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German Pages 208 Year 2014
Kathrin Popp Das Bild zum Sprechen bringen
Sozialtheorie
Kathrin Popp (Dipl.-Soz.) arbeitet als Lektorin mit den Schwerpunkten Soziologie sowie Medien-, Bild- und Kunstwissenschaften in Bielefeld.
Kathrin Popp
Das Bild zum Sprechen bringen Eine Soziologie des Audioguides in Kunstausstellungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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»Ceci n’est pas une pipe.« René Magritte, La trahison des images
Inhalt
1.
Einleitung | 9
Schweigende Bilder | 15 2.1 Die Entdeckung des Bildes | 17 2.2 Das Problem der Bildbeschreibung | 19 2.3 Sehen als soziokulturelle Praxis | 26
2.
3.
Vom Bild zum Kunstwerk | 29
3.1 3.2
Was ist ein Kunstwerk? | 30 Kunst-Kommentare | 33
4. Zur Sozialität des Audioguides | 39 4.1 Audioguides | 40 4.2 Technik und ihre sozialen Implikationen | 42 4.3 Formen der Mitteilung: Audiotexte | 45 5.
Eine Soziologie der kleinen Schritte | 49
5.1 5.2 5.3
Grundkonzepte der Ethnomethodologie | 50 Der Text: Allgegenwärtig, aber unsichtbar | 54 Konkretisierungen | 60
| Bilderstrecke | 75
6.
Eine erste Phänomenologie der Audio-Episoden | 91
7.
Kommunikation über Wahrnehmung: Wie ›sehen‹ die Texte? | 97
7.1 7.2 7.3 7.4
Inhalte | 98 Formen | 105 Gestalten sehen | 109 Fokussierungen | 112
8.
Zwischen Subjekt und Objekt: Bildbetrachtungen mit intersubjektivem Geltungsanspruch | 115
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Neutraler Sprecher | 116 Impliziter Hörer | 127 Generalisierter Betrachter | 134 Aktivierte Bilder | 136 Aktiver Text | 142 Von Gewissheiten und Irritationen | 144
9.
Jenseits des Sichtbaren: Kunst und Kontexte | 149
9.1 9.2 9.3 9.4
Die unsichtbare Welt des Bildes | 150 Kontextwissen | 154 Auflösungserscheinungen | 159 Fragen und Antworten | 167
10. Resümee | 171 Danke | 179 Abbildungsnachweise | 181 Verzeichnis der Audiotexte | 185 Literatur | 189
1. Einleitung
»Wir werden Zeugen eines dramatischen Geschehens. Ein Paar ist auf der Flucht und scheitert. An einer sumpfigen Niederung sind die Achsen der Kutsche beim Anstieg der Straße gebrochen. Die Türen der Kabine sind aus den Angeln geraten und die Deichsel ragt, gleich einem Kreuz, in den Himmel.« – Was geht hier vor? Jemand beobachtet einen Unfall. Flüchtlinge. Mehrere Personen, nein, wir beobachten Flüchtlinge. Jemand – ein Reporter in einer Nachrichtensendung? – berichtet uns von seiner Beobachtung; bezeugt diesen Vorgang, an dem weder er noch wir beteiligt sind. Die Szene ist überaus beunruhigend und gefährlich. Wovor flüchtet das Paar? Warum ist die Kutsche verunglückt, woran scheitern die beiden? Vielleicht das dramatische Ende eines Entführungsfalls. Die überraschende Wendung einer Hochzeit? Wir sehen die Protagonisten eines Historienfilms! Nichts dergleichen trifft zu: Die Rede ist von einem Bild. Wir befinden uns in einer Kunstausstellung, betrachten das Gemälde »Fluchtversuch« von Neo Rauch und lauschen dem Audioguide; einem aktuellen Beispiel für jene Kunst-Kommentare, die Arnold Gehlen mit seiner These der »Kommentarbedürftigkeit« moderner Kunst (1965: 162ff.) als elementare Bestandteile der verhandelten Werke begriffen hat, und die ihm zufolge deren Kunst-Status mit konstituieren. Wie schaffen sie das? Der Text beschreibt eine Szenerie und wirft zugleich Fragen auf. Er schildert ein dynamisches Geschehen und behandelt doch nur ein statisches Bild. Er vereinnahmt uns als Zeugen einer Tatsache, kann aber nichts wissen von unserem Blick, unserer Wahrnehmung, unserer subjektiven Rezeption des Bildes. Nicht zuletzt verhandelt er ein Bild im Medium der Sprache, welches sich, folgt man laufenden bildtheoretischen Debatten um den epistemischen Status von Bildern, der Versprachlichung geradezu systematisch zu entziehen scheint. Überhaupt: Warum nimmt
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er die Beschreibung eines Bildes auf sich, welches wir als Besucher der Ausstellung doch selbst sehen und in seiner Visualität, seiner Farbigkeit und seinem Formenreichtum viel besser erschließen können, als der Text es über den Umweg der Sprache je zu leisten vermag? Das vorliegende Buch nimmt seinen Ausgang bei derartigen Fragen und wendet sie soziologisch: Es befasst sich weder unmittelbar mit Bildern noch mit Kunst, sondern es fragt danach, wie über Bilder – genauer: über Kunstwerke – in der Praxis und im Medium der Sprache kommuniziert wird. Anhand zweier Audioguides aus Kunstausstellungen rekonstruiert es im Rahmen einer qualitativen empirischen Studie, inwiefern das Problem der Bildbeschreibung hier zu Tage tritt, welche praktischen Darstellungsprobleme in diesem Zuge gelöst werden, wie die Audioguides die Kluft zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektivierender Kommunikation sprachlich überbrücken und wie die Bilder über ihre bloße Beschreibung hinaus als Kunstwerke ›sozial lesbar bzw. sichtbar‹ gemacht werden. Dabei geht es keineswegs um den pädagogischen Aspekt der Audioguides, nicht darum, wie dort bestehendes Wissen vermittelt wird. Das Forschungsprogramm der Ethnomethodologie, deren Perspektive diese Studie einnimmt, geht vielmehr davon aus, dass in der sozialen Wirklichkeit fortwährend Ordnung produziert wird; dass jedes noch so unscheinbare soziale Phänomen zur Herstellung dieser Ordnung beiträgt und über deren Konstitution Auskunft geben kann. Und so werden auch Audioguides im Folgenden soziologisch als spezifische, eigenlogische Phänomene in den Blick genommen, welche nicht nur zur Vermittlung und Aktualisierung, sondern auch zur genuinen Erzeugung kollektiv geteilter Wissensbestände, Perspektiven und Deutungsmuster, kurz: eines geteilten Verständnisses von Wirklichkeit, etwa der eines Bildes oder eines Kunstwerkes, beitragen. Die im Untertitel dieses Buches ausgerufene »Soziologie des Audioguides« strebt somit keine neue Subdisziplin im Sinne der Visuellen, Kunst-, Medien- oder Techniksoziologie an (abgesehen davon, dass auch dort nicht von homogenen, abgeschlossenen Soziologien gesprochen werden kann). Sie entwirft also keine umfassende soziologische Theorie des Audioguides, sondern sie wirft einen soziologischen, ethnomethodologisch informierten Blick auf diesen bisher in der Soziologie völlig vernachlässigten Gegenstand.1 Neben einer Reflexion seiner spezifischen 1 | Neben praxisorientierten Ratgebern zur Konzeption und Realisierung von Audioguides sowie zu aktuellen Standards (Dech 2003, 2004; Dawid/Schlesinger
1. Einleitung
Medialität fragt sie in erster Linie nach seinem Beitrag zur Erzeugung und Tradierung sprachlich, aber auch visuell verfassten Wissens. Und sie lotet jene Erkenntnispotenziale aus, die dieser Gegenstand für die eingangs formulierten Fragen nach den Möglichkeiten und Problemen der Bildbeschreibung und nach Kommunikation über Kunst bereithält. Mit den Audioguides zur Ausstellung Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010) in der Kunsthalle Bielefeld sowie zur Ausstellung Neo Rauch. Begleiter (18.04.2010–15.08.2010) im Museum der bildenden Künste Leipzig werden dabei ein Audioguide zu einer historischen Stilrichtung und ein zweiter zu zeitgenössischer Kunst einander gegenübergestellt und stets auch dahingehend befragt, inwiefern sich zu beobachtende Darstellungsprobleme hier unterschiedlich gestalten und auf verschiedene Weise gelöst werden; könnte doch für letzteren, der sich mit besonders jungen Werken befasst, in ähnlicher Weise gelten, was Arnold Gehlen bereits für moderne, abstrakte Kunst feststellt: Spätestens hier sind die sprachlichen Kommentare nicht mehr bloßes Beiwerk, sondern sie sind konstitutiv für die Kunstwerke und »mindestens noch so lange unentbehrlich, bis sich das Publikum ›eingesehen‹ hat« (1965: 167). Obgleich die vorliegende Untersuchung als empirische Studie angelegt ist, stellen theoretische Debatten aus den seit einiger Zeit sich formierenden Bildwissenschaften, aber auch aus der Visuellen, Kunst- und Wissenssoziologie wichtige Bezugsfelder dar. So liefern theoretische Überlegungen zum Schweigen der Bilder, d.h. zu ihrer visuellen Eigenlogik, zum daraus resultierenden Problem ihrer Beschreibung und zur Bedeutung sozialer und kultureller Dispositionen für ihre Rezeption 2002b; Kunz-Ott 2012) sind im deutschsprachigen Raum in der jüngeren Vergangenheit einige Untersuchungen entstanden, die sich dem Audioguide etwa aus Perspektive der Kunst- und Museumspädagogik (Penzias 2008; Eggert 2009) oder des Museumsmarketings bzw. der Konsumentenforschung (Viehöver 2006; de Teffé/Müller-Hagedorn 2008) zuwenden. Hier wie auch in der englisch- und französischsprachigen Literatur, wo sich vereinzelte museums- und kunstwissenschaftliche Arbeiten über Audioguides finden lassen (z.B. Goodes 1991; Fisher 1999; Schwarzer 2001; Deshayes 2001; Dor 2008; Soichot 2010), blieb dagegen eine eingehende soziologische oder gar ethnomethodologische Untersuchung dieses Gegenstands sowie seiner sinngenerierenden Leistungen, wie sie dieses Buch herausarbeitet, bisher gänzlich aus.
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Das Bild zum Sprechen bringen
entscheidende Impulse für dieses Projekt (Kapitel 2). Aber auch ein sozialkonstruktivistisches Verständnis von Kunst und Überlegungen dazu, welche Rolle vor diesen Hintergründen der Kommunikation über Kunst in Form von sprachlichen Kommentaren zukommt, haben dieses Buch stark inspiriert (Kapitel 3). Diese Fragenkomplexe werden in diesem Buch anhand von Audioguides empirisch weiterverfolgt, welche zunächst allgemein als spezifische Kommunikationsform unter die Lupe genommen werden. Neben dem eigentlichen Audioguide, verstanden als vom technischen Gerät zu unterscheidende Tonaufnahme, und neben den Wiedergabegeräten und deren Implikationen für entsprechende soziale Situationen kommt den im Audioguide enthaltenen ›Audiotexten‹, dieser eigenartigen Mitteilungsform an der Grenze zwischen gesprochener Sprache und Text, besondere Aufmerksamkeit zu (Kapitel 4). Vor dem Hintergrund des Forschungsprogramms und des spezifischen Textverständnisses der Ethnomethodologie können nun die Forschungsfragen sowie das methodische Vorgehen der hier verfolgten ›Soziologie der kleinen Schritte‹ konkretisiert werden (Kapitel 5). Schon die Auf bereitung des empirischen Materials wird dabei – ebenso wie eine erste, grobe Phänomenologie der Audioguides (Kapitel 6) – nicht als vorbereitende Fleißarbeit, sondern als erster analytischer und ertragreicher Zugriff auf den Gegenstand begriffen, welcher den Blick für die Eigenheiten der Audioguides schärft und den Weg für alle folgenden Schritte bereitet. So wird nun zunächst die Frage verfolgt, wie die Audioguides bzw. die Audiotexte über visuell Wahrnehmbares kommunizieren; wie sie dem Problem der Bildbeschreibung praktisch begegnen und inwiefern die Etablierung ›fokussierender Beschreibungen‹ hier als Lösung eines spezifischen praktischen Darstellungsproblems identifiziert werden kann (Kapitel 7). Angesichts der hier beobachteten Kontingenzen ist das anschließende Kapitel damit befasst, mit welchen Mitteln die Audioguides Aufmerksamkeit organisieren und wie sie ihre sprachliche Auseinandersetzung mit Bildern objektivieren. Dabei werden mit dem ›neutralen Sprecher‹, dem ›impliziten Hörer‹, dem ›generalisierten Betrachter‹ sowie mit ›aktivierten Bildern‹ vier Instanzen zu Tage gefördert, die die Texte erzeugen, miteinander verzahnen und mit deren Hilfe sie dafür Sorge tragen, dass ihre Rezipienten sich die in den Audioguides vermittelten Bildbetrachtungen aneignen und sie ungeachtet ihrer eigenen, subjektiven Zugänge zu den Bildern nachvollziehen. (Kapitel 8). Das vorletzte Kapitel verfolgt schließlich die Frage, wie die Audioguides die Bilder jenseits ihrer visuellen Gestalt fortschreiben und
1. Einleitung
in ihre Kontexte einbetten, ja mitunter geradezu darin auflösen; wie sie in diesem Zuge die Bedeutung und Relevanz der Bilder als Kunstwerke etablieren und zur Erzeugung und Tradierung sprachlich sowie visuell verfasster Wissensbestände beitragen (Kapitel 9). Das Buch schließt mit einem Resümee, welches den Ertrag der Untersuchung sowie das allgemeinere Erkenntnispotenzial, welches dieser Gegenstand birgt, noch einmal zusammenfasst (Kapitel 10). Nachdem die Audioguides in ihrer Existenz und ihrem So-Sein unmittelbar mit den von ihnen behandelten Bildern verbunden und auf sie bezogen sind, werden diese in der Mitte des Buches gezeigt: Sie stehen den Texten als unbestechliche Referenten gegenüber – mal störrisch und widerspenstig, mal kokett und verführerisch oder rätselhaft und irritierend – und bilden jene Korrektive, vor denen die Texte sich zu bewähren haben. Während in diesem Buch untersucht wird, wie die Audioguides ihnen begegnen und wie sie sich ihnen auf ihre Weise nähern, dürfen (und müssen!) die Bilder hier für sich selbst sprechen, sind sie in ihrer spezifischen Visualität, ihrer Farbigkeit und in ihrer Formenvielfalt doch letztlich nicht mit sprachlichen Mitteln einzuholen oder zu ersetzen. So, wie es den Besuchern 2 der Ausstellungen selbst überlassen bleibt, Bilder und Audio-Informationen in Beziehung zueinander zu setzen, sei es also auch den Lesern dieses Buches anheimgestellt, ihre Lektüre durch eine eigene Betrachtung der Bilder anzureichern – oder darauf zu verzichten.
2 | Zugunsten der Lesbarkeit dieses Buches werden die männlichen Formen als generisches Maskulinum und somit neutral verwendet.
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2. Schweigende Bilder
Wie in vielen geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen rücken Bilder seit einiger Zeit auch in der Soziologie ins Zentrum wissenschaftlicher Analyse und Reflexion: Nachdem sich Klassiker der Disziplin wie Georg Simmel (1908), Arnold Gehlen (1965) oder auch Erving Goffman (1959, 1979) früh mit visuellen Phänomenen beschäftigt haben, ist nun zu beobachten, wie Bilder hier als eigener Forschungsgegenstand entdeckt und systematisch erschlossen werden, und wie sozialwissenschaftliche Methoden der empirischen, qualitativen Bildanalyse im Rahmen einer »Visuellen Soziologie« zunehmend ausgearbeitet und expliziert werden.1 Über Bilder zu sprechen und sie im Zuge ihrer Analyse zu beschreiben, stellt dabei ein wichtiges, aber nicht unproblematisches Verfahren der Forschungspraxis dar: Werden letztlich die Bilder oder nicht lediglich deren Beschreibungen analysiert? Ist es überhaupt möglich, Bilder adäquat mit sprachlichen Mitteln zu erfassen?2 Während die Kunstgeschichte und -wissenschaft seit jeher mit den Eigenheiten des Bildlichen als eines ihrer zentralen Erkenntnisobjekte, und damit auch mit den Möglichkeiten, Grenzen und nicht zuletzt mit praktischen Problemen seiner Beschreibung konfrontiert ist, 3 1 | Im deutschen Sprachraum finden sich erste Konzepte für kultursoziologische Bildanalysen in den 1990er Jahren bei Müller-Doohm (1993, 1997). Des Weiteren sei exemplarisch auf die verschiedenen Ansätze zur sozialwissenschaftlichen Bildanalyse von Englisch (1991), Reichertz (1992), Knorr Cetina (2001), Bohnsack (2005), Peez (2006), Meier (2008) oder auch von Breckner (2010) hingewiesen. 2 | Einen Überblick darüber, wie verschiedene Methoden der sozialwissenschaftlichen Bildanalyse dem Problem der sprachlichen Erfassung von Bildern begegnen, liefert Raab (2008: 102ff.) 3 | Nachdem dem Sprechen und Schreiben über Bilder und der Ekphrasis, einer literarischen, besonders anschaulichen Form der Bildbeschreibung, in der Kunst-
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gerät das Bild in seiner Selbstverständlichkeit nun auch über die disziplinären Grenzen hinweg ins Wanken: Bilder werden inzwischen als schweigsame Referenten des sprachlich verfassten Diskurses erkannt, die in ihrer Visualität über ganz eigene Sinnpotenziale verfügen und als solche mit Mitteln der Sprache nicht unmittelbar erschlossen und eingeholt werden können. Die Frage, was ein Bild sei, wird dabei auf vielfältige und durchaus divergierende Weise beantwortet (vgl. exemplarisch Mitchell 1990; Boehm 2006a; Sachs-Hombach 2006). Dieses Buch verzichtet daher auf eine ontologische Definition des Bildes; es stellt weder seine Zweidimensionalität und seine daraus resultierende spezifische Visualität, 4 noch seine eigentümliche Zeichenhaftigkeit in den Vordergrund. Stattdessen wird hier eine relativ pragmatische Definition bevorzugt: »Bilder« werden im Folgenden jene Artefakte genannt, welche in der Praxis als Bilder bezeichnet werden oder welche als zweidimensionale und visuell wahrnehmbare kommunikative Medien bzw. Äußerungen gebraucht, also produziert und rezipiert werden.5 Statt eigene Aussagen über die Ontologie von Bildern zu treffen, werden daher im weiteren Verlauf dieses Kapitels einschlägige theoretische Positionen zu Bildern, insbesondere zur Entdeckung ihrer visuellen Eigenlogik und ihrer spezifischen epistemischen Qualität (Kapitel 2.1), zum Problem ihrer Versprachlichung (Kapitel 2.2), aber auch zur Praxis ihrer Rezeption (Kapitel 2.3) rekonstruiert – sind diese doch ganz
geschichte und -wissenschaft zentrale Bedeutung als ständig zu lösendes Problem zukommt, wird dies dort immer wieder eingehenden Reflexionen unterzogen, was sich neben dem einschlägigen Sammelband von Boehm und Pfotenhauer (1995) auch bei Rebel (1996), in Meisters kunsthistorischer Diskursgeschichte der Bildbeschreibung (2005) oder in Kases opulenter Untersuchung zur Beschreibung künstlerischer Bilder im 18. Jahrhundert manifestiert (2010). 4 | Auch Max Imdahl betont diese Aspekte von Bildern: »Faktisch ist jedes Bild eine Fläche. Als faktische Fläche unterscheidet es sich von Werken der Plastik wie überhaupt von allem Räumlichen und Körperlichen. Dreidimensionale Gegebenheiten können in beliebig vielen Ansichten gesehen werden. Dagegen legt die Flächengegebenheit eines Bildes die Ansichtigkeit des im Bilde zu Sehenden fest.« (2006: 319) 5 | Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der Bildpragmatik findet sich bei Klaus Sachs-Hombach (2006: 157ff.).
2. Schweigende Bilder
wesentlich an der sozialen Konstruktion und Stabilisierung von Artefakten als Bilder beteiligt.
2.1 D IE E NTDECKUNG DES B ILDES Auf das Schweigen der Bilder und das daraus resultierende Problem, diese im Medium der Sprache zu erfassen, machen nicht zuletzt jene Schriften aufmerksam, die im Zusammenhang mit dem iconic turn bzw. dem pictorial turn und den sich seither etablierenden Bildwissenschaften6 entstanden sind. Diese Mitte der 1990er Jahre von dem Philosophen und Kunsthistoriker Gottfried Boehm (2006b) und dem Literaturwissenschaftler William J.T. Mitchell (2008: 101ff.) ausgerufenen Wenden entdecken das Bild in gewisser Weise neu: Nicht nur das künstlerische Bild, sondern alle erdenklichen Bilder und visuellen Dokumente aus Alltag, Kunst und Wissenschaft geraten nun als solche in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung. Während dabei Boehm mit dem iconic turn eher die epistemische und sinnerzeugende Dimension von Bildern fokussiert, nimmt Mitchell mit dem pictorial turn vor allem den Gebrauch von Bildern im Alltag in den Blick.7 Beiden geht es jedoch entgegen häufiger Missverständnisse keineswegs um die Behauptung einer spezifischen »visuellen Kultur« (vgl. Jenks 1995) oder einer Hegemonie des Bildlichen in der Mo6 | Neben jüngeren Sektionen und Arbeitskreisen verschiedener Fachgesellschaften, die sich aus ihrer disziplinären Perspektive heraus bildwissenschaftlichen Fragestellungen annehmen, haben sich inzwischen zahlreiche Institute, Forschungsprogramme, Lehrstühle oder auch Graduiertenschulen explizit den Bildwissenschaften bzw. der Erforschung visueller Kultur(-en) verschrieben. Tendenzen hin zu einer institutionellen Etablierung eigenständiger Bildwissenschaften im deutschen Sprachraum lassen sich z.B. anhand der 2009 gegründeten Gesellschaft für Interdisziplinäre Bildwissenschaft (GIB) beobachten. 7 | Hintergründe und Motivationen bei der Initiierung dieser beiden Wenden lassen sich in einem Briefwechsel zwischen Boehm und Mitchell zu Beginn des Sammelbandes »Bilderfragen« von Hans Belting (2007) nachvollziehen. Ein Überblick über den iconic turn und den pictorial turn findet sich u.a. bei Bachmann-Medick (2009: 329-380) sowie bei Burda und Maar (2004, 2006). Eine übersichtliche Einführung in die sich derzeit formierenden Bildwissenschaften bieten Schulz (2009) oder auch Sachs-Hombach (2005) und Belting (2007).
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derne, nicht um die Diagnose einer neuartigen »Bilderflut« in der Informationsgesellschaft (vgl. Flusser 2005: 71ff.) und einer visuellen Zeitenwende8 als empirisches Ereignis: »Der Pictorial Turn ist keine Antwort auf irgend etwas. Er ist nur eine Art und Weise, die Frage zu formulieren.« (Mitchell 2008: 120) Im Wesentlichen ist mit diesen beiden Wenden also eine neue Perspektive auf Bilder etabliert: Auch nicht-künstlerische Bilder werden in der Folge nicht mehr als bloße Dokumentationsmedien verstanden, welche Informationen, etwa im Sinne eines Latour’schen »Intermediärs« bzw. »Zwischengliedes« (vgl. Latour 2010: 102ff.), unmittelbar übertragen und somit auch im wissenschaftlichen Diskurs als zuverlässige Quellen für externe Sachverhalte herangezogen werden können. Vielmehr wird diese Vorstellung, dass Bilder einen direkten Zugriff auf das Dargestellte erlauben würden – wie auch der Evidenz-Begriff es suggeriert 9 – nun in Frage gestellt, der Glauben an die Möglichkeit der unmittelbaren Abbildung oder Repräsentation eines Sachverhaltes durch ein Bild gerät in die Krise. Statt eine Identität von Bild und Bedeutung weiterhin vorauszusetzen,10 werden daher nun die spezifischen Sinnpotenziale und der Gebrauch von Bildern in verschiedenen sozialen Kontexten untersucht: Bilder werden zum eigenen Gegenstand erkenntnistheoretischer und erkenntniskritischer Befragung (vgl. Bachmann-Medick 2009: 349). Die Vorstellung, Sprache sei Konstituens unserer Welterfahrung und Voraussetzung für menschliche Erkenntnis, die von Johann Gottfried Herder bereits im 18. Jahrhundert aufgebracht wurde und die im 20. Jahrhundert im Zuge des linguistic turn (vgl. Bergmann 1964: 177; Rorty 1968) ausgehend von der Sprachphilosophie auch die Kultur- und Geisteswissenschaften nachhaltig 8 | Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Konstatierungen einer solchen Zeitenwende ist nachzulesen bei Schade und Wenk (2011: 35ff.). 9 | Etymologisch lässt sich der Evidenz-Begriff auf das unmittelbar Anschauliche, Sichtbare (lt. videre – »sehen«) zurückführen (vgl. Halbfaß 1972: 829-832). Immanuel Kant begreift Evidenz beispielsweise als »anschauende Gewissheit« (Kant 1976: 674). 10 | Silke Wenk führt unter anderem Johann Wolfgang von Goethe, Moses Mendelssohn, Karl Philipp Moritz, Gotthold Ephraim Lessing oder auch Johann Gottfried Herder an, die Bilder als unmittelbar zugängliche, natürliche Zeichen begreifen und die somit von einer Übereinstimmung zwischen Bild und Bedeutung ausgehen (vgl. dies. 1996: 23-32).
2. Schweigende Bilder
beeinflusst hat, ist damit grundlegend in Frage gestellt. »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt« – dieser von Ludwig Wittgenstein prominent formulierte Gedanke (2001: 134) wird nun mit dem Hinweis konfrontiert, dass Bilder sich einer adäquaten sprachlichen Erfassung entziehen und eine Eigenlogik besitzen; dass sie sich also im Vergleich zur Sprache durch ein ganz eigenes Potenzial auszeichnen, Wissen zu vermitteln und Sinn zu erzeugen (vgl. Boehm 2008).11
2.2 D AS P ROBLEM DER B ILDBESCHREIBUNG Erste Überlegungen zum Verhältnis zwischen Sprache und Bild wurden schon lange vor der skizzierten Hinwendung zum Bild angestellt. So macht Dieter Mersch Gotthold Ephraim Lessings »Laokoon: oder die Grenzen der Poesie und Malerei« aus dem Jahr 1766 als erste Schrift aus, in der das Verhältnis von Bild und Sprache systematisch untersucht wird, indem Lessing das räumlich strukturierte, statische Bild der sukzessiv und zeitlich strukturierten Sprache gegenüberstellt (vgl. Mersch 2009: 34) – eine Grunddifferenz, die die Debatten um Sprache und Bild, wie sich zeigen wird, von da an immer wieder in verschiedenen Spielarten durchzieht. Auch in der frühen Wissenssoziologie finden sich bereits Hinweise auf das Problem, Bildliches im Medium der Sprache darzustellen: Karl Mannheim, der als deren Begründer auch die ersten wissenssoziologischen Reflexionen über das Bildverstehen angestellt hat (vgl. Raab 2008: 64ff.), beschreibt die Übersetzung des »Atheoretischen« in das »Theoretische«, also die sprachliche Erfassung des Nichtsprachlichen, Vorreflexiven, ästhetisch Erfahrenen,12 in den 1920er Jahren als ausgesprochen problematische Aufgabe theoretischer Arbeit – stelle sich dabei doch stets das 11 | Wirft Gottfried Boehm die Frage nach genuin bildlicher Sinnerzeugung auch als einer der prominentesten Vertreter dieses Perspektivenwechsels auf, so wird sie dennoch nicht nur in der Kunstgeschichte, sondern auch in anderen Disziplinen aufgegriffen. Jüngere sozial- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema visuelles Wissen und bildliche Logik finden sich unter anderem bei Heintz/Huber (2001), Maasen/Mayerhauser/Renggli (2006), Schnettler/Pötzsch (2007), Raab (2008) und Heßler/Mersch (2009). 12 | Mit dem Atheoretischen spricht Mannheim darüber hinaus auch vom religiös oder ethisch Erfahrenen (vgl. ders. 1964: 99).
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Gefühl ein, dass diese Übersetzung »mit ihren inadäquaten Kategorien das in originärer Einstellung Gegebene verfälscht« (Mannheim 1964: 99). Als oft zitierte Vordenkerin in diesem Zusammenhang ist auch die amerikanische Philosophin Susanne K. Langer zu nennen, die mit ihrer Unterscheidung zwischen diskursiven und präsentativen Formen der Symbolisierung wichtige Denkanstöße bezüglich einer »Wesensverschiedenheit« von Sprache und Bild gegeben hat (Langer 1956: 103).13 Einer der einflussreichsten Wegbereiter für aktuellere Überlegungen zur Differenz zwischen Sprache und Bild ist schließlich der deutsche Kunsthistoriker Max Imdahl. Mit der Entwicklung der Ikonik hat er darauf hingewiesen, dass Bilder mit einer »unmittelbar anschaulichen, das heißt ästhetischen Evidenz« (Imdahl 1980: 97) Sinn zu stiften und zu vermitteln vermögen, und dass sie als solche durch kein anderes Medium ersetzt werden können (vgl. ders. 2006: 300). Imdahl wendet sich damit vom prominenten Bildanalyse-Verfahren Erwin Panofskys ab. Dessen drei analytische Zugänge der vorikonografischen Beschreibung, der ikonografischen Analyse sowie der ikonologischen Interpretation zielen letztlich allesamt auf sprachlich verfasste Sinngehalte außerhalb des Bildlichen ab: Im Zuge der vorikonografischen Beschreibung werden Bilder bzw. Kunstwerke im Hinblick auf dort dargestellte primäre, »natürliche« Gegenstände erfasst – ein gedeckter Tisch, Stühle, menschliche Figuren. Diese werden im Rahmen der ikonografischen Analyse mit sekundären, konventionellen Bedeutungen verknüpft; eine Darstellung mehrerer, in spezifischer Weise um einen gedeckten Tisch angeordneter Personen wird dann beispielsweise als Abendmahlsdarstellung identifiziert. Und schließlich widmet sich die ikonologische Interpretation eines Bildes den 13 | Langer verweist mit diesem Begriffspaar auf die verschiedenen Bedeutungspotenziale unterschiedlicher medialer Formen: »Visuelle Formen – Linien, Farben, Proportionen usw. – sind ebenso der Artikulation, d.h. der komplexen Kombination fähig wie Wörter. Aber die Gesetze, die diese Art von Artikulation regieren, sind von denen der Syntax, die die Sprache regieren, grundverschieden. Der radikalste Unterschied ist der, dass visuelle Formen nicht diskursiv sind. Sie bieten ihre Bestandteile nicht nacheinander, sondern gleichzeitig dar, weshalb die Beziehungen, die eine visuelle Struktur bestimmen, in einem Akt des Sehens erfasst werden.« (Langer 1965: 99) Und weiter: »Wir wollen diese Art von Semantik ›präsentativen Symbolismus‹ nennen, um seine Wesensverschiedenheit vom diskursiven Symbolismus, das heißt von der eigentlichen ›Sprache‹ zu charakterisieren.« (Ebd.: 103)
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darin zum Ausdruck gebrachten Grundhaltungen und »symbolischen Werten«, indem etwa die Abendmahlsdarstellung als Ausdruck religiöser Frömmigkeit, als popkulturelle Provokation o.Ä. gedeutet wird (vgl. Panofsky 1975; 1998). Imdahl hält diesen Zugang zwar für »unverzichtbar« (2006: 308), nicht aber für hinreichend, um den eigenen Sinngehalt von Bildern zu erschließen. Ihm zufolge zieht »Panofskys Interpretationsmethode die Stimmung oder den ersten anschaulichen Charakter des Bildes wie überhaupt alle Erfahrungen eines sehenden, nicht nur Gegenstände identifizierenden Sehens nicht in Betracht« (Imdahl 1980: 102).14 Anders als Panofsky hält Imdahl die Visualität eines Bildes, also seine formale Komposition, die Linienführung oder Relationen zwischen Farben und Formen, auch im Hinblick auf dessen inhaltliche Sinnzusammenhänge für relevant. Zwar – und hier deutet sich bereits das komplexe Wechselverhältnis an, das Imdahl bezüglich Bild und Sprache entfaltet – geht er davon aus, dass ein Bild sich stets auf Texte oder sprachliche Überlieferungen bezieht. Unabhängig davon sieht er jedoch keine Möglichkeit, die ikonischen, immanenten Sinnstrukturen eines Bildes in Sprache zu übersetzen, wie er am Beispiel ottonischer Miniaturen erläutert: »Einerseits ist die Sprache als Narration dem Bild vorgegeben, andererseits ist das Bild die Vorgabe sprachlicher – unvermeidlicherweise sprachlicher – Interpretation. Was indessen das Bild als solches ist, widersetzt sich aller sprachlichen Substitution. Denn wie sich das Bild in der Evidenz einer hochkomplexen szenischen Simultaneität von den narrativen Evangelientexten unterscheidet, so ist es auch von seiner notwendig sprachlichen Interpretation nicht einzuholen, was immer diese zum Bildverständnis beiträgt. Als ein originaliter auftretender Sachverhalt selbst aber ist jene anschaulich gegebene szenische Simultaneität sprachlich nicht herstellbar.« (Imdahl 2006: 319)
14 | Gottfried Boehm kommentiert Imdahls Kritik an Panofsky mit einer Metapher, die dem Leser dieses Buches im Zusammenhang mit dem Textverständnis der Ethnomethodologie (Kapitel 5.2) noch einmal begegnen wird: Demnach würde das Bild von Panofsky »auf seinen Wissensgehalt reduziert, wie eine Glasscheibe behandelt, die ihrer Bestimmung um so mehr entspricht, als sie selbst unsichtbar, den Blick hindurch (auf den externen Sachgehalt) gestattet« (Boehm 1996: 31; Hervorhebung im Original).
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Die spezifische raum-zeitliche Strukturierung des Bildes im Vergleich zur Sprache, die, wie gesehen, in ähnlicher Form bereits Lessing beobachtet hat, wird von Imdahl stark hervorgehoben. Das Bild kann demnach vor allem aufgrund seiner Simultaneität nicht angemessen mithilfe der sukzessive bzw. sequenziell organisierten Sprache erfasst werden: Während alle Elemente des Bildes gleichzeitig präsent sind, müssen sie im Zuge seiner sprachlichen Beschreibung stets einzeln benannt, in eine bestimmte Reihenfolge gebracht und narrativiert werden. Dass der Forscher zur Ergründung dieser Spezifika von Bildern wiederum auf das Medium der Sprache angewiesen ist, erkennt Imdahl dabei als notwendigen und nicht aufzulösenden Umstand: »Was sie [die untersuchte Miniatur, K.P.] aber als hochkomplexe szenische Simultaneität zur unmittelbaren Anschauung vergegenwärtigt, ist im Medium der Sprache weder als empirische Tatsache zu beschreiben noch auch als imaginierte Vorstellung zu erzeugen. Andererseits ist der Nachweis ebendieses Sachverhaltes selbst ein Akt der Sprache […].« (2006: 319)
Imdahls Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Sprache und Bild spiegelt sich daneben auch in seiner Auseinandersetzung mit der Bildwahrnehmung, namentlich in seiner Unterscheidung zwischen dem wiedererkennenden und dem sehenden Sehen (vgl. 1996: 304ff.) wider, die er unter Rückgriff auf Panofskys bzw. Konrad Fiedlers Begrifflichkeiten geprägt hat, um zwei verschiedene Dimensionen der Bildwahrnehmung begrifflich zu fassen. So versteht er unter dem »sehenden Sehen« die Wahrnehmung eines Bildes als autonomes, sprachfernes Sehen, welches alleine die optische, formale Bildkomposition und die immanente Evidenz des Bildes betrifft. Mit dem »wiedererkennenden Sehen« begreift er dagegen das Erkennen eines im Bild dargestellten Gegenstandes, wobei eine Idee von diesem Gegenstand nicht erst ad hoc angesichts des Bildes entwickelt wird, sondern ein »im Sehenden schon vorgefaßte[s] Konzept dieses Gegenstandes optisch eingelöst wird« (ebd.: 304). In der Praxis sind wiedererkennendes und sehendes Sehen allerdings nicht voneinander zu trennen, sondern sie bilden eine Synthese, für die Imdahls Ikonik sich in besonderem Maße interessiert.15 15 | »[Die Ikonik] befasst sich mit der Synthese von sehendem und wiedererkennendem Sehen als der Stiftung eines sehr besonderen und sonst nicht formulier-
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Auch Gottfried Boehm, der sich mit seinem Werk stark auf Imdahl, aber auch auf phänomenologische und hermeneutische Theorietraditionen bezieht, setzt sich intensiv mit dem spezifischen ›Logos‹ des Bildlichen auseinander. So »dürfen wir nicht hoffen, die Muster ikonischen Sinnes bereits in Formen der lingualen Sprache, in Zeichen- und Symbolsystemen aus- und vorgebildet zu finden« (Boehm 2007: 78). Vielmehr betont auch Boehm die Eigenheiten des Bildlichen und macht in der ikonischen Differenz den »Geburtsort jedes bildlichen Sinnes« (2006b: 30) aus. Anders als der Begriff zunächst vermuten lässt, bezeichnet die ikonische Differenz weniger eine einzelne, diskrete Differenz, sondern in Boehms Schriften lässt sich ein ganzes Bündel verschiedener Differenzen beobachten, die er unter diesem Begriff behandelt und die er als konstitutiv für die bildliche Sinnerzeugung beschreibt.16 So thematisiert Boehm mit dem Begriff die Abgrenzung der in sich geschlossenen, künstlich erzeugten bildlichen Darstellung von der übrigen, unabgeschlossenen und diskontinuierlichen Wirklichkeit außerhalb des Bildes17 ebenso wie den Kontrast zwischen Gesamtbild und einzelnen Bildelementen: »Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem, was sie an Binnenereigbaren Sinngehalts und untersucht, wie im Bilde Semantik und Syntax zusammenwirken.« (Imdahl 1980: 99) Auf die Einheit einer ähnlichen Differenz weist auch Niklas Luhmann hin, wenn er das Zusammenspiel von Überraschung und Wiedererkennen bei der Wahrnehmung von Kunst thematisiert: Wahrnehmung »ermöglicht in einer Weise, die durch kein Denken und keine Kommunikation einzuholen ist, eine gleichzeitige Präsenz von Überraschung und Wiedererkennen. Wahrnehmungsmöglichkeiten nutzend, kann die Kunst die Einheit dieser Unterscheidung präsentieren; oder anders gesagt: das Beobachten zwischen Überraschung und Wiedererkennen oszillieren lassen [...]« (1997: 228; Hervorhebungen im Original). 16 | Jürgen Raab identifiziert etwa drei verschiedene Reflexionslinien, die Boehms Begriff umfasst (vgl. Raab 2008: 47ff.). 17 | Dem »Beweglichen und Offenen, dem Zufälligen und Subjektiven des nichtmedialen empirischen Alltagssehens« steht damit eine künstliche, »zum Binnenereignis fixierte, vom Auge her und zum Auge hin überschaubar gestaltete Bildfläche mit ihrer sinngenerierenden und sinnverdichtenden systemischen Qualität kontrastiv entgegen.« (Raab 2008: 47)
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nissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler [bzw. dem Produzenten des Bildes, K.P.] auf irgendeine Weise optimiert.« (Boehm 2006b: 30)
Der Betrachter ist dabei konfrontiert mit der simultanen Wahrnehmung des Bildes als Ganzes und der sukzessiven Erschließung seiner einzelnen Elemente und formalen Bestimmungen – aber auch, und hier eröffnet sich eine weitere Dimension der ikonischen Differenz, mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem im Bild Bestimmten und einem ihm zugrundeliegenden unsichtbaren Möglichkeitsraum.18 Erst vor diesem Hintergrund wird den sichtbaren Bestimmungen im Akt des Betrachtens Bedeutung verliehen, werden zugleich aber auch unerschöpfliche Bedeutungsüberschüsse mit transportiert: Alles lässt sich immer auch anders sehen (vgl. Boehm 2008: 46ff.). Die Erschließung eines Bildes gestaltet sich damit als nicht abschließbarer, oszillierender Akt des ›Zusammensehens‹, in dem sich das Bild als solches erst realisiert und in dessen Zuge Abwesendes, nicht im Bild Materialisiertes, sichtbar gemacht wird: »[Die ikonische Differenz] begründet die Möglichkeit, das eine im Lichte des anderen und wenig Striche beispielsweise als eine Figur zu sehen.« (Ebd.: 37; Hervorhebungen im Original) Nicht zuletzt aus dieser Beobachtung heraus markiert Boehm mit der ikonischen Differenz auch die grundsätzliche Inkommensurabilität von Sprache und Bild: »Mit dem Unbestimmten, dem Potenziellen, Abwesenden oder Nichtigen tut sie [die prädikative Logik der Sprache, K.P.] sich schwer. ›Nichts‹ hat keine Prädikate. Aber ohne die starke Kraft des Mannigfaltigen, des Vieldeutigen, Sinnlichen und Mehrwertigen lässt sich über Bilder nicht wirklich nachdenken.« (Boehm 2008: 47)
Das Bildliche ist Boehm zufolge also als eigenständiges Symbolsystem aufzufassen, es erweist sich gegenüber der Sprache als widerspenstig und verwehrt sich seiner adäquaten Beschreibung:
18 | Boehm nimmt hier Bezug auf Husserls Begriff des »Horizontes« (Boehm 2008: 45ff.).
2. Schweigende Bilder
»Die Beschreibung muß mehr leisten, als die dem Bild impliziten Sprachgehalte zu reverbalisieren. Sie hat es mit einem visuellen Feld zu tun, mit einer Fülle von Zeichen, die ebensosehr nacheinander wie zugleich wahrgenommen werden sollen.« (Boehm 1995: 30)
Insbesondere (aber nicht nur) für Bilder der modernen, abstrakten Kunst konstatiert Boehm ein Problem, sie angemessen zu beschreiben, da dort große Anstrengungen unternommen werden, »literarische Bedeutungsfracht zugunsten rein visueller, rein bildnerischer Werke abzutragen« (Boehm 1995: 36) – Imdahls wiedererkennendes, leichter zu versprachlichendes Sehen stößt dort in besonderem Maße an seine Grenzen.19 Doch obwohl das Bild nach Boehm kein stabiles Äquivalent in der Sprache finden kann, hebt auch er das Potenzial der Sprache bei der Erschließung von Bildern hervor: So hält er Sprache für fähig, »die Elemente, die Ausgangsbedingungen, die Tempi, die Rhythmen und Richtungen zu kennzeichnen, die sich für den Betrachter des Bildes ergeben, auch die semantisch faßbaren Momente vermag sie zu benennen.« (Ebd.: 27)20 Nicht zuletzt sensibilisiert somit auch er für die Sprachabhängigkeit aller wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Bildern; die sprachliche Erfassung eines visuellen Phänomens markiert er als »Nadelöhr«, welches solche Arbeiten stets passieren müssen: »Erst in ihrem Lichte läßt sich die erforderliche Präzision erzielen und eine Verständigung, die das Wahrscheinliche vom Inplausiblen zu unterscheiden vermag.« (Ebd.: 25) Sowohl Max Imdahl als auch Gottfried Boehm beschreiben das Verhältnis zwischen Bild und Sprache also als weitaus komplexer, als es ihre 19 | Wie in Kapitel 3.2 noch zu sehen sein wird, konstatiert Arnold Gehlen aus einer ganz ähnlichen Beobachtung heraus gerade für Bilder der modernen Kunst einen umso stärkeren Bedarf an sprachlicher Kommentierung, ja gewissermaßen an Substituierung der diesen Bildern fehlenden sprachlichen Sinngehalte durch entsprechende, das Kunstwerk als solches vervollständigende Kommentare. 20 | Insbesondere der Deixis, dem Zeigen, misst Boehm sowohl im Bezug auf die Sprache als auch auf Bilder besondere Bedeutung zu. So hält er es für plausibel, »daß, global gesprochen, die Konvergenz von Bild und Wort auf dem Zeigen basiert, die Bildbeschreibung dann gelingt, wenn sie das zuwege bringt, was das Bild im Kern auszeichnet: Ungesehenes sichtbar zu machen, es für das Auge herauszuheben, es zu zeigen.« (1995: 39)
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Hinweise auf Bild und Sprache als zwei eigenlogische, inkommensurable Sinnsysteme, die einen viel beachteten Tenor ihrer Schriften bilden, zunächst suggerieren. Die theoretisch von ihnen herausgearbeiteten qualitativen Differenzen werden permanent von ihren Beobachtungen aus der Praxis durchkreuzt, in deren Fokus die enge Verflechtung von bildlich und sprachlich generiertem bzw. tradiertem Sinn steht: Sei es, dass Imdahl auf die Bildern mitunter zugrundeliegenden sprachlichen Narrationen aufmerksam macht, dass er auf jene Synthese hinweist, die wiedererkennendes und sehendes Sehen in der Praxis bilden, oder sei es, dass sowohl er als auch Boehm betonen, wie sehr selbst die Erkenntnis über eine bildliche Eigenlogik sich noch im Medium der Sprache vollzieht und sich erst so einen Weg in den wissenschaftlichen Diskurs bahnt. Das theoretisch formulierte Problem einer adäquaten Bildbeschreibung wird daher im Folgenden aufgegriffen und empirisch gewendet: Wie wird es im Zuge des Sprechens über Bilder – genauer: über Bilder, die als Kunstwerke ausgewiesen sind – praktisch gelöst? Wie werden Bilder in der Praxis mit Mitteln der Sprache beschrieben, als sinnhaft erschlossen und gedeutet? Unabhängig davon, dass der sprachliche Zugriff auf Bilder somit im analytischen Fokus dieses Buches steht, soll die Eigenlogik und die Schweigsamkeit des Bildes keineswegs in Frage gestellt werden. Vielmehr wird das Verhältnis zwischen Texten und Bildern hier als komplementärer Verweisungszusammenhang verstanden; etwa im Sinne von Mitchells Konzept des »Bild-Textes« (2008: 145) oder auch angelehnt an Überlegungen von Susanne K. Langer, die nicht streng zwischen Bildlichem und Sprachlichem unterscheidet, sondern die Verwobenheit der oben angesprochenen diskursiven und präsentativen Formen der Symbolisierung in »Sinngeweben« betont (Langer 1965: 274f.).
2.3 S EHEN ALS SOZIOKULTURELLE P R A XIS Die soeben rekonstruierten Überlegungen markieren ein für diese Untersuchung ganz wesentliches Grundproblem: Bilder können demnach immer auch anders, aber nie unmittelbar, vollständig und adäquat sprachlich erfasst werden. Sie eröffnen ihrer Rezeption und sprachlichen Erschließung Möglichkeitsräume, doch schon aufgrund der unterschiedlichen Logiken und Organisationsformen von Sprache und Bild realisiert
2. Schweigende Bilder
die Beschreibung von Bildern immer nur je eine von vielen dieser Möglichen. Sie ist stets kontingent – aber deshalb lange nicht beliebig. So bleibt das Bild stets als Referent und als Korrektiv präsent, an dem seine Rezeption sich wieder und wieder zu bewähren hat: Eine Farbe könnte etwa unter gleichbleibenden Lichtverhältnissen mal als blau, mal als graugrün, aber nur schwerlich als grellrot erfasst werden,21 ein Bildelement mag als menschliche Figur ebenso wie als Baum in der Ferne, unter Umständen aber keineswegs als Teetasse interpretiert werden. Die Rezeption eines Bildes und daraus erwachsende sprachliche Annäherungen sind jedoch auch insofern nicht beliebig, als sie historisch veränderlichen, kulturell und sozial geprägten Gewohnheiten und Praktiken des Sehens unterliegen; einer erworbenen »Visual Literacy« (vgl. Elkins 2008), welche auch gewährleistet, dass Kommunikation über das Bild im Medium der Sprache nicht permanent abbrechen und scheitern muss, sondern dass Bildelemente in der Praxis in ähnlichen Kontexten doch häufig auch in ähnlicher Weise identifiziert, voneinander abgegrenzt und mit vergleichbaren Bedeutungspotenzialen ausgestattet werden. So führt Ludwik Fleck das spezifische »Gestaltsehen«, also die visuelle Wahrnehmung von Ganzheiten und deren Identifikation als etwas – vergleichbar mit dem wiedererkennenden Sehen nach Imdahl (vgl. Kapitel 2.2) –, auf historisch gewachsene Kollektive zurück, die einen »gemeinschaftlichen Denkstil« (Fleck 1983: 167) entwickelt haben: »Wir schauen mit den eigenen Augen, wir sehen mit den Augen des Kollektivs.« (Ebd.: 154) Eines der prominentesten soziologischen Theorieangebote liefert in diesem Zusammenhang Pierre Bourdieu mit seinem praxeologischen Konzept der Habitusformen.22 Er begreift diese als relativ stabile, im Zuge der Sozialisation klassen- und feldspezifisch verinnerlichte Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata (vgl. bspw. Bourdieu 1982: 277ff.; ders. 1993a: 101) – als »Körper gewordenes Soziales« (Bourdieu/ Wacquant 1996: 161), welches instinktiv und vorreflexiv auch bei der Bild21 | Dies gilt allerdings nur, wenn man vom Fall eines farbenblinden Betrachters absieht. 22 | Der Habitus-Begriff wird nicht erst von Bourdieu eingeführt, sondern er taucht zuvor bereits bei zahlreichen anderen Autoren auf: Bourdieu nimmt damit u.a. auf Aristoteles, Blaise Pascal, Marcel Mauss, Émile Durkheim oder auch Edmund Husserl, und – z.B. in seinem Text »Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung« (1974) – insbesondere auch auf Erwin Panofsky Bezug.
