamp und des Landgerichts Stuttgart: Erweiterung des Vorlagebeschlusses gemäß § 13 KapMuG nur bei Einführung weiterer Feststellungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Der Lösungsansatz von Thomas Kilian: Die nachträgliche Erweiterbarkeit des Feststellungsziels über § 13 KapMuG analog . . . . . . 193 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Historische Argumente für einen Rückgriff auf § 13 KapMuG analog zur nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels . . 196 b) Systematische und teleologische Argumente für einen Rückgriff auf § 13 KapMuG analog zur nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Keine der Analogie entgegenstehenden berechtigten Interessen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Rückgriff auf § 13 KapMuG analog bei Erweiterung des Feststellungsziels um zusätzliche Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 e) Erfordernis der wortlautgetreuen Anwendung des § 13 KapMuG bei der Einführung weiterer Streitpunkte . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Adressat des Erweiterungsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Entscheidung über das Erweiterungsersuchen und zum Erlass des Erweiterungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Vorliegen von Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit des Erweiterungsersuchens gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG . . . . . . . . 213 a) Entscheidungserheblichkeit des Erweiterungsersuchens im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Sachdienlichkeit des Erweiterungsersuchens im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Anforderungen an die Sachdienlichkeit bei Erweiterung des Feststellungsziels gemäß § 13 KapMuG analog . . . . . . 216 bb) Anforderungen an die Sachdienlichkeit bei Einführung weiterer Streitpunkte gemäß § 13 KapMuG . . . . . . . . . . . . . 218
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 A. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I.
Überblick über die gesetzlichen Anordnungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 bis Satz 3 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Zweck des § 325a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung . . . . . . . . . . 224 I. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG umfasst nur das im Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungsziel . . . . . . . . . . . . . . 226
Inhaltsverzeichnis II. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG erstreckt sich auf die tatsächlichen Streitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 bis 3 KapMuG ist generell auf die tatsächlichen Streitpunkte begrenzt . . . . . . . . . . . . . . . C. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigener Ansatz zur Bestimmung der objektiven Reichweite der in § 16 KapMuG angeordneten Bindungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, § 322 Abs. 1 ZPO und § 325a ZPO als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendiger und sinnvoller objektiver Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtskraft bezüglich des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtskraft bezüglich sämtlicher Streitpunkte i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung zur objektiven Reichweite der Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . . . . b) Fazit: Von dem zivilprozessualen Rechtskraftverständnis abweichender rechtskraftfähiger Entscheidungsgegenstand des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aus der Rechtskraftanordnung in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG resultierende Wirkungen des Musterentscheids gegenüber den Musterverfahrensparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Verbot des ne bis in idem bei Identität des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Präjudizwirkung des Musterentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Präklusionswirkung des Musterentscheids . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkung im Verhältnis zwischen Musterverfahrenspartei und Beigeladenem bzw. im Verhältnis zweier Beigeladener zueinander, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendiger und sinnvoller objektiver Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Erstreckung der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG . . . . . . . 3. Grenzen der Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG . . a) Personelle Reichweite gemäß § 16 Abs. 1 Satz 4, § 16 Abs. 3 und § 17 Satz 4 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 228 229 231 231 232 232 235 235 235 238 244
246
251 252 253 253
255 255 258
258 261 264 264
18
Inhaltsverzeichnis b) Grenzen der objektiven Reichweite der Bindung gemäß § 16 Abs. 2 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleich mit ähnlichen zivilprozessualen Instituten . . . . . . . . . . . . a) Die Interventionswirkung, § 68 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kurze Darstellung der Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO (i.V. m. § 74 Abs. 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kurze Darstellung der Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kurze Darstellung der Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Systematische Einordnung der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindung als Beiladungswirkung sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirkung gegenüber den Prozessgerichten, § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266 268 268 268 270 272 272 274 275 275 276
276 277
§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Abkürzungsverzeichnis1 a. A. a. a. O. ABl. EG Abs. AcP a. E. a. F. AG AGG AkadZ AktG Alt. Anh./Anh Anm. AnSVG APAG Art. Aufl. AVAG
Az. BAG BagatellVO
BAGE BankR BayObLG
anderer Ansicht/am Anfang am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft/Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht Aktiengesetz Alternative Anhang Anmerkung Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz) Abschlussprüferaufsichtsgesetz Artikel Auflage Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz) Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts Bankrecht (Zeitschrift) Bayerisches Oberstes Landesgericht
1 Vgl. Kirchner/Pannier, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl., Berlin 2008.
20 BayOblGZ BB Bd. Beschl. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHReport BGHZ BilKoG BilReG BKR BörsG BörsZulV BRAK BRAK-Mitt. BR-Drs. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw. DAI DAV DB ders. d.h. dies. DJT DÖV DStR DVBl. EG EGBGB EG-MahnVO
EGZPO
Abkürzungsverzeichnis Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgericht in Zivilsachen Der Betriebsberater (Zeitschrift) Band Beschluss Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGHReport (Zeitschrift) Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz) Bilanzrechtsreformgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Börsengesetz Börsenzulassungsverordnung Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen (12.1981 ff.; vorher: Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer; Zeitschrift) Drucksache des Deutschen Bundesrates Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise Deutsches Aktieninstitut Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe das heißt dieselbe(n) Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung
Abkürzungsverzeichnis
21
EG-ZustellVO/ Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 EuZustellungsVO über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten Einf. Einführung Einl. Einleitung EMRK Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ErbbauRG Gesetz über das Erbbaurecht (Erbbaurechtsgesetz) EuBVO Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen EuEheVO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 EuGH Europäischer Gerichtshof EuGVO/EuGVVO Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht mit Anmerkungen, Loseblatt f./ff. folgende F.R.C.P. Federal Rules of Civil Procedure Fam-FG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FGG-RG Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fn. Fußnote(n) Frankfurt a. M. Frankfurt am Main GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. gemäß GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GKG Gerichtskostengesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH & Co (KG) Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Compagnie (Kommanditgesellschaft)
22 Grdz. GVG h. A. HausratsVO HBÜ/HBewÜ HGB h. M. Hrsg. Hs. HZÜ
i. A. i. d. F. i. d. R. i. E. i. e. S. i. H. a. INF inkl. insbes. IPrax i. S. d. i. S. v. i. Ü. i.V. m. i. w. S. JA JR JuMoG Jura JuS JZ KapMuG KapMuG-E KlagRegV
Abkürzungsverzeichnis Grundzüge Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Ansicht/Auffassung Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland usw. vom 18. März 1970 Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 im Allgemeinen in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne im Hinblick auf Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (ab 1.2009: SteuerConsultant; Zeitschrift) inklusive insbesondere Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) im Sinne des/der im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren Verordnung über das Klageregister nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Klageregisterveordnung)
Abkürzungsverzeichnis LG LPartG MahnVO MDR m.w. N. m. z. w. N. NJ NJW NJW-RR Nr. NVwZ NZA NZG OLG OLGReport ÖsterrAnwBl ProdHaftG RAK RBerG RegE RGZ RIW Rn. Rz. S. SpruchG StGB s. u. TVG u. a. UKlaG UMAG UmweltHG UmwG Urt. v. v. a. VAHRG
23
Landgericht Lebenspartnerschaftsgesetz siehe EG-MahnVO Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen weiteren Nachweisen Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Oberlandesgericht OLG-Report (Zeitschrift) Österreichisches Anwaltsblatt (Zeitschrift) Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz) Rechtsanwaltskammer Rechtsberatungsgesetz Regierungsentwurf Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft – Betriebs-Berater International (Zeitschrift) Randnummer Randzeichen Seite Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchgesetz) Strafgesetzbuch siehe unten Tarifvertragsgesetz unter anderem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwelthaftungsgesetz Umwandlungsgesetz Urteil vom vor allem Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich
24 VerkProspG VersR vgl. VO Vorbem VorstOG VTVO
VuR VVG (a. F.) VVG (n. F.) VwGO 4. VwGOÄndG 6. VwGOÄndG WEG WM WpHG WpPG WpÜG ZAkaDR z. B. ZBB ZGR ZIP
ZPO ZPO-RG ZRP z. T. ZVglRWiss ZZP
Abkürzungsverzeichnis Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Vorbemerkung(en) Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Zeitschrift für Verbraucher und Unternehmen; Verbraucher und Recht Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908 (RGBl. I 1908, S. 263; Versicherungsvertragsgesetz) Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23. November 2007 (BGBl. I 2007, S. 2631; Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht; Wertpapiermitteilungen Gesetz über den Wertpapierhandel Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (1.1980, 1–7: Insolvenzrecht; 1.1980, 8–3.192: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis) Zivilprozessordnung Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz) Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für (bis 62.1942: Deutschen) Zivilprozeß
Einleitung Mit dem weitgehend am 1. November 2005 in Kraft getretenen Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, nachfolgend „KapMuG“)1 hat der deutsche Gesetzgeber ein zivilverfahrensrechtliches Instrument zur Bündelung gleichgerichteter Ansprüche von Kapitalanlegern und deren prozessualer Durchsetzung geschaffen. Im internationalen Vergleich beschreitet er einen eigenständigen Weg der kollektiven Rechtsverfolgung – beschränkt auf kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten. Die Schaffung effektiver Rechtschutzregelungen bei Massenschäden gehört seit geraumer Zeit zu den zentralen Themen des Zivilverfahrensrechts. Bereits Ende der 70er Jahre hatte sich die Wissenschaft intensiv mit der Frage nach der Notwendigkeit, Reichweite und Ausweitung von Instituten zur gebündelten Durchsetzung gleichgelagerter Interessen auseinandergesetzt. In den vergangenen Jahren hat diese Thematik, insbesondere durch den Zusammenbruch des Neuen Marktes und eine mit der Finanzmarktkrise einhergehende Reihe von Haftungsprozessen, wie etwa EM.TV, Infomatec, Worldcom, Enron und nicht zuletzt Telekom, neuen Auftrieb erhalten. Die Forderung nach der Einführung einer Kollektivklagemöglichkeit ist – vor allem aus den Reihen der kapitalmarktrechtlichen Literatur – zunehmend lauter geworden. Infolge der im Rahmen der Prospekthaftungsklagen gegen die Deutsche Telekom AG vor dem Landgericht Frankfurt a. M. aufgetretenen prozessualen Schwierigkeiten erreichte der Ruf nach einem effektiven Rechtsschutz bei Massenschäden schließlich den Gesetzgeber. Er erkannte den Handlungsbedarf, eine Möglichkeit zur Bündelung gleichgerichteter Interessen im deutschen Verfahrensrecht zu verankern, und reagierte hierauf mit dem KapMuG. Dieses neu geschaffene prozessuale Instrumentarium ist zugleich als Antwort auf den steigenden Konkurrenzdruck zwischen verschiedenen Justizstandorten sowohl im europäischen Ausland als vornehmlich auch in den USA zu verstehen. Die in kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten verwickelten Unternehmen sind meist international tätig, so dass geschädigte Kapitalanleger zwischen mehreren
1 Das KapMuG wurde gemäß Art. 1 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren v. 16. August 2005 (BGBl. I 2005, 2437) geschaffen. Es war gemäß Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren z. T. mit Wirkung zum 20. August 2008, im Übrigen mit Wirkung zum 1. November 2005 in Kraft getreten und ist nach Abs. 2 Hs. 1 der Vorschrift am 1. November 2010 außer Kraft getreten.
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Einleitung
gerichtlichen Foren für ihre Schadensersatzklage wählen können. Dementsprechend kommt der Frage nach den günstigsten prozessualen Rahmenbedingungen bei der Prozessvorbereitung besonderes Gewicht zu. Anwaltlich beratene inländische Geschädigte suchen bei grenzüberschreitenden Prospekthaftungsfällen nicht selten zumindest parallelen Rechtsschutz in den im Vergleich zu Deutschland klägerfreundlicheren USA. Die US-amerikanische class action nach Rule 23 der US Federal Rule of Civile Procedure (23 F.R.C.P.) lädt zum „forum shopping“ ein, vor allem auf Grund des vergleichsweise geringen Kostenrisikos für die geschädigten Anleger, der klägerfreundlichen Beweislastregelungen sowie der Ausgestaltung des Entschädigungssystems. Hinzu kommt die weitreichende Bereitschaft US-amerikanischer Gerichte, ihre Zuständigkeit auch in extra-territorialen Sachverhalten anzuerkennen, wie z. B. der Fall Parmalat zeigte. Vor diesem Hintergrund war es dem Gesetzgeber zugleich ein Anliegen, die Attraktivität des Börsen- und Justizstandortes Deutschland zu festigen sowie die Kontrolle der deutschen Kapitalmärkte stärker an die inländischen Gerichte zu ziehen. Das KapMuG soll einerseits den Anlegern ein effizientes Instrument zur Durchsetzung ihrer kapitalmarktrechtlichen Ansprüche im Inland bereitstellen. Andererseits will das neu geschaffene Gesetz den Haftungsadressaten, insbesondere den Emittenten, Mitgliedern der Unternehmensverwaltung oder emissionsbegleitenden Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten bzw. einzelnen Beteiligten an einem Emissionskonsortium, eine realistische Einschätzung ihrer Prozessrisiken und ggf. die konzentrierte Verteidigung gegen missbräuchlich erhobene Anlegerklagen ermöglichen. Die Verfasserin hat es sich in der vorliegenden Dissertation zur Aufgabe gemacht, ausgewählte und für die Rechtspraxis besonders bedeutsame Fragestellungen im Zusammenhang mit dem KapMuG-Verfahren zu untersuchen. Das Ziel der Arbeit besteht darin, den Inhalt des Verfahrensgegenstands sowie die objektive und subjektive Reichweite der Musterentscheidung festzulegen. Der Musterentscheid soll entsprechend dem Gesetzeszweck für eine Vielzahl von Ausgangsstreitigkeiten verbindliche Wirkung entfalten. § 16 KapMuG ordnet eine je nach Adressatenkreis unterschiedliche Bindungswirkung an. Dies führte in Rechtsprechung und Schrifttum zu erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich des jeweiligen Umfangs der Bindung. Ähnliche Unklarheiten sind bei der Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands zu verzeichnen. Die Kenntnis seines Inhalts ist Voraussetzung für die Antwort auf die Frage nach der jeweiligen Wirkung der Musterentscheidung. Der erste Teil der Arbeit widmet sich dementsprechend der Festlegung des kapitalanleger-musterverfahrenrechtlichen Gegenstands. Auf diese Definition aufbauend will die Bearbeiterin sodann dazu beitragen, den Regelungen des § 16 KapMuG vorhersehbare dem Gesetzeszweck entsprechende und praxistaugliche Inhalte zu verleihen. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ordnet an, dass der Musterentscheid der Rechtskraft insoweit fähig ist, als über den Streitgegenstand des Musterverfahrens ent-
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schieden ist. Ebenso wie der Streitgegenstand in der ZPO für den Rechtskraftumfang maßgeblich ist, vgl. § 322 Abs. 1 ZPO, gibt der Gegenstand des KapMuGProzesses die objektive Reichweite der Bindungswirkung der oberlandesgerichtlichen Entscheidung vor. Er legt die Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts in künftigen Prozessen, vornehmlich in den fortzuführenden Ausgangsstreitigkeiten, fest. Seine Inhaltsbestimmung ist deshalb von erheblicher Bedeutung für das Musterverfahren. Zugleich entscheidet er über Fragen der objektiven Häufung oder Änderung von Feststellungsbegehren und beeinflusst damit die Lösung von Abgrenzungsproblemen. § 325a ZPO stellt die Rechtskraftfähigkeit der Musterentscheidung nochmals klar. Der Gesetzgeber hat bereits bei Verabschiedung des KapMuG eine spätere Integration der Regelungen über das Musterverfahren in die ZPO nach Ablauf der Befristung zum 1. November 2010 angedacht, sofern sich das neue prozessuale Instrumentarium in der Praxis bewährt. Die Verfasserin möchte daher die Definition von Gegenstand und Bindungswirkung der Musterentscheidung nicht isoliert, sondern ausgehend von dem zivilprozessualen Anspruchsbegriff und Rechtskraftverständnis vornehmen. Sie ist bestrebt, sich soweit als möglich an die von Rechtsprechung und Schrifttum für die ZPO entwickelten Maßstäbe anzulehnen und hiervon nur insoweit abzuweichen, als der telos des KapMuG dies erfordert. Gleichzeitig misst sie den Kriterien der Zweckmäßigkeit und Praxistauglichkeit bei der Bestimmung des Bindungsumfanges des Musterentscheids besonderes Gewicht zu. Andernfalls ließe sich die Auslagerung einzelner Bestandteile der Ausgangsstreitigkeiten in ein gesondertes Verfahren nicht rechtfertigen. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Klärung der zentralen und zum Teil neu geschaffenen Begrifflichkeiten des KapMuG. Es wird zunächst der Inhalt des Feststellungsziels, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, der Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, sowie des Lebenssachverhaltes, § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, ermittelt. Die gefundenen Ergebnissen erlauben zugleich Schlussfolgerungen im Hinblick auf den für die Vorlage entscheidenden Begriff der Gleichgerichtetheit gemäß § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Darauf aufbauend widmet sich die Verfasserin der Bestimmung des Inhaltes des Musterstreitgegenstands. In diese Betrachtung wird sowohl die Frage einbezogen, inwieweit die Parteien der Ausgangsverfahren auf die programmatische Festlegung des Verfahrensgegenstands Einfluss nehmen können, als auch, welche Bedeutung der Vorlagebeschluss nach § 4 KapMuG insoweit einnimmt. Eng mit der Festlegung des Gegenstands des KapMuG-Prozesses hängt die Vorschrift des § 13 KapMuG zusammen. Diese eröffnet den Musterverfahrensbeteiligten die Möglichkeit zur nachträglichen Erweiterung des Verfahrensgegenstands. Allerdings regelt die Norm weder die inhaltliche Reichweite der Gegenstandserweiterung noch das dabei zu beachtenden Verfahrens abschließend, so dass auch diesbezüglich Klärungsbedarf besteht.
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Wegen der thematischen Nähe zur Streitgegenstandsbestimmung und seiner praktischen Bedeutung geht die Bearbeiterin zudem auf die Auswahl der Musterverfahrensparteien und die Parteienhäufung im KapMuG-Prozess ein. Die gesetzestechnischen Vorgaben zur Beteiligung am Musterverfahren sind in § 8 KapMuG unzureichend niedergelegt und bedürfen einer korrigierenden Auslegung. Die Art der Beteiligung am Musterprozess als Partei oder Beigeladener prägt zum einen den verfahrensrechtlichen Status während des oberlandesgerichtlichen Prozesses. Zum anderen beeinflusst sie den Umfang der Bindung an den Musterentscheid nach § 16 KapMuG. Vor diesem Hintergrund gilt es schließlich, Maßstäbe für eine sinnvolle und praktikable Anwendung der Regelungen über die Beteiligung am Musterverfahren in § 8 KapMuG herauszuarbeiten.
§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG A. Praktische und prozessuale Probleme bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten Unrichtige Darstellungen gegenüber den Teilnehmern des Kapitalmarktes, insbesondere in Ad-hoc-Mitteilungen oder Börsenprospekten, können bei einer großen Anzahl von Anlegern zu einem Schaden führen. Ereignen sich derartige Haftungsfälle im kapitalmarktrechtlichen Bereich, so zeichnen sie sich in aller Regel durch eine vergleichsweise geringe Schadenshöhe bei dem einzelnen Geschädigten aus. Auf der anderen Seite bewegt sich der angerichtete wirtschaftliche Gesamtschaden nicht selten im mehrstelligen Millionenbereich.1 Eine solche Vielzahl gleich gelagerter Schadensfälle ist einer Selbstregulierung durch die jeweiligen Marktteilnehmer meist nicht zugänglich.2 Diese für kapitalmarktrechtliche Streuschäden charakteristische Problematik konnte bislang nicht zufriedenstellend bewältigt werden.3
1 BT-Drs. 15/5091, S. 1, 13; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116; Kilian, KapMuG, S. 21; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 1; Rau, KapMuG, S. 7; Reuschle, KapMuG, S. 19; vgl. zudem v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT, A 119 f. 2 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13. 3 Die Terminologie ist insoweit uneinheitlich. Wagner, Gutachten A zum 66. DJT, A 119 f. rechnet die durch falsche Darstellungen gegenüber dem Kapitalmarkt entstehende Schädigung wegen der damit verbundenen erheblichen Vermögensnachteile bei jedem einzelnen Anleger dem Bereich der Massenschäden in Abgrenzung zu den Streuschäden zu. Bei letzteren fehle es mangels einer bestimmten Schädigungsschwere an einem hinreichenden Anreiz zur Klageerhebung. Diese Überlegung greifen auch Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1, 9, 12; Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 1, 3 f.; Stadler, Festschrift Schumann, S. 468, auf. Sie differenzieren zwischen der Kategorie der Bagatellschäden einerseits, unter welche sie die Streuschäden fassen, und der Großschäden andererseits, welche ihrer Ansicht nach die typischen Anlegerschäden darstellen. Kritisch ggü. der gesetzgeberischen Einordnung auch Weyand, INF 2005, 877 Fn. 3. Entsprechend dem Wortsinn des Begriffs „Streuschaden“, der jedenfalls das Kriterium einer Schadensstreuung enthält (vgl. Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 2 Fn. 5; vgl. zudem Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozess, S. 340 ff.), die typischerweise die Schadensfälle des Kapitalmarkts charakterisiert, wird im Rahmen dieser Arbeit der gesetzgeberischen Terminologie unabhängig von der Größe der jeweiligen Individualansprüche gefolgt. Ausführlich zu den begrifflichen Aspekten Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 2 Fn. 5.
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§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
Zurückzuführen ist dies auf die mit einer prozessualen Anspruchsverfolgung verbundenen Schwierigkeiten. Die Prozesskosten und das Prozessverlustrisiko sind sehr hoch. Zudem macht der auch im Obsiegensfalle nicht erstattungsfähige Privataufwand die gerichtliche Geltendmachung seines Schadens für den einzelnen Anleger nicht unbedingt lohnenswert.4 Ihn erwartet regelmäßig eine aufwändige Beweisaufnahme mit der Einholung von Sachverständigengutachten, insbesondere zum Nachweis der Unrichtigkeit der kapitalmarktrechtlichen Darstellung, die immense Kosten verursachen.5 Die wirtschaftlichen Barrieren zwingen die Anleger daher nicht selten in die Knie. Sie nehmen letztlich von einer gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche Abstand.6 Aber auch diejenigen Geschädigten, die nicht in „rationales Desinteresse“ 7 an der Verfolgung ihrer Ansprüche verfallen sind, sahen sich in der Vergangenheit mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert. Die Hindernisse bei der Bewältigung von Streuschäden wurzeln in der Grundkonzeption des deutschen Prozessrechts. Sie lassen sich weder durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung
4 Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 9; Wunderlich, DB 1993, 2269; vgl. ferner Rössner/Bolkart, WM 2003, 953. 5 Vgl. Braun/Rotter, BKR 2004, 296 f.; Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (673 f.); Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 115 f.; Gansel/Gängel, NJ 2006, 13; Kilian, KapMuG, S. 21; Leufgen, Kollektiver Rechtsschutz zugunsten geschädigter Kapitalanleger, S. 25; Meier, DStR 2005, 1860; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 6 ff.; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737; Plaßmeier, NZG 2005, 609; Rau, KapMuG, S. 8; Reuschle, NZG 2004, 590; ders., WM 2004, 966 (967 sowie 972); ders., WM 2004, 2334 (2335 f.); Sessler, WM 2004, 2344; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 2; Zypries, ZRP 2004, 177. Hinzu kommt, dass das aus dem Gegenstandswert der Einzelklage errechnete Anwaltshonorar oftmals zu gering ist, um einen einzelnen Anwalt zu einer effektiven Rechtsvertretung in dem sehr aufwendigen Verfahren zu veranlassen, vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 13 ff. Die Anwälte neigen deshalb in der Praxis dazu, das Ergebnis eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten, um die darin gewonnenen Informationen anschließend im Zivilprozess zu verwerten, Baums, a. a. O.; Reuschle, KapMuG, S. 19 f. 6 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente, S. 11; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116; Kilian, KapMuG, S. 21; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 49; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 9; Plaßmeier, NZG 2005, 609 (609 f.); Rau, KapMuG, S. 8 f.; Reuschle, KapMuG, S. 19; ders., NZG 2004, 590; Rößler, KapMuG, S. 4; Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 47; C. Wolf, NJW-Sonderheft zum 3. Hannoveraner ZPO-Symposium 2006, S. 13; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 2; Zypries, ZRP 2004, 177. 7 Rau, KapMuG, S. 8 f.; Reuschle, KapMuG, S. 19; ähnlich Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente S. 11; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116; Kalss, Anlegerinteressen, S. 229 f.; Kilian, KapMuG, S. 21; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 9.
A. Praktische und prozessuale Probleme bei Streitigkeiten
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noch durch Parteiinitiativen zufriedenstellend überwinden.8 Die Zivilprozessordnung ist im Grundsatz auf einen Zwei-Parteien-Prozess und die Geltendmachung von Einzelansprüchen zugeschnitten.9 Nur in begrenztem Umfang lässt sie die Zusammenfassung von Verfahren zu, vorwiegend aus Gründen der Prozessökonomie, Rechtssicherheit sowie der schnelleren Rechtsbefriedung. Auf die im Kapitalmarktrecht anzutreffende Haftungssituation und die Abwicklung von Massenverfahren sind die zur Verfügung gestellten Bündelungsmechanismen hingegen nicht eingestellt. Folglich mussten die Gerichte in einer Vielzahl von Einzelverfahren gleiche oder ähnliche Sach- bzw. Rechtsfragen im Hinblick auf ein identisches anspruchsbegründendes Ereignis wiederholt aufklären.10 Die fehlende Prozessökonomie liegt auf der Hand. Gleiches gilt für die unter dem Aspekt der Rechtssicherheit problematische Gefahr divergierender Entscheidungen.11 Hinzu kommt, dass widerstreitende Urteile über gleich gelagerte Sachverhalte in der Öffentlichkeit Unverständnis hervorrufen und die allgemeine Akzeptanz der Rechtsordnung bzw. des Rechtsstaates beeinträchtigen.12 Eine kollektive Durchsetzung gleich gerichteter Streuschäden ist bislang nur in seltenen Fällen für einen lediglich vergleichsweise geringen Kreis von Klägern gelungen.13 So war eine Bündelung von Massenverfahren über das Institut der Streitgenossenschaft nach § 59, § 60 ZPO zumeist daran gescheitert, dass die geschädigten Anleger mangels organisatorischer Möglichkeiten und fehlender Zuständigkeitskonzentrationen nicht vor demselben Gericht klagen konnten.14 Die damit verbundenen Vorteile auf Grund der 8 Vgl. v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80 ff.; Rau, KapMuG, S. 7; Reuschle, KapMuG, S. 19; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 36. 9 Vgl. allgemein Stein/Jonas/Bork, ZPO, vor § 50 Rn. 17 f.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 40 Rn. 26; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 50 Rn. 1; zudem Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Hess, AG 2003, 113 (114); Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 99; Kilian, KapMuG, S. 21; Koch, BRAK-Mitt. 2005, 159 (160); Leufgen, Kollektiver Rechtsschutz zugunsten geschädigter Kapitalanleger, S. 22; Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 8; Rau, KapMuG, S. 7; Reuschle, KapMuG, S. 19; ders., NZG, 2004, 590; ders., ZBB 2004, 518 (519); Scholz, ZG 2003, 248 (258); Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 1. 10 v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Kilian, KapMuG, S. 22; Reuschle, KapMuG, S. 19. 11 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17; Rau, KapMuG, S. 8; v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80; Reuschle, KapMuG, S. 19. 12 Vgl. v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80; Rau, KapMuG, S. 8; Reuschle, KapMuG, S. 19. 13 Kilian, KapMuG, S. 21 f.; vgl. auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 (610). Eingehend zu den Bündelungsmöglichkeiten de lege lata Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 63 ff. 14 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13; v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 80; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Haß, Die Gruppen-
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§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
degressiv steigenden Gerichts- und Rechtsanwaltskosten15 sowie der gemeinsamen Beweisaufnahme und -würdigung waren für die geschädigten Aktionäre deshalb nur sehr eingeschränkt zu erreichen. Zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung können im Übrigen allenfalls die wenigen, bei demselben Gericht anhängigen Verfahren nach § 147 ZPO verbunden werden; wegen der Garantie des gesetzlichen Richters ist dies nur dann möglich, wenn die Einzelverfahren bei demselben Gericht anhängig sind.16 Die Nebenintervention eines Dritten, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet, scheitert an § 68 ZPO soweit sich Erst- und Zweitverfahren gegen denselben Gegner richten.17 Bei parallel anhängig gemachten Streuschäden sind gleichgelagerte Sach- und Rechtsfragen entscheidungserheblich; deshalb fehlt es an der für eine Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO vorausgesetzten Entscheidung im Parallelprozess über eine für die übrigen Anlegerprozesse vorgreifliche Frage im Sinne echter Präjudizialität. 18
klage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 141; Kilian, KapMuG, S. 22; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 4 f.; Reuschle, WM 2004, 966 (967). Einer umfassenden Verfahrenskanalisation durch Schaffung ausschließlicher Gerichtsstände stehen zudem europarechtliche Vorgaben entgegen: Den geschädigten Anlegern bleibt es trotz Einführung des § 32b ZPO unbenommen, bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort auf die Tatortregel nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zurückzugreifen, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 18; Hess, WM 2004, 2329 (2331 f.); Reuschle, NZG 2004, 590 (592); Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 36. 15 v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 95; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 209; Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 21. 16 Vgl. Zöller/Greger, ZPO, § 147 Rn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 147 Rn. 8; Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 209; Kilian, KapMuG, S. 22; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 147 Rn. 2 ff.; MüKo/Peters, ZPO, § 147 Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 147 Rn. 1; Musielak/Stadler, ZPO, § 147 Rn. 2. Eine Anhängigkeit bei demselben Spruchkörper ist nicht zwingend, so dass die Verbindung zu einem Austausch des gesetzlichen Richters, Art. 101 Abs. 1 GG, führen kann; diese Maßnahme setzt dann die Zustimmung der Parteien voraus, Zöller/Greger, ZPO, § 147 Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 147 Rn. 15; a. A. Fischer, MDR 1996, 239 (240); vgl. zum diesbezüglichen Meinungsstand zudem die Darstellung bei Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 210. 17 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 23 m.w. N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 60; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 68 Rn. 3 m.w. N.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 1; MüKo/Schilken, ZPO, § 68 Rn. 7 f. m.w. N.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 68 Rn. 6 m.w. N. 18 Vgl. BGH WM 1983, 533; OLG München NJW-RR 1996, 766; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Dütz, BB 1978, 213 (214 f.); Kilian, KapMuG, S. 22; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 148 Rn. 23 m.w. N.; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 36. Vgl. zudem Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 148 Rn. 4 f. Bejahend hingegen bei Gleichartigkeit des Rechtsschutzziels bzw. aus Zweckmäßigkeitserwägungen, um doppelte Beweisaufnahmen oder die Gefahr wiederstreitender Entscheidungen zu verhindern, Zöller/Greger, ZPO, § 148 Rn. 5; v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 92 f.; Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 174 ff., insbesondere 178 sowie ferner 182 ff.;
A. Praktische und prozessuale Probleme bei Streitigkeiten
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Den geschädigten Investoren verblieb daher in vielen Fällen lediglich die Möglichkeit, in Eigeninitiative – vor allem durch eine Verständigung mit der Beklagtenseite auf eine Musterprozessabrede, s. u. – in begrenztem Umfang ihre Interessen zu bündeln. Theoretisch denkbar wäre zwar auch die Durchsetzung ihrer Individualansprüche durch eine Aktionärsvereinigung oder sonstige Interessengemeinschaft im Wege einer Einziehungsermächtigung gemäß § 185 i.V. m. § 362 Abs. 2 BGB analog19 oder aus abgetretenem Recht gewesen. Derartige Konstruktionen sind in der Vergangenheit regelmäßig an den Restriktionen des Rechtsberatungsgesetzes gescheitert.20 Eine Musterprozessabrede, bei der die Beteiligten Mittenzwei, Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen, S. 158 ff.; MüKo/Wagner, ZPO, § 148 Rn. 10; Stürner, JZ 1978, 499 (501). 19 Vgl. BGHZ 4, 153 (164); RGZ 91, 390 (395); zur Prozessstandschaft BGH NJW 1964, 2296 (2297); 1969, 1110 (1111); dagegen zweifelt Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rn. 29 an der Zulässigkeit einer Einziehungsermächtigung, bei der die Forderung selbst beim Gläubiger verbleibt, weil die bloße Forderungseinziehung keine Verfügung sei; zudem vermöge § 185 BGB nicht zu erklären, weshalb der Schuldner zur Leistung an den Ermächtigten verpflichtet sein soll. Ersterem Argument stimmt MüKo/Roth, BGB, § 398 Rn. 46 zu, sieht ihre Rechtfertigung aber in der zumutbaren Interessenlage für die Beteiligten: Dem Schuldner sei die Einziehungsermächtigung zumutbar, da sie schwächer sei als die Vollabtretung; der Dritte sowie seine Gläubigern müssten sie hinnehmen, weil ihnen keine vorrangigen Schutzinteressen zur Seite stünden. Die Einziehungsermächtigung habe sich deshalb zu Recht in der Praxis durchgesetzt. Vgl. zum Ganzen ferner Erman/Westermann, BGB, § 398 Rn. 37 ff. 20 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 14; v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 85 ff.; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 37, insbesondere dort auch das Beispiel in Fn. 14. Vgl. zudem Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 106 ff.; Hess, AG 2003, 113 (122); ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1382); dies., WM 2003, 2318 (2323 f.); Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, S. 55 f.; Loritz/Wagner, WM 2007, 477 (477 ff.); Rau, KapMuG, S. 9; Reuschle, WM 2004, 966 (968 f.); Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 6 f. sowie S. 46 f. Skeptisch auch Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189. Übersteigt die Tätigkeit einer Anlegervereinigung Art und Umfang eines bloßen Gelegenheitsgeschäfts, so wäre darin gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG eine nicht erlaubnisfähige geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zu sehen. Dies zöge ein gesetzliches Verbot mit der Folge fehlender Klagebefugnis (so etwa OLG Düsseldorf ZIP 1993, 347 [348 f.] im Fall Girmes AG im Hinblick auf die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre als einzelfallunabhängig tätiger Interessenverband) bzw. Aktivlegitimation (so BGH ZIP 1993, 1708 [1709] auf Revision des Klägers im Fall Girmes AG wegen Nichtigkeit der Zession auf Grund Verstoßes gegen das RBerG; vgl. auch v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 85 ff.; Zöller/Greger, ZPO, Vor § 253 Rn. 25; Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 106 ff. sowie 129 m.w. N.; Hess, AG 2003, 113 [122]; Reuschle, WM 2004, 966 [968]; Stadler, Festschrift Schumann, S. 473 ff., insbesondere auch zum Anwaltsmonopol; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, vor § 50 Rn. 18 f.) nach sich. Ebenso wenig stellt eine Interessenvereinigung eine berufsstandsähnliche Vereinigung nach Art. 1 § 7 Satz 1 RBerG dar, BT-Drs. 15/5091, S. 14; anders Koch, NJW 2006, 1469 (1469 ff.) im Hinblick auf das Poolen von Ansprüchen in einer GbR und die Erhebung einer Sammelklage durch die BGB-Gesellschaft; ähnlich LG Düsseldorf BB 2007, 847 (848 f. m. Anm. Weidenbach).
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§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
die stellvertretende Durchführung eines oder mehrerer Verfahren und die Übernahme der Ergebnisse für die zurückgestellten Prozesse vereinbaren21, verstößt zwar nicht gegen das in Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG normierte gesetzliche Verbot.22 Der entscheidende Nachteil liegt aber in der praktischen Schwierigkeit, möglichst viele Gläubiger und den Schädiger für eine solche Vereinbarung zu gewinnen. Die Musterprozessvereinbarung führt weder zu einer Rechtskrafterstreckung noch ist das Gericht an die der Entscheidung im Musterprozess zu Grunde liegende Rechtsauffassung gebunden.23 Aufgrund der subjektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft müssten vielmehr alle Beteiligten den Urteilsinhalt als für sich verbindlich anerkennen.24 Insbesondere die Beklagtenseite wird nicht selten darauf hoffen, aus einer Aufsplitterung der Verfahren taktische Vorteile zu erzielen.25 Angesichts der stetigen Zunahme grenzüberschreitender Haftungsfälle sowie der Konkurrenz von ausländischen Jurisdiktionen mit kollektiven Rechtsschutzformen haben diese Unzulänglichkeiten des deutschen Prozessrechts den Handlungsdruck auf den deutschen Gesetzgeber deutlich verstärkt.26 Inländische Anleger suchen zunehmend Rechtsschutz vor ausländischen Gerichten, insbesondere in den USA. Sie erhoffen sich dort eine effektivere Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche.27 Dies läuft dem staatlichen Interesse zuwider, den inländischen Kapitalmarkt durch die eigene Justiz zu kontrollieren.28 Verzichten die Anleger in kapitalmarktrechtlichen Haftungsfällen ganz auf eine Anspruchsverfolgung, 21 Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 38. 22 Um der drohenden Verjährung der nicht anhängigen Ersatzansprüche, vgl. § 202 Abs. 2 Satz 2 BGB, entgegenzuwirken (vgl. hierzu Braun/Rotter, BKR 2004, 296 [297 sowie 299]) ist eine Musterprozessabrede jedoch überhaupt nur mit einem vertraglichen Stillhalteabkommen gemäß § 203 Satz 1 BGB sinnvoll. Ein derartiges pactum de non petendo schließt die Klagbarkeit der zurückgestellten Ansprüche aus und hemmt gemäß § 202 Abs. 1 BGB deren Verjährung, vgl. Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 78 f.; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 38. 23 So die h. A., vgl. BGH NJW 1958, 1968; v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 84; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 78 II und § 133 II 4; Lindacher, JA 1984, 404 (405); Rössner/Bolkart, WM 2003, 953 (959); Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, § 19 Rn. 30; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 38; a. A. Baur, Festschrift Bötticher, S. 1 ff.; Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 92 f.; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß, S. 33 ff.; Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozess, S. 61 ff. 24 Vgl. Reuschle, WM 2004, 966 (969); Stadler, Festschrift Schumann, S. 469. 25 Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 38. 26 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17; KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 2; Möllers/Rotter, Adhoc-Publizität, § 19 Rn. 50. 27 Zum forum shopping in den USA ausführlich Haß/Zerr, RIW 2005, 721 (722 bis 724). 28 Vgl. Hess/Michailidou, ZIP 2004, 1381; Zypries, ZRP 2004, 177 (178).
B. Die prozessuale Ausgangssituation bei Anlegerstreitigkeiten
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kann das materielle Haftungsrecht seine ordnungspolitische Lenkungs- und Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllen.29 Ohne wirkungsvolle Sanktionen gegenüber dem Schädiger bzw. den Schädigern wird ein falscher Anreiz zu rechtswidrigem Verhalten gesetzt.30
B. Die prozessuale Ausgangssituation bei Anlegerstreitigkeiten am Beispiel des Verfahrens gegen die Deutsche Telekom AG Die Defizite des deutschen Zivilprozessrechts bei der Bewältigung von Massenschäden waren besonders deutlich bei den Prozessen gegen die Deutsche Telekom AG vor dem Landgericht Frankfurt a. M. zu Tage getreten. Dieses Verfahren hat zum faktischen Kollaps der gemäß § 48 BörsG a. F.31 i.V. m. dem Geschäftsverteilungsplan allein zuständigen 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a. M. geführt. Allen Beobachtern ist klar gewesen, dass sich eine derartige Prozessflut nur auf Basis der Zivilprozessordnung durch eine einzelne Kammer nicht in angemessener Zeit bewältigen lässt.32 Der Gesetzgeber sah sich deshalb veranlasst, den seit geraumer Zeit anhaltenden Forderungen nach der Einführung einer kollektiven Rechtsschutzform durch Verabschiedung des KapMuG nachzukommen.33 In diesem Massenverfahren gegen die Deutsche Telekom AG begehren seit dem Jahre 2001 viele tausend Anleger34 Schadensersatz aus Prospekthaftung gemäß § 44 BörsG.35 In rund 2500 eingereichten Einzelklagen werfen die Kläger, 29 BT-Drs. 15/5091, S. 1; Reuschle, WM 2004, 966 (972 f.); Braun/Rotter, BKR 2004, 296 (297). 30 KK-KapMuG/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 1. 31 Börsengesetz v. 21. Juni 2002 (BGBl. I 2002, S. 2010). Die Vorschrift ist mit Wirkung zum 1. Juli 2002 in Kraft getreten und wurde mit Wirkung zum 1. November 2005 aufgehoben, Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren („KapMuG-E“) v. 16. August 2005 (vgl. Fn. 1). 32 KK-KapMuG/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 18. Vgl. zudem Duve/Pfitzner, BB 2005, 673; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159; Hess, ZIP 2005, 1713; Kilian, KapMuG, S. 22 f.; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737; Plaßmeier, NZG 2005, 609; Rau, KapMuG, S. 2; Zypries, ZRP 2004, 177. 33 Vgl. D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 119 f.; Braun/Rotter, BKR 2004, 296; Duve/Pfitzner, BB 2005, 673; Gansel/Gängel, NJ 2006, 13; Hess, ZIP 2005, 1713; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737; Kilian, KapMuG, S. 22; Koch, BRAK-Mitt. 2005, 159; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (135 f.); Plaßmeier, NZG 2005, 609; Reuschle, WM 2004, 966; Stadler, Festschrift Rechberger, S. 663; Rau, KapMuG, S. 2. 34 Die Angaben über die Anzahl der klagenden Aktionäre divergieren zwischen knapp 14.500 (Hess, ZIP 2005, 1713; Plaßmeier, NZG 2005, 609; Duve/Pfitzner, BB 2005, 673; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737: „knapp 15.000“) und 17.000 (Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [136]; Siller, Kapitalmarktrecht, S. 147), vgl. ferner Rößler, KapMuG, S. 5 Fn. 7. 35 Braun/Rotter, BKR 2004, 296; Kilian, KapMuG, S. 23.
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§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
die von mehr als 700 Rechtsanwälten vertreten werden36, der Beklagten vor, sie hätte im Zuge ihrer dritten Kapitalerhöhung im Jahre 2000 einen Börsenzulassungsprospekt mit unrichtigen Angaben vorgelegt. Wenige Zeit nach dem Börsengang ist der Ausgabekurs der Aktien erheblich gefallen. Die Anleger beanstanden insbesondere, dass das Immobilienvermögen der Beklagten um ca. 2 Milliarden Euro zu hoch bewertet gewesen sei.37 Sie stützen sich auf eine Wertberichtigung in derselben Höhe, die das Unternehmen bereits kurz nach dem fraglichen Börsengang im Jahr 2001 vorgenommen hat.38 Schätzungen zufolge hätten sich allein die von den beweisbelasteten Klägern39 zu tragenden Kosten für Sachverständigengutachten über den behaupteten niedrigeren Immobilienwert zum streitgegenständlichen Zeitpunkt auf 17 bis 20 Millionen Euro belaufen.40 Angesichts des im Verhältnis dazu vergleichsweise geringen Streitwerts jeder einzelnen Klage kam die Frage auf, ob die Durchführung eines Individualverfahrens für die Anleger wirtschaftlich tatsächlich sinnvoll ist.41 Abgesehen davon hatten die unzureichenden Bündelungsmöglichkeiten der ZPO bereits im Vorfeld das Landgericht Frankfurt a. M. vor kaum lösbare logistische Probleme gestellt.42 Die Bearbeitung der riesigen Aktenberge sowie die Koordination der Kläger, etwa im Hinblick auf die Verwaltung des Rubrums, die notwendigen Zustellungen oder das Erfordernis einer gerechten Kostenverteilung bei Ausscheiden und Hinzutreten einzelner (streitgenössischer) Kläger43, waren für die 7. Kammer für Handelssachen praktisch kaum zu bewerkstelligen gewe36 Vgl. Koch, BRAK-Mitt. 2005, 159; Gansel/Gängel, NJ 2006, 13; Hess, ZIP 2005, 1713; Pressemitteilung des LG Frankfurt a. M. v. 8. Juni 2004, abrufbar unter www.lgfrankfurt.justiz.hessen.de (Stand: 1. Oktober 2009). 37 Bei der dritten Telekom-Tranche im Jahr 2000 wurden Aktien zu einem Preis von 66,50 A emittiert. Die Kapitalerhöhung war 3,5fach überzeichnet, vgl. Handelsblatt Nr. 116 v. 19. Juni 2000, S. 33. Zum Telekom-Verfahren vgl. Handelsblatt Nr. 229 v. 24. November 2004, S. 1 und 35. 38 Vgl. Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (140). 39 Vgl. OLG Stuttgart ZIP 2007, 481 (483; „DaimlerChrysler“; zur Abrufbarkeit des Volltextes im Internet siehe § 3 Fn. 164); Lüke, Zivilprozessrecht, Rn. 277 m.w. N.; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 381 sowie 387, jeweils m.w. N.; vgl. allgemein zur Haftungsnorm des § 44 BörsG Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 BörsG Rn. 15 ff.; ferner KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 14 ff. 40 Siehe zu dieser Schätzung die Pressemittelung des LG Frankfurt a. M. v. 8. Juni 2004 (Fn. 36) sowie die Meldung im Handelsblatt Nr. 229 v. 24. November 2004, S. 35; ferner Braun/Rotter, BKR 2004, 296; Hess, ZIP 2005, 1713. Gemäß § 17 GKG, der § 68 GKG in der bis zum 1. Juli 2004 geltenden Fassung entspricht, wären die für das Gutachten anfallenden Kosten von den Klägern einzufordern. 41 Vgl. Braun/Rotter, BKR 2004, 296; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116. 42 Vgl. Financial Times Deutschland v. 27. Februar 2004, S. 29 sowie Pressemitteilung des LG Frankfurt a. M. v. 8. Juni 2004. 43 Vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Braun/Rotter, BKR 2004, 296; Reuschle, WM 2004, 966 (967 f.); Möllers/Rotter, Adhoc-Publizität, § 18 Rn. 22 ff.
B. Die prozessuale Ausgangssituation bei Anlegerstreitigkeiten
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sen.44 Mehr als drei Jahre nach Einreichung der ersten Klage hatte sie immer noch keinen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt.45 Ein Teil der Aktionäre legte daraufhin wegen Verletzung der „Rechtsschutzgarantie gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG“ 46 Verfassungsbeschwerde ein.47 Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Juli 2004 mangels grundsätzlicher Bedeutung und Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung an.48 Es hielt das Landgericht Frankfurt a. M. aber dazu an, bis Ende 2004 eine mündliche Verhandlung durchzuführen, sofern sich nicht „andere Verfahren als Musterverfahren zur Bewältigung des Gesamtkomplexes der anhängigen Sachen besser“ eignen sollten.49 Das Landgericht Frankfurt a. M. hat daraufhin zehn Verfahren mit für den Fall Telekom typischen Fragestellungen als Musterverfahren ausgewählt, über die es Ende November 2004 erstmals verhandelte.50 44
Vgl. Financial Times Deutschland v. 27. Februar 2004, S. 29. Vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats] NJW 2004, 3320 (3321); Braun/Rotter, BKR 2004, 296; ders., ZIP 2005, 1713; Kilian, KapMuG, S. 23; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (136); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737; Plaßmeier, NZG 2005, 609; Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (165). 46 Die Herleitung des Justizanspruchs ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zunächst auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 3, 359 [364]) und später auf das verfassungsimmanente Rechtsstaatsprinzip, Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 GG berufen (BVerfGE 97, 169 [185]; 93, 99 [107]; 88, 118 [123]; 85, 337 [345]; 82, 126 [155]; 80, 103 [107]; 54, 277 [291]; zustimmend Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 4). Teile des Schrifttums verweisen auch auf den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Baur, AcP 153 [1954], 397 ff.) bzw. Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 20, Art. 28, Art. 92 GG (vgl. Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 111) oder Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Pieck, Der Anspruch auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren, 1966, S. 68 ff.; M. Wolf, Festschrift Söllner, S. 1279 ff. m.w. N.; vgl. zudem die Ausführungen bei Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 62 ff.). 47 Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 3. Juni 2004, S. 20; Financial Times Deutschland v. 3. Juni 2004, S. 4. Vgl. ferner BVerfGE 88, 118 (123); 93, 99 (107). Diese Garantie umfasst einen Anspruch darauf, dass streitige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit entschieden werden, vgl. BVerfGE 88, 118 (124); 85, 337 (345); 84, 366 (369); 60, 253 (269); 54, 277 (291); BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats] NJW 1997, 2811 (2812); Stein/Jonas/Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 288; Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 97; v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 324. Hierzu gehört eine den Schwierigkeiten und dem Verfahrensstand entsprechende zügige Anberaumung von Terminen zur mündlichen Verhandlung, vgl. BVerfGE 55, 349 (369). 48 BVerfG [2. Kammer des Erstens Senats] NJW 2004, 3320. 49 BVerfG [2. Kammer des Erstens Senats] NJW 2004, 3320 (3321; Hervorhebung durch die Verfasserin). 50 Diese Vorgehensweise erinnert an die Entstehungsgeschichte des § 93a VwGO. Die Vorschrift wurde am 1. Januar 1991 durch das 4. VwGO-Änderungsgesetz v. 17. Dezember 1990 (BGBl. I 1990, 2809) in die VwGO aufgenommen und durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz v. 1. November 1996 (BGBl. I 1996, S. 1626) aktualisiert (vgl. hierzu etwa Schmieszek, NVwZ 1991, 522 (522 ff.). Die Einführung eines Musterprozesses geht auf praktische Erfahrungen des VG München im Planfeststellungsverfahren für den Flughafen München II zurück. Das zuständige Gericht hatte damals ohne Rechtsgrundlage, aber mit späterer Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45
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§ 1 Zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
Gleichzeitig waren Bundestag und Bundesrat de facto zur Verabschiedung eines Gesetzes zur effektiven Bewältigung von Massenverfahren, wie dem Prozess gegen die Deutsche Telekom AG, noch in dieser Legislaturperiode gezwungen.51 Als solches ist am 19. August 2005 das KapMuG im Bundesgesetzblatt verkündet worden.52 Die Telekom-Anleger machten hiervon bereits in der zweiten mündlichen Verhandlung im Jahr 2005 Gebrauch und stellten die ersten Musterfeststellungsanträge.53 Über deren Inhalt wird seit dem 7. April 2008 vor dem Oberlandesgericht verhandelt.54
C. Kurzüberblick zur Entstehungsgeschichte des KapMuG Die negativen Erfahrungen von Justiz und geschädigten Anlegern in Deutschland haben verdeutlicht, dass der Kapitalmarkt nur dann weitgehend störungsfrei funktionieren kann, wenn entsprechende prozessuale Möglichkeiten zur gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung die materiellrechtlichen Haftungsnormen flankieren.55 Ausländische Rechtsordnungen mit den in ihnen verankerten Gruppenoder Vertreterklagen stellt die Bündelung von Massenansprüchen vor vergleichsweise geringe Probleme; gleichwohl bestand in Fachkreisen Einigkeit, dass dieses Konzept auf Deutschland nicht ohne weiteres übertragbar ist.56 Zu stark unterscheidet sich ein individualistisch geprägtes Rechtsschutzsystem von prozessua54, 39 ff.) aus mehreren tausend Verfahren ungefähr 30 Prozesse ausgewählt und vorab als Musterverfahren durchgeführt (Reuschle, KapMuG, S. 21). Vgl. zum verwaltungsgerichtlichen Musterverfahren nach § 93a VwGO ausführlich Kopp, NJW 1991, 521 (523 f.); Pagenkopf, DVBl. 1991, 285 (289 f.); Stelkens, NVwZ 1991, 209 (213); Schmel, Massenverfahren vor den Verwaltungsbehörden und den Verwaltungsgerichten, S. 223 ff. Vgl. ferner Schmieszek, NVwZ 1991, 522 (524). Zur mündlichen Verhandlung im Fall Telekom siehe ferner die Pressemitteilung des LG Frankfurt a. M. v. 8. Juni 2004 (Fn. 36). 51 Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737. 52 Siehe Einleitung Fn. 1. 53 Vgl. Meldung Spiegel-Online v. 25. Oktober 2005. 54 Vgl. hierzu die Vorlagebeschlüsse des LG Frankfurt a. M. v. 11. Juli 2006 (berichtigt durch Beschl. v. 27. Oktober 2006) und 22. November 2006 (berichtigt durch Beschl. v. 6. März 2007), jeweils veröffentlich im Klageregister vom OLG Frankfurt a. M. (Bekanntmachungsbeschlüsse i. S. d. § 6 Satz 1 KapMuG) am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06 bzw. 23. April 2007, Az.: 23 Sch 2/06 („Deutsche Telekom AG“), im Internet abrufbar im gerichtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers unter der Rubrik Klageregister, https://www.ebundesanzeiger. de/ebanzwww/wexsservlet (Stand: 1. Oktober 2009). 55 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13; vgl. zudem Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 190; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116. 56 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 16; Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116 ff.; Stadler, Referat I zum 62. DJT, I 39 ff.; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT, A 107 ff.; vgl. zur Rechtslage im europäischen Ausland zudem Stadler, Festschrift Schumann, S. 469 ff.
C. Kurzüberblick zur Entstehungsgeschichte des KapMuG
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len Konzepten, denen eine automatische Rechtskrafterstreckung zu Grunde liegt. Gleichzeitig war klar, dass Länder wie beispielsweise die USA oder Großbritannien die Entwicklung ihrer Kapitalmärkte mitunter den in ihren Verfahrensordnungen vorgesehenen Vertretungsmechanismen zu verdanken haben.57 Bereits der 62. Deutsche Juristentag im Jahre 1998 hatte sich intensiv mit der prozessualen Bewältigung von Massenschäden auseinandergesetzt. Christian von Bar sprach sich in seinem Gutachten dafür aus, einen allgemeinen, an dem verwaltungsgerichtlichen Musterverfahren nach § 93a VwGO angelehnten, Kollektivrechtsbehelf in die Zivilprozessordnung aufzunehmen.58 Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Corporate Governance“ hat bei ihren Empfehlungen hingegen vornehmlich die in ausländischen Rechtsordnungen etablierten Vertretungsmechanismen zur Bündelung von Streuschäden im Blick gehabt. Die unter dem Vorsitz von Theodor Baums geführte Regierungskommission empfahl deshalb – in Anlehnung an die § 26, § 206 UmwG bzw. an das in § 308 a. F. UmwG59 geregelte Spruchverfahren – ein Modell, das die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch das Prozessgericht auf Antrag der geschädigten Anleger vorsah. Dieser sollte die innerhalb einer bestimmten Frist anzumeldenden Ansprüche gebündelt als Partei kraft Amtes im eigenen Namen einklagen.60 Holger Fleischer hat sich bei seinem Gutachten für den 64. Deutsche Juristentag zu Berlin im Herbst 2002 an der im schweizerischen Anlagefondsgesetz vorgesehenen Vertreterklage zur Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder orientiert. Er plädierte für eine bereichsspezifische Gruppenklage, um die deliktischen Kapitalmarkthaftungsansprüche bei einer Einzelperson zu bündeln.61 Noch kurz vor Verabschiedung des KapMuG legten Astrid Stadler und Hans Micklitz im Rahmen eines vom Bundes57 Vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 188; Reuschle, KapMuG, S. 22. 58 v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT (1998), A 94 f. Ebenso Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, S. 5 und 56 ff.; Müller, Referat I zum 62. DJT, I 28 ff.; Das Plenum des 62. DJT im Jahr 1998 sprach sich hingegen mehrheitlich gegen diesen Vorschlag aus (Ständige Deputation des DJT, Verhandlungen des 62. DJT, Bd. II/1 und Bd. II/2, I 88 und I 178; abgedruckt zudem bei Reuschle, KapMuG, S. 191). Ebenso dagegen Braun, NJW 1998, 2318 (2323); Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23. 59 Das Gesetz zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens v. 12. Juni 2003 (BGBl. I, 838) sieht den gemeinsamen Vertreter in § 6 SpruchG vor, vgl. mit weiterführenden Hinweisen Kilian, KapMuG, S. 23 Fn. 21. 60 Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 186. 61 Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 115 ff. Eine Gruppenklage mit zwei Verfahrensabschnitten in Anlehnung an die Figur des gesetzlichen Vertreters im Schuldverschreibungsgesetz befürworteten Haß, Die Gruppenklage – Wege zur prozessualen Bewältigung von Massenschäden, S. 337 ff., und Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 26 ff.
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ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebenen Gutachtens einen ausführlichen Gesetzgebungsvorschlag vor; er enthielt auch einen an den neuesten Entwicklungen im europäischen Rechtsraum orientierten Regelungskomplex zur Einführung von Gruppenklagen.62 Letztlich hat das Bundesjustizministerium aus den vorgenannten Vorschlägen nur Einzelaspekte aufgegriffen. Es beschritt bei der Schaffung des KapMuG bewusst einen neuen Weg.63 Gleichzeitig trug der Gesetzgeber den immer lauter gewordenen rechtspolitischen Forderungen nach einer Anspruchsbündelung zur Stärkung des Anlegerschutzes Rechnung.64 Ihm war es ein besonderes Anliegen, den effektiven Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber Unternehmen zu stärken, um die Effizienz des Kapitalmarktes sowie das Anlegervertrauen in sein störungsfreies Funktionieren nachhaltig zu sichern.65 Ein schlagkräftiges, kollektives Rechtsverfolgungsinstrument sollte den Druck auf die Emittenten erhöhen, die Publizitäts-, Vertriebs- und sonstigen kapitalmarktrechtlichen Verhaltensregeln einzuhalten.66 Der Gesetzgeber wollte dadurch zugleich dem Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb verstärkte Durchsetzungskraft verleihen.67 Er hat sich neue Anreize für die Anleger erhofft vor deutschen Gerichten zu klagen. Mit einem Rückgang des „forum shoppings“ sollte die Kontrolle über die deutschen Kapitalmärkte weitest möglich bei der inländischen Justiz kanalisiert werden.68 Ob das KapMuG diese ambitionierte Zielsetzung erfüllt, wird sich nicht unerheblich an den Erfahrungen im Fall Deutsche Telekom AG messen lassen müssen. Dieses Verfahren stellt eine wichtige Bewährungsprobe für die Praxistauglichkeit des neuen prozessualen Instruments dar. Es ist davon auszugehen, dass es wesentlich zu der Entscheidung beitragen wird, ob und in welcher Form die neu geschaffenen Vorschriften über den 1. November 2010 hinaus Bestand haben werden.69 62 Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1419 ff.; vgl. hierzu auch Reuschle, KapMuG, S. 24 f. Der Gesetzgebungsvorschlag ist abgedruckt bei Reuschle, KapMuG, S. 197 ff. 63 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 14 ff. 64 Vgl. Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 115 ff.; MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 3; Hellwig, Referat P zum 64. DJT, P 59 und 62 sowie Beschluss, P 89. 65 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13. 66 BT-Drs. 15/5091, S. 16. 67 BT-Drs. 15/5091, S. 13. 68 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17. 69 Gemäß Art. 9 Abs. 2 Hs. 1 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren tritt das KapMuG am 1. November 2010 außer Kraft (vgl. auch Einleitung Fn. 1). Zypries, ZRP 2004, 177 (179), hat bereits eine Integration seiner Grundidee in die Zivilprozessordnung angedacht. Gleichzeitig betonte sie, dass eine Konzeption in allgemeiner Form erst zur Diskussion stünde, falls sich das Musterverfahren im kapitalmarktrechtlichen Bereich bewährt.
§ 2 Überblick über die gesetzgeberische Zielsetzung und die Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens A. Ziel des KapMuG-Verfahrens Der Gesetzgeber hat mit dem KapMuG ein Kollektivverfahren geschaffen, das die Grundstrukturen der ZPO nur geringfügig modifizieren soll. Es greift deshalb so weit als möglich auf deren Verfahrensvorschriften zurück, vgl. § 9 KapMuG.1 Das KapMuG dient dazu, einzelne kapitalmarktrechtliche Fragen in einem verselbständigten Musterverfahren aufzugreifen und sie dort einer Antwort mit verbindlicher Wirkung für sämtliche rechtshängige Individualstreitigkeiten zuzuführen, in denen diese Fragen relevant sind.2 Der Geltungsumfang des KapMuG ist auf einen kapitalmarktrechtlichen Anwendungsbereich beschränkt. Dort sind die Haftungsnormen in besonderer Weise standardisiert und typisiert3, so dass sie sich für einheitliche Feststellungen besonders gut eignen. Dies trifft auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen zu, die den in einer Vielzahl von Ausgangsstreitigkeiten geltend gemachten Anspruchsgrundlagen gemeinsam sind.4 Ziel ist der Erlass eines Musterentscheids. Die gebündelten Fragen sollen für alle Individualverfahren einheitlich und verbindlich festgestellt werden.5 Die Entscheidung im Musterfeststellungsverfahren wirkt – anders als in den herkömmlichen amts- bzw. landgerichtlichen ZPO-Verfahren – nicht nur inter partes, sondern erfasst nach dem gesetzgeberischen Willen sämtliche an dem Musterverfahren beteiligten Personen.6 Der Gesetzgeber spricht deshalb wiederholt von einer einheitlichen Entscheidung mit „Breitenwirkung“.7 1
KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 20. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (160); Kilian, KapMuG, S. 24; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (84); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738); Rau, KapMuG, S. 21; Reuschle, KapMuG, S. 26. 3 BT-Drs. 15/5091, S. 16. 4 Vgl. zur Notwendigkeit einer derartigen Beschränkung bereits BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164 f.); Hess/Michailidou, WM 2003, 2318 (2318 f.); Kilian, KapMuG, S. 29; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738); Reuschle, KapMuG, S. 31 f. 5 Die objektive Reichweite der Bindungswirkung ist im Detail sehr umstritten. Vgl. hierzu später ausführlich S. 224 ff. 6 Ähnlich Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (137). 7 BT-Drs. 15/5091, S. 1, 15, 18, 20 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2. 2
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
Durch die partielle Bündelung und Kanalisierung des Musterverfahrens beim Oberlandesgericht soll künftig vermieden werden, dass verschiedene Gerichte über eine Vielzahl gleichgelagerter Sach- und Rechtsfragen in parallelen Prozessen und ggf. sogar widerstreitend entscheiden, um die Rechtssicherheit und das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit nachhaltig zu stärken. Zugleich soll sich durch den bewussteren Umgang mit Personalressourcen eine besondere gerichtliche Sachkunde im kapitalmarktrechtlichen Bereich entwickeln und die Justiz insgesamt entlastet werden.8
B. Zuständigkeitskonzentration gemäß § 32b ZPO und § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG, § 66 WpÜG I. Ausschließlicher Gerichtsstand gemäß § 32b ZPO Das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren führte gemäß seinem Art. 2 Satz 1 Nr. 2 zur Schaffung eines neuen ausschließlichen Gerichtsstands in § 32b ZPO. Er findet im Kern auf alle Klagen im Anwendungsbereich des KapMuG9 Anwendung.10 Die Vorschrift erklärt das Gericht am Sitz des verklagten Emittenten, des Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen11 oder bei 8
Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17, 19, 39. Hierzu sogleich S. 46 f. Das Eingreifen des § 32b ZPO knüpft nicht an das Stellen eines Musterfeststellungsantrags an, vgl. Kilian, KapMuG, S. 29; Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 32b Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32b Rn. 1. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes sind von der Vorschrift vertragliche Haftungsansprüche nicht erfasst, insbesondere gegen Anlagenvermittler; denn diese knüpfen nicht an die öffentliche Information, sondern die fehlerhafte Beratung des Anlegers an, BGH NJW 2007, 1364 (1364 f. [„VIP Medienfonds 4“]); 2007, 1365 (1365 f. [„VIP Medienfonds 4“]); zustimmend Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32b Rn. 5; G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3095); kritisch KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 5. Zu einem Auseinanderfallen der Gerichtsstände kann es demnach kommen, soweit ein Anleger neben dem bzw. mehreren Prospektverantwortlichen den Anlageberater bzw. -vermittler streitgenössisch in Anspruch nimmt. In diesen Fällen ist gemäß § 36 Nr. 3 ZPO ein gemeinsamer Gerichtsstand durch das übergeordnete Gericht zu bestimmen, wobei sich das grundsätzlich bestehende Auswahlermessen auf das Landgericht am Sitz des für die öffentliche Kapitalmarktinformation Verantwortlichen reduziert, BGH NJW 2007, 1364 (1365 [„VIP Medienfonds 4“]); 2007, 1365 (1366 [„VIP Medienfonds 4“]); G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096 f.). 10 Vgl. BGH NJW 2007, 1364; KK/Hess, KapMuG, § 32b ZPO Rn. 1; Vorwerk/ Wolf/Parigger, KapMuG, § 32b Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32b Rn. 1. 11 Gemeint sind hiermit die nicht börsennotierten Anlageformen des „grauen Kapitalmarktes“, vgl. BT-Drs. 15/5695, S. 23; BGH NJW 2007, 1364 (1365 [„VIP Medienfonds 4“]); 2007, 1365 [„VIP Medienfonds 4“]); OLG Koblenz NJW 2006, 3723 (3724) mit zustimmender Anm. Stöber, NJW 2006, 3723 (3723 f.); ebenfalls zustimmend KK/ Hess, KapMuG, § 32b Rn. 6; G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3095). Dagegen OLG München ZIP 2007, 398 (398 f.); 2006, 1699 (1700). Das OLG München möchte bei den für die unreglementierten Vermögensanlagen maßgeblichen Haftungstatbeständen 9
B. Zuständigkeitskonzentration
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übernahmerechtlichen Streitigkeiten am Sitz der verklagten Zielgesellschaft für ausschließlich zuständig.12 Bei Fällen mit Auslandsbezug, in denen sich der Sitz des Beklagten nicht in Deutschland befindet, bestimmt sich der Gerichtsstand nach den vorrangigen Regeln des internationalen Prozessrechts. Von besonderer Bedeutung ist insoweit der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO.13 Nach dieser Vorschrift können Klagen aus unerlaubter Handlung gegen ausländische Emittenten wahlweise am Handlungs- oder Erfolgsort anhängig gemacht werden.14 Dies stellt die einschränkende Vorschrift in § 32b Abs. 1 Satz 2 ZPO klar.15
II. Sachliche Zuständigkeitskonzentration gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 WpÜG Die örtliche Gerichtsstandkonzentration des § 32b ZPO wird im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit von § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG ergänzt. Die Vorschrift weist die dem KapMuG unterfallenden kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzder allgemeinen Prospekthaftung (culpa in contrahendo, § 280 Abs. 1, § 311 BGB) bzw. des Deliktsrechts (§ 823 Abs. 2, § 826 BGB) nicht den Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO eingreifen lassen. 12 Die für Prospekthaftungsklagen bislang maßgeblichen ausschließlichen Gerichtsstände am Sitz der Börse, also die faktische Zuständigkeitskonzentration beim LG Frankfurt a. M. gemäß § 48 BörsG a. F. bzw. § 13 Abs. 2 VerkProspG a. F., wurden damit aufgegeben. Sie finden gemäß § 31 Satz 1 EGZPO übergangsweise weiterhin auf Altklagen sowie so genannte „Nachzüglerklagen“ Anwendung, vgl. Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32b Rn. 3 f. Die Abschaffung der ausschließlichen Zuständigkeiten der § 48 BörsG a. F. und § 13 Abs. 2 VerkProspG a. F. wird heftig kritisiert. Diese Vorschriften hätten durch ihre Anknüpfung spezialgesetzlicher Prospekthaftungsklagen an den Sitz der Börse zu einer Spezialisierung und damit letztlich zu einer Entlastung der Justiz geführt. Durch die Neuerungen sei eine Spezialisierung auf Anlegerstreitigkeiten nur noch dann möglich, wenn die Bundesländer ausnahmslos von ihrer Zentralisierungsmöglichkeit Gebrauch machen; andernfalls sei keine einheitliche Rechtsprechung im Musterverfahren gewährleistet. Es wäre daher sinnvoller gewesen, das Landgericht Frankfurt a. M. als zuständiges Gericht festzulegen. Vgl. ausführlich zu den vorgebrachten Kritikpunkten Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (676 f.); v. Hein, RIW 2004, 602 (603 f.); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2739). 13 Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates v. 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 12 v. 18. Januar 2000, S. 1. 14 Umfassend hierzu KK/Hess, KapMuG, § 32b ZPO Rn. 19; Stadler, Referat I zum 62. DJT., I 36 f.; siehe ferner Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2739); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251); vgl. auch den Text und die Nachweise in § 1 Fn. 14 sowie § 4 Fn. 298. 15 Vgl. v. Hein, RIW 2004, 602 (607); Hess, WM 2004, 2329 (2332); Reuschle, WM 2004, 2334 (2343); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). Ausführlich zum Umfang der Zuständigkeitskonzentration des § 32b ZPO bei Auslandsbezug KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 4 und v. a. Rn. 14 ff.
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
streitigkeiten in erster Instanz ausschließlich den Landgerichten zu.16 Für die vertraglichen Erfüllungsansprüche im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG enthält § 66 Abs. 1 Satz 1 WpÜG eine entsprechende Regelung der sachlichen Zuständigkeit, so dass es insoweit keiner Erweiterung des § 71 Abs. 2 GVG bedurfte.17 Eine zusätzliche Konzentration und Spezialisierung ermöglicht § 32b Abs. 2 ZPO. Die Vorschrift ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung einem Landgericht mehrere Landgerichtsbezirke für die von § 32b Abs. 1 ZPO erfasste Materie zuzuordnen.18 Die Vorschrift korrespondiert mit der Ermächtigung in § 4 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 KapMuG, einem Oberlandesgericht die Zuständigkeit für das eigentliche Musterverfahren zuzuweisen. Daneben haben die Länder die Möglichkeit durch Staatsvertrag eine länderübergreifende Zuständigkeitszuweisung an ein ausgewähltes Oberlandesgericht zu vereinbaren.
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens Das Musterverfahren zerfällt in zwei Verfahrensabschnitte.19 In einem Vorlageverfahren (erster Verfahrensabschnitt) hat zunächst das Prozessgericht über die 16 Korrespondierend mit § 32b ZPO erfasst die in der Vorschrift normierte ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Landgerichte nicht nur Streitigkeiten des geregelten, sondern ebenso des grauen Kapitalmarktes, vgl. bereits Fn. 11 sowie G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3095). 17 BT-Drs. 15/5091, S. 34. Kritisch gegen die systematische Verankerung im WpÜG KK/Hess, KapMuG, § 32b ZPO Rn. 2. Auf eine mögliche Überlastung eines einzelnen Spruchkörpers durch die Zuständigkeitskonzentration weist Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 32b Rn. 4 hin. Ebenso ausführlich und kritisch hierzu Cuypers, WM 2007, 1446 (1450). 18 Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 32b Rn. 4. Vgl. zudem KK/Hess, KapMuG, § 32b ZPO Rn. 2. Von der Ermächtigung in § 32b Abs. 2 ZPO zur Bildung von „Schwerpunkt-Gerichten“ haben bislang die Bundesländer Bayern, Hessen, NordrheinWestfalen und Tübingen Gebrauch gemacht. Weitere Länder haben bisher nur Verordnungsermächtigungen erlassen, so Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Die Zuständigkeit für Verfahren im Sinne des § 32b Abs. 1 ZPO ist in Bayern dem LG München I, in Hessen dem LG Frankfurt a. M. und in Thüringen dem LG Gera übertragen worden. In Nordrhein-Westfalen ist die Zuständigkeit entsprechend den Oberlandesgerichtsbezirken Düsseldorf, Hamm und Köln auf das LG Düsseldorf, das LG Hamm bzw. das LG Köln verteilt (Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 32b Rn. 1 und v. a. Rn. 31 m.w. N.; KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 13 m.w. N.; vgl. ferner Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32b Rn. 12). 19 So auch BT-Drs. 15/5091, S. 2; Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (14); Jauernig, Zivilprozessrecht, § 83a III (S. 275); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738); Reuschle, KapMuG, S. 29; ders., NZG 2004, 590 (591); ders., ÖsterrAnwBl 2006, 371 (372); ders., WM 2004, 2334; Stadler, Festschrift Rechberger, S. 667; Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz, S. 151; Zypries, ZRP 2004, 177 (178). Anders Bälz/Blobel, Collective Litigation, S. 135; Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (674 f.); Glaser, Ad-hoc-Publizität, S. 249; KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 21; Keller/Kolling, BKR 2005, 399 (400); Kilian, KapMuG, S. 25; Kranz, MDR 2005, 1021; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (88); Pfitzer/Oser/Orth, Reform des Aktien-, Bilanz- und Aufsichtsrechts, S. 173; Vor-
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens
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Zulassung des Musterverfahrens zu entscheiden. Sind die Voraussetzung hierfür gegeben, so legt es die gestellten Musterfragen dem im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Dieses führt im zweiten Verfahrensabschnitt das eigentliche Musterverfahren durch. In ihm klärt das Oberlandesgericht die vorgelegten Fragestellungen verbindlich für die betroffenen Ausgangsverfahren, vgl. § 16 KapMuG. Es hält die gefundenen Ergebnisse in dem durch Beschluss ergehenden Musterentscheid fest, mit welchem die oberlandesgerichtliche Musterverfahrensdurchführung ihren Abschluss findet.
I. Die Einleitung des Musterverfahrens: Das Vorlageverfahren, § 1 bis § 5 KapMuG 1. Grundsatz der Individualklageerhebung, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Nach der Konzeption des KapMuG werden parallele Fragestellungen nur für die eigentliche Musterverfahrensdurchführung vor dem Oberlandesgericht gebündelt. Zuvor verbleibt es bei dem zivilprozessualen Grundsatz der Individualklageerhebung.20 Jeder Geschädigte muss seine Ansprüche vor dem Landgericht gesondert gerichtlich geltend machen, indem er eine den Anforderungen des § 253 ZPO genügende Klageschrift unter Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses einreicht. Das KapMuG stellt kein prozessuales Instrument dar, welches den Zugang zum Gericht erleichtert. Vielmehr müssen die geschädigten Anleger nach wie vor ihre „rationale Apathie“ 21 überwinden, indem sie sich unter Inkaufnahme von Kosten für eine gerichtliche Anspruchsverfolgung entscheiden.22 2. Antrag auf Musterverfahrensdurchführung, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Jede Partei der kapitalmarktrechtlichen Ausgangsstreitigkeit hat zudem die Möglichkeit, vor ihrem Prozessgericht die Einleitung eines Musterverfahrens zu beantragen, um entscheidungserhebliche Voraussetzungen oder Rechtsfragen im Hinblick auf den erhobenen Individualanspruch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 werk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 6 ff.; Rau, KapMuG, S. 21; Sessler, WM 2004, 2344 (2345 ff.); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 3. 20 Vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 1 und 6; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2738 (2739); Rau, KapMuG, S. 22; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 7. Vgl. zudem BGH WM 2008, 124 f.: Erfordernis der Musterfeststellungsantragsstellung in einem erstinstanzlichen Verfahren. 21 Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rn. 189; Fleischer, Gutachten F zum 64. DJT, F 116; Kalss, Anlegerinteressen, S. 229 f.; Kilian, KapMuG, S. 21. 22 Wagner, Gutachten A zum 66. DJT, A 122.
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
KapMuG vorab vom Oberlandesgericht klären zu lassen.23 Mit dem Musterfeststellungsantrag beginnt das Vorlageverfahren als besonderer Bestandteil des erstinstanzlichen Ausgangsprozesses.24 Das Prozessgericht hat hierbei zunächst über die Eintragung des Feststellungsantrags im elektronischen Klageregister durch unanfechtbaren Beschluss zu entscheiden, vgl. § 2 Abs. 1 KapMuG. In einer zweiten Phase fasst es sodann den Vorlagebeschluss ab, vgl. § 4 KapMuG. Durch ihn gelangen die gestellten Fragen gebündelt an das übergeordnete Oberlandesgericht. 3. Anforderungen an den Musterfeststellungsantrag gemäß § 1 KapMuG a) Statthaftigkeit des Musterfeststellungsantrags, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG kann ein Musterfeststellungsantrag nur in einem erstinstanzlichen Prozess gestellt werden, der den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften für das Verfahren im ersten Rechtszug vor den Landgerichten nach §§ 253 ff. ZPO unterliegt.25 Eine weitere Einschränkung ergibt sich in sachlicher Hinsicht. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG eröffnet sich der Anwendungsbereich des KapMuG zunächst nur denjenigen erstinstanzlichen Verfahren, in denen ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation erhoben wird. Unter einer öffentliche Kapitalmarktinformation ist gemäß der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 3 KapMuG jede für eine Vielzahl von Kapitalanlagen bestimmte Information über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten zu verstehen, die einen Wertpapieremittenten oder einen Anbieter sonstiger Vermögensanlagen betrifft. Der Anwendungsbereich des KapMuG ist demnach auch für Kapitalanlagen des unreglementierten „Grauen Kapitalmark-
23 Eine Einleitung des Musterverfahrens von Amts wegen sieht das KapMuG hingegen nicht vor, selbst wenn dies dem Prozessgericht prozessökonomisch geboten erscheint (B. Schneider, BB 2005, 2249 [2251]). Es kann in solchen Fällen nur versuchen, auf die Antragsstellung hinzuwirken. 24 Vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 1. 25 Vgl. BGH ZIP 2007, 137; D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 122; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 6. Vgl. ferner Plaßmeier, NZG 2005, 609 f. Ebenso ist ein Musterfeststellungsantrag wieder statthaft, sobald das Berufungsgericht gemäß § 538 Abs. 2 ZPO den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweist, wobei die Stellung eines Musterfeststellungsantrags per se keinen ausreichenden Zurückverweisungsgrund darstellt, vgl. KG NZG 2007, 910 (911); Kruis, a. a. O. Vgl. zu den weiteren Einschränkungen neben der Erstinstanzlichkeit ausführlich KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 7 ff. sowie zur Frage der Statthaftigkeit eines Musterfeststellungsantrags bei Feststellungsklage im Ausgangsverfahren Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 15 ff.
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens
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tes“ eröffnet. Der Gesetzgeber wollte auch Anlegern, die in geschlossene Fonds in Form der Unternehmensbeteiligung investieren, wie beispielsweise Immobilien-, Solar- oder Windenergiefonds, die Möglichkeiten eines Musterverfahrens zukommen lassen.26 Hingegen erfasst das KapMuG nicht Streitigkeiten, die lediglich mittelbar Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation haben, wie etwa solche aus einem Anlageberatungsvertrag.27 Eine nähere Konkretisierung des Begriffs ergibt sich aus der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 4 KapMuG. Sie enthält eine beispielhafte, nicht abschließende, Aufzählung möglicher Kapitalmarktinformationen.28 Von besonderer Relevanz sind insoweit die sich aus § 44 BörsG, § 37b und § 37c WpHG, § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB, § 264a StGB, § 331 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG ergebenden Schadensersatzansprüche.29 In personeller Hinsicht kann sich die darauf gestützte Haftungsklage gegen den Wertpapieremittenten ebenso richten wie gegen sonstige Personen, die für die Kapitalmarktinformation verantwortlich sind bzw. diese veranlasst haben. Der schadensersatzrechtliche Anwendungsbereich ist dementsprechend etwa auch dann eröffnet, wenn die Organe des Emittenten, emissionsbegleitende Kreditinstitute, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Rechtsanwälte im Ausgangsverfahren in Anspruch genommen sind.30 Ferner ist ein Musterfeststellungsantrag in Ausgangsverfahren statthaft, in denen Streit um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch besteht, der auf einem Angebot nach dem WpÜG31 beruht, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG. Diese Fallgruppe kann Begehren, die auf die Feststellung der für einen wirksamen Vertragsschluss erforderlichen Voraussetzungen gerichtet sind, ebenso erfassen wie Nachbesserungsansprüche nach § 31 Abs. 4 und Abs. 5 WpÜG. Der Hauptanwendungsfall wird jedoch die Frage nach der Angemessenheit der Gegenleis26 BT-Drs. 15/5695, S. 5, 23; BGH ZIP 2008, 1326 (1327); ZIP 2007, 602; NJW 2007, 1365. 27 BGH ZIP 2008, 1326 (1327); ZIP 2007, 602; NJW 2007, 1365; OLG Köln WM 2008, 166 (167); dem folgend KG Berlin, Musterentscheid v. 18. Mai 2009, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) am 26. Mai 2009 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 4/08 („Okeanus Immobilienfonds für Deutschland Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG – Zweiter IBV-Immobilienfonds für Deutschland“). 28 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 20; Kilian, KapMuG, S. 26; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (85); Reuschle, ZBB 2004, 518 (520); B. Schneider, BB 2005, 2249; Weyand, INF 2005, 877 (878); ausführlich hierzu KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 27 ff. 29 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 27; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 16 ff. 30 Kilian, KapMuG, S. 27; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 19 sowie Rn. 20 f. zur Frage der Statthaftigkeit eines Musterfeststellungsantrags bei Inanspruchnahme von Anlagenberatern; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (86); Plaßmeier, NZG 2005, 609 (610); Reuschle, KapMuG, S. 26 f.; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2250). 31 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz v. 20. Dezember 2001 (BGBl. I 2001, 3822), in Kraft getreten am 1. Januar 2002 und zuletzt geändert durch Art. 71 der Achten Zulässigkeitsanpassungsverordnung v. 25. November 2003 (BGBl. I 2003, 2304).
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
tung im Rahmen eines Übernahme- bzw. Pflichtangebots, vgl. § 31 WpÜG, bilden.32 b) Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KapMuG Die Vorschriften des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KapMuG regeln die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Musterfeststellungsantrags. In formaler Hinsicht hat der Antragsteller zunächst das Feststellungsziel im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG sowie die öffentliche Kapitalmarktinformation anzugeben, § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG. Als Feststellungsziel kommen beispielsweise die Fehlerhaftigkeit des Prospekts gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG oder das Verschulden der Prospektverantwortlichen nach § 45 Abs. 1 BörsG, das Unterlassen einer Adhoc-Mitteilung oder die Unrichtigkeit einer veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung, § 37b, § 37c WpHG i.V. m. § 15 WpHG33, sowie die Frage nach der Angemessenheit der Gegenleistung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG in Betracht. Ebenso ist ein auf das kontradiktorische Gegenteil lautender Antrag möglich34, so dass insbesondere der Beklagte um die Feststellung anspruchsausschließender Umstände nach § 45 Abs. 2 BörsG ersuchen kann. Zusätzlich sind die das Feststellungsziel rechtfertigenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände – die sogenannten Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG – sowie die vom Antragsteller benannten Beweismittel zu bezeichnen, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Andernfalls muss das Prozessgericht den Antrag nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG als unzulässig zurückweisen.35 Gleiches gilt, wenn der Antragsteller eine Entscheidungserheblichkeit der begehrten Feststellungen lediglich für sein Individualverfahren dartun kann. Erforderlich für die Zulässigkeit des Antrags ist nämlich weiter, dass der Entscheidung über den Musterfeststellungsantrag für andere gleichgelagerte Parallelfälle Bedeutung zukommen kann, § 1 Abs. 2 Satz 4 KapMuG. Derartige Parallelstreitigkeiten müssen zum Zeitpunkt der Musterantragsstellung noch nicht anhängig sein, sondern lediglich als möglich erscheinen.36 Neben den soeben beschriebenen Vorausset32 Ausführlich zur angemessenen Gegenleistung und dem Musterverfahren Hecker, ZBB 2004, 503 (503 ff.); vgl. ferner Kilian, KapMuG, S. 28; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 74 ff. sowie insbesondere auch Rn. 82 ff.; Pohlmann, ZGR 2007, 1 (15 ff.); Reuschle, ZBB 2004, 518 (520); vgl. ausführlich zu § 31 WpÜG ferner Assmann/ Pötzsch/Schneider/Krause, WpÜG, § 31 Rn. 1 ff.; Geibel/Süßmann, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, § 31 WpÜG Rn. 2 ff.; KK/Veil, KapMuG, § 31 WpÜG Rn. 1 ff. 33 Hierzu umfassend KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 1 ff.; Assmann/ Schneider/Sethe, Wertpapierhandelsgesetz, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 33 ff. 34 BT-Drs. 15/5091, S. 20; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 35 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 172. 36 Derartige Parallelstreitigkeiten müssen zum Zeitpunkt der Musterantragsstellung noch nicht anhängig sein, sondern lediglich als möglich erscheinen, BT-Drs. 15/5091,
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens
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zungen kommt eine Zurückweisung des Antrags als unzulässig aus den in § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG normierten Gründen in Betracht. Dies ist namentlich der Fall, wenn der dem Musterfeststellungsantrag zu Grunde liegende Rechtsstreit bereits entscheidungsreif ist, der Antragssteller eine Prozessverschleppung bezweckt, das bezeichnete Beweismittel ungeeignet ist, die Darlegungen des Antragsstellers den Musterfeststellungsantrag nicht rechtfertigen oder eine ausschließlich gestellte Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig erscheint.37 4. Bekanntmachung des Musterfeststellungsantrags und Vorlage an das Oberlandesgericht, § 2 bis § 4 KapMuG Sind keine Unzulässigkeitsgründe ersichtlich, so macht das Prozessgericht den Musterfeststellungsantrag im elektronischen Bundesanzeiger unter der Rubrik „Klageregister nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ 38 öffentlich bekannt, § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. In das Klageregister kann jedermann gemäß § 2 Abs. 2 KapMuG unentgeltlich Einsicht nehmen. Anders als ein Zurückweisungsbeschluss nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KapMuG39 ist der Beschluss über die Bekanntmachung des Musterfeststellungsantrags unanfechtbar, § 2 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Mit der Bekanntmachung ist das erstinstanzliche Verfahren, in dem der Musterfeststellungsantrag gestellt wurde, automatisch unterbrochen, § 3 KapMuG. Sofern innerhalb einer Frist von vier Monaten seit diesem Zeitpunkt in anderen Verfahren mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt werden, hat eine Vorlage an das Oberlandesgericht zu erfolgen, § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.40 Vorlageberechtigt ist dasjenige Prozessgericht, bei welS. 21; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). Faktisch kommt eine Zurückweisung des Antrags als unzulässig in diesem Zusammenhang daher nur in Betracht, wenn Angaben zu diesem Erfordernis völlig fehlen oder offensichtlich ins Blaue hinein aufgestellt sind. Die fehlende Überzeugung des Prozessgerichts von einer weitergehenden Bedeutung i. Ü. genügt indes nicht, KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 177. 37 Detailliert zu den einzelnen Unzulässigkeitsgründen KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 183 ff. 38 Vgl. hierzu die Verordnung über das Klageregister nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz („KlagRegV“) v. 26. Oktober 2005, BGBl. I 2005, S. 3092 oder im Internet (zur Abrufbarkeit des elektronischen Klageregisters siehe bereits § 1 Fn. 54; Stand: 1. Oktober 2009). Die KlagRegV ist zudem abgedruckt bei Reuschle, KapMuG, S. 68 ff. 39 Dieser ist mit der sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO angreifbar, Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 77. 40 Unerheblich ist insoweit – wie sich aus dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG ergibt –, ob der Musterfeststellungsantrag jeweils vor dem späteren Vorlagegericht oder einem anderem Landgericht gestellt wurde. Allerdings bleibt unklar, wie in diesem Zusammenhang § 4 Abs. 4 KapMuG zu verstehen ist. Nach der Vorschrift soll das Prozessgericht den Musterfeststellungsantrag zurückweisen, wenn bei ihm innerhalb von vier Monaten nicht die erforderliche Anzahl gleichgerichteter Anträge gestellt
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
chem der zeitlich erste Antrag gestellt wurde, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG.41 Es erlässt einen Vorlagebeschluss, in dem es insbesondere den Inhalt der Begehren zu dem Feststellungsziel und den Streitpunkten des Musterverfahrens zusammenfasst, vgl. § 4 Abs. 2 KapMuG, und dadurch dessen Streitgegenstand bestimmt. Der Erlass des Vorlagebeschlusses leitet die Durchführung des Musterverfahrens bei dem im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgericht, vgl. § 118 GVG, ein. Der Beschluss ist für das Oberlandesgericht bindend, § 4 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, und sperrt gemäß § 5 KapMuG die Einleitung weiterer Musterprozesse für die nach § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren.42
II. Die Durchführung des Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht, § 6 bis § 15 KapMuG 1. Auswahl des Musterklägers, § 8 Abs. 2 KapMuG, und öffentliche Bekanntmachung des Musterverfahrens, § 6 KapMuG Der Eingang des Vorlagebeschlusses bei dem im Instanzenzug übergeordneten Oberlandesgericht leitet die Durchführung des Musterverfahrens ein, vgl. § 6 KapMuG. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG muss das Oberlandesgericht zunächst aus den Individualklägern vor dem vorlegenden Gericht nach billigem Ermessen43 eine geeignete Person zum Musterkläger bestimmen, wobei das Gesetz selbst in § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG zu berücksichtigende Auswahlkriterien vorgibt44. Zudem ist der Musterbeklagte bzw. sind die Musterbeklagten festzulewurde. Vor dem Hintergrund der Formulierung in § 4 Abs. 1 KapMuG erscheint es naheliegend, das Wort „Prozessgericht“ extensiv auszulegen. Zweifelnd am Sinn der unterschiedlichen Regelungen Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (138, dort insbesondere auch Fn. 37) sowie B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253). Wird das erforderliche Quorum für eine Vorlage der Musterfrage an das Oberlandesgericht nicht erreicht, weist das Prozessgericht den Antrag zurück und setzt das Verfahren fort (§ 4 Abs. 4 KapMuG). 41 Die zeitliche Reihenfolge bestimmt sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 KapMuG nach der Bekanntmachung der Musterfeststellungsanträge im Klageregister. 42 Richtigerweise für ein weites Verständnis hinsichtlich des Umfangs der Sperrwirkung nach § 5 KapMuG BT-Drs. 15/5091, S. 24; Kilian, KapMuG, S. 63; Reuschle, KapMuG, S. 36; ders., WM 2004, 2334 (2338); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2254); zu eng KK/Kruis, KapMuG, § 5 Rn. 1 ff. sowie Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102). Insoweit unklar Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 5 Rn. 1 ff. einerseits und § 4 Rn. 9 andererseits. 43 Mit der Orientierung an § 93a VwGO wollte man der Gefahr eines „race to the courtroom“ begegnen, wie sie bei der class action nach US-amerikanischem Recht auftritt, BT-Drs. 15/5091, S. 25. 44 Vgl. hierzu BT-Drs. 5091, S. 25. Diese Vorschrift berücksichtigt den Parteiwillen der Kläger stärker als die im ursprünglichen Diskussionsentwurf v. 7. April 2004 (abrufbar im Internet etwa unter https://www.uni-leipzig.de/bankinstitut/alt/dokumente/ 2004-04-07-01.pdf; Stand: 1. Oktober 2009; zudem Beilage zu NZG Heft 11/2004, S. 1 ff.) enthaltene Regelung. Diese stellte darauf ab, welcher Kläger im Zeitpunkt des
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gen.45 Erst wenn die Identität der Musterverfahrensparteien feststeht, kann das Oberlandesgericht gemäß § 6 Satz 1 KapMuG den Musterprozess mit dem dort vorgeschriebenen Inhalt im Klageregister öffentlich bekannt machen. 2. Aussetzung der übrigen Ausgangsstreitigkeiten nach § 7 KapMuG und Beiladung zum Musterverfahren nach § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 KapMuG Nach Bekanntmachung des Musterverfahrens muss das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zum Erlass des Musterentscheids noch anhängig werdenden Verfahren aussetzen, deren Entscheidung von den oberlandesgerichtlichen Antworten im Musterverfahren abhängt, § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.46 Der Aussetzungsbeschluss ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG nicht anfechtbar. Die Anspruchsteller können nicht zwischen der Rechtsverfolgung im Wege eines Individualprozesses und der Teilnahme am Musterverfahren wählen.47 Vielmehr wirkt die Aussetzung für die nicht zu Musterverfahrensparteien bestimmten Personen zugleich als Beiladung zum Musterverfahren, § 8 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. Satz 1 KapMuG.48 Sie werden zusammen mit dem Musterkläger und -beklagten zu Beteiligten des oberlandesgerichtlichen Massenverfahrens, § 8 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG. Insbesondere haben die Kläger angesichts der
Erlasses des Vorlagebeschlusses den höchsten Schaden gegen den Beklagten geltend macht und ob durch ihn eine zweckdienliche Interessenvertretung zu erwarten ist; vgl. hierzu auch Braun/Rotter, BKR 2004, 296 (298). Die auserwählte Partei muss selbst keinen Musterfeststellungsantrag gestellt haben, siehe später S. 151 f. 45 Vgl. zur Bestimmung der Musterverfahrensparteien sowie zur Beiladung zum Musterprozess nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ausführlich S. 151 ff. 46 Dies erfordert vergleichbar der Abhängigkeit bei der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO eine Entscheidungserheblichkeit bzw. Vorgreiflichkeit der im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen oder der zu klärenden Rechtsfragen für die Ausgangsstreitigkeiten, vgl. Kilian, KapMuG, S. 30; KK/Kruis, KapMuG, § 7 Rn. 17 ff. Siehe zur Vorgreiflichkeit bei der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 256 Rn. 80 ff.; Zöller/Greger, § 256 Rn. 25 f.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 256 Rn. 104 ff. 47 Auch ist die Aussetzung nicht davon abhängig, dass in der jeweiligen auszusetzenden Ausgangsstreitigkeit ein Musterfeststellungsantrag gestellt wurde, § 7 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. Vgl. hierzu zudem Hess, ZIP 2005, 1713 (1715); Kilian, KapMuG, S. 30; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2740). Die gesetzliche Ausgestaltung des § 7 KapMuG – insbesondere die fehlende Beschwerdemöglichkeit gegen den Aussetzungsbeschluss – ist jedenfalls rechtspolitisch äußerst bedenklich. Kritisch ebenso KK/Kruis, KapMuG, § 7 Rn. 45 f. 48 Mit dem Aussetzungsbeschluss informiert das Prozessgericht die Beigeladenen darüber, dass die anteiligen Kosten des Musterverfahrens zu den Kosten des Prozessverfahrens gehören, sofern nicht die Klage innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses in der Hauptsache zurückgenommen wird, § 8 Abs. 3 Satz 3 KapMuG.
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§ 2 Zielsetzung und Ausgestaltung des KapMuG-Verfahrens
kurzen Verjährungsfristen für Ansprüche im Anwendungsbereich des KapMuG49 regelmäßig auch nicht die Möglichkeit, mit der Klageerhebung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines anhängigen Musterverfahrens zuzuwarten, um sich aus den dort gefundenen Ergebnissen eine faktische Präjudizwirkung für die im eigenen Prozess aufgetretenen Fragestellungen zu erhoffen.50 Die gleichgelagerten Einzelprozesse werden folglich erst mit Erlass der Aussetzungsbeschlüsse zum Zwecke der breiten Feststellung mehrfach relevanter Entscheidungselemente im Rahmen der Musterprozessdurchführung vor dem Oberlandesgericht gebündelt.51 Für diesen gelten im Wesentlichen die Vorschriften der §§ 253 ff. ZPO für Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug, § 9 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Die Beigeladenen haben gemäß § 12 KapMuG eine der einfachen Nebenintervention im Sinne des § 67 ZPO nachempfundene Rechtsstellung.52 Sie sind zur Vornahme von Angriffs- und Verteidigungsmitteln und sonstigen Prozesshandlungen berechtigt, dürfen sich dabei aber – mit Ausnahme von § 13 KapMuG – nicht in Widerspruch zu dem Prozessverhalten ihrer Hauptpartei setzen. 3. Erlass des Musterentscheids, § 14 KapMuG, Rechtsbeschwerde, § 15 KapMuG, und Fortführung des erstinstanzlichen Verfahrens, § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG Das Oberlandesgericht erlässt auf Grund mündlicher Verhandlung durch Beschluss den Musterentscheid, § 14 KapMuG. Hingegen trifft es gemäß Absatz 2 der Vorschrift keinen Kostenausspruch. Dieser bleibt dem Prozessgericht vorbehalten.53 49 Schadensersatzansprüche wegen falscher bzw. unterlassener Kapitalmarktinformationen gemäß § 37b, § 37c WpHG verjähren nach Absatz 4 der jeweiligen Vorschrift innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung, spätestens in drei Jahren nach der schädigenden Handlung. Prospekthaftungsansprüche nach § 44, § 45 BörsG wegen fehlerhafter Börsensprospekte verjähren gemäß § 46 BörsG in einem Jahr seit Kenntniserlangung von der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit des Prospekts, spätestens in drei Jahren nach seiner Veröffentlichung. Auch deliktische Ansprüche, insbesondere nach § 826 BGB, verjähren gemäß § 195, § 199 Abs. 1 BGB in drei Jahren nach Anspruchsentstehung und Kenntniserlangung. 50 Zwar ermöglichen der Mahnbescheid (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB) oder die Durchführung eines Schiedsverfahrens (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB) eine Verjährungshemmung. Diese wirkt zeitlich in nur sehr beschränktem Umfang und kann deshalb für den Kläger keine praktikable Alternative zur Klageerhebung darstellen. Vgl. hierzu auch Palandt/Heinrichs, BGB § 204 Rn. 36 und 43; MüKo/Grothe, BGB, § 204 Rn. 32 ff. sowie Rn. 52 ff. Vgl. zur Verjährungsproblematik zudem die vorangegangene Fn. 49. 51 Vgl. Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 7 Rn. 1. 52 Mit i. E. nicht überzeugenden Argumenten für die Stellung der Beigeladenen als streitgenössische Nebenintervenienten plädierend Rößler, KapMuG, S. 112 ff., insbesondere S. 116. 53 Kilian, KapMuG, S. 32; Vorwerk/Wolf/Riedel, KapMuG, § 17 Rn. 1.
C. Der Ablauf des KapMuG-Verfahrens
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Gegen den Musterentscheid steht allen Beteiligten des Musterverfahrens i. S. d. § 8 Abs. 1 KapMuG als Rechtsmittel die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach §§ 574 ff. ZPO, § 133 GVG offen, § 15 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Abweichend von § 574 Abs. 2 ZPO enthält § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG eine unwiderlegliche Vermutung der grundsätzlichen Bedeutung.54 Nach Eintritt der Rechtskraft des Musterentscheids können die Beteiligten diesen bei ihrem Prozessgericht einreichen, § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Die Ausgangsstreitigkeit ist daraufhin fortzuführen.55 Der Musterentscheid entfaltet dort gemäß § 16 Abs. 1 KapMuG umfassende Bindungswirkung hinsichtlich der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen. Sie kann nur innerhalb des Einzelrechtsstreits eines Beigeladenen durchbrochen werden, wenn letzterer erfolgreich den Einwand mangelhafter Prozessführung durch seine Musterverfahrenspartei nach § 16 Abs. 2 KapMuG56 geltend macht. Sobald das Prozessgericht die offenen, nur individuell zu beantwortenden, Fragen geklärt hat – beispielsweise die von Beklagtenseite behauptete Kenntnis des Anlegers von der Prospektunrichtigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Nr. 3 BörsG, Aspekte der Anspruchsverjährung oder den konkreten Umfang des Ersatzanspruchs –, entscheidet es über das Ausgangsverfahren durch Endurteil gemäß § 300 ZPO. In der Kostenentscheidung dieses Urteils muss das Prozessgericht auch die im Musterverfahren angefallenen Kosten gemäß § 17 KapMuG auf die Parteien verteilen, § 14 Abs. 2 KapMuG.
54 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 8. Ausführlich zur Rechtsbeschwerde im KapMuG-Verfahren KK/Rimmelspacher, KapMuG, § 15 Rn. 1 ff. 55 Ausgehend von Wortlaut und Systematik ist der zwingende Aussetzungsgrund entfallen. Vgl. auch Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (139). 56 Dieser ist nach dem Vorbild der Interventionswirkung nach § 68 ZPO konzipiert, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 31.
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG § 16 KapMuG ist die zentrale Vorschrift des KapMuG. Sie regelt die Wirkungen des Musterentscheids für die am Musterverfahren Beteiligten sowie die Prozessgerichte. Die Ergebnisse des Musterverfahrens sind in die Ausgangsstreitigkeiten zu übernehmen. Die Regelungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 bis 3 KapMuG normieren zu diesem Zweck die Bindungswirkungen des Musterentscheids. § 16 KapMuG bildet daher die Verknüpfung mit den nach Abschluss des Musterverfahrens fortzuführenden Individualprozessen. Von besonderem Interesse für die nachfolgende Untersuchung ist § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. Nach dieser Regelung ist der Beschluss des Oberlandesgerichts „der Rechtskraft insoweit fähig, als über den Streitgegenstand des Musterverfahrens entschieden ist“.
Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Formulierung offensichtlich an § 322 Abs. 1 ZPO orientiert.1 Folglich strahlt der Musterstreitgegenstand – vergleichbar dem zivilprozessualen Streitgegenstand, der die Urteilswirkungen mitbestimmt – auf die objektiven und subjektiven Grenzen des Bindungsumfanges der im Musterverfahren vom Oberlandesgericht zu treffenden Feststellungen aus.2 Auch im oberlandesgerichtlichen Musterprozess spielt der Verfahrensgegenstand damit eine tragende Rolle. „Letztlich [. . .] [bezieht sich nämlich] jede Handlung des Gerichts und der Parteien auf den Streitgegenstand.“ 3 Er beeinflusst die Überlegungen zur optimalen Prozessvorbereitung und zweckdienlichen Antragsstellung ebenso wie den Rahmen, in dem die Beteiligten inhaltlichen Einfluss auf das laufende Verfahren nehmen können. Der Gegenstand bestimmt den Bindungsumfang der oberlandesgerichtlichen Musterentscheidungen mit. Die Parteien müssen ihn berücksichtigen um die potentiellen Prozesswirkungen abzuschätzen. Bei dem neuen Institut der Musterstreitigkeit nach dem KapMuG ist als Besonderheit gegenüber dem herkömmlichen ZPO-Verfahren zudem zu berücksichtigen, dass es einen ausgelagerten Teil des erstinstanzlichen Prozesses dar-
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Vgl. insoweit auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 30 f., 34. Vgl. zu dieser Bedeutung des Streitgegenstands im Rahmen des ZPO-Verfahrens Schumann, Die ZPO-Klausur, Rn. 74. 3 So ausdrücklich für den ZPO-Prozess Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V A Rn. 263; eingehend zudem zu den Bedeutungen des Streitgegenstands im Rahmen des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens ders., Die ZPO-Klausur, Rn. 70 ff. 2
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
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stellt, der vor dem Oberlandesgericht fortgeführt wird.4 Für diesen hat der Gesetzgeber eine Reihe von Prozessregeln geschaffen, die dem herkömmlichen Zivilverfahren fremd sind.5 Er wollte auf diese Weise eine Vielzahl von gleichgelagerten Individualverfahren in einem einzigen Prozess bündeln. Für den potentiellen Musterverfahrensbeteiligten erfordert diese Ausgestaltung zusätzliche prozesstaktische Überlegungen im Vorfeld eines Musterverfahrens. Er muss sich fragen, welche Elemente seines begonnenen Individualverfahrens er überhaupt in den Musterprozess transportieren kann. Weiter gilt es, die Vor- und Nachteile einer Inanspruchnahme des prozessualen Instituts des KapMuG abzuwägen. Hierfür ist es notwendig, die potentiellen Wirkungen einer teilweisen Auslagerung des Streitstoffes auf das fortzuführende Individualverfahren abzusehen. Für den Prozessgegner gewinnt der Aufbau einer effektiven und zweckmäßigen Verteidigungsstrategie zusätzliche Bedeutung, da er im KapMuG-Prozess gleichzeitig einer Vielzahl von Anspruchsstellern gegenübersteht. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das folgende Kapitel näher mit dem musterverfahrensrechtlichen Gegenstand. Den Ausgangspunkt bildet die in der ZPO herrschende zweigliedrige Streitgegenstandslehre. Es gilt zu untersuchen, inwieweit dieser Ansatz die Besonderheiten des Musterverfahrens bedienen kann oder ob diese – in Anlehnung an die im Rahmen der ZPO vertretenen relativen Anspruchstheorien6 – ein normatives Verständnis erfordern. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Auslegung der für die Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands zentralen Begriffe. Es handelt sich um das „Feststellungsziel“ gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, die „Streitpunkte“ nach § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, den „Lebenssachverhalt“ und die „Gleichgerichtetheit“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ist sprachlich an § 322 Abs. 1 ZPO orientiert.7 Ziel des Gesetzgebers ist es, den Streitgegenstand des Musterverfahrens in gleicher Weise in Rechtskraft erwachsen zu lassen wie den prozessualen Anspruch im herkömmlichen ZPO-Verfahren.8 Die gefundenen Ergebnisse bilden deshalb zugleich das Fundament für die später zu klärenden Fragen hinsichtlich der Bindungswirkungen der musterverfahrensrechtlichen Entscheidung.9
4 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 49. So im Ergebnis letztlich auch Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 27. 5 Vgl. Reuschle, KapMuG, S. 34 f., dort v. a. auch Fn. 58. 6 Vgl. hierzu ausführlich Beys, ZZP 105 (1992), 145 (157 ff.); Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V B, C Rn. 267 ff. 7 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148); Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (113). 8 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 30. 9 Zur Bindungswirkung des Musterentscheids nach § 16 KapMuG unten umfassend S. 220 ff.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
A. Das Streitgegenstandsverständnis der ZPO Rechtsprechung und Schrifttum verwenden den Begriff des Streitgegenstands, wenn der Gegenstand des laufenden Rechtsstreits oder der Gegenstand des Urteils nach Beendigung des Prozesses gemeint ist.10 Die Rechtsprechung und die herrschende Lehre fassen ihn nicht als den materiellrechtlichen Anspruch11, sondern vornehmlich als eigenständiges Institut des Prozessrechts auf. Der Bundesgerichtshof geht in inzwischen ständiger Rechtsprechung ebenso wie das überwiegende Schrifttum von einem zweigliedrigen Verständnis aus. Danach bestimmt sich der Streitgegenstand für alle prozessualen Situationen durch Klageantrag und Lebenssachverhalt als gleichwertige Elemente.12 Im Klageantrag 10
Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 6. Für den historischen Gesetzgeber waren der zivilprozessuale Streitgegenstand und der materiellrechtliche Anspruch identisch (Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 7 m. z. w. N.). Die Literatur hat sich dieser Auffassung bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten der CPO von 1877 widersetzt; dies ist vornehmlich auf die mit einer Gleichsetzung einhergehenden unlösbaren Systemschwierigkeiten in Fällen der Anspruchskonkurrenz bzw. der Verneinung des Bestehens eines materiellrechtlichen Anspruchs zurückzuführen (hierzu ausführlich Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 7 und 16, jeweils m. z. w. N.; vgl. zudem eingehend Beys, ZZP 105 [1992], 145 [150 f., sowie ausführlich zu den prozessualen Streitgegenstandstheorien 151 ff.]; Brox, JuS 1962, 121 [124 f. und gegen die Einheitslehre 124 ff.]; vgl. ferner E. Schneider, MDR 1968, 290 [290 ff.]) Wenngleich eine Gleichsetzung von materiellrechtlichem und prozessualem Anspruch heute nicht mehr vertreten wird (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 16 m.w. N.), haben sich Teile des Schrifttums mit jeweils unterschiedlichen Ausprägungen zwischenzeitlich wieder für einen materiellrechtlich orientierten Streitgegenstandsbegriff ausgesprochen (Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 127 ff.; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, S. 249 ff.; Hesselberger, Die Lehre vom Streitgegenstand, S. 292 ff.; Jauernig, Zivilprozessrecht, § 37 VIII; Larenz/M. Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 18 Rn. 33 ff.; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 75 f.; Nikisch, AcP 154 [1955], 269 [273 ff. sowie 282 ff.]; Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 227 f.; Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß, S. 168 ff.; ders., JuS 2004, 560 [562]; Schröder, FamRZ 2005, 320 [320 f.]; ablehnend hingegen Detterbeck, AcP 192 [1992], 325 [326]). Ausführlich zum Meinungsstand zudem Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 20 ff. sowie 109 ff.; Hesselberger, Die Lehre vom Streitgegenstand, S. 135 ff.; Lüke, Zivilprozessrecht, Rn. 161a ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 30 ff. 12 Ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGHZ 168, 179 (184 m.w. N.); 157, 47 (50 sowie 53); 154, 342 (347 f.); 153, 173 (175); 143, 246 (250 m.w. N.); 135, 140 (150 m.w. N.); 123, 137 (140); 117, 1 (5 m.w. N.); siehe ferner BGHZ 94, 29 (33 m.w. N.); BAG MDR 2003, 521; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 2 Rn. 4 f.; MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, vor § 253 Rn. 32; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 92 Rn. 22; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 206 ff. sowie insbesondere S. 221 f., jeweils m.w. N.; Lüke, Zivilprozessrecht, Rn. 162 f.; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 130; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Einleitung II Rn. 25; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 63 ff.; Zimmermann, ZPO, Einleitung Rn. 15 f.; vgl. zudem die umfassenden Ausführungen bei Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V C Rn. 270 ff.; dagegen Schwab, Streitgegenstand, S. 183 ff., insbesondere S. 199. Ein11
A. Das Streitgegenstandsverständnis der ZPO
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würde sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisieren, die er aus dem Lebenssachverhalt herleitet. Der Streit um die Berechtigung dieser Rechtsfolgenbehauptung stelle den Streitgegenstand dar.13 Er umfasse nicht die konkrete rechtliche Qualifizierung des Sachverhaltes. Vielmehr hätte das zur Entscheidung berufene Gericht nach dem Grundsatz „iura novit curia“ unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt selbständig zu prüfen, ob es dem Klageantrag stattgeben kann.14 Ein Rechtsvortrag ist dementsprechend weder Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage noch ist das Gericht in irgendeiner Weise an ihn gebunden. Diese Einheitsvorstellung für alle an den Streitgegenstand anknüpfenden Vorschriften und Klagearten ziehen einige Stimmen in der Literatur zunehmend in Zweifel.15 Sie sprechen sich in unterschiedlichen Ausprägungen für ein relatives Begriffsverständnis aus. In jüngerer Zeit findet diese Sichtweise Bestätigung durch die Entwicklungen im europäischen Recht.16 Die Inhaltsbestimmung sollte schränkend für die ein absolutes Recht betreffende Feststellungsklage und insoweit ausschließlich auf den Klageantrag abstellend A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 40 V 2, S. 234; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, S. 283; Schwab, Streitgegenstand, S. 93 f. und 174 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 77; mit Einschränkungen ebenso Jauernig, Zivilprozesrecht, § 37 VIII 3. Die Gegenansicht hält bei der Inhaltsbestimmung des Streitgegenstands ausschließlich den Klageantrag für maßgeblich und will auf den Lebenssachverhalt nur ausnahmsweise als Auslegungshilfe zurückgreifen (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, § 96 III 3, IV; ders., Streitgegenstand, S. 199 f.; vgl. auch Lent, ZZP 65 [1952], 315 [338]; Rüßmann, ZZP 111 [1998], 399 [418, vgl. zudem 401]). Für den Rechtsschutzanspruch als Streitgegenstand plädieren Stein/Jonas/Pohle, ZPO 19. Aufl. 1972, Einl. E III I c) [S. 25]); Wach, ZZP 32 (1904), 1 (1 ff.); i. E. offenbar auch Detterbeck, AcP 192 (1992), 325 (333 ff., insbesondere 335); vgl. hierzu auch Hesselberger, Die Lehre vom Streitgegenstand, S. 106 ff. 13 Vgl. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 40 II, S. 232; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 92 Rn. 22 ff.; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 141 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 49, vgl. auch Rn. 11; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 63. 14 Vgl. etwa BGHZ 135, 140 (149); Stein/Jonas/Roth, § 253 Rn. 52; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 71. 15 Vgl. Beys, ZZP 105 (1992), 145 (157 ff.) sowie Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 41, jeweils m.w. N. 16 Der EuGH (Urt. v. 6. Dezember 1994 – Rs. C-406/92 [Tatry/Maciej Rataj], Slg. 1994 I-5460 = JZ 1995, 616 ff.; Urt. v. 8. Dezember 1987 – Rs. 144/86 [Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo] Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 ff.; vgl. zur Rechtsprechung des EuGH auch BGHZ 134, 201 [210]; BGH NJW 2002, 2795 [2795 f.]; eingehend ferner Rüßmann, ZZP 111 [1998], 399 [399 ff.]) vertritt einen vom deutschen Recht abweichenden weiten Streitgegenstandsbegriff. Ob derselbe Anspruch i. S. d. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ verfolgt wird, hängt nicht von der formalen Identität der Klageanträge ab, sondern davon, ob der Kernpunkt des Streits in den verschiedenen rechtshängigen Verfahren derselbe ist („Kernpunkttheorie“; hierzu ausführlich Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, A.1 Art. 27 Rn. 29 ff.; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 27 Rn. 6 ff.; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, EuGVVO Art. 27 Rn. 2 ff.).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
variabel, von der jeweiligen Prozesssituation ausgehend, erfolgen und dabei den Sinn und Zweck der einzelnen, auf den Streitgegenstand abstellenden, Norm konkret im Blick behalten.17 Maßgeblich sei die teleologische Auslegung der betreffenden, am Streitgegenstand anknüpfenden Norm bzw. des jeweiligen prozessrechtlichen Instituts.18 Dieses auf die konkrete Verfahrenslage abgestimmte Begriffsverständnis würde eine verfahrensökonomische Bereinigung des Prozessstoffs ermöglichen.19 Systematisch stelle es einen Anwendungsfall der auch sonst anerkannten Relativität der Prozessbegriffe dar.20 Es gelte somit zunächst, den Zweck der Einzelvorschrift festzustellen, bevor festgelegt werden könnte, was Streitgegenstand in deren Anwendungsbereich bedeutet. In die Auslegung seien zudem die funktionalen Beziehungen zwischen den verschiedenen prozessualen Regelungen einzubeziehen.21 Im Ergebnis führt diese normzweckorientierte Sichtweise zu einem weiten eingliedrigen, da insoweit nur auf den Antrag abstellendes, Begriffsverständnis für Fragen der Rechtshängigkeit, Anspruchshäufung sowie Klageänderung. Hingegen ist der Lebenssachverhalt als weiteres Glied für Fragen der Rechtskraft in die Inhaltsbestimmung einzubeziehen: Andernfalls müssten die Parteien befürchten, durch die Rechtskraftwirkung des Urteils an einer weiteren Rechtsverfolgung gehindert zu werden. Sie würden zu einer Ausweitung des Prozessstoffes tendieren. Insoweit ergibt sich folglich ein enger gefasster Streitgegenstandsbegriff.22
B. Der Gegenstand des KapMuG Im Hinblick auf das Musterverfahren nach dem KapMuG sind sich Rechtsprechung und Schrifttum nur darin einig, dass dieses einen gegenüber den Aus17 Auf die konkrete Verfahrenslage abstellend insbesondere Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46. Teilweise werden in den Mittelpunkt dieser normativen Interpretation mehr die Trennung zwischen Verfahrens- und Urteilsgegenstand (so A. Blomeyer, Festschrift Lent, S. 44 ff.; ders., Zivilprozessrecht, § 40 II, S. 232 f.; K. Blomeyer, ZZP 65 (1952), 52 (58 ff.); Brox, JuS 1962, 121 [124]; ablehnend Jauernig, Zivilprozessrecht, § 37 VIII vor 1) bzw. zwischen Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklage (Baumgärtel, JuS 1974, 69 [75]; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 6 f.; ders., Zivilprozessrecht, § 37 VIII) gestellt. Vgl. auch Yoshimura, ZZP 83, 245 ff. Ausführlich zum diesbezüglichen Meinungsstand etwa Hesselberger, Die Lehre vom Streitgegenstand, S. 135 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor 253 Rn. 10 ff.; Yoshimura, ZZP 83, 245 ff. 18 Vgl. Gaul, AcP 168 (1968), 27 (44 m.w. N.); Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 43 m.w. N. 19 Vgl. zu dieser Begründung des normativen Streitgegenstandsverständnisses Stein/ Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E Rn. 291. Siehe zudem zu den Grundsätzen der zweckmäßigen und institutionellen Interpretation der ZPO ausführlich Stein/ Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl I E Rn. 81 ff. 20 Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46 m.w. N. 21 Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46. 22 Vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 5.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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gangsstreitigkeiten verschiedenen Streitgegenstand besitzt.23 Das Gesetz basiert auf mehreren, der Zivilprozessordnung fremden Begriffen. Diese hat der Normgeber zwar überwiegend legaldefiniert. Deren Auslegung bereitet aber auf Grund der Neuartigkeit des prozessualen Konzepts Schwierigkeiten.24 Auslegungsunsicherheiten sind bezüglich der inhaltlichen Reichweite der neu geschaffenen Begriffe, ihres Verhältnisses zueinander sowie ihrer Funktion im Gesamtgefüge des KapMuG zu verzeichnen. Dementsprechend wird auch die Antwort auf die Frage, wie sich der Inhalt des Musterstreitgegenstands bestimmt, uneinheitlich beantwortet.25 Hierfür erlangen die Begriffe „Feststellungsziel“ und „Streitpunkte“ sowie die Begriffe „Gleichgerichtetheit“ und „im Musterverfahren zu treffende Feststellung“ Bedeutung. Zu klären ist zudem, ob dem „zu Grunde liegendem Lebenssachverhalt“ die von der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre bekannte Funktion innerhalb des KapMuG-Verfahrens zukommt. Der „Lebenssachverhalt“ ist zudem zusammen mit dem „Feststellungsziel“ für die Entscheidung über das Vorliegen „gleichgerichteter“ Musterfeststellungsanträge relevant, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Von der „Gleichgerichtetheit“ hängt es ab, ob das für eine Vorlage an das Oberlandesgericht erforderliche Quorum von Feststellungsersuchen erreicht ist. Das Musterverfahren nach dem KapMuG ist nur auf Antrag der Parteien durchzuführen, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Darin unterscheidet es sich von den herkömmlichen prozessualen Vorlageverfahren, insbesondere dem ehemaligen Rechtsentscheid in Mietsachen gemäß § 541 a. F. ZPO26. 23 BGH ZIP 2008, 1326 (1327); so bereits ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BTDrs. 15/5091, S. 30; siehe auch KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 55; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 92; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148); Musielak/Musielak, ZPO, § 325a Rn. 3; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 28; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Anh. nach § 77 Rn. 6 sowie § 325a Rn. 2; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 6; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 28; vgl. auch Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (100) sowie ferner die Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 15/5091, S. 49. 24 Die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu Tage getretenen Auslegungsschwierigkeiten verdeutlicht anschaulich die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 15/ 5091, S. 40 ff.; vgl. ferner die Gegenäußerung der Bundesregierung hierauf, BT-Drs. 15/5091, S. 48 f.; umfassend zur Auslegung der Begriffe Feststellungsziel, Streitpunkte und Gleichgerichtetheit später S. 65 ff. 25 Zum diesbezüglichen Meinungsstand später ausführlich S. 103 ff. 26 § 541 Abs. 1 Satz 1 a. F. ZPO sah Folgendes vor: „Will das Landgericht als Berufungsgericht bei der Entscheidung einer Rechtsfrage, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt oder den Bestand eines solchen Mietvertragsverhältnisses betrifft, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder eines Oberlandesgerichts abweichen, so hat es vorab eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über die Rechtsfrage (Rechtsentscheid) herbeizuführen; das gleiche gilt, wenn eine solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist und sie durch Rechtsentscheid noch nicht entschieden ist.“ Der Rechtsentscheid wurde durch Art. III des 3. MietrechtsänderungsG v. 21. Dezember 1967 (BGBl. I 1967, 1248)
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Der Gesetzgeber orientierte sich zwar bei der Schaffung des KapMuG an diesem im Zuge des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 200127 inzwischen wieder abgeschafften zivilprozessualen Institut.28 Die Normen über die Verfahrenseinleitung, insbesondere § 4 KapMuG, belegen aber, dass sich die konzeptionelle Ausgestaltung der Vorlage an das Oberlandesgericht von diesem Vorbild deutlich entfernt hat. Beim früheren Rechtsentscheid in Mietsachen war sowohl die Entscheidung über das „ob“ einer Vorlage als auch der konkrete Inhalt des zu erlassenden Vorlagebeschlusses allein dem vorlegenden Gericht oblegen.29 Die Parteien selbst hatten weder die Einleitung unmittelbar beeinflussen noch den konkreten Vorlagegegenstand mitbestimmen können.30 Anders stellt sich die Situation im Rahmen des KapMuG dar. Der Musterprozess ist als reines Antragsverfahren ausgestaltet, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.31 eingeführt und enthielt mit Wirkung v. 1. April 1991 die als § 541 übernommene Fassung, vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. vor Rn. 1; Maetzel, NJW 1968, 1461; MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 1. Zur Geltungsdauer vgl. den Text bei und den Nachweis in Fn. 27. 27 Zivilprozessreformgesetz (ZPO-RG, BGBl. I 2001, 1887). 28 BT-Drs. 15/5091, S. 18; siehe zudem Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 4; Reuschle, NZG 2004, 590 (592), ders., WM 2004, 2334. Im Rahmen dieses Vorlageverfahrens konnte das Landgericht als Berufungs- bzw. Beschwerdegericht eine wohnraummietrechtliche Rechtsfrage dem im Instanzenzug übergeordneten Oberlandesgericht zur Entscheidung vorlegen, wenn es entweder von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines Oberlandesgerichts abweichen wollte oder es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelte, die noch nicht zuvor mittels Rechtsentscheid entschieden wurde. Wollte das Oberlandesgericht seinerseits von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, musste es selbst dem Bundesgerichtshof vorlegen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts bzw. Bundesgerichtshofs über die Vorlagefrage war nicht nur für das vorlegende Gericht, sondern für sämtliche Landgerichte bindend (vgl. Gnatzy, Rechtsentscheid, S. 173 ff.; Stein/Jonas/ Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. 12 ff.; MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 44; Willingmann, Rechtsentscheid, S. 197 ff.). 29 Im Zusammenhang mit dieser verfahrensrechtlichen Ausgestaltung befürchten vereinzelte Stimmen in der Literatur, dass damit eine zwangsläufige „Mediatisierung der Parteien“ einhergehe (Hess, WM 2004, 2329; ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 [1384]). Mit Blick auf die Ausgestaltung des KapMuG als reines Antragsverfahren geht Kilian, KapMuG, S. 37 im Ergebnis davon aus, dass der Gesetzgeber dies durch die konkrete Ausgestaltung des KapMuG wirksam verhindert habe. 30 Es war den Parteien nur möglich, den Erlass eines Vorlagebeschlusses anzuregen; ein Antragsrecht stand ihnen hingegen nicht zu, sie waren jedoch vor Erlass des Vorlagebeschlusses zu hören (Art. 103 Abs. 1 GG), OLG Hamm NJW-RR 1994, 1496 (1497); Gnatzy, Rechtsentscheid, S. 37; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. 17; MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 25; Willingmann, Rechtsentscheid, S. 211 ff. Ebenso ausgestaltet ist die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG. Auch sie setzt keinen Parteiantrag voraus, räumt den Beteiligten aber gleichfalls nur ein unverbindliches Anregungsrecht ein, vgl. § 80 Abs. 3 BVerfGG; vgl. ferner Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, § 80 Rn. 15; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 258. 31 Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG: „Durch Musterfeststellungsantrag . . .“ (Hervorhebung durch die Verfasserin).
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Der Gesetzgeber hat sowohl die Initiative für eine Vorlage32 als auch ihren konkreten Inhalt in die Hände der Parteien der Ausgangsstreitigkeiten gelegt.33 Daneben unterscheidet sich das KapMuG inhaltlich von den nationalen Vorbildern. Hierzu ist neben dem bereits erwähnten Rechtsentscheid in Mietsachen vornehmlich die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG zu zählen. In das KapMuG-Verfahren können nicht nur Rechtsfragen Eingang finden34, sondern gleichermaßen die Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen anspruchsbegründender bzw. anspruchsausschließender Voraussetzungen, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Das Oberlandesgericht hat folglich auch Feststellungen zu tatsächlichen Aspekten zu treffen. Zu klären ist diesbezüglich, inwieweit sich daraus Unterschiede bzw. Verschiebungen gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsverständnis ergeben. Bevor der Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands ermittelt werden kann, müssen Gehalt und Zusammenspiel der hierfür bedeutsamen, soeben aufgezählten Begrifflichkeiten feststehen. Dem Auslegungserfordernis ist der erste Teil der nachfolgenden Untersuchung gewidmet.35 Im Anschluss daran werden auf Basis der hierzu gefundenen Ergebnisse die derzeit in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des KapMuG-Verfahrens dargestellt36 und bewertet, ein eigener Lösungsansatz entwickelt37 sowie verfahrensrechtliche Konsequenzen im Zusammenhang mit der Gegenstandsbestimmung erörtert38.
I. Ausgangssituation Das KapMuG spricht an verschiedenen Stellen von „Feststellungsziel“, „Streitpunkten“ und „zu Grunde liegendem Lebenssachverhalt“. Während das Gesetz die beiden erstgenannten Begriffe in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bzw. § 1
32 Ob das zuständige Prozessgericht tatsächlich an das Oberlandesgericht vorlegt, ist freilich vom Zusammentreffen mehrerer Faktoren abhängig, die der einzelne Kläger nicht vollständig in seiner Hand hat, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. 33 Hierin findet die streitgegenstandsbildende Funktion des Vorlagebeschlusses ihren Ursprung. Vgl. zu dieser näher S. 108 ff. 34 Vgl. diesbezüglich für das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG Leibholz/ Rinck/Hesselberger/Burghart, GG, Art. 100 Rn. 66 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rn. 5 ff.; Maunz/Dürig, GG, Art. 100 Rn. 18 ff.; Dolzer/Waldhoff/Graßhof/Stern, GG, Art. 100 Rn. 58 ff. Zum Anwendungsbereich des Rechtsentscheids in Mietsachen nach § 541 a. F. ZPO siehe Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. 2 ff.; MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 2 ff. 35 S. 61 ff. 36 S. 103 ff. 37 S. 106 ff. 38 S. 99 ff. sowie 121.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Abs. 2 Satz 2 KapMuG legal definiert, bleibt es dem Rechtsanwender eine nähere Erläuterung des „zu Grunde liegenden Lebenssachverhaltes“ schuldig. Der Bedeutungsgehalt sowie die Funktion der vorgenannten Bezeichnungen im Gesamtgefüge des KapMuG standen während des Gesetzgebungserfahrens im Fokus weitreichender Diskussionen zwischen den Gesetzgebungsorganen. Die Legaldefinitionen des „Feststellungsziels“ und der „Streitpunkte“ in der Endfassung des Gesetzes gehen auf eine Anregung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurück. Er wollte damit Klarheit über diesen zentralen Themenkomplex schaffen.39 In der ursprünglichen Entwurfsbegründung war die Bundesregierung noch davon ausgegangen, dass „auch einzelne Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses oder einer Anspruchsgrundlage“ 40 feststellungsfähig sind. Sie kam im selben Atemzug aber zu dem Schluss, dass der Musterfeststellungsantrag „sowohl auf Feststellung einer Anspruchsvoraussetzung als auf Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils gerichtet“ 41 sein muss. Der Bundesrat hat im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens – vor allem mit Blick auf die in § 4 Abs. 1 KapMuG angesprochene Gleichgerichtetheit und die in der Vorschrift normierten Voraussetzungen für die Musterverfahrenseinleitung – zu Recht die Frage aufgeworfen, ob das „Feststellungsziel“ nur das abstrakte gesetzliche Tatbestandsmerkmal (im Sinne einer Vorfrage eines Rechtsverhältnisses) meint oder es auch tatsächliche Aspekte zur konkreten Ausfüllung des abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmals (im Sinne von Elementen einer Anspruchsgrundlage) umfasst.42 Der Rechtsausschuss setzte sich die Beseitigung dieser Auslegungsunsicherheit ausdrücklich zum Ziel.43 Verwirklicht ist dies allerdings mit den Begriffsbestimmungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG nur unzureichend. Die gesetzgeberischen Bemühungen konnten deshalb nicht die erhoffte und für den Rechtsanwender nötige Abgrenzungsklarheit zwischen dem „Feststellungsziel“, den „Streitpunkten“ sowie dem „zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt“ schaffen. Das neuartige Verfahrenskonzept kommt erschwerend hinzu. Die aus der Zivilprozessordnung bekannten Strukturen ermöglichen insoweit nur bedingt Rückschlüsse. Vor allem im Zusammenhang mit der Legaldefinition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und dessen Verhältnis zu den Streitpunkten sind erhebliche Auslegungsunsicherheiten zu verzeichnen. Sie erlangen bei der Bestimmung des Streitgegenstands des KapMuG große praktischer Relevanz. Im Kern dreht sich der Streit um die Frage, ob die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 Kap39 40 41 42 43
BT-Drs. 15/5695, S. BT-Drs. 15/5091, S. BT-Drs. 15/5091, S. BT-Drs. 15/5091, S. BT-Drs. 15/5695, S.
22 f. 20 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 20. 41 ff. 22 f.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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MuG eng oder weit zu interpretieren ist: Während bei einer engen Begriffsauslegung als taugliches Feststellungsziel nur das gesetzliche Tatbestandsmerkmal anzuerkennen wäre, müsste ein breites Verständnis auch das Ersuchen reiner Tatsachenfragen als ein solches zuzulassen. Je kleiner allerdings die als Feststellungsziel vom Oberlandesgericht zu klärenden Einzelelemente gefasst sein können, desto begrenzter wird der Gegenstand des Musterverfahrens und damit der oberlandesgerichtlichen Entscheidung. Die Bindungs- und damit auch die Präklusionswirkung des Musterentscheids, § 16 KapMuG, würde sich zwangsläufig verengen.44 Die Kläger könnten nach erfolglosem Abschluss des ersten Musterverfahrens einen weiteren Musterprozess mit einer anderen Tatsachenfrage anstrengen.45 Der Zweck des KapMuG, alle mehrfach relevanten Anspruchselemente einer gemeinsamen und einheitlichen Klärung mit Breitenwirkung zuzuführen, wäre gefährdet. In Rechtsprechung und Literatur finden sich zu den Begriffen „Feststellungsziel“ und „Streitpunkten“ Interpretationsansätze, die von der Annahme eines Zubzw. Unterordnungsverhältnisses zwischen beiden46 bis zu deren Gleichsetzung47 reichen. Daneben ist eine starke Tendenz dahingehend zu verzeichnen, den „Streitpunkten“ entgegen § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG nicht zwangsläufig eine das Feststellungsziel substantiierende Funktion zuzuschreiben. Vielmehr wollen einige Vertreter im Schrifttum bereits rein tatsächliche Fragestellungen, mithin potentielle Streitpunkte, als taugliches „Feststellungsziel“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG anerkennen. Den für die Bejahung bzw. Verneinung eines Tatbestandsmerkmals erforderlichen Subsumtionsschluss fordern sie nicht.48 Ähnlich begreift der Bundesgerichtshof als denkbares Feststellungsziel nicht nur das gesetzliche Tatbestandsmerkmal als solches, sondern auch Tatsachen- und Rechtsfragen, die dessen Konkretisierung dienen.49 Den Begriff des „zugrunde liegenden Lebenssachverhalts“ verwendet § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Gemäß dieser Vorschrift bestimmt sich das für das Errei44
Vgl. hierzu ferner S. 232 ff. Hierfür plädiert – wohl mit Blick auf und zu Gunsten der klägervertretenden Anwaltschaft – KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 112 ff. und vor allem Rn. 115: „Diese aus Sicht des Anlegers ungünstigen Folgen [der Geltendmachung weiterer Prospektmängel im Fall einer auf § 44 BörsG gestützten Klage, Anmerkung der Verfasserin] lassen sich nur durch eine begrenzte Antragstellung bzw. Definition des Feststellungsziels vermeiden.“ 46 So die derzeit wohl überwiegende Ansicht in der Literatur, D. Assmann, EWiR 2007, 151 (152); Kilian, KapMuG, S. 52 Fn. 138 und S. 58; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253); vgl. ferner BT-Drs. 15/5091, S. 22; Gänsel/Gangel, NJ 2006, 13 (15). 47 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). 48 In diesem Sinne v. a. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97 ff.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7; ferner KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 5. 49 BGH ZIP 2008, 1326 (1328). 45
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
chen des Vorlagequorums nach § 4 Abs. 1 KapMuG erforderliche Vorliegen von mindestens zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge danach, ob „deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft“. Seine Inhaltsbestimmung sowie die aufzustellenden Kriterien für die Grenzziehung zu einem anderen Sachverhalt entscheiden folglich darüber, ob mehrere Feststellungsersuchen als gleichgerichtet anzusehen sind. Nur unter dieser Voraussetzung und bei gleichzeitigem Erreichen der von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG geforderten Mindestanzahl kann ein Musterprozess zu ihrer gemeinsamen und einheitlichen Klärung eingeleitet werden.
II. Begriffs- und Inhaltsbestimmungen Die nachfolgende Untersuchung orientiert sich im ersten Schritt an dem von dem historischen Gesetzgeber beschrittenen Weg. Der Inhalt der Begriffe „Feststellungsziel“ und „Streitpunkten“ wird zunächst anhand zweier Beispielsfälle sowie den Legaldefinitionen in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG sowie § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG bestimmt. Im zweiten Schritt ist sodann der Frage nachzugehen, ob bzw. inwieweit der in Literatur und Rechtsprechung teilweise vertretene Verzicht auf den Subsumtionsschluss für die Tauglichkeit des Feststellungsziels aus systematischen und normativen Gründen gerechtfertigt ist. 1. Beispiele 50
Beispiel 1 : Emittent E hat im Zuge einer Wertpapieremission einen Verkaufsprospekt (P1) veröffentlicht, in dem u. a. Angaben zum Kapital (vgl. § 19 BörsZulV a. F.51), zur Ge50 Ein ähnliches Beispiel findet sich in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 41 sowie – jeweils in anderem Zusammenhang – bei Kilian, KapMuG, S. 52 und B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253). Das Beispiel der Bundesregierung greifen zur Begriffsauslegung indes auch Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 29 auf. 51 Die Vorschriften der § 13 bis § 47 BörsZulV a. F., welche Regelungen zum Prospektinhalt (§§ 13–42 a. F. BörsZulV) und zur Prospektveröffentlichung (§§ 42 f. a. F. BörsZulV) enthielten, sind mit dem Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz, das zum 1. Juli 2005 in Kraft trat (BGBl. I 2005, 1698), aufgehoben worden. Die Vorschriften finden sich auch für Börsenzulassungsprospekte einheitlich im WpPG (vgl. Art. 1 des Prospektrichtlinien-Umsetzungsgesetzes) sowie in der unmittelbar anwendbaren Prospektverordnung (ProspektVO, Verordnung EG Nr. 809/2004 der Kommission v. 29. April 2004, ABl. L 159 v. 30. April 2004 mit Berichtigung im ABl. L 215 v. 16. Juni 2004) wieder. § 7 WpPG verweist auf die ProspektVO, welche insbesondere den Mindestinhalt von Prospekten sowie das Prospektformat regelt. Die §§ 13 ff. BörsZulV besitzen allerdings nach wie vor praktische Relevanz, da die Zulassung erheblicher Teile der Wertpapiere zum Börsenhandel derzeit noch auf der Grundlage des alten Rechts beruht (vgl. die Übergangsvorschrift gemäß Art. 4 Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz i.V. m. § 72a BörsZulVO); vgl. ferner Schäfer/Hamann/Gebhardt, Kapitalmarktgesetze, Vor § 13 a. F. BörsZulV Rn. 1 f.; Kullmann/Sester, WM 2005, 1068 (1068 ff., insbesondere 1068 sowie 1076).
B. Der Gegenstand des KapMuG
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schäftstätigkeit (vgl. § 20 BörsZulV a. F.), zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten (vgl. § 21 BörsZulV a. F.) sowie zu Beteiligungsunternehmen (vgl. § 24 BörsZulV a. F.) enthalten sind. Eine Vielzahl von Anlegern begehrt im Klagewege Schadensersatz in Form der Rückabwicklung des Aktienerwerbs von E gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, weil wesentliche Angaben im Börsenprospekt unrichtig seien. Während die Kläger 1–10 sich insoweit auf fehlerhafte Angaben zum Kapital stützen, behaupten die Kläger 11– 20, die Unrichtigkeit des Prospekts ergebe sich aus unrichtigen Angaben zur Geschäftstätigkeit. Die Kläger 21–30 machen schließlich die unzutreffend wiedergegebene Vermögens-, Finanz- und Ertragslage geltend. Auf die fehlerhaften Angaben zu Beteiligungsunternehmen des E beruft sich indes keiner der Kläger. Beispiel 2: Wie soeben machen die Kläger in ihren Haftungsprozessen nach § 44 Abs. 1 BörsG geltend, wesentliche Prospektangaben seien unzutreffend. Sie begründen dies wiederum mit der Unrichtigkeit der Angaben zu Kapital, Geschäftstätigkeit sowie Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Allerdings beziehen sich diese Ausführungen nicht auf den Prospekt P1 der Ausgangsvariante, sondern auf den Prospekt P2. Dieser ist im Zuge einer jüngeren Emission des Emittenten E1 erschienen, weist allerdings dieselben Unrichtigkeitsaspekte auf.
2. Die Auslegung der Begriffe „Feststellungsziel“ und „Streitpunkte“ anhand der Beispiele a) Das „Feststellungsziel“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bestimmt, dass das „Feststellungsziel“ auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen gerichtet sein kann. Demgegenüber sind unter dem Begriff der „Streitpunkte“ nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG alle im Musterfeststellungsantrag bzw. Vorlagebeschluss angegebenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu verstehen, die der Begründung des „Feststellungsziels“ dienen. Dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung lässt sich Folgendes entnehmen: Die Antwort auf die Frage, was taugliches Feststellungsziel sein kann, ist stets auf Grundlage der Norm zu suchen, aus der der Schadensersatz- bzw. Erfüllungsanspruch abgeleitet wird.52 Als Feststellungsziele kommen folglich nur Elemente des gesetzlichen Tatbestands in Betracht.53 Unmittelbar anspruchsbegründende bzw. anspruchsausschließende gesetzliche Voraussetzungen im Sinne des § 1 52 Vgl. BGH ZIP 2008, 1326 (1327); BT-Drs. 15/5091, S. 20; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 28. 53 BGH ZIP 2008, 1326 (1327 f.).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 KapMuG sind nur die Tatbestandsmerkmale der in Rede stehenden Anspruchsgrundlage, hingegen nicht die tatsächlichen Einzelelemente, aus denen sich das jeweilige Tatbestandsmerkmal zusammensetzt.54 Es ist mithin davon auszugehen, dass neben der Lösung von Auslegungsproblemen, § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 KapMuG, grundsätzlich55 nur die Bitte um Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens bestimmter Tatbestandsmerkmale, § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 KapMuG, zulässiger Inhalt eines Feststellungsziels sein kann.56 Ausgehend von diesem Begriffsverständnis und der dahingehenden Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf müssten die Anleger aus dem Beispiel 1 von S. 64 ihre Musterfeststellungsanträge auf die Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts richten.57 Nur insoweit, nicht aber bezüglich der einzelnen gerügten Prospektfehler58, handelt es sich, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG gefordert, um eine unmittelbar anspruchsbegründende gesetzliche Voraussetzung (vgl. § 44 Abs. 1 BörsG). b) Die „Streitpunkte“ i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG Das Feststellungsziel „Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts“ müssen die Kläger im Beispiel 1 von S. 64 durch die Angabe von tatsächlichen und rechtlichen Umständen, den Streitpunkten, in ihren Musterfeststellungsanträgen 54 Vgl. LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178); Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (165); Hess, ZIP 2005, 1713 (1715). 55 Zu den normativen Korrekturen vgl. sogleich S. 70 ff. 56 I. d. S. LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006, Az.: 23 Sch 1/06, S. 120 („Deutsche Telekom AG“; Stand: 1. Oktober 2009); LG Stuttgart ZIP 2006, 1731 (1732 f.; „DaimlerChrysler“; der Vorlagebeschluss v. 3. Juli 2007 [berichtigt durch Beschl. v. 20. Juli 2007] wurde zudem am 1. August 2008 durch das OLG Stuttgart im Klageregister [vgl. § 1 Fn. 54; Stand: 1. Oktober 2009], Az.: 9 Kap 1/06, veröffentlicht); LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 17. April 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 23. April 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2.06 KapMuG („Immobilien Beteiligungs- und Vertriebsgesellschaft der BIH Gruppe mbH [IBV] und Landesbank Berlin AG“); ferner offenbar Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 (459); Kilian, KapMuG, S. 52; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (103); wohl auch BT-Drs. 15/5091, S. 22; LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 30. August 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 21. Dezember 2007 vom KG Berlin (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Anders hingegen KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97 ff. 57 BT-Drs. 15/5091, S. 22. 58 So aber Hess, ZIP 2005, 1713 (1715), der davon ausgeht, § 1 Abs. 1 Satz 4 KapMuG liste beispielhaft „eine Reihe von Tatbestandsmerkmalen auf, die im Musterentscheid einheitlich geklärt werden können“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Zweifelhaft kann jedoch allenfalls sein, ob es sich bei den dort exemplarisch genannten Angaben um taugliche Feststellungsziele i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG oder lediglich um substantiierende Streitpunkte gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG handelt. Zu diesem Begriff sogleich S. 66 ff.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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begründen, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Ähnlich hat das vorlegende Prozessgericht im Vorlagebeschluss neben dem Feststellungsziel die geltend gemachten entscheidungserheblichen Streitpunkte aufzuführen, § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 KapMuG. Dieses Konzept erinnert an § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Danach ist in der Klageschrift u. a. der Grund des erhobenen prozessualen Anspruchs anzugeben. Den Klagegrund im Sinne dieser Vorschrift bildet nach allgemeiner Ansicht derjenige Tatsachenkomplex (Lebensvorgang), aus dem der Kläger die von ihm behauptete Rechtsfolge hergeleitet wissen will.59 Hierzu sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, Betrachtungsweise zu dem vom Kläger dem Gericht unterbreiteten Tatsachenkomplex gehören.60 In welchem Umfang der Kläger sein Vorbringen durch Darlegung der tatsächlichen Verhältnisse zur programmatischen Festlegung des Streitgegenstands nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO substantiieren muss, hängt vom Einzelfall ab.61 Erforderlich und ausreichend ist, dass der prozessuale Anspruch als solcher eindeutig identifizierbar ist62, also der der Klage zu Grunde liegende Lebensvorgang feststeht63.64 Ob der Kläger hingegen alle Tatsachen vorgetragen hat, die zur Substantiierung seines Klagebegehrens erforderlich sind, ist keine Frage der Ordnungsgemäßheit der Klage gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, sondern ihrer Schlüssigkeit, vgl. auch § 264 Nr. 1, § 296a, § 331 ZPO.65 Hiervon ausgehend ist die Funktion der Streitpunkte darin zu sehen, dem Oberlandesgericht diejenigen tatsächlichen Umstände und – in Abweichung von dem zivilprozessualen Substantiierungserfordernis66 – rechtlichen Aspekte zu unterbreiten, aus denen der Antragssteller das begehrte Feststellungsziel hergeleitet wissen will. Die Streitpunkte dienen folglich dazu, das Feststellungsziel zu substantiieren.67 Dabei verlangt § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG im Gegensatz zu dem Begründungserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO für die Ordnungsgemäßheit des Musterfeststellungsantrags nicht nur, dass dieser überhaupt substan-
59 MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 75; Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rn. 12; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 253 Rn. 10; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 253 Rn. 52. 60 Ständige Rechtsprechung, BGHZ 157, 47 (51).; 123, 137 (141); 117, 1 (6), jeweils m.w. N.; BGH NJW 2004, 294 (295 f.); NJW 1996, 3151 (3152); vgl. ferner BGHZ 98, 353 (358 f.); 94, 29 (33 f.); MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 75. 61 MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 82; vgl. auch Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 253 Rn. 54 f. 62 BGH MDR 2004, 824 m.w. N.; NJW 2000, 3492 (3493). 63 OLG Düsseldorf MDR 1996, 415 (416). 64 Vgl. Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rn. 12a; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 253 Rn. 10. 65 Vgl. MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 78; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 94 Rn. 20; Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rn. 12a; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 253 Rn. 10; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 253 Rn. 54. 66 Vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 253 Rn. 54. 67 So auch LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2176).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
tiierte Angaben enthält, vgl. auch § 1 Abs. 3 Nr. 4 KapMuG. Vielmehr muss er Ausführungen zu allen das Feststellungsziel begründenden Umständen enthalten. Dieses Erfordernis ist aber, wie die Existenz des § 13 KapMuG bestätigt, nicht im Sinne einer lückenlosen Begründung zu verstehen. Ob die vorgetragenen Streitpunkte im Einzelfall ausreichen und geeignet sind, das begehrte Feststellungsziel zu rechtfertigen, muss vielmehr – ebenso wie im herkömmlichen Zivilprozess – eine Frage der Schlüssigkeit des Ersuchens sein.68 Im Beispiel 1 von S. 64 dienen die konkret vorgetragenen Prospektfehler der Substantiierung des Feststellungsziels „Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts“. Begründen die Kläger dieses in ihren Musterfeststellungsanträgen mit den Rügen betreffend Kapital (Kläger 1–10), Geschäftstätigkeit (Kläger 11–20) sowie Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (Kläger 21–30), so handelt es sich entsprechend der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG und der Auffassung der Bundesregierung um verschiedene Streitpunkte.69 Indes ist die Ordnungsgemäßheit der Anträge nicht davon abhängig, ob sich die Anleger zusätzlich auf die unrichtige Wiedergabe betreffend die Beteiligungsunternehmen stützen. Zwar bezieht sich dieser Mangel auf denselben Prospekt und gehört damit zu demselben Tatsachenkomplex.70 Ob dieser Prospektfehler im Musterverfahren aber tatsächlich – ggf. nachträglich gemäß § 13 KapMuG71 – vorgebracht wurde, kann im Musterverfahren allenfalls die Schlüssigkeit und damit die Begründetheit des Ersuchens berühren. Dies ist dann der Fall, wenn es sich auf Grundlage des Vortrags des Antragstellers um die einzig durchgreifende Prospektrüge handelt.72 Denn die Berufung auf verschiedene unrichtige Angaben bedeutet nur eine veränderte Begründung desselben Ersuchens, nicht jedoch den Vortrag eines anderen Ersuchens.73
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Vgl. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 223 ff. BT-Drs. 15/5091, S. 22; vgl. ferner LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) v. OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 120 („Deutsche Telekom AG“). Ebenso Kilian, KapMuG, S. 52 f.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101); Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 29; Reuschle, KapMuG, S. 34; ders., WM 2004, 2334 (2337 Fn. 28); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253). 70 So explizit BT-Drs. 15/5091, S. 49; BT-Drs. 15/5695, S. 23. Reuschle, KapMuG, S. 34; ders., WM 2004, 2334 (2337 Fn. 28). Ferner wohl auch Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 29 a. E. Zustimmend für den Fall, dass der Musterfeststellungsantrag auf die Feststellung eines Tatbestandsmerkmals gerichtet ist, auch KK/ Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 102; vgl. zudem KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 13; Reuschle, WM 2004, 2334 (2337 Fn. 28). 71 Zur nachträglichen Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren vgl. ausführlich S. 204 ff. 72 Zudem wird der Vortrag unter dem Gesichtspunkt der Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft relevant, hierzu explizit BT-Drs. 15/5091, S. 49 sowie ferner S. 79; siehe zudem S. 235 ff. und 253 f. 73 BT-Drs. 15/5091, S. 49; vgl. auch BGH NJW-RR 1996, 891 (892). 69
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Ebenso dient etwa die genaue Angabe des haftungsbegründenden Prospekts im Beispiel (S. 64) der Begründung des Feststellungsziels „Prospektunrichtigkeit“, weil sich dieses aus einem konkreten Börsenzulassungsprospekt ableitet.74 Die Veröffentlichung des Prospekts begründet den Lebenssachverhalt.75 Seine Benennung individualisiert den Entstehungskomplex des in das oberlandesgerichtliche Musterverfahren ausgelagerten Teils des landesgerichtlichen Haftungsprozesses. Das Ausgangsbeispiel 1 auf S. 64 unterscheidet sich einzig durch den jeweils herausgebrachten Prospekt P1 bzw. P2 von der Abwandlung (Beispiel 2, S. 65). Die vorgetragenen Streitpunkte zur Prospektunrichtigkeit können sich theoretisch sowohl auf P1 als auch P2 beziehen. Dementsprechend kann das Oberlandesgericht nur dann über das Feststellungsziel entscheiden, wenn ihm der Bezugspunkt für die geltend gemachte Fehlerhaftigkeit bekannt ist, also der zu Grunde liegende Tatsachenkomplex identifizierbar ist. c) Das Verhältnis zwischen Feststellungsziel und Streitpunkten Ausgehend von der bisherigen Begriffsauslegung lässt sich festhalten, dass die Streitpunkte Einzelbausteine darstellen, die das Feststellungsziel substantiieren. Sie bilden dessen Begründungselemente und sind als solche diesem zu- bzw. untergeordnet.76 Im Haftungsfall 1 von S. 64 mit der beispielhaft gebildeten Musterfrage nach dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Prospektfehlerhaftigkeit“ dienten die vorgetragenen Prospektrügen dessen Begründung. Möchten die Anleger zudem das Verschulden des Beklagten77 vom Oberlandesgericht feststellen lassen, so werden dieselben Streitpunkte auch für den Subsumtionsschluss zu dieser Anspruchsvoraussetzung relevant. Sie stellen den Bezugspunkt für die behauptete Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis i. S. d. § 45 Abs. 1 BörsG dar; deshalb 74 Vgl. zur Koppelung des Anspruchsgrundes an das materielle Recht im Rahmen des Zivilprozesses Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1987, § 253 V Rn. 138: „Der Grund des Anspruchs [. . .] ist die Gesamtheit der Tatsachen, die nach materiellem Recht die Entstehung der vom Kläger behaupteten Rechtsfolge bzw. das Nichtbestehen des von ihm geleugneten ergeben.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 75 BT-Drs. 15/5091, S. 49; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 13. Zur Abgrenzung zwischen gleichem und unterschiedlichem Lebenssachverhalt vgl. ausführlich S. 84 ff. 76 Ebenso Kilian, KapMuG, S. 52, dort Fn. 138 und S. 58. Vgl. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 108 sowie KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 11 ff. Anders LG Stuttgart ZIP 2006, 1731 (1733, „DaimlerChrysler“), das einzelne Aspekte der Vorlagefrage unterschiedslos als „Streitpunkte“ ansieht. Zum Erfordernis einer Differenzierung zwischen den Begriffen Feststellungsziel und Streitpunkten siehe später umfassend S. 109 f. 77 Ausführlich zu den Tatbestandsmerkmalen der § 44, § 45 BörsG Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 Rn. 23 ff.; Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 BörsG Rn. 8 ff.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
substantiieren sie zugleich dieses Tatbestandsmerkmal. Die Streitpunkte stehen wiederum in einem Zu- bzw. Unterordnungsverhältnis zu einer umfassenderen Fragestellung. 3. Normative Korrektur des bisherigen Auslegungsergebnisses a) Problemstellung Die bisherige Inhaltsbestimmung des „Feststellungsziels“ und der „Streitpunkte“ hat sich streng am Wortlaut der Legaldefinitionen in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG orientiert. Daneben liegt ihr die Begriffsauslegung durch die Bundesregierung78 am Beispiel der Prospekthaftung nach § 44 BörsG zu Grunde. Der Begriff der „Anspruchsvoraussetzung“, wie in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verwendet, ist jedoch nicht identisch mit dem des „Tatbestandsmerkmals“. Es stellt sich daher die Frage, ob die Bandbreite tauglicher Feststellungsziele über die gesetzlich normierten Voraussetzungen hinaus auf rein tatsächliche Fragestellungen zu erstrecken ist. Dies würde voraussetzen, dass die mit dem auf die Feststellung einzelner Tatsachen gerichteten Musterfeststellungsantrag verbundene Verengung des Verfahrensgegenstands nach dem Sinn und Zweck des KapMuG in Kauf zu nehmen ist. Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit einer engen Interpretation des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bietet zunächst das Verständnis des Bundesgerichtshofs vom zulässigen Gegenstand eines Musterfeststellungsantrags. Er vertritt insoweit ohne nähere Begründung die Auffassung, dass „im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens [. . .] nur solche Tatsachen und Rechtsfragen einer Klärung zugeführt werden [. . .] [können], die die Anwendung der Anspruchsnorm selbst begründen oder ausschließen oder der Konkretisierung einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung der Norm dienen.“ 79 Detaillierter als der Bundesgerichtshof fassen sich Ferdinand Kruis und Gregor Vollkommer. Sie bestimmen den möglichen Inhalt des Feststellungsziels maßgeblich danach, worauf der Antragsteller im Einzelfall abzielt.80 Begehrt er eine tatsächliche Feststellung, beispielsweise eines konkreten Prospektmangels – etwa die Unrichtigkeit der Wertangabe der vorhandenen Aktiva –, so bilde diese das Feststellungsziel.81 Ferdinand Kruis argumentiert, ein taugliches „Feststellungsziel“ müsste nicht zwangsläufig in mehrere „Streitpunkte“ zerlegbar sein. § 1 78
Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 49. BGH ZIP 2008, 1326 (1328 [Hervorhebung durch die Verfasserin]). 80 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97; vgl. ferner KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7, 27. 81 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97. In diese Richtung auch KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 5 f.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7 f. 79
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Abs. 2 Satz 2 KapMuG würde lediglich den notwendigen Inhalt eines Musterfeststellungsantrags erläutern. Die Vorschrift regle jedoch keine Abgrenzung zu dem Begriff des „Feststellungsziels“. Abgesehen davon lasse sich auch eine Tatsachenfrage in mehrere kleinere Elemente zerlegen, die ihrerseits wiederum Streitpunkte darstellen. Schließlich wäre bei einem gegenteiligen Standpunkt die Klärung einer reinen Rechtsfrage ein Streitpunkt, entgegen § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 KapMuG nicht jedoch ein geeignetes Feststellungsziel eines Musterfeststellungsantrags. Könnte eine bloße Rechtsfrage zum „Feststellungsziel“ erhoben werden – argumentiert Ferdinand Kruis entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut weiter –, so dürfte für tatsächliche Umstände nichts anderes gelten.82 Die Schlussfolgerung, aus § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG ergebe sich ein abgestuftes Verhältnis, wonach tatsächliche Fragen stets dem Bereich der Streitpunkte zuzuordnen seien, resultiere aus dem verfehlten Ansatz, die Begriffsauslegung anhand von Beispielfällen zu konkreten materiellen Haftungsnormen vorzunehmen.83 In bestimmten Konstellationen, insbesondere bei verschiedenen materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen, würde dies die Durchführung eines einheitlichen Musterverfahrens verhindern. Als Beleg für die Richtigkeit seines großzügigen Begriffsverständnisses vergleicht Ferdinand Kruis Schadensersatzbegehren wegen Fehlerhaftigkeit des Börsenzulassungsprospekts, die einmal auf § 44 BörsG und ein anderes Mal auf § 826 BGB gestützt sind.84 Diese Gegenüberstellung eignet sich als Ausgangspunkt für die Überlegung, ob bzw. inwieweit eine normative Korrektur der bisherigen Inhaltsbestimmung angezeigt ist. Das Beispiel 1 von S. 64 wird hierbei entsprechend dem Vergleich von Ferdinand Kruis fortentwickelt. Es soll in dieser Form die Grundlage für die nachfolgende Untersuchung darstellen. Beispiel 385: Zwischen den Parteien ist wiederum streitig, ob in einem Börsenzulassungsprospekt die Angaben zum Kapital, zur Geschäftstätigkeit, zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie zu den Beteiligungsunternehmen zutreffend waren. Diese Prospektunrichtigkeit wird in einer Reihe von Parallelverfahren geltend gemacht. Ein Teil der Kläger begehrt Schadensersatz gemäß § 44 BörsG. Der andere Teil der Anleger hat von der Unrichtigkeit erst drei Jahre nach Veröffentlichung des Prospekts Kenntnis erhalten. Sie stützen ihren Schadensersatzanspruch aus Gründen der Verjährung, vgl. § 46 BörsG, deshalb auf § 826 BGB. Ferdinand Kruis merkt zutreffend an, dass die zweite Klägergruppe mit § 826 BGB nicht wie diejenigen Anleger, denen § 44 BörsG zur Verfügung steht, direkt auf ein 82 83 84 85
KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 106 f. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 105. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 105 sowie insbesondere Rn. 99 ff. Vgl. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 100 f.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG Tatbestandsmerkmal zurückgreifen kann, mit dem sich die Fehlerhaftigkeit des Prospekts unmittelbar feststellen lässt. Dass in dieser Konstellation eine einheitliche Verhandlung und Entscheidung der Streitfrage sinnvoll ist und der gesetzgeberischen Zielsetzung86 entspricht, liegt auf der Hand. Ferdinand Kruis87 schlägt deshalb vor, die zweite Klägergruppe (§ 826 BGB) könnte als taugliches Feststellungsziel die Bitte an das Oberlandesgericht um Feststellung der konkreten sachlichen Unrichtigkeit formulieren. Andernfalls hätten diese Anleger keine Möglichkeit, einen zulässigen Musterfeststellungsantrag zu stellen.
b) Stellungnahme aa) Erkennbares Bedürfnis für ein erweitertes Verständnis vom Inhalt des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG im Einzelfall Das Beispiel 3 (S. 71) verdeutlicht, dass die Bestimmung des zulässigen Inhalts eines Feststellungsziels nicht ausschließlich anhand der dem jeweiligen Individualverfahren zu Grunde liegenden materiellrechtlichen Haftungsnorm vorgenommen werden kann. Bei einer Prospekthaftungsklage wird regelmäßig – unabhängig davon, ob sie auf § 44 BörsG oder auf vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB gestützt ist – ein maßgeblicher Schwerpunkt der zu treffenden Feststellungen auf der Prospektunrichtigkeit sowie der Kenntnis des Beklagten hiervon liegen.88 Es wäre wertungsmäßig nicht nachvollziehbar, im Fall des § 44 BörsG einen auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit gerichteten Musterfeststellungsantrag zuzulassen, bei einer auf § 826 BGB gestützten Individualklage einen gleichlautenden Antrag jedoch mangels tauglichen Feststellungsziels zurückzuweisen. Eine ähnliche Situation besteht etwa bei einem Schadensersatzbegehren wegen Herausgabe unzutreffender Ad-hoc-Meldungen nach § 37c WpHG einerseits bzw. § 826 BGB andererseits oder wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 37b WpHG bzw. § 826 BGB.89 Der Umfang der im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen bleibt unverändert. Die gesetzgeberische Intention, den Sachverhalt dort 86
Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 13, 18, 24, 25, 33 und v. a. auch S. 47. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 101. 88 Vgl. insoweit D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 135; Fleischer, DB 2004, 2031 (2033); allgemein ferner Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.126. Im Hinblick auf das Unterlassen einer Ad-hoc-Mitteilung ist allerdings nicht unumstritten, ob eine Haftung gemäß § 826 BGB eingreifen kann. Dafür KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 72; Fleischer, DB 2004, 2031 (2033); Krause, ZGR 2002, 799 (823 f.); Möllers, JZ 2005, 75 (76); ders./Rotter/Leisch, Ad-hoc-Publizität, § 15 Rn. 25 ff. (nach Verschuldensgrad differenzierend). A. A. Sauer, Haftung für Falschinformationen des Sekundärmarktes, S. 54; ebenso offenbar Rützel, AG 2003, 69 (73). 89 Vgl. insoweit auch § 15 Abs. 6 Satz 2 WpHG. Die Vorschrift stellt klar, dass auf anderen Anspruchsgrundlagen basierende Schadensersatzansprüche unberührt bleiben. 87
B. Der Gegenstand des KapMuG
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möglichst umfassend und bindend zu klären, ist nicht gefährdet. Beide Anträge sind – und das muss maßgeblich sein – inhaltlich identisch. Die Tauglichkeit eines Feststellungsziels kann nicht von der formalen Zufälligkeit abhängig gemacht werden, ob das mit ihm verfolgte Begehren wegen der vorgegebenen Normstruktur der geltend gemachten Anspruchsgrundlage im Einzelfall den Charakter eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals oder nur einer diesem untergeordneten tatsächlichen Fragestellung aufweist.90 Ebenso wenig ist der Umstand maßgeblich, dass die zweite Klägergruppe – darin ist Ferdinand Kruis zu widersprechen – als Feststellungsziel das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals des § 826 BGB formulieren könnte. Es wäre diesen Anlegern immerhin möglich, ihr Ersuchen auf die umfassendere Frage nach der Sittenwidrigkeit zu richten.91 Im Bereich der kapitalmarktrechtlichen Informationsdeliktshaftung nach § 826 BGB sind starke Typisierungen zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit zu verzeichnen.92 Eine abschließende Entscheidung des Oberlandesgerichts wäre daher trotz der sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ergebenden Beschränkungen des Prüfungsumfangs sowie des tradierten Verständnisses von sittenwidrigem Verhalten93 prinzipiell möglich. Zielt der An90 Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht gerechtfertigt, die zweite Klägergruppe darauf zu verweisen, dass ihre auf § 826 BGB basierenden Ausgangsverfahren jedenfalls nach erfolgter Vorlage der Musterfrage „Prospektunrichtigkeit“ an das Oberlandesgericht wegen bestehender Abhängigkeit i. S. d. § 7 KapMuG ohnehin auszusetzen sind. Immerhin kann mit Blick auf das erforderliche Vorlagequorum, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG, die Zulassung ihrer Anträge für das Zustandekommen eines Musterverfahrens mitentscheidend sein. Vgl. im Übrigen auch Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (173), der darauf hinweist, dass ein klarer Unterschied zwischen dem Subsumtionsschluss einerseits und seinen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen andererseits nicht auszumachen sei. 91 Zutreffend KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 73 bezüglich der Feststellung der Sittenwidrigkeit eines Verstoßes gegen § 15 WpHG. 92 Vgl. Soergel/Hönn/Dönneweg, BGB, § 826 Rn. 190 ff., insbesondere Rn. 191; Staudinger/Oechsler, BGB, § 826 Rn. 165 ff., 207 ff., 223a; Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 19; MüKo/Wagner, BGB, § 826 Rn. 60 ff. Insbesondere im Bereich der Ad-hoc-Publizität lassen große Teile des Schrifttums für die Annahme von Sittenwidrigkeit i. S. d. § 826 BGB bereits die bewusste Herausgabe einer fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung genügen, so Ehricke, Deutschland, in: Hopt/Voigt: Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 280; Fleischer, DB 2004, 2031 (2033); Gerber, DStR 2004, 1793 (1798); Krause, ZGR 2002, 799 (823); Möllers, JZ 2005, 75 (76); ders./Rotter/Leisch, Ad-hocPublizität, § 15 Rn. 17 ff.; Sauer, Haftung für Falschinformationen des Sekundärmarktes, S. 52 ff.; Assmann/Schneider/Sethe, WpHG, §§ 37b, 37c Rn. 118; hingegen kritisch KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 71; Holzborn/Foelsch, NJW 2003, 932 (939); Kowalewski/Hellgardt, DB 2005, 1839 (1842); Spindler, WM 2004, 2089 (2091). 93 Dieses setzt einen Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden voraus. Ständige Rechtsprechung seit RGZ 48, 114 (124); siehe auch BGHZ 10, 228 (232) sowie insbesondere 160, 134 (143 ff.); 160, 149 (157), jeweils „Infomatec AG“ und jeweils zur Haftung aus § 826 BGB wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen. Der Bundesgerichtshof hat die dafür erforderliche Verwerflichkeit in Sachen „Infomatec AG“ als durch das Beklagtenverhalten, nämlich die direkte vorsätzliche unlautere Beeinflussung des Sekundärmarktpublikums durch grob unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen“,
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
tragsteller darauf ab, so sind keine Gründe ersichtlich, ihn darauf zu verweisen, seinen Musterfeststellungsantrag enger zu fassen. Entscheidend ist damit nicht die Frage, ob die zweite Klägergruppe überhaupt einen zulässigen Musterfeststellungsantrag stellen kann. Vielmehr ist danach zu fragen, inwieweit es angemessen ist, sie generell zu einem derart weitgehenden Inhalt ihres Feststellungsziels zu verpflichten. Anknüpfend an obiges Beispiel 3 (S. 71) ist dies mit Blick auf § 44 BörsG kaum zu rechtfertigen. Zum einen ist auf Grundlage des § 44 BörsG bereits die Frage nach der Prospektunrichtigkeit zuzulassen. Zum anderen ermöglicht diese Formulierung eine abschließende Entscheidung im Musterverfahren, was bei dem Feststellungsziel der Sittenwidrigkeit i. S. d. § 826 BGB nicht stets gewährleistet wäre. Sittenwidrigkeit setzt ein Verhalten voraus, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.94 Ein solches Urteil ist im Wege einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung des angestrebten Zwecks, der eingesetzten Mittel und der zu Tage getretenen Gesinnung des Täters sowie seiner angestrebten Ziele zu treffen. Subjektiv muss der Täter nicht im Bewusstsein der Sittenwidrigkeit handeln. Andernfalls würde der Gewissenlose belohnt.95 Auch die Entwicklung typischer Erscheinungsformen eines sittenwidrigen Tatbestands befreit das Gericht nicht von der grundsätzlich erforderlichen Betrachtung der gesamten Umstände des Einzelfalles.96 Abgesehen davon weist der zu ent-
als indiziert erachtet (BGHZ 160, 149 [157]). Allerdings kam die Besonderheit hinzu, dass die Beklagten eigennützige Zwecke verfolgten; sie besaßen als Gründungsgesellschafter selbst Aktien im Millionenumfang und profitierten daher von einem „Push“ der Kurse mittelbar. Ablehnend gegenüber dem Erfordernis der Eigennützigkeit mit dem Argument, diese könne nicht dafür maßgeblich sein, ob sich ein Täter rücksichtslos über die Anlegerinteressen hinwegsetze Fleischer, DB 2004, 2031 (2033); Krause, ZGR 2002, 799 (823); Möllers, JZ 2005, 75 (76); ders./Leisch, WM 2001, 1648 (1651 ff.); ders./Rotter/Leisch, Ad-hoc-Publizität, § 15 Rn. 17 ff.; Schwark, Festschrift Hadding, S. 1131 f. und 1138; in diese Richtung zudem Reichert/Weller, ZRP 2002, 49 (53), allerdings ablehnend gegenüber einem generellen Schluss von objektiv sittenwidrigem Verhalten auf den subjektiven Tatbestand wegen der Wertung des deutschen Deliktsrechts. Dem Verzicht auf das Erfordernis der Eigennützigkeit ist mit Blick auf § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG zuzustimmen. Die Vorschrift sieht Befreiungstatbestände von der Ad-hoc-Publizitätspflicht vor, so beispielsweise bei beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen. Entscheidet sich der Vorstand trotzdem dafür, das Anlegerpublikum zu belügen, so ist dieses Verhalten ebenso als verwerflich anzusehen wie ein solches, dem eigennützige Motive zu Grunde liegen. I. d. S. auch Assmann/Schneider/Sethe, WpHG, §§ 37, 37c Rn. 115). A. A. Rützel, AG 2003, 69 (73); Spindler, WM 2004, 2089 (2092). 94 Vgl. etwa BGHZ 160, 149 (157); 69, 295 (297); 10, 228 (232); RGZ 48, 114 (124 f.). Soergel/Hönn, BGB, § 826 Rn. 10; Staudinger/Oechsler, BGB, § 826 Rn. 4 ff. sowie 24 ff.; MüKo/Wagner, BGB, § 826 Rn. 8 f. 95 BGHZ 10, 228 (233); 8, 83 (87 f.); RGZ 143, 48 (51); 136, 293 (298); 72, 175 (176); Soergel/Hönn, BGB, § 826 Rn. 51; Staudinger/Oechsler, BGB, § 826 Rn. 15 ff. sowie insbesondere 61 ff. m.w. N.; Assmann/Schneider/Sethe, WpHG, §§ 37b, 37c Rn. 118; MüKo/Wagner, BGB, § 826 Rn. 23 ff., v. a. 26 ff. Vgl. ferner Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.126; Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 211.
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scheidende Fall möglicherweise nicht das typische Gepräge einer für den kapitalmarktrechtlichen Bereich anerkannten Fallgruppe sittenwidrigen Verhaltens auf.97 Der Tatrichter müsste dann prüfen, ob nicht die ihm vorliegende Konstellation dennoch eine Anwendung des § 826 BGB rechtfertigt.98 Hier könnten individuelle Umstände, die nicht in den Anwendungsbereich des Musterverfahrens fallen und deshalb nicht breit für sämtliche Anleger feststellbar sind99, relevant werden. Die Erfolgsaussichten eines auf die Frage nach der Sittenwidrigkeit gerichteten Musterfeststellungsantrags wären mit strukturellen Unwägbarkeiten behaftet. Es ist nicht gerechtfertigt, den Antragsteller mit diesem zusätzlichen Risiko zu belasten, zumal der Verfahrenszweck des KapMuG, wie festgestellt, nicht beeinträchtigt wird. Die Prospektunrichtigkeit ist damit zulässiges Feststellungsziel, auch wenn die zu Grunde liegende Individualklage ganz oder teilweise auf § 826 BGB gestützt ist, wo die Fehlerhaftigkeit nur ein Element zur Auffüllung des Tatbestandsmerkmals „Sittenwidrigkeit“ darstellt. bb) Begrenzung der Inhaltserweiterung des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auf Ausnahmefälle Trotz der soeben gewonnenen Erkenntnis sollte dem Feststellungsziel nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG im Interesse eines möglichst breiten Verfahrensgegenstands für das KapMuG nicht generell ein großzügiges Inhaltsverständnis beigemessen werden. Vielmehr ist im Grundsatz an der engen Auslegung der ersten Variante der Vorschrift festzuhalten und diese nur in Ausnahmefällen zu erweitern. Als taugliches Feststellungsziel sind demzufolge grundsätzlich nur die einheitliche Klärung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale sowie Rechtsfragen anzuerkennen.100 Hierauf wird sich der Fokus der Parteien regelmäßig auch dann richten, wenn diese zugleich an der verbindlichen Feststellung einzelner Streitpunkte interessiert sind.101 Rein tatsächliche Fragestellungen, bei denen das Oberlandesgericht nicht zugleich die Schlussfolgerung auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung vornehmen muss, sind nur ausnahmsweise zuzulassen. Zu fordern ist insoweit ein berechtigtes Interesse des Antragstellers. Dieses ist gegen Aspekte der Anwendungsgerechtigkeit, Verfahrensökonomie sowie der Zielsetzung des KapMuG, eine möglichst umfassende Entscheidung über für mehrere Ausgangsverfahren relevante Fragestellungen zu erreichen, abzuwägen. 96 Vgl. Soergel/Hönn/Dönneweg, BGB, § 826 Rn. 38; Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 19. 97 Siehe hierzu bereits Fn. 93. 98 Vgl. BGH NJW 1970, 657 (658 f.); Möllers/Leisch, WM 2001, 1648 (1651). 99 Vgl. auch § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG sowie S. 115. 100 Ebenso Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 6. 101 Vgl. auch Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (161); Hess, ZIP 2005, 1713 (1715).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Eine extensivere Interpretation des Begriffs Feststellungsziel ist bei normativer Betrachtung gerechtfertigt, falls (zumindest) zweifelhaft erscheint, ob ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als Ganzes feststellbar ist. Gleiches gilt bei Unangemessenheit.102 Diese liegt unter dem Gesichtspunkt der Anwendungsgerechtigkeit jedenfalls dann vor, wenn die formulierte Tatsachenfrage dem Tatbestandsmerkmal einer parallel anwendbaren Anspruchsgrundlage entspricht. In allen anderen Fällen, in denen der Antragsteller vom Oberlandesgericht eine tatsächliche Fragestellung geklärt haben möchte, obwohl ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als Feststellungsziel formuliert werden kann, fehlt es an dem erforderlichen berechtigten Interesse. Soweit tatsächliche Fragestellungen ausnahmsweise als Feststellungsziel zuzulassen sind, ist zudem die umfassendste Formulierung zu fordern. Kann ein größerer Nenner gebildet werden, so handelt es sich entsprechend dem weiten Ansatz des KapMuG nicht um ein taugliches Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Beispiel 4: Sowohl die Kläger aus obiger Abwandlung 2 (Beispiel 3, S. 71), die ihren Schadensersatzanspruch auf § 44 BörsG stützen, als auch diejenigen, die nach § 826 BGB vorgehen, begehren jeweils nicht die Feststellung der Prospektunrichtigkeit als Ganzes. Vielmehr ersuchen sie das Oberlandesgericht festzustellen, dass die konkreten Prospektangaben zum Kapital sowie zur Geschäftstätigkeit unrichtig sind. Hingegen soll die Schlussfolgerung aus dieser tatsächlichen Feststellung, also die Fehlerhaftigkeit einer wesentlichen Angabe („Prospektunrichtigkeit“), vgl. § 44 BörsG, erst durch das Prozessgericht erfolgen.
102 Unangemessen wäre beispielsweise die Verpflichtung des Klägers, bei einer auf § 826 BGB gestützten Prospekthaftungsklage das Oberlandesgericht insgesamt um Feststellung der Sittenwidrigkeit als gesetzliches Tatbestandsmerkmal zu ersuchen. Vielmehr ist ihm zu gestatten, als Feststellungsziel die Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Prospekts zu formulieren, vgl. bereits oben S. 72 ff. Dies hat i. Ü. auch die Rechtsprechung als taugliches Feststellungsziel anerkannt, vgl. etwa LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 30. August 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 21. Dezember 2007 vom KG Berlin (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Gleiches gilt in Fällen unrichtiger Ad-hoc-Mitteilungen. Zwar dürften sich für die Kläger angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit (vgl. Fn. 93) mit einem auf deren Feststellung gerichteten Musterfeststellungsantrag im Regelfall keine Schmälerungen der Erfolgsaussichten aus den Beschränkungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG (vgl. zu den diesbezüglichen Kognitionsverengungen bereits S. 114) ergeben. Für deren Vorliegen kommt es nämlich maßgeblich auf die im Musterverfahren feststellbaren mehrfach relevanten Entscheidungselemente der Herausgabe einer unzutreffenden Ad-hoc-Meldung sowie des Wissens des Beklagten hiervon an (vgl. auch Möllers/Leisch, WM 2001, 1648 [1650 ff.]). Jedoch rechtfertigt sich das besondere Interesse an der Formulierung eines kleineren Feststellungsziels unter dem Gesichtspunkt der Anwendungsgerechtigkeit durch den Vergleich mit § 37c WpHG.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Es handelt sich insoweit nicht um ein taugliches Feststellungsziel; sowohl im Hinblick auf § 44 BörsG als auch auf § 826 BGB ist die übergeordnete Feststellung „Prospektunrichtigkeit“ möglich. Ein berechtigtes Interesse der Kläger an der Feststellung kleinerer Elemente ist nicht ersichtlich.103
Für eine derartige Differenzierung sprechen Wortlaut, Entstehungsgeschichte und systematischer Zusammenhang der Legaldefinitionen des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Die Vorschriften haben erst auf Initiative des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags Eingang in die heutige Fassung des KapMuG gefunden. Zuvor hatte der Bundesrat die aus dem unbekannten Begriff Feststellungsziel resultierenden Anwendungsunsicherheiten deutlich kritisiert.104 Insbesondere warf er die Frage auf, ob darunter ausschließlich das abstrakte gesetzliche Tatbestandsmerkmal zu verstehen sei und die Streitpunkte die zu Grunde liegenden vorgetragenen Tatsachen bilden würden. Der Bundesrat stellte ausführlich die sich aus dieser Auslegungsvariante ergebenden Konsequenzen für die Interpretation des Begriffs der Gleichgerichtetheit i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG sowie für den Umfang der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung i. S. d. § 7 Abs. 1, § 16 Abs. 1 KapMuG und für das Eingreifens der Aussetzungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 KapMuG dar. Dieses Verständnis hat der Rechtsausschuss mit der Schaffung der gesetzlichen Begriffsbestimmungen bestätigt. Zudem betonte er nochmals die gesetzgeberische Intention, mit dem Musterverfahren den Sachverhalt so breit als möglich zu klären.105 Eine Interpretation des Feststellungsziels zugunsten möglichst eng gefasster tatsächlicher Fragestellungen würde dem zuwiderlaufen. Die Auslegung der Bestimmungen des KapMuG muss sich an dem typischen Fall einer kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzklage orientieren; sie darf nicht anhand von Ausnahmekonstellationen erfolgen. Das Kapitalmarktrecht stellt geschädigten Anlegern eine Reihe von Haftungsvorschriften zur Verfügung, die im Interesse einer erleichterten Anspruchsdurchsetzung in besonderer Weise standardisiert und typisiert sind, so insbesondere § 44 BörsG, § 37b und § 37c WpHG. Vor allem auf Grund der in diesen Vorschriften enthaltenen Beweiserleichterungen, vgl. § 45 Abs. 1 BörsG, § 37b Abs. 2, § 37c Abs. 2 WpHG, besteht für die geschädigten Anleger regelmäßig kein Anlass, ihre Ansprüche über den hierzu in Anspruchskonkurrenz stehenden generalklauselartigen Tatbestand des § 826 BGB zu verfolgen. Ein Vorgehen über diese Vorschrift erfolgt wegen der vergleichsweise höheren tatbestandlichen Anforderungen nur in Ausnahmefällen, etwa aus Gründen der Verjährung oder bei einer in Rede stehenden Außenhaf103 A. A. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114 f., mit dem Argument der Begrenzung der Präklusionswirkung des Musterentscheids. Eine solche ist jedoch nicht gerechtfertigt, vgl. hierzu sogleich auf S. 79 sowie später S. 235 ff. und 253 f. 104 BT-Drs. 15/5091, S. 40 ff. 105 BT-Drs. 15/5695, S. 22 f. So ausdrücklich auch LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
tung der Organe.106 Sie hat die Funktion eines Auffangtatbestands und kann als solche die Auslegung nicht bestimmen. Deshalb hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des KapMuG nicht den deliktischen Schutz der Kapitalanleger über § 826 BGB, sondern die detaillierten Haftungsvorschriften des Kapitalmarktrechts, die sich auf Grund ihrer Standardisierung und Typisierung besonders für eine prozessuale Anspruchsbündelung in Form des Musterverfahrens eignen107, im Blick gehabt.108 Die Interpretation der Vorschriften des KapMuG muss damit anhand der kapitalmarktrechtlichen Haftungsbestimmungen erfolgen.109 Die generelle Anerkennung von Einzeltatsachen als taugliches Feststellungsziel lässt sich auch nicht auf den von Ferdinand Kruis gezogene Vergleich mit der Klärung einer reinen Rechtsfrage nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 KapMuG stützen.110 Die Möglichkeit, eine Rechtsfrage als taugliches Feststellungsziel zu formulieren, musste ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden. Andernfalls könnte eine solche gerade nicht verbindlich für eine Vielzahl von Rechtsstreiten beantwortet werden (argumentum e contrario).111 Zudem regelt § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG nicht lediglich den notwendigen Inhalt eines Musterfeststellungsantrags. Die Streitpunkte dienen ausweislich des Wortlauts dieser Vorschrift der Begründung des Feststellungsziels. Die Norm trifft folglich eine Aussage über deren Verhältnis zum Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.112 Es überzeugt nicht, den Begriff des Feststellungsziels vornehmlich anhand der Legaldefinition der Streitpunkte in § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG vorzunehmen.113 Die Inhaltsbestimmung muss vielmehr ihren Ausgangspunkt in der hierfür maßgeblichen gesetzlichen Definition in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG finden. Sie ist anhand des systematischen Gesamtzusammenhangs, insbesondere des Verhältnisses zu § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, sowie des 106 So ebenfalls KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 68, der darauf hinweist, dass außerhalb der Außenhaftung ein Verstoß gegen § 826 BGB, der nicht zugleich eine Haftung nach § 37b, § 37c WpHG begründet, kaum vorstellbar ist. Bei § 826 BGB ist der Vorsatz des Schädigers vom Kläger zu beweisen. Dieser Beweis ist, da er eine innere Tatsache in der Sphäre des Haftenden betrifft, schwer zu erbringen, Hess/Michailidou, WM 2003, 2318 (2319); Rössner/Bolkart, WM 2003, 958. 107 BT-Drs. 15/5091, S. 16. 108 BT-Drs. 15/5091, S. 20, vgl. ferner S. 16. 109 Unzutreffend insoweit KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 105. Die dort geäußerte Kritik an der Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG anhand von Fallkonstellationen und materiellen Haftungsnormen überzeugt nicht; denn Kruis selbst leitet seinen eigenen weiten Ansatz aus einem Fallbeispiel zu § 826 BGB ab (KK/ders., KapMuG, § 1 Rn. 100 ff.). 110 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 107. 111 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 20. 112 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 22. So auch Kilian, KapMuG, S. 52; Maier-Reimer/ Wilsing, ZGR 2006, 79 (91 f.); vgl. ferner B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253); a. A. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 104 ff., insbesondere 106. 113 So aber KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 106.
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Gesetzeszwecks vorzunehmen. Gleiches gilt umgekehrt für die Streitpunkte. Die Legaldefinition des Feststellungsziels spricht in ihrer ersten Variante grundsätzlich von Anspruchsvoraussetzungen im Sinne von abstrakten Tatbestandsmerkmalen114. Folglich rechnen tatsächliche Elemente wegen des gesetzlich normierten Zuordnungsverhältnisses in § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG im Grundsatz zu den Streitpunkten.115 Eine erweiternde Auslegung des Begriffs Feststellungsziel über die beschriebenen Ausnahmefälle hinaus würde sich zu der erklärten gesetzgeberischen Zielsetzung in Widerspruch setzen, den Tatsachenstoff in einem einzigen Musterverfahren zu klären. Auch birgt sie erhebliches Verzögerungspotential. Hätten es die Kläger in der Hand, das Feststellungsziel durch Konkretisierung der zu klärenden Tatsachenfrage möglichst eng zu fassen, so würden sich die Bindungs- und damit auch die Präklusionswirkung des Musterentscheids, § 16 KapMuG, entsprechend verengen. Der Kläger könnte nach erfolglosem Abschluss des ersten Musterverfahrens einen weiteren Musterprozess mit einer anderen Tatsachenfrage anstrengen.116 Durch eine entsprechende Interpretation des objektiven Bindungsumfangs des Musterentscheids kann dem berechtigten Interesse der Musterverfahrensbeteiligten an der Verbindlichkeit der oberlandesgerichtlichen Feststellungen auch zu den einzelnen vorgetragenen Streitpunkten Rechnung getragen werden, ohne einen Widerspruch zu den gesetzgeberischen Vorstellungen und Zielsetzungen zu erzeugen. Diese Differenzierung zwischen dem Erfordernis einer formgebundenen Antragstellung im Interesse der Rechtssicherheit und der Berücksichtigung des Willens der Beteiligten bei der Festlegung der Bindungsgrenzen des § 16 KapMuG spiegelt sich letztlich auch in den § 1 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 KapMuG wider.117 114 I. d. S. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 41 („mit dem Begriff Feststellungsziel ausschließlich das – abstrakte – gesetzliche Tatbestandsmerkmal“), 42 („gesetzlichen Tatbestandsmerkmals“), 43, 49 sowie die bestätigende Erwiderung des Rechtsausschusses BT-Drs. 15/5695, S. 23. 115 Vgl. bereits S. 66 ff. sowie Fn. 76 m.w. N. Im Übrigen müssen KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 108 und KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 64 selbst einräumen, dass eine tatsächliche Fragestellung zu dem Streitpunkt eines größeren Feststellungsziels wird. Im Ergebnis erkennen auch sie damit das zwischen beiden Begriffen bestehende Zuordnungsverhältnis an. 116 So aber KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114 f. Vgl. zum Bindungsumfang und zu den Rechtswirkungen des Musterentscheids später ausführlich S. 220 ff. Ebenfalls für eine Begrenzung des (gemäß § 16 KapMuG in Bindung erwachsenden) Streitgegenstands des KapMuG-Verfahrens auf die einzelnen Streitpunkte Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 sowie insbesondere 105). Dies würde jedoch entgegen der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 40 ff., 49 sowie v. a. BT-Drs. 15/5695, S. 22 f., 24) auf ein punktuelles Streitgegenstandsverständnis hinauslaufen, vgl. Reuschle, KapMuG, S. 34, Fn. 55. 117 Zu trennen ist damit letztlich zwischen dem Erfordernis einer formgebundenen Antragstellung einerseits und der objektiven Reichweite der Wirkungen des Musterent-
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG Beispiel 5: Bei einer extensiven Interpretation des Feststellungsziels hätten die Anleger aus dem Fall 4 von S. 76 die Möglichkeit, nicht nur abstrakt nach der Prospektunrichtigkeit zu fragen, sondern könnten die begehrte Klärung auf einen konkreten Fehler beschränken. Dementsprechend rügen sie in ihren Musterfeststellungsanträgen zunächst nur die Fehlerhaftigkeit der Angaben zum Kapital. Dieses Ersuchen verneint das Oberlandesgericht in seiner Musterentscheidung rechtskräftig, vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. Der oberlandesgerichtliche Ausspruch wäre auf diese bindende Feststellung beschränkt. Den Anlegern bliebe es unbenommen, in einem weiteren Musterverfahren den Prospektmangel einer unzutreffenden Wiedergabe der Geschäftstätigkeit geltend zu machen. Hat das Oberlandesgericht hingegen umfassend darüber zu entscheiden, ob wesentliche Angaben im Prospekt fehlerhaft sind, vgl. § 44 Abs. 1 S. 1 BörsG, und verneint es dies im Musterentscheid, so steht nicht nur das Nichtvorliegen dieses konkret vorgetragenen Mangels der Kapitaldarstellung fest. Aufgrund des identischen Streitgegenstands könnten die Kläger wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Musterentscheids kein weiteres KapMuG-Verfahren anstrengen, um nun den Prospektfehler bezüglich der Beschreibung der Geschäftstätigkeit geltend zu machen. Das gesetzgeberische Ziel, mehrfach relevante Entscheidungselemente in einem einzigen Musterprozess zu klären, wäre verwirklicht. Zugleich bestünde Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Abgesehen davon ist die von Ferdinand Kruis intendierte Möglichkeit zur Streitgegenstandsbeschränkung nur bedingt realisierbar bzw. sinnvoll. Sobald ein gleichgerichteter Antrag auf die Feststellung des fraglichen Tatbestandsmerkmals gerichtet ist, entfaltet diese Antragsbeschränkung auf zugehörige Einzeltatsachen im Rahmen des Vorlagebeschlusses keine Wirkung mehr.118 Das Oberlandesgericht muss über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals entscheiden. Ist dem Beklagten daran gelegen, Folgeverfahren zu vermeiden, so wird zumindest er versuchen, dem Musterverfahren durch einen weit gefassten gegenteiligen Antrag einen möglichst umfassenden Streitgegenstand zu verleihen. Zudem eröffnet eine extensive Auslegung des Begriffs Feststellungsziel die Möglichkeit, den Verfahrensabschluss durch taktische Erweiterungsanträge, vgl. § 13 KapMuG, zu verzögern, etwa um die Vergleichsbereitschaft der Gegenseite
scheids andererseits. Hierzu später ausführlich S. 244 ff. Vgl. auch Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 132 f. Er plädiert im Rahmen des § 322 Abs. 1 ZPO in Modifikation der Theorie von Savigny (ders., System des heutigen Römischen Rechts, S. 314 ff.) für eine Rechtskrafterstreckung auf die Urteilselemente, begrenzt durch die Rechtssicherheit, die einen bestimmten formgebundenen Antrag erfordert. 118 Anders nur dann, wenn man für das Vorliegen der Gleichgerichtetheit gemäß § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG die Identität der Streitpunkte fordert. Dagegen jedoch BT-Drs. 15/5091, S. 20, 40 f. sowie insbesondere auch S. 21 f. und 49.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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zu erhöhen. Das sich daraus ergebende, nicht unerhebliche Missbrauchspotential kann auch das Sachdienlichkeitserfordernis des § 13 Abs. 1 KapMuG nicht vollständig ausgleichen. Zuletzt läuft der Gedanke von Ferdinand Kruis, den Klägern durch eine großzügige Begriffsbestimmung umfassende Dispositionsbefugnis über den potentiellen Musterverfahrensgegenstand zu verleihen, dem geltenden Prozessrecht zuwider.119 Die zivilprozessuale Dispositionsbefugnis besteht nur innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Spielräume. Die ZPO stellt den Rechtsschutz in verschiedener Art zur Verfügung, die zugleich den Streitgegenstand bestimmt.120 So können etwa sämtliche Feststellungsklagen nur auf die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder die Echtheit bzw. Unechtheit einer Urkunde gerichtet sein, vgl. § 256 ZPO.121 Das Gesetz gibt damit den zulässigen Inhalt einer Feststellungsklage und eines Feststellungsurteils vor.122 In gleicher Weise beschreiben die Vorschriften des KapMuG den zulässigen Inhalt eines Feststellungsersuchens bzw. eines Musterentscheids; er darf nicht einem als wünschenswert erachteten Umfang der Dispositionsbefugnis folgen. Deshalb sind auch durch das KapMuG vermittelten Grenzen des Rechtsschutzes und damit des möglichen Streitgegenstands eines Musterverfahrens durch Gesetzesauslegung zu ermitteln. Nur in diesem Rahmen obliegt den Klägern sodann Dispositionsbefugnis über den Musterstreitgegenstand.
4. Die Bestimmung des „zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG Das KapMuG hat den Begriff des „Lebenssachverhalts“ nicht definiert. Er findet sich in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Die Vorschrift ordnet an, dass sich die für das Erreichen des Vorlagequorums gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG maßgebliche Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge danach bestimmt, ob „deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft“. Dem Feststellungsziel liegt demnach ein bestimmter Lebenssachverhalt zu Grunde. Dies erinnert an § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und das zweigliedrige Streitgegenstandsverständnis, das die herrschende Lehre aus dieser Norm ableitet.123
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So aber KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97. Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, I, II vor § 253 Rn. 4. Vgl. zudem Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 53 sowie Rn. 71 f. 121 MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 256 Rn. 9; Musielak/Foerste, ZPO, § 256 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 2a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 256 Rn. 2; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 256 Rn. 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 86 sowie § 256 Rn. 4; HK/Saenger, ZPO, § 256 Rn. 2. 122 Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22. 123 Vgl. hierzu bereits S. 56 ff. 120
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Funktion und der Inhalt der Streitpunkte i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG ließen sich bereits in Anlehnung an das zivilprozessuale Erfordernis der Angabe des Klagegrundes festlegen.124 Es liegt deshalb nahe, auch den musterverfahrensrechtlichen Lebenssachverhalt ausgehend von dem Begriffsverständnis der ZPO zu interpretieren.125 Letzteres hat der Bundesgerichtshof maßgeblich geprägt. Er fasst unter den Sachverhalt den gesamten Lebensvorgang, also alle Tatsachen, die bei natürlicher, vom Standpunkt der Parteien ausgehender, Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören oder bei lückenhaftem Vortrag zur Substantiierung gehört hätten.126 Insbesondere möchte er sich nicht – im Interesse der Feststellung, Durchsetzung und Gestaltung subjektiver Rechte als einem der zentralen Ziele des Zivilprozesses127 – auf den tatsächlich vorgetragenen Tatsachenstoff beschränken.128 Einzubeziehen seien vielmehr auch alle sonstigen Tatsachen, die dem Gericht präsentierten Lebensvorgang bei natürlicher Betrachtungsweise angehören.129 Hiervon ausgehend versteht sich der Lebenssachverhalt des KapMuG als die gesamte dem Feststellungsersuchen – im Beispiel 1 von S. 64 der begehrten Feststellung der „Unrichtigkeit wesentlicher Prospektangaben“ i. S. d. § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG – zu Grunde liegende Tatsachenbasis, die bei natürlicher Betrach124
Vgl. S. 66 ff. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 49. In diese Richtung auch LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178). Ähnlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a ZPO Rn. 21, der sich ebenfalls an die von der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandslehre vorgenommenen Differenzierung zwischen dem Antrag und dem vorgetragenem Lebenssachverhalt anlehnt. 126 Vgl. BGHZ 157, 47 (51 m.w. N.); 152, 1 (5); 123, 137 (141); 117, 1 (6 m.w. N.); 98, 353 (358 f. m.w. N.); 94, 29 (33); BGH NJW 2007, 2560 (2561); 2000, 1958; 1999, 2326 (2327); NJW-RR 1999, 360; zustimmend MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 75; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 92 Rn. 10; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, Einl II Rn. 30; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 83. 127 Vgl. Bötticher, ZZP 85 (1972), 1 (19 f.); Stein/Jonas/Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 14 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einl III Rn. 9; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 5; MüKo/Rauscher, ZPO, Einleitung Rn. 9; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11; HK/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 3; AK/Schmidt, ZPO, Einl. Rn. 10; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 39, vgl. auch Rn. 87. Gottwald und Musielak (jeweils a. a. O.) betonen, dass die Herstellung des Rechtsfriedens primär eine Folge richterlicher Tätigkeit darstellt, nicht jedoch einen gleichberechtigten und selbständigen Prozesszweck neben der Feststellung subjektiver Rechte, wie insbesondere der Fall des unrichtigen Urteils belege. Vgl. ferner Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einl III Rn. 9; zudem Schumann, ZZP 96 (1983), 137 (153), allerdings kritisch im Hinblick auf die dienende Funktion des Prozessrechts. 128 Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 67 m.w. N.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 86 ff. 129 Vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Einl II Rn. 30; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 67; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 86 ff. 125
B. Der Gegenstand des KapMuG
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tung einen einheitlichen Lebensvorgang bildet.130 Dieser Gesamtkomplex umfasst zum einen die vorgetragenen Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, als die das Feststellungsziel substantiierenden Einzelelemente. In dieser Funktion bilden sie im Sinne der Mengenlehre besondere Einzelelemente des gesamten Antragsgrundes. Die Zugehörigkeit zu dieser Sondermenge setzt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG einen das „Feststellungsziel“ begründenden Tatsachenvortrag voraus. Zum anderen sind zum Lebenssachverhalt auch alle übrigen, nicht in das Musterverfahren eingeführten, Tatsachen zu rechnen. Hierzu zählen insbesondere die nicht vorgebrachten Streitpunkte, die bei natürlicher Sichtweise zu dem durch den Musterfeststellungsantrag zur Vorlage und später zur oberlandesgerichtlichen Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. In die Inhaltsbestimmung müssen allerdings die Besonderheiten des Rechtsschutzinstruments nach dem KapMuG einfließen. Der Musterprozess zielt auf die Klärung mehrfach relevanter Entscheidungselemente ab. Das Feststellungsziel und die substantiierenden Streitpunkte müssen kollektivierbare Umstände betreffen.131 Nur für das Individualverfahren des jeweiligen Antragstellers relevante Tatsachen können keine Berücksichtigung finden. Sie nehmen nicht an dem für das Musterverfahren maßgeblichen Lebensvorgang teil, sondern bleiben der Verhandlung vor dem jeweiligen Prozessgericht vorbehalten. Die besondere Zielsetzung und Funktion des KapMuG bringt eine inhaltliche Begrenzung des Lebenssachverhaltes mit sich. Dies berücksichtigt, ist das zivilprozessuale Begriffsverständnis in modifizierter Form auf die im Musterprozess fortgeführte landesgerichtliche Tatsacheninstanz übertragbar. Der „Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG umfasst demnach alle Tatsachen, die auf Grund Kollektivierbarkeit Eingang in das Musterverfahren finden und die bei natürlicher, vom Standpunkt der Beteiligten ausgehender, Betrachtungsweise zu dem durch den Vorlagebeschluss sowie den Vortrag der Musterverfahrensbeteiligten zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören oder bei lückenhaftem Vortrag zur Substantiierung gehört hätten.
Diese Interpretation entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers. Er hatte zum Beispiel bei der Prospekthaftungsklage nach § 44 BörsG in der Veröffentlichung des Prospekts das maßgebliche, den Lebenssachverhalt begründende Ereignis gesehen; die in dem Prospekt enthaltenen Angaben würden nur Einzelbestandteile eines einheitlichen Tatsachenkomplexes bilden.132 Er begründete 130 Ebenso KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8. Unklar Rau, KapMuG, S. 52. 131 Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 19; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164 f.); Kilian, KapMuG, S. 29; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738); Reuschle, KapMuG, S. 31 ff.; ders., WM 2004, 2334 (2335). Siehe zu dem Aspekt der Kollektivierbarkeit ausführlich S. 115 f. 132 BT-Drs. 15/5091, S. 49. Ebenso explizit Reuschle, KapMuG, S. 34; ders., WM 2004, 2334 (2337, Fn. 30).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
dies ausgehend von dem zivilprozessualen Verständnis vom Klagegrund mit der zivilprozessualen Präklusionswirkung der Rechtskraft sowie der objektiven Reichweite der materiellen Rechtskraft.133 Der Gesetzgeber wollte folglich, dass die Grundsätze der ZPO auf das KapMuG angewandt werden. Eine engere Inhaltsbestimmung ließe sich mit der hinter der Neudefinition der Gleichgerichtetheit in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG stehenden Zielsetzung, den Anwendungsbereich des KapMuG möglichst weit zu fassen und alle erreichbaren, inhaltlich zusammengehörigen Verfahren in einem einzigen Musterprozess zu kanalisieren, nicht vereinbaren.134 5. Die Abgrenzung zwischen einem gleichem und einem unterschiedlichen Lebenssachverhalt im Rahmen des KapMuG Soeben hat die Untersuchung den Begriff des „zu Grunde liegenden Lebenssachverhaltes“ im Sinne des KapMuG inhaltlich konkretisiert. Offen ist in diesem Zusammenhang noch die Frage, wo die Grenze zwischen identischen und verschiedenen Verfahrensgründen zu ziehen ist. Von deren Beantwortung hängt ab, ob mehrerer Musterfeststellungsanträge als gleichgerichtet gemäß § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG zu beurteilen sind und damit das für eine Einleitung des Musterverfahrens erforderliche Quorum erreicht ist. Weiter ist die Grenzziehung im Hinblick auf die in § 5, § 7 Abs. 1 KapMuG vorgesehene Aussetzungs- und Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses relevant. Besondere Bedeutung erlangt sie überdies für die Frage nach der Reichweite der Präklusions- und Bindungswirkungen des Musterentscheids, vgl. § 16 KapMuG. Ziel des nachfolgenden Abschnitts ist es deshalb, möglichst abstrakte Kriterien festzulegen, anhand derer im Einzelfall die Frage nach dem Vorliegen eines gleichen bzw. unterschiedlichen musterverfahrensrechtlichen „Lebenssachverhaltes“ beantwortet werden kann. a) Das Erfordernis einer normativen, auf den Kern der Streitigkeit bezogenen, Betrachtungsweise – die Herausgabe eines konkreten Informationsträgers bzw. ein entsprechendes Unterlassen als entscheidendes Abgrenzungskriterium Als wesentlicher Bestandteil der „Gleichgerichtetheit“ i. S. d. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG trägt der „gleiche Lebenssachverhalt“ dazu bei, zusammengehörige Ausgangsverfahren zu einer einheitlichen Musterfeststellungs133
BT-Drs. 15/5091, S. 49. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 20. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E sollte sich die Gleichgerichtetheit noch nach der Identität des Feststellungsziels des Musterfeststellungsantrags und der Identität des diesem zu Grunde liegenden Ereignisses bestimmen. 134
B. Der Gegenstand des KapMuG
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streitigkeit zusammen zu fassen. Dies soll eine einheitliche Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung gewährleisten.135 Der Begriff ist weit zu verstehen, um sämtliche Musterfragen in einem einzigen KapMuG-Prozess zu bündeln und dadurch dem Gesetz einen möglichst großen Anwendungsbereich zu verleihen.136 Angesichts dieses Normzweckes wäre es verfehlt, den „gleichen Lebenssachverhalt“ im Sinne einer strengen Identität der den Musterfeststellungsanträgen jeweils zu Grunde liegenden Tatsachenkomplexen aufzufassen.137 Vielmehr bedarf es einer natürlich-normativen Betrachtungsweise, die sich auf den Kern der betroffenen Rechtstreitigkeiten konzentriert.138 Die Frage, worin der Kernpunkt mehrerer Ausgangsverfahren zu sehen und die Grenze zwischen demselben und einem anderen Lebensvorgang zu ziehen ist, beantwortet ansatzweise die Gesetzesbegründung am Beispiel des § 44 BörsG: „Im Beispielsfall der Prospekthaftung stellt die Veröffentlichung des Prospekts das zu Grunde liegende Ereignis dar. Dadurch wird der Lebenssachverhalt konturiert.“ 139
Diese Sichtweise hat der Gesetzgeber im weiteren Normgebungsverfahren beibehalten.140 Der Lebenssachverhalt darf nicht auf den für die Subsumtion relevanten Ausschnitt aus einem einheitlichen Tatsachenkomplex, wie beispielsweise einzelne gerügte Prospektfehler oder bestimmte Falschangaben in einer Mitteilung, verengt werden.141 Er betrifft nicht nur die für die Substantiierung des Feststellungsziels bedeutsamen Streitpunkte. Vielmehr entscheidet er auch über das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Vorlage und bestimmt später den objektiven Bindungsumfang des Musterentscheids mit. Die Gesetzesbegründung erlaubt damit eine verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerung: In den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG begründet die Veröffentlichung eines 135 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17 f., 21, 41; Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 21 ff., v. a. Rn. 24; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 109 ff., insbesondere auch Rn. 111; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 2 und 8. 136 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 41 mit BT-Drs. 15/5695, S. 22 f.; D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 130; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8. A. A. offenbar KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53 f. 137 So zutreffend KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 109. 138 Vgl. auch bereits den normativen Maßstab bei der Inhaltsbestimmung des Feststellungsziels auf S. 70 ff. sowie KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8; ähnlich KK/ Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97; a. A. KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53 f. sowie § 8 Rn. 16, 21, der für eine Verfahrensverbindung gemäß § 147 ZPO plädiert. 139 15/5091, S. 49 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 140 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 49 in Zusammenschau mit der Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages hierzu, BT-Drs. 15/ 5695, insbesondere S. 22 f., in der dieser Standpunkt beibehalten wird. 141 Vgl. auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8, der jedoch die über die Bündelungsfunktion hinausgehende Bedeutung des Lebenssachverhalts für die Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands verkennt (so explizit KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8 Fn. 6). Hierzu ausführlich S. 112 f. sowie 246 ff.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
konkreten Prospekts bzw. einer bestimmten Mitteilung oder deren verspätete bzw. unterlassene Herausgabe innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die tatsächlichen Haftungsbasis für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Dies bildet das entscheidende Kriterium für die Grenzziehung gegenüber anderen Entstehungsgründen.142 Ähnlich stellt innerhalb des Regelungsbereichs des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG die Abgabe eines bestimmten anspruchsbegründenden Übernahmeangebots den maßgeblichen Gesichtspunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gleichen oder anderen Lebenssachverhalts dar.143 Die hervorgehobene Bedeutung des für sich genommen abstrakten Kriteriums des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens eines bestimmten Informationsträgers bei der Auslegung des Begriffs „gleicher Lebenssachverhalt“ wird in systematischer Hinsicht durch die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bestätigt. Die Norm legt für das Musterverfahren nach dem KapMuG einen speziellen, eng umgrenzten, Anwendungsbereich fest. Es eröffnet sich von vornherein nur einem Ausschnitt aus einem Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG, bzw. aus einem Erfüllungsanspruch auf Grundlage eines Angebots nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG. Allen von dem KapMuG erfassten Ansprüchen ist damit auf tatsächlicher Ebene gemeinsam, dass sie stets an eine bestimmte (ggf. unterlassene, aber gebotene) Publikation anknüpfen. Beispiel 6: Im Ausgangsfall (Beispiel 1, S. 64) bzw. der Abwandlung (Beispiel 2, S. 65) stellen beide Verkaufsprospekte ein eigenständiges Haftungspotential ohne innere Verknüpfung dar. Daraus ist den Anlegern jeweils ein selbständiger Schaden erwachsen. Folglich bildete der den klägerischen Schadensersatzanspruch auslösende Prospekt P2 einen gegenüber der Ausgangsvariante verschiedenen „zugrunde liegenden Sachverhalt“.144 Beide Verfahren hätten sich nicht sinnvoll bündeln lassen. Es besteht 142 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 49. Ähnlich KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8, der allerdings entgegen der Gesetzesmaterialien ohne weitere Begründung allein auf die Existenz einer bestimmten Information abstellt und deren Herausgabe unberücksichtigt lassen möchte. 143 Vgl. auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 15. 144 Die Bundesregierung betont in ihrer Gegenäußerung, dass die Veröffentlichung des Prospekts „das zugrunde liegende Ereignis“ darstellt, BT-Drs. 15/5091, S. 49; zustimmend LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006, Az. 23 Sch 1/ 06 („Deutsche Telekom AG“; Stand: 1. Oktober 2009). So im Ergebnis auch Vorwerk/ Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 20, einschränkend im Einzelfall allerdings § 4 Rn. 24; Kilian, KapMuG, S. 80; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (91); Reuschle, KapMuG, S. 34 Fn. 57; ders., WM 2004, 2334 (2337, Fn. 30); bzgl. der konkret veröffentlichten Anspruchsgrundlagen i. S. d. § 11 WpÜG bei einem in Rede stehenden Erfüllungsanspruch nach dem WpÜG zudem Hecker, ZZB 2004, 503 (504); Reuschle, WM 2004, 2334 (2336).
