111 105 16MB
German Pages 175 Year 1988
JENS POHLMANN
Das französische Internationale Gesellschaftsrecht
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp
Band 34
Das französische Internationale Gesellschaftsrecht
Von Dr. Jens Pohlmann
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Tite1aufnahme der Deutschen Bibliothek
Pohlmann, Jens: Das französische Internationale Gesellschaftsrecht I von Jens Pohlmann. - Berlin : Duncker u. Humb1ot, 1988 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 34) Zugl.: Münster, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06584-0 NE:GT
06 Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06584-0
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1987/88 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im März 1988 abgeschlossen. Spätere Veröffentlichungen konnten vereinzelt bis September 1988 berücksichtigt werden. Mein Doktorvater, Herr Professor Dr. Bernhard Großfeld, regte das Thema an und förderte mich fachlich und persönlich. Der Deutsche Akademische Austauschdienst ermöglichte mir einen viermonatigen Forschungsaufenthalt in Paris. Herr Professor Loussouarn war in dieser Zeit für meine Fragen offen. Herr Professor Dr. Otto Sandrock beurteilte die Arbeit als Zweitgutachter. Für die Unterstützung, die mir zuteil wurde, bedanke ich mich. Münster, im Oktober 1988
Jens Pohlmann
Inhaltsübersicht Einleitung
............................................................
19
1. Kapitel: Nationalität von Gesellschaften ................................
22
2. Kapitel: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
36
3. Kapitel: Wechsel der Nationalität von Gesellschaften
83
4. Kapitel: Anerkennung
98
...............................................
5. Kapitel: Regelungsbereich des Gesellschaftsstatuts
123
6. Kapitel: Fusion ..................................................... 153 7. Kapitel: Ergebnisse Schluß
158
............................................................... 160
Literaturverzeichnis .................................................... 162
Inhaltsverzeichnis 19
Einleitung
1. Kapitel Nationalität von Gesellschaften A. Begriff
22
B. Lehre .............................................................
23
I. Befürwortende Stimmen
23
11. Ablehnende Stimmen ..........................................
25
III. Heutige Bedeutung ............................................
27
Rechtsprechung ....................................................
30
D. Gesetz ............................................................
34
E. Kritische Würdigung
35
c.
2. Kapitel Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
A. Problematik
36
B. Mögliche Kriterien
38
I. Freie Rechtswahl ..............................................
38
11. Ort des Vertragsschlusses .......................................
38
111. Satzungssitz
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Kontrolle
39 39
V. Ort der Betriebsstätte
..........................................
40
VI. Ort der Entscheidungen ........................................
41
VII. Gründungsrecht ...............................................
42
VIII. Sitzrecht
.....................................................
43
Inhaltsverzeichnis
c.
Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie
1. Teil: Kollisionsrecht
11 44 44
I. Gründungstheorie
.............................................
11. Sitztheorie
44 46
a) Lehre .....................................................
46
b) Rechtsprechung ............................................
47
c) Gesetz ....................................................
48
d) Bestimmung des Gesellschaftssitzes
49
e) Qualifikation des Gesellschaftssitzes
54
t) Rück- und Weitervetweisung .................................
56
2. Teil: Fremdenrecht
58
I. Sitzkriterium
59
11. Kontrollkriterium
65
a) Kontrollkriterium in Kriegszeiten .............................
1. Gesetz
.................................................
2. Rechtsprechung
66 66
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
b) Kontrollkriterium in Friedenszeiten ...........................
70
1. Rechtsprechung
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
2. Gesetz ................................................. (A) Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (B) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Bull ........................................... (11) Helena Rubinstein-parfums Rochas ................ (111) Takashimaya-Leroy S.A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (IV) Heinz-Grey Poupon .............................
73 73 77 77 78 78 79
c) Ausländische Kontrolle und Interessenkonflikte - Fall Fruehauf ..
79
d) Kritische Würdigung
82 3. Kapitel
Wechsel der Nationalitlt von Gesellschaften
A. Sitzwechsel
83
I. Zulässigkeit des Sitzwechsels .................................... a) Problematik
83
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
b) Lehre .....................................................
84
12
Inhaltsverzeichnis c) Gesetz
85
d) Rechtsprechung ............................................
88
1. Einfacher Sitzwechsel
... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
11. Voraussetzungen und Wirkungen des Sitzwechsels .................
91
2. Sonderfall Algerien
a) Anwendbares Recht
91
b) Änderung des Gesellschaftsvertrags ...........................
94
B. Wechsel in der Souveränität des Staates
.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
4. Kapitel Anerkennung A. Theorienstreit um die juristische Person ...............................
98
B. Theorie der wohlerworbenen Rechte .................................. 100
c.
Anerkennung und anwendbares Recht
100
D. Anerkennung im nationalen Recht .................................... 101 E. Anerkennung in internationalen Verträgen
105
I. Haager Abkommen vom 1. Juni 1956
105
11. EWG-Vertrag und Straßburger Europäisches Übereinkommen vom 20. Januar 1966 ................................................ 107 III. EWG-Vertrag und Brüsseler Übereinkommen vom 29. Februar 1968 .. 108 IV. Verträglichkeit der Sitztheorie mit dem Europarecht ................ 110 a) Artikel 52, 58 EWGV als Programmsätze
110
b) Unmittelbare Anwendung der Artikel 52, 58 EWGV durch den EuGH .................................................... 111 c) Einfluß der Entscheidungen des EuGH auf die Rechtsprechung der nationalen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111 d) Direkte Anwendbarkeit der Artikel 52, 58 EWGV auf Diskriminierung und Anerkennung? ......................................... 113 e) Sitztheorie und Diskriminierung .............................. 113 f) Artikel 52, 58 EWGV und Anerkennung ....................... 114
Inhaltsverzeichnis
13
I. Abgrenzung: Niederlassungsfreiheit und Anerkennung ........ 115
2. Verhältnis des Art. 220 Unterabs. 3 zu den Artikeln 52, 58 EWGV 116 g) Ergebnis
.................................................. 116
V. Überblick über die zweiseitigen Verträge .......................... 117 VI. Abkommen über Niederlassung und Schiffahrt mit der Bundesrepublik Deutschland .................................................. 119 VII. Niederlassungsabkommen mit den USA .......................... 120 a) Vertragsinhalt .............................................. 120 b) Fall Caron
121
5. Kapitel Regelungsbereich des GeseUschaftsstatuts
A. Gründung
123
I. Emission von Wertpapieren ..................................... 124 a) Beziehungen zwischen der emittierenden Gesellschaft und den Zeichnern ................................................. 124 I. Voraussetzungen der Zeichnung ........................... 125 2. Wirkungen der Zeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (A) Einzahlung des Restbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (B) VeIjährung ... . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (C) Verfall von Rechten ..................................
126 126 127 127
b) Beziehungen zwischen der mit der Emission beauftragten Bank und den Zeichnern sowie der emittierenden Gesellschaft . . . . . . . . . . .. 129 I. Beziehungen zwischen der Bank und der emittierenden Gesellschaft .................................................. 129
2. Beziehungen zwischen der Bank und den Zeichnern .......... 130 3. Trust
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130
11. Einlagen ..................................................... 132 a) Immobilien ................................................ 132 b) Handelsgeschäft ............................................ 133 c) Bewertung der Sacheinlagen III. Publizität
................................. 134 134
a) Lex societatis .............................................. 134 b) Lex fori ................................................... 135
14
Inhaltsverzeichnis
B. Geschäftstätigkeit
136
I. Rechte und Pflichten der Gesellschafter und Inhaber von Schuldverschreibungen ...................................................... 137 a) Gesellschafter
137
b) Inhaber von Schuldverschreibungen ........................... 138
11. Ernennung, Befugnisse und Haftung der Gesellschaftsorgane ........ 139 a) Ernennung
139
b) Befugnisse
139
c) Haftung ................................................... 141 C. Auflösung, Abwicklung und Aufteilung ................................ 143 I. Auflösung .................................................... 143
146
11. Abwicklung a) Kontinuität der Rechtspersönlichkeit
.......................... 146
b) Ernennung, Befugnisse und Haftung der Liquidatoren ........... 148
1. Ernennung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 148
2. Befugnisse .............................................. 149 3. Haftung
................................................ 150
c) Rechte der Gläubiger einer Gesellschaft in Abwicklung .......... 150 III. Aufteilung
150 6. Kapitel
Fusion
A. Prinzip der internationalen Fusion .................................... 153 I. Nationales Recht .............................................. 153
11. Internationale Verträge ......................................... 154 B. Kollisionsrecht
155 7. Kapitel Ergebnisse
158
Schluß
160
Litellltnrverzeicbnis
162
Stichwortverzeichnis
172
Abkürzungsverzeichnis aA ABI. EG Abs. AG AktG Am. J. Int. L. Anm. Ann. fr. dr. int. App. Art. Artt. Ass. Nat. Aufl. AWD Az BayObLG Bd. Bde. BGB BGBI. BGH BRepD Bull. Bull. civ. c. Cass. civ. Cass. com. Cass. crim. Cass. req. C. C. A. Ch. corr. Chr. Clunet Cons. d'etat D. Rep. dr. int.
D.
Deb. ders. dies. Diss. E
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Aktiengesellschaft Aktiengesetz American Journal of International Law Anmerkung Annuaire fran~aise du droit international Appendix Artikel Artikel (Plural) Assemblee Nationale Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Aktenzeichen Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Bände Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesrepublik Deutschland Bulletin Bulletin des arrets de la Cour de cassation, Chambres civiles contre Cour de cassation, Chambre civile, section civile Cour de cassation, Chambre civile, section commerciale Cour de cassation, Chambre criminelle Cour de cassation, Chambre des requetes Circuit court of appeal Chambre correctionelle Chronique Journal du droit international prive, begründet von Clunet Conseil d'etat Dalloz Repertoire du droit international Receuil de jurisprudence Dalloz (bis 1965); Receuil Dalloz-Sirey (ab 1965) Debats derselbe dieselben Dissertation Entscheidung
16
Abkürzungsverzeichnis
Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Federal Reporter F. Fasc. Fascicule FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende ff. Fn. Fußnote FS Festschrift Gaz. Pal. Gazette de Palais Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH Hebdomadaire H. Handelsgesetzbuch HGB herrschende Meinung hM Herausgeber Hrsg. Incorporated Inc. Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRax J. O. JournalOfliciel Juris Classeur J. Cl. Juris Classeur Periodique J. C. P. Journal des societes Journ. soc. Kap. Kapitel Kommanditgesellschaft KG littera lit. Limited Ltd. mit m. mit weiteren Nachweisen m.w.N. Neue Juristische Wochenschrift NJW Nr. Nummer OHG Offene Handelsgesellschaft P. Periodique RabelsZ Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Rdnr. Randnummer Rec. des cours Receuils des Cours de I' Academie de droit international de La Haye Reponse ministerielle Rep. min. Rep. dr. int. Repertoire du droit international Rev. dr. int. pr. Revue de droit international prive (1905-1933) Rev. cr. dr. int. Revue critique de droit international prive (seit 1934) pr. Rev. jur. com. Revue de jurisprudence commerciale Rev. soc. Revue des societes Rev. trim dr. Revue trimestrielle de droit commercial et de droit economique com. RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der internationalen Wirtschaft Rechtssache Rs. siehe S. EG EuGH EWG EWGV
Abkürzungsverzeichnis S. Sec. Sen. Somm. Trav. comite fr. dr. int. pr. Trib. com. Trib. corr. Trib. arb. Trib. gr. inst.
u. a.
U. S. v. Vgl. WM z. B. ZGR ZHR ZPO ZVglRWiss
2 Pohlmann
Seite; Receuil de Sirey; Siehe Section Senat Sommaire Travaux du comite fran~ais du droit international prive Tribunal de commerce Tribunal correctionel Tribunal arbitral Tribunal de grande instance unter anderem United States versus Vergleiche Wertpapiermitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
17
Jus nullo continetur loco.
Einleitung Das nationale Gesellschaftsrecht eines jeden Staates regelt die Erscheinungsformen der Gesellschaften, ihre Organisation und ihre Handlungsweise. Überschreiten Gesellschaften die Grenzen eines Staates, so sind mehrere nationale Gesellschaftsrechte betroffen. In diesem Fall muß geklärt werden, welches Recht maßgebend ist. Das zuständige nationale Gesellschaftsrecht -das Gesellschaftsstatut- zu bestimmen, ist Aufgabe des Internationalen Gesellschaftsrechts. "International" sind nur die Sachverhalte. Das Internationale Gesellschaftsrecht selbst hingegen ist trotz der irreführenden -aber eingebürgertenBezeichnungnationales Recht. "Gesellschaftsrecht" als Rechtsgebiet ist weit zu verstehen. Der aegriff der Gesellschaft umfaßt dabei ebenso wie der französische AusdrucI "societe" -der ansonsten als Terminus technicus nur juristische Personen einbezieht- alle Personenvereinigungen, juristische Personen und andere organisierte Vermögenseinheiten 1. Das Internationale Gesellschaftsrecht ist Bestandteil des Internationalen Privatrechts. Dieses bestimmt das anwendbare Recht für alle Privatrechtsverhältnisse. Da das Internationale Privatrecht zwischen zwei oder mehreren kollidierenden Rechten entscheidet, wird es auch als Kollisionsrecht bezeichnet. Internationale Sachverhalte werfen außer der kollisionsrechtlichen Problematik weitere Fragen auf. So enthalten die nationalen Rechtsordnungen Sonderregeln für Ausländer. Die Gesamtheit dieser Sonderregeln bildet das Fremdenrecht. Um eine Person als Inländer oder als Ausländer zu kennzeichnen, muß man sie einem Staat zuordnen. Es handelt sich hierbei um die Problematik der Nationalität. Soll ein Gerichtsverfahren in die Wege geleitet werden, so ist zu klären, in welchem Land die Gerichte zuständig sind. Dies ist die Aufgabe des Internationalen Zuständigkeitsrechts. Während der deutsche Begriff des Internationalen Privatrechts nur das Kollisionsrecht umfaßt, geht der französische Begriff des "droit international prive" weiter. Er bezieht zusätzlich die drei genannten Gebiete ein, also das Fremdenrecht, die Nationalität und das Internationale Zuständigkeitsrecht 2 • Gleiches gilt für das Internationale Gesellschaftsrecht. Der französische Begriff des "droit international prive en matiere de societes" umfaßt neben den "conflits de lois" (Kollisionsrecht) die "condition des etrangers" (Fremdenrecht), die 1 Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 1 für den Begriff "Gesellschaft". 2 Loussouarn/ Bourel, Droit international prive, 2. Aufl., Paris 1980 mit Ergänzungslieferung Stand 1. April 1984, Nr. 26, S. 21.
2*
20
Einleitung
"conflits de juridictions" (Internationales Verfahrensrecht) und die "nationalit6" (Nationalität). Die Nationalität von Gesellschaften wird in dem Bemühen erörtert, einheitliche Kriterien zur Festlegung der In- bzw. Ausländereigenschaft von Gesellschaften aufzudecken. Ein weiteres Problem im Internationalen Gesellschaftsrecht ist die Anerkennung ("reconnaissance") ausländischer Gesellschaften. Dieses Problem resultiert aus der Tatsache, daß eine Gesellschaft nicht wie eine natürliche Person durch Geburt, sondern aufgrund eines Rechtsakts ins Leben gerufen wird. Dieser Rechtsakt richtet sich nach einer nationalen Rechtsordnung. Außerhalb des Geltungsgebiets dieser Rechtsordnung ist die Gesellschaft nicht automatisch existent. Sie muß dort als solche anerkannt werden. Darstellungen des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts erörtern gewöhnlich auch das Fremdenrecht 3 • Sie grenzen dieses so eindeutig wie möglich vom Kollisionsrecht ab. Dies versucht auch die vorliegende Arbeit, wenngleich in französischen Darstellungen die Trennlinie zuweilen nur schwer auszumachen ist. Deutsche Abhandlungen erörtern die Nationalität von Gesellschaften nicht gesondert, während dieser Frage in französischen Darstellungen maßgebende Bedeutung zukommt. Auch die vorliegende Arbeit hat sich daher damit auseinanderzusetzen. Sie erörtert hingegen nicht das Internationale Verfahrensrecht. Dieses ist ein eigenständiges Gebiet. Es unterliegt eigenen Regeln und ist insofern ohne Einfluß auf die Darstellung des Internationalen Gesellschaftsrechts im übrigen. Das französische Internationale Gesellschaftsrecht ist in erster Linie für den französischen Juristen von Bedeutung. Doch auch der deutsche Rechtsanwender kann damit konfrontiert werden. Steht er vor der Frage, welches Recht entscheidungsbefugt ist, so schaut er zunächst auf das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht. Verweist dieses ihn auf das französische Recht, so hat er die Antwort im französischen Internationalen Gesellschaftsrecht zu suchen. Deutsche Gesellschaften, die in Frankreich geschäftlich aktiv zu werden beabsichtigen - die dort etwa eine Filiale eröffnen wollen - müssen wissen, welchen Sondervorschriften sie unterliegen. Neben der Anwendung des Rechts steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm. Ein so weitgehend von Rechtsprechung und Lehre beherrschtes Gebiet, das durch keine Kodifikation festgeschrieben ist, ist für die Rechtsvergleichung besonders ergiebig. Argumente und Einrichtungen des fremden Rechts können zuweilen auf das eigene Recht übertragen werden. Schließlich ist auf die Bemühungen hinzuweisen, im Internationalen Gesellschaftsrecht zu international vereinheitlichten Normen zu gelangen. Ein Ergebnis ist die kürzlich neu geschaffene Rechtsform der Europäischen Wirtschaftli3 S. etwa StaudingerjGroßfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 558.
