Das biblische Methodenseminar: kreative Impulse für Lehrende 9783838546124, 3838546121

"Das biblische Methodenseminar - Kreative Impulse für Lehrende" ist ein Buch für Dozentinnen und Dozenten. Die

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Table of contents :
Cover
Das biblische Methodenseminar
Impressum
Vorwort
Inhalt
Einleitung Nils Neumann / Markus Lau
Einstiegssitzung | Stephanie Feder
Methoden der Textkonstituierung
Textkritik | Hildegard Scherer
Textabgrenzung und Kontexteinordnung | Hanna-Maria Mehring
Übersetzungsvergleich | Stephanie Feder
Textorientierte Methoden: Synchrone Perspektiven
Linguistische Analyse | Hildegard Scherer
Analyse von Gliederung und Komposition | Markus Lau
Aktantenanalyse | Stephanie Feder
Analyse der Charakterisierung | Christian Schramm
Analyse der Erzählperspektiven | Thimo Zirpel
Analyse der Raumkonstruktionen | Stephanie Feder
Pragmatische Analyse | Hildegard Scherer
Textorientierte Methoden: Diachrone Perspektiven
Synoptischer Vergleich | Markus Lau
Literarkritik | Nils Neumann
Gattungskritik und Sitz im Leben | Nils Neumann
Redaktionskritik | Nils Neumann
Motivkritik | Hanna-Maria Mehring
Rezeptionsorientierte Zugänge
Feministische Exegese und geschlechtersensible Zugänge zur Bibel | Stephanie Feder
Postkoloniale Exegese | Thimo Zirpel
Tiefenpsychologische Exegese | Anne Kruse / Stephanie Feder
Intermedialität | Thimo Zirpel
Abschlusssitzung | Markus Lau / Nils Neumann
Lernziele und Prüfungen | Markus Lau / Nils Neumann
Materialanhänge
Stellen- und Sachregister
Stellenregister
Altes Testament (LXX / MT)
Neues Testament
Sachregister
Die Autorinnen und Autoren
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Das biblische Methodenseminar: kreative Impulse für Lehrende
 9783838546124, 3838546121

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Die Beiträgerinnen und Beiträger liefern ­didaktisch reflektierte, kreative und in der Praxis erprobte ­Anregungen für die konkrete Gestaltung von biblischen Methodenseminaren. Dabei nehmen sie Erkenntnisse aus der jüngsten hochschuldidaktischen Forschung auf und wenden sie auf die Durchführung der exegetischen Grundlagen-Lehrveranstaltung an. Jedes Kapitel umfasst separate Bausteine zum Alten und zum Neuen Testament, so dass sich das Buch zur Durchführung von alt- und neutestamentlichen sowie von gesamtbiblischen Proseminaren einsetzen lässt.

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-4612-9

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utb-shop.de

Lau | Neumann (Hg.)

„Das biblische Methodenseminar – Kreative Impulse für Lehrende“ ist ein Buch für Dozentinnen und Dozenten.

Das biblische Methodenseminar

Theologie | Religionswissenschaft

Markus Lau Nils Neumann (Hg.)

Das biblische Methodenseminar

UTB 4612

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York

Markus Lau / Nils Neumann (Hg.)

Das biblische Methodenseminar Kreative Impulse für Lehrende

Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. des. Markus Lau ist Oberassistent am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz). PD Dr. Nils Neumann ist Lehrstuhlvertreter an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Mit 14 Grafiken und 10 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: SchwabScantechnik, Göttingen UTB-Band-Nr. 4612 ISBN 978-3-8385-4612-4

Vorwort

Neue Methodenbücher zur biblischen Exegese bedürfen angesichts des Überangebots von entsprechenden Publikationen auf dem Buchmarkt eigentlich einer Rechtfertigung. Nicht so bei diesem Buch. Denn sein inhaltliches Profil und sein Anliegen sind neu. Es richtet sich nicht primär an Studierende der Theologie oder Religionswissenschaft, sondern an Lehrende, die Methodenseminare zur alt- und neutestamentlichen Exegese anbieten. Anliegen und Ziel des Buches ist es, didaktisch reflektierte, kreative und in der Praxis erprobte Anregungen für die konkrete Gestaltung von biblischen Methodenseminaren zu liefern. Das Buch spricht dabei Lehrende beider Teile der Bibel an und liefert stets Modelle für Methodenseminare im Bereich der alttestamentlichen wie der neutestamentlichen Exegese. Dazu werden jeweils die exegetischen Methoden und hermeneutischen Perspektiven kurz skizziert und in exemplarische didaktische „Bausteine“ für den Seminarbetrieb eingebettet. Das Ganze geschieht stets in Rückbindung an die Definition von Lernzielen, die kompetenzorientiert formuliert sind. Das Buch versteht sich insofern als verlässlicher Wegbegleiter für den Bereich des biblischen Methodenseminars. Seinen Ausgangspunkt hat dieses Buch an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster genommen. Im Jahr 2009 haben sich dort einige der beteiligten Autorinnen und Autoren im Rahmen einer hochschuldidaktischen Fortbildung über ihre Methodenseminare ausgetauscht. Die dabei entstandene Idee, unsere Seminarkonzeptionen für alttestamentliche und neutestamentliche Methodenseminare zu einem Buch auszuarbeiten, war am Anfang nicht mehr als eine vage Vorstellung – frei nach dem Motto „Müsste man nicht … und könnte man nicht …“ Dass diese Idee nun Wirklichkeit geworden ist, verdankt sich zuallererst der Leidenschaft aller beteiligten Autorinnen und Autoren für das Thema und ihrer Energie, sich auf einen mehrjährigen Projektprozess einzulassen. Sukzessive ist dabei die Gruppe der Autorinnen und Autoren gewachsen – auch über die Grenzen der Konfessionen und Länder hinweg. Exegese verbindet! Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die sich mit uns auf den Arbeitsprozess eingelassen haben und für die wir stellvertretend dieses Buch herausgeben. Die Texte sind im diskursiven Austausch zwischen allen beteiligten Autorinnen und Autoren entstanden. Gleichwohl trägt jedes Kapitel formal und inhaltlich die Handschrift des jeweiligen Autors bzw. der Autorin. Die Letztverantwortung für den individuellen Text liegt selbstverständlich bei den Einzelautorinnen und -autoren.

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Vorwort

Sehr herzlich bedanken wir uns beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und namentlich bei den Herren Jörg Persch, Moritz Reissing und Christoph Spill. Sie haben sich bereitwillig auf dieses Projekt eingelassen und die Buchwerdung kompetent begleitet. Freiburg (Schweiz) Markus Lau

Kassel/Wuppertal Nils Neumann

Inhalt Einleitung (Nils Neumann / Markus Lau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einstiegssitzung (Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Methoden der Textkonstituierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textkritik (Hildegard Scherer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textabgrenzung und Kontexteinordnung (Hanna-Maria Mehring) . . . . . . . . Übersetzungsvergleich (Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 44 63

Textorientierte Methoden: Synchrone Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Analyse (Hildegard Scherer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse von Gliederung und Komposition (Markus Lau) . . . . . . . . . . . . . . . . Aktantenanalyse (Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Charakterisierung (Christian Schramm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Erzählperspektiven (Thimo Zirpel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Raumkonstruktionen (Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatische Analyse (Hildegard Scherer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 74 84 104 118 132 146 154

Textorientierte Methoden: Diachrone Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synoptischer Vergleich (Markus Lau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literarkritik (Nils Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gattungskritik und Sitz im Leben (Nils Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Redaktionskritik (Nils Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivkritik (Hanna-Maria Mehring) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 176 189 203 220 236

Rezeptionsorientierte Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feministische Exegese und geschlechtersensible Zugänge zur Bibel (Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postkoloniale Exegese (Thimo Zirpel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tiefenpsychologische Exegese (Anne Kruse / Stephanie Feder) . . . . . . . . . . . Intermedialität (Thimo Zirpel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 258 268 284 302

Abschlusssitzung (Markus Lau / Nils Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Lernziele und Prüfungen (Markus Lau / Nils Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Materialanhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Stellen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

Einleitung Nils Neumann / Markus Lau

Werte Leserin und werter Leser, wenn Sie sich an die Lehrveranstaltungen zurück­ erinnern, die Sie selbst als Studierende besucht haben – welche dieser Lehrveranstaltungen würden Sie zu den „Highlights“ Ihres Studiums rechnen? Waren es vielleicht die Veranstaltungen, in denen die Lehrperson Begeisterung für das Thema versprühte, so dass Sie selbst von dieser Begeisterung angesteckt wurden? Waren es Veranstaltungen, in denen Sie selbst zum Mitdenken herausgefordert wurden und ihre Sichtweisen in Diskussionen mit der Seminargruppe vertreten konnten? Waren es Veranstaltungen, in denen Ihnen der Gegenstand der Lehre durch den Einsatz geschickt gewählter Darstellungsformen besonders anschaulich nahe gebracht und inhaltlich der sprichwörtliche rote Faden sichtbar wurde? – Wie auch immer Sie diese Fragen beantworten mögen: Irgendwie müssen die betreffenden Lehrveranstaltungen es geschafft haben, dass sich nicht nur das vermittelte Fachwissen, sondern auch die Art des Umgangs damit in Ihrem Gedächtnis festgesetzt haben. Wie ist das möglich? Und vor allem: Was haben Ihre Dozentinnen und Dozenten zum Gelingen der Veranstaltungen beigetragen? Mögliche Vorschläge, wie Lehren und Lernen im biblischen Methodenseminar gelingen kann, möchte das vorliegende Methodenbuch liefern, damit auch die Inhalte Ihres Seminars im Gedächtnis Ihrer Studierenden in ähnlicher Weise präsent bleiben. Nach einer Studie zur Zukunft der Hochschullehre, die Paetz / Ceylan u. a. in den Jahren 2009–2010 im deutschsprachigen Raum durchgeführt haben, rangieren drei Fähigkeiten mit deutlichem Abstand an der Spitze der hochschuldidaktischen Fertigkeiten, die Lehrende benötigen, um ihren Studierenden gute Lern­ ergeb­nisse zu ermöglichen. Und Sie können sich selbst prüfen, ob es nicht genau diese Aspekte waren, die auch Ihre Highlight-Lehrveranstaltungen ausgezeichnet haben: Erstens (didaktische) Methodenkenntnis, zweitens Fachwissen und drittens die Fähigkeit, studentische Eigenständigkeit zu fördern.1 Die Nennungen machen 1 Paetz / Ceylan u. a., Kompetenz 87. Auf den weiteren Plätzen der Top-10-Kompetenzen folgen (in dieser Reihenfolge): Selbstreflexion, Begeisterungsfähigkeit, Kompetenzorientierung, Kommunikationsfähigkeit, Teilnehmerorientierung, Gestaltungskompetenz, Perspektivwechsel und Methoden­ einsatz, wobei die beiden letztgenannten Kompetenzen miteinander auf Platz 10 liegen.