B. Der Gegenstand des KapMuG
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kein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Prospekten P1 und P2. Nur diejenigen Musterfeststellungsanträge sind gleichgerichtet i. S. d. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, die sich jeweils auf die gleiche Publikation P1 bzw. P2 beziehen.145
Entsprechend der funktionalen Stellung des musterverfahrensrechtlichen „Lebenssachverhalts“ innerhalb des KapMuG wäre es allerdings verfehlt, seinen Inhalt auf eine einzige Anspruchsgrundlage zu konzentrieren. Ebenso kann er nicht zwangsläufig auf eine einzige Publikation bzw. ein entsprechendes Unterlassen reduziert werden.146 Vielmehr sind auch Ausgangsstreitigkeiten, die mehrere Publikationen betreffen, aber gleichgelagert sind, in einem einzigen Musterprozess zusammenzuführen.147 Eine sachgerechte Abgrenzung ist über das Erfordernis einer normativen Betrachtungsweise als notwendiges Korrektiv zu erreichen. Nur zusammen mit diesem Auslegungselement kann im Einzelfall eine sichere Antwort auf die Frage gefunden werden, ob von gleichen oder verschiedenen Tatsachenkomplexen auszugehen ist. Für ein derartiges wertendes Verständnis sprechen neben dem bereits angeführten Gesetzeszweck und den systematischen Erwägungen die Entstehungsgeschichte der Legaldefinition „Gleichgerichtetheit“ in § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG sowie die Folgen einer einengenden Begriffsauslegung. § 4 Abs. 1 Satz 3 KapMuG-E sah noch vor, dass „das Feststellungsziel und das zugrunde liegende [schadensstiftende] Ereignis identisch“ sein müssen.148 Um dem erstrebten „weiten Ansatz des Musterverfahrens“ 149 gerecht zu werden und möglichst alle inhaltlich zusammengehörigen Streitpunkte in einem einzigen Musterprozess zu bündeln, hat der Gesetzgeber die Anforderungen an den Begriff der Gleichgerichtetheit im weiteren Normsetzungsverfahren bewusst gelockert, vgl. § 2
145 Etwas anderes wäre allenfalls für den Fall denkbar, dass beide Klägergruppen die identische Rechtsfrage an das Oberlandesgericht richten. Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, auch insoweit eine Bündelung nicht für sinnvoll zu erachten. Insgesamt ginge damit eine erhebliche Verfahrensverzögerung, vor allem im Hinblick auf die übrigen Entscheidungselemente, einher, deren gemeinsame Feststellung wegen der unterschiedlichen Lebenssachverhalte gerade nicht in Betracht kommt. 146 So zutreffend KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 109. Zu eng KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53, der für die Annahme von Gleichgerichtetheit i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG nicht nur eine Identität von Feststellungsziel und Haftungssubjekt, sondern auch des zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts fordert. Für Fälle, in denen die Anleger verschiedene Börsenprospekte oder Ad-hoc-Mitteilungen angreifen, räumt er allenfalls die Möglichkeit ein, die Musterverfahren zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 147 ZPO zu verbinden (KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 22). 147 Hierzu sogleich ausführlicher im Rahmen der Beispielsfälle auf S. 89 ff. 148 BT-Drs. 15/5091, S. 22 (Einfügung und Hervorhebung durch die Verfasserin). Vgl. hierzu auch Reuschle, KapMuG, S. 33 f; ders., WM 2004, 2334 (2337); Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (166). 149 BT-Drs. 15/5695, S. 24.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Abs. 1 Satz 5 KapMuG.150 Abgesehen davon müsste ein enges Verständnis vom „gleichen Lebenssachverhalt“ konsequenterweise zu einer damit korrespondierenden restriktiven Annahme der mit Erlass des Vorlagebeschlusses von Gesetzes wegen einsetzenden Aussetzungs- und Sperrwirkung weiterer Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 und § 5 KapMuG führen.151 Diese Rechtsfolgen treten bereits bei einer bloßen „Abhängigkeit“ von der im anhängigen Musterverfahren zu treffenden Feststellung oder der im Musterverfahren zu klärenden Rechtsfrage ein; deshalb wäre auch insoweit eine entsprechend einengende Auslegung der „Abhängigkeit“ in § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG erforderlich. Andernfalls würden sie auch solche anhängigen Verfahren ergreifen, deren tatsächliche Grundlage gerade nicht für eine gemeinsame Vorlage nach § 4 KapMuG mit dem laufenden Musterprozess als ausreichend erachtet wurde. Eine teleologische Reduktion mehrerer zentraler Vorschriften des KapMuG würde jedoch dem vom Gesetzgeber angestrebten und im Interesse der prozessökonomischen Verfahrenserledigung sinnvollen weiten Ansatz des KapMuG zuwiderlaufen. Abgesehen davon überzeugt es nicht, zunächst die Einheitlichkeit eines Geschehens i. S. d. KapMuG im Wege einer einschränkenden Auslegung zu verneinen, den Verfahren dann aber ihre inhaltliche Zusammengehörigkeit über den Kompromiss der Verfahrensverbindung zuzusprechen. Das KapMuG bezweckt eine originäre, vom Ermessen des jeweils zuständigen Ausgangsgerichts152 unabhängige, Bündelung um eine einheitliche Verhandlung und Entscheidung umfassend sicherzustellen.153 b) Verdeutlichung anhand einiger Fallbeispiele Das Erfordernis einer normativen Auslegung des Begriffs „gleicher Lebenssachverhalt“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG lässt sich anschaulich anhand einiger Beispiele rechtfertigen. Insbesondere das folgende Beispiel 8 verdeutlicht das soeben beschriebene Bedürfnis, nicht isoliert auf den jeweiligen Informationsträger abzustellen, sondern das gesamte der Haftung jeweils zu Grunde liegende tatsächliche Geschehen wertend einzubeziehen, um zu einer sachgerechten Grenzziehung zu gelangen. Zwei Konstellationen aus der Praxis belegen zudem, dass dieser Ansatz sowohl in Fällen des aktiven Tuns als auch des Unterlassens zu interessengerechten Ergebnissen führt. Die sich anschlie-
150 Vgl. zudem BT-Drs. 15/5695, S. 24. Die sprachliche und damit einhergehende inhaltliche Erweiterung der Vorschrift wurde wiederum vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages initiiert. Hierzu eingehend Reuschle, KapMuG, S. 33 ff. 151 Vgl. zu diesem Argument auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9. 152 Vgl. insoweit den Wortlaut des § 147 ZPO: „Das Gericht kann die Verbindung [. . .] anordnen“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 153 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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ßende beispielhafte Negativabgrenzung für verschiedene Lebenssachverhalte bekräftigt die ermittelten Abgrenzungskriterien nochmals. aa) Beispiele für einen „gleichen Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG Beispiel 7: Sämtliche Anleger 1–30 hatten Wertpapiere auf Grund des Börsenprospekts P1 erworben, der unrichtige Angaben zum Kapital und zur Geschäftstätigkeit enthält sowie die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage unzutreffend darstellt. In ihren Ausgangsverfahren wollten sie gemäß § 44 BörsG die Rückabwicklung ihres Aktienerwerbs erreichen. Zugleich haben sie jeweils einen auf die Klärung der Prospektunrichtigkeit, § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, gerichteten Musterfeststellungsantrag gestellt. Der Emittent E1 erkannte die fehlerhafte Wiedergabe der Kapitalausstattung erst, nachdem die Anleger 1–30 ihre Aktien erworben hatten. Er hat daraufhin eine entsprechende Berichtigung M1154 publiziert, die zweifelsfrei auf die Prospektkorrektur abzielte.155 Danach haben weitere Anleger 31–40 Wertpapiere von E1 erworben. Diese stützen sich in ihren Schadensersatzprozessen ausschließlich auf die unberichtigten Angaben zur Geschäftstätigkeit, Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. 154 Die Berichtigung ist begrifflich von der Aktualisierung des Prospekts zu unterscheiden (Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 Rn. 31 sowie zu ersterer Rn. 57 f.). Die Aktualisierungspflicht endet nach h. A. nach Einführung oder Einbeziehung der Wertpapiere in den Handel (siehe etwa OLG Frankfurt a. M. WM 2004, 1831 [1833 f. m. z. w. N.]; ZIP 2004, 1411 [1413; „EM.TV II“]; LG Frankfurt a. M. ZIP 2003, 400 [404 ff.; „EM.TV AG“]; Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rn. 59 ff.; Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rn. 275; Ehricke, Deutschland, in: Hopt/Voigt: Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 216 f.; KK/ Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 38; Vortmann/Hauptmann, Prospekthaftung und Anlageberatung, § 3 Rn. 79 f.; Kullmann/Sester, WM 2005, 1068 [1075]; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.92; Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 BörsG Rn. 29; Stephan, AG 2002, 3 [7]; a. A. H.-D. Assmann, Festschrift Ulmer, S. 768 ff. [bis zur Sechsmonatsgrenze des § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG]; ebenso offenbar Ellenberger, Prospekthaftung im Wertpapierhandel, S. 17 ff.; ders., EWiR 2003, 409 [410]; enger ders., Festschrift Schimansky, 591 [596: bis zum vollständigen Verkauf der Emission]; offen hingegen BGHZ 139, 225 [232] bzgl. einer Bezugsrechtsemission: „[. . .] jedenfalls bis zum Ablauf der Zeichnungsfrist“ [„Elsflether Werft“]). Vgl. die ausführliche Darstellung des Meinungsstands bei Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rn. 59 m.w. N. Auch der Begriff der Berichtigung wird uneinheitlich verwendet. Für Ehricke, Deutschland, in: Hopt/Voigt: Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 216 f.; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.93, erfolgen Berichtigungen, wenn die Endzeitpunkte für die Aktualisierung abgelaufen sind. Marsch-Barner/Schäfer/Krämer, Handbuch börsennotierte AG, § 9 Rn. 333 stellt darauf ab, ob ursprünglich unzutreffende Angaben korrigiert werden. Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rn. 55, fasst unter den Begriff der Berichtigung auch bis zur Einführung bzw. Einbeziehung der Wertpapiere in den Handel unrichtig gewordenen Angaben. 155 Vgl. zu diesem Erfordernis Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 Rn. 57 m.w. N.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Wegen der Prospektberichtigung können die Anleger 31–40 ihren Schadensersatzanspruch mangels Kausalität, vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG, nicht mit Erfolg auf die fehlerhafte Wiedergabe der Kapitalausstattung in der Publikation P1 stützen. Dennoch bleibt der Kern ihrer Rechtsstreitigkeiten gegen den Emittenten im Vergleich zu den Verfahren der ersten 30 Investoren identisch. Sämtliche Ausgangsprozesse betreffen die Frage, ob wesentliche Angaben im Prospekt P1 unzutreffend waren. Die oberlandesgerichtlichen Erkenntnisse zur Geschäftstätigkeit sowie zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten E1 lassen sich auf die Individualverfahren 31–40 übertragen. Eine gemeinsame Klärung der damit im Zusammenhang stehenden tatsächlichen Fragestellungen ist möglich und sinnvoll.156 Die Annahme zweier unterschiedlicher „Lebenssachverhalte“ würde einen zusammenhängenden Vorgang künstlich aufspalten. Sie ist deshalb abzulehnen. Beispiel 8157: Es ist davon auszugehen, dass der Emittent E1 den Entwicklungsfortschritt eines bestimmten Geschäftsbereichs zunächst am 20. Februar in einer Ad-hoc-Mitteilung M1 publiziert hatte. Dieselbe Information war in einem am 23. Februar des gleichen Jahres im Zuge einer Kapitalerhöhung erschienenen Börsenzulassungsprospekts P1 bei unveränderter Sachlage enthalten. Beide Publikationen M1 und P1 haben jeweils Anleger veranlasst, Aktien der Gesellschaft zu kaufen. Sie verklagen E1 auf Zahlung von Schadensersatz wegen des Erwerbs der Wertpapiere, weil die Angabe unzutreffend gewesen sei.158
Zwar streiten sich die Anleger mit dem Emittenten über die Richtigkeit zweier unterschiedlicher Publikationen M1 bzw. P1; sie stützen dementsprechend ihren Schadensersatzanspruch auf § 37c Abs. 1 WpHG bzw. § 44 BörsG. Aber die für die oberlandesgerichtliche Musterentscheidung maßgebliche Tatsachenbasis stimmt bei wertender Betrachtung wegen der Identität des angegebenen, für die Geschäftsentwicklung maßgeblichen, Stichtags weitgehend überein. Sinn und
156 Vgl. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 111; KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 49; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8. 157 Die Abwandlung geht zurück auf ein von KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 100 zum Zwecke der Untersuchung des Begriffs des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG entwickeltes Beispiel. 158 Ebenso wäre für die Einordnung als „gleicher zugrunde liegender Lebenssachverhalt“ unerheblich, wenn ein Teil der Anleger die Ausgangsklage aus Verjährungsgesichtspunkten, vgl. § 47 BörsG, auf § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stützt. Maßgeblich ist insoweit allein das Vorliegen einer hinreichenden inneren Zusammengehörigkeit auf Tatsachenebene, nicht die Identität der in Bezug genommenen materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage, vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97 ff. sowie vornehmlich KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8 und v. a. Rn. 26. Vgl. als Gegenbeispiel für verschiedene Lebenssachverhalte den Fall zu den Windkraftanlagen auf S. 249.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Zweck des KapMuG ist es, gleiche Fragestellungen in einem gemeinsamen Musterverfahren mit einheitlicher Beweisaufnahme zu verhandeln und zu entscheiden.159 Mithin muss vorliegend die für sämtliche Ausgangsverfahren ausschlaggebende Fragestellung, ob die publizierten Angaben des Emittenten E1 zutreffend waren, gebündelt werden. Ähnlich verdeutlicht die nachfolgende Situation, dass ein „gleicher zugrunde liegender Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG weder an der Identität der im Individualverfahren einschlägigen materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen noch des im Musterverfahren zu untersuchenden Feststellungsziels festzumachen ist.160 Maßgeblich ist wiederum das Vorliegen eines inneren Zusammenhangs des streitgegenständlichen Tatsachenkomplexes. Die Kläger müssen dasselbe Haftungsinteresse verfolgen.161 Beispiel 9: Die I-AG vermeldet in einer Ad-hoc-Mitteilung, vgl. § 15 WpHG, den Abschluss eines Großauftrags. Tatsächlich ist jedoch nur über einen geringfügigen Teil des mitgeteilten Auftragsvolumens ein Geschäft erfolgreich abgeschlossen worden. Im Übrigen gaben die Parteien bislang lediglich unverbindliche Absichtserklärungen ab.162
159 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24; vgl. zudem KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 100; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 26 ff. 160 Die im Rahmen des § 826 BGB zusätzlich auftretende Frage nach einem tauglichen Feststellungsziel (vgl. hierzu ausführlich S. 70 ff.) ist streng von der Grenzziehung zwischen einem gleichen und verschiedenen Lebenssachverhalt zu trennen. LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 120 („Deutsche Telekom AG“); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 4 Rn. 21; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7 f. sowie 26; zustimmend wohl ferner Gundermann/Härle, VuR 2007, 457 (459). A. A. D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 130, allerdings ohne Begründung. 161 So auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 26 f.; ähnlich KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97. 162 Siehe zu diesem Sachverhalt die Urteile des 2. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes in der Rechtssache „Infomatec AG“, BGH Urteil v. 19. Juli 2004, Az.: II ZR 218/ 03 (Obsiegen des Beklagten) = WM 2004, 1731 (1731 ff.), Az.: II ZR 217/03 (Zurückverweisung) = WM 2004, 1726 (1726 ff.) sowie Az.: II ZR 402/02 (Obsiegen des Klägers) = WM 2004, 1721 (1721 ff.). Diesen Entscheidungen lagen jeweils Schadensersatzprozesse gegen ehemalige Vorstandsmitglieder der Infomatec AG, eines ehemals am Neuen Markt notierten Unternehmens, zu Grunde. Im Jahre 1999 hatte die Gesellschaft mehrere unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen über den (angeblichen) Abschluss eines Großauftrages veröffentlicht. Tatsächlich lagen zwischen der Infomatec AG und ihrem Geschäftspartner vorwiegend rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen vor; zu einem tatsächlichen Geschäftsabschluss ist es indes nur in sehr geringfügigem Umfang gekommen. Die Kläger begehrten deshalb Schadensersatz wegen der Publikation von wissentlich unzutreffenden Ad-hoc-Mitteilungen auf Basis verschiedener Anspruchsgrundlagen, so u. a. § 826 BGB sowie § 15 WpHG.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG Die überwiegende Anzahl der Kläger stützt ihren Schadensersatzanspruch auf § 37c WpHG. Einige Anleger müssen in ihren Haftungsklagen aus Verjährungsgesichtspunkten, vgl. § 37c Abs. 4 WpHG, das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB wegen der Unrichtigkeit der Publikation geltend machen.163
Knüpft die Haftung hingegen an die Nichtbeachtung einer Veröffentlichungspflicht an, so konzentriert sich der Streit regelmäßig auf den geschuldeten Veröffentlichungszeitpunkt. Dennoch ist eine interessengerechte Auswahl der gemeinsam vorzulegenden Verfahren nur möglich, wenn wertend darauf abgestellt wird, dass eine bestimmte Tatsache innerhalb eines gewissen Zeitraumes nicht veröffentlicht wurde. Beispiel 10164: Die Kläger streiten mit der Beklagten D-AG über die Rechtzeitigkeit einer Ad-hocMitteilung vom 28. Juli 2005. Darin hat die D-AG das vorzeitige sofortige Ausscheiden ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, der regulär bis in das Jahr 2008 bestellt gewesen wäre, bekanntgegeben. Die Anleger vertreten den Standpunkt, eine veröffentlichungspflichtige Insidertatsache gemäß § 15 Abs. 1 WpHG sei bereits Mitte Mai 2005 entstanden, weil sich die Rücktrittspläne zu diesem Zeitpunkt hinreichend konkretisiert gehabt hätten. Das Feststellungsziel des Musterverfahrens wurde dementsprechend dahingehend formuliert, „dass spätestens seit Mitte Mai 2005 oder jedenfalls zu irgendeinem späteren Zeitpunkt vor dem 28. Juli 2005 [. . .] durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten [. . .] eine Insiderinformation i. S. d. § 37b Abs. 1 WpHG entstanden ist und die Beklagte diese nicht unverzüglich veröffentlicht hat“ 165.
Würde man die „Gleichgerichtetheit“ der Anträge i. S. d. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG davon abhängig machen, dass die Kläger den geschuldeten Publikationszeitpunkt auf ein identisches Datum verankern, so wäre eine ge-
163 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 65, der jedoch als taugliches Feststellungsziel insoweit ausschließlich auf die Haftung des Beklagten wegen der Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung abstellt, ohne die Sittenwidrigkeit als feststellungsfähiges Tatbestandsmerkmal überhaupt in Erwägung zu ziehen. 164 Vgl. insoweit das Musterverfahren betreffend den Rücktritt des ehemaligen DaimlerChrysler Vorstandsvorsitzenden Schrempp, OLG Stuttgart, ZIP 2007, 481 (481 ff.); der Vorlagebeschluss des LG Stuttgart v. 3. Juli 2006 (berichtigt mit Beschl. v. 20. Juli 2006) und der Musterentscheid des OLG Stuttgart v. 15. Februar 2006 wurden im Volltext zudem im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 1. August 2006 bzw. 28. Februar 2007 vom OLG Stuttgart veröffentlicht (Az.: 901 Kap 1/06, „DaimlerChrysler“; Stand: 1. Oktober 2009). Vgl. hierzu ausführlich auch Fleischer, NZG 2007, 401 (401 ff.). 165 So die Formulierung der Musterfeststellungsanträge im Verfahren „DaimlerChrysler AG“, etwa Az. 21 O 408/05, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 12. April 2006 vom LG Stuttgart (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG sowie zu diesem Musterverfahren die Nachweise in Fn. 164; Stand: 1. Oktober 2009).
B. Der Gegenstand des KapMuG
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meinsame Vorlage nicht möglich. Entscheidend ist jedoch, ob der bevorstehende Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden irgendwann vor dem tatsächlichen Veröffentlichungszeitpunkt hätte publiziert werden müssen. Dies lässt sich für alle Kläger gleichermaßen und unabhängig davon klären, seit welchem konkreten Zeitpunkt sie individuell eine Veröffentlichungspflicht als gegeben ansehen. Die erforderliche Identität des „Lebenssachverhalts“ zeichnet sich folglich durch das Unterlassen einer bestimmten Mitteilung innerhalb eines bestimmten Zeitraums aus.166 bb) Beispiele für einen „unterschiedlichen Lebenssachverhalt“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG An der Identität des „zugrunde liegenden Lebenssachverhalts“ fehlt es, wenn die Unrichtigkeit verschiedener Informationsträger, die keinerlei innere Verknüpfung auf tatsächlicher Ebene aufweisen, in Streit steht. Keine gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG liegen dementsprechend vor, wenn die Kläger eine Haftung wegen falscher öffentlicher Kapitalmarktinformation auf verschiedene Prospekte oder Ad-hoc-Mitteilungen stützen, die bei wertender Betrachtung keinen hinreichenden Zusammenhang zueinander aufweisen.167 Als Beispiel lässt sich der Vergleich zwischen der auf S. 64 beschriebenen Ausgangskonstellation (Beispiel 1) und ihrer Abwandlung (Beispiel 2, S. 65) anführen. Dort war lediglich der Wortlaut der in den Musterfeststellungsanträgen formulierten Feststellungsziele identisch. Die tatsächliche Haftungsbasis beider Schadensersatzbegehren wies jedoch keine innere Gemeinsamkeit auf. Eine gemeinsame Vorlage musste daher mangels eines gleichen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts scheitern.168 An der Identität der tatsächlichen Haftungsbasis fehlt es z. B. ferner im Verhältnis eines im Zuge der Zulassung zum Amtlichen Markt herausgebrachten Börsenzulassungsprospekts und eines weiteren Prospekts desselben Emittenten im Rahmen einer geplanten Kapitalerhöhung. Zwischen beiden Publikationen liegt eine erhebliche Zeitspanne, womit eine Veränderung der tatsächlichen Begebenheiten einhergehen kann. Eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung 166 Ebenso KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 14. Vgl. ferner LG Heidelberg, Vorlagebeschluss v. 30. Dezember 2008, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) vom OLG Karlsruhe am 9. März 2009 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 17 Kap 1/09 („MLP AG“). Folgerichtig etwa auch die Musterfeststellungsanträge in Sachen „Allgemeine Hypothekenbank Rheinboden AG“, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) am 7. Mai 2008 (Az.: 2-21 O 141/07) bzw. 19. Mai 2008 (Az.: 2-21 O 513/06), jeweils Stand 1. September 2009. 167 So zutreffend auch Reuschle, KapMuG, S. 34 Fn. 57. 168 Vgl. zudem das Beispiel zu den Windkraftanlagen auf S. 249.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
im Musterverfahren wäre selbst dann weder möglich noch sinnvoll, wenn der Emittent einzelne Aussagen in der zweiten Publikation wiederholte.169 Gleiches gilt bei unrichtigen Ad-hoc-Mitteilungen. In Fällen, in denen die Unrichtigkeit mehrerer Ad-hoc-Mitteilungen mit verschiedenen Angaben im Streit steht, ist für jede veröffentlichte Kapitalmarktinformation ein gesonderter Musterprozess zu führen, um die Unrichtigkeit der jeweiligen Mitteilung vom Oberlandesgericht feststellen zu lassen.170 Die Erkenntnisse des Musterverfahrens sind sodann jeweils nur bezüglich der dort behandelten Publikation verwertbar.171 Im Falle eines schadensersatzpflichtigen Unterlassens liegt ein anderer Lebenssachverhalt dann vor, wenn die Kläger vorbringen, es seien mehrere Veröffentlichungen im Hinblick auf unterschiedliche tatsächliche Umstände geschuldet.172 Auch insoweit fehlt es an der Identität des Informationsträgers als dem erforderlichen und maßgeblichen Bindeglied.173 Im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG i.V. m. § 31 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 WpÜG ist für die Gleichgerichtetheit auf das jeweilige Erwerbsangebot und den damit in Zusammenhang stehenden Parallel- bzw. Nacherwerb des Bieters abzustellen. Mehrere Angebote nach dem Wertpapiererwerbs- und -Übernahmegesetz begründen demzufolge verschiedene Lebenssachverhalte i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG.174
169 Etwas anderes wäre nur bei einer identischen Stichtagsbegrenzung der in den Publikationen enthaltenen Informationen anzunehmen. 170 So z. B. in der Rechtssache „EM.TV AG“ (vgl. hierzu auch die Nachweise in den Fn. 154, 286, 287 und 291) Hierzu G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096). Er weist zudem zutreffend darauf hin, dass eine echte objektive Antragshäufung i. S. d. § 260 ZPO wegen des erforderlichen selbständigen Abzählens der einzelnen Lebenssachverhalte nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG unzulässig ist, KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 16 Fn. 17; dazu ferner ders., NJW 2007, 3094 (3096). 171 Vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 109 ff.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 19 f. und 22; Reuschle, KapMuG, S. 34 f. 172 Vgl. KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 14. 173 Aus diesem Grund erscheint auch der von KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 17 Fn. 19, vertretene Standpunkt, die Bestimmtheit eines Musterfeststellungsantrags erfordere eine Benennung der konkreten Unrichtigkeitsgründe, zweifelhaft. Das in Rede stehende Haftungsereignis ist bereits auf Basis der jeweiligen Kapitalmarktinformation individualisierbar. Für die Formulierung des Antrags dürfte es deshalb ausreichen, die betreffende Information mit ihrem jeweiligen Veröffentlichungsdatum konkret zu benennen. So etwa die Formulierung des Musterfeststellungsantrags bei LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 31. Januar 2008, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 30. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Kap 3/08 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 8“). 174 So auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 15 f.
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c) Die Unabhängigkeit der Grenzziehung zwischen gleichen und unterschiedlichen Lebenssachverhalten von den individuell vorgetragenen Streitpunkten Bei den soeben gebildeten Beispielen war der Umstand ausgeklammert, dass die Kläger die Unrichtigkeit der Publikation in der Praxis häufig auf unterschiedliche tatsächliche Angaben stützen. Es stellt sich die Frage, inwieweit dies die Beurteilung beeinflusst, ob die den Haftungsklagen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalte übereinstimmen. Beispiel 11: Ebenso wie im Beispiel 7 auf S. 89 hatten die Anleger Wertpapiere auf Grund eines Börsenprospekts erworben, in dem die Kapitalausstattung, die Geschäftstätigkeit sowie die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Emittentin unzutreffend dargestellt sind. In ihren Ausgangsverfahren wollen sie gemäß § 44 BörsG die Rückabwicklung ihres Aktienerwerbs erreichen. Nur einige der Kläger trugen allerdings sämtliche Unrichtigkeitsapsekte vor. Die übrigen Anleger begründeten die Fehlerhaftigkeit des Prospekts nur mit einzelnen der soeben aufgezählten Gesichtspunkte, etwa weil sie von den übrigen Unrichtigkeitsgründen keine Kenntnis haben.
Der identische haftungsbegründende Informationsträger, auf dessen Fehlerhaftigkeit sich die Anleger berufen, verbindet das klägerische Vorbringen zu einem einheitlichen Gesamtereignis. Dies gilt unabhängig davon, ob es identische oder verschiedene Tatsachenkomplexe enthält. Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen: „Gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge sind auch dann gegeben, wenn die Richtigkeit eines Börsenprospekts von einem Kapitalanleger im Hinblick auf eine unrichtige Darstellung des Immobilienvermögens angegriffen wird, von einem anderen Kapitalanleger im Hinblick auf die Risikobewertung, die auf der Darstellung des Immobilienvermögens beruht. Es handelt sich nur um verschiedene Streitpunkte, jedoch um dasselbe Feststellungsziel, da die Unrichtigkeit des Prospekts hier auf ein und derselben Pflichtverletzung – tatsächliche Angaben zum Komplex Immobilien – beruht.“ 175 Dem steht nicht entgegen, dass der Vortrag der Herausgabe eines Prospekts selbst einen Streitpunkt i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG bildet und als solcher eine Teilmenge des Gesamtkomplexes „tatsächlicher Lebensvorgangs“ darstellt. Die Prospektherausgabe unterscheidet sich von den übrigen denkbaren Streitpunkten dadurch, dass sie für sämtliche Ausgangsverfahren den zwingenden An175 BT-Drs. 15/5091, S. 21 f.; zustimmend Reuschle, KapMuG, S. 34 f.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 11 ff., insbesondere 13. Vgl. zudem, insbesondere auch zu der im Rahmen des § 253 Abs. 2 ZPO erforderlichen Differenzierung zwischen den für die Zulässigkeit und Schlüssigkeit erforderlichen Tatsachenangaben auf S. 66 ff. sowie die Nachweise in den Fn. 61 bis einschließlich 65.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
knüpfungspunkt für die Haftung bildet. Kein Anleger kann auf ihr Vorbringen verzichten, will er seinen Musterfeststellungsantrag ausreichend bestimmbar formulieren.176 Demgegenüber kann für die Begründetheit des Musterfeststellungsantrags sowie der Ausgangsklage der Vortrag ausgewählter Unrichtigkeitsgesichtspunkte genügen. Zum „Lebenssachverhalt“ rechnen auch diejenigen tatsächlichen Umstände, wie insbesondere verschiedene unzutreffende Prospektangaben, die nicht vorgetragen wurden, aber bei natürlicher Betrachtung zu einer lückenlosen Substantiierung gehört hätten.177 Die einzelnen Angaben des Prospekts bilden nur Detailausschnitte des einheitlichen Vorgangs seiner Veröffentlichung. Eine gegenteilige Sichtweise würde die Präklusionswirkung sowie die objektive Reichweite der materiellen Bindungswirkung des Musterentscheids unangemessen verkürzen.178 d) Die Unabhängigkeit der Einordnung als einheitlicher „Lebenssachverhalt“ von der Person des Beklagten Nach dem bisher Gesagten kommt dem Informationsträger als verbindende Einheit eine maßgebliche Funktion bei der Grenzziehung zu. Dies gilt auch in den Konstellationen, in denen die Anleger ihren Musterfeststellungsantrag gegen verschiedene Anspruchsgegner richten.179 Andernfalls könnte das Erfordernis 176 Die an die Bestimmtheit des Musterfeststellungsantrags zu stellenden Anforderungen werden nicht einheitlich beurteilt, vgl. insoweit auch Fn. 173. 177 Siehe zur Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Begriffs vom Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG S. 81 ff. sowie insbesondere die Definition auf S. 83. 178 Ebenso BT-Drs. 15/5091, S. 49; vgl. hierzu auch später S. 235 ff. A. A. MaierReimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 ff.). 179 Anlass für die Frage, ob die Person des Beklagten in die Grenzziehung einzubeziehen ist, liefern KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53 sowie § 8 Rn. 28, 52 (anders noch ders., ÖsterrAnwBl 2006, 371 [375 f.]; ders., WM 2004, 2334 [2337]); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 3; kritisch wohl auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 (611). Er spricht sich dafür aus, die Gleichgerichtetheit von Musterfeststellungsanträgen auch von einer „Identität des Haftungssubjekts“ abhängig zu machen und das Erreichen des Quorums hinsichtlich eines jeden (streitgenössisch) verklagten Schuldners zu fordern. Lägen gegen einen Beklagten nicht ausreichend Musterfeststellungsanträge vor, so sei dieser zum Musterverfahren lediglich gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG beizuladen (KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 28, 52). Weiter hingegen BTDrs. 15/5091, S. 22, 41; D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 131; Vorwerk/Wolf/ Fullenkamp, § 4 Rn. 22; Madaus, Jura 2006, 881 (888 Fn. 85); Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 237; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 10 f.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (91); Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253); KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 28, die zutreffend das Vorliegen „gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG ausschließlich an dem Zusammenhang von Feststellungsziel und Lebenssachverhalt festmachen wollen (vgl. hierzu sogleich auf S. 95 ff.; in diese Richtung auch Kilian, KapMuG, S. 80). Angesichts der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG erscheint es konsequenter, dieser Diskussion die Frage voranzu-
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des Vorliegens gleicher Lebenssachverhalte seinen Zweck, zusammengehörige Musterfeststellungsanträge zu einer gemeinsamen Vorlage an das Oberlandesgericht zu verbinden, vgl. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, nicht erfüllen. Beispiel 12: Die Anleger verlangen wiederum180 Schadensersatz nach § 44 BörsG, weil wesentliche Angaben im Börsenprospekt des Wertpapieremittenten E unrichtig gewesen seien. Sie haben z. T. nur E und teilweise zugleich das emissionsbegleitende Kreditinstitut K als Prospekt(mit)verantwortliche verklagt.181
Wollte man das Vorliegen eines gleichen Lebenssachverhalts von der Person des Beklagten abhängig machen, so könnten die auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit lautenden, aber zugleich gegen das emissionsbegleitende Kreditinstitut gerichteten Musterfeststellungsanträge mangels Gleichgerichtetheit i. S. d. § 4 Abs. 1 KapMuG nicht in einem Vorlagebeschluss mit den nur gegen den Emittenten gerichteten Anträgen zusammengefasst werden. Es geht jedoch jeweils um dieselbe Musterfrage nach dem Vorliegen der Prospektunrichtigkeit.182 Abgesehen davon wäre bereits das Erreichen des für eine Vorlage erforderlichen Schwellenwertes, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG, erschwert. Es müssten jeweils zehn Anträge nur gegen den Wertpapieremittenten bzw. das emissionsbegleitende Kreditinstitut bzw. zugleich gegen beide vorliegen. Bleibt hingegen die Person des Haftungsschuldners für die Beurteilung der Identität der Lebenssachverhalte unberücksichtigt, so genügt für eine Vorlage das Vorliegen von insgesamt zehn Musterfeststellungsanträgen, gleich gegen welchen Beklagten. Das erforderliche Quorum wäre im Beispiel etwa bereits dann erreicht, wenn fünf Anträge gegen den Emittenten und fünf weitere Anträge (zugleich) gegen die Bank vorlägen.183 stellen, inwieweit die Person des Beklagten auf die Inhaltsbestimmung Einfluss nehmen kann. Ist eine enge Sichtweise auf dieser Ebene nicht angebracht, so ist erst in einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwieweit eine teleologische Reduktion der Gleichgerichtetheit i. S. d. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG durch einen Einbezug der Beklagtenperson in die Begriffsbestimmung angebracht ist. 180 Vgl. etwa das Beispiel 1 von S. 64, das Beispiel 10 auf S. 92 oder das Beispiel 11 auf S. 95. 181 Das emissionsbegleitende Kreditinstitut haftet nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG als sogenannter Prospektverantwortlicher für die Richtigkeit der Angaben in dem Börsenprospekt gesamtschuldnerisch neben dem Emittenten, vgl. Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.94; Schimansky/Bunte/Lwowski/Grundmann, Bankrechts-Handbuch, § 112 Rn. 53; Schröder/Brettel, Der neue Anlegerschutz in der Praxis, § 2 Rn. 195 f.; Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 Rn. 69; vgl. ferner Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rn. 32 ff. 182 Deshalb auch ablehnend Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 10. 183 Zu diesem Ergebnis gelangt auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 29.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Die besseren Argumente sprechen dafür, die Auslegung des Begriffs „gleicher Lebenssachverhalt“ nicht dadurch zu verengen, dass die Beklagtenperson einbezogen wird.184 Auch bei einer Mehrheit von Haftungsschuldern ist eine gemeinsame Vorlage sinnvoll; sämtliche Anleger verfolgen in ihren Musterfeststellungsanträgen ein gleich gelagertes Ziel. Ausgehend von der Funktion des „Lebenssachverhalts“, gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG zusammenzuführen, stellt ausschließlich der Informationsträger ein taugliches Verbindungsglied dar. Er bildet den Kern der sämtlichen Anträgen zu Grunde liegenden Tatsachenkomplexe, welche bei normativer Betrachtung ein einheitliches Gesamtgeschehen bilden.185 Nur diese Auslegung wird dem Charakter des Musterverfahrens als „gegenstandsbezogenes Verfahren, bei dem der Identität der Parteien keine herausgehobene Bedeutung zukommt“, gerecht.186 Sie ist prozessökonomisch vorzugswürdig, weil sie sowohl eine einheitliche Verhandlung und Beweisaufnahme über inhaltlich zusammengehörigen Tatsachenstoff gewährleistet als auch eine weitestgehende Bindungswirkung des Musterentscheids sicherstellt.187 Die daraus resultierenden Kostenfolgen bieten den Parteien mehr Chancen, als sich hinter ihnen unkalkulierbare Risiken verbergen.188 Zudem wird das Bedürfnis nach einer raschen und einheitlichen Feststellung der gestellten Musterfrage durch eine Mehrzahl von Personen auf Beklagtenseite nicht gemindert, sondern erhöht.189 6. Fazit Der in Bezug genommene Informationsträger und der tatsächliche Umstand seiner Herausgabe bzw. ein entsprechendes Unterlassen stellen die maßgeblichen Kriterien zur Grenzziehung zwischen gleichen und unterschiedlichen Lebenssachverhalten dar. Die in Bezug genommene materiellrechtliche Anspruchs-
184 Hierfür spricht zudem der Umstand, dass der Gesetzgeber eine im Ausgangsverfahren bestehende Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite fortgesetzt wissen wollte (vgl. hierzu ausführlich S. 176 ff.). Dementsprechend differenziert selbst KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53 zwischen Identität des Haftungsschuldners und des Lebenssachverhalts und lässt Ersteren für die Bestimmung eines einheitlichen Lebensvorgangs i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG unberücksichtigt. 185 So i. E. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 11 sowie KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8. 186 KK/Kruis, KapMuG, § 7 Rn. 30; vgl. ferner KK/ders., KapMuG, § 1 Rn. 15. 187 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 25 will hingegen eine Beiladung auf Beklagtenseite gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG in den Fällen ausschließen, in denen gegen diesen nicht genügend Musterfeststellungsanträge gestellt wurden und er auch nicht in mindestens einem Ausgangsverfahren streitgenössisch verklagt wurde. 188 KK/Kruis, KapMuG, § 7 Rn. 31. 189 Zutreffend Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 28.
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grundlage ist dabei grundsätzlich ebenso wenig von Bedeutung wie die Identität der vorgetragenen Streitpunkte oder der Beklagte. Ein gleicher Lebenssachverhalt muss nicht zwangsläufig auf eine einzige Publikation beschränkt sein. Die sachgerechte Grenzziehung erfordert als notwendiges Korrektiv vielmehr stets eine normative Sichtweise, welche ausgehend von der in Rede stehenden Publikation bzw. einem entsprechenden Unterlassen den Kern der betroffenen Rechtstreitigkeiten ermittelt. Mehrere Veröffentlichungen können einen einheitlichen Lebensvorgang bilden, wenn sie bei wertender Betrachtung inhaltlich eng zusammenhängen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Informationsträger durch eine Wiederholung bestimmter Streitpunkte miteinander verknüpft sind. 7. Folgerungen für den Begriff der Gleichgerichtetheit i. S. v. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG Die Frage nach der Gleichgerichtetheit von Musterfeststellungsanträgen stellt sich bei der Ermittlung des für die Einleitung eines Musterverfahrens erforderlichen Quorums nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG. Nach dieser Vorschrift wird ein Musterverfahren durchgeführt, wenn binnen vier Monaten in mindestens zehn Ausgangsstreitigkeiten vor dem Landgericht gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt werden. Voraussetzung ist nicht, dass die Anträge in zehn getrennten Prozessen gestellt wurden. Vielmehr sind die Vorlagevoraussetzungen nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bereits dann erfüllt, wenn zehn einfache Streitgenossen einen auf die Durchführung eines Musterverfahrens gerichteten Antrag gestellt haben. Unter Verfahren i. S. d. Norm ist nicht das aktenmäßig erfasste Ausgangsverfahren, sondern das einzelne Prozessrechtsverhältnis zu verstehen.190 190 BGH, MDR 2008, 938 (938 f. m. z. w. N.); LG Stuttgart ZIP 2006, 1731 (1732 bzw. im Klageregister, vgl. § 1 Fn. 56), siehe dazu auch BGH, MDR 2008, 633; LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 17. April 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 23. April 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 KapMuG („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 130; Heidel/Gansel/Gängel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 4 KapMuG Rn. 2; Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 (458 f.); Reuschle, KapMuG, S. 33; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2252); a. A. OLG München ZIP 2007, 647 (652; „Infomatec AG“); KG Berlin, Beschluss v. 18. September 2007, Az.: 4 Sch 2/06 KapMuG („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“), veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 10. Oktober 2007 (Stand: 1. Oktober 2009); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 11; KK/ G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 37; ders., NJW 2007, 3094 (3097), unter Hinweis auf den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG, der allerdings auf das einzelne Verfahren abstellt. Umgekehrt ist nicht Voraussetzung, dass die zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge bei demselben Prozessgericht gestellt wurden, Vorwerk/ Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 11; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (90 Fn. 39).
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge liegen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG dann vor, wenn „deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft“. Grundvoraussetzung für die Annahme von Gleichgerichtetheit und damit eine mögliche Vorlage der gestellten Musterfragen an das Oberlandesgericht ist folglich das Vorliegen eines gleichen Lebenssachverhalts. Dies bestimmt sich, wie zuvor festgestellt, auf Grundlage einer wertenden Betrachtung. Dabei kommt jeweils der (ggf. unterlassenen) Publikation, die der geltenden gemachten Haftung konkret zu Grunde liegt, bzw. einem bestimmten Übernahmeangebot, auf dessen Vorliegen sich der streitgegenständliche Erfüllungsanspruch stützt, maßgebliche Bedeutung zu.191 Unerheblich für die Beurteilung der Gleichgerichtetheit ist hingegen, ob die in den einzelnen Musterfeststellungsanträgen formulierten Feststellungsziele identisch sind. Der Regierungsentwurf hatte die Gleichgerichtetheit noch deutlich enger definiert.192 Die inhaltlichen Anforderungen wurden im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bewusst gelockert, um dem Musterverfahren einen möglichst umfassenden Einzugsbereich zu verschaffen. Dies sollte eine vollständige Klärung sämtlicher Musterfragen bzw. Streitpunkte in einem einzigen Prozess ermöglichen.193 Die vorherrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung misst der Identität des Feststellungsziels deshalb zutreffenderweise weder bei der Frage nach dem Vorliegen gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge noch bei der Grenzziehung zwischen gleichen und verschiedenen Lebenssachverhalten Bedeutung zu.194 Die gegenteilige Sichtweise würde zusammengehörige
191
Vgl. zuvor S. 84 ff. § 4 Abs. 1 Satz 3 KapMuG-E verlangte insoweit, dass das Feststellungsziel und das zugrunde liegende [schadensstiftende] Ereignis identisch sind. Siehe auch den Text bei und die Fn. 31 sub § 4; vgl. zudem BT-Drs. 15/5091, S. 6, 22. Vgl. hierzu auch D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 130; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9. Die sprachliche und damit einhergehende inhaltliche Erweiterung der Vorschrift wurde vom Rechtsausschuss initiiert; diesbezüglich eingehend Reuschle, KapMuG, S. 33 ff. 193 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9. 194 Vgl. LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 120 („Deutsche Telekom AG“), S. 149; Vorwerk/ Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 21; Kilian, KapMuG, S. 80; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (91); Vorwerk/Wolf/Riedel, KapMuG, § 2 Rn. 12; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9. Entgegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG hingegen für eine Einbeziehung des Feststellungsziels in die Begriffsauslegung Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 23: „[. . .] weil das Prozessgericht gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG darüber zu befinden hat, unter welchen Voraussetzungen Musterfeststellungsanträge gleichgerichtet sind. Als Maßstab für die Prüfung, ob jene Voraussetzung vorliegt entscheidet gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG das Feststellungsziel “ (Hervorhebung durch die Verfasserin); ebenso Heidel/Gansel/Gängel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 2 KapMuG Rn. 5 sowie § 4 KapMuG Rn. 4; KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53. 192
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Verfahren künstlich aufspalten und dadurch die Gefahr divergierender Entscheidungen erhöhen.195 Ebenso wenig fordert der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG eine Identität der Person des Beklagten196 oder der Streitpunkte197. Im Hinblick auf letztere bestätigt dies die Systematik des § 4 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG, wonach alle geltend gemachten Streitpunkte in den Vorlagebeschluss aufzunehmen sind, sowie die Erweiterungsmöglichkeit des Verfahrensgegenstands gemäß § 13 KapMuG. Es dennoch im Rahmen der Beurteilung der
195 Insbesondere ist auf Grund der historischen Entwicklung sowie des Sinn und Zwecks der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG dem Vorschlag von Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 24 eine Absage zu erteilen. Er will das Feststellungsziel u. a. dann „enger fassen“, wenn die Fehlerhaftigkeit eines Börsenprospekts von der einen Hälfte der Kläger mit der Angabe A begründet wird, von der anderen Hälfte der Kläger jedoch mit der Angabe B, weil diese von der Unrichtigkeit der Angabe A Kenntnis hatten und ihnen demzufolge ein die Unrichtigkeit der Angabe A feststellender Musterentscheid im Individualverfahren nicht zum Sieg verhelfen kann; es sei deshalb vorzugswürdig, in dieser Fallkonstellation das Feststellungsziel und den zu Grunde liegende Lebenssachverhalt auf die Angabe A im Prospekt zu begrenzen, um die Vorlage entsprechend zu beschränken und der Klägergruppe 2 den Weg für ein eigenes Musterverfahren zu ebnen. Diese Argumentation übersieht nicht nur die sich auf sämtliche Streitpunkte erstreckende Entscheidungspflicht des Oberlandesgerichts (vgl. ausführlich § 4 Fn. 289), welche auch für die zweite Hälfte der Kläger einen mit ihrem Sachvortrag im Ausgangsverfahren kompatiblen Musterentscheid sicherstellt. Hinzu kommt, dass sich aus der positiven Feststellung des Streitpunktes B für die Klägergruppe 1 günstige Synergieeffekte im Hinblick auf die Kausalität und damit die Höhe des Schadensersatzes ergeben können. 196 Beispiel (vgl. hierzu auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 29; zustimmend zudem KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 15; § 7 Rn. 30): Die Wertpapieremittenten begehren in ihren Ausgangsverfahren Schadensersatz auf Grund einer fehlerhaften Adhoc-Mitteilung. Die Klagen sind jeweils gegen den Emittenten (aus § 37c WpHG) und den handelnden Vorstand (aus § 826 BGB; vgl. hierzu allgemein auch KK/Leisch, WpHG, §§ 37b, 37c Rn. 398 ff.) gerichtet. Die Unrichtigkeit der Mitteilung möchten sie im Wege des Musterverfahrens kollektiv feststellen lassen, wobei sie die Musterfeststellungsanträge gegen beide Schädiger richten. A. A. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 18 ff., der dafür plädiert, das Vorliegen des erforderlichen Vorlagequorums pro Beklagtem zu ermitteln. Sei es für jeden der Beklagten erreicht und bestehe bereits im Ausgangsverfahren eine Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite, so setze sich diese zwingend als notwendige im Musterverfahren fort. Wurden hingegen gegen einen Beklagten nicht ausreichend Musterfeststellungsanträge gestellt, der im Individualverfahren im Wege der subjektiven Klagehäufung in Anspruch genommen wurde, so sei dieser nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG zum Musterverfahren lediglich beizuladen. Er begründet diese Differenzierung mit Aspekten des klägerischen Rechtsschutzbedürfnisses sowie dem Gedanken, den Kläger nur mit einkalkulierten Kostenrisiken nach § 17 KapMuG zu belasten. Zweifelnd auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 [611]). Zu den Gegenargumenten vgl. ausführlich bereits zuvor S. 96 ff.; ähnlich KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 37. 197 Dies war bereits auf Basis des engeren Regierungsentwurfs zu § 4 Abs. 1 Satz 4 KapMuG-E, der die Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge definiert und dafür eine Identität von Feststellungsziel und Streitpunkten verlangt hatte, unstreitig; so explizit die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 21 f.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Gleichgerichtetheit zu fordern, wäre auf Grund der zuvor angestellten Überlegungen nicht zu rechtfertigen.198 Das Bedürfnis nach einer raschen und einheitlichen Feststellung mehrfach relevanter Entscheidungselemente wird durch eine Mehrzahl von Streitpunkten bzw. Parteien auf Beklagtenseite nicht gemindert, sondern erhöht.199 Nur so gelten sämtliche Anträge zu allen denkbaren Feststellungszielen bezüglich desselben Lebenssachverhalts als gleichgerichtet und können für das erforderliche Quorum nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG berücksichtigt werden.200 Dieses wäre demzufolge im Falle der Prospekthaftung nach § 44 BörsG beispielsweise bereits dann erreicht, wenn sich fünf Anleger nur gegen den Wertpapieremittenten wenden, fünf weitere zusätzlich gegen das emissionsbegleitende Kreditinstitut und die Kläger die Prospektunrichtigkeit teilweise auf die Angabe 1 und 2, teilweise auf die Angabe 1 und 3 stützen sowie einige von ihnen das Oberlandesgericht zugleich um die Feststellung des Beklagtenverschuldens im Musterverfahren ersuchen. Umgekehrt wäre die Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge zu verneinen, wenn sich etwa die Frage nach der Prospektunrichtigkeit auf unterschiedliche Prospekte desselben oder verschiedener Emittenten und damit auf unterschiedliche Lebenssachverhalte i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG bezöge. Gleiches gilt für Musterfeststellungsersuchen, die verschiedene Angebotsunterlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 WpÜG betreffen.201 Aus Klägersicht wäre es für eine Vorlage zudem ausreichend, wenn zehn einfache Streitgenossen des Ausgangsverfahrens jeweils einen auf die Durchführung eines Musterverfahrens gerichteten Antrag gestellt haben. Gleichgerichtetheit fordert nicht, dass die Anträge in zehn getrennten, also aktenmäßig gesondert erfassten, Verfahren gestellt sind. Vielmehr kommt es insoweit ausschließlich auf die Anzahl der Prozessrechtsverhältnisse an, da es sich in der Sache jeweils um selbständige Verfahren handelt.202 198 Vgl. hierzu bereits ausführlich im Rahmen der Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Lebenssachverhalts i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG auf S. 81 ff. 199 Vgl. Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; KK/G. Vollkommer, § 4 Rn. 28. 200 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2009, 79 (91 sowie insbes. 107). Vgl. zudem Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 4 Rn. 22; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 6 ff.; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 20, 28 f. sowie 37. Für einen Identität des Haftungssubjekts als Voraussetzung der Gleichgerichtetheit hingegen a. A. KK/Reuschle, KapMuG, § 2 Rn. 53. 201 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 21 f., 49; Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 20; Hecker, ZBB 2004, 903 (904); Kilian, KapMuG, S. 80; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (91). 202 So ausdrücklich BGH MDR 2008, 938 m.w. N. Vgl. zudem allgemein zur Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse im Falle der einfachen Streitgenossenschaft BGHZ 8, 72 (78); BGH MDR 1995, 57; MDR 1989, 899; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 61 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 61 Rn. 1 f.; HK/Kayser, ZPO, § 61 Rn. 1 ff.; MüKo/Schilken, ZPO, § 59 Rn. 22; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 61 Rn. 8. In das Klageregister ist folglich der Musterfeststellungsantrag eines jeden Streitgenossen geson-
B. Der Gegenstand des KapMuG
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III. Derzeitiger Streitstand zum musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstandsbegriff Die Begriffe Feststellungsziel, Streitpunkte sowie zugrunde liegender Lebenssachverhalt stellen Kernbestandteile des KapMuG dar. Sie finden sich in denjenigen Gesetzesvorschriften wieder, welche eng mit der Frage nach dem Gegenstand des neuen prozessualen Instituts des Musterverfahrens zusammenhängen. Bei den soeben vorgenommenen Begriffsbestimmungen wurde deutlich, dass das dem deutschen Zivilprozessrecht fremde Verfahrenskonzept und die in ihm verwandte neuartige Terminologie zu erheblichen Auslegungsunsicherheiten führten. Diese setzen sich bei der Bestimmung des Streitgegenstands des Musterverfahrens fort. Ungeklärt ist insbesondere, ob er die Elemente Feststellungsziel, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, und Lebenssachverhalt, § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, gleichermaßen enthält oder sich sein Inhalt auf Grund der Zielrichtung des Verfahrens auf einzelne Bestandteile beschränken muss. Bei der Antwort auf diese Frage ist wiederum203 zu berücksichtigen, dass sich der Gegenstand des Musterverfahrens umso mehr verengt, je mehr der vorgenannten Elemente an seiner Inhaltsbestimmung teilhaben. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Abgrenzung zwischen gleichen und verschiedenen Streitgegenständen aus und beeinflusst dadurch die Reichweite der Bindungs- und Präklusionswirkungen des Musterentscheids. Ferdinand Kruis204, Dorothee Erttmann und Thomas Keul 205, Andrea Leufgen 206, Christian Wolf sowie Sonja Lange207 sehen den Streitgegenstand des Musterverfahrens als durch das jeweilige Feststellungsziel umschrieben. Auch Martin Gebauer stellt insoweit ausschließlich auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ab. Den Streitpunkten nach § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG misst er keine erkennbare Bedeutung bei der Inhaltsbestimmung bei. Für ihn ist der Gegenstand von vornherein nur die Feststellung des Vorliegens oder Nichtdert einzutragen, vgl. § 2 Abs. 1 KapMuG. Aus zivilprozessualer Sicht insoweit nicht überzeugend KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 37; ders., NJW 2007, 3094 (3097). Abgesehen von den bei der von ihm erwogene Möglichkeit der Verfahrenstrennung (KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 38) auftretenden zivilprozessualen Bedenken erscheint eine dahingehende Vorgehensweise über § 145 ZPO zudem zu formalistisch und wenig prozessökonomisch. In diese Richtung auch Bergmeister, KapMuG, S. 208. 203 Vgl. insoweit bereits die Ausführungen zur Bestimmung des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auf S. 65 f. sowie insbesondere auch auf S. 70 ff., wo sich eine ähnliche Problematik stellt. 204 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 170. 205 Erttmann/Keul, WM 2007, 482 (485). 206 Leufgen, Kollektiver Rechtsschutz zugunsten geschädigter Kapitalanleger, S. 209. 207 Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 27 f., betonen, dass der Verfahrensgegenstand „aus den konkreten einzelnen Anspruchsvoraussetzungen heraus abgeleitet werden“. Unklar bleibt insoweit, ob auch die Streitpunkte am Streitgegenstand teilnehmen sollen.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
vorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen, wie es § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausdrückt.208 Für Ferdinand Kruis erfüllen die Streitpunkte lediglich die Funktion, den Prüfungsumfang für das oberlandesgerichtliche Verfahren festzulegen; wegen § 13 KapMuG soll damit keine materielle Präklusion verbunden sein.209 Demgegenüber orientieren sich der Bundesgerichtshof 210, das Landgericht Stuttgart 211, Herbert Roth212, Dieter Leipold 213, Max Vollkommer 214, Thomas Kilian 215, Burkhard Schneider 216, Timo Gansel und Andreas Gängel 217 an dem in der ZPO herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsverständnis. Der Streitgegenstand des Musterverfahrens würde durch das Feststellungsziel und die Streitpunkte gemeinsam umschrieben. Das Landgericht Stuttgart geht davon aus, dass die Streitpunkte entsprechend der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG nur die zur Begründung des Feststellungsziels dienenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände darstellen. Über sie würde im Musterentscheid – wie sich aus § 14 Abs. 1 i.V. m. § 4 Abs. 1 KapMuG ergebe – nicht entschieden, wenn sie nicht selbst als Feststellungsziele formuliert sind. Ebenso erwächst für Dieter Leipold die Entscheidung über das Feststellungsziel, das dem Antrag im Sinne des herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsverständnisses gleichzusetzen sei, im Musterentscheid in Rechtskraft. Max Vollkommer und Thomas Kilian 218 stellen zudem die Bedeutung des im Vorlagebeschlusses formulierten (globalen) Feststellungsziels als Bündelungsinstrument für die in den einzelnen Musterfeststellungsanträgen enthaltenen Feststellungsziele und der dazu insgesamt vorgetragenen Streitpunkte für die oberlandesgerichtliche Musterverfahrensdurchführung heraus.219 Ähnlich legt Gregor Vollkommer ein objektives Streitgegenstandsverständnis zu Grunde, bei dem der Vorlagebeschluss mit dem in ihm enthaltenen kollek208
Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (163 ff., insbesondere 173 oben). KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 172. 210 BGH ZIP 2008, 1326 (1327). 211 LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178). 212 Stein/Jonas/Roth, vor § 253 Rn. 5. 213 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 21 f. 214 Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 6 f. sowie 27. Aufl. 2009, § 325a Rn. 2. 215 Kilian, KapMuG, S. 52 sowie zur Bedeutung des Vorlagebeschlusses insbesondere S. 80. 216 B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253). 217 Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (15); offen hingegen Heidel/Gansel/Gängel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 1 KapMuG Rn. 4. 218 Kilian, KapMuG, S. 80; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 2, 8, 20 sowie 28; ähnlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 21. 219 So nur für das im Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungziel KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 169. 209
B. Der Gegenstand des KapMuG
105
tiven Feststellungsziel und allen Streitpunkten an die Stelle des Klageantrags tritt.220 Der Lebenssachverhalt nach § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG sei nicht bedeutsam. Ihm würde lediglich die Funktion zukommen, die einzelnen Musterfeststellungsanträge zu bündeln.221 Der Streitgegenstand bestimme sich demnach aus der Summe der vorgelegten Rechtsfragen und der im Rahmen des globalen Feststellungsziels festzustellenden Streitpunkte, welche zugleich das „Streitobjekt“ des Musterverfahrens bilden würden.222 Hierin bestünde auch der Entscheidungsgegenstand des KapMuG-Prozesses.223 Wolfgang Lüke setzt offenbar sogar das Feststellungsziel mit den Streitpunkten des Musterverfahrens gleich und sieht darin den Verfahrensgegenstand.224 Dorothea Assmann 225 und Josef Fullenkamp226 gehen demgegenüber davon aus, dass das Feststellungsziel zusammen mit dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt den Verfahrensgegenstand bestimmt. Carina Rau meint sogar, in die Inhaltsbestimmung müssten nicht nur das Feststellungsziel und die Streitpunkte einfließen. Vielmehr sei auch der Lebenssachverhalt als streitgegenstandsbestimmendes Element zu berücksichtigen, weil er die Streitpunkte in tatsächlicher Hinsicht ausfüllen, begründen und miteinander verbinden würde.227 Einen relativen Ansatz verfolgen hingegen Burkhard Hess, Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing. Für Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing begrenzt das Feststellungsziel, wie es im Vorlagebeschluss formuliert ist, den Gegenstand des Musterprozesses.228 Dem Gegenstand der vom Oberlandesgericht zu treffenden Feststellung sollen ihrer Ansicht nach jedoch ausschließlich die Streitpunkte unterliegen.229 Hingegen würden nach Auffassung von Burkhard 220 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 30. Diese Fixierung des Streitgegenstands spaltet den Streitgegenstand des Musterverfahrens im Interesse der übrigen Verfahrensbeteiligten sowie der betroffenen Prozessgerichte vom Willen der späteren Musterverfahrensparteien ab, KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 61. 221 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 6 Fn. 6. 222 Ungenauer noch G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096). 223 G. Vollkommer, § 9 Rn. 29. 224 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). Nach seiner Ansicht bildet den „Gegenstand des Musterverfahrens „[. . .] das sogenannte Feststellungsziel, d.h. die konkreten Streitpunkte (§ 13 KapMuG)“. Dieses Zitat stützt sich allerdings auf die Sichtweise von Maier-Reimer/Hans-Ulrich Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 und 103 ff.), die den Gegenstand des Musterverfahrens untechnisch begreifen und ihn letztlich von dem in Rechtskraft erwachsenden Streitgegenstand unterscheiden. 225 D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 134 f., die allerdings in den Streitpunkten den Lebenssachverhalt zu erblicken scheint. 226 Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 4. 227 Rau, KapMuG, S. 59 f. 228 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101). 229 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 sowie 103 ff., insbesondere 105), allerdings unklar im Hinblick auf die Rechtsfragen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 KapMuG.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Hess zwar das Feststellungsziel und die Streitpunkte den Streitgegenstand des Musterverfahrens beschreiben.230 Aber auch für ihn ist die Reichweite der Rechtskraft auf die einzelnen oberlandesgerichtlichen Aussagen zu den vorgelegten Streitpunkten begrenzt. Es sei folglich zwischen dem Entscheidungsgegenstand, der sich ausschließlich auf die konkreten Feststellungen des Musterentscheids konzentriere, und der Kanalisierungswirkung des Vorlagebeschlusses, in dem das allgemeine Feststellungsziel und der zugrunde liegenden Lebenssachverhalt niedergelegt würden, zu unterscheiden.231
IV. Eigene Ansicht zum Streitgegenstand des Musterverfahrens 1. Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung beim musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand Die prozessuale Situation beim KapMuG-Verfahren unterscheidet sich grundlegend von den individualistisch geprägten ZPO-Streitigkeiten. Ein Rückgriff auf die dort vorherrschende zweigliedrige Auffassung zum Streitgegenstand verbietet sich deshalb. Das Musterverfahren erfordert vielmehr eine Konzentration auf die einzelnen Prozessvorschriften, die auf den Musterstreitgegenstand Bezug nehmen. Die Vorzüge dieser Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Begriffsbildung des zivilprozessualen Streitgegenstands wurden in der Literatur bereits ausführlich dargestellt.232 Ein variables Verständnis bewirkt das Rückbesinnen auf die konkret in Rede stehende Prozesslage. Mit ihm lässt sich der Verfahrensgegenstand des KapMuG angemessen und flexibel an die dem deutschen Prozessrecht bislang nicht vertrauten Situationen einer zivilrechtlichen Massenstreitigkeit anpassen. Gleichzeitig verhilft eine relative Sichtweise dem gesetzgeberischen Willen und der Zielrichtung des KapMuG bestmöglich zur Geltung, weil der Sinn und Zweck seiner Vorschriften in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. In einem ersten Schritt gilt es, den Sinn und Zweck der im konkreten Einzelfall einschlägigen Vorschrift zu erfragen. Erst wenn dies feststeht, lässt sich beantworten, wie der Begriff des Streitgegenstands im Sinne der jeweiligen Regelung zu interpretieren ist. In diese normative Betrachtung sind die funktionalen Zusammenhänge zu den übrigen prozessualen Normen, die ebenfalls an den Ge230
KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 55. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6. 232 Stein/Jonas/Roth, vor § 253 Rn. 46 ff. sowie 41 m. z. w. N. Vgl. zudem den Überblick bei Beys, ZZP 105 (1992), 145 (157 ff.). 231
B. Der Gegenstand des KapMuG
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genstand des KapMuG anknüpfen, angemessen einzubeziehen.233 Dies gilt insbesondere für den Gegenstand des Musterentscheids nach § 16 KapMuG. Könnte dieser weiter sein als der Verfahrensgegenstand des laufenden Prozesses vor dem Oberlandesgericht, wären die Beteiligten möglicherweise mit Wirkungen des Musterentscheids konfrontiert, über die sie vorher nicht gestritten haben.234 Zu beachten ist darüber hinaus die Beziehung zwischen dem im Vorlagebeschluss nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG enthaltenen Feststellungsbegehren und der Funktion von Aussetzung und Sperrwirkung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 5 KapMuG. Diese Vorschriften bezwecken eine effektive Verfahrensbündelung und -beschleunigung.235 § 5 KapMuG soll verhindern, dass ein Prozessgericht ein weiteres Musterverfahren hinsichtlich solcher Feststellungsbegehren einleitet, die mit dem bereits laufenden oberlandesgerichtlichen Prozess in Zusammenhang stehen.236 Es gilt deshalb, den Begriff der Abhängigkeit von Parallelstreitigkeiten i. S. d. § 5, § 7 KapMuG unter dem Blickwinkel des bereits vorhandenen Vorlagebeschlusses, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, sowie dem gesetzgeberischen Bündelungsinteresse zu interpretieren. Umgekehrt muss die Auslegung der Gleichgerichtetheit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG die Folgewirkungen auf eine potentielle Aussetzung und Sperrwirkung berücksichtigen. Umso weiter deren Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG verstanden wird, umso eher hängt die Entscheidung über anhängige Parallelstreitigkeiten von dem vorgelegten Feststellungsbegehren ab. Werden an das Vorliegen gleichgelagerter Verfahren hingegen strengere Anforderungen gestellt, so verringert sich zwangsläufig die Anzahl derjenigen Fälle, in denen eine Abhängigkeit von Parallelstreitigkeiten zu bejahen ist. Mit dieser engen Sichtweise ginge die Gefahr von parallelen Musterverfahren zu gleich gelagerten Fragestellungen bezogen auf denselben Lebenssachverhalt einher. Um diese, der gesetzgeberischen Zielsetzung widersprechende, verfahrenstechnische Konsequenz zu vermeiden, ist ein großzügiger Ansatz angezeigt. 2. Bestimmung des Inhalts des musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs Das KapMuG ist auf eine Bündelung solcher Fragestellungen gerichtet, die sich gleichermaßen in einer Vielzahl von kapitalmarktrechtlichen Parallelstreitig233 Vgl. hinsichtlich der relativen Inhaltsbestimmung des zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriffs Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46. 234 Vgl. zu diesem Effekt bei der Rechtskraftwirkung Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 47; ferner zudem den ähnlichen Gedankengang bei Yoshimura, ZZP 83 (1970), 245 f. m.w. N. Zum objektiven Bindungsumfang des oberlandesgerichtlichen Musterentscheids nach § 16 KapMuG umfassend S. 220 ff. 235 BT-Drs. 15/5091, S. 24 f. 236 BT-Drs. 15/5091, S. 24.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
keiten stellen. Als Instrument hierfür dient der Vorlagebeschluss, § 4 KapMuG. Er vereinigt in sich gleichgelagerte Fragestellungen einer Mehrzahl von Personen, die dem Oberlandesgericht gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG zusammengefasst zur Entscheidung vorgelegt werden. Das im Vorlagebeschluss enthaltene Begehren um Feststellung bzw. Klärung bestimmt damit den Streitgegenstand der oberlandesgerichtlichen Musterverfahrensdurchführung.237 Die Reichweite seiner Musterfragestellung setzt dem oberlandesgerichtlichen Entscheidungsumfang Grenzen.238 Gegenstand des Kapitalanleger-Musterverfahrens sind die im Vorlagebeschluss gesammelten, mit den gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen nach § 1 Abs. 1 KapMuG beantragten, oberlandesgerichtlichen Entscheidungen. Der musterverfahrensrechtliche Streit geht um die mit dem Vorlagebeschluss kollektiv beantragten Feststellungen zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Tatbestandsvoraussetzungen bzw. zur Klärung vorgelegten Rechtsfragen. Streitgegenstand ist deshalb die Berechtigung der begehrten Feststellung bzw. der begehrten Stellungnahme zu einer (oder mehrerer) Rechtsfrage(n).239 Im Anschluss an das Musterverfahren sind die ausgesetzten Individualstreitigkeiten fortzusetzen.240 Der Musterentscheid richtet sich folglich darauf, die Voraussetzungen einheitlich festzustellen, die zu den in den Ausgangsprozessen begehrten Rechtsfolgeaussprüchen führen sollen.241 Der Streit im Musterverfahren dreht sich um die begehrten Feststellungen zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des in den Individualverfahren beantragten Subsumtionsschlusses.242 3. Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit dem musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand Im Rahmen der ZPO zielt die Diskussion um die Streitgegenstandsbestimmung im Kern auf die dahinter stehende Frage nach der Grenzziehung zwischen gleichen und verschiedenen Gegenständen. Während die eingliedrigen Lehren 237 Vgl. auch § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG sowie § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Wegen der Flexibilität des Begriffs „Feststellungsziel“ können in einem einzigen Vorlagebeschluss auch mehrere Feststellungsbegehren enthalten sein und/oder dem Oberlandesgericht mehrere Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt werden; hierzu ausführlicher S. 193 ff. 238 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 38 ff., 47, 88. 239 Vgl. hierzu für das ZPO-Verfahren, teilweise in unterschiedlichen Ausprägungen, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 92 Rn. 22 f.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 49 m.w. N. sowie v. a. auch Rn. 18; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 63. 240 Vgl. § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. 241 Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (175). 242 Vgl. insoweit auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 18, 20, 25, 48 f. sowie BT-Drs. 15/5695, S. 22 f.
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nur bei einem anderen Antrag zu einem anderen Verfahrensgegenstand gelangen, führen nach der zweigliedrigen Auffassung entweder der andere Antrag oder der andere Lebenssachverhalt zu diesem Ergebnis.243 Ähnlich beeinflusst die Frage nach der Teilhabe von Feststellungsziel, Streitpunkten und Lebenssachverhalt am Musterstreitgegenstandsbegriff die Abgrenzung. Besteht er einzig aus dem Feststellungsziel und ändert sich dieses, so verändert das den Streitgegenstand. Sollen an ihm hingegen auch die Streitpunkte und möglicherweise sogar der Lebenssachverhalt als weitere Elemente teilnehmen, so führt bereits die Veränderung eines dieser zusätzlichen Bestandteile zu einem anderen Gegenstand. a) Das Erfordernis einer Differenzierung zwischen Feststellungsziel und Streitpunkten Aufgrund dieser praktischen Konsequenzen ist es entgegen Wolfgang Lüke244, Timo Gänsel und Andreas Gangel 245 notwendig, zwischen Festsstellungsziel und Streitpunkten zu differenzieren. Wie sich an anderer Stelle schon zeigte, sind die Streitpunkte dem Feststellungsziel zugeordnet.246 Diese Unterscheidung liegt nicht nur auf der Linie des gesetzgeberischen Verständnisses.247 Sie ist qualitativer Natur und erlangt über die Frage nach der Grenzziehung beim Verfahrensgegenstand hinaus für die Bestimmung des oberlandesgerichtlichen Entscheidungsgegenstands Bedeutung. Die Differenzierung ermöglicht es, die Bindungswirkung des Musterentscheids nicht nur für die Feststellung eines Tatbestandsmerkmals, mithin des Feststellungsziels, eintreten zu lassen, sondern auch für die vom Oberlandesgericht festgestellten, tatsächlichen Elemente.248 Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des § 13 Abs. 1 KapMuG bestätigen diese Sichtweise. Das Verfahren soll im Interesse einer umfassenden Erledigung des Rechtsstreits über den Wortlaut der Vorschrift hinaus um die Feststellung weiterer anspruchsbegründender oder – ausschließender Voraussetzungen bzw. die Beantwortung weiterer Rechtsfragen ergänzbar sein.249 Diese ursprüng243
Vgl. auch Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 18. Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). 245 Gänsel/Gangel, NJ 2006, 13 (15). 246 Siehe S. 66 ff. 247 BT-Drs. 15/5091, S. 40 ff. 248 Zum zwingenden Erfordernis einer Erstreckung der objektiven Reichweite des Musterentscheids auf die Streitpunkte vgl. später S. 238 ff. sowie ferner S. 258 ff. 249 BT-Drs. 15/5091, S. 28; Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 13 Rn. 6; Kilian, KapMuG, S. 58 ff.; eingehender zur Auslegung dieser Norm S. 195 ff. Mit anderem Begründungsansatz, aber i. E. ebenso Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 ff.). Einschränkend hingegen KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 11 ff. A. A. Rau, KapMuG, S. 184. 244
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liche Zielsetzung hat der Gesetzgeber im Zuge des Neuformulierens der Norm nicht aufgegeben. Er wollte lediglich ihren Wortlaut sprachlich an die in § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 KapMuG legal definierten Begriffe anpassen.250 Der Vergleich von § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 KapMuG mit § 13 Abs. 1 KapMuG bestätigt die fehlende Identität von Feststellungsziel und Streitpunkten. Käme es auf das Feststellungsziel bei der Streitgegenstandsbestimmung als eigenständiges Element nicht an, bedürfte es weder einer Benennung noch einer Begründung desselben. Der Kläger könnte sich im Musterverfahren auf den bloßen Vortrag der Streitpunkte beschränken und direkt deren verbindliche Feststellung begehren.251 Dadurch würden sich sowohl der Musterverfahrensgegenstand als auch der Entscheidungsgegenstand auf die Streitpunkte verengen. Die Bindungswirkung des ergehenden Musterentscheids könnte nur letztere erfassen. Dies läuft dem vom Gesetzgeber intendierten breiten Ansatz252 zuwider. Auch der Standpunkt von Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing, dem Feststellungsziel einzig die Bedeutung beizumessen, im Wege einer erweiternden Auslegung des § 13 Abs. 1 KapMuG mittelbar die Einführung weiterer Streitpunkte zu ermöglichen, überzeugt deshalb nicht.253 b) Das Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses bestimmt den Streitgegenstand Das Feststellungsziel muss zwingend so an der Streitgegenstandsbestimmung teilhaben, wie es Eingang in den Vorlagebeschluss gefunden hat, vgl. § 4 Abs. 1, § 6 Satz 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 KapMuG. Ist der Vorlagebeschluss ungenau gefasst, kann das Oberlandesgericht zu Auslegungszwecken auf die einzelnen Musterfeststellungsanträge zurückgreifen.254 Jede Änderung des Feststellungsziels bewirkt eine Veränderung des Musterstreitgegenstands.255
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Siehe BT-Drs. 15/5695, S. 24. Vgl. zu den hiergegen sprechenden Gesichtspunkten ausführlicher auf S. 75 ff. A. A. insoweit KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 97 ff. und KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7, die generell auch tatsächliche Aspekte als taugliches Feststellungsziel zulassen wollen. 252 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24; Zypries, ZRP 2004, 177. 253 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 ff.). 254 So auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 169. Zu eng im Hinblick auf die Anforderungen an die Bestimmtheit des Musterfeststellungsantrags KK/G. Vollkommer, § 4 Rn. 17 Fn. 19; vgl. hierzu auch Fn. 173. 255 Vgl. hierzu auch die Ausführungen auf S. 146 f. 251
B. Der Gegenstand des KapMuG
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c) Die Unerheblichkeit von Streitpunkten und Lebenssachverhalt für die Bestimmung des Streitgegenstands Bei der Beantwortung der Frage, ob neben dem Feststellungsziel die Streitpunkte und/oder der Lebenssachverhalt als zusätzliche Elemente am Streitgegenstand des Musterverfahrens teilhaben, ist ein relativer Maßstab anzulegen. Maßgeblich für die Inhaltsbestimmung müssen Sinn und Zweck der einschlägigen Regelung sowie ihr verfahrenstechnischer Kontext sein.256 Zu beachten ist, dass eine ausschließlich auf das Feststellungsziel abstellende Sichtweise zu einem breiteren Streitgegenstandsbegriff führt. Hingegen wird er umso enger, je mehr zusätzlichen Elementen Teilhabe gewährt wird.257 Das KapMuG untergliedert sich in zwei zentrale Verfahrensabschnitte. Den Begriff des Lebenssachverhalts nennt es ausschließlich im Rahmen des Vorlageverfahrens. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG spielt er eine zentrale Rolle bei der Entscheidung des Prozessgerichts über das Vorliegen der für eine Vorlage erforderlichen Anzahl gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG. Ihm kommt deshalb maßgeblich die Funktion zu, mehrere Begehren nach § 1 Abs. 1 KapMuG zum Zwecke der gemeinsamen Entscheidung vor dem Oberlandesgericht zu bündeln.258 Die eigentliche Durchführung des Musterprozesses findet jedoch auf Basis des Vorlagebeschlusses statt. Es besteht kein Bedürfnis, den Lebenssachverhalt an der Gegenstandsbestimmung für diesen Verfahrensabschnitt teilhaben zu lassen. Dies würde den Streitgegenstand unnötig einengen und der im Interesse der Prozessökonomie erstrebten möglichst weitreichenden Bereinigung der Rechtsbeziehungen der Beteiligten im Musterverfahren entgegenstehen.259 Die Streitpunkte i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG bilden eine Sondermenge innerhalb des „zugrunde liegenden Lebenssachverhalts“ nach § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Für sie kann daher nichts anderes gelten. Anders als der gesamte Lebensvorgang werden sie zwar gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG unmittelbarer Bestandteil des Vorlagebeschlusses. Eine Teilhabe am Verfahrensgegenstand des Musterprozesses würde wiederum zu einer unnötigen Verengung führen und ist deshalb abzulehnen.
256 Vgl. zu diesem im Rahmen der vorliegenden Arbeit für das KapMuG vertretenen normativen Ansatz ferner S. 75 ff. und 84 ff. sowie für den Bereich der ZPO Stein/ Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46 sowie Rn. 51. 257 Vgl. insbesondere Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E Rn. 291 sowie ferner Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 18. 258 Ebenso KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 8 Fn. 6. 259 Vgl. auch die parallele Argumentation für ein relatives Verständnis vom zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff bei Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E Rn. 291 ff.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
d) Der Gegenstand der Bindungswirkung des Musterentscheids Eine andere Beurteilung ist mit Blick auf den Umfang der Bindungswirkung des Musterentscheids angezeigt. Sie darf einerseits nicht so weit gesteckt sein, dass eine Ausuferung des Streits droht, weil die Beteiligten befürchten müssen, mit weiteren Gründen präkludiert zu werden.260 Andererseits darf die Inhaltsbestimmung hier nicht dazu führen, dass eine Präklusionswirkung nur sehr begrenzt eingreift, wodurch faktisch eine Bereinigung der gestellten Musterfragen nicht zu erzielen wäre. Es erscheint sachgerecht, die Inhaltsbestimmung beim oberlandesgerichtlichen Entscheidungsgegenstand mehrgliedrig vorzunehmen. Der Umfang der Bindungswirkung muss sich auf den zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG beschränken.261 Die vorgetragenen Streitpunkte nehmen als Sonderbestandteile innerhalb der Gesamtmenge Lebensvorgang262 zwangsläufig am musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstand teil. Dadurch lässt sich der in das Musterverfahren transportierte Sachverhalt von einem anderen tatsächlichen Vorgang abschichten, der eine eigenständige Haftungskette nach sich zieht und dementsprechend zu einem gesonderten Musterprozess führen kann. Nur so ist beispielsweise bei zweierlei Haftungsbegehren nach § 44 BörsG ersichtlich, auf welche konkrete Publikation als haftungsauslösendem Informationsträger sich die ergangene Musterentscheidung und damit deren Bindungswirkung bezieht. Die Bedeutung dieser Grenzziehung lässt sich anschaulich anhand der Fallkonstellationen von S. 64 und S. 86 verdeutlichen: Geht es in zwei verschiedenen Musterverfahren um ein identisch formuliertes Feststellungsziel, das mit jeweils identischen Streitpunkten begründet wird, so sind die beiden Haftungskomplexe nur anhand ihres tatsächlichen Anknüpfungspunkts, also des jeweiligen Lebenssachverhalts i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG voneinander unterscheidbar. Die in § 4 Abs. 1 KapMuG i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG niedergelegten Anforderungen an eine gemeinsame Vorlage spiegeln sich im Bindungsumfang der oberlandesgerichtlichen Entscheidung wieder. Gleichzeitig kann die Präklusionswirkung vollumfänglich hinsichtlich derjenigen Tatsachen aus dem vorgelegten Haftungsvorgang eintreten, die im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung im Musterprozess zwar schon existent waren, allerdings von den Beteiligten nicht vorgebracht worden sind.263
260 Vgl. die parallele Argumentation im Hinblick auf die Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 61. 261 Vgl. zu dem vergleichbaren Ansatz der Vertreter eines normativen Streitgegenstandsverständnisses im Rahmen des zivilprozessualen Urteilsgegenstand Stein/Jonas/ Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 61. 262 Siehe hierzu näher S. 112 f. sowie zur Teilnahme an der Bindungswirkung S. 238 ff. und 258 ff. 263 Vgl. zur Präklusionswirkung zudem später S. 235 ff. und 253.
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Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing ist im Ergebnis zuzustimmen, dass der Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands im Interesse einer sachgerechten Reichweite der Bindungswirkung des Musterentscheids anders zu bestimmen ist als diejenige des Gegenstands des laufenden Musterprozesses.264 Gleichwohl überzeugt es nicht, die Funktion des Feststellungsziels einzig darin zu erblicken, im Wege einer erweiternden Auslegung des § 13 Abs. 1 KapMuG mittelbar das Einführen weiterer Streitpunkte zu ermöglichen, es aber nicht an dem oberlandesgerichtlichen Entscheidungsgegenstand teilhaben zu lassen.265 Bei dessen Begrenzung auf die Streitpunkte würde entgegen den gesetzgeberischen Vorgaben hinsichtlich eines jeden Streitpunkts ein gesonderter Gegenstand vorliegen.266 Bereits der Wechsel von einem Streitpunkt zu einem anderen wäre als Streitgegenstandsänderung anzusehen, obwohl jeder von ihnen letztlich nur der Begründung des Feststellungsziels dient, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG.267 Ändert sich allerdings lediglich die Begründung, berührt dies den objektiven Bindungsumfang gerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nicht.268 Die Parteien müssten keine Präklusion derjenigen Streitpunkte befürchten, die sie im laufenden Musterverfahren bereits hätten vortragen können, dies aber unterließen. Eine Rechtsbefriedung und weitgehende Bereinigung von kollektiv zu beantwortenden Fragen im Musterverfahren träte nicht ein.269 Der Gegenstand der oberlandesgerichtlichen Musterentscheidung muss deshalb das Feststellungsziel sowie denjenigen Lebensvorgang, welcher der Vorlageentscheidung nach § 4 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG zu Grunde liegt, umfassen. 4. Der Einfluss von Kognitionsschranken auf den musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstand Im Bereich des Zivilprozessrechts werden Kognitionsschranken im Hinblick auf die Vorschriften über Rechtsweg und Zuständigkeit relevant. Diese Normen können möglicherweise dazu führen, dass der Richter nicht alle Klagegründe prüfen darf, welche die vom Kläger begehrte Rechtsfolge rechtfertigen würden. Derartige Kognitionsbeschränkungen haben zwingend zur Folge, dass sich der
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Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 ff.). Zur Frage der Möglichkeit zur Erweiterung des Musterverfahrensgegenstands später auf S. 185 ff. 266 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 21, 49. 267 Das wollte der Gesetzgeber gerade vermeiden, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 49. 268 Vgl. für das ZPO-Verfahren BGH NJW-RR 1996, 891 (892 m.w. N.). Diesen Grundsatz wollte der Gesetzgeber auch für den Gegenstand des KapMuG beibehalten, BT-Drs. 15/5091, S. 49. 269 Vgl. zu dieser Zielsetzung BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/ 5695, S. 2, 22, 24. Siehe zur Bedeutung dieser Aspekte im Rahmen des Zivilprozesses Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E, F Rn. 297. 265
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Streitgegenstand auf diejenigen rechtlichen Aspekte verengt, die untersucht werden dürfen.270 So konnten nach früher herrschender Meinung in einem bestimmten Gerichtsstand nur die vom Gesetz hierfür ausdrücklich zugelassenen Klagegründe untersucht werden. Zwischenzeitlich wird zunehmend mit Blick auf § 17 Abs. 2 GVG sowie aus Gründen der Prozessökonomie und wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen vertreten, dass jedenfalls bei einem einheitlichen Sachverhalt über die konkurrierenden Anspruchsgrundlagen mitentschieden werden darf.271 Ein Verletzter kann demnach etwa im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO nicht mehr lediglich seine auf eine unerlaubte Handlung gestützten Schadensersatzansprüche einklagen. Vielmehr kann er vor dem angerufenen Gericht darüber hinaus sämtliche Parallelansprüche geltend machen, die hierzu in Anspruchskonkurrenz stehen. Das nach § 32 ZPO angerufene Gericht ist im Rahmen des einheitlichen prozessualen Anspruchs befugt, nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu urteilen.272 Im Bereich des KapMuG sind Kognitionsschranken auf Grund seines besonderen Anwendungsbereichs praktisch sehr bedeutsam. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG erfordert eine normative Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstands. Das Gesetz selbst ordnet hier Verschiebungen gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsverständnis an. Dadurch wird der Gegenstand des Kapitalanleger-Musterverfahrens inhaltlich einerseits enger, andererseits zugleich weiter als der zivilprozessuale „Anspruch“. Daneben beeinflussen die Anordnungen in § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG die musterverfahrensrechtliche Gegenstandsbestimmung. Sie gewähren nur solchen Fragen Eingang in den Musterprozess, die sich mit Breitenwirkung beantworten lassen. a) Inhaltliche Begrenzung gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff aa) Begrenzungen auf Grund von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Der Gegenstand des KapMuG ist in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Das Oberlandesgericht darf – im Gegensatz zu dem zivilprozessualen Anspruchsbegriff, der grundsätzlich von konkreten materiellen Normen losgelöst ist273 – nur die in 270
Vgl. Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E Rn. 295. Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Vor § 12 Rn. 8; vgl. auch Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32 Rn. 20; siehe ferner Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl V E Rn. 295. 272 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 32 Rn. 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 32 Rn. 16; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 32 Rn. 20. A. A. MüKo/Patzina, ZPO, § 32 Rn. 19. 273 Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 6 und v. a. Rn. 8 m. z. N. 271
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§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 KapMuG normierten Begehren prüfen. Der Streitgegenstand ist von vornherein auf bestimmte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation bzw. auf vertragliche Erfüllungsansprüche wegen eines Angebots nach dem Wertpapiererwerbsund -Übernahmegesetz und damit einen eingeschränkten materiellrechtlichen Bereich reduziert. Innerhalb dieses Spektrums leitet er sich weiter aus Einzelvoraussetzungen der in § 1 Abs. 1 KapMuG genannten Vorschriften ab. Nur diese, nicht jedoch der gesamte Anspruch können prüfbarer Gegenstand des KapitalanlegerMusterverfahrens sein.274 bb) Begrenzungen auf Grund von § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG Darüber hinaus bringt der kollektive Charakter des KapMuG weitere Kognitionseinengungen mit sich.275 Dies kommt in § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG zum Ausdruck. Die Effizienz einer gemeinsamen Rechtsverfolgung hängt entscheidend davon ab, inwieweit sich die materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen bzw. Haftungstatbestände sinnvoll bündeln lassen. Je weniger sie von individuellen Faktoren abhängen und dementsprechend Tatsachenund Rechtsfragen einer einheitlichen Beantwortung zugänglich sind, umso mehr eignen sie sich für eine gebündelte Feststellung ihrer Voraussetzungen.276 Aus diesem Grund muss das Prozessgericht Musterfeststellungsanträge, mit denen um Feststellungen ersucht wird, die in den jeweiligen Ausgangsverfahren der Antragssteller individuell zu treffen und nicht verallgemeinerungsfähig sind, als unzulässig zurückweisen, § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG.277
274 BGH ZIP 2008, 1327 (1328); KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 92; vgl. auch Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 28. So kann beispielsweise nicht die Musterfeststellung beantragt werden, „dass die Ad-hoc-Mitteilung vom XY. unrichtig war und deshalb gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden können“ hierzu zutreffend OLG München AG 2008, 219 (220). Unzutreffend war daher auch das Feststellungsziel im Fall Deutsche Telekom AG formuliert, vgl. hierzu auch Fn. 331. 275 Vgl. Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164); Hess, AG 2003, 113 (123 ff.); Reuschle, WM 2004, 2334 (2335). 276 Vgl. Hess/Michailidou, WM 2003, 2328 (2318 f.); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738); Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164 f.). 277 BGH ZIP 2008, 1326 (1327); ZIP 2008, 137 m. Anm. P. Balzer/Warlich, EWiR 2008, 119; BT-Drs. 15/5091, S. 21; Kilian, KapMuG, S. 41; vgl. zudem KK/Casper, KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 16 f.; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164 f.); KK/ Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 13; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91, vgl. zudem 226 ff.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (89); Assmann/Schneider/Sethe, Wertpapierhandelsgesetz, §§ 37b, 37c Rn. 139; G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096); Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 38; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 7 und 19. Vgl. ferner Bergmeister, KapMuG, S. 203.
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Ob ein Antragsteller unzulässige oder mit Breitenwirkung klärbare Fragen aufgeworfen hat, lässt sich leicht am Beispiel der Haftung nach §§ 44 f. BörsG demonstrieren. Die Tatbestandsmerkmale der Anspruchsgrundlage sind in zwei Gruppen einteilbar. Die erste bilden diejenigen Anspruchsvoraussetzungen, bei denen sich die Umstände, anhand derer über ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen zu entscheiden ist, einheitlich feststellen lassen. Bei der zweiten Kategorie kommt es – zumindest auch – auf individuelle Faktoren an. Zu der ersten Gruppe gehören stets die Richtigkeit einer Prospektangabe, Verschuldensaspekte seitens der Prospektverantwortlichen278 sowie die haftungsausfüllende Kausalität279. Ebenso ist die Feststellungsfähigkeit der haftungsbegründenden Kausalität nicht von vornherein zu verneinen.280 Demgegenüber sind die Erwerbereigenschaft des einzelnen Klägers, eine etwaige Kenntnis des Kapitalanlegers von der Unvoll278 Zwar ist es denkbar, dass die Anleger unterschiedliche Anspruchsgegner in Anspruch nehmen, da gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BörsG sowohl der Emittent als auch die emissionsbegleitenden Kreditinstitute und die Urheber des Prospekts in Frage kommen. Gerade im Hinblick auf einen Haftungsausschluss nach § 45 Abs. 1 BörsG lassen sich aber die Tatsachen, anhand derer sodann über die Einhaltung bestehender Sorgfaltspflichten durch die jeweilige Beklagtenperson zu befinden ist, einheitlich feststellen. Den Einzelverfahren verbleibt insoweit nur mehr die Klärung individueller Tatsachenfragen. Zu undifferenziert insoweit Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153). 279 Der haftungsausfüllenden Kausalität kommt im Rahmen der Prospekthaftung gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 2 BörsG ein anspruchsausschließender Charakter zu. Sie ist einer Klärung im Musterverfahren zugänglich, weil ihr gerade kein individueller Tatsachenverlauf zu Grunde liegt. Dadurch lässt sich für eine Vielzahl von Anlegern einheitlich feststellen, ob sie vorliegt oder nicht (KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 93; vgl. ferner BT-Drs. 15/5091, S. 20; Hess/Michailidou, WM 2003, 2318 [2319]; MaierReimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [99]; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 [2738]; Reuschle, WM 2004, 2334 [2335]; a. A. Meyer, WM 2003, 1349 [1354]). Anders auch noch die Begründung zum Diskussionsentwurf des KapMuG, Beilage zu NZG Heft 11/ 2004, S. 14 sowie abrufbar im Internet (vgl. § 2 Fn. 44). 280 Die haftungsbegründende Kausalität betrifft den Umstand, dass die Prospektangaben für den Erwerbsvorgang ursächlich waren. Der Gesetzgeber hat sie gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG als Haftungsausschluss formuliert. Die haftungsbegründende Kausalität wird daher regelmäßig nur dann in einem Rechtsstreit näher zu behandeln sein, wenn der Haftungsadressat die gesetzliche Vermutung ihres Vorliegens zu widerlegen versucht. Der Gegenbeweis wird durch das Verkaufsprospektegesetz zudem faktisch ausgeschlossen, weil der Prospekt vor jedem öffentlichen Angebot zu veröffentlichen ist (vgl. KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 71 ff., insbesondere Rn. 72 f., auch ausführlich zur Feststellungsfähigkeit einzelner Kausalitätsfragen im Musterverfahren; Schimansky/Bunte/Lwowski/Grundmann, Bankrechtshandbuch, § 112 Rn. 54; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.99; Reuschle, KapMuG, S. 32). Die haftungsbegründende Kausalität kommt als Musterfrage jedenfalls dann in Betracht, wenn der Haftungsadressat den Gegenbeweis einer fehlenden Anlagestimmung erbringen möchte (zutreffend KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 72; siehe allgemein zum Gegenbeweis, die Anlagestimmung habe von vornherein gefehlt oder sei nachträglich zerstört worden, Schäfer/Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rn. 252 ff., insbesondere Rn. 252 und 258). Soweit hingegen die Kausalitätsvermutung im Einzelfall betroffen ist, etwa die individuelle Anlegerkenntnis von Insidertatsachen, so lässt sich der Beweis des Gegenteils nicht im Musterverfahren führen (vgl. auch KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 73). Zu undifferenziert hingegen Reuschle, KapMuG, S. 32.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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ständigkeit oder Unrichtigkeit des Prospekts beim Erwerb der Wertpapiere sowie ein Mitverschulden des Anlegers oder Verjährungsfragen von individuellen Merkmalen geprägt. Sie sind folglich für jeden einzelnen Anleger gesondert festzustellen.281 Mangels kollektivierbaren Charakters können sie deshalb von vornherein keinen Eingang in das Musterverfahren finden. cc) Abgrenzung zwischen tatsächlichem und normativem Streitgegenstand sowie Verbescheidung bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1 KapMuG Selbstverständlich kann der Anleger mit seinem Musterfeststellungsantrag um solche Feststellungen ersuchen, die einer individuellen Klärung in seinem landgerichtlichen Ausgangsverfahren vorbehalten sind. Diese Möglichkeit ist allerdings rein tatsächlicher Natur und vermag den Gegenstand des Musterverfahrens nicht zu beeinflussen. Entscheidend ist nur, was Musterstreitgegenstand nach den gesetzlichen Vorgaben sein darf bzw. muss, mithin normativ betrachtet sein Gegenstand ist.282 Diese Anforderung lässt sich anschaulich anhand der vor dem Landgericht Frankfurt a. M. gegen die Deutsche Telekom AG geführten Prospekthaftungsklagen und der in diesen Verfahren von den Anlegern gestellten Musterfeststellungsanträgen rechtfertigen. Die Kläger haben dort ihr Feststellungsziel folgendermaßen formuliert: „Feststellung, dass die in dem Aktienprospekt (Prospekt nach dem Wertpapierprospektgesetz i. S. d. § 1 WpPG) der Beklagten vom 26.05.2000, dessen Gegenstand 512.000.000 A auf den Namen lautende Stückaktien der Deutschen Telekom AG, eingeteilt in 200.000.000 Stückaktien mit einem auf die einzelne Stückaktie entfallenden rechnerischen Anteil am Grundkapital von 2,56 A, sowie bis zu 76.800.000 A auf den Namen lautende Stückaktien der Deutschen Telekom AG, eingeteilt in bis zu 30.000.000 Stückaktien mit einem auf die einzelne Stückaktie entfallenden rechnerischen Anteil am Grundkapital von 2,56 A im Hinblick auf die den Konsortialbanken eingeräumte Mehrzuteilungsoption, jeweils aus dem Bestand der Kreditanstalt für Wiederaufbau, jeweils mit Gewinnberechtigung ab dem 1. Januar 2000 ist, für die Beurteilung der angebotenen Wertpapiere enthaltenen wesentlichen Angaben unrichtig bzw. unvollständig sind u n d d e n K l ä g e r n d a h e r e i n A n s p r u c h a u s P r o s p e k t h a f t u n g g e m ä ß § 4 4 B ö r s e n g e s e t z z u s t e h t .“ 283 281
Vgl. KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 109. Eingehend zu dieser Abgrenzung im Rahmen des zivilprozessualen Streitgegenstands, Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1985, Einl V E Rn. 285 ff., insbesondere 295. 283 Hervorhebungen durch die Verfasserin. Es handelt sich um einen im Verfahren Deutsche Telekom AG vor dem Landgericht Frankfurt a. M. gestellten Musterfeststellungsantrag, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) am 1. Juni 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 3-07 O 234/01 KapMuG I. Der wortlautgetreue Vorlagebeschluss des LG Frankfurt a. M. v. 11. Juli 2006 (zur Internetversion vgl. etwa § 1 Fn. 54) ist zudem abgedruckt in ZIP 2006, 1730 (1730 f.). 282
118
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger in ihren Anträgen nicht lediglich das Datum des Prospekts und seinen Herausgeber bezeichnet, sondern darüber hinaus seinen Gegenstand detailliert beschrieben haben. Die genannten Angaben hätten den an die Antragsbestimmtheit zu stellenden Anforderungen genügt. Der Gegenstand der begehrten Feststellung lässt sich anhand dieser Eckdaten zweifelsfrei identifizieren. Abgesehen davon ist die im Antrag aufgeworfene Frage, ob den Klägern ein Anspruch aus § 44 BörsG zusteht, einer umfassenden Feststellung entzogen. Sie bezieht sich, wie zuvor dargelegt, auch auf individuelle Tatbestandsmerkmale.284 Prüfbarer Gegenstand im Musterverfahren kann nur die begehrte Klärung sein, ob die in dem Prospekt enthaltenen wesentlichen Angaben unrichtig oder unvollständig sind. Entgegen vereinzelter Stimmen im Schrifttum285 und einer Tendenz in der Rechtsprechung286 darf Musterverfahrensgegenstand – jedenfalls im Hinblick auf die Prospekthaftung nach § 44 BörsG – ebenso wenig das Ersuchen sein, ob dem Kläger ein Anspruch dem Grunde nach zusteht.287 Wie bereits dargelegt, lassen sich nicht alle Haftungsvoraussetzungen für eine Vielzahl von Personen einheitlich feststellen. Nach herkömmlichem zivilprozessualem Verständnis umfasst die Feststellung des Vorliegens eines Anspruchsgrundes in materiellrechtlicher Hinsicht jedoch sämtliche anspruchsbegründenden Voraussetzungen sowie Einwendungen und Einreden.288 Abgesehen davon darf das Prozessgericht nicht von 284 Ebenso OLG München AG 2008, 219 (229); OLGReport 2007, 677 (678); D. Assmann, EWiR 2007, 151 (152); G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096); Kilian, KapMuG, S. 43. Vgl. auch KG Berlin, Beschluss (Musterentscheid) v. 4. November 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 11. März 2009 vom KG Berlin (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). 285 Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, § 9 Rn. 13 Fn. 30. Zweifelnd Kilian, KapMuG, S. 43. 286 LG München I (27. Zivilkammer), Bekanntmachungsbeschluss v. 25. April 2006, Az.: 27 O 7271/06 („EM.TV“), S. 4, unveröffentlicht; Beschluss v. 16. März 2006, Az.: 27 O 3657/06 („EM.TV“), S. 5, unveröffentlicht. Vgl. zudem LG München I EWiR 2007, 151. 287 LG München I (12. Zivilkammer), Zurückweisungsbeschluss v. 14. Juli 2006, Az.: 12 O 25580/05 („EM.TV“), S. 9 f., unveröffentlicht. Folgerichtig auch LG Frankfurt a. M., Berichtigungsbeschluss v. 23. Juni 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 25. Juni 2008 vom OLG Frankfurt a. M. (Stand: 1. Oktober 2009), Az. 23 Kap 1/06 („Deutsche Telekom AG“): Aus dem im ursprünglichen Vorlagebeschluss formulierten Feststellungsziel wurde auf Antrag des Musterklägers der Zusatz „. . . und den Klägern daher ein Anspruch aus Prospekthaftung gemäß § 44 Börsengesetz zusteht“ gestrichen. Zutreffend ferner D. Assmann, EWiR 2007, 151 (151 f.); Meyer, WM 2003, 1349 (1354). 288 Vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 304 Rn. 5 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 304 Rn. 10, 14 m. z. w. N.; vgl. zudem Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 6 f.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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vornherein davon ausgehen, der Antragsteller würde das Oberlandesgericht um Feststellungen zu sämtlichen breit klärbaren Tatbestandsvoraussetzungen der im Individualverfahren in Rede stehenden Haftungsnorm bitten wollen. Es muss sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 i.V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG an dem konkreten Inhalt des Musterfeststellungsantrags und dem darin zum Ausdruck gebrachten Willen orientieren.289 Ist der Antrag unvollkommen, kann es durch richterlichen Hinweisbeschluss gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO das Stellen eines weitreichenderen Musterfeststellungsantrags anregen und so auf eine möglichst umfassende Vorlage hinwirken.290 Im Fall Deutsche Telekom AG ging aus der Antragsformulierung hervor, dass den Anlegern vor allem daran gelegen ist, das Vorliegen der Prospektunrichtigkeit, mithin nur einen Teilaspekt des Haftungsgrundes nach § 44 BörsG, gerichtlich zu klären. Die Formulierung „dem Grunde nach“ würde diese Absicht nicht widerspiegeln und wäre deshalb zu weit.291 Dies verdeutlicht auch der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Nach dieser Vorschrift darf mit einem Musterfeststellungsantrag – neben der Klärung einer Rechtsfrage – ausschließlich die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Anspruchsvoraussetzungen begehrt werden. Nur solche dürfen und müssen mithin Gegenstand einer musterverfahrensrechtlichen Fragestellung sein. Ersucht der Antragsteller um die Feststellung nicht prüfbarer Aspekte, so hat das Prozessgericht einen darauf lautenden Antrag wegen § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 i.V. m. § 1 Abs. 3 Satz 2 KapMuG durch Beschluss – bei Teilbarkeit als insoweit – unzulässig zurückzuweisen.292 Enthält der Musterfeststellungsantrag sowohl einheitlich feststellbare Fragestellungen als auch solche, die sich nur individuell 289
Vgl. hierzu S. 122 f. und 128. Ebenso Kilian, KapMuG, S. 46; vgl. auch Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 43; a. A. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114, der aus Präklusionsgesichtspunkten zu einer möglichst engen Formulierung des Feststellungsziels rät. 291 Ebenso OLG München AG 2008, 219 (220). LG München I (12. Zivilkammer), Zurückweisungsbeschluss v. 14. Juli 2006, Az.: 12 O 25580/05 („EM.TV“), S. 9 f., unveröffentlicht; Meyer, WM 2003, 1349 (1354); offen Kilian, KapMuG, S. 43. Unzutreffend hingegen LG München I, Beschl. v. 16. März 2006, Az.: 27 O 3657/06, siehe hierzu EWiR 2007, 151 (Anm. D. Assmann); KK/G. Vollkommer, § 4 Rn. 65, der im Hinblick auf § 826 BGB bzw. § 37 c WpHG als zulässiges Feststellungsziel „die Haftung des Beklagten wegen der unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung“ erachtet; ders., NJW 2007, 3094 (3096), mit ähnlichem Formulierungsbeispiel. 292 Ist ein Musterfeststellungsantrag in einem Teil zu weit gefasst, so führt dies nur dann zu Zurückweisung im Ganzen, wenn die zulässige reduzierte Feststellung nicht mehr im Interesse des Antragstellers liegt. Das Prozessgericht hat zunächst gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Gegebenenfalls kommt auch eine Auslegung des von der Partei tatsächlich Gewollten in Betracht. Ist ein entgegenstehender Wille des Antragstellers nicht erkennbar, so hat das Prozessgericht lediglich den unzulässigen Antragsteil zurückzuweisen, muss den zulässigen Teil jedoch gemäß § 2 KapMuG im Klageregister bekannt machen, OLG München AG 2008, 219 (220). Ebenso Kilian, KapMuG, S. 44; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 66 f., 73. 290
120
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
im jeweiligen Ausgangsverfahren vor dem Landgericht beantworten lassen, so muss aus rechtsstaatlichen Gründen im Hinblick auf Letztere eine Teilzurückweisung erfolgen.293 Hätte die Beklagte im Verfahren Deutsche Telekom AG etwa auf klägerseitige Musterfeststellungsanträge mit einem Gegenantrag reagiert, in welchem sie sowohl negativ das Nichtvorliegen von Prospektfehlern als auch die eingetretene Verjährung des Anspruchs festzustellen begehrte, so wäre dem Antrag bezüglich des ersten Feststellungsziels stattzugeben. Bezüglich der Verjährungsfragen müsste ihn das Prozessgericht als im Übrigen unzulässig zurückweisen.294 b) Inhaltliche Erweiterung gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff Mit den soeben dargestellten Kognitionsverengungen geht in anderer Hinsicht zugleich eine Erweiterung des Streitgegenstandsbegriffs gegenüber dem zivilprozessualen Verständnis einher. Hierüber kann die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass den Gegenstand des KapMuG die im Vorlagebeschluss zusammengefassten Anträge und ein Begründungssachverhalt bestimmen, der sich nochmals in die substantiierenden Streitpunkte und die übrigen Aspekte des zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts unterteilt. Das Feststellungsziel ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG mit dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder der Klärung von Rechtsfragen umrissen. Dem Oberlandesgericht ist aufgegeben, Feststellungen im Hinblick auf nur einzelne Elemente oder Subsumtionsschlüsse einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage zu treffen.295 Der Musterstreitgegenstand leitet sich aus konkreten Anspruchsvoraussetzungen ab.296 Er ist nicht wie der zivilprozessuale Anspruchsbegriff von diesen losgelöst. Dadurch erstreckt sich die Spannweite feststellungsfähiger Sachverhalte weit über das Maß des § 256 Abs. 2 ZPO hinaus. Diese zivilprozessuale Vorschrift erfordert zumindest die Feststellung eines Rechtsverhältnisses. Ein sol293 So explizit etwa OLG München AG 2008, 219 (220). Vgl. ferner D. Assmann, EWiR 2007, 151. 294 Vgl. OLG München AG 2008, 219 (220); Kilian, KapMuG, S. 44; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 66 f. und 73; i. d. S. auch LG Stuttgart ZIP 2006, 1731 (1732; veröffentlicht zudem im Klageregister, vgl. § 1 Fn. 56 [Stand: 1. Oktober 2009], „DaimlerChrysler“). A. A., jedoch ohne Begründung, KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 257. 295 Vgl. Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anhang § 77 Rn. 6; wobei sich die dort getroffene Aussage, diese Definition sei „abstrakt“ und denkbar „weit“ zu verstehen, auf einen Vergleich zum Feststellungsinhalt des § 256 Abs. 2 ZPO bezieht; M. Vollkommer selbst trennt klar zwischen den unterschiedlichen Begriffen Feststellungsziel einerseits und Streitpunkten andererseits, Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 77 Rn. 6 f. 296 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 20, 42.
B. Der Gegenstand des KapMuG
121
ches kann ein einzelnen Tatbestandsmerkmal bzw. eine einzige Rechtsfrage allerdings weder begründen noch verändern oder aufheben. Die im Musterverfahren eröffneten Möglichkeiten der Antragsstellung bewirken folglich eine Ausdehnung des Streitgegenstandsbegriffs auf Einzelelemente einer Rechtsbeziehung.