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wahrnehmung zum Tragen kommt.23 Aber auch die neueren Kulturwissenschaften bzw. die »Visual Culture Studies« im angelsächsischen Raum widmen sich unter anderem den kulturspezifischen Praktiken des Sehens und Interpretierens von Bildern. Sie fragen dabei insbesondere »nach darin eingeschlossenen Effekten von Autorität, Macht und Begehren in der Konstitution von Relationen zwischen Individuen und Gemeinschaften« (Schade/Wenk 2011: 9). Bilder bleiben damit nicht nur insofern stumm, als sie sich in ihrer Visualität dem sprachlichen Zugriff systematisch verweigern. Sie tun dies auch noch in einem zweiten Sinn: Zwar treten sie ihren Rezipienten als widerständige Referenten gegenüber, an denen diese sich im Zuge ihrer Betrachtung abarbeiten müssen – wie sie jedoch genau zu erschließen und zu deuten sind, auch darüber schweigen sie sich beharrlich aus: Letztlich geben sie keine klare Auskunft darüber, wie sie anzuschauen und zu verstehen sind. Stattdessen bleibt es den historisch, kulturell und sozial situierten Akteuren in der Praxis überantwortet, wie – und als was – sie die Bilder rezipieren und verwirklichen: »Die Wahrheit in den Bildern ist Verhandlungssache.« (Wyss 2006: 9)
23 | Die Bedeutung des Bourdieu’schen Habitus für die Bildrezeption haben u.a. Burkhard Michel (2006) und Regula Valérie Burri (2008) untersucht.
3. Vom Bild zum Kunstwerk
Noch viel stärker als in der Frage nach dem Bildlichen kann es auch im Hinblick auf Kunst kaum mehr um eine ontologische Bestimmung des Gegenstandsbereichs gehen. Kunstwerke nehmen rein äußerlich die vielfältigsten Gestalten an und unterscheiden sich in ihrer Phänomenologie, ihrer visuellen Anmutung und materiellen Beschaffenheit längst nicht mehr zwingend von anderen Artefakten – sei es von Kinderzeichnungen, Werbeplakaten oder von Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs. Hinzu kommt, dass die autonomisierte Kunst der Moderne ihre eigenen Grenzen permanent verschiebt und zur Debatte stellt. Sie lässt sich nicht durch formale, stilistische Kriterien einhegen, sondern verhandelt die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst potenziell mit jedem Werk von Neuem, was Luhmann systemtheoretisch mit seinem Hinweis auf die Selbstprogrammierung jedes einzelnen Kunstwerks begründet (vgl. ders. 1997b: 328ff.). Insbesondere in der modernen Kunst beobachtet er ein »Originalitätspostulat« (2008a: 157); das ständige Gebot, Neues und Abweichendes zu schaffen, was so lange erprobt und verstärkt wird, bis es sich vollends normalisiert hat, und was es spätestens dann erneut zu revolutionieren gilt (vgl. ebd.: 177f.): Was gestern noch als avantgardistisches Kunstwerk galt und sich nur dem Kennerblick als solches erschloss, würde heute, schüfe man es noch einmal, allenfalls als Kitsch verrufen. Wer oder was macht also ein Bild zum Kunstwerk? Wer verleiht ihm seine eigentümliche, heute so fragile Aura1, was macht ein Kunstwerk aus? 1 | Mit dem Begriff der »Aura« fasst Walter Benjamin jene Ausstrahlung des Einmaligen, Authentischen, Kostbaren und ewig Unnahbaren, welche er bei bürgerlichen Kunstwerken beobachtet, und die er angesichts der Möglichkeiten moderner, technischer Reproduktion der Gefahr ausgesetzt sieht, zu verkümmern (vgl. ders. 1989: 353).
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3.1 W AS IST EIN K UNST WERK ? ›Kunst ist, was ein Künstler macht‹,2 so antwortet die Institutionentheorie der Kunst mit Ihren Hauptvertretern Arthur Danto und George Dickie seit den 1970er Jahren auf diese Frage – und meint mit dem Künstler keineswegs ein autarkes Genie, sondern jenen, der mit seinem Schaffen gesellschaftlich als Künstler anerkannt wird (vgl. Dickie 1974: 38). Die Institutionentheorie verweist damit auf den Kunstwerken äußerliche, institutionell definierte Kriterien, deren Erfüllung den Kunst-Status eines Artefakts begründet: »[G]erade so, wie wenn jemand allein deswegen ein Ehegatte ist, weil er bestimmten institutionell definierten Bedingungen genügt, selbst wenn er äußerlich vielleicht gar nicht anders erscheint als irgendein anderer Mann, so ist etwas ein Kunstwerk, wenn es bestimmte institutionell festgelegte Bedingungen erfüllt, auch wenn es äußerlich nicht anders aussehen mag als ein Objekt, das […] kein Kunstwerk ist.« (Danto 1991: 56, zitiert nach Danko 2012: 43)
Die Nähe dieser Überlegungen aus der Kunstgeschichte und -philosophie zu den wohl wichtigsten jüngeren Zugängen der Kunstsoziologie3 ist groß: Auch sie verhandeln Kunst und die von ihr hervorgebrachten Werke zumeist, ganz dem Sozialkonstruktivismus4 verpflichtet, als Ergebnis gesellschaftlicher, institutioneller, interaktiver bzw. kommunikativer Prozesse. Schwietring etwa präsentiert in einer kurzen Überblicksdarstellung die folgende, »typisch soziologische Antwort auf die Frage ›Was ist Kunst?‹: Kunst ist, was dafür gehalten wird. Kunst ist keine Eigenschaft eines Werkes und keine Leistung eines
2 | Diese Formulierung ist angelehnt an die Ausführungen von Schweppenhäuser (2007: 302). 3 | Einen Überblick zu den Themen und Positionen der Kunstsoziologie liefern Schwietring (2010), Danko (2012) sowie das entsprechende Themenheft der »Sociologia Internationalis« (Danko/Glauser 2012). 4 | Aufgrund seines großen Einflusses und seiner Bekanntheit beinahe überflüssig anzumerken ist hier der erstmals 1966 erschienene, richtungsweisende Text von Berger und Luckmann (2007).
3. Vom Bild zum Kunstwerk
individuellen Künstlers, sondern sie entsteht durch die sozialen Reaktions- und Umgangsweisen mit einem Sachverhalt.« (2010: 227)
So begreift Pierre Bourdieu das Kunstwerk ausgehend von seinem akteurs- und feldtheoretischen Zugang als Einsatz im Kampf um feldspezifisches Kapital – in einem Feld der Kunst, welches sich permanent revolutioniert und dessen Regeln seitens der jeweiligen Avantgarden mithilfe neuer Werke immer wieder in Frage gestellt und neu ausgefochten werden (vgl. ders. 1993b, 2001). Er benennt Kunstkritik, Kunstmarkt und Ausstellungswesen als jene drei Instanzen, in deren Zusammenwirken die Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst getroffen und die Konsekration, gewissermaßen die Weihung, eine quasi-religiöse Überhöhung und symbolische Transformation von Artefakten zu Kunst, vollzogen wird: Der Kunstmarkt gewährt die Selektion und den Verkauf der Werke, Kunstkritik sichert ihre Beurteilung sowie die Legitimation ihres Kunststatus, während Museen und Ausstellungen in erster Linie die Bewahrung und Publikation der Werke übernehmen (vgl. Bourdieu 2001: 270ff.; Zahner 2006: 83ff.).5 Dabei »gewinnt das Kunstwerk – wie religiöse Güter oder Dienstleistungen, Amulette, diverse Sakramente – nur Wert durch einen kollektiven Glauben als kollektiv produzierte und reproduzierte kollektive Verkennung« (Bourdieu 2001: 277). In eine ähnliche Richtung, allerdings ohne die Bedeutung von Herrschaftsverhältnissen und Kämpfen um Deutungshoheit für die KunstProduktion in diesem Maße herauszustellen, argumentiert Howard S. Becker, der den »Production-of-culture«-Ansatz entscheidend mitgeprägt hat. Das eigentliche Kunstwerk versteht er als fundamental unbestimmt, und Kunst als Ergebnis kollektiven Handelns von Künstlern und NichtKünstlern – etwa von Kunstkritikern, Händlern, Galeristen, aber auch Museumsbesuchern, Wachleuten usw. –, welche in, so auch der Titel seines zentralen Werks zu diesem Thema, Art Worlds vernetzt sind und die Werke kooperativ hervorbringen (vgl. Becker 1997, 2006, 2008). 5 | Bourdieu hat hier in erster Linie die Kunst Ende des 19. bis Anfang-Mitte des 20. Jahrhunderts vor Augen. Zahner ergänzt die von Bourdieu angeführten Instanzen für die Kunst ab der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts angesichts von Pop Art, postmodernen Kunstströmungen und den veränderten Verhältnissen zwischen künstlerischen Avantgarden und Populär- bzw. Massenkultur unter anderem durch Massenmedien und private Kunstsammler (vgl. Zahner 2006: 277ff.).
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Ganz anders gelagert ist dagegen die Perspektive von Niklas Luhmann, der Kunst als autonomes Funktionssystem der modernen Gesellschaft begreift und Kunstwerke nicht von den Akteuren her, sondern kommunikationstheoretisch denkt. Das Werk stellt sich hier als Kommunikationsofferte und Mitteilungsform im Kunstsystem dar.6 Mittels des Werkes kann nicht nur über, sondern auch durch Kunst kommuniziert werden (vgl. Luhmann 1997a: 33). Dabei operiert es vor allem selbstreferenziell: Es verweist weniger auf ihm äußerliche Referenten, als es sich selbst in seiner Erscheinungsform mitteilt, Wahrnehmung irritiert und auf deren Verhältnis zu Kommunikation aufmerksam macht (vgl. ebd.: 42). Während Luhmanns Systemtheorie das eigentliche Kunstwerk also viel stärker in den Blick nimmt, als es bei Bourdieu oder dem Productionof-culture-Ansatz der Fall ist, begreift doch auch sie das Werk als soziales Konstrukt: Letztlich bedeuten künstlerische Operationen immer Kommunikation sowie die wechselseitige Beobachtung von Künstler und Rezipient, Alter und Ego. Das Kunstwerk, in welches sich diese Operationen einschreiben, wird damit kommunikativ erzeugt – es geht aus Sozialem hervor (vgl. Luhmann 2008b: 420).7 Ihr Kunst-Status ist den Werken also, hierauf können sich alle vorgestellten Ansätze trotz ihrer Differenzen einigen, keineswegs inhärent. Vielmehr ist er als Ergebnis sozialer und kommunikativer Aushandlungsprozesse zu begreifen, in deren Zusammenhang Artefakte in institutionalisierte Handlungs- und Diskursfelder der Kunst eingebunden und zu künstlerischen Werken erhoben werden.8 6 | Der Kommunikations-Begriff wird in dieser Untersuchung im Sinne Luhmanns als Ergebnis einer »Synthese von drei verschiedenen Selektionen – nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Mißverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information« (1995: 115) gebraucht. 7 | Eine ausführliche systemtheoretische Auseinandersetzung mit Kunst als sozialem Konstrukt findet sich bei Huber (2007). 8 | Unabhängig davon, dass dieser sozialkonstruktivistische Zugang sich in der aktuellen Kunstsoziologie weitgehend durchgesetzt hat, gerät das eigentliche künstlerische Werk hierbei nicht zwingend aus dem Blick. Auch jenseits der Systemtheorie ist die Kunstsoziologie zunehmend im Begriff, es als eigenen Gegenstand für sich wieder zu entdecken: Ausgehend von Debatten in der französischen Kunstsoziologie und inspiriert von der Akteur-Netzwerk-Theorie, die sich für eine
3. Vom Bild zum Kunstwerk
3.2 K UNST -K OMMENTARE Wie eben gesehen, unterscheidet Luhmann Kommunikation durch Kunst von Kommunikation über Kunst und widmet sich selbst vornehmlich der Ersteren als eigene gesellschaftliche Operation.9 Unter den kunstsoziologischen Antworten auf die Frage, was Kunstwerke als solche ausmacht, finden sich jedoch auch solche, die einer Kommentierung künstlerischer Werke im Medium der Sprache, beispielsweise in Form von rahmenden verbalen Elementen, Kommentarliteratur oder Kunstkritik, und damit der Kommunikation über Kunst besondere Bedeutung beimessen. Nachdem schon Walter Benjamin beobachtet hat, dass die Kritik eines künstlerischen Werkes bereits in der Romantik »als Methode seiner Vollendung« erkannt wurde, die nach Novalis sogar über das eigentliche Kunstwerk hinausgeht und es idealisiert (Benjamin 2008: 74ff.), hat Arnold Gehlen in seinem kunstsoziologischen Werk »Zeit-Bilder« eine der heute wohl bekanntesten und gewissermaßen auch eine der radikalsten Positionen in diesem Zusammenhang ausformuliert. Nach seiner These der Kommentarbedürftigkeit moderner Kunst (vgl. ders. 1965: 162ff.) ist die sprachliche Kommentierung von Kunstwerken nicht als nachträgliche Ergänzung, sondern als elementarer und konstitutiver Bestandteil der Werke zu betrachten. Diese These stellt eine wichtige theoretische Inspiration für diese Untersuchung dar und wird daher im Folgenden etwas ausführlicher rekonstruiert. Gehlens Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt bei der Beobachtung dreier großer historischer Etappen in der Geschichte der Malerei, die er durch jeweils vorherrschende »Bildrationalitäten« abgrenzt und deren Abfolge er als jahrhundertelangen »Reduktionsprozess des BildBerücksichtigung nicht-menschlicher Akteure bei der Untersuchung sozialer bzw. kollektiver Phänomene ausspricht (vgl. Hennion/Latour 1993; Belliger/Krieger 2006; Latour 2010 u.a.), befragt sie es etwa im Hinblick darauf, inwiefern das Werk als Aktant auf menschliche Akteure zurückwirkt und ringt um entsprechende theoretische, methodologische und methodische Zugriffe (vgl. Danko 2012: 112ff.). 9 | Nachdem freilich auch durch Kunst über Kunst kommuniziert werden kann, indem mit einem Kunstwerk auf ein anderes geantwortet und somit kommunikativ daran angeschlossen wird, können Kommunikation durch Kunst und Kommunikation über Kunst in der Praxis mitunter zusammenfallen.
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gehaltes« begreift (ebd.: 14ff.). Als erste dieser drei Etappen identifiziert Gehlen die »Ideelle Kunst der Vergegenwärtigung«, deren Werke stets auf Konnotationen basieren und deren Kenntnis voraussetzen.10 Sie repräsentieren und veranschaulichen geltende moralische, religiöse oder mythische Vorstellungen und tragen damit zu deren Erhaltung im Bewusstsein der Menschen bei. Gehlen ordnet sie im Wesentlichen der Feudalgesellschaft zu, erkennt mit der Historienmalerei jedoch Ausläufer, die bis in das 19. Jahrhundert reichen. Die nächste von Gehlen ausgemachte Etappe der »Realistischen Kunst« entbehrt dagegen derartiger Konnotationen, sie ist getragen vom Wiedererkennen11 primärer Motive und dargestellter Gegenstände. Als »Bildform der Neuzeit« wenden sich diese Malereien in der bürgerlichen Gesellschaft dem Diesseitigen zu, »sie machen sich frei von der Unterordnung unter vorgegebene Gedankenwelten, haben keinen institutionellen Auftrag mehr, sie werden privat und demokratisch und richten sich im Unmittelbaren des Gegebenen ein« (ebd.: 15). Mit dem Übergang zur »Abstrakten Malerei« markiert Gehlen schließlich erneut einen entscheidenden Einschnitt, der sich in der nachbürgerlichen Industriegesellschaft mit dem Impressionismus anbahnt und schließlich mit dem Kubismus vollzieht. In den Gemälden fällt nun auch das primäre Motiv weg – die bloße Form bleibt übrig. Gehlen erkennt darin eine »steigende Wortunfähigkeit der Seelen« (ebd.: 16) und, mit Verweis auf 10 | Aus dieser vorausgesetzten Kenntnis leitet Gehlen »eine innere Verwandtschaft« zwischen der ideellen Malerei und der Schrift ab, »denn auch eine gegebene Schrift sagt nur demjenigen etwas, der sie kraft seines mitgebrachten Wesens auslegen kann« (Gehlen 1965: 51). 11 | Gehlen spricht im Zusammenhang mit der ideellen sowie der realistischen Kunst häufig von den dort angelegten Möglichkeiten des Wiedererkennens, welche ihm zufolge in der abstrakten Malerei nicht mehr in diesem Sinn vorhanden sind: »Man sehe von dem ab, was dargestellt ist, und hebe in Gedanken die Bildoberfläche ab: Dann findet man Linien, Flächen, Farben und Volumina, alle in irgendwelchen Beziehungen zueinander verteilt. […] In der Regel entfaltet sich unmittelbar in dieser Form und aus ihr heraus der Gegenstand, den man in seinen allgemeinen Zügen wiedererkennt: Man sieht eine Waldlandschaft, eine lesende Frau, eine Gruppe von Menschen.« (Ebd.: 7; Hervorhebung im Original) Max Imdahls Bestimmung des wiedererkennenden Sehens im Gegensatz zum sehenden Sehen (vgl. Kapitel 2.2) weist deutliche Nähen zu diesen Überlegungen auf.
3. Vom Bild zum Kunstwerk
Herbert Read, eine »fundamentale Begriffslosigkeit« (ebd.: 53; vgl. Read 1952: 236). Während Gottfried Boehm aufgrund ähnlicher Beobachtungen die Möglichkeiten der Beschreibung von Bildern insbesondere der modernen, abstrakten Kunst problematisiert (vgl. Kapitel 2.2), kommt Gehlen zu einem ganz anderen Schluss: Er konstatiert, dass die Bedeutung eines künstlerischen Bildes nun nicht mehr unmittelbar erfasst werden kann, sondern dass sie nun neben dem Bild, im Zuge seiner Kommentierung etabliert wird; dass sprachliche Kommentare das moderne, abstrakte Kunstwerk folglich mit konstituieren, es – gewissermaßen als Substitute für die ihm fehlenden sprachlichen Sinngehalte – erst vervollständigen und damit einen wesentlichen, genuinen Bestandteil des Werkes ausmachen: »Da das abstrakte Bild zugleich mit dem Gegenstand das Wiedererkennen abtrug, erscheint es als ›irrational‹, und es entsteht die Frage, wohin die unserer Anschauung beigegebene Begrifflichkeit abgewandert ist: in die Kommentarliteratur, die geradezu als Bestandteil dieser Kunst angesehen werden muß, ihr zugeordnet ist wie die Singstimme der Musik: Parallelebene der Gedanklichkeit […].« (Gehlen 1965: 16)
Kommentare legen sich demnach »wie ein zweiter Rahmen um die Bilder herum« (ebd.: 163): Erst sie verleihen den Bildern Bedeutung, sie erklären und plausibilisieren sie, rechtfertigen ihren Daseinsgrund, etablieren ihren Status als Kunstwerke und bringen diese schweigsamen Artefakte zum Sprechen (vgl. ebd.: 54f.). Ähnliche Überlegungen stellt Bourdieu an, auch wenn dessen Perspektive grundsätzlich, wie im vorherigen Teilkapitel gesehen, weniger diskurs- als akteurstheoretisch ausgerichtet ist. Zwar spricht Bourdieu nicht wie Gehlen von einer tatsächlichen Konstituierung der Kunstwerke durch Kommentare und weist diese nicht als genuine Bestandteile der Werke aus, sondern thematisiert eher ihren Beitrag zur deren Erzeugung. Und doch stellt er damit in ähnlicher Weise fest: »Die künstlerische Arbeit in ihrer neuen Definition macht die Künstler stärker als je zuvor abhängig von einem ganzen Gefolge von Kommentaren und Kommentatoren, die kraft ihrer Reflexion auf eine Kunst [...] direkt zur Produktion des Kunstwerks beitragen.« (2001: 275)
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Im kommentierenden Diskurs über Kunstwerke erkennt somit auch Bourdieu kein reines Supplement, sondern »ein Moment der Produktion des Werks, seines Sinns und seines Werts« (ebd.: 276). Über die theoretische Frage, inwiefern welche Kunstwerke tatsächlich existenziell auf sprachliche Kommentare angewiesen sind oder ob sie nicht selbst, wie Luhmann ausführt, als Kommunikationsmedien begriffen werden müssen, die Informationen in einer Weise vermitteln, dass sie ohne sprachliche Kommentierungen verstanden werden können,12 soll hier nicht abschließend entschieden werden. Im Hinblick auf Malerei weisen die bildwissenschaftlichen Debatten, welche die Eigenlogik des Bildes stark machen, doch eher in die zweite Richtung (vgl. Kapitel 2). Fraglich ist dennoch, ob ein Kunstwerk bzw. Kommunikation durch Kunst überhaupt soziologisch untersucht werden kann, ohne Anschlusskommunikation – im Sinne einer Kommunikation über Kunst und in Form von sprachlichen Kommentaren – zum Gegenstand zu machen: »Soziologisch gesehen kann es nicht darum gehen, Kunstwerke als solche zu interpretieren oder nach ihrer ›wahren‹ Bedeutung zu suchen und es damit gewissermaßen ›besser‹ zu wissen als die Akteure im Alltag. Vielmehr bilden gerade die real vorfindlichen alltäglichen Auffassungen, Interpretationen und Reaktionsweisen, die sich an einem Werk entzünden, die faktisch wirkungsmächtige Bedeutung und Realität eines Werkes.« (Schwietring 2010: 321)
Letztlich sehen sich auch jüngere kunstsoziologische Ansätze, die sich wieder stärker dem Kunstwerk als eigenem Forschungsgegenstand zuwenden, noch immer mit diesem Problem und mit daraus resultierenden theoretischen und methodologischen Fragen konfrontiert (vgl. Danko 2012: 112ff.). Und so wendet sich dieses Buch in seinem weiteren Verlauf sprachlicher Kommunikation über Kunst anhand des empirischen Phänomens 12 | »Kunst gewinnt ihre Eigenart daraus, daß sie es ermöglicht, Kommunikation stricto sensu unter Vermeidung von Sprache […] durchzuführen. Ihre Formen werden als Mitteilung verstanden, ohne Sprache, ohne Argumentation. Anstelle von Worten und grammatischen Regeln werden Kunstwerke verwendet, um Informationen auf eine Weise mitzuteilen, die verstanden werden kann. Kunst ermöglicht die Umgehung von Sprache – von Sprache als Form der strukturellen Kopplung von Bewußtsein und Kommunikation.« (Luhmann 1997a: 39f.)
3. Vom Bild zum Kunstwerk
von Audioguides in Kunstausstellungen zu.13 Nicht nur im Hinblick auf das Problem der Bildbeschreibung, sondern auch um, inspiriert von Gehlens These, danach zu fragen, wie die sprachliche Kommentierung von Bildern nun konkret dazu beiträgt, ihre Bedeutung sowie ihre Realität und Relevanz als Kunstwerke zu etablieren. Davon, dass in erster Linie Werke der modernen, abstrakten Kunst als kommentarbedürftig zu begreifen sind, wird hier allerdings nicht ausgegangen. Und dennoch gibt Gehlens Annahme, bei moderner, abstrakter Kunst seien »die Kommentare mindestens noch so lange unentbehrlich, bis sich das Publikum ›eingesehen‹ hat« (1965: 167),14 Anstoß zu Überlegungen, ob die Kommentierung jüngerer, insbesondere zeitgenössischer Kunstwerke nicht doch mit anderen praktischen Darstellungsproblemen konfrontiert sein könnte, als es bei der Kommentierung von Werken aus historischen, gut etablierten und kanonisierten Stilrichtungen der Fall ist.15 Um dem empirisch weiter auf den Grund zu gehen, werden sprachliche Kommentare zu historischen und zeitgenössischen Kunstwerken in der vorliegenden Studie anhand der beiden Audioguides zu den Ausstellungen Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010, Kunsthalle Bielefeld) sowie Neo Rauch.
13 | Genau genommen ist es anhand von Audioguides natürlich nicht möglich, Kommunikation über Kunst – im Luhmann’schen Verständnis – vollständig zu untersuchen. Da die Rezeption der Audioguides nicht Gegenstand dieser Studie ist, stehen Information und Mitteilung der Kommunikation über Kunst sowie Verstehen der Kommunikation durch Kunst, nämlich Audioguides als kommunikative Anschlüsse an die Kunstwerke, im Zentrum dieser Untersuchung. 14 | Bourdieu fasst dieses Problem mit seiner Unterscheidung zwischen dem »Emissionsniveau« der Werke und dem »Rezeptionsniveau« ihrer Betrachter, welche gerade bei neuen Werken in einem diskrepanten Verhältnis stehen können, sowie mit dem Hinweis auf ein dem Kunstverständnis innewohnendes »Trägheitsmoment«, wonach alte Wahrnehmungsschemata zunächst verhindern, dass neuartige Werke als solche erkannt werden (vgl. ders. 1974: 176ff.). 15 | Mit dem Begriff der »zeitgenössischen Kunst« wird in der Regel Kunst seit den 1960er Jahren erfasst, die häufig schon stark kanonisiert und auch einem breiteren Publikum bekannt ist. Dagegen fokussiert dieses Buch damit weitaus jüngere Werke, welche nur wenige Jahre vor der Veröffentlichung der untersuchten kommentierenden Audioguides entstanden sind.
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Begleiter (18.04.2010–15.08.2010, Museum der bildenden Künste Leipzig) stets auch vergleichend untersucht.16 Folgt man angesichts dieses Gegenstands Bourdieus Ausführungen zum Ausstellungswesen als einer Konsekrationsinstanz im Feld der Kunst, dann ist das Werk, wenn es erst seinen Weg in Museen und Ausstellungen gefunden hat, als solches bereits relativ gut etabliert. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass Kunst-Kommentare mittels Audioguides in Kunstausstellungen weniger die originäre Begründung des Kunststatus der Werke zu leisten hat. Ihre von Gehlen betonte Relevanz für die Konstitution der Werke dürfte hier vielmehr in ihrem Beitrag dazu liegen, den Kunststatus der Werke zu bestätigen, zu objektivieren, situativ aufrechtzuerhalten und – gerade im Fall von zeitgenössischer Kunst – auch einem Laienpublikum gegenüber zu etablieren. Nicht zuletzt der qualitative Zuschnitt dieser Studie gebietet es jedoch, in diesen Fragen die Audioguides selbst gebührend zu Wort kommen zu lassen.
16 | Daneben wurde Kommunikation über Kunst im Kontext von Ausstellungen bereits anhand von Face-to-Face-Interaktionen (von Lehn/Heath/Hindmarsh 2001; von Lehn 2006; Hausendorf 2007; von Lehn/Heath 2007; Tradinik 2007 u.a.) oder auch anhand von schriftlichen, innerhalb der Ausstellungen angebrachten Texten (Mattl 1995; Steen 1995; Bal 1996; Buschmann 2010: 166ff.) untersucht.
4. Zur Sozialität des Audioguides
Der sprachliche Zugriff auf Bilder sowie Kommunikation über Kunst wurden als komplexe Probleme erörtert, welche theoretische Debatten lange beschäftigt haben und welche sie voraussichtlich auch noch eine ganze Weile beschäftigen werden. In der Alltagspraxis bleibt man davon jedoch unbeeindruckt: Ständig wird dort über Bilder und über Kunst gesprochen, geschrieben, gestritten. Mag man sich inhaltlich vielleicht uneinig sein, so werden doch praktische Lösungen gefunden, sich überhaupt darüber zu verständigen. So schwer sprachlich vermittelte Kommunikation über Kunst-Bilder also theoretisch zu fassen ist, so wertvoll erscheint sie als empirische Ressource. Die in den beiden vorherigen Kapiteln aufgeworfenen Probleme werden daher in diesem Buch empirisch, anhand zweier Audioguides aus den Kunstausstellungen Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010) in der Kunsthalle Bielefeld sowie aus Neo Rauch. Begleiter (18.04.2010–15.08.2010) im Museum der bildenden Künste Leipzig weiter verfolgt. Bevor die Konzeption und die Ergebnisse dieser Studie vorgestellt werden, verschafft dieses Kapitel einen ersten, allgemeinen Überblick über Audioguides sowie über die von ihnen vermittelten »Audiotexte« als technikgestützte, spezifische Kommunikationsmedien in Kunstausstellungen. Auf einführende Hinweise zu ihrer Entstehungsgeschichte, ihren Anwendungsbereichen und zu den Funktionalitäten der verwendeten Geräte (Kapitel 4.1) folgen zunächst einige Überlegungen zu den Implikationen der technischen Wiedergabegeräte für die sozialen und kommunikativen Situationen, die im Zuge ihrer Verwendung zustande kommen (Kapitel 4.2). Das abschließende Teilkapitel befasst sich mit der besonderen Medialität des Audioguides bzw. mit dem ›Audiotext‹ als besondere Mitteilungsform an der Grenze zwischen gesprochener und textueller Äußerung, welche einer hier sich entfaltenden Kommunikation ganz bestimmte Möglichkeiten eröffnet,
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ihr aber – wie sollte es anders sein – auch Grenzen setzt und Probleme bereitet (Kapitel 4.3).
4.1 A UDIOGUIDES Mit dem Begriff Audioguide werden akustische Führungen insbesondere durch Museen und Ausstellungen bezeichnet, die mithilfe spezieller tragbarer, technischer Geräte abgespielt und in der Regel über Kopfhörer rezipiert werden können. Er geht vermutlich zurück auf den »acoustiguide«, eine Erfindung des Schauspielers und Komponisten Valentine Burton aus dem Jahr 1957 (vgl. Fisher 1999: 26; Schulze/Buhl 2012: 29) und kam seit den 1980er Jahren zunächst in den USA, vor allem in New York und Boston, und etwas später auch in Europa zunehmend zum Einsatz (vgl. Penzias 2008: 5). Konventionell von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern entwickelt1 und in Museen und Ausstellungen eingesetzt, dient der Audioguide dort in der Regel als museumspädagogisches Instrument: Er liefert ergänzende Informationen zu einer Ausstellung, erläutert einzelne Exponate und vermittelt Hintergrundwissen dazu. Daneben wird er inzwischen aber auch in anderen Kontexten, etwa begleitend zu oder als alleinige Informationsquelle für Stadtführungen oder auch im Zusammenhang mit Theater- und anderen Bühnenproduktionen eingesetzt.2 Seit seiner Entstehung ist der Audioguide, entsprechend der sich wandelnden und weiter entwickelnden Funktionalitäten der verwendeten Abspielgeräte, aber auch entsprechend sich verändernder Anwendungsgebiete, fortwährend verfeinert und erweitert worden.3 So kann er je nach 1 | »Das magische Dreieck« aus Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern, die an der Planung und Realisierung von Museumsausstellungen und auch der dort eingesetzten Audioguides beteiligt sind, wird u.a. im gleichnamigen Sammelband von Kirchhoff und Schmidt beleuchtet (2007). 2 | Dies insbesondere begleitend und kommentierend für Blinde und sehbehinderte Besucher. 3 | Die genaue technische Entwicklung des Audioguides spielt für diese Studie keine Rolle und wird daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Die frühen Entwicklungen sind nachzulesen u.a. bei Fisher (1999: 26); den Neuerungen mit der Einführung digitaler Audioguides widmen sich Schwarzer (2001) und Lechner
4. Zur Sozialität des Audioguides
Gerätetyp, Einsatzbereich und Konzeption sehr unterschiedlich gestaltet sein und verschiedene Möglichkeiten der Rezeption eröffnen. In der Regel beinhaltet ein Audioguide mehrere akustische Episoden 4, die über das entsprechende Gerät einzeln und gezielt aufgerufen werden können und die jeweils einem bestimmten Thema, etwa einem Exponat aus einer Ausstellung, zugeordnet sind. Dabei ist es manchmal, aber nicht immer, möglich, eine Episode zu unterbrechen, sie zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen oder innerhalb einer Episode vor- oder zurückzuspulen. Eine Episode umfasst ihrerseits einen mündlich vorgetragenen Text, im Folgenden Audiotext5 genannt, und daneben mitunter weitere akustische Informationen wie Geräusche oder Musik. Neuere Gerätetypen verfügen häufig über ein Display, worauf zusätzliche Informationen, beispielsweise zum gesamten Audioguide, zur Ausstellung oder zum Bezugsobjekt der jeweiligen Episode, angezeigt werden können. In den letzten Jahren kommen dabei immer komplexere Multimediageräte zum Einsatz. Personal Digital Assistants (PDA) oder, wie auch im hier untersuchten Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter, Smartphones bzw. entsprechende Apps6 gehen mitunter weit über die Vermittlung akustischer Informationen hinaus: Sie integrieren Bild- und Videomaterial und bieten Schnittstellen zu Internet- und Social-MediaAnwendungen bis hin zu Augmented Reality (vgl. Greisinger 2012: 70ff.). Die Nutzer können in diesem Fall über geliehene oder auch über private Geräte auf solche Anwendungen zugreifen und den Audioguide auf diesem Wege rezipieren.
(2008); Einblicke in laufende Entwicklungen bieten Melcher (2012) sowie Greisinger (2012). 4 | »Episode« ist keine offizielle Bezeichnung für die einzelnen akustischen Teile eines Audioguides, sondern sie wird im Rahmen dieser Untersuchung dafür eingeführt und verwendet. 5 | Diese Bezeichnung ist einem Aufsatz von Barbara Eggert entlehnt (2009: 216). Sie wird in dieser Untersuchung übernommen, da sie sowohl die Nähe dieser Mitteilungsformen zu schriftlichen Texten (vgl. Kapitel 4.3) als auch ihren auditiven Charakter mitführt. 6 | Eine App (engl. Kurzform von »application«) ist ein Anwendungsprogramm für Smartphones oder andere Multimedia-Geräte, welches über das Internet bezogen und auf kompatiblen Geräten bedient werden kann.
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4.2 TECHNIK UND IHRE SOZIALEN I MPLIK ATIONEN In der hier entwickelten Definition bezeichnet der Audioguide keine hybride Einheit aus technischem Gerät und auditiv vermittelten Informationen, sondern zunächst im engeren Sinn nur die akustische Aufnahme zur Vermittlung der oben angesprochenen Informationen. Für deren Wiedergabe können und müssen zwar entsprechende Abspiel- und Multimediageräte herangezogen werden, diese müssen ihrerseits jedoch nicht ausschließlich als Audioguide Verwendung finden. Das jeweils eingesetzte technische Wiedergabegerät ist in der Praxis dennoch von entscheidender Bedeutung: Es steht in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis mit den Praktiken rund um seine Nutzung, mit Praktiken des Hörens und Sehens, körperlichen Bewegungen seiner Rezipienten im Raum, aber auch mit parallel zur Rezeption des Audioguides sich vollziehenden zwischenmenschlichen Interaktionen. Es ist konstitutiv an der Erzeugung jener Situationen beteiligt, in denen ein Audioguide Verwendung findet, und prädisponiert die Rezeption des Audioguides ebenso wie die von ihm behandelten Artefakte bzw. Bilder – mindestens jedenfalls in dem Maße, in dem das Gerät seinerseits im Hinblick auf derartige Anwendungsbereiche gestaltet 7 und seinem situativen Gebrauch ausgesetzt ist. Insofern wird das technische Gerät hier weder ausschließlich als passives Objekt bzw. Produkt seiner sozialen Umwelt begriffen, noch wird es umgekehrt als Determinante der Praxis und der beteiligten (menschlichen) Akteure verstanden.8 Es wird im Folgenden dennoch als 7 | Mit der sozialen und gesellschaftlichen Dimension des gestalterischen Aspekts technischer und anderer Artefakte setzen sich die Beiträge eines Sammelbandes von Moebius und Prinz theoretisch und method(olog)isch näher auseinander (vgl. Moebius/Prinz: 2012). 8 | Die Diskussion um derartige technizistische Auffassungen von Technik auf der einen und kulturalistische bzw. sozialkonstruktivistische Erklärungsmodelle auf der anderen Seite hat in der Techniksoziologie eine lange Tradition, die im Detail bei Passoth nachvollzogen werden kann (vgl. ders. 2008: 50ff.). Die hier eingenommene Perspektive ist sicher von aktuellen Diskussionen um die Akteur-Netzwerk-Theorie und eine »symmetrische Anthropologie« (vgl. Latour 2008: 125ff.) inspiriert, die auf die Übersetzungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren – etwa technischen Artefakten – sowie auf deren Zusammenspiel bzw. Vernetzung in Hybriden in jenem Kollektiv, als das Latour die Gesellschaft
4. Zur Sozialität des Audioguides
sozial relevante Größe ernst genommen und im Hinblick auf seine Implikationen für jene Situationen befragt, in denen sich Kommunikation via Audioguide vollzieht. Trotz der unterschiedlichen Ausführungen und Funktionalitäten der Geräte einen sie alle ihre geringe Größe, ihr geringes Gewicht und ihr Batterie- bzw. Akkubetrieb, aus denen ihre besondere Handlichkeit und Mobilität resultieren. Ihre Nutzer können sich damit frei im Raum bewegen und sind nicht an einen fest definierten Standpunkt in Bezug auf das Referenzobjekt – das Bild – gebunden; sie können diesen vielmehr frei wählen und sich dem Bild nach Belieben nähern, sich entfernen, den Raum mit dem Referenzobjekt noch während der Rezeption einer Episode verlassen, oder gar die Episode völlig unabhäng ig von der Präsenz ihres Referenzobjektes rezipieren. Für die Gestaltung der Audiotexte bleibt dies nicht ohne Folgen: Diese können keineswegs voraussetzen, in welcher Beziehung ihr Rezipient sich räumlich zum behandelten Bild verhält. Sofern die Positionierung ihrer Rezipienten im Raum für ihre Ausführungen von Bedeutung ist, müssen sie diese also im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv mitorganisieren; auch anhand der hier untersuchten Audioguides wird dies noch zu beobachten sein. Nachdem sie jedem Rezipienten über ein eigenes Gerät zur Verfügung gestellt werden, zeichnen sich die Audioguides daneben durch ihre individuelle, bedarfsgerechte Bedien- und Rezipierbarkeit aus – ja ihre Rezeption mittels Kopfhörer verlangt sogar geradezu nach einer individuellen Rezeption durch einzelne Personen: Eine gleichzeitige Nutzung desselben Geräts durch mehrere Personen ist unter diesen Umständen rein physisch nur schwer möglich. Stattdessen verfügt jeder Nutzer der Audioguides über ein eigenes Gerät, welches er selbst bedienen muss, sodass sich auch die Rezeption einzelner Episoden bei mehreren Anwesenden im Raum in der Regel ungleichzeitig gestaltet.9 Zudem wird der Nutzer begreift, nachhaltig aufmerksam gemacht hat (vgl. Belliger/Krieger 2006; Latour 2010). 9 | Nur in Ausnahmefällen – und dann in der Regel nur temporär – ist in der Praxis die Nutzung eines Audioguides bzw. eines Gerätes durch zwei oder noch mehr Personen zu beobachten. Diese und ähnliche Aussagen in diesem Teilkapitel basieren auf punktuellen eigenen Beobachtungen der Autorin von AudioguideNutzern in Kunstausstellungen. Die verschiedenen interaktiven Praktiken der
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über die Kopfhörer gewissermaßen von seiner Umwelt abgeschottet. Will er den Ausführungen des Audioguides folgen, so muss er seine auditive Aufmerksamkeit weitgehend darauf konzentrieren und sie währenddessen seiner Umwelt,10 etwa dem Gespräch mit anderen Anwesenden, mindestens teilweise und temporär entziehen. Was die Vereinnahmung der Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten betrifft, so machen jüngere Multimedia-Abspielgeräte oder Smartphones mitunter selbst vor ihrem eigenen Bezugsobjekten nicht mehr halt: Sofern dem Audioguide hier visuelle Informationen auf einem Display zur Seite gestellt sind, fangen diese den Blick ihres Rezipienten potenziell ein und lenken somit nicht nur dessen auditive, sondern auch seine visuelle Aufmerksamkeit auf sich selbst – und damit von ihrem visuellen Referenten, beispielsweise einem Bild, ab. Für die hier untersuchten Audioguides spielt dies allerdings nur eine untergeordnete Rolle: Diese wurden nicht oder nur in sehr überschaubarem Umfang von zusätzlichen Informationen auf dem Display begleitet, sodass die eigentlichen Audio-Episoden hier klar im Zentrum stehen.11
Akteure unter diesen spezifischen Bedingungen bieten sich sicherlich als Gegenstand einer eingehenden empirischen Untersuchung an. 10 | Streng genommen sind natürlich auch der Audioguide selbst, der Ausstellungsraum oder das entsprechende Exponat der Umwelt dieser Personen zuzurechnen. 11 | Wurde für den Audioguide zur Ausstellung Neo Rauch. Begleiter zwar ein Smartphone als Abspielgerät eingesetzt, auf dessen Display begleitend zum Audioguide auch schriftliche und bildliche Inhalte abrufbar waren, so waren diese im Wesentlichen auf Miniaturansichten der jeweiligen Referenzobjekte und auf wenige Informationen beschränkt, die in etwa den zugehörigen »Objektkennungen« in der Ausstellung entsprachen. Diese vermitteln insofern keine völlig neuen, exklusiven Informationen, sondern können in dieser Form eher als visuelle und textuelle Verweise verstanden werden, die die jeweils angewählten und abgespielten Audio-Episoden mit den entsprechenden Referenzobjekten in Beziehung setzen. Näheres zu den beiden hier untersuchten Audioguides, den verwendeten Geräten und den dort bereitgestellten, die einzelnen Audio-Episoden rahmenden Informationen wird in Kapitel 5.3 erläutert.
4. Zur Sozialität des Audioguides
4.3 F ORMEN DER M IT TEILUNG : A UDIOTE X TE Während das vorangegangene Teil-Kapitel sich den technischen Geräten und deren Implikationen für jene Situationen gewidmet hat, in denen sich Audioguide-Kommunikationen vollziehen, gerät nun in den Blick, was sich bereits mit den Überlegungen zum Phänomen des Displays in den Vordergrund geschoben hat: die spezifische Medialität des Audioguides, welche für die Möglichkeiten und Grenzen entsprechender Kommunikationen nicht ohne Folgen bleibt. Mit dem Einsatz von Audioguides entsteht zunächst eine komplexe kommunikative Situation zwischen akustischen Informationen, Rezipienten und ihren jeweiligen Bezugsobjekten, in diesem Fall den Bildern. So können die Audioguides ebenso wie die Bilder als kommunikative Medien begriffen werden, wobei die Rezipienten der Audioguides in aller Regel zugleich Rezipienten der Bilder sind und die Mitteilungen der Audioguides sich ihrerseits als kommunikative Anschlüsse12 an die Bilder darstellen. Angesichts dessen, dass die Episoden eines Audioguides zumeist auf visuelle oder materielle Gegenstände außerhalb ihrer selbst bezogen sind, wie in den hier untersuchten Audioguides auf Bilder aus Kunstausstellungen, kommt ihr auditiver Charakter besonders zum Tragen: In ihrer unterschiedlichen Medialität können die Audio-Episoden und ihre Bezugsobjekte über die verschiedenen Sinne zeitgleich rezipiert und somit vom Rezipienten unmittelbar aufeinander bezogen werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die darin enthaltenen sprachlichen Mitteilungen deutlich von schriftlichen Texten, deren Rezeption stets den Blick ihrer Leser für sich beansprucht und ihn erst nach Beendigung der Lektüre zur Betrachtung anderer Objekte freigibt. Und auch in ihrer Flüchtigkeit unterscheiden sie sich deutlich. Während schriftliche Texte sich durch ihre »Schriftbildlichkeit« (vgl. Krämer 2004, 2009: 97f.) und damit durch visuelle Präsenz von gewisser Dauer auszeichnen, sind die sprachlichen Mitteilungen des Audioguides als akustische, mündlich vorgetragene Rede wahrnehmbar: Sie organisieren sich im Klang und in
12 | Insbesondere Schneider begreift Anschlussäußerungen als zentral für das Verstehen, jene für gelingende Kommunikation nach Luhmann notwendige dritte Selektion, insofern als sich Verstehen in kommunikativen Anschlüssen artikuliert (vgl. Schneider 2005: 277; Luhmann 1995:116).
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der Zeit und bleiben damit stets ephemer; sie können, anders als schriftliche Texte, zu keinem Zeitpunkt vollständig präsent sein.13 Und doch stehen diese akustischen Mitteilungsformen schriftlichen Texten in vielerlei Hinsicht näher als mündlichen Gesprächen in Face-to-Face-Interaktionen. So unterscheidet etwa Bohn Gespräche von Texten zum einen dadurch, dass am Zustandekommen von Gesprächen und Interaktionen stets mehrere Bewusstseine zugleich beteiligt sind, »während die schriftliche Kommunikation im Moment ihres Zustandekommens, das heißt im Akt des Verstehens gleichzeitig auf die Verstehensleistungen der Kommunikation und nur eines Bewußtseins [nämlich das des Rezipienten, K.P.] verwiesen ist.« (2001: 324, Hervorhebung im Original). Zum anderen weist sie darauf hin, dass Schrift nicht nur, wie auch die mündliche Rede, den Wahrnehmungskontext der Teilnehmer einer Kommunikation erweitern bzw. transzendieren kann, sondern dass sie darüber hinaus auch den Interaktionskontext transzendiert (vgl. ebd.: 325), dass sie also Kommunikation über konkrete Situationen sowie über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg ermöglicht. Doch hat diese Leistung der Schrift ihren Preis: Im Vergleich zu Gesprächen müssen Produzenten und Rezipienten einer geschriebenen Äußerung auf »Intersubjektivität sichernde Mechanismen« (Wolff 2006: 247) mündlicher Kommunikation verzichten; sie haben keine Möglichkeit, einander ihr Verstehen wechselseitig anzuzeigen und es gegebenenfalls reziprok auszuhandeln.14 Sowohl Produzenten als auch Rezipienten eines schriftlichen Textes sind demnach mit einer weitaus größeren Unsicherheit konfrontiert, ob ein Kommunikationsangebot angemessen verstanden wurde oder nicht. Ihnen kommt hier lediglich zugute, dass sie nicht, wie es bei Äußerungen im Rahmen mündlicher Gespräche häufig der Fall ist, situativ und spontan erzeugt werden müssen, sondern dass der Fertigstellung 13 | Die Unterscheidung zwischen Oralität und Literalität wurde in der Vergangenheit vor allem von Havelock (1963), Goody (1986) und Ong (1987) einschlägig diskutiert. 14 | Schon Platon hat auf diesen Punkt in seinem Phaidros-Dialog hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass bei schriftlicher Kommunikation im Vergleich zum dialogischen, mündlichen Gespräch nicht unmittelbar für die Glaubwürdigkeit des Gesagten eingestanden werden und dem Gegenüber geantwortet werden muss, sodass die Überzeugungskraft von Schrift auch die Verbreitung von Unwahrheiten erheblich erleichtert (vgl. Mersch 2009: 30f.).