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Nils Neumann / Markus Lau

deutlich, in welch starkem Maße auch die Studierenden mit ihren Voraussetzungen und Bedürfnissen während der letzten Jahre in den Fokus hochschuldidaktischer Reflexion gerückt sind. Lehrende, die die soeben genannten Fähigkeiten mitbringen, befinden sich in einer guten Ausgangsposition, um studentische Kompetenzentwicklung zu fördern. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht hat sich innerhalb der Hochschuldidaktik ein veritabler Perspektivwechsel („Shift“) vom Lehren hin zum Lernen vollzogen. Unter den Bedingungen des Bologna-Prozesses wird die maßgebliche Bedeutung der Lernenden und ihrer Lernprozesse für die Hochschullehre oft unter dem Schlagwort „Kompetenzorientierung“ thematisiert. Kompetenzorientierung Mit der Rede vom „Shift from Teaching to Learning“ hat sich einerseits eine Binsenweisheit zum Schlagwort entwickelt. Denn natürlich stellen die Lernerfolge der Studierenden den bedeutendsten Indikator für erfolgreiche Lehre dar.2 Nicht auf die Performance der Lehrenden kommt es schlussendlich an, sondern eben auf die tragfähigen Lernprozesse der Studentinnen und Studenten. Damit hat der so genannte „Shift from Teaching to Learning“, der seit einigen Jahren in aller Munde ist,3 andererseits aber auch wichtige neue Impulse in der wissenschaftlichen Reflexion der Hochschullehre gesetzt. Denn wenn es stimmt, dass es letztendlich auf das Lernen ankommt, dann rückt damit unweigerlich das Lehren in die zweite Reihe. Indem die Hochschuldidaktik zuvorderst die Studierenden und ihr Lernverhalten fokussiert, weist sie der Dozentin oder dem Dozenten die Aufgabe zu, studentische Lernprozesse anzustoßen und zu begleiten.4 Eine in diesem Sinne gelingende Lehre sieht der Alttestamentler David Clines als derart bedeutsam für die Zukunft der Bibelwissenschaft an, dass er sich genau diesem Thema in seiner „Presidential Address“ beim SBL-Meeting 2009 in New Orleans widmete. Clines zufolge zeichnet sich gelingende und zukunftsträchtige Hochschullehre dadurch aus, dass sie den Studierenden über das Fachwissen hinaus vor allem Kompetenzen vermittelt.5 Und damit ist ein entscheidendes Schlagwort gefallen und in die bibelwissenschaftliche Binnendiskussion eingebracht, an dem wir auch in der Einleitung unseres hochschuldidaktisch ausgerichteten Methodenbuches nicht vorbeikommen. Das biblische Methodenseminar soll Studierende primär in die Lage versetzen, exegetische Problemstellungen zu erkennen und auf der Basis forschungsgeschichtlicher Weichenstellungen eigenständig und dem jeweiligen Text angemessen zu bearbeiten. In diesem Sinne lässt sich die relevante Kompetenz als reflektierte „Handlungskompetenz“ im Umgang mit bib2 So auch Reis / Scheidler, Shift 13. 3 Vgl. dazu auch Paetz / Ceylan u. a., Kompetenz 36. 4 Vgl. Clines, Learning 6 f. 5 Clines, Learning 9 f.

Einleitung

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lischen Texten begreifen,6 die im Sinne eines komplexen, handlungsorientierten Lernziels gerade nicht in der Vermittlung von Wissen aufgeht. Kompetenz, auch exegetische Handlungskompetenz, ist eben „mehr als nur Wissen“.7 Die Einsicht, dass es hilfreich ist, den Kompetenzerwerb von Studierenden mindestens ebenso sehr wie ihren Erwerb von Fachwissen zu fördern, verdankt sich nicht erst dem Postulat von Clines. Vielmehr spricht Clines einen Konsens der gegenwärtigen Hochschuldidaktik an.8 Dass die Kompetenzorientierung in den letzten Jahren Einzug in die Studienordnungen der Hochschulstudiengänge erhält, hat seinen Anlass – nicht jedoch seinen Grund – im Bologna-Prozess. Der BolognaProzess wird zwar gerne als Begründung genannt, weswegen die Ausrichtung der Lehre auf die zu vermittelnden studentischen Kompetenzen erforderlich sei.9 Tatsächlich verpflichtet Bologna die Hochschulen damit aber auf ein Prinzip, das angesichts der wissenschaftlichen Landschaft des 21. Jahrhunderts nicht nur hilfreich, sondern sogar notwendig ist: Dem Kompetenzerwerb den Vorrang gegenüber dem Erwerb von Fachwissen einzuräumen, hat seinen Grund in der starken Ausdifferenzierung und Spezialisierung der verschiedenen Wissenschaftszweige.10 Diese Entwicklung basiert auf der Erkennntis, dass zur Kompetenzbildung mehr als nur Wissen gehört. Für das biblische Methodenseminar liegt dies auf der Hand. Zu den klassischen Methoden der historisch-kritischen Exegese sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche weitere Ansätze hinzugekommen, die Einsichten der Sprach-, Geschichts- und Literaturwissenschaft sowie verschiedener hermeneutischer Schulen für die Auslegung biblischer Texte fruchtbar machen. Im Rahmen eines einsemestrigen Seminars ist es gar nicht möglich, all diese Herangehensweisen vollständig zu behandeln – auch wenn für jeden Ansatz nur eine einzige Seminarsitzung veranschlagt wird. Und selbst wenn es studienorganisatorisch möglich wäre, die Lernenden zu Beginn ihres Studiums mit umfassendem Fachwissen auszustatten, so wäre dieses Fachwissen doch wenig später bereits überholt, da neue Entwicklungen die Fachwissenschaft verändern. Es ist damit zu rechnen, dass der Trend zur Diversifizierung der exegetischen Wissenschaft sich auch in Zukunft noch weiter fortsetzen wird. Angesichts dieser Gegebenheiten ist es erforderlich, der nächsten Generation von Fachleuten nicht ausschließlich isolierte Kenntnisse über exegetische Arbeitswei    6 Vgl. dazu Reis, Sinn 112. Zu den so genannten „Learning Outcomes“, an denen sich die Lehre folgerichtig orientiert, vgl. auch Reis, Sinn 120. Eine ausdifferenzierte Fassung des Kompetenzmodells bietet Hübenthal, Kompetenz.   7 Vgl. zu diesem Ansatz die Studie von Zimmermann, Wissen pass.   8 Zur Kompetenzorientierung vgl. insbes. Bachmann, Hochschullehre pass.; Zimmermann, Wissen pass.; vgl. auch Reis, Kompetenzorientierung 19.   9 Schlagen Sie ein beliebiges Buch auf, das den Begriff „Hochschuldidaktik“ im Titel trägt und in den letzten Jahren erschienen ist: Sie werden dort bereits auf den ersten Seiten den Stichworten „Kompetenzen“ und „Bologna“ begegnen. 10 Deswegen kann auch eine gerechtfertigte Skepsis gegenüber dem Bologna-Prozess nicht als Argument gegen die grundsätzliche Fokussierung auf die Lernenden und ihren Kompetenzerwerb herhalten.

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sen und die Fähigkeit, dieses Wissen am Textbeispiel konkret anzuwenden, nahe zu bringen – sondern darüber hinaus auch noch die zusätzliche Kompetenz, sich bisher unbekannte Ansätze anzueignen und kritisch zu beurteilen.11 Studierende sollen folglich auch das Lernen lernen: Sie sollen sich Strategien aneignen, die sie dazu in die Lage versetzen, sich thematisches Neuland in eigener Verantwortung zu erschließen.12 Mit den im biblischen Methodenseminar behandelten Ansätzen sollen die Studierenden problemorientiert umgehen. Die einzelnen exegetischen Methoden sind nicht Selbstzweck, sondern stehen im Dienst der Bearbeitung eines konkreten Problems, das vom biblischen Text und den in ihm angelegten Fragen angestoßen wird. Lernmotivation Erklärtes Ziel der Kompetenzorientierung ist es also, die Studierenden dazu herauszufordern, Hirn, Herz und Hände eigenständig und kritisch zu gebrauchen. Neu ist diese Idee nicht – was aber in den letzten Jahren neu einsetzt, ist eine bewusste Suche nach didaktischen Mitteln zum Erreichen dieses Ziels. Nach der bereits zitierten Studie von Paetz / Ceylan u. a. gehört die Fähigkeit, die Eigenständigkeit der Studierenden zu fördern, zu den wichtigsten Kompetenzen von Lehrenden an Hochschulen: Im Ranking liegt sie auf Platz 3, direkt hinter der Kenntnis didaktischer Methoden und dem Fachwissen.13 Die vorgetragenen Postulate korrespondieren mit den Entwicklungen der Lernforschung in den letzten Jahrzehnten: Dort setzte sich die Erkenntnis durch, dass erstens den Lernenden eine aktive Rolle im Lernprozess zukommt,14 so dass die Gestaltung von Lernprozessen folglich nicht nur von der Lehrperson ausgehen muss. Zweitens werden als Ergebnisse erfolgreichen Lernens zunehmend kognitive Strukturen angesehen, die etwa Transfer und vernetztes Denken ermöglichen – und damit weniger isoliertes Fachwissen, das sich auf Nachfrage reproduzieren lässt.15 Die Bemühung um Eigenständigkeit und Kompetenzerwerb der Studierenden ist damit aus fachwissenschaftlichen wie auch aus lerntheoretischen Gründen sinnvoll. In letzter Konsequenz heißt das dann, dass die Hochschullehre idealerweise bei den Voraussetzungen, Erfahrungen und daraus resultierenden Fragen der Studierenden einsetzt.16 Den Lehrenden muss es gelingen, Denkprozesse nicht nur vor der Lerngruppe vorzuexerzieren – sondern die Studierenden selbst an diesen

11 Vgl. dazu auch Stelzer-Rothe, Befunde 42. 12 Vgl. Reis, Förderung 39. Außerdem Bieberger, Shift 93. 13 Paetz / Ceylan u. a., Kompetenz 87.111. 14 Vgl. Bieberger, Shift 94; vgl. auch Bachmann, Hochschullehre 14 f. 15 Stelzer-Rothe, Befunde 41, spricht diesbezüglich sogar von einer „kognitive[n] Wende in der Lernforschung“ seit den 1960er Jahren. 16 Vgl. Reis, Förderung 58.

Einleitung

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Denkprozessen zu beteiligen.17 Wo dies geschieht, machen Studierende im Lernprozess eigene Entdeckungen; und entdeckendes Lernen wiederum steigert die intrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand.18 Dem gegenüber führt eine extrinsische Motivation, die sich beispielsweise rein aus der Prüfungsrelevanz des verhandelten Fachwissens speist, zu weniger dauerhaften und weniger belastbaren Lernerfolgen. Soll der Lernprozess sich die intrinsische Motivation der Studierenden zunutze machen,19 so muss diesen die Relevanz der behandelten Themen transparent sein. Wer keinen Gewinn in der Auseinandersetzung erblickt, wird sich damit schwertun, sich auf die Lerninhalte einzulassen. Clines geht in seinem Plädoyer für die Orientierung an den Bedürfnissen der Studierenden sogar so weit, dass er sich weitgehend von curricularen Vorgaben verabschiedet.20 Seiner Ansicht nach kommt den Voraussetzungen der Studierenden in jedem Fall der Vorrang vor den Fragen zu, welche in der Geschichte der bibelwissenschaftlichen Disziplinen klassisch bearbeitet wurden. Ganz so weit gehen wir in unserem vorliegenden Buch nicht. Wir vertreten die Auffassung, dass die exegetischen Methoden, wie sie heute die bibelwissenschaftliche Forschungslandschaft prägen, dazu geeignet sind, aktuelle Fragen auch unserer Studierenden zu bearbeiten. Dies ist jedoch den Studierenden nicht unbedingt so selbstverständlich wie uns. Deswegen ist die Mühe und Energie gut investiert, wenn die Lehrenden ihren Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern nicht nur erklären, aus welcher historischen Problemstellung heraus die jeweilige exegetische Methode sich entwickelt hat, wie die Methode konkret funktioniert, welche Vor- und Nachteile mit ihr verbunden sind und welche Ziele sie konkret verfolgt, sondern auch mit der Seminargruppe gemeinsam darum ringen, an welchen Stellen diese Problematik aktuell ihren Ort hat und wie die jeweils konkrete Methode vielleicht auch über die Bibel hinausgehend sinnvoll Verwendung finden kann. Dennoch bleibt die Aufgabe des biblischen Methodenseminars, gerade weil die Studierenden es am Beginn ihres Studiums besuchen, mindestens eine dreifache: Es muss erstens die Verantwortung gegenüber den Studierenden als Subjekte im Lehr-Lern-Prozess ernst genommen werden. Nicht weniger ernst genommen werden darf zweitens auch die Verantwortung gegenüber der Geschichte der bibelwissenschaftlichen Disziplinen, aus der der gängige Methodenkanon exegetischer

17 Dies erfordert nicht zwingend eine permanente Diskussion studentischer Fragen in der Seminargruppe (zu methodisch-didaktischen Grundsätzen s. u.). Denkbar ist zunächst einmal auch, dass die Studierenden während des Vortrags ihrer Dozentin oder ihres Dozenten innerlich so am Thema beteiligt sind, dass sie mitdenkend die verhandelten Probleme durchdringen und Lösungsansätze erproben (so Bieberger, Shift 95 f.). 18 Vgl. Stelzer-Rothe, Befunde 43. 19 Vgl. dazu Clines, Learning 20. Zur Bedeutung der intrinsischen Motivation vgl. auch Stelzer-­ Rothe, Befunde 43. 20 Clines, Learning 25.