V. Zwischenergebnis Die in der ZPO herrschende Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff lässt sich nicht auf das KapMuG übertragen. Der Zweck des Gesetzes, die gestellten Musterfragen umfassend und abschließend zu beantworten, erfordert eine normativ-variable Interpretation des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands. Bei dieser Inhaltsbestimmung rücken der Sinn und Zweck der jeweils einschlägigen Verfahrensvorschriften sowie deren verfahrenstechnischer Kontext in den Mittelpunkt der Betrachtung. Daraus folgt, dass im Rahmen des KapMuGProzesses zwischen dem Verfahrensgegenstand und dem Entscheidungsgegenstand zu differenzieren ist. Zudem unterliegt der Gegenstand des KapMuG im Verhältnis zum herrschenden zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff gemäß § 1 KapMuG einerseits einigen Kognitionsverengungen, insbesondere hinsichtlich des engen Anwendungsbereichs des Gesetzes. Andererseits bedingt die Vorschrift zugleich eine inhaltliche Ausdehnung über das Maß des § 256 Abs. 2 ZPO hinaus. Im Musterverfahren nach dem KapMuG sind bloße Einzelelemente einer Rechtsbeziehung feststellungsfähig. Der musterverfahrensrechtliche Streit geht um die Berechtigung der begehrten Feststellung einer kollektivierbaren Tatbestandsvoraussetzung bzw. der Klärung einer Rechtsfrage. Eine möglichst umfassende Klärung mehrfach relevanter Entscheidungselemente lässt sich nur mit einem weiten Verständnis vom Gegenstand des Musterverfahrens erreichen. Er umfasst deshalb nur das globale Feststellungsziel, wie es im Vorlagebeschluss auf Basis der gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge niedergelegt wurde. Nicht enthalten sind die vorgetragenen Streitpunkte oder der Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Dies würde zu einer ungerechtfertigten Verengung des Verfahrensgegenstands führen. Bei der Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands ist zu berücksichtigen, dass er zu einem sachgerechten Umfang der Bindungs- und Präklusionswirkungen des Musterentscheids führen muss. Sie ist deshalb mehrgliedrig vorzunehmen. Der Gegenstand der oberlandesgerichtlichen Musterentscheidung beschränkt sich auf den Lebenssachverhalt, der dem vorgelegten Feststellungsziel zu Grunde liegt.297
297 Umfassend zum Inhalt des Entscheidungsgegenstands nach dem KapMuG S. 220 ff.
122
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
VI. Die Bedeutung des Vorlagebeschlusses für den Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Streitgegenstands Eng mit der Bestimmung von Kognitionsgrenzen ist die Frage verknüpft, inwieweit die einzelnen Musterfeststellungsanträge sowie der ergehende Vorlagebeschluss den Inhalt des Musterstreitgegenstands vorgeben bzw. einschränken. Die Vorlage hat das Prozessgericht zu beschließen, wenn in den erstinstanzlichen Ausgangsverfahren mindestens zehn zulässige und gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt wurden, § 4 Abs. 1 i.V. m. § 1 KapMuG. Der Vorlagebeschluss leitet das oberlandesgerichtliche Musterverfahren ein.298 Dort ist sodann gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG über das Feststellungsziel gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge zu entscheiden. Die Begründetheitsprüfung hinsichtlich der gestellten Musterfragen ist damit nach der Gesetzeskonstruktion dem Oberlandesgericht vorbehalten.299 Maßstab dieser Prüfung sind jedoch nicht unmittelbar – wie ausführlicher zu erläutern sein wird – die einzelnen Musterfeststellungsanträge bzw. der Antrag des auserwählten Musterklägers.300 Vielmehr bündelt der Vorlagebeschluss deren Inhalt zur globalen Musterfrage. Dadurch gibt er den eigentlichen Gegenstand der oberlandesgerichtlichen Verhandlung und Entscheidung vor. Bevor dieser in § 4 Abs. 1 KapMuG verankerte Bündelungsmechanismus und die daraus resultierende streitgegenstandsbildende Funktion des Vorlagebeschlusses näher durchleuchtet werden können, gilt es, die hierzu vorgelagerten Frage zu untersuchen, inwieweit das vorlegende Prozessgericht an den Inhalt der einzelnen Musterfeststellungsanträge gebunden ist. 1. Grundsätzliches zum Umfang der Bindung des vorlegenden Prozessgerichts an die Musterfeststellungsanträge a) § 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 KapMuG als gesetzlicher Ausgangspunkt für die Bindung des Prozessgerichts an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge bei Erlass des Vorlagebeschlusses Wie Thomas Kilian zutreffend feststellt, ergibt sich die Bindung des Prozessgerichts an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge nicht wie im Schrifttum teilweise angenommen301 aus § 308 Abs. 1 ZPO. Sie ist unmittelbar der Rege298
KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 5. Unsauber insoweit KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 184, der davon spricht, dass das Oberlandesgericht über die Begründetheit des Musterfeststellungsantrags urteilte. Dies ist jedoch, wie gezeigt, nur mittelbar der Fall, weil Verfahrens- und Entscheidungsgegenstand der Vorlagebeschluss ist, welcher die einzelnen Anträge in sich aufnimmt und folglich an deren Stelle tritt. 300 Zutreffend KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 1. 301 Hess, WM 2004, 2329 Fn. 13; ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1384). 299
B. Der Gegenstand des KapMuG
123
lungssystematik des KapMuG zu entnehmen.302 § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG gibt dem Prozessgericht auf, durch Beschluss eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über das Feststellungsziel gleichgerichteter – und nach § 1 KapMuG zulässiger – Musterfeststellungsanträge herbeizuführen, sofern die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach der gesetzlichen Anordnung entscheidet das Prozessgericht nur über die Zulassung der Kapitalanlegermusterstreitigkeit, während der eigentliche Musterprozess in einem gesonderten Verfahrensabschnitt vor dem Oberlandesgericht durchgeführt wird.303 Er endet mit einem verbindlichen Ausspruch über die gestellten Fragen in Form des Musterentscheids, § 14 i.V. m. § 16 KapMuG. Eine Sachentscheidung wie sie § 308 Abs. 1 ZPO voraussetzt, erfolgt damit nicht bereits vor dem den Vorlagebeschluss erlassenden erstinstanzlichen Gericht. Dieses schafft mit der Vorlage vielmehr ausschließlich die Voraussetzungen dafür, dass eine solche ergehen kann.304 § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG knüpft an die gestellten Musterfeststellungsanträge an, so dass das Prozessgericht hinsichtlich des Vorlageinhalts an den in diesen zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen gebunden ist. In den das Musterverfahren einleitenden Beschluss sind demzufolge sämtliche Ersuchen aufzunehmen, die sich aus den einzubeziehenden305 Anträgen ergeben. Dem vorlegenden Gericht ist es – abgesehen von den noch zu erörternden Grenzen des Bindungsumfangs306 – untersagt, inhaltlich von den Parteianträgen abzuweichen.307 b) Zulässigkeit und Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge als Grundvoraussetzungen für die Einbeziehung in den Vorlagebeschluss Allerdings hat das vorlegende Prozessgericht nicht sämtliche Musterfeststellungsanträge, die bei ihm oder vor anderen erstinstanzlichen Gerichten gestellt wurden, im Rahmen desselben musterverfahrenseinleitenden Beschlusses nach § 4 KapMuG zu berücksichtigen. Eine Bindung besteht zunächst nur hinsichtlich zulässiger Anträge. Zudem müssen die in ihnen enthaltenen Ersuchen gleichgerichtet sein, also gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 Kap302
Kilian, KapMuG, S. 38 f. Vgl. Kilian, KapMuG, S. 25; Rau, KapMuG, S. 21; Reuschle, KapMuG, S. 29; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 40; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 11. 304 Vgl. nur Kilian, KapMuG, S. 38. 305 Zum Kreis der der Vorlage zu Grunde zu legenden Anträge sogleich S. 125 ff. 306 Hierzu S. 128 ff. 307 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 39; i. E. ebenso KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63 f., ohne jedoch einen normativen Anknüpfungspunkt für die Bindung des vorlegenden Prozessgerichts an die inhaltliche Fassung der Musterfeststellungsanträge zu benennen. 303
124
§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
MuG den gleichen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen.308 Nur dann können sie durch Beschluss einer einheitlichen oberlandesgerichtlichen Entscheidung überantwortet werden. Ob ein Musterfeststellungsantrag zulässig ist, bestimmt sich nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG.309 Liegt einer der dort genannten Gründe310 vor, so ist das Prozessgericht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KapMuG berechtigt und verpflichtet, den Antrag durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen. Der Katalog des § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ist abschließend; allerdings handelt es sich bei § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG um einen „Sammeltatbestand“ 311, der die sich aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KapMuG ergebenden Zulässigkeitsvoraussetzungen in sich aufnimmt.312 Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG wäre ein Antrag beispielsweise auch dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn das Ausgangsverfahren nicht den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG betrifft.313 Gleiches gilt für den Fall, dass die Ausführungen des Antragstellers das Gericht 308
Zur Auslegung dieses Erfordernisses siehe ausführlich S. 99 ff. Vgl. Kilian, KapMuG, S. 39 f.; eingehend hierzu KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 183 ff. Die Kompetenzverteilung zwischen erstinstanzlichem Gericht und Oberlandesgericht verkennt Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 49; er geht davon aus, dass der Katalog des § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG – entgegen dem klaren Wortlaut der Vorschrift – Gründe für die Unbegründetheit der Musterfeststellungsanträge regelt. Ebenso wenig normiert die Vorschrift des § 4 Abs. 1 KapMuG die Begründetheit des Antrags unter der Voraussetzung, dass das erforderliche Quorum für die Vorlage vorliegt; so aber Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 49, dort Fn. 131. Diese Einordnung der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG normierten Voraussetzungen als Begründetheitsaspekte kritisiert auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 184 Fn. 227. 310 Ein Musterfeststellungsantrag ist durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen bei Entscheidungsreife des zu Grunde liegenden Rechtsstreits (Nr. 1), bei Antragstellung zum Zwecke der Prozessverschleppung (Nr. 2), wenn eine Beweisantizipation die Ungeeignetheit des bezeichneten Beweismittels ergibt (Nr. 3; vgl. hierzu BT-Drs. 15/ 5091, S. 21; kritisch insoweit Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [89]), die Darlegungen des Antragstellers seinen Musterfeststellungsantrag nicht rechtfertigen (Nr. 4) sowie bei fehlendem Klärungsbedarf im Hinblick auf eine gestellte Rechtsfrage (Nr. 5). Entscheidungsreife i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KapMuG nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung an, wenn – vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus – der Tatsachenstoff des Klageverfahrens hinreichend geklärt ist und die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von einer Rechtsfrage abhängt, die in dem Musterfeststellungsantrag als Feststellungsziel genannt ist. Die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage hat das Gericht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 KapMuG gesondert zu prüfen, BGH ZIP 2008, 1326 (1328); ZIP 2008, 137. Vgl. zu den Unzulässigkeitsgründen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG insgesamt umfassend KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 183 ff. 311 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 186. 312 A. A. Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 50. 313 Vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 186 f.; a. A. insoweit Kilian, KapMuG, S. 40 f., der das Feststellungsbegehren betreffend eine außerhalb des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG liegende Norm als Fall des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 KapMuG einordnet. Dem kann allerdings mit Blick auf den Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 KapMuG nicht gefolgt werden. Die Vorschrift knüpft ausschließlich an die fehlende Klärungsbedürftigkeit an, ohne von einem rechtsverkennenden Antrag zu sprechen. 309
B. Der Gegenstand des KapMuG
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nicht von der möglichen Bedeutung, die der Entscheidung über seinen Musterfeststellungsantrag über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG, zu überzeugen vermag.314 Soweit sich aus § 1 KapMuG nur eine partielle Unzulässigkeit des gestellten Musterfeststellungsantrags ergibt, muss das Prozessgericht ihn hinsichtlich seines zulässigen Inhalts gemäß § 2 Abs. 1 KapMuG im Klageregister veröffentlichen. Im Übrigen ist es zu einer teilweisen Zurückweisung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KapMuG berechtigt.315 An den zulässigen Inhalt ist es sodann im Rahmen eines nach § 4 Abs. 1 KapMuG ergehenden Vorlagebeschlusses gebunden. c) Kreis der im Rahmen der Vorlage zu berücksichtigenden zulässigen und gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge aa) Ausgangssituation Abgesehen von den sich aus der gesetzlichen Regelungssystematik ergebenden Schranken der Zulässigkeit und Gleichgerichtetheit lässt das KapMuG eine eindeutige Vorgabe hinsichtlich der für die Vorlage berücksichtigungsfähigen Musterfeststellungsanträge vermissen. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG ordnet lediglich an, dass den Vorlagebeschluss dasjenige Prozessgericht erlässt, bei dem der zeitlich erste Musterfeststellungsantrag einging. Wie § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG zu entnehmen ist, folgt aus dieser Zuständigkeitsverteilung jedenfalls keine Verengung des Bindungsumfangs auf die beim vorlegenden Gericht gestellten Anträge. Darüber hinaus verdeutlicht die gegenüber dem Regierungsentwurf 316 abgeänderte Formulierung der Vorschrift, dass der Umfang der berücksichtigungsfähigen Ausgangsverfahren nicht mehr ausschließlich von einer Eintragung im Klageregister gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG abhängt. Vielmehr soll es auch in den Fällen zu einer Einleitung des Musterverfahrens kommen, in denen innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG zumindest die für 314 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 41 f.; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 186 f. sowie insbesondere auch Rn. 226. 315 Vgl. hierzu auch S. 117 ff. sowie die Ausführungen in Fn. 292. 316 § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG-E war wie folgt gefasst: „Das Prozessgericht führt durch Beschluss eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts (. . .) herbei, wenn (. . ..) innerhalb von vier Monaten nach seiner Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Verfahren bei demselben oder anderen Gerichten gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge in das Klageregister eingetragen wurden.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Zudem sollte das Prozessgericht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 KapMuG die Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge nur insoweit zu prüfen haben, als es für das Erreichen der notwendigen Anzahl erforderlich ist (vgl. Reuschle, KapMuG, S. 122 Fn. 21). Diese Begrenzung wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestrichen, vgl. § 4 KapMuG sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses hierzu, BT-Drs. 15/5695, S. 24. Siehe hierzu zudem Reuschle, KapMuG, S. 120 ff.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
eine Vorlage erforderliche Anzahl von Anträgen bei Gericht eingegangen ist.317 Der Gesetzgeber verfolgte bei Aufgabe der in § 4 Abs. 2 Satz 1 KapMuG-E noch enthaltenen Beschränkung auf zehn Ausgangsstreitigkeiten einen weiten Ansatz. Dem Oberlandesgericht sollen möglichst alle geltend gemachten Streitpunkte zur Klärung vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass das Klageregister gemäß § 2 Abs. 1 Satz 6 KapMuG regelmäßig geschlossen wird, wenn das für eine Vorlage erforderliche Quorum von zehn Anträgen bekannt gemacht ist.318 Dieser Vorschrift liegen prozessökonomische Erwägungen zu Grunde. Der Gesetzgeber wollte dem den Musterentscheid einholenden Prozessgericht im Interesse eines raschen Erlasses des Vorlagebeschlusses eine Einarbeitung in sämtliche Ausgangsverfahren ersparen. Die Zuziehung weiterer Streitigkeiten nach Erreichen des Vorlagequorums wurde deshalb über die Vorschrift des § 7 KapMuG den befassten Gerichten überantwortet.319 Dem vorlegenden Prozessgericht ist damit jedenfalls keine umfassende Amtsermittlungspflicht bezüglich sämtlicher gleichgerichteter Parallelverfahren auferlegt.320 Gleichwohl verbleibt ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Umsetzung des intendierten weiten Ansatzes und dem gleichzeitig zu berücksichtigenden Gedanken der Prozessökonomie. bb) Kreis der zu berücksichtigenden Musterfeststellungsanträge Soweit eine ausreichende Anzahl von Musterfeststellungsanträgen im Klageregister veröffentlich ist bzw. sich das für eine Vorlage erforderliche Quorum zumindest unter Einbeziehung der beim einholenden Gericht gestellten Anträge ergibt, ist das soeben beschriebene Spannungsverhältnis folgendermaßen aufzulösen: Dem vorlegenden Prozessgericht ist aus Gründen der Prozessökonomie und mit Blick auf die nachträgliche Erweiterungsmöglichkeit des Verfahrensgegenstands nach § 13 KapMuG321 keine weiterführende Amtsermittlung auferlegt. Es muss nicht die Prozessakten der an weiteren Gerichten gestellten gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge einsehen, um deren Inhalt ggf. noch in den Vorlagebeschluss einzubeziehen. 322 Berücksichtigung finden nur die bei ihm bis zum 317 Die Einleitung eines Musterverfahrens soll demnach nicht mehr, wie noch in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG-E vorgesehen (vgl. Fn. 316), von der von den Parteien nicht zu beeinflussenden Bekanntmachung im Klageregister abhängen, vgl. auch BTDrs. 5/5695, S. 23. Die Parteien können den Zeitpunkt der Bekanntmachung nicht bestimmen, so dass ihnen mit der Umformulierung der Vorschrift das mit dem Bekanntmachungserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verbundene Risiko zeitlicher Verzögerungen zu Recht abgenommen wurde. 318 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 70. 319 Vgl. insoweit BT-Drs. 15/5091, S. 23 f. 320 Vgl. KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 71. 321 Hierzu ausführlich später auf S. 185 ff. 322 So zutreffend KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 71.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Ablauf der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG gestellten sowie alle übrigen Anträge, die nach Maßgabe des § 2 KapMuG in das Klageregister eingetragen sind.323 Aufgrund des ersatzlosen Wegfalls der Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 KapMuG-E muss das Vorlagegericht den Inhalt dieses Antragskreises unabhängig davon vollumfänglich für den Vorlagebeschluss auswerten, ob die Mindestschwelle von zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen überschritten wird.324 Dies ist entsprechend dem vom Rechtsausschuss intendierten „weiten Ansatz“ 325 insoweit vorteilhaft als denjenigen Personen, die nicht zur Musterverfahrenspartei i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 KapMuG werden, ein schriftsätzliches oder mündliches Wiederholen des Inhalts ihrer Musterfeststellungsanträge im oberlandesgerichtlichen Musterprozess erspart bleibt. Er wird auf Grund des Vorlagebeschlusses automatisch zum Gegenstand des mit Bekanntmachung nach § 6 KapMuG beginnenden Verfahrens.326 Ist innerhalb des viermonatigen Zeitfensters des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG nicht die erforderliche Antragszahl327 erreicht, so muss das Prozessgericht bei den übrigen Spruchkörpern bzw. Gerichten den rechtzeitigen Eingang weiterer Feststellungsersuchen erfragen. Ggf. sind die Akten anzufordern, um den Inhalt der dort fristgemäß gestellten Musterfeststellungsanträge in den Vorlagebeschluss aufzunehmen.328 Eine Begrenzung auf das Vorlagequorum aus prozessökonomischen Gründen ist grundsätzlich ebenso wenig angezeigt; die Aufnahme 323 Der Auffassung von Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 27 a. E., Inhalt des Vorlagebeschlusses könnten nur die bekannt gemachten Musterfeststellungsanträge sein, steht der klare Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG sowie die Entstehungsgeschichte zu dieser Vorschrift entgegen. Der Gesetzgeber ist bewusst von dem Eintragungserfordernis abgerückt, siehe BT-Drs. 15/5695, S. 23. Zudem erscheint es in den Fällen, in denen eine für die Vorlage ausreichende Anzahl von Anträgen innerhalb des viermonatigen Zeitfensters gestellt wurde, nicht sachgerecht, den prioritätsältesten Antragsteller auf die Möglichkeit einer Antragswiederholung zu verweisen (so aber Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 4 Rn. 35). Dem Antragsteller würde damit das mit dem Bekanntmachungserfordernis verbundene Verzögerungsrisiko entgegen dem gesetzgeberischen Willen (vgl. BT-Drs. 15/5695, S. 23) und Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG überantwortet. 324 Ähnlich auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 71, der jedoch nur auf die zusätzlich im Klageregister veröffentlichten Anträge abstellt. Zu ungenau insoweit Kilian, KapMuG, S. 39, der jeden bis zur Beschlussfassung eingegangenen, gleichgerichteten Musterfeststellungsantrag als berücksichtigungsfähig erachtet; widersprüchlich Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 27 ff., der einerseits auf sämtliche im Klageregister bekannt gemachten Anträge abstellt (Rn. 27 a. E.), andererseits als maßgebliche Grundlage für den Vorlagebeschluss die sich aus sämtlichen gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen ergebenden Informationen ansieht (Rn. 30). 325 BT-Drs. 15/5695, S. 24. 326 Zur streitgegenstandsbildenden Funktion des Vorlagebeschlusses ausführlich S. 135 ff. 327 Unter Berücksichtigung der im Klageregister eingetragenen sowie der beim Vorlagegericht gestellten Musterfeststellungsanträge. 328 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 23.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
hätte auch bei rechtzeitiger Eintragung erfolgen müssen. Zudem kommt eine Einbeziehung dem intendierten umfassenden Ansatz des KapMuG entgegen. Für einen ablehnenden Beschluss gemäß § 4 Abs. 4 KapMuG ist nur insoweit Raum, als ein Erreichen des Vorlagequorums trotz Nachfrage bei den übrigen Gerichten nicht gegeben ist. 2. Ungeschriebene Grenzen des Bindungsumfangs des Prozessgerichts an die Fassung der Musterfeststellungsanträge a) Keine strenge Bindung an den Wortlaut der Musterfeststellungsanträge Der bereits zuvor beispielhaft herangezogene Telekom-Prozess329 verdeutlicht, dass das zur Einholung des Musterentscheids berufene Prozessgericht bei der Formulierung des Vorlagebeschlusses nicht an den Wortlaut der Musterfeststellungsanträge gebunden sein kann.330 Entscheidend ist vielmehr, dass es den zulässigen Vorlageinhalt dem Parteiwillen entsprechend formuliert.331 b) Vorgehen bei divergierenden Anträgen Darüber hinaus wird die Befugnis des Prozessgerichts, von den in den Anträgen gewählten Formulierungen abzuweichen, insbesondere in den Konstellationen relevant, in denen die gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge kontradiktorische Fragestellungen enthalten oder sonst inhaltlich divergieren. Das vorlegende Gericht muss jedoch darauf achten, den verfahrenseinleitenden Beschluss so weit zu fassen, dass er inhaltlich sämtliche Ersuchen betreffend einzelne Tatbestandsmerkmale und/oder Rechtsfragen umfasst und damit den Willen der Antragsteller vollumfänglich wiedergibt.332 Dies soll anhand der folgenden Fallsituationen verdeutlicht werden:
329
Vgl. hierzu S. 117 ff. So auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 64. 331 Der Vorlagebeschluss im Verfahren gegen die Deutsche Telekom AG (vgl. Fn. 283) hätte richtigerweise nur darauf lauten dürfen, ob im Prospekt enthaltene wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig waren. Die Passage aus dem Musterfeststellungsantrag „und dem Kläger daher ein Anspruch aus Prospekthaftung gemäß § 44 BörsG zusteht“ (Hervorhebung durch die Verfasserin) hätte das Prozessgericht hingegen nicht übernehmen dürfen. Vielmehr hätte es den Antrag als insoweit unzulässig zurückweisen müssen (vgl. hierzu bereits S. 117 ff.). Dies kritisiert auch Kilian, KapMuG, S. 43 f. Ebenfalls die Möglichkeit einer Teilzurückweisung bejahend G. Vollkommer, NJW 2007, 3094 (3096). 332 Vgl. KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 64. 330
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Beispiel 13: Es ist zunächst von der auf S. 64 beschriebenen Konstellation (Beispiel 1) auszugehen. Die Kläger 1–10 behaupten in ihrem Musterfeststellungsantrag nach wie vor nur die Prospektunrichtigkeit. Die Feststellung der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis des Beklagten hiervon beantragen sie mit Blick auf die prozessuale Darlegungs- und Beweislast333 (noch) nicht, weil dieser den Einwand fehlender Kenntnis, § 45 Abs. 1 BörsG, selbst noch nicht vorbrachte. Die Kläger 11–20 schätzen hingegen die Chancen des Beklagten, mit diesem Einwand durchzudringen, als äußerst gering ein.334 Sie entscheiden sich deshalb dafür, das Musterverfahren zugleich zur Feststellung zu nutzen, dass der Wertpapieremittent die Fehlerhaftigkeit kannte bzw. kennen musste.335 Etwas vorsichtiger sind die Kläger 21–30. Sie fragen in ihren Musterfeststellungsanträgen zwar auch nach der Kenntnis des Wertpapieremittenten, § 45 Abs. 1 BörsG, wünschen eine Feststellung hierüber jedoch nur für den Fall, dass das OLG zuvor zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Börsenprospekt unrichtig ist. Beispiel 14: Wie zuvor (Beispiel 13) streiten die Parteien in ihren Ausgangsprozessen um eine Haftung des Emittenten nach § 44 BörsG. Während die Anleger ihre Musterfeststellungsanträge darauf richten, dass für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Prospektangaben unrichtig sind, ersucht der Beklagte um die Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils. Er beantragt die Prospektrichtigkeit festzustellen.
aa) Gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge betreffend unterschiedliche Tatbestandsmerkmale Konzentriert man sich zunächst ausschließlich auf die Anträge der Klägergruppe 1–10 sowie diejenigen der Kläger 11–20, so muss der Vorlagebeschluss sowohl die Frage nach dem Vorliegen der Prospektunrichtigkeit als auch dem Verschulden des Beklagten enthalten. Wären in den Vorlagebeschluss hingegen
333 Vgl. auch Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, S. 45; Musielak, ZZP 100, 385 (386); Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, § 5 Rn. 20 f. 334 Nach Braun/Rotter, BKR 2004, 296 (299) führt der rechtsvernichtende Einwand des § 45 BörsG in weniger als 0,1 % der geltend gemachten Fälle tatsächlich zu Erfolg. Vgl. zu § 45 Abs. 2 Nr. 1 BörsG auch Schimansky/Bruchner/Grundmann, BankrechtsHandbuch, § 112 Rn. 54, und Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.99 f. Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 33 weist zudem auf den prozesstaktischen Aspekt hin, der Beklagte könnte sich Vorteile daraus erhoffen, dass verschiedene Gerichte über seine Verteidigung gegen den geltend gemachten Anspruch entscheiden. 335 Diese Fallgestaltung hatten im Zusammenhang mit der Frage nach einer möglichen Feststellungszielshäufung auch Kilian, KapMuG, S. 52 f. und Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102), im Auge.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
lediglich die Anträge 1–10 und 21–30 aufzunehmen, so müsste das Prozessgericht dem Klägerwillen entsprechend die Verschuldensfrage bedingt formulieren. Die Ausgangslage kann sich auch so darstellen, dass ein Teil der Anleger 1–10 seinen Ausgangsprozess aus Verjährungsgesichtspunkten auf § 826 BGB stützt und dementsprechend mit dem Musterfeststellungsantrag das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit feststellen lassen will.336 Die Frage nach dem Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzung umfasst die Unrichtigkeit des Prospekts als Einzelbaustein.337 Die begehrte Feststellung der Sittenwidrigkeit reicht inhaltlich weiter als der Antrag auf Feststellung der Prospektunrichtigkeit der nach § 44 BörsG vorgehenden Kläger. Sie nimmt letztere im Rahmen des Vorlagebeschlusses deshalb in sich auf. Das Ersuchen betreffend die Fehlerhaftigkeit des Prospekts, das in dem Musterfeststellungsantrag des einzelnen Anlegers noch als Feststellungsziel enthalten war, wird im Vorlagebeschluss zum Streitpunkt des umfassenderen Feststellungsziels „Sittenwidrigkeit“.338 bb) Zusammentreffen von unbedingter und bedingter Antragstellung Schwieriger gestaltet sich die Formulierung des Vorlagebeschlusses, wenn in ihn sowohl die Musterfeststellungsanträge der Klägergruppe 11–20 als auch der Anleger 21–30 Eingang finden müssen. Das Prozessgericht kann sich nicht für eine der beiden Varianten entscheiden, ohne sich gleichzeitig über den Willen der jeweils anderen Anlegergruppe hinwegzusetzen. Diese Diskrepanz ließe sich entweder dadurch lösen, dass das Prozessgericht beide Varianten in den Vorlagebeschluss aufnimmt. Die Entscheidung über die für das Musterverfahren maßgebliche Fragestellung wäre mit der Vorlage dann dem Oberlandesgericht überantwortet, welches dem Antrag des auserwählten Musterklägers den Vorrang einräumen müsste, vgl. § 12 KapMuG. Ein alternativer Lösungsansatz würde sein, auf den Antrag mit der umfassenderen Reichweite, mithin den bedingungslosen, abzustellen und sich an ihm bei der Fassung des Vorlagebeschlusses zu orientieren.339 336 Zur Sittenwidrigkeit als umfassend feststellungsfähiges Tatbestandsmerkmal siehe weitergehend S. 72 ff. 337 Vgl. den Verweis in Fn. 336. 338 Vgl. insoweit auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 64 f., der allerdings in diesem Fall davon ausgeht, dass der Vorlagebeschluss auf Feststellung der „Haftung des Beklagten wegen der unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung“ lauten muss. Allerdings ist die Frage nach der „Haftung“ zu weit gefasst, da diese unzulässigerweise die Frage nach dem Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale impliziert, vgl. auch S. 114 sowie den Text in den Fn. 274 und 331. 339 Daneben könnte die mit einer bedingten Antragstellung verbundene Minimierung des Prozesskostenrisikos i.V. m. der Möglichkeit einer nachträglichen Streitgegenstandserweiterung gemäß § 13 KapMuG für einen generellen Vorrang des in den Anträgen 21–30 zum Ausdruck gebrachten Stufenverhältnisses sprechen. Dem lässt sich jedoch
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Für erstere Sichtweise könnte die privilegierte Stellung sprechen, die das Gesetz der Musterverfahrenspartei gegenüber den Beigeladenen einräumt, vgl. § 6 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2, § 9 Abs. 2 Satz 1, § 10 Satz 3 und Satz 4, § 12, § 14 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, § 15 Abs. 2 Satz 7 KapMuG. Insbesondere in der Vorschrift des § 12 KapMuG spiegelt sich das bestehende Rangverhältnis wieder. Sie verbietet den Beigeladenen, sich mit ihrem Prozessverhalten zu den Erklärungen und Handlungen ihrer Hauptpartei in Widerspruch setzen. Wäre die unbedingte Formulierung auch dann vorrangig, wenn sie nicht vom auserwählten Musterkläger ausgeht, so müsste dieser sein prozessuales Vorgehen nach einem Streitgegenstand richten, den er in dieser Form nicht verfolgt und dementsprechend nicht in das Verfahren transportieren wollte. Hinzu kommt, dass die späteren Beigeladenen sich gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KapMuG auf eine Klägerperson verständigen und dadurch mittelbar der von ihnen favorisierten Fragestellung zur Geltung verhelfen können. Zudem bietet § 13 KapMuG die Möglichkeit, in gewissem Umfang auf eine nachträgliche Erweiterung des Verfahrensgegenstands hinzuwirken. Die besseren Argumente sprechen dafür, stets dem unbedingten Antrag bereits auf Ebene der Beschlussfassung nach § 4 KapMuG den Vorrang einzuräumen. Andernfalls dürfte es im Rahmen der Musterverfahrensdurchführung vor dem Oberlandesgericht grundsätzlich nicht mehr auf die von den beigeladenen Personen gestellten Musterfeststellungsanträge ankommen. Vielmehr müsste sich der Streitgegenstand und mithin auch das (globale) Feststellungsziel einzig aus dem Antrag des auserwählten Klägers sowie ggf. des Musterbeklagten ergeben. Die Beigeladenen wären stets auf § 13 KapMuG verwiesen, um den Verfahrensgegenstand nachträglich mitzubestimmen. Die Auswahl der Musterverfahrensparteien ist jedoch aufgrund der zeitlichen Komponente in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG, an welche auch § 8 Abs. 2 KapMuG durch Bezugnahme auf das vorlegende Gericht anknüpft, personell beschränkt und dadurch von gewissen Zufälligkeiten abhängig.340 Eine gesetzgeberische Grundentscheidung zugunsten der auserwählten Verfahrenspartei ist den Vorschriften deshalb nicht beizumessen. Ihnen liegen vielmehr Praktikabilitätserwägungen zu Grunde. Dem Gesetzgeber ging es darum, einerseits einen „race to the courtroom“ zu verhindern und andererseits bei grenzüberschreitenden
der mit dem KapMuG erstrebte und objektive Zweck, alle aufgeworfenen Fragestellungen einer oberlandesgerichtlichen Klärung zuzuführen, entgegenhalten. Dem Willen der Antragsteller 21–30 lässt sich in angemessener Weise über eine entsprechende Kostenverteilung Rechnung tragen (vgl. hierzu auch den Text bei und die Nachweise in Fn. 347), so dass diesen aus einer unbedingten Formulierung der Vorlage keine Nachteile erwachsen. 340 Kilian, KapMuG, S. 102 f. spricht in anderem Zusammenhang davon, dass die Verfahrensbeteiligten „eine allein durch die prinzipielle Gleichgerichtetheit ihrer Ansprüche gekennzeichnete Zufallsgemeinschaft im Masse[sic]verfahren“ bilden.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
Sachverhalten eine Verfahrenskanalisation ins Inland zu erreichen.341 Gerade weil die Verfahrensbeteiligten – wie Thomas Kilian in anderem Zusammenhang zutreffend feststellt342 – eine Zufallsgemeinschaft im Massenverfahren bilden, würde ein derartiges Fokussieren des Verfahrensgegenstands den „Ansturm auf das Klageregister“ provozieren: Wer als einer der Ersten einen Musterfeststellungsantrag beim Prozessgericht einreicht, gehört im Falle einer späteren Vorlage sicher zum potentiellen Musterklägerkreis und verschafft sich dadurch die Chance auf ein Durchdringen „seines“ Verfahrensgegenstands. Gegen ein Eingreifen derartiger Folgen sprechen klar die gesetzlichen Anordnungen in § 4 Abs. 1 und Abs. 2 KapMuG. Das den Musterentscheid einholende Prozessgericht hat hiernach alle Anträge im Rahmen der Vorlage als gleichwertig zu behandeln und muss sie gebündelt343 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorlegen. Ihm obliegt damit die Festlegung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands. Diese Kompetenzverteilung wiederholt sich in § 13 Abs. 2 KapMuG. Käme es im Rahmen der Musterverfahrensdurchführung einzig auf den musterklägerischen Antrag an, so wäre wegen § 8 Abs. 2 KapMuG – jedenfalls aus Klägersicht – die Vorlage der beim Prozessgericht eingegangenen Ersuchen ausreichend gewesen. Der Gesetzgeber hätte nicht nur die Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses regeln dürfen, § 4 Abs. 3 KapMuG, sondern auch die Bekanntmachung des klägerischen Musterfeststellungsantrags in den Katalog des § 6 Satz 1 KapMuG aufnehmen müssen. Ein solcher ist jedoch gerade keine Voraussetzung für die Auswahl zum Musterkläger.344 Er kann mithin kein taugliches Kriterium für die Inhaltsbestimmung des Musterstreitgegenstands darstellen. Dies spiegelt sich auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 KapMuG wider, nach der die Antragsrücknahme auf die Stellung als Musterkläger keinen Einfluss hat. Der Streitstoff des Musterverfahrens ist nicht personenbezogen.345 Im Interesse seiner umfassenden Erledigung hat das Prozessgericht konsequenterweise die unbedingte Fragestellung dem Vorlagebeschluss zu Grunde zu legen. Bestehende Divergenzen sind auf Grund der mit dem Musterverfahren erstrebten Breitenwirkung346 zugunsten der umfassendsten Fassung aufzulösen. Die damit einhergehenden finanziellen Risiken, insbesondere in Form von weitergehenden
341
BT-Drs. 15/5091, S. 25. Kilian, KapMuG, S. 103 als Argument gegen etwaige Schadensersatzansprüche der beigeladenen Kläger gegen den Musterkläger wegen mangelhafter Musterprozessführung. Unklar hingegen Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 4. 343 Siehe zum gesetzgeberischen Zweck der Verfahrensbündelung BT-Drs. 15/5091, S. 16, 31, 44. Vgl. ferner BT-Drs. 15/5695, S. 22, 24. 344 BT-Drs. 15/5091, S. 25. 345 So i. E. auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 15 sowie § 7 Rn. 30. 346 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24. 342
B. Der Gegenstand des KapMuG
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Beweisaufnahmekosten, sind über eine entsprechende Verteilung der Auslagen auf die Ausgangsverfahren auszugleichen.347 cc) Kontradiktorische Musterfeststellungsanträge In Fällen kontradiktorischer Antragstellung verbleibt dem Prozessgericht ebenfalls ein gewisser Spielraum hinsichtlich der Formulierung des in den Vorlagebeschluss aufzunehmenden globalen Feststellungsziels. Soweit die in den Musterfeststellungsanträgen enthaltenen Feststellungsersuchen der Beklagtenseite exakt die spiegelbildliche Verneinung des von Klägerseite gestellten Antrags darstellen, besteht keine Notwendigkeit, beide Fassungen in den Vorlagebeschluss aufzunehmen.348 Beispiel 15: Der Kläger beantragt festzustellen, dass wesentliche Angaben im Börsenprospekt des beklagten Wertpapieremittenten E unrichtig i. S. d. § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG sind. Demgegenüber begehrt E in seinem Musterfeststellungsantrag die Feststellung der Richtigkeit des Prospekts durch das Oberlandesgericht.
Das Prozessgericht hat dem Vorlagebeschluss entweder die Frage des Klägers nach dem Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzung der Prospektunrichtigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG oder die entsprechende Gegenfrage der Beklagtenseite nach deren Nichtvorliegen zu Grunde zu legen. Das Oberlandesgericht muss im Musterverfahren hinsichtlich aller Feststellungsziele und vorgebrachten Streitpunkte entscheiden, ob diese zu bejahen oder zu verneinen 347 Siehe hierzu KK/Kruis, KapMuG, § 19 Anh. I – GKG Rn. 7 sowie § 17 Rn. 3. Zu Recht kritisch hinsichtlich des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung über die Verteilung der Beweisaufnahmekosten Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (118). 348 Vgl. KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht vom KG Berlin im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“) im Zusammenhang mit § 13 KapMuG. Die Musterbeklagte hatte einen Erweiterungsantrag gestellt, der spiegelbildlich zu dem von Klägerseite gestellten Antrag war. Während das LG Berlin die von der Klägerseite beantragte Erweiterung zuließ, hat es die Sachdienlichkeit des Erweiterungsbegehrens der Musterbeklagten im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG mit der Begründung verneint, es stelle die „bloß spiegelbildliche Verneinung des Erweiterungsantrags der Beigeladenen“ dar. Der Antrag der Beklagten sei folglich zurückzuweisen, weil er „. . . auf dasselbe Feststellungsziel gerichtet ist und es nur negativ formuliert. Wird die von der Klägerseite begehrte positive Feststellung „[. . .] bejaht, kann denklogisch nicht das Gegenteil festgestellt werden. Wird die begehrte positive Feststellung verneint, steht damit zugleich das von der Beklagten angestrebte Gegenteil fest.“ Vgl. zudem KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“), ebenfalls im Hinblick auf § 13 KapMuG.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
sind.349 Der Gegenstand der Frage des Beklagten nach dem Nichtvorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzung entspricht der Frage des Klägers nach ihrem Vorliegen mit umgekehrten Parteirollen. Die Wirkung eines das Ersuchen der Beklagtenseite ablehnenden Musterentscheids deckt sich mit derjenigen eines oberlandesgerichtlichen Beschlusses, das dem umgekehrten positiven Ersuchen des Klägers stattgegeben hätte.350 Wählt das vorlegende Prozessgericht beispielsweise für den Vorlagebeschluss die klägerische Formulierung und ist vom Oberlandesgericht das beantragte Feststellungsziel der Prospektunrichtigkeit zu verneinen, steht damit zugleich die Prospektrichtigkeit als kontradiktorisches Gegenteil fest. Das Oberlandesgericht gibt im Musterentscheid dem Ersuchen des Beklagten statt. Es muss kein weiteres Feststellungsziel in den Vorlagebeschluss aufgenommen werden, das lediglich das kontradiktorische Gegenteil eines bereits berücksichtigten Feststellungziels darstellt.351 Insbesondere richtet sich die Beweislast nicht danach, welche Partei den maßgeblichen Musterfeststellungsantrag nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG stellt. Sie bestimmt sich entsprechend der Bedeutung der festzustellenden Tatsachen für den Antrag der Partei nach den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast.352 Beispiel 16: Wie zuvor (Beispiel 15) beantragen die Anleger die Feststellung der Unrichtigkeit von wesentlichen Angaben im Börsenprospekt. Der beklagte Wertpapieremittent ersucht das Oberlandesgericht um die Feststellung der Prospektrichtigkeit. Zusätzlich 349 Vgl. KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht vom KG Berlin im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co KG – LBB Fonds 13“). 350 Vgl. zur Wirkung des Sachurteils bei der positiven und negativen Feststellungsklage BGH NJW-RR 2006, 712 (714 m. z. w. N.); NJW 2003, 3058 (3059); 1995, 1757 (1757 f.); 1985, 2022; 1975, 1320 (1321); RGZ 90, 290 (292 f.); 78, 389 (396); 74, 121 (122); 72, 143 (145 f.); 71, 432 (436 f.); 60, 387 (390 f.); 50, 416 (417 ff.); 40, 401 (404); 29, 345 (347 f.); MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 256 Rn. 71 ff.; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, § 322 Rn. 185 ff. sowie Rn. 194 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 256 Rn. 121 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 65 und § 322 Rn. 11. 351 Vgl. KG Berlin, erweiterter Vorlagebschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht vom KG Berlin im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co KG – LBB Fonds 13“). 352 Vgl. zur Beweislast bei der positiven und negativen Feststellungsklage BGH NJW 1993, 1716 (1717); MDR 1993, 1118 (1119); NJW 1992, 1101 (1103); 1992, 436 (438); 1986, 2508 (2509); C. Balzer, NJW 1992, 2721 (2725); MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 256 Rn. 68; Musielak/Foerste, ZPO, § 256 Rn. 38; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 256 Rn. 47; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rn. 58 sowie allgemein ferner Rn. 61 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 256 Rn. 82 f.; Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 18.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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bzw. hilfsweise möchte er festgestellt haben, dass er den Prospektmangel weder kannte noch grob fahrlässig nicht kannte, § 45 Abs. 1 BörsG.
Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich, dass in dem Beispiel 16 (S. 134) das Ersuchen des Beklagten um die Feststellung des Vorliegens der anspruchsausschließenden Voraussetzung des § 45 Abs. 1 BörsG in den Vorlagebeschluss aufzunehmen ist. Die diesbezügliche Fragestellung bildet ein weiteres mit dem Begehren des Klägers nicht spiegelbildliches Feststellungsziel. Es ist ebenso wie das Feststellungsziel betreffend die Prospektunrichtigkeit vom Oberlandesgericht zu klären. Der Antrag des Beklagten ist oberlandesgerichtlich zu klären, weil die Klägerseite den Haftungsausschluss nicht thematisierte.353 3. Streitgegegenstandsbildende Funktion des Vorlagebeschlusses im Hinblick auf die Musterverfahrensdurchführung vor dem Oberlandesgericht Wegen der verfahrensrechtlichen Konzeption des KapMuG ist der bislang erörterte Aspekt der Bindung der Prozessgerichts an die für die Vorlage nach § 4 KapMuG maßgeblichen Musterfeststellungsanträge streng von der Frage zu trennen, ob der gesamte Inhalt des Vorlagebeschlusses den Gegenstand der oberlandesgerichtlichen Musterverfahrensdurchführung und Entscheidung bildet. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ist der Beschluss, mit welchem das Prozessgericht über die Zulassung eines Musterprozesses entscheidet, unanfechtbar und für das Oberlandesgericht bindend. Zwar wollte der Gesetzgeber mit diesen Anordnungen nur erreichen, dass das Oberlandesgericht „nicht zu einer Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen nach § 4 Abs. 1 KapMuG berufen“ ist.354 Wie sich aber aus der systematischen Ausgestaltung des KapMuG ergibt, weist die Vorschrift über die Gesetzesbegründung hinaus dem Prozessgericht die Zuständigkeit dafür zu, den Vorlageinhalt und damit den Musterstreitgegenstand verbindlich festzulegen. Ausgehend davon, dass das Prozessgericht bei der Abfassung des Vorlagebeschlusses an den Willen der Antragsteller gebunden ist, muss es in diesen sämt353 Vgl. KG Berlin, erweiterter Vorlagebschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht vom KG Berlin im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co KG – LBB Fonds 13“). Das rechtliche Bedürfnis für eine Aufnahme in den Vorlagebeschluss nach § 4 Abs. 2 KapMuG zum Zwecke der oberlandesgerichtlichen Klärung ist zu unterscheiden von dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis eines Musterfeststellungsantrags. Letzteres kann wegen dem gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG erforderlichen Vorlagequorum nicht mit dem Argument verneint werden, es sei bereits ein anderer Antrag mit dem identischen Feststellungsziel gestellt worden. Vgl. allgemein zum Rechtsschutzbedürfnis des Musterantragstellers KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 178 ff. 354 BT-Drs. 15/5091, S. 23.
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§ 3 Der Streitgegenstand des KapMuG
liche, in den zu Grunde zu legenden Musterfeststellungsanträgen enthaltenen, Feststellungsziele sowie die hierzu geltend gemachte Streitpunkte aufnehmen.355 Der Vorlagebeschluss bündelt die nach § 1 KapMuG zulässigen und gleichgerichteten Anträge, vgl. § 4 Abs. 1 und Abs. 2 KapMuG. Er soll dadurch den Prozessstoff für das Oberlandesgericht konzentrieren und abschichten.356 Der Vorlagebeschluss fixiert den Gegenstand des Musterverfahrens.357 Über dessen Inhalt hat das Oberlandesgericht zu verhandeln und zu entscheiden, nicht etwa lediglich über den Musterfeststellungsantrag der später zum Musterkläger bestimmten Person.358 Zwar könnte dieser Antrag mit den nach dem Vorlagebeschluss zu treffenden Feststellungen übereinstimmen. Dies wäre der Fall, wenn sämtliche Antragsteller um dasselbe Feststellungsziel ersuchen und dies mit identischen Streitpunkten begründen würden. Typischerweise werden sich die gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge aber zumindest in den vorgebrachten Streitpunkten unterscheiden. Der Antrag der nach § 8 Abs. 2 KapMuG zum Musterkläger auserwählten Person bildet nur einen Ausschnitt der im Vorlagebeschluss enthaltenen globalen musterverfahrenrechtlichen Fragestellung.359 Diese streitgegenstandsbildende Funktion des Vorlagebeschlusses erklärt sich zum einen aus den bereits im Zusammenhang mit der Bindung des Prozessgerichts an die Fassung der Musterfeststellungsanträge erörterten Aspekten. Der Gesetzgeber hat die Konzentration des Prozessstoffes mit § 4 KapMuG in die Zuständigkeit des vorlegenden erstinstanzlichen Gerichts gegeben.360 Soll der Verfahrensgegenstand nachträglich erweitert werden, setzt dies gemäß § 13 Abs. 2 KapMuG eine Ergänzung des Vorlagebeschlusses durch das Prozessgericht voraus.361 Auch die fehlende Aufnahme des musterklägerischen Feststellungsantrags in den Katalog des § 6 Satz 1 KapMuG spricht für eine Verbindlichkeit des gesamten Inhalts des Vorlagebeschlusses. Zum anderen kann die Bestimmung des musterverfahrenrechtlichen Gegenstands nach der Ausgestaltung des Gesetzes nicht vom Willen der zum Musterkläger auserkorenen Person abhängen. Die Auswahl nach § 8 Abs. 2 KapMuG ist nicht davon abhängig, dass der betreffende Individualkläger selbst einen Musterfeststellungsantrag vor seinem Ausgangsgericht stellte.362 Aus ihr ist folglich keine Einengung des Verfahrensgegenstands auf den Willen der auserwählten Musterparteien – zwischen denen im Übrigen kein striktes Korrespondenzver355 356 357 358 359 360 361 362
Vgl. hierzu bereits S. 122 ff. BT-Drs. 15/5091, S. 23. Vgl. auch KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 61. KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 1. KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 1. BT-Drs. 15/5091, S. 23. S. 209 ff. BT-Drs. 15/5091, S. 25.
B. Der Gegenstand des KapMuG
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hältnis besteht363 – ableitbar. Dem Oberlandesgericht sollen e contrario vielmehr die von sämtlichen Antragstellern geltend gemachten Streitpunkte zur Klärung vorgelegt werden.364 Grundlage der oberlandesgerichtlichen Entscheidung können damit nur die in dem Vorlagebeschluss gebündelten Ersuchen sein.365 Soweit die sich daraus ergebenden Fragestellungen über den Willen des auserwählten Musterklägers hinausgehen, muss er sich diese auf Grund seiner Parteirolle im Sinne einer umfassenden Erledigung des Streitstoffes zurechnen lassen.366
363
Vgl. S. 176 ff. BT-Drs. 15/5695, S. 24. 365 Vgl. auch Kilian, KapMuG, S. 80 sowie – allerdings ohne nähere Begründung – KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 61 und § 9 Rn. 1. Vgl. ferner LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 120 („Deutsche Telekom AG“). S. 144; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 8; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253). 366 I. d. S. auch Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (108). Kritisch zur Ausgestaltung der Musterklägerauswahl Stadler, Festschrift Rechberger, S. 668. Die rechtliche Rolle des Musterklägers ist nicht unumstritten. Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass er die auf seiner Seite Beigeladenen „vertritt“ (Plaßmeier, NZG 2005, 609 [612]) oder deren „Repräsentant“ (Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 4) bzw. „Interessenwalter“ oder „Sachwalter“ (Keller/Kolling, BKR 2005, 399 [401 f.]; Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 [16 Fn. 22]; wohl auch Ek, Haftungsrisiken für Vorstand und Aufsichtsrat, S. 152) sei. Nach der überzeugenden Gegenansicht führt der Musterkläger sein eigenes Verfahren ausschließlich im eigenen Interesse ohne Treuepflichten gegenüber den Beigeladenen, so dass er auch keinen Haftungsrisiken bei unzureichender Interessenwahrnehmung ausgesetzt sein kann (Kilian, KapMuG, S. 102 f. mit ausführlicher Begründung; ferner Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [108]; Koch, BRAK-Mitt. 2005, 159 [163]; Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 [460]; Bundesregierung [Gegenäußerung auf die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf], BT-Drs. 15/5091, S. 49; hingegen offen KG Berlin, Beschluss v. 11. Februar 2009, veröffentlicht im Klageregister [vgl. § 1 Fn. 54] vom KG Berlin am 16. Februar 2009 [Stand: 1. Oktober 2009], Az.: 24 Kap 15/07 m.w. N. [„Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“]). 364
§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung A. Die anfängliche „Häufung von Feststellungszielen“ I. Ausgangssituation Die bisherige Auslegung des Begriffs „Feststellungsziel“ hat sich ausschließlich auf die Frage konzentriert, welcher Inhalt ihm in Abgrenzung zu den „Streitpunkten“ i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG zukommt. Ausgeklammert aus der Untersuchung blieb die konkrete Formulierung der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Der in der Vorschrift verwendete Plural legt nahe, dass die Parteien der Ausgangsverfahren das Oberlandesgericht nicht lediglich um Klärung eines einzigen Tatbestandsmerkmals oder einer einzigen Rechtsfrage ersuchen können, sondern ihr Begehren gleichzeitig mehrere Feststellungen umfassen kann. Soweit innerhalb des gleichen Lebensvorgangs lediglich über ein einziges Tatbestandsmerkmal bzw. eine einzige Rechtsfrage Uneinigkeit besteht, ist eine Antragshäufung bereits begrifflich ausgeschlossen. Wollen die Parteien dies im Musterverfahren klären lassen, so enthalten ihre Musterfeststellungsanträge zwangsläufig nur ein einziges Ersuchen. Das den Musterentscheid einholende Prozessgericht hat in seinem Vorlagebeschluss lediglich eine Fragestellung zu formulieren. Sie gibt dem Oberlandesgericht entweder auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen des umstrittenen Tatbestandsmerkmals festzustellen oder die diskutierte Rechtsfrage zu beantworten. In der Praxis werden die Kläger den Musterprozess allerdings meist dazu nutzen, das Oberlandesgericht mit ihren Musterfeststellungsanträgen gleichzeitig um Klärung verschiedener mehrfach relevanter Entscheidungselemente zu ersuchen. Zugleich bitten sie möglicherweise um Stellungnahme zu einer Rechtsfrage. In diesen Konstellationen stellt sich sowohl auf Ebene der Antragsstellung als auch im Rahmen der Vorlage an das Oberlandesgericht die Frage nach der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit und Behandlung einer „Häufung von Feststellungszielen“. Unstreitig ist insoweit, dass die Antragsteller gleichzeitig um mehrere tatsächliche und rechtliche Feststellungen ersuchen können.1 Auch steht außer Diskus1 So können die Kläger beispielsweise – wie etwa in Fall 1 von S. 129 – in ihrem Antrag kumulativ die Feststellung verschiedener Anspruchsvoraussetzungen und/oder die Klärung mehrerer Rechtsfragen begehren.
A. Die anfängliche „Häufung von Feststellungszielen‘‘
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sion, dass das den Musterentscheid einholende Prozessgericht diese Bitten, sofern sie zulässig und gleichgerichtet sind2, gebündelt dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen hat. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG3, der Bindung des Prozessgerichts an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge, § 4 Abs. 1 KapMuG, sowie der Bündelungsfunktion des Vorlagebeschlusses. Uneinigkeit besteht in Rechtsprechung und Schrifttum allerdings dahingehend, ob insoweit von mehreren Feststellungszielen auszugehen ist und dies zu einer Antragshäufung führen würde.4 Damit ist zugleich die Frage nach dem Zulässigkeitsmaßstab für eine Häufung von musterverfahrensrechtlichen Gegenständen aufgeworfen.
II. Die in der Literatur vertretenen Lösungsansätze 1. Die These der Feststellungszielshäufung Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing5, Volkert Vorwerk 6, Josef Fullenkamp7, Fabian Reuschle8 sowie Ferdinand Kruis9 gehen davon aus, dass jede Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Tatbestandsvoraussetzung sowie jede einzelne Rechtsfrage jeweils ein eigenes Feststellungsziel und folglich einen eigenen Musterfeststellungsantrag bildet.10 Demnach würden z. B. die Kläger 11–20 aus dem 2
Vgl. hierzu näher S. 123 f. Streng nach dem Wortlaut der Vorschrift kann der Antragsteller das Oberlandesgericht lediglich wahlweise um die Feststellung tatsächlicher Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen ersuchen. In Anbetracht des systematischen und teleologischen Gesamtkonzepts des KapMuG ist diese alternative Formulierung allerdings als gesetzgeberisches Versehen aufzufassen (siehe auch BT-Drs. 15/5695, S. 23). Das Ziel des Musterverfahrens besteht darin, dem Oberlandesgericht sämtliche von den Parteien der Ausgangsverfahren im Hinblick auf gleichgelagerte Sachverhalte gestellte Fragen gemeinsam vorzulegen und so einer breiten Klärung zuzuführen (vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22 f., 24). I. E. ebenso, allerdings ohne nähere Begründung, KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91. 4 Für eine Antragshäufung KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 32. Zu ihrer verfahrensrechtlichen Zulässigkeit, etwa über eine entsprechende Anwendung des § 260 ZPO, äußern sich beide Autoren jedoch nicht. 5 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (92): „Der Beschluss muss also entgegen dem Wortlaut nicht das Feststellungsziel, sondern die Feststellungsziele wiedergeben“ (Hervorhebung im Original). Gleichwohl stützt KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63 auf diese Aussage seinen Standpunkt, das globale Feststellungsziel des Musterverfahrens könne ohne Weiteres mehrere Tatbestandsmerkmale umfassen. 6 Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 32. 7 Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 21 ff. 8 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 15 ff.; § 13 Rn. 11 ff. 9 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91. 10 Offen insoweit B. Schneider, BB 2005, 2249 (2253), der nur im Rahmen der Gleichgerichtetheit davon spricht, dass „nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Satz 5 Kap3
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Fall von S. 129, welche um Feststellung der Prospektunrichtigkeit sowie der Kenntnis des Wertpapieremittenten hiervon ersuchen, tatsächlich in einem lediglich äußerlich zusammengefassten Antrag zwei Feststellungsziele verfolgen. Hinsichtlich jeder der beiden Fragestellungen läge ein gesonderter Musterfeststellungsantrag vor. Konsequenterweise setzt sich diese Antragshäufung im Vorlagebeschluss fort. Er würde in dem Beispiel ebenfalls zwei Feststellungsziele umfassen. Nach dieser Sichtweise enthielte der Vorlagebeschluss ferner in den Konstellationen eine Streitgegenstandshäufung, in welchen er verschiedene, in gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen enthaltene, Fragestellungen zur gemeinsamen Vorlage bündelt. Ersucht also etwa ein Teil der zuvor beispielhaft herangezogenen Klägergruppe nur die Feststellung der Prospektunrichtigkeit und wollen die anderen Kläger lediglich das Beklagtenverschulden festgestellt haben, so fänden beide Fragen jeweils als gesondertes Feststellungsziel in die Vorlage Eingang.11 Mithin hätte das Oberlandesgericht über eine Häufung von Feststellungszielen zu verhandeln und entscheiden, wenn es mehrere Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art zu beantworten hat. Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing, Josef Fullenkamp sowie Ferdinand Kruis setzen sich bei dieser Interpretation allerdings nicht mit dem in der Legaldefinition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verwendeten Plural auseinander. Auch benennen sie keine verfahrensrechtlichen Grundlagen, auf die sich die Zulässigkeit einer Mehrung von musterverfahrensrechtlichen Gegenständen stützen lässt.12 Demgegenüber begründet Volkert Vorwerk zumindest den Aspekt der Antragshäufung. Er sieht es angesichts des Gegenstands des Musterverfahrens bei komplexen Sachverhalten als zweckmäßig an, die festzustellenden Voraussetzungen eines Schadensersatz- oder Erfüllungsanspruchs bzw. die zu klärenden Rechtsfragen im Musterfeststellungsantrag als abtrennbare Teile zu formulieren. So würde sich für die Kläger die Chance erhöhen, möglichst viele TatbestandsvoraussetMuG [. . .] Musterfeststellungsanträge „gleichgerichtet“ [. . .] sind, „[. . .] wenn ihr Feststellungsziel (richtiger wohl: Feststellungsziele) denselben Lebenssachverhalt betrifft“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin). KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 8 Rn. 63 f. hingegen leitet aus dieser Aussage ab, dass der Begriff des Feststellungsziels mehrere Fragestellungen in sich vereinigen kann. 11 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91; Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 32. Entsprechendes müsste konsequenterweise gelten, wenn neben dem (Nicht)Vorliegen einer oder mehrerer Tatbestandsvoraussetzungen nach der Lösung einer bzw. mehrerer Rechtsauslegungsproblemen gefragt würde. 12 KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 91: „Jedes Feststellungsziel führt daher auch zu einem eigenen Musterfeststellungsantrag, selbst wenn mehrere Feststellungsziele äußerlich in einem Antrag zusammengefasst sind, was ohne weiteres zulässig ist“ (Hervorhebung durch die Verfasserin); ferner Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 21 sowie § 13 Rn. 6; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (91 sowie 101 ff.).
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zungen bzw. Rechtsfragen bzgl. einer Anspruchsgrundlage im selben Musterfeststellungsverfahren zu klären. Das Prozessgericht entscheide allein anhand der im Klageregister eingetragenen Musterfeststellungsanträge darüber, ob deren Feststellungsziel jeweils gleichgerichtet sei. Aus diesem Grund würde es die Regelung des § 1 Abs. 2 KapMuG nicht verbieten, mehrere Feststellungsziele im Rahmen einer Antragshäufung anzugeben.13 Allerdings äußert sich auch Volkert Vorwerk nicht dazu, ob er die Zulässigkeit der Antragshäufung dogmatisch auf § 260 ZPO stützt oder sie aus der Konzeption des KapMuG ableitet. Zudem bleibt unklar, weshalb es auf eine „Vielzahl im Feststellungsziel gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge“ 14 ankommen sollte. Der Gesetzgeber hat die Legaldefinition der Gleichgerichtetheit in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG bewusst ausschließlich an die Übereinstimmung im Lebenssachverhalt geknüpft, um eine möglichst umfassende Klärung gleichgelagerter Streitigkeiten zu ermöglichen.15 Eine derart enge Auslegung des Begriffs „Feststellungsziel“ ist weder im Gesetz angelegt noch verändert die damit einhergehende großzügige Annahme einer Antragshäufung den Maßstab für die Ermittlung des Vorlagequorums. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG sind Musterfragen gesondert zu werten, wenn sie in unterschiedlichen Ausgangsverfahren gestellt wurden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine „Häufung von Feststellungszielen“ eine Abarbeitung möglichst vieler Anspruchsvoraussetzungen in demselben Musterverfahren sicherstellen sollte. Der konkrete Inhalt des Ersuchens eines Antragsstellers ist davon unabhängig, ob der Begriff des Feststellungsziels weit oder eng interpretiert wird. Volkert Vorwerk blendet die Legaldefinition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aus. Dadurch trägt er der Systematik des § 1 KapMuG nicht hinreichend Rechnung. Im Zusammenhang mit der Formulierung dieser Vorschrift stellt sich vordergründig die Frage, ob in demselben Musterfeststellungsantrag, demselben Vorlagebeschluss sowie demselben Musterverfahren begrifflich überhaupt mehrere verschiedene Feststellungsziele denkbar sind, folglich eine Gegenstandshäufung grundsätzlich möglich ist. Sie bleibt deshalb zwangsläufig unberücksichtigt. 2. Die These vom inhaltlich dehnbaren Begriff des Feststellungsziels Thomas Kilian vertritt demgegenüber die Auffassung, in einem Musterverfahren gebe es stets nur ein einziges Feststellungsziel. Wegen der konzeptionellen Unterteilung des KapMuG in zwei verschiedene Verfahrensabschnitte würde sich das für die oberlandesgerichtliche Musterverfahrensdurchführung relevante Feststellungsziel „aus der Summe der Feststellungsziele der einzelnen Musterfeststel13 14 15
Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 32. Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1 Rn. 32 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Vgl. BT-Drs. 15/5695, S. 23 f.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9.
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lungsanträge“ 16 zusammensetzen. Hieran ändere auch eine spätere Erweiterung17 des begehrten Feststellungsumfanges nach § 13 KapMuG nichts.18 Dies würde neben dem Wortlaut der § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 5, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 2 Nr. 1, § 6 Satz 1 Nr. 3 KapMuG die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG belegen.19 Dieser Interpretation hat sich nicht nur das Landgericht Stuttgart unter Hinweis auf den exakten Wortlaut der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG angeschlossen.20 Auch das Landgericht Frankfurt a. M.21, Dorothee Erttmann, Thomas Keul 22 und Gregor Vollkommer 23 gehen von einem einzigen Feststellungsziel je Musterverfahren aus, das ohne weiteres mehrere Fragestellungen umfassen kann. Es vereinigt den Inhalt sämtlicher vom vorlegenden Prozessgericht einzubeziehender Musterfeststellungsanträge. Dies zu Grunde gelegt, verfolgen die Kläger 11–30 aus dem Beispiel 1 auf S. 129 in ihren Musterfeststellungsanträgen jeweils nur ein einziges „Einzelfeststellungsziel“.24 Unerheblich ist, dass sie im Gegensatz zu den Anlegern 1–10 nach dem Vorliegen mehrerer Tatbestandsmerkmale fragen. Werden in den Vorlagebeschluss sämtliche Anträge der Kläger 1–30 aufgenommen25, so verschmelzen die darin formulierten Einzelersuchen zu dem Feststellungsziel des Muster16
Kilian, KapMuG, S. 80. Siehe hierzu S. 185 ff. 18 Kilian, KapMuG, S. 55 ff. 19 Kilian, KapMuG, S. 57 f. Er erörtert diese Problematik allerdings erst im Zusammenhang mit der nachträglichen Erweiterung des Musterstreitgegenstands über die Vorschrift des § 13 KapMuG. Bei Ablehnung eines flexiblen Begriffsverständnisses vom Feststellungsziel stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit und der dogmatischen Grundlage einer objektiven Gegenstandshäufung jedoch bereits bei der Antragsstellung nach § 1 KapMuG bzw. der Fassung des Vorlagebeschlusses nach § 4 KapMuG. Zutreffender diskutiert Josef Fullenkamp die Problematik daher auch im Rahmen des Vorlageverfahrens (Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 21). Vgl. zur zivilprozessualen Streitgegenstandshäufung ferner den Text bei und die Fn. 43. 20 LG Stuttgart, Vorlagebeschluss v. 3. Juli 2006 („DaimlerChrysler“), abgedruckt in ZIP 2006, 1731 (1732 f.), sowie veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Stuttgart am 28. Februar 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 9 Kap 1/06. 21 LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschluss v. 11. Juli 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 144 („Deutsche Telekom AG“; Stand: 1. Oktober 2009). 22 Erttmann/Kreul, WM 2007, (482) 485: „[. . .] spricht für letzteres, dass den Streitgegenstand des Musterverfahrens das Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses bestimmt“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 23 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63 f., insbesondere Rn. 64. 24 Diese Begriffsbildung geht auf KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63 zurück und ermöglicht treffend die Abgrenzung zum globalen im Vorlagebeschluss formulierten Feststellungsziel, welches die Grundlage der Musterprozessdurchführung vor dem Oberlandesgericht bildet. 25 Vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit der Musterfeststellungsanträge für die Vorlage S. 122 ff. 17
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verfahrens. Eine Gegenstandshäufung ist nach dieser Ansicht bereits begrifflich ausgeschlossen. Auch ist stets von einem einzigen Musterfeststellungsantrag auszugehen. Das gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Antragsteller darin eine oder mehrere Fragen zu mehrfach relevanten Entscheidungselementen aufwirft. 3. Stellungnahme a) Die Flexibilität des Begriffs des Feststellungsziels aus dem Blickwinkel der Musterfeststellungsanträge Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG sprechen für ein weites und normatives Verständnis des Begriffs „Feststellungsziel“. Nach der in dieser Vorschrift verankerten Legaldefinition ist darunter „die Feststellung des Vorliegens oder Nichtsvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen“ zu verstehen.26 Der Wortlaut legt nahe, dass ein einziges Feststellungsziel gleichzeitig Bezugspunkt für mehrere strittige Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfragen sein kann.27 Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber hat sich bei ihrer Formulierung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bewusst gegen den Singular entschieden. Durch die Wahl des Plurals wollte er eine möglichst umfassende Klärung mehrfach relevanter Fragestellungen ermöglichen.28 Der Regierungsentwurf hatte noch keine Definition der Begriffe Feststellungsziel und Streitpunkte enthalten. Vielmehr war in § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 KapMuG-E nur folgende Passage vorgesehen: „Durch Musterfeststellungsantrag kann in einem erstinstanzlichen Verfahren [. . .] die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung begehrt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits hiervon abhängt. Durch Musterfeststellungsantrag kann in den Fällen des Satzes 1 auch nur die Klärung einer Rechtsfrage begehrt werden.“ 29
Das Prozessgericht sollte nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E durch Vorlagebeschluss einen Musterentscheid „[. . .] über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung oder eine Rechtsfrage [. . .]“ 30 26
Hervorhebungen durch die Verfasserin. So auch LG Stuttgart 2006, 1731 (1733; „DaimlerChrysler“), vgl. bereits Fn. 20; ferner Kilian, KapMuG, S. 58. Vgl. auch Heidel/Gansel/Gängel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 1 KapMuG Rn. 5. 28 Vgl. auch Kilian, KapMuG, S. 58, 62. 29 § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 KapMuG-E, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 5 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 30 Abgedruckt unter BT-Drs. 15/5091, S. 6 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 27
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herbeiführen können. Offenbar hatte der Gesetzgeber anfänglich in jedem Ersuchen um die Feststellung einer Anspruchsvoraussetzung bzw. die Beantwortung einer Rechtsfrage einen gesonderten Musterfeststellungsantrag gesehen. Jedes Tatbestandselement bzw. jede rechtliche Fragestellung sollte ein gesondertes Feststellungsziel bilden. Die ursprüngliche Definition der Gleichgerichtetheit in § 4 Abs. 1 Satz 4 KapMuG-E verlangte – anders als die jetzige Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG – eine Übereinstimmung sowohl im Feststellungsziel als auch im zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt. Die Formulierung des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 KapMuG-E hat in der systematischen Gesamtschau nahegelegt, das Oberlandesgericht könnte je Musterverfahren überhaupt nur eine einzige Fragestellung behandeln.31 Allerdings war diese Schlussfolgerung mit dem entsprechenden Abschnitt der Entwurfsbegründung nicht vollständig in Einklang zu bringen, wonach in einem Musterverfahren „abweichend vom Anwendungsbereich des § 256 ZPO [. . .] auch einzelne Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses oder einer Anspruchgrundlage [. . .] festgestellt“ und „[. . .] auch reine Rechtsfragen für eine Vielzahl von Rechtsstreiten geklärt werden können.“ 32
Der Bundesrat hat diesen Widerspruch und die daraus resultierenden Auslegungsunsicherheiten in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf aufgegriffen und eine Klarstellung im weiteren Gesetzgebungsverfahren gefordert.33 Der Rechtsausschuss gestaltete daraufhin die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 KapMuG-E in die heutige Form des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG um.34 Er hat dies folgendermaßen begründet: „Entsprechend der Anregung des Bundesrates [. . .] soll der Begriff „Feststellungsziel“ definiert werden. Die Definition wird dabei bewusst weit gewählt, damit im Musterverfahren der Sachverhalt möglichst umfassend geklärt wird – auch wenn die einzelnen Kläger unterschiedlichen Tatsachenvortrag [. . .] bringen und ggf. auch verschiedene Beklagte (z. B. Emittent und emissionsbegleitendes Kreditinstitut) bezeichnen. Ein Feststellungsziel kann daher auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens mehrerer sowohl anspruchsbegründender als auch anspruchsausschließender Voraussetzungen einschließlich der Klärung von Rechtsfragen gerichtet sein.“ 35 31 BT-Drs. 15/5091, S. 6. § 4 Abs. 1 Satz 4 KapMuG-E war wie folgt gefasst: „Musterfeststellungsanträge sind gleichgerichtet, wenn das Feststellungsziel und das zugrunde liegende Ereignis identisch sind.“ 32 BT-Drs. 15/5091, S. 20 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 33 BT-Drs. 15/5091, S. 40 ff. Der Bundesrat kritisierte die Entwurfsbegründung insoweit als „äußerst knapp und wenig von Dogmatik geprägt“ (S. 41). Aus ihr würden sich für die Gerichte und Verfahrensbeteiligten weder die Inhalte noch die Unterschiede der bislang unbekannten Begriffe „Feststellungsziel“ und „Streitpunkte“ erschließen (S. 41). 34 BT-Drs. 15/5695, S. 22 f. Vgl. hierzu die Anmerkung von Reuschle, KapMuG, S. 102 Fn. 2. 35 BT-Drs. 15/5695, S. 22 f. (Hervorhebungen durch die Verfasserin).
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Der Rechtsausschuss kannte folglich die bestehenden Auslegungsunsicherheiten. Im Interesse einer möglichst breiten Erledigung des Prozessstoffes hat er sich dafür entschieden, in einem einzigen Musterverfahren mehrere Fragestellungen zuzulassen. Mit der bewussten Wahl des Singulars in der Legaldefinition stellte er klar, dass jeder Musterfeststellungsantrag nur ein Feststellungsziel enthält und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller mit ihm um eine einzige Feststellung ersucht oder mehrere tatsächliche oder rechtliche Fragen vom Oberlandesgericht beantwortet haben möchte. Der Begriff des Feststellungsziels passt sich flexibel der inhaltlichen Reichweite der Musterfeststellungsanträge an.36 Für eine Antragshäufung im zivilprozessualen Sinne ist kein Raum.37 b) Die Flexibilität des Begriffs des Feststellungsziels aus dem Blickwinkel des Vorlagebeschlusses Die Ausführungen des Rechtsausschusses legen zugleich die Schlussfolgerung nahe, diese Flexibilität im Rahmen des Vorlagebeschlusses zu erhalten, wenngleich dieser die gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge mit jeweiligen „Einzelfeststellungszielen“ 38 in sich aufnimmt. Gesetzessystematisch spricht für dieses Verständnis zunächst der Standort der Legaldefinition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Die Vorschrift bezieht sich bereits auf das Ziel der Musterverfahrensdurchführung – Feststellung von Tatbestandsvoraussetzungen oder Klärung von Rechtsfragen. Gleichzeitig benennt sie die verfahrenstechnische Grundvoraussetzung hierfür: Das Stellen eines Musterfeststellungsantrags. Die in dieser Norm enthaltene Begriffsbestimmung betrifft mithin beide Verfahrensabschnitte des KapMuG gleichermaßen. Folglich kann das in § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 6 Satz 1 Nr. 3 KapMuG angesprochene Feststellungsziel nur so verstanden werden, wie es in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG niedergelegt ist. Hätte der Gesetzgeber im Rahmen des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens eine Häufung von Feststellungszielen gewollt, so hätte er dies durch eine entsprechende Formulierung in den § 4 Abs. 2, § 6 Satz 1 Nr. 3 KapMuG klarstellen müssen. Ferner knüpft § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG an die Musterfeststellungsanträge an. Deren Inhalt ist für das den Musterentscheid einholende Prozessgericht bin36
So im Ergebnis auch Kilian, KapMuG, S. 57 f. Zur Unzulässigkeit der Antragshäufung bzw. einer gemeinsamen Vorlage bei unterschiedlichen Lebenssachverhalten vgl. Fn. 46 bzw. S. 123 f. Das Prozessgericht müsste die Anträge trennen und bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 1 KapMuG gesondert im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers bekannt machen, § 2 KapMuG (Rechtsgedanke des § 145 ZPO). 38 KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63; vgl. auch Erttmann/Kreul, WM 2007, (482) 485. Ähnlich Kilian, KapMuG, S. 58: „Teilfragen“. 37
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
dend.39 Ist insoweit nach dem zuvor Gesagten eine Antragshäufung ausgeschlossen, so erscheint es nur konsequent, dieses Verständnis im Rahmen des Vorlagebeschlusses fortzusetzen. Er führt lediglich die gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge zu dem Streitgegenstand des Musterverfahrens zusammen. Für eine umfassende Flexibilität des Begriffs Feststellungsziel spricht neben dem von Thomas Kilian angeführten Wortlautargument der § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 5, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 2 Nr. 1, § 6 Satz 1 Nr. 3 KapMuG folglich ein verfahrenstechnischer Umstand: Das Prozessgericht legt durch Formulieren eines einheitlichen Vorlageinhalts den Streitgegenstand für den oberlandesgerichtlichen Musterprozess verbindlich fest.40 Mithin kann es im Rahmen der oberlandesgerichtlichen Musterverfahrensdurchführung und Entscheidung nur ein einziges globales Feststellungsziel geben. Dieses vereint in sich den Inhalt sämtlicher Musterfeststellungsanträge, welche die Grundlage für die Vorlage bilden.41 Gibt es nur ein flexibles Feststellungsziel, so ist in den Grenzen der Gleichgerichtetheit i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG eine Streitgegenstandshäufung ausgeschlossen. Bei einem normativen Verständnis vom musterverfahrensrechtlichen Gegenstand sowie unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der § 4, § 5 und § 7 KapMuG, gleichgelagerte Sachverhalte in einem einzigen Musterprozess zu bündeln42, ist dieses Ergebnis nur konsequent. Das KapMuG unterscheidet sich insoweit von dem zivilprozessualen Konzept. Bei diesem verleiht die Vorschrift des § 260 ZPO dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen lediglich die Befugnis, objektiv verschiedenen Gegenstände in demselben Verfahren geltend zu machen. Ein Mittel, die Verbindung zu erzwingen, kennt die ZPO nicht.43 4. Fazit Das Kapitalanleger-Musterverfahren ist nicht auf eine Häufung von Feststellungszielen ausgelegt. Im ZPO-Verfahren räumt das prozessuale Institut der Gegenstandsmehrung dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit ein, mehrere selbständige Begehren in einem einzigen Prozess geltend zu 39 Zur Bindung des vorlegenden Prozessgerichts an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge vgl. ausführlich S. 122 ff. sowie hinsichtlich der Grenzen des Bindungsumfangs S. 128 ff. 40 Vgl. Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 4 Rn. 30 f. 41 Kilian, KapMuG, S. 80; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 63 f. 42 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 20, 24 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 1 f., 22, 24. 43 Vgl. MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 260 Rn. 1; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 260 Rn. 1. Dies spiegelt sich auch im Wortlaut von § 260 ZPO („kann“) wider. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verbindung siehe MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 260 Rn. 32 ff.; Zöller/Greger, ZPO, § 260 Rn. 1a ff.; Musielak/Foerste, ZPO, § 260 Rn. 6 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, § 260 Rn. 11 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 260 Rn. 22 ff.
A. Die anfängliche „Häufung von Feststellungszielen‘‘
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machen.44 Demgegenüber gibt es im Rahmen des KapMuG wegen des erstrebten und durch das Erfordernis der Gleichgerichtetheit gewährleisteten Bündelungsmechanismus unabhängig von dem Willen der Beteiligten stets nur ein einheitliches Gesamtbegehren. Dessen gemeinsame Verhandlung und Entscheidung ist zwingend. Auf Grund dieser normativen Sichtweise erübrigt sich die – in Rechtsprechung und Schrifttum unbeantwortete – Frage nach dem dogmatischen Anknüpfungspunkt für eine Häufung. Vielmehr kann ein einziges Feststellungsziel entsprechend dem Sinn und Zweck sowie der Regelungssystematik der Vorschriften des KapMuG sowohl im Rahmen der Antragsstellung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG als auch der Vorlage nach § 4 KapMuG auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen mehrerer Tatbestandsmerkmale einer Norm und/oder die Lösung eines bzw. mehrerer Rechtsauslegungsprobleme gerichtet sein. Diese umfassende Flexibilität des Begriffs Feststellungsziel findet ihre gesetzliche Stütze in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Wegen der Maßgeblichkeit des Feststellungsziels für den kapitalanlegerrechtlichen Verfahrensgegenstand45 ist eine objektive Streitgegenstandshäufung im Umfang der Gleichgerichtetheit ausgeschlossen.46 Die Gleichgerichtetheit gemäß § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG fordert für die Berücksichtigungsfähigkeit von Musterfeststellungsanträgen bei der Vorlage nur eine Übereinstimmung im Lebenssachverhalt, während deren Einzelfeststellungsziele divergieren können. In diesem Fall dehnt sich das (globale) Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 KapMuG von Gesetzes wegen inhaltlich aus. Diese Dehnbarkeit trägt dazu bei, die in den einzelnen Musterfeststellungsanträgen enthaltenen Fragestellungen nahtlos zum (anfänglichen) Streitgegenstand des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens zusammenzuführen. Zugleich erklärt
44
Vgl. zuvor den Text bei und die Nachweise in Fn. 43. Siehe hierzu insbesondere S. 107 f. sowie ferner S. 110 ff.; vgl. zur Bestimmung des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands S. 112 f. sowie S. 220 ff., dort insbesondere S. 246 ff. 46 Dies gilt erst recht für den (hypothetischen) Fall, dass sich die vom Individualkläger begehrten Feststellungen auf unterschiedliche Lebenssachverhalte beziehen, es also an der Gleichgerichtetheit gemäß § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG fehlt. Begrifflich läge insoweit eine objektive Antragshäufung im zivilprozessualen Sinne vor. Ihre Zulässigkeit im Rahmen des KapMuG-Verfahrens lässt sich nicht über § 260 ZPO (entsprechend) begründen. Dem stehen Sinn und Zweck des KapMuG sowie das Bündelungserfordernis der Gleichgerichtetheit nach § 4 Abs. 1 KapMuG entgegen. Das Musterverfahren ist nicht auf eine gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung über verschiedene Lebenssachverhalte ausgerichtet, vgl. auch § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. So im Ergebnis ebenfalls Gregor Vollkommer: „[. . .] bezieht sich ein Musterfeststellungsantrag auf mehrere Mitteilungen, erfasst er mehrere Streitgegenstände (Fall der objektiven Antragshäufung), was wegen des selbständigen Abzählens einzelner Lebenssachverhalte nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 jedoch unzulässig ist“ (KK/ G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 16 Fn. 17; ders., NJW 2007, 3094 [3096]). 45
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
diese Auslegung, weshalb der Gesetzgeber für die nachträgliche Erweiterungsmöglichkeit des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands mit § 13 KapMuG eine von den §§ 263 ff. ZPO abweichende Sonderregelung geschaffen hat.47 Das Feststellungsziel und damit der Verfahrensgegenstand sind flexibel zu begreifen. Die Schaffung einer zu den Vorschriften der §§ 263 ff. ZPO speziellen Möglichkeit der nachträglichen Erweiterung des Streitgegenstands des Musterverfahrens war deshalb erforderlich.48 Entsprechend dem Erfordernis der Gleichgerichtetheit in 4 Abs. 1 KapMuG ist hingegen von unterschiedlichen Begehren auszugehen, wenn sich die erstrebten Feststellungen auf verschiedene Lebenssachverhalte beziehen. Diese in § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG normierte Anforderung bildet zusammen mit der Aussetzungs- und Sperrwirkung nach § 5, § 7 KapMuG den Maßstab für die Zulässigkeit eines neuen Musterverfahrens und damit für die Annahme eines anderen Streitgegenstands. Auf die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über eine echte Gegenstandsmehrung ist das KapMuG jedoch aus den bereits erörterten Gründen nicht ausgerichtet.49
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren I. Ausgangssituation Die auf dem Kapitalmarkt typischen Streuschäden bringen die verfahrensrechtliche Schwierigkeit mit sich, die Ansprüche einer Vielzahl von Geschädigten sinnvoll und effizient zu bündeln. In ausländischen Rechtsordnungen sind Gruppen- oder Vertreterklagen verankert, bei denen nur ein Verband oder Gruppenkläger als Partei auftritt, die gerichtliche Entscheidung jedoch auch für am Verfahren nicht beteiligte Dritte wirkt.50 Im Gegensatz dazu ist die deutsche Zivilprozessordnung auf einen Zwei-Parteien-Prozess ausgerichtet.51 Sie stellt nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, um gleichgerichtete Interessen in einem Verfahren zusammenzuführen und abzuwickeln. Bereits seit dem 62. Deutschen Juristentag im Jahre 1998 zeigten sich verstärkt Bestrebungen, diese Defizite zu beheben.52 Dem Gesetzgeber waren von verschiedenen Seiten Vorschläge für 47
BT-Drs. 15/5091, S. 28. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 28. A. A. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 67. 49 Vgl. hierzu zuvor S. 147 sowie vor allem den Text in Fn. 46. 50 Vgl. Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 2; KK-KapMuG/Reuschle, § 8 Rn. 2. 51 KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 4; Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 99; Hess, AG 2003, 113 (114); Kilian, KapMuG, S. 21. Siehe zudem bereits die Nachweise in § 1 Fn. 9. 52 Vgl. bereits S. 29 ff. und 35 Kilian, KapMuG, S. 23 f.; KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 15 ff. 48
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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eine kollektive Rechtsschutzform unterbreitet worden, von denen er jedoch keinen übernommen hat. Stattdessen wählte er mit dem KapMuG einen eigenen Ansatz, um Massenschäden verfahrensrechtlich zu bewältigen.53 Nach dessen Grundkonzeption stehen sich im Musterverfahren ein Musterkläger und ein Musterbeklagter als Parteien gegenüber.54 Die Kläger und Beklagten der übrigen auszusetzenden Ausgangsrechtsstreitigkeiten sind gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG als Beigeladene am oberlandesgerichtlichen Verfahren zu beteiligen. Ihre Rechtsstellung ist an die eines einfachen Nebenintervenienten angenähert.55 Die Beiladung soll die Übertragbarkeit der gewonnenen Ergebnisse auf die ausgesetzten Parallelrechtsstreitigkeiten gewährleisten.56 Die Möglichkeit, weitere Beklagte der Ausgangsstreitigkeiten auf der Passivseite des Musterverfahrens beizuladen, fand erst auf Initiative des Rechtsausschusses Eingang in § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG.57 Zuvor hatte der Gesetzgeber lediglich in der Begründung zum Regierungsentwurf des KapMuG darauf hingewiesen wie er Fälle, in denen im Individualverfahren mehrere Beklagte in Anspruch genommen sind, behandelt wissen wollte: Es sollen auch für den Musterprozess die zivilprozessualen Regeln über die Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO auf Seiten der Beklagten gelten.58 Diese gegensätzlichen Aussagen des Gesetzgebers zum verfahrensrechtlichen Status der Beklagten in der Entwurfsbegründung einerseits und in der Endfassung von § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG andererseits haben Abgrenzungsschwierigkeiten über die jeweils einschlägige Beteiligungsform ausgelöst. Sowohl für die Aktiv- als auch für die Passivseite des oberlandesgerichtlichen KapMuG-Verfahrens wird die Antwort auf die Frage, in welchen Konstellationen das neue Instrument der Beiladung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG oder die zivilprozessualen Vorschriften über die Parteienmehrheit nach §§ 59 ff. ZPO einschlägig sein sollen, in der Literatur uneinheitlich beantwortet. Die Problematik, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine subjektive Klagehäufung gegen die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG durchsetzt, stellt
53 KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 15; Kilian, KapMuG, S. 24; Vorwerk/C. Wolf/ Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 26. Vgl. ferner BT-Drs. 15/5091, S. 14 f.; Reuschle, KapMuG, S. 21 f. 54 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 24 f., v. a. S. 25. 55 Vgl. § 12 KapMuG sowie BT-Drs. 15/5091, S. 19, 24 f., 28 f., 49. Ebenso Hess/ Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1383); Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 3; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (115 f.); Kilian, KapMuG, S. 31, 48, 175; Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2740); KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 1; ders., KapMuG, S. 39. Anders Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (168); Rößler, KapMuG, S. 116. 56 BT-Drs. 15/5695, S. 25; KK-KapMuG/Reuschle, § 8 Rn. 1. 57 BT-Drs. 5695, S. 24. 58 BT-Drs. 15/5091, S. 25.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
sich zunächst in Konstellationen, in denen mehrere Anleger ihre Schadensersatzansprüche als Streitgenossen im Wege der gemeinsamen Klage verfolgen. In der Mehrzahl der Fälle werden die Kläger ihren Schadensersatzanspruch darüber hinaus nicht nur gegen einen einzigen Beklagten, beispielsweise den Wertpapieremittenten, durchzusetzen versuchen; sie nehmen regelmäßig mehrere Personen in Anspruch.59 So haben die Investoren etwa zugleich das gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG für die Prospektrichtigkeit mithaftende emissionsbegleitende Kreditinstitut verklagt und wollen vom Oberlandesgericht auch dessen Verschulden an der Prospektunrichtigkeit feststellen lassen. Andere Kläger sehen möglicherweise ein Vorgehen gegen den Vorstand als erfolgsversprechender an und richten sich dementsprechend in ihren Ausgangsverfahren gegen diesen als Haftungsschuldner. Die Entscheidung zwischen einer Zuziehung zum Musterprozess als Partei oder Beigeladener beeinflusst nicht nur den verfahrensrechtlichen Status der daran beteiligten Personen, vgl. insbesondere § 12 KapMuG. Auch zieht sie gemäß § 16 KapMuG unterschiedliche Wirkungen des oberlandesgerichtlichen Musterentscheids nach sich. Auf Grund dieser zentralen Bedeutung bedürfen die Beteiligungsregelungen in § 8 KapMuG einer eingehenden Betrachtung. Dabei werden auch die gesetzestechnischen Vorgaben in § 8 KapMuG zur Auswahl der Musterverfahrensparteien näher in Augenschein genommen. Im Vorfeld ist die Rollenverteilung im KapMuG-Verfahren zu klären.
II. Die Rollenverteilung im Musterverfahren Das Musterverfahren ist als Zwischenverfahren konzipiert.60 Es führt das erstinstanzliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht fort und bleibt dadurch Teil des Ausgangsrechtsstreits.61 Anders als in den zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren folgt die Rolle als Musterkläger oder Musterbeklagter i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 KapMuG dem Status, den die jeweilige Partei im Ausgangsverfahren einnimmt. Das Stellen eines Musterfeststellungsantrags lässt die Beweislast sowie die Parteirolle vor dem Prozessgericht bzw. im Musterverfahren unberührt.62 Zu einem Rollenwechsel kann es demzufolge auch dann nicht kommen, wenn der Beklagte im Individualverfahren eine negative Feststellungs(wider)klage erhoben und einen entsprechenden „negativen“ Musterfeststellungs-
59 Vgl. hierzu auch Rau, KapMuG, S. 131, sowie ferner Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (168). 60 Vgl. KK/Hess, KapMuG, Einl. Rn. 23; KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 2; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 61 Vgl. Hess, WM 2004, 2329; ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1382 ff.); KK/ Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 1; missverständlich hingegen noch ders., WM 2004, 2334. 62 BT-Drs. 15/5091, S. 25.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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antrag formuliert hat.63 Ihre Parteirolle behalten der Musterkläger und der Musterbeklagte zudem im Fall einer Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid zum Bundesgerichtshof nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V. m. § 133 GVG unabhängig davon, von wem die Rechtsbeschwerde eingelegt wurde.64
III. Die Bestimmung des Musterklägers 1. Maßgeblicher Personenkreis und gesetzgeberischer Grundsatz der Auswahl einer einzigen Person zum Musterkläger nach § 8 Abs. 2 KapMuG Kapitalmarktrechtliche Streuschäden zeichnen sich durch eine Vielzahl von Geschädigten aus. Auf der prozessualen Aktivseite ist deshalb typischerweise mit einer starken Beteiligung zu rechnen. § 8 Abs. 2 KapMuG trägt diesem Umstand Rechnung. Die Norm regelt die Bestimmung des bestgeeignetsten Musterklägers aus dem Kreis derjenigen Kläger, deren Individualverfahren bei dem vorlegenden Prozessgericht anhängig sind. Die Auswahl ist nicht auf diejenigen Kläger beschränkt, die selbst einen Musterfeststellungsantrag gestellt haben. Wurde ein solcher im Individualverfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 2 KapMuG vom Beklagten gestellt, so kann das Oberlandesgericht auch den Kläger dieses Individualverfahrens zum Musterkläger bestimmen.65 Unerheblich ist zudem, ob die auserwählte Person ihrer Ernennung zu63 So auch KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 11; nicht zutreffen hingegen Vorwerk/ Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 5 Fn. 14, die insoweit ohne nähere Begründung für einen Rollenwechsel plädiert. Vgl. allgemein hinsichtlich der negativen Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO, insbesondere zur Behauptungs- und Beweislast BGH NJW 1993, 1716 (1717); C. Balzer, NJW 1992, 2721 (2725); Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, § 256 Rn. 7; Musielak/Foerste, ZPO, § 256 Rn. 38; MüKo/Lüke, ZPO, § 256 Rn. 68; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Vor § 284 Rn. 23 f.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 256 Rn. 82; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 256 Rn. 18. 64 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 11; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 351. Von der während des gesamten Verlaufs des Musterverfahrens gleichbleibenden Parteirolle zu unterscheiden ist der Status des Musterrechtsbeschwerdeführers und -gegners. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 KapMuG sind der Musterkläger, der Musterbeklagte und die Beigeladenen gleichermaßen beschwerdeberechtigt. Legt der Musterkläger Rechtsbeschwerde ein, so wird der Musterbeklagte zum Beschwerdegegner und umgekehrt. Wird hingegen ein Beigeladener zum Musterrechtsbeschwerdeführer, vgl. § 15 Abs. 4 Satz 1 KapMuG, so wird zum Beschwerdegegner stets der Gegner derjenigen Musterpartei, auf deren Seite der beschwerdeführende Beigeladene steht (Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 358). Für die auf der Aktivseite zum Musterverfahren Beigeladenen ergibt sich dies aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 KapMuG. Die Vorschrift ist in Ermangelung einer Regelung für den Fall einer Rechtsbeschwerde durch einen auf der Passivseite Beigeladenen für diese entsprechend heranzuziehen (so auch Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 351). 65 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
stimmt.66 Andernfalls könnte sich der Kläger einer vom Beklagten begehrten Feststellung entziehen. Die Gruppe der Kläger hätte es in der Hand, ob ein von der Beklagtenseite angestrebtes Musterverfahren durchgeführt wird oder nicht.67 Hat jedoch weder der Kläger noch sein Prozessgegner einen Musterfeststellungsantrag gestellt, so kommt eine Bestimmung zum Musterkläger wegen § 2 Abs. 1 Satz 6 KapMuG regelmäßig nicht in Betracht.68 Nach dieser Vorschrift sind Musterfeststellungsanträge grundsätzlich nur solange im Klageregister bekannt zu machen, bis das nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG für die Einleitung eines Musterverfahrens erforderliche Quorum von zehn gleichgerichteten Anträgen erreicht ist.69 Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 KapMuG hat das Oberlandesgericht die Wahl des Musterklägers nach billigem Ermessen durch unanfechtbaren Beschluss vorzunehmen. Als besonders bedeutsame Auswahlkriterien nennt das Gesetz in § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KapMuG die Höhe des individuell geltend gemachten Anspruchs, soweit er Gegenstand des Musterverfahrens ist, sowie die Verständigung mehrerer Kläger auf einen Musterkläger, § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG.70 Die Vorschriften gehen damit davon aus, dass eine einzige Person das Verfahren vor dem Oberlandesgericht als Musterkläger führt, wobei ihn die auf 66
BT-Drs. 15/5091, S. 25. BT-Drs. 15/5091, S. 25. 68 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344. Insbesondere ist auch bei Bestehen einer einfachen Streitgenossenschaft auf Klägerseite jeder Musterfeststellungsantrag eines Streitgenossen wegen der Selbständigkeit der Prozessrechtsverhältnisse gesondert ins Klageregister einzutragen. Folglich wirkt ein Feststellungsbegehren nicht etwa für das aktenmäßig erfasste streitgenössische Verfahren insgesamt, vgl. hierzu ausführlicher in § 3 Fn. 190 sowie S. 99 ff. 69 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344 führt gegen eine großzügigere Sichtweise neben dem Gesichtspunkt des Verfahrensablaufs nach § 4, § 6 sowie § 8 Abs. 2 KapMuG die Garantie der persönlichen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG an. Mit dieser ist es seiner Ansicht nach unvereinbar, einer Partei zur Wahrung ihrer Rechtspositionen eine aktive Rolle im Musterverfahren aufzuzwingen. 70 Vgl. hierzu auch Kilian, KapMuG, S. 90; Vorwerk/Wolf/Lange, § 8 Rn. 20; KK/ Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 37 ff. Vgl. insoweit auch KG Berlin, Musterentscheid v. 11. Februar 2009, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) am 16. Februar 2009 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Das KG Berlin hat dort die Beendigung des Musterverfahrens ohne Bestimmung eines neuen Musterklägers ausgesprochen, nachdem es auf Grund außergerichtlicher Vergleiche zu zahlreichen Klagerücknahmen, u. a. auch des bisherigen Musterklägers, gekommen ist. Von den wenigen auf Klägerseite verbleibenden Parteien hat sich auf Anfrage des KG Berlin keine dazu bereit erklärt, sich zum neuen Musterkläger bestimmen zu lassen. Das KG Berlin vertritt die Auffassung, die § 11 Abs. 2, § 8 Abs. 2 KapMuG bedürften in den Fällen einer teleologischen Reduktion, in denen der Eingriff in die Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, durch die zwangsweise Bestimmung zum Musterkläger im Einzelfall nicht durch hinreichend gewichtige Gründe der anderen Parteien oder der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Daran fehle es jedenfalls, wenn weder die Kläger- noch die Beklagtenseite ein fortbestehendes Interesse an einer verbindlichen Feststellung im Musterverfahren hat. 67
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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seiner Seite nach § 8 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 KapMuG beigeladenen Individualkläger unterstützen können, aber nicht müssen.71 2. Keine grundsätzliche Zulässigkeit der Auswahl mehrerer Personen zu streitgenössischen Musterklägern Die gesetzliche Ausgestaltung des § 8 KapMuG, den Musterprozess auf Klägerseite von einer einzigen Person als Musterkläger führen zu lassen, dient dem Zweck, das Verfahren möglichst schlank zu halten und die Führungsrolle klar zu definieren.72 Es soll ein Bündelungseffekt eintreten, indem das Oberlandesgericht eine einheitliche Feststellung zu mehrfach relevanten Entscheidungselementen trifft.73 Trotz dieser gesetzgeberischen Zielsetzung und dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 KapMuG sprechen sich einige Vertreter in der Literatur dafür aus, die zivilprozessualen Regelungen über die einfache bzw. notwendige Streitgenossenschaft auf der Aktivseite des Musterverfahrens generell anzuwenden.74 Der nachfolgende Abschnitt setzt sich mit den im Schrifttum für eine Streitgenossenschaftslösung angeführten Argumenten auseinander und überprüft diese auf ihre Stichhaltigkeit. Im Vordergrund steht die Zielsetzung, die Gründe herauszuarbeiten und zu bewerten, die gegen eine generelle Zulässigkeit der Auswahl mehrerer Personen zu streitgenössischen Musterklägern sprechen. a) Argumente im Schrifttum für eine Streitgenossenschaftslösung Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing sehen das Ziel der Verfahrenskonzentration bei einem Rückgriff auf die §§ 59 ff. ZPO nicht ernsthaft gefährdet. Sie plädieren dafür, für jedes Feststellungsziel bzw. jeden Streitpunkt und gegen jeden Beklagten einen Musterkläger zu bestimmen; diese sollen in demselben Verfahren zu Streitgenossen werden.75 Andernfalls würde insbesondere im Falle einer nachträglichen Streitgegenstandserweiterung nach § 13 KapMuG ein „unlösbares Problem“ entstehen: Es könnte nicht sichergestellt werden, dass alle geltend gemachten Streitpunkte und begehrten Feststellungen jeweils von einer Partei als eigene Sache vertreten werden.76
71 Vgl. insoweit den Wortlaut des § 12 KapMuG: „[. . .] soweit nicht seine Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen und Handlungen seiner Hauptpartei (Musterkläger oder Musterbeklagter) in Widerspruch stehen“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Siehe hierzu auch BT-Drs. 15/5091, S. 28 und KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 1. 72 BT-Drs. 15/5091, S. 25; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344 und S. 346. 73 Vgl. Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345. 74 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (96, 103 sowie 113); KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 20 f. 75 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (96). 76 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (96, 103, 113).
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
In ähnlicher Weise möchte Fabian Reuschle über die Konstellationen hinaus, in denen bereits im Ausgangsverfahren eine notwendige Streitgenossenschaft besteht, aus Kosten- und Effizienzgesichtspunkten im Musterverfahren eine Parteienhäufung zulassen. Im Hinblick auf dasselbe Feststellungsziel seien entsprechend den zu seiner Begründung geltend gemachten Streitpunkten mehrere Klägergruppen mit jeweils einem Musterkläger zu bilden; diese würden zueinander im Verhältnis der notwendigen Streitgenossenschaft stehen.77 Andernfalls könnten sich auf Grund unterschiedlichen Prozessverhaltens der Musterkläger divergierende Entscheidungsgrundlagen herausbilden. Das KapMuG bezwecke jedoch eine Einheitlichkeit des Musterentscheids.78 Bei verschiedenen Feststellungszielen sollten hingegen mehrere Musterverfahren durchgeführt werden, sie seien allerdings zum Zwecke gemeinsamer Verhandlung nach § 147 ZPO zu verbinden.79 Das Oberlandesgericht kann in den Verfahren unterschiedlich entscheiden, so dass die Musterkläger in diesem Falle nur einfache Streitgenossen sein würden.80 Nach diesen Sichtweisen müsste das Oberlandesgericht beispielsweise in folgender Konstellation mehrere Kläger zu streitgenössischen Musterklägern ernennen: Beispiel 17: Die Anleger verlangen in ihren Ausgangsverfahren Schadensersatz wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilung. Jeder Kläger hat einen auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit gerichteten Musterfeststellungsantrag gestellt. Der eine Teil der Kläger trägt als Begründung vor, die Angaben hinsichtlich des Immobilienbesitzes seien unzutreffend gewesen, weil die angeblich im Ausland belegenen Immobilien gar nicht existierten. Demgegenüber verfolgen die übrigen Investoren die Argumentationslinie, die streitgegenständlichen Immobilien stünden nach dem maßgeblichen ausländischen Recht nicht im Eigentum des verklagten Emittenten; auf die tatsächliche Existenz der Objekte gehen sie nicht näher ein.81
Würde sich das Oberlandesgericht der Argumentation von Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing anschließen, so müsste es aus jedem Teil der Kläger einen Musterkläger als Vertreter der unterschiedlichen Streitpunkte auswählen. Sie stünden im Musterprozess als einfache Streitgenossen nebeneinander.82 77
KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 12 ff. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 14. 79 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 15 f. Er verkennt bei dieser Sichtweise jedoch die Definition der Gleichgerichtetheit (vgl. zu diesem Begriff ausführlich S. 99 ff.; dies kritisiert auch Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345) sowie den Begriff des Feststellungsziels (siehe zur diesbezüglichen Inhaltsbestimmung bereits allgemein S. 65 f., 70 sowie 143 ff. und 146 f.). 80 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 16. 81 Vgl. zu diesen beispielhaften Streitpunkten die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs.15/5091, S. 41. 82 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (96, 103, 113). 78
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Demgegenüber wären nach dem Ansatz von Fabian Reuschle zwei Klägergruppen zu bilden, für jede nach § 8 Abs. 2 KapMuG ein Musterkläger zu bestimmen und diese zu notwendigen Streitgenossen zu ernennen.83 b) Argumente gegen die generelle Anwendbarkeit der Vorschrift des § 62 ZPO im Musterverfahren aa) Kein Fall des § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO Gegen ein generelles Zusammenführen mehrerer Musterkläger zu einer notwendigen Streitgenossenschaft spricht der Grundsatz der Selbständigkeit der Streitgenossen gemäß § 61 ZPO.84 Das Bedürfnis mehrere Streitgenossen über die Wirkung des § 61 ZPO hinaus enger miteinander zu verbinden, entspringt dem Zwang zur einheitlichen Entscheidung mehrerer Prozesse.85 Dieser Zwang entsteht aus entsprechenden Normen des BGB bzw. der ZPO, § 61 Hs. 1 ZPO.86 Voraussetzung für die Verknüpfung mehrerer Prozesse über die Norm des § 62 ZPO ist mithin eine dies anordnende Vorschrift. Im Falle einer notwendigen Streitgenossenschaft nach § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO rechtfertigt sich der ausnahmsweise engere Zusammenschluss der Parteien bei gemeinsamer Prozessführung dadurch, dass bei getrennt geführten Prozessen die in dem einen Verfahren zu treffende Entscheidung Rechtskraft- oder Gestaltungswirkung auch für den anderen Prozess hätte.87 Auf diese Weise ist eine einheitliche Entscheidung gesichert.88 Beispielsweise ergibt sich bei einer Gestaltungsklage die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung bereits aus der Wirkung des Gestaltungsurteils. Es verändert unmittelbar das materielle Recht und wirkt deshalb gegenüber jedermann.89 Gemäß § 16 KapMuG bindet der Musterentscheid jedoch nur diejenigen
83
KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 13 f. Vgl. BGH WM 1989, 997 (998); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 61 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 61 Rn. 1 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 61 Rn. 1 ff.; MüKo/Schultes, ZPO, § 61 Rn. 1 ff. sowie § 62 Rn. 1; Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 1. 85 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 1 f.; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 1 sowie ferner Rn. 30 ff.; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 1. 86 Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 61 Rn. 13; MüKo/Schultes, ZPO, § 61 Rn. 10; Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 8. 87 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 1 ff.; HK/Kayser, ZPO, § 62 Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 5; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 6 ff.; Musielak/ Weth, ZPO, § 62 Rn. 2 f. 88 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 1 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 5; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 3. 89 Vgl. MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 9; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 3. 84
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Beteiligten, deren Prozesse in einem bestimmten Musterverfahren gebündelt wurden.90 Das Eingreifen seiner Bindungswirkung setzt damit eine Gleichzeitigkeit der Prozesse91 und wenigstens eine Abhängigkeit der in der Ausgangsstreitigkeit zu treffenden Entscheidung von den im laufenden Musterprozess begehrten Feststellungen voraus, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Fehlt es an dieser Abhängigkeit oder erhebt ein Kläger erst nach Erlass des Musterentscheids Klage, so ist er an diesen nicht gebunden.92 Ein Zwang zur einheitlichen Feststellung ergibt sich ferner dann, wenn bei einem Nacheinander der Prozesse in der Sache gleich entschieden werden müsste, so dass dies erst recht bei einem Miteinander gelten muss.93 Fänden die Verfahren der Streitgenossen nacheinander statt, so müsste das erste Urteil Bindungswirkung im nachfolgenden Prozess des zweiten Streitgenossen entfalten.94 Die Bindungswirkung des Musterentscheids knüpft jedoch gerade an eine Gleichzeitigkeit der Prozesse an und bleibt auf diese beschränkt. Ihm kommt deshalb eine Rechtskraftwirkung, wie sie § 62 Abs. 1 Satz 1 ZPO voraussetzt, nicht zu.95 Auch schreibt das Gesetz in § 16 KapMuG keine einheitliche Entscheidung bei gleichzeitigem und gemeinsamem Verfahren der Streitgenossen vor. Dazu müsste das KapMuG zunächst die Streitgenossenschaft generell zulassen, mithin auf eine formale Verbindung sachlich selbständiger Prozesse zu einem gemeinsamen Verfahren ausgerichtet sein.96 Wie sich jedoch aus § 8 KapMuG ergibt, ist das Gesetz im Grundsatz auf das Ergehen eines einzigen Musterentscheids in einem Verfahren mit einem einzigen Musterkläger angelegt; der Breiteneffekt soll sich durch das Instrument der Beiladung ergeben. Dieses hierarchische Konzept, die Kläger der Ausgangsprozesse im Musterverfahren in einen Musterkläger und Beigeladene zu unterteilen, setzt sich in § 16 KapMuG fort. Es wird von § 15 Abs. 4 KapMuG für die Rechtsmittelinstanz bestätigt.97 Die Norm trifft folglich keine Aussage darüber, was zu gelten hat, wenn mehrere Streitgenossen zu Musterklägern bestimmt sein sollten. Auf Grund der Begrenztheit der Wirkung der oberlandesgerichtlichen Entscheidung kann diese nicht zu einer notwendigen Streitgenossenschaft nach § 62 90
Vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 30 f. Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 346. 92 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (146); Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 346. 93 BGHZ 92, 351 (354); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 7; HK/Kayser, ZPO, § 62 Rn. 3; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 2; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 3. 94 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 4; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 2; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 3. 95 So auch Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345 f. 96 Vgl. Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 2; vgl. zudem Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 2. 97 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344. 91
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Abs. 1 Alt. 1 ZPO führen.98 Der Gesetzgeber hat mit § 16 KapMuG keinen Ausnahmefall normiert, der die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung vorschreibt. bb) Kein Fall des § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO Das KapMuG ist auf die Musterprozessführung durch eine einzige Person als Musterkläger angelegt. Folglich kommt eine notwendige Streitgenossenschaft aus dem Erfordernis gemeinschaftlicher Klage von Mehreren nach § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht.99 Voraussetzung hierfür wäre, dass die Musterverfahrensführung durch einen einzigen Musterkläger nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen abgewiesen werden müsste.100 Fordert das Recht für das Ausgangsverfahren keine gemeinschaftliche Prozessführung der Streitgenossen, die sich im Musterverfahren fortsetzen könnte, so müsste das KapMuG die gemeinsame Prozessführung ausdrücklich verlangen. Andernfalls kann sie nicht für das oberlandesgerichtliche Masseverfahren bejaht werden.101 An einer entsprechenden Regelung fehlt es. Das KapMuG verbindet innerhalb seines Anwendungsbereiches eine Vielzahl von Personen in denjenigen Konstellationen, in denen eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist, zu einer prozessualen Zufallsgemeinschaft.102 Ein Erfordernis gemeinschaftlicher Musterklage besteht nicht, es sei denn, ein solches liegt bereits im Ausgangsverfahren des auserwählten Musterklägers vor. cc) Keine entsprechende Anwendung des § 62 ZPO im Musterverfahren Ferner rechtfertigt die gesetzgeberische Zielsetzung, gleichgerichtete Begehren zu bündeln und im Musterverfahren einer einheitlichen Entscheidung zuzuführen, keine entsprechende Anwendung des § 62 ZPO. Die Norm stellt Verfahrensregeln bei der Versäumung von Terminen und Fristen durch einzelne Streitgenossen auf.103 Sie enthält keine allgemeine Vorschrift, welche die Unabhängigkeit 98
Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 5. Vgl. i. E. auch Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344 ff. Etwas anderes muss nur in den Fällen gelten, in denen eine notwendige Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren des auserwählten Musterklägers besteht; hierzu ausführlich später auf S. 164 ff. 100 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 62 Rn. 6; Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 11; HK/Kayser, ZPO, § 62 Rn. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 14; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 24. 101 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 61 Rn. 13, vgl. auch § 62 Rn. 30; Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 8. 102 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 102 f. 103 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 36; Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 30; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 1. 99
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
der Streitgenossen umfassend aufhebt und an die Stelle des § 61 ZPO tritt. Vielmehr behält der in § 61 ZPO enthaltene Grundsatz der Selbständigkeit der Streitgenossen Gültigkeit. Er wird nur insoweit außer Kraft gesetzt, als das Gebot der einheitlichen Sachentscheidung eine besondere Wirkung der notwendigen Streitgenossenschaft erfordert, die über den expliziten Wortlaut des § 62 ZPO hinausgeht.104 Auf Grund dieses Ausnahmecharakters muss eine entsprechende Anwendung der in § 62 ZPO enthaltenen Sondervorschrift aus besonderen Gründen gerechtfertigt sein.105 Die Gefahr divergierender Entscheidungen allein, die von Fabian Reuschle als Argument für das Erfordernis einer notwendigen Streitgenossenschaft im Musterprozess herangezogen wird106, kann nicht als ein solcher Grund angesehen werden.107 Weitere Aspekte sind, wie bereits dargelegt, nicht ersichtlich.108 c) Argumente gegen die Geltung der zivilprozessualen Regeln über die einfache Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO im Musterverfahren Entgegen dem Vorschlag von Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing besteht innerhalb des KapMuG-Verfahrens kein Raum, mehrere Musterkläger als einfache Streitgenossen agieren zu lassen.109 Auch ist es nicht gerechtfertigt, eine bereits auf der Aktivseite des Ausgangsverfahrens bestehende einfache Streitgenossenschaft im Musterprozess fortzusetzen, wenn einer der Streitgenossen zum Musterkläger auserkoren wird. Beispiel 18: In vier Ausgangsverfahren verlangen jeweils zehn Anleger als Streitgenossen Schadensersatz in Form der Rückabwicklung ihres Aktienerwerbs, weil wesentliche Angaben im Börsenprospekt des Wertpapieremittenten unrichtig seien, § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG. Jeder der Kläger hat einen auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit so104 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 30. Vgl. zudem Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 36; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 62 Rn. 1; HK/Kayser, ZPO, § 62 Rn. 2. 105 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 30. 106 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 14. 107 Vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 30. 108 Zu dem Sonderfall, dass bereits im Ausgangsverfahren des auserwählten Musterklägers eine notwendige Streitgenossenschaft besteht, siehe später S. 164 ff. 109 Anders Reuschle, der bei einem identischen Feststellungsziel mit dem Argument des Erfordernisses einer einheitlichen Entscheidungsgrundlage für eine notwendige Streitgenossenschaft auf der Aktivseite plädiert. Liegen unterschiedliche Feststellungsziele vor, will er aus Effizienzgründen die Verfahren gemäß § 147 ZPO verbinden und die Kläger als einfache Streitgenossen behandeln (KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 12 ff. bzgl. der notwendigen Streitgenossenschaft sowie Rn. 16 bzgl. der Verfahrensverbindung und einfachen Streitgenossenschaft auf Klägerseite). Kritisch gegenüber diesem Ansatz auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 110, insbesondere dort auch Fn. 127.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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wie des Beklagtenverschuldens gerichteten Musterfeststellungsantrag gestellt, wobei sie diese Tatbestandsmerkmale mit teilweise unterschiedlichen Streitpunkten begründeten.