4. Zur Sozialität des Audioguides
schriftlicher Texte lange Phasen der Konzeption und Überarbeitung vorausgehen können. Diese können genutzt werden, um fehlende Intersubjektivität sichernde Mechanismen mit schriftsprachlichen Mitteln aufzufangen und den Text »selbstgenügsam« zu gestalten, Missverständnisse also zu antizipieren und den Text vorbeugend gegen unerwünschte Lesarten abzusichern (vgl. Wolff 2006: 267). Vor diesen Hintergründen sind die sprachlichen Mitteilungen der Audio-Episoden zwar zweifellos als mündlich vorgetragene, aber zugleich als schriftlich konzipierte Texte im Sinne einer »sekundären« bzw. »literalisierten Oralität« (Ong 1987: 158) einzuordnen: Wie schriftliche Texte werden auch Audiotexte nicht interaktiv erzeugt; auch sie transzendieren die Situationen ihrer Produktion und Rezeption, und auch sie sind nicht an Ort und Zeit gebunden, sondern können in ein und derselben Form vielerorts zugleich oder wiederholt rezipiert werden. Und nicht zuletzt müssen auch sie auf jene Intersubjektivität sichernde Mechanismen verzichten, die in Gesprächen und Interaktionen zum Tragen kommen, und müssen diese stattdessen durch ihre eigenen Mittel kompensieren. Es erscheint daher angebracht, Audiotexte im Rahmen dieser Untersuchung eben als Texte zu begreifen und sich ihnen somit auch textanalytisch zu nähern – zumal die ethnomethodologische und konversationsanalytische Textanalyse ohnehin unter anderem an Erkenntnisse aus der Untersuchung mündlicher Gespräche und Äußerungen anknüpft.15
15 | Die ethnomethodologische Konversationsanalyse hat zahlreiche Arbeiten hervorgebracht, die sich mit Kommunikationsformen an der Grenze zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation befassen. Exemplarisch können an dieser Stelle Atkinsons Analysen politischer Reden (1983, 1984), konversationsanalytische Untersuchungen schriftlicher Texte (Mulkay 1984, 1985; Anderson 1978) oder auch Ayaß’ Studie über »Das Wort zum Sonntag« (1997) angeführt werden.
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5. Eine Soziologie der kleinen Schritte
Die Ethnomethodologie, deren Perspektive sich diese Untersuchung im Wesentlichen anschließt, beschäftigt sich als qualitativer, mikrosoziologischer Forschungsansatz mit der Herstellung sozialer Wirklichkeit durch das praktische, situativ eingebundene Alltagshandeln der Mitglieder einer Gesellschaft (›ethnos‹). Im Zentrum ihrer Untersuchungen stehen mit den ›Ethno-Methoden‹ jene Praktiken und Verfahren, mit deren Hilfe Akteure ihr Handeln für sich selbst und für andere wahrnehmbar machen und mit denen sie ihre Welt sinnhaft ordnen und strukturieren. Ethnomethodologische Forschung strebt somit nicht nach schnellen und umfassenden Erklärungen, sondern wendet sich ihren Gegenständen zunächst über genaue, geduldige Beobachtungen und detaillierte, kleinschrittige Fallanalysen zu.1 Ihr sehr sensibler Zugang zu den untersuchten Phänomenen und ihr Fokus auf die alltägliche, praktische Erzeugung von Sinn, sozialer Ordnung und sozialer Wirklichkeit, ebenso wie ihre 1 | Der hier grob umrissene Ansatz der Ethnomethodologie bezieht sich auf die Gesamtheit des sozialen Geschehens. So nimmt sich die Ethnomethodologie selbst nicht davon aus und wendet sich entschieden gegen die szientistische Haltung der meisten Sozialwissenschaften, wie Weingarten und Sack in einem der ersten Sammelbände zum damals noch jungen Forschungsansatz konstatieren: »Soziologie – das ist das manchen Soziologen unbequeme Fazit dieser Überlegung – ist eine Alltagshandlung unter vielen.« (1976: 10f.) Einen Überblick über das Forschungsprogramm der Ethnomethodologie liefern die Darstellung von Michael Lynch (1997), ein Nachfolger von Harold Garfinkel und Hauptvertreter der jüngeren Ethnomethodologie, sowie die beiden umfangreichen Textsammlungen von Lynch und Sharrock (2011) sowie von Ayaß und Meyer (2012). Zudem sei auf die Überblicksdarstellung von Patzelt (1987) sowie auf die einführenden Texte von Bergmann (1988a, 1988b, 2004a) verwiesen.
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Analysen zu Kommunikation, Sprache, Textualität und zur Indexikalität bzw. zur Bedeutung des Kontextes der untersuchten Handlungen und Äußerungen machen diesen Forschungsansatz für die Fragen, die in diesem Buch verfolgt werden, ausgesprochen instruktiv. Dieses Kapitel stellt zunächst die Entwicklung und die Grundkonzepte der Ethnomethodologie sowie ihren analytischen Zugang zu Texten vor, um anschließend die forschungsleitenden Fragen, die Auswahl der untersuchten Audioguides sowie das methodische Vorgehen dieser Studie zu konkretisieren.
5.1 G RUNDKONZEP TE DER E THNOME THODOLOGIE Als Begründer und Namensgeber der Ethnomethodologie gilt der USamerikanische Soziologe Harold Garfinkel, der in seinem Standardwerk »Studies in Ethnomethodology« aus dem Jahr 1967 seine frühen empirischen Arbeiten zur Ethnomethodologie versammelt, und damit erstmals ihre theoretischen und methodologischen Grundlagen öffentlich zugänglich gemacht hat.2 Mit der Konzeption der Ethnomethodologie knüpft Garfinkel an die »ethnoscience« aus der nordamerikanischen Kulturanthropologie (vgl. Videbeck/Pia 1966) an, die sich auf die Bestimmung kultureller Orientierungsmuster einzelner Sprachgemeinschaften mithilfe semantischer Analysen konzentriert; diese steht Pate bei der Benennung der Ethnomethodologie. Garfinkel entwickelt den Ansatz in den 1950er und 1960er Jahren in Auseinandersetzung mit der klassischen soziologischen, auf Thomas Hobbes zurückgehenden Frage nach der Möglichkeit sozialer Ordnung. Dabei wendet er sich ab vom strukturfunktionalistischen Ansatz seines Doktorvaters Talcott Parsons (1937), der die damalige Soziologie stark dominiert. Parsons ist dem Problem der sozialen Ordnung mit dem theoretischen Konzept eines kulturellen Normen- und Wertesystems begegnet, welches von den Mitgliedern einer Gesellschaft kollektiv internalisiert wird und damit ein »legitimationssicherndes, systemintegrierendes Fundament sozialen Handelns« (Bergmann 1988a: 18) 2 | Neben Garfinkel haben auch Harvey Sacks sowie Aaron V. Cicourel wesentlichen Anteil an der Begründung und Weiterentwicklung des ethnomethodologischen Forschungsprogramms (vgl. Patzelt 1987: 15; Lynch 1997: 10ff.).
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darstellt. Die dem zugrunde liegende Unterstellung eines normativen und »kognitiven Konsens« (vgl. Wilson 1973) unter den Mitgliedern einer Gesellschaft steht nun im Zentrum von Garfinkels Kritik an diesem Ansatz. Ebenso wie Alfred Schütz (1974), auf dessen theoretische Positionen und Bestrebungen 3 er sich beruft, bemängelt Garfinkel, dass Parsons’ Fragen nach der subjektiven Perspektive der Handelnden sowie nach den Möglichkeiten intersubjektiver Verständigung weitgehend ausblendet. Im Fokus von Garfinkels Arbeiten stehen hingegen die Prozesse, in denen kulturelle Werte und Normen im praktischen Alltagshandeln der Gesellschaftsmitglieder hervorgebracht und relevant gemacht werden (vgl. Bergmann 2004b: 53). Die Akteure erscheinen bei ihm nicht mehr, wie im Parsons’schen Verständnis, als bloße Ausführende kulturell festgelegter Handlungsalternativen und als unfähig, ihr Handeln situationsangemessen sinnhaft zu strukturieren. Stattdessen misst Garfinkel den interpretativen und sinnkonstituierenden Leistungen der Akteure sowie den Ethno-Methoden, den praktischen Techniken, die sie dabei anwenden, eine zentrale Bedeutung für die Herstellung sozialer Ordnung bei. Die Reflexion und Untersuchung des »seen but unnoticed« (Garfinkel 1961: 54), der selbstverständlichen und meist nicht-reflektierten Prozesse der alltäglichen Sinnkonstitution, stehen demnach im Zentrum des ethnomethodologischen Forschungsinteresses. Dabei will Garfinkel seinen Ansatz nicht in erster Linie als theoretische Kritik am Strukturfunktionalismus und am Behaviorismus der traditionellen Soziologie, sondern vor allem als eigenes Forschungsprogramm verstanden haben: Zwar kann die Ethnomethodologie keinesfalls als Methodologie oder gar Methode der qualitativen Sozialforschung, wohl aber als »analytische Mentalität« 4 begriffen werden, welche eine spezifische Perspektive auf die soziale
3 | Schütz hatte die Forderung aufgestellt, »methodologische Verfahren zur Ermittlung objektiven und überprüfbaren Wissens von subjektiven Sinnstrukturen zu entwickeln« (1971: 41) und die Konstitionsweisen sozialer Wirklichkeit zu untersuchen. 4 | Diese Formulierung ist einem Aufsatz von Schenkein (1978) entlehnt. Zwar gebraucht Schenkein den Begriff dort in Bezug auf die ethnomethodologische Konversationsanalyse, m.E. erfasst er jedoch auch das Selbstverständnis der allgemeinen Ethnomethodologie recht treffend.
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Wirklichkeit einnimmt und damit bestimmte, empirisch zu verfolgende Fragen dezidiert aufwirft. Bevor auf das spezifische Textverständnis der Ethnomethodologie und damit auf den ethnomethodologischen Zugang dieser Untersuchung eingegangen wird, sollen zentrale Konzepte ihres Forschungsprogramms kurz vorgestellt werden. Garfinkel selbst fasst die wesentlichen Elemente seines Ansatzes wie folgt zusammen: »Ethnomethodology reveals social order as a dynamic, an indexical, practical, contingent ›ongoing accomplishment‹ resting upon the organized artful ways what ordinary people engaged in the practices of everyday life, an reflexivity rendered them accountable and meaningful.« (Ders. 1967: VII)
Er lehnt die Annahme von objektiven, dem Akteur äußerlichen sozialen Tatbeständen, welche früh und wohl am prominentesten bereits von Émile Durkheim (2002) postuliert wurde, entschieden ab. Stattdessen betont er den Vollzugscharakter der sozialen Wirklichkeit, insofern als er die von den Akteuren im Alltag als selbstverständlich hingenommene objektive Wirklichkeit sozialer Tatsachen als »ongoing accomplishment« begreift: Sie wird permanent, in jeder Situation durch das praktische Alltagshandeln hervorgebracht und »ver-wirklicht« (Bergmann 2004a: 122). Entsprechend dieses Wirklichkeitsverständnisses ist das Forschungsinteresse der Ethnomethodologie nicht darauf ausgerichtet, übergeordnete kausale Zusammenhänge sozialer Phänomene zu erschließen. Vielmehr ist sie daran interessiert, das »doing« von Alltagshandlungen bzw. das »doing being«5 von Personenmerkmalen zu beobachten; also formale Strukturmerkmale derjenigen Methoden zu untersuchen, mit denen die Mitglieder einer Gesellschaft soziale Wirklichkeit immer wieder von Neuem praktisch und interaktiv herstellen, mit denen sie Sinn und Bedeutung generieren und sie sich wechselseitig anzeigen. 5 | Der Ausdruck des »doing« bzw. des »doing being« in diesem Zusammenhang geht zurück auf eine Anregung von Harvey Sacks. Mithilfe dieser Wendung sensibilisiert er dafür, intuitiv wahrgenommene Personenmerkmale nicht als gegeben anzunehmen, sondern sie im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegenden Praktiken zu untersuchen; beispielsweise nicht nur festzustellen, dass sich jemand normal verhält, sondern danach zu fragen, wie er sein »being ordinary« praktisch herstellt und für andere als solches wahrnehmbar macht (vgl. Sacks 2003).
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Im Verständnis der Ethnomethodologie werden diese Methoden gerade nicht als subjektive Bewusstseinsprozesse, sondern als soziale Vorgänge begriffen, die im Wesentlichen damit zusammenhängen, dass Akteure ihre Handlungen stets für sich selbst und für andere »accountable« machen: Sie geben einander permanent »Sinnindikationen und -offenbarungen […] als Verstehenshilfen mit auf den Weg« (Bergmann 2004a: 122f.). Sie weisen ihre Handlungen damit deskriptiv aus, machen sie wahrnehmbar und verstehbar, sie benennen, charakterisieren, erklären, kritisieren oder entschuldigen sie. Accounts, diese »beobachtbaren Formen und Darstellungen, in denen sich eine Wahrnehmung, eine Interpretation, eine Erklärung materialisieren« (ebd.: 125), werden von Garfinkel somit als zentrale Ordnungsleistung im sozialen Geschehen begriffen (vgl. Garfinkel 1967: 1; Eberle 1984: 453ff.; Lynch 1997: 14f.). Besondere Bedeutung kommt dabei dem »reflexiven«, d.h. rückbezüglichen Charakter der Accounts bzw. der »accounting practices«, sowie deren »Indexikalität« (vgl. Garfinkel 1967: 4ff.; Bergmann 2004a: 126f.), der Kontextgebundenheit aller Handlungen und Äußerungen, zu. So stellen Accounts soziale Abläufe als sinnhaft geordnet her und machen sie als solche erkennbar, zugleich erhalten sie jedoch ihrerseits erst reflexiv, im Zusammenhang dieser sozialen Ordnung, Bedeutung. Nach Auffassung der Ethnomethodologie ist der Sinngehalt einer Handlung oder Äußerung somit stets auf die Situationen ihrer Erzeugung und ihres Gebrauchs bezogen: Sie verweist indexikal auf ihren situativen Kontext und kann nur vor dem Hintergrund eines Wissens über diesen Kontext verstanden werden (vgl. Bergmann 1988a: 34; Lynch 1997: 19ff.). Die Kontextualisierungstheorie führt in diesem Zusammenhang aus, dass in Interaktionen oder kommunikativen Äußerungen stets »Kontextualisierungshinweise« (»contextualization cues«, vgl. Cook-Gumperz/Gumperz 1976; Auer 1992: 24) mitgeliefert werden, die in gewissem Maße anzeigen, welche Kontexte von ihnen relevant gesetzt werden und zu ihrer Interpretation berücksichtigt werden müssen. Und doch führt das nie völlig übereinstimmende Kontextwissen der Akteure aus Sicht der Ethnomethodologie dazu, dass der Sinn, den einzelne Interaktionspartner eigenen und fremden Handlungen bzw. Äußerungen zuschreiben, für die übrigen Beteiligten stets ungewiss bleibt. Genau diese Ungewissheit ermöglicht Verständigung im Alltag: Dank der Indexikalität von Handlungen und Äußerungen und ihrer damit verbundenen Vagheit ist es den Akteuren möglich, sich gegenseitig eine Sinn-
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übereinstimmung zu unterstellen, Interaktionen und Kommunikationen ohne permanente Sinnabbrüche zu vollziehen und soziales Geschehen damit als sinnhaft geordnet aufrechtzuerhalten.6
5.2 D ER TE X T : A LLGEGENWÄRTIG , ABER UNSICHTBAR »Jede gute Ekphrasis besitzt das Moment der Selbsttransparenz: Sie bläht sich in ihrer sprachlichen Pracht nicht auf, sondern macht sich durchsichtig im Hinblick auf das Bild.« (Boehm 1995: 40) Was Gottfried Boehm hier als Qualitätsmerkmal einer literarischen Bildbeschreibung markiert, wird in der qualitativen, ethnomethodologischen Textanalyse als eigenes Phänomen fokussiert: die Unsichtbarkeit, die Texte 7 trotz ihrer Allgegenwart in der Alltagswirklichkeit (vgl. Smith 1984: 59; Watson 1997: 80) auszeichnet und auf die Joseph Gusfield mit seiner bekannten Metapher von Texten als »Fensterscheiben« (1976: 16f.) hinweist. So wurden textförmige Dokumente bis in die 1960er Jahre hinein nicht nur im Alltag, sondern auch in der qualitativen Sozialforschung als Repräsentationen und Abbilder der Realität behandelt; ganz so, als gäben sie einen unverstellten Blick auf von ihnen vermittelte, ansonsten aber unabhängig von ihnen bestehende Sachverhalte frei. Die eigenen sinnkonstituierenden Leistungen von Texten blieben in der Soziologie dagegen lange »seen but unnoticed« (Garfinkel 1961: 54). In der qualitativen Textanalyse ethnomethodologischer Tradition geht es nun gerade nicht darum, Texte lediglich als Quellen für durch sie vermittelte Inhalte zu behandeln. Ähnlich wie die Medienwissenschaften etwa zeitgleich ihre Aufmerksamkeit von Inhalten abwenden und stärker auf die Medien selbst ausrichten, 8 gerät seit 6 | An dieser Stelle zeigt der ethnomethodologische Ansatz eine bemerkenswerte Nähe zu der Sprachtheorie von Ludwig Wittgenstein, der auf »die vollkommene Ordnung auch im vagsten Satz« (Wittgenstein 1967: 63) hinweist. 7 | Anders als z.B. einige semiotische Ansätze, die sämtliche kulturellen Manifestationen, beispielsweise auch Architektur oder Kleidung, als Texte begreifen, vertritt die Ethnomethodologie einen engeren Text-Begriff, der im Wesentlichen schriftliche bzw. schriftsprachlich konzipierte Dokumente umfasst (vgl. Wolff 2006). 8 | Diese Umorientierung kulminiert in Marshall McLuhans berühmter und durchschlagender These »the medium is the message« (1964: 7ff.).
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den 1960er Jahren auch hier die Eigenlogik der Texte sowie ihre Leistung, ihre ›soziale Lesbarkeit‹ aktiv zu strukturieren, in den analytischen Blick. Hinter der dabei verfolgten Frage, wie Texte sich selbst objektivieren, also unsichtbar machen, steht nicht zuletzt das Problem, wie sie objektive, intersubjektiv anerkannte Tatsachen schaffen, wie sie Unterscheidungen und Kategorisierungen etablieren und damit zur Herstellung stabiler sozialer Verhältnisse beitragen (vgl. Smith 1976, 1984). Die Eigenlogik schriftlicher Texte und Dokumente gerät erstmals im Zuge verschiedener Untersuchungen aus dem Kontext des Etikettierungsansatzes (labeling approach), in den Fokus sozialwissenschaftlicher Analysen.9 Die ethnomethodologische Forschung vollzieht diesen Perspektivenwechsel schließlich radikal. Ausgehend von den Erkenntnissen Harold Garfinkels in seiner einflussreichen Studie über »›Gute‹ organisatorische Gründe für ›schlechte‹ Krankenakten« (2000) betrachtet sie schriftliche Texte und die sozialen Praktiken ihres Gebrauchs nun als eigenständigen Forschungsgegenstand. So macht Garfinkel insbesondere auf die soziale Produziertheit und die situative Lesbarkeit der untersuchten Dokumente aufmerksam. Ihm zufolge besitzen diese eine ›Standardlesart‹ die nur durch den ›kompetenten Leser‹ annähernd zu entschlüsseln ist, an den sich ein Text-Dokument richtet.10 Nur dieser besitzt als Mitglied der entsprechenden »interpretative community« (Watson 1997: 89) Kenntnisse über den Funktionszusammenhang, in dem und für den die Dokumente erstellt wurden,
9 | Vertreter des labeling approach hatten institutionelle Definitions- und Dokumentationsprozesse zur Kategorisierung von Kriminalität und abweichendem Verhalten untersucht. Sie konnten aufzeigen, dass dabei eingesetzte Dokumente nicht bloß dokumentieren und abbilden, sondern dass mit ihrer Hilfe vor allem der Anschein von Legitimität und Rationalität entsprechender institutioneller Abläufe erzeugt wurde (vgl. Wolff 2004: 505). 10 | Garfinkels Konzept einer Standardlesart von Texten ist etwas irreführend. Sie bezieht sich bei ihm auf den Gebrauch der Dokumente in jenen Kontexten, in denen und für die sie produziert wurden. Mit diesem Begriff lässt sich folglich allenfalls eine Lesart markieren, die den Erwartungserwartungen der Text-Produzenten gegenüber den von ihnen antizipierten und (in diesem Kontext) als »kompetent« einzustufenden Rezipienten entspricht, nicht aber eine textimmanente »richtige« oder »gültige« Lesart.
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und zu dessen Legitimation und Aufrechterhaltung sie letztendlich beitragen.11 Bis in die 1970er Jahre hinein fokussiert die Ethnomethodologie in der Folge vor allem Praktiken der Produktion und Rezeption von Texten, wobei die Texte als solche in den Kontext ihres praktischen, interaktiven Gebrauchs nahezu aufgelöst wurden. Dorothy Smith lenkt schließlich den Blick zurück auf die eigentlichen Texte – nicht nur als eigenlogische, sondern vor allem als aktive soziale Phänomene. In ihrer klassischen Studie »K ist geisteskrank« (1976) sowie mit ihrem Konzept des »aktiven Textes« (vgl. Smith 1993; Watson 1997: 84ff.) geht sie davon aus, dass Texte keineswegs als passive, ihrer Rezeption ausgelieferte Wirklichkeitsdarstellungen aufgefasst werden können. Vielmehr strukturieren Texte ihre »soziale Lesbarkeit« laut Smith aktiv: Mithilfe verschiedener Mittel legen sie dem Leser bestimmte, präferierte Lesarten und Deutungen ihrer selbst nahe. Begünstigt durch ihre Entkopplung aus ihrem situativen, zeitlichen und räumlichen Entstehungskontext vermögen Texte dadurch beim Leser den Eindruck einer objektiven, stabilen Realität ihrer Inhalte und damit der sozialen Verhältnisse zu erzeugen (vgl. Smith 1984), während sie ihren eigenen Beitrag an deren Erzeugung verschleiern: »Das ›Aktive‹ des Textes besteht somit darin, den Leser zu einer Implikationshandlung zu veranlassen, ohne selbst als gewollt bzw. gemacht zu erscheinen.« (Wolff 2006: 254f.) Und so verfolgt die ethnomethodologische Textanalyse in der Tradition der Arbeiten von Dorothy Smith insbesondere die Fragen, wie – d.h.: mit welchen Mitteln – die Texte sich selbst autorisieren, wie sie ihre eigene Objektivität legitimieren, ihre soziale Lesbarkeit und spezifische Lesarten im Hinblick auf erwartete Kompetenzen der Leser herstellen;
11 | Sind diese Kenntnisse nicht vorhanden, tritt potenziell jener Krisenfall ein, den Garfinkel selbst zu Beginn seiner Untersuchung erlebt hat: Ursprünglich sollten die Dokumente dort herkömmlich, als reine Informationsquellen zur Untersuchung von Patientenauswahlverfahren in einer Klinik behandelt werden. Doch erwiesen sich die Dokumente in diesem Zusammenhang schnell als widerspenstig und unbrauchbar. Nachdem Garfinkel während der Auswertung auf verschiedene, zunächst als Unzulänglichkeiten gedeutete Besonderheiten der Dokumente gestoßen ist, hat er die Fragerichtung seiner Untersuchung verändert und begonnen, gezielt nach dem Produktions- und Rezeptionskontext und den organisatorischen Gründen für diese scheinbaren Mängel zu forschen (vgl. Garfinkel 2000: 111f.).
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wie sie somit Tatsachen erschaffen und wie sie zugleich ihre sinnkonstituierenden Leistungen unsichtbar machen. Dabei liegt dem keineswegs die Annahme eines Rezipienten zugrunde, der dem Text passiv ausgesetzt ist: Auch die Rezeption eines Textes wird in diesem Zusammenhang ihrerseits als Aktivität, ja als Aktivierung des Textes aufgefasst (vgl. McHoul 1982; Watson 2009: 22). Zwischen Text und Leser entspinnt sich somit ein reziprokes, dialektisches Verhältnis: »Readers, then, actively ›interpret‹ texts but cannot interpret them in just any way they wish. The texts-as-read contain ›instructions‹ which may yield strongly preferred readings. There is a dialectical, back-and-forth process in operation.« (Watson 2009: 23)
Ohne die interpretativen Freiheiten und Leistungen des Rezipienten zu negieren, richtet die Textanalyse im hier verfolgten Zugang also lediglich ihren Fokus auf jene Methoden, mit denen ein Text sich selbst plausibilisiert; mit denen er seine Darstellungsprobleme praktisch löst, sich in bestimmte kommunikative Konstellationen einbettet und reflexiv für seine eigene Verständlichkeit und Akzeptanz sorgt (vgl. Wolff 2006: 256). Auch die Herangehensweise der ethnomethodologischen Konversationsanalyse12 wird seit Ende der 1970er Jahre auf ihre Fruchtbarkeit für die Untersuchung schriftlicher und schriftsprachlich konzipierter Texte hin untersucht (vgl. Knauth/Wolff 1991).13 Nachdem wesentliche Bestand12 | Prägend für die Entwicklung der Konversationsanalyse waren die Studien sowie insbesondere die »Lec tures« des früh verstorbenen Harvey Sacks aus den Jahren 1964 und 1972 (vgl. Sacks 2006) und der Aufsatz »A Simplest Systematics for the Organization of Turn-Taking for Conversation« von Sacks, Schegloff und Jefferson aus dem Jahr 1974. Mit den Zusammenhängen zwischen Ethnomethodologie und Konversationsanalyse setzen sich unter anderem Michael Lynch (2011a, 2011b) und Wes Sharrock (2011) auseinander. 13 | Ein Argument für die Übertragbarkeit konversationsanalytischer Verfahren auf die Untersuchung von Texten hatte bereits Garfinkel in seiner KrankenaktenStudie geliefert, indem er dort eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den von ihm untersuchten Akten und Äußerungen in Gesprächen konstatiert. Auch insofern, als hier wie dort methodische und interaktive Herstellungsprozesse sozialer Realität vorliegen, geht die Ethnomethodologie von einer großen Nähe zwischen ge-
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teile alltäglicher, nicht vorstrukturierter Gespräche konversationsanalytisch rekonstruiert waren, wenden sich deren Vertreter nun zunehmend vorstrukturierten Gesprächen sowie Phänomenen mit geringerer interaktiver Dichte zu. Untersucht werden nun dabei Vorträge (z.B. Atkinson 1983, 1984; Heritage/Greatbatch 1986), schriftliche Konversationen (z.B. Mulkay 1984, 1985) und Dokumente aus institutionellen Kommunikationszusammenhängen, etwa wissenschaftliche Aufsätze (z.B. Watson 1978) oder psychiatrische Gutachten (Kauth/Wolff 1991). Insbesondere einige Prämissen der ethnomethodologisch-konversationsanalytischen Forschung wurden in diesem Zuge auf die Untersuchung von Texten übertragen. Da diese Untersuchung sich an diesen Forschungsempfehlungen orientiert, sollen sie zum Abschluss des Kapitels kurz vorgestellt werden. Zunächst interessiert sich die Konversationsanalyse stets weniger für das, was verhandelt wird, sondern vielmehr dafür, wie dies geschieht: Vor allem der Frage, wie ein soziales Geschehen im Rahmen »methodisch gestalteter Kommunikationszüge« (Wolff 2004: 511) als geordnet hervorgebracht wird, kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu (vgl. Knauth/ Wolff 1991: 37). Eine weitere, wenn nicht die zentrale Prämisse konversationsanalytischer Forschung hat Harvey Sacks mit seiner Maxime »order at all points« formuliert: »[I]t is perfectly possible […] to suppose […] that wherever one happens to attack the phenomenon one is going to find detailed order. That is, one may […] take it that there is order at all points.« (Sacks, zitiert nach Jefferson 1983: 1)
Vor dem Hintergrund dieser Annahme, dass Geordnetheit der sozialen Wirklichkeit prinzipiell überall zu finden ist, ist das Datenmaterial in all seinen Details in die Analyse einzubeziehen. Auch werden aus diesem Grund natürliche Daten untersucht, die möglichst ohne direkte Intervention der Forscher zustande gekommen sind. Im Zusammenhang mit Textanalysen bedeutet dies, dass nicht etwa mit paraphrasierten oder zusammengefassten Texten gearbeitet wird, sondern dass stets die Originaltexte – in diesem Fall: möglichst genaue und systematische Transkripte der Audiotexte – zu untersuchen sind. Und schließlich geht die sprochenen und geschriebenen Diskursen aus (vgl. Knauth/Wolff 1991: 40; Wolff 2006: 250).
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Konversationsanalyse davon aus, dass soziale Handlungen und kommunikative Äußerungen, also auch Texte, stets aktiv auf ihren Kontext bezogen sind; dass sie durch den Kontext ihrer Entstehung reflexiv geprägt sind, ebenso wie sie die Kontexte ihres Gebrauchs konstitutiv erneuern (vgl. Watson 1997: 94f.). Aus diesem Grund plädiert insbesondere Schegloff dafür, Kontextinformationen aus der Analyse auszublenden und nur jene Kontexte zu berücksichtigen, die innerhalb der Daten, also von den beteiligten Akteuren oder innerhalb eines Textes, aktualisiert und relevant gesetzt werden (vgl. Schegloff 1972: 115).14 Auch sollen einzelne Äußerungen aufgrunddessen nicht isoliert untersucht werden. Stattdessen ist ihre Sequenzialität, ihre Einbettung in vorherige und folgende Äußerungen, besonders zu berücksichtigen. Die hier fokussierten (Audio-)Texte nehmen dabei eine Sonderstellung in der ethnomethodologischen und konversationsanalytischen Forschung ein. So ist es bei der Untersuchung textförmiger Dokumente aufgrund ihrer situationstranszendierenden Merkmale und ihrer geringen interaktiven Dichte (vgl. Kapitel 4.3) nicht möglich, Intersubjektivität sichernde Mechanismen der beteiligten Akteure zur Validierung der Forschungsergebnisse heranzuziehen. Welche Lesarten und kommunikativen Anschlüsse in der Praxis realisiert werden, kann auf alleiniger Basis eines Textes also nicht ausgesagt werden; vielmehr geht es darum zu erschließen, welche Möglichkeitsräume die Texte ihrer Rezeption wie eröffnen und strukturieren. Dabei profitiert die Textanalyse von dem Umstand, dass neben der Forscherin auch die Produzenten der Texte mit den genannten Unsicherheiten konfrontiert sind. Auch sie müssen auf die Möglichkeiten direkter, interaktiver Aushandlungen mit ihren Rezipienten verzichten und die Texte stattdessen möglichst selbstgenügsam gestalten, deutlichere Accounts setzen und sie in stärkerem Maße gegen Missverständnisse und ungewollte Lesarten absichern, deren Realisierung im Zuge ihrer Rezeption doch immer möglich bleibt.
14 | Am Ende dieses Kapitels wird noch einmal dezidiert davon berichtet, inwiefern die Bilder sowie die Ausstellungen als Kontexte der Audiotexte vor diesem Hintergrund in die Untersuchung einbezogen bzw. ausgeblendet wurden.
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5.3 K ONKRE TISIERUNGEN »Früher als im gewöhnlichen wissenschaftlichen Diskurs bricht der Ethnomethodologe die Diskussion über Ethnomethodologie mit dem für ihn [...] charakteristischen Hinweis ab, es komme darauf an, ethnomethodologisches Forschen im Vollzuge zu beobachten oder noch besser: selbst zu praktizieren.« (Weingarten/ Sack 1976: 7f.)
Und so ist es nun an der Zeit, die Forschungsfragen dieser Untersuchung zu präzisieren und das zugrunde liegende Datenmaterial sowie das methodische Vorgehen vorzustellen. Vor dem Hintergrund der erläuterten Problemstellungen aus den Bildwissenschaften und der Kunstsoziologie sowie des Wirklichkeits- und Textverständnisses der Ethnomethodologie interessiert sich diese Untersuchung dafür, wie Audiotexte ihre Gegenstände als sinnhaft geordnete Phänomene und nicht zuletzt als Tatsachen hervorbringen; wie sie sie also als Bilder bzw. Kunstwerke in die soziale Wirklichkeit einschreiben, mit welchen Mitteln sie dabei ihre eigene Plausibilität erzeugen und wie sie diese sinnkonstituierenden Leistungen unsichtbar – und damit umso wirkmächtiger machen. Nach einer Erkundung der formalen Gestalt der einzelnen Audio-Episoden (Kapitel 6) nimmt sie ihren Ausgangspunkt bei dem Problem, wie die Texte sprachlich auf Bilder Bezug nehmen, wie sie das theoretisch formulierte Problem der Bildbeschreibung also praktisch lösen und die visuell wahrnehmbaren Bilder überhaupt einer Kommunikation im Medium der Sprache – und damit jeglichen Versuchen einer intersubjektiven Verständigung in diesem Medium – zugänglich machen. Dabei wird die Fokussierung als spezifisches Darstellungsproblem in den Blick geraten, welches die Audiotexte in diesem Zusammenhang erkennen lassen und zu bewältigen haben (Kapitel 7). In einem nächsten Schritt wird der Frage nachgegangen, wie die Audiotexte ihre Bildbetrachtungen objektivieren, wie sie deren intersubjektiven Geltungsanspruch etablieren und wie sie für ihre Akzeptanz Sorge tragen, ungeachtet dessen, dass Bilder notwendig subjektiv wahrgenommen werden müssen, und unabhängig davon, dass es stets unzählige Möglichkeiten gibt, ein Bild zu erschließen (Kapitel 8). Vor diesem Hintergrund kann schließlich untersucht werden, wie die Audiotexte die so erschlossenen Bilder über ihre visuelle Erscheinung hinaus sozial ›lesbar bzw. sichtbar‹ machen, wie sie deren Bedeutung und
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Relevanz – nicht zuletzt als Kunstwerke – etablieren und wie sie in diesem Zuge zur (Re-)Produktion visueller und sprachlich verfasster Wissensbestände beitragen. Der Frage, wie sie die Bilder als hochgradig indexikalische kommunikative Äußerungen kontextualisieren, wird dabei besondere Bedeutung zukommen (Kapitel 9). Das Problem der Bildbeschreibung sowie die Kommentarbedürftigkeit von Kunst wurden in der Theorie insbesondere für Werke der modernen Kunst konstatiert (vgl. Kapitel 2.2 und 3.2). Um den Besonderheiten der Kommunikation über zeitgenössische, noch wenig kanonisierte Werke im Vergleich zu historischen Werken auf die Spur zu kommen, werden sowohl ein Audioguide zu einer historischen Stilrichtung als auch ein Audioguide zu Gegenwartskunst in die Untersuchung einbezogen und stets auch einer vergleichenden Betrachtung unterzogen.
Zur Auswahl der Audioguides Im Wesentlichen liegen dieser Untersuchung die Audioguides aus den Ausstellungen Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010) in der Kunsthalle Bielefeld sowie Neo Rauch. Begleiter (18.04.2010– 15.08.2010) im Museum der bildenden Künste Leipzig zugrunde. Die Auswahl dieser Audioguides basiert auf verschiedenen Kriterien: So stehen Audioguides aus Ausstellungen mit Werken der bildenden Kunst im Zentrum des Interesses, deren Episoden sich direkt mit einzelnen Bildern befassen. Die angestrebte vergleichende Untersuchung eines Audioguides zu Werken einer historischen Stilrichtung und einem zu Gegenwartskunst setzt zudem voraus, dass entsprechende Ausstellungen sich hinsichtlich der Aktualität beziehungsweise der Kanonisierung der behandelten Werke deutlich unterscheiden, während sie sich formal möglichst stark ähneln, sodass eine Vergleichbarkeit überhaupt gegeben ist. Bezüglich eines Audioguides zu Werken einer historischen Stilrichtung fiel die Wahl schnell auf den der Ausstellung Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010) in der Kunsthalle Bielefeld; eine Sammelausstellung, in der Malereien aus einer gut erforschten und breit rezipierten historischen Kunstrichtung präsentiert sind. Ferner wurden auch die Wandtexte der Ausstellung Berliner Impressionismus (22.06.2009–11.04.2010) im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund dokumentiert. Zwar stand dort kein Audioguide zur Verfügung, doch boten sich die erläuternden Texte zu jedem der ausgestellten
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Bilder aufgrund der großen inhaltlichen Nähe an, bei Bedarf zusätzlich als Vergleichsfälle hinzugezogen zu werden. Deutlich schwieriger gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten Audioguide aus einer Ausstellung zu Gegenwartskunst, werden Audioguides doch gerade hier eher selten eingesetzt. Laut Vertretern aus entsprechenden Einrichtungen ist dies zum einen im Mangel an wissenschaftlicher Literatur zu zeitgenössischen Werken und Stilrichtungen begründet, auf deren Basis ihre kunsthistorische Bedeutung abzusehen ist und mit deren Hilfe die Texte mit vertretbarem Aufwand konzipiert werden können. Zum anderen spielen demnach auch ökonomische Gesichtspunkte eine Rolle: Gerade bei Ausstellungen zu sehr jungen und unbekannten Werken ist mit geringeren Besucherzahlen zu rechnen, sodass eine aufwendige mediale Aufbereitung nur schwer finanzierbar ist.15 Letztlich konnte im Erhebungszeitraum und im deutschsprachigen Raum keine Ausstellung zu zeitgenössischer Kunst identifiziert werden, die neben dem Einsatz eines Audioguides alle genannten Kriterien erfüllt hat. Als am besten geeignet erwies sich schließlich die Ausstellung Neo Rauch. Begleiter (18.04.2010–15.08.2010) im Museum der bildenden Künste Leipzig, die besonders junge Malereien umfasste, welche zwischen 1995 und 2010, also teilweise erst im Jahr der Ausstellung entstanden sind. Die Einschränkungen, dass es sich hierbei nicht um eine Sammelausstellung, sondern um eine Werkschau gehandelt hat, und dass das Werk von Neo Rauch zu dieser Zeit bereits einige Bekanntheit genoss, wurden schließlich als hinnehmbar bewertet. Schon aus dieser nicht ganz einfachen Suche nach einem geeigneten Audioguide zu Gegenwartskunst lassen sich erste Erkenntnisse im Hinblick auf die zu untersuchenden Fragestellungen gewinnen: Die bisher nur theoretisch begründete Vermutung, dass je nach Etablierung und Kanonisierungsgrad der Werke unterschiedliche Probleme bei der Gestaltung der (Audio-)Texte zu lösen sein könnten und dass eine vergleichende Untersuchung vor diesem Hintergrund sinnvoll sein dürfte, erfuhr durch die Beobachtung, dass Audioguides in Kunstausstellungen zu ganz jungen und noch wenig erforschten Werken anders als in Ausstellungen zu historischen Stilrichtungen eher selten eingesetzt werden, ebenso wie 15 | Diese Informationen sind Ergebnis punktueller Nachfragen am Rande der Datenerhebung; sie sind keineswegs repräsentativ, sondern lediglich einige Indizien für den dargestellten Sachverhalt.
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durch die Auskünfte seitens der Einrichtungen, erste Unterstützung aus der Empirie.
Datenbasis Von Beginn an standen Audio-Episoden bzw. Audiotexte zu einzelnen Bildern im Fokus dieser Untersuchung. Nachdem zunächst nicht auszuschließen war, dass auch die Ausstellungen in ihrer räumlichen Anlage und medialen Ausstattungen, also etwa die Architekturen der Ausstellungen, die Hängung der Bilder sowie Beschilderungen im Zuge der Analyse relevant werden könnten, wurden auch umfangreiche Dokumentationen der Ausstellungen vorgenommen.16 Insbesondere allen in Textform bereitgestellten Informationen wurde besondere Aufmerksamkeit zuteil, trugen doch auch sie neben, wenn nicht gemeinsam mit den Audioguides zur sprachlichen Rahmung der ausgestellten Bilder bei. Hier liegen zunächst verschiedene Typen übergeordneter Wandtexte17 vor, die sich nicht direkt auf einzelne Bilder beziehen. Neben den Titeln der Ausstellungen, die in großen Lettern an den Wänden in den Eingangsbereichen prangten, befanden sich in den ersten Räumen beider Ausstellungen Wandtexte, die einen allgemeinen Überblick über das Thema der jeweiligen Ausstellung gaben.18 In einigen Räumen der 16 | Zu diesem Zweck kamen sowohl registrierende als auch rekonstruierende Konservierungstechniken (vgl. Bergmann 1985: 304ff.) zum Einsatz. Die Räume der Ausstellungen, die ausgestellten Bilder und die Beschilderungen sowie deren Hängung wurden fotografisch dokumentiert, daneben wurden Grundrisse der Räumlichkeiten skizziert und ggf. Feldnotizen angefertigt. Auch die Ausstellungskataloge liegen vor. 17 | Die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen für die unterschiedlichen Text-Typen orientieren sich an der Darstellung der Hierarchieebenen von Texten in Museen und Ausstellungen von Dawid und Schlesinger (2002a: 36ff.). 18 | In der Eingangshalle zur Bielefelder Ausstellung Der Deutsche Impressionismus war auf der Fläche einer ganzen Wand eine Chronologie angebracht, die verschiedene Ereignisse im Kontext des Impressionismus vor allem in Deutschland zwischen den Jahren 1869 und 1918 aufführte. Im ersten Saal der Ausstellung fand sich zudem ein Text mit dem Titel »Der Deutsche Impressionismus«, der eine kurze Einführung in Ursprünge, wichtige Akteure, Themen und Charakteristika dieser Stilrichtung gab. In der Leipziger Ausstellung Neo Rauch. Begleiter wurden die
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Ausstellung Der Deutsche Impressionismus waren zudem großformatige Saaltexte angebracht, die in den thematischen Schwerpunkt der Räume einführten19 oder die, teils mit Fotografien unterlegt, über die Biografien einzelner Künstler Auskunft gaben. Insofern als all diese Texte auch den Rezipienten der Audioguides zugänglich waren, lag ihre Berücksichtigung in der Untersuchung zunächst nahe – mag sich so manches, was in den Audioguides dargestellt oder verschwiegen wird, doch nicht zuletzt vor dem Hintergrund intertextueller Bezüge (vgl. Kristeva 1967: 149) zwischen ihnen und anderen Texten vor Ort erklären lassen: Die Bedeutung des »Deutschen Impressionismus« muss in den Audioguides mitunter nicht mehr grundlegend geklärt werden, wenn sie bereits in einem Wandtext behandelt wurde usw. Doch stehen nicht Bezüge zwischen verschiedenen Texten oder Textgattungen, sondern vielmehr die zwischen Text und Bild im Fokus dieser Untersuchung; Grund genug also, sich von den übergeordneten Texten ohne konkreten Bild-Bezug abzuwenden und jene Texte aus den Ausstellungen in den Blick zu nehmen, die sich explizit auf einzelne Bilder beziehen. So unscheinbar sie sind, so wenig wurde auch in den hier untersuchten Ausstellungen auf sogenannte »Objektkennungen« (Dawid/Schlesinger 2002a: 36) in direkter Nähe eines jeden Bildes verzichtet: Abb. 1: Objektkennung aus »Der Deutsche Impressionismus«
Abb. 2: Objektkennung aus »Neo Rauch. Begleiter«
Besucher neben den ersten Gemälden und einigen Fotografien von einer ebenso überschriebenen Chronologie zur Biografie des Malers empfangen. 19 | Die Einführungs-Texte in der Ausstellung Der Deutsche Impressionismus führten ihren Überschriften entsprechend in die Themen »Im Haus«, »In der Stadt«, »Im Garten«, »Im Freien«, »Am Wasser« und »Auf dem Lande« ein.
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In der Ausstellung Der Deutsche Impressionismus waren sie auf kleinen Schildern angebracht und gaben Aufschluss über den Namen des Künstlers sowie über Entstehungsjahr und Titel des Bildes, der in Deutsch und in englischer Übersetzung angeführt war. Zudem waren auch das Format des Bildes, verwendete Materialien, Leihgeber und gegebenenfalls die Maltechnik auf den Schildern vermerkt. In der Leipziger Ausstellung Neo Rauch. Begleiter waren diese Informationen dagegen direkt auf die Wand aufgetragen. Sie waren hier etwas kompakter gehalten und gaben Aufschluss über Titel und Entstehungsjahr des jeweiligen Bildes, 20 über verwendete Materialien, Maltechniken sowie über die Leihgeber.21 Auch diese Objektkennungen werden hier keiner eingehenden Analyse unterzogen. Und doch können sie im Kontext der Fragen, die dieses Projekt motivieren, schwerlich ignoriert werden. Egal, ob ein Bild aus einer der beiden Ausstellungen im zugehörigen Audioguide näher behandelt wird oder nicht: Nicht eines der Bilder wurde in den Ausstellungen ganz für sich alleine, ohne ›Paratext‹ bzw. ›Parergon‹,22 diese minimale, 20 | Da es sich bei der Ausstellung Neo Rauch. Begleiter um eine Werkschau handelt, in der ausschließlich Malereien von Neo Rauch gezeigt wurden, kann hier auf eine Angabe zum Namen des Künstlers verzichtet werden. 21 | In der Dortmunder Ausstellung Berliner Impressionismus, in der keine Audioguides zur Verfügung standen, war die Beschilderung der einzelnen Bilder weitaus umfangreicher gestaltet. Jedem der 65 ausgestellten Bilder stand hier ein Schild zur Seite, das neben Angaben, die in etwa den der Objektkennungen aus Bielefeld und Leipzig entsprachen, einen sogenannten »Objekttext« (Dawid/Schlesinger 2002a: 36) enthielt. Auf Deutsch und in englischer Übersetzung war dieser in einigen Sätzen mit dem Bild oder einem damit in Zusammenhang stehenden Thema befasst. 22 | Mit dem Begriff »Paratext« erfasst Genette ursprünglich vor allem Texte, die einem anderen Text begleitend oder kommentierend zugeordnet sind (vgl. ders. 2001). Daneben stellt Derrida mit seinem Begriff des »Parergon« Überlegungen zur fließenden Grenze zwischen künstlerischem Werk und rahmendem Beiwerk an, welches auch textuelle Elemente einschließt: »Weder Werk (ergon) noch Beiwerk (hors d’oeuvre), weder innen noch außen, weder unten noch oben, bringt es [das Parergon, K.P.] alle Gegensätze aus der Fassung, ohne doch unbestimmt zu bleiben und schafft Raum für das Werk. Es ist nicht mehr allein um das Werk herum angesiedelt. Das, was es aufstellt – die Instanzen des Rahmens, des Titels, der
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sprachlich vermittelte Begleitinformation präsentiert. Und schließlich sind diese Kennungen auch im Hinblick auf die jeweiligen Audioguides von Bedeutung. So enthielten die Schilder gegebenenfalls eine Angabe dazu, welche Nummer auf dem Gerät gewählt werden musste, um die dem Bild zugeordnete Audio-Episode anhören zu können: Bei den beiden abgebildeten Kennungen wären etwa die Nummern 9 (Abb. 1) bzw. 209 (Abb. 2) zu wählen gewesen. Zudem kann auch hier vorausgesetzt werden, dass die über die Schilder vermittelten Informationen während der Rezeption der Audioguides im Rahmen der Ausstellungen zur Verfügung standen. Aufgrund des ethnomethodologisch-konversationsanalytischen Plädoyers dafür, kommunikative Äußerungen – also hier: die Audiotexte – im Zuge ihrer Analyse nicht mit ihren Kontexten zu überfrachten, sondern zunächst deren eigene Sinnpotenziale zu erschließen und jene Kontext-Bezüge auszuloten, die sie selbst herstellen (vgl. Kapitel 5.2), sollen diese Hinweise zu jenen Paratexten, die den Bildern in den Ausstellungen über die Audiotexte hinaus zur Seite gestellt waren, an dieser Stelle genügen. Die angesprochenen Bezüge werden vor diesem Hintergrund im Folgenden nicht näher untersucht. Und so liegen dieser Untersuchung in erster Linie alle 41 Episoden der Audioguides aus den Ausstellungen Der Deutsche Impressionismus und Neo Rauch. Begleiter zugrunde, die sich direkt auf einzelne23 Gemälde beziehen. Die von Kuratoren konzipierten und von professionellen Schauspielern vorgetragenen Texte behandeln bei Weitem nicht alle Bilder der Ausstellungen: Aus Der Deutsche Impressionismus werden 32 der 186 ausgestellten Malereien in 30 Audiotexten behandelt, während 11 der 60 Gemälde aus der Neo-Rauch-Ausstellung in diesem Medium besprochen werden. Mit Ausnahme eines weiteren Textes im Audioguide der Bielefelder Ausstellung, der die Bedienung des Gerätes kurz erläutert, sind zu beiden Ausstellungen keine weiteren, übergreifenden Audiotexte vorhanden. Gegenüber schriftlichen Texten weisen die untersuchten Audiotexte einige Besonderheiten auf, die nicht nur ihren auditiven Charakter, Signatur, der Bildunterschrift (Bildbeschriftung), und so weiter – hört nicht mehr auf, die interne Ordnung des Diskurses über die Malerei, ihre Werke, ihren Handel, ihre Aufwertungen, ihren Mehrwert, ihre Spekulation, ihr Recht und ihre Hierarchien durcheinanderzubringen.« (1992: 25; Hervorhebungen im Original) 23 | Zwei der Texte behandeln jeweils zwei Gemälde.