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Arbeit resultiert.21 Drittens gilt es schließlich die Verantwortung gegenüber dem biblischen Text und seiner Geschichte wahrzunehmen und Lehr-Lern-Situationen zu gestalten, in denen der Text selbst zu seinem Recht kommen kann und angemessen mit ihm umgegangen wird.22 Konkret: Methodisch-didaktische Grundannahmen Angesichts der beschriebenen mehrfachen Zielsetzung und Verantwortung der Lehrveranstaltung bietet sich auch eine mehrdimensionale methodisch-didaktische Fokussierung für die einzelnen Sitzungen unseres biblischen Methodenseminars an: Einerseits ist es erforderlich, den Studierenden einen fachlichen Input zur Verfügung zu stellen, um die Verantwortung gegenüber dem biblischen Text und der Forschungsgeschichte, aus der sich die exegetischen Methoden und leitenden Hermeneutiken entwickelt haben, zu wahren; genauso erforderlich ist es aber andererseits auch, die Studierenden mit ihren eigenen Fragen und Ideen ernst zu nehmen und in die Gestaltung der Seminarsitzungen einzubeziehen. Der aktive Einbezug der Studierenden kann insbesondere in regelmäßigen Arbeitsphasen stattfinden, die in Einzel- oder Gruppenarbeit oder auch im Plenum durchgeführt werden können.23 Was die notwendige Präsentation von Theorie-Inputs seitens der Lehrenden betrifft, möchten wir mit unseren Vorschlägen in den einzelnen Kapiteln dieses Buches dazu anregen, ein möglichst großes Spektrum didaktischer Methoden zur Anwendung zu bringen. Damit fördern wir als Lehrende das Mitdenken unserer Studierenden auch in solchen Phasen der Seminarsitzungen, in denen sie sich gerade nicht aktiv zu Wort melden können.24 Erstrebenswert ist es dabei, die gelehrten Inhalte zu visualisieren und mehrfach auf unterschiedliche Weise zu thematisieren.25 Beides liegt im Interesse der Lehrenden, weil es nachweislich zum gelingenden Lernen der Studierenden beiträgt, so dass alle Beteiligten im weiteren Verlauf der exegetischen Ausbildung von den erfolgreichen Lernprozessen aus dem Methodenseminar profitieren können. Dieses starke Bemühen um eine adäquate didaktische Aufbereitung der Seminarinhalte, das sich in unserem Buch 21 Für diese Zweipoligkeit macht sich neuerdings auch ganz dezidiert P.-G. Klumbies stark (Klum­bies, Herkunft und Horizont 142–155). 22 Auch Neubrand weist darauf hin, dass eine gelungene neutestamentliche Lehrveranstaltung „den Studierenden ein solides biblisches Grundwissen vermitteln und das Interesse an einer wissenschaftlichen, methodisch geleiteten Auseinandersetzung mit den neutestamentlichen Texten schmackhaft machen“ soll. Die Lehrveranstaltung soll auf eine Weise „die Studierenden […] zu einem Verstehen der neutestamentlichen Texte in ihrem geschichtlichen Charakter hinführen, dass dadurch auch der Gegenwartsbezug des ‚Wortes Gottes‘ und die Aktualität der biblischen Botschaft für Kirche und Gesellschaft aufscheint“ (Neubrand, Verstehst du 85). 23 Vgl. dazu auch Hübenthal, Kompetenz 75. 24 Vgl. Neubrand, Verstehst du 88. 25 Vgl. Reis, Förderung 55; vgl. auch Clines, Learning 11.

Einleitung

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widerspiegelt, entspricht dem, was die von Paetz / Ceylan u. a. befragten Experten zur Zukunft der Hochschullehre geäußert haben. Wir glauben allerdings nicht an Patentrezepte. Lehrende sind verschieden und Seminargruppen sind es erst recht. Deshalb gibt es innerhalb unseres Buches auch keine fixfertigen Stundenverläufe, wie man das etwa aus Arbeitshilfen für den Schul­ unterricht kennt. Gelingende Lehre und gelingendes Lernen findet unserer Überzeugung nach dann statt, wenn die gewählte Vorgehensweise zu den Studierenden und auch zur Lehrperson passt, die wir im Folgenden stets „Leitung“ nennen, um deutlich zu machen, dass es sich bei den Seminarsitzungen um Lehr-Lern-Prozesse handelt, die angeleitet werden, in denen aber nicht einfach ge- oder belehrt wird. Deswegen möchten wir Sie hiermit ausdrücklich ermutigen, werte Leserin und werter Leser, das vorliegende Buch als Anregung zu verstehen und sich wie in einem Steinbruch daraus zu bedienen. Wir präsentieren Ihnen hier didaktische Wege, die sich in unserer Praxis an der Hochschule bewährt haben. Wenn Sie einzelne dieser Vorschläge unverändert in Ihrer Veranstaltung einsetzen können, freut uns das. Wenn Sie es allerdings für erforderlich halten, unsere Entwürfe für Ihre Zwecke zu modifizieren und auf Ihre Lehr-Lern-Situation anzupassen, ist es umso besser. Denn damit nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Inhalten und gegenüber der Lerngruppe wahr. Der Aufbau unseres Buches und der einzelnen Kapitel Unser Buch soll den beschriebenen Grundeinsichten Rechnung tragen und sie für den Bereich des biblischen Methodenseminars durchbuchstabieren. Für viele Studierende stellt das biblische Methodenseminar die erste Begegnung mit der Bibelwissenschaft dar. Hier werden – im Sinne des aufbauenden Lernens, wie es für durch Module und die BA / MA-Struktur phasierte Studiengänge üblich ist – wesentliche Grundlagen gelegt. Diesen Erstkontakt wollen wir motivierend gestalten. Der Aufbau des Buches entspricht insgesamt dem möglichen Verlauf eines Semesters. Zwischen der Einstiegsphase/-sitzung und der Abschlussphase/-sitzung der Lehrveranstaltung findet sich ein umfangreicher Hauptteil, der eine Vielzahl methodischer Zugänge zu den biblischen Texten behandelt. Hier folgen auf die Methoden, die im Rahmen der Textkonstitution Anwendung finden, zunächst klassisch synchrone Zugänge, dann klassisch diachrone Zugänge und schließlich eher rezeptionsorientierte Zugänge, die ihrerseits primär nicht eine Methode darstellen, sondern einer hermeneutischen Perspektive gleichen, die sich verschiedener konkreter Methoden bedienen kann. In einem Semester mit seinen etwa 14 Seminarsitzungen lassen sich die zahlreichen Ansätze, die wir hier vorstellen, fraglos schlecht unterbringen. Als Benutzerin und Benutzer des Buches stehen Sie also vor der Wahl, welche der möglichen exegetischen Methoden Sie mit Ihren Studierenden behandeln wollen. Unser Buch will als Baukasten verstanden werden, aus

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Nils Neumann / Markus Lau

dem Sie sich diejenigen Teile auswählen, die für Ihre spezifische Lehr-Lern-Situation hilfreich sind. Ebenfalls nach dem Baukastenprinzip gestaltet sind die einzelnen Kapitel des Buches: Sie finden dort in einem ersten Block immer eine allgemeine Einleitung in die jeweilige Methode mit einer Formulierung möglicher, mit dieser Methode verbundener Lernziele, die sich als Teilmengen der sich sukzessive entwickelnden exegetischen Kompetenz verstehen lassen, und eine elementare Bibliographie26 zur Methode selbst. Auf diesen ersten Block folgen jeweils ein alttestamentlicher und ein neutestamentlicher Anwendungsbereich, für die Sie die betreffende exegetische Methode einsetzen können. Diese Bereiche, „Bausteine“ genannt, gliedern sich stets nach dem gleichen Muster. Zu Beginn werden die Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden geklärt, sodann folgen Vorschläge und Hinweise zur Einstiegsphase in die Sitzung. Auch für diese didaktische Hinführung an die jeweiligen Arbeitsweisen und deren Anwendung bieten wir Ihnen meist mehrere Möglichkeiten an, die Sie für Ihre Veranstaltung auswählen, abändern und weiterentwickeln können. In der Erarbeitungs- und Vertiefungsphase operieren wir mit konkreten Textbeispielen, zu denen wir Wege der didaktischen Einbettung in den Seminarverlauf anbieten. Am Ende finden sich jeweils Hinweise für die Abschlussphase der Seminarsitzung, die sich auch mit der Sicherung und synthetischen Auswertung des in der Erarbeitungsphase Behandelten beschäftigen. An dieser Stelle bieten wir immer auch sachliche Ergebnisse im Blick auf die in der Erarbeitungsphase behandelten Texte. Eine kurze Auswahlbibliographie zu den behandelten Texten schließt den jeweiligen Baustein ab. Oftmals finden Sie am Ende eines Kapitels auch noch weitere Ideen für die Gestaltung Ihrer Seminarsitzung. Stets wird am Ende die Leistungsfähigkeit und Bedeutung der betreffenden Methode in genereller Perspektive reflektiert. Insgesamt ergibt sich damit der folgende Aufbau für die Methoden-Kapitel: Hinführung zur Methode Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung Literatur zur Methode Baustein AT Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Einstieg Erarbeitung / Vertiefung Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Literatur zur Textstelle

26 Die Literaturhinweise erfolgen auf zwei unterschiedliche Arten: Kurztitel beziehen sich in den Fußnoten jeweils auf die bibliographischen Angaben („Literatur zur Methode“ bzw. „Literatur zur Textstelle“) in den betreffenden Kapiteln; sämtliche dort nicht verzeichnete Literatur wird jeweils vollständig bibliographiert.

Einleitung

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Baustein NT Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Einstieg Erarbeitung / Vertiefung Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Literatur zur Textstelle Ertrag zur Methode Weitere Ideen

Und nun, liebe Leserin und lieber Leser: Treten Sie ein in das „biblische Methodenseminar“. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre, spannende Entdeckungen und kreative Anregungen für Ihren Arbeitsalltag. Literatur H. Bachmann, Hochschullehre neu definiert – Shift from Teaching to Learning, in: Ders. (Hrsg.), Kompetenzorientierte Hochschullehre. Die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen Lernzielen, Prüfungsformen und Lehr-Lern-Methoden, Bern 2011, 12–28. B. Bieberger, Der „Shift from Teaching to Learning“ in einer exegetischen Vorlesung, in: M. Scheidler / O. Reis (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 93–106. D. J. A. Clines, Learning, Teaching, and Researching Biblical Studies, Today and Tomorrow, in: JBL 129 (2010) 5–29. S. Hübenthal, Was ist exegetische Kompetenz?, in: F. Bruckmann / O. Reis / M. Scheidler (Hrsg.), Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion – Reflexion – Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 65–83. P.-G. Klumbies, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015. M. Neubrand, „Verstehst du, was du liest?“ (Apg 8,30). Neutestamentliche Wissenschaft und universitäre Lehre, in: M. Scheidler / B. J. Hilberath / J. Wildt (Hrsg.), Theologie lehren. Hochschuldidaktik und Reform der Theologie (QD 197), Freiburg i. Br. 2002, 83–96. N.-V. Paetz / F. Ceylan / J. Fiehn / S. Schworm / C. Harteis, Kompetenz in der Hochschuldidaktik. Ergebnisse einer Delphi-Studie über die Zukunft der Hochschullehre, Wiesbaden 2011. O. Reis, Kompetenzorientierung als hochschuldidaktische Chance für die Theologie, in: M. Scheidler / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 19–37. O. Reis, Sinn und Umsetzung der Kompetenzorientierung – Lehre ‚von hinten‘ denken, in: P. Becker (Hrsg.), Studienreform in der Theologie. Eine Bestandsaufnahme (Theologie und Hochschuldidaktik 2), Münster 2011, 108–127. O. Reis, Zur Förderung von effizienten Lernstrategien im Theologiestudium, in: M. Scheidler / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 39–63. O. Reis / M. Scheidler, Der „Shift from Teaching to Learning“ als Anliegen der Theologiedidaktik, in: Dies. / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 5–18.