Könnte das Oberlandesgericht in dem Beispiel 18 die Musterklägerposition auf mehrere Anleger als einfache Streitgenossen verteilen, so würde dies zunächst dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 und Abs. 2 KapMuG zuwiderlaufen. Auch stehen die systematische Ausgestaltung des KapMuG und der dahinterstehende Gesetzeszweck entgegen. Wie sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1, § 12, § 15 Abs. 4 und § 16 KapMuG ergibt, ist dieses Gesetz auf die Verfahrensführung durch eine einzige Person als Musterkläger ausgerichtet, den die auf seiner Seite Beigeladenen unterstützen können, aber nicht müssen.110 Im Individualprozess treten – insbesondere wegen des neu geschaffenen ausschließlichen Gerichtsstands des § 32b ZPO – regelmäßig mehrere Personen als streitgenössische Kläger111 auf. Dennoch hat sich der Gesetzgeber gegen eine Musterverfahrensführung durch mehrere Musterkläger als einfache Streitgenossen entschieden. Gemäß § 8 Abs. 2 KapMuG sowie ausweislich der dazugehörigen Gesetzesbegründung kann das Oberlandesgericht nur einen einzigen Musterkläger auserwählen.112 Dies soll unabhängig davon gelten, ob die Individualverfahren getrennt oder über das Instrument der Streitgenossenschaft verbunden stattfinden.113 Könnten sich mehrere Personen die Rolle des Musterklägers teilen, so bestünde die Gefahr, dass § 8 Abs. 2 KapMuG in den Fällen leerläuft, in denen sich mindestens zehn Anleger bereits im Individualverfahren zu einer gemeinsamen Anspruchsverfolgung organisiert haben und zeitlich vor weiteren Investoren 110
Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 25. So etwa auch im legislativen Vorbild des Telekom-Verfahrens. Dort hat das OLG Frankfurt a. M. entsprechend dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 KapMuG nur einen der einfachen Streitgenossen zum Musterkläger ernannt und i. Ü. zum Musterverfahren gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG beigeladen, vgl. LG Frankfurt a. M., Vorlagebeschlüsse v. 11. Juli 2006 und 6. März 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 7. August 2006 bzw. 23. April 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Sch 1/06, S. 144 bzw. 23 Sch 2/06 („Deutsche Telekom AG“; Stand: 1. Oktober 2009). Vgl. ferner etwa auch LG Stuttgart, Vorlagebeschluss v. 3. Juli 2006 (berichtigt mit Beschl. v. 20. Juli 2006), veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 1. August 2006 vom OLG Stuttgart (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 901 Kap 1/06 („DaimlerChrysler“). 112 Im Gegensatz zur Beklagtenseite; für diese hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich für eine Streitgenossenschaftslösung ausgesprochen, BT-Drs. 15/5091, S. 25. 113 Die Formulierung des § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG drückt die grundsätzliche Entscheidung für die Ernennung eines einzigen Musterklägers aus und ist nicht bloß auf eine rein gesetzestechnisch motivierte Verwendung des Singulars zurückzuführen. Diese Interpretation bestätigt neben den bereits angeführten systematischen Erwägungen die entsprechende Passage in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 25: „[. . .] Beteiligt sind an dem Musterverfahren ein Musterkläger, ein Musterbeklagter sowie die übrigen Kläger als Beigeladene. Richtet sich das Hauptsacheverfahren gegen mehrere Beklagte [. . .] so gelten auch für das Musterverfahren die Vorschriften der Streitgenossenschaft auf Seiten der Beklagten“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 111
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
jeweils einen zulässigen Musterfeststellungsantrag stellen, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG.114 Das Quorum für eine Vorlage wäre mit den Anträgen der streitgenössischen Kläger bereits erreicht. Weitere Kläger vor dem vorlegenden Prozessgericht würden bei der Bestimmung des Musterklägers möglicherweise unberücksichtigt bleiben. Umgekehrt fände zwischen den Streitgenossen keine Auswahl nach § 8 Abs. 2 KapMuG statt, würden die Regelungen der §§ 59 ff. ZPO im Musterverfahren ohne Einschränkung fortgelten. Dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 8 Abs. 2 KapMuG derart einengen wollte, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung. Gerade in Konstellationen einer streitgenössischen Anspruchsverfolgung bestehen beste Voraussetzungen für eine Verständigung auf einen Musterverfahrensführer gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG. Die Streitgenossen haben in der Regel einen gemeinsamen Prozessvertreter und handeln deshalb faktisch einheitlich im mündlichen und schriftlichen Vortrag. Eine unterschiedliche Prozessführung wird folglich die Ausnahme darstellen.115 Der Prozessvertreter wird im oberlandesgerichtlichen Verfahren eine angemessene Vertretung der Interessen der beigeladenen Kläger durch den Musterkläger im Blick haben. Ein praktisches Erfordernis für eine Fortsetzung der bereits im Ausgangsverfahren bestehenden einfachen Streitgenossenschaft ist nicht erkennbar.116 114 Nach überzeugender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jeder Musterfeststellungsantrag eines streitgenössischen Klägers gesondert im Klageregister einzutragen und zählt als eigenständiger Antrag im Hinblick auf das Erreichen des Vorlagequorums. Zu den Nachweisen, auch bzgl. der Gegenansichten, siehe § 3 Fn. 190 und 202. 115 Gottwald, JA 1982, 64 (65); vgl. zur Gleichgerichtetheit der Klägerinteressen auch BT-Drs. 15/5091, S. 25. 116 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Verständigungsmöglichkeit der Kläger auf einen Musterkläger, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG, einen Ausgleich zum Kriterium des höchsten Einzelanspruchs nach § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KapMuG darstellen soll. Die zuletzt genannte Vorschrift enthält die widerlegbare Vermutung, dass die Person mit dem größten Anteilsbesitz der geeignetste Musterkläger ist. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass sie im Verhältnis zu den Kleinaktionären eine gesellschaftsrechtlich bedeutsamere Stellung genießt. Vertritt jedoch eine Rechtsanwaltskanzlei eine Vielzahl von Kleinanlegern, von denen jeder nur einen verhältnismäßig geringen Einzelschaden geltend macht, so ermöglicht § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG dem Oberlandesgericht, den Kleinanleger dem Großinvestor als Musterkläger vorzuziehen (Reuschle, KapMuG, S. 38). Gegen die Annahme der generellen Geltung der zivilprozessualen Regelungen über die einfache Streitgenossenschaft lässt sich zudem folgendes Beispiel anführen: Hätte sich der auserwählte Musterkläger etwa mit 999 weiteren Kleinaktionären zu einer Streitgenossenschaft zusammengeschlossen und besäßen deren Vorschriften auch im Musterverfahren Geltung, so müsste das Oberlandesgericht sämtliche 1000 Anleger zu Musterklägern ernennen, obwohl auf Grund der gemeinsamen Prozessvertretung durch die Rechtsanwaltskanzlei von der Interessenwahrung auch der beigeladenen Anleger auszugehen ist. Das Musterverfahren wäre personell überfrachtet und ein Bündelungseffekt nicht erreichbar. Faktisch wird das Oberlandesgericht bei der Streitgenossenschaftslösung damit den einzelklagenden Großinvestor stets als Musterverfahrensführer vorziehen. Ähnliche Überlegungen ergeben sich im Übrigen im Hinblick auf § 8 Abs. 2
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Der Gesetzgeber wollte mit dem Konzept des § 8 Abs. 2 KapMuG sicherstellen, dass sich die zum Musterverfahren zugezogenen Personen mit ihren Prozesshandlungen nicht in Widerspruch zu der jeweiligen Hauptpartei setzen, § 12 KapMuG. Das Oberlandesgericht soll einen für alle betroffenen Ausgangsverfahren einheitlichen Musterentscheid über das Feststellungsziel herbeiführen.117 Der uneingeschränkte Vorrang des § 61 ZPO würde sich über diese Zielsetzung hinwegsetzen. Auf Grund der im Vergleich zu § 12 KapMuG weiterreichenden prozessualen Befugnisse wäre eine für alle am Musterprozess Beteiligten einheitliche Entscheidung gefährdet.118 Es bestünde – wie Fabian Reuschle zutreffend feststellt119 – die Gefahr inhaltlich divergierender Musterentscheide, da die Entscheidung inhaltlich gegenüber jedem Streitgenossen verschieden ausfallen kann. Dadurch wäre der erstrebte Bündelungseffekt in Frage gestellt. Gewähr für eine gegenüber allen Musterklägern identische Entscheidungsgrundlage könnte nur die notwendige Streitgenossenschaft bieten.120 Für eine solche ist im Musterprozess, wie aufgezeigt, keine Rechtfertigung ersichtlich. Erst recht muss dies angesichts der mit ihr verbundenen zusätzlichen Nachteile für die einfache Streitgenossenschaft gelten. Soweit eine Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren besteht, lässt sich ihre Fortsetzung auch nicht mit einem Vergleich zur VwGO begründen, welche die Beiladung auch zu einer streitgenössisch erhobenen Klage zulässt, vgl. auch §§ 64 ff. VwGO. Im VwGO-Verfahren gilt, anders als im Musterprozess nach dem KapMuG, der Untersuchungsgrundsatz, § 86 Abs. 1 VwGO. Weiter erfasst die verwaltungsgerichtliche Entscheidung den erhobenen Anspruch in seiner Gesamtheit, beispielsweise den Baugenehmigungserteilungsanspruch oder die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. An dessen Durchsetzung ist der Kläger interessiert. Sobald er das erreicht, treten die maßgeblichen Entscheidungsgründe sowie die individuelle Prozesstaktik in den Hintergrund. Demgegenüber betrifft der Entscheidungsgegenstand des Musterentscheids nur Einzelelemente eines Haftungsanspruchs. Über dessen Durchgreifen wird erst im Satz 2 Nr. 1 KapMuG, soweit man für die Beurteilung der Schadenshöhe eine Addition der Einzelschäden mehrerer Streitgenossen zur Beurteilung des geltend gemachten Gesamtschadens zulässt und somit auch die Ernennung eines Kleinanlegers zum Musterkläger anstelle eines Großinvestors in Betracht kommt. Diese Möglichkeit bejaht zutreffend Reuschle, KapMuG, S. 38). 117 Vgl. auch BT-Drs. 15/5091, S. 20. 118 Mit diesem Argument gegen die Annahme einer einfachen Streitgenossenschaft, aber für eine Anwendung des § 62 ZPO im Verhältnis mehrerer Musterkläger zueinander KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 14. Vgl. zum Grundsatz der prozessualen Selbständigkeit der Streitgenossen eingehend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 61 Rn. 1 ff.; ferner Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 1 ff. sowie die übrigen Nachweise in § 3 Fn. 202. 119 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 14. 120 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 43 ff.; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 16 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 62 Rn. 26 ff.; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 1 ff.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Nachverfahren entschieden, wo es auch auf individuelle, in der Person des jeweiligen Klägers angelegte Faktoren ankommt. Für diesen ist eine bestimmte Feststellung zu den Streitpunkten von besonderem Interesse, weil sie mitentscheidend für den Erfolg der Individualklage sein kann. Im Ergebnis ist deshalb die Gefahr divergierender Entscheidungsgegenstände im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wesentlich geringer als im KapMuG-Prozess.121 Wird die Möglichkeit einer einfachen Streitgenossenschaft im Musterverfahren bejaht, würde man zudem die grundsätzliche Bedeutung der Streitgenossenschaft übersehen. Sie betrifft zunächst nur die Frage nach der Zulässigkeit einer rein formalen Verbindung mehrerer sachlich selbständiger Prozessrechtsverhältnisse zu einem gemeinsamen Verfahren.122 Die gesetzgeberische Grundentscheidung für die Durchführung eines einzigen Musterverfahrens durch einen einzigen Musterkläger ist hierzu gegensätzlich ausgerichtet. Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der musterverfahrensrechtlichen Vorschriften spiegeln die gesetzgeberische Grundentscheidung gegen die Zulässigkeit einer einfachen Streitgenossenschaft auf Seiten des Musterklägers wider. Vor allem lässt sich die Verteilung der Musterklägerrolle auf mehrere Personen als einfache Streitgenossen auf Grund des besonderen Streitgegenstands des Musterverfahrens nicht mit dem Instrument der Beiladung der übrigen Kläger aus den Ausgangsverfahren zum Musterverfahren vereinbaren.123 Im Falle divergierender Entscheidungen hinsichtlich der streitgenössischen Musterkläger wäre 121 Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Bindungswirkung der Entscheidung in personeller Hinsicht nur bei Identität des Streitgegenstands unter Zugrundelegung der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre sämtliche Verfahrensbeteiligten erfasst; dies ist insbesondere bei verbundenen Verfahren nicht selbstverständlich, vgl. BVerwG DÖV 1993, 1094 (1095); Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Clausing, VwGO, § 121 Rn. 96; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 121 Rn. 6. Demgegenüber beurteilt sich im Rahmen des KapMuG-Prozesses die Frage nach der Einheitlichkeit des Verfahrensgegenstands allein im Wege einer normativen Betrachtung. Dies liegt vornehmlich in der weiten Definition der Gleichgerichtetheit in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG sowie der besonderen personenunabhängigen Zielrichtung des Musterverfahrens begründet; vgl. hierzu insbesondere auch den Text bei und die Nachweise in § 3 Fn. 178 sowie den Text auf S. 98 bei Fn. 186. 122 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 48 Rn. 8; Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO, § 60 Rn. 1; HK/Kayser, ZPO, § 59 Rn. 1; AK/Koch, ZPO, §§ 59, 60 Rn. 1; MüKo/Schultes, ZPO, § 59 Rn. 1; Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 2. 123 Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG erfolgt die Beiladung wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zum Musterverfahren insgesamt, mithin zu sämtlichen Fragestellungen (vgl. für das VwGO-Verfahren § 65 Abs. 1 VwGO; vgl. insoweit ferner Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner/Bier, VwGO, § 65 Rn. 8 ff.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 1; Eyermann/Schmidt, VwGO, § 65 Rn. 1; Sodan/Ziekow/Czybulka, VwGO, § 65 Rn. 2). Abgesehen davon könnte auch eine Begrenzung der Beiladung auf das Prozessrechtsverhältnis eines einzigen streitgenössischen Musterklägers nicht zufriedenstellend erfolgen. So wäre bereits unklar, zu welchem Streitgenossen die Beiladung erfolgen soll. Weiter wäre ein Bündelungseffekt nur bedingt erreichbar, da die gerade von dem anderen Streitgenossen allein vertretenen Streitpunkte auch für den ihm nicht beigeladenen Individualkläger relevant werden können.
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unklar, welche Feststellung für den Beigeladenen jeweils Geltung haben soll. Verfahrensvorschriften sollen dem Rechtssuchenden die Rechtsverfolgung erleichtern, nicht erschweren. Sie sind deshalb in Zweifelsfällen so auszulegen, dass sie eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglichen und nicht behindern.124 Würde man eine einfache Streitgenossenschaft auf Musterklägerseite zulassen, wären – wie nachfolgendes Beispiel verdeutlicht – eine endgültige Entscheidung über mehrfach relevante Anspruchsvoraussetzungen und damit der mit dem Musterverfahren bezweckte Beitrag zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens gefährdet.125 Beispiel 19: Gegenüber dem Musterkläger zu 1) ergeht die Feststellung, dass der Prospekt unrichtig ist, während das Oberlandesgericht im Verhältnis zu seinem Streitgenossen, dem Musterkläger zu 2), zur Prospektrichtigkeit gelangt. Die Ergebnisse des Musterentscheids sind inhaltlich gegensätzlich und können nicht einheitlich in die Individualverfahren übertragen werden. Es wäre unklar, welche der beiden Feststellungen für die zum Musterverfahren lediglich beigeladenen Individualkläger gelten soll. Könnte es für identische Streitpunkte mehrere Musterkläger geben, ließe sich der Beiladungszweck nicht verwirklichen: Für die lediglich beigeladenen Anleger wäre das Musterverfahren nicht gewinnbringend, weil die Ergebnisse nicht in ihr Individualverfahren übernommen werden könnten.126
Ein Bedürfnis für eine korrigierende Leseart des § 8 KapMuG ist folglich nicht ersichtlich. Eine Anwendbarkeit des § 61 ZPO auf der Aktivseite des Mus124 BGHZ 144, 160 (162); BGH NJW 1992, 438 (439); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 92; vgl. auch HK/Saenger, ZPO, Einführung Rn. 16; Stürner, Festschrift Baumgärtel, S. 545 ff. m.w. N. 125 Vgl. BGHZ 34, 53 (64). 126 Auch erscheint es nicht überzeugend, die Rolle als Musterkläger auf mehrere Personen entsprechend den begehrten Feststellungszielen zu verteilen und die Musterkläger im Verhältnis zueinander als Beigeladene agieren zu lassen (so aber Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 348). Zum einen werden die vorgetragenen Streitpunkte regelmäßig für mehrere Entscheidungselemente relevant. De facto hätte folglich der Musterkläger mit der begehrten Feststellung zu einer in der Prüfungsfolge nachgelagerten Anspruchsvoraussetzung, z. B. dem Beklagtenverschulden hinsichtlich der Prospektunrichtigkeit, eine schlechtere Ausgangsposition als derjenige Musterkläger, der die maßgeblichen Streitpunkte bereits zuvor in seiner Klägereigenschaft – z. B. im Rahmen der Prospektunrichtigkeit – mit den Privilegien des § 12 KapMuG gegenüber den Beigeladenen vorbringen könnte. Zum anderen ist kein Vorteil gegenüber der Beschränkung der Musterklägerrolle auf eine einzige Person erkennbar. Den Personen mit Beigeladenenstatus steht stets der Einwand des § 16 Abs. 2 KapMuG im Nachverfahren zur Verfügung. Er müsste nach dieser Lösung auch den auserwählten Musterklägern in gewissem Umfang zustehen. Zudem bringt die Auferlegung einer Parteirolle auch hinsichtlich nicht selbst vorgebrachter Einzelfeststellungsziele keine Verletzung der persönlichen Handlungsfreiheit mit sich; dem auserwählten Musterkläger steht es frei, die Musterprozessführung in Einzelaspekten vollständig den beigeladenen Klägern zu überlassen, vgl. auch § 12 KapMuG.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
terverfahrens ist abzulehnen. Das Oberlandesgericht muss sich vielmehr für eine einzige Person als Musterkläger entscheiden und die übrigen Kläger der Ausgangsverfahren nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG zum Musterverfahren beiladen. 3. Durchbrechung des Grundsatzes der Auswahl einer einzigen Person zum Musterkläger: Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren a) Ausgangssituation Die gesetzgeberische Entscheidung, das Musterverfahren durch Übertragung der Musterklägerrolle auf eine einzige Person schlank zu halten, muss zurücktreten, soweit zwingende Sachargumente entgegenstehen.127 Besteht eine notwendige Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren, so ergibt sich aus diesem Umstand eine besondere Rechtfertigung für ihre Fortsetzung im Musterverfahren.128 Die Notwendigkeit der einheitlichen Sachentscheidung im Ausgangsprozess lässt sich nur durch eine Geltung des § 62 ZPO auch im oberlandesgerichtlichen Musterverfahren sicherstellen. Für das neue Institut der Beiladung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ist hinsichtlich notwendiger Streitgenossen kein Raum, wenn das Oberlandesgericht einen von ihnen zum Musterkläger auserkoren hat. § 62 ZPO muss im Musterverfahren fortgelten. Dieses Erfordernis soll anhand des nachfolgenden Beispiels beschrieben werden: Beispiel 20: Die Ehegatten (Gütergemeinschaft, § 1415 BGB, gemeinschaftliche Verwaltung, § 1450 Abs. 1 BGB) machen in ihrem Ausgangsverfahren gegen eine Immobilienbeteiligungs- und Vertriebsgesellschaft mbH sowie die emissionsbegleitende Bank Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung über die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG geltend. In ihrem Musterfeststellungsantrag beantragen sie festzustellen, dass der Prospekt in Bezug auf die Darstellung der Fondsobjekte unrichtig, unvollständig sowie irreführend sei (z. B. zu klein, überhöhter Kaufpreis, Mietvertragsdaten abweichend von den im tatsächlichen Vertrag enthaltenen Eckdaten, nicht benannte anfallende Mehrkosten für notwendige Ausbauarbeiten).129 Durch Beschluss 127
So auch Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 348 will zudem in den Fällen mehrere Personen zu Musterklägern ernennen, in denen nicht deckungsgleiche Musterfeststellungsanträge vorliegen. Diese Ansicht lässt sich jedoch mit dem hier vertretenen flexiblen Inhaltsverständnis vom Begriff des Feststellungsziels nicht vereinbaren (vgl. insoweit ausführlich bereits S. 143 ff. und 146 f.). Gegen eine dahingehende Aufteilung der Musterklägerrolle auch Rau, KapMuG, S. 122 f. 129 Angelehnt an LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 30. August 2007, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 21. Dezember 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Vgl. ferner LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 128
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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des Oberlandesgerichts wird das Ehepaar zu streitgenössischen Musterklägern i. S. d. § 62 ZPO auserwählt. Als solche führen sie sodann das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht.
b) Argumente für die Fortsetzung einer bereits im Hauptsacheverfahren bestehenden notwendigen Parteienmehrheit Hält das Oberlandesgericht die Ehegatten für die geeignetsten Musterkläger nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, so kommt es nicht umhin, ihre individualprozessuale Verbindung zu notwendigen Streitgenossen bei der Ernennung zur Musterpartei zu berücksichtigen. Das Gesetz ordnet in § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB die notwendige Streitgenossenschaft an, indem sie die Einzelklage verbietet, da ein Gesamtgutsanspruch betroffen ist.130 Die Vorschrift nimmt dadurch dem einzelnen Ehegatten die Prozessführungsbefugnis. Den in Gütergemeinschaft mit gemeinsamer Verwaltung des Gesamtguts lebenden Ehegatten steht die Prozessführungsbefugnis im Hinblick auf ihre Kapitalanlage nach § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO gemeinsam zu. Sie können Prozesshandlungen wirksam nur zusammen vornehmen. Dem Einzelnen fehlt ohne die Zustimmung des anderen die Prozessführungsbefugnis. An diesen Befehl des materiellen Rechts, mithin die in § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB angeordnete notwendige Streitgenossenschaft, knüpft § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO an. Das Zivilverfahrensrecht hat ihn zu übernehmen, § 61 Hs. 1 ZPO. Die Vorschrift des § 62 ZPO schränkt die in § 61 ZPO niedergelegte verfahrensrechtliche Selbständigkeit der Streitgenossen in gewissem Umfang ein.131 Dieser für die Eheleute bestehende Zwang zum gemeinsamen Handeln muss auch für das Musterverfahren gelten.132 Dem steht nicht entgegen, dass der KapMuG-Prozess einen von dem landgerichtlichen Ausgangsverfahren verschiedenen Streitgegenstand besitzt.133 Das Begehren im Musterverfahren ist auf die Feststellung des Vorliegens von Tatbestandsmerkmalen gerichtet. Es soll dadurch zur 22. April 2008, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 27. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 26 Kap 2/08 („Bavaria Immobilien Trading GmbH & Co. KG – LBB Fonds 10“). 130 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rn. 18; Palandt/Brudermüller, BGB, § 1450 Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 34; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, § 62 Rn. 10; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 30; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 13. 131 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 48 Rn. 12 sowie § 49 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 62 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 61 Rn. 2; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 61 Rn. 8 sowie § 62 Rn. 1. 132 Vgl. Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 133 Vgl. auch BGH ZIP 2008, 1326 (1327): „Das Feststellungsziel ist nicht etwa mit dem Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens identisch“. I. E. ebenso KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 92.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Klärung des Gegenstands des Hauptprozesses beitragen, in welchem Streit um eine Schadensersatzverpflichtung besteht. Das Musterverfahren stellt nur ein vorgezogenes Teilstück des landgerichtlichen Hauptprozesses dar, wie auch § 17 Satz 1 KapMuG zeigt. Es ist als Zwischenverfahren konzipiert, das die erstinstanzliche Streitigkeit fortführt.134 Der Musterentscheid ist eine Zwischenentscheidung. Auf diese baut das Urteil des Landgerichts in der Hauptsache auf.135 Die Musterentscheidung bindet nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG das den Rechtsstreit der Ehegatten entscheidende Prozessgericht. Um dem Erfordernis der einheitlichen Sachentscheidung gegenüber den notwendigen Streitgenossen gerecht zu werden, muss dieses wegen § 16 Abs. 2 KapMuG auch für den Musterprozess Geltung besitzen.136 Die Wirkung des § 62 ZPO und das dahinterstehende Erfordernis der einheitlichen Sachentscheidung würde bei Annahme einer Beiladungsmöglichkeit nur gewährleistet sein, wenn der beigeladenen notwendige Streitgenosse gemäß § 16 KapMuG an den Musterentscheid in gleicher Weise wie sein zur Musterpartei auserwählter Gefährte gebunden wäre. Allerdings wirkt die oberlandesgerichtliche Entscheidung im Verhältnis zur Ehegattin im Nachverfahren nur in den Grenzen des § 16 Abs. 2 KapMuG, wenn das Oberlandesgericht im Beispiel nur den Ehemann zum Musterkläger bestimmen könnte und es dessen Frau nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG zum Musterverfahren beiladen müsste. Gleichzeitig wäre jedoch der Ehegatte gemäß § 16 Abs. 1 KapMuG umfassend gebunden.137 134
Vgl. KK-KapMuG/Reuschle, § 8 Rn. 2; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 135 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 136 Ähnlich Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 137 Auch würde die in § 12 KapMuG normierte hierarchische Ordnung die prozessualen Rechte eines zum Musterkläger auserwählten notwendigen Streitgenossen zu Lasten seines Gefährten unangemessen ausweiten. Beispiel: Möchte etwa der zum Musterkläger auserkorene Ehegatte im oberlandesgerichtlichen Verfahren den Musterbeklagtenvortrag zur korrekten Wiedergabe der Objektgröße zugestehen, während seine lediglich gemäß § 8 Abs. 3 KapMuG beigeladene Ehefrau diesen Streitpunkt weiterhin bestreiten will, so könnte er seinen Willen wegen des für seine Gattin eingreifenden Verbots widersprüchlicher Prozesshandlungen, § 12 KapMuG, gegen die beigeladene Streitgenossin durchsetzen (vgl. zum Verbot widersprüchlicher Prozesshandlungen des Nebenintervenienten ausführlich Stein/Jonas/Bork, § 67 Rn. 11 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 40 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 67 Rn. 6 ff.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 67 Rn. 11 ff.; MüKo/Schultes, ZPO, § 67 Rn. 8 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 67 Rn. 8 ff.). Die Ehegattin wäre im Nachverfahren auf § 16 Abs. 2 KapMuG verwiesen. Ein zum Musterverfahren beigeladener einfacher Streitgenosse könnte den Einwand mangelhafter Prozessführung im Ausgangsverfahren problemlos geltend machen. Hingegen wäre hier fraglich, wie dieser Einwand bei notwendiger Streitgenossenschaft Geltung erlangen soll. Sowohl das Ausgangsgericht als auch der Ehegatte sind gemäß § 16 Abs. 1 KapMuG umfassend an den Musterentscheid gebunden. Hätte das Prozessgericht nach den herkömmlichen Regeln das uneinheitliche Prozessverhalten der Streitgenossen frei zu würdigen, so müsste es sich zugleich über die angeordnete Bindungswirkung hinwegsetzen. Genösse andererseits die umfassende Wirkung gegenüber dem streitgenössischen Musterkläger Vorrang, so liefe
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Hat das Oberlandesgericht die Ehegatten zu streitgenössischen Musterklägern bestimmt, so ist widersprüchliches Prozessverhalten ebenso wie im herkömmlichen Zivilprozess zu einem praktischen Ausgleich zu bringen.138 Zwar würde beispielsweise für den die Richtigkeit der Objektgröße zugestehenden Ehegatten die Wirkung des § 290 ZPO eintreten, im Übrigen bliebe diese Tatsache aber beweisbedürftig. Über ihre Wahrheit wäre auch im Musterprozess einheitlich für beide Ehegatten durch Beweis zu entscheiden.139 Diese Lösung beachtet nicht nur den im Rahmen der § 62 ZPO fortgeltenden Grundsatz der selbständigen Beurteilung der Prozesshandlungen von Streitgenossen. Er würde bei Anwendung des § 12 KapMuG entfallen. Auch lässt sich mit ihr ohne Wertungswiedersprüche die gesetzgeberische Zielsetzung einer einheitlichen und abschließenden Feststellung mehrfach relevanter Entscheidungselemente verwirklichen. Die notwendige Parteienhäufung setzt sich folglich im Musterverfahren fort. Das Oberlandesgericht muss eine notwendige Streitgenossenschaft bei der Parteienauswahl nach § 8 Abs. 2 KapMuG berücksichtigen. Hält es einen notwendigen Streitgenossen für den am besten geeigneten Musterkläger, so muss es diese Rolle zugleich auf dessen Streitgenossen übertragen. Es kommt in korrigierender Leseart des § 8 KapMuG zur Ernennung von streitgenössischen Musterklägern.140 § 16 Abs. 2 KapMuG faktisch gegenüber einem beigeladenen notwendigen Streitgenossen leer. Dessen Rechte wären im Verhältnis zu sonstigen Beigeladenen unangemessen beschnitten. 138 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. Auch bei Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft bestehen gesonderte Prozessrechtsverhältnisse (Stein/Jonas/ Bork, ZPO, § 62 Rn. 3a; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rn. 37; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 1). Folglich können die Streitgenossen grundsätzlich unterschiedlich agieren, beispielsweise durch Benennung verschiedener Zeugen. Die Wirkungen des § 62 ZPO sind durch bestimmte Sonderstrategien modifizierbar; beispielsweise kann die Unzulässigkeit der Einzelklage durch eine nachträgliche Zustimmung der übrigen notwendigen Streitgenossen vermieden werden. Soweit notwendige Streitgenossen nicht übereinstimmend handeln, besteht die Aufgabe des Gerichts darin, die unterschiedlichen Strategien zu würdigen und einheitlich zu entscheiden. 139 Vgl. BGHZ 146, 341 (349), Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rn. 33 m.w. N.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 62 Rn. 17 sowie § 61 Rn. 12; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 48 m.w. N.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 24. 140 Werden notwendige Streitgenossen des Ausgangsverfahrens zum Musterverfahren beigeladen, so ergibt sich keine Notwendigkeit für eine Fortgeltung des § 62 ZPO auch auf der Beiladungsebene. Dies lässt sich anhand einer Abwandlung des Beispielfalles zur notwendigen Parteienmehrheit (S. 164) verdeutlichen: Anders als im obigen Ausgangsfall wird das Ehepaar nicht zu notwendig streitgenössischen Musterklägern bestimmt. Vielmehr sieht das Oberlandesgericht einen anderen Individualkläger als geeigneter an und bestimmt ihn dementsprechend nach § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG zum Musterkläger. Das Ehepaar wird nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG zum Musterverfahren beigeladen.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
IV. Die Bestimmung des Musterbeklagten 1. Ausgangssituation Im Anwendungsbereich des KapMuG ist der Kreis potentieller Anspruchsgegner von vornherein auf wenige Personen begrenzt. Eine massenhafte Personenhäufung ist nicht zu erwarten.141 Andererseits werden gerade in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten die Kläger auf Grund ihres Interesses, den Regress sicherzustellen, mehrere Beklagte in Anspruch nehmen. Beispiel 21: Die Kläger machen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der A-AG Schadensersatz gemäß der kapitalmarktrechtlichen Informationsdeliktshaftung nach § 826 BGB gegen die Gesellschaft selbst, Beklagte zu 1), ihren Vorstandsvorsitzenden und Mehrheitsgesellschafter V, Beklagter zu 2), sowie das emissionsbegleitende Kreditinstitut K, Beklagte zu 3), geltend. In ihren Ausgangsverfahren wollen die Anleger die Beklagten für den Kursverfall der erworbenen Aktien haftbar machen. Sie verlangen Schadensersatz in Form der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB durch Rückerstattung des Erwerbspreis gegen Rückgabe der Wertpapiere. Mit ihren Musterfeststellungsanträgen verlangen die Kläger, die Unrichtigkeit der in dem Verkaufsprospekt enthaltenen Angaben sowie das Verschulden der Beklagten zu 1) bis 3) festzustellen.142
Dieses Beispiel 21 verdeutlicht, dass auf der Passivseite eines kapitalmarktrechtlichen Prozesses wegen des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapDer Vergleich zwischen den zivilprozessualen Regelungen der Nebenintervention und der notwendigen Streitgenossenschaft zeigt, dass die Wirkung des § 62 ZPO nicht im Verhältnis der beigeladenen Ehegatten eintreten kann. Gemäß § 12 KapMuG ist die Rolle des Beigeladenen dem zivilprozessualen Nebenintervenienten insoweit ähnlich, als auch letzterer keinen Parteienstatus innehat, sondern sich lediglich an einem fremden Rechtsstreit zum Zwecke der Unterstützung beteiligt (vgl. zur Rechtsstellung des Nebenintervenienten Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 67 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 67 Rn. 4 m.w. N.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 67 Rn. 1 sowie § 66 Rn. 1; MüKo/Schultes, ZPO, § 67 Rn. 2 f.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 67 Rn. 1; Musielak/Weth, ZPO, § 66 Rn. 1 und v. a. § 67 Rn. 2 f.). Auch ein notwendiger Streitgenosse kann im Zivilverfahren seinem Streitgenossen beitreten, um für ihn im vollen Umfang des § 67 ZPO zu handeln, was er als notwendiger Streitgenosse nicht könnte, vgl. § 62 ZPO (Stein/Jonas/Bork, § 66 Rn. 9 m.w. N.; vgl. ferner MüKo/Schultes, ZPO, § 66 Rn. 4 m. z. w. N.). Systemschwierigkeiten im Nachverfahren zwischen der Wirkung des § 62 ZPO und des § 16 Abs. 2 KapMuG können insoweit nicht auftreten. Die Ehegatten können sich im fortzusetzenden Ausgangsprozess nur gemeinsam auf § 16 Abs. 2 KapMuG berufen. 141 So auch Kilian, KapMuG, S. 90. 142 Angelehnt an LG Berlin, Vorlagebeschluss v. 30. August 2007, veröffentlicht im Klageregister (§ 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 21. Dezember 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“).
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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MuG regelmäßig mehrere natürliche und/oder juristische Personen zu beteiligen sind.143 Das KapMuG sieht jedoch als Regelfall die Situation an, in der ein Musterkläger einem Musterbeklagten gegenübersteht.144 Eine mit der Aktivseite vergleichbare originäre Auswahl des Musterbeklagten ist nicht vorgesehen.145 Richtet sich das Hauptsacheverfahren gegen mehrere Beklagte, so sollen diese Personen nach dem Willen des Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Entwurfsbegründung im Musterverfahren Streitgenossen bleiben.146 In diesen Fällen handelt es sich allerdings regelmäßig um eine einfache Parteienmehrheit nach § 59 Alt. 2 ZPO, bei der angesichts der Wirkung des § 61 ZPO die Entscheidung nicht zwangsläufig gegen alle Streitgenossen identisch ausfallen muss.147 Deshalb sowie auf Grund der nachträglichen Einführung einer Beiladungsmöglichkeit auch auf Beklagtenseite, § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG, entstand im Schrifttum Uneinigkeit, wie mehrere in den Ausgangsverfahren verklagte Personen am Musterverfahren zu beteiligen sind. Exkurs Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG wird auf Beklagtenseite bei Vorliegen einer Nebenintervention bzw. Streithilfe im Ausgangsverfahren bedeutsam. Beispiel: Die Kläger verlangen von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilung und falscher Information der Gesellschaft, Beklagte zu 1), durch die ihre Vorstandsmitglieder, Beklagte zu 2) und 3). Die Beklagte zu 1) hatte in einer Ad-hoc-Mitteilung den Erwerb eines 50%igen Anteils an einer Zielgesellschaft bekannt gegeben. Die Kläger erwarben auf diese Mitteilung hin Aktien der Beklagten zu 1), die sie zwischenzeitlich teilweise weit unter Einkaufspreis verkauft haben, teilweise noch halten. Die Kläger behaupten, dass die Beklagte zu 1) die negativen Aspekte und Risiken des getätigten Geschäfts, welche die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft nachteilig beeinflussten, verschwiegen hätte und dies den Beklagten bekannt gewesen wäre. Die fehlerhafte Mitteilung sei ursächlich für den Kaufentschluss gewesen, weshalb sich eine Schadensersatzhaftung aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 264a StGB ergebe. Auf Beklagtenseite ist der Aufsichtsratsvorsitzende dem Rechtsstreit als Neben143 Vgl. Musielak/Heinrich, ZPO, § 32b Rn. 5; Keller/Kolling, BKR 2005, 399 (399 ff.); Rau, KapMuG, S. 131; Reuschle, WM 2004, 2334 (2343); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2250 f.); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 2; Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (168). 144 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 348; vgl. ferner Plaßmeier, NZG 2005, 609 (611). 145 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 90. 146 Siehe BT-Drs. 15/5091, S. 25. 147 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 61 Rn. 1, 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 48 Rn. 20; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 61 Rn. 14; MüKo/Schultes, ZPO, § 61 Rn. 9; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 61 Rn. 9; Musielak/Weth, ZPO, § 61 Rn. 7.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
intervenient beigetreten. Die Beklagten und er halten die Mitteilung für zutreffend, bestreiten die Kausalität für die Anlageentscheidung der Kläger und berufen sich auf Verjährung. Gegen eine Beiladung von Nebenintervenienten oder Streithelfern der Ausgangsverfahren ließe sich der Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG anführen. Die Vorschrift bestimmt, dass die Kläger und Beklagten, mithin nur die Parteien der übrigen ausgesetzten Verfahren, zum Musterprozess beizuladen sind. Sie ist in Zusammenhang mit § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 8 Abs. 3 Satz 2 KapMuG zu lesen. Danach hat das Prozessgericht nach Bekanntmachung des Musterverfahrens im Klageregister alle bereits anhängigen bzw. bis zum Erlass des Musterentscheids noch anhängig werdenden Verfahren auszusetzen, deren Entscheidung von der gestellten Musterfrage abhängt, § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Die Aussetzung gilt gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KapMuG als Beiladung; sie würde nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG wiederum nur die Parteien der Hauptsacheverfahren ergreifen. Es wäre bei wortlautgetreuer Interpretation der Norm demnach nicht möglich, den Nebenintervenienten im Beispiel zum Musterverfahren beizuladen. Seine Teilnahme am Musterprozess ist jedoch erforderlich, um ihm eine effektive Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte zu ermöglichen und den Eintritt der Bindungswirkung des Musterentscheids auch ihm gegenüber sicherzustellen. Sie hat in Form der Beiladung zu erfolgen, um einen Gleichlauf der Beteiligungsrechte zu erreichen. Insbesondere gilt es zu verhindern, dass dem Nebenintervenient bzw. Streithelfer eine stärkere verfahrensrechtliche Stellung als der von ihm unterstützten, zum Musterprozess beigeladenen, Hauptpartei zukommt, vgl. § 10 KapMuG.148 Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ist insoweit extensiv zu interpretieren bzw. analog heranzuziehen. Jedenfalls finden die zivilprozessualen Vorschriften über die Nebenintervention und Streithilfe im Musterverfahren – ähnlich wie bei dem legislativen Vorbild des verwaltungsgerichtlichen Musterverfahrens, § 93a VwGO149 – auf Grund der Sonderregelungen über die Beiladung im KapMuG keine Anwendung.
Der Streit dreht sich insbesondere um die Frage, ob bzw. inwieweit das Oberlandesgericht aus mehreren Beklagten analog § 8 Abs. 2 KapMuG einen Musterbeklagten bei gleichzeitiger Beiladung der Übrigen auszuwählen hat oder die zivilprozessualen Vorschriften über die Streitgenossenschaft in den §§ 59 ff. ZPO vorrangig zur Geltung kommen.
148 Ähnlich Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 43, die allerdings eine „Teilnahme als Nebenintervenient mit der Stellung des Beigeladenen“ befürwortet; anders KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 31, der ohne Begründung von dem Status als (streitgenössischer) Nebenintervenient bzw. Streitverkündungsempfänger ausgeht. 149 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 18 f.; hierzu ferner v. Bar, Gutachten A zum 62. DJT, A 94 f.; Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, S. 56 ff.; Kilian, KapMuG, S. 23 f.; Müller, VersR 1998, 1181 (1188 f.).
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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2. Die in der Literatur diskutierten Lösungsansätze a) Der Ansatz von Fabian Reuschle: Fortsetzung als notwendige Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO Fabian Reuschle vertritt die Auffassung, dass sich eine bereits im Ausgangsverfahren bestehende Parteienhäufung im oberlandesgerichtlichen Musterprozess als notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO fortsetzt, sofern gegen jeden der Beklagten die sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG ergebende Mindestanzahl von Musterfeststellungsanträgen gestellt wurde. Würde dieses Quorum hinsichtlich eines streitgenössischen Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht erreicht, so sei diese Person lediglich nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG zum Musterverfahren beizuladen.150 Er begründet seinen Standpunkt mit der Entstehungsgeschichte und Systematik des § 8 KapMuG sowie der Erwägung, bei Anwendung von § 61 ZPO könnten sich divergierende Entscheidungsgrundlagen herausbilden. Letzteres würde den Zweck des Musterverfahrens gefährden, die gestellten mehrfach relevanten Fragen einheitlich zu beantworten. Aus dem Charakter des Musterprozesses als Zwischenverfahren könnte nicht der Schluss gezogen werden, mit der Auswahl einer Person zum Musterkläger stünde zugleich deren Prozessgegner im Ausgangsfahren als Musterbeklagter fest. Gerade die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG würde belegen, dass sich im Musterverfahren auf der Passivseite auch Beklagte beteiligen, die am Ausgangsverfahren des Musterklägers gar nicht teilnehmen.151 Das KapMuG weise überwiegend die Züge eines Gruppenverfahrens152 150 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 20 und 25. Reuschle fordert insoweit jedoch, dass im Verhältnis zu jedem der Beklagten das Quorum für eine Vorlage erreicht ist, andernfalls sollen die Regeln über die Beiladung Anwendung finden (KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 20 und 25). Dem ist nicht zuzustimmen. Voraussetzung für die Einholung eines Musterentscheids ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG das Vorliegen von mindestens zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen. Gleichgerichtetheit verlangt nach der gesetzlichen Definition nur, dass sich das Feststellungsziel der Anträge auf den gleichen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt bezieht. Dass die Musterfeststellungsanträge auch gegen denselben Beklagten gerichtet sein müssen, sagt der Wortlaut der Vorschrift nicht. Eine einschränkende Interpretation wäre nicht zu rechtfertigen, weil das Bedürfnis nach einer einheitlichen Feststellung durch eine Mehrzahl von Parteien auf Beklagtenseite nicht gemindert, sondern erhöht wird (so zutreffend Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; zustimmend KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 28; vgl. zur Inhaltsbestimmung der Gleichgerichtetheit zudem bereits S. 99 ff.). 151 KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 17. Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 8 ff., schlussfolgert hieraus, dass auf Beklagtenseite ausschließlich die Regelungen über die Streitgenossenschaft Anwendung finden sollen. 152 Charakteristisch für die Gruppenklage ist die gebündelte Geltendmachung gleichgerichteter Interessen bzw. Ansprüche mehrerer Individualkläger durch einen oder wenige Repräsentanten (vgl. Burckhardt, Auf dem Weg zu einer class action in Deutschland?, S. 21; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 2, dort v. a. Fn. 7; Stadler, Bünde-
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
und nicht einer Musterklage153 auf, bei der gerade ein spezielles Ausgangsverfahren mit seinen Prozessbeteiligten ausgewählt wird.154 E contrario könnten auf der Passivseite mehrere Musterbeklagte auftreten.155 b) Der Ansatz von Sonja Lange: Keine Beiladung auf Beklagtenseite entgegen § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG Auch Sonja Lange möchte den Musterkläger und den Musterbeklagten eigenständig festlegen.156 Hierfür würde bereits die Möglichkeit eines Musterklägerwechsels nach § 11 KapMuG sprechen; andernfalls wären die bisherigen Prozessergebnisse unverwertbar.157 Sind in den Ausgangsverfahren mehrere Personen verklagt, so müssten diese entsprechend den gesetzgeberischen Anordnungen und Zielsetzungen unabhängig von der konkreten Anzahl der gegen sie gerichteten Musterfeststellungsanträge als Streitgenossen auf der Passivseite des Musterverfahrens beteiligt werden.158 Hätte der Gesetzgeber eine Auswahl auch auf Beklagtenseite gewollt, so hätte er eine solche in das KapMuG aufnehmen müssen.159 Die Beiladung würde wegen § 16 Abs. 2 KapMuG eine strukturell schwächere Bindung an den Musterentscheid bewirken; deshalb ist diese Beteiligungsform nach Ansicht von Sonja Lange nicht auf die Beklagtenseite übertragbar. Der Gesetzgeber wollte die Wirkungen der oberlandesgerichtlichen Entscheidung mit der Ausdehnung des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG auf die Beklagtenseite erweitern. § 16 Abs. 2 KapMuG greife jedoch in allen Ausgangsverfahren, in denen der auf der Passivseite Beigeladene Beklagter ist. Er würde den Einwand nach § 16 Abs. 2 KapMuG wegen der im Verhältnis zu den übrigen Haftungsschuldern bestehenden Zurechnungs- und Haftungsnormen typischerweise geltend machen. Dies zerstöre den erstrebten Bündelungseffekt.160 lung von Verbraucherinteressen, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 1). 153 Bei dem verwaltungsgerichtlichen Vorbild nach § 93a VwGO wird das Musterverfahren ohne Beteiligung der übrigen Individualkläger vorab durchgeführt, vgl. § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO; ferner etwa Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Rudisile, VwGO, § 93a Rn. 9 ff. 154 Vgl. Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 2; KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 3 f. 155 Vgl. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 17. 156 Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 6; ebenso KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 17. Ferner zweifelnd hinsichtlich der Bestimmung des Musterbeklagten Gansel/ Gängel, NJ 2006, 13 (15); ebenfalls kritisch Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (168). 157 So allein Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 6. 158 Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 7 ff., insbesondere Rn. 8 und 11. 159 Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 8 f. 160 Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 11.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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c) Der Ansatz von Carina Rau: Auswahl eines einzigen Musterbeklagten analog § 8 Abs. 2 KapMuG Nach Ansicht von Carina Rau setzt eine den Grundsätzen der Prozessökonomie und Waffengleichheit entsprechende Musterverfahrensdurchführung voraus, dass der Musterbeklagte in analoger Anwendung des § 8 Abs. 2 KapMuG auserwählt wird.161 Würde man als diesen diejenige Person ansehen, die der auserwählte Musterkläger verklagte, so hinge die Parteirolle auf der Passivseite vom Zufall ab. Zudem stelle das KapMuG kein Gesetz für solche Musterverfahren dar, bei denen ein Prozess als Exempel vorab durchprozessiert werde.162 Vielmehr liegt nach Auffassung von Carina Rau die analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 KapMuG nahe. Das Gesetz selbst spreche vom Musterbeklagten stets im Singular. Die Möglichkeit einer streitgenössischen Beteiligung habe gerade keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden.163 Das Interesse an der Gewährung rechtlichen Gehörs und entsprechender Beteiligungsmöglichkeiten würde es gebieten, die bestehende Gesetzeslücke über einen Rückgriff auf § 8 Abs. 2 KapMuG zu schließen. Stünde danach der Musterbeklagte fest, seien die weiteren Beklagten beizuladen. Andernfalls würden die Vorschriften der § 8 Abs. 3 Satz 1, § 10 Satz 1 und § 12 KapMuG keinen Sinn ergeben.164 d) Der Ansatz von Thomas Kilian, Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing: Ernennung des bzw. der vom auserwählten Musterkläger verklagten Person(en) zum Musterbeklagten Demgegenüber steht für Thomas Kilian, Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing die Identität des Musterbeklagten mit der Auswahl des Musterklägers fest.165 Nach dem Willen des Gesetzgebers sei diejenige natürliche oder juristische Person zum Musterbeklagten zu ernennen, die der auserwählte Musterkläger in seinem Individualverfahren verklagt hat. Hat er seine Klage gegen mehrere Personen als Streitgenossen gerichtet, würden diese konsequenterweise zu streitgenössischen Musterbeklagten.166 Hätten hingegen nur andere Indivi161
Rau, KapMuG, S. 133 ff. Rau, KapMuG, S. 133. 163 Rau, KapMuG, S. 136. 164 Rau, KapMuG, S. 135. 165 Kilian, KapMuG, S. 90; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (95). 166 Kilian, KapMuG, S. 90, für den die Bestimmung des Musterbeklagten allerdings keine nennenswerten Probleme aufwirft (vgl. den Text soeben bei Fn. 165). Vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 25. Insoweit übereinstimmend Vorwerk/Wolf/Lange, § 8 Rn. 9; Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2254 f.). I. E. ebenso Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (95), die umgekehrt allerdings für jeden gesonderten Streitpunkt einen Musterkläger bestimmen wollen, dem selbstverständlich jeweils ein Musterbeklagter gegenübersteht. 162
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
dualkläger in ihren Parallelstreitigkeiten weitere Personen in Anspruch genommen, so wären diese auf Musterbeklagtenseite nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG beizuladen.167 e) Der Ansatz von Bruno Rimmelspacher: Ernennung eines einzigen Musterbeklagten unabhängig von der Situation im Ausgangsverfahren Bruno Rimmelspacher entnimmt dem Gesamtzusammenhang des § 8 KapMuG, dass dem Musterkläger grundsätzlich diejenige Person als Musterbeklagter gegenübertritt, die der Kläger im Ausgangsverfahren verklagte.168 Stehen dem auserwählten Musterkläger im Hauptprozess mehrere Beklagte als Streitgenossen gegenüber, so könnte die Parteienhäufung im Musterprozess nicht fortgesetzt werden.169 Vielmehr sei auch die Musterbeklagtenseite in analoger Anwendung des § 8 Abs. 2 KapMuG auf eine Person zu reduzieren.170 Andernfalls wären das Ziel des Musterverfahrens, einen für alle betroffenen Ausgangsverfahren einheitlichen Musterentscheid herbeizuführen, sowie die Bündelungsfunktion gefährdet.171 Letztere würde umso bedeutsamer, je mehr Personen in den Ausgangsverfahren verklagt sind.172 3. Eigene Ansicht: Umfassende Geltung der §§ 59 ff. ZPO auf Musterbeklagtenseite a) Argumente gegen die generelle Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft im Musterverfahren auf Beklagtenseite Ebenso wie auf der Aktivseite ist bei der Ernennung des Musterbeklagten keine Rechtfertigung für die generelle Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft ersichtlich.173 Der Musterentscheid löst weder eine Rechtskrafterstre167 Kilian, KapMuG, S. 90. Kritisch diesbezüglich Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (168), der den Beigeladenen auf Beklagtenseite ohne nähere Begründung den Status von streitgenössischen Nebenintervenienten einräumen will; zustimmend Rößler, KapMuG, S. 116. 168 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 348. 169 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 349. 170 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 350. 171 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 349 f. 172 Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 349 f. möchte jedoch den Beklagten die Möglichkeit einräumen, die Rolle als Musterbeklagte zu diversifizieren, indem sie unterschiedliche Musterfeststellungsanträge stellen. Soweit die Beklagten diese Möglichkeit nicht nutzen, nehmen sie seiner Ansicht nach die personelle Konzentration auf einen Musterbeklagten in Kauf. Dieser Ansatz lässt sich mit dem in dieser Arbeit vertretenen Verständnis vom Feststellungsziel nicht vereinbaren und ist deshalb abzulehnen (siehe hierzu bereits S. 143 ff. sowie 146 f.; vgl. ferner Fn. 177). 173 Siehe S. 155 ff.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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ckung oder eine Gestaltungswirkung aus noch verlangt das KapMuG eine gemeinsame Prozessführung durch mehrere bzw. sämtliche Beklagte. Vielmehr sieht das Gesetz in den in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG beschriebenen Fällen eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung als zweckmäßig an und verbindet deshalb eine Vielzahl von Personen zu einer prozessualen Zufallsgemeinschaft.174 § 62 ZPO enthält besondere Verfahrensregeln bei Termin- und Fristversäumnis für eine auf Grund einer gesetzlichen Regelung, vgl. § 61 ZPO, bestehende notwendige Streitgenossenschaft. Die Wirkungen der Vorschrift können nicht allein wegen der Gefahr divergierender Prozessergebnisse beliebig über diese Grenzen hinaus ausgedehnt werden.175 Die gesetzgeberische Zielsetzung, mit dem Musterentscheid bindend eine einheitliche Feststellung über mehrfach relevante Tatbestandsmerkmale herbeizuführen, kann mithin die Bildung einer notwendigen Streitgenossenschaft erst im Musterprozess nicht rechtfertigen. Soweit das Gesetz die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung nicht anordnet, vgl. § 61 ZPO, sind mehrere Beklagte in den Ausgangsprozessen allenfalls formal über die Zulässigkeit gemeinsamer Inanspruchnahme176 in einem Verfahren miteinander verbunden, während die Wirkung des § 62 ZPO gerade nicht eingreift.177 Hätte der Gesetzgeber mehrere Haftungsschuldner durch die Vorschrift des § 62 ZPO im Musterprozess miteinander verknüpfen wollen, so hätte er dies anordnen müssen.
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Vgl. Kilian, KapMuG, S. 102 f. Vgl. Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 1 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rn. 30 m.w. N., auch zur Gegenansicht; vgl. ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 48 Rn. 12; MüKo/Schultes, ZPO, § 61 Rn. 10. 176 Vgl. insbesondere Stein/Jonas/Bork, ZPO, vor § 59 Rn. 1 m.w. N.; Musielak/ Weth, ZPO, § 61 Rn. 2 m.w. N.; vgl. ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 48 Rn. 12; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 60 Rn. 2 f. 177 Zudem würde die Ernennung sämtlicher Beklagter zu notwendigen Streitgenossen deren verfahrensrechtlichen Status gegenüber dem Individualverfahren, in welchem sie unabhängig in der Vornahme von Prozesshandlungen sind, insbesondere im Hinblick auf ein mögliches Vorbringen unterschiedlicher Verteidigungsmitteln zu sehr einschränken (siehe hierzu allgemein Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rn. 33 sowie die übrigen Nachweise in Fn. 139; ferner die Ausführungen in Fn. 138). Bei Annahme einer Beiladungslösung unterlägen die nicht zum Musterbeklagten auserkorenen Gegner der Ausgangsstreitigkeiten zwar den sich aus § 12 KapMuG ergebenden Einschränkungen. Sie hätten als Ausgleich hierfür im Nachverfahren die Möglichkeit, die Bindungswirkung des Musterentscheids über den Einwand nach § 16 Abs. 2 KapMuG zu durchbrechen. Angesichts des mit der Geltendmachung dieses Einwands verbundenen, zusätzlichen Darlegungs- und Beweiserfordernisses erscheint es – unabhängig von der hier vertretenen Rechtsstellung der Beklagten im Musterverfahren als einfache Streitgenossen gemäß §§ 59 ff. ZPO – überdies fraglich, ob die Geltung des § 16 Abs. 2 KapMuG tatsächlich die mit dem KapMuG erstrebte Bündelungswirkung de facto „zerstört“ (so aber Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 11). 175
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
b) Argumente gegen eine Musterbeklagtenauswahl analog § 8 Abs. 2 KapMuG und für die Geltung der Vorschriften der einfachen Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO auf Musterbeklagtenseite Wie sich aus den Gesetzesmaterialien und der systematischen Ausgestaltung von § 8 KapMuG ergibt, geht der Gesetzgeber von dem Grundfall aus, dass sich das Hauptsacheverfahren der zum Musterkläger auserwählten Person gegen einen einzigen Beklagten richtet. Letzterer ist mit der Ernennung seines Gegner in der Ausgangsstreitigkeit zum Musterkläger zwangsläufig zum Musterbeklagten auserkoren.178 Hat der zum Musterkläger auserwählte Kläger in der Hauptsache 178 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 25; ebenso für ein Korrespondenzverhältnis Kilian, KapMuG, S. 90; Madaus, Jura 2006, 881 (888); Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (95); Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 348; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2255); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh § 77 Rn. 4; zweifelnd hingegen Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (15). Der Vergleich mit dem herkömmlichen Gruppenverfahren (KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 4 sowie 17; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 2, vgl. auch Rn. 6), in welchem gerade kein spezielles Ausgangsverfahren mit bestimmten Prozessbeteiligten ausgewählt wird, kann die These einer originären Festlegung des Musterbeklagten nicht stützen. Das Kapitalanleger-Musterverfahren weist nur Züge eines Gruppenverfahrens und daneben Parallelen zum verwaltungsgerichtlichen Musterverfahren nach § 93a VwGO auf. Ähnlich wie letzteres (vgl. zum Musterverfahren nach § 93a VwGO ausführlich Eyermann/Geiger, VwGO, § 93a Rn. 1 ff.; Kopp/ Schenke, VwGO, § 93a Rn. 1 ff.; Redeker/v Oertzen, VwGO, § 93a Rn. 1 ff.) gewährt das KapMuG gemäß § 1 Abs. 1 nur einem bestimmten Kreis von Fragen Eingang in das Verfahren, um diese für eine Vielzahl von Prozessen kollektiv zu klären. Das Oberlandesgericht wählt einen Musterkläger aus einer Gruppe von klagenden Einzelpersonen aus. Anders als bei dem verwaltungsgerichtlichen Vorbild des § 93a VwGO werden zum Kapitalanleger-Musterprozess jedoch auch die übrigen Individualkläger zugezogen und an ihm mit beschränkten Rechten beteiligt. Der Musterkläger bildet mit den auf seiner Seite Beigeladenen eine Zufallsgemeinschaft (hierzu ausführlich Kilian, KapMuG, S. 102 ff., der anschaulich die gegen die Annahme einer Repräsentanten- bzw. Vertreterstellung sprechenden Argumente erörtert). Die gebündelte Geltendmachung gleichgerichteter Interessen erfolgt nicht wie in der herkömmlichen Gruppenklage durch einen Repräsentanten (vgl. auch BT-Drs. 15/5091, S. 49). Folglich kann sich die Person des Musterklägers durch eine Klagerücknahme ändern, § 11 Abs. 2 KapMuG, ohne die Verwertbarkeit der bisherigen Prozessergebnisse zu beeinträchtigen (KK/ Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 11; vgl. ferner Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 11 Rn. 1 und 4; anders Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 6, dort insbesondere Fn. 14, die jedoch übersieht, dass ein nachträglicher Parteienwechsel die Verwertbarkeit der bisherigen Prozessergebnisse unberührt lassen muss: Der Beigeladene ist nach § 12 KapMuG an die bisherigen Prozessergebnisse gebunden. Steigt dieser von der Beigeladenenposition in die Musterklägerrolle auf, so wird dadurch die bereits begründete Bindungswirkung nicht aufgehoben, vgl. auch BT-Drs. 15/5091, S. 28). Indes entspricht es eher dem Wesen des Gruppenverfahrens, dass der kapitalanlegerrechtliche Musterentscheid gemäß § 16 KapMuG unmittelbar für eine Vielzahl von Betroffenen wirkt. Dort entfaltet die gerichtliche Entscheidung für alle beteiligten Ausgangsprozesse Wirkung (vgl. Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 1). Das KapMuG kann damit keinem der beiden Institute eindeutig zugeordnet werden. So i. E. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 17: „Bei der Ausgestaltung des Musterverfahrens nimmt der Gesetzentwurf dabei we-
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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mehrere Personen – beispielsweise den Emittenten und handelnden Vorstand oder die emissionsbegleitende Konsortialbank179 – im Wege der Parteienhäufung in Anspruch genommen, so sollen auch für das Musterverfahren die zivilprozessualen Vorschriften der Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite gelten.180 An dieser Geltung der §§ 59 ff. ZPO hat die spätere Korrektur des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG nichts geändert. Der Rechtssauschuss hatte mit der Erweiterung der Beiladungsmöglichkeiten in § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG181 die Fälle erfassen wollen, in denen in den Ausgangsverfahren verschiedene Personen in Anspruch genommen sind. Die Beiladung der von weiteren Anlegern in den übrigen Ausgangsverfahren verklagten Personen182, sollte deren – auf Basis der Entwurfsfassung noch nicht vorgesehene – Beteiligung am Musterverfahren ermöglichen. Der Rechtsausschuss wollte eine umfassende Wirkung des Musterentscheids sider die US-amerikanische „class action“ noch die „representative action“ im englischen Zivilverfahrensrecht zum Vorbild.“ Dementsprechend räumt Reuschle, KapMuG, S. 38, selbst ein, dass der Gegner des Ausgangsrechtsstreits regelmäßig der Musterbeklagte sein wird (vgl. zudem KK/ders., KapMuG, § 8 Rn. 18). Die Vielzahl der Anleger nimmt in ihren jeweiligen Individualprozessen die identische(n) Person(en) in Anspruch (vgl. Kilian, KapMuG, S. 90; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [95]). In der Mehrzahl der Fälle bleibt bei einem Personenwechsels auf Musterklägerseite nach § 11 Abs. 2 KapMuG das Korrespondenzverhältnis zwischen Anspruchsgegner im Ausgangsverfahren und Musterbeklagtenrolle bei einem nachrückenden Musterkläger erhalten. Zudem ist die Frage nach der Bestimmung der Musterverfahrensparteien von der Durchführung und Wirkung des Musterverfahrens zu trennen. Das Musterverfahren ist entsprechend seinem Zweck, Rechtsprobleme für eine Vielzahl von Betroffenen verbindlich zu klären, gegenstandsbezogen ausgestaltet (vgl. KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 15 sowie § 7 Rn. 30; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 9 ff.). Es ist folglich kein Grund ersichtlich, ein Korrespondenzverhältnis zwischen Ausgangs- und Musterverfahren im Hinblick auf die beteiligten Parteien generell zu verleugnen. 179 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 25; Kilian, KapMuG, S. 54; Rau, KapMuG, S. 131. 180 BT-Drs. 15/5091, S. 25: „Richtet sich das Hauptsacheverfahren gegen zwei Beklagte, z. B. die Gesellschaft und den Vorstand, so gelten auch für das Musterverfahren die Vorschriften der Streitgenossenschaft auf Seiten der Beklagten.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 181 In der Entwurfsfassung des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG war nur vorgesehen, die Kläger der übrigen ausgesetzten Verfahren zu dem Musterverfahren beizuladen. Vgl. hierzu § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG-E: „Die Kläger der übrigen ausgesetzten Verfahren sind zu dem Musterverfahren beizuladen.“ 182 Vgl. den Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG „der übrigen ausgesetzten Verfahren“ sowie den systematischen Vergleich zu § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG. Ebenso interpretieren diesen Wortlaut auch Kilian, KapMuG, S. 90; KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 22 ff.; vgl. auch Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 8 f. Streit besteht indes über die Frage der Reichweite der Anwendbarkeit der Regelungen über die Streitgenossenschaft bzw. Beiladung sowie der Vorschrift des § 62 ZPO im Musterverfahren. Der von Reuschle, § 8 Rn. 22 ff. angenommene großzügigere Anwendungsbereich der Beiladung auf Beklagtenseite resultiert hingegen aus der unzutreffenden Annahme, die Beklagtenperson sei für die Bestimmung des Quorums nach § 4 KapMuG relevant (so KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 20, 25). Siehe hiergegen die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG sowie die Ausführungen auf S. 99 ff.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
cherstellen, indem die Rechtskrafterstreckung tatsächlich alle Verfahrensbeteiligten erfasst.183 Er hat allerdings übersehen, dass eine Beteiligung sämtlicher Beklagter aus den ausgesetzten Ausgangsverfahren mit gleichen Rechten zur effektiven Wahrnehmung ihrer Rechtspositionen erforderlich ist. Beispiel 22: Der zum Musterkläger auserwählte Kläger nimmt – ebenso wie ein Teil der übrigen Anleger – im Rahmen seiner Prospekthaftungsklage nur die Gesellschaft, nicht aber das emissionsbegleitende Kreditinstitut in Anspruch. Mit seinem Musterfeststellungsantrag begehrt er sowohl die Feststellung der Prospektunrichtigkeit als auch des Verschuldens des Unternehmens. Demgegenüber richteten weitere Investoren ihre Ausgangsklage zugleich gegen die emissionsbegleitende Bank und wollen vom Oberlandesgericht auch deren Verschulden für die Prospektunrichtigkeit feststellen lassen. Das Prozessgericht hat die Musterfragen dem Oberlandesgericht nach § 4 KapMuG gebündelt zur Entscheidung vorgelegt.
Das emissionsbegleitende Kreditinstitut kann sich im Beispiel 22 nur dann gegen das gegen sie gerichtete Feststellungsbegehren angemessen verteidigen, wenn ihm Parteienstatus zukommt und es den Rechtsstreit selbständig auf Basis seiner eigenen Prozessstrategie führen kann. Es wäre nicht haltbar, der Bank kein umfassendes Verteidigungsrecht gegenüber den Streitpunkten, die gegen sie vorgebracht sind, einzuräumen. Bei einer bloßen Beiladung würden sich die Prozesshandlungen des Musterbeklagten, der Gesellschaft, wegen § 12 KapMuG stets gegen eine abweichende Verteidigungsstrategie der Bank durchsetzen. Im Falle einer Verurteilung bestehen zwischen mehreren Beklagten regelmäßig gegenseitige Ausgleichsansprüche. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich der auserwählte Musterbeklagte seine wegen § 12 KapMuG gegenüber der lediglich beigeladenen weiteren Beklagten überlegene Rechtsstellung zu nutze macht. Insbesondere im Hinblick auf die personenbezogenen Entscheidungselemente wie die Verschuldensfragen ist diese Überlegenheit nicht gerechtfertigt. Hinzu kommt, dass die vorgetragenen Streitpunkte regelmäßig für mehrere Tatbestandsmerkmale relevant sind. Beispielsweise lässt sich die Frage nach der Kenntnis i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 BörsG nicht ohne Einbeziehung der konkreten unrichtigen Angaben beantworten. Die Möglichkeit des § 16 Abs. 2 KapMuG vermag diese 183 Vgl. BT-Drs. 15/5695, S. 24. Der Rechtsausschuss wollte mit der Überarbeitung des § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG nicht die Geltung der §§ 59 ff. ZPO in den Konstellationen ausschließen, in denen der auserwählte Musterkläger mehrere Personen streitgenössisch in Anspruch genommen hat. Zudem wollte er die Bindungswirkung des Musterentscheids ausdehnen, was mit einer umfassenden Beiladung auf Beklagtenseite nicht erreichbar gewesen wäre. Diese hätte den genau gegenteiligen Effekt, da es insoweit – anders als in Beziehung zu beklagten Streitgenossen – zu einem Eingreifen von § 16 Abs. 2 KapMuG im Nachverfahren kommen kann, so auch Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 8.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Nachteile nicht in angemessener Weise auszugleichen. Für die Beigeladenen bedeutet der Verweis auf den Einwand mangelnder Prozessführung im Nachverfahren eine zusätzliche Darlegungs- und Beweislast. Auf der anderen Seite kann gerade die Beiladungslösung den erstrebten Bündelungseffekt nicht herbeiführen. Für die beigeladenen Beklagten stellt das Berufen auf § 16 Abs. 2 KapMuG im Nachverfahren eines der wichtigsten Instrumente dar, um die Bindungswirkung eines für sie nachteiligen Musterentscheids zu durchbrechen und ein negatives erstinstanzliches Urteil abzuwenden. Im Falle einer Verurteilung drohen gegenseitigen Ausgleichsansprüche, so dass ein Gleichlauf der Verteidigungsstrategien zwischen mehreren Beklagten regelmäßig nicht gegeben ist. Die Einwendung des § 16 Abs. 2 KapMuG kommt deshalb in sämtlichen Ausgangsverfahren zum Tragen, in denen die auf der Passivseite Beigeladenen verklagt sind. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die dem Oberlandesgericht vorgelegten Fragen überwiegend mehrfach relevant sind. Die Beklagten werden sich nicht selten z. B. sowohl hinsichtlich der Feststellungen zur Unrichtigkeit als auch im Hinblick auf die Verschuldensfrage auf § 16 Abs. 2 KapMuG berufen. Der Musterentscheid könnte folglich bei Inanspruchnahme verschiedener Haftungsschuldner nicht zu der erstrebten Rechtssicherheit und Entlastung der Ausgangsgerichte bezüglich der vorgelegten Entscheidungselemente beitragen. Gerade hier besteht allerdings ein besonderes Interesse an einer verbindlichen Feststellung, weil eine solche Haftungssituation in der Mehrzahl der Anlegerstreitigkeiten vorzufinden ist. Exkurs In diesem Zusammenhang stellt sich ferner die Frage, ob bzw. inwieweit eine nachträgliche Parteierweiterung im Rahmen des KapMuG möglich ist. Beispiel: Die Anleger, unter ihnen auch die zum Musterkläger auserwählte Person, führen ihre Prospekthaftungsklage im Ausgangsverfahren zunächst jeweils nur gegen die Gesellschaft. Die Musterfeststellungsanträge waren zunächst auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit sowie das Verschulden der beklagten Gesellschaft gerichtet. Weil die Beweisaufnahme im Musterverfahren für die Klägerseite positiv verlaufen ist, will der Musterkläger auf Grund der guten Obsiegenschancen nun auch das Verschulden der emissionsbegleitenden Bank im Musterverfahren allgemeinverbindlich feststellen lassen. Er überlegt, wie er dieses Vorhaben prozessual umsetzen kann. Der Gesetzgeber hat sich lediglich für die Fortführung einer im Hauptsacheverfahren bereits bestehenden Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite ausgesprochen, ohne sich dazu zu äußern, ob eine solche auch nachträglich innerhalb einer laufenden Musterstreitigkeit begründet werden kann.184 Will der Kläger im Rahmen eines herkömmlichen ZPO-Prozesses in der 1. Instanz die Klage auf einen weiteren Beklagten erstrecken, so muss er jedenfalls einen dieses Begehren enthaltenden sowie den An184
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
forderungen des § 253 ZPO entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einreichen, der dem neuen Beklagten zuzustellen ist.185 Anders als der ZPO-Prozess ist das Musterverfahren als gegenstandbezogenes Verfahren ausgestaltet, zu dem sämtliche Personen, deren Individualstreitigkeit von den gestellten Musterfragen abhängt, hinzugezogen werden sollen. Als verselbständigter Teil der Ausgangstreitigkeiten setzt er eine Beteiligung an dieser voraus. Die Auswahl der Musterverfahrensparteien ist gemäß § 8 Abs. 2 KapMuG in das Ermessen des Oberlandesgerichts gestellt, das auch in Fällen der Klagerücknahme oder bei Eintritt eines Unterbrechungs- bzw. Aussetzungstatbestands einen neuen Musterkläger bestimmen muss, vgl. § 11 Abs. 2 i.V. m. § 8 Abs. 2 KapMuG. Die Vorschrift des § 13 KapMuG ermöglicht keine subjektive Ausdehnung auf eine zusätzliche Musterpartei. Sie stellt eine verdrängende Sonderregelung hinsichtlich nachträglicher Erweiterungen des (objektiven) Musterverfahrensgegenstands dar, neben der ein Rückgriff auf die allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften der §§ 263 ff. ZPO ausscheidet.186 Die Zulassung einer gewillkürten Parteierweiterung im Musterprozess würde sich über diese gesetzgeberischen Wertentscheidungen hinwegsetzen. Das KapMuG bietet demzufolge keinen Anknüpfungspunkt für eine direkte Übertragung der zivilprozessualen Grundsätze zur gewillkürten Parteierweiterung im Musterverfahren. Der Musterkläger kann den laufenden oberlandesgerichtlichen Prozess nicht durch eine dortige Antragstellung auf einen weiteren Musterbeklagten erstrecken. Jedoch kann er durch eine subjektive Erweiterung seiner Ausgangsklage erreichen, dass das Oberlandesgericht in dem bereits laufenden Musterverfahren eine weitere Person nachträglich zum Streitgenossen des bisherigen Musterbeklagten ernennen muss. Die amtswegige Aussetzung der landgerichtlichen Verfahren, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, steht dem wegen § 249 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Gemäß § 249 Abs. 2 ZPO sind Prozesshandlungen einer Partei, die während der Aussetzung vorgenommen werden, nur ihrem Gegner gegenüber unwirksam. Die Vorschrift ordnet nur eine relative Wirkungslosigkeit von Prozesshandlungen zwischen den Parteien der 185 Vgl. BGH NJW 1961, 1066 (1067); MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 26; Zöller/Greger, ZPO, § 263 Rn. 20; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Vorbem § 50 Rn. 20; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 263 Rn. 56. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im Detail umstritten. Der Bundesgerichtshof und einige Stimmen in der Literatur betrachten die gewillkürte Parteierweiterung als Fall der Klageänderung, welche – neben dem Vorliegen der allgemeinen Prozessvoraussetzungen und den Anforderungen der §§ 59 ff. ZPO – die Einwilligung der Beklagtenseite gemäß 263 ZPO bzw. eine entsprechende Sachdienlichkeit i. S. d. § 267 ZPO erfordert, BGH NJW 1996, 196 (197, insbesondere auch eingehend zum Recht auf Ergänzung bzw. Wiederholung einer bisher durchgeführten Beweisaufnahme); MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 84 sowie Rn. 99 f. i. H. a. die Bindung der neuen Partei; vgl. für die Berufungsinstanz zudem BGHZ 90, 17 (19 m.w. N.); 21, 285 (287 ff.); BGH NJW 1997, 2885 (2886); NJW-RR 1986, 356; OLG Köln, OLGReport 1994, 282 (284). Demgegenüber sieht die überwiegende Ansicht im Schrifttum in ihr ein prozessuales Institut eigener Art, das nicht an die Vorschriften der ZPO über die Klageänderung gekoppelt sein soll, weil der Kläger eine identische prozessuale Situation auch im Wege einer anfänglichen subjektiven Klagehäufung hätte erzielen können, vgl. Musielak/Foerste, ZPO, § 263 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 42 Rn. 21; Zöller/Greger, ZPO, § 263 Rn. 21; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, Vorbem § 50 Rn. 25 sowie allgemein zum Meinungsstand Rn. 15; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 263 Rn. 71). 186 BT-Drs. 15/5091, S. 28.
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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Hauptsache an.187 Soweit sie Dritten gegenüber vorgenommen sind, bleibt ihre Wirksamkeit von der Aussetzung unberührt.188 Im Verhältnis zu der im Wege der gewillkürten Parteierweiterung verklagten Person liegt zum Zeitpunkt der Aussetzung noch keine Hauptsache vor, deren Partei sie sein könnte. Eine solche wird durch die klageerweiternde Prozesshandlung erst begründet, so dass die Wirkung des § 249 Abs. 2 ZPO gegenüber dem erstmalig in Anspruch Genommen nicht eingreifen kann. Das Prozessgericht muss das Verfahren gegen den weiteren Beklagten nach § 7 Abs. 1 KapMuG aussetzen und auch diesbezüglich die Entscheidung des Oberlandesgerichts abwarten. Im Anschluss daran ist der Ausgangsrechtsstreit unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Musterentscheids gemäß § 16 KapMuG gegen beide Beklagte gemeinsam fortzusetzen. Eine Verfahrenstrennung nach § 145 ZPO würde an diesem Ergebnis nichts ändern. Die für eine Aussetzung erforderliche Abhängigkeit i. S. d. § 7 Abs. 1 KapMuG ist unabhängig von der formalen Verbindung der Ausgangsprozesse in einem äußerlich einheitlichen Verfahren gegeben; der neu hinzugetretene Beklagte wäre zum streitgenössischen Musterbeklagten zu bestimmen. Nur diese Lösung wird der erstrebten Bündelung und dem gewünschten Entscheidungsgleichlauf in den Ausgangsverfahren gerecht.189 Den auf der Aktivseite am Musterverfahren Beteiligten wird in Annäherung an das erstinstanzliche Verfahren mehr Verfahrensautonomie verliehen. Den Beklagten entstehen aus prozessualer Sicht keine Nachteile; bei einer anfänglichen streitgenössischen Inanspruchnahme durch mindestens einen Kläger würden sie sich in einer identischen Ausgangsposition befinden. Dies berücksichtigt die Aufgabe des Musterprozesses, das erstinstanzliche Verfahren fortzuführen. Sie setzt sich nicht zu der die §§ 263 ff. ZPO verdrängenden Sonderregelung des § 13 KapMuG in Widerspruch. Die zivilprozessualen Vorschriften über die Klageänderung haben lediglich im Individualverfahren Bedeutung. Demgegenüber erfolgt die nachträgliche Ernennung einer weiteren Person zum Musterbeklagten von Amts wegen durch das Oberlandesgericht, nicht jedoch auf Antrag der Verfahrensbeteiligten im Musterprozess. Dort begehren sie lediglich die von § 13 KapMuG gedeckte Feststellung des Verschuldens des neu hinzugekommenen Musterbeklagten. Diese Erweiterung des Musterstreitgegenstands liegt innerhalb des vom Gesetzgeber gemäß § 13 KapMuG vorgegebenen Umfangs.
Der Zweck des Musterverfahrens ist nicht darin zu sehen, zwangsläufig eine umfassend einheitliche Entscheidung herbeizuführen. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit dem KapMuG eine breite und vor allem endgültige Klärung mehrfach relevanter Entscheidungselemente ermöglichen.190 Auch aus dem materiel187 MüKo/Gehrlein, ZPO, § 249 Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, § 249 Rn. 4; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, § 249 Rn. 5 und 7; Musielak/Stadler, ZPO, § 249 Rn. 3 f. 188 BGH NJW 1961, 1066 (1067); Zöller/Greger, ZPO, § 249 Rn. 6; vgl. ferner Musielak/Stadler, ZPO, § 249 Rn. 4. 189 Vgl. insbesondere BT-Drs. 15/5091, S. 50; zudem S. 1, 16 ff., 20, 25, 47, 49; BTDrs. 15/5695, S. 2 und 22. 190 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (160); Rau, KapMuG, S. 21; Reuschle, KapMuG, S. 26; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 6.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
len Recht folgt nicht zwingend ein Haftungsgleichlauf bei einer Mehrzahl von Schuldnern, sondern eine Inanspruchnahme entsprechend dem Grad der jeweiligen persönlichen Verantwortlichkeit. Eine effektive Bündelung lässt sich daher nur erreichen, wenn bereits der oberlandesgerichtliche Ausspruch etwaige Differenzen in der Haftung mehrerer Beklagter berücksichtigen kann. Beispiel 23: In einem Prospekt befinden sich unrichtige Angaben zu dem jüngsten Geschäftsgang sowie den Geschäftsaussichten der Gesellschaft. Neben dem Emittenten und dem emissionsbegleitenden Kreditinstitut haben die Anleger in ihren Prospekthaftungsklagen auch die Vorstandsmitglieder V1 und V2 in Anspruch genommen. Vom Oberlandesgericht begehren sie die Feststellung, dass die Prospektangaben unrichtig sind sowie die Beklagten schuldhaft gehandelt haben. Demgegenüber möchte V2 festgestellt haben, dass ihn an der Unrichtigkeit des Prospekts kein Verschulden trifft, vgl. § 45 Abs. 1 Satz BörsG i.V. m. § 425 Abs. 2 BGB. Er trägt vor, V1 habe die Angaben vorsätzlich gefälscht und er sei selbst über deren Richtigkeit arglistig getäuscht worden.
Sind im Beispiel 23 beide Vorstandsmitglieder als Streitgenossen am Musterverfahren beteiligt, so kann das Oberlandesgericht hinsichtlich eines jeden von ihnen eine abschließende Entscheidung über die gestellten Fragen treffen. Insbesondere der Aspekt der Verantwortlichkeit für die Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 45 Abs. 1 BörsG kann für jeden Beklagten umfassend und verbindlich geklärt werden. Die Entscheidungselemente können für sämtliche Nachverfahren übernommen werden. Es besteht Rechtssicherheit hinsichtlich der vom Oberlandesgericht geklärten mehrfach relevanten Entscheidungselemente, wodurch für das Prozessgericht im Nachverfahren eine spürbare Entlastung eintreten kann. Gerade die endgültige Klärung der gestellten Musterfragen ist für die Kläger von besonderem Interesse. Zudem ist der Kreis potentieller Anspruchsgegner regelmäßig auf wenige Personen begrenzt; Paritätserwägungen bzw. das Argument der Waffengleichheit gegen eine Bündelung auf Beklagtenseite über die Streitgenossenschaftslösung überzeugen deshalb nicht. Umgekehrt würde eine Beteiligung von Beklagten im Wege einer an die einfache Nebenintervention angelehnten Rechtsstellung, vgl. 12 KapMuG, deren prozessuale Rechte übermäßig einschränken. Auch verfehlt die Beiladung wegen § 16 Abs. 2 KapMuG die gesetzgeberischen Zielsetzungen. Eine umfassende und endgültige Beilegung des Streits über die dem Oberlandesgericht vorgelegten mehrfach relevanten Fragestellungen wäre – wie gezeigt – nur erreichbar, wenn sämtlichen Beklagten die Rolle als Musterbeklagter zukommt. Die streitgenössische Beteiligung ermöglicht ihnen eine effektive Wahrnehmung ihrer Rechtspositionen sowie eine für alle Beteiligten bindende Antwort auf die gestellten Musterfragen. Die Intention des Gesetzgebers und insbesondere auch des Rechtsausschusses bei der Schaffung des § 8 KapMuG ist dadurch berücksichtigt. Es ist keine planwidrige Rege-
B. Die Parteienhäufung im Musterverfahren
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lungslücke erkennbar, welche die Beschränkung der Musterbeklagtenrolle auf einzelne in den Ausgangsverfahren verklagte Personen durch eine Auswahl gemäß § 8 Abs. 2 KapMuG analog rechtfertigen würde.191 c) Umfang der Geltung des § 62 ZPO im Musterverfahren: Vorliegen einer notwendigen Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite bereits im Ausgangsverfahren Ebenso wie auf der Aktivseite192 kann die Musterbeklagtenrolle in den Konstellationen nicht lediglich auf eine einzige Person übertragen werden, in denen der auserwählte Musterkläger in der Hauptsache notwendige Streitgenossen verklagt: Beispiel 24193: Die Kläger machen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der A-AG Schadensersatz aus kapitalmarktrechtlicher Informationsdeliktshaftung nach § 826 BGB gegen die Gesellschaft, Beklagte zu 1), sowie die Erbengemeinschaft ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und Mehrheitsgesellschafters V, den Beklagten zu 2), geltend. Die Aktien der A-AG waren mit Verkaufsprospekt zum geregelten Markt mit Handel im Neuen Markt zugelassen und zu einem Emissionskurs von 15 A ausgegeben worden. Im Rahmen einer später bei der A-AG durchgeführten Sonderprüfung stellte sich heraus, dass die im Verkaufsprospekt enthaltenen Umsatzzahlen von V im Wesentlichen mit Hilfe von Scheinfirmen fingiert und tatsächlich nur etwa 1% der bekannt gegebenen Umsätze getätigt worden waren. Nach Bekanntwerden dieser Umstände ist der Kurs der Aktie auf durchschnittlich 1 A abgesunken. Bevor die Anleger Schadensersatzklage erhoben, ist V gestorben. Sein Nachlass, der im Wesentlichen aus Grundstücken unterschiedlicher Wertigkeit besteht, fiel der Erbengemeinschaft E zu, die eine Teilung des Nachlasses unterlässt. In ihren Individualprozessen wollen die Anleger die Erbengemeinschaft nach § 2059 Abs. 2 BGB und die A-AG für den ihnen aus dem Kursverfall entstandenen Schaden 191 So aber Rau, KapMuG, S. 136. Im Hinblick auf eine streitgenössische Inanspruchnahme mehrerer Beklagter durch die zum Musterkläger auserwählte Person hat der Gesetzgeber sogar bewusst auf eine entsprechende Auswahl verzichtet, vgl. hierzu bereits S. 176 ff. Unerheblich für eine streitgenössische Inanspruchnahme ist ferner, ob gegen den jeweiligen Beklagten zehn Musterfeststellungsanträge gestellt wurden, weil die Vorlage nicht von der Person des Beklagten abhängig ist (vgl. hierzu bereits ausführlich S. 99 ff. sowie v. a. auch das Beispiel in § 3 Fn. 201). Ebenso Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 8 Rn. 10 f.; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 344 f.; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 28 f.; nicht zutreffend hingegen KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 18 ff.). 192 Vgl. hierzu bereits S. 164 ff. 193 Das Beispiel geht zurück auf den den Vorlagebeschluss des LG Berlin v. 30. August 2007, Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“), siehe hierzu den Nachweis in Fn. 142.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
haftbar machen. Sie machen geltend, dass sie die Aktien auf Grund der falschen Angaben über die Umsatzzahlen erworben und den Kauf bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht getätigt hätten. Die A-AG habe zusammen mit dem Beklagten zu 2) als ihrem verfassungsmäßig berufenen Vertreter für die von diesem vorsätzlich begangene sittenwidrige Schädigung analog § 31 BGB einzustehen. Mit Musterfeststellungsanträgen begehren sie, die Prospektunrichtigkeit sowie das Verschuldens des Beklagten zu 2) festzustellen.
Die Anleger fordern Leistung aus dem Gesamthandsvermögen. Es liegt eine gegen die Erbengemeinschaft als solche gerichtete Gesamthandsklage vor.194 § 2059 Abs. 2 BGB ordnet die notwendige Streitgenossenschaft an, indem sie die Einzelklage gegen die Mitberechtigten verbietet, so dass die verklagten Miterben über das gesamte Recht nur gemeinsam prozessführungsbefugt sind.195 Es besteht die Notwendigkeit gemeinsamer Klage bzw. einheitlicher Feststellung. Die Konstellation geht über die mit dem KapMuG verfolgte Zielsetzung hinaus, innerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eine Vielzahl von Personen zu einer prozessualen Zufallsgemeinschaft196 zu verbinden, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist. Um dem Erfordernis der einheitlichen Sachentscheidung im Ausgangsverfahren und der Systematik des KapMuG zu genügen, greift § 62 ZPO aus den bereits für die Klägerseite erörterten Gründen im Musterprozess auch für die in einer notwendigen Streitgenossenschaft verbundenen Beklagten ein.197 Die von dem auserwählten Musterkläger gesamthänderisch verklagten Mitglieder der Erbengemeinschaft sind zu notwendigen Streitgenossen auf Musterbeklagtenseite zu benennen. Für eine Beiladung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ist kein Raum. Unerheblich ist, ob der Musterkläger seinen Musterfeststellungsantrag entsprechend seinem Antrag im Ausgangsrechtsstreit streitgenössisch formulierte. Der 194 Vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rn. 20; MüKo/Schultes, ZPO, § 62 Rn. 32, auch zum Meinungsstand und mit entsprechenden Nachweisen zu den Gegenansichten; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 18; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rn. 11; Palandt/ Edenhofer, BGB, § 2059 Rn. 11; MüKo/Heldrich, BGB, § 2059 Rn. 19 ff. Anders wäre dies bei Erhebung einer Gesamtschuldklage nach § 2059 Abs. 1 BGB gegen die einzelnen Miterben zwecks Vollstreckung gegen sie persönlich. Ob eine Gesamtschuldklage ohne notwendige Streitgenossenschaft, auch wenn alle Miterben verklagt werden, oder eine Gesamthandsklage vorliegt, ist nach dem Klagebegehren durch Auslegung zu ermitteln (Bork, ZPO, § 62 Rn. 20; Schultes, ZPO, § 62 Rn. 32; vgl. auch Palandt/Edenhofer, BGB, § 2059 Rn 13; MüKo/Heldrich, BGB, § 2059 Rn. 20; ferner Jauernig/Stürner, BGB, §§ 2058–2060 Rn. 8; Soergel/M. Wolf, BGB, § 2059 Rn. 9). 195 Vgl. Bork, ZPO, § 62 Rn. 20; M. Vollkommer, ZPO, § 62 Rn. 18; Palandt/Edenhofer, BGB, § 2059 Rn. 11; MüKo/Heldrich, BGB, § 2059 Rn. 24; vgl. ferner Jauernig/ Stürner, BGB, §§ 2058–2060 Rn. 11; Soergel/M. Wolf, BGB, § 2059 Rn. 9. 196 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 102 f. 197 Ähnlich Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. Siehe ausführlich zu den Argumenten bereits S. 165 ff.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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Gesetzgeber hat bereits die Auswahl des Musterklägers nicht auf denjenigen Personenkreis beschränkt, der tatsächlich einen Musterfeststellungsantrag stellte.198 Sie knüpft lediglich an diejenigen Kandidaten an, deren Ausgangsverfahren vor dem vorlegenden Prozessgericht betrieben werden.199 Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Musterverfahren den erstinstanzlichen Prozess als Zwischenverfahren fortsetzt.200 Maßgeblich ist, dass insgesamt zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt sind, gleich gegen welchen Beklagten, und dadurch eine Vorlage an das Oberlandesgericht eröffnet ist.201
C. Die nachträgliche Erweiterung des im Vorlagebeschluss festgelegten Gegenstands des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens I. Ausgangssituation Die nachträgliche Erweiterung des im Vorlagebeschluss festgelegten Musterverfahrensgegenstands ist in § 13 KapMuG geregelt. Nach Abs. 1 der Vorschrift können die Beteiligten im Rahmen des Feststellungsziels die Feststellung weiterer Streitpunkte begehren, wenn die Entscheidung ihres Rechtsstreits davon abhängt und das Prozessgericht dies für sachdienlich erachtet. Ausgehend von diesem Wortlaut normiert § 13 Abs. 1 KapMuG ausdrücklich die nachträgliche Einführung weiterer Streitpunkte in den laufenden Musterprozess. Dementsprechend ist in Literatur und Rechtsprechung unstreitig, dass die Beteiligten nachträglich zusätzliche Streitpunkte in das oberlandesgerichtliche Musterverfahren einführen können, soweit diese – wie in nachfolgendem Beispiel 25 – zur Begründung des
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BT-Drs. 15/5091, S. 25. Vgl. den Wortlaut von § 8 Abs. 2 Satz 1 KapMuG sowie die diesbezügliche Passage in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/1591, S. 25. 200 Vgl. KK/Reuschle, KapMuG § 8 Rn. 2; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 347. 201 Vgl. ausführlich auf S. 96 ff. Das erforderliche Quorum zur Einleitung eines Musterverfahrens wäre beispielsweise bereits dann erreicht, wenn bei einem Schadensersatzbegehren nach § 44 Abs. 1 BörsG fünf gegen den Emittenten und fünf gegen das emissionsbegleitende Kreditinstitut gerichtete Musterfeststellungsanträge, jeweils bezogen auf denselben Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, also denselben Prospekt, vorliegen (so auch Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [91]; Plaßmeier, NZG 2005, 609 [611]; Rau, KapMuG, S. 52 und S. 134; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, S. 345; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 28; dagegen KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 18 ff., der jedoch die Definition der Gleichgerichtetheit in § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG verkennt. Vgl. zur Auslegung dieses Begriffs S. 99 ff.). Ebenso würde es ausreichen, dass sich etwa im Falle einer unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung neun bzw. zehn Anträge gegen die Gesellschaft und nur ein einziger bzw. keiner gegen den handelnden Vorstand richten. 199
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Feststellungsziels in der im ursprünglichen Vorlagebeschluss fixierten Fassung dienen, vgl. § 1 Abs. 2 Satz KapMuG.202 Beispiel 25 203: Die Anleger machen in ihren Individualverfahren Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender bzw. unterlassener Angaben im Verkaufsprospekt eines geschlossenen Immobilienfonds, an dem sie Anteile gezeichnet haben, gegen die Treuhandbank des Fonds, Beklagte zu 1), sowie eine Immobilienbeteiligungs- und Vertriebsgesellschaft mbH, Beklagte zu 2), u. a. unter dem Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Prospekthaftung i. w. S. geltend. Die Beklagte zu 2) ist eine der Gründungsgesellschafter des Fonds. Sie hatte auch den Fondsprospekt herausgegeben, in welchem sie als Initiatorin vorgestellt worden war und für den Vertrieb der Fondsanteile verantwortlich zeichnete. Daneben begehren die Kläger in entsprechenden Musterfeststellungsanträgen die Klärung mehrerer Fragen im Wege des Musterverfahrens. Diese legte das zuständige Prozessgericht dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Das im ursprünglichen Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungsziel ist insbesondere (unter dem Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Prospekthaftung i. w. S.) – auf die Feststellung der Unrichtigkeit des Prospekts, die schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflichten durch die Beklagten zu 1) und 2) sowie die Rechtsfrage des Eingreifens einer Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität zwischen der Aufklärungspflichtverletzung und der Anlageentscheidung der Kläger gerichtet gewesen. Nach Beginn des Musterverfahrens möchte einer der beigeladenen Kläger vom Oberlandesgericht weitere Streitpunkte zur Prospektunrichtigkeit geklärt haben. Im Detail begehrt der Beigeladene die Feststellung der Kalkulation mit überhöhten Zinssätzen bei nicht garantierten Zinserträgen, die fehlende Absicherung der prognostizierten
202 § 13 KapMuG knüpft an das Feststellungsziel mit dem Inhalt an, mit welchem es im ursprünglichen Vorlagebeschluss enthalten ist. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 4 KapMuG. So auch KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 1. 203 Angelehnt an LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Das LG Berlin geht allerdings entgegen der hier vertretenen Auffassung davon aus, das Erweiterungsersuchen sei auf eine Erweiterung des Feststellungsziels gerichtet. Dem liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass der klägerische Erweiterungsantrag „das verfahrensgegenständliche Feststellungsziel um Streitpunkte erweitern kann“ (S. 6). Tatsächlich handelt es sich jedoch nach der hier vertretenen Auffassung bei der Einführung weiterer Unrichtigkeitsgründe um bloße Streitpunkte, welche der Begründung des Feststellungsziels „Prospektunrichtigkeit“ dienen, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Die Reichweite des ursprünglich im Vorlagebeschluss formulierten Feststellungsziels bleibt deshalb unberührt. Das klägerische Begehren ist nach wie vor auf die Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Unrichtigkeit des Emissionsprospekts gerichtet. Vgl. zu diesem Begriffsverständnis bereits ausführlich S. 65 ff. Ebenso die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 21 f. sowie 49.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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Indexierungen bzw. Mietsteigerungen sowie die unvollständigen, fehlerhaften und irreführenden Ausführungen zur Wohnungsförderung und zu deren kalkulierten Einnahmen.
Uneinigkeit besteht indes darüber, ob die Musterverfahrensbeteiligten i. S. d. § 8 Abs. 1 KapMuG neue Streitpunkte weitgehend formlos vor dem Oberlandesgericht darlegen können oder es hierfür einer Erweiterung des ursprünglichen Vorlagebeschlusses bedarf. Folgt man dem Wortlaut des § 13 Abs. 2 KapMuG, so wäre der Vorlagebeschluss um die zusätzlichen Fragestellungen zu ergänzen. Hieran schließt sich die Frage an, welches Gericht zu der Abänderung befugt sein würde. § 13 Abs. 2 KapMuG erklärt insoweit das Prozessgericht für zuständig. Diese Anordnung erweist sich allerdings in den Fällen als unzureichend, in denen neben dem vorlegenden Prozessgericht weitere Prozessgerichte mit den am Musterverfahren beteiligten Ausgangsstreitigkeiten befasst sind. Fraglich ist damit, nach welchen Kriterien in derartigen Konstellationen die Zuständigkeitszuweisung zu erfolgen hat. Daneben ist unklar, ob im laufenden Musterprozess zusätzliche anspruchsbegründende oder -ausschließende Voraussetzungen oder Rechtsfragen geklärt werden können. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 KapMuG spricht dagegen, eine begehrte Erweiterung des Feststellungsziels selbst und damit des eigentlichen Verfahrensgegenstands des oberlandesgerichtlichen Musterprozesses sowie ggf. hierzu vorgebrachter Streitpunkte204 zuzulassen. § 13 KapMuG knüpft an das Feststellungsziel in der Fassung an, in der es der Vorlagebeschluss als Gegenstand des oberlandesgerichtlichen Musterverfahrens fixierte, vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 KapMuG. Bei wortlautgetreuer Auslegung ist die Norm für darüber hinausgehende neue Fragestellungen nicht konzipiert. Hiernach wäre das Ersuchen um Feststellung weiterer anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen bzw. um Klärung von Rechtsfragen, die nicht im ursprünglichen Vorlagebeschluss enthalten sind, als unzulässig zu erachten.
204 Die Einführung weiterer, außerhalb des ursprünglichen Feststellungsziels liegender, Streitpunkte ist nur bei einer gleichzeitig begehrten Erweiterung des Feststellungsziels um die Anspruchsvoraussetzung, zu deren Begründung sie dienen sollen, sinnvoll und möglich (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG sowie § 13 Abs. 1 KapMuG analog; siehe zu Letzterem die Ausführungen auf S. 195 ff.). Beispiel: Das nachträgliche Ersuchen um die Feststellung von Tatsachen zum Beklagtenverschulden ist zuzulassen, wenn vom Oberlandesgericht zugleich die Verschuldensfeststellung selbst begehrt wird. Angesichts des systematischen Zusammenspiels von Feststellungsziel und Streitpunkten (vgl. hierzu bereits ausführlich S. 65 ff.) werden die Beteiligten regelmäßig zugleich die Ausdehnung des Feststellungsziels begehren und dieses mit weiteren Streitpunkten begründen. Vgl. hierzu auch Kilian, KapMuG, S. 61 f. sowie KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 10.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Beispiel 26 205: Die Ausgangslage ist wie im Beispiel 25 (S. 186). Anders als dort begehrt einer der beigeladenen Individualkläger nach Beginn des Musterverfahrens nicht, weitere Streitpunkte in den Musterprozess einzuführen, sondern das im Vorlagebeschluss formulierte Feststellungsziel zu erweitern. Er beantragt die Feststellung verschiedener anspruchsbegründender Voraussetzungen des deliktischen Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 264a StGB, die bislang nicht Musterverfahrensgegenstand waren. Der Beigeladene möchte vom Oberlandesgericht geklärt haben, dass die Beklagte zu 2) zum Täterkreis des § 264a StGB gehört, den objektiven Tatbestand des § 264a StGB verwirklicht sowie zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat.
Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 KapMuG könnte das Oberlandesgericht die im Beispiel 26 (S. 188) von dem Beigeladenen begehrte Feststellung weiterer Tatbestandsvoraussetzungen und einer zusätzlichen Rechtsfrage in dem bereits laufenden Musterverfahren nicht klären. Vielmehr wäre bei dieser Auslegung über das nachträgliche Ersuchen in einem gesonderten Musterverfahren zu entscheiden.206 Wegen der Sperrwirkung des § 5 KapMuG ist ein solches erst nach Abschluss des bereits laufenden Musterverfahrens zulässig.207 Dies würde zu ei205 Angelehnt an LG Nürnberg-Fürth, erweiterter Vorlagebeschluss v. 24. Juli 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 5. August 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Beteiligungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). 206 Alternativ bliebe die Entscheidung über die nachträglich erhobenen Teilfragen den jeweiligen Ausgangsgerichten vorbehalten; dadurch würde sich ebenfalls der Abschluss des Individualverfahrens verzögern und der erstrebte Bündelungseffekt wäre verringert, vgl. Kilian, KapMuG, S. 63. Kilian, KapMuG, S. 53 f.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 f.) weisen unter Hinweis auf ähnliche Beispiele, in denen neben der Prospektunrichtigkeit die Verschuldensfrage erst nach Beginn des Musterverfahrens relevant wird, auf das Erfordernis der Erweiterbarkeit des Feststellungsziels hin. So kann etwa die Frage nach der Kenntnis erst im Zusammenhang mit der Einführung weiterer möglicher Prospektfehler bedeutsam werden, weil der Beklagte hinsichtlich der bisherigen Rügen die Sachlage unbestreitbar kannte, jetzt aber die Berufung auf seine Unkenntnis erfolgversprechend erscheint oder er dieses Vorgehen sogar ankündigt (Kilian, KapMuG, S. 53; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102)). Ebenso ist denkbar, dass erst in späteren nach § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren das emissionsbegleitende Kreditinstitut verklagt wird, bei denen die Frage nach der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis ganz anders zu beurteilen ist (vgl. Kilian, KapMuG, S. 54; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102)). 207 Ebenso Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 6; Kilian, KapMuG, S. 63. Vgl. zur umfassenden Reichweite der Sperrwirkung auch BT-Drs. 15/5091, S. 24; Reuschle, KapMuG, S. 36; ders., WM 2004, 2334 (2338); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2254); i. E. auch Kilian, KapMuG, S. 63. Einschränkend offenbar Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (98), die allerdings übersehen, dass jedenfalls das Oberlandesgericht den gesamten Inhalt des Vorlagebeschlusses bekannt macht, vgl. § 6 KapMuG. Der in der Zeitspanne zwischen Erlass des Vorlagebeschlusses und seiner vollständigen Veröffentlichung durch das Oberlandesgericht bestehenden Rechtsunsicherheit will Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 5 Rn. 4 durch eine entsprechende Nachfrageobliegenheit der Prozessgerichte entgegenwirken. A. A. KK/Kruis, KapMuG, § 5 Rn. 9 ff.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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ner erheblichen Verfahrensverzögerung führen und dem mit einem Massenprozess erstrebten Effizienzgewinn zuwiderlaufen. Die Durchführung mehrerer Musterverfahren zu zusammengehörigen Fragestellungen lässt sich mit der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht vereinbaren. Solche Fragen sollen sowohl aus prozessökonomischen Erwägungen als auch im Interesse der Rechtssicherheit in einem einzigen Musterprozess einheitlich und verbindlich für sämtliche betroffenen Ausgangsverfahren geklärt werden.208 Dementsprechend besteht in Rechtsprechung und Literatur im Ergebnis weitestgehend Einigkeit209, dass die Erweiterung des im Vorlagebeschluss fixierten Feststellungsziels bzw. die nachträgliche Einführung weiterer Feststellungsziele210 in das laufende Musterverfahren im Ergebnis möglich sein muss. Unklar ist indes, auf welche Rechtsgrundlage sich die nachträgliche Erweiterung des Streitgegenstands des Musterverfahrens stützen lässt und welche Anforderungen an ihre Zulässigkeit zu stellen sind. Der folgende Abschnitt befasst sich mit Zu208
Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24. Anders LG Frankfurt a. M., erweiterte Vorlagebeschlüsse v. 23. April 2007, veröffentlicht jeweils im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom Oberlandesgericht Frankfurt a. M. am 16. Juli 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Kap 1/06 und 23 Kap 2/06 („Deutsche Telekom AG“); Rau, KapMuG, S. 178 und 186 f. Sie wollen unter Hinweis auf den Wortlaut des § 13 Abs. 1 KapMuG sowie die Legaldefinitionen der Begriffe Feststellungsziels, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, und Streitpunkte, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, eine Erweiterung des Vorlagebeschlusses nur um weitere Streitpunkte im Rahmen des ursprünglich vorgelegten Feststellungsziels zulassen. Rau, KapMuG, S. 178 und 186 f. geht dabei unzutreffenderweise davon aus, dass in einem Musterverfahren stets nur die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer einzigen Tatbestandsvoraussetzung oder einer einzigen Rechtsfrage begehrt werden kann (ebenso ablehnend mit Blick auf § 1 Abs. 1 Satz 1, § 6 Satz 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 [459, dort auch Fn. 21]). Sie begründet diesen Standpunkt damit, dass das Gesetz selbst den Begriff des Feststellungsziels ausschließlich im Singular verwende. Zudem würde die Aufnahme weiterer Feststellungsziele in den Vorlagebeschluss zu einer Ausdehnung des Musterverfahrens auf weitere Lebenssachverhalte führen, die nicht mehr mit den Ausgangsrechtsstreiten übereinstimmen. Abgesehen davon, dass die Begriffsverwendung im Singular gängiger Gesetzestechnik entspricht, steht dieser Sichtweise der Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG entgegen (vgl. hierzu ausführlich S. 143 ff. m.w. N. sowie 146 f.). Der Gegenstand des Musterprozesses betrifft lediglich einen Ausschnitt der in den landgerichtlichen Prozessen in Rede stehenden Haftungsnormen. Die Korrespondenz von Ausgangsstreitigkeit und Musterprozess besteht unabhängig davon, ob eine einzige oder mehrere Tatbestandsvoraussetzungen festgestellt bzw. eine einzige oder mehrere Rechtsfragen geklärt werden sollen. § 13 KapMuG dient einer umfassenden Erledigung der Rechtsstreite in einem einzigen Musterverfahren. Kann dem Oberlandesgericht ein verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen betreffendes Ersuchen vorgelegt werden, so muss Gleiches für den Erweiterungsbeschluss gelten. Vgl. insbesondere LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2179). 210 Nach der hier vertretenen Ansicht stellt auch das Ersuchen um Feststellungen zu verschiedenen anspruchsbegründenen oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen bzw. Rechtsfragen entsprechend dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nur ein einziges Feststellungsziel dar (vgl. hierzu sowie zur gegenteiligen Auffassung ausführlich S. 139 ff.). 209
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
lässigkeit und Grenzen einer nachträglichen Ausweitung des Musterverfahrensgegenstands; zu erörtern sind auch die sich in diesem Zusammenhang stellenden Zuständigkeitsfragen.