Einleitung
21
chen Interessenvereinigung4 . Ein solches Werk und jede andere vernünftige Rechtsvereinheitlichung setzen voraus, daß man die verschiedenen nationalen Rechte kennt. Es besteht daher auch in der Bundesrepublik Deutschland Veranlassung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem französischen Internationalen Gesellschaftsrecht.
4 S. dazu: Israel, Une avand:e du droit communautaire: Le groupement europeen d'interet €:conomique (GEIE), Revue du March€: commun 1985, 645; Abmeier, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und nationales Recht, NJW 1986, 1987.
t.
Kapitel
Nationalität von Gesellschaften A. Begriff In Frankreich ist es üblich, Gesellschaften eine "Nationalität" zuzusprechen. Dies ist allerdings umstritten; der Sinngehalt einer solchen Nationalität ist zudem unklar. Benötigen wir den BegritTI Im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht ist diese Frage nur von untergeordneter Bedeutung. Im Kollisionsrecht erscheint der Begriff nicht; man ermittelt direkt das anwendbare Recht. Er wird allenfalls im Fremdenrecht gebrauchtl. Im Fremdenrecht geht es darum, die In- oder Ausländereigenschaft einer Gesellschaft festzulegen. Je nach Nor'mzweck können hierfür unterschiedliche Kriterien anzuwenden sein. Ob eine Gesellschaft im Kriegsfall als Feind einzustufen ist, wird sich vor allem danach richten, welche natürlichen Personen hinter der Gesellschaft stehen. Ob einer Gesellschaft bestimmte Rechte zustehen - etwa ein Anspruch auf Steuererleichterungen - kann sich danach richten, ob sie ihr wirtschaftliches Zentrum in dem Land hat, das diese Rechte gewährt. Eine Gesellschaft mit französischen Gesellschaftern und wirtschaftlichem Zentrum in Spanien würde danach zwar im Kriegsfall in Frankreich nicht als Feind angesehen werden; sie hätte andererseits aber nicht den hier genannten Anspruch auf Steuererleichterungen. Sie würde also das eine Mal wie eine inländische, das andere Mal wie eine ausländische Gesellschaft behandelt. In der Bundesrepublik Deutschland trifft man in diesem Zusammenhang auf die Begriffe "Nationalität" oder "Staatsangehörigkeit" 2 • Da sie die Vorstellung einer einheitlichen Zuordnung vermitteln, werden sie zum Teil abgelehnt und durch den Begriff der "Staatszugehörigkeit" ersetzt 3 • Man könnte daran denken, auch einfach von einer "Staatszuordnung" zu sprechen. Werden hier Divergenzen deutlich, so handelt es sich doch nur darum, dem "Kind einen Namen zu geben"; das "Kind" ist da. Anders ist es in Frankreich. Hier hat man den Namen, aber das "Kind" fehlt. Mit anderen Worten: Der Begriff der "Nationalität" findet sich in Gesetz, Rechtsprechung und Lehre. 1 Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr.11. 2 Schmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen, Heidelberg 1966. 3 Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 562 m.w.N.; Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, Herne u.a. 1970, S. 68, Fn. 21 m. w. N.
B. Lehre
23
Was unter "Nationalität" zu verstehen ist, ist indessen unklar. Eine Darstellung des französischen Internationalen Gesellschaftsrechts kommt um diesen Begriff nicht herum. In dem Bemühen, ein einheitliches Anknüpfungskriterium zu entwickeln, wird in allen Problembereichen des französischen Internationalen Gesellschaftsrechts diskutiert, die Nationalität als Entscheidungskriterium zugrunde zu legen. So soll sich die Frage, welches Recht auf eine Gesellschaft Anwendung findet, nach ihrer Nationalität richten. Ob sie anerkannt wird, welche Rechte sie ausüben darf, ob sie aus Staatsverträgen Rechte herleiten kann, ob sie diplomatischen Schutz genießt, ob sie im Kriegsfall als Feind einzustufen ist all diese Streitpunkte sollen geklärt werden, indem man die Nationalität der betreffenden Gesellschaft ermittelt. Dies ist allerdings sehr umstritten. Eine Analyse von Lehre, Rechtsprechung und Gesetzeslage wird aufzeigen, welche Bedeutung dem Begriff der Nationalität von Gesellschaften im französischen Internationalen Gesellschaftsrecht letztlich zukommt.
B. Lehre I. Befürwortende Stimmen "Die Gesellschaften haben wie die Individuen eine Nationalität: es gibt französische Gesellschaften, und es gibt ausländische Gesellschaften. "4
Diese Feststellung von Lyon-Caen zeigt auf, wie es zur Entstehung des Konzepts einer Nationalität von Gesellschaften kam: Diese wurden als Rechtsgebilde den natürlichen Personen gleichgestellt s. Vorausgegangen war eine lange Debatte um das Wesen der Rechtspersönlichkeiteiner Gesellschaft. Handelte es sich dabei um eine Realität oder um eine bloße Fiktion? Die Realitätstheorie wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschend. Mazeaud begründete sie wie folgt 6 : Sähe man die Rechtspersönlichkeit von Gesellschaften als Fiktion an, so müsse man auch die Rechtsfahigkeit natürlicher Personen als Fiktion ansehen. Dies aber behaupte niemand. Man müsse unterscheiden zwischen der physischen Existenz und der Rechtspersönlichkeit. Letztere sei bei der natürlichen Person genauso wie bei der juristischen Person eine juristische Konstruktion. Es habe in der Geschichte auch natürliche Personen ohne Rechtspersönlichkeit gegeben, etwa die Sklaven der Antike oder die Personen, die gemäß der bis zum Jahr 1854 in Frankreich geltenden Vorschriften zum bürgerlichen Tod verurteilt worden waren. Mazeaud leitete daraus ab, daß die Menschen aufgrund einer 4 Ch. Lyon-Caen, Des conditions aexiger pour que les societes soient fran~aises, Clunet 1917, 5. 5 So auch: Salem, Le probleme de la nationalite des societes et les interets fran~ais a I'etranger, Rev. dr. int. pr. 1919, 23. 6 Mazeaud, De la nationalite des societes, Clunet 1928, 30.
24
1. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
juristischen Konstruktion mit einer Rechtspersönlichkeit ausgestattet seien. Von dieser Konstruktion sollten Personengesamtheiten nicht ausgenommen sein. Da die Rechtspersönlichkeit natürlicher Personen anerkanntermaßen keine Fiktion sei, andererseits aber die Rechtspersönlichkeit natürlicher und juristischer Personen auf der gleichen Konstruktion beruhten, handele es sich auch bei der Rechtspersönlichkeit von Gesellschaften nicht um eine Fiktion, sondern um eine Realität. Gab es insoweit keine Unterschiede zu natürlichen Personen, so konnte den Gesellschaften auch eine Nationalität zuerkannt werden. Dies sah man aus verschiedenen Gründen als erforderlich an: Die Nationalität sei das Bindeglied zwischen einer Person und einem Staat; aus diesem Verhältnis erwüchsen Pflichten und Rechte auch für Gesellschaften 7 • Die Nationalität garantiere die freie Betätigung und Ausübung der Rechte der Gesellschaft im Ausland 8 . Wenn internationale Abkommen Franzosen besondere Rechte zukommen ließen, so dürften juristische Personen nicht lediglich deshalb davon ausgenommen sein, weil das französische Recht ihnen keine Nationalität zuerkenne 9 • Um diplomatischen Schutz in Anspruch nehmen zu können, müßten Gesellschaften die Nationalität des betreffenden Staates haben 10. Wenn Gesellschaften auch kein Wahlrecht ausüben und nicht zum Militärdienst verpflichtet werden könnten, so müsse man sich vor Augen halten, daß diese Rechte und Pflichten nicht spezifisch seien für die Nationalität natürlicher Personen: Frauen hätten lange Zeit kein Wahlrecht gehabt, und für die Wehrpflicht werde sowohl auf das Domizil als auch auf die Nationalität abgestellt l l . Hatte Niboyet dem Konzept der Nationalität entgegengehalten, es werde dadurch fiktiv die Zahl der Staatsangehörigen erhöht 12, so weisen BatiffoljLagarde darauf hin, daß sich die Bevölkerung nur aus den natürlichen Personen zusammensetze. Es gebe eben Unterschiede zwischen der Nationalität natürlicher Personen und der juristischer Personen. Zwar mache der Gebrauch eines einheitlichen Begriffs diese Unterschiede nicht deutlich; das sei aber kein ausschlaggebendes Argument gegen seine Anwendung 13 . Mazeaud, De la nationalitl~ des societes, Clunet 1928, 37. Salern, Le probleme de la nationalite des societes et des interets fram,ais ä l'etranger, Rev. dr. int. pr. 1919, 23. 9 Kiss, Encyc10pedie Dalloz, Repertoire de droit international, "Protection diplomatique", Nr. 32. 10 Frossard, Un vide legislatif: la nationalite des societes, D. S. 1969, 15; LoussouarnJTrochu, J. Cl., Fasc. 564 A, Nr. 20. 11 Levy (La nationalite des societes, Paris 1984, S. 30) beruft sich insoweit auf die Praxis in den Vereinigten Staaten: Military Selective Training and Service Act, section IV (A). 12 Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des societes?, Rev. dr. int. pr. 1927,402. 13 BatiffolJLagarde, Droit international prive, Bd. I, 7. Aufl., Paris 1981 mit Ergänzungslieferung 1985, Nr. 192, S. 227; hingegen wollen LoussouarnJTrochu (J. Cl., 7
8
B. Lehre
25
11. Ablehnende Stimmen Seit das Konzept einer Nationalität von Gesellschaften gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand, haben sich Gegenstimmen erhoben. Als erster ist Vareilles-Sommieres zu nennen, der im Jahre 1897 mit der Fiktionstheorie argumentierte l4 . Er fragte, wie eine Schöpfung des Gesetzgebers, eine juristische Fiktion, eine ebensolche Bindung an den Staat begründen könne wie das Blut des Bürgers mit dem Vaterland. 1908 vertrat Demogue die Ansicht, der Begriff der Nationalität sei im Hinblick auf Gesellschaften überflüssig: ,,(Bei der Gesellschaft) ist die eigentliche Frage, nach welchem Recht sie sich gründen muß oder kann und nach welchem Recht sich ihre Tätigkeit richtet."1S
Pillet l6 argumentierte 1914 wie folgt: Für die Bindung eines Individuums an einen Staat gebe es zwei Anknüpfungspunkte: das Domizil und die Nationalität. Letztere gewähre dem Staat eine konstante Zugriffsmöglichkeit und habe deshalb gegenüber dem Domizil eine Vorrangstellung erworben. Das Domizil habe nur noch sekundäre Bedeutung. Diese bestehe darin, daß das Domizil herangezogen werde, um die Nationalität zu bestimmen. Damit sei zugleich das Verhältnis des jus soli zum jus sanguinis gekennzeichnet. Bei den Gesellschaften gebe es kein jus sanguinis l7 • Man müsse daher auf das jus soli, also auf das Domizil zurückgreifen. Erkenne man den Gesellschaften eine Nationalität zu, so vennenge man mithin die unterschiedlichen Begriffe Nationalität und Domizil. Ein durch den ersten Weltkrieg bedingter Wandel in der Rechtsprechung vennehrte die kritischen Stimmen und lieferte ihnen zusätzliche Begründungshilfen. Die Rechtsprechung war schon seit geraumer Zeit von einer Nationalität von Gesellschaften ausgegangen. Die Gerichte hatten die Nationalität jeweils anhand des wirtschaftlichen Zentrums der Gesellschaft ermittelt. Die Nationalität bestimmte über das anwendbare Recht und über den Erwerb von Rechten. Im Krieg ging es nun darum, die Feindeigenschaft einer Gesellschaft zu ennitteln. Auch dies war eine Frage der Nationalität der Gesellschaft.' Die Gerichte bestimmten diese aber nunmehr anhand der Nationalität der Gesellschafter l8 . Es war also plötzlich ein anderes Kriterium maßgeblich. Pepy kritisierte die Rechtsprechung insoweit und warf ihr 1920 einen Mangel an Kohärenz und an Schlüssigkeit vor l9 . Fasc. 564 A, Nr. 29) die Kapitalgesellschaften bei der Zählung der Bevölkerung mitrechnen. 14 Vareilles-Sommieres, La synthese du droit international prive, Paris 1897, S. 643. 15 Demogue, Anm. zu Trib. civ. Lille 21. 5. 1908, S. 1908,11, 177. 16 PiIlet, Les personnes morales en droit international prive, Paris 1914, S. 123. 17 Zu dem daraus entstehenden Dilemma: Louis-Lucas, Remarques relatives a la determination de la nationalite des societes, J. C. P. 1953, 1, 1104. 18 S. dazu im einzelnen u. 2. Kap., C, 2. Teil, lIa 2. 19 Pepy, La nationalite des societes, Diss. Paris 1920, S. 37.
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1. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
Mit einem ganzen Bündel von Argumenten wandte sich schließlich Niboyet
1927 gegen die Nationalität von Gesellschaften in seinem Aufsatz: "Existe-t-il
vraiment une nationalite des societes?"2o. Niboyet meinte, die Nationalität begründe eine politische Beziehung zwischen einer natürlichen Person und einem Staat. Eine solche Beziehung könne nicht zwischen einer Gesellschaft und einem Staat hergestellt werden. Ebensowenig dürfe es die Nationalität einer Gesellschaft geben wie die eines Schiffes oder Flugzeuges. Niboyet bezog sich damit auf ein Gesetz aus dem Jahre 1924 21 , in dem ein Kapitel betitelt war "Nationalität von Luftschiffen". BatiffoljLagarde 22 traten diesem Argument entgegen, indem sie die Nationalität von Gesellschaften einerseits, von Schiffen und Flugzeugen andererseits unterschieden. Die Gesellschaften seien Subjekte des Rechts, die Schiffe und Flugzeuge lediglich Objekte des Rechts. Die Gesellschaft als juristische Person müsse wie die natürliche Person die Autorität des Staates respektieren. Ein Schiff oder Flugzeug sei hingegen ein Ergebnis menschlicher Tätigkeit; es sei nur eine Sache, die durch die Nationalität einem bestimmten Staat zugeordnet werde. Niboyet betonte die vertragliche Komponente einer Gesellschaft 23 . Ein privatrechtlicher Vertrag könne nicht ein Wesen hervorbringen, das mit einer Nationalität ausgestattet sei. Es sei nur bequem gewesen, diesen Terminus anzuwenden. Diese Bequemlichkeit habe zu einem Sprachmißbrauch geführt. Daß es sich um grundverschiedene Tatbestände handele, werde deutlich, wenn man untersuche, auf welche Art und Weise die Gerichte natürlichen Personen einerseits und juristischen Personen andererseits die französische bzw. eine ausländische Nationalität zusprächen. Bei natürlichen Personen ermittelten die Richter nach französischem Rechtder lex fori -, ob diese die französische Nationalität hätten. Wenn sich dabei ergebe, daß eine Person nach französischem Recht spanischer Nationalität sei, so würde der Richter dennoch der Person nicht automatisch entsprechend dem französischen Gesetz die spanische Nationalität zusprechen. Die Regeln über die Nationalität hätten insoweit einseitigen Charakter. Dieser gestatte es nicht, einer Person die Nationalität eines fremden Staates zuzusprechen. Im angeführten Fall wäre es danach notwendig, daß die Person entsprechend den spanischen Gesetzen die spanische Staatsangehörigkeit hätte, damit das französische Gericht diese anerkenne. In Bezug auf Gesellschaften nun verführen die Gerichte ganz anders. Entsprechend dem französischen Kriterium ermittle der Richter, in welchem Land die betreffende Gesellschaft ihren Sitz habe. Wenn dieser in Spanien liege, 20 21
22
23
Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des societes?, Rev. dr. int. pr. 1927,405. Gesetz vom 31. Mai 1924, Kapitel 11. Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Bd. I, Paris 1981, Nr. 192, S. 227. Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des societes?, Rev. dr. int. pr. 1927,405.