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Nils Neumann / Markus Lau

T. Stelzer-Rothe, Befunde der Lernforschung als Grundlage des Hochschullehrens und -lernens, in: Ders. (Hrsg.), Kompetenzen in der Hochschullehre. Rüstzeug für gutes Lehren und Lernen an Hochschulen, Rinteln 22008, 32–58. B. Zimmermann, Mehr als nur Wissen! Kompetenzorientierung im Bologna-Prozess. Eine theologiedidaktische Perspektive (Studien zur Praktischen Theologie 2), Münster 2017 (im Druck).

Einstiegssitzung Stephanie Feder

Hinführung Statistiken belegen, dass junge Menschen in Deutschland die Bibel kaum lesen: Nur 7 % der 16 bis 29-Jährigen lesen hin und wieder bis häufig in der Bibel – so eine Allensbacher Studie von 2005.1 Noch weniger (junge) Menschen wissen, was sich genauerhin hinter dem Begriff „Exegese“ verbirgt, wofür sie gut ist und warum man sie im Rahmen eines Theologiestudiums unbedingt lernen sollte. Umso wichtiger ist es, den Lernenden aufzuzeigen, was exegetische Methoden wollen und welchen Gewinn sie aus einem Seminar zur Methodenlehre ziehen können. Die Einstiegssitzung ist fundamental für die intrinsische Motivation der Lernenden, von der eingangs die Rede war. Wenn die Einstiegssitzung zu kurz ausfällt oder gar weggelassen wird, wird die Orientierungslosigkeit der Lernenden größer und sie haben u. U. bis zum Ende des Seminars nicht verstanden, was Sinn und Zweck eines Methodenseminars ist und inwiefern sie an späterer Stelle davon profitieren können. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden verstehen, was „Exegese“ meint. Sie können den Begriff anwenden. –– Sie erhalten einen Überblick über exegetische Methoden und können diese in die Kategorien „synchron“, „diachron“ bzw. „rezeptionsorientiert“ einordnen. –– Sie erkennen, dass zum angemessenen Verstehen von Bibeltexten Methoden hilfreich und in der Regel sogar notwendig sind.

1 http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0520.pdf (12.08.16).

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Stephanie Feder

Baustein AT / NT: Was ist Exegese und wozu braucht man sie eigentlich? Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Keine. Einstieg Zunächst lernen sich die Lernenden untereinander kennen. Als Methode erprobt hat sich das so genannte Chaosinterview. Die Lernenden werden auf Stühlen in zwei Kreise gesetzt: Einen Innenkreis, der nach außen schaut, und einem Außenkreis, der nach innen schaut. Jeder Person im Innenkreis sollte eine Person im Außenkreis gegenübersitzen. Die Personen im Innenkreis erhalten einen kleinen Stapel mit Zetteln. Jeder Zettel eines Stapels beinhaltet immer dieselbe Frage. Die Person im Innenkreis stellt der Person im Außenkreis die Frage, die auf dem Zettel steht und notiert Namen und die Antwort der Person aus dem Außenkreis auf dem Zettel. Nach 2 Minuten (durch die Leitung angezeigt) wechselt der Außenkreis einen Platz nach links. Dann sitzen sich zwei neue Personen gegenüber und die Person im Innenkreis nimmt einen neuen Zettel mit der eben schon gestellten Frage und stellt diese an sein neues Gegenüber. Nach ca. 5 Fragen übergibt die Innenperson den Frageblock an die Außenperson. Dann werden noch einmal ca. 5 Interviews geführt. Am Ende werden die beschriebenen Zettel unter den Personen aufgeteilt, die jeweils die gleiche Frage gestellt haben. Nachdem alle in die normale Sitzordnung zurückgekehrt sind, fragt die Leitung, welche Antworten zu einer Frage gegeben wurden. Die Interviewer geben einen Überblick, ohne dabei die Namen der Interviewten zu nennen. Mögliche Fragen für das Interview könnten sein: –– Was bezeichnet der Begriff „Exegese“ Ihrer Meinung nach? –– Wie viel Prozent der ganzen Bibel (Altes und Neues Testament) haben Sie schon gelesen? –– Welche biblische Geschichte ist Ihre Lieblingsgeschichte? –– Welches Vorwissen über das Alte Testament / das Neue Testament bringen Sie mit? –– Welche Ereignisse aus der Geschichte Israels können Sie benennen? –– Welche Geschichten aus dem Alten Testament / Neuen Testament kennen Sie? –– Wozu müssen Sie eigentlich Methoden für die Bibelauslegung lernen? Könnten Sie den Text nicht einfach so lesen und verstehen? Nach diesem Einstieg, der eher die Lernenden in den Blick nimmt, projiziert die Leitung den folgenden Text an die Wand und erklärt, dass es sich hierbei um einen Eintrag in einem Diskussionsforum handelt.

Einstiegssitzung

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Wie konnte Jona so lange im Wal überleben? gefragt von LichtAnFuerAlle am 07.10.2010 um 14:40 Uhr Hallo! Ich mache jeden Sonntag Kindergottesdienst und beim letzten mal war die Geschichte mit Jona und den Wal dran. Die Kinder fanden die Geschichte super, aber einer hat ständig Fragen gestellt und gefragt wie das denn möglich sein soll, das der Mensch dann keinen Sauerstoff oder sowas hätte. Der war richtig nervig dieser Junge und hatte keine guten Manieren! Er hat gesagt, das die Magensäure schon lange Jona zerfressen hätte und das kein Tier so lange braucht um mit der Verdauung zu beginnen. Ich hab gesagt das der HERR Jona von allem reichlich gab und sich darum gekümmert hat und da hat er nur gelacht und gesagt, das das biologisch unmöglich ist und doch nur ein Märchen oder eine Zaubergeschichte oder sowas ist. Hat der kleine junge Recht? Wie konnte Gott Jona retten? Wie könnte man den Walmagen austrixxen damit die Geschichte doch wahr sein kann?2

Die Lernenden sind aufgefordert, Antworten auf die gestellten Fragen zu formulieren. Diese werden vorgelesen. Ein sich anschließender Austausch sollte darauf abzielen, mit den Lernenden ins Gespräch darüber zu kommen, welche Schwierigkeiten sie beim Verfassen einer möglichen Antwort hatten und welche Fragen sich für sie neu gestellt haben. Diese Fragen können gesammelt werden. Im Verlauf des Seminars sollte immer wieder darauf Bezug genommen werden, denn die Fragen der Lernenden sind der Motor des Seminars. In der Diskussion mit den Lernenden sollte deutlich werden, dass viele Bibeltexte nicht aus sich heraus verstanden werden können. Das liegt vor allem daran, dass die Texte mehr als 2700 Jahre alt sind und ursprünglich nicht für unsere heutige Lebenswelt und -situation verfasst wurden. Um entschlüsseln zu können, welche Botschaft sich in den Texten verbirgt, muss man sie genauer untersuchen. Als Untersuchungsinstrumente dienen exegetische Methoden. Erarbeitung / Vertiefung Welche Funktion Methoden in Hinblick auf die Texte haben, kann mit Hilfe einer Walnuss und unterschiedlicher Werkzeuge von der Leitung erklärt und veranschaulicht werden (möglichst durch Demonstration an einer Walnuss mit den entsprechenden Werkzeugen): Eine Nuss lässt sich hervorragend mit einem Nussknacker öffnen. Mit viel Geschick lässt sich eine Walnuss auch mit einem Küchenmesser öffnen. Fast unmöglich ist es jedoch, die Nuss mit einem Dosenöffner zum Knacken zu bringen. Das liegt daran, dass es unterschiedliche Werkzeuge gibt, die unterschiedliche Gefäße – oder in unserem Fall eben die Nuss – öffnen können. 2 http://www.gutefrage.net/frage/wie-konnte-jona-so-lange-im-wal-ueberleben (08.01.15).

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Stephanie Feder

Auch in der Exegese bedient man sich unterschiedlicher Methoden (Werkzeuge), um zum Inneren des Textes, seiner Botschaft (dem Kern der Nuss), zu gelangen. Je nachdem was ich herauszufinden suche, muss ich das passende Werkzeug (die passende Methode) wählen. Natürlich kann die Nuss auch ungeknackt zur Dekoration in einer Schale liegen bleiben. Aber wenn der Bibeltext tiefer ergründet werden soll, dann kommt man um das Knacken der Nuss nicht herum.3 An dieser Stelle empfiehlt es sich, die Definition von „Exegese“ einzuführen, da der Begriff immer wieder vorkommen wird, für die Lernenden aber meist ein Fachbegriff ohne inhaltliche Füllung bleibt. Dazu bietet sich ein Text von Melanie Köhlmoos an: Der Begriff [Exegese] kommt vom griech. Wort exégesis („Auslegung, Erläuterung“). Dabei handelt es sich um eine Art der Textinterpretation, die nach bestimmten Prinzipien und Methoden vorgeht. Zwischen der Exegese biblischer Texte und der Interpretation von anderen Texten aus Literatur und Geschichte gibt es viele Überschneidungen; tatsächlich hat sich die Interpretation solcher Texte aus der Bibelauslegung entwickelt. Trotzdem ist es üblich, von Exegese nur dann zu sprechen, wenn religiöse oder juristische Texte ausgelegt werden. Der Grund dafür, Exegese von Interpretation zu unterscheiden, liegt weniger in den Methoden als im Ziel: In Theologie und Rechtswissenschaft sollen mit Hilfe der Texte normative (= verbindliche) Aussagen gemacht werden.4

Die Leitung markiert die wichtigsten Wörter des Textes und entwickelt mit den Lernenden eine Kurzdefinition von Exegese, die sich die Lernenden notieren. Damit die Lernenden die unterschiedliche Ausrichtung von Methoden kennen lernen, zeichnet die Leitung ein Dreieck an die Tafel und versieht die Ecken mit den Schlagwörtern „Text“, „Autor“ und „Leser/in“: Text

Autor

Leser/in

Die drei Ecken stehen für die verschiedenen Akzentuierungen bei der Auslegung von biblischen Texten. Wenn man einen Text untersuchen will, kann man danach schauen, wie der Text entstanden ist und schaut damit auf den Autor. Oder aber man schaut sich den Text selbst an, untersucht, wie er gebaut ist. Darüber hinaus ist aber auch denkbar, danach zu schauen, wie ein Text von denjenigen verstan3 Die Idee mit der Nuss und den verschiedenen Werkzeugen verdanke ich meinem Methodenseminarlehrer Thomas Meurer. 4 M. Köhlmoos, Altes Testament (UTB.Basics 3460), Tübingen 2011, 26.