II. Derzeitiger Streitstand 1. Der Lösungsansatz von Fabian Reuschle: Die Einführung weiterer Feststellungsziele über § 263 ZPO analog Fabian Reuschle, der in der begehrten Feststellung einer jeden Tatbestandsvoraussetzung sowie in jeder Rechtsfrage ein gesondertes Feststellungsziel sieht211, orientiert sich bei der Auslegung des § 13 KapMuG streng am Wortlaut der Vorschrift. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Norm nicht die Feststellung weiterer Voraussetzungen bzw. Rechtsauslegungsprobleme im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ermöglicht.212 Die Vorschrift regelt seiner Ansicht nach vielmehr ausschließlich die Einführung weiterer Streitpunkte im Rahmen des durch den Vorlagebeschluss vorgegebenen Feststellungsziels.213 Die Klärung weiterer Feststellungsziele sollen hingegen ausschließlich die Musterverfahrensparteien über die Vorschrift des § 263 ZPO erreichen können, wenn das Oberlandesgericht deren Zulassung als statthaft erachtet. Eine Zustimmung des Vorlagegerichts sei hingegen weder erforderlich noch zweckmäßig, da sie nur zur Verfahrensverzögerung führen würde.214 Fabian Reuschle begründet diese differenzierende Sichtweise mit dem Wortlaut sowie der Entstehungsgeschichte des § 13 KapMuG.215 Aus den sprachlichen Veränderungen, welche die Norm im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfahren hat, leitet er eine Abwandlung des Normzwecks ab. § 13 KapMuG sei im Regierungsentwurf noch abschließend hinsichtlich der Einführung weiterer Feststellungsziele konzipiert gewesen; der Rechtsausschuss hätte jedoch das Spezialitätsverhältnis dieser Vorschrift gegenüber den §§ 263 ff. ZPO eingeschränkt. Dies würde sich in der Neuformulierung § 13 KapMuG widerspigeln, so dass sich ein Rückgriff auf die entsprechenden Erläuterungen in der Gesetzesbegründung verbiete. Ihr könnten folglich keine Anhaltspunkte mehr für eine mögliche Einbringung weiterer Feststellungsziele in das laufende Musterverfahren über die Vorschrift des § 13 KapMuG entnommen werden. Um einerseits eine gewisse Flexibilität zu erhalten und gleichzeitig den entgegenstehenden Interessen der zum Musterprozess Beigeladenen Rechnung zu tra211 212 213 214 215
KK/Reuschle, KapMuG, etwa § 13 Rn. 5 f., 13 f., 25 ff. KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 6 f. sowie insbesondere Rn. 11 ff. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 61 sowie § 13 Rn. 12. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 61 sowie § 13 Rn. 13. KK/Reuschle, KapMuG, § 8 Rn. 61 sowie § 13 Rn. 13.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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gen, möchte Fabian Reuschle diese Erweiterungsmöglichkeit nach § 263 ZPO den Musterverfahrensparteien vorbehalten. Er argumentiert, dass Beigeladene aus der nachträglich aufgeworfenen Musterfrage mangels Entscheidungserheblichkeit möglicherweise keine Vorteile für ihr eigenes Verfahren ziehen könnten, ungeachtet dessen aber gemäß Absatz 3 des Auslagentatbestands 9019 des GKGKostenverzeichnisses anteilig für die durch eine zusätzlich erforderlich werdende Beweisaufnahme entstehenden Kosten haften.216 Diesem Kostenrisiko würde kein angemessener Ausgleich in Form einer Ausstiegsmöglichkeit aus dem bereits laufenden Musterverfahren bzw. in Gestalt einer Kostentrennungsregelung gegenüberstehen. Abgesehen davon könnten die Beigeladenen das Musterverfahren durch die begehrte Feststellung zusätzlicher Voraussetzungen zum Stillstand bringen. Die Erweiterungsmöglichkeit des § 13 KapMuG sei deshalb eng auszulegen.217 2. Der Lösungsansatz von Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing, Josef Fullenkamp und des Landgerichts Stuttgart: Erweiterung des Vorlagebeschlusses gemäß § 13 KapMuG nur bei Einführung weiterer Feststellungsziele Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing218, Josef Fullenkamp219 und dem Landgericht Stuttgart 220 sehen kein Bedürfnis für eine Erweiterung des Vorlagebeschlusses, soweit die Beteiligten im Rahmen des Feststellungsziels weitere Streitpunkte zur Untermauerung der festzustellenden Tatbestandsvoraussetzungen bzw. Rechtsfragen in das Musterverfahren einführen wollen. Georg MaierReimer und Hans-Ulrich Wilsing begründen dies mit dem illustrierenden Charakter der Streitpunkte vergleichbar der Angabe der Beweis- sowie Angriffs- und Verteidigungsmittel: Er würde es bedingen, § 13 KapMuG „anders zu lesen“.221 Ähnlich verweist das Landgericht Stuttgart darauf, dass das Oberlandesgericht im Musterverfahren nicht über das Vorliegen einzelner Streitpunkte, sondern 216 KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 12. Dieses Kostenrisiko erkennt auch Kilian, KapMuG, S. 64. Er erachtet es jedoch als zumutbar, weil die Beigeladenen es ebenso hinnehmen müssten, wenn die Fragen bereits in den ursprünglichen Vorlagebeschluss Eingang gefunden hätten. 217 KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 14. 218 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102). 219 Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 7. 220 LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2176). 221 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102). Unklar bleibt allerdings, wie sich der lediglich „der Illustration dienende“ Charakter der Streitpunkte im Rahmen des Vorlagebeschlusses mit ihrer Rolle als ausschließlicher Entscheidungsgegenstand vereinbaren lässt (dies., ZGR 2006, 79 [104 f., insbesondere S. 105]: „Der Musterentscheid sollte auch nur über die geltend gemachten Streitpunkte entscheiden. [. . .] Eine über die konkreten Streitpunkte hinausreichende Bindungswirkung des Musterentscheids wäre unsachgemäß.“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]).
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
über entscheidungserhebliche Rechtsfragen oder Anspruchsvoraussetzungen entscheide. Zudem würde die Feststellung weiterer Streitpunkte einen systematischen Fremdkörper im Rahmen des bereits laufenden Musterverfahrens darstellen. Der Tenor des Musterentscheids dürfe sich gemäß § 14 KapMuG schließlich auf die im Vorlagebeschluss formulierten Feststellungsziele beschränken.222 Josef Fullenkamp schlussfolgert aus der systematischen Stellung des § 13 KapMuG sowie den Gesetzesmaterialien, dass der Hinweis auf die Streitpunkte als Feststellungsziel auf einem offenkundigen Versehen beruht. Der Gesetzgeber wollte den Verfahrensgegenstand nicht neu definieren, sondern lediglich die Gesetzesformulierung des § 13 Abs. 1 KapMuG ohne inhaltliche Veränderung an den gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG legal definierten Begriffen Feststellungsziel und Streitpunkten ausrichten.223 Folglich könnten alle Verfahrensbeteiligten innerhalb des Feststellungsziels ohne Weiteres zusätzliche Streitpunkte darlegen.224 Nach Ansicht von Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing müsste das Oberlandesgericht mit dem Prozessgericht allerdings das Vorliegen von Sachdienlichkeit informell klären.225 Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing, Josef Fullenkamp und das Landgericht Stuttgart 226, die in jeder zur Entscheidung gestellten Tatbestandsvoraussetzung bzw. Rechtsfrage ein gesondertes Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG erblicken, erachten die Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele über die Vorschrift des § 13 KapMuG für möglich. Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing gelangen im Wege einer „korrigierende Leseart“ der Norm des § 13 KapMuG unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte zu diesem Ergebnis.227 Der Rechtsausschuss wollte mit seiner Änderungsempfehlung die Möglichkeit zur Erweiterung des Verfahrensgegenstands erleichtern und lediglich sicherstellen, dass sämtliche Fragestellungen im Hinblick auf denselben Lebenssachverhalt in einem einzigen Musterverfahren beantwortet werden.228 Auch Josef Fullenkamp und das Landgericht Stuttgart verweisen bei ihrer Auslegung des § 13 KapMuG vornehmlich auf diese gesetzgeberische Zielsetzung, parallel laufende Musterverfahren zu vermeiden.229 Die systematische 222
LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178). Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 5. 224 Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 7 f.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102). 225 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102 f.), allerdings ohne dogmatische Begründung für diese „korrigierende Leseart“ (S. 103). Dies kritisiert auch Kilian, KapMuG, S. 55 Fn. 148. 226 LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2176 ff.). 227 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (103). 228 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (103). 229 Vgl. LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2177); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 6. I. E. ebenso KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 7. November 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 13. No223
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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Stellung der Vorschrift im Gesamtgefüge des KapMuG würde belegen, dass sie im Interesse einer umfassenden Erledigung der Rechtstreite einen angemessenen Ausgleich zur Aussetzung und Sperrwirkung gemäß § 5 und § 7 KapMuG darstellen soll. Daneben könnte ausweislich der Gesetzesbegründung nicht auf die zivilprozessualen Vorschriften über die Klageänderung gemäß §§ 263 ff. ZPO zurückgegriffen werden. Die Vorschrift des § 13 KapMuG sei so zu lesen, dass sie den Beteiligten die Einführung weiterer Feststellungsziele in das laufende Musterverfahren ermögliche. 3. Der Lösungsansatz von Thomas Kilian: Die nachträgliche Erweiterbarkeit des Feststellungsziels über § 13 KapMuG analog Thomas Kilian geht zutreffend230 davon aus, dass es in jedem Musterverfahren stets nur ein (globales) Feststellungsziel geben kann.231 Für ihn stellt sich folglich – abgesehen von der Einführung weiterer Streitpunkte – die Frage, inwieweit die Vorschrift des § 13 KapMuG es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, das im Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungsziel nachträglich zu erweitern. Die Antwort hierauf erblickt er in einer analogen Anwendung des § 13 KapMuG. Die Vorschrift würde insoweit eine unbewusste Regelungslücke enthalten, als sie den Musterverfahrensbeteiligten keine Befugnis verleiht, die Feststellung weiterer Tatbestandsmerkmale oder die Klärung außerhalb des vorgelegten Feststellungsziels liegender Streitpunkte bzw. zusätzlicher Rechtsfragen zu verlangen. Diese Normausgestaltung sei planwidrig. Der Rechtsausschuss habe bei der Umformulierung von § 13 KapMuG-E verkannt, dass in bestimmten Fällen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines weiteren Tatbestandsmerkmals erforderlich sei, um weitere, außerhalb des ursprünglichen Feststellungsziels liegende, Streitpunkte in das Musterverfahren einzuführen. Der Gesetzgeber hätte in seinem Bemühen, eine in der ursprünglichen Gesetzesfassung vorhandene Lücke zu schließen, irrtümlich eine neue Regelungslücke geschaffen.232 vember 2008, Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“); LG Berlin, Ergänzungsbeschluss v. 17. Januar 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 5. Februar 2008 (zusammen mit Beschluss Terminsverlegung; Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); vgl. ferner LG Nürnberg-Fürth, erweiterter Vorlagebeschluss v. 24. Juli 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 5. August 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). 230 Vgl. hierzu bereits ausführlich S. 141 bis 148. 231 Kilian, KapMuG, S. 57. 232 Kilian, KapMuG, S. 59.
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Nach der Fassung des Regierungsentwurfs hätten die Beteiligten ausschließlich eine gerichtliche Entscheidung über zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen verlangen können, nicht jedoch über diesen zugeordnete Streitpunkte. Das Ergehen eines mit dem jeweiligen Tatsachenvortrag der Individualkläger kompatiblen Musterentscheids wäre nicht sichergestellt gewesen. Hierfür müsste das Oberlandesgericht Feststellungen zu allen geltend gemachten Streitpunkten treffen. Es dürfte beispielsweise gerade nicht, wie es nach der Fassung des Regierungsentwurfs zu § 13 KapMuG-E noch vorgesehen war, die Beweisaufnahme betreffend das Eingreifen der Verschuldensvermutung nach § 45 Abs. 1 BörsG bereits dann einstellen, wenn der Beklagte sie im Hinblick auf nur einen von mehreren geltend gemachten Prospektmängeln nicht widerlegen konnte. Diejenigen Individualkläger, die gerade von dem oberlandesgerichtlich festgestellten Prospektmangel Kenntnis hatten, müssten ihre Ausgangsstreitigkeit auf einen weiteren Prospektfehler stützen. Ihr Obsiegen im Individualverfahren wäre demnach mit dem oberlandesgerichtlichen Musterentscheid noch nicht sichergestellt, sondern vielmehr von dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht abhängig. Dadurch würde eine potentiell breit feststellbare Tatsache der wiederholten Beweisaufnahme durch das Prozessgericht anheim gestellt. Gerade um dies zu vermeiden und das Oberlandesgericht zu einer Entscheidung über sämtliche Bezugspunkte der streitentscheidenden Tatbestandsmerkmale anzuhalten, wäre § 13 KapMuG neu gefasst worden. Der Rechtsausschuss ginge irrtümlicherweise davon aus, mit der Umgestaltung des § 13 KapMuG eine umfassende Erweiterbarkeit des im Vorlagebeschluss niedergelegten Gegenstands sichergestellt und den Anwendungsbereich der Norm in beiderlei Hinsicht verbreitert zu haben.233 Im Hinblick auf die nachträgliche Erweiterung des Feststellungsziels sei dies allerdings nicht erfolgt. Über eine Analogie zu den §§ 263 ff. ZPO könnte diese Lücke nach Ansicht von Thomas Kilian nicht geschlossen werden. Dies würde weder dem Gesetzgeberwillen entsprechen, der mit § 13 KapMuG eine die zivilprozessualen Vorschriften über die Klageänderung verdrängende Sonderreglung schaffen wollte. Noch sei diese Vorgehensweise sinnvoll. Ein konsequenter Rückgriff auf die §§ 263 ff. ZPO könne nur dem Musterkläger, nicht jedoch dem Musterbeklagten oder den Beigeladenen eine Erweiterungsmöglichkeit einräumen. Um einen Gleichlauf der Erweiterungsbefugnis mit dem Musterfeststellungsantragsrecht herzustellen, will Thomas Kilian die nachträgliche Erweiterung des Musterstreitgegenstands umfassend auf § 13 KapMuG stützen. Soweit sich die beantragte Gegenstandserweiterung im Rahmen des ursprünglichen Feststellungsziels bewege, würde § 13 KapMuG bereits nach seinem Wortlaut direkt zur Anwendung kommen. Begehre ein Musterverfahrensbeteiligter eine über das im Vorlagebeschluss umgrenzte Feststellungsziel hinausgehende Erweiterung des Verfahrensgegenstands, sei die Vorschrift analog heranzuziehen. 233
Kilian, KapMuG, S. 58 ff.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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4. Stellungnahme In unmittelbarer Anwendung können nach § 13 KapMuG wegen seiner unzweideutigen Formulierung „im Rahmen des Feststellungsziels“ weitere Streitpunkte in das laufende Musterverfahren eingeführt werden. Im Hinblick auf die nachträgliche Veränderung des Feststellungsziels enthält die Vorschrift keinerlei Vorgaben. Eine Auslegung zu Gunsten der nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels scheitert an der Wortlautgrenze des § 13 Abs. 1 KapMuG. Die Norm enthält diesbezüglich eine planwidrige Formulierungslücke, weil sie unbewusst in den Gesetzestext gelangte.234 Auch liegt die für eine Analogiebildung erforderliche vergleichbaren Interessenlage aus Sicht des Normzwecks vor.235 § 13 KapMuG soll eine umfassende Erledigung des Prozessstoffs sicherstellen. Werden im Musterverfahren Feststellungen zu zusätzlichen anspruchsbegründenden oder -ausschließenden Voraussetzungen nicht getroffen oder bleiben Rechtsfragen unbeantwortet, so wären diese Fragestellungen wiederholt in den Ausgangstreitigkeiten zu klären. Sie müssen deshalb ebenso wie weitere Streitpunkte in das laufende Musterverfahren eingeführt werden können. Schließlich stehen der Analogie keine berechtigten Interessen Dritter entgegen; diese werden durch eine entsprechende Erweiterungsmöglichkeit nicht unangemessen benachteiligt.236 Die Lücke in § 13 Abs. 1 KapMuG ist durch eine analoge Anwendung von § 13 KapMuG zu schließen.237 Ein Rückgriff auf die zivilprozessualen Vorschriften über die Klageänderung gemäß §§ 263 ff. ZPO ist im Verfahren nach dem KapMuG nicht möglich.238 Entsprechend der in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verankerten inhaltlichen Dehnbarkeit des Begriffs Feststellungsziel stellt sich in diesem Zusammenhang einzig die Frage, inwieweit dessen Erweiterung bzw. Ergänzung möglich ist.239 Begeh234
Ebenso Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 5; Kilian, KapMuG,
S. 58. 235
Vgl. hierzu sogleich ausführlich S. 198 ff. Siehe hierzu näher S. 200 f. 237 Vgl. allgemein zur Lückenschließung im Wege der Analogie Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 17 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 64. Vgl. ferner Herrler/Tomasic, ZIP 2009, Anm. zu BGH Urt. v. 26. November 2008, 176 (181). Zur Analogie im Verfahrensrecht vgl. allgemein BGH NJW-RR 94, 1406 (1407); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einl III Rn. 44 ff.; Thomas/Putzo, ZPO, Einl IV Rn. 6; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 92 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 97. 238 Zutreffend KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 91 ff. 239 Vgl. zur dahingehenden Auslegung des Begriffs Feststellungsziel bereits umfassend S. 193 ff. und 195 ff. Entsprechend dem in dieser Arbeit vertretenen normativen Verständnis vom Feststellungsziel ist eine nachträgliche Häufung von Feststellungszielen, wie sie in Literatur und Rechtsprechung teilweise vertreten wird, bereits begrifflich ausgeschlossen. 236
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ren die Verfahrensbeteiligten im Verlauf des Musterprozesses neben den mit dem Vorlagebeschluss bereits vorgelegten Fragestellungen die Feststellung zusätzlicher Tatbestandsvoraussetzungen bzw. Rechtsfragen, so kann dies nicht zu einer nachträglichen Häufung von Feststellungszielen führen. a) Historische Argumente für einen Rückgriff auf § 13 KapMuG analog zur nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels Der Regierungsentwurf hatte in § 13 KapMuG-E240 – anders als in der endgültigen Fassung des § 13 KapMuG – noch die Möglichkeit enthalten, nachträglich weitere Feststellungen zu anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen zu begehren. Die Entwurfsfassung der Erweiterungsvorschrift differenzierte zwischen Feststellungsziel einerseits und Streitpunkten andererseits, obwohl beide Begriffe im KapMuG-E noch nicht legaldefiniert waren. Eine Begriffsbestimmung hat erst der Rechtsausschuss im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Anregung des Bundesrates in § 1 KapMuG aufgenommen. Letzterer hatte in anderem Zusammenhang auf die aus der Verwendung dieses neuen Begriffspaares resultierenden Unklarheiten bei der Gesetzesauslegung hingewiesen.241 Gleichzeitig war der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags bestrebt, die Formulierung von § 13 Abs. 1 KapMuG an den in das KapMuG eingefügten Legaldefinitionen vom Feststellungsziel und den Streitpunkten auszurichten.242 Ihm ist es darum gegangen, das soeben in § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG definierte Zuordnungsverhältnis zwischen Feststellungsziel und Streitpunkten in § 13 KapMuG zu übernehmen. Die Zielrichtung des Musterverfahrens – Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen bzw. Rechtsfragen – sollte unverändert bleiben. Das hat der Rechtsausschuss mit seinem Änderungsvorschlag klarstellen wollen. Vor allem ging es ihm darum, die Pflicht des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über sämtliche dem Feststellungziel zugehörigen Streitpunkte in § 13 KapMuG festzuschreiben.243 Das KapMuG-E hatte noch keine eindeutige Aussage dazu getroffen, ob das Oberlandesgericht im Musterverfahren zwingend über alle Streitpunkte entscheiden muss oder es genügt, wenn eine Feststellung zu der in 240 Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: „Die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens weiterer anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen nach § 1 I 1 können der Musterkläger und der Musterbeklagte begehren, soweit das OLG dies für sachdienlich erachtet. Satz 1 gilt entsprechend, wenn mindestens zehn Beigeladene eine derartige Feststellung begehren.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 241 BT-Drs. 15/5695, S. 22 f. 242 BT-Drs. 15/5695, S. 24. 243 So explizit BT-Drs. 15/5695, S. 24.
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Rede stehenden Anspruchsvoraussetzung bereits unter einem Gesichtspunkt möglich ist.244 Der Bundesrat hatte eine ausdrückliche Klarstellung dieser zentralen Verfahrensfrage im weiteren Gesetzgebungsverlauf gefordert.245 Daraufhin hat der Rechtsausschuss § 13 KapMuG umformuliert. Er stellte in diesem Zusammenhang klar, dass mit dem Musterverfahren ein weiter Ansatz verfolgt und eine umfassende Klärung aller erheblichen Streitpunkte angestrebt würde.246 Nur so ist sichergestellt, dass der Musterentscheid mit dem jeweiligen Tatsachenvortrag der Musterverfahrensbeteiligten in ihren Individualverfahren kompatibel ist und der gesamte mehrfach relevante Streitstoff effizient und umfänglich erledigt werden kann.247 Der Verzicht auf das ursprünglich vorgesehene Antragsquorum für eine Erweiterungsmöglichkeit durch die Beigeladenen in § 13 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E war vor diesem Hintergrund nur konsequent. Der Gesetzesverfasser war irrtümlich davon ausgegangen, mit der umformulierten Vorschrift eine umfassende Erweiterbarkeit des Musterentscheids und damit eine umfassende Entscheidung über alle mehrfach relevanten Fragestellungen sichergestellt zu haben.248 Dabei ist übersehen worden, dass § 13 Abs. 1 KapMuG ausweislich seines neuen Wortlauts nur die Einführung weiterer Streitpunkte „im Rahmen des Feststellungsziels“ ermöglicht. Die damit einhergehende Verengung der Erweiterungsmöglichkeit auf der Ebene des Feststellungsziels hatte der Gesetzesverfasser nicht im Blick. Sie läuft der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung zuwider. Eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung kann darin folglich nicht gesehen werden. Ebenso wenig ist der Gesetzesbegründung eine Abkehr von dem ursprünglich vorgesehen Verhältnis des § 13 KapMuG zu den zivilprozessualen Vorschriften über die Klageänderung zu entnehmen. § 13 KapMuG hat nach wie vor den Status einer Sonderregelung gegenüber den §§ 263 ff. ZPO inne. Die Norm ist als Spezialvorschrift zur nachträglichen Erweiterung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands konzipiert. Ein Rückgriff auf die Vorschriften der ZPO über die nachträgliche Klageänderung ist daneben nicht zulässig.249 Diese Anordnung besitzt trotz der Umgestaltung des § 13 KapMuG im weiteren Gesetzgebungsverfahren Gültigkeit. Die Einführung weiterer Streitpunkte ist ebenso wenig wie die Erweiterung des Feststellungsziels bei normativer Betrachtung mit der nachträglichen Streitgegenstandsänderung im zivilprozessualen Sinne vergleichbar. § 13 KapMuG regelt die Möglichkeit der nachträglichen Ausdehnung des Streitgegenstands und besitzt daher allenfalls gewisse Ähnlichkeit mit der Vorschrift des
244 245 246 247 248 249
BT-Drs. 15/5091, S. 42. BT-Drs. 15/5091, S. 41. BT-Drs. 15/5695, S. 24. Vgl. Kilian, KapMuG, S. 60. So auch Kilian, KapMuG, S. 61. BT-Drs. 15/5091, S. 49.
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§ 264 Nr. 2 Alt. 1 ZPO, die Klageänderungstatbestände jedenfalls nicht als solche behandelt, indem sie von den Anforderungen des § 263 ZPO befreit.250 Die Notwendigkeit einer Sonderregelung findet ihren Anknüpfungspunkt zum einen in der flexiblen Definition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Sie bedingt ein normatives Verständnis vom Streitgegenstand des Musterverfahrens. Dieser ist unabhängig von der im konkreten Einzelfall begehrten Anzahl von Feststellungen ein einheitlicher.251 Dementsprechend lautet die amtliche Überschrift zu § 13 KapMuG „Erweiterung des Gegenstands des Musterverfahrens“.252 Zum anderen erfordert die Beteiligung einer Vielzahl von Personen am Musterprozess einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Verfahrensbeteiligten. Die Erweiterung seines Gegenstands kann deshalb – anders als bei § 264 Nr. 2 ZPO – nicht ohne weiteres zulässig sein, sondern ist vom Gesetzgeber an das Vorliegen von Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit geknüpft worden. b) Systematische und teleologische Argumente für einen Rückgriff auf § 13 KapMuG analog zur nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels Es war erforderlich, eine Sondervorschrift zu schaffen, um sämtlichen Musterverfahrensbeteiligten ein Erweiterungsrecht im Musterverfahren zukommen zu lassen. Die Beklagtenseite kann nach der ZPO keine Streitgegenstandsänderung vornehmen. Der Kläger bestimmt den Streitgegenstand, so dass nur er ihn – gemäß der zivilprozessualen Vorschriften der §§ 263 ff. ZPO – ändern kann.253 Indes betrifft die Vorschrift des § 13 KapMuG nicht die Streitgegenstandsänderung, sondern die Erweiterung des Streitgegenstandes des Musterverfahrens. Für das Ausgangsverfahren lässt die ZPO eine solche Erweiterung durch die Beklagtenseite zu, indem sie ihr die Möglichkeit zur Widerklage gibt. Folglich ist keine dogmatische Rechtfertigung ersichtlich, das Erweiterungsrecht des Musterbe250 Vergleichbar sind die beiden Vorschriften insoweit als auch § 264 Nr. 2 Alt. 1 ZPO die quantitative bzw. qualitative Erweiterung des Klageantrags bei gleich bleibendem Klagegrund bzw. Klageziel ermöglicht, ohne dass hiermit das Eingreifen der Klageänderungsvorschriften verbunden wäre, vgl. BGH NJW 2007, 3127 (3129); NJW-RR 1990, 505; MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 3 und 11; Zöller/Greger, ZPO, § 264 Rn. 1 und 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 264 Rn. 1 und 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 264 Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 98 Rn. 13; anders Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 264 Rn. 5; zu ungenau Rau, KapMuG, S. 182. Im Gegensatz zu § 264 Nr. 2 ZPO sind die Erweiterungen nach § 13 KapMuG allerdings nicht stets zulässig. Vielmehr fordert die Norm im Interesse der übrigen Verfahrensbeteiligten das Vorliegen von Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit. Zu den sachlichen Erweiterungsvoraussetzungen sogleich ausführlich S. 213 ff. 251 Vgl. hierzu S. 195 ff. So auch die Bundesregierung, BT-Drs. 15/5091, S. 49. 252 Hervorhebung durch die Verfasserin. 253 Vgl. auch Kilian, KapMuG, S. 56.
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klagten auf § 263 ZPO (analog) zu stützen.254 Vielmehr ist dies aus der dafür geschaffenen Sonderregelung des § 13 KapMuG abzuleiten. Im Übrigen müsste bei einem Rückgriff auf §§ 263 ff. ZPO auch den Beigeladenen, deren Stellung an die eines einfachen Nebenintervenienten angelehnt ist255, ein Erweiterungsrecht abgesprochen werden. Ein Nebenintervenient darf weder eine Klageänderung vornehmen noch einen Antrag gemäß § 264 Nr. 2 ZPO stellen.256 Die Vorschrift des § 13 KapMuG soll den Beigeladenen jedoch im Vergleich hierzu weitergehende Beteiligungsrechte einräumen. Sie haben ein berechtigtes Interesse, dass die in ihrem Individualverfahren entscheidungserheblichen Fragestellungen abgearbeitet werden. Nur so ist gewährleistet, dass der Musterentscheid mit ihrem Tatsachenvortrag im Individualverfahren übereinstimmt. Würde die Erweiterungsbefugnis auf die Musterverfahrensparteien beschränkt, wäre dies nicht mehr sichergestellt. Es wäre mit einer verstärkten Berufung der Beigeladenen auf § 16 Abs. 2 KapMuG zu rechnen. Diesem Aspekt hat der Gesetzesverfasser mit der den Beigeladenen eingeräumten Erweiterungsbefugnis in § 13 Abs. 1 KapMuG Rechnung getragen. § 13 KapMuG dient dem Zweck, die für eine Vielzahl von Personen relevanten, auf demselben Lebenssachverhalt beruhenden Entscheidungselemente abschließend in einem einzigen Musterprozess zu klären und damit das Bündelungspotential des KapMuG möglichst weitreichend auszuschöpfen. Indem der Verfahrensgegenstand nachträglich erweiterbar ist, sollen mehrfach relevanter Teilaspekte der bei den Ausgangsgerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten umfassend erledigt und dadurch die Prozessgerichte entlastet werden.257 Auch stellt die Erweiterungsbefugnis der Beigeladenen einen angemessen Ausgleich dazu dar, dass sie zum Musterverfahren gemäß § 7 KapMuG zwangsweise zugezogen sind. Mit der Abschaffung des in § 13 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E vorgesehenen Quorums von zehn Anträgen bei einem Erweiterungsbegehren von Seiten der Beigeladenen hat sich der Gesetzesverfasser klar für eine Gleichstellung mit den Musterverfahrensparteien ausgesprochen. Umgekehrt ermöglicht es der in § 13 KapMuG in Abweichung zu § 264 ZPO verankerte Maßstab der Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit missbräuchlichen Antragsstellungen entgegenzutreten.258 254 So aber KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 13. Zu berücksichtigen ist zudem, dass § 13 KapMuG die Möglichkeit zur Einführung weiterer Streitpunkte ohnehin sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleichermaßen eröffnet. 255 Vgl. § 12 KapMuG sowie BT-Drs. 15/5091, S. 19, 24 f., 28. 256 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 67 Rn. 9; MüKo/Schultes, ZPO, § 67 Rn. 16; Zöller/ M. Vollkommer, § 67 Rn. 9a; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 67 Rn. 6; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 67 Rn. 13. Vgl. zur Dispositionsbefugnis der Beigeladenen über den Streitgegenstand ferner BT-Drs. 15/5091, S. 28. 257 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 28; BT-Drs. 15/5695, S. 24; LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2177); Kilian, KapMuG, S. 62. 258 Anders im Hinblick auf die Möglichkeit zur Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2179). Ein Erweiterungs-
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Im Übrigen ist die Sperrwirkung des § 5 KapMuG zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gemäß § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren unzulässig.259 Diese umfassende260 Sperrwirkung soll verhindern, dass ein Prozessgericht durch einen Vorlagebeschluss ein weiteres Musterverfahren für Ausgangsstreitigkeiten einleitet, die wegen bestehender Abhängigkeit i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bereits an einem laufenden Musterverfahren beteiligt sind. Parallel laufende Musterverfahren sind aus prozessökonomischen Gründen zu vermeiden.261 Die Sperrwirkung greift unabhängig davon ein, ob die Klärung einer identischen oder einer anderen Tatbestandsvoraussetzung begehrt wird.262 Getreu dieser gesetzgeberischen Zielrichtung und dem Wortlaut des § 5 KapMuG müssten die Verfahrensbeteiligten den rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens abwarten, um ihre zusätzlichen Fragestellungen in einem weiteren KapMuG-Prozess klären zu lassen. Alternativ könnten sie diesbezüglich auf einen oberlandesgerichtlichen Ausspruch verzichten und stattdessen das streitige Entscheidungselement im Individualverfahren vor dem Prozessgericht klären lassen. Beide Möglichkeiten laufen dem mit dem KapMuG verfolgten Ansatz, den gerichtlichen Anlegerschutz durch Kollektivierung effizienter zu gestalten, um die Verfahrensdauer zu verkürzen sowie die Rechtssicherheit durch Ergehen einheitliche Entscheidungen zu stärken, zuwider.263 Werden folglich nach Erlass des Vorlagebeschlusses weitere Voraussetzungen oder Rechtsfragen entscheidungserheblich, so ist hierüber nach entsprechender Erweiterung zwingend im selben Musterverfahren zu entscheiden.264 c) Keine der Analogie entgegenstehenden berechtigten Interessen Dritter Die von Fabian Reuschle angeführten Aspekte265 der fehlenden Kostentrennung für gesonderte Angriffsmittel sowie der fehlenden Ausstiegsmöglichkeit der beigeladenen Kläger aus dem laufenden Musterverfahren stellen keine der Anabeschluss nach § 13 KapMuG sei insoweit weder notwendig noch zweckmäßig, da so durch taktisch gestellte Erweiterungsanträge unter Umständen die gemäß § 9 Abs. 1 KapMuG auch im Musterverfahren geltenden zivilprozessualen Präklusionsvorschriften umgangen werden könnten. 259 LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2177); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG § 13 Rn. 6; Kilian, KapMuG, S. 63. 260 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 24; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6; Kilian, KapMuG, S. 63; Reuschle, KapMuG, S. 36; ders., WM 2004, 2334 (2338); anders Vorwerk/Wolf/ Fullenkamp, § 4 Rn. 9; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102); einschränkend auch KK/Kruis, KapMuG, § 5 Rn. 9 ff. 261 LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2177). 262 Kilian, KapMuG, S. 63. 263 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 63. 264 LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2177). 265 KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 12.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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logie entgegenstehenden berechtigten Interessen Dritter dar. Sie werden durch eine nachträgliche, für ihr Individualverfahren nicht entscheidungserhebliche Erweiterung des Feststellungsziels nicht unangemessen benachteiligt. Wäre ein entsprechendes Ersuchen bereits in einem entsprechenden Musterfeststellungsantrag enthalten gewesen, hätten sie eine Vorlage an das Oberlandesgericht nicht verhindern können. Bei Zulässigkeit des Antrags, vgl. § 1 KapMuG, hätte das Prozessgericht die in ihm enthaltenen Fragestellungen unabhängig davon in den Vorlagebeschluss aufnehmen müssen, ob die fraglichen Entscheidungselemente für sämtliche Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind.266 Die übrigen Beteiligten werden durch eine nachträgliche Erweiterung des Feststellungsziels gemäß § 13 KapMuG analog nicht schlechter gestellt als sie zu Beginn der Musterverfahrensdurchführung stünden. Ebenso wenig wie § 1 KapMuG dient die Norm des § 13 KapMuG dem Ziel, die Verhandlung und Entscheidung nur auf solche mehrfach relevanten Entscheidungselemente auszudehnen, von deren Feststellung alle Musterverfahrensbeteiligten profitieren. Der Gesetzgeber machte die Erweiterungsmöglichkeit nicht von einer Entscheidungserheblichkeit abhängig, die sämtliche Ausgangsverfahren erfasst. Im Interesse einer umfassenden Erledigung des Streitstoffes hat er sich vielmehr für das Kriterium der Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit für das Individualverfahren des jeweiligen Antragstellers entschieden, vgl. § 13 Abs. 1 KapMuG. Andernfalls würden die mögliche Reichweite des Feststellungsziels sowie der denkbare Umfang, in dem mehrfach relevante Fragestellungen abgearbeitet werden können, von dem zufälligen Zeitpunkt der Antragstellung abhängen. Bestimmte Teilfragen wären nur dann einer breiten Klärung zugänglich, wenn sie bereits in den bei Erlass des Vorlagebeschlusses berücksichtigten Musterfeststellungsanträgen enthalten sind.267 Gerade dies hatte der Gesetzgeber mit der Schaffung einer nachträglichen Erweiterungsmöglichkeit des Verfahrensgegenstands verhindern wollen; ihm lag insbesondere auch daran, einen „race to the courtroom“ einzudämmen.268 Die fehlende Ausstiegsmöglichkeit der beigeladenen Kläger, die von den zusätzlichen Feststellungen nicht profitieren, steht einer Analogiebildung nicht entgegen. Sobald sie ihre Individualklage erhoben haben, verbleibt ihnen wegen § 7 Abs. 1 KapMuG kein Entscheidungsspielraum hinsichtlich ihrer Teilnahme am 266
Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das Prozessgericht den Vorlagebeschluss bereits vor Ablauf der Vier-Monats-Frist erlassen wird, wenn zu diesem Zeitpunkt schon das Vorlagequorum gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG erreicht ist. Eine Berücksichtigung weiterer Anträge erfolgt dann in der Regel nicht, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 6 KapMuG. 268 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 25. 267
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Musterverfahren in der Lage, in der es sich zum Zeitpunkt ihrer Beiladung befindet.269 Der Gesetzesverfasser nahm bewusst in Kauf, dass im KapMuG-Prozess über Teilfragen verhandelt und entschieden würde, welche für einige Individualverfahren nicht entscheidungserheblich sind. Im Rahmen der nachträglichen Erweiterung des Verfahrensgegenstands kann nichts anderes gelten. Missbräuchlicher Antragstellung zum Zwecke der Prozessverschleppung ist mit den vom Prozessgericht zu prüfenden Kriterien der Sachdienlichkeit – welche im Übrigen auch nach der von Fabian Reuschle vertretenen Veränderung des Feststellungsziels über die zivilprozessualen Klageänderungsvorschriften270 vorliegen müsste, vgl. § 267 ZPO – und Entscheidungserheblichkeit des Erweiterungsersuchens wirksam entgegenzutreten. Könnten nur die Musterverfahrensparteien das Feststellungsziel erweitern, wäre nicht sichergestellt, dass sämtliche Beteiligte von einem entsprechenden Ersuchen profitieren. Die Aspekte der fehlenden Kostentrennung sowie der fehlenden Ausstiegsmöglichkeit der beigeladenen Kläger würden bei dieser Lösung gleichermaßen greifen.271 Zudem brächte sie den bereits aufgezeigten Nachteil mit sich, dass die beigeladenen Kläger keine Kompatibilität des Musterentscheids mit ihrem individualverfahrensrechtlichen Tatsachenvortrag erreichen könnten. Abgesehen davon wird eine Erweiterung des Feststellungsziels wegen der Gleichgerichtetheit der Schadensersatzbegehren in den Ausgangstreitigkeiten nicht selten für sämtliche Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein. Divergenzen sind regelmäßig, wie Thomas Kilian zutreffend feststellt, lediglich auf der Ebene der Streitpunkte zu erwarten; beispielsweise stützen die Kläger die Prospektunrichtigkeit entsprechend dem jeweiligen Erwerbszeitpunkt und ihrem individuellen Kenntnisstand auf eine Vielzahl verschiedener Mängel. Ein weitaus größeres Verzögerungspotential und Kostenrisiko liegt damit in der nachträglichen Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren. Diese hat der Gesetzgeber allerdings auf Empfehlung des Rechtsausschusses ausdrücklich zugelassen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb im Hinblick auf die nachträgliche Erweiterung des Feststellungsziels anderes gelten sollte.272
269 Ein Zuwarten mit der Erhebung einer Individualklage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens kommt wegen der drohenden Verjährung der Ersatzansprüche regelmäßig nicht in Betracht, vgl. bereits S. 51 f. sowie § 2 Fn. 49 und ferner § 2 Fn. 50. 270 KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 13 f. 271 Vgl. auch Rau, KapMuG, S. 179 Fn. 529, die in anderem Zusammenhang zutreffend kritisiert, dass nicht einzusehen sei, weshalb „gerade die Erweiterungsanträge der Beigeladenen zu einer Verfahrensverzögerung führen sollen“. 272 Eingehend zur Frage des Scheiterns einer Analogiebildung an entgegenstehenden Interessen Dritter Kilian, KapMuG, S. 63 ff.; ablehnend KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 12.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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d) Rückgriff auf § 13 KapMuG analog bei Erweiterung des Feststellungsziels um zusätzliche Rechtsfragen Die soeben angestellten Überlegungen gelten auch, wenn die Beteiligten nach Beginn des Musterverfahrens die Klärung einer im Vorlagebeschluss noch nicht enthaltenen Rechtsfrage begehren. Die Möglichkeit zur Einführung weiterer Rechtsfragen über § 13 KapMuG analog scheitert nicht an der fehlenden Planwidrigkeit der Reglungslücke. Der im Regierungsentwurf zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, dass die Erweiterung zur Klärung einer Rechtsfrage ausgeschlossen sein sollte, hat sich mit der Umgestaltung der Vorschrift überholt. Gemäß § 13 KapMuG-E war die Entscheidung über das Vorliegen der Sachdienlichkeit noch dem Oberlandesgericht anheim gestellt gewesen. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens regte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags an, die Prüfungsbefugnis gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG dem Prozessgericht zu übertragen. Dieses könnte allein das Vorliegen der Sachdienlichkeit beurteilen.273 Dadurch ist dem ursprünglich gegen die nachträgliche Einführung von Rechtsfragen herangezogenen Argument, deren Entscheidungserheblichkeit könnte ausschließlich das vorlegende Prozessgericht beurteilen und dürfte nicht den Parteien obliegen, die Grundlage entzogen worden. Insbesondere ist es den Parteien durch die Einbindung des Prozessgerichts in die Entscheidung über den Erweiterungsantrag nicht mehr möglich, über die Norm des § 13 KapMuG Rechtsfragen zum Verfahrensgegenstand zu machen, welche nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 KapMuG nicht in den Vorlagebeschluss einfließen konnten.274 Zudem zielte die Umformulierung des § 13 KapMuG auf eine Anpassung an die in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eingefügte Legaldefinition des Begriffs Feststellungsziel ab. Sie umfasst auch Rechtsfragen, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Diese Gleichstellung muss sich konsequenterweise im Rahmen der nachträglichen Erweiterung des Verfahrensgegenstands fortsetzen.275 Folglich kann das Feststellungsziel auf weitere Rechtsfragen nach § 13 KapMuG analog erstreckt werden.276
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BT-Drs. 15/5695, S. 24. So auch Kilian, KapMuG, S. 66; dies übersieht Rau, KapMuG, S. 188 im Hinblick auf die nachträgliche Erweiterung des Feststellungsziels. 275 Vgl. zu einem ähnlichen Gedanken bzgl. derjenigen Streitpunkte, welche Rechtsfragen zum Gegenstand haben, Rau, KapMuG, S. 188 f. 276 So im Ergebnis auch LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) durch das KG Berlin am 22. August 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). 274
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
e) Erfordernis der wortlautgetreuen Anwendung des § 13 KapMuG bei der Einführung weiterer Streitpunkte Der Wortlaut des § 13 KapMuG differenziert zwischen dem Feststellungsziel und den Streitpunkten. Abs. 1 der Vorschrift regelt ausdrücklich und ausschließlich die nachträgliche Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren. Gemäß § 13 Abs. 2 KapMuG bedarf es hierfür einer Erweiterung des ursprünglichen Vorlagebeschlusses durch das Prozessgericht. Diese gesetzlichen Anordnungen erkennen das Landgericht Stuttgart, Josef Fullenkamp, Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing nicht an.277 Sie sind der Auffassung, dass die Musterverfahrensbeteiligten neue Streitpunkte lediglich vor dem Oberlandesgericht darlegen müssten; eine Anpassung des ursprünglichen Vorlagebeschlusses sei insoweit entgegen § 13 Abs. 2 KapMuG nicht erforderlich. Dem ist nicht zuzustimmen. Die Vorschrift des § 13 KapMuG kann – wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht – nicht dahingehend teleologisch reduziert werden, dass sie keine Regelung über die Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren enthält. Beispiel 27: Das Prozessgericht setzt nach § 7 Abs. 1 KapMuG weitere, nach Bekanntmachung des Musterverfahrens im Klageregister anhängig gewordene, Haftungsklagen von Anlegern nach § 44 BörsG aus, die ebenfalls gegen die zum Musterbeklagten ernannte Person betrieben werden. Die Kläger werden zum Musterverfahren beigeladen, § 8 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 KapMuG. Der Vorlagebeschluss war auf Basis von Musterfeststellungsanträgen erlassen worden, die ausschließlich in anderen Individualverfahren gestellt wurden. Der Tatsachenvortrag der nachträglich beigeladenen Anleger ist deshalb in diesem unberücksichtigt geblieben. Die Beigeladenen haben von den in den Musterfeststellungsanträgen vorgetragenen Streitpunkten zur Prospektunrichtigkeit, die das Vorlagegericht in den Vorlagebeschluss aufnahm, Kenntnis, da sie ihre Anteile erst erworben haben, nachdem die beklagte Gesellschaft eine entsprechende Berichtigung veröffentlicht hatte.278 Die Teilnahme am Musterprozess ist für die nachträglich beigeladenen Individualkläger nur sinnvoll, wenn in diesem auch über die Prospektmängel verhandelt und entschieden wird, von denen sie keine Kenntnis besitzen und auf die sie deshalb ihre Ausgangsstreitigkeit mit Aussicht auf Erfolg stützen können. Hierfür muss es ihnen möglich sein, ihre Streitpunkte in das Musterverfahren einzuführen. 277 LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178 f.); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 5; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101 f.). 278 Für einen Haftungsausschluss nach § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG ist nicht erforderlich, dass der Erwerber die Berichtigung kennt. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist der Nachweis der rechtzeitigen Veröffentlichung durch den Haftungsadressaten, KK/ Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 101. Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, §§ 44, 45 BörsG Rn. 267 m.w. N.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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Das Beispiel 27 verdeutlicht, dass auch insoweit eine Erweiterung des Vorlagebeschlusses erforderlich ist. Dieser legt den Arbeitsauftrag an das Oberlandesgericht verbindlich fest. Zu den vom Oberlandesgericht zu treffenden Feststellungen gehören sämtliche Streitpunkte im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Es hat auch über diese zu entscheiden wie der Gesetzgeber bei der Umformulierung des § 13 KapMuG eindeutig klarstellte. Sie sind zusammen mit dem Feststellungsziel zwingender Bestandteil des verbindlichen Ausspruchs im Musterentscheid.279 Als solcher kommt ihnen nicht ein lediglich „illustrierender Charakter“ 280 zu. Die Streitpunkte sind ebenso wie das Feststellungsziel gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG in den Vorlagebeschluss aufzunehmen. Der Vorlagebeschluss definiert den Streitgegenstand des Musterverfahrens und bildet den inhaltlichen Rahmen für den oberlandesgerichtlichen Musterentscheid. Das den Erweiterungsbeschluss erlassende Prozessgericht ist an den Inhalt des Erweiterungsantrags in gleicher Weise wie an einen zulässigen Musterfeststellungsantrag gebunden.281 Der Erweiterungsbeschluss bindet wie bereits der ursprüngliche Vorlagebeschluss das Oberlandesgericht und die Parteien, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2, § 13 Abs. 2 KapMuG.282 Die Reichweite dieser Bindungen muss für alle Verfahrensbeteiligten zweifelsfrei ersichtlich sein. Jede Veränderung des ursprünglichen Inhalts des Vorlagebeschlusses im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG ist folglich zwingend nach außen sichtbar in derselben Form kenntlich zu machen, in der auch der abgeänderte Beschluss erlassen wurde. Nur so steht der Umfang der vom Oberlandesgericht zu treffenden Feststellungen in jedem Verfahrensstadium für sämtliche Beteiligte eindeutig fest. Entsprechend dem Sinn und Zweck des Vorlagebeschlusses und der Norm des § 4 KapMuG, die Verhandlungsbasis des oberlandesgerichtlichen Verfahrens transparent zu machen, ist insoweit bei normativer Be279 Dieser ist nach der hier vertretenen Ansicht nicht identisch mit dem Musterverfahrensgegenstand (siehe hierzu S. 106 ff., insbesondere S. 110 ff.). Vgl. zum Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands S. 112 f. sowie später S. 246 ff. I. E. ähnlich Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (101). 280 So aber Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (102), obwohl sie gleichzeitig die Bindungswirkung des Musterentscheids auf die Streitpunkte begrenzen wollen (dies., ZGR 2006, 79 [101 und v. a. 104 ff.]). 281 Vgl. hierzu bereits ausführlich S. 122 ff. und 128 ff.. Ebenso Kilian, KapMuG, S. 86. A. A. LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) durch das KG Berlin am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06. 282 Vgl. bereits S. 108 ff. Ebenso Kilian, KapMuG, S. 88. Zutreffend LG Frankfurt a. M., erweiterte Vorlagebeschlüsse v. 29. Mai 2007 und 11. Juli 2007, jeweils veröffentlicht im Klageregister vom OLG Frankfurt a. M. am 16. Juli 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Kap 1/06 sowie 23 Kap 2/06 („Deutsche Telekom AG“); a. A. hingegen KG Berlin, Beschluss Terminsverlegung v. 5. Februar 2008, Az.: 4 Sch 2/06, gleichzeitig Veröffentlichung des erweiterten Vorlagebeschlusses des LG Berlin v. 28. November 2006 (Stand: 1. Oktober 2009; „Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“), zur Abrufbarkeit im Internet vgl. jeweils § 1 Fn. 54.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
trachtung auch jeder einzelne Streitpunkt zum Gegenstand des Musterverfahrens zu rechnen.283 Ein gegenteiliger Wille des Gesetzgebers ist weder dem Wortlaut noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Vielmehr hat der Rechtsausschuss durch die Aufnahme der Erweiterungsmöglichkeit um weitere Streitpunkte klargestellt, dass insoweit eine Abänderung des Vorlagebeschlusses erforderlich ist. Grund hierfür ist, dass das Oberlandesgericht Feststellungen zu sämtlichen Streitpunkten treffen muss, damit diese nicht der wiederholten Prüfung durch das Prozessgericht im Nachverfahren anheim gestellt werden und die Übereinstimmung des Musterentscheids mit dem Tatsachenvortrag im Individualverfahren sichergestellt ist. Um diese Zielsetzung zu erreichen, nehmen auch die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten an der Bindungswirkung des Musterentscheids teil.284 Nur so lässt sich die vom Rechtsausschuss beabsichtigte endgültige Klärung der im Musterverfahren aufgeworfenen Entscheidungselemente erreichen. Das Erfordernis, den Vorlagebeschluss bei bloßer Einführung weiterer Streitpunkte abzuändern, lässt sich damit nicht mit dem Argument verneinen, der Gesetzgeber habe versehentlich „auf die Streitpunkte als Feststellungsziel“ verwiesen.285 Das Versehen des Gesetzgebers besteht vielmehr – wie bereits aufgezeigt – darin, dass er die umfassende Prüfungspflicht des Oberlandesgerichts festschreiben wollte und darüber vergaß, die Erweiterung des Feststellungsziels zu regeln. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Streitpunkte bei der Beurteilung der Abhängigkeit im Sinne des § 7 KapMuG im Hinblick auf die Aussetzung später anhängig werdender Individualverfahren bedeutsam werden. Das Vorliegen der Aussetzungsvoraussetzungen ist ebenso wie die Annahme der Gleichgerichtetheit im Sinne des § 4 Abs. 1 KapMuG nicht von der Identität des Feststellungsziels abhängig.286 Im Interesse der Rechtsklarheit muss das Vorliegen der Aussetzungsvoraussetzungen für alle Betroffenen leicht und eindeutig feststellbar sein. Aus dem Klageregister soll für die Parteien später anhängig werdender Ausgangsstreitigkeiten ersichtlich sein, ob das Prozessgericht die Abhängigkeit ihres Verfahrens von den oberlandesgerichtlichen Feststellungen annehmen wird und sie mit einer Zuziehung zu dem Musterprozess rechnen müssen.
283 Vgl. zum relativen, an dem Zweck der jeweiligen Einzelvorschrift orientierten, Streitgegenstandsverständnis im Rahmen der ZPO ausführlich Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl V E Rn. 285 ff. 284 Vgl. hierzu ausführlich später S. 235 ff. sowie 258 ff. 285 So aber Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 13 Rn. 5; ähnlich LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178 f.). 286 Vgl. auch Kilian, KapMuG, S. 80; Kramer, NJW-Sonderheft zum 3. ZPO-Symposium 2006, S. 11; vgl. zudem die Nachweise in Fn. 42.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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III. Offene Fragen 1. Antragsberechtigung Gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG können der Musterkläger, der Musterbeklagte sowie die Beigeladenen bis zum Abschluss des Musterverfahrens die Erweiterung des Streitgegenstands begehren. Im Regierungsentwurf war das Antragsrecht der beigeladenen Kläger noch an ein Quorum von zehn Erweiterungsersuchen gekoppelt; dieses Erfordernis hat der Gesetzgeber im Interesse einer umfassenden Erledigung des Streitstoffs aufgegeben.287 Die Beigeladenen können unter den auch für die Musterverfahrensparteien geltenden Voraussetzungen um die Einführung weiterer Streitpunkte bzw. die Ausdehnung des im Vorlagebeschluss fixierten Feststellungsziels ersuchen.288 Dadurch ist die Übereinstimmung des Musterentscheids mit dem jeweiligen Tatsachenvortrag sämtlicher Beteiligter am oberlandesgerichtlichen Verfahren sichergestellt.289 Die Vorschrift genießt gegen287 Vgl. BT-Drs. 15/5695, S. 24. § 13 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E lautete: „Satz 1 gilt entsprechend, wenn mindestens zehn Beigeladene eine derartige Feststellung begehren.“ 288 A. A. im Hinblick auf das Feststellungsziel KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 14. Zu seinem Standpunkt vgl. zuvor S. 190 f. sowie zu den Gegenargumenten S. 195 ff. 289 Beispiel: Laut Vorlagebeschluss wird das Ersuchen um die Feststellung des Beklagtenverschuldens gemäß § 45 Abs. 1 BörsG zunächst ausschließlich auf die Kenntnis von den fehlerhaften Angaben zur Kapitalausstattung gestützt. Einige der beigeladenen Individualkläger haben ihre Aktien jedoch erst erworben, nachdem das Unternehmen eine entsprechende Berichtigung veröffentlichte (vgl. i. H. a. die Auswirkungen auf die Anlagestimmung auch Habersack/Mülbert/Schlitt/Steup, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 33 Rn. 88 f.). Sie stützen deshalb die Fehlerhaftigkeit des Prospekts sowie die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis des Beklagten hiervon auf die ebenfalls fehlerhaften Angaben zu den Beteiligungsunternehmen und möchten diesen Streitpunkt nachträglich in das Musterverfahren gemäß § 13 KapMuG einführen. Nur wenn ihnen ein Erweiterungsrecht zukommt und das Oberlandesgericht auch zu diesem Entscheidungselement Feststellungen treffen muss, profitieren die Beigeladenen vom Musterverfahren. Andernfalls bliebe die Klärung dieses Streitpunkts dem Nachverfahren vorbehalten. Für die beigeladenen Kläger wären die Zuziehung zum Musterverfahren sowie der Musterentscheid nicht hilfreich. Ihr Obsiegen im Ausgangsverfahren hinge vornehmlich von Feststellungen ab, die im oberlandesgerichtlichen Beschluss nicht enthalten sind, sondern vom Prozessgericht erst noch vorgenommen werden müssen. Vgl. v. a. Kilian, KapMuG, S. 59 f.; vgl. ferner Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, § 4 Rn. 24, der insoweit offenbar für eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Gleichgerichtetheit i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG plädiert. Dessen ungeachtet sprechen sich das LG Stuttgart, ZIP 2008, 2175 (2178) sowie Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 32 gegen eine umfassende Feststellungspflicht des Oberlandesgerichts über sämtliche in das Musterverfahren eingeführten Streitpunkte aus. Vielmehr könnte beispielsweise im Falle der begehrten Feststellung der Prospektunrichtigkeit die Musterentscheidung bereits dann ergehen, sobald das Oberlandesgericht eine der gerügten Angaben für unrichtig erachtet, hier also etwa der Kapitalausstattung, ohne dass noch Feststellungen zu den Beteiligungsunternehmen zu treffen wären. C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 32 begründen diese Sichtweise mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, dem zivilprozessualen Erfordernis der Erheblichkeit einer Beweisaufnahme sowie der Kostentragungsregelung des Muster-
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
über der in § 12 KapMuG normierten, an die einfache Nebenintervention angelehnten, Rechtsstellung der Beigeladenen Vorrang. Die Beigeladenen sind im Rahmen des § 13 KapMuG zur Disposition über den Streitgegenstand auch gegen den Willen der Hauptpartei befugt. Sie können den Verfahrensgegenstand auch gegen den Widerspruch des Musterklägers erweitern.290 2. Adressat des Erweiterungsantrags Die Vorschrift des § 13 KapMuG trifft unmittelbar keine Aussage dazu, ob der Erweiterungsantrag bei dem für das jeweilige Individualverfahren zuständigen Prozessgericht291 oder beim Oberlandesgericht292 zu stellen ist. Die Befugnis zur Entgegennahme des Erweiterungsantrags ist von der gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG ausdrücklich dem Prozessgericht übertragenen Zuständigkeit zur Prüfung des Vorliegens der Erweiterungsvoraussetzungen und der Verbescheidung des Erweiterungsantrags zu unterscheiden.293 Der Antragsteller muss sich mit seinem Erweiterungsbegehren an das Oberlandesgericht wenden. Für die Dauer des Musterprozesses sind die Individualverfahren vor den Landgerichten ausgesetzt, so dass die Parteien in diesen Prozesshandlungen nicht wirksam vornehmen können.294 Mit Erlass des Vorlagebeschlusses geht die Verfahrensverantwortung nach § 4 Abs. 1 KapMuG auf das Oberlandesverfahrens nach § 17 KapMuG. Sie übersehen den Zweck des KapMuG, alle erreichbaren Ausgangsverfahren in einem einzigen Musterprozess zu bündeln und damit einhergehend das Erfordernis, den individuellen Sachvertrag sämtlicher Beteiligter innerhalb der vorgegebenen Grenzen, vgl. § 12 f. KapMuG, zu berücksichtigen. Auch sprechen die Existenz des § 13 KapMuG sowie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, nämlich dass der Gesetzgeber auf ein bestimmtes Quorum zur Einführung weiterer Streitpunkte verzichtete (vgl. Fn. 287), für die Pflicht des Oberlandesgerichts zur umfassenden Feststellung. So auch die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 42 und BT-Drs. 15/5695, S. 22 f., 24; ebenso Kilian, KapMuG, S. 60; vgl. zudem Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 f.). 290 Darüber hinaus ist der Beigeladene gemäß § 15 Abs. 4 KapMuG – ebenfalls abweichend vom zivilprozessualen Institut der einfachen Nebenintervention – berechtigt, Rechtsmittel trotz eines Verzichts des Musterklägers einzulegen, vgl. hierzu BT-Drs. 15/5091, S. 28. Einschränkend KK/Reuschle, KapMuG, § 12 Rn. 37, der den Beigeladenen lediglich Dispositionsbefugnis im Hinblick auf weitere Streitpunkte einräumen will. Zu den gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KapMuG nur eingeschränkten Möglichkeiten zur nachträglichen Beschränkung des Streitgegenstands vgl. ausführlich Kilian, KapMuG, S. 48 m.w. N. 291 Hess, ZIP 2005, 1713 (1716), der davon ausgeht, dass sich die Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Entgegennahme des Erweiterungsantrags indirekt aus § 13 Abs. 1 KapMuG ergebe; ohne Begründung ebenso Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612) und Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 2. 292 So Kilian, KapMuG, S. 50; KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn 9. 293 Letztere liegt bei dem über das Individualverfahren des Antragstellers entscheidenden Prozessgericht, vgl. hierzu sogleich ausführlich S. 209 ff. 294 Vgl. diesbezüglich auch die Ausführungen auf S. 180 f.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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gericht über. Es ist mangels abweichender Regelung in § 13 KapMuG zur Entgegennahme des Erweiterungsantrags befugt. Eine entsprechende Anordnung in § 13 KapMuG hätte ausschließlich klarstellenden Charakter. Der Gesetzgeber konnte deshalb auf eine solche im Gegensatz zur Übertragung der Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Erweiterung des Vorlagebeschlusses gemäß § 13 Abs. 2 KapMuG ohne Weiteres verzichten.295 3. Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Entscheidung über das Erweiterungsersuchen und zum Erlass des Erweiterungsbeschlusses Gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG ist das Prozessgericht zur Prüfung der Erweiterungsvoraussetzungen berufen.296 Das Prozessgericht hat den Vorlagebeschluss abzuändern, wenn die Entscheidung im Individualverfahren des Antragstellers von seinem Erweiterungsersuchen abhängt und es dieses für sachdienlich erachtet. § 13 Abs. 2 KapMuG ordnet an, dass die Erweiterung des Vorlagebeschlusses durch das Prozessgericht unanfechtbar und für das Oberlandesgericht bindend ist.297 295 Diese Zuständigkeitsverteilung ist auch zweckmäßig. Kilian, KapMuG, S. 49 f., insbesondere S. 50, weist zutreffend darauf hin, dass die Beurteilung der Sachdienlichkeit des Erweiterungsantrags regelmäßig nur nach Einsichtnahme in die Prozessakten der Ausgangsstreitigkeiten möglich ist. Sie werden zusammen mit dem Vorlagebeschluss zur Auswahl der Musterverfahrensparteien an das Oberlandesgericht übermittelt. Dort verbleiben sie für die Dauer des Musterprozesses. Das Oberlandesgericht hat den Überblick über die Aktenlage und kann deshalb rasch und zuverlässig entscheiden, welcher Teil der Prozessakten für die Prüfung der Erweiterungsvoraussetzungen nach § 13 Abs. 1 KapMuG erforderlich ist. Diese Kenntnis des Verfahrensstands fehlt dem Prozessgericht. Bei zu zurückhaltender bzw. zu großzügiger Anforderung von Prozessakten ist deshalb mit erheblichen Verzögerungen des Erweiterungsverfahrens bzw. des oberlandesgerichtlichen Prozesses zu rechnen. Ebenso Hess, ZIP 2005, 1713 (1716); KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 9. 296 § 13 Abs. 1 KapMuG spricht unmittelbar zwar nur davon, dass das Prozessgericht die Erweiterung für sachdienlich erachten muss. Wie sich aber aus dem systematischen Zusammenhang ergibt, ist dem Prozessgericht mit dieser Zuständigkeitsverteilung die Überprüfung des Vorliegens sämtlicher sachlicher Erweiterungsvoraussetzungen übertragen. Es hat auch darüber zu befinden, ob die Entscheidung des Rechtsstreits des Antragsstellers von dessen Erweiterungsersuchen i. S. d. § 13 Abs. 1 KapMuG abhängt. 297 In § 13 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E war noch vorgesehen, dass das Oberlandesgericht die Erweiterung für sachdienlich erachten muss. Der Gesetzgeber ist sodann jedoch der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags gefolgt, die Beurteilungskompetenz dem Prozessgericht zu überantworten. Der Rechtsausschuss hat diesen Änderungsvorschlag damit begründet, das in der Sache berufene Prozessgericht könne „allein die Sachdienlichkeit beurteilen“ (BT-Drs. 15/5695, S. 24). In der Literatur ist diese Ausgestaltung auf heftige Kritik gestoßen. Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612) bezeichnet es als befremdlich, dem Oberlandesgericht das Musterverfahren auf Grund seiner besonderen Sachkunde zuzuweisen, ihm diese jedoch gleichzeitig im Hinblick auf die Beurteilung der Erweiterungsvoraussetzungen wieder abzusprechen. Für Hess, ZIP 2005, 1713 (1716) birgt die umständliche Regelung ein erhebliches
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
Die Auslegung der Zuständigkeitszuweisung in § 13 KapMuG bereitet in den Fällen Schwierigkeiten, in denen verschiedene Prozessgerichte mit den am Musterverfahren beteiligten Ausgangsstreitigkeiten befasst sind. Auf Grund der Vergemeinschaftung der internationalen Zuständigkeit im Binnenmarkt können bei Kapitalanlegerstreitigkeiten, an denen ein Emittent bzw. eine Zielgesellschaft mit Sitz im Ausland oder ein Unternehmen mit Doppelsitz in Deutschland beteiligt ist, örtlich verschiedene Prozessgerichte zuständig sein.298 Im Schrifttum besteht Verzögerungs- und Missbrauchspotential, weil sie im schlimmsten Fall zu einem „PingPong-Spiel“ zwischen Oberlandesgericht und Prozessgericht führe. Wegen der erforderlichen Übersendung der bei dem Oberlandesgericht befindlichen Prozessakten an das Prozessgericht könnten insbesondere die Beigeladenen auf Grund der Abschaffung des in § 13 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E noch vorgesehenen Antragsquorums das Verfahren zum Stillstand bringen, indem sie von ihrem Erweiterungsrecht Gebrauch machen. Kritisch im Hinblick auf den potentiellen Verfahrensstillstand auch Reuschle, KapMuG, S. 41; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2254); vgl. auch Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 (460); Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612); KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 17. Zustimmend Kilian, KapMuG, S. 68, der ebenso wie Reuschle, KapMuG, S. 41 eine gesetzgeberische Korrektur fordert. I. E. ebenfalls für eine Zuständigkeitszuweisung an das Oberlandesgericht, um den gesamten Komplex des Musterverfahrens bei einem einzigen Gericht anzusiedeln Rößler, KapMuG, S. 40 f. Hingegen für eine Zuständigkeitskonzentration bei dem zuerst befassten Landgericht Hess, ZIP 2005, 1713 (1716); ders., WM 2004, 2329. Kritisch Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (677); Hess/Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1384); Sessler, WM 2004, 2344 (2346). Rau, KapMuG, S. 179 Fn. 529, hält indes die Annahme für nicht überzeugend, gerade die Erweiterungsanträge der Beigeladenen führten zu einer Verfahrensverzögerung. Im Rahmen des § 541 a. F. ZPO bestand lange Zeit ein ähnlich gelagerter Streit um die Prüfungskompetenz hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für den Ausgangsrechtsstreit. Sowohl die Landgerichte als auch die Oberlandesgerichte beanspruchten ein autonomes Prüfungsrecht dieser Zulässigkeitsfrage, was zu bemerkenswerten Divergenzen bei der Prüfung führte (Willingmann, Rechtsentscheid, S. 166 ff.). Maßgeblich sprach zudem gegen eine eigene umfassende Prüfung der Entscheidungserheblichkeit durch das Oberlandesgericht, dass sich dieses mit dem tatsächlichen Streitstand hätte auseinandersetzen müssen und dieser eine oberlandesgerichtliche Bewertung erfahren hätte (Willingmann, Rechtsentscheid, S. 167 f.). Dieser Aspekt ist auch im Rahmen des Musterverfahrens nicht zu unterschätzen und mag den Gesetzgeber zu der Umgestaltung der Zuständigkeitsverteilung in § 13 Abs. 1 KapMuG während des Gesetzgebungsverfahrens bewogen haben. 298 Vgl. Hess, WM 2004, 2329 (2331 f.); ders./Michailidou, WM 2003, 2318 (2320 f.); Keller/Kolling, BKR 2005, 399 (403); Kilian, KapMuG, S. 69 f.; Plaßmeier, NZG 2005, 609 (614); Reuschle, KapMuG, S. 35 f.; ders., WM 2004, 2334 (2338); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). Ausführlich zu Zuständigkeitsfragen bei Klagen im Anwendungsbereich des KapMuG, KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 14 ff. Von besonderer Bedeutung ist insoweit der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO (vgl. hierzu KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 19), der sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit abschließend regelt (BGHZ 82, 110 [114]; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, vor Art. 5 Rn. 5; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 4; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Vor Art. 5 EuGVVO Rn. 1; KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 15 Fn. 56 und Rn. 16; anders B. Schneider, BB 2005, 2249 [2251]). Nach dieser Vorschrift kann der Anleger seine Klage wahlweise am Handlungs- oder am Erfolgsort erheben. Umstritten ist insoweit, ob der Erfolgsort am Sitz der für den jeweiligen Anleger Depot führenden Stelle (so BT-Drs. 15/5091, S. 23; Kilian, KapMuG, S. 70; Reuschle, NZG 2004, 590 [592]; ders.,
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Uneinigkeit, ob über den Erweiterungsantrag dasjenige Prozessgericht zu entscheiden hat, welches den ursprünglichen Vorlagebeschluss verfasste299, oder vielmehr jeweils das Prozessgericht zuständig ist, welches zur Entscheidung über das Individualverfahren des Antragstellers berufen ist300. Für die zweite Sichtweise lassen sich der Wortlaut des § 13 KapMuG sowie der systematische Vergleich mit den § 1 Abs. 2, § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 1, § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3, § 4 Abs. 4 und § 7 Abs. 1 KapMuG anführen. Sämtliche Vorschriften sprechen von „dem Prozessgericht“. Das Gesetz meint hiermit grundsätzlich alle Landgerichte, bei denen in erster Instanz ein kapitalmarktrechtliches Verfahren anhängig ist, in dem ein Musterfeststellungsantrag gestellt wurde bzw. deren Entscheidung von dem Musterprozess abhängt.301 Hätte der Gesetzgeber die Erweiterungsbefugnis demjenigen Prozessgericht vorbehalten wollen, das auch den Vorlagebeschluss erlassen hat, so hätte es dies durch eine entsprechend einschränkende Formulierung in § 13 KapMuG klarstellen müssen.302 Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages sah das „[. . .] zur Entscheidung in der Sache berufene Prozessgericht [. . .]“ als zuständig an, „[. . .] das allein die Sachdienlichkeit beurteilen kann“.303 Für die Entscheidung in der SaWM 2004, 966 [975]; Plaßmeier, NZG 2005, 609 (614); zweifelnd Keller/Kolling, BKR 2005, 399 [402 f., dort insbesondere auch Fn. 21]; offen v. Hein, RIW 2004, 602 [604, dort insbesondere Fn. 34]) oder an dem Ort, an dem die Kapitalmarktinformation entgegengenommen und die Anlageentscheidung getroffen wird (so Bachmann, IPrax 2007, 77 [82]; v. Hein, IPrax 2005, 17 [21 f.]; zustimmend KK/Hess, KapMuG, § 32b Rn. 19) zu lokalisieren ist. 299 So Kilian, KapMuG, S. 71 ff.; Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612); Rau, KapMuG, S. 179 Fn. 529; Reuschle, KapMuG, S. 41, vor allem Fn. 79; Varadinek/Asmus, ZIP 2008, 1309 (1312). 300 So LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“); Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 2; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (166); Hess, ZIP 2005, 1713 (1716); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2254). 301 Das LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“) übersieht, dass insbesondere die Aussetzung eines Individualverfahrens nach § 7 KapMuG nicht davon abhängt, dass dort ein Musterfeststellungsantrag gestellt wurde. 302 So auch LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Angesichts dessen, dass die Formulierung in § 13 KapMuG dem Sprachgebrauch der übrigen Vorschriften des KapMuG entspricht, überzeugt das gegenteilige Wortlautargument von Kilian, KapMuG, S. 71, nicht, der Gesetzgeber hätte die Formulierung „durch ein Prozessgericht“ (Hervorhebung im Original) wählen müssen, wenn er das für den Antragsteller jeweils zuständige Landgericht gemeint hätte. 303 BT-Drs. 15/5695, S. 24 (Hervorhebung durch die Verfasserin).
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
che ist jedoch – wie bereits angesprochen – nicht stets das vorlegende, sondern dasjenige Landgericht zuständig, welches über die Ausgangsstreitigkeit des Antragstellers urteilen muss. Aus der Beschlussempfehlung lässt sich daher nicht ableiten, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit der Beteiligung mehrerer Ausgangsgerichte übersehen, zumal er dieses Problem an anderer Stelle in der Gesetzesbegründung selbst erörterte.304 Diese Zuständigkeitsverteilung steht systematisch in Einklang mit der Aussetzungsbefugnis gemäß § 7 KapMuG. Die in der Vorschrift vorausgesetzte Abhängigkeit von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung ist parallel zu der Entscheidungserheblichkeit i. S. d. § 13 Abs. 1 KapMuG auszulegen;305 erstere muss ebenfalls das Prozessgericht beurteilen, bei dem die Ausgangsstreitigkeit anhängig ist, und nicht das Vorlagegericht. Das Prozessgericht des (neuen) Antragsstellers kennt dessen Ausgangsstreitigkeit, wodurch es eine besondere Kompetenz zur Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit und Sachdienlichkeit besitzt. Demgegenüber müsste sich das Landgericht, das den Vorlagebeschluss erlassen hatte und nun über Erweiterungsersuchen von Antragstellern zu entscheiden hat, deren Ausgangsstreitigkeit bei einem anderen Prozessgericht anhängig ist, erst in die jeweiligen Prozessakten einarbeiten. Dies begründet zusätzliches Verzögerungspotential. Es würde sich sogar im Vergleich zu dem Oberlandesgericht in einer schlechteren Ausgangslage befinden. Letzterem ist die Musterverfahrensdurchführung übertragen, wodurch es zumindest partiell die Aktenlage der Individualverfahren kennt. Zudem birgt die Konzentration der Entscheidungsbefugnis bei dem vorlegenden Prozessgericht die Gefahr, dass dieses mit deutschlandweit möglicherweise massenhaft anhängigen Musterfeststellungs- und Ergänzungsanträgen arbeitsmäßig für Monate blockiert ist.306 Dies könnte zu einem Stillstand des Musterverfahrens über einen unzumutbar langen Zeitraum führen.307 Unter prozessökonomischen Gesichtspunkten erscheint die Annahme einer Zuständigkeitskonzentration deshalb nicht vorzugswürdig. Die Absage einer ausschließlichen Erweiterungszuständigkeit des vorlegenden Prozessgerichts ermöglicht eine flexible Handhabung der bislang gestellten Erweiterungsersuchen.308 304
BT-Drs. 15/5091, S. 52. KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 15; vgl. auch Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 8. Ablehnend Rau, KapMuG, S. 194, insbesondere Fn. 578. 306 LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2009 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). 307 Vgl. Hess, ZIP 2005, 1713 (1716); ebenso Kilian, KapMuG, S. 73, allerdings als Argument für seinen gegenteiligen Standpunkt. 308 Vgl. etwa LG Berlin, erweiterte Vorlagebeschlüsse v. 17. Januar 2008 und 17. April 2007, veröffentlicht jeweils im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 5. Februar 2008 (zusammen mit Beschluss Terminsverlegung), Az.: 4 Sch 2/06 KapMuG („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“) bzw. am 23. April 2007, Az.: 4 Sch 2.06 KapMuG („Immobilien Beteiligungs- und Vertriebsge305
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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Dem steht nicht entgegen, dass bei der Streitgegenstandserweiterung der ursprüngliche Vorlagebeschluss abgeändert und nicht ein isolierter Beschluss erlassen wird, vgl. § 13 Abs. 2 KapMuG. Zwar erfolgt in den herkömmlichen ZPOVerfahren die Abänderung einer Entscheidung entweder durch das Erlassgericht oder das diesem im Instanzenzug übergeordnete Gericht.309 Anders als bei diesen bündelt das Musterverfahren aber eine Vielzahl von Ausgangsstreitigkeiten vor möglicherweise verschiedenen Prozessgerichten, die jeweils zur Entscheidung in der Sache berufen sind. Im Rahmen der Vorlage dient die Zuweisung einer ausschließlichen Zuständigkeit dem Zweck, das Zeitfenster zur Überprüfung des Vorliegens der Vorlagevoraussetzungen eindeutig festzulegen. Ein vergleichbares Erfordernis besteht bei einem Erweiterungsersuchen nicht. Die Zuständigkeit gemäß § 13 Abs. 2 KapMuG zum Erlass des Erweiterungsbeschlusses kann folglich nicht davon abhängen, dass das Prozessgericht bereits den Vorlagebeschluss i. S. d. § 4 KapMuG erlassen hat. 4. Vorliegen von Sachdienlichkeit und Entscheidungserheblichkeit des Erweiterungsersuchens gemäß § 13 Abs. 1 KapMuG Das Prozessgericht muss das Erweiterungsersuchen des Antragsstellers positiv verbescheiden, wenn die Entscheidung seines Rechtstreits von den begehrten zusätzlichen Feststellungen abhängt und es die Erweiterung für sachdienlich erachtet, § 13 Abs. 1 KapMuG. Das Oberlandesgericht hat den erweiterten Vorlagebeschluss nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KapMuG sodann im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. Ihm ist die datenschutzrechtliche Verantwortung für die veröffentlichten Daten zugewiesen, § 13 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. § 6 Abs. 2 KapMuG. Lehnt das Prozessgericht die Erweiterung des Vorlagebeschlusses ab, ist der ablehnende Beschluss mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 3 EGZPO i.V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anfechtbar. a) Entscheidungserheblichkeit des Erweiterungsersuchens im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG Das Tatbestandsmerkmal der Entscheidungserheblichkeit fand erst nachträglich Eingang in die Vorschrift des § 13 KapMuG. Ursprünglich hat der Gesetzgeber die Erweiterung nur an ihre Sachdienlichkeit knüpfen wollen.310 Er wies alsellschaft der BIH Gruppe mbH [IBV] und Landesbank Berlin AG“), jeweils Stand 1. September 2009. 309 Mit diesem Argument für eine Zuständigkeitskonzentration beim vorlegenden Prozessgericht Kilian, KapMuG, S. 72; zustimmend KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 18. 310 § 13 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E stellte nur darauf ab, ob das Oberlandesgericht die Erweiterung für sachdienlich erachtet.
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lerdings bereits in der Begründung zu § 13 Abs. 1 KapMuG-E darauf hin, dass er einen Erweiterungsantrag beispielsweise dann nicht für sachdienlich erachten würde, wenn dieser nicht für den Ausgang der überwiegenden Zahl der ausgesetzten Rechtsstreite bzw. des Individualverfahrens des Antragstellers entscheidungserheblich wäre.311 Die endgültige Fassung des § 13 Abs. 1 KapMuG enthält die Entscheidungserheblichkeit als eigenständiges Tatbestandsmerkmal neben der Sachdienlichkeit. Sie stellt insoweit nur auf die konkrete einzelne Ausgangsstreitigkeit ab. Das Erweiterungsersuchen ist entscheidungserheblich i. S. d. § 13 Abs. 1 KapMuG, wenn sich die oberlandesgerichtliche Antwort auf das Ausgangsverfahren des Antragstellers zumindest auswirkt.312 Die zusätzlichen Fragestellungen müssen mithin erheblich für die Begründetheit der Klage des Antragstellers sein.313 Ist das Ersuchen in diesem Sinne klärungsbedürftig, wird die Erweiterung des Vorlagebeschlusses regelmäßig auch sachdienlich sein.314
311
BT-Drs. 15/5091, S. 28. Vgl. Rau, KapMuG, S. 194; KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 15. Dies verkennt Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 8, der umgekehrt davon ausgeht, dass die Entscheidung des Musterverfahrens von der zu klärenden Tatsachen- oder Rechtsfrage abhängen muss. § 13 Abs. 1 KapMuG stellt jedoch explizit auf die Entscheidungserheblichkeit für das jeweilige Ausgangsverfahren ab. Umstritten ist insoweit, ob die Auslegung des Merkmals der Entscheidungserheblichkeit in § 13 Abs. 1 KapMuG in Parallele zu § 7 KapMuG (so ohne Begründung Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 13 Rn. 8 und KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 15) oder § 4 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG (Rau, KapMuG, S. 194, insbesondere auch Fn. 578) erfolgen soll. Nach dem hier vertretenen Verständnis zur Abhängigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 KapMuG ist der Streit allerdings ohne praktische Bedeutung, da die Aussetzung ebenfalls Entscheidungserheblichkeit erfordert (vgl. auch BT-Drs. 15/5091, S. 42; Kramer, NJW-Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposium 2006, S. 11; Reuschle, ÖsterrAnwBl 2006, 371 [378]; Rau, KapMuG, S. 94); diese erfordert gerade keine Übereinstimmung im Feststellungsziel (ebenso Kilian, KapMuG, S. 63; Maier-Reimer/ Wilsing, ZGR 2006, 79 [97 f.], allerdings zu eng im Hinblick auf die Streitpunkte [vgl. insoweit auch BT-Drs. 15/5091, S. 43]; ebenso wohl Gundermann/Härle, VuR 2006, 457 [459 f.]; a. A. Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 7 Rn. 6 f.). 313 KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). 314 Dies ergibt sich aus der erforderlichen weiten Auslegung des Sachdienlichkeitsmaßstabs, vgl. dazu sogleich S. 215 ff. Anders insoweit Rau, KapMuG, S. 195, die davon ausgeht, dass eine Erweiterung notwendigerweise sachdienlich ist, wenn die zusätzlichen Feststellungen entscheidungserheblich sind. Ihrer Ansicht nach wäre deshalb die gesetzliche Normierung einer einzigen der beiden Erweiterungsvoraussetzungen ausreichend gewesen. Sie übersieht allerdings, dass Fälle denkbar sind, in denen das Erweiterungsersuchen entscheidungserheblich ist, ihm allerdings keine Sachdienlichkeit zukommt. So z. B., wenn der Antragsteller nachträglich die Feststellung des Nichtvorliegens seiner individuellen Kenntnis i. S. d. § 45 Abs. 2 Nr. 3 BörsG, seine Inhabereigenschaft oder die individuelle Schadensberechnung begehrt (vgl. zu den Anforderungen an die Feststellungsfähigkeit von Anspruchsvoraussetzungen im Musterverfahren allge312
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b) Sachdienlichkeit des Erweiterungsersuchens im Sinne des § 13 Abs. 1 KapMuG § 13 Abs. 1 KapMuG macht die Erweiterung des Streitgegenstands ferner davon abhängig, dass das Prozessgericht das Erweiterungsersuchen für sachdienlich erachtet. Das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals ist im Wege einer Gesamtabwägung festzustellen.315 In die Auslegung ist die gesetzgeberische Zielsetzung einzustellen, den gesamten Streitstoff innerhalb eines einzigen Verfahrens zu erörtern und den Konflikt beizulegen. Gleichzeitig muss sie die Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten über den Streitgegenstand berücksichtigen, dabei aber – vor allem unter Zeit- und Kostengesichtspunkten – den Interessen derjenigen Personen angemessen Rechnung tragen, die von den zusätzlichen Feststellungen nicht profitieren. Entsprechend dem vom Gesetzgeber dem gesamten KapMuG zu Grunde gelegten weiten Ansatz316 ist auch bei der Beurteilung der Erweiterungsvoraussetzungen insgesamt ein großzügiger Maßstab angezeigt.
mein bereits ausführlich S. 115 f. sowie speziell zu den § 44, § 45 BörsG KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 13 ff.). Auf die im Rahmen der Sachdienlichkeit zu prüfende Abstraktheit des Ersuchens i. S. d. § 1 KapMuG stellt folgerichtig auch das KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“), ab. Ebenso wenig ist ein Erweiterungsantrag sachdienlich, der auf exakt das kontradiktorische Gegenteil einer vom Oberlandesgericht bereits zu beantwortenden Frage gerichtet ist, vgl. hierzu LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht vom KG Berlin im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“); KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG“); vgl. zur Behandlung kontradiktorischer Anträge zudem die Ausführungen auf S. 133 ff. 315 Ein Rückgriff auf die zu § 263 ZPO entwickelten Auslegungsgrundsätze ist nicht möglich. Eine Klageänderung ist sachdienlich i. S. d. Vorschrift, wenn der bisherige Streitstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage bleibt und die Zulassung die endgültige Beilegung des Streits fördert und einen neuen Prozess vermeidet (BGHZ 143, 189 [198]; 1, 65 [71 f. m.w. N.]; BGH NJW-RR 2002, 929 [930]; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 98 Rn. 20; MüKo/Lüke, ZPO, § 263 Rn. 32; Musielak/ Foerste, ZPO, § 263 Rn. 7; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 263 Rn. 24; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 263 Rn. 8; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 263 Rn. 24; Zimmermann, ZPO, § 263 Rn. 13; Zöller/Greger, ZPO, § 263 Rn. 13). § 13 KapMuG regelt die Möglichkeit zur Erweiterung des Musterstreitgegenstands abschließend. Eine Klageänderung gemäß § 263, § 264, § 267 ZPO ist im Musterverfahren ausgeschlossen (vgl. hierzu S. 195 ff. sowie KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 91 f.). Die Vorschrift des § 263 ZPO ist auf einen Zwei-Parteien-Prozess zugeschnitten, so dass eine parallele Auslegung der Sachdienlichkeit den vielschichtigen Interessen im Masseverfahren nicht gerecht werden könnte (ebenso Kilian, KapMuG, S. 73 f. sowie i. E. Rau, KapMuG, S. 191). 316 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 1, 17 f., 20, 25, 47 f.; BT-Drs. 15/5695, S. 2, 22, 24.
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
aa) Anforderungen an die Sachdienlichkeit bei Erweiterung des Feststellungsziels gemäß § 13 KapMuG analog Für die Antwort auf die Frage, welche Abwägungsaspekte relevant sind, wenn der Antragsteller eine Erweiterung des Feststellungsziels analog § 13 KapMuG begehrt, kann auf die Gesetzesbegründung zurückgegriffen werden.317 Der Normgeber führt dort – auf Basis des Regierungsentwurfs, der eine Veränderung des Feststellungsziels noch explizit vorsah – exemplarisch Fälle auf, in denen er von der fehlenden Sachdienlichkeit eines Erweiterungsbegehrens ausgeht.318 Diese Erläuterungen erlauben den Rückschluss, dass grundsätzlich eine Parallele zu den Anforderungen zu ziehen ist, die § 1 KapMuG an die Zulässigkeit eines Musterfeststellungsantrags stellt. Nur dies ist sachgerecht, weil so ein Gleichlauf zwischen den an den ursprünglichen Streitgegenstand zu stellenden Voraussetzungen und seiner späteren Erweiterung erreicht wird. Eine Erweiterung des Feststellungsziels wäre demnach nicht sachdienlich, wenn die begehrte Feststellung einer Klärung im Musterverfahren nicht zugänglich ist, etwa weil es ihr an der erforderlichen Abstraktheit fehlt oder sie nicht auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer anspruchsbegründenden oder -ausschließenden Voraussetzung gerichtet ist, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.319 Maßgeblich ist zudem, ob der Erweiterungsantrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis aufweist. Daran fehlt es insbesondere – wie an dem entsprechenden rechtli317 Vgl. KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); Kilian, KapMuG, S. 74 ff.; i. E. auch KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 26 f.; missverständlich Rau, KapMuG, S. 191 ff., die einerseits die Vereinbarkeit der vom Gesetzgeber aufgestellten und von der Rechtsprechung übernommenen Kriterien mit dem Dispositionsgrundsatz bezweifelt, andererseits hierauf bei der Auslegung zurückgreift (S. 193). 318 Die entsprechende Passage in der Gesetzesbegründung lautet: „Das Oberlandesgericht muss die Erweiterung der Feststellung für sachdienlich erachten. Damit soll verhindert werden, dass Feststellungsanträge Gegenstand des Verfahrens werden, die beispielsweise für den Ausgang der überwiegenden Zahl der ausgesetzten Rechtsstreite nicht entscheidungserheblich sind. Dies würde das Verfahren künstlich verlängern und für die Beigeladenen ein Kostenrisiko darstellen. Eine Erweiterung wäre beispielsweise nicht sachdienlich, wenn von den Parteien des Musterverfahrens die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Anspruchsvoraussetzung begehrt wird, die, soweit sie im ausgesetzten Rechtsstreit beantragt würde, offensichtlich unzulässig, unbegründet oder nicht entscheidungserheblich wäre.“ (BT-Drs. 15/5091, S. 28 [Hervorhebungen durch die Verfasserin]). Einem Rückgriff steht nicht die veränderte Fassung des § 13 Abs. 1 KapMuG entgegen, da der Gesetzgeber, wie ausgeführt, vgl. S. 196 ff., durch die Umformulierung nicht die Erweiterung des Feststellungsziels selbst ausschließen wollte. So auch Kilian, KapMuG, S. 76. 319 KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“).
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
217
chen Bedürfnis für eine Aufnahme in den ursprünglichen Vorlagebeschluss nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 KapMuG320 –, wenn es sich bei dem einzuführenden Feststellungsziel um das kontradiktorische Gegenteil eines Feststellungsziels handelt, das bereits Gegenstand des Musterverfahrens ist.321 Weiter hat das Prozessgericht in die Abwägung einzustellen, ob eine der Fallgruppen des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 5 KapMuG verwirklicht ist.322 Schließlich ist bedeutsam, ob dem Ersuchen potenziell über das Verfahren des Antragstellers hinaus Entscheidungserheblichkeit zukommt, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG.323 Auf ein bestimmtes Quorum von Parallelverfahren kommt es nicht an.324 Das Prozessgericht hat in diesem Zusammenhang vor allem die 320
Vgl. hierzu S. 123 f. sowie 128 ff. So das KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 16. Oktober 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 20. Oktober 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co KG – LBB Fonds 13“) sowie das LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2009 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). 322 Kilian, KapMuG, S. 74 ff.; zurückhaltend KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 26 f., weil § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG dazu diene, die Ingangsetzung eines Musterverfahrens zu verhindern. Vgl. zudem KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 KapMuG („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); ausschließlich zur Einführung weiterer Streitpunkte ferner LG Frankfurt a. M., erweiterte Vorlagebeschlüsse v. 23. April 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. jeweils am 16. Juli 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Kap 1/06 bzw. 23 Kap 2/06 („Deutsche Telekom AG“). Umstritten ist, ob die Prozessverschleppungsabsicht des Antragstellers im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KapMuG ein Zurückweisungsrecht begründen kann. Dafür Kilian, KapMuG, S. 76; Rau, KapMuG, S. 193 bzgl. der Einführung weiterer Streitpunkte; dagegen KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 26. 323 Zu berücksichtigen ist insoweit allerdings, dass der verfahrensübergreifenden Entscheidungserheblichkeit bei dem Erweiterungsersuchen keine dem Musterfeststellungsantrag vergleichbare Filterfunktion gleichgelagerter Sachverhalte zukommt. Mit Erlass des Vorlagebeschlusses sind die gleichgerichteten Verfahren bereits gebündelt, so dass die Sachdienlichkeitskontrolle vorwiegend der Mißbrauchsvermeidung dient. An die Darlegungen des Antragstellers sind deshalb keine zu strengen Anforderungen zu stellen. Vgl. hierzu allgemein KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); Kilian, KapMuG, S. 77 ff., insbesondere S. 78 unten und S. 82 oben; KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 28; explizit für eine Darlegungslast entsprechend § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG LG Frankfurt a. M., erweiterter Vorlagebeschluss v. 23. April 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 16. Juli 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Kap 1/06 („Deutsche Telekom AG“). 324 KG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“); Kilian, KapMuG, S. 77 ff.; KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 26. 321
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§ 4 Aspekte der Streitgegenstandshäufung
durch eine zusätzliche Beweisaufnahme für alle Verfahrensbeteiligten anfallenden Kosten mit dem Nutzen abzuwägen, den die übrigen Verfahrensbeteiligten aus der weiteren Feststellung ziehen können.325 Liegen die Anforderungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG vor, ist die Sachdienlichkeit des Erweiterungsersuchens somit stets zu bejahen, wenn es für eine Vielzahl von Parallelverfahren bedeutsam ist.326 Hingegen ist die Frage, inwieweit sich eine Erweiterung des Verfahrensgegenstands verzögernd auf den Gang des Musterverfahrens auswirkt, von untergeordneter Bedeutung. Das Prozessgericht kann nicht das Ergebnis einer anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht vorhersehen.327 bb) Anforderungen an die Sachdienlichkeit bei Einführung weiterer Streitpunkte gemäß § 13 KapMuG Sollen weitere Streitpunkte in das Musterverfahren eingeführt werden, kann das Prozessgericht zur Beurteilung der Sachdienlichkeit nicht unmittelbar auf die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG normierten Unzulässigkeitstatbestände zurückgreifen. Sie umschreiben ausschließlich den Maßstab für die Zulässigkeit des in einem Musterfeststellungsantrag formulierten Feststellungsziels.328 Ebenso wenig kommt es auf eine Glaubhaftmachung der verfahrensübergreifenden Entscheidungserheblichkeit i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG an. Dies ergibt sich im Umkehrschluss daraus, dass § 13 Abs. 1 KapMuG ausdrücklich darauf abstellt, ob die zusätzlichen Streitpunkte für das Ausgangsverfahren des Antragstellers entscheidungserheblich sind und der Gesetzgeber zudem auf die Festlegung eines Quorums verzichtet hat. Gleichwohl kann das Prozessgericht bei seiner Abwägung nicht vollständig auf den in § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG enthaltenen Rechtsgedanken verzichten. Insbesondere muss es ihm möglich sein, offenkundigen Missbrauchsfällen entgegenzu325 Vgl. Kilian, KapMuG, S. 82 sowie insbesondere zur Vergemeinschaftung der Verfahrenskosten als Abwägungselement S. 83 f.; ohne Begründung ebenso Rau, KapMuG, S. 193. 326 Vgl. LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). 327 LG Berlin, erweiterter Vorlagebeschluss v. 9. September 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 25. September 2008 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 24 Kap 15/07 („Bavaria Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. Objektverwaltungs KG – LBB Fonds Sechs“). Vgl. auch LG Berlin, Ergänzungsbeschluss v. 17. Januar 2008, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 5. Februar 2008 (zusammen mit Beschluss Terminsverlegung; Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). A. A. Kilian, KapMuG, S. 74. 328 So auch Kilian, KapMuG, S. 77; KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 19.
C. Die nachträgliche Erweiterung des Musterverfahrens
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treten, so etwa, wenn ein Erweiterungsantrag offensichtlich allein zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist.329 Zudem ist die Sachdienlichkeit umso eher zu bejahen, je mehr Parallelverfahren von den zusätzlichen Feststellungen profitieren.330
329 Ebenso Kilian, KapMuG, S. 77; Rau, KapMuG, S. 193; a. A. KK/Reuschle, KapMuG, § 13 Rn. 19. 330 Vgl. LG Frankfurt a. M., erweiterte Vorlagebeschlüsse v. 23. April 2007, jeweils veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom OLG Frankfurt a. M. am 16. Juli 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 23 Kap 1/06 und 23 Kap 2/06 („Deutsche Telekom AG“); KG Berlin, erweiterter Vorlagebschluss v. 22. Juni 2007, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) vom KG Berlin am 22. August 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 4 Sch 2/06 KapMuG („Perseus Immobilien Verwaltungs GmbH & Co. KG – LBB Fonds 13“). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beweisaufnahme zu konkreten Streitpunkten erfolgt, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG, so dass sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kosten der Beweisaufnahme vornehmlich auf Ebene der Erweiterung des Vorlagebeschlusses um zusätzliche Streitpunkte stellt. Insoweit gilt allerdings ebenfalls, dass die Zurückweisung eines Erweiterungsersuchens allein aus Kostengesichtspunkten nicht in Betracht kommen kann, weil dieser Aspekt für die Aufnahme in den Vorlagebeschluss nicht maßgeblich ist. Entscheidend ist vielmehr die Relation zu dem Gesamtnutzen für die ausgesetzten Ausgangsverfahren. Das Prozessgericht hat zu berücksichtigen, ob die Erweiterung überdurchschnittlich hohe Kosten nach sich ziehen wird, von ihr aber nur sehr wenige der übrigen Verfahrensbeteiligten profitieren können.
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KapMuG erlässt das Oberlandesgericht auf Grund mündlicher Verhandlung durch Beschluss den Musterentscheid. Der Beschluss hat urteilsvertretenden Charakter.1 Die Wirkungen des Musterentscheids regelt § 16 KapMuG. Die Norm stellt die zentrale Vorschrift des KapMuG dar.2 Sie bildet zugleich das wichtigste Bindeglied zwischen dem Musterprozess und den nach § 7 KapMuG ausgesetzten Individualverfahren.3 Diese werden nach rechtskräftigem Anschluss des oberlandesgerichtlichen Musterprozesses wieder aufgenommen. Die formelle Rechtskraft i. S. d. § 705 ZPO tritt einen Monat nach Zustellung des Musterentscheids an die Musterparteien ein, § 15 KapMuG, § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO.4 Die Fortsetzung des Verfah1
BT-Drs. 15/5091, S. 29. Zu eng KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 1 sowie Rn. 8 und Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 3, die maßgeblich auf § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG abstellen, weil sich im innerstaatlichen Rechtsstreit bereits aus dieser Regelung die umfassende Bindung des Musterentscheids im Ausgangsverfahren ergebe und § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG lediglich die Präjudizwirkung in etwaigen Folgeprozessen betreffe. Vgl. hierzu später ausführlich S. 238 ff., S. 244 ff. sowie v. a. S. 253. Zutreffend hingegen Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 325a Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (114); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 3; vgl. insoweit auch Musielak/Musielak, ZPO, § 325a Rn. 3. 3 Wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der § 7 Abs. 1 Satz 1, § 16 KapMuG sowie mittelbar aus § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG ergibt, entfaltet der Musterentscheid keine Bindungswirkung für die Hauptsacheverfahren, welche erst nach rechtskräftigem Abschluss des Musterprozesses anhängig werden. Ebenso MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 9; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 15; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (146); Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (115); Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 1. Vgl. auch Musielak/Musielak, ZPO, § 325a Rn. 3. 4 Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bestimmt sich für die Beigeladenen grundsätzlich nach der für die Musterverfahrensparteien laufenden Frist, da nur letzteren der Musterentscheid zugestellt wird, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 29. Dass die wirksame Zustellung an die Musterpartei auch dem Beigeladenen gegenüber die Rechtsbeschwerdefrist in Gang setzt, ist verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör bedenklich (ebenso Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 13; KK/Rimmelspacher, KapMuG, § 15 Rn. 116). Vorzugswürdig wäre deshalb, generell die öffentliche Bekanntmachung des Musterentscheids nach § 14 Abs. 1 Satz 4 KapMuG zu wählen (missverständlich insoweit BT-Drs. 15/5091, S. 29). Fristbeginn ist dann analog § 188 ZPO an dem Tag, der im elektronischen Klageregister als Eintragungsdatum veröffentlicht ist (Vorwerk/ Wolf, KapMuG, § 15 Rn. 5; KK/Rimmelspacher, KapMuG, § 15 Rn. 116). Im Falle der 2
A. Ausgangssituation
221
rens in der Hauptsache erfolgt auf Initiative seiner Parteien, § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Hierfür ist erforderlich, dass entweder der Kläger oder der Beklagte der jeweiligen Ausgangsstreitigkeit den rechtskräftigen Musterentscheid nebst Rechtskraftzeugnis gemäß § 706 ZPO bei seinem Prozessgericht einreicht.5 Im weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens hat das Prozessgericht die Bindungswirkungen des Musterentscheids von Amts wegen zu beachten.6
A. Ausgangssituation I. Überblick über die gesetzlichen Anordnungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 bis Satz 3 KapMuG Der Zweck des KapMuG-Verfahrens besteht darin, dass die in diesem Verfahren ergehende Entscheidung, der Musterentscheid, für eine Vielzahl von Prozessen wirkt. Deshalb ordnet die Vorschrift des § 16 KapMuG in unterschiedlichen Ausprägungen die Bindung des Musterentscheids für die ausgesetzten Verfahren an. In diesen sind zunächst die Prozessgerichte bei der Entscheidung über die Hauptsache an die vom Oberlandesgericht im Musterbescheid getroffenen Feststellungen gebunden, vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Daneben ordnet § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG die Rechtskraftfähigkeit der Musterentscheidung an. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift klarstellen, dass der Streitgegenstand des Musterverfahrens der Rechtskraft fähig ist, um insbesondere – vor dem Hintergrund der Verordnung (EG) Nr. 44/2000 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO)7 – die Anerkennungsfähigkeit des Musterentscheids vor ausländischen Gerichten sicherzustellen.8 DemRechtsbeschwerde tritt Rechtskraft bei Zurückverweisung, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO bzw. § 577 Abs. 5 Satz 2 i.V. m. § 563 Abs. 4 ZPO, mit der abschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts ein, sofern diese nicht erneut gemäß § 15 KapMuG angefochten wird, andernfalls mit der abschließenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs, § 577 Abs. 5 ZPO (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 28; KK/Rimmelspacher, KapMuG, § 15 Rn. 218 ff.; vgl. auch Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 15 Rn. 9). 5 Vgl. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 29. Beteiligte i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG sind gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG der Musterkläger, der Musterbeklagte und die Beigeladenen. Unzutreffend KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 29. Kritisch bzgl. des bei wortlautgetreuer Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG zu weit reichenden Initiativrechts und für eine teleologische Reduktion der Vorschrift im oben erläuterten Sinn Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 24. 6 Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 18. 7 ABl. EG v. 16. Januar 2001 Nr. L 12/1. 8 BT-Drs. 15/5091, S. 34. Bedeutsam sind insoweit insbesondere die Anerkennungsfähigkeit nach Art. 32 sowie Art. 65 EuGVVO, vgl. hierzu KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 34 ff.
222
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
entsprechend orientiert sich die sprachliche Fassung der Vorschrift an § 322 Abs. 1 ZPO. Für das herkömmliche ZPO-Verfahren gilt der Grundsatz, dass die Rechtskraft der Entscheidung in subjektiver Hinsicht auf die formalen Parteien des Rechtsstreits beschränkt ist.9 Auch der systematische Vergleich mit § 16 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 KapMuG spricht dafür, dass der Gesetzgeber zumindest diesen subjektiven Bindungsumfang in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG aufgegriffen hat. Die Norm richtet sich damit an die Musterverfahrensparteien und ordnet gegenüber diesen die Rechtskraftwirkung des Musterentscheids an. Seine Feststellungen wirken nach dem Vorbild der Interventionswirkung des § 68 ZPO ferner gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG für und gegen alle Beigeladenen.10 Unerheblich ist, ob der Beigeladene selbst alle Streitpunkte ausdrücklich geltend gemacht hat, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Ebenso wird der Beigeladene umfänglich an den Musterentscheid gebunden, wenn er sich im oberlandesgerichtlichen Verfahren passiv verhalten, vgl. § 16 Abs. 2 KapMuG, oder seine Klage in der Hauptsache zurückgenommen hat, § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG.11 Nimmt der Beigeladene hingegen aktiv am Musterverfahren teil, kann er sich unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 KapMuG der Bindungswirkung des Musterentscheids mit dem Einwand mangelhafter Prozessführung durch seine Hauptpartei entziehen.
9 BGH NJW 1996, 395 (396); MüKo-KO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 1; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, § 325 Rn. 1 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 1; Zöller/ M. Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 2 f.; a. A. etwa Schwab, ZZP 77 (1964), 124 (147 sowie 160, m.w. N.); Rosenberg/ders., Zivilprozeßrecht, § 157 II (m.w. N.); ders., Festschrift Walder, S. 264; seiner Ansicht nach muss die zwischen den Parteien wirkende Entscheidung von Dritten anerkannt werden („Drittwirkung“), wenn der rechtskräftig beurteilte Streitgegenstand für den Drittprozess als Vor- oder Hauptfrage Bedeutung erlangt. Dieser Auffassung kann de lege lata nicht gefolgt werden. Auch spricht der Umkehrschluss aus § 68, § 72 ff., § 325 ff. ZPO, § 9 TVG, § 11 UKlaG, Art. 103 Abs. 1 GG gegen eine Drittwirkung (Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 2 f.). 10 BT-Drs. 15/5091, S. 31. 11 § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG soll verhindern, dass sich ein Beigeladener durch Klagerücknahme und erneute Klageerhebung nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens der Bindungswirkung des Musterentscheids entziehen kann. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 2; ders., ZIP 2005, 1713 (1716); ders., WM 2004, 2329 (2331) weist in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend darauf hin, dass bei Zuwarten mit der Klageerhebung der zu Grunde liegende Anspruch regelmäßig verjährt sein wird. Ebenso Rau, KapMuG, S. 93; vgl. ferner BT-Drs. 15/5091, S. 49; Franklin/Heydn, ZVglRWiss 105 (2006), 313 (320); Hess, BankR 2004, 153 (161 Fn. 59); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (140 Fn. 40). A. A. wohl Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (115 f.) unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Klagerücknahme.
A. Ausgangssituation
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II. Zweck des § 325a ZPO Die Rechtswirkungen des Musterentscheids ergeben sich unmittelbar aus § 16 KapMuG. Dennoch hat der Gesetzgeber in § 325a ZPO12 nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Feststellungswirkungen des Musterentscheids nach dem KapMuG richten. § 325a ZPO enthält im Verhältnis zu § 16 KapMuG keine eigenständige Regelung, sondern dient vielmehr der Klarstellung.13 Der in der Vorschrift enthaltene Verweis auf § 16 KapMuG ist zunächst als „Art von systematischer Integration“ 14 verstehen, ist doch geplant, die Regelungen des KapMuG in die ZPO einzugliedern, sofern sich das Gesetz in der Praxis bewährt15. Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber durch die Verknüpfung des § 16 KapMuG mit der ZPO sowie der Klarstellung der Rechtskraftfähigkeit in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG sicherstellen, dass (insbesondere) ausländische Gerichte diese in einem Sondergesetz angeordneten Bindungswirkungen des Musterentscheids beachten und letzteren anerkennen.16 Ihm ging es vornehmlich mit Blick auf § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG darum, Konstellationen entgegenwirken, in denen der Anleger seine am Handlungsort anhängige Klage gegen den ausländischen Emittenten zurücknimmt, um diesen im Anschluss am Sitz der Gesellschaft im Ausland erneut zu verklagen und so den Rechtswirkungen des Musterentscheids zu entgehen.17 Ob der Musterentscheid allerdings überhaupt anerkennungsfähig i. S. d. Art. 32 EuGVVO bzw. Art. 65 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO ist,
12 Die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. November 2005 durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) v. 16. August 2005 (BGBl. I S. 2437) in die Zivilprozessordnung eingefügt. Die ursprüngliche Verknüpfung mit der Geltungsdauer des KapMuG ist gemäß Art. 12 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes (JuMoG) v. 22. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3416) beseitigt. 13 Musielak/Musielak, ZPO, § 325a Rn. 1; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325a Rn. 1; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 325a Rn. 1; MüKo/ Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 8; anders offenbar Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 1. 14 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 1. 15 Kilian, KapMuG, S. 25; Reuschle, KapMuG, S. 47; Zypries, ZRP 2004, 177 (179). 16 BT-Drs. 15/5091, S. 34; MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 1. Leipold merkt zutreffend an, dass sich die Anerkennungsfähigkeit des Musterentscheids im Ausland nach den einschlägigen Regelungen des Internationalen Zivilprozessrechts bzw. des Europäischen Zivilprozessrechts richtet (Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 40, 42) und dem deutschen Gesetzgeber insoweit die Gesetzgebungskompetenz fehlt (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 44). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Anerkennungsfähigkeit von der prozessualen Qualifikation der Wirkungen des Musterentscheids abhängt, vgl. Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (168 f.). Auch der Standort der Vorschrift ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. Es sei irreführend, auf § 16 KapMuG gerade innerhalb der Regeln über Rechtskrafterstreckung hinzuweisen, da eine solche weder intendiert sei noch tatsächlich vorläge (MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 8 a. E.; ähnlich KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 1 Fn. 3). 17 BT-Drs. 15/5091, S. 34.