B. Lehre
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so spreche der Richter ihr die spanische Nationalität zu. Dies täte er unabhängig davon, ob in Spanien nicht ein ganz anderes Kriterium zur Bestimmung der Nationalität gelte, welches vielleicht zur Nationalität eines dritten Staates führen würde 24 • Diese Vorgehensweise sei unvereinbar mit den Grundprinzipien im Bereich der Nationalität von natürlichen Personen. Diese unterschiedlichen Verfahrensweisen zeigten, daß die Tatbestände nicht vergleichbar seien und es deshalb verfehlt sei, von einer Nationalität von Gesellschaften zu sprechen. Der Begriff sei zudem überflüssig. Bei der Frage des Erwerbs von Rechten gehe es darum zu wissen, welche Rechte eine ausländische Gesellschaft ausüben dürfe. Es gehe nicht um die Bestimmung einer wie immer gearteten Nationalität. Im Krieg hätten die Gerichte auf das Kontrollkriterium nur vordergründig zurückgegriffen, um die Nationalität einer Gesellschaft zu bestimmen, in Wahrheit aber, um aufzudecken, ob die Gesellschaft sich in Feindeshand befinde 25 • Die kollisionsrechtliche Fragestellung gehe dahin, welches Recht Anwendung finde. Hierfür sei das Recht am Ort des Gesellschaftssitzes maßgebend. Für die Ermittlung des anwendbaren Rechts brauche man mithin die Nationalität nicht 26 • Diesen Gedanken vertiefte Loussouam 27 : "Die juristischen Personen haben kein jus sanguinis. Also mußte man zur Bestimmung ihrer Nationalität auf das Domizil zurückgreifen. Man gelangte so im Bereich des Kollisionsrechts zu genau dem gleichen Ergebnis, wie wenn man direkt das Recht des Domizils angewandt hätte. Aber da die Vorstellung einer Nationalität von Gesellschaften sich allgemein etabliert hatte, machte man sich zur Gewohnheit, diesen unnützen Umweg zu gehen und das anwendbare Recht in zwei Etappen zu ermitteln, während eine einzige voll ausreichend gewesen wäre."
III. Heutige Bedeutung Noch heute geht die herrschende Meinung in der Doktrin diesen Umweg. So liest man bei Batiffol/Lagarde 28 : "Die erste Wirkung des solchermaßen begründeten Bandes (der Nationalität von Gesellschaften) ist die Bestimmung des anwendbaren Rechts auf die Gründung und die Tätigkeit einer Gesellschaft."
24 Vgl. Cour d'appel de Paris 20.3.1944, D. 1945,24 m. Anm. Basdevant; Louis-Lucas, Remarques relatives ala determination de la nationalite des societes, J. C. P. 1953, I, 1104. 2S Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des societes?, Rev. dr. int. pr. 1927,412. 26 Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des socü~tes?, Rev. dr. int. pr. 1927,409; ebenso: Loussouarn, Les conflits de lois en matiere de societes, Diss. Rennes 1949, S. 87. 27 Loussouarn, Les conflits de lois en matiere de societes, Diss. Rennes 1949, S. 87; ihm folgend: Levy, La nationalite des societes, Paris 1984, S. 40; ebenso: Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 563. 28 Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Bd. I, Paris 1981, S. 227, Nr. 192.
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1. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
Einige Stimmen in der Literatur sind Niboyet gefolgt und lehnten das Konzept einer Nationalität von Gesellschaften ganz ab 29 • Sie konnten sich nicht durchsetzen. Das Prinzip fand weiterhin seine Befürworter 30 und ist heute etabliert. Jedes Lehrbuch gebraucht den BegrifP 1 . Er findet sich in zahlreichen Aufsätzen und Anmerkungen 32 • Wird der Begriff allgemein angewandt, so ist man sich doch uneinig darin, welche Problembereiche umfaßt sind. Eine neue Tendenz etwa geht dahin, unter grundsätzlicher Anerkennung der Nationalität von Gesellschaften die kollisionsrechtliche Fragestellung auszuklammern und das anwendbare Recht ohne Rückgriff auf die Nationalität zu ermitteln 33 • Diese Definitionsprobleme rühren vor allem aus dem Bestreben, eine einheitliche Nationalität zuzuerkennen: "Jede Person hat eine Nationalität und sie hat nur eine ... die Nationalität ist eine oder ist keine. Das heißt eine Gesellschaft hat nur eine einzige Nationalität."34 "Wenn man zugibt, daß die Gesellschaften eine Nationalität haben, so kann diese Nationalität nur einheitlich sein. "35
Und vor nicht allzu langer Zeit erklärte Leben, daß jedes Kriterium zur Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften "im Prinzip zum Ziel hat, ein einheitliches Kriterium zu sein, d.h. mit wenigen Ausnahmen die Gesamtheit der durch die Nationalität von Gesellschaften gestellten Probleme lösen zu können. "36 29 Savatier, Cours de droit international pnve, 2. Aufl., Paris 1953, S. 35; BastidjLuchaire, La personnalite morale et ses limites, Paris 1960, S. 19; Luchaire, La "nationalite" des personnes morales, Rev. jur. et pol. independance et cooperation 1971, 755. 30 Dernassieux, Le changement de nationalite des societes, Diss. Lille 1928, S. 50; Mondon, La nationalite des societes, Diss. Grenoble 1937, S. 87. 31 S. etwa: HarneljG. LagardejJauffret, Droit commercial, Bd. 11, Nr. 414, 2. Aufl., Paris 1980, S. 63; de Juglartjlppolito, Droit commercial, Bd. 2, 3. Aufl., Paris 1980, S. 282; HernardjTerrej M abi/at, Societes commerciales, Bd. 1, Paris 1972, S. 104; BatiffoljLagarde, Droit international prive, Bd. I, Paris 1981, S. 225, Nr. 192. 32 Loussouarn, La condition des personnes morales en droit international prive, Receuil des cours 1959,443 (450); ders. Droit international du commerce et March€: Commun, Rev. trim. dr. com. 1967, 327; ders., Anm. zu Cour d'appel de Paris 26.3.1966, Rev. cr. dr. int. pr. 1968,58; ders., Anm. zu Cour d'appel de Paris 17. 5.1967, Clunet 1967, 874; Goldrnan, Anm. zu Cour d'appel de Paris, 19. 3. 1965, Clunet 1966, 117; Frossard, Nationalite, D. S. 1969, 1, 11; de Grandcourt, Rep. dr. int., Va, Societes, Nr. 11; Anmerkungen zu Trib. desconflits, 23.11.1959: Ayrnond, J. C. P. 1960, H, 11430; Savatier, D. 1960, 223; Loussouarn, Rev. cr. dr. int. pr. 1960, 180. 33 So: Levy, La nationalite des societes, Paris 1984, S. 37. 34 Mazeaud, De la nationalite des societes, Clunet 1928, 30. 35 Louis-Lucas, Remarques relatives ala determination de la nationalite des societes, J. C. P. 1953, I, 1104. 36 Leben, Une tentative de perception globale: le recours ala nationalite des societes, in: L'entreprise multinationale face au droit, Paris 1977, S. 214. Für Aufsplitterung des Begriffs indessen: Craig, La societe sous contröle etranger, S. 346.
B. Lehre
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Auf Schwierigkeiten grundsätzlicher Art stößt die Zuerkennung einer solchen einheitlichen Nationalität bei transnationalen Unternehmen. Das sind Unternehmensverbindungen unter einheitlicher Leitung mit relativ selbständigen Unternehmensteilen in mehr als einem Staat 37 • Mag die einheitliche Leitung noch einem Land zuzuordnen sein, so sind solche Unternehmen häufig wirtschaftlich mit zahlreichen Staaten verknüpft. Ihnen die Nationalität eines bestimmten Staates zuzuerkennen, erschiene als willkürlich. Loussouarn/Trochu schlagen vor, solche Unternehmen von dem Konzept der Nationalität auszunehmen 38 • Insoweit sei der Theorie von Niboyet zu folgen und zwischen der kollisions- und der fremdenrechtlichen Fragestellung zu unterscheiden. Das anwendbare Recht richte sich nach dem Gesellschaftssitz. Welche Rechte die Gesellschaft ausüben dürfe, richte sich hingegen danach, wer die Kontrolle über die Gesellschaft ausübe. Diese Lösung würde es in jedem Einzelfall erforderlich machen, zu unterscheiden, ob man es mit einem transnationalen oder mit einem nationalen Unternehmen zu tun hat. Als Entscheidungskriterium wollen Loussouarn/Trochu auf die "wirtschaftliche Realität" abstellen. Dies dürfte äußerst schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen, die zudem vom Umfang her ausufernde Untersuchungen erforderlich machen würden. BatiffoljLagarde erklären, das Problem der Rechtspersönlichkeit und damit der Nationalität von U nternehmensverbindungen sei im französischen Recht noch ungelöst 39 • Ausgenommen vom Konzept der Nationalität sind in jedem Fall die internationalen Gesellschaften. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die auf einer internationalen Vereinbarung -meist auf Staatsverträgen- beruhen 40 • Beispiele sind etwa die SAARLOR (Saar-Lothringische-Kohleverkaufsgesellschaft), das SAS (Scandinavian Airlines System) oder die Europäische Investitionsbank. Die SAARLO R beruht auf dem Saarvertrag von 1956; dem SAS liegt ein Konsortialabkommen zwischen den staatlichen Luftverkehrsgesellschaften von Dänemark, Norwegen und Schweden zugrunde; die Europäische Investitionsbank ist in Art. 179 EWGV vorgesehen. Die rechtlichen Verhältnisse dieser Gesellschaften regeln jeweils die internationalen Vereinbarungen selbst. Soweit diese lückenhaft sind, kann es notwendig werden, hilfsweise auf nationale Regeln zurückzugreifen. Die internationalen Gesellschaften sind ein aliud im Verhältnis zu den nationalen Gesellschaften. Insofern ist die Tatsache, daß es internationale Gesellschaften gibt, weder ein Argument für, noch gegen das Prinzip einer einheitlichen Nationalität. Hingegen untergräbt die Existenz transnationaler Unternehmen - insbesondere auch angesichts ihrer wachsenden weltwirt37 38 39
40
Großfeld, Internationales Unternehmensreeht, Heidelberg 1986, § 2 I, S. 6 m. w. N. Loussouarn/Trochu, J. Cl., Fase. 564 A, Nr. 55. Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Paris 1981, Nr. 192, S. 224. S. dazu: Goldman, Le droit des soeietes internationales, Clunet 1962, 320.
1. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
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schaftlichen Bedeutung Gesellschaften.
das Prinzip der einheitlichen Nationalität von
c.
Rechtsprechung
Bevor die Lehre sich mit der Nationalität von Gesellschaften auseinandersetzte, hatte dieses Konzept bereits Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Es wurde zunächst in Zusammenhang mit der Frage nach dem anwendbaren Recht aufgestellt. Der Begriff der Nationalität einer Gesellschaft findet sich bereits in einem Urteil des Tribunal civil de St. Etienne aus dem Jahre 1868. Es ging darum, ob die "Societe du debarcadere de Cadix" auf ihre Aktien entsprechend den französischen Vorschriften eine Steuer zu zahlen hatte oder nicht. In dem Urteil heißt es: "Die einzige Frage, die das Gericht zu entscheiden hat, ist die, welche Nationalität der Societe du debarcadere de Cadix zukommt ...... 41
Im Jahre 1883 erläutert der Tribunal civil de Nancy den Begriff: "Im Recht begründet eine Handelsgesellschaft eine juristische Person, die von der Person der Gesellschafter unabhängig ist. Sie hat daher ihre eigene Nationalität, so wie sie ihre eigenen Rechtsgüter hat, die unabhängig sind von den Rechtsgütem der Gesellschafter. "42
Die juristische Person sollte rechtlich genauso behandelt werden wie die natürliche Person. Dagegen wandte sich das deutsch-französische Schiedsgericht im Jahr 1923: "Juristische Personen haben keine eigentliche Nationalität, da eine solche Rechte vermittelt (wie das Wahlrecht, das Recht öffentliche Ämter wahrzunehmen etc.) und andererseits Pflichten auferlegt (wie etwa den Militärdienst), die nur auf natürliche Personen übertragen werden können. Gesellschaften erwachsen aus einem Vertrag zwischen natürlichen Personen und verdanken ihre Existenz als juristische Personen einer gesetzlichen Fiktion ... Gesellschaften unterliegen dem Recht am Ort ihres Sitzes, ohne daß sie die Nationalität dieses Landes erworben hätten." 43
Abgesehen von dieser Entscheidung wurde der Begriff selbst kaum mehr in Zweifel gezogen. Er findet sich in zahlreichen Entscheidungen 44. Die Gerichte haben die Legitimation des Konzepts nicht hinterfragt. Sie machten allerdings mehrfach deutlich, daß sie die Nationalität von Gesellschaften als wesensverUrteil vom 30. 12. 1868, S. 1870, I, 373. Urteil vom 16. 4.1883, S. 1888, H, 91, m. Anm. Chavegrin; ähnlich: Cour d'appel de Montpellier 3. 5. 1926, S. 1926, H, 75 m. Anm. H. R. 43 Urteil vom 30.11. 1923, zitiert bei Niboyet, Existe-t-il vraiment une nationalite des societes?, Rev. dr. int. pr. 1927,406 Fn. 3. 44 Trib. des conflits 23. 4.1959: D. 1960,223 m. Anm. Savatier; J. C. P. 1960, H, 11430 m. Anm. Aymond; Rev. cr. dr. int. pr. 1960,180 m. Anm. Loussouarn; Clunet 1959, 798 m. Anm. Goldman; Courd'appe1 de Paris 17. 5.1967, Clunet 1967, 874m. Anm. Loussouarn. 41
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C. Rechtsprechung
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schieden von derjenigen natürlicher Personen ansahen. So sprachen die Gerichte den Gesellschaften grundsätzlich nicht die Rechte aus dem Gesetz über die Nationalität ZU45. Die Rechtsprechung folgte der Literatur insoweit nicht, als diese stets bestrebt war, eine einheitliche Nationalität zu ermitteln und hierfür einheitliche Kriterien auszumachen. Die Rechtsprechung hielt an diesem dogmatischen Konzept nicht fest. Früh schon bahnte sich eine Aufspaltung des Begriffs an und zwar zunächst im Wege der Zuerkennung einer Nationalität nach privatem und einer Nationalität nach öffentlichem Recht. Diese Unterscheidung findet sich erstmals in einem Urteil der Cour d'appel de Paris aus dem Jahre 191646 • Es ging dabei darum, ob eine Gesellschaft, deren Sitz sich in Frankreich befand, deren Anteile aber mehrheitlich in deutscher Hand lagen, als Feind einzustufen war oder nicht. Das Gericht ordnete diese Frage dem öffentlichen Recht zu. So fühlten sich die Richter frei, nicht anhand des üblicherweise herangezogenen Kriteriums des Gesellschaftssitzes zu entscheiden. Sie befanden, dieses gelte nur für die Bestimmung der Nationalität im Rahmen des Privatrechts. Im öffentlichen Recht seien andere Maßstäbe anzulegen. Aufgrund der Tatsache, daß die überwiegenden Gesellschaftsanteile in deutscher Hand lagen, erklärte das Gericht die Gesellschaft für feindlich. Dieser Weg mit der Unterscheidung einer Nationalität nach privatem und einer Nationalität nach öffentlichem Recht erfuhr im Jahre 1933 eine ausführliche Begründung in dem Fall Rosendael c. Ministere des Travaux Publics47 : Eine von vier Holländern gegründete Societe en nom collectif (OHG) machte Ansprüche auf Kriegsentschädigungen entsprechend einem französischen Gesetz aus dem Jahre 1919 geltend. Die Cour de cassation hatte nur darüber zu entscheiden, ob die Verwaltungsgerichte oder die ordentlichen Gerichte zuständig waren. Dies richtete sich danach, welchem Gebiet die Frage, ob die Gesellschaft die französische Nationalität hatte oder nicht, systematisch zuzuordnen war: dem öffentlichen Recht oder dem bürgerlichen Recht? Die Cour de cassation äußerte sich wie folgt: "Den Handelsgesellschaften wird aufgrund einer Fiktion des Privatrechts geläufigerweise eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen, die unterschiedlich ist von der der Gesellschafter, aus denen sie sich zusammensetzt. Für die Rechtserfordernisse des 45 Trib. civ. Thionville 8. 3. 1950: Rev. cr. dr. int. pr. 1952,72 m. Anm. Loussouarn; D. 1950,374; Trib. civ. Toulouse 9.12.1953, Rev. trim. dr. com. 1954, 192; Cour d'appel de Rennes 23.9.1958: Rev. cr. dr. int. pr. 1959,79 m. Anm. Loussouarn; Clunet 1959, 796 m. Anm. Goldman. Die Beschränkung dieses Gesetzes auf natürliche Personen wurde schließlich 1973 in dem Gesetz selbst festgeschrieben. Art. 17 des Gesetzes Nr. 7432 vom 9. 1. 1973 änderte den Art. 124 des Gesetzes über die Nationalität. 46 Urteil vom 7. 7. 1916, Clunet 1917, 226 (229). 47 Cass. civ. 25. 7.1933: D. 1936, 1,121 m. Anm. Silz; S. 1935, I, 41 m. Anm. Niboyet; s. dazu auch u. 2. Kap., C, 2. Teil, I und II a 2; zuvor bereits: Cass. ch. reunies 2. 2. }921, D. 1921, I, 1.