Einstiegssitzung

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den wird, die ihn lesen. Welche Informationen kommen bei ihnen an? Welche Gefühle löst er aus? Wenn die drei Ecken erklärt wurden, kann nun ein erster Blick auf die verschiedenen Methoden geworfen werden, denn auch diese können einer Ecke des Dreiecks zugeordnet werden: Die diachronen Methoden fragen vor allem nach der Entstehung des Bibeltextes, nach dem Autor und seinem Kontext. Mit Hilfe von diachronen Methoden lässt sich entschlüsseln, wann, wie und unter welchen Bedingungen ein Text entstanden ist und wer ihn verfasst bzw. bearbeitet hat. Anders verhält es sich mit den synchronen Methoden, die sich vor allem auf den Text, wie er heute vorliegt (sogenannter Endtext), konzentrieren. Ziel von synchronen Methoden ist es, den Endtext zu analysieren – ähnlich wie im Deutschunterricht Gedichte untersucht werden. Durch die Beschreibung des Textes und seiner Strukturen hofft man, Informationen über den Text, seine Struktur und seine Absicht zu erhalten. Die letzte Ecke zeigt, dass es auch Methoden gibt, die vom Leser / von der Leserin her denken. Die leserorientierten Methoden stellen den Menschen und sein Verständnis des Textes in den Mittelpunkt. Fragen von rezeptionsorientieren Zugängen sind u. a.: Wie kann man den Text heute verstehen? Welche Verbindungen stellt der Leser / die Leserin zwischen dem vorliegenden Text und anderen Texten her? Nach der Erläuterung des Dreiecks und der Vorstellung der drei Stränge innerhalb der Exegese teilt die Leitung die Gruppe in Paare auf und verteilt an ein Paar jeweils eine Methode und ihre Kurzdefinition (s. u.). Aufgabe ist es, die Methoden in die Kategorien „synchron“, „diachron“ und „leserorientiert“ einzuordnen oder sie begründet zwischen diesen Polen zu verorten. Die Leitung heftet an die Tafel drei A4-Blätter mit jeweils einer der drei Kategorien. Die Lernenden stellen nach einer kurzen Murmelphase ihre Methode vor und sortieren sie in der entsprechenden Kategorie ein. Methodenübersicht Textkritik Die Textkritik versucht, den Text der Bibel zu rekonstruieren, denn es liegt keine Original-Bibel vor, von der man den Text einfach abschreiben könnte. Deswegen ist es notwendig, mit Hilfe von Handschriften und anderen Textzeugen herauszufinden, welcher Text die ursprünglichste Version sein könnte. Textabgrenzung Die Textabgrenzung ist eine klassische Einstiegsmethode. Sie dient dazu, begründet Anfang und Ende eines biblischen Teiltextes festzulegen. Das ist notwendig, insofern man sich im exegetischen Alltagsgeschäft zumeist auf Teiltexte bezieht. Nur muss dabei die Festlegung von Anfang und Ende des jeweiligen Abschnitts begrün-

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det werden. Auf makrostruktureller Ebene dient die Textabgrenzung zugleich der Gliederung der Ganzschrift. Gliederungs- und Kompositionskritik Die Gliederungs- und Kompositionskritik will der Struktur und der planvollen Komposition eines biblischen Textes auf die Spur kommen. Der Methodenschritt hilft dabei nicht nur, sich dem Text anzunähern und ihn möglichst präzise zu erfassen. Er leistet auch Vorarbeit für eine inhaltliche Interpretation des Textes. Denn oft trägt schon die Form einen Teil der Botschaft des Textes. Synoptischer Vergleich Der synoptische Vergleich, der auf der Zwei-Quellen-Theorie beruht, analysiert die Redaktion des Markusevangeliums bzw. der Logienquelle (Q) durch die Evangelisten Matthäus und Lukas, die beide unabhängig voneinander das Markusevangelium bzw. Q als Quellen verwenden. Der Vergleich der Texte miteinander erlaubt es, in die Schreibwerkstatt des Matthäus bzw. Lukas zu blicken und ihren redaktionellen Interessen bei der Verarbeitung ihrer Quellen nachzugehen. Literarkritik Da Texte nicht immer von nur einem Autor verfasst wurden und häufig später auch noch bearbeitet und ergänzt wurden, sind die Texte nicht immer einheitlich. Die Aufgabe der Literarkritik ist es, die fehlende Einheitlichkeit und die Brüche im Text offen zu legen. Gattungskritik Auch biblische Texte lassen sich unterschiedlichen Gattungen / Textsorten zuordnen. Die Gattungskritik versucht zu bestimmen, zu welcher Gattung ein Text gehört, für welchen Leser/innen-Kreis er verfasst wurde und welche Aussageabsicht er hat. Redaktionskritik Die Ergebnisse der Literarkritik werden für die Redaktionskritik genutzt, um herauszustellen, wer etwas an dem Text geändert hat, aus welchen Gründen und inwiefern das Auswirkungen auf die Theologie der Texte hat. Motivkritik Weil kein Text in einem Vakuum entsteht, ist es für die Exegese ebenfalls notwendig herauszufinden, welche Motive (Bilder, Texte, Ideen) den vorliegenden Bibeltext

Einstiegssitzung

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geprägt haben. Man sucht nach Bildern, Texten, Ideen, die aus anderen Texten oder mündlichen Überlieferungen aus der Umwelt des biblischen Textes übernommen wurden und sich im biblischen Text niedergeschlagen haben. Linguistische Analyse Die linguistische Analyse untersucht den biblischen Text auf seine grammatikalischen, syntaktischen, semantischen und stilistischen Merkmale. Auch Wortfelder und Leitwörter versucht man zu ermitteln. Die Analyse ähnelt der eines Gedichts, wie man sie aus dem Deutschunterricht kennt. Aktantenanalyse Die Figuren des biblischen Textes übernehmen innerhalb einer Erzählung häufig bestimmte Rollen, z. B. als Held, Helfer oder Gegenspieler. Mit Hilfe eines Modells werden diese Rollen erschlossen. Erzählperspektiven Der Erzähler ist für viele biblische Texte sehr wichtig. Er lenkt den Blick der Lesenden auf bestimmte Ereignisse und Figuren. Wie er das tut und welche Wirkung dadurch erzielt wird, untersucht diese Methode. Auslegungen in genderspezifischer Perspektive Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht kann die Bibelauslegung beeinflussen. Genderspezifische Ansätze versuchen, Frauen in den Fokus der Auslegung zu stellen, sie untersuchen Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit und sie stellen die patriarchalen Wertesysteme heraus, die biblische Texte vermutlich beeinflusst haben. Postkoloniale Exegese Postkoloniale Exegesen versuchen, offen zu legen, inwiefern ein Text Stereotypisierungen reproduziert, ob bestimmte Gruppen oder einzelne Figuren abgewertet werden, wie sich Machtverhältnisse im Text abbilden und ob der Text eher mit den Mächtigen oder den Ohnmächtigen sympathisiert. Erkenntisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Abschließend kann der Verlaufsplan für das Seminar oder die Unterrichtseinheit verteilt werden. Durch die Kurzvorstellung der Methoden sind diese nun nicht mehr nur Fremdwörter, mit denen die Lernenden nichts anzufangen wissen. Auch die Fragen zu Jona könnten an dieser Stelle von der Leitung noch einmal auf-

26

Stephanie Feder

genommen werden und evtl. den einzelnen Sitzungen zugeordnet werden (z. B. „Gibt es nicht auch noch andere Geschichten, in denen Figuren von einem Fisch verschluckt werden?“ wird der Sitzung zur Motiv- oder Gattungskritik zugeteilt). Weitere Ideen –– Anstelle des Forenbeitrags zu Jona empfiehlt es sich auch, mit dem Brief von Dr. Laura zu arbeiten.5 –– Die Frage nach dem Umgang mit Bibeltexten wird auch in dem Buch „Die Bibel und ich“ von A.J. Jacobs thematisiert. Jacobs, Journalist in New York, der zwar jüdisch aber gleichzeitig auch Agnostiker ist, hat ein Jahr nach dem Alten Testament gelebt und ist dabei auf Schwierigkeiten gestoßen, wie einzelne Texte zu verstehen sind. –– Die Lernenden sollen eine Predigt zu Mk 10,41–45 oder zu Röm 3,21–26 skizzieren und dabei folgende Aufgabenstellung berücksichtigen: Was würden Sie in Ihrer Predigt zum Bibeltext sagen? Einzelne Begriffe (Mk: Lösegeld; Röm: Erlösung / Sühne) der Texte sind nicht selbsterklärend und können nur durch intensive Auseinandersetzung mit dem Text und mit Hilfe der entsprechenden Methoden entschlüsselt werden. –– Zu Beginn wird ein Bibeltext gelesen. Anschließend werden möglichst kontroverse Auslegungen dazu präsentiert. Die Lernenden werden gefragt, welche der Auslegungen Recht hat. Damit ist angezielt, auf die Pluralität von Interpretationen zu sprechen zu kommen und deutlich zu machen, dass es verschiedene Methoden gibt, die Unterschiedliches herauszufinden suchen. –– Die erste Szene des Films „Von Menschen und Göttern“ (Regie: Xavier Beauvois, 2010) wird gezeigt. Anhand des Films werden Kategorien vorgestellt oder reaktiviert, wie sie in der Exegese vorkommen, z. B.: Woran haben Sie erkannt, dass eine neue Szene beginnt? Was vermuten Sie geschieht nach dieser ersten Szene? Usw.

5 Vgl. http://www.tadzio.de/serious/lawsoftheoldtestament.html (12.08.16).

Methoden der Textkonstituierung

Textkritik Hildegard Scherer

Hinführung zur Methode Historisierende Bilder von biblischen Schriftstellern beim Schreiben betonen gerne, dass die Autoren unter „himmlischem“ Einfluss arbeiteten: Die Inspiration versinnbildlichen flüsternde Tauben oder mystische Lichtkegel. Die Texte, die uns heute vorliegen, sind allerdings nicht unmittelbar „vom Himmel gefallen“. Bis zur Erfindung des Buchdrucks wurden sie – wie übrigens alle Texte antiker Autoren – über Jahrhunderte handschriftlich tradiert. Wer einmal einen Text von Hand abgeschrieben, geschweige denn diktiert bekommen hat, weiß, dass sich dabei Fehler einschleichen. Doch nicht nur das: Auch bewusste Vereinheitlichungen oder Interpretationen sind in den Manuskripten vorgenommen worden.1 So liegen die neutestamentlichen Texte in einer Vielzahl von Manuskripten vor – angefangen von den ältesten einfachen Papyrusgeheften über stattliche Pergamentbände bis hin zu mittelalterlichen Abschriften – und unterscheiden sich bisweilen: Buchstaben sind verändert, Wörter weichen ab, manchmal fehlen ganze Satzteile. Für das Alte Testament haben sich ganze Texttraditionen herausgebildet, z. B. der sogenannte masoretische Text, der einen ab dem 1. Jh. n. Chr. fixierten Konsonantentext mit Vokalzeichen und Anmerkungen versieht. In der vollständigen Ausgabe von 1009 n. Chr. ist der masoretische Codex Leningradensis (Petropolitanus) Vorlage der heute im deutschsprachigen Raum gebräuchlichen Biblia Hebraica Stuttgartensia. Daneben steht u. a. die jüdisch-hellenistische Texttradition der Septuaginta (LXX), der griechischen Übersetzung einer teils eigenständigen hebräischen Vorlage (ab 3. Jh. v. Chr.), die die Christen als ihr „Altes Testament“ betrachten. Die alttestamentliche und die neutestamentliche Textkritik haben daher unterschiedliche Schwerpunkte: (1) Die neutestamentliche Textkritik rekonstruiert eine 1 Vgl. hierzu und zu Kopiertechniken z. B. Parker, Introduction 151–157.