224
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
wird im Schrifttum auf Grund seines Charakters als Zwischenentscheidung18 zu Recht stark bezweifelt.19
B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung § 16 KapMuG enthält unterschiedliche Ausprägungen der Rechtswirkungen des Musterentscheids. Abs. 1 der Vorschrift sieht sowohl eine innerprozessuale Bindungswirkung, die Rechtskraftfähigkeit sowie eine interventionsähnliche Rechtswirkung vor. Hinzu kommt das neuartige prozessuale Konzept, bereits einzelne Entscheidungselemente einer verbindlichen Klärung zuzuführen. Diese Umstände haben zu Unklarheiten in zweierlei Hinsicht geführt. Zunächst wird die Antwort auf die Frage, welche Rechtsnatur der oberlandesgerichtlichen Entscheidung insbesondere im Verhältnis zu den Musterverfahrensparteien und den Beigeladenen zuzuschreiben sind, uneinheitlich beantwortet.20 Damit einhergehend besteht Uneinigkeit hinsichtlich der objektiven Reichweite der in § 16 Abs. 1 Satz 1 bis Satz 3 KapMuG angeordneten Bindungen. Zwar ist § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG zu entnehmen, dass im Verhältnis zu den Beigeladenen auch die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den einzelnen Streitpunkten verbindlich sind. Durch die in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ausdrücklich angeordnete Rechtskraftfähigkeit des Musterentscheids ist aber fraglich, ob dies auch für die Musterverfahrensparteien gilt. In Parallele zu § 322 Abs. 1 ZPO wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertreten, nur der Ausspruch zum Feststellungsziel, nicht jedoch die Feststellungen zu den einzelnen Streitpunkten
18 Ausführlich zur Anerkennung von Zwischenentscheidungen Zöller/Geimer, ZPO, Anh I Art. 32 EG-VO Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) Rn. 11 (dort die Anerkennungsfähigkeit der erweiterten Feststellungswirkungen des Musterentscheids nach § 325a ZPO i.V. m. § 16 KapMuG bejahend; zu den Gegenansichten vgl. Fn. 19); ders./ Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, A.1 Art. 32 Rn. 16 ff.; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 32 Rn. 24; Rauscher/Leible, Europäische Zivilprozessordnung, Brüssel I – VO Rn. 1 ff.; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 32 EuGVVO Rn. 2 ff., insbesondere Rn. 7 f. 19 MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 4 und 8; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 40 ff., insbesondere Rn. 43 und 45; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (115); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 3; a. A. Zöller/Geimer, ZPO, Anh I Art. 32 EG-VO Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) Rn.11; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 37; ders., WM 2004, 2329 (2332); Reuschle, KapMuG, S. 44. 20 Die Ausgestaltung des § 16 KapMuG ist in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen, vgl. Hess, WM 2004, 2329 (2332); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (145); Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (113); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 674 f.; C. Wolf, NJW-Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposium, S. 17; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 43 f.; vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, § 325a Rn. 14.
B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung
225
entfalte gegenüber diesen eine verbindliche Wirkung.21 Hiernach wären die Beigeladenen – abgesehen von den Fällen des § 16 Abs. 2 KapMuG – weitergehend an die oberlandesgerichtliche Entscheidung gebunden als die Musterverfahrensparteien. Umgekehrt möchten einige Stimmen in der Literatur dem im Vorlagebeschluss enthaltenen Feststellungsziel mit Blick auf § 4 Abs. 1 KapMuG lediglich eine Bündelungsfunktion zuschreiben und die Rechtswirkung nach § 16 KapMuG ausschließlich für die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten anerkennen.22 Eine vermittelnde Ansicht schreibt schließlich sowohl den oberlandesgerichtlichen Feststellungen zum Feststellungsziel als auch zu den vorgebrachten Streitpunkte bzw. sonstigen Tatsachen gleichermaßen eine bindende Wirkung gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG für die Musterverfahrensparteien zu.23 Der folgende Abschnitt verschafft einen Überblick über den diesbezüglichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur. Der Fokus ist auf die objektive Reichweite der Bindungswirkung gerichtet. Es gilt zu untersuchen, welche Bindungsumfang unter Berücksichtigung des Zwecks des KapMuG gerechtfertigt und erforderlich ist. Daran anschließend können die von § 16 KapMuG angeordneten Bindungswirkungen rechtlich eingeordnet werden. Betreffend die Beigeladenen liefert das Gesetz selbst in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG einige Vorgaben. Auslegungsunsicherheiten bestehen vor allem im Umgang mit der in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordneten Rechtskraftfähigkeit. Die Regelung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG bildet dementsprechend den Ausgangspunkt der Darstellung. Nachfolgendes Beispiel soll jeweils die Auswirkungen der verschiedenen Auffassungen illustrieren. Beispiel 28: Das Oberlandesgericht kam entsprechend dem Ersuchen der Anleger zu dem Ergebnis, dass der Börsenzulassungsprospekt i. S. d. § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG fehlerhaft ist (Feststellungsziel, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG), weil die in ihm enthaltene Darstellung der Geschäftsaussichten24 unrichtig sowie der darin wiedergegebene Jahresabschluss gefälscht25 sind (Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG).
21 LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 8, 21 ff.; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 6, 9 sowie § 16 Rn. 6 ff. 22 KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 4 ff.; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 ff.). 23 Gansel/Gängel, JZ 2006, 13 (15); Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164 sowie 172 ff.); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148 f. und 155); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2; vgl. ferner B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 24 Zur Einordnung als wesentlich i. S. d. § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 13/8933, S. 76. 25 Vgl. Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.89; KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 25.
226
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
I. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG umfasst nur das im Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungsziel Das Landgericht Stuttgart knüpft zur Bestimmung des objektiven Bindungsumfangs an die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG an. Sie regelt, dass der Musterentscheid der Rechtskraft insoweit fähig ist, als über den Streitgegenstand des Musterverfahrens entschieden ist. Nach Auffassung des Landgerichts Stuttgart ergibt sich der Gegenstand des KapMuG-Verfahrens aus der Parallele zum Streitgegenstandsbegriff der ZPO. Das Feststellungsziel sei dem Antrag vergleichbar, die Streitpunkte entsprächen dem antragsbegründenden Lebenssachverhalt. Aus diesem Vergleich folgert das Landgericht Stuttgart, dass im Musterverfahren nicht über die Feststellung einzelner Streitpunkte entschieden wird. Gegenstand des Musterentscheids sei vielmehr die Entscheidung über das Feststellungsziel. Dies würde sich aus § 14 Abs. 1 i.V. m. § 4 Abs. 1 KapMuG ergeben. Die Streitpunkte könnten nur dann verbindlich festgestellt werden, wenn sie ausnahmsweise selbst als Feststellungsziel formuliert sind.26 Das Landgericht Stuttgart räumt allerdings ein, dass dies regelmäßig nicht der Fall sein könnte, weil die Streitpunkte als tatsächliche Begründungselemente gerade nicht mit einer Anspruchsvoraussetzung identisch sind. Nach Sinn und Zweck des KapMuG sei es ausreichend, eine bindende Entscheidung unmittelbar nur über Anspruchsvoraussetzungen herbeizuführen. Zudem sehe die Konzeption des Gesetzgebers eine Feststellung des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Tenor des Musterentscheids nicht vor. Letztere dürfte sich folglich gemäß § 14 KapMuG auf das im Vorlagebeschluss niedergelegte Feststellungsziel beschränken.27 Auch Dieter Leipold setzt das im Vorlagebeschluss enthaltene Feststellungsziel mit dem Antrag im Sinne des herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsverständnisses gleich. Er folgert aus der allgemeinen Regel des § 322 Abs. 1 ZPO i.V. m. der Anordnung der Rechtskraftfähigkeit in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, dass die Entscheidung über das Feststellungsziel, wie es sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, zwischen den Musterverfahrensparteien in Rechtskraft erwächst.28 Der Umstand, dass im Musterentscheid verbindliche Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen sowohl unter Einschluss einer Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal als auch in Gestalt reiner Tatsachenfeststellungen erfolgen könnten bzw. die Klärung von Rechtsfragen enthalten sein könnte, ergäbe sich aus dem besonderen Entscheidungsgegenstand. Hingegen würde sich die Rechtskraft des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nicht auf die weiteren Feststellungen in den Entscheidungsgründen erstrecken.29 Die tatsächlichen und rechtlichen Feststel26 27 28 29
Vgl. insoweit auch BGH ZIP 2008, 1326 (1328). LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178). Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 8 sowie Rn. 21 f. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22 f.
B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung
227
lungen, die das Feststellungsziel ausmachen, seien allerdings in den Entscheidungsausspruch aufzunehmen.30 Letztlich würde sich die objektive Reichweite der Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG deshalb nicht von der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG angeordneten rechtskraftähnlichen Bindung sui generis31 gegenüber den Beigeladenen unterscheiden.32 Ähnlich sind für Christian Wolf nur die Ergebnisse zum Feststellungsziel in den Tenor aufzunehmen, also, dass die den Verfahrensgegenstand bildende Anspruchsvoraussetzung gegeben ist oder nicht vorliegt.33 Auch er vertritt der Ansicht, die Bindungswirkung erfasse nicht die einzelnen Streitpunkte, sondern nur das Feststellungsziel.34 Ihren maßgeblichen Anknüpfungspunkt verortet er allerdings anders als das Landgericht Stuttgart und Dieter Leipold jedenfalls für innerstaatliche Verfahren in § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.35 Zudem dürfte dem Musterentscheid auf Grund seines Charakters als Vorlageentscheidung entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG keine Rechtskraftwirkung, sondern lediglich Bindungswirkung im Ausgangsverfahren zukommen. Der Gesetzgeber hätte sich bei Schaffung des § 322 ZPO bewusst von der Elementen-Lehre Savignys36 abgekehrt.37 Aus dieser Sichtweise ist für obiges Beispiel 28 (S. 225) zu folgern, dass nur der oberlandesgerichtliche Ausspruch über das Feststellungsziel „Prospektunrichtigkeit“ gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG Rechtskraft wirkt bzw. nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Bindungswirkung entfaltet, nicht hingegen die Feststellungen zu den unrichtigkeitsbegründenden Streitpunkten.38 Der Tenor des Musterentscheids müsste lauten: „Es wird festgestellt, dass der Börsenzulassungsprospekt unrichtig ist.“ 39
30
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 8 sowie Rn. 31. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 28 ff., insbesondere Rn. 32. 32 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 31. 33 Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 6. 34 Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 14 Rn. 9 sowie § 16 Rn. 6 ff. 35 Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 3. 36 Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 350 ff. sowie S. 429 ff. 37 Zu Recht merkt allerdings Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148), an, dass eine der Rechtskraft fähige Entscheidung Rechtskraft wirkt und diese Bindung nicht auf die Anerkennungsfähigkeit im Ausland beschränkt werden kann. 38 Widersprüchlich diesbezüglich jedoch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, Rn. 22 einerseits und Rn. 31 andererseits. 39 Vgl. zur Trennung zwischen Tenor und Gründen bei zu begründenden Beschlüssen MüKo/Musielak, ZPO, § 329 Rn. 2; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 329 Rn. 6; AK/Wassermann, ZPO, § 329 Rn. 6. 31
228
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
II. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG erstreckt sich auf die tatsächlichen Streitpunkte Max Vollkommer 40, Timo Gansel und Andreas Gängel 41 gehen davon aus, dass die Bindungswirkung des Musterentscheids sowohl das Feststellungsziel als auch „stets alle tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Feststellungsziels und der dazu geltend gemachten Streitpunkte“ 42 bzw. die „festgestellten Tatsachen“ erfasst.43 Während sich Timo Gansel und Andreas Gängel nicht zur Rechtsnatur der objektiven Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG äußern, „knüpft“ sie für Max Vollkommer an die Rechtskraft an, die aber auf Grund des Streitgegenstands des Musterverfahrens weit über das herkömmliche, § 322 ZPO zu Grunde liegende Verständnis hinausgehe. Martin Gebauer und Wolfgang Lüke sehen hingegen in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG eine ausdrückliche Anordnung der Rechtskraft des Musterentscheids, die sowohl das Feststellungsziel als auch die Streitpunkte umfasse.44 Allerdings würde sich dies nicht aus einer Erstreckung der Rechtskraft auf die dem Feststellungsziel zu Grunde liegenden Entscheidungselemente ergeben. Vielmehr gelangt Wolfgang Lüke zu diesem Ergebnis, indem er Feststellungsziel und Streitpunkte gleichsetzt und sodann auf den Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG verweist. Die Vorschrift mache Tatsachenfeststellungen ausdrücklich zum Gegenstand der Rechtskraft.45 Ähnlich ist für Martin Gebauer auf Ebene des in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG niedergelegten Streitgegenstands des Musterverfahrens eine klare Grenzziehung zwischen dem Subsumtionsschluss einerseits und seinen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen andererseits, wie sie zur Bestimmung des objektiven Rechtskraftumfangs bei § 322 Abs. 1 ZPO erfolgen muss, nicht mehr möglich. Die Einbeziehung der tatsächlichen, das Feststellungsziel begründenden, Umstände in den Bindungsumfang nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG erfordere deshalb keine Erstreckung der Rechtskraft auf die tatsächlichen Elemente. Sie ergäbe sich bereits „aus dem sonderbaren Streitgegenstand des Musterfeststellungsverfahrens“ 46, der auf Elemente eines Rechtsverhältnisses beschränkt ist.47 Im Verhältnis zu den Beigeladenen hätte es dementsprechend nicht 40
Zöller/M. Vollkommer, § 325a Rn. 2. Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (15). 42 Zöller/M. Vollkommer, § 325a Rn. 2 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 43 Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (15). 44 Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (164, vgl. ferner 172 f.); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148 f.), allerdings zweifelnd hinsichtlich einer Rechtskraftbindung an Rechtsfragen. Ebenso offenbar B. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 45 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148) sowie insbesondere den in Fn. 73 enthaltenen Verweis auf die Ausführungen von Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (103 f.) zur verbindlichen Feststellungsfähigkeit der Streitpunkte. 46 Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (172). 47 Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (172 f.). 41
B. Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur der Bindungswirkung
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der Annahme einer Beiladungs- oder Interventionswirkung bedurft, weil deren Bindung an den Musterentscheid am ehesten der subjektiven Rechtskrafterstreckung entspräche.48 In dem Beispiel 28 von S. 225 hätte sowohl die oberlandesgerichtliche Feststellung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals der Prospektfehlerhaftigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG als zumindest49 auch die Feststellungen zu den konkreten Streitpunkten (rechtskräftig) bindende Wirkung. Im Tenor des Musterentscheids wäre nicht nur die Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts auszusprechen. Er müsste zudem die Feststellung umfassen, dass die Darstellung der Geschäftsaussichten unrichtig und ein gefälschter Jahresabschluss wiedergegeben ist.
III. Die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 bis 3 KapMuG ist generell auf die tatsächlichen Streitpunkte begrenzt Georg Maier-Reimer, Hans-Ulrich Wilsing50 sowie Burkhard Hess51 vertreten die Auffassung, der Musterentscheid dürfte bindend allein über die konkret geltend gemachten Streitpunkte, nicht jedoch über die abstrakt als Feststellungsziel formulierte(n) Anspruchsvoraussetzung(en) selbst befinden. Demzufolge hätte das Oberlandesgericht in obigem Beispiel 28 auf S. 225 im Tenor des Musterentscheids nicht die Prospektunrichtigkeit festzustellen. Vielmehr wäre der verbindliche Ausspruch auf die Feststellung zu beschränken, dass die gerügten Prospektfehler (unrichtige Darstellung der Geschäftsaussichten, Wiedergabe eines gefälschten Jahresabschlusses) vorliegen. Zur Rechtsnatur dieser Wirkung des § 16 KapMuG äußern sich Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing nicht. Demgegenüber greift Burkhard Hess auf die in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordnete Rechtskraftwirkung im Verhältnis zu den Musterverfahrensparteien zurück.52
48 Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (173 ff., insbesondere 175); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (155). 49 Gemäß M. Vollkommer müssten wohl die Feststellungen zu den die Streitpunkte ausmachenden Einzeltatsachen ebenfalls Bindungswirkung entfalten, da genau genommen nur dann von „allen tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Feststellungsziels und der dazu geltend gemachten Streitpunkte“ (Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2) gesprochen werden kann. Unklar bleibt allerdings, welche Entscheidungselemente nicht am rechtskraftfähigen Ausspruch teilnehmen. 50 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (105). 51 KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6. 52 KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 4 ff., der jedoch hinsichtlich der Bindung für die Musterverfahrensparteien maßgeblich auf § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG abstellt und betont, dass es für diese innerprozessuale Verbindlichkeit des Musterentscheids der Anordnung einer Rechtskraftbindung nicht bedurft hätte (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 3 f.).
230
§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
Georg Maier-Reimer und Hans-Ulrich Wilsing verweisen auf den Sinn und Zweck des Musterentscheids sowie das Gebot der Waffengleichheit. § 13 Abs. 1 KapMuG würde klarstellen, dass der Musterentscheid eine Feststellung zu den einzelnen Streitpunkten zu treffen habe. Dies sei sachgerecht, weil der einzelne Kläger nur so zuverlässig beurteilen könnte, ob und ggf. in welcher Höhe sein Anspruch besteht.53 Zum Beispiel würde sich im Falle der Prospekthaftung nach § 44 BörsG nur anhand der konkret festgestellten Prospektfehler die anspruchsausschließende Kenntnis des Klägers, § 45 Abs. 2 Nr. 3 BörsG, oder die Kursrelevanz i. S. d. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BörsG feststellen lassen. Es widerspräche dem Gebot der Waffengleichheit, würde der Musterentscheid im Tenor nur abstrakt die Fehlerhaftigkeit des Prospekts bestätigen. Wäre das Oberlandesgericht in den Gründen des Musterentscheids nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass nur einige der gerügten Prospektfehler vorliegen, andere aber nicht, so könnte für letztere keine Bindung eintreten. Diese tragen das festgestellte Gesamtergebnis „Prospektunrichtigkeit“ nicht. Allerdings wird die Feststellung betreffend das Nichtvorliegen einiger Prospektfehler für weitere Tatbestandsmerkmale der Haftung aus § 44 BörsG, die nicht Bestandteil der Verhandlung im Musterverfahren sind, relevant. Sie tangiert Fragen der möglichen Kenntnis des Klägers, der Kursrelevanz oder der Kausalität. Eine diesbezügliche Bindungswirkung zu Gunsten des Beklagten sei deshalb unerlässlich. Er wäre andernfalls benachteiligt, könnte eine Bindungswirkung zu seinem Vorteil doch nur eintreten, wenn alle behaupteten Prospektfehler verneint würden, mithin das klägerische Ersuchen um die Feststellung der Prospektunrichtigkeit insgesamt keinen Erfolg hätte. Folglich sei im Tenor des Musterentscheids verbindlich festzuhalten, welche der behaupteten Prospektfehler vorliegen und welche nicht.54 Dessen Bindungswirkung müsse sich zugleich auf den Ausspruch zu den geltend gemachten Streitpunkten beschränken. Burkhard Hess erblickt in der mit diesem Ergebnis verbundenen Erweiterung der Rechtskraft gegenüber § 322 Abs. 1 ZPO keinen Systembruch. Schließlich würde auch im Falle der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO die rechtskräftige Feststellung präjudizieller Rechtsverhältnisse zumeist nur eine Bindung an einzelne Tatbestandsmerkmale im Zweitprozess bewirken.55 Die objektive Reichweite der Rechtskraft des Musterentscheids sei von der Kanalisierungswirkung des Musterverfahrens gemäß § 2 Abs. 1 Satz 5, § 4 Abs. 2 KapMuG zu unterscheiden. Nur für letztere würde das Feststellungsziel relevant, weil es die umfassende Sperrwirkung nach § 5 und§ 7 KapMuG auslöse. Der Musterentscheid müsste sodann den globalen Streitgegenstand des oberlandesgerichtli-
53 54 55
Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104). Vgl. insoweit auch die Tenorierungsbeispiele ders., ZGR 2006, 79 (106). KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 5.
C. Eigener Ansatz
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chen Verfahrens auf die individuellen Streitpunkte zurückführen, damit die Sperrwirkung wieder entfiele.56
C. Eigener Ansatz I. Eigener Ansatz zur Bestimmung der objektiven Reichweite der in § 16 KapMuG angeordneten Bindungswirkungen § 16 KapMuG ordnet unterschiedliche Wirkungen des Musterentscheids an, je nachdem welche prozessuale Konstellation er erfassen soll. Die verwendeten Begriffe – vor allem im Hinblick auf die Musterverfahrensparteien, die Rechtskraftfähigkeit, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG und im Hinblick auf die Beigeladenen, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG, die Rechtskrafterstreckung oder interventionsgleiche Bindungswirkung – geben den objektiven Bindungsumfang nicht zwingend vor. Er ist vielmehr wertend nach teleologischen Gesichtspunkten zu ermitteln. Es gilt, den objektiven Gesetzeszweck des KapMuG zu verwirklichen. Für die Anerkennung rein objektiver, d.h. vom Gesetzgeber so nicht (explizit) beabsichtigter Gesetzeszwecke spricht sich die in der Rechtstheorie wohl herrschende Ansicht aus.57 Folgt man dieser zutreffenden Auffassung, so ist vornehmlich nach den möglichen Auswirkungen in den Folgeprozessen zu fragen. Die verschiedenen Verfahrenssituationen müssen das entscheidende Kriterium für den objektiven Bindungsumfang bilden.58 Zu differenzieren ist zunächst zwischen der Wirkung für die Musterverfahrensparteien einerseits und für die Beigeladenen andererseits. Hinsichtlich der Bindung des Prozessgerichts ist zu berücksichtigen, dass sich diese nicht über die zuvor ermittelten Grenzen für die Musterverfahrensbeteiligten hinwegsetzen kann.59 Es ist jeweils danach zu fragen, welche objektive Reichweite der Bindung sinnvoll und erforderlich ist. Aus der gesetzlichen Terminologie allein lassen sich noch keine zwingenden Rückschlüsse auf den materiellrechtlichen Gehalt von Normen ziehen. Es gilt zunächst, im Wege der Auslegung festzustellen, welchen 56
KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6. Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 332 ff.; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 4 ff.; vgl. ferner Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 453 ff.: „Prozessrecht legt man nicht anders aus als Zivilrecht“; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 6. Eingehend zum diesbezüglichen Meinungsstand Hassold, ZZP 94 (1981), 192 (193 ff.). 58 I. E. zutreffend KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 8 ff. Anders Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 15 ff.; Maier-Reimer/Hans-Ulrich Wilsing, ZGR 2006, 79 (104 ff.); Rau, KapMuG, S. 234 ff.; und vor allem Siller, Kapitalmarktrecht, S. 147, der ohne nähere Begründung überhaupt nur davon spricht, dass sich „die Rechtskraft [. . .] auch auf andere Kläger erstreckt“; damit meint er offenbar die zum Musterverfahren Beigeladenen. 59 Zutreffend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19. Anders offenbar KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 3 ff.; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 3 f. 57
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
objektiven Umfang die normierten Wirkungen des Musterentscheids jeweils tatsächlich haben. Steht der im Wege der Auslegung ermittelte Norminhalt fest, sind die objektiven Bindungswirkungen des Musterentscheids mit Instituten der ZPO in Bezug zu setzen.60 Im Verhältnis zu den Musterverfahrensparteien hat sich der Gesetzgeber bereits auf die zivilprozessuale Rechtskraftwirkung festgelegt, ohne jedoch deren Inhalt und Reichweite näher zu regeln. Es gilt damit festzustellen, inwieweit es sich ausgehend von dem ermittelten zweckmäßigen und notwendigen Bindungsumfang wirklich um das gewöhnliche, dem § 322 Abs. 1 ZPO zugrunde liegende, Verständnis von der Rechtskraftwirkung handelt.61 Zugleich ist zu untersuchen, welche Auswirkungen sich aus dieser Anordnung in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf der Rechtsfolgenseite für den materiellrechtlichen Gehalt der Regelung ergeben. Demgegenüber trifft § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG nur Aussagen zu der gesetzgeberisch erwünschten Reichweite der Wirkung des Musterentscheids für die Beigeladenen. Es muss ein Vergleich zu ähnlichen zivilprozessualen Instituten gezogen werden. Die Wirkungen des Musterentscheids im Verhältnis zu den Beigeladenen werden sich diesen sodann entweder zuordnen lassen oder sind von ihnen abzugrenzen.
II. Wirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG 1. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, § 322 Abs. 1 ZPO und § 325a ZPO als Ausgangspunkt Nach 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ist der Beschluss des Oberlandesgerichts im Verhältnis zu den Musterverfahrensparteien „der Rechtskraft insoweit fähig, als über den Streitgegenstand des Musterverfahrens entschieden ist“. Diese Außenwirkung stellt § 325a ZPO klar.62 Der Gesetzgeber wollte durch diese Ausgestaltung und den deutlichen Hinweis auf die „weitergehenden Wirkungen des Musterentscheids“ in der Zivilprozessordnung vornehmlich dessen Anerkennungsfähigkeit im Ausland sicherstellen, für die eine innerprozessuale Bindungswirkung 60 Anders Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (133), der von der rechtlichen Qualifizierung auf den Umfang der Bindungswirkung schließen will. 61 Abweichend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22 ff., der nicht den sinnvollen und erforderlichen Bindungsumfang unter Berücksichtigung der besonderen Zielsetzung des KapMuG in den Mittelpunkt rückt, sondern insoweit auf die allgemeine Regel des § 322 Abs. 1 ZPO zurückgreift. 62 Die Vorschrift soll den Gerichten anderer Mitgliedsstaaten im Europäischen Justizraum die Anerkennungsfähigkeit des Musterentscheids verdeutlichen, BT-Drs. 15/5091, S. 34; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 4 Fn. 11.
C. Eigener Ansatz
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nicht genügt.63 Gleichwohl beschränkt sich die Bedeutung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nicht hierauf, sondern betrifft innerstaatliche Verfahren gleichermaßen.64 Zum einen wirkt eine der Rechtskraft fähige Entscheidung Rechtskraft und diese Wirkung kann nicht auf die Anerkennung im Ausland beschränkt werden.65 Zum anderen liegt dem Musterverfahren ein besonderer, mit dem Gegenstand in den Individualverfahren nicht vergleichbarer, Streitgenstand zu Grunde. Der Entscheidung über ihn wollte der Gesetzgeber ausdrücklich Rechtskraft verleihen.66 Die stellt § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG unmissverständlich klar.67 Die sprachliche Fassung von § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG orientiert sich an der Norm des § 322 Abs. 1 ZPO.68 Anknüpfungspunkt für die in dieser Vorschrift der ZPO umschriebenen objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft ist der Streitgegenstand, der durch den klägerischen Antrag individualisiert wird.69 In Rechtskraft i. S. d. § 322 Abs. 1 ZPO erwächst nur der Entscheidungssatz, also der Subsumtionsschluss, nicht hingegen die Urteilselemente, also die tatsächlichen und rechtlichen Zwischenergebnisse, die Einzelglieder des Subsumtionsschlusses, auf denen die Entscheidung aufbaut.70 Das KapMuG zielt jedoch gerade nicht auf den oberlandesgerichtlichen Ausspruch eines Subsumtionsschlusses im vorgenannten Sinne ab, also darauf, ob der geltend gemachte Anspruch auf Grund der festgestellten erheblichen Tatsachen und der in den Entscheidungsgründen enthaltenen Rechtsanwendung begründet oder unbegründet sei71. Vielmehr ist der Gegenstand der Musterentscheidung und damit der Gegenstand der Rechtskraft, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, 63
BT-Drs. 15/5091, S. 30 und S. 34. Vgl. hierzu bereits Fn. 16. Vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 21; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). Dies räumt letztlich auch KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 4 ff., ein, der allerdings in § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG die zentrale Bestimmung des KapMuG sieht, weil diese Vorschrift die innerprozessuale Verbindlichkeit des Musterentscheids für sämtliche ausgesetzten Verfahren anordne. Anders Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 1, für den sich die Bindungswirkung „unmittelbar aus § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG“ ergibt. Unklar Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (163 ff.). 65 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). 66 BT-Drs. 15/5091, S. 30, 34; vgl. ferner S. 49. 67 Vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 21; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). 68 Vgl. Lüke, ZZP (119) 2006, 131 (148); Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (113). 69 Vgl. BGHZ 124, 164 (166); 85, 367 (373 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 1 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 92 ff.; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (132); Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 83 ff., insbesondere S. 112; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 35. 70 Vgl. BGH NJW 1995, 967; NJW-RR 1990, 701 (702); 1987, 525 (525 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 6 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 70 ff., insbesondere Rn. 71; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (132); Musielak/Musielak, ZPO § 322 Rn. 16; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 31. 71 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 7 f. 64
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
von vornherein auf einzelne Glieder des Subsumtionsschlusses, nämlich Feststellungen zu Tatsachen bzw. einzelnen Anspruchs- und Entscheidungselementen, begrenzt. Die entscheidende Frage ist deshalb, ob die dem § 322 Abs. 1 ZPO anhaftende Differenzierung zwischen dem Subsumtionsschluss einerseits und seinen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen andererseits systematisch auf die Ebene des Musterentscheids und die Bestimmung seines Bindungsumfangs übertragbar ist.72 Mit anderen Worten: Es ist danach zu fragen, ob die Besonderheit des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands allein in dem auf einzelne Entscheidungselemente eines Rechtsverhältnisses beschränkten Prüfungsumfang des Oberlandesgerichts zu sehen ist oder die „weitergehenden Wirkungen des Musterentscheids“ i. S. d. § 325a ZPO sogar auf eine Auflösung der dem § 322 Abs. 1 ZPO immanenten systematischen Trennung zwischen Subsumtionsschluss einerseits und seinen Einzelbestandteilen andererseits abzielen.73 Für erstere Interpretation ließe sich das zwischen dem Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und den Streitpunkten i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG grundsätzlich bestehende Zu- bzw. Unterordnungsverhältnis anführen.74 Auch könnte hierfür der Umstand sprechen, dass nur das Feststellungsziel den Verfahrensgegenstand des Musterprozesses bestimmt, um diesem entsprechend dem Zweck des KapMuG eine möglichst umfassende Reichweite zu verleihen.75 In Anlehnung an die dem § 322 Abs. 1 ZPO zugrunde gelegte Trennung dürfte dann konsequenterweise nur die Entscheidung über das Feststellungsziel, nicht aber die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten, als Begründungselemente des Feststellungsziels Rechtskraft wirken. Dies würde jedoch voraussetzen, dass der in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angesprochene besondere Entscheidungsgegenstand des Musterverfahrens mit dessen 72 Dagegen Gebauer, ZZP 119 (2006), 151 (173). Ähnlich Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148) und i. E. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22 sowie vor allem Rn. 31. 73 Abweichend insoweit Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (167), der davon ausgeht, dass mit den in § 325a ZPO angesprochenen, „weitergehenden Wirkungen“ wohl nur solche gemeint sein können, die über die Rechtskraftbindung der Parteien hinausgehen, also auch die Beigeladenen betreffen. Ebenso offenbar Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675. 74 Vgl. hierzu S. 66 ff. und 69. 75 Hierzu bereits ausführlich S. 110 ff. Die Einbeziehung der Streitpunkte bzw. des Lebenssachverhalts in die Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands würde zwangsläufig zu einer Verengung des Begriffs führen; die Streitpunkte als substantiierende Sondermenge des Lebenssachverhalts stellen gegenüber dem Feststellungsziel systematisch kleinere Einzelelemente dar. Ihre Teilnahme am Verfahrensgegenstand hätte deshalb entgegen der gesetzgeberischen Intention eine Zersplitterung des durch das Feststellungsziel umschriebenen einheitlichen Verfahrensgegenstands in verschiedene Einzelgegenstände zur Folge. Vgl. hierzu detaillierter S. 111 f. Zum relativen Streitgegenstandsbegriff in der ZPO vgl. die Nachweise in § 3 Fn. 17.
C. Eigener Ansatz
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Streitgegenstand identisch ist. Zudem dürfte keine besondere Notwendigkeit bestehen, die es rechtfertigt, in Abweichung von der Systematik des § 322 Abs. 1 ZPO die Streitpunkte ebenfalls zu dem gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatz zu rechnen.76 Rechtskräftige Bindung bedeutet Übernahme des Entscheidungsinhalts in ein anderes Verfahren und folglich den Ausschluss der Überprüfbarkeit ihrer Richtigkeit.77 Entscheidend und im Folgenden zu klären ist deshalb, in welchem Umfang der Sinn und Zweck des KapMuG gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG eine verbindliche Übernahme der im Musterverfahren getroffenen Feststellungen in das ausgesetzte Individualverfahren der Musterverfahrensparteien erfordert. In einem zweiten Schritt ist der gefundene notwendige Inhalt des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands mit der objektiven Reichweite der zivilprozessualen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO zu vergleichen. 2. Notwendiger und sinnvoller objektiver Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG a) Notwendigkeit der Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ordnet an, dass gegenüber den Parteien eine rechtskräftige Bindung in dem Umfang eintreten soll, in dem über den Streitgegenstand des Musterverfahrens entschieden ist. Die inhaltlichen Grenzen des Musterstreitgegenstands wurden an anderer Stelle bereits ausführlich erörtert.78 Durch sie erfährt die objektive Reichweite der Rechtskraft des Musterentscheids zwangsläufig eine Begrenzung. Hinzu treten die Grenzen, welche die Musterverfahrensbeteiligten dem Oberlandesgericht durch die Formulierung des globalen im Vorlagebeschluss niedergelegten Feststellungsersuchens auferlegt haben. aa) Rechtskraft bezüglich des Feststellungsziels i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG Das Feststellungsziel kann nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 KapMuG auf kein größeres, gleichzeitig aber auch nur ausnahmsweise auf ein kleineres79, Entschei76 So i. E. BT-Drs. 15/5695, S. 25. Im Kern geht es damit zunächst sehr wohl um die Dogmatik und Systematik von Streitgegenstand und Rechtskraft. Verfehlt Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 5; dies kritisiert auch KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 9 Fn. 32, an anderer Stelle heftig. Er merkt zutreffend an, dass dem Gesetzgeber bei Schaffung des KapMuG gerade die Ordnungsaufgabe oblag, den kollektiven Rechtsbehelf in die Zwei-Parteien-Struktur des deutschen Zivilprozessrechts systematisch einzupassen. 77 Lüke, JuS 2000, 1042. 78 Hierzu S. 108 bis 121. 79 Vgl. hierzu ausführlich S. 70 ff.
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dungselement als das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines oder mehrerer Tatbestandsmerkmale gerichtet sein. Das Oberlandesgericht muss nicht nur die einzelnen Streitpunkte verbindlich klären, sondern zudem aus diesen den erforderlichen Subsumtionsschluss auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der streitigen Anspruchsvoraussetzung ziehen. Das Ergebnis dieser oberlandesgerichtlichen Subsumtion erwächst in Rechtskraft.80 Beispiel 29 81: Das Feststellungsziel des Musterverfahrens war darauf gerichtet, das Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation – hier das vorzeitige Ausscheiden des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden V –, vgl. 37b Abs. 1 WpHG, festzustellen. Hinsichtlich der tatsächlichen Hintergründe für das Ausscheiden ist zwischen den Musterverfahrensparteien insbesondere streitig gewesen, ob und wann V einseitig seinen definitiven Rücktritt erklärt hatte bzw. eine einvernehmliche Aufhebung der Bestellung erfolgt war und es zu der für deren Wirksamkeit erforderlichen Beschlussfassung durch den gesamten Aufsichtsrat kam. Das Oberlandesgericht verneinte im Musterentscheid die begehrte Feststellung, weil das Unternehmen die Insiderinformation des Ausscheidens von V unverzüglich nach Ergehen des für eine einvernehmliche Aufhebung der Bestellung notwendigen Aufsichtsratsbeschlusses veröffentlicht hätte.
Nur wenn im Musterverfahren eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über das Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals des § 37b Abs. 1 WpHG ergeht, kann und muss das Prozessgericht dieses Ergebnis ohne weitere Prüfung dem eigenen Urteilsspruch über das Hauptsacheverfahren zu Grund legen.82 Andernfalls müssten die Prozessgerichte in jedem einzelnen Verfahren aus den festge80 Es ist offensichtlich, dass der Sinn und Zweck des KapMuG nicht darin bestehen kann, den Verfahrensgegenstand durch eine Begrenzung des Feststellungsziels auf Einzeltatsachen (z. B. eine konkrete Prospektangabe) möglichst schlank zu halten und sodann die Verbindlichkeit der oberlandesgerichtlichen Entscheidung nur für die einzelnen Elemente dieser Tatsachenfeststellung anzuerkennen (also nicht die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der konkreten Prospektangabe selbst, sondern nur die dieser Schlussfolgerung zu Grunde liegenden tatsächlichen Einzelumstände). So aber KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6 f. sowie Rn. 10 bzgl. der Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Bei einem auf die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den konkret vorgebrachten Streitpunkten beschränkten Rechtskraftumfang wäre das Potential des KapMuG entgegen der gesetzgeberischen Intention sowie dem objektiven Zweck des KapMuG nicht optimal ausgeschöpft. Dies gilt hinsichtlich der Aspekte der Entlastung der Prozessgerichte und Effizienzsteigerung ebenso wie vor allem im Hinblick auf die breite Klärung mehrfach relevanter Entscheidungselemente und der damit einhergehenden Rechtssicherheit. 81 Vgl. hierzu OLG Stuttgart, Beschluss v. 15. Februar 2006, veröffentlicht im Klageregister (vgl. § 1 Fn. 54) am 28. Februar 2007 (Stand: 1. Oktober 2009), Az.: 901 Kap 1/06 („DaimlerChrysler“) sowie das ebenfalls an diese Entscheidung angelehnte Beispiel 10 auf S. 92; ferner die Nachweise in § 3 Fn. 164. 82 Vgl. auch den Gedanken in Fn. 75.
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stellten Streitpunkten erneut den Schluss ziehen, ob die Beklagte die unverzügliche Veröffentlichung einer Insiderinformation unterlassen hat. Diese Aufgabe kann das mit den Tatsachenfeststellungen befasste Oberlandesgericht für sämtliche Ausgangsstreitigkeiten in einem Arbeitsgang erledigen. Hinzu kommt, dass der Parteiwille regelmäßig nicht nur auf die Feststellung eines konkreten Streitpunkts, sondern auch eines Tatbestandsmerkmals selbst abzielt.83 Noch entscheidender für eine Aufnahme des Feststellungsziels in den Rechtskraftumfang sprechen damit einhergehende Präklusionswirkungen. Eine umfassende und rechtssichere Erledigung des Streitstoffs ist nur durch einen möglichst breiten Entscheidungsgegenstand zu erreichen. Dazu muss das formulierte Feststellungsziel – im Beispiel 29 (S. 236) also die abstrakte Feststellung, dass kein Unterlassen einer unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen vorliegt – in Rechtskraft erwachsen. Nur mit der rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsziel steht zugleich das kontradiktorische Gegenteil fest, nämlich, dass die Beklagte im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden ihre Veröffentlichungspflichten nach § 37b WpHG beachtet hat.84 Die spätere Geltendmachung eines anderen Pflichtverstoßes hinsichtlich der unterlassenen Veröffentlichung würde nur eine neue Begründung für den bereits geltend gemachten prozessualen Anspruch, nicht jedoch einen Veränderung des Feststellungsziels oder Lebenssachverhalts und damit des Streitgegenstands darstellen.85 Über diesen ist durch Musterentscheid bereits rechtskräftig entschieden. Zur Rechtskraftwirkung zählt folglich nicht nur die Verneinung des geltend gemachten Feststellungsziels und aller vorgetragener Pflichtverstöße, sondern ebenso die Präklusion aller Pflichtverstöße, die nicht vorgetragen wurden, obwohl dies den Parteien möglich gewesen wäre.86 Würde sich die Rechtskraft hingegen auf einzelne Streitpunkte beschränken, so stünde nur das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines konkreten Pflichtverstoßes, also einer konkreten Tatsache bindend fest. Die Rechtskraftwirkungen wären entgegen dem breiten Ansatz des KapMuG und der 83
Vgl. auch LG Stuttgart ZIP 2008, 2175 (2178). Vgl. insoweit auch die Ausführungen auf S. 109 f. sowie 112 f. und die Nachweise in § 3 Fn. 92 und 148. Zur Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 1 ZPO hinsichtlich des kontradiktorischen Gegenteils; vgl. zudem Zöller/M. Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 41, und die Nachweise zur Gegenansicht in Rn. 42; ferner Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 105 ff.; Stein/Jonas/Roth, § 256 Rn. 121. 85 So BT-Drs. 15/5091, S. 49. Vgl. zudem BGH NJW-RR 1996, 891 (892). 86 So explizit BT-Drs. 15/5091, S. 49 bzgl. des Anspruchs nach § 44 BörsG. Ebenso, in der Konsequenz allerdings für eine Antragsbeschränkung plädierend, KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114; demgegenüber für eine Beschränkung der Präklusionswirkung Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 104 f. Ebenfalls einschränkend unter Berücksichtigung der Wertung des § 296 Abs. 3 ZPO offenbar Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2 a. E. Vgl. im Hinblick auf § 322 Abs. 1 ZPO zudem BGH NJW 1995, 967 m.w. N.; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 217 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 39 ff.; vgl. hierzu ferner sogleich S. 238 ff. sowie das Beispiel auf S. 238. 84
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gesetzgeberischen Intention auf diese Feststellung reduziert. Das Ziel des Musterprozesses, Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit zu schaffen, ließe sich nur teilweise erreichen, obwohl den Musterverfahrensparteien dort umfassend rechtliches Gehör und Gelegenheit zum Sachvortrag gewährt wurde.87 bb) Rechtskraft bezüglich sämtlicher Streitpunkte i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG Das soeben gefundene Zwischenergebnis, dass die oberlandesgerichtliche Entscheidung über das Feststellungsziel in Rechtskraft erwächst, deckt sich noch mit dem der Vorschrift des § 322 Abs. 1 ZPO zu Grunde liegenden Verständnis vom Umfang der materiellen Rechtskraft. Von diesen für die ZPO anerkannten Grenzen abweichen würde eine Ausdehnung der Rechtskraftwirkungen des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den einzelnen Streitpunkten, den Begründungselementen des Feststellungsziels. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass den Parteien allein mit der abstrakte Feststellung zu einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal zumindest in den Fällen, in denen das Oberlandesgericht sein Vorliegen bejaht, für den weiteren Verlauf des landgerichtlichen Prozesses in der Hauptsache wenig gedient ist.88 Dessen Ausgang hängt in der Mehrzahl der Fälle von Tatsachenfragen ab, die gleichzeitig für verschiedene Tatbestandsmerkmale vorgreiflich sind. Anders ausgedrückt dienen die Streitpunkte meist nicht nur zur Begründung der im Musterverfahren als Feststellungsziel zu klärenden Tatbestandsvoraussetzung. Sie untermauern zugleich Anspruchsvoraussetzungen, die der landgerichtlichen Beurteilung vorbehalten sind. Das Prozessgericht hätte die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten nur dann ohne sachliche Prüfung zu beachten, wenn ihnen Bindungswirkung in Form der Präjudizialität zukommt. Dies setzt voraus, dass auch die Ergebnisse zu den Streitpunkten in Rechtskraft erwachsen. Die Notwendigkeit eines so umfassenden objektiven Bindungsumfangs gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG lässt sich an folgendem Beispiel 30 veranschaulichen. Beispiel 30: Der Musterkläger will vom Musterbeklagten im Haftungsprozess die Rückabwicklung seines Aktienerwerbs erreichen, weil wesentliche Angaben im Börsenzulassungsprospekt unzutreffend seien. 87 Vgl. insoweit den ähnlichen Gedanken bei Baumgärtel, JuS 1974, 69 (74), der den Sinn und Zweck des § 322 ZPO vornehmlich in der Herstellung von Rechtsfrieden sowohl im prozessualen als auch im materiellrechtlichen Bereich und von Rechtssicherheit erblickt. Siehe den Text bei und die Nachweise in § 3 Fn. 127 zur abweichenden Sichtweise. 88 So auch Kilian, KapMuG, S. 49 ff.; KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 113; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104).
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Das auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit, § 44 Abs. 1 BörsG, gerichtete Feststellungsziel im Musterprozess hat der Musterkläger damit begründet, dass die Angaben zur Geschäftstätigkeit der Emittentin sowie die Darstellung über den Entwicklungsfortschritt eines neuen Produkts (Streitpunkte, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG) unzutreffend seien. Das Oberlandesgericht teilte hinsichtlich beider Streitpunkte den klägerischen Standpunkt und stellte dementsprechend im Musterentscheid das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Prospektunrichtigkeit fest.
Die im Beispiel 30 zur Begründung der Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG vorgetragenen Streitpunkte, also die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zum Prospektinhalt, werden zugleich für die Frage nach dem Beklagtenverschulden, § 45 Abs. 1 BörsG, relevant. Daneben spielen sie eine Rolle für die Beurteilung, welche Auswirkungen der unrichtig dargestellte Sachverhalt auf den Börsenkurs hatte, § 45 Abs. 2 Nr.2 BörsG, und ob der Kläger die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit beim Erwerb kannte, § 45 Abs. 2 Nr. 3 BörsG. Ginge man davon aus, dass sich die Rechtskraft des Musterentscheids auf das im Vorlagebeschluss formulierte Feststellungsziel beschränkt, so fände die Präklusion von Tatsachen ihre Grenze in der oberlandesgerichtlichen Feststellung des Vorliegens des abstrakten Tatbestandsmerkmals der Prospektunrichtigkeit. Mit anderen Worten kann das Prozessgericht nicht ohne Weiteres die Feststellungen des Oberlandesgerichts zu den zur Begründung der Prospektunrichtigkeit vorgetragenen Streitpunkten bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 45 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BörsG zu Grunde legen. Die Tatsachenpräklusion als Folge der Rechtskraftwirkung tritt nämlich stets nur bezüglich des Streitgegenstands des Erstprozesses ein, nicht dagegen, wenn dieselbe Tatsache für die Entscheidung über einen anderen Streitgegenstand erheblich wird.89 Erforderlich wäre, dass die Beurteilung des Oberlandesgerichts zu den einzelnen Prospektangaben, mithin des konkreten Prospektinhalts, Bindungswirkung entfaltet. Zunächst könnte daran gedacht werden, dass der oberlandesgerichtlichen Bewertung des Tatsachenmaterials eine gewisse faktische Präjudizwirkung im Sinne einer „informellen Leitbildfunktion“ 90 zukommt.91 Es handelt sich allerdings um eine lediglich abstrakte Urteilskraft, die ihre Grenzen in einem abweichenden 89 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 147; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 68. 90 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 23. 91 So auch Hess, ZIP 2005, 1713 (1716), für die Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 KapMuG. Auch kann wegen fehlender Präklusionswirkung mit der Möglichkeit, im Musterverfahren eingeholte Sachverständigengutachten als Beweis einzuführen, der Gefahr divergierender Tatsachenbeurteilungen nur eingeschränkt begegnet werden. Vgl. allgemein zur Abgrenzung zwischen Präjudizialität und unverbindlichen präjudiziellen Vorfragen Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 119 ff. und 194 ff.; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 94 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 22 ff., v. a. auch Rn. 28.
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Prozessverhalten der ehemaligen Musterverfahrensparteien im Nachverfahren findet. Den Parteien ist es wegen der fehlenden Streitgegenstandsidentität unbenommen, sich auf Tatsachen oder Beweismittel – insbesondere auch solcher, die zum Zeitpunkt des Musterverfahrens objektiv bereits vorhanden und erkennbar waren, aber nicht vorgetragen wurden – zu stützen, die zu einer abweichenden Beurteilung der vom Oberlandesgericht bereits geprüften Streitpunkte im Hinblick auf die im Musterentscheid nicht abgehandelten Tatbestandsmerkmale führen würden.92 Ebenso könnte eine Partei eine abweichende Würdigung von Behauptungen und Beweisindizien verlangen. Ferner würde das Angebot neuer Beweismittel, ggf. sogar solcher, die während des Musterprozesses für die Partei nicht greifbar waren, zu einer erneuten Prüfung sämtlicher – auch bislang nicht vorgebrachter – Streitpunkte außerhalb des im Musterentscheid abgeurteilten Rahmens der Prospektunrichtigkeit führen.93 Es wäre nicht nur ein erheblicher, dem Zweck des KapMuG zuwiderlaufender Doppelaufwand zu erwarten. Vor allem beseitigt eine bloß faktische Präjudizwirkung die Gefahr einer divergierenden Bewertung der entscheidungserheblichen tatsächlichen Grundlagen im Rahmen von allgemein und individuell festzustellenden Tatbestandsmerkmalen nicht. Im Extremfall könnten Oberlandesgericht und Prozessgericht das Vorliegen der von ihnen jeweils zu prüfenden Voraussetzungen der § 44, § 45 BörsG auf Grund unterschiedlicher Streitpunkte bejahen. So gelangt beispielsweise das Oberlandesgericht im Rahmen der von ihm zu untersuchenden Prospektunrichtigkeit zu dem Ergebnis, dass nur einige der gerügten Prospektfehler vorliegen. Im Beispiel von S. 238 hält es etwa nur die Angabe zur Geschäftstätigkeit für unzutreffend. Demgegenüber gewinnt das Prozessgericht auf Grund neuerlichen Tatsachenvortrags und Beweisaufnahme möglicherweise die Überzeugung, dass die vom Oberlandesgericht verneinten und sogar noch weitere Prospektfehler gegeben sind. Dies würde die Prüfung der übrigen Tatbestandsmerkmale und die Endentscheidung in der Hauptsache zu Lasten des Beklagten beeinflussen. Dessen Anspruchsabwehr nach § 45 BörsG wäre unangemessen beschnitten.94 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die ZPO dem Beklagten mit der Möglichkeit zur (Zwischen)Feststellungswiderklage ein Verteidigungsmittel gegen divergierende Entscheidungen an die Hand gegeben hat. Eine vergleich92 Vgl. zur Präklusion von Alttatsachen durch Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO BGHZ 157, 47 (51); 131, 82 (83); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 142; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, § 322 Rn. 217 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 36 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 53 ff. 93 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 142; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 266 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 222, 228; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 39; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 70, jeweils m.w. N. 94 So auch Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104); ferner KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 113, allerdings ohne die erforderliche Trennschärfe hinsichtlich der notwendigen Differenzierung zwischen Präklusion und Bindungswirkung kraft Präjudizialität.
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bare Möglichkeit sieht das Musterverfahren nicht vor. Der Musterbeklagte könnte lediglich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG einen Gegenantrag stellen, der auf die Feststellung eines Tatbestandsmerkmals gerichtet ist. Auch verlangt die Einführung weiterer Streitpunkte in das Musterverfahren nach § 13 Abs. 1 KapMuG die Zugehörigkeit zu einer konkreten Anspruchsvoraussetzung und kann nicht losgelöst hiervon begehrt werden.95 Der gesamte Prospektinhalt stellt bei natürlicher vom Standpunkt der Parteien ausgehender Betrachtung einen einheitlichen Tatsachenkomplex dar. Er wird im Beispiel mit der Frage nach dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der abstrakten Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG umfassend abgeurteilt.96 Träte hinsichtlich der einzelnen Streitpunkte keine Bindungswirkung ein, so bestünde die Gefahr einer divergierenden Beurteilung der Tatsachengrundlage durch Oberlandesgericht einerseits und Prozessgericht andererseits. Die mit dem KapMuG-Verfahren einhergehende Ausgliederung von Teilen des Prozessstoffs würde Nachteile bewirken, die bei einer einheitlichen Aburteilung durch das Prozessgericht nicht auftreten könnten. Es war jedoch das Anliegen des Gesetzgebers, Entscheidungsdivergenzen zu minimieren, die Verfahrenskosten für den einzelnen Anleger zu senken sowie insgesamt eine raschere Rechtsbefriedung durch die abschließende Musterentscheidung über mehrfach relevante Entscheidungselemente zu erzielen. Eine Begrenzung der Bindungswirkung auf das Feststellungsziel würde, wie gezeigt, hierzu gegenläufige Effekte erzeugen. Eine derartige Rechtskraftbegrenzung bedürfte demzufolge eines ausgleichenden Korrektivs. Daran fehlt es mangels eigenverantwortlicher Ausdehnungsmöglichkeit – im Beispiel auf die konkrete Frage nach der Richtigkeit bzw. Vollständigkeit des Prospektinhalts – des oberlandesgerichtlichen Gegenstands.97 Insbesondere kann eine derartige Ausgleichsfunktion nicht die in § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG angeordnete innerprozessuale Bindung der Prozessgerichte an den Musterentscheid erfüllen.98 Die Bindung der Prozessgerichte findet, wie sich insbesondere aus dem Umkehrschluss zu § 16 Abs. 2 KapMuG ergibt, ihre jeweiligen Grenzen in der konkreten objektiven Reichweite der Musterentscheidung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 KapMuG. Nähme man an, die Parteien seien nur rechtskräftig an die Entscheidung über das Feststellungsziel selbst, nicht aber an die festgestellten Streitpunkte gebunden, so hätte dies auch im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG zu gelten. Die Vorschrift kann nicht indirekt eine Verbindlichkeit der Streitpunkte gegenüber den Musterverfahrensparteien erzeugen. Andernfalls würde der objektive Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG unterlaufen. Die begrenzten Rechtskraftwirkungen des Musterent95
Vgl. hierzu bereits ausführlich S. 195 ff. Vgl. hierzu sogleich ausführlich; i. d. S. auch explizit BT-Drs. 15/5091, S. 49. 97 Vgl. zu einem ähnlichen Gedanken im Hinblick auf § 322 Abs. 1 ZPO Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 132. 98 Ausführlich zu § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG später auf S. 277 ff. 96
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scheids würden durch eine aus § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG folgende umfassendere Bindung der Prozessgerichte beiseite geschoben.99 Rechtssicherheit und Rechtsbefriedung erfordern ein Wiederholungsverbot, das den Richter im Hauptsacheverfahren hindert, die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten, im Beispiel den Prospektinhalt, neu und ggf. abweichend zu beurteilen. Insbesondere muss jede selbständige Verhandlung, Beweisaufnahme oder Entscheidung über die vom Oberlandesgericht bereits festgestellten Streitpunkte ausgeschlossen sein, mithin eine umfassende Präklusion von Alttatsachen eintreten.100 Dies lässt sich über ein relativiertes Rechtskraftverständnis des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, bei dem die abstrakte Feststellung der Prospektrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG durch die Aufnahme der Feststellungen zu den konkret vorgebrachten Streitpunkten in den Entscheidungsausspruch konkretisiert wird, nicht erreichen.101 Erforderlich ist vielmehr eine Erstreckung der Rechtskraft auf die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den Streitpunkten des Feststellungsziels und zwar unabhängig davon, ob sie von den Parteien tatsächlich vorgebracht wurden. In Rechtskraft erwächst damit im Beispielsfall nicht nur die Feststellung, dass die beiden geltend gemachten Streitpunkte vorliegen, sondern weiter die damit einhergehende gegenteilige (konkludente) Feststellung, dass der Prospekt im Übrigen keine Fehler bzw. Unvollständigkeiten enthält. Letzteres rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass das Gericht zwar grundsätzlich nur über den vorgetragenen Streitstoff entscheidet. Innerhalb des zur Entscheidung gestellten Gegenstands, der durch das Feststellungsziel bestimmt wird – hier also die abstrakte Frage nach der Prospektrichtigkeit – können die Parteien über den Tatsachenstoff nicht frei verfügen. Sie sind gemäß § 138 Abs. 1 ZPO zu wahrem und vollständigem Vortrag verpflichtet.102 Bei natürlicher, vom Stand99
Ebenso, allerdings ohne Begründung, Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19. Vgl. nur BGHZ 123, 137 (141); 43, 144 (146); 42, 340 (351 m.w. N.); 36, 365 (367); 34, 337 (339); BGH NJW 2004, 294 (295 f.); 1995, 2993 (2993 f. m. z. w. N.); 1757 (1757 f. m. z. w. N.); 1993, 3204 (3204 f. m.w. N.); 1985, 2535 (2535 f. m.w. N.); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 50; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 150 Rn. 15; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 9; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 878. 101 So aber Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22 und v. a. 31. Vgl. auch MaierReimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104). 102 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 2 f., 7b; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 138 Rn. 4 und 7; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 138 Rn. 3 ff.; AK/Schmidt, ZPO, § 138 Rn. 4; Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 2, 5; MüKo/Wagner, ZPO, § 138 Rn. 2, 5; HK/Wöstmann, ZPO, § 138 Rn. 2. Umstritten ist, ob der Grundsatz des § 138 Abs. 1 ZPO nur die Unwahrheit zu eigenen Gunsten der vortragenden Partei verbietet (so die wohl h. L., vgl. Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 4 m.w. N.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 138 Rn. 6 m.w. N.; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 138 Rn. 7) oder er diese auch hindert, ihr ungünstige gegnerische Behauptungen gegen sich gelten zu lassen (so AK/Schmidt, ZPO, § 138 Rn 26; Musielak/ Stadler, ZPO, § 138 Rn. 4 m.w. N.; MüKo/Wagner, ZPO, § 138 Rn. 13). 100
C. Eigener Ansatz
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punkt der Parteien ausgehender, Betrachtung gehören zu dem zur oberlandesgerichtlichen Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex „Fehlerhaftigkeit des Börsenzulassungsprospekts“ nicht nur die tatsächlich vorgebrachten Prospektrügen, sondern auch diejenigen Rügen, die bei lückenlosem Vortrag zur Begründung des Feststellungsziels gehört hätten.103 Innerhalb dieses entscheidungserheblichen Sachverhalts liegt die Verantwortung für den vollständigen Vortrag bei den Parteien, also entsprechend der Darlegungs- und Beweislastverteilung hinsichtlich der Prospektunrichtigkeit auf Seiten des Klägers.104 Diese Verantwortung wäre vor allem der Klägerseite zu Lasten des Beklagten und damit entgegen dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit105 abgenommen, würde sich die Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf die Feststellungen zu den tatsächlich vorgebrachten Streitpunkten beschränken.106 Das Ziel des KapMuG besteht nicht darin, dem Kläger durch Verteilung der Tatsacheninstanz auf zwei verschiedene Gerichte eine mehrfache Verhandlung über den Prospektinhalt zu ermöglichen. Insbesondere könnte er sich die Rüge weiterer Prospektmängel aus prozesstaktischen Gründen für das landgerichtliche Nachverfahren aufsparen. Der für eine Vielzahl von Ausgangsstreitigkeiten gleichermaßen relevante Sachverhalt soll vor dem Oberlandesgericht gemeinsam verhandelt und abschließend gewürdigt werden.107 Entsprechend dem Gesetzeszweck entfalten alle das Feststellungsziel begründende Streitpunkte, unabhängig von ihrem tatsächlichen Vortrag108 als Be-
103
I. d. S. auch BT-Drs. 15/5091, S. 49. Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 3; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 7b; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 138 Rn. 9. 105 Dieser fordert insbesondere eine „faire Balance“ sowie gleichmäßige Verteilung am Risiko des Verfahrensausgangs, Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 102. 106 Zutreffend Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104). Vgl. insbesondere auch das dort entwickelte Beispiel. Der Beklagte wäre faktisch gezwungen, über § 13 KapMuG provisorisch Behauptungen zum sonstigen, nicht von der behauptungs- und beweisbelasteten Klägerseite (vgl. zur diesbezüglichen Möglichkeit BGHZ 82, 13 [18 ff.]; BGH NJW 1984, 128 [129]; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 12) in das Musterverfahren eingeführten, Prospektinhalt vorzubringen, um eine umfassende Bindung zu erzeugen. 107 Andernfalls könnten entgegen dem Gesetzeszweck über den Inhalt desselben Prospekts zudem beispielsweise mehrere Musterverfahren geführt werden, jeweils bezogen auf unterschiedliche Streitpunkte. Die Motivation der die Anleger vertretenden Anwaltschaft, für eine möglichst weitgehende Rechtskraftbeschränkung einzutreten (etwa KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114 f.), ist offensichtlich. 108 Bestätigt wird dieses Ergebnis zudem durch einen Vergleich mit der Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO. Hat der Musterkläger entgegen seiner allgemeinen Prozessförderungspflicht im Musterverfahren nicht sämtliche Prospektrügen vorgebracht, so wäre ein darauf gerichteter Tatsachenvortrag im Nachverfahren auf Grund der prozessualen Einheit zwischen Ausgangs- und Musterverfahren zurückzuweisen. Für eine Beurteilung der Präklusion von im Musterverfahren nicht vorgetragenen Streitpunkten anhand von § 296 Abs. 2 ZPO Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2 a. E. Vgl. zur Teilhabe von nicht vorgetragenen Tatsachen am zivilprozessualen Lebensvorgang zudem BGHZ 157, 47 (51 m.w. N.); 123, 137 (141); 98, 353 (358 f.). 104
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standteile eines einheitlichen Lebenssachverhalts und damit des Entscheidungsgegenstands des Musterprozesses in dem fortgesetzten Hauptsacheverfahren als Vorfrage, Bindungswirkung kraft Präjudizialität.109 Dies rechtfertigt sich durch die umfassende Feststellungspflicht des Oberlandesgerichts sowie die Einmaligkeit des Rechtsschutzes. Ein weiteres Argument ist der Zweck der Rechtskraftanordnung in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, die Maßgeblichkeit der oberlandesgerichtlichen Feststellungen im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsbefriedung sicherzustellen.110 cc) Zusammenfassung zur objektiven Reichweite der Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf sämtliche Streitpunkte entgegen dem § 322 Abs. 1 ZPO zu Grunde liegenden Verständnis mit Blick auf die berechtigten Interessen der Parteien geboten ist.111 Zumindest eine der Parteien des Musterverfahrens ist an einer verbindlichen Feststellung auch der geltend gemachten Streitpunkte durch das Oberlandesgericht bzw. ggf. damit einhergehend an der (konkludenten) kontradiktorischen Beurteilung etwaiger nicht vorgebrachter Streitpunkte desselben Tatsachenkomplexes interessiert. Bei der Antragstellung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG konnte sie dieses Anliegen nicht hinreichend zum Ausdruck bringen. Vielmehr waren die formalen Erfordernisse des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG112 an einen zulässigen Musterfeststellungsantrag und insbesondere die an ein taugliches Feststellungsziel zu stellenden Anforderungen113 zu beachten. Dies verhinderte die Formulierung eines auf die verbindliche Feststellung eines bloßen Streitpunkts gerichteten Ersuchens. Ohne eine Erstreckung der Rechtskraft auf die Feststellungen des Oberlandesgerichts zu den einzelnen Streitpunkten wären Tatsachen, die im Musterverfahren mit Breitenwirkung feststellbar und vom Oberlandesgericht als Vorfragen des streitgegenständlichen Tatbestandsmerkmals bereits geklärt sind, einer wiederholten und möglicherweise divergierenden Klärung durch die Prozessgerichte an-
109 Vgl. zur Präjudizialität BGHZ 123, 137 (141); 78, 130 (132 ff.); BGH NJW 2004, 294 (295 f.); 2003, 3058 (3059 m.w. N.); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 50; Rosenberg/Schwab/ders., Zivilprozessrecht, § 150 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 204 f.; Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 10; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 24; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 9. 110 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 142 sowie Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 218 für § 322 Abs. 1 ZPO. 111 I. E. ebenso, jedoch jeweils ohne Begründung, Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2. Ähnlich Musielak/Musielak, ZPO, § 325a Rn. 3. 112 Hierzu S. 46 f. 113 Siehe insoweit ausführlich S. 65 ff. und 70 ff.
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heim gestellt.114 Dies wollte der Gesetzgeber aus Gründen der Verfahrensökonomie, Rechtssicherheit und Rechtsbefriedung verhindern.115 Der weite Ansatz des KapMuG ist folglich in den Verfahrensstadien der Vorlage nach § 4 KapMuG und nach Abschluss des Musterprozesses mit den Wirkungen des Musterentscheids gemäß § 16 KapMuG jeweils durch unterschiedliche Mechanismen umzusetzen. Zunächst ist das Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG116 eng zu interpretieren, um einen möglichst breiten Verfahrensgegenstand und damit die erstrebte umfassende Sachverhaltsaufklärung zu erzeugen. Als solches eignen sich grundsätzlich nur Tatbestandsmerkmale und Rechtsfragen.117 Demgegenüber erfordert die erstrebte umfassende Verbindlichkeit des Musterentscheids hinsichtlich sämtlicher an das Oberlandesgericht herangetragener Fragestellungen einen möglichst breiten rechtskraftfähigen Entscheidungsgegenstand. Eine möglichst weit reichende Wirkung der Musterentscheidung lässt sich – wie dargelegt – nur durch eine Modifikation des dem § 322 Abs. 1 ZPO zu Grunde gelegten Rechtskraftverständnisses erreichen. Dadurch wird zugleich die Anordnung des Gesetzgebers erklärbar und sinnvoll, im Musterverfahren nicht lediglich das Feststellungsziel zu beantworten, sondern auch eine (verbindliche) Klärung sämtlicher, also nicht nur der vorgebrachten, Streitpunkte herbeizuführen.118 Diese Lösung rückt zugleich den – im Rahmen der Vorlage in den Hintergrund gedrängten – Parteiwillen in den Vordergrund: Verbindlich wird all das – also das 114 So auch KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 113; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104). Ähnlich Kilian, KapMuG, S. 59 ff.; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 30, allerdings mit gegenteiligem Ergebnis (Rn. 31), weil sie bereits von der unzutreffenden Prämisse ausgehen, das Oberlandesgericht müsse nicht über sämtliche vorgebrachten Streitpunkte entscheiden (vgl. hierzu auch Fn. 118 sowie die gegenteilige Vorstellung des Gesetzgebers, BT-Drs. 15/5091, S. 42 sowie BT-Drs. 15/5695, S. 24 f.). 115 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 48, 50. 116 Ggf. zu Lasten des Willens der Verfahrensbeteiligten. 117 Siehe umfassend S. 65 ff. und 70 ff. 118 So ausdrücklich der Rechtsausschuss, BT-Drs. 15/5695, S. 24 (zu § 13 KapMuG) sowie BT-Drs. 15/5695, S. 24 (Rechtskrafterstreckung) auf die Frage des Bundesrats in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 42. Einen ähnlichen Ansatz hat bereits Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 346 f., verfolgt. Er wollte beiden Parteien des Prozesses die Vorteile der richterlichen Feststellungen zukommen lassen. Anders als bei einem klageabweisenden Zivilurteil, bei dem hinsichtlich der Auswahl der Abweisungsgründe ein richterliches Ermessen besteht (vgl. hierzu auch Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozess, S. 81 sowie zu einem erweiterten Rechtskraftverständnis insbesondere S. 132 f.) muss das Oberlandesgericht im KapMuG-Prozess zu allen im (ggf. erweiterten) Vorlagebeschluss enthaltenen Streitpunkten Feststellungen treffen; nur so lässt sich die Beteiligung einer Vielzahl von Personen rechtfertigen. Das Ersuchen des Antragstellers individualisiert sich erst anhand der von ihm vorgebrachten Streitpunkte, da weitere Streitpunkte des Musterverfahrens für ihn möglicherweise gar nicht zielführend sind. Es liegt auf der Hand, dass eine umfassende Feststellungspflicht nur sinnvoll ist, wenn damit ein entsprechender Bindungsumfang einhergeht.
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Feststellungsziel und die Streitpunkte – festgestellt, worauf der jeweilige Antragsteller tatsächlich abzielte. Im Beispiel ging es dem Musterkläger im Rahmen des Feststellungsziels um eine Beurteilung des gesamten Prospektinhalts. Der Gesetzeszweck und das Gebot der prozessualen Waffengleichheit gebieten es, ihn auch an den negativen Wirkungen unterlassenen Vortrags festzuhalten. Nur mit dieser Interpretation des objektiven Rechtskraftumfangs des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG lässt sich die gesetzgeberische Zielsetzung in beiden Verfahrensstadien119 sowie eine angemessene und ausgewogene Berücksichtigung der Interessen der Musterverfahrensparteien erreichen. Ein derartig modifiziertes Rechtskraftverständnis im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ist deshalb nicht nur sinnvoll, sondern zwingend erforderlich. b) Fazit: Von dem zivilprozessualen Rechtskraftverständnis abweichender rechtskraftfähiger Entscheidungsgegenstand des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG Der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG rechtskraftfähige Entscheidungsgegenstand des Musterentscheids umfasst neben der Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer bzw. mehrerer Anspruchsvoraussetzungen oder Rechtsfragen (Feststellungsziel, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG) die Feststellungen des Oberlandesgerichts zu allen zur Klärung vorgebrachten Streitpunkten.120 Die Präklusionswirkung der Rechtskraft des Musterentscheids ergreift entsprechend dem Sinn und Zweck des KapMuG alle weiteren Streitpunkte, die bei wertender Betrachtung zu dem abgeurteilten Tatsachenkomplex rechnen, aber von den Parteien nicht geltend gemacht wurden. Der verbindliche Ausspruch des Gerichts erstreckt sich auf sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Es handelt sich um eine echte Ausdehnung der Rechtskraft auf Vorfragen, d.h. die tragenden und – wegen der umfassenden Prüfungspflicht des Oberlandesgerichts – ggf. „überschießenden“ 121 Feststellungen der Musterentscheidung.122 119 Dies übersehen diejenigen Vertreter in der Literatur, die zwar im Ergebnis zu einer rechtskräftigen Verbindlichkeit der Feststellungen zu den Streitpunkten gelangen, aber die Legaldefinition des Feststellungsziels in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG großzügiger interpretieren (KK/Kruis, KapMuG, § 1 Rn. 114; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn 22; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 4 Rn. 7) bzw. Feststellungsziel und Streitpunkte gleichsetzen (Gebauer, ZZP 119 [2006], 151 [173]; Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [148]) bzw. nur die Feststellungen zu den Streitpunkten in Rechtskraft erwachsen lassen wollen (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6, ferner 10; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [101]). 120 I. E. gelangt auch Prusseit, KapMuG, S. 160 zu einer gegenüber den Beigeladenen nicht unterschiedlich weit reichenden Bindung. Er legt aber offenbar das materielle Rechtskraftverständnis nach § 322 Abs. 1 ZPO zu Grunde. 121 „Überschießend“ insofern, als das Oberlandesgericht nicht nur sämtliche das Feststellungsziel tragenden Streitpunkte feststellen muss, sondern wegen des Grundsatzes
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Diese Interpretation der Rechtskraftanordnung deckt sich nicht mit dem zivilprozessualen Verständnis. Sie ist deshalb auch nicht unter Verweis auf den „besonderen Streitgegenstand“ des KapMuG anhand der Systematik des § 322 Abs. 1 ZPO erklärbar.123 Die Besonderheit des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands besteht darin, dass sich im Vergleich zur ZPO die Ebene der gerichtlichen Entscheidung verschiebt: Letztere konzentriert sich von vornherein – anders als in § 256 ZPO vorgesehen – auf bloße Einzelelemente einer Norm, die im Rahmen des § 322 Abs. 1 ZPO nicht in Rechtskraft erwachsen.124 Es geht ebenso um die Rechtskraftfähigkeit der dem oberlandesgerichtlichen Spruch zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen bzw. die diesen nicht tragenden kontradiktorischen Beurteilungen zu sämtlichen Streitpunkten. Der Bruch mit dem zivilprozessualen System besteht damit in dem, wie oben erörterten, notwendigen und gerechtfertigten Verzicht auf die dem § 322 Abs. 1 ZPO innewohnende Differenzierung zwischen einem rechtskraftfähigen Subsumtionsschluss125 der oberlandesgerichtlichen Entscheidung und dessen nicht in Rechtskraft erwachsenden Einzelgliedern.126 der prozessualen Waffengleichheit auch diejenigen, aus denen sich das festgestellte Ergebnis gerade nicht ergibt. Vgl. hierzu das Beispiel von Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (104). 122 Ergibt sich die Fehlerhaftigkeit des Prospekts zum Beispiel aus mehreren unrichtigen Angaben, so sind diese Kumulativbegründungen alle tragend, weil sie in Bezug auf das festgestellte Ergebnis gleichwertig sind und der Musterentscheid auf ihnen gemeinsam beruht. Die Bindungswirkung rechtfertigt sich daraus, dass sie im Folgeprozess in gleicher Weise bedeutsam sind und die Musterverfahrenspartei Gelegenheit hatte, ihr ungünstige Feststellungen anzugreifen. Vgl. zu tragenden Urteilsgrundlagen ausführlich Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, § 68 Rn. 96 ff. 123 So aber Gebauer, ZZP 119 (2006), 151 (172 f.); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 21; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (148). 124 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, § 152 Rn. 8 ff.; MüKo/ders., ZPO, § 322 Rn. 92; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 70 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 21; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 31 ff. 125 Dieser ist ein allerdings „besonderer“, da er sich auf eine einzelne Anspruchsvoraussetzung bezieht. 126 KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 5 sieht in der Rechtskraftfähigkeit von Tatsachenfeststellungen keinen Systembruch, weil § 256 Abs. 1 ZPO die Feststellung der Urkundenechtheit ermögliche und sich zudem die Bindung im Zweitprozess an die rechtskräftige Feststellung präjudizieller Rechtsverhältnisse zumeist auf einzelne Tatbestandsmerkmale der Anspruchsgrundlage des Zweitprozesses beziehe. Nicht hinreichend klar wird jedoch, wie er an der überkommenen Streitgegenstands- und Rechtskraftkonzeption – insbesondere auch im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG – festhalten will (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 9), gleichzeitig aber betont, dass sich die Bindungswirkung des Musterentscheids nur durch eine Fortentwicklung der bestehenden Prozessrechtsinstitute begründen ließe (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 14) und sowohl im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG als auch des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG nur die vorgelegten Streitpunkte Bindungswirkung entfalteten (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 6 und 10, vgl. auch Rn. 7 „reduzierte Rechtskraft“). Die von KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 12 geübte Kritik an der fehlenden Systematik und Dogmatik derjenigen Vertreter, die § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als Rechtskrafterstreckung deuten (Gebauer, ZZP 119
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In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Frage, was den Gegenstand der Rechtskraft bildet, einer positiv-rechtlichen Regelung zugänglich ist; der Gesetzgeber kann die Grenzen der Rechtskraft weiter oder enger bestimmen.127 § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG enthält eine eigenständige Regelung der Rechtskraftfähigkeit des Musterentscheids. Auf dessen „weitergehende Wirkungen“ weist § 325a ZPO ausdrücklich hin. Dieser gesonderten Vorschriften hätte es nicht bedurft, hätte der Gesetzgeber den objektiven Umfang der Rechtskraft wie in § 322 Abs. 1 ZPO verstanden.128 Die Zielsetzung des KapMuG und eine angemessene Berücksichtigung der Beteiligteninteressen lassen nur durch ein eigenständiges Rechtskraftverständnis verwirklichen. Bedenkt man dies, so ist § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG i.V. m. § 325a ZPO als dahingehende Anordnung des Gesetzgebers zu verstehen. In vergleichbarer Weise hat er für § 322 Abs. 1 ZPO umgekehrt die Rechtskraftbeschränkung auf den Subsumtionsschluss bestimmt.129 Der soeben ermittelte rechtskräftige Gehalt der oberlandesgerichtlichen Entscheidung sollte sich aus Gründen der Klarstellung im Tenor des Musterentscheids widerspiegeln.130 In diesen sind folglich die Schlussfolgerung zu dem Feststellungsziel sowie die Feststellungen – auch die negativen – zu den einzelnen Streitpunkten aufzunehmen.131 Letztere müssen allerdings gesondert aufgeführt werden, da es sich nicht lediglich um eine durch die Feststellungen zu den vorgebrachten Streitpunkten individualisierte rechtskräftige Entscheidung über das Feststellungsziel handelt.132 Schließlich muss der Entscheidungsgegenstand des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf den zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt, § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, begrenzt werden. Nur so lassen sich die Feststellungen des Oberlandesgerichts von anderen, zwar gleichlautenden, aber auf einen völlig anderen anspruchsbegründenden Vorgang i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 KapMuG bezogenen Ergebnissen unterscheiden. Konnte der Verfahrensgegenstand des [2006], 159 [173 ff.]; Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [144 ff.]), fällt damit letztlich wieder auf ihn zurück. 127 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 66. 128 Ähnlich Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (142). 129 Vgl. BT-Dr. 15/5695, S. 25: „Es soll eine umfassende Rechtskrafterstreckung auf alle Beteiligten in Bezug auf alle Streitpunkte, die Gegenstand des Musterverfahrens waren, erreicht werden“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Vgl. für § 322 Abs. 1 ZPO Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 1, 69, 114 ff. m.w. N. 130 Vgl. zur Bedeutung des Tenors für die Ermittlung des rechtskräftigen Entscheidungsgehalts ausführlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 169 ff. m.w. N.; ferner MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 86 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 31 ff. m.w. N. 131 Zur Tenorierung von Streitpunkten siehe die Beispiele bei Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (106). 132 Hierzu bereits S. 238 ff., insbesondere S. 242 sowie S. 244 ff.
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KapMuG-Prozesses entsprechend dem weiten Ansatz des Gesetzes großzügig bestimmt werden, so muss die Inhaltsbestimmung des Gegenstands der Rechtskraft mehrgliedrig erfolgen: In diese ist der Lebenssachverhalt einzubeziehen, um eine Ausuferung der Präklusionswirkung zu verhindern bzw. um überhaupt ein reales Geschehen als Bezugspunkt der oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu bestimmen.133 Beispiel 31134: Die Beklagte und Musterbeklagte hatte die Windkraftfonds I bis IV aufgelegt, die alle gleich strukturiert sind und sukzessive an der Börse platziert wurden. Für jeden Fonds wurde ein eigener Prospekt erstellt, wobei die mit einer Investion in Windkraftanlagen verbundenen Risiken wortgleich dargestellt wurden. Der Kläger und Musterkläger hat in die Fonds I und IV investiert. Er nahm den Beklagten zunächst auf Schadensersatz aus Prospekthaftung im Hinblick auf den Fonds I in Anspruch. Es kommt zum Musterverfahren mit dem Ersuchen an das Oberlandesgericht, die Fehlerhaftigkeit des Prospekts festzustellen, da die Anlagenumschreibung unzutreffend sei. Weitere Prospektmängel sind nicht vorgetragen worden. Das Oberlandesgericht kam zu dem Ergebnis einer zutreffenden Risikoumschreibung der Anlage und verneinte deshalb das geltend gemachte Feststellungsziel. Unter Zugrundelegung des rechtskräftigen Musterentscheids weist auch das Prozessgericht die Hauptsacheklage auf Schadensersatz im Hinblick auf die Beteiligung an dem Windkraftfonds I rechtskräftig ab. Daraufhin verklagt der (Muster)Kläger den (Muster)Beklagten auf Schadensersatz wegen seiner Beteiligung an dem Windkraftfonds IV, wiederum ausschließlich mit der fehlerhaften Darstellung des Investitionsrisikos begründet.
Zunächst kann die rechtskräftige Verneinung der Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG betreffend den Windkraftfond I in dem späteren Prozess keine Bindungswirkung entfalten. Präjudizialität setzt voraus, dass der Streitgegenstand des Erstprozesses im nachfolgenden Verfahren als Vorfrage bedeutsam wird.135 133 Vgl. hierzu bereits S. 112 f. sowie für § 322 Abs. 1 ZPO Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 67 ff. sowie insbesondere Rn. 92 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 59 und v. a. Rn. 61. 134 Das Beispiel geht zurück auf Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 4, dort jedoch als Argument gegen die Annahme einer Rechtskraftwirkung schlechthin. Auch KK/ Hess, KapMuG, § 16 Rn. 8, verwendet es zur Darstellung der Präjudizbindung im Folgeprozess. Beide übersehen allerdings die fehlende Streitgegenstandsidentität zwischen den zwar äußerlich gleichlautenden, aber – und das ist maßgeblich – auf einen anderen Prospekt und damit verschiedenen Lebenssachverhalt bezogenen Darstellungen. 135 Vgl. zur Präjudizialität BGHZ 78, 130 (132 ff.); BGH NJW 2004, 294 (295 f.); 2003, 3058 (3059 m.w. N.); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 50; Rosenberg/Schwab/ ders., Zivilprozessrecht, § 150 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 204 f.; Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 10; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 24; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 9. Hingegen kann aus einem rechtskräftigen Musterent-
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
Hier bezieht sich die zweite Schadensersatzklage auf einen anderen Prospekt über eine andere Investitionsanlage (Fonds IV) und damit einen anderen Verfahrensgegenstand. Die Feststellung des Oberlandesgerichts zur Fehlerfreiheit des ersten Prospekts ist keine Voraussetzung für die Entscheidung im Folgeverfahren. Nichts anders kann für die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zum Prospektinhalt ungeachtet dessen gelten, dass die Darstellungen in dem den Windkraftfonds IV beschreibenden Prospekt wortgleich sind. Maßgeblicher Bezugspunkt zur Bestimmung der Streitgegenstandsidentität ist der konkrete Prospekt und die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Die Frage, ob eine Prospektangabe richtig oder fehlerhaft – mithin eine Tatsache wahr oder unwahr – ist, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur in Bezug zu einem konkreten, nach Zeit und Raum bestimmten Gesamtzusammenhang beantworten.136 Das Oberlandesgericht hat im Musterverfahren nicht mehr und nicht weniger festgestellt, als dass die Darstellung des Investitionsrisikos in dem konkreten Prospekt I den objektiven Marktgegebenheiten zum damaligen Zeitpunkt der Platzierung des Fonds I entsprach. Darüber, ob sich die Rahmenbedingungen für Investitionen in Windkraftanlagen bis zur Platzierung des Fonds IV möglicherweise grundlegend geändert haben und deshalb die Richtigkeit der äußerlich identische Darstellung in dem Prospekt IV anders zu beurteilen ist, konnte und durfte das Oberlandesgericht nicht entscheiden. Es handelt sich insoweit bei normativ-natürlicher Betrachtungsweise um einen anderen Tatsachenkomplex, der von den Musterverfahrensbeteiligten nicht zum Gegenstand der Musterentscheidung gemacht wurde.
scheid nicht das Verbot des ne bis in idem als negative Prozessvoraussetzung (vgl. hierzu BGHZ 157, 47 [50 m.w. N.]; 123, 30 [32]; 93, 287 [289 m.w. N.]; 36, 365 [367]; 34, 337 [339]; BGH NJW 1995, 2993 [2993 f. m. z. w. N.]; 1995, 1757 [1757 f. m. z. w. N.]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 322 Rn. 12; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 38 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 39, 199; Musielak/ Musielak, ZPO, § 322 Rn. 9; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 11; Zöller/ M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 21) für eine spätere Individualklageerhebung erwachsen, da Hauptsache und Musterverfahren stets verschiedene Streitgegenstände aufweisen. Dies verkennt Rau, KapMuG, S. 241 f. 136 Ähnlich Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, § 68 Rn. 131 zum Erfordernis der Identität des Lebenssachverhalts im Hinblick auf die Übernahme von Tatsachenfeststellungen in den nachfolgenden Prozess gemäß § 68 ZPO: Wurden im Vorprozess beispielsweise Lärmmessungen vorgenommen, „so können diese im Folgeprozeß nur Interventionswirkung besitzen, wenn in beiden Verfahren die Lärmbelästigung im gleichen Messzeitpunkt relevant war“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Allgemeingültigkeit kann eine Tatsachenfeststellung folglich nur dann besitzen, wenn die Feststellung selbst die zur Abgrenzung von anderen Geschehnissen erforderliche zeitliche bzw. räumliche Komponente bereits umfasste, so beispielsweise: „Die XY AG hat im Jahr 2008 einen Gewinn nach Steuern in Höhe von 4 Milliarden Euro erzielt.“ Gegenbeispiel: „Die XY AG hat einen Gewinn nach Steuern in Höhe von 4 Milliarden Euro erzielt.“
C. Eigener Ansatz
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c) Aus der Rechtskraftanordnung in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG resultierende Wirkungen des Musterentscheids gegenüber den Musterverfahrensparteien Die materielle Rechtskraft des Musterentscheids bewirkt, dass der Inhalt der oberlandesgerichtlichen Entscheidung für die (ehemaligen) Musterverfahrensparteien und ein neu angerufenes Gericht maßgeblich ist, soweit es in einem Zweitverfahren um denselben Streitgegenstand geht.137 Die Festlegung der objektiven Reichweite der Rechtskraft des Musterentscheids ist, wie ausgeführt, mit § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG i.V. m. § 325a ZPO eigenen Regeln unterworfen. Demgegenüber fehlt es hinsichtlich der Wirkungen des rechtskräftigen Musterentscheids in späteren Prozessen sowie der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft der Musterentscheidung an einer besonderen Anordnung. Es bedarf insoweit eines Rückgriffs auf die allgemeinen für § 322 Abs. 1 ZPO geltenden Grundsätze.138 Insbesondere kann die Rechtskraft des Musterentscheids entgegen dem überkommenen zivilprozessualen Verständnis nicht auf eine bloße Bindungswirkung in dem Ausgangsverfahren, in welchem der Musterfeststellungsantrag gestellt wurde, beschränkt werden.139 Wegen des besonderen Streitgegenstands des Musterverfahrens sind kaum Fälle denkbar, in denen über die fortzuführende Hauptsache hinaus in einem weiteren Individualverfahren 140 die für eine Rechtskraftwirkung erforderliche – bei Vorgreiflichkeit zumindest teilweise – Streitgegenstandsidentität gegeben sein wird. Folglich greifen die Rechtskraftwirkungen des Musterentscheids von vornherein vornehmlich nur in der fortgeführten Ausgangsstreitigkeit ein, ohne dass es einer besonderen Begrenzung der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG bedürfte. Zum anderen kann die rechtskräftige Musterentscheidung schwerlich im Rahmen eines zweiten Musterverfahrens Bedeutung erlangen; der eigentliche Musterprozess beginnt erst auf Vorlage des Prozessgerichts bei Erreichen des Vorlagequorums des § 4 Abs. 1 KapMuG nach Auswahl der Musterverfahrensparteien, vgl. § 6 und § 8 KapMuG. Sollte folglich aus137 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 36, 185; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer ZPO, § 322 Rn. 30. 138 Vgl. nur insoweit auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 22 a. A. 139 So aber Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 24 mit dem Argument, die Feststellungen im Musterbescheid seien so stark auf den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens bezogen, dass die Rechtskraft – abgesehen von Fällen der Klagerücknahme und anschließender Wiederholung des Prozesses mit zumindest teilidentischem Streitgegenstand – auf diesen Prozess zu beschränken ist. I. E. ebenso Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 4 f. 140 Als Zweitverfahren kommt rein begrifflich zunächst sowohl ein späteres Hauptsacheverfahren als auch ein neuerlicher Musterprozess in Betracht. Zu den sich aus der Besonderheit des musterverfahrensrechtlichen Entscheidungsgegenstands faktisch ergebenden Beschränkungen der Rechtskraftwirkung auf einen bestimmten Kreis von Prozessen vgl. sogleich S. 235 bis 253.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
nahmsweise die für eine weiterreichende Wirkung erforderliche (partielle) Übereinstimmung des Streitgegenstands in einem späteren Zweitprozess zwischen den ehemaligen Musterverfahrensparteien gegeben sein, so rechtfertigt sich bereits aus dieser Verknüpfung ein Eingreifen der auch nach herkömmlichem Verständnis daran gekoppelten Rechtskraftwirkungen. Die Rechtskraft wirkt sowohl in einem Folgeverfahren mit identischem Streitgegenstand über das Verbot des ne bis in idem als negative Prozessvoraussetzung als auch bei Präjudizialität der rechtskräftigen Feststellungen im Rahmen von Prozessen mit anderem Streitgegenstand.141 Einige Aspekte dieser Rechtskraftwirkungen mussten bereits zur Ermittlung des von § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordneten objektiven Bindungsumfangs berücksichtigt werden. Die folgende Darstellung142 kann sich daher auf eine knappe Zusammenfassung der noch nicht erörterten zentralen Gesichtspunkte beschränken. aa) Das Verbot des ne bis in idem bei Identität des Streitgegenstands Aus dem Verbot des ne bis in idem folgt, dass über denselben Streitgegenstand nicht neu sachlich entschieden werden darf. Wird dennoch die gleiche oder eine das kontradiktorische Gegenteil fordernde Klage ein zweites Mal erhoben, so ist die neue Klage wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung von Amts wegen als unzulässig abzuweisen.143 Ein Eingreifen dieses Wiederholungsverbots in einem neuerlichen Individualverfahren zwischen den ehemaligen Musterverfahrensparteien kommt nie in Betracht. Der in diesem Prozess erhobene prozessuale Anspruch wird sich zwangsläufig von dem rechtskräftigen Entscheidungsgegenstand des Musterbescheids unterscheiden, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG.144 Ebenso wenig wird es im Rahmen eines weiteren Musterverfahrens eingreifen. Neben obigen Überlegungen ist zu berücksichtigen, dass bereits das Prozessgericht bei Eingang eines Musterfeststellungsantrags prüft, ob über das darin beantragte Feststellungsziel zuvor durch Musterentscheid mit Wirkung gegenüber 141 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 38 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 185 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 9 ff.; Zöller/M. Vollkommer ZPO, § 322 Rn. 21 f. 142 S. 235 bis 246. 143 Vgl. BGHZ 157, 47 (50 m.w. N.); 123, 30 (32); 93, 287 (289 m.w. N.); 53, 332 (334); 36, 365 (367); 34, 337 (339); BGH BGHReport 2006, 742 (742 f.); NJW 1995, 2993 (2993 f. m. z. w. N.); 1995, 1757 (1757 f. m. z. w. N.); 1989, 2133 (2134 [Revisionsinstanz]); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einf. §§ 322–327 Rn. 12; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 10 und 38; Rosenberg/Schwab/ders., Zivilprozessrecht, § 150 Rn. 10 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 39; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 322 Rn. 11 und 13; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 19 sowie 21. 144 Vgl. bereits S. 112 f. sowie v. a. S. 244 bis 251.
C. Eigener Ansatz
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dem Antragsteller entschieden wurde, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG. Ist dies der Fall, so hat es bereits den Antrag auf Musterverfahrensdurchführung durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen, § 1 Abs. 3 Satz 2 KapMuG.145 bb) Präjudizwirkung des Musterentscheids Die zentrale Bedeutung der Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG besteht in der Präjudizwirkung des in Rechtskraft erwachsenen Musterentscheids für die fortzuführende Ausgangsstreitigkeit zwischen den Musterverfahrensparteien. Der rechtskräftig festgestellte Entscheidungsgegenstand des KapMuG-Prozesses bildet sowohl bezüglich der oberlandesgerichtlichen Beurteilung des Feststellungsziels als auch hinsichtlich der Feststellungen zu den einzelnen Streitpunkten nach materiellem Recht eine Voraussetzung für die Entscheidung des Prozessgerichts über den Gegenstand in der Hauptsache.146 Gleichzeitig wird sich das Eingreifen der Bindung auf Grund Vorgreiflichkeit auf diesen Prozess beschränken: In einer späteren Individualstreitigkeit bzw. einem weiteren Musterprozess scheitert die Annahme von Präjudizialität zumeist am Fehlen der erforderlichen Übereinstimmung im Lebenssachverhalt – also insbesondere der fehlenden Identität des Informationsträgers – bzw. wegen des Erfordernisses der Parteienidentität, vgl. § 325 Abs. 1 ZPO.147 cc) Präklusionswirkung des Musterentscheids Gleiches gilt für Bedeutung und Auswirkung der Rechtskraft in zeitlicher Hinsicht, also hinsichtlich der Präklusion von Alttatsachen. Die maßgebliche Frage ist wiederum, ob eine der Musterverfahrensparteien nach Abschluss des Musterprozesses eine abweichende rechtliche Beurteilung des oberlandesgerichtlichen Prozessstoffs im fortzuführenden Hauptsacheverfahren erreichen kann.148 Insoweit wurde bereits erörtert, dass dort grundsätzlich keine der (ehemaligen) Musterverfahrensparteien mehr geltend machen kann, das Musterverfahren sei 145 Beispiel: Das Oberlandesgericht hat in einem rechtskräftigen Musterentscheid die Prospektunrichtigkeit festgestellt. In dem zwischenzeitlich wieder aufgenommenen Verfahren in der Hauptsache zwischen den ehemaligen Musterverfahrensparteien stellt der Beklagte einen Musterfeststellungsantrag mit der Bitte um Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils, dass der streitgegenständliche Börsenzulassungsprospekt nicht unrichtig i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG ist. 146 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 50 sowie ausführlich S. 235 ff. 147 Vgl. bereits S. 246 ff. 148 Vgl. BVerfGE 31, 199 (203 f.); BGHZ 83, 278 (280 m.w. N.); 37, 375 (377); BGH NJW 1986, 2645 (2646 m.w. N.); 1985, 2825 (2826); 1984, 126 (127); RGZ 144, 220 (222); 96, 20 (21); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 139; Rosenberg/Schwab/ders., Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 237; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 322 Rn. 36; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 53.
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unrichtig entschieden.149 Wegen des auf einzelne Entscheidungselemente begrenzten musterverfahrensrechtlichen Gegenstands handelt es sich bei etwaigen, in der fortgeführten Ausgangsstreitigkeit vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel regelmäßig um solche, die zur Zeit des Musterverfahrens bereits objektiv vorhanden und erkennbar waren, aber von der jeweiligen Partei nicht vorgetragen wurden.150 Beispiel 32: Das Feststellungsziel des Musterverfahrens war auf die Feststellung der Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG gerichtet. Der Musterkläger rügte wie im Fall 30 (S. 238) die Fehlerhaftigkeit der Angaben zur Geschäftstätigkeit der Emittentin sowie der Darstellung über den Entwicklungsfortschritt eines neuen Produkts. Das Oberlandesgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Prospekt hinsichtlich beider Punkte zutreffend sei und verneinte deshalb das geltend gemachte Feststellungsziel. Im fortgeführten Individualverfahren möchte der Kläger eine Übernahme der rechtskräftigen Feststellungen im Musterentscheid und damit eine Abweisung seiner Schadensersatzklage mit dem Vortrag verhindern, er habe zwischenzeitlich von einem weiteren Prospektmangel 3, betreffend die (objektiv unrichtige) Schilderung der Kapitalausstattung der Beklagten Kenntnis erlangt. Nach dem Gesagten ist der Kläger mit diesem Vortrag durch den rechtskräftigen Musterentscheid präkludiert. Es handelt sich nur um einen Wechsel in der Begründung desselben Anspruchs. Der bislang unterbliebene Vortrag ist Bestandteil des einheitlichen Lebenssachverhalts, über den das Oberlandesgericht bereits rechtskräftig entschieden hat.151
149 Siehe ausführlich S. 235 ff. Zudem dient die „einfachrechtliche“ Verfahrensrügen zulassende Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid gemäß § 15 KapMuG als Ausgleich für die mit Abschluss des Musterverfahrens eintretende umfassende Präklusion von Alttatsachen (vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 29, 49). 150 Insbesondere ist undenkbar, dass neue Tatsachen vorgebracht werden, die nicht zu dem Gegenstand des Musterprozesses gehören bzw. erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind: Der musterverfahrensrechtliche Gegenstand bestimmt sich durch die Herausgabe eines konkreten Informationsträgers bzw. ein entsprechendes Unterlassen zu einem bestimmten Zeitpunkt, so dass sich späteres Vorbringen denknotwendig auf diesen in zeitlicher Hinsicht bereits abgeschlossenen Tatsachenkomplex bezieht. Vgl. allgemein zur Zulässigkeit neuer Tatsachen im Folgeprozess BVerfGE 31, 199 (203 f.); BGHZ 83, 278 (280 m.w. N.); 37, 375 (377); BGH NJW 1986, 2645 (2646 m.w. N.); 1985, 2825 (2826); 1984, 126 (127); RGZ 144, 220 (222); 96, 20 (21); MüKo/ Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 150 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 232 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 41 ff.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 54. 151 Vgl. hierzu insbesondere bereits S. 238 ff., dort v. a. S. 242; sowie allgemein BGH NJW 1995, 967 (967 f. m.w. N.); MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146; Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 218; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 39.
C. Eigener Ansatz
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III. Wirkung im Verhältnis zwischen Musterverfahrenspartei und Beigeladenem bzw. im Verhältnis zweier Beigeladener zueinander, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG Die Vorschrift des § 16 KapMuG zielt nicht nur darauf ab, die Musterentscheidung im Verhältnis der Musterverfahrensparteien zueinander in Rechtskraft erwachsen zu lassen. Wesentlicher Kern der Norm ist, deren Verbindlichkeit für sämtliche Beteiligten der ausgesetzten Ausgangsverfahren herzustellen und dadurch den Zweck des Kollektivverfahrens zu erfüllen. Von besonderem Interesse ist die Regelung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Sie erfasst die in der Praxis am häufigsten anzutreffende Konstellation, in der ein beigeladener Kläger das Individualverfahren gegen den bzw. die Musterbeklagten führt. Entsprechend ihrer herausragenden praktischen Bedeutung wird diese in den Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung zur Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG gerückt. Daneben regelt die Vorschrift den umgekehrten Fall, etwa, wenn der Musterkläger nach Abschluss des Musterverfahrens gegen einen beigeladenen Streithelfer des Musterbeklagten vorgeht.152 Zudem soll § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG eine Bindung der Beigeladenen untereinander sowie im Verhältnis zu ihrer eigenen Hauptpartei erzeugen.153 1. § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als Ausgangspunkt § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG ordnet an, dass der Musterentscheid unmittelbar für und gegen alle Beigeladenen des Musterverfahrens unabhängig davon wirkt, ob der Beigeladene selbst alle Streitpunkte ausdrücklich geltend gemacht hat. Entgegen ihrem Wortlaut richtet sich die Vorschrift nicht isoliert an die jeweilige Beigeladenenperson. Sie ist so zu lesen, dass sie die Wirkung des Musterentscheids im Verhältnis zwischen dem Beigeladenem zu seinem Prozessgegner im Individualverfahren unabhängig davon regelt, ob dieser ebenfalls Beigeladener oder Musterverfahrenspartei war, vgl. auch § 16 Abs. 2 KapMuG. Andernfalls wäre ein gleichförmiges Eingreifen der Bindungswirkung nicht gewährleistet: 152 Beispiel: Ursprünglich wurde nur der Emittent verklagt, den im Ausgangsverfahren die zum Musterprozess beigeladene Bank als Streitgehilfin unterstützte. Der Musterentscheid stellt die Prospektunrichtigkeit sowie das Beklagtenverschulden fest. Der Kläger rechnet nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens mit der Insolvenz des Emittenten, will sich die positiven Feststellungen des Musterentscheids jedoch möglichst umfänglich zu Nutze machen. Deshalb betreibt er jetzt ein Prospekthaftungsverfahren gegen die Bank, in welchem die Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG eingreift. 153 Vgl. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 10; Rau, KapMuG, S. 235; ungenau hingegen Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 29. Letzteres kann beispielsweise in einem späteren Regressprozess des Musterbeklagten gegen seinen Streithelfer, etwa in einem Verfahren der Emittentin gegen ein Vorstandsmitglied, bedeutsam werden.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
Steht dem Beigeladenen in der Ausgangsstreitigkeit eine ehemalige Musterverfahrenspartei gegenüber, wäre diese nicht an die Feststellungen des Musterentscheids gebunden. Die Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG scheitert an der erforderlichen Parteienidentität; hierüber könnte auch die Bindung des Prozessgerichts nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nicht hinweghelfen. § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG wirkt bilateral. Die von dieser Vorschrift ausgehende Wirkung ist Musterentscheidswirkung. Sie setzt als solche eine rechtskräftige Entscheidung des Oberlandesgerichts voraus, vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.154 Das Prozessgericht hat die Bindung an die positiven sowie negativen Feststellungen nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG, die ein rechtskräftiger Musterentscheid erzeugt, von Amts wegen bei der Entscheidung über den ausgesetzten Rechtsstreit zu beachten.155 Bei der Frage nach der objektiven Reichweite der Bindung fällt zunächst die einschränkende Regelung des § 16 Abs. 2 KapMuG und deren Ähnlichkeit in der sprachlichen Ausgestaltung mit der Vorschrift des § 68 ZPO auf. Aus dieser äußerlichen Verwandtschaft sowie den Äußerungen des Gesetzgebers, mit § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG eine der Nebeninterventionswirkung ähnliche Bindung erzeugen zu wollen156, leitet das Schrifttum durchwegs deren inhaltliche Vergleichbarkeit ab. Die Bindung nach § 68 ZPO beschränkt sich im Unterschied zur Rechtskraftwirkung gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nicht nur auf den Entscheidungssatz, sondern umfasst vor allem auch die Richtigkeit des Urteils, also dessen tragende tatsächliche und rechtliche Grundlagen.157 Davon ausgehend besteht im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG jedenfalls diesbezüglich Einigkeit, dass die Norm eine Verbindlichkeit der Entscheidungsgründe des Musterentscheids, d.h. der die Entscheidung über das Feststellungsziel stützenden Tatsachenfeststellungen sowie rechtlichen Begründungselemente, anordnet.158
154
Siehe hierzu auch Fn. 11. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 18, 34 sowie v. a. S. 30 und 39. Die Bindung des Prozessgerichts ergibt sich dagegen aus § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG und folgt in ihrer Reichweite den für die Parteien jeweils geltenden Grenzen, vgl. dazu S. 277 ff. 156 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 17 und v. a. 31, 34. 157 Vgl. etwa BGHZ 157, 97 (99 m. z. w. N.); 116, 95 (102); 103, 275 (278); 100, 257 (262); 96, 50 (53); 85, 252 (255); 36, 212 (215); 16, 217 (229); 8, 72 (82 m. z. w. N.); 5, 12 (15); RGZ 123, 95 (96 f.); Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 5 ff. m.w. N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 60 sowie 66; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 1; MüKo/Schultes, ZPO, § 68 Rn. 15 m.w. N.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 68 Rn. 9. 158 D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 147; Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (169 ff.); MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 5; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 9 f.; Hess, ZIP 2005, 1713 (1716); ders., WM 2004, 2329 (2331); ders./Michailidou, WM 2003, 2318 (2322); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 31; Leufgen, Kollektiver Rechtsschutz zugunsten geschädigter Kapitalanleger, S. 182 ff.; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (144 ff.); Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 244 f.; Rau, KapMuG, S. 238; Reuschle, WM 2004, 2334 (2342); ders., ÖsterrAnwBl 2006, 155
C. Eigener Ansatz
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Ob der oberlandesgerichtliche Ausspruch zum Feststellungsziel selbst Bindungswirkung entfaltet, wird hingegen unterschiedlich beurteilt159, ebenso die Frage nach der Rechtsnatur der Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien bringt keine Klarheit, war bei der Schaffung der Norm doch teilweise von einer „umfassenden Rechtskrafterstreckung [. . .] auf alle Streitpunkte“ 160, teilweise von einer „Beiladungswirkung [. . .] in Anlehnung an das Vorbild der Interventionswirkung nach § 68 ZPO“, die sowohl den Subsumtionsschluss als auch dessen tatsächliche und rechtliche Grundlagen ergreifen soll“ 161, die Rede. Die Auslegung und die sich daran anschließende rechtliche Einordnung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG muss deshalb vornehmlich teleologischen Gesichtspunkten folgen. Maßgeblich ist wiederum, welche inhaltliche Reichweite der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG sinnvoll und notwendig ist, um den objektiven Gesetzeszweck des KapMuG zu verwirklichen.162 Einen weiteren Problemkreis im Hinblick auf die Reichweite der Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG eröffnet ein Blick auf den zweiten Halbsatz der Vorschrift. Dieser ordnet eine Bindung unabhängig davon an, ob der Beigeladene selbst alle Streitpunkte ausdrücklich geltend gemacht hat. Insoweit gilt es zu untersuchen, auf welchen Verfahrensabschnitt sich dieser Zusatz bezieht. Anders ausgedrückt ist danach zu fragen, ob die Wirkung des Musterentscheids lediglich nicht davon abhängen soll, dass der Beigeladene im oberlandesgerichtlichen Prozess den jeweiligen Streitpunkt geltend gemacht hat oder die von ihm ausgehende Bindung sogar über das Fehlen eines entsprechenden Vorbringens in seinem Ausgangsverfahren hinweghilft.
371 (379 f.); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 674 f.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2. 159 Für die rechtliche Einordnung der Bindung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als Interventionswirkung KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 13 f.; für eine subjektive Rechtskrafterstreckung hingegen Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (174 f.); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153 ff.); zustimmend KK/Rimmelspacher, § 15 Rn. 103 ff. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 32 ordnet die Wirkung des rechtskräftigen Musterentscheids gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als rechtskraftähnliche Bindungswirkung sui generis ein. 160 BT-Drs. 15/5695, S. 25, ähnlich S. 24. 161 BT-Drs. 15/5091, S. 19. 162 Vgl. zur Anerkennung rein objektiver Gesetzeszwecke den Text bei S. 231 und die Nachweise in Fn. 57.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
2. Notwendiger und sinnvoller objektiver Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG a) Notwendigkeit der Erstreckung der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte Die Anordnung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG ist sinnvollerweise zunächst dahin zu verstehen, dass auch im Ausgangsverfahren eines Beigeladenen der oberlandesgerichtliche Ausspruch zum Feststellungsziel Verbindlichkeit besitzt. Die im Musterentscheid festgehaltene Antwort auf die Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Anspruchsvoraussetzung bildet ein Entscheidungselement des Verfahrens in der Hauptsache. Dieser Baustein – im nachfolgenden Beispiel abermals die Feststellung der Prospektunrichtigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG – ist zwangsläufig in jedem anhängigen Individualprozess verwertbar. Die bereits zuvor angestellten Erwägungen zur möglichst umfassenden Erledigung des mehrfach relevanten Prozessstoffs sowie zur optimalen Ausnutzung des Bündelungsmechanismus des KapMuG greifen hier gleichermaßen.163 Dem können keine besonderen Umstände entgegengehalten werden, die es rechtfertigen, im Hinblick auf das Verfahren eines Beigeladenen die Bindungswirkung auf die oberlandesgerichtlichen Feststellungen zu den einzelnen Streitpunkten zu begrenzen.164 Einer derartigen Grenzziehung vorgelagert wäre die Überlegung, den im KapMuG angelegten Kanalisierungsmechanismus durch eine restriktive Gesetzesauslegung – insbesondere des Eingreifens der Vorschriften über die Aussetzung und Sperrwirkung, § 7 und § 5 KapMuG – zu verengen.165 Jedoch wird der Beigeladene, wie nachfolgendes Beispiel verdeutlicht, durch eine Zuziehung zum laufenden Musterprozess nicht unangemessen benachteiligt. Beispiel 33166: Die Anleger möchten vom Musterbeklagten in ihren Haftungsprozessen nach § 44 BörsG die Rückabwicklung ihrer Anteilskäufe erreichen. Das Feststellungsziel im Musterverfahren lautet auf Feststellung der Prospektunrichtigkeit, § 44 Abs. 1 BörsG. Dieses begründet der Musterkläger mit der fehlerhaften Wiedergabe der Kapitalausstattung im Börsenzulassungsprospekt. Die beklagte Emittentin hatte die unzutref-
163
Vgl. S. 235 ff. So aber Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (105 f.). 165 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (105 f.) die entgegen der hier vertretenen Ansicht (vgl. S. 108 ff.) offenbar für jeden Streitpunkt ein gesondertes Musterverfahren zulassen wollen. 166 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (105 f.), allerdings zur Begründung ihres gegenteiligen Standpunkts. 164
C. Eigener Ansatz
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fende Prospektangabe erst nach dem Erwerbszeitpunkt des Musterklägers berichtigt, vgl. auch § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG.167 Nach Erscheinen dieser Berichtigung, aber vor Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG, haben weitere zum Musterverfahren beigeladene Kläger Wertpapiere der Emittentin erworben. Diese machen geltend, vgl. § 13 KapMuG, der Entwicklungsfortschritt eines neuen Produkts sei im Prospekt unzutreffend dargestellt. Das Oberlandesgericht erachtet im Musterentscheid beide Prospektrügen für zutreffend und stellt hinsichtlich des begehrten Feststellungsziels das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Fehlerhaftigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 BörsG fest.