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sondern auch die eingesetzten technischen Geräte und die damit jeweils einhergehenden Praktiken ihrer Rezeption betreffen (vgl. Kapitel 4): Der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus konnte von den Besuchern im Eingangsbereich der Ausstellung samt Wiedergabegerät ausgeliehen werden. Die einzelnen Episoden konnten über das Gerät abgespielt und über Kopfhörer gehört werden, sobald die auf den entsprechenden Objektkennungen vermerkten Nummern über einen Nummernblock in das Gerät eingeben wurden. Dabei war es möglich, die Episoden in beliebiger Reihenfolge anzuhören, eine laufende Episode zu unterbrechen und später damit fortzufahren, sie abzubrechen, sie wiederholt zu hören oder innerhalb einer Episode vor- oder zurückzuspulen. Der Audioguide zur Ausstellung Neo Rauch. Begleiter konnte dagegen schon im Vorfeld des Ausstellungsbesuchs in Form einer App24 aus dem Internet heruntergeladen und vor Ort mit privaten Geräten eines großen Hard- und Software-Unternehmens abgespielt werden. Alternativ war es auch hier möglich, die Geräte mit der installierten App erst in der Ausstellung auszuleihen. Dieses multimediale Programm enthält im Wesentlichen 11 Audio-Episoden, die zu den jeweiligen Bildern abgespielt und über Kopfhörer angehört werden konnten. Auch das hier verwendete Programm erlaubte es dem Nutzer, die Episoden zu unterbrechen und wieder fortzuführen, sie vorzeitig zu beenden oder sie wiederholt anzuhören. Allerdings war es hier nicht möglich, innerhalb einer Episode vor- oder zurückzuspulen. Auf dem verhältnismäßig großen Display der Geräte erschienen während der Wiedergabe eine Miniaturansicht des jeweils besprochenen Bildes sowie einige Angaben, die inhaltlich in etwa den Objektkennungen in der Ausstellung entsprechen. Daneben enthielt das Programm weitere allgemeinere Informationen zur Ausstellung, so beispielsweise einen einführenden, schriftlichen Text, der kurz nach dem Start des Programms auf dem Display erschien. Da ausschließlich (Audio-)Texte über einzelne Bilder im Fokus dieser Untersuchung stehen, wird an dieser Stelle auf die Erläuterung weiterer Details zu Auf bau, Gestaltung und Bedienung des Programms sowie zu den dort bereitgestellten allgemeineren schriftlichen Texten verzichtet.
24 | Vgl. Kapitel 4.1.
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Doing Ethnomethodological Analysis Obwohl sich die Ethnomethodologie weniger als Theorie, sondern vielmehr als Programm zur empirischen Untersuchung der sozialen Wirklichkeit begreift, sträubt man sich hier stärker als in vielen anderen qualitativen Forschungsprogrammen dagegen, das methodische und analytische Vorgehen zu kanonisieren. Stattdessen wird neben der Benennung einiger Forschungsprämissen25 gerne – aber oft nur vage – auf das »unique adequacy requirement« (vgl. Garfinkel/Wieder 1992) verwiesen, wonach eine Analysemethode nicht standardisiert und invariant auf jeden Untersuchungsgegenstand anzuwenden, sondern passgenau am spezifischen Gegenstand zu entwickeln ist: Erst »wenn die Analyse eines Phänomens zu einem sachhaltigen Ergebnis geführt hat«, ist »auch anzugeben, welche Methoden zur Analyse dieses Phänomens geeignet sind« (Bergmann 1993: 285). Nachdem also der alleinige Verweis auf die Ethnomethodologie recht wenig über das hier praktizierte methodische Vorgehen aussagt, wird dieses nun kurz vorgestellt. Die Audioguides unterscheiden sich deutlich von anderen auditiven Gegenständen, etwa von Gesprächen im Rahmen von Face-to-FaceKommunikationen, insofern als sie schriftsprachlich konzipiert, professionell eingesprochen sowie nachbereitet wurden und von Beginn an in registrierter Form vorliegen. Diese Äußerungen, die auch in ihrem alltäglichen Anwendungskontext in ein und derselben Version beliebig oft abgespielt werden können, stellen sich der Forscherin also anders als etwa Alltagsgespräche nicht als »geschehene« (vgl. Bergmann 1985: 304), sondern, wenn man so will, als bestehende, wiederholbare Ereignisse dar, die keiner gesonderten Aufzeichnung im Rahmen einer Datenerhebung bedürfen,26 sondern die für die Analyse lediglich in eine 25 | Zentrale Prämissen der ethnomethodologischen und konversationsanalytischen Textanalyse wurden am Ende von Kapitel 5.2 behandelt. 26 | Das konstruktive Moment, welches Bergmann im Zusammenhang mit der registrierenden Konservierung eines (flüchtigen!) sozialen Geschehens problematisiert (Bergmann 1985: 317), spielt hier demnach kaum eine Rolle. Auch die zahlreichen Selektionsentscheidungen, die mit der Erstellung audiovisueller Aufzeichnungen einhergehen, etwa die Entscheidung über den Beginn und das Ende einer Aufzeichnung, entfallen bei der Erhebung der bereits in registrierter Form im Feld vorliegenden Daten.
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dauerhafte symbolische Form (vgl. Bergmann 1988b: 17ff.) gebracht, also transkribiert werden müssen. Die grobe27 Transkription der 41 Episoden erfolgte entsprechend des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT), welches 1997 von einer Forschergruppe um Margret Selting entwickelt wurde (Selting et al. 1998; vgl. Dittmar 2004: 152ff.) und hier in einer modifizierten, deutlich reduzierten Version zur Anwendung kam: Geräusche zu Beginn einer Episode sind gegebenenfalls in eckigen Klammern benannt; auch auf Überschneidungen der Geräusche mit gesprochenem Text wird dort hingewiesen. Die eigentlichen Textpassagen sind schließlich durch die Angaben »M:« oder »F:« einer männlichen oder weiblichen Sprecherstimme zugeordnet und jeweils in Kleinschreibung, ohne weitere Formatierungen innerhalb einer Passage, verschriftlicht. Jene Textelemente, die nicht eindeutig zu verstehen waren, sind in runde Klammern gesetzt, und auch alle weiteren Satzzeichen werden nicht nach den gültigen Interpunktionsregeln, sondern zur Kennzeichnung von Tonhöhenbewegungen am Ende von »Phrasierungseinheiten« (Selting et al. 1998: 100) wie folgt verwendet: ? , – ; .
hoch steigende Tonhöhe mittel steigende Tonhöhe gleichbleibende Tonhöhe mittel fallende Tonhöhe tief fallende Tonhöhe
27 | In der Konversationsanalyse ist es sonst üblich, auditive Daten sehr fein zu transkribieren. Entsprechend der Maxime »order at all points« wird dabei eine möglichst genaue Verschriftlichung der Audioaufzeichnung angestrebt; auch Pausen, Betonungen, hörbare Atmung, Lautstärkeunterschiede oder die Geschwindigkeit des Sprechens werden dabei akribisch erfasst. So hat bereits Gail Jefferson im Jahr 1985 ein exaktes Transkriptionssystem entwickelt und betont, »that the detailed study of small phenomena can be useful and informative, that the results may be orderly, that without looking ›close to the world‹ one might not know such phenomena exist, and that the absence of a range of phenomena from the data base upon which theories about the social world are built can be consequential« (1985: 27). Richter weist allerdings darauf hin, dass auch sehr feine Transkriptionen eine entsprechende Wirklichkeit nie genau reproduzieren, sondern dass die Daten stets nur mit relativer Genauigkeit verschriftlicht werden können (vgl. ders. 1982: 593).
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Grundsätzlich bildet eine Transkription die ihr zugrunde liegenden Aufzeichnungen nie unmittelbar ab, sondern Forscher tragen an dieser Stelle wesentlich zur Konstruktion ihres Gegenstands bei: In die Transkripte fließen stets Selektionen und Deutungen ein, welche die Forscher vor dem Hintergrund ihrer sprachlichen und auditiven Kompetenzen sowie ihrer spezifischen Erkenntnisinteressen und Relevanzen vornehmen und die sie zwar reflektieren und methodisch kontrollieren, nicht aber vermeiden können. So verfolgt die hier gewählte reduzierte Transkriptionsweise das Ziel, eine einfache Lesbarkeit der Transkripte zu gewährleisten und sie nicht mit allen Details etwa zu Lautstärke oder Intonation zu überladen. Gleichzeitig wurden die GAT-Konventionen durchgängig eingehalten, um Tonhöhenbewegungen und somit den auditiven Charakter der Texte wenigstens grob mit zu dokumentieren. Diese von den Regeln der geltenden Rechtschreibung abweichenden Konventionen werden auch in diesem Buch überall dort beibehalten, wo direkt aus einem Transkript zitiert wird. Die Transkripte sind nummeriert, wobei diejenigen mit den Nummern 1 bis 30 den Audiotexten aus Der Deutsche Impressionismus (DI), und die mit den Nummern 31-41 jenen aus Neo Rauch. Begleiter (NR) entsprechen. Sie werden im Folgenden mit »AT.« für »Audiotext« sowie der entsprechenden Nummer abgekürzt (der Audiotext mit der Nummer 12 wird demnach beispielsweise mit »AT.12« gekennzeichnet). Die eigentliche Analyse der Audio-Episoden wurde in zwei Schritten begonnen: Zum einen wurden alle Episoden im Hinblick auf ihre formale Gestaltung, behandelte Themen und ihre inhaltliche Gliederung untersucht. Zum anderen wurden je zwei zufällig ausgewählte Transkripte aus den beiden Audioguides offen, vollständig und sehr kleinschrittig kodiert,28 um sie formal, sprachlich und inhaltlich im Detail zu erkunden. Nach einer Systematisierung der Ergebnisse wurden auch alle übrigen Audiotexte vollständig und mit besonderem Fokus auf jene Phänomene indiziert, die sich im Hinblick auf die Forschungsfragen inzwischen als relevant erwiesen hatten. In der nächsten Untersuchungsphase wurden die so erschlossenen Texte unter anderem im Hinblick auf folgende Fragen untersucht und verglichen: In welchen Zusammenhängen und wie 28 | Das Kodieren erfolgte zwar in Anlehnung an das Vorgehen der Grounded Theory (vgl. Strauss 1998), allerdings wesentlich deskriptiver, unter stärkerer Berücksichtigung der sequenziellen Logik der Audiotexte. Auch wurde auf eine frühe Konzeptionalisierung, wie die Grounded Theory es vorsieht, verzichtet.
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wird ein Thema behandelt oder ein sprachliches Mittel eingesetzt? In welcher Reihenfolge werden Themen behandelt, Informationen vermittelt, sprachliche Mittel eingesetzt? Wann und wie werden verschiedene Aspekte zueinander in Beziehung gesetzt? Welches Wissen explizieren die Texte und welches setzen sie – bzw. die Forscherin bei deren Rezeption – implizit voraus? Für welche praktischen Probleme könnten die fokussierten Phänomene Lösungen darstellen? Inwiefern unterscheiden oder ähneln sich die Texte der beiden Audioguides im Hinblick auf ein spezifisches Phänomen? Die gesamte Analyse wurde mithilfe der Software ATLAS.ti durchgeführt, verwaltet und dokumentiert (vgl. Friese 2006). Der Zuschnitt des Projekts wirft besondere methodische Fragen auf: Zunächst stellt sich die Frage, wie mit der Indexikalität von Texten umzugehen ist und welchen Geltungsanspruch eine reine Textanalyse angesichts dessen erheben kann. Texte eröffnen stets unzählige Anschlussmöglichkeiten; aufgrund der Datenlage muss dieses Projekt offen lassen, welche kommunikativen Anschlüsse im praktischen Gebrauch realisiert werden. Die geläufigen Argumente, dass Texte aufgrund ihrer Entstehung jenseits der Rezeptionssituation selbstgenügsam und im Hinblick auf erwartete Kompetenzen der Rezipienten gestaltet sind (vgl. Wolff 2004; Garfinkel 2000) und dass sie mithilfe von Accounts oder Kontextualisierungshinweisen (vgl. Kapitel 5.1) für eine angemessene Rezeption ihrer selbst sorgen, scheinen dieses Problem nur bedingt, auf alle Fälle nicht befriedigend zu lösen. Aus der ethnomethodologischen Aussage, dass Texte ihre soziale Lesbarkeit aktiv strukturieren, kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass sie nur eine Lesart zulassen, geschweige denn deren Realisierung erzwingen könnten. Um diesem Problem entgegen zu treten, wurden im Zuge der oben angeführten Schritte und Fragen an die Texte stets auch alternative Lesarten einzelner Textelemente oder Passagen ausgelotet und berücksichtigt.29 Und schließlich stellt sich wie so oft bei der Untersuchung textförmiger – aber auch auditiver oder visueller – Dokumente auch hier die Frage, inwiefern deren Kontext, in diesem Fall: ein Wissen um die entspre29 | Ohne die Forschungslogik der Objektiven Hermeneutik zu übernehmen, ist dieses Vorgehen sicherlich von ihrer analytischen Praxis inspiriert, möglichst viele Lesarten einer untersuchten Textsequenz zu bilden (vgl. Oevermann et al. 1979: 412-429) – auch mit dem Ziel, eigene, spontan gebildete Lesarten zu reflektieren und sich damit die eigene Kultur zu befremden (vgl. Hirschauer/Amann 1997).
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chenden Bilder sowie um die Anlage der jeweiligen Ausstellung, in die Analyse einbezogen werden soll oder darf. Wie in Kapitel 5.2 ausgeführt, wird in der ethnomethodologischen und konversationsanalytischen Textanalyse häufig dafür plädiert, Kontextwissen auszublenden und in erster Linie immanente Analysemöglichkeiten der Texte auszuschöpfen. Mit dem Ziel, die Texte nicht von vorneherein unter dem Kontextwissen der Forscher zu begraben, sondern zunächst deren eigene Sinnpotenziale zu erkunden, sind ihre Kontexte demnach lediglich insofern relevant zu setzen, als dies auch innerhalb der untersuchten Dokumente geschieht (vgl. Schegloff 1972: 115). So wird der Ausstellungskontext in den Audiotexten nur selten explizit relevant gesetzt. Es finden sich hierzu nur vereinzelte Hinweise, etwa im Audiotext Nr. 4, wo gleich zu Beginn reflektiert wird: Aus 1 2 3 4 5 6
AT.4 (zu Abb. 6, DI30): nanu? max beckmann in dieser ausstellung? ist das nicht falsch? nein, ist es nicht; denn obwohl max beckmanns name zumeist im zusammenhang mit dem deutschen expressionismus genannt wird, entwickelte sich sein persönlicher stil in der auseinandersetzung mit den modernen tendenzen seiner zeit; also auch dem impressionismus.
In der Regel lassen sich dagegen allenfalls implizite Bezugnahmen der Audiotexte auf die jeweilige Ausstellung erkennen, insofern als in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus immer wieder über den Impressionismus gesprochen wird, während in den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter regelmäßig der Künstler Neo Rauch zum Thema wird. Letztlich wurde ein Wissen um den Ausstellungskontext der beiden Audioguides weitgehend ausgeblendet und nicht in die Analyse der Texte eingebracht. Obwohl dieses Projekt gerade vom Interesse an der Beziehung zwischen Text und Bild motiviert ist, wurden auch die konkreten, sichtbaren Bilder vor den oben erläuterten Hintergründen nicht in die Analyse 30 | »DI« steht für die Aussstellung Der Deutsche Impressionismus, in deren Kontext das Bild und die entsprechende Audio-Episode präsentiert wurden. Bilder und Audiotexte aus Neo Rauch. Begleiter werden dementsprechend mit »NR« gekennzeichnet.
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einbezogen. Nachdem die Audio-Episoden in den Ausstellungen über Nummern einzelnen Bildern direkt zugeordnet waren und zudem auch innerhalb der Audiotexte sowohl implizit als auch explizit immer wieder konkrete Bilder als Referenzobjekte (und somit als relevante Kontexte) ausgewiesen werden,31 konnte allerdings davon ausgegangen werden, dass die Audiotexte sich gegebenenfalls tatsächlich auf Bilder und nicht etwa auf reale Szenen beziehen; dass also beispielsweise mit »eine Frau sitzt am Ufer« im Audiotext Nr. 23 (bzw. AT.23) von der bildlichen Darstellung und nicht von einer realen Frau an einem realen Ufer die Rede ist. Über diese Frage hinaus wurde das Wissen um Bilder als Bezugsobjekte der Audiotexte lediglich im Rahmen von Gedankenexperimenten in die Analyse einbezogen. So wurde mitunter den Fragen nachgegangen, wie sich die Rezeption einer Textpassage verändern könnte, je nachdem, ob ein entsprechendes Bild zeitgleich betrachtet wird oder nicht, und inwiefern unter diesen alternativen Bedingungen unterschiedliche Lesarten und Funktionen der Äußerungen ausgemacht werden können. Gerade im Hinblick auf die in diesem Buch angestellten Überlegungen zu Möglichkeiten, vor allem aber zu den Problemen der Bildbeschreibung erweist sich dieses Vorgehen letztlich sogar als unabdingbar: Nur unter Ausblendung der Bilder aus der Analyse kann vermieden werden, eigene Beschreibungen davon anfertigen zu müssen und somit den Gegenstand und eine der zentralen Problemstellungen des Buches nicht nur zu reproduzieren, sondern auf sich selbst anzuwenden – den Bildbeschreibungen der Audiotexte also mit eigenen Bildbeschreibungen zu begegnen und das Problem damit nur zu verlagern. Stattdessen wird hier ein anderer Weg eingeschlagen: Die Bilder müssen für sich selbst stehen und es obliegt den Lesern dieses Buches (wie es auch den Ausstellungsbesuchern bei der Rezeption der Audioguides oblag), sie in ihrer visuellen Gestalt, ihren Farben und Formen mit den untersuchten Texten in Beziehung zu setzen.
31 | Dies geschieht teils implizit, indem über die Visualität dessen, worüber die Texte handeln, gesprochen wird oder auch explizit, wenn deutlich von einem »Bild«, einem »Gemälde«, einer »Malerei« o.ä. gesprochen wird oder davon, dass ein entsprechendes Artefakt »gemalt« wurde etc.
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Abb. 3: Gotthard Kuehl, Kircheninterieur – Inneres der Peterskirche in Salzburg, 1912, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.1) Abb. 4: Gotthard Kuehl, Das Gartenzimmer, um 1890–1900, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.2) Abb. 5: Lovis Corinth, Julius Meier-Graefe, 1917, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.3) Abb. 6: Max Beckmann, Simson und Delila, 1912, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.4)
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Abb. 7: Maria Slavona, Stillleben vor rotem Hintergrund, 1911, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.5) Abb. 8: Max Slevogt, Selbstbildnis vor der Staffelei, 1903, Öl auf Leinwand (1. Referenzobjekt von AT.6) Abb. 9: Max Slevogt, Selbstbildnis mit steifem Hut, 1912, Öl auf Holz (2. Referenzobjekt von AT.6) Abb. 10: Max Slevogt, Der schwarze d’Andrade, 1903, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.7)
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Abb. 11: Lovis Corinth, Die Geigenspielerin, 1900, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.8) Abb. 12: Max Liebermann, Atelier des Malers am Brandenburger Tor in Berlin, 1902, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.9) Abb. 13: Max Liebermann, Selbstbildnis mit Palette, 1912, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.10)
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Abb. 14: Lesser Ury, Nächtliches Berlin, 1919, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.11) Abb. 15: Friedrich Kallmorgen, Im Hafen von Hamburg, o.J., Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.12) Abb. 16: Hermann Pleuer, Dampf auslassende Lokomotive, 1897, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.13) Abb. 17: Jakob Nussbaum, Mainufer mit Blick auf die Alte Brücke, 1903, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.14)
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Abb. 18: Lovis Corinth, Der Tiger, um 1917, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.15) Abb. 19: Fitz von Uhde, Die Töchter des Künstlers im Garten, 1901, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.16) Abb. 20: Albert Weisgerber, Im Biergarten, 1905, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.17)
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Abb. 21: Max Liebermann, Landschaft (Wannsee), 1924, Öl auf Leinwand (1. Referenzobjekt von AT.18) Abb. 22: Max Liebermann, Wannseegarten – Haus und Terrasse nach Südwesten, 1917, Öl auf Leinwand (2. Referenzobjekt von AT.18) Abb. 23: Lovis Corinth, Walchensee mit Springbrunnen, 1923, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.19)
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Abb. 24: Lovis Corinth, Selbstbildnis am Walchensee, 1922, Öl auf Holz (Referenzobjekt von AT.20) Abb. 25: Otto Reiniger, Tachensee bei Hochwasser, um 1908, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.21) Abb. 26: Karl Hagemeister, Bäume am Seeufer – Ostseeküste, 1910, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.22)
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Abb. 27: Hermann Pleuer, Frau am Wasser, 1897, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.23) Abb. 28: Paul Baum, Blick auf Zeeland, um 1895, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.24) Abb. 29: Curt Herrmann, Im Garten von Schloss Pretzfeld, um 1905, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.25) Abb. 30: Max Slevogt, Dame am Meer, 1908, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.26)
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Abb. 31: Christian Landenberger, Sommerabend am See, 1904, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.27) Abb. 32: Max Liebermann, Schreitender Bauer, 1894, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.28) Abb. 33: Heinrich von Zügel, In der Schwemme, 1908, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.29) Abb. 34: Robert Sterl, Die Steinbrecher, 1911, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.30)
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Abb. 35: Neo Rauch, Start, 1997, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.31) Abb. 36: Neo Rauch, Die große Störung, 1995, Öl auf Papier auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.32) Abb. 37: Neo Rauch, Mittag, 1997, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.33) Abb. 38: Neo Rauch, Uhrenvergleich, 2001, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.34)
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Abb. 39: Neo Rauch, Fell, 2000, Öl auf Mischgewebe (Referenzobjekt von AT.35) Abb. 40: Neo Rauch, Rauch, 2005, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.36) Abb. 41: Neo Rauch, Die Flamme, 2007, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.37) Abb. 42: Neo Rauch, Die Fuge, 2007, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.38)
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Abb. 43: Neo Rauch, Krönung 1, 2008, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.39) Abb. 44: Neo Rauch, Fluchtversuch, 2008, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.40) Abb. 45: Neo Rauch, Unter Feuer, 2009/10, Öl auf Leinwand (Referenzobjekt von AT.41)
6. Eine erste Phänomenologie der Audio-Episoden
Die qualitative Sozialforschung ist erst spät zu der Erkenntnis gelangt, dass Texte nicht nur als Abbilder der Realität oder als Quellen für dahinter liegende Informationen analysiert werden können, sondern dass es durchaus lohnenswert ist, sich mit ihrer Eigenlogik analytisch zu beschäftigen (vgl. Kapitel 5.2). Und so wurde auch die formale Gestaltung von Text-Dokumenten in der empirischen Sozialforschung lange Zeit recht stiefmütterlich behandelt, wenn nicht ganz übersehen. Die konversationsanalytische Prämisse »order at all points« sensibilisiert jedoch dafür, die Geordnetheit und Ordnung stiftenden Leistungen auch in solchen scheinbar noch so gewöhnlichen und unspektakulären Details zu suchen und somit gerade auch deren Beitrag zur Herstellung sozialer Ordnung mit in den Blick zu nehmen. Mit der Dauer der untersuchten Audio-Episoden, der Integration von Geräuschen und gesprochenen Texten sowie mit dem Einsatz verschiedener Stimmen werden daher zunächst jene Merkmale der Episoden betrachtet, die vornehmlich – aber, wie sich bald zeigen wird, nicht ausschließlich – deren äußere, formale Gestalt und Erscheinung betreffen. Die einzelnen Audio-Episoden dauern allesamt nur wenige Minuten – und doch offenbaren sich schon im Hinblick auf ihre Länge deutliche Unterschiede zwischen den Audioguides der beiden Ausstellungen. Während die Länge der Episoden aus Der Deutsche Impressionismus zwischen 1:19 Minuten und 2:07 Minuten und im Durchschnitt bei 1:41 Minuten liegt, dauern die Episoden aus Neo Rauch. Begleiter deutlich länger, im Schnitt 2:54 Minuten. Hier liegt die kürzeste bei 2:17 Minuten, die längste ist sogar 4:05 Minuten. Im Verhältnis zueinander erscheint der Unterschied sehr groß und ist als solcher zunächst einmal festzuhalten.
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Doch ist es auf Basis der vorliegenden Daten nicht möglich, ihn einem bestimmten Umstand, etwa unterschiedlichen Produktionskontexten oder gar einer unterschiedlichen Kanonisierung der behandelten Werke, zuzurechnen. Bemerkenswert erscheint eher, inwiefern bereits die kurze Dauer aller Episoden auf deren Konzeption, auf Möglichkeiten und Grenzen der darin vermittelten Inhalte schließen lässt. So bewegen sich die einzelnen Episoden beider Audioguides wenigstens grob in einem ähnlichen zeitlichen Rahmen von wenigen Minuten. Im Hinblick auf den Rezeptionszusammenhang eines Ausstellungsbesuchs erscheint dies auf Anhieb sinnvoll: Soll einem möglichst breiten Publikum auch nur theoretisch die Möglichkeit gegeben werden, eigene Betrachtungen der Exponate vorzunehmen, daneben alle Audio-Episoden zu einer Ausstellung anzuhören und gegebenenfalls weitere Informationsmedien zu konsultieren, so erscheint eine entsprechende Kürze der einzelnen Episoden sogar notwendig. Jedoch ist es in wenigen Minuten kaum möglich, ein Bild in Gänze zu erfassen (wann ist eine Beschreibung schon vollständig?) geschweige denn über eine bloße Bildbeschreibung hinausgehende Fragen umfassend zu beantworten. Audio-Episoden dieser Länge können also nur eine selektive Annäherung an das Bild leisten. Fragen danach, welche Aspekte rund um die Bilder überhaupt angesprochen werden, und wie diese notwendig stark selektierten Aspekte zu einem schlüssigen, auch für ihre Hörer nachvollziehbaren Ganzen verarbeitet werden, gewinnen also schon angesichts der Dauer der Episoden und der entsprechenden Kürze der dort präsentierten Texte besondere Brisanz. Das Kernstück der Audioguides sind sicherlich die gesprochenen Texte, die in allen untersuchten Audio-Episoden den größten Raum einnehmen. Doch findet eine Rahmung und Kommentierung der Bilder dort mitunter auch auf nichtsprachlicher, rein auditiver Ebene statt. Während in den Episoden aus der Ausstellung Neo Rauch. Begleiter ausschließlich Texte vorgetragen werden, werden die Rezipienten des Audioguides aus Der Deutsche Impressionismus in 12 der insgesamt 30 Episoden von einer Geräuschkulisse empfangen und auf den etwas später einsetzenden Text eingestimmt. Es handelt sich hierbei meist um Geräusche aus der Natur: um Wasserplätschern (in den Audiotexten Nr. 19 und 23), Wind-, Blätter- oder Meeresrauschen (AT.22 und 26), Vogelgezwitscher oder Möwengeschrei (AT.12, 16, 17, 19 und 24), Hundegebell (AT.16) oder um das Knurren einer Wildkatze (AT.15). Aber auch Geräusche mit
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mutmaßlich menschlichem oder technischem Ursprung finden sich zu Beginn der Stücke, darunter Stimmengewirr (AT.17), Klappern von Besteck und Geschirr (AT.17), Maschinen- und Zischgeräusche (AT.13), eine Schiffshupe (AT.12) sowie Schläge auf Stein (AT.30).1 In den meisten Fällen überschneiden sich die Geräusche mit dem einige Augenblicke später einsetzenden Text und verklingen kurz danach, während der Text weiter vorgetragen wird. Nur in wenigen Ausnahmen gibt es keinerlei Überschneidungen zwischen Geräuschen und Text (AT.1, 15 und 30). Auch hier lassen sich eine Reihe von Überlegungen anschließen: Wie ist es zu erklären, dass im Audioguide der Impressionismus-Ausstellung Geräusche eingesetzt werden, während sich der Audioguide zur NeoRauch-Ausstellung seinen Rezipienten ohne dergleichen präsentiert? Welche Aufgaben erfüllen die Geräusche im Kontext der jeweiligen Audio-Episoden? In welcher Beziehung stehen die Geräusche und die anschließenden Texte, die Geräusche und die entsprechenden Bilder zueinander? Dass die Geräusche hier eine bestimmte Funktion erfüllen und dass es solche Bezüge gibt, liegt schon aus dem einfachen Grund nahe, dass die Geräusche überhaupt in die Episoden eingebettet sind – auf die Prämisse »order at all points« sei hier noch einmal hingewiesen. Auch verwundert es insofern kaum, dass speziell Audiotexte aus der Impressionismus-Ausstellung durch Geräusche ergänzt sind, als nicht ein rein kognitiver Zugang zur Welt, sondern die subjektiv-emotionale Wahrnehmung der natürlichen, sozialen und technischen Umwelt im Zentrum der impressionistischen Malerei – und oft auch im Fokus der damit befassten Audiotexte – steht, was auf diese Weise nicht nur sprachlich und 1 | Das Sprechen und Schreiben über Geräusche erscheint hier nicht minder problematisch als das Sprechen über Bilder. Wie voraussetzungsvoll die Identifikation und Benennung von Geräuschen ist und welche großen Interpretationsleistungen dabei zu vollbringen sind, sei hier nur am Rande erwähnt – dies kann und soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Und so steht die Forscherin als Rezipientin der Audioguides vor einer ähnlichen Aufgabe wie die Ausstellungsbesucher, die von diesen Medien Gebrauch machen. Eine Identifikation der Geräusche kann nur introspektiv erfolgen, ihre Versprachlichung wird von der Forscherin und gegebenenfalls auch von den Ausstellungsbesuchern auf ähnliche Weise pragmatisch und ohne großes Aufsehen gelöst. Die an die Geräusche anschließenden Texte und die jeweils zugeordneten Bilder mögen die Zuordnung und Verbalisierung der Geräusche unterstützen oder mitunter bestätigen.
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inhaltlich, sondern auch auf sinnlicher, auditiver Ebene nachvollzogen werden kann. Auf rein formaler Ebene lassen sich diese Fragen aber freilich nicht beantworten. Und so ist an dieser Stelle vor allem festzuhalten, dass die Kommentierung der Bilder im Audioguide zur Austellung Der Deutsche Impressionismus nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf dieser rein auditiven Ebene geschieht. Da sich diese Untersuchung in erster Linie der sprachlichen Kommunikation über Bilder verschrieben hat, werden die eben formulierten Fragen rund um den Einsatz von Geräuschen in den Audio-Episoden nicht im Detail weiterverfolgt. Es sei jedoch schon einmal auf das Kapitel »Impliziter Hörer« hingewiesen: Dort kommt mit AT.13 ein Audiotext zur Sprache, der das Bild explizit in Beziehung zum vorher eingespielten Geräusch setzt. Einige Antworten auf die gestellten Fragen werden sich anhand dieses Beispiels immerhin andeuten. Schließlich ist mit dem Einsatz verschiedener Stimmen noch ein weiterer formaler Aspekt der Audio-Episoden und der Gestalt der Texte zu untersuchen. In den Audioguides beider Ausstellungen kommen sowohl männliche als auch weibliche Stimmen zum Einsatz.2 Im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter sind alle 11 Texte jeweils von mehreren Stimmen vorgetragen. Es handelt sich dabei meist um eine männliche und eine weibliche Stimme, die einen Text im Wechsel vortragen, wobei sich ihre Redeanteile ungefähr die Waage halten. Nur in einer Episode aus dieser Ausstellung sind zwei verschiedene männliche Stimmen und eine weibliche am Vortrag des Textes beteiligt (AT.35). Anzumerken ist hier, dass in ausnahmslos allen Episoden aus dieser Ausstellung eine männliche Stimme den Vortrag beginnt. Im Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus gibt es dagegen sowohl Episoden, in denen die Texte komplett von einer männlichen oder einer weiblichen Stimme vorgetragen werden, als auch solche, in denen je eine männliche und eine weibliche Stimme zu 2 | Diese Untersuchung interessiert sich nicht so sehr für die Geschlechterdimension im Zusammenhang mit den vortragenden Stimmen, sondern eher dafür, dass die Audiotexte überhaupt von unterschiedlichen Stimmen vorgetragen werden – obgleich dies auch im Hinblick auf die Geschlechterdimension durchaus weiter untersucht und reflektiert werden könnte. Einen möglichen Zugang eröffnet u.a. Helga Kotthoff, die sich in ihrem Nachwort zu Goffmans »Interaktion und Geschlecht« mit der kulturellen Prägung männlicher und weiblicher Stimmlagen und Intonationen auseinandersetzt (2001: 180ff.).
6. Eine erste Phänomenologie der Audio-Episoden
Wort kommen.3 Auf den ersten Blick erscheinen die Redeanteile hier sehr unterschiedlich verteilt. Während die Texte, die nur von einer Stimme vorgetragen werden, überwiegend von der männlichen Stimme gesprochen werden, hat die weibliche Stimme innerhalb jener Texte, die von beiden im Wechsel vorgetragen sind, weitaus größere Redeanteile inne. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen den Stimmen somit auch im Audioguide aus dieser Ausstellung in etwa ausgeglichen. Diese rein formale und eher quantitative Beschreibung lässt noch keine Schlüsse darauf zu, nach welchem Prinzip der Einsatz und der Wechsel verschiedener Stimmen in den beiden Audioguides geregelt ist. Erst wenn die Grenze zu einer inhaltlichen Untersuchung überschritten und der Einsatz der Stimmen im Zusammenhang mit der jeweiligen Erzähl- bzw. Sprecherperspektive untersucht wird, wird deutlich, inwiefern die beiden Audioguides hier einer unterschiedlichen, in sich aber jeweils einheitlichen Systematik folgen. Dabei wird sich auch zeigen, welche Accounts mit dem Einsatz verschiedener Stimmen gesetzt werden, die dazu beitragen, dass die Audiotexte weitgehend selbstgenügsam sind, dass sie also auch ohne die Möglichkeit situativer und interaktiver Aushandlungsprozesse verstanden werden können. Die Perspektive der Sprecher innerhalb der Audiotexte wird in Kapitel 8.1 noch einmal intensiver behandelt, auch die unterschiedlichen Systematiken im Einsatz der Stimmen werden dort noch einmal angesprochen. Zunächst erfolgt jedoch ein kurzes Resümee zum Vergleich der beiden Audioguides in ihrer formalen Gestalt und akustischen Erscheinung. Sowohl im Hinblick auf die Länge der einzelnen Audio-Episoden als auch hinsichtlich des Einsatzes von Geräuschen sowie der Verteilung der Redeanteile auf männliche und weibliche Stimmen konnten durchaus Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Audioguides festgestellt werden. Auf allen drei behandelten Ebenen erscheint es jedoch weder sinnvoll noch möglich, diese Differenzen dem unterschiedlichen Etablierungs- und Kanonisierungsgrad der besprochenen Werke und etwaigen, 3 | Vollständig von einem männlichen Sprecher vorgetragen werden im Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus die Audiotexte 1, 3, 7, 9, 10, 13, 15, 17, 21, 25, 28, 29 und 30. Komplett von einer weiblichen Stimme werden dagegen die Audiotexte 6, 18, 23, 26 und 27 aus diesem Audioguide vorgetragen. Beide Stimmen sind schließlich am Vortrag der Audiotexte 2, 4, 5, 8, 11, 12, 14, 16, 19, 20, 22 sowie 24 aus diesem Audioguide beteiligt.
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sich infolge dessen unterscheidenden Vermittlungsproblemen zuzurechnen: Die Dauer der Audio-Episoden und der Einsatz der Stimmen lässt sich kaum dazu in Beziehung setzen. Der Einsatz von Geräuschen in Der Deutsche Impressionismus wurde zwar mit den Besonderheiten dieser Stilrichtung in Verbindung gebracht, doch betraf dies keineswegs die bereits erfolgte Kanonisierung und die relativ hohe Bekanntheit impressionistischer Kunst, sondern die Geräusche wurden eher im Zusammenhang mit inhaltlichen Merkmalen dieser Stilrichtung gesehen, die sich stark mit subjektiver, sinnlicher Wahrnehmung auseinandersetzt. Schließlich unterscheiden sich die Ausstellungen nicht nur hinsichtlich des Alters und der Kanonisierung der ausgestellten Werke, sondern sie werden daneben von unterschiedlichen Einrichtungen getragen. Die Audioguides sind dementsprechend von unterschiedlichen Akteuren konzipiert und produziert worden, auch hierin können so manche formale Differenzen begründet sein. Mögen sich unterschiedliche Probleme bei der Kommunikation über zeitgenössische und historische Werke rein formal also nicht erkennbar in den Audioguides niederschlagen, so wird das folgende Kapitel zeigen, wie deutlich sie doch inhaltlich und sprachlich in den Texten zu Tage treten.
7. Kommunikation über Wahrnehmung: Wie ›sehen‹ die Texte?
Das Problem, Bilder im Medium der Sprache zu erfassen, wurde in Kapitel 2.2 ausgehend von verschiedenen bildtheoretischen Perspektiven aufgeworfen. Doch wie so oft bleibt die Praxis auch von diesem theoretischen Problem völlig unbeeindruckt: Weder in der Wissenschaft noch im Alltag lässt man sich davon abhalten, über Bilder zu sprechen und sie etwa zur Erzeugung von Evidenz eines – in der Regel sprachlich formulierten – Arguments heranzuziehen. Auch die in dieser Studie untersuchten Audiotexte scheuen sich nicht davor, sich sprachlich mit Bildern auseinanderzusetzen, sie stellen die Bilder gar ins Zentrum ihrer Ausführungen.1 Doch erst wenn es diesen Texten überhaupt gelingt, sprachlich auf Bilder Bezug zu nehmen, ist es möglich, in diesem Medium auch spezifische Bildbetrachtungen und Deutungsangebote zu etablieren. Nimmt man das theoretische Problem der Bildbeschreibung und die Inkommensurabilität von Sprache und Bild ernst, welche Gottfried Boehm und mit ihm viele Andere betonen (vgl. Kapitel 2.2), so stellen sich zuallererst folgende Fragen: Wird in den Audiotexten überhaupt der Versuch unternommen, Bilder adäquat zu beschreiben und lassen die Texte dabei spezifische Schwierigkeiten erkennen? Wie lösen die Audiotexte das Problem der Bildbeschreibung praktisch: Wie ›betrachten‹ sie die Bilder, über welche 1 | Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Bilder, auf die sich die Audiotexte beziehen, hier als deren Kontext begriffen werden. Ein Wissen darüber, dass sich die Texte mit Bildern befassen, wird demnach nur in die Analyse einbezogen, da sie innerhalb der Audiotexte aktiv als deren Bezugsobjekte ausgewiesen werden. Nur vor diesem Hintergrund wird hier davon ausgegangen, dass die Texte sich nicht auf reale, ›lebendige‹ Szenen, sondern auf bildliche Darstellungen beziehen.
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Aspekte der Bilder geben sie Auskunft und wie dokumentieren sie ihr ›Sehen‹ im Medium der Sprache? Zur Beantwortung dieser Fragen werden in diesem Kapitel jene Passagen der Audiotexte unter die Lupe genommen, die sich direkt und – abgesehen von ihrer sprachlichen Vermittlung – unmittelbar mit einem Bild befassen.2 Schon auf den ersten Blick lässt sich dabei feststellen, dass die Audiotexte die Bilder durchaus, wenn auch stets nur partiell, beschreiben, wobei sowohl inhaltliche als auch formale, visuelle Aspekte der Bilder zur Sprache kommen. Diese werden zunächst überblicksartig vorgestellt, bevor anschließend den Fragen nachgegangen wird, wie die Texte ihr ›Sehen‹ im Medium der Sprache dokumentieren und inwiefern sich die beiden Audioguides diesbezüglich unterscheiden (Kapitel 7.3). Schließlich deutet sich am Ende des Kapitels jenseits des Problems der Bildbeschreibung ein ganz anderes praktisches Darstellungsproblem an, mit dem die Audiotexte unablässig konfrontiert sind: das der Fokussierung und der Organisation von Aufmerksamkeit (Kapitel 7.4). Die Formulierung, dass Texte Bilder »sehen« oder »betrachten« könnten, ist dabei natürlich nicht wörtlich zu verstehen: Zum einen befasst sich die Ethnomethodologie keineswegs mit subjektiven Bewusstseinsprozessen, sondern mit der interaktiven und kommunikativen Herstellung sozialer Wirklichkeit (vgl. Kapitel 5.1), zum anderen können Texte als Medien sprachlich vermittelter Kommunikation unmöglich visuell wahrnehmen, sowenig es überhaupt möglich ist, kommunikativ unmittelbar an subjektive Wahrnehmungen anzuschließen (vgl. Luhmann 1997a: 19ff.). Und doch dokumentieren sie eine bestimmte Art und Weise, über Wahrnehmung und die Betrachtung von Bildern zu kommunizieren, sie zu erschließen, sie als kommunikative Äußerungen zu rezipieren und darüber mit Mitteln der Sprache in Form kommunikativer Anschlüsse Auskunft zu geben. Genau dies wird im Folgenden näher zu beleuchten sein.
7.1 I NHALTE Betrachtet man die Audiotexte zunächst dahingehend, wie sie sich den Bildern auf inhaltlicher Ebene nähern, so lassen sich Passagen, die die 2 | Neben diesen Passagen, die sich direkt mit einem Bild in seiner visuellen Erscheinung auseinandersetzen, finden sich auch solche, die Aspekte jenseits des sichtbaren Bildes thematisieren. Diese werden in Kapitel 9 näher untersucht.
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Bilder ganz knapp zusammenfassen, von solchen unterscheiden, die sich den Bildern ausführlicher und detaillierter nähern. Gerade zu Beginn jener Passagen der Audiotexte, die sich direkt mit einem Bild befassen, finden sich häufig kurze und überblicksartige inhaltliche Zusammenfassungen der im Bild dargestellten Szenerie. Wie die beiden folgenden Auszüge zu Beginn zweier längerer bildbeschreibender Passagen illustrieren, wird das Bild dort grob und in wenigen Worten umrissen, ohne dass einzelne Bildelemente herausgehoben oder konkreter benannt werden:3 Aus AT.11 (zu Abb. 14, DI): 1 das nächtliche berlin im regen. Aus AT.35 (zu Abb. 39, NR): 1 wir sehen einen zwischen atelier und landschaft 2 angesiedelten, imaginären raum.
Beide Male handelt es sich um sehr abstrakte Beschreibungen einer Szene. Weder finden sich im ersten Beispiel Hinweise darauf, welche einzelnen Bildelemente dazu geführt haben, hier die Darstellung einer Stadt, genauer: der nächtlichen und verregneten Stadt Berlin, zu identifizieren,4 noch wird im zweiten Beispiel deutlich, anhand welcher Beobachtungen hier ein »imaginärer Raum« erkannt wird. Diese Passagen benennen die dargestellten Szenerien also grob und verzichten hierbei darauf, diese abstrakten Zuordnungen mit konkreten Bildelementen in Beziehung zu 3 | Die Zitate aus den untersuchten Audiotexten können nur dekontextualisiert wiedergegeben werden. Dass es sich hier nicht um einen Bild-Ausschnitt, sondern um eine Zusammenfassung der gesamten im Bild dargestellten Szenerie handelt, ergibt sich nicht alleine aus den hier zitierten Passagen, sondern auch aus dem Zusammenhang der Zitate in den entsprechenden Audiotexten. 4 | Bezieht man den Titel des Bildes an dieser Stelle in die Untersuchung dieser Textpassage ein, so erkennt man rasch eine starke Ähnlichkeit zwischen dem Titel und der hier gewählten Umschreibung der im Bild dargestellten Szene. Aus bereits dargelegten Gründen wurde Wissen um den Kontext der Texte, also auch über deren Titel, in dieser Analyse jedoch so weit als möglich ausgeklammert, wenn die Texte nicht explizit darauf Bezug nehmen, um zunächst die eigenen Sinnpotenziale oder auch Leerstellen der Texte aufzuspüren (vgl. Kapitel 5.2, 5.3 sowie 9).
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setzen und erkennen zu lassen, worin diese begründet sind – die Gültigkeit und Nachvollziehbarkeit dieser Beschreibungen wird vorausgesetzt. Auch ohne die Bilder zu Rate zu ziehen wird schnell klar, dass sie alleine mit diesen Aussagen lange nicht erschöpfend erschlossen sein können. Und so lassen sich zudem eine Fülle von Passagen ausmachen, die eine eingehende Betrachtung des Bildes sprachlich nachvollziehen und die detailliertere Beschreibungen des Bildes oder einzelner Bildausschnitte mal in größerem, mal in kleinerem Umfang vornehmen. Dabei verzichtet nicht eine dieser weitgehend beschreibenden Passagen darauf, einzelne Bildelemente zu identifizieren und zu benennen: Aus 1 2 3
AT.5 (zu Abb. 7, DI): eine rotbestickte tischdecke, darauf eine messingvase mit forsythien, äpfel, und ein strauß anemonen. arrangiert auf einem dunklen holztisch vor einer roten wand.
Eine Tischdecke, eine Messingvase, Blumen und Früchte, eine Wand – in dieser wie in vielen anderen Passagen lassen die Audiotexte nicht die geringste Schwierigkeit dabei erkennen, einzelne Elemente eines Bildes abzugrenzen, herauszugreifen und auf gegenständlicher Ebene im Medium der Sprache zu identifizieren. Dabei wiederholt sich hier im Detail, was zuvor bereits im Zusammenhang mit den groben Umschreibungen der gesamten Bilder zu beobachten war: Der Text stellt die Referenzobjekte der Bildelemente einfach fest. Er zielt unmittelbar auf die »Gestalten« (vgl. Fleck 1983) der Bildelemente ab und zeigt weder an, aufgrund welcher visuellen Eindrücke er die Bildelemente auf diese Weise abgegrenzt und identifiziert hat, 5 noch schickt er sich an, seine eigene Verbalisierung der Bildelemente gegenüber mögliche alternativen Interpretationen abzusichern – dies scheint schlichtweg nicht vonnöten, der Fall scheint klar und eindeutig. Formale und visuelle Aspekte der Bildelemente, wie im zitierten Textauszug deren Farbigkeit und ihre Anordnung in Beziehung zueinander, können dabei zwar im Text berücksichtigt sein, doch wird damit in keinster Weise die vorge5 | Allenfalls erzeugen diese Attribute Aufmerksamkeit für bestimmte visuelle Charakteristika der Bildelemente und erleichtern möglicherweise eine Lokalisierung der Bildelemente auf der Bildfläche – um den weiteren Ausführungen in diesem Kapitel etwas vorzugreifen.
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nommene, gegenständliche Identifikation des Bildelements begründet; diese erfolgt stattdessen stillschweigend und allem Anschein nach reibungslos. Und doch gestaltet es sich für die Audiotexte bei Weitem nicht in allen Fällen derartig unproblematisch, Bildelemente inhaltlich zu erfassen und sie als Repräsentationen bestimmter Objekte oder Sachverhalte zu identifizieren und zu versprachlichen. So kommt es immer wieder vor, dass die Audiotexte einzelne Bildelemente zwar aus der Bildfläche herausgreifen, sie aber nicht klar als bestimmte Gestalten zu erkennen und zu bezeichnen vermögen: Aus 1 2 3
AT.6 (zu Abb. 8 und 9, DI): [...] ist das dahinter ein weiteres gemälde, ist es ein spiegel, oder vielleicht ein fenster? das lässt sich nicht entscheiden;
Die Audiotexte verfolgen in diesen Fällen verschiedene Strategien, die Bildelemente dennoch sprachlich zu erfassen. Eine Möglichkeit ist dabei, wie im eben zitierten Beispiel, nicht eine einzige, sondern mehrere alternative ›Lesarten‹ – in diesem Fall in Form einer Dreierliste (vgl. Atkinson 1984: 57) – für ein Bildelement anzuführen. Mit der Aussage »das lässt sich nicht entscheiden« expliziert dieser Text dabei zum einen sein Unvermögen, das entsprechende Bildelement eindeutig auf den Begriff zu bringen. Zum anderen vermittelt er mit dieser Formulierung jedoch auch, dass es sich hier um eine Uneindeutigkeit handelt, die dem Bild zuzurechnen ist; dass also nicht nur der Audiotext Probleme damit hat, das Bildelement klar zu benennen, sondern dass sich dessen Gestalt grundsätzlich nicht eindeutig offenbart. Das Bild wird auf diese subtile Weise als eigenständiger und widerspenstiger Referent des Textes aufgewertet, ohne dass der Text deshalb an Souveränität einbüßt oder an seinen Kompetenzen, das Bild zu erschließen, Zweifel auf kommen lässt. Ein Moment, welches uns in Kapitel 8 noch stark beschäftigen wird. Vor allem in den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter finden sich zudem eine Reihe an Passagen, in denen eine eindeutige Benennung eines Bildelementes ebenso wenig wie eine Präsentation verschiedener alternativer ›Lesarten‹ gelingen mag. In diesen Fällen umkreisen die Audiotexte das Bildelement sprachlich und nähern sich ihm nur vage an:
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AT.37 (zu Abb. 41, NR): während er so stur verharrt, taucht in dem malerisch offen gehaltenen vordergrund, eine aus der tiefe kommende figur auf; die anscheinend einem prozess der selbstformung unterliegt; ein energieschub; der in gestalt transformiert sein will.