32
l. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
Handels wird dieser fiktiven Rechtspersönlichkeit eine Nationalität zugesprochen, die durch den Gesellschaftssitz bestimmt wird und die Rechte und Verpflichtungen mit sich bringt. Eine derartige Konzeption sollte nicht ohne Vorbehalt in den Bereich des öffentlichen Rechts übertragen werden und die besagten Gesellschaften dazu berechtigen, gegenüber dem Staat alle Rechte geltend zu machen, die mit der Eigenschaft als Franzose verbunden sind. Speziell die Frage, ob eine Societe en nom collectif (OHG), die sich ausschließlich aus Ausländern zusammensetzt, die Kriegsentschädigungen aus dem Gesetz vom 17. April 1919 geltend machen kann, darf nicht notwendigerweise oder allein entsprechend den Prinzipien des Internationalen Privatrechts und lediglich aufgrund der Betrachtung entschieden werden, daß die Gesellschaft ihren Sitz in Frankreich hat."48
Die Cour de cassation befand, daß vorliegend das öffentliche Recht maßgebend sei. Sie erklärte daher die Zivilgerichte für unzuständig. Die Cour de cassation unterschied mithin zwischen der Nationalität als "Fiktion des Zivilrechts" und der Nationalität nach öffentlichem Recht. Diese beiden Nationalitäten konnten auseinanderfallen 49 • Damit hatte sich die Rechtsprechung bereits gelöst von dem Konzept der einheitlichen Nationalität von Gesellschaften. Eine Entscheidung derselben Kammer von 1937 bestätigte die Entscheidung von 1933 5°. Es ging um einen ähnlich gelagerten Fall: Eine in Elsaß-Lothringen gegründete Gesellschaft, deren Kapital in den Händen von Schweizern und Franzosen lag, machte Ansprüche auf Kriegsentschädigung nach dem Gesetz von 1919 geltend. Wiederum verwies die Cour de cassation auf das öffentliche Recht und erklärte die Zivilgerichtsbarkeit für unzuständig SI. Die Aufspaltung der Nationalität führte schließlich zu einer Aufsplitterung. Dies bewirkte die Entscheidung des Tribunal des conflits im Fall Mayol-Arbona aus dem Jahre 1959 52 • Die französische Lehre sprach von einer "atomisation" und einem "ec1at"s3: Die Gesellschaft Mayol-Arbona wurde 1948 von der Stadt Rennes zur Entrichtung einer Antiinflationsabgabe herangezogen. MayolArbona machte geltend, sie besitze die spanische Nationalität. Sie sei daher entsprechend französisch-spanischen Vereinbarungen 54 von diesen Abgaben 48 Cass. civ. 25. 7. 1933, D. P. 1936, I, 121. Ähnlich bereits Runderlaß des Justizministers vom 29. 2. 1916; s. u. 2. Kap., C, 2. Teil, 11 a 1. so Cass. civ. 29. 5. 1937, D. P. 1937, I, 64. S1 S. dazu: Craig, La societe sous controle etranger, S. 119. S2 Trib. des conflits 23. 4. 1959: Clunet 1959, 798 m. Anm. Goldman; D. 1960,223 m. Anm. Savatier; Rev. cr. dr. int. pr. 1960, 180 m. Anm. Loussouarn; J. C. P. 1960,11,11430 m. Anm. Aymond. S3 Goldman, in Anm. zu: Trib. des conflits 23. 4. 1959,Clunet 1959, 798. 54 Konsularische Vereinbarung vom 7. 1. 1862 und französisch-spanisches Steuerabkommen vom 18. 5. 1949. 49
C. Rechtsprechung
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befreit. Auf eine Klage hin sprach das Verwaltungsgericht Rennes MayolArbona die französische Nationalität zu. Die Gesellschaft legte Rechtsmittel ein. Der Conseil d'etat hob daraufhin das Urteil auf und erklärte die Verwaltungsgerichtsbarkeit für unzuständig: Welche Nationalität die Gesellschaft habe, sei eine Vorfrage, über welche die ordentlichen Gerichte zu entscheiden hätten. Nun sprach der Tribunal civil de Rennes der Gesellschaft die französische Nationalität zu. Auch hiergegen wandte sich die Gesellschaft. Nunmehr erklärte die Cour d'appel de Rennes die Klage für unzulässig. Die Verwaltungsgerichte hätten über die Hauptfrage zu entscheiden, ob die Steuer zu entrichten sei; die Verwaltungsgerichte seien für diesen Fall auch allein zuständig, über vorgebrachte Verteidigungsmittel zu entscheiden. Um ein solches handele es sich, wenn sich die Gesellschaft auf die spanische Nationalität berufe. Der Tribunal des conflits folgte dieser Ansicht. In der Begründung schließt das Gericht zunächst die Anwendung des Code de la nationalite auf juristische Personen aus. Dann heißt es: "Keine gesetzliche Vorschrift spricht den ordentlichen Gerichten eine ausschließliche Zuständigkeit zu, ... sich über die Bestimmung der Nationalität von juristischen Personen zu äußern. Die Nationalität von Gesellschaften wird durch keinen allgemeinen Text definiert, den anzuwenden in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fiele. Die Nationalität von Gesellschaften kann daher nur bestimmt werden im Hinblick auf die Gesetze oder Verwaltungsvorschriften, deren Anwendung oder Nichtanwendung auf die betreffende Gesellschaft davon abhängt, ob diese französisch ist oder nicht. "55
Da die Hauptfrage dahin ging, ob die Gesellschaft eine öffentliche Abgabe zu entrichten hatte oder nicht, erklärte der Tribunal des conflits die Verwaltungsgerichtsbarkeit für zuständig. Ging es an sich nur um die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit, so hatte das Gericht doch in Bezug auf die Nationalität von Gesellschaften Entscheidendes gesagt: Eine Gesellschaft hat keine Nationalität als solche. Diese richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem geltend gemachten streitigen Recht 56. Der erneut mit der Sache Mayol-Arbona befaßte Conseil d'etat folgte der Begründung des Tribunal des conflits. Er äußerte sich wie folgt: "Der Sitz der Gesellschaft, die gemäß französischem Recht gegründet worden ist und die in Frankreich ihre Geschäftstätigkeit entfaltet, liegt in Frankreich; daher besitzt die Gesellschaft unabhängig von der Nationalität der Gesellschafter, im Hinblick auf das französische Steuerrecht die französische Nationalität."57
ss Trib. des conflits 23. 4. 1959, Clunet 1959, 798. S6 Blancher in Anm. zu: Conseil d'etat 22. 1. 1960, D. 1960, 671. 57 Conseil d'etat 22. 1. 1960: Rev. er. dr. int. pr. 1960, 335; D. 1960, 671 m. Anm. Blancher; Clunet 1961,442 m. Anm. Goldman. 3 Pohlmann
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1. Kap.: Nationalität von Gesellschaften
Die Rechtsprechung wurde fortgesetzt mit einem Urteil der Cour d'appel de Paris aus dem Jahr 1967 58 • Es heißt dort, die Anbindung einer Gesellschaft an einen Staat bestimme sich nach den besonderen Elementen eines jeden Einzelfalles. Die Entscheidungen machen folgendes deutlich: Der Begriff der Nationalität von Gesellschaften hat einen festen Platz in der französischen Rechtsprechung. Diese billigt damit allerdings nicht das Konzept einer einheitlichen Nationalität, die unabhängig von der zugrundeliegenden Fragestellung für alle Fragen des Internationalen Gesellschaftsrechts ausschlaggebend wäre. Vielmehr kann eine Gesellschaft verschiedene Nationalitäten haben, je nachdem, ob es darum geht, welche Rechte sie ausüben darf, welches Recht anzuwenden ist oder ob etwa im Kriegsfall die Feindeigenschaft einer Gesellschaft zu ermitteln ist.
D. Gesetz Das Gesetz über die Handelsgesellschaften vom 24. Juli 1867 gebraucht in Art. 31 erstmals den Begriff der Nationalität von Gesellschaften. Der Artikel fand sich wieder im Gesetz vom 7. März 1925 und heute im Gesetz vom 24. Juli 1966 59 • Dieses spricht in den Artikeln 31,60 und 154 jeweils von dem Wechsel der Nationalität einer Gesellschaft. Der Begriff ist mithin gesetzlich fest verankert. Eine Definition findet sich im Gesetz nicht. Es erscheint fraglich, ob das Gesetz auch die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit der kollisionsrechtlichen Problematik legitimiert 60 • Art. 3 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 -sowie Art. 1837 Code civil- bestimmen insoweit schlicht: "Die Gesellschaften, deren Sitz sich auf französischem Territorium befindet, unterliegen dem französischen Recht. "61
In den Unterlagen der Reformkommission heißt es dazu: "Die solchermaßen bestimmte französische Nationalität hat keine Auswirkungen auf die Frage, ob die betreffende Gesellschaft die Rechte geltend machen kann, die ausschließlich Franzosen vorbehalten sind."62
Die Kommission wollte die Rechtsprechung damit dahingehend bestärken, "in jedem Fall, in dem es darum geht, einer juristischen Person die Ausübung eines Rechts zu verweigern oder zuzugestehen, zu überprüfen, ob es nicht angezeigt ist, eventuell die ausländische Kontrolle zu berücksichtigen. "63 58 Cour d'appel de Paris 17. 5. 1967, Caisse centrale de n!assurances des mutuelles agricoles: Clunet 1967, 874 m. Anm. Loussouarn; J. C. P. 1968, H, 15427 m. Anm. Oppetit. 59 Gesetz Nr. 66-537. 60 Ablehnend: Levy, La nationalite des societes, S. 112. 61 S. dazu u. 2. Kap., C, 1. Teil, Hc. 62 Travaux de la commission de reforme du code de commerce et du droit des societes, Bd. 2, S. 350; zitiert in: Hemard/Terre/Mabilat, Societes commerciales, S. 105, Nr. 106. 63 S. o. Fn. 62.
E. Kritische Würdigung
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In Debatten der gesetzgebenden Nationalversammlung wurde schließlich klargestellt, daß der Artikel 3 die Frage der Nationalität nicht entscheiden solle; er solle lediglich die kollisionsrechtliche Problematik klären 64. Aus diesen zum Teil widersprüchlichen Aussagen werden zwei Punkte deutlich: Zum einen liegt dem Gesetz nicht das Konzept einer einheitlichen Nationalität zugrunde. Zum anderen läßt die Tatsache, daß sich das Gesetz zur Verwendung des Begriffs der Nationalität in Zusammenhang mit der Frage nach dem anwendbaren Recht nicht äußert, nicht den Schluß zu, das Gesetz lehne den Begriff insoweit ab.
E. Kritische Würdigung Die französische Lehre bemüht sich, Gesellschaften eine einheitliche Nationalität zuzusprechen, die für alle Fragen des Internationalen Gesellschaftsrechts maßgebend ist. Sowohl diese Zielsetzung als auch die Frage, welche Gesichtspunkte von der Nationalität erfaßt werden, sind umstritten. In Gesetz und Rechtsprechung ist der Begriff der Nationalität fest verankert. Eine einheitliche Nationalität wird allerdings nicht vorausgesetzt. Vielmehr kann diese je nach zugrundeliegender Fragestellung unterschiedlich sein. Die Nationalität von Gesellschaften wird so zu einem schillernden Begriff, der die erstrebte Einheitlichkeit nicht herbeiführt. Eine einheitliche Lösung wird durch einen einheitlichen Begriff vorgetäuscht. Kann eine Gesellschaft mehrere verschiedene Nationalitäten haben, so macht dies deutlich, daß das Hauptgewicht im französischen Recht nicht auf der Frage nach der Nationalität liegt, sondern vielmehr auf der Frage nach dem anwendbaren Recht, nach dem Erwerb von Rechten etc. Die Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Recht reduzieren sich somit darauf, daß sich im französischen Recht unglücklicherweise der Begriff der Nationalität von Gesellschaften fest etabliert hat. Er hat zu vielen Kontroversen und zahlreichen Mißverständnissen Anlaß gegeben.
64 J. O. Debats assemblee nationale, 1. 6. 1965; s. dazu auch: Hemard/Terre/Mabilat, Societes commerciales, S. 106, Nr. 106; Craig, La societe sous contröle etranger, S. 101; so auch: Trib. com. Paris 28. 9. 1982, Revue de jurisprudence commerciale 1983, 258 m. Anm. Gaudemet-Tallon.
3*
2. Kapitel
Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften A. Problematik Gesteht man Gesellschaften eine Nationalität zu, so ist damit noch nicht geklärt, wie diese zu bestimmen ist. Angesichts der komplexen Struktur einer "Societe" ist es nicht leicht, das maßgebende Anknüpfungskriterium zu finden. Eine Societe ist: 1. eine juristische Person, 2. die auf einem Vertrag beruht und 3. hinter der natürliche Personen stehen. Die ersten beiden Punkte bedürfen der Erläuterung. Der Charakter einer "societe" als juristische Person ergibt sich für Handelsgesellschaften aus Art. 5 des Gesetzes vom 24. Juli 1966: "Die Handelsgesellschaften besitzen ab dem Datum ihrer Eintragung im Handels- und Gesellschaftsregister eine eigene Rechtspersönlichkeit. ..
Die Rechtsfähigkeit der Gesellschaften bürgerlichen Rechts (Societes civiles) ist in Frankreich gewohnheitsrechtlich anerkannt. Das Gesetz vom 24. Juli 1966 betraf sie nicht. Es hat nur das Recht der Handelsgesellschaften reformiertl. Lediglich die Association en participation (Stille Gesellschaft) hat keine eigene Rechtspersönlichkeit. Sie bedarf ihrer auch nicht, da sie nicht nach außen in Erscheinung tritt. Der vertragliche Charakter einer Gesellschaft kennzeichnete lange Zeit das Wesen ihrer Definition. Art. 1832 Code civil bestimmte: "Die Gesellschaft ist ein Vertrag .....
Seit 1985 berücksichtigt Art. 1832 Code civil das institutionelle Element einer Gesellschaft verstärkt gegenüber dem vertraglichen Charakter2 • Der Artikel lautet nunmehr: "Die Gesellschaft wird von einer oder mehreren Personen gegründet, die durch einen Vertrag übereinkommen, Sachwerte oder einen Gewerbebetrieb in ein gemeinsames Unternehmen einzubringen in der Absicht, den Gewinn zu teilen oder von der Ersparnis zu profitieren, die daraus entstehen mag. Sie kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen 1 2
Hemard/Terre/Mabilat, Societes commerciales, S. 66, Nr. 55. Gesetz Nr. 85-697 vom 11. 7. 1985, J. O. 12. 7. 1985.