Textkritik

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älteste Fassung des Textes,2 indem sie im Vergleich der zahlreichen erhaltenen Handschriften Gemeinsamkeiten und Unterschiede filtert und bewertet. Dabei stellt sich heraus, dass nicht immer die älteste Abschrift dem Ausgangstext am nächsten steht. So hat z. B. B. Aland, ausgewiesene Textkritik-Expertin, festgestellt, dass ein sehr alter Papyrus (P46, einer der wichtigsten Textzeugen für die Paulusbriefe) mehr auf Schönschrift bedacht sei denn auf Wortsinn und deshalb einige Unschlüssigkeiten überliefert, die in jüngeren Manuskripten nicht zu finden sind.3 Deshalb hat die Textkritik Kriterien entwickelt, um den Wert eines Textes zu beurteilen, sofern alternative Überlieferungen vorliegen, z. B.:4 –– Eine Lesart gilt als umso sicherer, je besser sie von hochwertigen Textzeugen geboten wird. –– Eine schwierigere Formulierung (lectio difficilior) gilt als ursprünglicher, da man im Lauf der Zeit einen Text eher geglättet hat als ihn schwerer verständlich zu machen.5 –– Schließlich gilt die Version als ursprünglicher, aus der heraus sich die anderen schlüssig erklären lassen. Die Kriterien werden kumulativ angewandt: Je mehr Kriterien für eine Lesart sprechen, desto besser. Ein Ergebnis dieses Prozesses, also den mit der höchsten Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Ausgangstext, dazu eine Auflistung von Textzeugen und Alternativen, bieten textkritische Ausgaben des NT. (2) Die alttestamentliche Textkritik steht vor einer anderen Überlieferungslage: In der jüdischen Tradition finden sich wohl seit dem 1. Jh. ein immer genaueres Textbewusstsein und eine Vereinheitlichung, später dann die ausgeprägte „textkritische“ Arbeit der Masoreten, die den Text u. a. vokalisierten und kommentierten. V. a. die Qumran-Funde bieten jedoch u. U. alternative hebräische Texttraditionen – wie sich dort gezeigt hat, existierten sogar verschiedene Versionen nebeneinander.6 Allen voran weicht aber die LXX, eine griechische Übersetzung, teils gravierend vom masoretischen Text ab und setzt z. T. eine eigene hebräische Vorlage voraus.7 Im Zusammenspiel der Versionen (und deren Manuskripttradition) kann nun nicht nur nach einem evtl. ältest erreichbaren Text bzw. den Gründen für die jeweiligen Unterschiede gefragt werden – die alttestamentliche Textkritik ortet 2 Durch die Methode der Textkritik lässt sich zwar der älteste Ausgangstext rekonstruieren – ob dies der Urtext war, der von der ersten Hand verfasst wurde, lässt sich dadurch aber nicht garantieren (vgl. Aland, Rolle). 3 Vgl. Aland, Schreiber. 4 Vgl. z. B. Ebner / Heininger, Exegese 39–43. 5 Die lectio brevior ist mit Vorsicht zu genießen und wird deshalb hier nicht unter den „Faustregeln“ gelistet, vgl. den aufschlussreichen Beitrag von A. Taylor Farnes, The Synoptic Problem and Lec­ tio Brevior Potior. Does Brevity Suggest an Earlier Reading? International Conference „Gospel Interpretation and the Q Hypothesis, Roskilde / DK, 21.–24.06.2015. 6 Vgl. Fabry, Text 46–59. 7 Vgl. Fabry, Text 61.

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Hildegard Scherer

auch, wo LXX und masoretischer Text in ihren theologischen Konzepten voneinander abweichen; sie sucht darüber hinaus nach Lösungen, wo hebräische Wörter nicht mehr identifiziert werden können oder Verständnisprobleme auftreten (die ja bereits die Masoreten hatten). Die Auseinandersetzung mit der Textkritik schult den Blick für sprachliche Nuancen und lädt ein, sich auf die Spuren erster Lösungsversuche für textliche und theologische Schwierigkeiten in biblischen Texten zu begeben. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung Kennen –– Die Lernenden wissen um die Problematik der Tradierung antiker Texte. –– Die Lernenden kennen Ansätze textkritischer Argumentationen. Können –– Die Lernenden können präzise Textvergleiche durchführen. –– Die Lernenden können in Ansätzen textkritische Kriterien anwenden. –– Die Lernenden können die Aussagekraft und Grenzen textkritischer Argumentation benennen. Literatur zur Methode Bibelausgaben mit textkritischen Apparaten, die alternative Lesarten vermerken Biblia Hebraica Stuttgartensia, hrsg. v. K. Elliger / W. Rudolph, Stuttgart 1967/1977. Biblia Hebraica Quinta, hrsg. v. A. Schenker u. a., Stuttgart 2004 ff. Septuaginta, hrsg. v. A. Rahlfs / R. Hanhart, Stuttgart 2006. Novum Testamentum Graece, hrsg. v. Institut für Neutestamentliche Textforschung, Stuttgart 282012.

Sekundärliteratur B. Aland, Welche Rolle spielen Textkritik und Textgeschichte für das Verständnis des Neuen Testaments? Frühe Leseperspektiven, in: NTS 52 (2006) 303–318. B. Aland, Sind Schreiber früher neutestamentlicher Handschriften Interpreten des Textes?, in: Transmission and Reception: New Testament Text-Critical and Exegetical Studies (FS C. C. Osburn) (Texts and Studies III/4), Piscataway (NJ) 2006, 114–122. K. Aland / B. Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 22006.

Textkritik

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M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015. H.-J. Fabry, Der Text und seine Geschichte, in: E. Zenger / C. Frevel u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 37–66. S. Kreuzer u. a., Proseminar I. Altes Testament. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 22005. D. C. Parker, An Introduction to the New Testament Manuscripts and Their Texts, Cambridge 2008. M. Tilly, Einführung in die Septuaginta (Einführung Theologie), Darmstadt 2005. E. Tov, Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart 1997. D. Trobisch, Die 28. Auflage des Nestle-Aland. Eine Einführung, Stuttgart 2013. H. Utzschneider / S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014.

Baustein AT: Kain und Abel (Gen 4) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– (Assoziativ) Motive der Erzählung von Kain und Abel. –– Grundwissen zu MT und LXX. Einstieg Das Vorwissen der Lernenden zur Erzählung von Kain und Abel wird reaktiviert, indem z. B. anhand eines Bildes (provokativ: aus der Kinderbibel, wo viele vielleicht zum ersten Mal mit der Geschichte in Kontakt kamen) Assoziationen und Motivschritte der Erzählung gesammelt werden. Schließlich kann der Versuch unternommen werden, den Plot des ersten Geschwisterstreits so nachzuerzählen, wie er den Lernenden bekannt ist. Dieser virtuelle Text wird festgehalten, mit den biblischen Vorlagen konfrontiert und kritisch hinterfragt. Erarbeitung / Vertiefung An einem Ausschnitt aus der Erzählung von Kain und Abel, der Passage nämlich, in der der Hergang des Mordes erzählt wird (Gen 4,3–8), zeigen sich im Vergleich von masoretischem Text und Septuaginta Grundprobleme der Textkonstituierung.

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Masoretischer Text8

Septuaginta

3a

Und es geschah nach Tagen:

Und es geschah nach Tagen:

  b

Kain brachte von den Früchten der Erde  ein Geschenk   für JHWH 

Kain brachte  dem Herrn  von den Früchten der Erde  ein Opfer 

4a

und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seines Kleinviehs, und zwar von ihrem Fett,

und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seiner Schafe, und zwar von ihrem Fett,

  b

und es sah JHWH auf Abel und auf sein  Geschenk ;

und es sah Gott auf Abel und auf seine  Gaben ;

5a

und auf Kain und sein  Geschenk   sah er nicht 

auf Kain aber und auf seine  Opfer   gab er nichts 

  b

und  es brannte in Kain sehr 

und  er machte den Kain sehr traurig 

  c

und es fiel sein Gesicht.

und er fiel zusammen am Gesicht.

6a

Und JHWH sagte zu Kain:

Und Gott der Herr sagte zu Kain:

  b

Wozu brennt es in dir

Wozu wurdest du so traurig

  c

und wozu fiel dein Gesicht?

und wozu fiel dein Gesicht zusammen?

7a

Ist es nicht so: Wenn du es gut sein lässt, kannst du ertragen

Ist es nicht so: Wenn du richtig darbringst,

  b

und wenn du es nicht gut sein lässt,

aber nicht richtig zuteilst,

  c

als Anlass der Verfehlung lagert er (Abel).9

sündigst du nicht?

  d

Sei ruhig,

  e

Zu dir hin ist sein Verlangen

zu dir hin ist seine Hinwendung,

  f

und du wirst über ihn herrschen.

und du wirst ihn beherrschen.

8a

Und Kain sagte es zu Abel, seinem Bruder,

Und Kain sagte zu Abel, seinem Bruder:

  b

 Lass uns in die Ebene gehen. 

  c

und es geschah, als sie  auf dem Feld  waren,

Und es geschah, als sie  in der Ebene  waren,

  d

da erhob sich Kain gegen Abel, seinen Bruder,

da erhob sich Kain gegen Abel, seinen Bruder,

  e

und tötete ihn.

und tötete ihn.

89

8 Die Übersetzung, besonders des schwierigen V. 7, folgt Heyden, Sünde; sie kann hier nicht ausführlich diskutiert werden; zur Problematisierung vgl. Erzberger, Kain 49–52; Gertz, Variations 40–45. 9 V. 7e hat viele Fragen aufgeworfen; die These wurde vertreten, dass hier auf einen altorientalischen Dämon angespielt würde, der Menschen auflauert, und dessen Name dem hier gebrauchten hebräischen Wort für „Lagern“ nahe kommt – dieser wird als Sünden-Dämon interpretiert, so auch in der

Textkritik

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Auswerten lässt sich der Textvergleich anhand der folgenden Leitfragen: 1. Welche Unterschiede sind stilistisch begründet? Hier sind zu nennen die Differenz von Feld und Ebene (V. 8c), die keinen offensichtlichen Einfluss auf Theologie oder Erzählsituation hat, sowie die Varianz des Gottesnamens: Im MT steht das „Tetragramm“ JHWH. Aus Respekt wird dieser Name Gottes allerdings nicht ausgesprochen, sondern durch andere Bezeichnungen wie „Herr“ oder „Gott“ ersetzt.10 Dies wird sichtbar in der LXX, wo durchgängig die Funktionsbezeichnung „Herr“ steht, in V. 6a zusätzlich die generische Bezeichnung „Gott“. 2. Wie unterscheiden sich der Tathergang und die Charakterisierung Gottes und Kains? Welche Wirkung auf den Leser und die Leserin wird dadurch erzielt? Beim Tathergang fällt auf, dass im LXX-Text die Opfer / Gaben von Kain und Abel (V. 3b.4b) und die Reaktion Gottes (V. 4b.5a) begrifflich auseinandergehalten werden. Zudem wird Kain in V. 8b eine wörtliche Rede zugewiesen, mit der er seinen Bruder einlädt, mit ihm zum Ort des Mordes zu kommen. Die Reaktion Gottes auf die Brüder und ihre Gaben bezeichnet die LXX in V. 4b und 5a, anders als im MT, mit unterschiedlichen Verben. Dadurch wird die negative Reaktion auf Kains Opfer verstärkt; dessen Opfer erscheint als umso stärker zurückgewiesen. So löst Gott auch das Gefühl der Traurigkeit bei Kain aus, das im MT noch ganz im Inneren Kains entsteht. Die Gottesrede liefert schließlich ein Element, das im MT von vielen Auslegungen schmerzlich vermisst wird: eine Begründung, warum Gott sich den Gaben der Brüder gegenüber so unterschiedlich verhält. Laut LXX ist die Ursache dafür ein formaler Fehler Kains beim Opfer, den Gott als Sünde interpretiert.11 Während hier die Anknüpfungspunkte an den MT nur sehr lose erkennbar sind,12 gibt es eine gewisse Entsprechung in der Mahnung zur Ruhe: In der LXX spricht Gott einen Imperativ aus, im MT dagegen argumentiert Gott, das Geschehene zu akzeptieren, indem er Kain zwei Handlungsalternativen zur Auswahl stellt (V. 7a–c). V. 7d–f LXX sind dagegen nur schwer in Kohärenz zu bringen. Der aktive Anteil Gottes wird also in der LXX im Vergleich zum MT verstärkt; außerdem bringt Gott den Fehler des Kain und damit die Ursache für seine Zurückweisung zur Sprache, die aus der parallelen Darstellung V. 3b und 4a nicht zu ersehen waren. Während Kain13 im MT in seiner emotionalen Verfassung nach einer nicht offensichtlich begründeten Zurückweisung seiner Gabe gezeigt wird, die GottesEinheitsübersetzung: „… wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon“. Zur Kritik vgl. Janowski, Eden 143–149. Die klassische Lösung greift wieder auf Gertz, Variations 40–45. 10 Vgl. Tilly, Einführung 79 f. 11 Vgl. dazu Gertz, Variations 35 f. 12 Vgl. Kraus / Karrer, Septuaginta deutsch. Erläuterungen und Kommentare 164. 13 Vgl. die ausführliche Textdiskussion zur negativen Zeichnung Kains in der LXX bei Lohr, Abel 468–491.495 f.