Der beigeladen Spätanleger muss versuchen, seine eigenen Streitpunkte über § 13 KapMuG noch in das anhängige Musterverfahren einzubringen, um eine Bindung an die dort ohne sein Zutun getroffenen Feststellungen zu vermeiden.168 Das Oberlandesgericht wird dem nachträglich Beigeladenen regelmäßig Gelegenheit zu eigenem Sach- und Rechtsvortrag einräumen, vgl. § 10 KapMuG.169 Seine prozessuale Lage ist dadurch vergleichsweise nicht schlechter als diejenige, die ohne eine Zuziehung zum laufenden KapMuG-Prozess bestünde. Auch im Individualverfahren, das er wegen der drohenden Verjährung betreiben müsste170, wäre er zu umfassendem Sachvortrag gezwungen, um eine Präklusion gemäß § 296 ZPO zu vermeiden und sein Klageziel zu erreichen; ähnlich würde sich die Situation in einem gesonderten Musterverfahren darstellen. Überdies tritt die Wirkung des Musterentscheids gegen den Beigeladenen insoweit nicht ein, als er keinen hinreichenden Einfluss auf die Entscheidung im Musterverfahren nehmen konnte, § 16 Abs. 2 KapMuG.171 Dem Beigeladenen wird Prozessinitiative nur in dem Umfang auferlegt, wie er sie ohnehin für eine erfolgreiche Verfahrensführung aufbringen müsste. Insbesondere trifft ihn keine gesteigerte Darlegungspflicht; er kann sich zusätzlich die von anderer Seite vorgetragenen Streitpunkte in seinem Ausgangsverfahren zu eigen machen, vgl. § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG.172 Gleichzeitig belegt das Beispiel 33 (S. 258) eine besondere Notwendigkeit, die Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG keinesfalls auf das Feststellungsziel – hier die begehrte abstrakte Feststellung des Vorliegens der Prospektunrichtigkeit – 167 Vgl. zu der Berichtigungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 2 Nr. 4 BörsG die Ausführungen bei Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 Rn. 65 f.; vgl. zudem KK/Göthel, KapMuG, §§ 44, 45 BörsG Rn. 39 und 99 ff. sowie zu Fragen des Erwerbszeitpunkts Rn. 60 und 63 ff.; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, Rn. 8.93; siehe ferner allgemein das ähnliche Beispiel bei Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (105 f.). 168 Zur Bindungswirkung auch bezüglich „fremder“ Streitpunkte vgl. sogleich S. 261 ff. und Fn. 174 sowie ferner BT-Drs. 15/5091, S. 42 f., 49. 169 Zutreffend KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 19, siehe dort auch Fn. 62. Dies übersehen Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (106). 170 Vgl. hierzu bereits § 2 Fn. 49. 171 Zu § 16 Abs. 2 KapMuG ausführlich S. 266 f. 172 Zu dieser Vorschrift sogleich S. 261 ff.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
zu beschränken. Dieses Ergebnis legt bereits der Wortlaut der Vorschrift nahe. Es rechtfertigt sich wiederum durch die bereits angestellten Überlegungen zum objektiven Zweck des KapMuG. Dieser deckt sich im Übrigen mit der gesetzgeberischen Intention, mehrfach relevante Entscheidungselemente bzw. Tatsachenkomplexe einer möglichst umfassenden und abschließenden Bewertung durch das Oberlandesgericht zuzuführen. Abgesehen davon schafft lediglich eine Bindung an die im Vorprozess zur Entscheidung gestandenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zwischen dem Beigeladenen und seinem Prozessgegner im Ausgangsverfahren einen angemessenen Interessenausgleich. Sie liefert die erforderliche Hilfestellung bei der Durchsetzung ihrer subjektiven Rechte. Nur wenn keine der Parteien der anderen vorhalten kann, das Musterverfahren sein unrichtig entschieden, sind Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit erreichbar. Im Beispiel 33 (S. 258) hat der Beigeladene auf Grund seines späteren Erwerbszeitpunkts ein besonderes Interesse, dass das oberlandesgerichtliche Ergebnis zu dem von ihm vorgebrachten Streitpunkt bezüglich des Entwicklungsfortschritts verbindlich festgehalten wird. Nur auf Basis dieser Feststellung, nicht anhand des musterklägerischen Streitpunkts der Kapitalausstattung kann der Beigeladene im Ausgangsverfahren obsiegen. Aus seiner Sicht ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass sein Prozessgegner im Nachverfahren mit neuen Behauptungen und Beweismittel präkludiert ist, die zu einer abweichenden Beurteilung des Tatsachenkomplexes „Prospektinhalt“ führen könnten.173 Letzterer hat umgekehrt das gleiche schützenswerte Interesse. Eine Bindung zu seinen Gunsten kann durch das Musterverfahren nur erzeugt werden, wenn die Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen der Musterentscheid beruht, bindend feststeht. Dies belegt folgendes Gegenbeispiel: Beispiel 34: Die Situation ist wie in der Ausgangsvariante (Beispiel 33, S. 258). Das Oberlandesgericht kommt abermals zu dem Ergebnis der Prospektunrichtigkeit, § 44 Abs. 1 BörsG. Jedoch erachtet es jetzt nur die Rüge des Musterklägers als zutreffend. Hinsichtlich der von den Beigeladenen gerügten fehlerhaften Darstellung des Entwicklungsfortschritts stellt das Oberlandesgericht fest, dass der Prospekt insoweit nicht fehlerhaft ist. 173 Im Übrigen ergeben sich für den Musterbeklagten aus einem möglichst weit verstandenen Bindungsumfang des Musterentscheids keine ersichtlichen Nachteile im Falle einer Fehlentscheidung des Oberlandesgerichts. Kommt dieses im Musterentscheid beispielsweise zu dem Ergebnis, dass eine im Börsenprospekt objektiv zutreffend dargestellte Kapitalausstattung unrichtig und damit der Prospekt fehlerhaft sei, so dürfte der Nachweis eines Haftungsausschlusses nach § 45 BörsG, etwa des fehlenden Verschuldens oder der fehlenden haftungsausfüllenden Kausalität unschwer zu führen sein (vgl. hierzu allgemein H.-D. Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 6 Rn. 242 ff.; Fleischer, AG 2002, 329 [330]; Groß, Kapitalmarktrecht, § 45 BörsG Rn. 73 ff. sowie Rn. 92; Schwark/Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 45 Rn. 55).
C. Eigener Ansatz
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Im Prozess des Beigeladenen sind damit gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG – vergleichbar der besonderen Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG – sämtliche im Musterentscheid getroffenen Feststellungen174 ohne weitere Sachprüfung zu Grunde zu legen, soweit sie dort entscheidungserheblich sind. Insbesondere werden auch die Streitpunkte verbindlich festgestellt. In dem Ausgangsverfahren des Beigeladenen kann weder über die Beurteilung des Feststellungsziels selbst noch über sonstige im Musterentscheid geklärte Fragen – hier des Prospektinhalts – abweichend entschieden werden.175 b) Die Bedeutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG Die Bedeutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG erschöpft sich indes – das deutet der Wortlaut der Vorschrift an – nicht darin, dass der Beigeladene oder sein Prozessgegner im Ausgangsverfahren die Richtigkeit der Musterentscheidung nicht mehr angreifen kann. Ausgehend von dem vorherigen Beispiel bedeutet dies, dass die Norm dem Beigeladenen zunächst verbietet, weitere Prospektmängel geltend zu machen, um eine abweichende Beurteilung des Prospektinhalts durch das Prozessgericht zu erreichen. Darüber hinausgehend soll der Musterentscheid für und gegen alle Beigeladenen unabhängig davon wirken, „ob der Beigeladene selbst alle Streitpunkte ausdrücklich geltend gemacht hat“. Dieser Wortlaut ist zunächst jedenfalls so zu verstehen, dass die Bindungswirkung an die dem Feststellungsziel zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht davon abhängt, ob der Beige-
174 Entsprechend dem Gesetzeszweck umfasst die Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG nicht nur die Feststellungen zu den ausdrücklich vorgetragenen Streitpunkten. Vielmehr erstreckt sie sich auf die nicht explizit vorgebrachten Streitpunkte, also beispielsweise etwaige weitere Prospektmängel. Denn das Oberlandesgericht hatte bei normativ-natürlicher, vom Standpunkt der Verfahrensbeteiligten ausgehender Betrachtung im Rahmen des Feststellungsziels über die Richtigkeit des Prospektinhalts insgesamt und nicht nur über einzelne Ausschnitte hieraus zu entscheiden. Es handelt sich insoweit um einen tatsächlichen Gesamtkomplex, der einer erneuten Überprüfung durch die Prozessgerichte nicht anheim gestellt werden soll. Hingegen darf das Prozessgericht Tatsachen, die im Musterprozess nicht zur Entscheidung standen, also im Beispiel vor allem solche, die außerhalb des Prospektinhalts liegen, frei feststellen und werten (vgl. bzgl. dieser Parallele zur Interventionswirkung des § 68 ZPO Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 62). Dies rechtfertigt insbesondere die – in Abweichung zum Individualverfahren – umfassende Feststellungspflicht des Oberlandesgerichts. Im Beispiel 33 (S. 258) steht folglich bindend zunächst das Tatbestandsmerkmal der Prospektunrichtigkeit fest. Weiter erstreckt sich die Bindung auf die Feststellung, dass der Prospekt im Hinblick auf die Kapitalausstattung fehlerhaft ist, aber auch nur insoweit. Der Beigeladene könnte folglich im Nachverfahren – abgesehen von § 16 Abs. 2 KapMuG-Fällen – nicht mit weiteren Prospektrügen durchdringen, weil deren Nichtvorliegen als feststehend gilt. 175 I. E. ebenso Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 35.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
ladene im Musterverfahren hierzu vorgetragen hat.176 Der Musterentscheid bindet ihn gleichermaßen an die oberlandesgerichtliche Beurteilung des Vorbringens eines anderen Musterverfahrensbeteiligten i. S. d. § 8 Abs. 1 KapMuG. Dem Beigeladenen kommt insbesondere ein erfolgreicher Sachvortrag von Seiten des Musterklägers, z. B. eine durchdringende weitere Prospektrüge, zugute. Beispiel 35177: Wieder behauptet ein Teil der Anleger, unter denen sich auch der auserwählte Musterkläger befindet, die Unrichtigkeit des Börsenzulassungsprospekts ergäbe sich aus der unzutreffenden Darstellung der Kapitalausstattung der Emittentin. Eine entsprechende Berichtigung hatte die Musterbeklagte nicht veröffentlicht. Allerdings haben die weiteren zum Musterverfahren beigeladenen Anleger in den Prospekthaftungsklagen diesen Mangel vor der Verfahrensaussetzung und Beiladung zum Musterverfahren, vgl. § 7, § 8 Abs. 3 KapMuG, nicht gerügt. Jene Beigeladenen trugen in ihren Ausgangsstreitigkeiten lediglich vor, die Angabe über den Entwicklungsfortschritt eines neuen Produkts der Emittentin sei unzutreffend. Diesen Streitpunkt führen sie in das Musterverfahren ein, § 13 KapMuG. Das Oberlandesgericht sieht jedoch nur den vom Musterkläger gerügten Prospektmangel als erwiesen an. Hinsichtlich des Streitpunkts der zweiten Beigeladenengruppe stellt es fest, dass insoweit keine Fehlerhaftigkeit des Prospekts vorliegt.
Das Beispiel 35 wirft zudem die Frage auf, ob eine Bindung auch bezüglich der Feststellungen im Musterentscheid eintritt, zu denen im Individualverfahren nicht vorgetragen wurde. Anders ausgedrückt könnte § 16 Abs. 1 Satz 3 a. E. KapMuG dem Beigeladenen nicht nur über fehlenden eigenen Sachvortrag im KapMuG-Prozess, sondern vielmehr über das Unterlassen von streitpunktbezogenem Tatsachenvorbringen in seiner Ausgangsstreitigkeit hinweghelfen.178 Würde 176 Insoweit besteht Einigkeit im Schrifttum, vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 7; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 11 sowie 30; Kilian, KapMuG, S. 170 ff., insbesondere S. 170; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 36; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2255); Zöller/M. Vollkommer, § 325a Rn. 3; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 2 und 7. 177 Vgl. zudem das Beispiel bei Kilian, KapMuG, S. 169. 178 So die überwiegende Ansicht im Schrifttum ohne Einschränkungen im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, allerdings mit teilweise unterschiedlicher Begründung. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 11 sowie 30, erblickt hierin keine Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes, sondern eine zwingende Folge der gebündelten Entscheidung über den Vorlagebeschluss. Kilian, KapMuG, S. 170 ff.; Reuschle, KapMuG, S. 35, vgl. dort insbes. auch Fn. 58; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2255), werten § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG indes als Durchbrechung bzw. Einschränkung („ersatzsubstanziierende Wirkung des Musterentscheids“) des Beibringungsgrundsatzes. Ähnlich BTDrs. 15/5091, S. 49 mit dem Argument, dass sich das Musterverfahren nur als Fortführung der ersten Tatsacheninstanz darstelle. Ohne Begründung auch Rau, KapMuG, S. 234. Ebenso wohl Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 2, 9, 14 (widersprüchlich hierzu allerdings Rn. 11 f.) sowie – ohne Begründung – MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 7; Zöller/M. Vollkommer, § 325a Rn. 3. A. A. hingegen ohne Begründung Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 36.
C. Eigener Ansatz
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zu Gunsten des Beigeladenen aus dem Beispiel in seiner Ausgangsstreitigkeit die Feststellung des Oberlandesgerichts betreffend die Prospektrüge des Musterklägers wirken, so hätte er in der Hauptsache doch noch Obsiegenschancen. Seine eigene Not leidende Anspruchsbegründung würde durch die verbindlichen Feststellungen des Musterentscheids „aufgefüllt“.179 Auf den ersten Blick mag diese Lösung einer „amtswegigen“ 180 Verwertung der Feststellungen des Musterentscheids ohne Rücksicht auf den im Individualverfahren geltenden Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz verwundern. Dieser Verfahrensgrundsatz besagt dass allein die Parteien den Streitstoff in den Prozess einführen und seine Feststellung betreiben.181 Tatsachen, welche von den Parteien nicht vorgebracht sind, darf das Gericht nur ausnahmsweise berücksichtigen, wenn sie offenkundig sind, vgl. § 291 ZPO.182 Allein mit dem Argument der bestehenden Einheit zwischen Individual- und Musterprozess ist eine davon unabhängige Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG noch nicht erklärbar. Sie würde nicht zwangsläufig an einen entsprechenden Vortrag im Ausgangsverfahren anknüpfen. Jedoch hat der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift bewusst von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, die zivilprozessuale Beibringungs- und Verhandlungsmaxime zu modifizieren.183 Er wollte dadurch dem von ihm erklärten Gesetzeszweck, den musterverfahrensrechtlichen Prozessstoff umfassend und endgültig zu erledigen, durch eine Kollektivierung der Verhandlungsmaxime Geltung verschaffen, vgl. auch § 13 Abs. 1 KapMuG. Diese Zielsetzung entspricht dem objektiven Gesetzeszweck.184 Vor dem Hintergrund dieses kollektiven Ver-
Zu Recht einschränkend im Hinblick auf übernahmerechtliche Streitigkeiten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG Kilian, KapMuG, S. 173 ff. Zustimmend KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 30 Fn. 85. Vgl. zudem BT-Drs. 15/5091, S. 17: „Wo [bei der Geltendmachung der Erfüllungsansprüche bei Übernahmeangeboten und nicht bei Zwangssituationen wie etwa dem Squeeze-out] sich dagegen nur unterschiedliche Interessen verschiedener Parteien gegenüberstehen, ist diesen zuzumuten, sich des allgemeinen Klageverfahrens nach der ZPO (mit der Geltung des Beibringungsgrundsatzes) zu bedienen.“ (Hervorhebung und Anmerkung durch die Verfasserin). 179 B. Schneider, BB 2005, 2249 (2255). 180 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 36. 181 Vgl. BGH NJW 1989, 3161 (3162); WM 1977, 402 (404); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Grdz § 128 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, Vor § 128 Rn. 10; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, vor § 128 Rn. 153; MüKo/Lüke, ZPO, Einleitung Rn. 184; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 37; Zettel, Beibringungsgrundsatz, S. 30 f. 182 Umstritten ist insoweit jedoch, ob auch hinsichtlich offenkundiger Tatsachen eine Behauptungslast besteht. Die (wohl) h. L. verneint dies zu Recht, vgl. Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 111 Rn. 25 m.w. N., auch zur Gegenauffassung; Zöller/Greger, ZPO, § 291 Rn. 2; Musielak/Huber, ZPO, § 291 Rn. 4, insbes. auch Fn. 7; MüKo/Prütting, ZPO, § 291 Rn. 13 m.w. N. 183 So explizit BT-Drs. 15/5091, S. 49. Ebenso Kilian, KapMuG, S. 171 f. Vgl. ferner Stein/Jonas/Leipold, ZPO, vor § 128 Rn. 181. 184 Vgl. hierzu Fn. 57.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
handlungsgrundsatzes stellt sich das Musterverfahren als Fortführung der ersten Tatsacheninstanz dar.185 Konsequenterweise muss dortiger Tatsachenvortrag unabhängig davon auf das Nachverfahren durchschlagen, ob es sich um Vorbringen des Beigeladenen selbst oder eines sonstigen Musterverfahrensbeteiligten handelt. Dieses Verständnis des § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG genügt dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit. Die Wirkung kommt beiden Parteien der Ausgangsstreitigkeit gleichermaßen zu Gute.186 Folglich binden den Beigeladenen und seinen Prozessgegner im Nachverfahren sämtliche Feststellungen des Musterentscheids ungeachtet dessen, ob sie durch entsprechenden eigenen Tatsachenvortrag im Ausgangsverfahren oder ggf. erst im Musterverfahren, vgl. § 13 KapMuG, abgedeckt sind.187 3. Grenzen der Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG a) Personelle Reichweite gemäß § 16 Abs. 1 Satz 4, § 16 Abs. 3 und § 17 Satz 4 KapMuG Die Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG gilt gegenüber allen Beigeladenen, sei es, dass sie ihre Musterverfahrenspartei durch eigene Erklärun185 So KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 11, 30; vgl. zudem KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 9 Rn. 29 f. I.Ü. ist zu berücksichtigen, dass auch ohne ausdrückliche Erklärung der Partei davon auszugehen ist, dass sie sich günstigen Tatsachenvortrag zu Eigen macht, vgl. BGH NJW 1991, 1541 (1542); Zöller/Greger, ZPO, Vor § 128 Rn. 10 a. E. 186 Vgl. BVerfGE 74, 78 (94); 69, 126 (140); 55, 72 (94); 52, 131 (144); BAGE 87, 31 (40); Lindner, ZIP 2003, 192 (194); Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 102. 187 Für den Musterkläger kann nichts anderes gelten; dies bestätigen der Umkehrschluss aus § 12 KapMuG (Widerspruchsmöglichkeit) sowie die Wertung des § 13 Abs. 1 KapMuG (Gleichwertigkeit des Erweiterungsbegehrens eines Beigeladenen). So auch KK/Hess/KapMuG, § 16 Rn. 30 mit dem Argument der Verfahrenseinheit. Fraglich bleibt indes, ob die Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KapMuG auch dann eingreift, wenn der Kläger im Ausgangsverfahren mit weiterem Sachvortrag bereits präkludiert wäre, § 296 ZPO. Dafür, allerdings ohne Begründung KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 15 sowie der Text in Fn. 51; widersprüchlich, im Ergebnis aber offenbar wohl für eine durchgreifende Bindung, Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 11 f. und v. a. Rn. 14. Gegen eine Bindungswirkung in Präklusionsfällen ließe sich anführen, dass der Beibringungsgrundsatz nur insoweit modifiziert werden kann, als eine Beibringung überhaupt noch möglich ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Zulassung von Vorbringen, das an sich gemäß § 296 Abs. 1 bzw. Abs. 2 ZPO verspätet ist, nicht anfechtbar ist; andernfalls erginge ein vorsätzlich falsches Urteil; zudem kann die durch die gesetzeswidrige Berücksichtigung eingetretene Verzögerung ohnehin nicht mehr rückgängig gemacht werden, Musielak/Huber, ZPO, § 296 Rn. 36; MüKo/ Prütting, ZPO, § 296 Rn. 182 m.w. N.; ebenso Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 14 a. E. Eine Beeinträchtigung der Beklagtenrechte wäre mit einer Zulassung im Nachverfahren wohl jedenfalls nicht verbunden. Der Beklagte musste sich im Musterprozess gegen den betreffenden Sachvortrag ohnehin bereits verteidigen, um eine nachteilige Feststellung zu verhindern. Abgesehen davon dürfte die Problematik des § 296 ZPO in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielen, da es meist in einem sehr frühen Verfahrensstadium zur Aussetzung nach § 7 KapMuG kommen wird.
C. Eigener Ansatz
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gen und Handlungen, vgl. § 12 KapMuG, vor dem Oberlandesgericht unterstützen oder dass sie auf eine aktive Beteiligung im KapMuG-Verfahren verzichten. Sie bezieht sich jeweils auf die Ausgangsstreitigkeit des Beigeladenen, die das Prozessgericht im Hinblick auf das Musterverfahren gemäß § 7 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt hat.188 In Prozessen, die erst nach Erlass des Musterentscheids anhängig werden, entfaltet der Musterentscheid hingegen grundsätzlich keine Bindung.189 Allerdings ist § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG zu beachten. Die Vorschrift bestimmt, dass sich der Beigeladene der Bindungswirkung nicht durch eine Klagerücknahme in der Hauptsache entziehen kann.190 Kommt es später zu einem erneuten Verfahren gegen den ursprünglichen Prozessgegner mit zumindest teilweise identischem Streitgegenstand, so ist die Musterentscheidung auch dort gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG verbindlich.191 Der Musterentscheid wirkt selbst dann noch, wenn der Beigeladene seine Klage in der Hauptsache erst innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Aussetzungsbeschlusses, § 7 KapMuG, zurücknimmt, um eine Beteiligung an den Musterverfahrenskosten der ersten Instanz zu vermeiden, vgl. § 17 Satz 4 KapMuG.192 Mit dieser Kostentragungsregelung werden auf der einen Seite durchaus falsche Anreize für so genannte „free rider“ gesetzt, eine Haftungsklage zu erheben, diese jedoch wegen 188 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 37. Vgl. auch KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 19. 189 Siehe bereits den Text in Fn. 3; zudem KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 2; Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 15 und 37; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 1. 190 Die Vorschrift schützt den Beklagten vor Beginn der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache; später kann er durch Verweigerung seiner Zustimmung zur Klagerücknahme unschwer die Bindungswirkung des Musterentscheids herbeiführen, § 269 Abs. 1 ZPO. Zudem soll § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG verhindern, dass die Parteien durch einvernehmliches Handeln im Ausgangsverfahren den Bündelungszweck des KapMuG unterlaufen, vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 31; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 23; Vorwerk/ C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 27. Ebenso tritt trotz Klagerücknahme eine Bindungswirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien ein, da die Bindung diesen gegenüber nicht schwächer sein kann als im Verhältnis zu den Beigeladenen, Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 16. 191 BT-Drs. 15/5091, S. 31; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 23; ders., ZIP 2005, 1713 (1715); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 37; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 17, Rn. 25 f., 31. Vgl. zudem zum Eingreifen des § 16 Abs. 2 KapMuG trotz Klagerücknahme im Ausgangsverfahren ausführlich Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 17 und Rn. 25 f. sowie zur Klagerücknahme vor Begründung der Beigeladenenstellung Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 27. 192 Ähnlich Bergmeister, KapMuG, S. 227 f., der für eine Unanwendbarkeit des § 16 Abs. 1 Satz 4 KapMuG bei Klagerücknahme innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 17 Satz 4 KapMuG eintritt. Im Falle des klägerischen Unterliegens im Ausgangsverfahren bemisst sich der von ihm zu tragende Anteil an den Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens nach dem Streitwertanteil an dem vom Musterkläger und den Beigeladenen zusammengerechneten Gesamtanspruch, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 KapMuG (KK/Kruis, KapMuG, § 17 Rn. 14 ff.; Vorwerk/Wolf/Riedel, KapMuG, § 17 Rn. 4; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 28).
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
§ 269 Abs. 1 ZPO noch vor der mündlichen Verhandlung wieder zurückzunehmen und dadurch ohne Kostenrisiko die Vorteile eines günstigen Musterentscheids zu erlangen. Auf der anderen Seite rechtfertigt das Interesse einer umfassenden Erledigung des Prozessstoffs eine Bindung. Das hat der Gesetzgeber letztlich durch eine vergleichbare Kostenverteilungsregelung für das Rechtsbeschwerdeverfahren in § 19 Abs. 1 KapMuG bestätigt.193 Schließlich kann sich der Beigeladene der Bindungswirkung nicht dadurch entziehen, dass er dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beitritt, § 16 Abs. 3 KapMuG.194 b) Grenzen der objektiven Reichweite der Bindung gemäß § 16 Abs. 2 KapMuG Die Wirkung des Musterentscheids zu Lasten des Beigeladenen wird durch die in § 16 Abs. 2 KapMuG normierten Grenzen beschränkt.195 Die Vorschrift dient als Ausgleich für die im Verhältnis zur Hauptpartei untergeordnete Rechtsstellung des Beigeladenen sowie seine beschränkten Befugnisse zur eigenen Teilnahme am Musterverfahren.196 Sie soll die Wahrung der Rechte des Beigeladenen auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör sicherstellen.197 Beteiligt sich der Beigeladene aktiv am oberlandesgerichtlichen Prozess, so ist er nur insoweit berechtigt, eigene Angriffs- und Verteidigungsmittel, § 282 ZPO, vorzubringen oder Prozesshandlungen vorzunehmen, als er sich dadurch nicht in ausdrücklichen198 Widerspruch zu Prozesshandlungen seiner Hauptpartei setzt, § 12 Kap193 Ebenso KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 24 f.; a. A. Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 28 ff. 194 Bei Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 15 KapMuG, §§ 575 ff. ZPO besteht die Aussetzungs- und Sperrwirkung, vgl. § 5 und § 7 KapMuG, für sämtliche Ausgangsverfahren fort. Sie hindert den Eintritt der Rechtskraft des Musterentscheids, § 705 Satz 2 ZPO, und damit dessen Bindungswirkung für die Ausgangsstreitigkeiten; diese können erst mit Vorliegen eines rechtskräftigen Musterentscheids wieder aufgenommen werden, § 16 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. § 16 Abs. 3 KapMuG stellt somit klar, dass sich die Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG auf das Rechtsbeschwerdeverfahren erstreckt. Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 31; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 26 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 34; kritisch Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2740). 195 Umstritten ist, ob der Parteiwechsel im Musterverfahren zur vollumfänglichen Rechtskraftbindung führt (KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 22) oder es dem neuen Musterkläger nicht verwehrt sein darf, sich auf § 16 Abs. 2 KapMuG im Hinblick auf seine vorangehende Beteiligung als Beigeladener zu berufen (Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 18). 196 Vgl. § 12, § 13, § 15 Abs. 4 KapMuG. 197 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 19, 31; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 38. Kritisch im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des KapMuG über die Rechtsstellung der Beigeladenen Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (112); vgl. zudem BRAK, Stellungnahme zum Referentenentwurf des KapMuG, S. 4. 198 Zutreffend Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 22. Vgl. auch BT-Drs. 15/5091, S. 28; BT-Drs. 15/5695, S. 11.
C. Eigener Ansatz
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MuG. Hinzu kommt, dass er das Musterverfahren in der Lage annehmen muss, in der es sich zum Zeitpunkt seines Beitritts befindet, § 12 Hs. 1 KapMuG. Eine von dem Prozessverhalten seiner Hauptpartei unabhängige Rechtsposition kann der Beigeladene hingegen nur im Rahmen der ihm nach § 13 KapMuG eingeräumten Befugnis zur nachträglichen Erweiterung des Verfahrensgegenstands wahrnehmen.199 Zusätzlich ist er – anders als der Streithelfer, vgl. § 67 ZPO – befugt, Rechtsbeschwerde einzulegen, selbst wenn der Musterkläger auf Rechtsmittel verzichtet hat, § 15 Abs. 4 KapMuG. Insgesamt ist die Verfahrensstellung des Beigeladenen damit stark vom jeweiligen Prozessverhalten seiner Hauptpartei geprägt. Dem trägt die Norm des § 16 Abs. 2 KapMuG Rechnung. Sie schränkt – je nach dem Grad der tatsächlichen Einbringung des Beigeladenen in das Prozessgeschehen vor dem Oberlandesgericht – die objektive Reichweite der von § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG ausgehenden Bindung an den Musterentscheid ein. Im Grundsatz kann der Beigeladene in seinem Ausgangsverfahren nicht einwenden, das Musterverfahren sei unrichtig entschieden oder vom Musterkläger mangelhaft geführt worden. Vielmehr wird die Bindung an die nachteiligen Feststellungen des Musterentscheids nur insoweit durch eine der drei Fallgruppen des § 16 Abs. 2 KapMuG suspendiert, als der Beigeladenen keine hinreichende Möglichkeit zur Einflussnahme auf die oberlandesgerichtliche Entscheidung hatte.200 Dies kann zunächst ungeachtet des Grades der weiteren Beteiligung am Musterprozess dann der Fall sein, wenn dem Beigeladenen wegen der Verfahrenslage zum Zeitpunkt seiner Beiladung bestimmte Angriffs- und Verteidigungsmittel verwehrt waren, § 16 Abs. 2 Var. 1 KapMuG. Für den aktiven Beigeladenen kann sich diese Situation auch auf Grund eines Widerspruchs seiner Hauptpartei im Musterverfahren ergeben, § 16 Abs. 2 Var. 2 KapMuG. Weiter eröffnet § 16 Abs. 2 Var. 3 KapMuG gegen die Bindungswirkung den Einwand, die Hauptpartei habe grob fahrlässig oder absichtlich Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht vorgebracht, die dem Beigeladenen selbst unbekannt waren. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beiladungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG eine andere Zielrichtung als die Interventionswirkung des § 68 ZPO verfolgt. Zudem müssen die Beigeladenen im Rahmen der ihnen eingeräumten Befugnisse selbst darauf achten, alle Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, um eine Präklusion mit weiterem Sachvortrag im Nachverfahren zu vermeiden. Die letzte Fallgruppe des § 16 Abs. 2 KapMuG ist deshalb einschränkend unter 199 Zur umfassenden Erledigung des mehrfach relevanten Prozessstoffs zielt die Vorschrift auf eine gemeinschaftliche Wahrnehmung des Verhandlungsgrundsatzes durch die Musterpartei und seine Beigeladenen ab, KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 17; KK/G. Vollkommer, KapMuG, § 12 Rn. 36 f. 200 Siehe hierzu auch BT-Drs. 15/5091, S. 31. Ausführlich zu den Fallgruppen des § 16 Abs. 2 KapMuG KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 15 ff.; vgl. zudem Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 38; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 15 ff.
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dem Gesichtspunkt auszulegen, dass sie den Schutz des Beigeladenen vor schuldhaftem Verhalten der Hauptpartei bezweckt.201 4. Vergleich mit ähnlichen zivilprozessualen Instituten a) Die Interventionswirkung, § 68 ZPO aa) Kurze Darstellung der Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO (i.V. m. § 74 Abs. 3 ZPO) Die Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO lässt sich auf eine Dreieckskonstellation zurückführen. Voraussetzung für ihren Eintritt ist eine rechtskräftige Entscheidung im Vorprozess sowie eine wirksame Nebenintervention in diesem Verfahren202 bzw. der Nichtbeitritt nach wirksamer Streitverkündung203. Beispiel 36 204: Der Käufer einer Sache nimmt den Verkäufer wegen angeblicher Mängel der Kaufsache auf Schadensersatz in Anspruch. Unterliegt der Verkäufer im Rechtsstreit gegen den Käufer wegen der Sachmängelhaftung, so hat er seinerseits Ansprüche gegen den Lieferanten. Um Regressforderungen durch den Verkäufer gegen sich zu vermeiden, tritt der Lieferant dem Prozess auf Seiten des Verkäufers zum Zwecke der Unterstützung bei; so soll eine Verurteilung des Verkäufers abgewandt werden. Dem Beitritt des Lieferanten kann eine Streitverkündung durch den Verkäufer vorausgegangen sein, der meint, im Falle der Veurteilung bei dem Lieferanten Regress nehmen zu können. In diesem Fall ist der Lieferant auch dann, wenn er die Streithilfe unterlässt, im Folgeprozess gegen den Verkäufer wegen der Interventionswirkung, § 68 i.V. m. § 74 Abs. 3 ZPO an die tragenden Feststellungen des Urteils im Erstprozesses zwischen Käufer und Verkäufer gebunden. Immerhin hätte der Lieferant den Verkäufer nach Kräften unterstützen und so das ungünstige Urteil verhindern können.205 Ebenso tritt die Wirkung des § 68 ZPO ein, wenn der Lieferant von sich aus dem Rechtsstreit des Verkäufers gegen den Käufer beitritt. Dies würde allerdings voraussetzen, dass er von der Anhängigkeit des fremden Prozesses auf anderem Wege als durch Streitverkündung Kenntnis hat. 201 Vgl. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 21; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 39; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (117); Reuschle, KapMuG, S. 44. 202 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 3 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 57; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 2 ff.; MüKo/Schultes, ZPO, § 68 Rn. 3; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 68 Rn. 3 f. 203 Vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 74 Rn. 4 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 51 Rn. 2 und 28; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 74 Rn. 1 f.; MüKo/ Schultes, ZPO, § 74 Rn. 8; vgl. zudem Zöller/M. Vollkommer, § 74 Rn. 6. 204 Ähnliche Beispiele finden sich bei Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (170 f. [zur Streitverkündung]), Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 66 Rn. 5 (zur Nebenintervention) sowie Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1630. 205 Vgl. Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1632.
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Die Interventionswirkung ergreift das Verhältnis zwischen dem Streitgehilfen und der von ihm unterstützten Hauptpartei.206 Sie beschränkt sich im Gegensatz zur materiellen Rechtskraft, vgl. § 322 Abs. 1 ZPO, nicht auf eine Bindung an den Entscheidungssatz, sondern erstreckt sich auf dessen Richtigkeit und umfasst damit alle das Urteil tragenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen.207 Nach herrschender Meinung wirkt die Interventionswirkung immer nur zu Ungunsten des Nebenintervenienten bzw. Streitverkündeten, nicht jedoch zu Ungunsten der unterstützten bzw. den Streit verkündenden Hauptpartei.208 Begründet wird dies mit dem Wortlaut des § 68 Hs. 1 ZPO, dem Willen des historischen Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck der Interventionswirkung, das Risiko eines doppelten Prozessverlustes für die Hauptpartei zu mindern. Die Gegenansicht sieht den Zweck der Interventionswirkung hingegen zugleich in dem öffentlichen Interesse begründet, eine erneute und unter Umständen widersprüchliche Entscheidung zu verhindern. Zudem sei es auf Grund der formellen Beteiligung des Nebenintervenienten am Vorprozess aus Gründen der Chancengleichheit nur gerechtfertigt, Prozessergebnisse auch für ihn wirken zu lassen.209
206 Vgl. BGHZ 100, 257; 92, 275 (277); 70, 187 (192 m.w. N.); 3, 385 (387); BGH NJW 1993, 122 (123); RGZ 148, 321 (322); Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 56 sowie Rn. 60; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 1; Lent, AkadZ 1940, 129; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1633; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 705; MüKo/Schultes, ZPO, § 68 Rn. 7 f.; Zöller/M. Vollkommer, § 68 Rn. 6. 207 Vgl. bereits die Nachweise in Fn. 157 sowie BayObLG WM 1987, 734 (735); OLG Köln NJW-RR 1992, 120 (120 f.); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 68 Rn. 1 und 6; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 6 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 50 Rn. 61; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 5; MüKo/Schultes, ZPO, § 68 Rn. 15; Zöller/M. Vollkommer, § 68 Rn. 9. 208 Ausführlich zum diesbezüglichen Meinungsstreit BGHZ 100, 257 (260 ff. m. z. w. N.); vgl. zudem BGH NJW 1997, 2385 (2386); 1987, 2874 m. z. w. N.; RGZ 153, 271 (274); OLG München NJW-RR 1997, 812 (813); OLG Köln NJW-RR 1995, 1085 m.w. N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 50 Rn. 59; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 68 Rn. 1; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1633; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 705; MüKo/Schultes, ZPO, § 68 Rn. 9 m.w. N.; Zöller/M. Vollkommer, § 68 Rn. 6. Ebenso wohl auch Gebauer, ZZP (119) 2006, 159 (171); Lüke, ZZP (119) 2006, 131 (151); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675. 209 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 20; Diedrich, Die Interventionswirkung, S. 149; Gerhardt, ZZP 108 (1995), 546 (550 f.); Häsemeyer, JR 1988, 67 (70 f.); ders., ZZP 84 (1971), 179 (198 f.); Jacoby, Der Musterprozeßvertrag, S. 29; Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess, S. 342; Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, § 68 Rn. 141 f.; Ziegert, Die Interventionswirkung, S. 189. Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass sich der gegenteilige Standpunkt nicht in allen Konstellationen verwirklichen lässt. Bei Unteilbarkeit der Interventionswirkung muss auch die herrschende Meinung eine Bindung zu Lasten der Hauptpartei einräumen (Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 20). Zudem erscheint es überzeugender, den Zweck der Interventionswirkung nicht auf den Schutz der Hauptpartei zu begrenzen, sondern dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung einer erneuten, möglicherweise widersprüchlichen Entscheidung Rechnung zu tragen.
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bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung Selbst wenn man die Interventionswirkung als doppelseitige Bindung zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Streithelfers ansieht210, bestehen deutliche strukturelle Unterschiede gegenüber der für das Musterverfahren angeordneten Bindung der Beigeladenen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Darüber kann der Wunsch des Gesetzgebers, eine der Interventionswirkung vergleichbare Bindungswirkung zu schaffen211, ebenso wenig hinwegtäuschen wie die Ausgestaltung des § 16 Abs. 2 KapMuG, die sich weitgehend mit der Formulierung des § 68 Hs. 2 ZPO deckt.212 Während sich die Nebenintervention auf ein fremdes Rechtsverhältnis zwischen den beiden Hauptparteien bezieht, stellt das Musterverfahren für den Beigeladenen einen ausgelagerten Teil seines eigenen Individualverfahrens dar.213 Zwar hat der Beigeladene ein Eigeninteresse am Obsiegen seiner Hauptpartei; er unterstützt diese regelmäßig – abgesehen von den Fällen einer Beiladung des 210 Folgt man der Gegenansicht, so ergibt sich ein zusätzliches Argument gegen die Vergleichbarkeit der beiden Institute aus § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG. Nach dieser Vorschrift greift die Bindungswirkung des Musterentscheids für und gegen den Beigeladenen gleichermaßen ein. Der Beigeladene muss mithin die tragenden Feststellungen des Musterentscheids nicht nur gegen sich wirken lassen, sondern sie kommen ihm ebenso zugute (vgl. auch Gebauer, ZZP 119 [2006], 159 [171]; Hess/Michailidou, WM 2003, 2318 [2322]; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 29). 211 BT-Drs. 15/5091, S. 17, 31 und 34; vgl. ferner BT-Drs. 15/5695, S. 25. 212 Ebenso Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (170); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 29; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (151 ff.); Rößler, KapMuG, S. 114; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 15 f.; ders., NJW-Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposium, S. 18; Vorwerk/ders./Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 52; Vorwerk/ders./dies., KapMuG, § 12 Rn. 3 f. Kritisch auch DAV (Stellungnahme z. Diskussionsentwurf), NZG 2005, 166 (168 f.); Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 (167). Einige Stimmen in der Literatur sprechen sich dafür aus, den Beigeladenen die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten einzuräumen (so DAV [Stellungnahme zum Diskussionsentwurf], NZG 2005, 166 [168 f.]; Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 [111 und 113]; Weigel, BRAK-Mitt. 2005, 164 [167]; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 4; ebenso wohl auch Leufgen, Kollektiver Rechtsschutz zugunsten geschädigter Kapitalanleger, S. 201 ff.) bzw. zumindest an den Vorgaben der streitgenössischen Nebenintervention zu messen (Rößler, KapMuG, S. 115 f. sowie S. 195). Hiergegen wendet Kramer, NJW-Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposium 2006, S. 12 ein, dass die erhöhten Einflussnahmemöglichkeiten eines streitgenössischen Nebenintervenienten der Zielsetzung des KapMuG zuwiderliefen, weil dadurch das Musterverfahren schwerfälliger würde. Zudem sei das Risiko widersprüchlichen Vortrags zwischen Musterpartei und Beigeladenem nicht allzu groß, da beide in der Regel die gleiche Zielrichtung verfolgten (zustimmend Franklin/Heydn, ZVglRWiss 105 [2006], 313 [319]; Rau, KapMuG, S. 163 f.). Stadler, Festschrift Rechberger, S. 676 sowie Reuschle, ÖsterrAnwBl 2006, 371 (381) erachten umgekehrt die den Beigeladenen eingeräumte Verfahrensstellung gar als zu weit gehend. Hingegen befürwortet KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 14 die Einordnung der Bindungswirkung als Interventionswirkung. 213 Ebenso Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 16; ferner Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 4.
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Streitgehilfen zum Musterverfahren214 – aber grundsätzlich nicht, um einen späteren Regressprozess gegen sich durch seine Hauptpartei zu verhindern. Vielmehr verlaufen die materiellrechtlichen Interessen von Beigeladenem und seiner Hauptpartei in der Regel parallel.215 Für den Beigeladenen geht es im KapMuGProzess darum, Begründungselemente für seine eigene Ausgangsstreitigkeit gegen den Musterverfahrensgegner verbindlich festzulegen, um die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu erhöhen. Gerade auf dieses Verhältnis des Beigeladenen zum Gegner der eigenen Hauptpartei, regelmäßig also das Verhältnis zwischen beigeladenem Individualkläger und Musterbeklagtem216, zielt die Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG ab.217 Der Beigeladene nimmt im Musterverfahren seine eigenen Rechte, nicht lediglich die Interessen seiner Hauptpartei wahr. Die durch die Beiladung eröffnete Teilnahmemöglichkeit soll sicherstellen, dass Art. 103 Abs. 1 GG der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung nicht entgegensteht.218 Zugleich eröffnet diese Ausgestaltung dem Musterverfahrensgegner in den Grenzen des § 16 Abs. 2 KapMuG eine gewisse Rechtssicherheit im Hinblick auf die Fortsetzung des Individualverfahrens gegen den Beigeladenen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Nebenintervention grundsätzlich auf die Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Präjudizialität einzelner Entscheidungselemente abzielt.219 So hilft etwa in Regresskonstellationen wie dem Beispiel 36 214 Vgl. zur Beteiligung eines Streithelfers am Musterverfahren das Beispiel und die Ausführungen auf S. 169 ff. 215 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153). Ähnlich Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 16; Vorwerk/ders./Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 52. 216 Vgl. zur Beteiligung auf der Passivseite des Musterverfahrens bereits ausführlich S. 168 ff. Etwas anderes ist in den Konstellationen denkbar, in denen ein Streithelfer auf der Beklagtenseite des Ausgangsverfahrens neben dem Musterbeklagten zum KapMuGProzess beigeladen wurde (siehe zur Beiladung von Nebenintervenienten bzw. Streithelfern ausführlich S. 169 ff.). Am ehesten ist die Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG damit dem Eintritt der Nebeninterventionswirkung des § 68 ZPO in Konstellationen vergleichbar, in denen der Streitverkündungsempfänger dem Rechtsstreit auf Seiten des Gegners des Streitverkünders beitritt, was der Streit verkündenden Person gegenüber wie ein unterlassener Beitritt wirkt (h. M., vgl. BGHZ 103, 275 [278]; 85, 252 [255]; RGZ 130, 297 [299]; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rn. 4 a; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 74 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, § 68 Rn. 160). 217 So auch Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (171); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 29; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (151); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 15; Vorwerk/C. Wolf/Lange, KapMuG, Einleitung Rn. 52 a. E. 218 Vgl. BT-Drs. 15/5091, S. 19; Vorwerk/Wolf/Lange, KapMuG, § 12 Rn. 4; Rößler, KapMuG, S. 114. Kritsch gegenüber der Wahrung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 GG bei der Beteiligung der übrigen Parteien der Ausgangsstreitigkeiten über das Institut der Beigeladung zum Musterverfahren Gansel/Gängel, NJ 2006, 13 (15 Fn. 13); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675 f.; a. A. offenbar Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (677). 219 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (152).
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von S. 268 die Bindung an den Entscheidungssatz des vorangehenden Urteils im Folgeprozess nicht weiter. Der Lieferant könnte im Regressprozess das Vorliegen eines Sachmangels bestreiten. Nur die Bindung an die tragenden Feststellungen der Vorentscheidung über die Interventionswirkung des § 68 ZPO verhindert dies. Sie führt im Verhältnis zu § 322 Abs. 1 ZPO zu einem erweiterten Bindungsumfang im Vergleich zur Hauptpartei. Eine Ausdehnung der Wirkungen des Musterentscheids gegenüber der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO liegt der Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG allerdings nicht zu Grunde. Bereits zwischen den Musterverfahrensparteien haben sämtliche, also auch die Entscheidung über das Feststellungsziel tragenden tatsächlichen und rechtlichen, Feststellungen verbindliche Wirkung.220 Die Annahme einer Interventionswirkung i. S. v. § 68 ZPO ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt. b) Die Rechtskrafterstreckung aa) Kurze Darstellung der Rechtskrafterstreckung Gemäß § 325 Abs. 1 ZPO wirkt die materielle Rechtskraft eines Urteils grundsätzlich nur unter den Parteien des Rechtsstreits, weil das Parteiverhalten den Inhalt der Entscheidung bestimmt.221 Gegenüber Dritten wird die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in Kauf genommen.222 Es gibt jedoch Fälle, in denen ein besonderes Bedürfnis und eine besondere Rechtfertigung für eine Erweiterung der subjektiven Grenzen der Rechtskraft bestehen und (i. d. R.) das Gesetz223 entsprechende Sonderregelungen anord220 Vgl. zum objektiven Bindungsumfang des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG bereits ausführlich S. 235 ff. Diesen Gedanken greift auch Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153 f.), auf. Vgl. zudem die Sichtweise des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BTDrs. 15/5695, S. 24 f., welcher § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als „Rechtskrafterstreckung“ deutet. Hierzu sogleich S. 274 f. 221 Vgl. BGHZ 124, 86 (95); 123, 31 (33 f.); 50, 150 (151); 3, 385 (388); BGH NJW 1984, 126 (127); RGZ 148, 166 (169); 80, 317 (322); 71, 199 (201 f.); Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 1; MüKo/ders., ZPO, § 325 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 1 f.; Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess, S. 116; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325a Rn. 1; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325a Rn. 2 f.; a. A. Schwab (Fn. 9). 222 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 3. 223 Anders bei der zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft, wo sich die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsinhaber daraus rechtfertigt, dass dieser dem Prozessstandschafter eine Ermächtigung zur Prozessführung erteilt hat (vgl. BGHZ 78, 1 [7]; BGH NJW 1995, 1353 [1355]; 1988, 2375 [2375 f. m.w. N.]; 1988, 1585 [1586 f.]; 1983, 1678; NJW-RR 2002, 20 [22]; BAG NJW 1983, 1750 [1751 f. m.w. N.]; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 62 und § 155 Rn. 20; Stein/Jonas/ Leipold, ZPO, vor § 50 Rn. 54 m.w. N. sowie § 325 Rn. 3, vgl. ferner Rn. 66 ff.; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 865 und 1206).
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net.224 Während sich eine Rechtskraftwirkung des Urteils für und gegen alle, vgl. etwa § 640 h Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F.225, aus der besonderen Natur des Streitgegenstands und dem besonderen Allgemeininteresse an einer erga-omnes-Entscheidung rechtfertigt226, ist hinsichtlich der Legitimation lediglich partieller Ausdehnungen der subjektiven Rechtskraftgrenzen zu differenzieren. Als Hauptgründe für die Rechtskrafterstreckung sind die Rechtsnachfolge, die berechtigte Prozessführung in fremdem Interesse sowie die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung auf Grund besonderer materiellrechtlicher Verknüpfung anzuführen.227 Die Entscheidung wirkt hier Rechtskraft gegenüber einem einzelnen Dritten und seinem Gesamtnachfolger wegen einer besonderen rechtlichen Beziehung zu einem der Streitteile und nur im Verhältnis zu ihm.228 Bei der Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit sowie der Prozessstandschaft übernimmt der Dritte – zumindest in gewisser Hinsicht – die Rechtsstellung der Partei.229 Daneben kann sich eine Rechtskrafterstreckung auch daraus ergeben, dass das materielle Recht die Rechtsstellung des Dritten in weitreichende Abhängigkeit von einer Partei des Vorprozesses gebracht hat, beispielsweise im Fall des § 129 HGB oder des § 3 Nr. 8 PflVersG (jetzt § 124 Abs. 1 VVG n. F.230).231 Die bloße Abhängigkeit der Rechtsfolgen voneinander oder von einer gemeinsamen Vorfrage allein genügt allerdings nicht zur Begründung einer
224 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 1 f. 225 Das 6. Buch der ZPO über die Verfahren in Familiensachen wurde durch Art. 29 Z 15 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) v. 12. Dezember 2008 zum 1. September 2009 aufgehoben und in den §§ 111 ff. des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG; BGBl. I 2008, 2586) z. T. neu, z. T. inhaltsgleich geregelt. Die §§ 323a und §§ 606 ff. ZPO a. F. sind für eine Übergangszeit in Altfällen grds. weiterhin anwendbar auf Verfahren, die bis zum 31. August 2009 eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zu diesem Zeitpunkt beantragt wurde, vgl. Art. 111 FGG-RG (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Vorbem Buch 6 Rn. 1 ff.; Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO, Vorbem § 606 Rn. 3 ff.). 226 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 5; ferner Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 67; Musielak/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 2 sowie ferner Rn. 11 ff. 227 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 6 ff.; ähnlich Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 3; vgl. zudem Musielak/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 2. 228 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 6. 229 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 II; vgl. zudem Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 21, 52, 63 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 2, 4. 230 Gesetz über den Versicherungsvertrag v. 23. November 2007 (BGBl. I 2007, S. 2631; Versicherungsvertragsgesetz). 231 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 23 ff. Vgl. auch Stein/ Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 72 sowie 96 ff.; Musielak/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 15 f.
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erweiterten Rechtskraftwirkung.232 Vielmehr müssen der Streitgegenstand des Vorprozesses und des Nachprozesses objektiv identisch sein.233 bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung Zwar bewirkt der Musterentscheid gegenüber den Beigeladenen letztlich nichts anderes als die in § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordnete Rechtskraft gegenüber den Parteien; die im Musterentscheid ausgesprochenen Feststellungen zu einzelnen Anspruchsvoraussetzungen stehen auch gegenüber dem Dritten fest und sind deshalb der Entscheidung über den von ihm gegen den Gegner seiner Musterverfahrenspartei geführten Individualprozess zu Grunde zu legen.234 Das KapMuG hat aber die Wirkungen des Musterentscheids in § 16 KapMuG je nach Adressatenkreis nicht nur im Hinblick auf die personelle, sondern auch im Hinblick auf die objektive Reichweite jeweils eigenen Regelungen unterworfen.235 Die Bindung gegenüber den Beigeladenen ist in § 16 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 KapMuG eigenständig ausgestaltet.236 Die Rolle des Beigeladenen während der Musterverfahrensdurchführung ist sehr stark an die eines einfachen Nebenintervenienten angelehnt, vgl. § 12 KapMuG und § 67 ZPO. Indes regelt die ZPO bislang keine Fälle, in denen die Beiladung zur Rechtfertigung einer Rechtskrafterstreckung mit der Stellung eines einfachen Streithelfers verknüpft ist.237 Vor allem spricht § 16 Abs. 2 KapMuG gegen die Deutung der Bindungswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG als Rechtskrafterstreckung. Rechtskrafterstreckung bedeutet auch dem Dritten gegenüber nichts anderes als die Rechtskraft unter den Parteien.238 Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 KapMuG schränkt jedoch die Wirkungen des Musterentscheids im Verhältnis zu den Beigeladenen unter bestimmten Voraussetzungen ein. Eine derartige Relativierung der Rechtskrafterstreckung ist dem System der ZPO fremd.239 232 Vgl. MüKo/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 3 m.w. N.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 86 m. z. w. N.; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 41. 233 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 23. 234 Vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 3 a. A. 235 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 28. 236 Indes erscheint der von KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 13 herangezogene Vergleich des § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG mit der Kategorie der Nebenintervention zum Zwecke der Gehörsgewährung als Argument gegen die Annahme einer Rechtskrafterstreckung nicht überzeugend. Die in der ZPO vorgesehenen Fälle der Beiladung sollen gerade deshalb die Gelegenheit zu rechtlichem Gehör einräumen, um eine Rechtskrafterstreckung zu ermöglichen (Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [150]). 237 Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (151). 238 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 155 Rn. 3. 239 KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 13; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 28. Für die Einordnung der Bindungswirkung des Musterentscheids gegenüber den Beigeladenen als subjektive Rechtskrafterstreckung hingegen Gebauer, ZZP 119 (2006), 159
C. Eigener Ansatz
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c) Die Tatbestandswirkung aa) Kurze Darstellung der Tatbestandswirkung Die Tatbestandswirkung ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gesetz das Vorliegen einer Entscheidung als Tatbestandsmerkmal normiert. Das materielle Recht knüpft an die Existenz einer Entscheidung verschiedene Wirkungen wie an ein beliebiges anderes Tatbestandsmerkmal an. Die bloße Existenz eines Urteils mit einem bestimmten Inhalt bildet das Tatbestandsmerkmal einer meist materiellrechtlichen Norm, mithin die Voraussetzung für das Eingreifen einer Rechtsfolge. Die Rechtsfolge ist aber weder Gegenstand der Entscheidung, deren Folge sie ist, noch tritt sie bestimmungsgemäß ein wie die Gestaltungswirkung.240 Charakteristisch für die Tatbestandswirkung ist demnach, dass das materielle Recht und das Prozessrecht durch eine gemeinsame Schnittstelle in einer materiellrechtlichen Norm unmittelbar miteinander verknüpft sind. Diese transportiert das Urteil auf die Ebene des materiellen Rechts und weist der Rechtskraft die Funktion eines Tatbestandsmerkmals zu. Sie kann beispielsweise die Anspruchsentstehung auslösen, indem der Anspruch auf Schadensersatz oder Bereicherung mit der Aufhebung eines Vorbehaltsurteils oder eines vorläufig vollstreckbaren Urteils entsteht, § 302 Abs. 3 Satz 3, § 600 Abs. 2, § 717 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO. Weiter verjährt etwa der rechtskräftig festgestellte Anspruch in dreißig Jahren, selbst wenn er zuvor einer kürzeren Verjährung unterlegen hatte, § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB.241
(174 ff.); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153 f.); Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675. Sie begründen dies mit § 325a ZPO. Für Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153 f.) legt die Vorschrift zumindest einen systematischen Zusammenhang zur Rechtskrafterstreckung nahe. Vor allem bestünde keine Notwendigkeit einer erweiterten Bindung der Beigeladenen vergleichbar der Interventionswirkung, da auch die Entscheidung gegenüber den Musterverfahrensparteien zu den Streitpunkten ergehe. Stadler, Festschrift Rechberger, S. 675 sieht die Rechtskrafterstreckung des Musterentscheids in der Norm des § 325a ZPO angelegt, da andernfalls die Regelung der Feststellungswirkung des Musterentscheids „im Kontext der Regelungen über die Rechtskraft (§ 325 ZPO) verfehlt“ wäre (ähnlich Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (174 ff.). 240 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 148 Rn. 6. Vgl. zudem Gaul, Festschrift Zeuner, S. 317 ff., allerdings kritisch im Hinblick auf die sog. „Reflexwirkung“ bei Drittbetroffenheit (S. 319); Kuttner, Die privatrechtlichen Nebenwirkungen der Zivilurteile, S. 2 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 16 f.; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 322 Rn. 2; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 882; Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 5. 241 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 148 Rn. 7. Vgl. auch Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 882 f. sowie Zöller/M. Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 5.
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
bb) Vergleich mit der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindungswirkung Das Oberlandesgericht muss im Musterverfahren Feststellungen zu einzelnen Elementen einer materiellrechtlichen Norm treffen, die sodann in den Individualverfahren der dort maßgeblichen Anspruchsgrundlage zu Grunde zu legen sind, § 16 KapMuG. Dabei ordnet § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG die bindende Wirkung des Musterentscheids für die Beigeladenen an, ohne dass es einer weiteren Norm bedürfte, welche seine Verbindlichkeit festlegt. Die Relevanz des Musterentscheids für das Eingreifen einer Rechtsfolge ist damit im KapMuG selbst begründet, vergleichbar der Rechtskraftwirkung in Ausprägung der Präjudizialität. Allein aus der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG angeordneten Bindung ergibt sich die Verknüpfung zwischen dem KapMuG und dem materiellen Recht. Welche Wirkungen der Musterentscheid im Einzelfall auf dieses ausübt, hängt vom konkreten Ergebnis der getroffenen Feststellungen ab. Demgegenüber würde die Tatbestandswirkung voraussetzen, dass eine Vorschrift des materiellen oder des sonstigen Prozessrechts neben dem KapMuG Rechtswirkungen an das Vorliegen eines Musterentscheids knüpft. Der Musterentscheid selbst, nicht die in ihm getroffenen Feststellungen müsste mithin zum Tatbestandsmerkmal einer Anspruchsgrundlage oder Gegennorm gemacht sein.242 d) Fazit: Systematische Einordnung der in § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normierten Bindung als Beiladungswirkung sui generis Die musterverfahrensrechtliche Beiladung i. S. d. § 8 Abs. 3 KapMuG weist hinsichtlich ihrer Struktur, der durch sie verliehenen Rechtsstellung und Wirkungsweise deutliche Unterschiede zu den dargestellten zivilprozessualen Instituten auf. Es handelt sich sachlich weder um eine Interventionswirkung noch um Rechtskrafterstreckung oder Tatbestandswirkung nach dem Verständnis der ZPO. Dies wäre allerdings Voraussetzung, um die Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG dogmatisch einem dieser drei Konzepte zuzuordnen und mit der von ihm ausgehenden Wirkung zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat sich für eine eigenständige Ausgestaltung des Instituts der Beiladung im Rahmen des KapMuG entschieden. Es besteht folglich kein rechtliches Bedürfnis, dessen Bindungswirkung an ein sachfremdes Institut zu knüpfen. Vielmehr ist von einer Wirkung eigener Art auszugehen, die in den Gesetzesmaterialen als „Beiladungswirkung“ 243 bezeichnet ist. Es bietet sich daher an, diesen Begriff – allein zum Zwecke der Rechtsklarheit – beizubehalten.244 § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG normiert folglich eine Beiladungswirkung sui generis, die in ihrer objektiven 242 Im Ergebnis die Tatbestandswirkung ebenfalls verneinend Gebauer, ZZP (119) 2006, 159 (174 f.). 243 BT-Drs. 15/5091, S. 31.
C. Eigener Ansatz
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Reichweite der besonderen Rechtskraftwirkung des Musterentscheids nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG ähnelt.245
IV. Wirkung gegenüber den Prozessgerichten, § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ordnet schließlich eine Innenbindung der Prozessgerichte an, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder der zu klärenden Rechtsfrage abhängt. Die Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG setzt voraus, dass das Ausgangsverfahren, in dem der Musterentscheid Bindungswirkung entfalten soll, gemäß § 7 Abs. 1 KapMuG bis zu dessen Erlass ausgesetzt wurde.246 Die von § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgehende Bindungswirkung ähnelt der innerprozessualen Bindungswirkung im Instanzenzug bei der Entscheidung von Rechtsmittelgerichten, vgl. § 563 Abs. 2 ZPO, sowie beim früheren Rechtsentscheid in Wohnraummietsachen nach § 541 a. F. ZPO.247 244 Die ZPO kennt kein einheitliches Institut der Beiladung. Den bedeutsamsten Fall, die Beiladung im Kindschaftsverfahren, regelte § 640e ZPO a. F. (zur Aufhebung des 6. Buches der ZPO über die Verfahren in Familiensachen bzw. dessen Fortgeltung für Altfälle siehe bereits Fn. 225). Die im Rahmen dieser Vorschrift beizuladenden Personen sind stets streitgenössische Nebenintervenienten, weil durch die Entscheidung immer auch das Rechtsverhältnis des Beigeladenen zum Prozessgegner berührt oder sogar gestaltet wird (vgl. BGHZ 89, 121 [123 f.]; MüKo/Coester-Waltjen, ZPO, § 640e Rn. 11; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 640e Rn. 4; Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [149]; Zöller/Philippi, ZPO, § 640e Rn. 8; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, § 640e Rn. 11; Wieser, FamRZ 1998, 1004 [1005]). Demgegenüber führt die in § 856 Abs. 3 ZPO geregelte Beiladung sämtlicher Gläubiger im Einziehungsverfahren zur Teilnahme als Streitgenossen i. S. d. § 62 ZPO, sofern die Pfändung vor Rechtshängigkeit erfolgte, vgl. § 265 Abs. 2 Satz 3, § 325 Abs. 1 ZPO (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 856 Rn. 4; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 856 Rn. 3 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 856 Rn. 2 f.; Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [150]; MüKo/Smid, ZPO, § 856 Rn. 3). Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Beiladung rechtliches Gehör verschaffen soll, um eine zumutbare Rechtskrafterstreckung zu ermöglichen. Sie ist die notwendige Konsequenz einer im Gesetz vorgesehen Bindungswirkung, stellt umgekehrt aber kein Mittel dar, um eine bestimmte Bindung zu erreichen (Lüke, ZZP 119 [2006], 131 [151]). Von einer Beiladungswirkung kann deshalb im Zusammenhang mit dem in der ZPO bzw. VwGO geregelten Institut nicht gesprochen werden. 245 Ebenso Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 32. Ähnlich Rau, KapMuG, S. 236, insbes. Fn. 695. Für eine Interventionswirkung hingegen D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 145 ff.; MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 5; KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 10; ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1383). Für eine Rechtskrafterstreckung Gebauer, ZZP 119 (2006), 159 (174 ff.); Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (153 ff.). 246 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 15; Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 1. 247 MüKo/Gottwald, ZPO, § 325a Rn. 3; vgl. zudem KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 3 sowie dort Fn. 9; ders./Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1384); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19; Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (146 f.); Prusseit, KapMuG, S. 160; Reuschle, WM 2004, 2334 (2342); ders., ÖsterrAnwBl 2006, 371 (379 f.); Rau, Kap-
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§ 5 Inhalt und Bindungswirkung des Musterentscheids
Allerdings kommt ihr im Gesamtgefüge des § 16 KapMuG keine maßgebliche Bedeutung zu; insbesondere löst § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG keine eigenständige Wirkung des Musterentscheids aus. Das Musterverfahren ist als selbständiges kontradiktorisches Verfahren zwischen Musterkläger und Musterbeklagtem unter Zuziehung von Beigeladenen ausgestaltet.248 Dementsprechend sind die Prozessgerichte „nur nach Maßgabe der weiteren Bestimmungen des § 16 KapMuG gebunden“.249 Der Regelungsgehalt des § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bestimmt sich zwangsläufig nach dem Charakter sowie der objektiven Reichweite der für die jeweiligen Musterverfahrensbeteiligten eingreifenden besonderen Bindung an den Musterentscheid. Im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien entfaltet dieser gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG – eine besondere250 – Rechtskraftwirkung. In deren Umfang folgt daraus die Bindung der Prozessgerichte, ohne dass es dazu noch einer weiteren Norm bedürfte.251 Sie stellt sich folglich nur als Kehrseite der erweiterten Rechtskraft des Musterentscheids dar.252 Im Hinblick auf das Ausgangsverfahren eines Beigeladenen ordnet § 16 Abs. 1 MuG, S. 237; B. Schneider, BB 2005, 2249 (2255); Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 1; ders., NJW-Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposium 2006, S. 15 f. D. Assmann, Festschrift Vollkommer, S. 145, vergleicht die Bindungswirkung mit der des § 318 ZPO mit dem Unterschied, dass das Oberlandesgericht den Musterentscheid erlässt. Zustimmend KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 3. Der frühere Rechtsentscheid in Wohnraummietsachen gemäß § 541 a. F. ZPO (vgl. bereits § 3 Fn. 34 und 297) diente der obergerichtlichen Beantwortung konkret aufgeworfener Rechtsfragen wegen drohender Rechtsprechungsdivergenz oder grundsätzlicher Bedeutung der Frage zur Förderung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 541 Rn. 1; Willingmann, Rechtsentscheid, Vorwort S. 1; MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 1). Die rechtliche Beurteilung der aufgeworfenen Frage durch das im Rechtszug übergeordnete Oberlandesgericht musste das Landgericht seiner eigenen Entscheidung zu Grunde legen. Umstritten war, ob nur dem Tenor (so Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 541 Rn. 31 m.w. N.; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 541 Rn. 20; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl. 2001, § 541 Rn. 76) oder auch den tragenden Gründen des Rechtsentscheids (so MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 541 Rn. 42 m.w. N.; Willingmann, Rechtsentscheid, S. 150 ff. sowie S. 197 f.) Bindungswirkung zukommen sollte. Auch diese Innenbindung war der von einem zurückverweisenden Revisionsurteil ausgehenden Bindung des Untergerichts vergleichbar, § 565 Abs. 2 a. F. ZPO bzw. jetzt § 563 Abs. 2 ZPO. Die Ähnlichkeit des Musterverfahrens zum Rechtsentscheid besteht darin, dass nicht lediglich eine „Binnenbindung“ wie beim Teil- bzw. Zwischenurteil besteht, sondern eine übergeordnete Instanz auf die Urteilsgrundlage des den Rechtsstreit im Übrigen ausurteilende Gericht einzuwirken vermag (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl. 2001, § 541 Rn. 3; Willingmann, Rechtsentscheid, S. 150 ff. sowie S. 199). 248 Zutreffend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19. A. A. KK/Hess, KapMuG, § 16 Rn. 1; ähnlich Vorwerk/C. Wolf, KapMuG, § 16 Rn. 3. 249 Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79 (114). Die Deutung der Norm macht entgegen Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (145) also nicht unbedingt „ratlos“. 250 Hierzu ausführlich S. 246 ff. 251 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19. 252 Zöller/M. Vollkommer, ZPO, § 318 Rn. 15.
C. Eigener Ansatz
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Satz 3 KapMuG wie dargestellt eine von der rechtskräftigen Musterentscheidung ausgehende Beiladungswirkung sui generis an, deren objektive Reichweite in § 16 Abs. 1 Satz 4, § 16 Abs. 2 sowie § 16 Abs. 3 KapMuG näher konkretisiert wird. Auch insoweit gilt, dass die vom KapMuG vorgegebenen Grenzen nicht durch eine weitergehende Bindung der Prozessgerichte verschoben werden können.253 § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist als Zusammenfassung der von dem Musterentscheid gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 und § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG ausgehenden Bindungen zu begreifen. Je nach Verfahrenssituation handelt es sich im Einzelfall um die Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, oder im Übrigen um die rechtskraftähnliche Beiladungswirkung eigener Art, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG.
253
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325a Rn. 19.
§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 1. Die Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift sowie dem Zweck des KapMuG, alle mehrfach relevanten Anspruchselemente einer gemeinsamen Klärung mit Breitenwirkung zuzuführen, eng zu interpretieren. Als taugliches Feststellungsziel ist neben der Bitte um Klärung von Auslegungsproblemen, § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 KapMuG, nur das Ersuchen um die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens gesetzlicher Tatbestandsmerkmale, § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 KapMuG, anzuerkennen. Ein großzügigeres Inhaltsverständnis zugunsten rein tatsächlicher Fragestellungen ist mit Blick auf die letztgenannte Variante lediglich in Ausnahmekonstellationen angezeigt. Eine solche liegt vor, wenn die formulierte Tatsachenfrage dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal einer parallel anwendbaren Anspruchsgrundlage entspricht, also in Fällen der Anspruchskonkurrenz in den Individualverfahren, wie beispielsweise zwischen § 44 BörsG und dem generalklauselartigen Tatbestand des § 826 BGB. Maßgeblich für die Beurteilung der Tauglichkeit des Feststellungsziels ist insoweit, ob der begehrte Umfang der im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen inhaltlich unverändert bleibt. 2. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG regelt das Verhältnis der Streitpunkte zum Feststellungsziel. Nach dieser Norm stellen die Streitpunkte diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Umstände dar, aus denen das Feststellungsziel hergeleitet werden soll. Sie dienen dazu, das Feststellungsziel zu substantiieren und sind als dessen Begründungselemente diesem zu- bzw. untergeordnet. Die Differenzierung zwischen Feststellungsziel einerseits und Streitpunkten andererseits ist erforderlich, um die Bindungswirkung des Musterentscheids, § 16 KapMuG, für die oberlandesgerichtlichen Feststellungen der Tatbestandsmerkmale und der tatsächlichen Elemente gleichermaßen eintreten zu lassen. 3. Der zu Grunde liegende Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG ist in Anlehnung an das zivilprozessuale Begriffsverständnis zu interpretieren. Er umfasst alle kollektivierbaren Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtung zu dem durch den – ggf. erweiterten, vgl. § 13 KapMuG – Vorlagebeschluss zur oberlandesgerichtlichen Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören oder bei lückenhaftem Vortrag zur Substantiierung gehört hätten. Der Begriff des „gleichen Lebenssachverhalts“ dient dazu, zusammengehörige Ausgangsverfahren über die gemeinsame Vorlage zu einer einzigen Musterfeststellungsstreitigkeit zusammen zu fassen, um eine einheitliche Verhandlung, Beweisaufnahme und Entscheidung zu gewährleisten, vgl. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2
§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
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Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Entsprechend diesem Bündelungszweck ist bei seiner Inhaltsbestimmung eine großzügige normativ-natürliche Betrachtungsweise angezeigt, die sich auf den Kern der betroffenen Rechtsstreitigkeiten konzentriert. Der in Bezug genommene Informationsträger und der tatsächliche Umstand seiner Herausgabe bzw. ein entsprechendes Unterlassen innerhalb eines bestimmten Zeitraums stellen die maßgeblichen Kriterien zur Grenzziehung zwischen gleichen und unterschiedlichen Lebenssachverhalten dar. Er prägt die jeweilige tatsächlichen Haftungs- bzw. Anspruchsbasis. Demgegenüber kommt der jeweils in Rede stehenden materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage grundsätzlich ebenso wenig Bedeutung zu wie der Identität der vorgetragenen Streitpunkte oder der Person des Beklagten. Auch mehrere Veröffentlichungen können einen einheitlichen Lebensvorgang bilden, wenn zwischen ihnen bei wertender Betrachtung ein enger inhaltlicher Zusammenhang besteht, so insbesondere bei einer Verknüpfung der Informationsträger durch eine Wiederholung bestimmter Streitpunkte. 4. Entsprechend der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 4 KapMuG beurteilt sich die für das Erreichen des Vorlagequorums maßgebliche Gleichgerichtetheit von Musterfeststellungsanträgen ausschließlich danach, ob deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft. Ist dessen Vorliegen von der Identität der formulierten Feststellungsziele, der Streitpunkte, der geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage sowie insbesondere von der Person des Beklagten unabhängig, so kann nichts anderes für die Annahme der Gleichgerichtetheit gelten. Eine Vorlage hat demnach gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG zu erfolgen, wenn innerhalb des Zeitfensters des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG insgesamt zehn, bei normativ-natürlicher Betrachtung auf dieselbe Haftungs- bzw. Anspruchsbasis bezogene, Musterfeststellungsanträge gestellt wurden. 5. Der Zweck des Musterprozesses nach dem KapMuG, mehrfach relevanten Prozessstoff unter Beteiligung einer Vielzahl von Personen umfassend und abschließend zu erledigen, erfordert in Abweichung von dem im Rahmen der ZPO herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff eine normativ-variable Inhaltsbestimmung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands. Diese rückt die konkret in Rede stehende Prozesslage und die hierfür einschlägige Verfahrensvorschrift in den Mittelpunkt der Betrachtung. Im Interesse einer sachgerechten Reichweite der Bindungs- und Präklusionswirkungen des oberlandesgerichtlichen Musterentscheids ist zwischen dem Verfahrens- und dem Entscheidungsgegenstand des KapMuG-Prozesses zu differenzieren. Letzterer ist mehrgliedrig vorzunehmen und umfasst neben dem Feststellungsziel den diesem zu Grunde liegenden Lebensvorgang, § 4 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, samt sämtlichen Streitpunkten, § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG. Eine normzweckgemäße, möglichst umfassende, Klärung mehrfach relevanter Entscheidungselemente lässt sich allerdings nur mit einem weiten Verständnis
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§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
vom Gegenstand des Musterverfahrens erreichen. Er umfasst deshalb nur das globale Feststellungsziel, wie es im – ggf. nachträglich gemäß § 13 KapMuG erweiterten – Vorlagebeschluss auf Basis der gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge niedergelegt wurde. Nicht enthalten sind die vorgetragenen Streitpunkte oder der Lebenssachverhalt i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG. Dies würde den Verfahrensgegenstand ungerechtfertigt verengen und der im Interesse der Prozessökonomie erstrebten möglichst weitreichenden Bereinigung der mehrfach relevanten Entscheidungselemente, also letztlich der Rechtsbeziehungen der Musterverfahrensbeteiligten entgegenstehen. 6. Das Prozessgericht ist bei der Abfassung des Vorlagebeschlusses an den Inhalt, nicht jedoch an den Wortlaut der zulässigen und gleichgerichteten, vgl. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 1 KapMuG, Musterfeststellungsanträge gebunden. Es muss die Vorlage dem Parteiwillen entsprechend formulieren. Bestehende Divergenzen in der Antragstellung sind im Interesse einer erschöpfenden Erledigung des mehrfach relevanten Prozessstoffs stets zu Gunsten der umfassendsten Fassung aufzulösen. Das Oberlandesgericht ist sodann weder zu einer Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen nach § 4 Abs. 1 KapMuG berufen noch darf es den Vorlageinhalt modifizieren. 7. Der musterverfahrensrechtliche Streit geht um die Berechtigung der begehrten Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer kollektivierbaren Tatbestandsvoraussetzung bzw. der Klärung einer Rechtsfrage, mithin um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des in den Individualverfahren beantragten Subsumtionsschlusses, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KapMuG. Mit dieser Kognitionsverengung geht zugleich eine inhaltliche Ausdehnung des musterverfahrensrechtlichen Gegenstands gegenüber dem zivilprozessualen Streitgegenstandsverständnis einher. Im Musterverfahren nach dem KapMuG sind bloße Einzelelemente einer Rechtsbeziehung feststellungsfähig, was den Maßstab des § 256 Abs. 2 ZPO weit überschreitet. 8. Das KapMuG ist nicht auf eine Häufung von Feststellungszielen ausgelegt. Die Inhaltsbestimmung des Begriffs Feststellungsziel muss angesichts der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG flexibel erfolgen. Dem Musterverfahren liegt stets ein einheitliches Gesamtbegehren zu Grunde. Dessen gemeinsame Verhandlung und Entscheidung ist zwingend. Wegen der Maßgeblichkeit des Feststellungsziels für den Verfahrensgegenstand des KapMuG-Prozesses ist eine objektive Streitgegenstandshäufung im Rahmen der Gleichgerichtetheit i. S. d. § 4 Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG ausgeschlossen. Letztere fordert für die Berücksichtigungsfähigkeit von Musterfeststellungsanträgen bei der Vorlage nur eine Übereinstimmung im Lebenssachverhalt, während deren Einzelfeststellungsziele divergieren können. In diesem Fall dehnt sich das (globale) Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses von Gesetzes wegen inhaltlich aus. Ein einziges Feststellungsziel kann damit sowohl im Rahmen der
§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
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Antragsstellung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG als auch der Vorlage nach § 4 KapMuG auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen mehrerer Tatbestandsmerkmale einer Norm und/oder die Lösung eines bzw. mehrerer Auslegungsfragen gerichtet sein. Diese Sichtweise erklärt zugleich, weshalb die Schaffung einer zu den Vorschriften der §§ 263 ff. ZPO speziellen Möglichkeit der nachträglichen Erweiterung des Streitgegenstands des Musterverfahrens erforderlich war. 9. § 8 Abs. 2 KapMuG geht davon aus, dass ein einziger Musterentscheid in einem Verfahren mit einem einzigen Musterkläger ergeht; der Breiteneffekt ergibt sich über das Instrument der Beiladung der übrigen Individualkläger, § 8 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 KapMuG. Ein Bedürfnis bzw. eine Rechtfertigung dafür, in korrigierender Leseart des § 8 KapMuG mehrere Personen zu streitgenössischen Musterklägern zu ernennen, besteht grundsätzlich nicht. Das KapMuG ist nicht auf eine formale Verbindung sachlich selbständiger Prozesse zu einem gemeinsamen Verfahren ausgerichtet. Innerhalb des Musterverfahrens besteht kein Raum, mehrere Musterkläger als einfache Streitgenossen i. S. d. §§ 59 ff. ZPO agieren zu lassen, weil die Entscheidung inhaltlich gegenüber jedem Streitgenossen verschieden ausfallen kann; in diesem Fall wäre unklar, welche Feststellung für den Beigeladenen jeweils Geltung haben soll. Dies liefe dem Zweck des Gesetzes zuwider, eine endgültige Entscheidung über mehrfach relevante Anspruchsvoraussetzungen herbeizuführen und dadurch die Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu fördern. Der generellen Anwendbarkeit des § 62 ZPO auf Musterklägerseite steht das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im KapMuG entgegen. Der Musterentscheid löst weder eine Rechtskrafterstreckung oder eine Gestaltungswirkung aus noch verlangt das KapMuG eine gemeinsame Prozessführung durch mehrere bzw. sämtliche Kläger. Das Gesetz sieht in den in § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG beschriebenen Fällen eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung als zweckmäßig an und verbindet deshalb eine Vielzahl von Personen zu einer prozessualen Zufallsgemeinschaft. Ein Erfordernis zur gemeinschaftlichen Musterklage ist deshalb nur insoweit anzuerkennen, als eine notwendige Streitgenossenschaft bereits im Ausgangsverfahren des auserwählten Musterklägers besteht. Hält das Oberlandesgericht einen notwendigen Streitgenossen für den am besten geeigneten Musterkläger, so muss es diese Rolle in korrigierender Leseart des § 8 KapMuG zugleich auf dessen Streitgenossen übertragen. § 62 ZPO gilt im Musterverfahren fort, um der Notwendigkeit einer einheitlichen Sachentscheidung im Ausgangsprozess gerecht zu werden. 10. Eine mit der Aktivseite vergleichbare originäre Auswahl des Musterbeklagten sieht das KapMuG nicht vor. Vielmehr geht der Gesetzgeber grundsätzlich davon aus, dass sich das Hauptsacheverfahren der zum Musterkläger auserwählten Person gegen einen einzigen Beklagten richtet. Letzterer ist mit der Ernennung seines Gegner in der Ausgangsstreitigkeit zum Musterkläger zwangsläufig zum Musterbeklagten auserkoren.
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Sind in den Ausgangsverfahren hingegen mehrere Personen verklagt, so gelten auch für das Musterverfahren die zivilprozessualen Vorschriften der einfachen Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO auf Beklagtenseite. Es besteht keine planwidrige Regelungslücke, welche die Beschränkung der Musterbeklagtenrolle auf einzelne Beklagte der Ausgangsverfahren durch eine Auswahl analog § 8 Abs. 2 KapMuG rechtfertigen würde. Für eine Beiladung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG ist kein Raum, weil die Beteiligung sämtlicher Beklagter aus den ausgesetzten Ausgangsverfahren mit gleichen Rechten zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Rechtspositionen erforderlich ist. Zudem lässt sich eine effektive Bündelung nur erreichen, wenn bereits der oberlandesgerichtliche Ausspruch etwaige Differenzen in der Haftung mehrerer Beklagter berücksichtigen kann. Allerdings ist ebenso wie auf der Aktivseite wegen der Wirkung des § 62 ZPO die Notwendigkeit gemeinsamer Klage bzw. einheitlicher Feststellung in den Konstellationen zu berücksichtigen, in denen der auserwählte Musterkläger in der Hauptsache notwendige Streitgenossen verklagt. Um dem Erfordernis der einheitlichen Sachentscheidung im Ausgangsverfahren und der Systematik des KapMuG gerecht zu werden, muss die Wirkung des § 62 ZPO im Musterprozess auch für die in einer notwendigen Streitgenossenschaft verbundenen Beklagten eingreifen. 11. § 13 KapMuG regelt in unmittelbarer Anwendung nur die Einführung weiterer Streitpunkte in das laufende Musterverfahren. Hinsichtlich der nachträglichen Erweiterung des Feststellungsziels um zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen bzw. Rechtsfragen enthält die Vorschrift eine planwidrige Formulierungslücke. Diese kann durch eine analoge Anwendung von § 13 KapMuG geschlossen werden. Die Norm ist als gegenüber den zivilprozessualen Regelungen über die Klageänderung gemäß §§ 263 ff. ZPO abschließende Spezialvorschrift zur nachträglichen Erweiterung des muster-verfahrensrechtlichen Gegenstands konzipiert. In wortlautgetreuer Anwendung des § 13 Abs. 2 erfordert auch die Einführung zusätzlicher Streitpunkte in das Musterverfahren eine Abänderung des ursprünglichen Vorlagebeschlusses. Eine bloße Darlegung vor dem Oberlandesgericht genügt nicht, weil der Vorlagebeschluss dessen Arbeitsauftrag verbindlich festlegt und den Gegenstand der Musterentscheidung vorgibt. Mangels abweichender Regelung in § 13 KapMuG ist das Oberlandesgericht zur Entgegennahme des Erweiterungsantrags befugt. Abs. 1 der Vorschrift weist die Zuständigkeit zur Prüfung der Erweiterungsvoraussetzungen und zum Erlass des abändernden Vorlagebeschlusses demjenigen Prozessgericht zu, welches zur Entscheidung über das Individualverfahren des Antragstellers berufen ist. Auf den Erlass des ursprünglichen Vorlagebeschlusses darf im Rahmen dieser Zuständigkeitsbestimmung nicht abgestellt werden. Dies ergibt sich aus dem systematischen Vergleich des § 13 KapMuG mit den § 1 Abs. 2, § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 1,
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§ 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3, § 4 Abs. 4 und § 7 Abs. 1 KapMuG sowie aus prozessökonomischen Erwägungen. 12. Der weite Ansatz des KapMuG ist in den Verfahrensstadien der Vorlage nach § 4 KapMuG und nach Abschluss des Musterprozesses mit den Wirkungen des Musterentscheids gemäß § 16 KapMuG jeweils durch unterschiedliche Mechanismen umzusetzen. Zunächst ist das Feststellungsziel i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eng zu interpretieren, um einen möglichst breiten Verfahrensgegenstand und damit die erstrebte umfassende Sachverhaltsaufklärung zu erreichen. Als solches sind grundsätzlich nur Tatbestandsmerkmale und Rechtsfragen anzuerkennen. Demgegenüber erfordert die erstrebte umfassende Verbindlichkeit des Musterentscheids hinsichtlich sämtlicher an das Oberlandesgericht herangetragener Fragestellungen betreffend das Feststellungsziel und die Streitpunkte eine weit reichende Wirkung der Musterentscheidung. Dazu muss der rechtskraftfähige Entscheidungsgegenstand möglichst breit verstanden werden. Dies erfordert eine Modifikation des dem § 322 Abs. 1 ZPO zu Grunde gelegten Rechtskraftverständnisses. Dadurch werden zugleich die – im Rahmen der Vorlage in den Hintergrund gedrängten – Parteiinteressen in den Vordergrund gerückt: Verbindlich wird all das – also das Feststellungsziel und die Streitpunkte – festgestellt, worauf der jeweilige Antragsteller tatsächlich abzielte. Gleichzeitig wird dieser entsprechend dem Gesetzeszweck und dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit an die negativen Wirkungen unterlassenen Vortrags gebunden. 13. Die Rechtskraftwirkung der oberlandesgerichtlichen Musterentscheidung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG deckt sich nicht mit dem zivilprozessualen Verständnis. Der Gesetzgeber hat deren objektive Grenzen abweichend von § 322 Abs. 1 ZPO festgelegt. Insbesondere verzichtet § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf die dem § 322 Abs. 1 ZPO innewohnende Differenzierung zwischen einem rechtskraftfähigen Subsumtionsschluss der oberlandesgerichtlichen Entscheidung und dessen nicht in Rechtskraft erwachsenden Einzelgliedern. Auf diese weitergehenden Wirkungen weist § 325a ZPO ausdrücklich hin. Es handelt sich um eine echte Ausdehnung der Rechtskraft auf Vorfragen. Sie erfasst die Feststellungen zum Feststellungsziel ebenso wie die dem oberlandesgerichtlichen Spruch zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen. Die Präklusionswirkung des rechtskräftigen Musterentscheids erstreckt sich auf alle weiteren Streitpunkte, die bei wertender Betrachtung zu dem abgeurteilten Tatsachenkomplex rechnen, jedoch von den Parteien nicht geltend gemacht wurden. Andernfalls wären Tatsachen, die im Musterverfahren mit Breitenwirkung feststellbar und vom Oberlandesgericht als Vorfragen des streitgegenständlichen Tatbestandsmerkmals ohnehin bereits geklärt sind, einer wiederholten und möglicherweise divergierenden Klärung durch die Prozessgerichte anheim gestellt. Dies gilt es aus Gründen der Verfah-
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rensökonomie, Rechtssicherheit und Rechtsbefriedung sowie mit Blick auf die berechtigten Interessen der Parteien zu verhindern. Andererseits darf die Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nicht ausufern. Die oberlandesgerichtlichen Feststellungen sind deshalb einem konkreten anspruchsbegründenden Vorgang i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 KapMuG zuzuordnen. Hierfür muss der Entscheidungsgegenstand des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG auf den zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt, § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG, begrenzt werden. 14. Hinsichtlich der Wirkungen des rechtskräftigen Musterentscheids in späteren Prozessen sowie der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft der Musterentscheidung fehlt es an einer besonderen Anordnung im KapMuG. Es bedarf insoweit eines Rückgriffs auf die allgemeinen für § 322 Abs. 1 ZPO geltenden Grundsätze. Die zentrale Bedeutung der materiellen Rechtskraft des Musterentscheids gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG besteht wegen des besonderen Streitgegenstands des KapMuG-Prozesses in der Präjudizwirkung für das fortzuführende Hauptsacheverfahren zwischen den Musterverfahrensparteien sowie in der Präklusion von Alttatsachen. Keine der Musterverfahrensparteien kann nach Abschluss des Musterprozesses eine abweichende rechtliche Beurteilung des oberlandesgerichtlichen Prozessstoffs in der Ausgangsstreitigkeit erreichen: Wegen des auf einzelne Entscheidungselemente begrenzten musterverfahrensrechtlichen Gegenstands sind die dort vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel regelmäßig solche, die zur Zeit des Musterverfahrens bereits objektiv vorhanden und erkennbar waren, aber von der jeweiligen Partei nicht vorgetragen wurden. Hingegen sind keine Fälle denkbar, in denen die Rechtskraft in der Ausprägung des Wiederholungsverbots des ne bis in idem in einer späteren Individualstreitigkeit bzw. einem weiteren Musterprozess relevant wird. Auch scheitert in diesen Verfahren eine Bindung auf Grund von Vorgreiflichkeit zumeist am Erfordernis des übereinstimmenden Lebenssachverhalts bzw. der Parteienidentität, vgl. § 325 Abs. 1 ZPO. 15. § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG regelt die Wirkung des Musterentscheids im Verhältnis zwischen dem Beigeladenen und seinem Prozessgegner. Es handelt sich um eine Bindungswirkung eigener Art, die weder mit der Interventionswirkung i. S. d. § 68 ZPO noch mit der Rechtskrafterstreckung oder Tatbestandswirkung nach zivilprozessualem Verständnis vergleichbar ist. In Anlehnung an die vom Gesetzgeber vorgegebene Terminologie erscheint es deshalb aus Gründen der Rechtsklarheit passend, sie als Beiladungswirkung sui generis zu bezeichnen. Sie ähnelt in ihrer objektiven Reichweite der besonderen Rechtskraftwirkung des Musterentscheids nach § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. Bei der Entscheidung über die Ausgangsstreitigkeit des Beigeladenen sind sämtliche im Musterentscheid getroffene Feststellungen zum Feststellungsziel und zu allen Streitpunkten
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ohne weitere Prüfung zu Grunde zu legen. Keine Partei kann der anderen vorhalten, das Musterverfahren sei unrichtig entschieden worden. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 a. E. KapMuG tritt diese Wirkung ungeachtet dessen ein, ob der Beigeladene selbst alle Streitpunkte ausdrücklich vorgebracht hat. Der Gesetzgeber hat insoweit von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, den zivilprozessualen Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz zu modifizieren. Gegenüber dem Beigeladenen und seinem Prozessgegner wirken im Nachverfahren sämtliche Feststellungen in der Musterentscheidung unabhängig davon, ob sie durch entsprechenden eigenen Tatsachenvortrag abgedeckt sind. Die Bindungswirkung hilft über dessen Unterlassen im Muster- bzw. Individualverfahren gleichermaßen hinweg. 16. § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ordnet eine Innenbindung der Prozessgerichte an den Musterentscheid nach Maßgabe der weiteren Bestimmungen des § 16 KapMuG an. Die Vorschrift ist als Zusammenfassung der von § 16 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 KapMuG ausgehenden Bindungen zu begreifen. Deren objektive Grenzen können nicht durch eine weitergehende Bindung der Prozessgerichte verschoben werden. Der Regelungsgehalt des § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG folgt dem Charakter sowie der objektiven Reichweite der für die Musterverfahrensbeteiligten jeweils eingreifenden Bindung an den Musterentscheid. Je nach Verfahrenssituation handelt es sich um die besondere Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, oder um die rechtskraftähnliche Beiladungswirkung sui generis, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG.
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Stichwortverzeichnis Abhängigkeit von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung 212 Akten der Ausgangsverfahren, Beiziehung im Musterverfahren 126, 212 Anerkennungsfähigkeit des Musterentscheids 221, 223, 232 Angebot nach dem WpÜG 47 Angriffs- und Verteidigungsmittel 191 – Vorbringen durch Beigeladenen 52, 266, 267 Anwendungsbereich des KapMuG 46 – Erfüllungsansprüche, vertragliche 47 – Schadensersatzansprüche, kapitalmarktrechtliche 46 Ausgangsverfahren – Aussetzung 51, 107, 170, 180, 258 – Einwand der mangelhaften Prozessführung 53, 166, 178, 222 Aussetzung – Ausgangsverfahren 51 – Aussetzungsbeschluss als Beiladung zum Musterverfahren 51 – Beiladungsfiktion 170 – Unanfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses 51 – Wirkung 51 Beibringungsgrundsatz, Einschränkung im Nachverfahren 262, 264 Beigeladene – Beiladung durch Aussetzungsbeschluss 51, 149 – Bindungswirkung des Musterentscheids 150, 162, 179, 222, 224, 255 – Beiladungswirkung sui generis 276 – Einwand der mangelhaften Prozessführung 53, 178, 199, 222, 259, 266
– Rechtsstellung im Musterverfahren 52, 131, 149, 150, 199, 207, 222 Beiladungsfiktion 51, 170 Beiladungswirkung sui generis, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 258 – Erstreckung auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte 258 Bestimmung des Musterbeklagten 168 – Beiladung auf Beklagtenseite 169, 172 – einfache Streitgenossenschaft auf Musterbeklagtenseite 176 – entsprechende Anwendung von § 8 Abs. 2 KapMuG 173, 176 – notwendige Streitgenossenschaft auf Musterbeklagtenseite 171, 183 Bestimmung des Musterklägers 151 – Auswahlkriterien 50 – einfache Streitgenossenschaft auf Musterklägerseite 153, 158 – grundsätzlich Auswahl einer einzigen Person 151 – notwendige Streitgenossenschaft auf Musterklägerseite 155, 164 – von Amts wegen 50 Bindung des Oberlandesgerichts – an den erweiterten Vorlagebeschluss 209 – an den Vorlagebeschluss 135 Bindung des Prozessgerichts – an den Inhalt der Musterfeststellungsanträge 122 – divergierende Anträge 128 – an den Willen des Antragstellers 128, 135 – an den Wortlaut der Musterfeststellungsanträge 128 – an kontradiktorische Musterfeststellungsanträge 133
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Stichwortverzeichnis
– an Musterfeststellungsanträge betreffend verschiedene Tatbestandsmerkmale 129 – beim Zusammentreffen von unbedingten und bedingten Musterfeststellungsanträgen 130 – Unanwendbarkeit des § 308 Abs. 1 ZPO 122 Bindungswirkung des Musterentscheids 221 – Bestimmung der objektiven Reichweite der 231 – Grenzen der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 264 – objektive Reichweite der Bindung nach § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 258 – objektive Reichweite der Rechtskraftwirkung des § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG 235 – Streitstand zu Umfang und Rechtsnatur 224 – Vergleich mit der Interventionswirkung nach § 68 ZPO 268 – Vergleich mit der Rechtskrafterstreckung 272 – Vergleich mit der Tatbestandswirkung 275 – Wirkung gegenüber den Prozessgerichten, § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG 277 – Wirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien, § 16 Abs. 1 Satz 2 KapMuG 232 – Wirkung im Verhältnis zwischen Musterverfahrenspartei und Beigeladenem bzw. zweier Beigeladener zueinander, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 255 Bundesanzeiger, elektronischer 49 Corporate Governance Kommission, Empfehlungen 39 Deutscher Juristentag, 62., Empfehlungen 39 Deutscher Juristentag, 64. – bereichsspezifische Gruppenklage 39
– Empfehlungen 39 Doppelsitz 210 Effektiver Rechtsschutz 25, 34, 38, 40, 107, 170, 178, 182, 266 Entscheidungselemente – mehrfach relevante 52, 80, 83, 102, 121, 138, 143, 153, 167, 181, 182, 201, 241, 281 – personenbezogene 178 Entscheidungserheblichkeit 45, 191, 199, 202 – Erweiterung des Vorlagebeschlusses 198, 199, 201, 202, 213 – Beurteilungskompetenz 203, 212 – lediglich für das Individualverfahren 48 – Nachverfahren, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 261 – Streitpunkte 67 Entscheidungsgegenstand des Musterverfahrens 112, 121, 224 Erfüllungsansprüche, kapitalmarktrechtliche 44, 47, 86, 100, 115 Erweiterung des Musterverfahrensgegenstands 185 – Adressat des Erweiterungsantrags 208 – analoge Anwendung der §§ 263 ff. ZPO 190, 194, 195, 197 – Antragsberechtigte 207 – Beteiligung mehrerer Prozessgerichte 210 – Bindung des Oberlandesgerichts an den erweiterten Vorlagebeschluss 209 – Einführung weiterer Feststellungsziele 190 – Entscheidungserheblichkeit 213 – Erweiterung des (globalen) Feststellungsziels des Vorlagebeschlusses 193 – Erweiterung des Vorlagebeschlusses 187, 191, 204, 209 – Erweiterung um weitere Streitpunkte 185, 204 – Sachdienlichkeit 215
Stichwortverzeichnis – Anwendbarkeit des § 1 KapMuG 216 – Maßstab 215 – Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entgegennahme des Erweiterungsantrags 209 – Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Entscheidung über das Erweiterungsersuchen 209 EuGVVO 210, 221, 223 Feststellungsziel – Abgrenzung zum Streitpunkt 65, 109 – Bestimmung, normative 70 – Bestimmung bei Anspruchskonkurrenz 70 – Bestimmung über kapitalmarktrechtliche Haftungsnorm 65, 72, 75 – globales Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses, einheitliches Gesamtbegehren 141 – Häufung von Feststellungszielen 138, 190 – Klärung von Rechtsfragen 65 – Legaldefinition 65 – Maßgeblichkeit für Verfahrensgegenstand 109, 111, 146 – nachträgliche Erweiterung des 187, 193, 196 – nachträgliche Häufung von 196 – taugliches 65, 70 – Teilfragen 188, 201, 202 – Verhältnis der Streitpunkte zum 69 – Zu- bzw. Unterordnungsverhältnis 69 Forum shopping 25 Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge 99 – Bedeutung der Streitpunkte für die Beurteilung der 101 – Bedeutung des Feststellungsziels für die Beurteilung der 100
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– Bedeutung des Lebenssachverhalts für die Beurteilung der 99, 171 – bei mehreren Beklagten 101, 171 – Beispiele 102 Gruppenklage 171 Haftungsnorm – Bestimmung des Feststellungsziels 72 – Kollektivierbarkeit 41, 115 Herkömmliche Bündelungsformen – Nebenintervention 32 – Streitgenossenschaft 31 – Verfahrensaussetzung 32 – Verfahrensverbindung 31 KapMuG – Anwendungsbereich 46 – Entstehungsgeschichte des 29, 38 – In-Kraft-Treten 25 – Zweck des 25 Klageregister 46, 49, 51, 125, 126, 152, 206 – datenschutzrechtliche Verantwortung 213 – Einsichtsrecht 49, 206 Klagerücknahme – durch einen Beigeladenen 265 – im Ausgangsverfahren, Bindung an den Musterentscheid 265 – Kosten 265 Kleinanleger, als Musterkläger 160 Kollektivierbarkeit 83, 115 Kompatibilität mit dem Vortrag im Individualverfahren 194 Kosten – Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren 52 – Verteilung 52, 132, 191, 266 Lebenssachverhalt – Abgrenzung zwischen gleichem und verschiedenem 84, 88
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Stichwortverzeichnis
– Bedeutung der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage 91, 99 – Bedeutung der Person des Beklagten 96 – Bedeutung der Streitpunkte 95 – Bedeutung des Informationsträgers 89, 95, 98 – gleicher 84 – Beispiele 89 – normativ-natürliche Betrachtung 99 – Voraussetzung der Gleichgerichtetheit 84, 100 – Inhaltsbestimmung – Anlehnung an das zivilprozessuale Begriffsverständnis 81 – normativ-natürliche Betrachtung 81, 84, 88 – Kern der Rechtsstreitigkeit 84, 99 – Teilhabe am Entscheidungsgegenstand des Musterverfahrens 112 – Teilhabe am Streitgegenstand des Musterverfahrens 111 – verschiedener 84 – Beispiele 93 Massenschäden 25, 35, 39, 148 Musterbeklagter – Auswahl 150, 168, 173 – Beiladung auf Beklagtenseite 169 – Beiladung auf Musterbeklagtenseite 172 – Geltung der Vorschriften über die einfache Streitgenossenschaft 176 – Geltung der §§ 59 ff. ZPO 174 – Geltung des § 62 ZPO 174, 183 – notwendige Streitgenossenschaft auf Musterbeklagtenseite 171 – § 8 Abs. 2 KapMuG analog 173, 174, 176 – nachträgliche Parteierweiterung 179
Musterentscheid – Anerkennungsfähigkeit im Ausland 221, 223, 232 – Beiladungswirkung sui generis, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 258 – Bindungswirkung – Innenbindung der Prozessgerichte nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KapMuG 277 – Vergleich mit der Rechtskrafterstreckung 272 – Vergleich mit der Tatbestandswirkung 275 – Wirkung im Verhältnis zwischen den Musterverfahrensparteien 232 – Wirkung im Verhältnis zwischen Musterverfahrenspartei und Beigeladenem bzw. im Verhältnis zweier Beigeladener zueinander, § 16 Abs. 1 Satz 3 KapMuG 255 – ersatzsubstanziierende Wirkung 262 – Kompatibilität mit dem Vortrag im Individualverfahren 196, 202 – prozessuale Waffengleichheit 173, 182, 230, 243, 246, 264, 285 – Rechtskraftwirkung, besondere 232 Musterfeststellungsantrag 45 – als Prozesshandlung des Ausgangsverfahrens 45, 46 – Antragsbefugnis 45 – Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger 49 – Gleichgerichtetheit 99 – Statthaftigkeit 46 – Verbescheidung 117 – Veröffentlichung im Klageregister 49 – Zulässigkeitsvoraussetzungen 48 – Zurückweisung 48, 49, 115, 124 – teilweise 119, 124 Musterklage 172 Musterkläger – Anspruchshöhe 160 – Bestimmung von Amts wegen 50 – Bestimmung, Auswahlkriterien 50
Stichwortverzeichnis – Verständigung mehrerer Beteiligter auf einen 152, 160 Musterverfahren – als Fortführung der ersten Tatsacheninstanz 263 – Bekanntmachung im Klageregister 51 – Modifikation des Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatzes 263, 287 – Verfahrensablauf 44 – Verfahrensabschnitte 44 – Durchführung vor dem Oberlandesgericht 50 – Vorlageverfahren 45 – verwaltungsgerichtliches 39, 161, 170, 172 – Zweck des 41 – Zwischenverfahren 150, 166, 171, 185 Nachverfahren 161, 166, 182, 206, 239, 243, 260, 264, 287 – Einwand mangelhafter Prozessführung 178 Nebenintervention – im Ausgangsverfahren, Wirkung im Musterverfahren 169 – Unterschied zur Beiladung 270 Normenkontrolle, konkrete 60, 61 Oberlandesgericht – Prüfungskompetenz 209 – umfassende Feststellungspflicht 196, 206, 207, 244, 245, 261 Objektiver Gesetzeszweck 231 Öffentliche Kapitalmarktinformation 46 Parallelprozess 32 Parteierweiterung, nachträgliche 179 Prozessverschleppung 49, 202, 218 Quorum – Bestimmung des 99, 126 – Amtsermittlungspflicht des vorlegenden Prozessgerichts 126
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– Anzahl der Musterfeststellungsanträge als maßgebliches Kriterium 99 – Anzahl der Verfahren als maßgebliches Kriterium 99 – Gleichgerichtetheit als maßgebliches Kriterium 99 – Zeitfenster 99 Race to the courtroom 131, 201 Rationales Desinteresse 30 Rechtliches Gehör 238, 266 Rechtsbeschwerde 53, 267 – Frist zur Einlegung 220 – Kostenverteilung 266 – Musterrechtsbeschwerdeführer und -gegner 151 – Rechtskraft des Musterentscheids 220, 266 Rechtsentscheid in Mietsachen 59, 60, 277 Rechtskraft des Musterentscheids 232 – Erstreckung auf das Feststellungsziel und sämtliche Streitpunkte 235 – ne bis in idem 252 – Präjudizwirkung 253 – Präklusionswirkung 253 – Rechtsbeschwerde 220, 266 – Umfang der 235 – Vergleich mit dem zivilprozessualen Rechtskraftverständnis 232, 246 Sachdienlichkeit der Erweiterung des Gegenstands des Musterverfahrens 213, 215 – Einführung weiterer Streitpunkte 218 – Erweiterung des Feststellungsziels 216 Sammelklage 33 Schadensersatzansprüche, kapitalmarktrechtliche 46, 86 Sperrwirkung, Umfang 88, 107, 148, 188, 200, 230 Squeeze-out 263 Streitgegenstand 54 – Begriff der ZPO 56
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Stichwortverzeichnis
– herrschendes zweigliedriges Streitgegenstandsverständnis 56 – normatives Streitgegenstandsverständnis 57 – Übertragbarkeit auf das Musterverfahren 106 – des Musterverfahrens 58 – Bedeutung der Streitpunkte für die Inhaltsbestimmung 108, 111, 112 – Bedeutung des Feststellungsziels für die Inhaltsbestimmung 108, 109, 112, 121, 146 – Bedeutung des Lebenssachverhalts für die Inhaltsbestimmung 108, 111, 112, 121 – Bedeutung des Vorlagebeschlusses für die Inhaltsbestimmung 122, 135, 141, 146 – derzeitiger Streitstand zum Streitgegenstandsverständnis 103 – Differenzierung zwischen Verfahrens- und Entscheidungsgegenstand 111, 112, 121 – einheitliches Gesamtbegehren 141, 146 – Kognitionsschranken 113 – mehrgliedriger Entscheidungsgegenstand 112, 121 – möglichst breiter Verfahrensgegenstand 111, 121 – nachträgliche Erweiterung des 185 – normativ-variables Streitgegenstandsverständnis 106, 111, 112, 117, 121 – Parteienhäufung 148 – Streitgegenstandshäufung 138 – Vergleich mit dem herrschenden zivilprozessualen Streitgegenstandsverständnis 114, 121 Streitgenossenschaft 153, 171 – im Ausgangsverfahren, Wirkung im Musterverfahren 164, 183
Streithilfe, im Ausgangsverfahren, Wirkung im Musterverfahren 169 Streitpunkte 66 – Abgrenzung zum Feststellungsziel 109 – Einführung weiterer in das laufende Musterverfahren 185, 193, 195, 204 – Erweiterung des Vorlagebeschlusses 187, 190, 191, 204 – Legaldefinition 65 – Teilhabe am Entscheidungsgegenstand des Musterverfahrens 112 – Teilhabe am Streitgegenstand des Musterverfahrens 111 – Verhältnis zum Feststellungsziel 69 – Zu- bzw. Unterordnungsverhältnis 69 Streitverkündung 268 – im Ausgangsverfahren, Wirkung im Musterverfahren 169 Streuschaden 29 Telekom 25, 35, 117, 119 Übernahmeangebote 86, 100, 263 Verfahrenskanalisation 32, 131 Widerklage 240 Zuständigkeit – internationale 210 – örtliche 42 – sachliche 43 – Konzentrationsermächtigung 44 – Zuständigkeitskonzentration 42 Zweck des KapMuG 26 Zweck des § 325a ZPO 223 Zwischenverfahren 150, 166, 171, 185