Eine Figur, die anscheinend einem Prozess der Selbstformung unterliegt? Ein Energieschub, der in Gestalt transformiert sein will? Zwar wird hier ein Bildelement herausgegriffen und in den Blick genommen – eine eindeutige Identifikation und Benennung will hier allerdings, wie auch im folgenden Beispiel, nur schwerlich gelingen. Aus 1 2 3 4
AT.39 (zu Abb. 43, NR): und die rechte, landläufig als der zupackende teil der menschlichen extremitäten eingeschätzt; ist im zerfließen zu einer form geronnen; die an einen gitarrenkörper erinnert. freilich ohne saiten; und damit stumm bleibend.
Das Bildelement, um das es in diesem Textbeispiel geht, wird zunächst noch relativ eindeutig als »die Rechte« und damit als menschliche Extremität ausgewiesen. Und doch schürt seine weitere Beschreibung Zweifel an dieser klaren Zuweisung. Handelt es sich nun um die Darstellung einer gewöhnlichen rechten Hand? Der Text fördert eher Irritierendes zu Tage: Zwar bezeichnet er das Bildelement von Beginn an unmissverständlich als Rechte, doch konfrontiert er anschließend die landläufige Vorstellung von dieser aktiven, »zupackenden« Extremität mit der zerflossenen, geronnenen, gitarrenkörper-ähnlichen Form des Bildelements, welche ein Zupacken unmöglich erscheinen lässt. Das Bildelement ist somit kaum mehr mit dieser Vorstellung von einer gewöhnlichen rechten Hand zu vereinbaren. Auch ihre alternative Beschreibung als Gitarrenkörper, mit dem es Ähnlichkeiten aufweist, läuft ins Leere: Es fehlen die Saiten, die Gitarre bleibt stumm und das Bildelement ist auch auf diese Weise nicht viel besser zu fassen. In Passagen wie den drei zuletzt vorgestellten Textauszügen gelingt es den Audiotexten nicht, einzelne, aus der Bildfläche herausgegriffene Bildelemente eindeutig auf den Begriff zu bringen. Vielmehr verweisen ihre Ausführungen hier auf Vagheiten und Vieldeutigkeiten der Bilder,
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welche die Texte im Medium der Sprache nur annäherungsweise zu erfassen vermögen. Doch obwohl die Texte anzeigen, dass ihnen eine klare gegenständliche Benennung dieser Bildelemente im Sinne des Imdahl’schen »wiedererkennenden Sehens« nicht glücken will, und dass die Darstellungen selbst eine solche gar nicht zulassen, behelfen sie sich an keiner Stelle mit einer Dokumentation des »sehenden Sehens« also mit detaillierten formalen Beschreibungen der betroffenen Bildelemente (vgl. Kapitel 2.2). Vielmehr suchen sie selbst hier stets auf gegenständlicher Ebene nach alternativen Zuordnungen, vagen Umschreibungen des Dargestellten oder auch, wie im letzten Beispiel, nach Referenten, die dem entsprechenden Bildelement wenigstens ähnlich sind. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird sich diese Art und Weise, einzelne Bildelemente zu identifizieren und zu erschließen, als paradigmatisch dafür herausstellen, wie Bilder von den Texten überhaupt erschlossen werden. Bevor nun untersucht wird, welche formalen, im Wesentlichen visuellen Aspekte der Bilder von den Audiotexten in den ›versprachlichten‹ Blick genommen werden, ist noch ein letzter, aber alles andere als unwesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit den inhaltlichen Bildbetrachtungen der Audiotexte anzusprechen. So werden einzelne Bildelemente in der Regel nicht unabhängig voneinander identifiziert, sondern sie werden auf inhaltlicher Ebene in Beziehung zueinander gesetzt; etwa dann, wenn in einem Audiotext nach einer Beschreibung des »Ausgezeichneten« als einer im Bild dargestellten Figur Folgendes festgestellt wird: Aus AT.39 (zu Abb. 43, NR): 1 vom krönungspersonal nimmt der ausgezeichnete keine notiz.
Noch deutlicher tritt dies zu Tage, wo gar nicht gesondert auf einzelne Bildelemente bzw. im Bild dargestellte Figuren verwiesen wird, sondern wo eine Bezeichnung gewählt wird, welche zwingend mehrere Elemente impliziert und miteinander in Beziehung setzt; beispielsweise dort, wo nicht einzeln auf ein als »Mann« und ein als »Frau« identifiziertes Bildelement rekurriert wird, sondern wo direkt von einem »Paar« die Rede ist: Aus AT.40 (zu Abb. 44, NR): 1 ein paar ist auf der flucht und scheitert.
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In ähnlicher Weise wie bei den überblicksartigen Beschreibungen der Szenerien, die zu Beginn dieses Kapitels angesprochen wurden, bleiben auch hier weitere Erläuterungen dazu aus, inwiefern die Gestaltung des Bildes und die Darstellung einzelner Bildelemente derartige Beziehungen nahe legen. Die Evidenz und die Nachvollziehbarkeit dieser Zusammenhänge wird erneut einfach vorausgesetzt. Auch Bildelemente, die von den Audiotexten als Objekte ausgewiesen sind, werden auf diese Weise in Beziehung zu anderen Bildelementen, etwa zu dargestellten Personen oder Figuren gesetzt und mitunter auf ihre Funktion innerhalb der bildlichen Szenerie untersucht. So wird herausgestellt, was diese Objekte innerhalb der Szene ermöglichen, verhindern oder, wie im folgenden Beispiel, was sie den im Bild dargestellten Figuren abverlangen: Aus 1 2 3
AT.39 (zu Abb. 43, NR): die krone ist eine brikettaufschichtung; die statt noblesse auszustrahlen, eher zur verunreinigenden last wird; unter der sich der mann im akt der balance noch mehr beugen muss.
Die Audiotexte behandeln einzelne Bildelemente somit keineswegs unabhängig voneinander; sie beschränken sich nicht darauf, sie schlichtweg zu identifizieren und zu benennen (oder dies jedenfalls zu versuchen). Vielmehr spüren sie ihren wechselseitigen Beziehungen nach und ordnen sie damit im Hinblick auf ihre Bedeutung für das Gesamtgefüge des Bildes ein – ganz so, als seien sie in jeder Hinsicht Teil einer eigenen, sinnhaft geordneten Welt, in die das Bild nur einen kleinen, ausschnitthaften Einblick gibt.6 Kapitel 9 wird auf die Darstellung dieser 6 | Eine Membership Categorization Analysis (vgl. Lepper 2000) oder auch eine Rahmen-Analyse (vgl. Goffman 1977) erscheint an dieser Stelle als vielversprechende Möglichkeit, der Herstellung von wechselseitigen Bezügen zwischen einzelnen Bildelementen und den sinnkonstituierenden Aktivitäten der Audiotexte in diesem Zusammenhang aus soziologischer Perspektive weiter auf den Grund zu gehen. Im kunsthistorischen Diskurs wird die vorausgesetzte bzw. die vom Betrachter unterstellte Wirklichkeit innerhalb eines Werkes, welche insbesondere auch die bildimmanenten Bezüge zwischen Bildelementen betrifft, mit dem ursprünglich film- und erzähltheoretischen Konzept der »Diegese« thematisiert (vgl. Souriau 1997: 151f.).
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eigenen, bildimmanenten Welten durch die Audiotexte noch einmal zurückkommen.
7.2 F ORMEN Einzelne Bildelemente inhaltlich bzw. gegenständlich zu identifizieren und zu benennen, macht einen wesentlichen Teil der Bildbeschreibungen in den Audiotexten aus. Doch referieren die Texte auch immer wieder auf jenes Merkmal, welches Bilder genuin auszeichnet: auf deren Visualität, die hier – wie könnte es anders sein – ebenfalls im Medium der Sprache thematisiert wird. Am Beispiel einiger etwas längerer Textauszüge ist im Folgenden genauer unter die Lupe zu nehmen, welche visuellen, mitunter auch materiellen Aspekte der Bilder in den Audiotexten berücksichtigt sind:7 Aus 1 2 3 4 5 6 7
AT.11 (zu Abb. 14, DI): aus der dunkelheit leuchten lampen wie sterne heraus und konkurrieren mit dem mondlicht. die orangegelbe innenbeleuchtung lässt die straßenbahn geradezu anheimelnd und behaglich erscheinen. die menschen kommen uns als schwarze silhouetten entgegen. statt details, erkennen wir mit grobem pinselstrich gemalte flächenhafte schwarzkontraste.
Die äußere Erscheinung von Bildelementen wird in dieser Passage eingangs sehr grob und mit Verweis auf Ähnlichkeiten beschrieben: Darüber, wie die Lampen konkret dargestellt sind, erfährt man zunächst nichts, stattdessen wird ihr Leuchten mit Sternen in der Dunkelheit verglichen und auf ihre Konkurrenz mit dem Mondlicht hingewiesen (auch hierin ähneln sie Sternen). Der Text befasst sich somit weniger damit, die kon7 | Die längeren, in diesem Teilkapitel präsentierten Auszüge stammen alle aus dem Audioguide zu Der deutsche Impressionismus. Alle hier behandelten Aspekte der Bilder finden sich auch in den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter wieder, allerdings weitaus fragmentierter; der Auswahl der Auszüge liegen hier also keine inhaltlichen Kriterien, sondern das Streben nach einer konzentrierten Darstellung zugrunde.
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krete, sichtbare Form der Bildelemente nachzuzeichnen, sondern er ist zunächst vielmehr damit befasst, unmittelbar deren ästhetische Wirkung zu erschließen. Neben diesem Vergleich liefern die Audiotexte jedoch auch eine Reihe detaillierterer Informationen über die visuellen Merkmale verschiedener Bildelemente: darunter insbesondere zu ihrer Farbigkeit, welche die Audiotexte immer wieder durch Adjektive erfassen, die in dieser Passage miteinander kombiniert (»orangegelb«, s.o.), anderswo aber auch durch Suffixe relativiert bzw. abgeschwächt (z.B. »bräunlich« und »gelblich« in AT.7) oder durch verschiedene Ergänzungen in ihrer Wirkung näher spezifiziert sind (z.B. »fahles blau« in AT.22; »grellgelb« in AT.37; »ausgewaschen, ausgeblichen, ausgelaugt wirken die Farbtöne allesamt« in AT.33). Die Schwierigkeit, Farben zu verbalisieren, wird in diesem Ringen um eine Modifizierung der verfügbaren Farbadjektive unmittelbar greif bar. Aber auch die (im obigen Beispiel silhouettenhaften) Formen und Konturen der Bildelemente oder die spezifische Malweise, die etwa anhand des Pinselduktus offengelegt wird, kommt zur Sprache. Schließlich wird insbesondere das Thema »Licht«, also die Helligkeit bzw. Dunkelheit von Bildelementen, in den Bildbeschreibungen beider Audioguides immer wieder hervorgehoben. Der Darstellung von Lichtspielen auf Oberflächen widmen dabei vor allem die Audiotexte aus Der Deutsche Impressionismus große Aufmerksamkeit: Aus 1 2 3
AT.26 (zu Abb. 30, DI): in diesem fall scheint das meer nur aus hellen lichtreflexen zu bestehen; es hat sich fast ganz in die himmelsfarben aufgelöst.
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AT.27 (zu Abb. 31, DI): gleißend scheint die tief stehende sonne auf die blaue wasseroberfläche des ammersees in oberbayern. das von links flutende licht fängt sich in hellen flecken auf den körpern zweier nackter jungen.
Auch wenn die große Bedeutung des Lichts, wie in diesen beiden Auszügen, nicht immer explizit als Charakteristikum der impressionistischen Malerei thematisiert wird, spiegelt sie sich in den Beschreibungen der
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Bilder und im großen Raum, der dem Thema in diesen Texten gegeben wird, doch deutlich wider.8 Welche visuellen bzw. materiellen Aspekte eines Bildes darüber hinaus in den Audiotexten zum Thema werden, lässt sich anhand des folgenden Ausschnitts gut nachvollziehen: Aus 1 2 3 4 5 6 7
AT.13 (zu Abb. 16, DI): leicht oberhalb der bildmitte auf die leinwand gesetzt, überstrahlt die dampfwolke alles. eine wichtige rolle spielt auch das gelbliche licht der scheinwerfer der lokomotive. die umgebung ist kaum zu erkennen. links ein pfeiler, rechts im hintergrund dunkle umrisse von gebäuden (und) bäumen, darüber rote und grüne signallichter. links oben noch mehr dampf und rauch.
Hervorzuheben ist hier nicht nur, dass der Text in dieser Passage die Leinwand als materieller Trägergrund des Bildes thematisiert.9 Vor allem wird hieran deutlich, inwiefern das Bild in den Audiotexten auch als zweidimensionale Fläche zum Tragen kommt. Mit Angaben wie »oben« und »unten«, »links« und »rechts« oder »in der Bildmitte« nehmen die Texte eine Lokalisierung einzelner Elemente auf der Bildfläche vor. Dabei orten sie Bildelemente insbesondere dadurch auf der Fläche, indem sie sie zu anderen Bereichen des Bildes ins Verhältnis setzen. Hierfür stellen sie entweder Beziehungen zu anderen formal erfassten Regionen der Bildfläche 8 | Stellenweise wird die Bedeutung des Lichts für die impressionistische Malerei im Audioguide aus Der Deutsche Impressionismus auch expliziert: » Das Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen und wirkt, wie man es von der impressionistischen Malerei kennt, wie ein Lichtspiel auf der Kleidung und den umliegenden Gegenständen« (aus AT.17 zu Abb. 20, DI). Kapitel 9 wird sich noch eingehend damit beschäftigen, inwiefern die Audiotexte stets auch Brücken zwischen den Bildern in ihrer konkreten Gestalt und ihren sozialen, kulturellen und kunsthistorischen Kontexten schlagen. 9 | In einem anderen Audiotext wird der materielle Trägergrund des Bildes auch stärker im Hinblick auf seine Implikationen für die Erscheinung und Wirkung des Bildes in dessen Beschreibung einbezogen: »Am dunklen Sandstrand ist an einigen Stellen noch die Struktur der Leinwand zu erkennen; wodurch der untere Bereich des Gemäldes trocken und sandig erscheint« (aus AT.26 zu Abb. 30, DI).
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her, wie zu Beginn des zuletzt zitierten Ausschnitts, wo der Audiotext die Dampfwolke »leicht oberhalb der Bildmitte« ausmacht. Alternativ werden einzelne Bildelemente aber auch innerhalb einer inhaltlich erfassten Szene – und damit nur indirekt auch auf einer formalen, zweidimensionalen Bildfläche – lokalisiert. Angaben wie »im Vordergrund« bzw. »im Hintergrund« werden dabei ebenso herangezogen wie weitere, gegenständlich bestimmte Bildelemente; im obigen Beispiel nimmt der Text etwa die »Umrisse von Gebäuden (und) Bäumen« zuhilfe, um darüber liegende »rote und grüne Signallichter« zu lokalisieren. Einzelne Bildelemente können somit durchaus auch ganz nebenbei, im Zuge von inhaltlichen Beschreibungen, auf der Bildfläche verortet werden; sie tragen letztlich auch in dieser impliziten Form nicht minder dazu bei, das Bild in seinem formalen Auf bau zu erschließen. Nicht selten bringen die Texte formale Aspekte der Bilder auch mit deren Wirkung in Zusammenhang. In der folgenden Passage arbeitet ein Audiotext beispielsweise heraus, wie die formale Bildkomposition, also das Zusammenspiel verschiedener formaler Aspekte des Bildes, darunter Linien, Richtungen, verschiedene Bildregionen sowie der Kontrast von hell und dunkel bzw. Licht und Schatten, den Eindruck von Raumtiefe, Dynamik und Poesie erzeugt: Aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
AT.12 (zu Abb. 15, DI): die horizontlinie mit ihrer skyline aus industriegebäuden gibt ihm räumliche tiefe. dynamik, entsteht dadurch, dass die schiffe sich entlang einer leicht schrägen linie, von links unten nach rechts oben bewegen. [...] der dunkle dampf, den der schlepper ausspeit, wird auf der wasseroberfläche gespiegelt, und verbindet alle bildebenen miteinander. so dunkel dieser schatten ist, so hell und leicht ist daneben die spiegelung der sonnenstrahlen im unteren bildraum. dieses funkeln bringt einen hauch von poesie in das gemälde.
Und so stellen die Audiotexte nicht nur, wie am Ende des vorherigen Kapitels beobachtet, auf rein inhaltlicher Ebene Beziehungen zwischen Bildelementen her. Auch formal liefern sie keine indifferenten Beschreibungen der einzelnen Bildelemente, sondern sie gehen auch hier deren wechselseitigen Beziehungen nach; sei es, wie gesehen, zur Lokalisierung
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von Bildelementen auf der Bildfläche, oder sei es, um den Zusammenhang zwischen der formalen Bildkomposition und der Wirkung eines Bildes aufzuzeigen. Während formale Aspekte der Bilder also kaum bis gar nicht herangezogen werden, wenn es darum geht, die Bilder inhaltlich zu erschließen, einzelne Bildelemente gegenständlich zu erfassen und sie auf den Begriff zu bringen (vgl. Kapitel 7.1), so wird viel stärker auf die formale Gestalt der Bilder rekurriert, sobald die Audiotexte damit befasst sind, ihre Wirkung – und damit deren subjektiv-emotionale Wahrnehmbarkeit – auszuloten und festzumachen.
7.3 G ESTALTEN SEHEN In den Texten beider Audioguides finden sich also durchaus Passagen, die ein Bild erschließen und die sich dem Problem seiner Beschreibung stellen. Es wurde aufgezeigt, dass dabei sowohl sehr knappe und zusammenfassende als auch umfangreichere inhaltliche Beschreibungen der Bilder vorgenommen werden. Einzelne Bildelemente werden in diesem Rahmen mal mehr, mal weniger problemlos identifiziert, erfasst und benannt. Auch formale, visuelle Aspekte der Bilder, darunter Farbe, Form, Malweise und Helligkeit, kommen in den Texten zur Sprache. Und schließlich werden die Bildelemente nicht nur aus der Bildfläche herausgegriffen, identifiziert und in ihrer visuellen Gestalt beschrieben, sondern im Kontext des gesamten Bildes verortet. Sie werden auf der Bildfläche lokalisiert und inhaltlich wie formal zueinander in Beziehung gesetzt. Die zu Beginn dieses Kapitels formulierte Frage, wie die Audiotexte die Bilder ›betrachten‹ und welche Wege sie einschlagen, um sich ihnen zu nähern, kann vor diesem Hintergrund noch einmal gestellt und weiter verfolgt werden. Ganz wesentlich erscheint dabei folgende Beobachtung: Die Texte erfassen die Bilder weniger über ihre formalen, visuellen Merkmale – und damit weniger über das, was die Bilder im Vergleich zu sprachlichen Kommunikationsformen auszeichnet. Vielmehr erschließen sie die Bilder vor allem auf inhaltlicher Ebene und dokumentieren vornehmlich ein Suchen nach und Identifizieren von Gegenständen im Sinne des »wiedererkennenden Sehens« (vgl. Imdahl 1996: 304ff.). Statt die Bildfläche also indifferent nach Farben, Formen und Texturen abzutasten, schälen sie von Beginn an Gestalten heraus (vgl. Fleck 1983), grenzen sie ab und bringen sie sprachlich auf den Begriff. Während dabei nicht eine
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bildbeschreibende Passage der Audiotexte ohne diese gegenständlichen Identifizierungen einzelner Elemente oder Szenen auskommt, finden sich immer wieder Textpassagen, die ausschließlich auf dieser, nicht aber auf formaler und visueller Ebene mit dem Bild befasst sind. Obwohl es durchaus denkbar wäre, ein Bild zwar mit den Mitteln der Sprache, aber doch in erster Linie über die Beschreibung seiner Visualität, etwa der Anordnung von Formen und Farben auf der Bildfläche, zu erschließen, geschieht nichts dergleichen: Formale, visuelle Merkmale werden an keiner Stelle unabhängig von den gegenständlich identifizierten Bildelementen behandelt, sondern diesen stets nachgeordnet und zugewiesen. Insbesondere jene Passagen der Audiotexte, in denen die gegenständliche Erfassung eines Bildes offenkundig an Grenzen stößt oder in denen die Texte der formalen Bildgestaltung besondere Aufmerksamkeit widmen, untermauern diese Beobachtung. So wurde in Kapitel 7.1 angesprochen, dass es den Audiotexten vor allem aus der Ausstellung Neo Rauch. Begleiter nicht immer gelingt, ein Bildelement eindeutig auf gegenständlicher Ebene zu benennen. Doch auch dort ziehen sich die Texte, wie gesehen, nicht auf eine rein formale Beschreibung der Bildelemente zurück, sondern bemühen sich darum, sich ihnen beispielsweise über Vergleiche der Bildelemente mit anderen Gegenständen anzunähern. Und selbst jene Passagen, in denen die Audiotexte die visuelle Gestalt des Bildes ins Zentrum ihrer Ausführungen stellen, erscheinen hier in besonderem Maße aufschlussreich und untermauern diese Beobachtung. Auf eine Passage, die weiter oben bereits zitiert wurde, kann in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen werden: Aus 1 2 3
AT.11 (zu Abb. 14, DI): die menschen kommen uns als schwarze silhouetten entgegen. statt details, erkennen wir mit grobem pinselstrich gemalte flächenhafte schwarzkontraste.
Einzelne Bildelemente sind hier von vornherein, ohne weitere Begründungen, als »Menschen« ausgewiesen. Erst die spätere Darstellung der Farbigkeit und der Malweise dieser Bildelemente zeigt an, dass diese »Menschen« als solche gar nicht im Detail, sondern nur vage als »schwarze Silhouetten« und »flächenhafte Schwarzkontraste« auf dem Bild zu erkennen sind. Ungeachtet dessen lässt der Text am Mensch-Sein dieser Bildelemente, also daran, dass diese als Menschen zu identifizieren
7. Kommunikation über Wahrnehmung
sind, von Beginn an keine Zweifel. Die Beschreibung ihrer formalen Gestaltung und ihrer Visualität geschieht nicht unabhängig von dieser Bezeichnung, sondern wird von Anfang an den dargestellten »Menschen« attribuiert. Auch der folgende Textauszug stellt mit dem Eigenleben der Farben, ihrem Leuchten und Pulsieren als erstem Eindruck, den das Bild bei seinem Betrachter10 hinterlässt, dessen visuelle Gestalt in den Mittelpunkt. Doch stellt auch er von Beginn an klar, dass es sich dabei nicht um eine farbige Fläche, sondern um einen »Garten« handelt. Und damit nicht genug: Im weiteren Verlauf informiert der Text darüber, unter welchen Umständen das Bild »am besten« wirkt und wie der Betrachter seine Rezeption des Bildes durch eine Veränderung seiner Position optimieren kann:11 Aus 1 2 3 4 5 6 7
AT.25 (zu Abb. 29, DI): wer diesen garten betritt, fühlt sich fast wie alice im wunderland. alles leuchtet und pulsiert in reinen farben. ein wirbel aus orange grün blau rot und violett. am besten wirkt das bild wenn sie ein paar schritte zurücktreten. die vielen kleinen farbtupfen verbinden sich dann in ihrem auge zu einer gartenlandschaft mit bäumen, büschen und einem meer aus blumen.
Unter diesen veränderten Rezeptionsbedingungen offenbart das Bild dem Text zufolge weit mehr als die zunächst hervorgehobenen farbigen Sinnesreize, sondern diese verbinden sich nun im Auge »zu einer Gartenlandschaft mit Bäumen, Büschen und einem Meer aus Blumen«. Die vom Text als optimal dargestellte Betrachtung des Bildes entfernt sich dabei von der reinen Wahrnehmung seiner Visualität hin zu einer gegenständlichen Erfassung der Szenerie. Selbst dort also, wo die visuelle Erscheinung des Bildes (oder einzelner Bildausschnitte) in besonderem Maße 10 | Die Frage, wie die Betrachter der Bilder und die Hörer der Audiotexte innerhalb der Texte konstituiert sind und wie das Zusammenspiel zwischen Bild und Rezipient dort dargestellt ist, wird in Kapitel 8 noch eingehend verfolgt. 11 | Hier wird deutlich, inwiefern die Audiotexte die Mobilität der Abspielgeräte und damit die ihrer Rezipienten im Raum voraussetzen, auf die in Kapitel 4.2 bereits hingewiesen wurde.
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thematisiert und relevant gesetzt wird, wird primär ein gegenständlicher, d.h. wiedererkennender Zugriff auf das Bild gewählt; sei es durch entsprechende Zuordnungen vorab oder sei es insofern, als ein gegenständlicher Zugriff auf das Bild im Nachhinein als optimal, sozusagen als des Rätsels Lösung, präsentiert wird. In der Frage, wie die Audiotexte die Bilder erschließen, ähneln sich die beiden untersuchten Audioguides sehr stark. Beide wählen vornehmlich inhaltlich-gegenständliche Zugänge, um auf die Bilder zuzugreifen, einzelne Elemente abzugrenzen und deren Gestalten sprachlich zu erfassen. Während die Texte ihr »wiedererkennendes Sehen« auf diese Weise als primären Zugang zu den Bildern dokumentieren, spielt das »sehende Sehen« (Imdahl 1996: 304ff.; vgl. Kapitel 2.2) im Hinblick darauf, wie die Bilder erfasst und beschrieben werden, in beiden Audioguides eine eher untergeordnete Rolle. Vor allem im Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus erweist sich eine gegenständliche Beschreibung der Bilder zumeist auch als unproblematisch; nur selten lassen die Texte hier Zweifel an ihren Identifikationen und Verbalisierungen der einzelnen Bildelemente erkennen. Dagegen wurden bei den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter wiederholt Schwierigkeiten dabei offenkundig, Bildelemente eindeutig zu identifizieren und begrifflich zu fassen. Doch auch in diesen Fällen wurde deutlich, dass die Texte nach Lösungen auf gegenständlicher Ebene suchen: Die Bildelemente werden auch dort wenigstens über Annäherungen, Vergleiche und Ähnlichkeiten mit Gegenständlichem erschlossen, während ihre visuelle Erscheinung zwar ebenfalls berücksichtigt, nie aber unabhängig davon behandelt wird und in aller Regel untergeordnet bleibt.
7.4 F OKUSSIERUNGEN Die inhaltlichen und formalen Aspekte der Bilder, die in diesem Kapitel als jene vorgestellt wurden, anhand derer die Audiotexte ihr ›Sehen‹ dokumentieren, werden keineswegs in jedem Text vollständig behandelt. Sie sind vielmehr als Inventar zu begreifen, aus dem sich die verbalisierten Betrachtungen der Bilder in den Audioguides speisen, die in den einzelnen Texten jedoch ganz unterschiedlich kombiniert werden. So unterscheiden sich die Texte in hohem Maße dahingehend, welche Aspekte eines Bildes sie ansprechen und wie sehr sie dabei ins Detail gehen. Auch
7. Kommunikation über Wahrnehmung
ohne die Bilder vergleichend hinzu zu ziehen wird also schnell klar, dass die Texte sie ausgesprochen selektiv erfassen.12 Sie lassen keinerlei Bemühungen erkennen, die Bilder auch nur annähernd vollständig ins Medium der Sprache zu ›transformieren‹, sondern sie greifen stets nur bestimmte Aspekte eines Bildes heraus, benennen sie und wenden sich sogleich deren Beziehungen zu anderen formalen oder inhaltlichen Elementen bzw. Aspekten des Bildes, deren Stellung im gesamten Bildgefüge oder, wie in Kapitel 9 noch zu sehen sein wird, deren Kontextualisierung zu. Wie genau die Texte dabei ausgehend von der visuellen Erscheinung des Bildes einen Gegenstand oder eine Gestalt identifizieren und auf den Begriff bringen, bleibt in aller Regel im Dunkeln und wird nicht näher erläutert, sondern wie selbstverständlich und nicht-begründungsbedürftig vorausgesetzt (vgl. Kapitel 7.1). In diesen offenkundig unvollständigen Beschreibungen offenbart sich deren hohe Indexikalität: Die Audiotexte streben nicht danach, den Bildern äquivalente Beschreibungen zu liefern, welche die Bilder etwa für Blinde oder für andere Rezipienten erschließen würden, denen diese unbekannt und in ihrer Visualität unzugänglich sind. Stattdessen setzen diese Beschreibungen voraus, dass ihre Rezipienten die Bilder selbst sehen können, Beziehungen zwischen Text und Bild selbst herstellen können und in der Lage sind, die Beschreibungen der Bilder durch eigene Anschauung zu ergänzen und zu komplettieren13 – sie unterstellen einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum, der die Bilder einschließt und angesichts dessen eine vollständige Übersetzung der Bilder in Sprache gar nicht vonnöten ist. Stärker als das in Kapitel 2.2 theoretisch reflektierte Problem der Bildbeschreibung deutet sich hier also ein ganz anderes, praktisches Darstellungsproblem an, welches von den Audiotexten hinlänglich gelöst wird: Ein Bild zu beschreiben bedeutet in beiden Audioguides in erster Linie, Aufmerksamkeit zu organisieren und auf ausgewählte Elemente 12 | Auch die kurze Dauer der Audio-Episoden wurde in Kapitel 6 bereits als Hinweis dafür gesehen, dass die Bildbetrachtungen der Audiotexte stark selektiv gestaltet sein müssen. Alleine angesichts der Kürze der Episoden erscheint es geradezu unmöglich, dass dort alle Aspekte eines Bildes behandelt werden können. 13 | Im nächsten Kapitel wird sich zeigen, dass die Texte diese Fähigkeiten und die Situation ihrer Rezipienten nicht nur implizit voraussetzen, sondern stellenweise auch explizieren.
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und Aspekte des Bildes zu lenken. Insofern handelt es sich hier nicht um vollständige, sondern um fokussierende Beschreibungen der Bilder. Dies impliziert jedoch, dass es stets auch möglich wäre, die Bilder auf andere, alternative Art und Weise zu erschließen und zu fokussieren. Das folgende Kapitel wird sich daher mit der Frage auseinandersetzen, wie die Audiotexte ihre Bildbetrachtungen angesichts der eigenen Kontingenzen plausibilisieren und wie sie sie gegen alternative Betrachtungen absichern.
8. Zwischen Subjekt und Objekt: Bildbetrachtungen mit intersubjektivem Geltungsanspruch
Es gibt stets unzählige verschiedene Möglichkeiten, über ein und dasselbe Bild zu sprechen – selbst dann, wenn dem keine zeitlichen Grenzen gesetzt wären und wenn versucht würde, alle Aspekte und Elemente des Bildes vollständig zu erfassen. So müssen Audiotexte im Medium der Sprache, wie zu Beginn dieses Buches aufgezeigt wurde, zwingend sequenziell vorgehen, während Bilder sich durch ihre Simultaneität auszeichnen. Während das Bild also stets als Ganzes zugleich präsent ist, müssen die Texte es notwendig sukzessive erschließen und können nur einen oder wenige der vielen möglichen Wege dokumentieren, die ein Blick auf seinen Wanderungen über das Bild potenziell einschlagen kann. Aber auch die bereits angesprochene soziokulturelle Prägung des Sehens sowie die Indexikalität aller Äußerungen, auf die die Ethnomethodologie immer wieder hingewiesen hat, spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Demnach werden auch visuelle Äußerungen, also auch Bilder, immer abhängig vom spezifischen, nie völlig übereinstimmenden Kontextwissen sowie von den historisch veränderlichen, sozial und kulturell geprägten Denk- und Wahrnehmungsschemata der Akteure produziert und rezipiert. Sowohl die Antwort auf die Frage, welche Elemente eines Bildes als relevant einzustufen und weiterzuverfolgen sind, als auch deren Bedeutung stehen demnach nicht von vornherein fest und sind dem Bild nicht einfach zu entnehmen. Stattdessen gibt es stets ganz unterschiedliche Wege, ein Bild zu betrachten, unzählige Bildelemente und Aspekte, die dabei fokussiert werden könnten, und verschiedene Alternativen, einzelne Bildelemente abzugrenzen, zu benennen und im Gesamtgefüge des Bildes zu interpretieren.
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Nun wurde im vorangegangenen Kapitel bereits festgestellt, dass die Audiotexte keineswegs eine vollständige ›Übersetzung‹ der Bilder ins Medium der Sprache anstreben, sondern dass sie die Bilder sehr selektiv beschreiben und nur für spezifische Aspekte der Bilder Aufmerksamkeit erzeugen. Viel stärker als das Problem, Bilder überhaupt und vollständig verbal zu erfassen, gewinnt vor diesem Hintergrund also die Frage an Brisanz, mit welchen Mitteln Audioguides ihre fokussierten, selektiven Auseinandersetzungen mit den Bildern etablieren und wie sie sie gegenüber möglichen Alternativen behaupten – wie sie sie trotz ihres Rekurses auf subjektive Wahrnehmung und ihrer Kontingenz als objektiv gültige, zutreffende und angemessene Betrachtungen der Bilder ausweisen. Die Textualität dieser Dokumente verschärft das Problem zusätzlich, fehlen hier doch jene interaktiven Mechanismen, die in Face-to-Face-Kommunikationen Verständigung zwischen den beteiligten Akteuren absichern und sie – jedenfalls für praktische Zwecke hinreichend – gelingen lassen. Mit welchen Mitteln erzeugen die Texte also Verbindlichkeit ihrer spezifischen Zugriffe auf die Bilder? Wie begünstigen sie deren Akzeptanz durch ihre potenziellen Rezipienten, die die Bilder selbst auch auf ganz andere Weise erschließen könnten? Wie strukturieren sie ihre eigene ›Lesbarkeit‹, wie machen sie ihre eigene zur präferierten Rezeption des Bildes? Dieses Kapitel spürt diesen Fragen nach und fördert mit dem neutralen Sprecher, dem impliziten Hörer, dem generalisierten Betrachter und den aktivierten Bildern vier Instanzen zu Tage, die entscheidend dazu beitragen, die verbalisierten Bildbetrachtungen der Audiotexte zu legitimieren und zu plausibilisieren, und die letztlich doch alle als Geschöpfe dieser aktiven Texte ausgemacht werden können.
8.1 N EUTR ALER S PRECHER Eine Klarstellung vorweg: Wenn in diesem Kapitel untersucht wird, wer in den Audiotexten zu den Hörern spricht, welche Sprecher- bzw. Erzählinstanz dort also welche Perspektive einnimmt, dann sind damit nicht Autoren oder die realen Sprecher der Texte gemeint.1 Über die Identi1 | In den Literaturwissenschaften wird man heute nicht müde, auf ein ähnliches Missverständnis bei der Analyse literarischer Texte aufmerksam zu machen: Auch dort werden Erzählungen nicht dem Autor, sondern einem fiktiven Erzähler zuge-
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tät und die Perspektiven dieser Personen wird innerhalb der Audiotexte nichts preisgegeben, sie sind für die Fragen dieser Untersuchung damit völlig unerheblich. Vielmehr geht es dabei darum, wie die Sprecherinstanz innerhalb der vorgetragenen empirischen Texte konstituiert ist und welche beobachtbaren Perspektiven sie dort – und nur dort – einnimmt. Obwohl es zunächst naheliegend erscheint, wird daher nicht auf Goffmans soziologische Unterscheidung verschiedener Sprecherkapazitäten zurückgegriffen (vgl. ders. 1981: 144), interessiert sich diese Studie doch gerade nicht für die Sprecher als reale Personen und nicht für deren persönliche Verantwortung für ihre Äußerungen. Stattdessen orientiert sich diese Untersuchung an einer erzähltheoretischen Typologie aus den Literaturwissenschaften, die auf eine mehrfach modifizierte Klassifizierung der Erzählsituationen von Franz K. Stanzel (1969: 157ff., 2008: 68ff.) und auf die Unterscheidung dreier »Fokalisierungen«2 nach Gérard Genette (1998: 134ff.) zurückgeht. Dabei wird unterschieden zwischen den drei Modi einer auktorialen, einer personalen und einer neutralen Erzählperspektive, die jeweils in einer sogenannten »Ich-Erzählung« oder in einer »Er-Erzählung« eingenommen werden können: Ein »auktorialer« Erzähler zeichnet sich aus durch ein uneingeschränktes Blickfeld, er kann damit allwissend etwa über verschiedene Handlungsstränge, Zusammenhänge oder über das Innenleben verschiedener Figuren sprechen. Eine »personale« Erzählperspektive ist dagegen auf die Sicht und die Geschicke einer einzelnen Figur beschränkt, während eine »neutrale« Erzählperspektive nur jene Vorgänge wiedergeben kann, die von einem außenstehenden Beobachter wahrgenommen werden können.3 Diese Typologie ist vor allem zur Analyse fiktionaler Erzählungen entwickelt worden. Mit einigen Einschränkungen lässt sie sich jedoch auch auf die Analyse fakrechnet. Im Falle der Lyrik weist Susman bereits 1910 auf eine »Verwechslung des lyrischen Ich mit dem einmaligen Ich des Individuums« (1910: 16) hin, nachdem die idealistische Lyriktheorie zuvor noch von einer Übereinstimmung zwischen Dichter und »Ich« im Gedicht ausgegangen ist. 2 | Genette spricht mit diesem Begriff »die Perspektivierung der Darstellung relativ zum Standpunkt eines wahrnehmenden Subjekts« (Martinez/Scheffel 2009: 189) an. Er zieht diesen Begriff der »Erzählperspektive« vor, da »die Ausdrücke Sicht, Feld, point of view allzustark am Visuellen haften« (Genette 1998: 134, Hervorhebungen im Original). 3 | Eine Übersicht dazu findet sich u.a. bei Vogt (1997: 301).
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tualer Erzählungen und Texte übertragen, die im Gegensatz zu ersteren etwas behandeln, was wahr ist oder als wahr gilt (vgl. Genette 1992: 67), und zu denen auch die hier untersuchten Audiotexte gezählt werden können.4 Vor allem ist die Typologie im Sinne Max Webers als idealtypisch zu verstehen und wurde in dieser qualitativen Untersuchung nicht einfach abgefragt, sondern zur Orientierung herangezogen. Da es sich bei den vorliegenden Audiotexten nicht ausschließlich um Erzählungen, d.h. um narrative Darstellungen von Handlungen und Ereignis-Abfolgen handelt, wird hier vorgezogen, nicht den literaturwissenschaftlichen Begriff des »Erzählers« und der »Erzählperspektive«, sondern etwas allgemeiner den des »Sprechers« und der »Sprecherperspektive« zu verwenden. Wer spricht also in den hier untersuchten Audiotexten? In den Texten beider Audioguides wird der größte Raum jeweils von einem Sprecher eingenommen, der über weite Strecken in der Manier eines »Er-Erzählers«, also in der dritten Person, verschiedene Themen rund um das entsprechende Bild behandelt. Allerdings bleibt dieser Sprecher selbst nicht völlig unbestimmt: Vielmehr wird seine Positionierung als außenstehender Beobachter regelmäßig durchbrochen und er tritt aus dem Hintergrund hervor, um sich vage zu erkennen zu geben – besonders dort, wo die Texte verschiedene Formen der Adressierung, sogenannte »dialogische Elemente« (vgl. Ayaß 1997: 177ff.), zum Einsatz bringen. So verwenden die Audiotexte aus beiden Ausstellungen wiederholt die erste Person Plural, die den Sprecher als jene Instanz, die dieses »Wir« äußert, mit einschließt: Aus 1 2 3
AT.19 (zu Abb. 23, DI): wir bekommen die natur in ihrer ganzen fülle und pracht präsentiert und können erahnen welch tiefes heimatgefühl lovis corinth mit dieser gegend verband.
4 | Einschränkungen sind unter anderem insofern zu machen, als die Perspektive faktualer Erzählungen, einer »Form der authentischen Erzählung von historischen Ereignissen und Personen« (Martinez/Scheffel 2009: 10), an »natürliche« Grenzen gebunden ist (ebd.: 63): Ein allwissender, auktorialer Erzähler, der etwa Einblick in jegliche Gedanken und Motive anderer Personen hat und der insbesondere bei klassischen fiktionalen Erzählungen häufig anzutreffen ist, scheint hier kaum vorstellbar.
8. Zwischen Subjekt und Objekt
Aus AT.39 (zu Abb. 43, NR): 1 wer nimmt an diesem krönungsakt teil; wir wissen es 2 nicht; denn der blick des ausgezeichneten geht ins leere.
Mit diesem »wir« tritt also zum einen der Sprecher des jeweiligen Audiotextes in Erscheinung; es kann aber zum anderen auch auf die spezifischen Adressaten5 der Ausführungen bezogen werden, sodass Aussagen in diesem Zusammenhang für beide gemeinsam Geltung beanspruchen.6 In den Audiotexten aus Der Deutsche Impressionismus kommt es zudem immer wieder vor, dass der Sprecher sich in direkten Anreden an seine Adressaten wendet. In den folgenden beiden Textausschnitten ist dies anhand des verwendeten Anredepronomens »Sie« gut zu beobachten: Aus AT.8 (zu Abb. 11, DI): 1 sie7 sehen eine zierliche junge frau in der pose der 2 musikerin. Aus 1 2 3
AT.21 (zu Abb. 25, DI): können sie spüren, wie der wind über die oberfläche des wassers, und durch das gewirr der entlaubten baumkronen fegt?
Der Sprecher der Audioguides bewegt sich hier in einem eigentümliches Spannungsverhältnis: Er erscheint als Hybridwesen aus subjektivem Akteur und objektiver, unpersönlicher, beobachtender Instanz. Insofern als das »Wir« ihn selbst mit einschließt und indem er seine Hörer direkt anspricht, gibt er sich als eigene Entität zu erkennen. Dass hier zudem, 5 | Im nachfolgenden Teilkapitel wird noch zu klären sein, inwiefern die Adressaten der Audiotexte, über die hier Aussagen getroffen werden oder an die die Texte ihre direkten Anreden richten, nicht mit den realen, tatsächlichen Hörern der Audiotexte zu verwechseln sind. 6 | Ruth Ayaß erkennt darin eine Form der »verdeckten Adressierung« (1997: 183f.). Im Teilkapitel »Impliziter Hörer« wird darauf noch einmal eingegangen. 7 | Dass es sich hier tatsächlich um direkte Anreden in der zweiten Person Singular und nicht um eine Aussage über dritte Personen handelt, ergibt sich aus den Kontexten dieser Text-Ausschnitte, wo jeweils keine Personen oder Figuren behandelt werden, auf die sich ein »sie« in der dritten Person sinnvoll beziehen könnte.
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anders als in schriftlichen Texten, jede Passage von einer Stimme vorgetragen wird, die eine dahinterstehende Person zu suggerieren vermag, verstärkt diesen Eindruck. Dennoch ist festzuhalten, dass der Sprecher an keiner Stelle so weit geht, in der ersten Person Singular von sich alleine zu sprechen; er bleibt stets abstrakt, unbestimmt und nicht persönlich adressierbar. Obwohl also eine Ansprache der Adressaten der Audiotexte durchaus stattfindet und obwohl eine Sprecherinstanz vage ausgemacht werden kann, bleibt diese als Person nicht identifizierbar, ihre Ausführungen werden keinem »Ich«, keiner benennbaren subjektiven Entität zugewiesen. Auch wenn der Sprecher innerhalb der Audiotexte nicht als Person greif bar wird, lassen sich zwei weitere, wesentliche Charakteristika ausmachen, mit denen er sich in beiden untersuchten Audioguides auf beobachtbare Weise ausweist. Zum einen – diese Beobachtung mag auf den ersten Blick trivial erscheinen – gibt er sich immer dann, wenn er unmittelbar über das jeweilige Bild Auskunft gibt (vgl. Kapitel 7), als Betrachter des Bildes zu erkennen. Er zeichnet sich also sowohl dadurch aus, dass er Zugang zum jeweiligen Bild hat, als auch durch seine Fähigkeit, es in seiner Visualität wahrzunehmen und über das eigene Sehen Auskunft zu erteilen. Doch ebenso wenig, wie er sich selbst als adressierbares Subjekt greifbar macht, weist er auch seine Bildbetrachtungen als subjektiv oder gar als beliebig aus. So zeigt er zum anderen immer wieder seine besondere Kompetenz und Autorität an und beansprucht damit auch für seine Ausführungen besondere, allgemeine Geltung. Dies wird dort besonders deutlich, wo der Sprecher einen Wissensvorsprung gegenüber seinen Adressaten demonstriert, etwa dahingehend, wie ein Bild angemessen zu betrachten ist: Aus 1 2 3 4
AT.25 (zu Abb. 29, DI): am besten wirkt das bild wenn sie ein paar schritte zurücktreten. die vielen kleinen farbtupfen verbinden sich dann in ihrem auge zu einer gartenlandschaft mit bäumen, büschen und einem meer aus blumen.
Aber auch in Bezug auf die Frage, welches Kontextwissen zur Einordnung und Deutung eines Bildes heranzuziehen ist, stellt der Sprecher seine Kompetenzen immer wieder deutlich heraus (vgl. Kapitel 9). Neben der Demonstration seines Wissensvorsprungs und seiner besonderen
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Kompetenzen verleiht er seiner Autorität auch durch den Einsatz einfacher sprachlicher Mittel Nachdruck, indem er etwa wiederholt den Imperativ verwendet, der stets ein »Autoritätsgefälle« (Eisenberg/KunkelRazum 2009: 1114) voraussetzt: Aus AT.6 (zu Abb. 8 und 9, DI): 1 schauen sie sich nun das angefangene werk rechts auf der 2 staffelei an;
Selbst dort, wo der Sprecher Unsicherheiten, etwa im Hinblick auf die Benennung eines Bildelements, artikuliert, lässt er an seiner Kompetenz, an der Angemessenheit seiner Einschätzungen und an der allgemeinen Gültigkeit seiner Ausführungen keine Zweifel: Wie in Kapitel 7.1 gesehen, werden derartige Unsicherheiten dann nicht auf etwaige mangelnde Kompetenzen des Sprechers zurückgeführt, sondern als bildimmanente Uneindeutigkeiten markiert, die selbst er als kompetenter Betrachter des Bildes nicht auflösen kann. Und schließlich kommen in den Audiotexten eine Reihe weiterer sprachlicher Objektivierungspraktiken zur Anwendung, die die Gültigkeit der vom Sprecher getroffenen Aussagen zusätzlich untermauern. Diese werden in Kapitel 8.4 im Zusammenhang mit dem »aktiven Text« noch etwas genauer behandelt. Der Modus, also die Perspektive dieser Sprecherinstanz, kann an dieser Stelle nur in groben Zügen ausgeführt werden. In den Audiotexten aus beiden Ausstellungen ist eine neutrale Erzähl- bzw. Sprecherperspektive – nicht zu verwechseln mit einer neutralen Erzählhaltung! 8 – gegenüber dem Bild, und, um etwas vorzugreifen, auch gegenüber dem Künstler und gegenüber entsprechenden historischen Kontexten vorherrschend. Der Sprecher nimmt also in den Audiotexten aus beiden Ausstellungen weder eine auktoriale, allwissende Perspektive ein, noch folgt er ausschließlich den personalen Perspektiven einzelner Akteure, etwa der eines Künstlers. Stattdessen spricht er von einem externen, neutralen Standpunkt aus über die Bilder, über die Künstler oder über entsprechende Kontexte. Er thematisiert dabei das, was von einem außenstehendem 8 | Eine neutrale Erzählperspektive schließt nicht aus, dass ein Sprecher gegenüber den Gegenständen seiner Ausführungen klar und mitunter auch wertend Position bezieht. Sie thematisiert lediglich seine Perspektive als externer, neutraler Beobachter der von ihm dargestellten Inhalte.
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Beobachter aus unserer Gegenwart wahrgenommen werden kann, was etwa über eigene Anschauung und Reflexion, über Forschungsliteratur, überlieferte Zitate, Briefwechsel und sonstige Quellen von außen zugänglich ist. Dies schließt keineswegs aus, dass in den Audiotexten nicht auch persönliche Gedanken, Motive oder Interessen beispielsweise eines Künstlers behandelt werden. Jedoch werden diese in der Regel nicht einfach festgestellt, sondern beispielsweise mit Originalzitaten belegt, wie im folgenden Ausschnitt zu sehen ist. Die Aussage des von der weiblichen Stimme repräsentierten Sprechers über die Vorlieben des Künstlers wird hier von einem Zitat des Künstlers, präsentiert von der männlichen Stimme, untermauert: Aus AT.22 (zu Abb. 26, DI): 1 F: dramatisch und voller bewegung; [...] so, liebte es karl 2 hagemeister. 3 M: hier konnte ich den kampf der elemente fühlen; die 4 allmacht in der weite des meeres; den kampf der alten 5 buchen mit wind und wetter, und das kosmische leben 6 offenbarte sich mir ganz.