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rede ausschließlich an dieser Verfassung zu arbeiten sucht und die Tat ohne genaue zeitliche Anbindung an die Gottesrede geschieht, widersetzt sich der Kain der LXX unmittelbar dem Appell Gottes, er solle ruhig bleiben, und inszeniert den vorsätzlichen Mord an seinem Bruder in der Ebene. Affektiv erscheint dieser umso unvermittelter, als nach der Gottesrede der LXX ja die Ursache für die Zurückweisung explizit bei Kain selber zu suchen ist. Somit füllt die LXX-Fassung Leerstellen, die der MT produziert, schafft aber dadurch in V. 7bc eine neue: Sie portraitiert Gott mehr als Ritualempfänger und Weisungsgeber denn als beratenden Gesprächspartner und verstärkt die negativen Züge Kains. Weiterführung Diskutiert werden kann im Anschluss, welche Entscheidungen die Herausgeber einer (Schul-/Kinder-)Bibelübersetzung treffen müssten, wenn sie diesen Text edieren. Anhand von verschiedenen Bibelausgaben, die von den Lernenden mitgebracht werden, kann dann nachvollzogen werden, welche Textvarianten jeweils abgedruckt sind und inwiefern in den Bibelausgaben solche Entscheidungen transparent gemacht werden. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Meist unbewusste Interpretations- und Überblendungsvorgänge beeinflussen unser Verständnis eines biblischen Textes: Wir sind ihm in Visualisierungen, Erzählungen, Übersetzungen begegnet. Die Konfrontation mit diesem erzählerisch offenen Text des MT, der besonders im Vergleich mit einer bereits tendenzverstärkenden Version der LXX seine Wirkung zeigt, regt an, ins theologische Reflektieren zu kommen: Welche Frage will diese eindrückliche Geschwistergeschichte eigentlich beantworten, welche Lebenserfahrung spiegelt sich in ihr, und welche Fragen wirft sie schließlich auf? Literatur zur Textstelle Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von W. Kraus / M. Karrer, Stuttgart 2009. J. Erzberger, Kain, Abel und Israel. Die Rezeption von Gen 4,1–16 in rabbinischen Midraschim (BWANT 192), Stuttgart 2011. J. C. Gertz, Variations autour du récit du Caïn et Abel, in: RHPR 94 (2014) 27–50. K. Heyden, Die Sünde Kains. Exegetische Beobachtungen zu Gen 4,1–16, in: BN 118 (2003) 85–109. B. Janowski, Jenseits von Eden. Gen 4,1–16 und die nichtpriesterschriftliche Urgeschichte, in: H. Lichtenberger / A. Lange / K. F. D. Römheld (Hrsg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 137–159.

Textkritik

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W. Kraus / M. Karrer (Hrsg.), Septuaginta deutsch. Erläuterungen und Kommentare, Bd. 1: Genesis – Makkabäer, Stuttgart 2011. J. N. Lohr, Righteous Abel, Wicked Cain. Genesis 4:1–16 in the Masoretic Text, the Septuagint, and the New Testament, in: CBQ 71 (2009) 485–496.

Baustein NT: Der „kleine Unterschied“: ein weiblicher Apostel? Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– Im Idealfall: das griechische Alphabet. –– Grammatische Grundbegriffe. –– Grundwissen zu den Quellen: Neues Testament – altkirchliche Übersetzungen des NT – altkirchliche Literatur. Einstieg Im 16. Kapitel des Römerbriefs schreibt Paulus eine ganze Reihe von Grüßen an Personen nieder, die er gut kennt oder die sich besonders für die Gemeinde engagieren. Je nachdem, welche Bibel aufgeschlagen wird, findet sich dabei aber ein erstaunlicher „kleiner Unterschied“ in V. 7, den die Lernenden im Textvergleich feststellen können: Einheitsübersetzung:14 Grüßt Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie sind angesehene Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt. Lutherbibel:15 Grüßt Andronikus und Junias, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und schon vor mir Christen waren. King James Version:16 Salute Andronicus and Junia, my kinsmen, and my fellow prisoners, who are of note among the apostles, who also were in Christ before me. Münchener Neues Testament:17 Grüßt Andronikos und Junia, meine Volksgenossen und meine Mitgefangenen, welche ausgezeichnet sind unter den Aposteln, die auch vor mir gewesen sind in Christos. 14 Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980 (die revidierte Einheitsübersetzung wie auch die Neufassung der Lutherübersetzung lagen bei Erstellung dieses Kapitels noch nicht vor). 15 Die Bibel nach Martin Luther, revidierter Text 1984, Stuttgart 1985. 16 Verbreitete englischsprachige Bibelübersetzung aus dem 17. Jh. 17 Münchener Neues Testament. Studienübersetzung, hrsg. v. J. Hainz, Düsseldorf 82007.

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Die ersten beiden Übersetzungen halten „Junias“ offensichtlich für einen Mann, die anderen für eine Frau. Besonders brisant ist dies, weil die Person wie auch Andronikus als „Apostel“, sogar als angesehene/r, bezeichnet wird. Wer hat aber recht? Ein Blick in die Textgeschichte hilft …

Erarbeitung / Vertiefung Zunächst werden die Arbeitsübersetzungen des Verses Röm 16,7, wie er in drei verschiedenen antiken Handschriften überliefert ist, verglichen.18 P46 ist der älteste der drei Textzeugen, ein Papyrus, entstanden wahrscheinlich um 200 n. Chr. Der Codex Sinaiticus (a) ist nach seinem Fundort, dem Katharinenkloster im Sinai, benannt, die Pergamenthandschrift der vollständigen Bibel stammt aus dem 4. Jh; der Codex Alexandrinus (A) stammt aus dem 5. Jh.19 P46 (Chester Beatty Papyri)

a 01 (Codex Sinaiticus)

A 02 (Codex Alexandrinus)

Grüßt Andronikus und Julia (IOULIAN),

Grüßt Andronikus und Junia / Junias (IOUNIAN),20

Grüßt Andronikus und Junia / Junias (IOUNIAN),

b die zu meinem Volk gehören(,)

die zu meinem Volk gehören

die zu meinem Volk gehören

c und (diejenigen,) die21 meine Mitgefangenen waren,

und meine Mitgefangenen waren,

und meine Mitgefangenen waren,

d jene ragen unter den Aposteln hervor,

jene ragen unter den Aposteln hervor

jene ragen unter den Aposteln hervor

e er22 kam schon vor mir zu Christus.

[Lücke] und kamen schon vor mir zu Christus.

und sie kamen schon vor mir zu Christus.

7a

202122

18 Gewiss sind weder die hier vorgeschlagene Methode der Mini-Handschriftenkollation noch das Beispiel Röm 16,7 originell, vgl. Ebner / Heininger, Exegese 25–29.44–50. 19 Vgl. z. B. Ebner / Heininger, Exegese 36. 20 Diese Übersetzungsalternative ist allein vom Text her im Griechischen nicht entscheidbar: Einen Hinweis könnte die Akzentuierung bieten – die jedoch in den ursprünglichen Fassungen der beiden Codices fehlt: Majuskelhandschriften sind weder mit Satz- noch mit diakritischen Zeichen versehen. Dazu aber ausführlich in der folgenden Diskussion. 21 Hinter dieser Variante könnte gelesen werden: „Grüßt Andronikus und Julia (…) und (grüßt eine zweite Gruppe, nämlich) diejenigen, die meine Mitgefangenen waren (…)“ – damit wäre der Aposteltitel von Andronikus und Julia auf die Gruppe der Mitgefangenen übergegangen. Diese Lesart ist zum einen sehr schlecht bezeugt, zum anderen wäre es im Kontext der gesamten Grußliste naheliegender, vor jeder neu benannten Gruppe auch den Imperativ „Grüßt“ zu erwarten. 22 Hier steht die 3. Pers. Maskulinum Singular. Da sich für diese Form kein sinnvoller Bezug herstellen lässt, muss es sich um einen Fehler handeln.

Textkritik

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Nach einem Textvergleich mit Markierung der Unterschiede erhalten Kleingruppen die Aufgabe, eine These zu erstellen und zu diskutieren: –– Welche Lesart des Verses ist die ursprünglichere? Wägen Sie dabei gegeneinander ab: das Kriterium der besten Bezeugung und der schwierigeren Lesart. –– Wenn Sie sich für eine ursprüngliche Lesart entscheiden, wie lassen sich dann die Fehler der anderen Manuskripte schlüssig erklären? Die Thesen werden im Plenum diskutiert. Dabei können folgende Argumente vorgebracht werden: –– P46 ist die älteste Handschrift. In ihr ist eine weibliche Form überliefert. –– Die von zwei hochwertigen Handschriften vertretene und damit besser bezeugte Form des Namens lautet „Junia/s“. Dies spricht gegen „Julia“. Zudem ist „Julia“ der gebräuchlichere Vorname, was die schwierigere Lesart „Junia/s“ nahelegt. –– P46 ist eindeutig, indem er, vielleicht auch aufgrund eines Hörfehlers, den gebräuchlichen Namen „Julia“ eingefügt hat. Da er auch im V. 7e eine einmalige und grammatisch nicht schlüssige Formulierung hat, gehört er jedoch an dieser Stelle nicht zu den zuverlässigsten Textzeugen. Fazit: Der ursprüngliche Text heißt mit großer Wahrscheinlichkeit „Grüßt Andronikus und Junia / Junias“. Dies bestätigt auch die textkritische Ausgabe des Neuen Testaments.23 Die Ausgangslage hält wegen der Akkusativformulierung beide Möglichkeiten offen; die Frage nach dem „kleinen Unterschied“ ist aufgrund des Textbefundes allein nicht entscheidbar, jedoch tendiert sie – wenn wir nur diese drei Manuskripte vergleichen – zur weiblichen Form. Mit einem so offenen Entweder-Oder werden sich die Lernenden und die Forschung aber nicht zufrieden geben: In den Bibelübersetzungen, bei der Lesung im Gottesdienst muss dem Publikum gegenüber einer Version der Vorzug gegeben werden – und dies mit plausibler Begründung. Schließlich handelt es sich aufs erste Hören um eine brisante Stelle, läge hier doch die im NT einmalige lobende Bezeichnung einer Frau als „Apostel“ vor.24 Um in der Frage nach Junia oder Junias weiterzukommen, benötigen wir also weitere Informationen aus der Text- und Interpretationsgeschichte. Über unsere drei Beispieltexte hinaus hat die Forschung noch mehr Indizien gesammelt,25 die 23 In Seminaren, die auf griechischer Textgrundlage arbeiten, bietet es sich hier an, die Funktion und die Siglen eines textkritischen Apparates vorzustellen. Wer nicht mit den Originalsprachen arbeitet, dem helfen in der Frage der Textkritik nur ausführliche Kommentare zur Stelle weiter. 24 Die o. g. Übersetzungen legen auf den ersten Blick nahe, dass das genannte Paar Teil der Apostelgruppe ist. Auch hier hat es allerdings eine Forschungsdiskussion gegeben: ob die beiden nicht vielmehr bei den Aposteln angesehen wären. Dies kann im Rahmen der Textkritik nicht ausführlich diskutiert werden, jedoch ist die Übersetzung unter den Aposteln im antiken Sprachgebrauch nicht ungewöhnlich (vgl. skeptisch D. Huttar, Did Paul Call Andronicus an Apostle in Romans 16:7, in: JETS 52 [2009] 747–778; befürwortend Belleville, Reexamination 242–248, mit zahlreichen Beispielen, die Huttar allerdings nicht konsultiert zu haben scheint). 25 Vgl. Epp, Junia; Epp, Variants.