A. Problematik
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durch den Willensakt einer Person gegründet werden. Die Gesellschafter verpflichten sich, die Verluste auszugleichen."3
Will man nun eine Gesellschaft einem Staat zuordnen, so kann man auf jedes der drei genannten Bestimmungsmerkmale zurückgreifen. Man kann also zum einen auf ihre Eigenschaft als juristische Person abstellen, zum anderen auf den vertraglichen Charakter der Gesellschaft und schließlich auf die natürlichen Personen, die die Gesellschaft bilden oder leiten. Diese drei Ausgangspunkte führen zu einer Vielzahl möglicher Kriterien. Betont man den vertraglichen Charakter einer Gesellschaft, so wird man auf den im Vertragsrecht geltenden Grundsatz der Vertragsautonomie abstellen. Die Gesellschafter könnten die Nationalität der Gesellschaft frei bestimmen. Man könnte dabei an eine reine und einfache Wahlfreiheit denken; man könnte den Ort des Vertragsschlusses oder aber den in der Satzung bestimmten Sitz (Satzungssitz) für ausschlaggebend halten. Wenngleich einer Gesellschaft immer ein Vertrag zugrundeliegt, so ist dieser für die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft gegenüber Dritten doch nicht der bestimmende Faktor. Der Gesellschaftsvertrag unterliegt nur in eingeschränktem Maße dem für Verträge charakteristischen freien Gestaltungsspielraum. Das vertragstypische Element tritt daher zurück. Demgegenüber tritt das eigenständige Auftreten der Gesellschaft im Rechtsverkehr - also ihre Eigenschaft als juristische Person - in den Vordergrund. Dies berücksichtigt auch die neue Definition in Art. 1832 Code civil. Die Gesellschaft ist eingebunden in ein Geflecht gesetzlicher Vorschriften. Dieses Faktum könnte man für ausschlaggebend halten bei der Suche nach einem Anknüpfungsmoment, mit dem man eine Gesellschaft einem Staat zuordnet. Doch welches Kriterium bindet eine juristische Person an einen Staat? Ein jus sanguinis wie bei natürlichen Personen gibt es nicht. Es bleibt das jus soli. Wo ist das "solum" einer Gesellschaft? Folgende Orte kommen in Betracht: der Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft (Sitztheorie); der Ort, nach dessen Recht die Gesellschaft entstanden ist (Gründungstheorie), der Ort, an dem die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit entfaltet (Ort der Betriebsstätte) und der Ort, an dem die geschäftsrelevanten Entscheidungen getroffen werden (Ort der Entscheidungen). Stellt man demgegenüber auf die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen ab, so erscheint in erster Linie die Nationalität der Gesellschafter oder der Geschäftsführer als das maßgebliche Kriterium (Kontrolltheorie).
3 Zum Begriff der "Socit~te" s.: Mestre/Flores, Lamy Societes, Droit des societes commerciales, S. 4, Paris 1986; Paillusseau, Les fondements modernes du droit des societes, J. C. P. 1984, H, Nr. 14193; Amirant, Essai sur la notion de societe, Diss. Lyon 1970.
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
B. Mögliche Kriterien I. Freie Rechtswahl Für die Gesellschafter am wünschenswertesten wäre es, ihnen eine freie Wahl der Nationalität der Gesellschaft zuzugestehen. Man würde so den im internationalen Vertragsrecht geltenden Grundsatz, daß die Vertragspartner das anwendbare Recht weitgehend frei bestimmen können, auf das Internationale Gesellschaftsrecht übertragen. Nun rührt der Grundsatz des internationalen Vertragsrechts daher, daß durch einen Vertrag prinzipiell nur die Vertragspartner betroffen sind. Diese bringen ihre widerstreitenden Interessen im Vertrag zu einem Ausgleich. Nach welchem Recht sich dieser Ausgleich richtet, ist für Dritte ohne Bedeutung. Beim Gesellschaftsvertrag ist die Situation anders. Von dessen Ausgestaltung - etwa besonderen Haftungsregeln - können Geschäftspartner betroffen sein. Für sie wäre es von Nachteil, wenn die Gesellschafter das für die Gesellschaft "günstigste Recht", das heißt meist das regelungsännste Recht wählen könnten. Die freie Rechtswahl würde der Gesetzesumgehung Tür und Tor öffnen. Gründungsfonnalitäten brauchten nicht eingehalten zu werden; Mindestkapitalvorschriften wären unwirksam; Publizitätsregeln fänden keine Anwendung etc. Die Möglichkeit, daß die Gesellschafter die Nationalität frei wählen können, ist daher auszuschließen 4 . Für den Fall, daß eine Gesellschaft durch effektive Bande mit mehreren Staaten verbunden ist, hat die Rechtsprechung allerdings gelegentlich auf den Willen der Gesellschafter abgestellt. So heißt es in einem Urteil des Tribunal correctionnel de la Seine: "Gesellschaften können ihre Nationalität weitgehend frei wählen zwischen dem Land ihres Sitzes und dem ihrer Betriebsstätte."s
11. Ort des Vertragsschlusses Für den Ort des Vertragsschlusses als Bestimmungskriterium ließe sich die Regel "locus regit actum" anführen. Sie entscheidet zumeist über die Fonn, die für einen Vertrag zu beachten ist. Nach dieser Regel wäre automatisch das Recht des Ortes auf die Gesellschaft anzuwenden, an dem der Gesellschaftsvertrag abgeschlossen worden ist. Indessen ist dieser Ort zuweilen vom Zufall abhängig. Zudem kann die Gesellschaft in statu nascendi anhand dieses Ortes nicht objektiv lokalisiert werden 6 • Im Grunde handelt es sich lediglich um eine besondere Ausgestaltung der freien Rechtswahl. Die Gründer können sich nach Belieben an einen Ort begeben, um dort den Vertrag zu schließen. Die oben 4 Loussouarn, Les conflits de lois en matü~re de socü!tes, S. 52; Levy, La nationalite des societes, S. 183, Nr. 13I. 5 Trib. corr. Seine 2. 3. 1905, Clunet 1905, 530. 6 Levy, La nationalite des societes, S. 183, Nr. 182.
B. Mögliche Kriterien
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ausgeführten Einwände gelten deshalb auch hier. Die Rechtsprechung hat folgerichtig die Regel "locus regit actum" für die Frage nach dem anwendbaren Recht verworfen 7 •
III. Satzungssitz Die bislang vorgebrachten Bedenken gelten im Grunde in gleichem Maße für das Kriterium "Satzungssitz" . Die Gründer sind frei, in der Satzung einen beliebigen Sitz unabhängig von den realen Gegebenheiten der Gesellschaft festzulegen. Dennoch hat der Satzungssitz im französischen Recht einige Bedeutung, wie sich bei der Darstellung des geltenden Rechts zeigen wird. Das geltende Recht wirkt allerdings einer mißbräuchlichen Festsetzung mit wirksamen Sanktionsmechanismen entgegen 8 •
IV. Kontrolle Auf die Nationalität der Personen, die hinter der juristischen Person stehen, stellt die Kontrolltheorie ab. Nach ihr hat die Gesellschaft die Nationalität der Gesellschafter bzw. der Geschäftsführer oder der Kapitalgeber. Die Kontrolltheorie wurde zunächst von den Vertretern der Fiktionstheorie entwickelt. Diese waren der Ansicht, es handele sich bei der Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft um eine Fiktion 9 • Da eine Nationalität nicht auf eine Fiktion gegründet werden könne, müsse auf die Nationalität der hinter der Fassade stehenden natürlichen Personen abgestellt we{den 1o . Daraus ergibt sich sogleich das Gegenargument: Das Kontrollkriterium berücksichtigt in keiner Weise das institutionelle Element, das in dem eigenständigen Auftreten einer Gesellschaft als juristische Person im Rechtsverkehr besteht. Insoweit ist die Gesellschaft losgelöst von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen. Das Kontrollkriterium ist ungeeignet, das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht festzulegen. Das Gesellschaftsstatut bedarf einer gewissen Dauerhaftigkeit. Die Kontrolle hingegen ist fließend. Der Mehrheitsbesitz einer Aktiengesellschaft kann heute in der Hand von Franzosen, morgen in der Hand von Deutschen liegen. Bei jedem Nationalitätswechsel der Mehrheit müßte die Gesellschaft sich den Vorschriften des neuen Landes entsprechend neu gründen 11. Zudem wirft das Kriterium praktische Schwierigkeiten auf: der Richter kann zu mühsamen Nachforschungen gezwungen sein. Im Fall von Inhaberaktien dürften diese unüberwindbar sein. Wie soll der Richter die Nationalität aller Cass. req. 17.7.1899, Clunet 1899, 1024. s. u. 2. Kap., C, 1. Teil, IId. 9 s. o. 1. Kap., B, I und u. 4. Kap., A. 10 LoussouarnjBredin, Droit du commerce international, S. 262. 11 LoussouarnjBredin, Droit du commerce international, S. 266. 7
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
Aktionäre ermitteln? Zudem entsteht die Frage, ob es überhaupt auf die Nationalität der Gesellschafter ankommt oder ob nicht vielmehr die Nationalität der Gesellschaftsleitung entscheidend ist. Das Kontrollkriterium läßt die Erfordernisse des Handelsverkehrs unberücksichtigt. Dieser ist auf ein eindeutiges und verläßliches Kriterium angewiesen. Die Kontrolle ist vage und unbestimmt. Sie ist für Dritte nicht ohne weiteres erkennbar. Vielmehr wird sie erst aposteriori im Laufe eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens offenkundig l2 • Diese Argumente wiegen dort weniger schwer, wo es um die Ausübung von Rechten geht. Etwa aus Gründen der nationalen Sicherheit oder einfach des nationalen Wohls kann ein Gesetzgeber bestimmte Rechte Franzosen vorbehalten oder im Kriegsfall etwa Beschlagnahmen anordnen und dabei für Gesellschaften auch auf die Nationalität der Gesellschafter abstellen. Die Ausgestaltung des Kontrollkriteriums wird dabei von dem Grad der Loyalität abhängen, der in jedem Einzelfall von der Gesellschaft verlangt wird. Ob eine Gesellschaft Ansprüche auf Kriegsentschädigungen geltend machen kann, wird man anders zu beurteilen haben als die Frage, ob eine Gesellschaft Rechte aus dem Gesetz über das Handelseigentum geltend machen kann. Hier dürfte es ausreichen, daß die Gesellschaft in die französische Wirtschaft integriert ist; dort wird man zudem der französischen Nationalität der Gesellschafter Bedeutung beimessen. Tatsächlich war das Kontrollkriterium in Kriegs- und Spannungszeiten ausschlaggebend, um die Feindeigenschaft einer Gesellschaft zu ermitteln.
v.
Ort der Betriebsstätte
Den Verwaltungssitz einer Gesellschaft könnte man mit dem Wohnsitz natürlicher Personen vergleichen. Der Ort der Betriebsstätte ("Centre d'exploitation") entspräche in diesem Bild dem Ort des Arbeitsplatzes l3 . Am Ort der Betriebsstätte konzentriert sich ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Es handelt sich um ein objektives Kriterium, das nur wenig Gelegenheit zur Gesetzesumgehung bietet. Seine Anwendung erscheint vernünftig, soweit eine Gesellschaft an Grund und Boden gebunden ist, etwa im landwirtschaftlichen Bereich oder im Bergbau. Indessen wird das Kriterium unbrauchbar, wenn eine Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit verlagert und je nach den Umständen im Land A, B, C oder D tätig ist. Der Ort der Betriebsstätte weist dann nicht die genügende Beständigkeit auf, die eine Voraussetzung für die Bestimmung der Nationalität ist. Auch kann eine Gesellschaft Betriebsstätten in mehreren Ländern zugleich haben. Es ist dann 12 Levy, La nationalite des societes, S. 205, Nr. 156; Calais-Auloy, Essai sur la notion d'apparence en droit commercial, Diss. Paris 1961, S. 133. 13 Levy, La nationalite des societes, S. 196, Nr. 147.
B. Mögliche Kriterien
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fraglich, welcher Ort maßgebend sein soll. Der Ort der Hauptbetriebsstätte dürfte nur schwierig und nicht immer eindeutig zu bestimmen sein. Auch unabhängig davon erscheint der Ort der Betriebsstätte nicht geeignet, eine Gesellschaft einem Staat zuzuordnen. Mit diesem Ort kann die Gesellschaft nicht identifiziert werden. An ihm werden lediglich Handlungen ausgeführt, die woanders beschlossen worden sind. Als Anknüpfungspunkt für die Nationalität einer Gesellschaft fand der Ort der Betriebsstätte daher in der Literatur nur wenig Zustimmung. Die Rechtsprechung stellte vereinzelt im 19. Jahrhundert und zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf ihn ab. Sie berücksichtigt ihn noch immer, um festzustellen, ob eine Gesellschaft mit der Wirtschaft eines Landes tatsächlich verknüpft ist 14 .
VI. Ort der Entscheidungen Ergibt sich aus der Argumentation gegen den Ort der Betriebsstätte, daß die Gesellschaft dort zu lokalisieren ist, wo ihre Entscheidungen getroffen werden? Dieser Ort kann vom Zufall abhängen; er kann von Mal zu Mal wechseln. Entscheidungen können telephonisch, per Telex oder brieflich zustande kommen. Entscheidungen werden nicht nur von dem an einem festen Ort zusammenkommenden Verwaltungsrat getroffen. Der Präsident des Verwaltungsrates hat umfangreiche Entscheidungsbefugnis 15 • Er kann eine Entscheidung an einem beliebigen Ort treffen. Gleiches gilt für den Vorstand einer Aktiengesellschaft 16. Der Ort, an dem die Entscheidungen getroffen werden, ist mithin zu wechselhaft, als daß er ein brauchbares Kriterium abgeben könnte. Anders ist es, legt man den Ort zugrunde, an dem die Gesellschaftsorgane gemäß dem Gesellschaftsvertrag die Entscheidungen treffen. Dieser Ort ist stabil. Indessen hat dieser Ort normalerweise keine eigenständige Bedeutung neben dem Verwaltungssitz: Denn die Entscheidungen werden prinzipiell am Verwaltungssitz der Gesellschaft getroffen. Innerhalb transnationaler Unternehmen kann es vorkommen, daß die Muttergesellschaft der Tochter Weisungen erteilt. Wird die Leitung im Rahmen der normalen Geschäftstätigkeit zwar auch in solchen Fällen regelmäßig vom Verwaltungssitz der Tochtergesellschaft aus wahrgenommen, so können Grundsatzentscheidungen doch von der Mutter getroffen werden. Auf dieses Faktum stellte die Rechtsprechung im Fall Rernington Typewriter entscheidend ab 17 • S. u. 2. Kap., C, 1. Teil, IId. S. Art. 113, Gesetz vom 12. Juli 1967. 16 S. Art. 119 des Gesetzes vom 24. Juli 1966; das Gesetz sieht Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung entsprechend dem deutschen Modell als alternative Organisationsstruktur vor zu Verwaltungsrat und Hauptversammlung (s. einerseits Artt. 118-150, andererseits Artt. 89-117); die Gesellschaften können nunmehr zwischen der einen oder der anderen Organisationsform wählen. 17 S. U. 2. Kap., C, 2. Teil, 1. 14 15
2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
42
VII. Gründungsrecht Die Gründungstheorie (Inkorporationstheorie) unterstellt eine Gesellschaft für die gesamte Dauer ihrer Existenz dem Recht, nach dem sie gegründet worden ist. Es ist zu unterscheiden von dem Recht, das sich aus der Regel "locus regit actum" ergibt 18 . Letzteres bezeichnet das Recht des Ortes des Vertragsschlusses. Dieses kann, muß aber nicht identisch sein mit dem Gründungsrecht. Die Gründungstheorie ist heute in den angelsächsischen Ländern und in Nordamerika maßgeblich für die Ermittlung des anwendbaren Rechts 19. Sie wurde in England im 18. Jahrhundert entwickelt. Sie unterstützte englische Wirtschaftsinteressen, indem sie es ermöglichte, eine Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in einem fremden Staat nahm, zunächst nach englischem Recht zu errichten. Die Gesellschaft unterstand somit für die gesamte Dauer ihrer Existenz dem englischen Recht. Im Hinblick auf diplomatischen Schutz handelte es sich um eine englische Gesellschaft. Dies war für England als "größtem Kapitalexportland der damaligen Zeit"20 sehr wichtig. Die Gründungstheorie eignet sich mithin für Länder, die Gesellschaften exportieren 21 . Nun bewirkt das Kriterium "Gründungsort" grundsätzlich, daß der Gesellschaft ein unwandelbares Gesellschaftsstatut verliehen wird. Sie untersteht immer dem ursprünglichen Recht. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ihren Sitz in ein anderes Land verlegt und auch dann, wenn sie mit dem Gründungsland bis auf den historischen Gründungsakt nichts mehr verbindet. Realität - der wirtschaftliche Wirkungskreis - und Recht klaffen dann auseinander. Diese Starrheit bietet andererseits den Vorteil der Rechtssicherheit. Der Ort, an dem die Gesellschaft inkorporiert ist, ist und bleibt entscheidend für das auf die Gesellschaft anwendbare Recht. Dieser Ort ist zudem für Dritte leicht auszumachen. Für sie ist es leichter, einen Handelsregisterauszug zu erhalten, als den tatsächlichen Sitz einer Gesellschaft festzustellen. Gravierender Nachteil der Gründungstheorie ist die mit ihrem Liberalismus verbundene Mißbrauchsgefahr. Die den Gründern zustehende Wahlfreiheit erlaubt es ihnen, stets auf das regelungsärmste Recht zurückzugreifen 22 . Häufig muß die Notbremse des Ordre public gezogen werden. Die Gründungstheorie ist daher abzulehnen. In Frankreich fand die Gründungstheorie kaum Resonanz 23 • 18
s. o. 2. Kap., B, II.
StaudingerfGroßfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 23. 20 Großfeld, Internationales Unternehmensrecht, S. 65; ders. Die Entwicklung der Anerkennungstheorien im Internationalen Gesellschaftsrecht, FS Westermann, Karlsruhe 1974, S. 199 (203). 21 BatiffolfLagarde, Droit international prive, 6. Aufl. Paris 1974, S. 255, Nr. 194 (die Bemerkung findet sich in der 7. Aufl. nicht mehr); ähnlich: Meyer, Droit international prive, Paris 1983, S. 778, Nr. 1007. 22 StaudingerfGroßfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 45; Levy, La nationalite des societes, S. 230, Nr. 177. 19
B. Mögliche Kriterien
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VIII. Sitzrecht Nach der Sitztheorie bestimmt sich das anwendbare Recht anhand des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft. Dieses Kriterium wurde in Anlehnung an den Wohnsitz von natürlichen Personen entwickelt. Wie der Wohnsitz bildet der Sitz der Gesellschaft den Vorteil, einheitlich und dauerhaft zu sein 24 • Das unterscheidet den Sitz von dem Ort der Betriebsstätte. Eine Gesellschaft kann gleichzeitig Betriebsstätten an mehreren Orten haben oder aber nacheinander an verschiedenen Orten; hingegen gibt es nur einen Sitz, und der bleibt stabil. Andererseits ist er nicht vollkommen starr. Grundsätzlich ist eine Verlegung des Sitzes möglich, wenngleich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht problematisch2s • Der Sitz ist ein objektives Anknüpfungskriterium. Mit dem Sitzland ist eine Gesellschaft normalerweise am engsten wirtschaftlich verbunden. Dort existiert sie. Die willkürliche Rechtswahl durch die Gründer und die Gesetzesumgehung wird erschwert. Das zeichnet die Sitz- vor der Gründungstheorie aus. Traditionelles Leitbild des Internationalen Gesellschaftsrechts sind Großunternehmen 26 • Bei ihnen wird das eigenständige Auftreten im Rechtsverkehr besonders deutlich. Die Nationalität der an der Gesellschaft beteiligten natürlichen Personen - Kapitalgeber und Gesellschaftsleiter - tritt demgegenüber in den Hintergrund. Die Sitztheorie ist daher auch gegenüber der Kontrolltheorie zu bevorzugen. Hat eine Gesellschaft nicht die Gründungsvorschriften des Sitzlandes beachtet, so ist sie nichtig. Die Gesellschaft existiert in den Augen des Sitzlandes nicht. Diese automatische Sanktionsfolge hat einen selbstregulierenden EfTekt 27 : Die Gründer kennen die Sanktionsfolge. Eine unwirksame Gründung birgt für sie keinerlei Vorteile. Die Gründer beachten daher die Vorschriften des Sitzrechts, ohne daß es dafür eines behördlichen oder gerichtlichen Einschreitens bedürfte. Schwierigkeiten kann in Einzelfällen die Bestimmung des Verwaltungssitzes bereiten. Der Ort der Hauptverwaltung, der Ort der Hauptversammlung, der Ort der Entscheidungsbefugnis - sie alle können auseinanderfallen. Welcher Ort ist dann für den Sitz maßgebend 28 ? Mag die Antwort Probleme bereiten, so sind diese Probleme allein noch kein durchgreifendes Argument gegen die Sitztheorie. Zum einen handelt es sich um Ausnahmefälle; zum anderen wird ein 23 s. u. S.44; Loussouarn/Trochu, J. Cl. Fase. 564A, Nr. 6; de Grandcourt, Encyclopedie Dalloz, Repertoire de droit international, Societes, Nr. 21. 24 Levy, La nationalite des societes, S. 190, Nr. 138. 25 S. u. 3. Kap., A. 26 Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 16. 27 Staudinger/Großfeld, BGB, 12. Aufl., Berlin 1980, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 33. 28 S. dazu u. 2. Kap., C, 1. Teil, lId.
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
als angemessen erkanntes Kriterium nicht dadurch unangemessen, daß es bisweilen schwierig zu bestimmen ist. Der Gedanke der Rechtssicherheit kann nicht allein ausschlaggebend sein 29 • Die Sitztheorie unterwirft die Gesellschaft einem einheitlichen Gesellschaftsstatut für die Gründung, die Geschäftstätigkeit und die Beendigung JO • Die Gesellschaft untersteht damit einem einheitlichen Regelungskonzept, in dem die Wertungen aufeinander abgestimmt sind. Die Sitztheorie erspart mühselige Anpassungen verschiedener Rechtssysteme in Einzelfragen. Diese Vorzüge erkannte man in Frankreich früh. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Sitztheorie in Doktrin und Rechtsprechung vorherrschendes Instrument zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 schrieb sie fest. Häufig spielte der Sitz auch eine maßgebliche Rolle, um zu bestimmen, welche Rechte eine Gesellschaft ausüben durfte. Die folgende Darstellung zeigt den Einfluß von Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie in der Entwicklung des französischen Internationalen Gesellschaftsrechts auf.
C. Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie 1. TEIL: KOLLISIONSRECHT
I. Gründungstheorie Loussouarn/Bredin konstatieren, die Gründungstheorie habe sehr entschiedene Anhänger in der französischen Doktrin gefunden 3l • Loussouarn/Bredin berufen sich insoweit auf folgende Autoren 32 : Pillet, Thaller und eingeschränkt Plaisant sowie Niboyet. Tatsächlich erwähnen die genannten Autoren das Kriterium Gründungsort. Nur Pillet ist indessen als Vertreter der Gründungstheorie anzusehen. So heißt es etwa bei Thaller 33 , die Nationalität werde durch das Land bestimmt, in dem die Aktien ausgegeben worden seien und wo das Gesellschaftskapital eingebracht worden sei. Dieser Ort sei der Gesellschaftssitz, der die Nationalität bestimme. Diese Lösung entspricht derjenigen, wie sie 1889 der internationale Gesellschaftskongreß beschloss 34 • Einerseits stellte man also fest, daß der Gesellschaftssitz die Nationalität bestimme, daß aber andererseits dieser Sitz nur in dem Land liegen könne, in dem die Gesellschaft gegründet worden 29 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, München 1980, S. 786; ders., Internationales Gesellschaftsrecht, FS Kegel, Frankfurt a. M. 1977, S. 199. 30 S. im einzelnen u. 5. Kap. 31 LoussouarnjBredin, Droit du commerce international, S. 263, Nr. 246: "Ce critere a eu de faruches partisans en doctrine. "; anders aber: LoussouarnjTrochu, J. Cl. Fase. 564 A, Nr. 64: "Le systeme de l'incorporation n'a, en effet, jamais ete accepte en France." 32 LoussouarnjBredin, Droit du commerce international, S. 263, Fn. 3, Nr. 246. 33 Annales du droit commercial 1890, 164. 34 Actes du congres international des societes de 1889.
C. Sitz-, Kontroll- und Oründungstheorie - KolJisionsrecht
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sei. Im Grunde handelt es sich hierbei um eine verschärfte Sitztheorie, da die Festlegung des Gesellschaftssitzes in einem anderen Land als dem der Gründung nicht möglich ist. "Diese Lösung", schreibt Pillet, indem er sich auf die soeben erörterte Ansicht von Thaller bezieht, "erscheint uns als die beste, und sie ist es, die wir glauben annehmen zu müssen, indem wir sie allerdings in ihrer Form und in ihren Begriffen ein wenig anders darlegen." 3S
Tatsächlich scheint Pillet sich Thaller anzuschließen: "Die Nationalität einer Gesellschaft hat unserer Ansicht nach von dem Gesellschaftssitz abzuhängen, der bei der Gründung gewählt wurde. Und dieser Sitz ist natürlich der Ort, an dem sie gegründet worden ist."36
An anderer Stelle dann zeigt sich der Unterschied zu Thaller: "Das Recht des Landes, in dem die Formalitäten erfüllt worden sind, die der Gesellschaft eine reguläre Existenz sichern, erscheint uns am geeignetsten (die Nationalität der Gesellschaft zu bestimmen). Seine Zuständigkeit ist zwingend ... Häufig, um nicht zu sagen immer, gründet sich die Gesellschaft in dem Land, in dem sie ihren Gesellschaftssitz festlegt. Dort erfüllt sie auch die gesetzlichen Vorschriften. Man kann daher sagen, daß unter verschiedener Bezeichnung eine Gleichwertigkeit besteht zwischen der Bestimmung der Nationalität durch das Gründungsland und durch das Sitzland ... Wird der Gesellschaftssitz an einem anderen Ort festgelegt als am Ort der Gründung, so ist letzterer allerdings maßgebend."37
Der zuletzt zitierte Satz ist der entscheidende. Mit ihm stellt sich Pillet auf die Seite der Gründungstheorie. Denn der Unterschied zwischen Gründungs- und Sitztheorie kommt ja gerade erst zum Tragen, wenn Gründungs- und Sitzort auseinanderfallen. Zehn Jahre später macht Pillet diesen Standpunkt in seinem Lehrbuch deutlich: "Die Nationalität einer Gesellschaft ist im Prinzip diejenige des Landes, in dem die Gesellschaft sich gegründet hat und an deren Gesetzgebung sie ihre Satzung angepaßt hat."38
Pillet blieb mit seiner Ansicht in Frankreich allein. Was Plaisant angeht, so findet sich bei ihm zwar der eindeutig scheinende Satz: "Das auf Gesellschaften anwendbare Recht ist das des Ortes der Gründung. "39
Gleich der nächste Satz lautet: "Es muß noch bestimmt werden, was damit gemeint ist."
3S
36 37 38 39
Pillet, Des personnes morales en droit international prive, Paris 1914, S. 133, Nr. 92. Pillet, Des personnes morales en droit international prive, S. 133, Nr. 92. Pillet, Des personnes morales en droit international prive, S. 151, Nr. 108. Pillet, Traite pratique de droit international prive, Bd. H, Paris 1924, S. 801, Nr. 739. Plaisant, Les regles de conflits de lois dans les traites, Diss. Paris 1946, S. 290.
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
Sieben Zeilen weiter: " ... es ist anerkannt, daß der Gesellschaftssitz das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt."
Und schließlich: "Die Gesellschaft muß durch das Recht des Landes bestimmt werden, an das sie durch ihre Geschäftstätigkeit gebunden ist."
Diese grundverschiedenen Aussagen bewirken, daß Plaisant sich nicht systematisch einordnen läßt. Niboyet hingegen ist der Sitztheorie zuzurechnen: "Jede Gesellschaft ist für ihre Gründung, ihre Wirksamkeit, ihre Dauer, ihre Beendigung dem französischen Recht unterworfen, wenn sie in Frankreich gegründet worden ist und wenn sie dort ihren Sitz begründet hat. Man kann die beiden Dinge nicht trennen ... Wie könnte eine Gesellschaft kraft der Rechtsordnung des Gründungslandes entstehen, aber in der Folge dem Recht des Sitzlandes unterstehen? Die beiden sind tatsächlich un teil bar ... Sicherlich, der Sitz ist die Konsequenz der Gründung der Gesellschaft in dem Sinne, daß damit eine Gesellschaft ein Domizil hat, sie zuvor existieren muß; aber im Augenblick der Gründung der Gesellschaft kann und muß man das Land bestimmen, in dem man den Sitz festlegt. Diese Frage ist im übrigen nur für den Fall von Interesse, in dem der Sitz nicht mit dem Gründungsland übereinstimmt, was eher theoretischer Natur ist ... Der Sitz der Gesellschaft ist nichts als die Bestätigung ihrer Geburt ... Wenn die Gründer eine Errichtungshandlung außerhalb Frankreichs vornehmen, und sie in Frankreich den Sitz errichten wollen, so haben sie die Vorschriften des französischen Rechts zu beachten; widrigenfalls ist die Gesellschaft im Hinblick auf Frankreich keine Gesellschaft, die sich nach französischem Recht richtet. "40
Danach kann man nur Pillet als Anhänger der Gründungstheorie bezeichnen. Im übrigen blieb sie in der französischen Lehre ohne Erfolg.
11. Sitztheorie a) Lehre Der nur mäßige Widerhall, den die Gründungstheorie fand, beruhte auf der Tatsache, daß sich in Frankreich schon früh die Vorstellung durchgesetzt hatte, auf eine Gesellschaft sei das Recht des Ortes anzuwenden, mit dem sie durch ihre Tätigkeit am engsten verknüpft ist. Man dachte dabei an den Ort des Gesellschaftssitzes oder den Ort der Hauptbetriebsstätte. Den Autoren, die den Ort der Hauptbetriebsstätte bevorzugten 41 , hielt man folgendes Beispiel vor: Eine Gesellschaft mit fester Verwaltung im Land A 40
1546.
Niboyet, Traite de droit international prive
fran~ais,
Bd. V, Paris 1948, S. 574, Nr.
C. Sitz-. Kontroll- und Gründungstheorie - Kollisionsrecht
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verlegt Eisenbahnschienen zunächst in Land B, dann in Land C und Land 0 und wechselt dementsprechend ihre Hauptbetriebsstätte. Der Verwaltungssitz hingegen bleibt derselbe. Der Gesellschaftssitz erschien der Mehrzahl der Autoren von daher als der stabilere und angemessenere Anknüpfungspunkt. Schon gegen Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Foelix erklärt, der Gesellschaftssitz sei das geeignete Kriterium42 • Im Laufe der Zeit folgte die ganz herrschende Meinung im Hinblick auf die Frage nach dem anwendbaren Recht der Sitztheorie 43 • b) Rechtsprechung
Loussouarn kennzeichnet die Situation wie folgt: "Die Rechtsprechung unterstellt die Gesellschaften für den Bereich des Kollisionsrechts dem Recht des Gesellschaftssitzes. Sie hat insoweit nie geschwankt. "44
Tatsächlich wandten die Gerichte schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Gesellschaften das Recht ihres Sitzes an. Dies galt für die Gründung, für die Geschäftstätigkeit und die Beendigung von Gesellschaften 45 • Der Tribunal correctionel de la Seine wies 1888 eine Klage auf Nichtigerklärung der Versicherungsgesellschaft Compagnie l'Esperance ab 46 • Die Klage stützte sich auf Vorschriften des französischen Gesetzes vom 24. Juli 1867. Das Gericht erklärte, die Compagnie l'Esperance sei regulär entsprechend der belgischen Gesetzgebung gegründet worden und habe ihren tatsächlichen Gesellschaftssitz in Brüssel. Ihre Wirksamkeit richte sich daher nach belgischem und nicht nach französischem Recht. Der 1892 mit dieser Sache befaßte Tribunal de commerce de la Seine bestätigte das Urteil: "Die Compagnie I'Esperance hat ihren Sitz in Brüssel, dort tagt der Verwaltungsrat, dort werden die Generalversammlungen der Aktionäre abgehalten und dort wird der größte Teil der Geschäfte der Gesellschaft abgewickelt ... Es handelt sich daher um eine belgische Gesellschaft ... Sie ist wirksam nach belgischem Recht gegründet worden. Die 41 Lyon-Caen, De la nationalite des societes, Journ. soc. 1880, 32 (36); LyonCaen/Renault, Traite dedroitcomrnercial, Bd. II, 3. Aufl., Paris 1898, S. 1027; Weiss, Droit international prive, 1. Aufl., Paris 1890, S. 150; 2. Aufl., Paris 1908, S. 481. 42 Foelix/Demangeat, Traite du droit international prive, Bd. H, 3. Aufl., Paris 1856, S. 31. 43 Rolin, Principes du droit international prive, Bd. HI, Paris 1897, S. 286; Leven, De la nationalite des societes et du regime des societes etrangeres en France, Paris 1926, S. 84; Arminjon, Precis de droit international prive, Bd. H, Paris 1958, Nr. 191, S. 466; Loussouarn/Bourel, Droit international prive, Paris 1980, Nr. 718, S. 803; Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Bd. I, Paris 1981, Nr. 193, S. 229. 44 Loussouarn/Trochu, J. CI. Fasc. 564 A, Nr. 149; Loussouarn, Les conflits de lois en matiere des societes, S. 123, Nr. 59. 4S Für Beendigung bereits: Cour d'appel de Chambery, 1. 12. 1866, S. 1867, H, 182; Cour d'appel de Paris 23. 1. 1889, Rev. soc. 1889, 193. 46 Trib. corr. Seine 20.11. 1888, Clunet 1888, 818.