Auch die Tatsache, dass in den Audiotexten immer wieder Bilder als Indizien für Gemütszustände der Künstler herangezogen werden, zeugt von einer neutralen, also externen Perspektive des Sprechers. Hätte er direkten Einblick in geistige und seelische Zustände seiner Protagonisten, so wären Passagen wie die folgende kaum denkbar, in denen das Heimatgefühl des Künstlers anhand des Bildes erschlossen oder wenigstens erahnt wird: Aus 1 2 3
AT.1 (zu Abb. 3, DI): wir bekommen die natur in ihrer ganzen fülle und pracht präsentiert und können erahnen welch tiefes heimatgefühl lovis corinth mit dieser gegend verband.
An anderen Stellen, in denen der Sprecher nicht offenbart, aus welchen Quellen er seine Einblicke bezieht, zeigt er häufig ganz beiläufig an – es sei hier auf das Account-Konzept der Ethnomethodologie hingewiesen (vgl. Kapitel 5.1) –, dass das Innenleben seiner Protagonisten nicht direkt von ihm eingesehen wird. Oft nur in einem Nebensatz oder mit
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der Wahl eines bestimmten Wortes offenbart sich stattdessen, dass auch hier Beobachtungen oder Einschätzungen wiedergegeben sind, die von außen möglich sind und vorgenommen werden. Im folgenden Beispiel etwa beschränkt sich der Sprecher nicht darauf, von einer ihm bekannten Faszination des Künstlers zu berichten, sondern er ergänzt diese Information um den Hinweis, wie »deutlich«diese hervortritt. Der Sprecher präsentiert sein Wissen um die Interessenlage des Künstlers somit nicht als Resultat seiner unmittelbaren Einblicke in dessen Gemütszustände, sondern als Beobachtung eines Außenstehenden: Aus AT.13 (zu Abb. 16, DI): 1 hermann pleuer ist fasziniert von der technik; das ist 2 deutlich.
Und schließlich werden Informationen über innere Vorgänge und Zustände immer wieder mit Hinweisen darauf versehen, dass sie nicht gewusst, sondern lediglich reflektiert oder vermutet werden: Aus AT.23 (zu Abb. 27, DI): 1 was sind pleuers gefühle beim malen dieses bildnisses; 2 vielleicht spiegelt es seine innere landschaft wieder; Aus 1 2 3
AT.36 (zu Abb. 40, NR): der bildende künstler neo rauch hält ein und fragt sich, nachdem er einer inneren stimme gefolgt zu sein scheint, wie er mit dieser ungewohnten zuweisung am bass umzugehen hat.
Ein Bildnis spiegelt »vielleicht« etwas wieder, ein Künstler »scheint« seiner inneren Stimme gefolgt zu sein – quer durch die untersuchten Audiotexte legt die Sprecherinstanz mit derartigen Wendungen offen, wie begrenzt und unsicher ihre Einblicke in mentale Vorgänge ihrer Protagonisten sind. Zwar werden daneben immer wieder Aussagen über das Innenleben einer Person getroffen, ohne konkrete Quellen zu benennen oder sie als Vermutungen auszuweisen; gerade zu Beginn des vorangegangenen Zitates wird das Innehalten und Reflektieren des Künstlers in keiner Weise als Vermutung, sondern im Indikativ, als Tatsache präsentiert. Würde es sich jedoch um einen auktorialen oder personalen Sprecher mit entsprechenden Einblicken in das Innenleben aller oder
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einzelner Protagonisten handeln, so wären Verweise auf eine externe Perspektive, auf Unsicherheiten und Vagheiten derartiger Aussagen generell kaum denkbar. Egal, ob alle oder nur einzelne Aussagen damit versehen sind, zeigt die bloße Existenz der aufgeführten Hinweise also deutlich an, dass die Sprecherinstanz der Audiotexte von einem äußeren, neutralen Standpunkt aus auf ihre Gegenstände blickt. Diese Instanz wird daher im Folgenden »neutraler Sprecher« genannt. Doch ist der neutrale Sprecher in den Audiotexten aus beiden Ausstellungen von einer weiteren Sprecherinstanz zu unterscheiden, auf die er seine eigenen Ausführungen stützt oder von denen er sich abgrenzt. So sind in mehreren Audiotexten aus Der Deutsche Impressionismus und in einem Text aus Neo Rauch. Begleiter Passagen auszumachen, die der neutrale Sprecher zwar einleitet oder nachträglich kommentiert, die er aber in aller Regel einem von ihm zu unterscheidenden Urheber zuweist. Mithilfe dieser Informationen können sie als direkt wiedergegebene wörtliche Zitate der Künstler oder ihrer Zeitgenossen eingeordnet werden (vgl. Steinbrenner 2004): Aus AT.14 (zu Abb. 17, DI): 1 F: [...] seine malerei führte er so weit, dass sein mentor 2 max liebermann ihn neunzehnhundertsieben in einem brief 3 rügte, 4 M: sehr geehrter kollege. mir scheint, dass ihnen die 5 malerei zu leicht wird. sie fangen zu früh an, und 6 hören zu früh auf. Aus AT.35 (zu Abb. 39, NR): 1 M2: man kann die darstellung als ein dreifaches 2 selbstbildnis des künstlers interpretieren; wenn neo 3 rauch sagt, 4 M1: meine bilder sind fast immer selbstportraits.
Anders als die Ausführungen des neutralen Sprechers zeichnen diese Passagen sich durch eine personale Sprecherperspektive aus und ihre Sprecher nehmen häufig auch in der ersten Person Singular auf sich selbst Bezug. Trotzdem diese Zitate also eine eigene Sprecherinstanz repräsentieren, ist ihre enge Beziehung zum neutralen Sprecher bemerkenswert: Zwar verweist der neutrale Sprecher auf die Zitate, umgekehrt verweisen
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sie jedoch nicht auf ihn. Der neutrale Sprecher führt sie ein, kommentiert sie und bezieht ihre Aussagen in seine eigenen Ausführungen ein – er macht sie sich zunutze und profitiert gerade von dem Umstand, dass sie eine eigene Sprecherperspektive repräsentieren und entsprechende Authentizität und Unabhängigkeit suggerieren. Die verschiedenen Stimmen, die bereits in Kapitel 6 beobachtet wurden, wechseln einander somit keineswegs zum Selbstzweck ab. Vielmehr trägt ihr Einsatz wesentlich zur Konstitution und Abgrenzung der Sprecherinstanzen bei. Anders als in Face-to-Face-Kommunikationen offenbaren sich diese in den Audiotexten weder durch die physische Präsenz verschiedener Sprecher, noch können sie hier interaktiv ausgehandelt werden. Stattdessen nimmt in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus mal die männliche, mal die weibliche Stimme die Rolle des neutralen Sprechers ein und behält diese während eines ganzen Textes bei. In einigen Texten fügt die jeweils andere Stimme hier Zitate des Künstlers oder seiner Zeitgenossen ein.9 Die unterschiedlichen Stimmen signalisieren somit innerhalb der Texte, dass die von ihnen vermittelten Inhalte unterschiedlichen Instanzen zugeschrieben werden müssen, während umgekehrt alles, was dort von einer Stimme vorgetragen wird, auch aus einer Perspektive dargestellt wird. Der neutrale Sprecher wird so auch auf der Ebene der vortragenden Stimmen zu einer konsistenten Einheit innerhalb der einzelnen Audiotexte geformt. In den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter ist dies auf dieser Ebene nicht zu beobachten: Die eingesetzten männlichen und weiblichen Stimmen teilen sich die Rolle des 9 | Nun lässt sich auch klären, nach welcher Systematik die männliche und die weibliche Stimme in den Audio-Episoden zu Der Deutsche Impressionismus eingesetzt werden: Nachdem ein Dasein als Künstler, Kunstkritiker oder Person des öffentlichen Lebens, die hier wörtlich zitiert werden, im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Männer-Domäne eingestuft werden kann, stammen die eingefügten Zitate hier in aller Regel von männlichen Personen und werden dementsprechend zumeist von einer männlichen Stimme vorgetragen. In diesen Audiotexten, an denen sowohl die männliche als auch die weibliche Stimme beteiligt sind, übernimmt demnach in der Regel die weibliche Stimme den weitaus umfangreicheren Part des neutralen Erzählers. Die männliche trägt dafür – möglicherweise zum Ausgleich – einen größeren Teil jener Texte vor, die nicht mit Zitaten angereichert sind, sondern die komplett dem neutralen Sprecher zuzurechnen sind.
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neutralen Sprechers dort auch innerhalb der einzelnen Texte und lösen sich auch bei gleichbleibender Sprecherinstanz ab, beispielsweise im Zuge wechselnder Sinnabschnitte. Nur in einem Text aus dieser Ausstellung sind Zitate enthalten: Mit einer zweiten männlichen Stimme wird dort zu Beginn und zum Ende des Textes je ein kurzes Zitat des Künstlers wiedergegeben, während eine weitere männliche und eine weibliche Stimme die Passagen des neutralen Sprechers wie gewohnt im Wechsel vortragen (AT.35). Und so werden trotz der beobachteten Unterschiede in Bezug auf die Stimmen des neutralen Sprechers hier wie dort Zitate von anderen Stimmen als denen vorgetragen, die innerhalb eines Textes die Passagen des neutralen Sprechers übernehmen. Diese deutliche Abgrenzung der unterschiedlichen Sprecherinstanzen hat weitreichende Konsequenzen. Der neutrale Sprecher ist den Sprechern der Zitate somit nicht nur durch seine andere Perspektive, sondern auch formal, auf der Ebene der vortragenden Stimmen, äußerlich. Indem er innerhalb eines Audiotextes anhand seiner Stimme(n) von ihnen unterschieden werden kann, wird sein Dasein als von ihnen unabhängige Instanz unterstrichen. Zudem stehen ihm auf diese Weise authentische, externe – und dadurch belastbare – Quellen zur Seite, auf die er seine eigenen Ausführungen stützen und mit denen er sie legitimieren kann. Insgesamt stehen Subjektivität und Objektivität des neutralen Sprechers in einem starken Spannungsverhältnis. Zwar erscheint er zunächst als subjektive Einheit, die sich stimmlich abgrenzt, sich indirekt auch durch fortwährende Adressierungen ihres Rezipienten zu erkennen gibt und die zudem ihre Fähigkeit zur subjektiven Bildwahrnehmung offenbart – ihre Fähigkeit also, gegebenenfalls vorhandenen Evidenzen des Bildes zu folgen und ihre Ausführungen somit empirisch zu sättigen. Doch wurde festgestellt, dass der neutrale Sprecher als Subjekt nie greifbar wird, sondern stets diffus und un-, wenn nicht gar überpersönlich bleibt. Zudem äußert er sich stets aus einer neutralen, außenstehenden Perspektive über die Bilder, wobei er sich selbst mit besonderer Autorität und Kompetenz ausstattet und damit auch für seine Ausführungen allgemeine Geltung beansprucht. In seiner Doppelrolle als wahrnehmendes Subjekt und zugleich als kompetenter, nicht personalisierbarer und objektiver Beobachter spiegelt der neutrale Sprecher ein wesentliches Problem der Audiotexte wider und fängt es auf: dass Bilder als Gegenstand ihrer Ausführungen zunächst nur individuell und subjektiv wahrgenommen werden können, während die Audiotexte auf Kommunikation, wenn nicht
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auf intersubjektive Verständigung über Bilder abzielen und zugleich eine allgemeinere, überindividuelle Gültigkeit für die von ihnen etablierten Betrachtungen der Bilder beanspruchen.
8.2 I MPLIZITER H ÖRER Dem aufmerksamen Leser wird angesichts der bisher zitierten Textausschnitte nicht entgangen sein, dass die Audiotexte bzw. ihre Sprecherinstanz die von ihnen etablierten Bildbetrachtungen nicht ausschließlich als ihre eigenen Zugänge zu den Bildern ausweisen, sondern dass sie mitunter einen Umweg einschlagen, der im Folgenden näher unter die Lupe zu nehmen ist: Sie thematisieren die Rezeption der Bilder durch weitere Betrachter. Wie sich noch zeigen wird, äußern sie sich hierbei nicht über tatsächlich existierende, eindeutig identifizierbare Personen. Vielmehr rekurrieren sie neben sich selbst fortwährend auf zwei andere, relativ abstrakte Betrachterinstanzen, deren erste in Anlehnung an Wolfgang Isers rezeptionstheoretisches Konzept des »impliziten Lesers« (Iser 1972) der »implizite Hörer« genannt sei. Isers impliziter Leser »[...] besitzt keine reale Existenz; denn er verkörpert die Gesamtheit der Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet. Folglich ist der implizite Leser nicht in einem empirischen Substrat verankert, sondern in der Struktur der Texte selbst fundiert.« (Ders. 1976: 60)
Dieses theoretische Konzept steht Pate für die nun zu erörternde Instanz des impliziten Hörers, es kann und soll jedoch keineswegs in allen Details auf diesen übertragen werden – nicht nur aufgrund von Isers Fokus auf fiktionale Texte, dem der faktuale Charakter der Audiotexte entgegensteht, sondern vor allem um zu vermeiden, dass der implizite Hörer in seiner empirisch beobachtbaren Form diesem Konzept vorschnell unterworfen und selbst nicht mehr angemessen zur Geltung gebracht wird.10 10 | Eine Alternative zu dem hier favorisierten »impliziten Hörer« stellt das Konzept des »intendierten Hörers« dar, mit dem Barbara Eggert die Hörerinstanzen erfasst, auf welche die von ihr untersuchten Audioguides rekurrieren (2009: 226f.). Dieses Konzept wird in der vorliegenden Untersuchung nicht übernommen, strebt diese doch weder Aussagen über Intentionen der Audioguides oder ihrer Produ-
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Der implizite Hörer tritt in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus besonders deutlich dort zu Tage, wo der neutrale Sprecher ihn direkt in der zweiten Person anspricht; wie hier gleich in der ersten Frage, die eine ganze Episode einleitet: Aus AT.2 (zu Abb. 4, DI): 1 möchten sie hier nicht eintreten? gotthard kuehls 2 gartenzimmer wirkt so einladend [...].
Personalpronomina in der zweiten Person zeichnen sich nach Levinsons Überlegungen zur Personendeixis durch einen »Adressateneinschluß« (1990: 70) aus; ihr Einsatz spricht demnach stets die Adressaten der entsprechenden Aussage an und thematisiert sie auf diese Weise mit. Der implizite Hörer kann somit anhand dieser Ansprachen sowie der dort beobachteten dialogischen Elemente (vgl. Ayaß 1997: 177ff.; vgl. Kapitel 8) innerhalb der Audiotexte als Pendant zum neutralen Sprecher und als Adressat der Texte ausgemacht werden. Er ist dabei keineswegs mit deren tatsächlichen Rezipienten, den realen Hörern, zu verwechseln – müssen doch Aussagen, die innerhalb der Audiotexte über den impliziten Hörer getroffen werden, nicht zwangsläufig auch auf alle realen Hörer der Audiotexte zutreffen. Vielmehr markiert diese Instanz lediglich die antizipierte Idee eines Hörers, die innerhalb der Texte implizit mitgeführt, im Akt des Sprechens beobachtbar hervorgebracht und mitunter stellvertretend für die realen Hörer adressiert wird.11 Wurde der implizite Hörer zunächst anhand direkter Adressierungen in der zweiten Person lokalisiert, die sich in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus finden, so weist im Übrigen auch, obgleich weniger deutlich, der Einsatz der ersten zenten an, noch vermag sie sie auf Basis der empirischen Audiotexte überhaupt zu treffen. 11 | Harvey Sacks untersucht den rezipientenspezifischen Zuschnitt von Äußerungen im Rahmen von Konversationen unter dem Stichwort »recipient design« (vgl. ders. 2006: 437-773). Demnach setzt jede kommunikative Äußerung Wissen bzw. Annahmen über ihre Rezipienten voraus und ist davon durchdrungen: »By ›recipient design‹ we refer to a multitude of respects in which the talk by a party in a conversation is constructed or designed in ways which display an orientation and sensitivity to the particular other(s) who are the co-participants.« (Sacks/ Schegloff/Jefferson 1974: 727)
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Person Plural auf diese Instanz hin, welcher sich auch im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter beobachten lässt; dort nämlich, wo der Sprecher von dem spricht, wie »wir« das Bild rezipieren – ein »Wir«, welches zwar für die erste, nicht aber für eine singuläre Person steht. Neben dem Sprecher schließt diese »verdeckte« Form der Adressierung (vgl. Ayaß 1997: 183) also auch weitere innerhalb des Textes hervorgebrachte und relevant gesetzte Akteure – etwa die Adressaten des neutralen Sprechers und somit den impliziten Hörer – ein. Im vorhergehenden Kapitel wurde darauf hingewiesen, dass die Sprecherinstanz gegenüber den Bildern sowie gegenüber den historischen Personen und Zusammenhängen, über die sie berichtet, eine neutrale, externe Perspektive einnimmt. Ganz anders stellt sich dies in Bezug auf den impliziten Hörer, dieses immanente, genuine Geschöpf des Textes, dar. Nicht nur über dessen Rezeptionssituation, sondern auch über dessen Sehen, über dessen visuelle Wahrnehmung ebenso wie über die Frage, wie er ein Bild inhaltlich erschließt, weiß der neutrale Sprecher detailliert Auskunft zu geben. Und so kann nun am Beispiel einiger Textauszüge, welche die Aktivitäten des impliziten Hörers näher beschreiben, aufgezeigt werden, wie dieser in den Audiotexten konzipiert und charakterisiert wird: Aus 1 2 3
AT.6 (zu Abb. 8 und 9, DI): als betrachter haben sie einen leicht erhöhten standort von dem sie auf den künstler herabschauen. im hintergrund sehen sie sein atelier.
Aus 1 2 3 4 5
AT.13 (zu Abb. 16, DI): [Geräusch: Maschinen- und Zischgeräusch; Geräusch wird leiser, überschneidet sich ganz kurz mit dem einsetzenden gesprochenen Text] ein glück dass sie sie hören. sehen, können sie sie jedenfalls kaum; die lokomotive.
Anhand des ersten Beispiels ist zunächst festzuhalten, dass auch der implizite Hörer hier ausdrücklich als Betrachter, und damit nicht nur als Adressat des Audiotextes, sondern auch als Rezipient des Bildes, ausgewiesen wird. Dieser wird sowohl dadurch charakterisiert, dass er das Bild überhaupt sehen kann, als auch dadurch, dass er einen bestimm-
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ten Standpunkt und eine bestimmte Perspektive auf das Bild einnimmt, über die der Audiotext konkret Auskunft zu geben vermag. Neben dem, was der implizite Hörer auf dem Bild sieht, informieren die Audiotexte auch über das, was er nicht sehen oder erkennen kann, wie im zweiten Textauszug deutlich wird. Dabei werden die visuelle Wahrnehmung des Bildes und die auditive Wahrnehmung des Audioguides durch den impliziten Hörer hier nicht unabhängig voneinander beschrieben, sondern in Beziehung zueinander gesetzt. Der Audiotext thematisiert damit sich selbst bzw. seinen akustischen Kontext – die Geräusche im Vorfeld des vorgetragenen Textes – als Ressource, welche dem impliziten Hörer bei der Rezeption eines Bildes ergänzend zur Verfügung steht. Das Sehen des impliziten Hörers sowie seine Rezeptionssituation, etwa seine Position vor dem Bild, wird jedoch nicht nur als Ist-Zustand beschrieben. Vielmehr lassen die Audiotexte auch erkennen, inwiefern sie über dessen Möglichkeiten informiert sind, seine Rezeption eines Bildes zu verändern. So setzt der folgende, bereits zitierte und sehr anschauliche Textauszug die Fähigkeit des impliziten Hörers voraus, sich körperlich umzupositionieren – eine Disposition, die auch durch die Mobilität der Abspielgeräte ermöglicht wird (vgl. Kapitel 4.2). Aber auch darüber, inwiefern das Bild unter diesen veränderten Bedingungen, also von einem neuen Standort aus, anders wahrgenommen wird, gibt der Text genauestens Auskunft: Aus 1 2 3 4 5 6
AT.25 (zu Abb. 29, DI): alles leuchtet und pulsiert in reinen farben. ein wirbel aus orange grün blau rot und violett. am besten wirkt das bild wenn sie ein paar schritte zurücktreten. die vielen kleinen farbtupfen verbinden sich dann in ihrem auge zu einer gartenlandschaft mit bäumen, büschen und einem meer aus blumen.
Die Rezeption der Bilder durch den impliziten Hörer sowie dessen Möglichkeiten, diese zu verändern, werden dabei nicht nur beschrieben, sondern in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus stellenweise auch explizit instruiert. So geben die Audiotexte mitunter klare Anweisungen dazu, wie sich der Blick des impliziten Hörers beim Betrachten eines Bildes orientieren sollte, auf welche Bildelemente er besonders zu achten hat oder welche anderen Bilder er zum Vergleich heranziehen soll:
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AT.6 (zu Abb. 8 und 9, DI): schauen sie sich nun das angefangene werk rechts auf der staffelei an; [...] betrachten sie zum vergleich max slevogts selbstbildnis mit steifem hut;12
Dass der neutrale Sprecher in derartigen Passagen seine Autorität und seine Kompetenz dahingehend anzeigt, wie ein Bild angemessen zu rezipieren ist, wurde im vorangegangenen Teilkapitel bereits thematisiert. Diese Rezeptionsanweisungen werden dabei in keiner Weise relativiert oder gerechtfertigt, sondern ohne Einschränkungen ausgesprochen. Und so lassen auch diese Passagen weitere Rückschlüsse darauf zu, wie der implizite Hörer innerhalb der Audiotexte konstituiert ist: Sie setzen voraus, dass er für derartige Anleitungen nicht nur offen ist, sondern dass er möglicherweise sogar Bedarf danach hat; dass er nicht erst von ihrer Richtigkeit und von ihrem Nutzen überzeugt werden muss, sondern dass er sie bereitwillig annehmen wird. Doch wird der implizite Hörer nicht nur instruiert, sondern stellenweise auch dazu autorisiert, eigene Beobachtungen angesichts des Bildes zu machen und Fragen zu beantworten, die der Audiotext in den Raum stellt. In diesem Zusammenhang kommen sehr unterschiedliche Frageformen zur Anwendung: Sie werden teils offen, häufig aber auch suggestiv formuliert, enthalten vor allem in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus direkte Adressierungen in der zweiten Person Singular oder wenden sich, wie in den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter, eher an anonyme, nicht näher bestimmte Adressaten. Sie stoßen dazu an, die Identifikation und Benennung einzelner Bildelemente zu reflektieren, fragen danach, welche Wirkung ein Bildelement oder ein bestimmter Aspekt des Bildes beim Betrachter hervorruft, oder haken nach, ob der implizite Hörer ein bestimmtes Bildelement entdeckt hat oder ob ihm ein spezieller Zusammenhang bereits aufgefallen ist: 12 | Wie alle hier zitierten Textauszüge musste auch dieses zur Präsentation in diesem Buch seinem Kontext entrissen werden. Aus dem Kontext des gesamten Audiotextes heraus wird deutlich, dass hier mit dem »angefangenen Werk rechts auf der Staffelei« zunächst ein Bildelement innerhalb des Bildes »Selbstbildnis vor der Staffelei« von Max Slevogt fokussiert wird, während das »Selbstbildnis mit steifem Hut«, welches anschließend zum Vergleich betrachtet werden soll, ein zweites, reales Bild – also kein Bildelement – darstellt.
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Aus 1 2 3
AT.16 (zu Abb. 19, DI): sehen sie die sonnenflecken, die durch das blattwerk der bäume fallen? auf dem steinboden um den hund herum ist ein bewegtes lichtspiel zu erkennen.
Aus AT.22 (zu Abb. 26, DI): 1 ist ihnen aufgefallen, wie nah hagemeister sein motiv 2 heranholt?
Die unterschiedlichen Frageformen als spezifisches, in den Audiotexten eingesetztes »dialogisches Element« (vgl. Ayaß 1997: 177ff.) räumen ihren Adressaten dabei zumeist verhältnismäßig geringe Freiheit zu ihrer Beantwortung ein. In der soeben zitierten Textpassage aus AT.16 sorgt etwa spätestens der auf die Frage folgende Satz dafür, dass die Sichtbarkeit bzw. das Auffinden der Sonnenflecken durch den Betrachter von diesem nur noch schwerlich negiert werden kann – werden die Sonnenflecken doch relativ genau »auf dem Steinboden« lokalisiert und wird der Betrachter doch sowohl durch die Formulierung der Frage als auch durch den folgenden Satz dazu animiert, sich auf die Suche nach ihnen zu machen und sie schließlich tatsächlich zu fokussieren, zu sehen. Und im zweiten Beispiel aus AT.22 lässt sich die Frage spätestens, nachdem sie geäußert wurde, nur noch bedingt verneinen: Ist dem Adressaten dieser Sachverhalt bis dato entgangen, so wurde er spätestens mit der Frage darauf aufmerksam gemacht. Und so ist an dieser Stelle vor allem festzuhalten, dass auch die zahlreich eingesetzten Fragen in den Audiotexten einen Dialog, einen Aushandlungsprozess zwischen neutralem Sprecher und implizitem Hörer suggerieren. Sie erwecken den Anschein, die Audiotexte seien keineswegs eine ›kommunikative Einbahnstraße‹, sondern der implizite Hörer wäre an der Etablierung der Bildbetrachtung, die der Audiotext präsentiert, ebenso beteiligt wie der Text selbst. Schon zu Beginn dieses Teilkapitels wurde darauf hingewiesen, dass die Audiotexte nicht jede Bildbetrachtung, über die sie Auskunft geben, als ihre eigene ausweisen, sondern dass sie sie stattdessen oftmals dem impliziten Hörer zuschreiben. Auch wurde schon dort betont, dass der implizite Hörer zwar leicht mit den tatsächlichen Hörern der Audiotexte zu verwechseln ist, dass er jedoch keineswegs mit ihnen gleichgesetzt werden kann. Neben der Instanz des neutralen Sprechers spielen auch
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diese beiden Aspekte des impliziten Hörers eine wesentliche Rolle dabei, wie die Audiotexte ihre eigenen Bildbetrachtungen plausibilisieren und objektivieren. So mögen die tatsächlichen Hörer die Rezeption eines Bildes, die der Text dem impliziten Hörer zuschreibt, von sich aus teilen oder nicht – wichtig ist vor allem, dass die Texte die Identität der tatsächlichen Hörer mit dem impliziten, bildbetrachtenden und lernfreudigen Hörer suggerieren, dass Aussagen über den impliziten Hörer ihre Geltung auch für den tatsächlichen Hörer behaupten, ungeachtet dessen, dass sie in Bezug auf diesen lediglich antizipiert, niemals aber gewusst werden können. Allerdings leistet die Instanz des impliziten Hörers weit mehr, als eine Übereinstimmung zwischen seiner Bildbetrachtung mit der des tatsächlichen Hörers zu suggerieren. Nicht zuletzt durch die zahlreichen dialogischen Elemente – durch die direkten und verdeckten Adressierungen, durch Anweisungen und Fragen – sind die Texte so gestaltet, dass sie den realen Hörern nahelegen, sich selbst angesprochen zu fühlen und sich mit dem impliziten Hörer zu identifizieren.13 Und schließlich regen neben den dialogischen Elementen auch jene Passagen, welche die Bildbetrachtungen des impliziten Hörers lediglich beschreiben, dazu an, diese Beschreibungen nachzuvollziehen, entsprechende Bildelemente selbst zu fokussieren, sie in gleicher Weise zu identifizieren und entsprechende Reflexionen anzustellen. Schon die bloße Beschreibung dessen, was der implizite Hörer sieht, lenkt die Aufmerksamkeit des realen Hörers somit gezielt auf eben diese Aspekte des Bildes. Sie animiert ihn indirekt dazu, sich selbst darauf zu fokussieren und die eigene Rezeption derjenigen des 13 | Insbesondere ein Vergleich der untersuchten Audiotexte mit den Objekttexten aus der Ausstellung Berliner Impressionismus im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund legt nahe, dass diese dialogischen Elemente ein ganz spezifisches Merkmal von Audiotexten sind: Während in den Texten aus beiden untersuchten Audioguides immer wieder mit direkten und verdeckten Adressierungen des impliziten Hörers gearbeitet wird, finden sich in den Objekttexten aus der Dortmunder Ausstellung kaum derartige Elemente. Während die Audiotexte, die stets von einer Stimme vorgetragen werden, sich einem mündlichen Gespräch oder Vortrag stark annähern, in dem eine Sprecherinstanz greifbar wird, die sich an ihre Adressaten direkt wendet und mitunter auch direkt Fragen stellt, gibt sich eine solche Instanz in den Dortmunder Objekttexten nicht in dieser deutlichen Weise zu erkennen. Dort finden sich lediglich wenige verdeckte Adressierungen durch die Verwendung der ersten Person Plural an einzelnen Stellen.
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impliziten Hörers anzunähern – bis er sie kaum mehr davon abzugrenzen vermag und bis die im Text etablierte Bildbetrachtung des impliziten Hörers mit der des tatsächlichen Hörers weitgehend zur Deckung kommt. Dass die Identifikation des realen Hörers mit seinem textimmanenten Pendant so nahe liegt, ist somit keinesfalls als Zufall zu bewerten. Vielmehr stellt dieses Phänomen ein zentrales Mittel dar, mit dessen Hilfe die untersuchten Audiotexte ihre Rezipienten indirekt dazu animieren, ihren Ausführungen nicht nur zu folgen, sondern sie sich selbst anzueignen. Dabei erwecken die Audiotexte stets den Anschein, als registrierten sie lediglich die Bildbetrachtung ihrer Hörer, als gäben sie sie lediglich sprachlich wieder, um sie dann erst in einem zweiten Schritt zu kommentieren oder auch zu lenken. Wie eine doppelte Wischblende schieben sie somit den impliziten Hörer und, über ihn vermittelt, die tatsächlichen Hörer, die so leicht mit ihm zu verwechseln sind, vor sich selbst. Ihre eigenen konstitutiven Leistungen bei der Erschaffung des impliziten Hörers und dabei, ihm bestimmte Betrachtungen des Bildes zuzuschreiben, werden unterdessen nahezu unsichtbar. Die Audiotexte täuschen beinahe darüber hinweg, dass der implizite Hörer und seine Bildbetrachtungen ihre eigenen Geschöpfe sind und bleiben, mit deren Hilfe sie ihre ›soziale Lesbarkeit‹ organisieren und ihre Nachvollziehbarkeit auch ohne die Möglichkeiten interaktiver Verständigung und Aushandlung absichern.
8.3 G ENER ALISIERTER B E TR ACHTER Nicht weniger abstrakt als der implizite Hörer gestaltet sich eine zweite Betrachterinstanz, auf die die Audiotexte fortwährend Bezug nehmen. Sie wird von den Audiotexten vor allem durch das Indefinitpronomen »man« markiert, welches sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass die Identität der damit angesprochenen Personen oder Personenkreise unterbestimmt bleibt (vgl. Eisenberg/Kunkel-Razum 2009: 320) – »man« kann potenziell jeder sein. Im Folgenden wird diese Instanz daher »generalisierter Betrachter« genannt. Innerhalb der Audiotexte werden ihm, ähnlich wie dem impliziten Hörer, verschiedene Aktivitäten und Attribute zugewiesen. So wird auch er in erster Linie dadurch charakterisiert, dass er das Bild rezipiert bzw. dass er es rezipieren kann; dass er also in der Lage ist, das Bild in seiner Visualität wahrzunehmen, einzelne Bildelemente zu identifizieren, einzuordnen und dabei auf bestimmtes,
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allerdings begrenztes Wissen zurückzugreifen. Darüber hinaus zeichnen die Audiotexte auch die Wanderungen seines Blickes über ein Bild nach – wobei auch hier mitunter zwischen einem »ersten Blick« und einem veränderten »zweiten Blick« unterschieden wird. Auch geben sie an, welchen Bildelementen oder welchen visuellen Aspekten des Bildes er besondere Aufmerksamkeit widmet, und welche dagegen eher vernachlässigt werden: Aus 1 2 3
AT.8 (zu Abb. 11, DI): [...] eine zierliche junge frau in der pose der musikerin. ihr langes intensiv farbiges kleid betrachtet man viel stärker als ihr gesicht und die violine.
Insgesamt gelingt es dem generalisierten Betrachter laut Auskunft der Audiotexte mal mehr, mal weniger gut, das Bild zu erfassen und Erkenntnisse darüber zu generieren; das Bild lässt ihn mitunter ratlos zurück, es kann Fragen aufwerfen, deren Beantwortung er nicht immer, jedenfalls nicht immer unmittelbar gewachsen ist: Aus 1 2 3
AT.38 (zu Abb. 42, NR): ein bärtiger mann, lehnt am kraterrand; und man weiß auf den ersten blick nicht, ob er in die fuge hinabgleitet, oder sich ihr entwindet.
Der generalisierte Betrachter schließt potenziell alle denkbaren Betrachter des jeweiligen Bildes ein – nicht nur, indem er durch das Indefinitpronomen »man« markiert wird, sondern auch dadurch, dass er in den Texten auch sonst ausschließlich durch seine Fähigkeit zur Rezeption des Bildes gekennzeichnet ist und ansonsten nicht konkreter charakterisiert wird: Er bleibt damit völlig unbestimmt und offen dafür, auch ganz heterogene Rezipienten des Bildes zugleich zu repräsentieren. Aussagen, die über ihn getroffen werden, sind dabei stets deskriptiv und mit einer Ausnahme14 allesamt im Indikativ formuliert. Unabhängig davon, ob dies tat14 | Nur in einem einzigen der untersuchten Audiotexte wird eine Aussage über den generalisierten Betrachter im Konjunktiv formuliert. Eine bestimmte Identifikation und Deutung mehrerer Figuren im Bild durch den generalisierten Betrachter wird dort nicht als gesichert, sondern vor dem Hintergrund einer Aussage des
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sächlich zutrifft, beanspruchen sie damit uneingeschränkt Geltung für alle Betrachter des Bildes; für deren Sehen, deren Leistung, Bildelemente so und nicht anders voneinander abzugrenzen, für deren Aufmerksamkeit, ja selbst für ihre sich verändernde Rezeption bei wiederholter Betrachtung, aber auch für deren Unsicherheiten, Irritationen und Fragen. Auch mithilfe dieser textimmanenten Instanz nimmt sich der Audiotext bzw. der neutrale Sprecher also als subjektiver Urheber der ausgeführten Bildbetrachtungen zurück: Er suggeriert mit Verweis auf den generalisierten Betrachter, dass nicht er selbst, sondern »man«, also ausnahmslos jeder, das Bild auf die von ihm beschriebene Weise betrachten würde.
8.4 A K TIVIERTE B ILDER Bisher wurde untersucht, wie der neutrale Sprecher, der implizite Hörer sowie der generalisierte Betrachter innerhalb der Audiotexte konzipiert sind; wie diese Instanzen auf ihre je eigene Weise dazu beitragen, die Bildbetrachtungen der Audiotexte gegen alternative Möglichkeiten abzusichern und wie sie diese damit zu präferierten Zugängen zu den Bildern machen. Doch hat auch die Art und Weise, wie die Bilder selbst innerhalb der Texte dargestellt werden, entscheidenden Anteil daran. Sie treten in beiden Audioguides keineswegs als bloße Objekte in Erscheinung, die der Rezeption ihrer Betrachter und den Beschreibungen des Sprechers passiv ausgeliefert sind. Vielmehr sind sie dort als hybride »Quasi-Objekte« (Latour 2008: 70ff.), als durchaus mächtige, wenn auch nichtmenschliche Akteure konzipiert, die ihre Rezeption mindestens in demselben Maße aktiv beeinflussen, wie sie ihr unterliegen. Dies offenbart sich zunächst in jenen Passagen, in denen ein Bild oder ein einzelnes Bildelement nicht direkt beschrieben wird, sondern in denen darauf hingewiesen wird, dass es etwas »zeigt«: Malers als möglich ausgewiesen: »Wenn Neo Rauch vom geschichtsbösen Nachbeben spricht, könnte man in den Figuren Flüchtlinge vor den Nachbeben der französischen Revolution sehen« (aus AT.40 zu Abb. 44, NR). Nachdem sich dieses Kapitel jedoch weniger mit der Deutung und Interpretation der Bilder, sondern vor allem mit der Beschreibung ihrer konkreten Gestalt befasst – wobei die Grenzen zwischen Beschreibung und Interpretation freilich zu diskutieren wären –, kann der Fall in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden.
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Aus AT.41 (zu Abb. 45, NR): 1 umgekippt ist ein großdimensioniertes möbel, das 2 einschusslöcher zeigt.
Der deiktischen Aktivität des Zeigens,15 die dem Bildelement »ein großdimensioniertes Möbel« hier explizit zugeschrieben wird, entspricht eine passiv-registrierende Betrachtung des Bildes durch den Text bzw. durch den neutralen Sprecher: Der Text vermittelt den Eindruck, dass nicht er es sei, der »Einschlusslöcher« aus der Bildfläche herausgegriffen, identifiziert und benannt hat, sondern dass das Bild selbst es ihm so und nicht anders offenbart habe. Er entzieht sich damit jeglicher eigenen Verantwortung für die Art und Weise, in der er dieses Bildelement thematisiert, und legitimiert seine Darstellung stattdessen mit Evidenzen, deren Erzeugung nicht seiner Rezeption, sondern dem Bild zugeschrieben sind. Die Aktivitäten, die die Audiotexte den Bildern zuschreiben, gehen jedoch weit über das bloße Zeigen hinaus, welches ja immer auch impliziert, dass ein Betrachter diesem Zeigen folgt, dass er hinsieht und gewillt ist, sich etwas zeigen zu lassen. So werden die Bilder von den Texten zudem auch immer wieder mit der Kraft ausgestattet, den Blick und die Wahrnehmung ihrer Betrachter zu lenken, ihre Rezeption also aktiv zu beeinflussen: Aus 1 2 3
AT.1 (zu Abb. 3, DI): die beiden flachen schalen im vordergrund, lenken den blick auf einen besonderen mittagsgast; eine katze hockt auf der schwelle und erwartet ihre milchportion.
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AT.110 (zu Abb. 36, NR): wie in einem kaleidoskop stehen die bildfragmente nebeneinander; oder, wie bei filmischen überblendungen sind wir angehalten, bilder im verschmelzen gleichzeitig wahrzunehmen.
Den Bildern werden dabei stellenweise sehr starke, ja geradezu magische Fähigkeiten zugeschrieben. Besonders deutlich wird dies dort, wo die 15 | Der Zusammenhang zwischen Deixis und Bildlichkeit, den die Audiotexte hier herstellen, wird theoretisch auch von Boehm untersucht (2008: 19ff.).
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Audiotexte betonen, wie sehr »unsere« Blicke – welche die des neutralen Sprechers ebenso einschließen wie die des impliziten Hörers – den Bildern ausgeliefert sind und wie wenig sie sich deren Kraft widersetzen können: Aus AT.15 (zu Abb. 18, DI): 1 die roten spritzer bilden den intensivsten farbakzent des 2 bildes, und ziehen unseren blick unwillkürlich an. Aus AT.24 (zu Abb. 28, DI): 1 wie von einem sog wird unser blick in dieses gemälde 2 hineingezogen; haben sie nicht auch das gefühl?
Zwar wird dies im zweiten Textbeispiel etwas relativiert, indem der implizite Hörer noch einmal befragt wird, ob er diesen Eindruck teile. Der Text lässt damit die Möglichkeit, dass nicht jeder Betrachter des Bildes die angesprochene Sogwirkung empfindet, theoretisch offen. Doch hat er sie zuvor für »unseren Blick« längst im Indikativ behauptet, und stellt die anschließende Frage keineswegs offen, sondern in Form einer klassischen Suggestivfrage: Die Formulierung »Haben Sie nicht auch das Gefühl?« unterstellt dem Adressaten bereits, die vorausgehende Feststellung zu teilen. Sie lässt eine negative Beantwortung kaum mehr zu, sondern erhöht den Druck, sich dem anzuschließen und untermauert damit auf subtile Weise den Geltungsanspruch der getroffenen Aussage mehr, als dass sie dem Zuhörer Raum eröffnet, seinen eigenen Eindrücken nachzuspüren. Folgt man den Ausführungen der Audiotexte, so vermögen die Bilder bzw. einzelne Aspekte der Bilder nicht nur den Blick, sondern auch die Aufmerksamkeit ihrer Betrachter zu lenken: Aus 1 2 3
AT.3 (zu Abb. 5, DI): in der farblich dezenten, ganz in braun und beigetönen gemalten komposition zieht die hellere gesichtshälfte sofort die aufmerksamkeit auf sich.
Die Aufmerksamkeit des nicht weiter spezifizierten, also generalisierten Betrachters wird »sofort« und damit auch unmittelbar und unweigerlich von jenem Bildelement angezogen, welches der Audiotext als »hellere Gesichtshälfte« identifiziert. Der Text vermittelt also auch hier, dass nicht er
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selbst das Bildelement gezielt fokussiert, sondern dass das Bild diese Fokussierung herauf beschwört, der sich weder der neutrale Sprecher noch irgendein anderer Betrachter entziehen kann. Auch jene zahlreichen Passagen, die sich damit auseinandersetzen, wie die Bilder auf ihre Betrachter wirken, wie sie ihm erscheinen und welche Eindrücke sie bei ihnen erwecken, weisen die Bilder als Instanzen aus, die ihre eigene Rezeption, nicht zuletzt die durch den neutralen Sprecher, aktiv beeinflussen: Aus AT.33 (zu Abb. 37, NR): 1 ausgewaschen, ausgeblichen, ausgelaugt; wirken die farbtöne 2 allesamt. Aus 1 2 3
AT.41 (zu Abb. 45, NR): vor dem haus steht, gleich einer wand, ein dichter wald. das laub erscheint in bahnen gefärbt; die natur wirkt wie angestrichen.
Freilich tragen diese Passagen inhaltlich dazu bei, ein Bild in seiner Gestalt zu erfassen und sich, wenn man so will, nicht nur seiner denotativen Ebene sprachlich anzunähern, sondern auch konnotative Aspekte des Bildes zu explizieren. Während jedoch insbesondere konnotative Bedeutungen einer Äußerung im Zusammenhang mit deren Indexikalität, also als abhängig von deren Produktions- und Rezeptionskontexten, von etablierten Wissensbeständen und Sehgewohnheiten bzw. habituellen Wahrnehmungsschemata, begriffen werden müssen, suggerieren die hier gewählten Formulierungen, sie wohne den Bildern inne. Die Hinweise auf die Erscheinung oder die Wirkung der Bilder implizieren also, dass die entsprechenden Aspekte von den Betrachtern nicht aktiv erfasst und vor dem Hintergrund ihres spezifischen Kontextwissens eingeordnet werden, sondern dass sie stattdessen von den Bildern ausgehen und lediglich passiv erfahren und unverändert wiedergegeben werden. Ganz nebenbei markieren die Ausführungen der Audiotexte damit auch hier ihre Erhabenheit gegenüber alternativen Beschreibungen. Sie vermitteln, dass nicht sie ein Bild auf diese Weise rezipiert haben, sondern dass es selbst so in Erscheinung tritt und aktiv den entsprechenden Eindruck erweckt – auf den neutralen Sprecher ebenso wie auf jeden beliebigen anderen Betrachter des Bildes. Mitunter liefern die Texte sogar rationale
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Erklärungen dazu, mit welchen Mitteln die jeweilige Wirkung eines Bildes hervorgerufen wurde; aufgrund welcher intentional eingesetzter gestalterischer Mittel ein Bild also so und nicht anders auf seine Betrachter wirken muss, was die in diesem Zuge etablierte Betrachtung des Bildes zusätzlich gegen Alternativen absichert: Aus 1 2 3
AT.19 (zu Abb. 23, DI): corinth malt die natur jedoch nicht bis ins detail ab, sondern verstärkt ihre wirkung, indem er sie auf klare feste formen reduziert.
Und schließlich schreiben die Texte dem Bild eine besondere Autorität im Hinblick darauf zu, wie einzelne Bildelemente zu erfassen sind. Dem Bild wird dabei, wie im folgenden Beispiel, explizit ein Vetorecht gegenüber seinen Betrachtern zugestanden: Aus 1 2 3 4 5
AT.10 (zu Abb. 13, DI): der fünfundsechzigjährige künstler trägt keinen malerkittel; sondern seinen anzug mit weste. wenn er nicht pinsel und palette in den händen trüge, könnten wir ihn in seiner bürgerlich gediegenen kleidung auch für einen soliden, arrivierten geschäftsmann halten.
Zwar zeigt sich der Text in dieser Passage von Beginn an gut informiert darüber, dass es sich bei der dargestellten Person um den Künstler handelt. Doch gibt er deutlich zu verstehen, dass die Figur aufgrund ihrer Kleidung und ihrer visuellen Erscheinung leicht mit einem Geschäftsmann verwechselt werden könnte – wenn, ja, wenn nicht auch Pinsel und Palette auf dem Bild zu erkennen wären, die diese Verwechslung ausschließen. Der Text bezeugt damit, dass sich die Art und Weise, wie er und alle übrigen Betrachter das Bild erfassen, vor dem Bild selbst bewähren muss, und dass das Bild seine Rezeption durch jeglichen Betrachter – auch die durch den Audiotext – beeinflusst, dass es sie gegebenenfalls auch widerlegen und als Irrtum ausweisen kann. Genau genommen ist es jedoch nicht das unmittelbare Bild, anhand dessen der Text die Angemessenheit seiner Darstellungen überprüft, sondern er kann diese stattdessen lediglich anhand seiner eigenen Beschreibungen und Fokussierungen des Bildes nachweisen. Zwar suggeriert der Text hier, dass sich
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seine Erkundungen des Bildes vor dem Bild selbst bewähren müssen. In der Praxis kann er jedoch lediglich sicherstellen, dass seine sprachliche Erschließung eines Bildelements nicht in Widerspruch mit seiner Beschreibung eines anderen gerät. Er muss sich somit in erster Linie vor seinen eigenen Ausführungen und allenfalls vor möglichen alternativen Rezeptionen des Bildes durch seine Hörer bewähren – wobei dieses Kapitel verdeutlichen dürfte, mit welchen Mitteln er unentwegt Sorge dafür trägt, dass diese sich seine Zugänge zum Bild zu eigen machen. Ob und inwiefern ein Bild tatsächlich als deiktische Äußerung oder, wie die Audiotexte stellenweise nahelegen, als Latour’sches Quasi-Objekt aufzufassen ist, welches aktiv etwas zeigen, Blicke beeinflussen, Aufmerksamkeit lenken oder auch Betrachtungen widerlegen kann, soll hier nicht beantwortet werden. Alleine mit der Existenz und dem Einsatz von sogenannten »Medialen«, also von sprachlichen Wendungen wie »das Bild zeigt« oder »Farbakzente lenken den Blick«, welche einen unbelebten Gegenstand zum Subjekt eines Satzes erheben, ist eine tatsächliche Aktivität dieses Gegenstands jedenfalls lange nicht belegt, sondern lediglich die Besonderheit indoeuropäischer Sprachen greifbar, die zwischen Aktiv und Passiv keine weiteren Formen der Handlungsausrichtung vorsehen und dann auf derartige Formulierungen zurückgreifen (vgl. Kemmer 1993). Auch wenn hier ausgehend von diesen sprachlichen Wendungen also nicht zur Debatte steht, wie aktiv ein Bild tatsächlich ist, bleibt dennoch festzuhalten, dass sie einen Betrachter suggerieren, der dem Bild ausgesetzt ist und der dessen Attraktoren fast notgedrungen folgen muss. Und so kommt es an dieser Stelle in erster Linie darauf an, dass die Audiotexte den Bildern diese Qualitäten zuschreiben und sie in diesem Zuge innerhalb ihrer Ausführungen als sinnkonstituierende Instanzen aktivieren. Nicht zuletzt erlauben diese sprachlichen Wendungen es den Audiotexten, von ihren eigenen deiktischen, selektiven und konstruktiven Leistungen bei der Betrachtung, Identifikation und Fokussierung einzelner Aspekte der Bilder abzusehen. Statt diese offenzulegen, suggerieren die Texte, dass sie lediglich Evidenzen zur Kenntnis nehmen und wiedergeben, die die Bilder erzeugt haben – und die jeder andere Betrachter der Bilder auf gleiche Weise registrieren würde. Die Art und Weise, wie ein Audiotext ein Bild erschließt, erscheint dadurch nicht mehr als eine beliebige von vielen Möglichkeiten, sondern sie wird mit den genannten Mitteln als diejenige ausgewiesen, die vom Bild so und nicht anders nahegelegt wird. Das Bild wird auf diese Weise selbst zum stärksten Argument
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für die Angemessenheit seiner Betrachtung und Beschreibung durch den Audiotext gemacht.
8.5 A K TIVER TE X T Über die verschiedenen Instanzen hinaus, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden, können eine Reihe sprachlicher Mittel angeführt werden, mit deren Hilfe die Audiotexte die von ihnen nachvollzogenen Betrachtungen der Bilder zu präferierten Bildbetrachtungen machen und mit denen sie somit ihre eigene ›soziale Lesbarkeit‹ strukturieren. Darunter fallen zum einen sprachliche Zeigegesten, die innerhalb der Texte zur Anwendung kommen. So lenken die Audiotexte die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten implizit bereits durch das bloße Benennen oder Beschreiben einzelner Bildelemente auf eben diese; sie befördern damit ganz beiläufig, dass ihre Rezipienten ihren Fokus den im Text etablierten Fokussierungen anpassen. Wie im Zusammenhang mit dem neutralen Sprecher und dem impliziten Hörer bereits thematisiert wurde, werden darüber hinaus auch Instruktionen zur angemessenen Positionierung vor dem Bild oder auch zur angemessenen Betrachtung und Fokussierung einzelner Bildelemente gegeben. Auch diese tragen – auf ganz explizite Weise – dazu bei, die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf jene Aspekte des Bildes zu richten, welche der Audiotext aus den unzähligen möglichen Alternativen fokussiert. Zum anderen lassen sich eine Reihe sprachlicher Objektivierungstechniken identifizieren, die in den Audiotexten angewendet werden und mit denen sie die Plausibilität und Gültigkeit ihrer spezifischen Bildbetrachtungen anzeigen, mit denen sie darüber hinaus aber auch begünstigend darauf einwirken, dass ihre Rezipienten ihre Ausführungen nachvollziehen. Zu beobachten sind hier eine spezifische Form der Präferenzorganisation sowie der auffallend häufige Einsatz von Dreierlisten und Konstraststrukturen – sprachliche Mittel, die bereits in zahlreichen einschlägigen ethnomenthodologischen und konversationsanalytischen Studien untersucht wurden16 und die an dieser Stelle daher nicht im Detail 16 | Ein Überblick zum Thema Präferenzorganisation findet sich bei Levinson (1990: 331-342) oder auch in Teil II des Sammelbandes »Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis« von Atkinson und Heritage (2003:
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nachgezeichnet werden sollen. Ungeachtet dessen sind auch sie im Zusammenhang mit den untersuchten Audiotexten als nicht unwesentliche Techniken festzuhalten, mit deren Hilfe die Texte eine spezifische, präferierte ›Lesart‹ ihrer selbst, sowie eine bevorzugte Betrachtungsweise der Bilder etablieren. Alle in diesem Kapitel vorgestellten Instanzen sowie die eben angesprochenen sprachlichen Techniken werden von den Audiotexten auf jeweils spezifische Weise dazu eingesetzt, deren Bildbetrachtungen als angemessen auszuweisen und ihre Rezipienten dazu zu animieren, sie nachzuvollziehen, sie sich anzueignen und sie den zahlreichen Alternativen vorzuziehen.17 Nicht der Audiotext oder der neutrale Sprecher selektiert, beschreibt und interpretiert Bildelemente, so die Botschaft, sondern »wir«, der neutrale Sprecher, der implizite Hörer sowie alle anderen Betrachter des Bildes, sind lediglich »Zeugen« und können damit nicht anders, als eine im Bild dargestellte Szenerie in der vom Audiotext ausgeführten Weise, etwa als »dramatisches Geschehen« (vgl. AT.40 bzw. das Eingangszitat zu Beginn dieses Buches), zu registrieren. Dabei konnten der neutrale Sprecher, der implizite Hörer, der generalisierte Betrachter sowie die aktivierten Bilder in diesem Kapitel als genuine, immanente Geschöpfe 53-163). Erste Erkenntnisse zur Präferenzorganisation in schriftlichen Texten liefert Mulkay mit seiner Untersuchung eines Briefwechsels zwischen Biochemikern (1985, 1986). Auch Knauth/Wolff (1991) widmen sich anhand von psychiatrischen Gerichtsgutachten der Frage, inwiefern dieser Mechanismus auch in schriftlichen Texten und somit in kommunikativen Äußerungen mit geringer interaktiver Dichte zur Anwendung kommt. Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Listenaufzählungen, insbesondere der häufig verwendeten Dreierlisten, findet sich u.a. bei Atkinson (1984: 57ff.). Kontraststrukturen als Technik, spezifische Schlussfolgerungen durch die Rezipienten einer kommunikativen Äußerung zu provozieren, untersuchen u.a. Dorothy Smith in ihrem prominenten Aufsatz »K. ist geisteskrank« (1976: 394ff.), Atkinson (1984: 73ff.) oder auch Drew (1992). Ihr Einsatz in den Audiotexten wird im Zuge des Vergleichs beider Audioguides am Ende dieses Kapitels anhand einiger Beispiele untersucht. 17 | Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass hiermit keine Aussagen über eine tatsächliche Rezeption der Audiotexte sowie der Bilder getroffen werden können oder sollen, sondern dass es vielmehr darum geht, jene Mittel aufzuzeigen, mit deren Hilfe die Texte ihren Rezipienten nahelegen, ihren Ausführungen zu folgen und sich ihre Bildbetrachtungen anzueignen.
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der Audiotexte und als wesentliche Techniken ausgemacht werden, die in den Audiotexten gemeinsam mit den entsprechenden sprachlichen Mitteln zur Objektivierung der vermittelten Informationen zur Anwendung kommen. Die Texte suggerieren unter Bezugnahme auf diese Instanzen, dass sie nicht über eigene, ganz spezifische und subjektive Bildbetrachtungen Auskunft geben, sondern dass sie lediglich etwas zur Sprache bringen, das ohnehin allgemeine, objektive Geltung besitzt; etwas also, das ihre Rezipienten – ebenso wie alle anderen potenziellen Betrachter – von sich aus mit ihnen teilen, allenfalls eingeschränkt durch die Bedingung, dass diese sich dieselben Kompetenzen aneignen, über die der neutrale Sprecher sich ausweist, und dass sie sich in jene angemessene Rezeptionssituation begeben, die die Audiotexte stellenweise explizieren. Und so tragen letztlich die Texte entschieden und, im Sinne von Smith (vgl. dies. 1993; vgl. Kapitel 5.2), aktiv dazu bei, diese Instanzen so auszustatten und in ein komplexes Wechselverhältnis zueinander zu setzen, dass ihre eigenen Bildbetrachtungen am Ende nicht als beliebig und subjektiv, sondern als angemessen, zutreffend und objektiv gültig erscheinen.
8.6 V ON G E WISSHEITEN UND I RRITATIONEN Der neutrale Sprecher, der implizite Hörer, ein generalisierter Betrachter sowie als aktiv dargestellte Bilder, die soeben allesamt als Resultate eines aktiven bzw. aktivierenden Textes identifiziert wurden, lassen sich in beiden Audioguides als zentrale Instrumente zur Etablierung plausibler und geteilter Bildbetrachtungen ausmachen. Lediglich im Detail sind der neutrale Sprecher, der implizite Hörer sowie der Einsatz von OriginalZitaten hier in unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Ausprägungen zu beobachten: So treten der neutrale Sprecher und der implizite Hörer in den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter vor allem über verdeckte Adressierungen in Erscheinung, während sie in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus auch in direkten Anreden und direkt adressierten Fragen zu Tage treten. Auch findet sich im Audioguide zu dieser Ausstellung eine ganze Reihe an Originalzitaten sowohl der Künstler als auch ihrer Zeitgenossen, wohingegen nur eine Audio-Episode zu Neo Rauch. Begleiter zwei Zitate des Künstlers einschließt. Der generalisierte Betrachter und eine Aktivierung der behandelten Bilder lassen sich dagegen in beiden Audioguides nahezu gleichermaßen beobachten.
8. Zwischen Subjekt und Objekt
Viel deutlicher als hinsichtlich der Existenz und Beobachtbarkeit dieser Instanzen unterscheiden sich die beiden Audioguides im Hinblick auf die Zugänge zu den Bildern, die sie jeweils mit deren Hilfe etablieren. In den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus handelt es sich dabei vornehmlich um ihrer Sache sichere, positive Bildbetrachtungen, die einen Ist-Zustand in völliger Gewissheit präsentieren. Sie geben klare Antworten darüber, wie ein spezifisches Bildelement zu erfassen ist, wie es im Beziehung zu anderen Bildelementen steht oder auch darüber, welche Wirkung es, beispielsweise aufgrund seiner formalen, visuellen Gestaltung, auf seine Betrachter hat.18 Auch die Audiotexte zu Neo Rauch. Begleiter weisen stellenweise einen solch entschiedenen, eindeutigen Zugriff auf einzelne Bildelemente auf. Daneben richten sie den Fokus jedoch auch immer wieder auf Irritationen, Widersprüche, Unsicherheiten und offene Fragen, die sich bei der Betrachtung der Bilder stellen, im Hinblick auf die sie die Bilder und deren einzelnen Elemente befragen, auf die sie ihnen aber keine klaren Antworten entlocken können: Aus AT.41 (zu Abb. 45, NR): 1 M: das hölzerne werk erscheint wie ein konstrukt aus 2 standuhr und bassgeige. doch weder die zeit lässt sich 3 ablesen, noch wollen sich dem instrument, saitenlos, 4 töne entlocken lassen. [...] 5 F: auch die schreinförmige öffnung gibt uns keinen 6 anhalt ein funktionsgefüge zu erkennen.
Gerade auch anhand der unterschiedlichen Art und Weise, wie die Audiotexte mit Kontraststrukturen (vgl. Smith 1976: 394ff.) arbeiten, lässt sich dies deutlich beobachten. In den Audiotexten zu Neo Rauch. Begleiter 18 | Hier lassen sich große Ähnlichkeiten zwischen den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus und den Saaltexten aus der Dortmunder Ausstellung Berliner Impressionismus feststellen: Auch die Texte aus Berliner Impressionismus artikulieren nur ganz vereinzelt Unsicherheiten bezüglich Sachinformationen, beispielsweise wenn in einem Saaltext nicht ganz eindeutig darüber Auskunft gegeben werden kann, in welcher Stadt eine im Bild dargestellte Szene zu verorten ist. Die Bilder selbst werden in diesen Texten dagegen an keiner Stelle als irritierend, vage oder widersprüchlich ausgewiesen.
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verweisen sie häufig auf Irritationen, Brüche und Widersprüchlichkeiten innerhalb der bildlichen Szenen, auf deutliche Abweichungen des Dargestellten von entsprechenden Normalitätsvorstellungen: Aus 1 2 3
AT.39 (zu Abb. 43, NR): spricht man von einem bild, das krönung heißt, malt man sich sicher ein festliches ambiente aus mit stolzen akteuren; doch was geht hier vor;
Bereits an dieser Stelle deutet sich an, dass die zuvor erläuterten alltäglichen Vorstellungen von Bildern mit dem Titel »Krönung« im hier besprochenen Bild nicht realisiert werden, sondern dass es dazu auffällig und in irritierender Weise im Kontrast steht. Und tatsächlich zeigt der Text im weiteren Verlauf Momente dieser Krönungs-Szene auf, die stark von der erwarteten Normalität abweichen; etwa in der folgenden Passage, derzufolge die dargestellte Krone nicht die versprochene »Noblesse« vermittelt, sondern sich als ihren Träger belastende, beschmutzende »Brikettaufschichtung« präsentiert: Aus AT.39 (zu Abb. 43, NR): 1 die krone ist eine brikettaufschichtung; die statt noblesse 2 auszustrahlen, eher zur verunreinigenden last wird;
Ganz anders in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus: Zwar wird auch hier in Form von Kontraststrukturen auf Brüche und Abweichungen aufmerksam gemacht, die in den betrachteten Werken zum Tragen kommen, doch verweisen die Audiotexte in diesem Zusammenhang auf keine nachhaltigen Irritationen. Stattdessen richtet sich der Fokus hier eher auf Neuerungen und Innovationen, die ein Bild im Vergleich zu bisherigen Konventionen dokumentiert. Selbst dort also, wo diese Texte auf Brüche und Abweichungen vom Gewohnten oder Erwarteten aufmerksam machen, wird das eigentliche Bild dabei, anders als im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter, in keiner Weise als rätselhaft oder widersprüchlich dargestellt: Aus AT.9 (zu Abb. 12, DI): 1 das sogenannte interieur, der blick ins heimisch private, 2 war für die deutschen impressionisten ein beliebtes thema.
8. Zwischen Subjekt und Objekt
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doch liebermann führt uns in sein atelier; nicht in seine wohnung.
Aus 1 2 3 4 5
AT.11 (zu Abb. 14, DI): er zeigt nicht das sonnenlicht, sondern das gaslicht; das sich auf dem nassen asphalt wiederspiegelt. ihn interessieren nicht bäuerliche idyllen mit kühen und pferden, sondern bahnhöfe, urbane plätze voller autos, die straßen und hochbahnen.
Beide Audioguides richten also die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten mithilfe der aufgezeigten Mittel und Instanzen sehr selektiv auf jeweils bestimmte Aspekte der Bilder, beide etablieren auf sehr ähnliche Weise plausible, präferierte Fokussierungen der Bilder und beide weisen diese nicht nur als intersubjektiv geteilte Zugänge zu den Bildern aus, sondern befördern deren Akzeptanz durch ihre Rezipienten aktiv. Während der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus jedoch im Wesentlichen positive, entschiedene Aussagen über die Bilder trifft, und dabei sich selbst als souveränen Beobachter und die Bilder als eindeutig und luzide präsentiert, werden im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter mit eben jenen Mitteln stets auch uneindeutige oder irritierende, nicht klar einzuordnende Momente eines Bildes in den Blick genommen und ins Zentrum der ›verallgemeinerten‹ Aufmerksamkeit gestellt – Momente, die selbst der Audioguide bzw. der neutrale Sprecher trotz all seiner ausgewiesenen Kompetenzen nur bedingt dechiffrieren kann. Das abschließende Kapitel wird diese und andere Beobachtungen noch einmal zusammentragen und aufzeigen, inwiefern sich hier grundlegende Differenzen zwischen dem Zugriff des einen Audioguides auf die von ihm behandelten historischen, kanonisierten Werke und dem des anderen auf zeitgenössische Kunst manifestieren. Zunächst folgen wir jedoch der bereits mehrmals zitierten Aufforderung eines Audiotextes und treten etwas weiter zurück; nicht von einem Bild, sondern von jenen Passagen der Audioguides, die sich unmittelbar mit den Bildern in ihrer Visualität, ihrem Auf bau und ihrer Motivik befassen. Statt uns weiter in diese zu versenken, wenden wir uns nun der ganzen Fülle an Informationen, Erweiterungen und Reflexionen zu, welche die Audiotexte darüber hinaus in ihre Auseinandersetzung mit den Bildern einbringen und mit deren Unterstützung sie deren Rahmen geradezu zum Bersten bringen.
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9. Jenseits des Sichtbaren: Kunst und Kontexte
Wie alle anderen kommunikativen Äußerungen sind auch Bilder als indexikal1 zu verstehen. Ihnen wohnt demnach keine feste Bedeutung inne, die sich aus ihnen selbst heraus generiert und die ihnen durch ihre Rezipienten nur noch ›abgelesen‹ oder, wenn man so will, ›abgeschaut‹ werden muss. Vielmehr werden sie erst in der Praxis mit Bedeutung versehen, indem ihre Rezipienten spezifisches Kontextwissens zu ihrer Betrachtung heranziehen und in ihre Interpretationen einfließen lassen. Auch die Rezeption von Bildern durch Audioguides erschöpft sich keineswegs darin, diese sprachlich abzutasten und Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Bilder zu lenken. Vielmehr weisen die Ausführungen der Audioguides weit über die verbal erschlossene und strukturierte visuelle Erscheinung der Bilder hinaus. Sie kontextualisieren die Bilder – und sie tun dies nicht stillschweigend, wie es im Alltag so häufig vonstattengeht, sondern auf besonders gut beobachtbare Weise: Sie rekurrieren im Zuge ihrer Bildbetrachtungen explizit auf spezifische Wissensbestände und vermitteln diese zugleich, sie reichern die Bilder jenseits der vorikonografischen Ebene2 mit Sinn- und Bedeutungsgehalten an und bringen nicht zuletzt dadurch, wie sie die Bilder mit ihren Kontexten konfrontieren und in Beziehung setzen, deren Status als Kunstwerke sowie deren allgemeinere soziale oder kulturhistorische Relevanz hervor. Sie referieren also nicht nur darüber, sondern sie aktualisieren und verwirklichen Kunstwerke stets auf’s Neue als solche; ein Vorgang, dem dieses Kapitel nun weiter nachspüren wird. 1 | Vgl. Kapitel 5.1. 2 | Vgl. Panofsky (1975: 38ff.) sowie die Erläuterungen in Kapitel 2.2.
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9.1 D IE UNSICHTBARE W ELT DES B ILDES Was zunächst so paradox erscheint – wieso sollte die Betrachtung und Beschreibung eines Bildes Dinge berücksichtigen, die auf dem Bild nicht zu sehen sind? –, ist in den Audiotexten in einer erstaunlichen Konsequenz zu beobachten: Sie sprechen im Zuge ihrer Bildbetrachtungen immer wieder Zustände und Vorgänge an, die sie zwar der im Bild dargestellten Szenerie zuordnen, die auf einem Bild als solche jedoch unmöglich sichtbar sein können. So zeichnen Bilder sich gemäß des gängigen Begriffsgebrauchs, und sofern es sich wie hier nicht um filmische Bilder handelt, dadurch aus, dass sie das Dargestellte ähnlich fotografischer Momentaufnahmen auf Dauer setzen,3 dass die Bildelemente sich also nicht in Bewegung befinden, sondern simultan auf der Bildfläche fixiert sind und in ihrer Position verharren. Demnach können dynamische Vorgänge in ihrem zeitlichen Vollzug ebenso wenig auf einem statischen Bild dargestellt werden, wie Geschehen, die in der Vergangenheit oder Zukunft einer verbildlichten Szenerie zu verorten sind. Und doch handeln die Audiotexte immer wieder davon. Recht unproblematisch erscheinen in diesem Zusammenhang noch jene Textstellen, die sich damit auseinandersetzen, mit welchen kompositorischen Mitteln im Bild lediglich ein Eindruck von Dynamik erzeugt wird. Bewegung wird hier der Bildrezeption und dem Auge des Betrachters zugeschrieben, ohne dass der Text die Stabilität des eigentlichen Bildes dabei in Frage stellen und die bildliche Szene selbst als beweglich ausweisen würde: Aus 1 2 3
AT.12 (zu Abb. 15, DI): jedoch entsteht der eindruck, er könne jeden moment aus dem bild springen; denn corinth malt den körper des tieres entlang der bilddiagonalen; was besonders dynamisch wirkt.
3 | Zum komplizierten Verhältnis von Bild und Zeit, insbesondere mit Fragen rund um die ›Zeit der Darstellung‹ sowie die ›dargestellte Zeit‹ in diesem Zusammenhang, vgl. von Hülsen-Esch, Körner und Reuter (2003) oder auch Schubbach (2010). Mehr als die dort behandelte Zeitlichkeit der Darstellung bzw. mehr als eine Zeitlichkeit im Bild selbst interessiert an dieser Stelle dagegen, inwiefern der Zeithorizont des Dargestellten erst im Zuge der Bildrezeption ausgeweitet wird.
9. Jenseits des Sichtbaren
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die bewegte pinselführung, bringt viel bewegung in unseren blick.
Andere Passagen vermitteln dagegen, dass Bewegung innerhalb der bildlich dargestellten Szenerie mit allen Konsequenzen möglich sei: Aus 1 2 3
AT.39 (zu Abb. 43, NR): ein mann [...] kniet auf einem niedrigen schemel. er darf nicht zu weit nach vorne rutschen. um sich nicht an der zahnförmigen umrandung zu verletzen.
Obwohl hier ein statisches Bild verhandelt wird, dessen Elemente in absoluter Erstarrung auf die Fläche gebannt sind und ihre Position unter keinen Umständen verändern können, artikuliert der Text explizit die Möglichkeit, dass eine dargestellte Person auf einem Schemel rutschen könnte und damit der Gefahr einer Verletzung ausgesetzt ist. Doch nicht nur potenzielle, sondern auch als tatsächlich ausgewiesene vergangene oder künftige Vorgänge werden in den Audiotexten häufig zum Thema, ungeachtet dessen, dass eine gemalte Szene im Rahmen des Bildes, also abgesehen von den historischen Produktions- und Rezeptionskontexten des Gemäldes, weder eine Vorgeschichte noch eine Zukunft haben kann: Aus AT.6 (zu Abb. 8 und 9, DI): 1 gerade noch hat er am zigarillo gezogen; jetzt schaut der 2 maler uns an. Aus AT.30 (zu Abb. 34, DI): 1 gleich ist es geschafft. mit einem letzten ruck; trennen 2 sechs arbeiter einen gesteinsblock vom felsen ab.
Die Audiotexte erfassen das Bild somit nicht nur in seiner statischen Erscheinung, sondern sie temporalisieren es, spannen das Dargestellte in die Zeit ein und erweitern es um eine Vergangenheit und eine Zukunft: um das, was war, und um das, was sein wird. Neben zeitlichen Vorgängen, die im Rahmen eines Bildes als solche nicht unmittelbar dargestellt, sondern allenfalls symbolisiert sein können, kommen die Audiotexte auch immer wieder auf psychische oder kognitive
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Vorgänge zu sprechen: auf Emotionen, Gedanken und Motive, die sie den im Bild dargestellten (d.h. von ihnen als solche identifizierten) Figuren zuschreiben. Auch diese können im Rahmen eines Gemäldes nur schwerlich direkt abgebildet werden. Dennoch erteilen die Audiotexte Auskunft darüber; wie im folgenden Auszug, wo von der Neugier einer dargestellten Figur sowie von ihrer Sorge, nass zu werden, berichtet wird: Aus 1 2 3
AT.26 (zu Abb. 30, DI): neugierig beugt sich die dame vor. sie schaut genau dorthin, wo eine welle auf den strand zuläuft. nass werden möchte sie auf keinen fall;
Und schließlich thematisieren die Audiotexte mitunter auch akustische Signale, obwohl auch diese im Rahmen der Gemälde keineswegs wahrnehmbar sein können: Aus 1 2 3
AT.31 (zu Abb. 35, NR): die schallschutzkopfhörer isolieren ihn zudem von der akustischen kulisse, die durch den raketenstart im mittelgrund verursacht wird.
Mögen im Bild sichtbare »Schallschutzkopfhörer« sowie eine Rakete4 auch auf sie verweisen, so kann die hier behauptete »akustische Kulisse« für den Betrachter des Bildes doch so wenig zu sehen sein, wie er sie hören könnte. Das Bild bleibt unter allen Umständen stumm und jene akustischen Sinnesreize, die der Audiotext der bildlichen Szenerie zurechnet, sind visuell schlichtweg nicht zu erfassen. Bis an diese Stelle wurde ausgehend von theoretischem und alltäglichem Wissen über die Stabilität und Visualität eines Bildes darauf geschlossen, dass bestimmte, von den Audiotexten verhandelte Vorgänge, darunter Dynamiken und Historizitäten oder emotionale, kognitive oder akustische Phänomene, nicht auf einem Bild sichtbar sein können. Über die Invisibilität dieser Gegenstände gehen die Texte dabei in aller Regel hinweg. Sie äußern sich darüber, als seien sie unmittelbar im Bild darge4 | Der eigentliche Start der Rakete, den der Audiotext als Ursache für die Geräusche ausmacht, kann im Bild nur schwerlich in seinem Vollzug beobachtet, sondern lediglich anhand verschiedener Indizien als solcher erkannt worden sein.
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stellt und im Zuge seiner Anschauung direkt zu erfassen. Nur selten wird die Unsichtbarkeit eines verhandelten Gegenstands dagegen tatsächlich und so deutlich expliziert wie im folgenden Ausschnitt: Aus 1 2 3 4 5
AT.16 (zu Abb. 19, DI): sie sehen sophie [...] sie scheint in ihrer lektüre gerade von etwas abgelenkt worden zu sein; auch kitsch, der hund der familie schaut zur seite. was ist es das die beiden ablenkt. wir können es nicht sehen; die störung liegt außerhalb des bildraumes.
Die »Störung«, von der hier die Rede ist, liegt laut diesem Text schlichtweg »außerhalb des Bildraumes«, sodass sie für Sprecher und Betrachter zwangsläufig verborgen bleiben muss. Dass hier jedoch etwas jenseits des Bildraumes geschieht, dessen Existenz für die Interpretation des im Bild dargestellten Geschehens von Relevanz ist, bleibt absolut unstrittig und wird ganz offen als dem betrachteten Bild zugehörig mitverhandelt. Die Bilder werden in den Audiotexten aus beiden untersuchten Audioguides also nicht ausschließlich in ihrer äußeren, sichtbaren Erscheinung behandelt. Vielmehr setzen sich die Texte auch damit auseinander, worauf die Bilder jenseits ihrer visuell wahrnehmbaren Gestalt, also jenseits der dargestellten bzw. von den Texten als solche identifizierten Bildelemente verweisen. Die Audiotexte bringen das statische Bild somit in Bewegung. Sie verzeitlichen, narrativieren und diegetisieren5 es, setzen es jenseits des Sichtbaren fort und entwickeln daraus Deutungen des Bildes, die weit über das visuell Dargestellte hinausgehen, die aber auch auf es zurückverweisen und es so um immense Sinnpotenziale bereichern. Unter Einbeziehung des Alltagswissens über gewöhnliche Umstände, unter denen eine bildliche Szene denkbar wäre – unter denen etwa Schallschutzkopfhörer getragen werden oder Menschen sich von ihrer Lektüre abwenden –, und unter Berücksichtigung jener Konsequenzen, die sich daraus in der Alltagswirklichkeit ergeben würden, 6 erzählen sie in sich geschlos5 | Mit dem ursprünglich film- und erzähltheoretischen Konzept der Diegese wird in der Kunstgeschichte die vorausgesetzte bzw. die vom Betrachter unterstellte Wirklichkeit innerhalb eines Werkes thematisiert (vgl. Sauriou 1997: 151f.). 6 | Sehr anschaulich beschreibt Umberto Eco für die Rezeption fiktiver Texte, welche Bedeutung Wissensbeständen über die Alltagswirklichkeit hierbei zukommt:
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sene und schlüssige, plausible7 Geschichten um die dargestellte Szenerie herum. Sie erwecken das Bild damit zum Leben: als ein Ausschnitt dieser Geschichten und als Bild, welches nicht nur auf sich selbst in seiner visuellen Erscheinung, sondern auf eine ganze Welt verweist.
9.2 K ONTE X T WISSEN Neben dem Alltagswissen über soziale Wirklichkeiten, über psychologische Gegebenheiten sowie über potenzielle Dynamiken, vorangegangene oder auch künftige Ereignisse eines ins Bild gebannten und seiner Flüchtigkeit enthobenen Moments, ziehen die Audiotexte auch weitaus spezifischeres Kontextwissen über die Bilder zu deren Betrachtung, Deutung und zur Taxierung ihrer Relevanz heran. Während im Alltag häufig implizit bleibt, welche Wissensbestände bei der Interpretation einer kommunikativen, indexikalen Äußerung wie der eines Bildes hinzugezogen werden, zeichnen sich die untersuchten Audiotexte gerade dadurch aus, dass sie ihren Zugang zu den Bildern explizieren: Sie erschließen und deuten die Bilder ›laut‹ und legen dabei offen, welche Wissensbestände sie bei deren Betrachtung aktualisieren und sich zu deren Deutung und Einordnung zunutze machen. Diese stehen teils in sehr unmittelbarer, teils in abstrakterer Beziehung zu den Bildern. Die Fülle der angesprochenen Themenkomplexe wird nun zunächst überblicksartig zusammengetragen und mit zunehmendem Abstrahierungsgrad von den konkreten Bildern vorgestellt, wobei der besseren Lesbarkeit halber davon abgesehen wird, jedem der zahlreichen anzuführenden Komplexe entsprechende »Die fiktiven Welten sind Parasiten der wirklichen Welt. Es gibt keine Regel, die vorschreibt, wie viele fiktive Elemente in einem Werk akzeptabel sind, es gibt hier im Gegenteil eine große Flexibilität: Formen wie beispielsweise das Märchen veranlassen uns auf Schritt und Tritt zu Korrekturen unseres Wissens von der wirklichen Welt. Doch alles, was im Text nicht ausdrücklich als verschieden von der wirklichen Welt erwähnt und beschrieben wird, muss als übereinstimmend mit den Gesetzen und Bedingungen der wirklichen Welt verstanden werden.« (Eco 1994: 112) 7 | »Schlüssig« mitunter auch insofern, als bestimmte Zusammenhänge vor dem Hintergrund des herangezogenen Alltagswissens in nachvollziehbarer Weise als fragwürdig, irritierend oder rätselhaft herausgearbeitet werden.
9. Jenseits des Sichtbaren
Passagen aus den Audiotexten zur Seite zu stellen. Stattdessen wird das darauf folgende Teilkapitel sich wieder stärker den empirischen Audiotexten zuwenden und anhand einiger exemplarischer Passagen der Frage nachgehen, wie die Audioguides die Bilder und ihre Kontexte konkret als wechselseitigen Verweisungszusammenhang präsentieren und produzieren. Immer wieder ziehen die Audiotexte in ihren Ausführungen Kontextwissen heran, welches in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bildern, einzelnen Bildelementen und ihren verschiedenen Bedeutungsdimensionen steht. Reale, mitunter historische Vorbilder für einzelne Bildelemente, wie die Identität einer dargestellten Person, werden dabei ebenso behandelt wie ikonografische Bedeutungen eines Motivs (vgl. Panofsky 1975; vgl. Kapitel 2.2), also literarische, religiöse, mythologische oder andere Vorbilder und Referenzen des Dargestellten. Auch den Bildern unmittelbar zugeordnete Paratexte (vgl. Genette 2001), insbesondere der Wortlaut der Bildtitel, werden zu Rate gezogen, um ihre Sinnpotenziale auszuloten. Darüber hinaus setzen sich die Audiotexte auch mit den Entstehungsgeschichten der Bilder, mit beteiligten Personen sowie mit jenen Wegen und Trajektorien auseinander, die die Bilder als physische Objekte durchlaufen haben. Neben ihren Auftraggebern oder vergangenen Besitzern kommt insbesondere ihren Malern besondere Aufmerksamkeit zu. Schon die Nennung eines Namens erweist sich hier als wesentlich: Sie erlaubt es, das entsprechende Bild einem identifizierbaren, authentischen Urheber und schöpferischen Geist zuzurechnen. Über jene Lebensphasen und Motivationen hinaus, vor deren Hintergrund er das besagte Bild geschaffen hat, thematisieren die Texte auch Aspekte seiner Person, welche mit dem konkreten Bild nur indirekt in Beziehung stehen. Seine private Biografie und seine sich wandelnden Lebensumstände sowie Probleme, mit denen er sich konfrontiert sah, kommen hier ebenso zur Sprache wie besondere, prägende Charakterzüge – der Maler wird als selbständiges Individuum greif bar gemacht. Neben seinem Privatleben und seiner Persönlichkeit stellen die Audiotexte vor allem auch seinen Status als Künstler fest oder verhandeln diesen. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang beispielsweise sein künstlerischer Werdegang, spezifische Talente und besondere Errungenschaften, seine künstlerischen Interessen und Vorlieben sowie die Themen, denen er Reflexionen widmet und die er in seinem Werk verarbeitet. Schließlich stellen die Audiotexte auch Quellen
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seiner Inspiration, typische Motive, Farben oder Mal- und Arbeitsweisen vor oder sie ordnen ihn einer bestimmten Künstlergruppe und sein Gesamtwerk einer bestimmten Stilrichtung zu. Die Maler werden dabei nicht nur explizit als »Künstler« bezeichnet, sondern die spezifische Beschreibung seines Charakters, seiner Interessen und Motive sowie seiner Tätigkeiten weisen ihn als eigenverantwortliches, kreatives, visionäres und letztlich eben als künstlerisches Subjekt aus, welches unabhängig von äußeren Um- und gegebenenfalls auch Widerständen freie Entscheidungen über die Gestaltung seiner Bilder trifft – und damit exakt den modernen Vorstellungen vom autonomen Künstler (vgl. Ruppert 2000; Reckwitz 2012: 60ff.) entspricht. Die Audiotexte behandeln die Maler somit nicht nur als Urheber beliebiger Bilder, sondern als Schöpfer von Artefakten, welche mindestens im Rahmen des in den Texten adressierten Rezeptionskontextes als »Kunst« anzuerkennen sind. Die Rezeptionsgeschichte, sowohl des einzelnen Bildes als auch des Gesamtwerks des Künstlers, stellt einen weiteren Wissenskomplex dar, den die Audiotexte im Zuge ihrer Ausführungen aktualisieren. Besonders auffällig ist hierbei, dass die Texte stets Erfolgsgeschichten zu vermelden haben: Auch auf lange Zeiten der Ablehnung eines Künstlers folgen demnach spätestens posthum Erfolge, Ehrungen und Würdigungen. Untermauert wird die Darstellung der Rezeptionsgeschichte in den Audiotexten mitunter durch Zitate von Zeitgenossen des Künstlers. Positive Reaktionen auf das Bild oder den Künstler werden dabei zustimmend kommentiert und als berechtigt bewertet, 8 negative, kritische Reaktionen werden dagegen als überholt, kenntnisarm und damit als unberechtigte, dispräferierte Äußerungen ausgewiesen – ganz nebenbei etablieren die Audiotexte auf diese Weise zusätzliche Legitimität für die 8 | Es sei denn, die Urheber dieser Reaktionen werden in einer Position ausgemacht, der sich die Audiotexte selbst nicht anschließen mögen: Das Werk des Künstlers wird dann zwar nicht als minder wertvoll, wohl aber als von den falschen Protagonisten vereinnahmt und missbraucht behandelt. Die an sich positive Rezeption des Werkes wird unter diesen Umständen geradezu als ein »Verhängnis« für den Künstler ausgemacht: »Naturverbundenheit, die sich leicht aus seiner Biografie erklären lässt, wurde Heinrich von Zügel Jahre später zum Verhängnis; die Nationalsozialisten erklärten ihn zum mustergültigen deutschen Maler und präsentierten seine Bilder auf der großen deutschen Kunstausstellung von 1937« (aus AT.29 zu Abb. 33, DI).
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besondere Qualität des Bildes und für seine Präsentation in der entsprechenden Ausstellung. Des Weiteren führen die Audiotexte auch sozial- und kulturgeschichtliche Kontexte der Bilder an, etwa Hintergründe zu sozialen, politischen, wirtschaftlichen sowie kulturellen Verhältnissen in der Entstehungszeit des jeweiligen Bildes, zu damals geltenden Werten oder herrschenden Moralvorstellungen, die stellenweise mit heutigen Verhältnissen konfrontiert und vor dem Hintergrund aktuell verbreiteter Wissensbestände erklärt oder bewertet werden. Trotz der Nähe zwischen dem Zeitpunkt der Ausstellung und der Entstehungszeit der Werke aus Neo Rauch. Begleiter lässt sich dies auch in den Audiotexten aus dieser Ausstellung beobachten; etwa im Zusammenhang mit einem Bild aus dem Jahre 1997, wo darüber informiert wird, welche zeitgenössisch verbreiteten Wahrnehmungsschemata und Diskurse der (in den neuen Bundesländern arbeitende) Maler im Bild aufgreift und verarbeitet, welchen Umständen diese entsprungen sind und wie sie inzwischen, aus der im Audioguide eingenommenen Perspektive heraus erscheinen: Aus 1 2 3 4 5 6
AT.33 (zu Abb. 37, NR): rauch reagiert damit auf die, im osten deutschlands, als erst einmal befremdlich empfundene laut tönende farbigkeit einer werbe und eventkultur des westens. die kolorbreite einer ddr werbe und anzeigenkultur, war hierzu deutlich eingeschränkt; und muss im nachhinein als äußerst blässlich wirken.
Der letzte Themenbereich, der in den Audiotexten in erheblichem Maße berücksichtigt wird, der aber weit über das konkrete Bild hinausweist, ist in kunstwissenschaftlichem und kunsthistorischem Fachwissen auszumachen. Diese Wissensbestände tangieren gewissermaßen alle bisher angesprochenen Themenkomplexe, allerdings stets aus der spezifischen fachlichen Perspektive heraus – im Luhmann’schen Verständnis: entsprechend den beobachtungsleitenden Unterscheidungen der Kunstwissenschaft. Hierunter fallen zunächst Themen, die durchaus nahe mit dem Bild in seiner visuellen Erscheinung in Beziehung stehen können, die hier aber auf allgemeinerer, auch theoretischer Ebene behandelt werden, etwa Farben, Malweisen oder spezifische Formen der Bildkomposition. Auch Wissen über die Besonderheiten bestimmter Bildgattungen, über
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kunsthistorische Epochen und Stilrichtungen, über verschiedene, sich wandelnde Kunstauffassungen und Kunstdiskurse oder auch über Theorien der visuellen Wahrnehmung wird neben den Betrachtungen konkreter Bilder behandelt. Dem fachwissenschaftlichen Diskurs können diese Themen insbesondere dort klar zugeordnet werden, wo die Audiotexte einzelne Begriffe mit Erläuterungen versehen oder sie mitunter auch reflektieren: Aus 1 2 3 4
AT.25 (zu Abb. 29, DI): wegen des gepunkteten farbauftrags; spricht man auch von pointillismus. gegner dieser kunst nannten sie abfällig confettisme; konfettikunst. durchgesetzt hat sich schließlich der begriff neoimpressionismus.
Aus 1 2 3 4 5 6
AT.32 (zu Abb. 36, NR): die zentralperspektive galt in den bildenden künsten über jahrhunderte lang als das system, die sicht auf die welt zu gliedern. doch die natur kennt keinen fluchtpunkt. [...] die zentralperspektive ist eine art visuelle prothese; dank der wir uns mit unserem defizitären wahrnehmungsvermögen einigermaßen in der umwelt zurechtfinden.
Die Begriffe werden hier ausdrücklich einem alltagssprachlichem Gebrauch enthoben, als bewusst und reflektiert eingesetzte Fachbegriffe aus der Kunst- und Bildtheorie oder der Kunstgeschichtsschreibung eingeführt und im Hinblick auf die antizipierten Bedürfnisse des impliziten Hörers um Hintergrundinformationen angereichert oder weiter diskutiert. Innerhalb der Texte eines Audioguides sind dabei insbesondere jene kunstwissenschaftlichen Wissensbestände berücksichtigt, die im direkten Zusammenhang mit dem entsprechenden Ausstellungskontext stehen.9 Während also im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter wiederholt 9 | Dass hier tatsächlich der Kontext der Ausstellung seine Spuren in Audiotexten hinterlassen hat, wird in einem Fall besonders deutlich. In diesem Audiotext aus Der Deutsche Impressionismus bleibt der Ausstellungskontext nicht implizit, sondern er wird explizit zum Thema gemacht: »Nanu? Max Beckmann in dieser Ausstellung? Ist das nicht falsch? Nein, ist es nicht; denn obwohl Max Beckmanns Name zumeist im Zusammenhang mit dem deutschen Expressionismus genannt
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charakteristische Themen oder Motive für das künstlerische Werk Neo Rauchs angesprochen werden, wird in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus besondere Aufmerksamkeit der Frage zuteil, was die Stilepoche des Impressionismus, insbesondere in Deutschland, auszeichnet.
9.3 A UFLÖSUNGSERSCHEINUNGEN Die angeführten Wissensbestände, welche die Audiotexte in ihren Ausführungen heranziehen und verhandeln, transzendieren die Bilder in ihrer konkreten, visuellen Erscheinung. Zugleich werden sie jedoch stets mit den Bildern, jedenfalls mit jenen Aspekten der Bilder, auf welche die Texte Aufmerksamkeit lenken, in Beziehung gesetzt: Das Bild wird in diese verschiedenen Verweisungszusammenhänge eingebettet, vor diesen Hintergründen inhaltlich ausgedeutet, als künstlerisches Werk für relevant erklärt – und dabei stellenweise geradezu in diese Zusammenhänge aufgelöst. Wie zu Beginn dieses Kapitels gesehen, erschließen und erweitern die Audiotexte die inhaltliche Bedeutung der Bilder auf Grundlage des Alltagswissens, indem sie über deren visuelle Gestalt hinaus verborgene, unsichtbare Welten aufscheinen lassen, welche die Rahmen der Bilder sprengen und die Bilder in ihren Bedeutungspotenzialen immens anreichern. Aber auch mit dem Rekurs auf spezifischeres Kontextwissen (vgl. Kapitel 9.2) brechen die Texte die engen formalen Grenzen der Bildräume auf, weben sie in ein Netz von Bezügen und Verweisungen ein und bringen auf diese Weise inhaltliche Bedeutungsdimensionen der Bilder zum Vorschein, ja, konstituieren sie mit. So ziehen sie immer wieder deren Titel heran, um dargestellte Szenen zu erschließen und zu deuten.10 Insbesondere zu Beginn der Audiotexte wird, entwickelte sich sein persönlicher Stil in der Auseinandersetzung mit den modernen Tendenzen seiner Zeit; also auch dem Impressionismus« (aus AT.4 zu Abb. 6, DI). 10 | Ein Blick auf einige ethnomethodologische Studien zu Zeitungsüberschriften drängt sich an dieser Stelle förmlich auf: So haben sich Lee (1984) und Schenkein (1979) damit befasst, inwiefern Zeitungsüberschriften bestimmte Lesarten der nachfolgenden Texte prädisponieren. Die vorliegende Studie behandelt zwar nicht die eigentlichen Bildtitel, wohl aber die Art und Weise, wie die Audiotexte
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aus Neo Rauch. Begleiter werden stets Titel und Entstehungsjahr des jeweiligen Bildes genannt. Der im Folgenden exemplarisch zitierte Text befasst sich unmittelbar daran anschließend mit den Implikationen des Bildtitels »Unter Feuer«. Noch bevor er auf das eigentliche Bild eingeht, lotet er anhand dessen erste Zugänge zum Bild aus und gibt ausgehend von dieser ›Legende‹ Hinweise darauf, in welche Richtung das Dargestellte gedeutet werden könnte – als gefährdete Situation, vor der bereits der Titel zu warnen scheint: Aus 1 2 3 4 5
AT.41 (zu Abb. 45, NR): unter feuer; zweitausendzehn. der bildtitel unter feuer kommt wie eine warnung daher; ein zimmer liegt unter beschuss; das fenster ist zerschossen, die flügel zerborsten; umgekippt ist ein großdimensioniertes möbel das einschusslöcher zeigt.
Ein weiterer Audiotext zu einem Bild mit dem Titel »Die große Störung«, ebenfalls aus der Ausstellung Neo Rauch. Begleiter, beleuchtet verschiedene Sinngehalte dieser Störung, wobei die Grenzen zwischen Bild und Titel zunehmend verschwimmen: Aus 1 2 3 4
AT.32 (zu Abb. 36, NR): die große störung streitet im bildaufbau gegen unsere wahrnehmungsgewohnheiten, alles auf einen fluchtpunkt hin auszurichten. [...] doch die große störung meint auch die eingriffe des menschen in die natur.
Während der Titel zuerst lediglich zur Bezeichnung des Bildes herangezogen wird, referiert der Text damit am Ende der Passage nicht mehr auf das Bild, sondern auf den Titel selbst.11 Mit der Feststellung, dass »die große Störung« unter anderem »die Eingriffe des Menschen in die Natur« meine, diese in ihre Betrachtungen und Deutungen der Bilder einbeziehen. Die Audiotexte machen sich im Rahmen ihrer Rezeption der Bilder somit ähnliche sinnerzeugende Potenziale der Titel zunutze, wie Lee und Schenkein sie auch für Zeitungsüberschriften herausarbeiten. 11 | Diese Beobachtung setzt voraus, dass ein Titel, anders als ein Bild, keinen Bildaufbau besitzen kann und dass er entsprechend der Konventionen unserer
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lotet der Audiotext die Bedeutungsgehalte des Titels aus und bezieht diese damit auch hier direkt in die Deutungen des Bildes und in die Klärung der Frage ein, welche Sinnpotenziale sich daraus für das Bild ergeben. Bei der Deutung der Bilder kommt neben Alltagswissen und neben Kontextwissen wie den Bildtiteln, welche in den Ausstellungen gut zugänglich sind, auch spezifischeres Expertenwissen zum Tragen; etwa dort, wo die Audiotexte historische Vorbilder für das Dargestellte oder ikonografische Bedeutungsgehalte der Bilder aufzeigen. Beispielsweise wird in einem Audiotext, der sich mit dem Bild »Simson und Delila« von Max Beckmann befasst, zunächst die entsprechende biblische Geschichte erläutert. Erst anschließend wendet sich der Text dem Bild zu und identifiziert verschiedene Bildelemente nun nicht einfach als menschliche Figuren, sondern unmittelbar als Figuren aus eben jener Geschichte; als »Delila«, als ihren arglosen »Geliebten«, also als Simson, und als bereits im Verborgenen wartende »Häscher«: Aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
AT.4 (zu Abb. 6, DI): in der geschichte von simson und delila geht es um verrat; der herrscher simson, berüchtigt für seine übermenschliche kraft, verliebt sich in delila vom stamm der philister. aus liebe vertraut er ihr sein geheimnis an; seine haare machen ihn so stark. sie verrät sein geheimnis; simson wird geschoren, und zum sklaven gemacht. [...] auf dem bild sehen sie, dass die verführerische delila bereits die im schatten verborgen wartenden häscher erblickt hat während sie noch neben dem geliebten sitzt, und ihn vertraut mit ihrer hand berührt.
Der Text lässt die bildlich dargestellte Szene also nicht auf sich selbst beruhen, sondern er ordnet sie, übereinstimmend mit dem Titel des Bildes, konkreten Vorbildern aus der alttestamentarischen Geschichte zu und lädt sie durch seine Beigabe der zugehörigen Hintergrundinformationen mit entsprechenden Bedeutungsgehalten auf. Auf diese Weise erklärt er das Bild zur Illustration und visuellen Interpretation der Geschichte, und die Geschichte ihrerseits zum Hintergrund und zur Erweiterung des Bildes, Sprache eher etwas »meinen« kann als ein Bild – dass damit also zuerst das Bild und später der Titel selbst bezeichnet sind.
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deren Kenntnis den Betrachter erst in die Lage versetzt, die Bildelemente, deren Bezüge und Bedeutungen kompetent und angemessen zu rezipieren. Neben einer inhaltlichen Deutung und Interpretation der Bilder begründen die Audiotexte auch deren allgemeinere Relevanz, indem sie sie mit ihren Kontexten konfrontieren und in Beziehung setzen. Um zu verdeutlichen, auf welche Weise sie ihre Ausführungen zu den einzelnen Bildern mit jenen zu deren Kontexten verweben und um einen besseren Eindruck von der Gesamtgestalt der Texte zu geben, werden im Folgenden recht umfangreiche Textauszüge herangezogen, welche diese Zusammenhänge exemplarisch sichtbar machen. Aufschlussreich ist hier eine längere Passage aus dem Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus; nach einigen Beobachtungen zu einer im Bild dargestellten Dame am Meeresstrand fährt der Audiotext folgendermaßen fort: Aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
AT.26 (zu Abb. 30, DI): ihre garderobe ist die typische strandbekleidung des frühen zwanzigsten jahrhunderts. ein langer rock, ein strohhut, und ein schirm. sich in der sonne zu aalen gilt in der besseren gesellschaft neunzehnhundertacht, als unfein. max slevogt malte die dame während seines ersten besuchs in nordwijk aan zee in den niederlanden. er verbrachte dort häufig seine ferien. an seinem bild, können sie gut nachvollziehen, wie ein impressionist gemalt hat; gerne draußen; in der natur; um den eindruck des augenblicks wiederzugeben. es musste schnell gehen; in diesem fall scheint das meer nur aus hellen lichtreflexen zu bestehen; [...] die aufteilung aus der hellen fläche für das wasser, und der etwas dunkleren für den strand könnte fast nicht simpler sein. trotz aller eile und einfachheit, wirkt das bild stimmungsvoll und überlegt komponiert.