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften (Gründungs-)Vorschriften des (französischen) Gesetzes vom 24. Juli 1867 sind auf sie nicht anwendbar."41
Zahlreiche weitere Entscheidungen erklärten Gesellschaften für nach dem Sitzrecht wirksam gegründet 48 • Die Publizitätspflichten richteten sich nach dem Sitzrecht49 , ebenso wie die Rechte und Pflichten der Gesellschafter untereinander 50. Der Erwerber von Anteilen einer Gesellschaft unterwerfe sich implizit dem Sitzrecht, heißt es in einem Urteil der Cour d'appel de Nancy 51. Die Rechtsprechung blieb in der Frage nach dem anwendbaren Recht einheitlich und bestimmte das Gesellschaftsstatut nach dem Sitz der Gesellschaft 52. c) Gesetz
Die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach dem Gesellschaftssitz ist inzwischen gesetzlich verankert. Art. 3 des Gesetzes vom 24. Juli 19661autet 53 : Abs.1 "Die Gesellschaften, deren Sitz sich auf französischem Territorium befindet, unterliegen dem französischen Recht." Abs.2 "Dritte können sich auf den Satzungssitz berufen, aber dieser kann ihnen von der Gesellschaft nicht entgegengehalten werden, wenn sich der tatsächliche Sitz der Gesellschaft an einem anderen Ort befindet."
Diese einseitige Kollisionsnorm ist zur allseitigen auszubauen und begründet so die allgemeine Anknüpfung des anwendbaren Rechts an den Sitz 54. Doch um welchen Sitz handelt es sich, den Satzungssitz oder den tatsächlichen Sitz? Loussouarn sagt dazu: "Absatz 2 präzisiert, daß es sich um den tatsächlichen Sitz handelt."55 41 Trib. com. Seine 8. 2. 1892, Clunet 1892, 478. 48 Cour d'appel de Paris 7. 5. 1870; Cass. req. 14. 2. 1872, Rerny C. Anderson et Erlanger, S. 1872, I, 321; Cour d'appel de Douai 1. 12. 1880 und Cour d'appel de Paris, ch. corr. 12. 5. 1881, Clunet 1882, 317, Chandora C. Philippat et Banque europeenne; Cour d'appel de Chambl:ry 25.5.1883, Clunet 1884, 192; Cass. civ. 16.6.1885, Clunet 1886, 456; Trib. civ. Seine 10. 8. 1893, Clunet 1894, 558; Cass. req. 12. 7. 1893, Clunet 1893, 1204; Cour d'appel d'Amiens 9. 11. 1901, Clunet 1903, 167; S. U. 5. Kap. 49 Trib. corno Perpignan 23. 12. 1913, Clunet 1917, 1066; S. u. 5. Kap., A III. 50 Trib. com. Seine 28. 4. 1884, Clunet 1884, 520, Cour d'appel de Paris 16. 7. 1886, Clunet 1888, 668; Trib. com. Seine 25. 6.1891, Clunet 1893, 893; Trib. civ. Seine 13. 2. 1895, Clunet 1896, 1064; S. U. 5. Kap., B. 51 Cour d'appel de Nancy 25. 10. 1890, Clunet 1891, 237; S. u. 5. Kap., AI. 52 Cass. civ. 17.6. 1958, Rev. er. dr. int. pr. 1958,704 m. Anrn. Francescakis; Rev. trirn. dr. corno 1959,255 m. Anm. Loussouarn; Cour d'appel de Paris 2.11. 1962,J. C. P. 1963, H, 13014 m. Anm. B. P.; Cour d'appel de Paris 26. 3. 1966, Clunet 1966, 841 rn. Anrn. Goldman; Rev. cr. dr. int. pr. 1968, 58 rn. Anrn. Loussouarn. 53 S. bereits oben 1. Kap., D; fast wortgleich seit 1978: Art. 1837 Code civil. 54 Loussouarn/Bredin, Droit du commerce international, S. 275, Nr. 258.
c. Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie - Kollisionsrecht
49
Nun läßt der Wortlaut sowohl diese wie auch die gegenteilige Interpretation zu, nämlich, daß Absatz 1 den Satzungssitz meint S6 • Die grammatikalische Auslegung spricht für die Auslegung von Loussouarn, ist allerdings nicht zwingend. Absatz 2 wäre dann so zu lesen: "Dritte können sich außerdem auf den Satzungssitz berufen ... ". Indessen wäre auch folgende Lesart denkbar: "Dritte können sich auf diesen Sitz ( = Satzungssitz) berufen; die Gesellschaft kann sich auf ihn jedoch nur stützen, wenn sich auch der tatsächliche Sitz dort befindet." So wäre Absatz 2 zu verstehen, wenn unter "Sitz" gemäß Absatz 1 der Satzungssitz zu verstehen wäre. Auch die teleologische Auslegung läßt Zweifel bestehen. Man könnte argumentieren, das Gesetz wolle - wie Absatz 2 zeige - dem Mißbrauch einen Riegel vorschieben. Deswegen handele es sich in Absatz 1 um den tatsächlichen Sitz. Ebensogut aber läßt sich die Ansicht vertreten, das Gesetz wolle der Wahlfreiheit der Gründer möglichst freien Raum belassen; es lege daher in Absatz 1 den Satzungssitz zugrunde und begegne der sich insoweit ergebenden Mißbrauchsgefahr mit der Regelung des Absatzes 2. Die historische Auslegung hilft weiter. Während der Gesetzgebungsdebatten wurde von zwei Seiten festgestellt, daß das anwendbare Recht durch den tatsächlichen Sitz bestimmt werden solleS? . Indessen findet sich diese Bemerkung nicht mehr in Zusammenhang mit der endgültigen Textfassung des Art. 3 S8 • Insoweit handelt es sich daher nur um ein Indiz dafür, daß der Begriff "Gesellschaftssitz" in Art. 3 Abs. 1 den tatsächlichen Gesellschaftssitz umschreibt. Nun herrschte allerdings während der Gesetzgebungsdebatten und bei der Verabschiedung des Gesetzes Einigkeit darüber, daß der Art. 3 lediglich die bisherige Rechtsprechung festschreiben sollte. Dies wurde mehrfach klargestellt S9. Es ist also für den Art. 3 Abs. 1 der Begriff des Gesellschaftssitzes maßgebend, den die Rechtsprechung zugrunde legt. Wie nach ihr der Gesellschaftssitz beschaffen ist, wird im folgenden dargestellt. d) Bestimmung des Gesellschaftssitzes Welcher Art ist der Gesellschaftssitz, den die Rechtsprechung zugrunde legt und der von daher für die Auslegung des Art. 3 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 ausschlaggebend ist? Wie ist der Gesellschaftssitz zu bestimmen? Ausgangs55 Loussouarn, Les incidences des communautes europeennes sur la conception fram.aise du droit international prive, Revue trimestrielle de droit europeen 1974, 708 (717). 56 So: Craig, La societe sous contröle etranger, S. 103, Nr. 99; Neumayer, Betrachtungen zum internationalen Konzernrecht, ZVglRWiss 1984, 129 (136). 57 J. O. Assemblee nationale 1. 6. 1965, S. 1666, 1680; s. dazu: Craig, La societe sous contröle etranger, S. 103, Nr. 19. 58 J. O. Debats parlementaires, senat 15. 4. 1966, S. 17; s. dazu: Craig, La societe sous contröle etranger, S. 103, Nr. 19. 59 S. Craig, La societe sous contröle etranger, S. 103, Nr. 19.
4 Pohlmann
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
punkt war zunächst der Satzungssitz. So heißt es in einem Urteil der Cour d'appel de Douai: "Der Gesellschaftssitz kann durch die Satzung bestimmt werden."60
Dieser Ausgangspunkt dürfte aus der Tatsache zu erklären sein, daß dem Code civil noch bis 1985 die Gesellschaft primär als vertragliche Konzeption vor Augen stand 61. Indessen üb~rwiegen bei einer Gesellschaft die institutionellen Elemente. Der Satzungssitz allein war daher für die Rechtsprechung nie ausschlaggebend. Dieser mußte vielmehr mit den realen Gegebenheiten übereinstimmen. Er durfte nicht fiktiv sein; das Leben der Gesellschaft mußte sich tatsächlich an diesem Ort abspielen 62 • Außerdem durfte der Satzungssitz nicht in Gesetzesumgehungsabsicht festgelegt worden sein 63. Zwei Anforderungen stellten die Gerichte also an den Sitz. Er mußte tatsächlich (caractere reel) und ernsthaft (caractere serieux) sein. Diese Kriterien sollten der Praxis von Gesellschaften entgegenwirken, die den Satzungs sitz in England festlegten, ihre Geschäftstätigkeit aber ausschließlich auf französischem Gebiet abwickelten. Charakteristisch erscheint der Fall Vigneaux c. The Anglo-Franco-Belgian Quarries of Oran: Die beklagte Gesellschaft hatte sich nach englischem Recht gegründet, um französische Vorschriften über den Mindestbetrag der ausgegebenen Aktien zu umgehen. Das Gericht erklärte: "Wenn die Festlegung eines (Satzungs-)Sitzes im Ausland allein zum Ziel hat, es der Gesellschaft zu ermöglichen, sich mit einem Kapital zu gründen, das aus Aktien besteht, die nicht den Vorschriften des französischen Gesetzes vom 24. Juli 1867 entsprechen, so entzieht diese Festlegung die Gesellschaft nicht der Rechtsprechung der französischen Gerichte für den Fall, daß der Sitz der Verwaltung der Gesellschaft in Frankreich liegt. "64
Das Gericht erklärte die Gesellschaft für nichtig, da sie nicht die Gründungsvorschriften des französischen Rechts beachtet hatte. In einem anderen Urteil heißt es: "Die Bestimmung des Gesellschaftssitzes muß ernsthaft und tatsächlich sein; er muß mit dem Ort übereinstimmen, an dem die Leitung der Gesellschaft tatsächlich durch die Verwalter ausgeübt wird, an dem sich ihre Geschäftstätigkeit zentralisiert, von wo der 60 Cour d'appel de Douai 24. 12. 1923, Gaz. Pa!. 1924, I, 413. 61 S. o. 2. Kap., A. 62 Cass. req. 23. 6.1924, D. 1924,541; Cass. civ. 15. 7.1954, D. 1954,627; Cass. civ. 7. 3. 1956, D. 1956, Somm. 170; Cass. civ. 19. 3. 1956, D. 1956,351; Cass. civ. 15.6. 1957, D. 1957, 596; Cass. civ. 15. 7. 1970, D. 1971, Somm. 12. 63 Cass. req. 22.12.1896, D. 1897, 1,159; Cour d'appel de Rouen 19.1. 1916, Gaz. Pa!. 1916/17, 112; Cour d'appel de Paris 10. 11. 1922, S. 1922,11, 128; Cour d'appel de Montpellier 3.5.1926, S. 1926,11,75; Trib. civ. Seine 23. 4. 1932, S. 1933,11,49 m. Anm. So/uso 64 Trib. com. Seine 27. 8. 1891, Clunet 1891, 1241.
C. Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie - Kollisionsrecht
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Impuls ausgeht für die verschiedenen Organe und wo sich die Ergebnisse der verschiedenen Aktivitäten zeigen. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn nicht nur die Mehrheit der Aktionäre sich aus Franzosen zusammensetzt, die in Frankreich wohnen und fast das gesamte Kapital von Franzosen eingebracht worden ist, sondern wenn auch die Verwalter alle Franzosen sind, wenn der ausländische Sitz keinerlei Wirkung hat, wenn schließlich alle Vorgänge der Gesellschaft ausschließlich in Frankreich getätigt werden, so ist die Festlegung des Gesellschaftssitzes nur eine Fiktion, zu dem alleinigen Zweck, die Anforderungen des französischen Rechts bezüglich der Gründung und Tätigkeit einer Gesellschaft zu umgehen ... "65
Um den fraudulösen Charakter des Sitzes offenzulegen, stellte diese Entscheidung also u. a. auch auf das Kontrollkriterium ab. Tatsächlich decken die Gerichte zu diesem Zweck alle Verbindungen auf, die eine Gesellschaft mit einem Land hat, wobei jedem Bezugspunkt die Eigenschaft eines Indizes zukommt: Besteht eine Verbindungslinie zu einem anderen Land als dem des Satzungssitzes, so ist dies ein Indiz dafür, daß dieser fraudulös festgelegt worden ist. In dem soeben zitierten Urteil ist ein solches Indiz auch der Ort, an dem die Gesellschaft tätig ist. Als Indiz können ferner folgende Bezugspunkte eine Rolle spielen: der Ort der Gründung 66 , der Ort, an dem die Papiere der Gesellschaft ausgegeben worden sind 67 oder der Ort, an dem das Kapital investiert worden ist 68 • Zeigen diese Indizien hingegen tatsächliche Verbindungen zu dem Staat des Satzungssitzes auf, so liegt keine Gesetzesumgehung vor 69 • Diese ist nur dann gegeben, wenn kein legitimes Interesse die Wahl der Gründer rechtfertigen kann, wenn die Gesetzesumgehung also Hauptzweck der Sitzbegründung ist7°. So wurde auch die Begründung des Gesellschaftssitzes im Ausland mit dem Ziel, der französischen Steuer zu entgehen, von den französischen Gerichten nicht als Gesetzesumgehung gewertet, wenn die tatsächliche Verwaltung von dem Gebiet des fremden Staates ausging 71 • Trib. com. Nancy, Clunet 1907,765. Cass. req. 22.12.1896, D. 1897, 1,159; Trib. com. Seine 3.5.1899, Clunet 1900, 802; Trib. com. Nancy 18. 2.1907, Clunet 1907, 765; Trib. civ. Lille 21. 5.1908: S. 1908,11,177 m. Anm. Demogue; D. 1910,11,41 m. Anm. Percerou; Trib. com. Seine 26.5.1909, Clunet 1910,195; Trib. corr. Seine 27. 7.1910, Gaz. Pa1.1910, 11, 151; Courd'appel deParis 10.11. 1922, S. 1922,11,128; Cour d'appel de Rennes 26.7.1926, Clunet 1927, 659; Cour d'appel de Paris 4. 2. 1935, Rev. cr. dr. int. pr. 1935, 816. 67 Trib. COIT. Seine 10. 2.1881, Clunet 1881,158; Cour d'appel de Paris 23.3.1909, S. 1909,11, 183; Cour d'appel d'Angers 23. 6. 1913, Gaz. Pal. 1913,11, 113. 68 Cour d'appel de Paris 23. 3.1909, S. 1909,11,183; Cour d'appel d'Angers 23.6.1913, Gaz. Pal. 1913, 11, 113. 69 Trib. COIT. Seine 2. 3. 1905, Rev. dr. int. pr. 1905, 530. 70 Trib. civ. Seine 23. 4. 1932, S. 1933,11,49 m. Anm. Solus; bestätigt durch: Cass. req. 17.7. 1935, Rev. cr. dr. int. pr. 1936,767; Trib. civ. Seine 22.12. 1938, Rev. cr. dr. int. pr. 1939, 269; Cour d'appel de Paris 31. 10. 1957, Rev. cr. dr. int. pr. 1958, 345 m. Anm. Loussouarn; s. dazu: Loussouarn/Trochu, J. Cl. Fasc. 564 A, Nr. 196. 65
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
Der Gesellschaftssitz muß also tatsächlichen Charakter haben. Wann ist der Gesellschaftssitz "tatsächlich" vorhanden? Eine Entscheidung stellte zunächst noch auf den Ort der Betriebsstätte ab 72. Dann setzte die Cour de cassation den Sitz mit der Hauptniederlassung gleich 73. Sie übertrug dabei einfach das Domizilprinzip, das traditionell für natürliche Personen galt, auf Gesellschaften. Ausdrücklich nahm sie auf das Domizilprinzip Bezug. Schließlich verselbständigte sich das Problem des Gesellschaftssitzes. Viele verschiedene Gesichtspunkte wurden nun berücksichtigt, um so den realen Charakter des Sitzes nachzuweisen. So bestimmten die Gerichte den Ort als Gesellschaftssitz, an dem der Verwaltungsrat sowie die Hauptversammlung zusammenkamen und an dem sich die Geschäftsräume der Gesellschaft befanden. Dort sei das "Zentrum der Interessen" der Gesellschaft 74 • Ist ein solches Zentrum nicht ohne weiteres auszumachen, tagen etwa Verwaltungsrat und Hauptversammlung in verschiedenen Ländern, so wird die Rechtsprechung uneinheitlich. Einige Entscheidungen bestimmten als Sitz den Ort, an dem die Hauptversammlung abgehalten wurde 7S. Andere Entscheidungen hielten in einem solchen Fall hingegen den Ort, an dem der Verwaltungsrat zusammenkam, für ausschlaggebend 76. Die in die eine wie in die andere Richtung ergangenen Entscheidungen dürften heute überholt sein. Die Entscheidungen, die sich an der Hauptversammlung ausrichteten, taten dies im Hinblick auf das Gesetz von 1867 über die Gesellschaften. Diesem hatte ein demokratischer Aufbau der Gesellschaften vorgeschwebt, demgemäß vor allem die Aktionäre das Sagen hatten. Hingegen hat das Gesetz vom 24. Juli 1966 viele Vorrechte, die bis dahin der Hauptversammlung zustanden, dem Verwaltungsrat übertragen 77 • Auf der anderen Seite könnte heute der Sitz nicht mehr allein anhand des Ortes ausgemacht werden, an dem der Verwaltungsrat tagt. Die Führung der Geschäfte in einem großen Unternehmen ist heute derart komplex und so weitgehend vom Tagesgeschehen bestimmt, daß ein Organ, das nur einige Male im Jahr zusammenkommt, nicht das Wesen einer Gesellschaft ausmachen kann. Viele Entscheidungen setzen zudem Informationen und direkte Verbindungen zu den ausführenden Stellen voraus. An beidem fehlt es dem Verwaltungsrat18 • S. Loussouarn/Trochu, J. Cl. Fasc. 564 A, Nr. 197. Cass. civ. 31. 5. 1848, S. 1848, 1,444. 73 Cour d'appel de Bordeaux 11. 8. 1857, D. 1858,11,60. 74 Trib. corr. Seine 10. 2. 1881, Clunet 1881, 158; Trib. corno Seine 3. 5. 1899, Clunet 1900,802; Trib. corr. Marseille 31. 12. 1909, J. soc. 1911,456; Cour d'appel de Paris 25. 4. 1913, Gaz. Pal. 1913, 11, 185; Cour d'appel de Paris 10. 11. 1922, S. 1922, 11, 128. 7S Cour d'appel de Paris 22. 2. 1922, J. trib. corno 1923, 303. 76 Cass. civ. 20. 6.1870, D. 1870, 1,416; Trib. corno Seine 27.8.1891, Clunet 1891,1241; Trib. corno Seine 3. 5. 1899, Clunet 1900, 802; Trib. corr. Seine 29. 6. 1910, J. trib. corno 1911,217; Cass. civ. 7. 7. 1947, Rev. cr. dr. int. pr. 1949,78 rn. Anrn. Loussouarn. 77 S. Loussouarn/Trochu, J. Cl. Fasc. 564 A, Nr. 179. 71
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c. Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie - Kollisionsrecht
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Einige Entscheidungen identifizierten den Sitz mit dem Ort, an dem die wichtigsten Geschäfte abgewickelt wurden 79 oder mit dem Ort, an dem sich das "Gehirn der Gesellschaft" befand, wo das wirtschaftliche Leben sich konzentrierte und die juristische Existenz der Gesellschaft zu suchen war 80 • Danach reicht die Existenz eines einfachen Büros in einem Land, in dem ein untergeordneter Angestellter tätig ist, keinesfalls aus, um einen Sitz in diesem Land zu begründen 81 • Der Gesellschaftssitz muß vielmehr die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens widerspiegeln 82. Führt man den Gedanken des "Gehirns der Gesellschaft" konsequent weiter, so kommt man zu neuen Lösungen in den Fällen, in denen ein ausländisches Unternehmen eine Niederlassung in Frankreich gründet. Mag diese auch juristisch unabhängig sein von der Muttergesellschaft, so werden die wichtigen Entscheidungen, die Unternehmenszukunft und -politik betreffend, doch von der Muttergesellschaft getroffen 83 • Aufgrund dieser Tatsache wird zum Teil die Ansicht vertreten, der Sitz der Tochter sei bei der Muttergesellschaft zu lokalisieren 84. Dies ist indessen abzulehnen. Maßgebend ist, daß die Tochtergesellschaft von der MuttergesellLoussouarn/Trochu, J. C!. Fasc. 564 A, Nr. 181. Cass. req. 22.12.1896, D. 1897, 1,159; Trib. com. Nancy 18. 2. 1907, Clunet 1907, 765; Trib. com. Seine 26. 5. 1909, Clunet 1910, 195. 80 Cour d'appel de Montpellier 3. 5. 1926, Rev. dr. int. pr. 1927, 305. 81 Cass. req. 22.12.1896, D. 1897, 1,159; Trib. com. Seine 23.10.1908; Cour d'appel de Paris 23.3.1909, S. 1909,11,183; Trib. corr. Marseille 31. 12. 1909, Journ. soc. 1911,456. 82 Cass. crim. 21. 11. 1889: S. 1897, I, 94; Clunet 1889, 850; Cass. req. 22.12.1896, D. 97, I, 159; Cass. req. 25. 4. 1950, Rev. cr. dr. int. pr. 1951, 291 m. Anm. Loussouarn (Sitzwechsel, um französischer Steuer zu entgehen); Trib. com. Nancy 18. 2. 1907, Clunet 1907, 765; Cour d'appel de Paris 27. 3. 1907: Clunet 1907, 768; Gaz. Pa!. 1907, I, 496 (Konkurs); Trib. civ. Lille 21. 5. 1908: D. 1910,11,41 m. Anm. Percerou; S. 1908,11,177 m. Anm. Demogue; Rev. dr. int. pr. 1909, 877 (Wirksamkeit der Gründung); Cour d'appel d'Aix 6.7.1908: Gaz. Pa!. 1908,11,462; Rev. dr. int. pr. 1909,877 (eine in Belgien nach belgischem Recht mit dem Zweck gegründete Gesellschaft, in Frankreich Immobilien zu verwalten, ist belgisch, wenn der belgische Gesellschaftssitz nicht rein fiktiv ist; wenn der Verwaltungsrat, der sich mehrheitlich aus Belgiern zusammensetzt, in Belgien zusammenkommt); Cour d'appel de Paris 23.3.1909: D. P. 1910,11,108; S. 1909,11,462 (Konkurs); Rev. dr. int. pr. 1909, 877; Cour d'appel de Paris 11. und 25. 4. 1913, Gaz. Pa!. 1913,11, 113; Cour d'appel de Paris 17.12.1919, Gaz. Pa!. 1920, I, 34; Courd'appel de Paris 19. 11. 1922: S. 1922, 128; Clunet 1923, 320 (Konkurs); Cour d'appel de Rennes 26.7.1926, Gaz. Pa!. 1927, I, 59, Cour d'appel de Paris 4. 2. 1935, Rev. cr. dr. int. pr. 1935,816. S. auch: Ebenroth/Bippus, Die Sitztheorie als Theorie effektiver Verknüpfungen der Gesellschaft, JZ 1988, 677 (683). 83 S. dazu den Fall Fruehauf: Cour d'appel de Paris 22.5. 1965: J. C. P. 1965,11,14274 bis; D. 1968, 147; Contin, L'arn':t Fruehauf et l'evolution du droit des societes, D. S. 1968, chr. 45; s. u. 2. Kap., C, 2. Teil, IIc. 84 So: Goldman, La nationalite des societes dans la communaute economique europeenne, Trav. comite fr. dr. int. pr. 1969; andeutend: Loussouarn, Le rattachement des societes et la communaute economique europeenne, in: MeJanges offerts ä Pierre-Henri Teitgen, Paris 1984, S. 239 (241), Fn. 2. 78
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
schaft juristisch unabhängig ist und normalerweise in die Wirtschaft des Gaststaates integriert ist und in dieser ihre Geschäfte abwickelt. Die Tochtergesellschaft hat daher einen eigenen Sitz in dem Gaststaat. Die Gegenansicht nähert den Sitz dem Kriterium der Kontrolle und dem Ort der Entscheidungen an. Gegen diese Kriterien wurden bereits maßgebliche Bedenken geäußert 8s • Der Sitz einer Gesellschaft ist ihr tatsächlicher und ernsthafter Verwaltungssitz. Daß eine Gesellschaft in ausländischer Mehrheitsbeteiligung steht, kann daran nichts ändern 86 • Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 erklärt somit auf Gesellschaften das Recht des tatsächlichen und ernsthaften Verwaltungssitzes für anwendbar 87 • e) QuaUflkation des Gesellschaftssitzes
In einer anderen Rechtsordnung kann der Begriff "Gesellschaftssitz" anders definiert sein. Welches Recht entscheidet darüber, welcher Begriff maßgebend ist? Nach welchem Recht ist zu qualifizieren? Einige Autoren zogen Lösungen heran, die im Hinblick auf das Domizil von natürlichen Personen entwickelt worden waren. So schlugen Durand und ihm folgend Weiss sowie Valery vor, nach dem "nationalen" Recht - dem Heimatrecht der betreffenden Person - zu qualifizieren 88 • Art. 102 Code civil spreche von dem Domizil eines jeden Franzosen. Das französische Recht wolle also das Domizil aller Personen mit französischer Nationalität im In- und Ausland bestimmen. Deshalb sei grundsätzlich das Domizil nach dem nationalen Recht zu ermitteln. Diese Ansicht mag für natürliche Personen angehen 89. In Bezug auf juristische Personen führt sie zu einem circulus vitiosus: Die Nationalität einer Gesellschaft wird mittels des Gesellschaftssitzes ermittelt. Der Sitz wird also festgesetzt, bevor man die Nationalität kennt. Aufgrund dessen kann man nicht auf das (erst noch zu bestimmende) nationale Recht zurückgreifen, um den Sitz zu ermitteln. Brocher befürwortete eine Qualifikation nach der lex 10ci 90 • Hier stellt sich sogleich die Frage, was ist die lex loci, wenn eine Gesellschaft in mehreren Ländern in Erscheinung tritt? Dies ist etwa der Fall, wenn der Verwaltungsrat in S. o. 2. Kap., B, IV und VI. S. Diskussionsbeiträge von Baudouin, Loussouarn, Lepau/le, Mezger, Trav. comite fr. dr. int. pr. 1969; Loussouarn/Trochu, J. Cl. Fasc. 564 A, Nr. 188. 87 Hemard/Terre/Mabilat, Societes commerciales, Bd. I, Paris 1972, S. 110, Nr. 114; Audit, La fraude ä la loi, Paris 1974, Nr. 513, S. 409. 88 Durand, Essai de droit international prive, Paris 1884, S. 373; Weiss, Traite theorique et pratique de droit international prive, Bd. III, Paris 1905, S. 320; Vatery, Manue1 de droit international prive, Paris 1914, S. 119. 89 Zustimmend insoweit: Loussouarn/Bredin, Droit du commerce international, Nr. 311. 90 Brocher, Cours de droit international prive, Bd. I, Paris 1882, S. 219. 85
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C. Sitz-, Kontroll- und Gründungstheorie - Kollisionsrecht
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Frankreich zusammenkommt, die Hauptversammlung in Deutschland abgehalten wird und eine Betriebsstätte sich in Italien befindet. Welches Recht ist dann die lex loci? Auch hier befindet man sich wieder in einem circulus vitiosus: Man müßte zunächst das Kriterium festsetzen, das die lex loci bestimmt. Über dieses Kriterium soll aber gerade die lex loci Auskunft geben. Die lex loci ist mithin ungeeignet für die Qualifikation des Gesellschaftssitzes. Loiseau schlug vor, das Recht, das dem Willen der Parteien entspreche, solle insoweit maßgebend sein 9l . Ein Domizil sei geprägt von zwei Elementen, einem objektiven und einem subjektiven. Objektives Element sei die Niederlassung an einem Ort, subjektives Element sei der Wille, an diesem Ort das Zentrum der Interessen zu begründen. Beide Elemente würden bestimmt durch die Person, die die Niederlassung schaffe. Der von dieser Person ausgedrückte Wille sei mithin entscheidend, um das für die Qualifikation maßgebliche Recht zu ermitteln. Man gelangt so zum Recht des Satzungssitzes. Denn in der Satzung haben die Gesellschaftsgründer ihren Willen ausgedrückt. Ließe man dieses Ergebnis zu, so wäre der Gesetzesumgehung Tür und Tor geöffnet. Auf indirektem Wege gelangte man so zu demselben Resultat, wie wenn man es den Gesellschaftern von vornherein beließe, die Gesellschaft dem Recht ihrer Wahl zu unterstellen. Das Recht des Satzungssitzes ist im übrigen nicht das hauptbetroffene Recht. Von daher besteht die Gefahr einer sachfremden Qualifikation. Eine Qualifikation nach der lex causae befürwortete Levasseur 92 • Wie bei der Qualifikation nach dem nationalen Recht oder anhand der lex loci gerät man hier in einen circulus vitiosus. Das erst noch zu ermittelnde Wirkungsstatut soll danach nämlich den Begriff klären. Richtig erscheint es, mit der Rechtsprechung 93 und der herrschenden Meinung in der Literatur94 nach der lex fori zu qualifizieren. Nach französischem Recht muß ein Gesellschaftssitz tatsächlichen und ernsthaften Charakter haben. Dieses Erfordernis darf nicht dadurch umgangen werden, daß ein ganz anderes Recht bestimmt, wie der Gesellschaftssitz beschaffen zu sein hat. Die Qualifikation ist der Frage nach dem anwendbaren Recht zeitlich und logisch vorgelagert. Der Forumstaat kann und soll entscheiden, wann ausländisches Recht anzuwenden ist. Dem Recht des Forumstaates ist daher auch zu entnehmen, welche Sachverhalte unter den von ihm geprägten Systembegriff "Gesellschaftssitz" fallen sollen. 91
12.
Loiseau, Du domicile cornme principe de competence legislative, Diss. Paris 1893, S.
92 Levasseur, La determination du domicile en droit international prive fran~ais, Diss. Paris 1931, S. 60. 93 Cass. civ. 22. 6. 1955: D. 1956,73 m. Anm. Chavrier; Clunet 1955, 682 m. Anm. Sialelli; Rev. er. dr. int. pr. 1955,723 m. Anm. Batiffol; Trib. com. Seine 3.5.1899, Clunet 1900, 1802. 94 Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Nr. 292; Loussouarn/Bourel, Droit international prive, Nr. 186.
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2. Kap.: Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften
1) Rück- und Weiterverweisung
Der Renvoi könnte die Sitztheorie einschränken. Namentlich in den angloamerikanischen Ländern gilt die Gründungstheorie. Soll eine Rück- oder Weiterverweisung auf das Gründungsrecht angenommen werden? Als allgemeine Kollisionsregelläßt die französische Rechtsprechung den Renvoi grundsätzlich ZU9S. Eine Ausnahme gilt für das Vertragsrecht. Haben Vertragsparteien ein bestimmtes Recht vereinbart, so meinen sie das materielle Recht. Sie wollen nicht, daß ein ganz anderes Recht angewandt wird. Etwas anderes könnte sich nur aus einer besonderen Abmachung ergeben 96 • Entsprechend diesen allgemeinen Regeln gestattet die Rechtsprechung den Renvoi auch im Internationalen Gesellschaftsrecht. In zwei Fällen in Zusammenhang mit der Banque Ottomane ("Türkische Bank") kam die Cour d'appel de Paris so zur Anwendung des Gründungsrechts. Das erste Urteil stammt aus dem Jahr 1965 91,