Zunächst thematisiert der Audiotext die Erscheinung der dargestellten Frau. Doch belässt er es nicht dabei, ihren »Rock«, ihren »Strohhut« und ihren »Schirm« zu benennen, sondern er gibt sich als gut informiert zu erkennen und ordnet diese als historische Strandbekleidung und als »typisch« für das frühe zwanzigste Jahrhundert – nicht etwa aus heutiger
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Sicht als ungewöhnlich für eine Strandszene – ein (Z. 1-3). Zudem erläutert der Text damals geltende Moralvorstellungen, die mit der beschriebenen Kleidung und Ausstattung der Dame auf dem Bild korrespondieren (Z. 3-4). Mit dem Hinweis auf Nordwijk aan Zee als beliebtes Ferienziel des Malers und darauf, dass dieser das Bild während seines ersten Aufenthalts an diesem Ort geschaffen hat, zieht der Text auch biografische Hintergründe des Malers hinzu und setzt sie mit der Entstehung des Bildes in Beziehung (Z. 4-7). Bis an diese Stelle wurde Kontextwissen zum Bild – über kulturhistorische Zusammenhänge, damalige Moralvorstellungen sowie über die Entstehung des Bildes und die Biografie des Malers – stets en passant vermittelt und herangezogen, um das Sichtbare zu erläutern und anzureichern. Dagegen wird der implizite Hörer nun ganz ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, was dieses Bild über seine konkrete Erscheinung hinaus veranschaulicht: Er könne hier die charakteristische und bevorzugte Malweise und Malsituation der Impressionisten »gut nachvollziehen«; das schnelle Festhalten flüchtiger Augenblicke im Freien, was sich »in diesem Fall«, also anhand des konkreten Bildes, sowohl in der besonderen Darstellung des Meeres, als auch in der »simplen« Bildaufteilung äußert (Z. 7-13). Die Relevanz des Bildes wird somit weniger aus seiner singulären visuellen Erscheinung und seiner Motivik heraus erklärt. Es wird vielmehr zum exemplarischen Dokument für die Malweise einer ganzen Stilrichtung erhoben. Die besondere Bedeutung des Bildes und die Merkmale der Stilrichtung werden auf diese Weise als reflexiver, wechselseitiger Verweisungszusammenhang hervorgebracht und über die Herstellung dieser Beziehungen durch den Audiotext begründet. Auch eine weitere Qualität des Bildes wird am Ende des Textes erläutert: Es wirkt »trotz aller Eile und Einfachheit […] stimmungsvoll und überlegt komponiert« (Z. 13-15). Das Bild erscheint also nicht als Produkt des Zufalls, sondern trotz aller Spontaneität als Ergebnis bewusster Komposition. Es wird als intentional gefertigtes Werk eines schöpferischen Geistes, eines Künstlers im modernen Sinn (vgl. Ruppert 2000; Reckwitz 2012: 60ff.), ausgewiesen und damit zum Kunstwerk erhoben – Kunst ist, was der Künstler macht (vgl. Kapitel 3.1). Die folgende Textpassage am Ende eines anderen Audiotextes aus Der Deutsche Impressionismus bringt die Qualität des Bildes ebenso wie den Status des Malers nicht nur als dessen Produzent, sondern als »Künstler« noch etwas deutlicher hervor:
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AT.8 (zu Abb. 11, DI): für ein werk, das corinth nach eigener aussage nur man bloß so anfertigte, weist es eine ungemeine eleganz und ausdruckskraft auf. nach dem anblick dieser liebreizenden dame fällt es uns leicht nachzuvollziehen dass corinth innerhalb kürzester zeit zu einer künstlerischen und stark nachgefragten kapazität in berlin avancierte.
Gerade vor dem Hintergrund seines Wissens über die Entstehung des Bildes bzw. über die Äußerungen des Malers, es »nur man bloß so« geschaffen zu haben, stuft der Sprecher das Bild hier als »ungemein« elegant und ausdrucksstark ein (Z. 1-3) und kommt davon ausgehend auf den Status des Malers als Künstler zu sprechen. Unter Berufung auf den »Anblick« des Bildes, der zu dessen eher beiläufigen Entstehung deutlich im Kontrast steht, kommt er zu dem Fazit, dass die schnelle Anerkennung des Malers als »künstlerische und stark nachgefragte Kapazität in Berlin« durchaus als angemessen zu bewerten ist: Dies fällt »uns«, dem Sprecher ebenso wie dem (impliziten) Hörer, »leicht nachzuvollziehen« (Z. 3-6). Auch hier wird das Bild also mit entsprechendem Kontextwissen um seine Entstehung in Beziehung gesetzt und darin verwoben: Es wird vor diesem Hintergrund zu Beginn als besonders gelungen bzw. ausdrucksstark markiert und später seinerseits zur Illustration der künstlerischen Kapazität seines Urhebers und zur Plausibilisierung von dessen Erfolgen herangezogen. Auch im Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter finden sich, ebenfalls häufig am Ende der Texte, Passagen, welche vom konkreten Bild abstrahieren, Wissensbestände aus dessen Kontexten aktualisieren, sie mit dem Bild in Beziehung setzen und das Bild damit über seine visuelle Erscheinung hinaus als relevantes künstlerisches Werk ausweisen. Anders als im Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus gibt es hier jedoch auch zahlreiche Texte, die viel näher am konkreten Bild verhaftet bleiben. Sie nehmen keine klaren Einordnungen in größere historische oder kunsttheoretische Kontexte vor und reflektieren zwar über abstrakte Bedeutungsgehalte eines Bildes, legen diese aber nicht mit Bestimmtheit fest. So wird die folgende Passage am Ende eines Audiotextes zu Neo Rauch. Begleiter mit der Information eingeleitet, dass der Maler gemeinhin »als Kritiker einer Kunst« gesehen wird, »die sich selbstbezüglich dem Studium der Realien entzieht« (Z. 1-2). Das konkrete Bild wird anschließend
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direkt in Beziehung zu dieser kunstkritischen Haltung des Malers gesetzt – changiert doch ein darauf dargestelltes Bild laut Auskunft des Textes seinerseits zwischen den Polen eines fremdbezüglichen Abbildes und eines selbstbezüglichen Bildes (Z. 2-7): Aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
AT.41 (zu Abb. 45, NR): rauch gilt als kritiker einer kunst, die sich selbstbezüglich dem studium der realien entzieht. ein pur die farbe thematisierendes monochromes bild an der wand, kündet von dem anspruch nicht abbild, sondern pures bild sein zu wollen. von ihm geht eine leuchtkraft aus, über die nur der spiegel verfügt. eben jene instanz des perfekten abbildes. haben wir es bei unter feuer mit einem waffenstillstand zu tun zwischen einer kunst, die wirklichkeit nachbildet, und einer kunst, die wirklichkeit erfindet; in neo rauchs werk gibt es zahlreiche bilder die kunstkritik thematisieren; und kritische stimmen zum medium der malerei, schließlich unter der regie des malers in das system seiner malerei integrieren.
Obwohl der Text zunächst eine Beziehung zwischen dem Bild und den Haltungen des Malers12 herstellt, klärt er gerade nicht abschließend darüber auf, welche konkrete Position bezüglich des kunsttheoretischen Diskurses sich im Bild manifestiert: Er gibt keine Antwort darauf, ob das Bild tatsächlich auf einen »Waffenstillstand« zwischen Wirklichkeit nachbildender und Wirklichkeit erfindender Kunst verweist (Z. 7-10). Vielmehr stellt der Text damit lediglich eine mögliche Deutung in den Raum und zieht sich schließlich auf die sehr allgemeine Aussage zurück, dass Kunstkritik häufig in den Bildern des Malers integriert und verhandelt wird (Z. 10-13). Während also auch dieser Audiotext das Bild mit Kontextinformationen über das Denken und das Werk des Künstlers in Beziehung setzt und es damit implizit als illustrierendes Beispiel für Rauchs Auseinandersetzung mit Kunst ausweist, lässt er genauere Bezüge nur vage anklingen. Zwar nimmt der Text in diesem Zusammenhang verschiedene Fährten innerhalb des Bildes auf, doch stößt er damit lediglich Reflexionen an; eine explizite Einordnung des Bildes dahingehend, was es 12 | D.h. zwischen dem Bild und dem, was als Haltung des Malers »gilt« (Z. 1).
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besonders auszeichnet und was daraus zu schließen, geschweige denn zu lernen ist – so, wie es in den Audiotexten zu Der Deutsche Impressionismus zu beobachten war –, bleibt hier aus. Ein letzter Textauszug ist geradezu paradigmatisch dafür, inwiefern viele Audiotexte aus Neo Rauch. Begleiter im Vergleich zu denen aus Der Deutsche Impressionismus weitaus zurückhaltendere Einordnungen der behandelten Bilder entwickeln: Aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
AT.38 (zu Abb. 42, NR): M: [...] während sich die erde auftut, und der himmel zu unfreiwilligen kapriolen einlädt sitzt ein androgyn wirkender jüngling vor einem lagerraum mit bunten stoffen und schrillem dekomaterial; er ist weltvergessen in seine lektüre vertieft. F: doch, nichts ist mehr zu kaschieren; unsichtbare kräfte aus dem erdinneren setzen zu einem transformationsprozess an; und er verschlingt sein buch. ein anderes auf dem versinkenden tisch im vordergrund ist längst zugeschlagen. auf ihm liegen zwei fische als symbol für die kraft des wassers als ursprung des lebens, und als kraft seiner erhaltung; am abgrund. diese kompositorische beiläufigkeit; dieser vermeintlich nebenschauplatzartige anteil an der szenerie, täuscht leicht über die schlüsselfunktion dieser bildelemente hinweg. M: neo rauchs bilder, bieten zahlreiche solcher eher kleinteiligen einstiege; und man sollte sich gewiss sein, dass dahinter keine einbahnstraße zu einem eindeutig definierten erläuterungsziel führt.
Vom Beginn bis beinahe zum Ende der Episode, von der hier die zweite Hälfte präsentiert wird, befasst sich dieser Text ausschließlich mit dem konkreten Bild und mit einzelnen Bildelementen; damit, sie zu identifizieren, sie in Beziehung zueinander zu setzen und ihre Bedeutungsgehalte, ihre Implikationen und ihre Rolle innerhalb der Welt dieses Bildes zu erkunden (Z. 1-12). Schließlich wird den so taxierten Bildelementen – einem lesenden Jüngling, einem zugeschlagenen Buch im Vordergrund, zwei Fischen auf einem Tisch – ungeachtet ihrer »kompositorische[n] Beiläu-
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figkeit« und ohne nähere Begründung oder Erläuterung eine »Schlüsselfunktion« zugesprochen (Z. 13-16). Es erfolgt lediglich der Hinweis, dass derartige »kleinteilige Einstiege« sehr häufig in Neo Rauchs Bildern zu finden sind; dass sie also nicht nur dieses konkrete Bild, sondern das gesamte Werk des Künstlers durchziehen (Z. 17-18). Eine weitere Kontextualisierung und Erläuterung dieses wiederkehrenden Phänomens im Werk des Malers bleibt jedoch aus. Ganz im Gegenteil: Der generalisierte Betrachter »sollte sich gewiss sein, dass dahinter keine Einbahnstraße zu einem eindeutig definierten Erläuterungsziel führt« (Z. 18-20). Auch wenn der Text seinen Rezipienten also kleine Hinweise auf mögliche Schlüssel gibt, mit deren Hilfe das Bild dechiffriert werden kann, entlässt er sie doch in erster Linie mit der Information, dass es zwar stets zahlreiche solcher Zugänge zu den Bildern des Malers gibt, dass jedoch keine abschließenden Interpretationen und Antworten zu erwarten sind. Der Sprecher weiß immerhin, dass er nichts wissen kann; dass gerade diese Rätselhaftigkeit und Offenheit der Bilder keineswegs auf eine inkompetente oder unangemessene Bildbetrachtung zurückzuführen ist, sondern dass sie das Gesamtwerk des Malers durchzieht und es ausmacht. Auch dieses Wissen um das Werk des Malers wird hier also anhand des konkreten Bildes aufgespürt. Und es wird gerade dadurch, wie der Text das Bild und diesen Kontext in Beziehung zueinander setzt, erfahrbar gemacht, mit konstituiert und reproduziert.
9.4 F R AGEN UND A NT WORTEN In diesem Kapitel wurde der Frage nachgegangen, wie die Audiotexte Bilder über ihre visuelle Erscheinung hinaus deuten und als relevant – im Sinne von künstlerisch wertvoll, lehrreich und beachtenswert – hervorbringen. Neben der Tatsache, dass sie zur inhaltlichen Deutung der Bilder stets auf Alltagswissen zurückgreifen, wurde in diesem Zusammenhang insbesondere die Konfrontation der Bilder mit Wissensbeständen aus ihren spezifischen Kontexten als wesentliche Operation der Texte identifiziert. Sie arbeiten heraus, inwiefern das konkrete Bild nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf größere Zusammenhänge verweist; inwiefern es von seinen Kontexten durchdrungen und von ihnen geprägt ist, aber auch, wie sich umgekehrt Wissen über diese Kontexte, beispielsweise über eine Stilrichtung, eine bestimmte Malweise, über Besonderheiten im Schaffen eines Malers oder über soziale, kulturelle und
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historische Umstände im Bild manifestiert. Dabei liefern die Audiotexte nur vordergründig eine bloße Abbildung des Zusammenhangs zwischen Bildern und Kontexten; vielmehr tragen sie selbst zu dessen Erzeugung bei. Sie stellen die inhaltliche Bedeutung und die allgemeinere Relevanz des Bildes in diesem Zusammenhang her – und versetzen ihre Rezipienten en passant in die Lage, es ihnen künftig gleich zu tun und ihr Wissen darüber weiter zu tradieren. In diesem Zuge wird auch deutlich, dass die Audiotexte die von ihnen besprochenen Artefakte nicht bloß als Bilder mit einer bestimmten visuellen Erscheinung behandeln. Vielmehr verleihen sie ihnen Relevanz als zeithistorische Dokumente und als Lernobjekte – als Illustrationen und Anschauungsobjekte für Wissensbestände aus Sozial-, Kunst- und Zeitgeschichte – und nicht zuletzt als Kunstwerke: Sie weisen ihre Urheber als Künstler aus, betten die Bilder in kunsthistorische Diskurse ein, präsentieren sie als typisch für eine bestimmte Stilrichtung, eine Malweise o.Ä., und heben ihre besondere künstlerische Qualität hervor. Dabei wird auch diese keineswegs anhand von bildimmanenten Merkmalen begründet. Vielmehr machen die Audiotexte auch den künstlerischen Wert eines Bildes vor dem Hintergrund des Feldes bzw. des Systems der Kunst sowie der Kunstgeschichte aus; z.B. anhand dessen, inwiefern ein Bild sich in bestehende künstlerische und stilistische Traditionen einfügt oder mit ihnen bricht, inwiefern sich darin Neuerungen und Innovationen im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Kunstwerken und Stilen manifestieren 13 oder inwiefern, dies kommt der von Luhmann formulierten Funktion der Kunst sehr nahe (vgl. Kapitel 3.1), ästhetische Merkmale des Bildes bis dato etablierte Wahrnehmungsgewohnheiten herausfordern und somit Wahrnehmung zum Thema machen. Die beiden Audioguides unterscheiden sich dabei nicht grundsätzlich dahingehend, dass sie die Bilder mit ihren Kontexten in Beziehung set13 | Einen wichtigen Hinweis darauf, wie sehr auch neue, innovative Werke immer im Vergangenen, Traditionellen verhaftet bleiben und nur in Relation dazu als kulturell wertvoll erkannt werden können, liefert Groys: »Der Wert eines originellen, innovativen kulturellen Werkes wird also immer noch vornehmlich durch seinen Bezug zur kulturellen Tradition definiert [...]« (1992: 17). Und auch Luhmann hält fest, dass Neues sich in der Kunst nur entfalten kann, »wenn der Kontext des Kunstwerks genügend Vertrautes enthält, um die Markierung von Neuheit zu tragen und auffallen zu lassen.« (Luhmann 1997a: 56)
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zen, dass sie aus dieser Konfrontation heraus Deutungsangebote entwickeln und die Relevanz der einzelnen Bilder auf dieser Basis begründen. Und doch treten hier sehr deutliche Differenzen zu Tage: Der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus etabliert die Relevanz der Bilder in erster Linie im Hinblick auf deren Beziehungen zu größeren Zusammenhängen der Kunst- und Sozialgeschichte. Seine Texte zielen in hohem Maße auf eine Kontextualisierung der Bilder ab und ordnen diese zweifelsfrei und souverän in größere Zusammenhänge ein. Dagegen sind die Audiotexte zu Neo Rauch. Begleiter viel stärker auf das konkrete Bild fokussiert. Hier wird deutlich größerer Aufwand in die Beantwortung der Frage investiert, wie ein Bild überhaupt inhaltlich zu fassen ist und welche Themen und Probleme es aufwirft. Zwar rekurrieren auch diese Texte zuhauf auf Kontextwissen, beispielsweise über zeitgenössische Wahrnehmungsgewohnheiten, verbreitete Farbspektren, Kompositionsprinzipien oder allgemeine Charakteristika des Werkes von Neo Rauch, doch bleiben im Gegensatz zum anderen Audioguide viele Fragen offen. Sie werden lediglich markiert und zur Debatte gestellt, aber nicht abschließend beantwortet. Die ungewohnten, irritierenden Momente der Bilder bleiben zentrale Botschaft und der Audioguide macht seine Rezipienten, indem er alle Aufmerksamkeit auf diese Momente richtet, zu Zeugen für die Neuartigkeit dieser Werke. Während der Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter also stark damit befasst ist, die zum Zeitpunkt der Ausstellung noch sehr jungen Bilder überhaupt zu erkunden, ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken und damit zugleich die Neuartigkeit und Rätselhaftigkeit dieser Kunstwerke herauszustellen, für die er keine fertigen Deutungsschemata bereithält, präsentiert der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus Werke, die sich reibungslos in tradierte Wissensbestände einordnen lassen und die als solche kaum mehr Fragen aufwerfen.
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»Wir werden Zeugen eines dramatischen Geschehens. Ein Paar ist auf der Flucht und scheitert. An einer sumpfigen Niederung sind die Achsen der Kutsche beim Anstieg der Straße gebrochen. Die Türen der Kabine sind aus den Angeln geraten und die Deichsel ragt, gleich einem Kreuz, in den Himmel.« – Wie wenig diese eingangs zitierte Passage erkennen lässt, dass sie mit einem Bild und nicht etwa mit einem realen Vorgang befasst ist, verwundert am Ende dieses Buches kaum mehr. Die Untersuchung der Frage, wie die Audiotexte Bilder sprachlich einholen, hat deutlich gezeigt, dass sie die Bilder mitnichten über ihre visuellen Merkmale zu fassen versuchen, die diese doch gerade ausmachen. Vielmehr greifen die Texte primär mithilfe inhaltlich-gegenständlicher Beschreibungen auf die Bilder zu. Sie dokumentieren jenes »wiedererkennende Sehen« (Imdahl 1996: 304ff.), welches die Bilder nach bereits bestehenden, insbesondere sprachlich fassbaren Gestalten und Konzepten abtastet und aufschließt. Deren visuelle Erscheinung, ihre Farbigkeit und Formensprache werden ihnen dagegen – soweit diese überhaupt sprachlich dokumentiert werden können – lediglich attribuiert, nie aber unabhängig von ihrer Gegenständlichkeit zum Thema gemacht. Auch streben die Audiotexte keine vollständigen Beschreibungen der Bilder an. Sie ›übersetzen‹ die Bilder also keineswegs, etwa für Blinde, in Sprache, sondern sie geben sich komplementär und erfassen die Bilder höchst selektiv. Sie fokussieren nur jeweils spezifische Aspekte der Bilder und behandeln diese dabei als Teile eines Wahrnehmungsraumes, der auch ihren Rezipienten zugänglich ist – »wir« alle werden Zeugen des verbildlichten Geschehens. Neben der grundsätzlichen Sprachferne des sehenden Sehens, welche eine adäquate Beschreibung visueller Merkmale eines Bildes erschwert, wenn nicht unmöglich macht, liefert
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dieser Umstand eine weitere Erklärung dafür, warum die Audiotexte Bilder weniger über einen Rekurs auf ihre Visualität erschließen, sondern sich ihnen über gegenständliche, wiedererkennende Zugänge nähern: Mit Bezug auf einen geteilten Wahrnehmungsraum können die Texte das sehende Sehen problemlos jenen überlassen, die es selbst am besten vollziehen können – ihren (impliziten und tatsächlichen) Hörern, den unmittelbaren Betrachtern der Bilder. Angesichts dessen, dass die selektiven und fokussierenden Bildbeschreibungen der Audiotexte notwendig kontingent sind, gewinnt schließlich nicht das theoretische Problem der Bildbeschreibung, sondern ein anderes praktisches Darstellungsproblem an Bedeutung, welches die Audiotexte in erster Linie zu lösen haben: Es gilt, die eigenen Beschreibungen zu plausibilisieren, sie gegen Alternativen abzusichern und die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten auf jene spezifischen Aspekte der Bilder zu lenken, die für ihre Ausführungen von Relevanz sind. Vor diesem Hintergrund sind jene Mittel und textimmanenten Instanzen in den Blick geraten, mit deren Hilfe die Audiotexte ihre selektiven Beschreibungen der Bilder als angemessen ausweisen und mit denen sie ihre Rezipienten dazu animieren, sich diese Fokussierungen selbst anzueignen – ohne, dass die Texte einen intersubjektiven Geltungsanspruch ihrer Ausführungen explizit formulieren müssten. So überzeugt der neutrale Sprecher als externer, unbestechlicher und kompetenter Beobachter, der sich mit seinen Adressaten immer wieder verschwistert und sie an die Hand nimmt – man denke nur an das häufige »Wir« –, der sich jedoch zugleich mit einer Aura der Objektivität umgibt, indem er sich als Subjekt nur vage zu erkennen gibt und indem er sein Beobachten, Unterscheiden und Fokussieren zum bloßen Registrieren stilisiert. Der implizite Hörer wird gleichermaßen zur Projektionsfläche und zur Identifikationsfigur für den tatsächlichen Rezipienten der Audiotexte. Vor allem die wiederkehrenden dialogischen Elemente wie Adressierungen und Fragen suggerieren von Beginn an, der implizite Hörer nehme an der Erfassung einzelner Aspekte des Bildes, wie der Text sie vollzieht, aktiv teil. Und nicht zuletzt tragen die Audiotexte mithilfe dieser Elemente Sorge, dass der tatsächliche Hörer sich nur schwer vom impliziten Hörer abzugrenzen vermag; dass er sich mit ihm identifiziert und die ihm zugeschriebenen Bildbetrachtungen nachvollzieht, bis seine eigenen mit jenen zur Deckung kommen. Aussagen über den generalisierten Betrachter beanspruchen uneingeschränkt Geltung für alle potenziellen Betrachter des Bildes. Auch
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die Referenz auf diese Instanz erlaubt es dem Audiotext, die eigenen selektiven und konstruktiven Leistungen bei der Erschließung eines Bildes in den Hintergrund treten zu lassen. Und schließlich werden die Bilder innerhalb der Texte aktiviert: Sie werden als unveränderliche, untrügliche Objekte und zugleich als aktive Referenten hervorgebracht, die über sich selbst Auskunft erteilen und die damit die Ausführungen der Audiotexte plausibilisieren und legitimieren. Nicht der neutrale Sprecher gibt sich somit als jene Instanz zu erkennen, welche einzelne Bildelemente aus der Bildfläche herausgreift, sie benennt, interpretiert und spezifische Fragen aufwirft, sondern er stilisiert sich als »Zeuge«, der lediglich Evidenzen eines Bildes registriert und zur Sprache bringt – Evidenzen, die auch jeder andere Betrachter des Bildes so und nicht anders erkennen muss. Dabei können alle bisher genannten Instanzen als genuine, immanente Geschöpfe der aktiven Texte ausgemacht und als zentrale Mittel rekonstruiert werden, mit deren Hilfe die Texte ihre Bildbetrachtungen als intersubjektiv bzw. objektiv gültig etablieren. Im Verständnis der Ethnomethodologie werden kommunikative, indexikale Äußerungen stets situativ und vor dem Hintergrund spezifischen Kontextwissens mit Bedeutung versehen. Während diese Verstehensleistungen der Akteure im Alltag oft implizit bleiben, können Audioguides als Kommunikationsformen identifiziert werden, welche die Kontextualisierung, Deutung und Einordnung der Bilder explizit vollziehen und somit beobachtbar machen. So beschränken sich die Texte keineswegs darauf, ein Bild in spezifischer, selektiver Weise in den Fokus zu nehmen. Vielmehr wird das so erschlossene Bild in größere Zusammenhänge eingewoben, die seinen engen Rahmen sprengen und weit über seine visuelle Erscheinung hinausweisen. Es wird durch eine Konfrontation mit Wissensbeständen über seine Kontexte sinnhaft aufgeladen und in diesem Zuge – als Kunstwerk, als Zeitdiagnose oder als Lehrobjekt – sozial sichtbar gemacht, mitunter sogar regelrecht in diese Verweisungszusammenhänge aufgelöst. Indem die Audiotexte das Bild zur Sprache bringen, bringen sie es also auch dazu, über sich selbst und seine Kontexte zu sprechen: Aus einem statischen Bild wird eine dynamische Geschichte, aus seinen Bildelementen und deren wechselseitigen Beziehungen werden Künder von sozial-, zeit-, und nicht zuletzt kunsthistorischen Wissensbeständen. Diese starke Tendenz, das singuläre Bild zu transzendieren und es mit seinen Kontexten zu verweben, kann durchaus als Strukturmerkmal
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der Audiotexte begriffen werden. Die Erschließung und die Kontextualisierung des Bildes stehen hierbei ebenso in einem zirkulären Verhältnis, wie die Tradierung visuellen und sprachlich verfassten Wissens es tun: Ausgehend von ihrer Betrachtung des konkreten Bildes arbeiten die Texte größere Wissensbestände heraus, veranschaulichen und reproduzieren sie. Umgekehrt wird das einzelne Bild seinerseits in diese tradierten und zugleich reproduzierten Wissensbestände eingeordnet, vor ihrem Hintergrund erklärt und als sinnhaft gedeutet. Die Texte arbeiten in diesem Zuge einerseits sprachlich verfasstes Wissen anhand des Bildes heraus und geben es weiter. Andererseits tragen sie dabei aber auch, mindestens indirekt, zur Tradierung visuellen Wissens bei: Mithilfe verbaler Verweise schälen sie visuelle Bildelemente aus einer zunächst indifferenten Fläche heraus, bringen ihre Rezipienten mit sprachlichen Mitteln dazu, diese ebenfalls in den Blick zu nehmen, und deuten sie unter Rekurs auf spezifische Kontexte sinnhaft. Auch das eigentliche Bild bzw. einzelne Bildelemente werden somit unter Zuhilfenahme der Sprache für ein späteres ›Wiedersehen‹ aufbereitet, mit Bedeutungsgehalten angereichert und tradiert. Nachdem das Problem der Bildbeschreibung ebenso wie eine Kommentarbedürftigkeit von Kunst in der Theorie vornehmlich für moderne Kunstwerke konstatiert wurde, wurden die beiden Audioguides in diesem Buch stets auch vergleichend untersucht – war doch zu vermuten, dass im Zuge von Kommunikation über zeitgenössische, noch wenig kanonisierte Werke andere Probleme zu lösen sind, als es bei Kommunikation über historische und bereits gut etablierte Werke der Fall ist. Dahingehend, wie die beiden Audioguides sich den Bildern sprachlich nähern, wie sie ihre Bildbetrachtungen etablieren und wie sie die Bilder kontextualisieren, deuten und relevant setzen, unterscheiden sich die beiden Audioguides nicht grundsätzlich. Sie schlagen im Grunde ähnliche Wege ein und greifen auf vergleichbare Mittel zurück, um Bilder im Medium der Sprache als sinnhaft geordnete, bedeutsame Kunstwerke zu erschließen. Und doch sind immer wieder deutliche Differenzen beobachtet worden: Während der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus vor allem Antworten gibt und Lösungen für mögliche Probleme bei der Erschließung, Deutung und Einordnung eines Bildes aufzeigt, produziert der Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter in erster Linie offene Fragen. Zwar nutzen beide die gleichen Mittel, um Bildelemente zu identifizieren und zu fokussieren, doch münden die (versprachlichten) Bildbetrachtungen im Audioguide zu Der
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Deutsche Impressionismus in aller Regel in Zustandsbeschreibungen: Das ist eine Frau, das ist eine Blume, das ist eine Dampflokomotive – und falls dies nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, so doch ganz bestimmt, aus weiterer Entfernung oder unter Abstrahierung vom pointillistischen Farbauftrag, auf den zweiten. Hinsichtlich der Kontextualisierung der Bilder lassen die Texte aus diesem Audioguide Ähnliches beobachten: Sie zeichnen weitgehend widerspruchsfreie Landschaften, in die sich die Bilder ebenso wie die Wissensbestände, auf welche die Texte rekurrieren, nahtlos einfügen und zu einem stimmigen Ganzen verschmelzen.1 Im Gegensatz dazu lenkt der Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter die Aufmerksamkeit mit vergleichbaren Mitteln vor allem auf Vagheiten, Brüche, Widersprüche und Rätsel, die ein Bild aufgibt – die die Audiotexte jedoch gleichermaßen mit etablieren – und die von den Texten dementsprechend auch nicht restlos aufgeklärt werden. Zwar abstrahieren auch diese Texte stellenweise von den Bildern in ihrer visuellen Erscheinung und auch sie ziehen Wissensbestände aus den Kontexten der Bilder heran, um sie zu deuten und einzuordnen. Doch zielen sie dabei eher darauf ab, überhaupt jene Themen zu erschließen, welche in den Bildern verarbeitet sind, und die Bilder etwa zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen oder zu aktuellen Kunstdebatten in Beziehung zu setzen. Letztlich werden die Bilder hier nicht in dem Maße und mit jener Sicherheit in einen größeren zeitund kunsthistorischen Zusammenhang eingebettet, wie es beim Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus der Fall ist. Der Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter dokumentiert also durchaus eine Kommentarbedürftigkeit dieser sehr jungen, verhältnismäßig wenig kanonisierten Werke, insofern, als er in erster Linie darum ringt, die Bilder überhaupt zu entschlüsseln. Weder das (implizierte) Publikum noch die Texte scheinen sich bereits vollends in diese Bilder »eingesehen« zu haben (vgl. Gehlen 1965: 167) – und die Texte unternehmen schon alleine dafür enorme Anstrengungen, die Bilder wenigstens dazu zu bringen, über sich selbst Auskunft zu geben. Demgegenüber verweist der Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus, wenn man so will, eher auf eine Kontextualisierungsbedürftigkeit von diesen, bereits stark kanonisierten Bildern; von Bildern, die bestens erschlossen, gedeutet und mit 1 | Möglicherweise könnte man sogar so weit gehen, von einer Landschaft zu sprechen, die von allen Audiotexten einer Ausstellung gemeinsam gestaltet wird und in die alle Bilder und angesprochenen Wissensbestände integriert sind.
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der Sozial- und Kunstgeschichtsschreibung in Einklang gebracht werden können und die all jenen, die um diese Kontexte Bescheid wissen, längst keine grundlegenden Rätsel mehr aufgeben. Natürlich sind diese Beobachtungen nur bedingt generalisierbar: Das Werk von Neo Rauch mag auch unabhängig von seiner Aktualität und unabhängig davon, dass eine kunst- und kulturhistorische Aufarbeitung hier noch ganz am Anfang steht, von Vagheiten und Rätseln durchzogen sein. Dem wäre allerdings nur mit einem anders gelagerten Vergleich, beispielsweise anhand von Texten über frühe surrealistische Werke beizukommen, welche ebenfalls große Rätsel bergen, aber bereits eingehend kunsthistorisch aufgearbeitet sind. Auch in den unterschiedlichen Ausstellungstypen, in deren Rahmen die Audioguides zum Einsatz kamen, mögen die beobachteten Differenzen wenigstens teilweise begründet sein. So bietet Neo Rauch. Begleiter als Werkschau ungemein größeren Raum, das Werk dieses einzelnen Künstlers sowie relevante Kontexte über alle Texte hinweg auszuloten und den konkreten Bildern dabei dennoch große Aufmerksamkeit zu schenken. In der Sammelausstellung Der Deutsche Impressionismus dagegen ist einem einzelnen Künstler mitunter nur eine Audio-Episode gewidmet, die Bild und Kontext alleine zu verarbeiten und zu gewichten hat. Doch tangiert dies allenfalls das Ausmaß, in dem sich die Texte den Bildern und deren Kontexten widmen, nicht aber die qualitativen Differenzen, die zwischen den um Eindeutigkeit bemühten Texten zur ImpressionismusAusstellung und den durchweg tastenden, vermutenden und fragenden Audiotexten zu Neo Rauch auszumachen sind. Es bleibt letztlich weiteren Untersuchungen überlassen, dem anhand von anderen, im Hinblick auf die Ausstellungstypen ähnlich gelagerten Fällen weiter nachzugehen. Und so markiert der Abschluss dieses Buches nur den vorläufigen Endpunkt einer Untersuchung, die dem Verhältnis von Sprache und Bild, von Wahrnehmung und Kommunikation, Subjekt und Objekt, Kunst und ihrer Kommentierung anhand des Audioguides nachgegangen ist: anhand eines Gegenstands, der nicht nur das Bild transzendiert, sondern der auch die Potenziale seines Rezipienten ausweitet, indem er diesen an die Hand nimmt und das Bild mit ihm gemeinsam erschließt; der Wissen in wohldosierten Mengen für ihn herausarbeitet, es ihm zueignet und ihn somit ermächtigt, das Bild jetzt und in Zukunft selbst mit Bedeutungsgehalten anzureichern. Oder haben wir es doch eher mit einer Mitteilungsform zu tun, die ihren Rezipienten überwältigt und entmündigt, indem
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sie seine Aufmerksamkeit bannt, ihre immergleichen Ausführungen mit einer Aura der Objektivität imprägniert und sich dank ihrer Textualität Rückfragen und Diskussionen systematisch entzieht? So viele Antworten im Rahmen eines solchen Unterfangens auch gefunden werden, eröffnet doch jede intensivere Auseinandersetzung mit einem Gegenstand stets neue Fragen – und bestenfalls neue Perspektiven und Anknüpfungspunkte, die darüber hinausweisen. Fernab von dem Anspruch, erschöpfende Erklärungen zu liefern, hat sich dieses Buch in erster Linie aufgemacht, den eingangs formulierten Fragen soziologisch informiert nachzuspüren und jene Erkenntnispotenziale zu erkunden, die der Audioguide hierfür bereithält; dieser Gegenstand, der die Grenzen zwischen Visuellem und Sprachlichem, aber auch zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektivierender Kommunikation offenbart; der das Bild zum Sprechen bringt und die kommunikative Aneignung und Aktivierung eines Artefakts als das, was Bruno Latour in seiner Hybridität »Quasi-Objekt« nennt (2008: 70ff.), unmittelbar beobachtbar macht; und anhand dessen nicht zuletzt das Verhältnis von Mikro und Makro empirisch fassbar wird – die Konstituierung und Verhandlung des Allgemeinen im Konkreten, aber auch die Erzeugung des Konkreten mit Bezug auf das Allgemeine. All dies wird plötzlich greif bar, sofern man sich nur darauf einlässt, den vielen darin angelegten Fährten Schritt für Schritt zu folgen. Wenn es bis an diese Stelle gelungen ist, einige Breschen in das Dickicht und die Fülle des Materials zu schlagen und damit Wege für weitere Explorationen zu bereiten oder neue Projekte zu inspirieren, so wäre doch bereits eine Menge gewonnen.
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Danke
an Daniel Neugebauer und die Kunsthalle Bielefeld, Ariane Frauendorf und das Museum der bildenden Künste Leipzig, Brigitte Buberl und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund, Uwe Walter, Bettina Heintz, Jörg R. Bergmann, Karin Werner, Carolin Bierschenk, Anke Poppen, Kai Reinhardt, Katharina Wierichs, Carlotta Bonny, Melanie Gimmel, Sebastian Hoggenmüller, Matthias Leanza, Jens Niemeyer, Peter Parkinson – und an meine Familie.
Abbildungsnachweise
Abb. 1:
Abb. 2:
Abb. 3:
Abb. 4:
Abb. 5: Abb. 6:
Abb. 7: Abb. 8:
Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11:
Objektkennung aus der Ausstellung Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010) in der Kunsthalle Bielefeld; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Objektkennung aus der Ausstellung Neo Rauch. Begleiter (18.04. 2010–15.08.2010) im Museum der bildenden Künste Leipzig; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Gotthard Kuehl, Kircheninterieur – Inneres der Peterskirche in Salzburg, 1912, Öl auf Leinwand, Kunsthandel Bodo Hellmann, Bad Liebenstein/Leipzig; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Gotthard Kuehl, Das Gartenzimmer, um 1890–1900, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Lovis Corinth, Julius Meier-Graefe, 1917, Öl auf Leinwand, Musée d’Orsay, Paris, Don d’E.-J. Goeritz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Max Beckmann, Simson und Delila, 1912, Öl auf Leinwand, Privatbesitz; © VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Maria Slavona, Stillleben vor rotem Hintergrund, 1911, Öl auf Leinwand, Stadt Wertheim; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Max Slevogt, Selbstbildnis vor der Staffelei, 1903, Öl auf Leinwand, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Max Slevogt, Selbstbildnis mit steifem Hut, 1912, Öl auf Holz, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Max Slevogt, Der schwarze d’Andrade, 1903, Öl auf Leinwand, Hamburger Kunst halle; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Lovis Corinth, Die Geigenspielerin, 1900, Öl auf Leinwand, Kunstsammlungen Chemnitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld
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Abb. 12: Max Liebermann, Atelier des Malers am Brandenburger Tor in Berlin, 1902, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum St. Gallen; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 13: Max Liebermann, Selbstbildnis mit Palette, 1912, Öl auf Leinwand, Berlinische Galerie; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 14: Lesser Ury, Nächtliches Berlin, 1919, Öl auf Leinwand, Sammlung Hypo Vereinsbank München; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 15: Friedrich Kallmorgen, Im Hafen von Hamburg, o.J., Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 16: Hermann Pleuer, Dampf auslassende Lokomotive, 1897, Öl auf Leinwand, Stiftung Schloss Fachsenfeld; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 17: Jakob Nussbaum, Mainufer mit Blick auf die Alte Brücke, 1903, Öl auf Leinwand, Hessischer Rundfunk; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 18: Lovis Corinth, Der Tiger, um 1917, Öl auf Leinwand, Privatbesitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 19: Fritz von Uhde, Die Töchter des Künstlers im Garten, 1901, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 20: Albert Weisgerber, Im Biergarten, 1905, Öl auf Leinwand, Pommersches Landesmuseum, Greifswald; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 21: Max Liebermann, Landschaft (Wannsee), 1924, Öl auf Leinwand, Museum Wiesbaden; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 22: Max Liebermann, Wannseegarten – Haus und Terrasse nach Südwesten, 1917, Öl auf Leinwand, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 23: Lovis Corinth, Walchensee mit Springbrunnen, 1923, Öl auf Leinwand; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 24: Lovis Corinth, Selbstbildnis am Walchensee, 1922, Öl auf Holz, Privatbesitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 25: Otto Reiniger, Tachensee bei Hochwasser, um 1908, Öl auf Leinwand, Privatbesitz; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 26: Karl Hagemeister, Bäume am Seeufer – Ostseeküste, 1910, Öl auf Leinwand, Stadt Wertheim; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 27: Hermann Pleuer, Frau am Wasser, 1897, Öl auf Leinwand, Stiftung Schloss Fachsenfeld; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld
Abbildungsnachweise
Abb. 28: Paul Baum, Blick auf Zeeland, um 1895, Öl auf Leinwand, Sammlung Wütz, Künzelsau; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 29: Curt Herrmann, Im Garten von Schloss Pretzfeld, um 1905, Öl auf Leinwand, Curt Herrmann Heritage Foundation; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 30: Max Slevogt, Dame am Meer, 1908, Öl auf Leinwand, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 31: Christian Landenberger, Sommerabend am See, 1904, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 32: Max Liebermann, Schreitender Bauer, 1894, Öl auf Leinwand, Kunstkreis Berlin GbR; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 33: Heinrich von Zügel, In der Schwemme, 1908, Öl auf Leinwand, Von der Heydt-Museum Wuppertal; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 34: Robert Sterl, Die Steinbrecher, 1911, Öl auf Leinwand, Museum der bildenden Künste Leipzig; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 35: Neo Rauch, Start, 1997, Öl auf Leinwand, Leipziger Volkszeitung; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 36: Neo Rauch, Die große Störung, 1995, Öl auf Papier auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 37: Neo Rauch, Mittag, 1997, Öl auf Leinwand, Sammlung Landesbank Baden Württemberg; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 38: Neo Rauch, Uhrenvergleich, 2001, Öl auf Leinwand, Privatsammlung; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG BildKunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 39: Neo Rauch, Fell, 2000, Öl auf Mischgewebe, Museum der bildenden Künste Leipzig; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld Abb. 40: Neo Rauch, Rauch, 2005, Öl auf Leinwand, Privatsammlung; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin
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Abb. 41: Neo Rauch, Die Flamme, 2007, Öl auf Leinwand, The Metropolitan Museum of Art, New York, Stephen Mazoh; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 42: Neo Rauch, Die Fuge, 2007, Öl auf Leinwand, Hamburger Kunsthalle; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 43: Neo Rauch, Krönung 1, 2008, Öl auf Leinwand, Privatsammlung; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG BildKunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 44: Neo Rauch, Fluchtversuch, 2008, Öl auf Leinwand, Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, Berlin; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Uwe Walter, Berlin Abb. 45: Neo Rauch, Unter Feuer, 2009/10, Öl auf Leinwand, Privatsammlung; © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Foto: Kathrin Popp, Bielefeld
Verzeichnis der Audiotexte
Aus dem Audioguide zu Der Deutsche Impressionismus (22.11.2009–28.02.2010), Kunsthalle Bielefeld AT.1:
AT.2: AT.3: AT.4: AT.5: AT.6:
AT.7: AT.8: AT.9:
AT.10: AT.11:
Audiotext zu Abb. 3: Gotthard Kuehl, Kircheninterieur – Inneres der Peterskirche in Salzburg (1912) Audiotext zu Abb. 4: Gotthard Kuehl, Das Gartenzimmer (um 1890–1900) Audiotext zu Abb. 5: Lovis Corinth, Julius Meier-Graefe (1917) Audiotext zu Abb. 6: Max Beckmann, Simson und Delila (1912) Audiotext zu Abb. 7: Maria Slavona, Stillleben vor rotem Hintergrund (1911) Audiotext zu Abb. 8 und 9: Max Slevogt, Selbstbildnis vor der Staffelei (1903); Max Slevogt, Selbstbildnis mit steifem Hut (1912) Audiotext zu Abb. 10: Max Slevogt, Der schwarze d’Andrade (1903) Audiotext zu Abb. 11: Lovis Corinth, Die Geigenspielerin (1900) Audiotext zu Abb. 12: Max Liebermann, Atelier des Malers am Brandenburger Tor in Berlin (1902) Audiotext zu Abb. 13: Max Liebermann, Selbstbildnis mit Palette (1912) Audiotext zu Abb. 14: Lesser Ury, Nächtliches Berlin (1919)
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AT.12: AT.13: AT.14:
AT.15: AT.16: AT.17: AT.18:
AT.19: AT.20: AT.21: AT.22: AT.23: AT.24: AT.25:
AT.26: AT.27: AT.28:
Audiotext zu Abb. 15: Friedrich Kallmorgen, Im Hafen von Hamburg (o.J.) Audiotext zu Abb. 16: Hermann Pleuer, Dampf auslassende Lokomotive (1897) Audiotext zu Abb. 17: Jakob Nussbaum, Mainufer mit Blick auf die Alte Brücke (1903) Audiotext zu Abb. 18: Lovis Corinth, Der Tiger (um 1917) Audiotext zu Abb. 19: Fritz von Uhde, Die Töchter des Künstlers im Garten (1901) Audiotext zu Abb. 20: Albert Weisgerber, Im Biergarten (1905) Audiotext zu Abb. 21 und 22: Max Liebermann, Landschaft (Wannsee) (1924); Max Liebermann, Wannseegarten – Haus und Terrasse nach Südwesten (1917) Audiotext zu Abb. 23: Lovis Corinth, Walchensee mit Springbrunnen (1923) Audiotext zu Abb. 24: Lovis Corinth, Selbstbildnis am Walchensee (1922) Audiotext zu Abb. 25: Otto Reiniger, Tachensee bei Hochwasser (um 1908) Audiotext zu Abb. 26: Karl Hagemeister, Bäume am Seeufer – Ostseeküste (1910) Audiotext zu Abb. 27: Hermann Pleuer, Frau am Wasser (1897) Audiotext zu Abb. 28: Paul Baum, Blick auf Zeeland (um 1895) Audiotext zu Abb. 29: Curt Herrmann, Im Garten von Schloss Pretzfeld (um 1905) Audiotext zu Abb. 30: Max Slevogt, Dame am Meer (1908) Audiotext zu Abb. 31: Christian Landenberger, Sommerabend am See (1904) Audiotext zu Abb. 32: Max Liebermann, Schreitender Bauer (1894)
Verzeichnis der Audiotexte
AT.29: AT.30:
Audiotext zu Abb. 33: Heinrich von Zügel, In der Schwemme (1908) Audiotext zu Abb. 34: Robert Sterl, Die Steinbrecher (1911)
Aus dem Audioguide zu Neo Rauch. Begleiter (18.04.2010– 15.08.2010), Museum der bildenden Künste Leipzig AT.31: AT.32: AT.33: AT.34: AT.35: AT.36: AT.37: AT.38: AT.39: AT.40: AT.41:
Audiotext zu Abb. 35: Neo Rauch, Start (1997) Audiotext zu Abb. 36: Neo Rauch, Die große Störung (1995) Audiotext zu Abb. 37: Neo Rauch, Mittag (1997) Audiotext zu Abb. 38: Neo Rauch, Uhrenvergleich (2001) Audiotext zu Abb. 39: Neo Rauch, Fell (2000) Audiotext zu Abb. 40: Neo Rauch, Rauch (2005) Audiotext zu Abb. 41: Neo Rauch, Die Flamme (2007) Audiotext zu Abb. 42: Neo Rauch, Die Fuge (2007) Audiotext zu Abb. 43: Neo Rauch, Krönung 1 (2008) Audiotext zu Abb. 44: Neo Rauch, Fluchtversuch (2008) Audiotext zu Abb. 45: Neo Rauch, Unter Feuer (2009/10)
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Literatur
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Ullrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer, Carsten Keller, Franz Schultheis (Hg.) Bourdieu und die Frankfurter Schule Kritische Gesellschaftstheorie im Zeitalter des Neoliberalismus Juli 2013, ca. 350 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1717-7
Wolfgang Bonss, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Ludwig Nieder, Helga Pelizäus-Hoffmeister, Michael Schmid Handlungstheorie Eine Einführung August 2013, ca. 280 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1708-5
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Sozialtheorie Daniel Innerarity Demokratie des Wissens Plädoyer für eine lernfähige Gesellschaft August 2013, ca. 280 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2291-1
Joachim Renn Performative Kultur und multiple Differenzierung Soziologische Übersetzungen I Oktober 2013, ca. 270 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2469-4
Rudolf Stichweh Inklusion und Exklusion Studien zur Gesellschaftstheorie (2., erweiterte Auflage) Juli 2013, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2294-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Gerald Beck Sichtbare Soziologie Visualisierung und soziologische Wissenschaftskommunikation in der zweiten Moderne September 2013, ca. 230 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2507-3
Jörg R. Bergmann, Ulrich Dausendschön-Gay, Frank Oberzaucher (Hg.) »Der Fall« Zur epistemischen Praxis professionellen Handelns Juli 2013, ca. 280 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1969-0
Pradeep Chakkarath, Doris Weidemann (Hg.) Kulturpsychologische Gegenwartsdiagnosen Bestandsaufnahmen zu Wissenschaft und Gesellschaft Juli 2013, ca. 226 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1500-5
Lutz Eichler System und Selbst Arbeit und Subjektivität im Zeitalter ihrer strategischen Anerkennung Juni 2013, 524 Seiten, kart., 39,90 €, ISBN 978-3-8376-2213-3
Ronald Hartz, Matthias Rätzer (Hg.) Organisationsforschung nach Foucault Macht – Diskurs – Widerstand Oktober 2013, ca. 270 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2171-6
Tino Heim Metamorphosen des Kapitals Kapitalistische Vergesellschaftung und Perspektiven einer kritischen Sozialwissenschaft nach Marx, Foucault und Bourdieu Juni 2013, 674 Seiten, kart., 44,80 €, ISBN 978-3-8376-2401-4
Leon Hempel, Marie Bartels, Thomas Markwart (Hg.) Aufbruch ins Unversicherbare Zum Katastrophendiskurs der Gegenwart Mai 2013, 454 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1772-6
Christian Mersch Die Welt der Patente Soziologische Perspektiven auf eine zentrale Institution der globalen Wissensgesellschaft Januar 2013, 466 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2056-6
Martin Petzke Weltbekehrungen Zur Konstruktion globaler Religion im pfingstlich-evangelikalen Christentum Mai 2013, 530 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2241-6
Sophia Prinz Die Praxis des Sehens Über das Zusammenspiel von Körpern, Artefakten und visueller Ordnung September 2013, ca. 420 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2326-0
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