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die Leitung am besten im Vortrag präsentiert. Doch um die Argumentation verstehen zu können, ist ggf. zuerst eine Vergewisserung über die philologischen Hintergründe notwendig. Der unakzentuierte Name IOUNIAN steht im griechischen Akkusativ. Zwei verschiedene Betonungen (bzw. Akzentsetzungen) sind möglich, denen unterschiedliche Nominative zugrunde liegen. Über sie lassen sich nach bisherigem Forschungsstand folgende Informationen erheben:262728 Akkusativ

Ἰουνίαν

Ἰουνιᾶν

Manuskripte mit Akzentsetzung

einhellig bezeugt (neben Ἰουλίαν)

nicht bezeugt

Nominativ

Ἰουνία

Ἰουνίας

Ἰουνιᾶς

Genus

Femininum

Maskulinum

Maskulinum

Onomastischer Befund

Häufig (lat. Iunia)

Als Männername nicht bezeugt

Nicht bezeugt

Griechisch für hebr. Yehunnias27

Außergewöhnliche gr. Kurzform von Iunianus o. ä. (regelmäßige Bildung: Ἰούνιος, Ἰουνᾶς)

Ableitungsversuch

Alte Übersetzungen

It, vg: Iuniam o. Iuliam bo, aeth: Julia sa, syr: Junia fem.

Vg Codex Reginensis (8. Jh.): Iulium

Rezeptions­ geschichte28

Grammatisches Femininum: Orig., Comm in Rom X 26; 39,3 (Hammond Bammel), zititiert bei Rabanus Maurus, Comm in Rom (PL111, 1607 f.);

(Ps.?)-Epiph., Index LXX discipulorum (Schermann 125,19 f.): Ἰουνίας als Bischof von Apamaea; ebd. 17 f.: „Priskas“ (vgl. Röm 16,3: Priska) als Bischof von Kolophon. 2 Manuskripte (12. Jh.) von Rufins lat. Übersetzung von Orig., Comm in Rom; Aegidius v. Rom (1245–1316), Comm in Rom 97 (Bladus): viri M. Luther, dt. NT (1522): „den Andronicon

26 Daten nach Epp, Junia 23–52; Belleville, Reexamination 234–242; Arzt-Grabner, Junia. 27 So Wolters, Hebrew Name. 28 Die ausführliche Aufstellung von altkirchlichen und mittelalterlichen Belegen zur femininen Form in Fitzmyer, Romans 737 f., bedarf einer Überprüfung v. a. bezüglich Spuria (vgl. CPL/CPG zu Hie­ ronymus, Exp in Rom; Johannes v. Damaskus, Comm in Rom) und bezüglich der Fälle, in denen das Genus explizit thematisiert wird! Ich beschränke mich auf eine Auswahl klarer Bezüge, in denen ein Verständnis als Femininum / Maskulinum m. E. über die Akzentsetzungsfrage hinaus deutlich wird.

Textkritik

Ambrosiaster, Comm in Rom 16,7 (CSEL 81,480)

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und den Junian“ NA von 1927–1998

Genderthematisie­ rung: Johannes Chrysostomos, In Rom 31,2 (PG 60,669 f.): „Frau“, würdig „des Titels der Apostel“; Hatto, Comm in Rom 16,7 (PL 134,282): „Ehefrau“; zu den 72 nach Lk 10,1 Ausgesandten gehörig.

Wie lassen sich nun mit Hilfe der textkritischen Daten die Möglichkeiten beurteilen? –– Die eindeutig männliche Form Ἰουνιᾶς hat eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit: Keine Bibelhandschrift schreibt so; kein antiker Mann diesen Namens ist uns bekannt; als Abkürzung wäre diese Namensform ungewöhnlich. –– Ein männlicher Ἰουνίας steht in Sachen Abkürzung und Onomastik vor dem gleichen Befund, wenn nicht eine Gräzisierung eines hebräischen Namens postuliert wird. Mit dem Akzentbefund der Handschriften ist er vereinbar. Zudem setzen wenige antike bzw. mittelalterliche Ausnahmen ein maskulines Verständnis des Namens explizit voraus. –– Ἰουνίαν ist nach Auskunft von Onomastik, Übersetzungen und Kirchenvätern von einer wesentlich höheren Zahl von Rezipienten als Frauenname verstanden worden – doch muss er deshalb auch so gemeint gewesen sein? –– Fazit: Wir können einen Männernamen aufgrund des textkritischen Befunds und der Rezeptionsgeschichte nicht mit Sicherheit ausschließen. Doch ist diese Annahme voraussetzungsreicher als die eines Frauennamens: Der Name existiert bisher nur hypothetisch, und die Mehrheit von Übersetzern müsste ihn missdeutet haben. V. a. aber die Rezipienten können ohne Weiteres eine weibliche Junia verstanden haben – und nichts deutet darauf hin, dass man in der Antike Anstrengungen unternommen hätte, um ein dermaßen auf der Hand liegendes Verständnis auszuschließen – die Frage wird schlicht nicht thematisiert.29 Im Gegenteil: Offensichtlich gibt es prominente christliche Stimmen, vor allem aus der frühen Tradition, die sich eine klar weibliche „Apostelin Junia / Julia“ problemlos vorstellen konnten – angefangen vom Verfasser unseres ältesten 29 Vgl. Arzt-Grabner, Junia 243.

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Textzeugen P46 über die Übersetzer der Bibel ins Lateinische, Koptische und Syrische bis hin zu einem Theologen wie Johannes Chrysostomos. Weiterführung Das Reservoir der textkritischen Begründung ist an dieser Stelle ausgeschöpft. Doch um die Diskussion um eine „Apostelin Junia“ abzurunden, führen folgende Beobachtungen weiter: –– Dass Paulus in Röm 16,7 an ein Ehepaar gedacht haben könnte, konvergiert mit 1 Kor 9,5: Dort erwähnt er, dass Petrus und die übrigen Apostel mit einer Frau unterwegs waren! Zudem kennt die Grußliste des Römerbriefs zwei weitere Paare: die „Mitarbeiter“ Priska und Aquila (Röm 16,3 f.; vgl. Apg 18,2) sowie Philologus und Julia (Röm 16,15). Obwohl beide Frauen wichtige Stützen der Ekklesia sind, sind sie m. W. nie in ein textkritisches Kreuzfeuer geraten. –– Der Aposteltitel ist bei Paulus keineswegs wie bei Lk auf den Zwölferkreis festgelegt, sondern wird offen angewandt – eindrücklichster Beleg dafür: Paulus bezeichnet sich selbst so (z. B. Gal 1,1 u. ö.). Somit ist auch eine „Apostelin Junia“ kein Zünglein an der Waage heutiger „Ämter“-Optionen – sondern nicht mehr und nicht weniger als ein Zeugnis für die herausragende Bedeutung entschiedener, engagierter Frauen für die christliche Bewegung. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Lernenden haben nun ein großes Repertoire an textkritischen und theologischen Begründungen durchexerziert: Eine Hundert-Prozent-Sicherheit lässt sich in der Junia-Frage – wie häufig in der Exegese – nicht gewinnen. Deshalb ist letztlich eine Entscheidung gefragt: jedoch keine beliebige, sondern eine begründete, die den möglichen Für- und Gegen-Argumenten auf den Grund geht. Wer sich eine Option zulegt, muss sie auch mit möglichst guten Gründen vertreten können. Die Junia-Debatte zeigt, dass theologische Expertise – nicht nur in Sachen Textkritik – von Nöten ist, um Forschungsdebatten zu verstehen und sich selbst positionieren zu können. Literatur zur Textstelle P. Arzt-Grabner, Junia, die rehabilitierte Apostelin. Aus der Werkstatt des Exegeten: ein textkritischer Beitrag, in: BiKi 65 (2010) 243–245. L. Belleville, A Reexamination of Romans 16.7 in Light of Primary Source Materials, in: NTS 51 (2005) 231–249. E. J. Epp, Junia. The First Woman Apostle, Minneapolis (MN) 2005. E. J. Epp, Minor Textual Variants in Rom 16:7, in: Transmission and Reception: New Testament Text-Critical and Exegetical Studies (FS C. D. Osburn) (Texts and Studies III/4), Piscataway (NJ) 2006, 123–141.

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J. A. Fitzmyer, Romans. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 33), New York (NY) 1993. A. Wolters, Ιουνιαν (Romans 16:7) and the Hebrew Name Yěhunnī, in: JBL 127 (2008) 397– 408.

Ertrag zur Methode Die Beschäftigung mit der Textkritik motiviert dazu, genau hinzusehen bei den biblischen Texten – „Kleinigkeiten“ können weite theologische und exegetische Kreise ziehen. Nicht nur der biblische Text in seiner Überlieferung braucht deshalb den kritischen Blick, sondern – und dazu kann die Methode motivieren – auch jede exegetische Entscheidung. Darüber hinaus zeigt die Beschäftigung mit der Textkritik Grundsätzliches zur Wissenschaft Exegese: Manche Phänomene lassen sich nicht mit einem einzelnen, schlagkräftigen Beweis lösen – wir werden nie eine eigene Handschrift des Paulus mit den entsprechenden Akzentuierungen geschweige denn Verständnisanleitungen finden. Deshalb gilt es, das Für und Wider genau abzuwägen und schließlich eine Entscheidung aufgrund von Plausibilität zu fällen: Welche Erklärung kann die gesammelten Daten am besten, vollständig und widerspruchsfrei integrieren? Diese Hermeneutik werden Exegetinnen und Exegeten noch öfters brauchen können, z. B. bei der synoptischen Frage oder bei Entscheidungen über den historischen Jesus. Weitere Ideen Das Skriptorium Um die Probleme bei der handschriftlichen Tradierung und Übersetzung von Texten deutlich zu machen, werden die Lernenden motiviert, sich in die Rollen von antiken Schreibern zu versetzen. Dann bekommen drei Gruppen unterschiedliche Übungsaufträge: –– In einer Gruppe werden Paare gebildet, von denen jeweils einer einen vorgegebenen Text ins Englische übersetzt, ihn an seinen Partner weitergibt und dieser ihn in Unkenntnis des Ausgangstextes rückübersetzt, z. B. 1 Sam 1,7 f. –– Eine zweite Gruppe erhält den Auftrag, einen deutschen Fließtext abzuschreiben, unter Zeitdruck und von z. T. beschädigten Textblättern, z. B. 1 Sam 1,9–15b. –– Eine dritte Gruppe erhält den Auftrag, aus der Interlinearübersetzung des ATs abzuschreiben, z. B. 1 Sam 1,15c–18a. Die Schwierigkeiten dabei sind die wortwörtliche Übersetzung sowie die Leserichtung von rechts nach links. Anschließend werden die Verse vorgelesen und dann mit dem Original verglichen. So erschließen sich die Fehlerquellen, die sich während eines Tradierungs- und Übersetzungsprozesses einschleichen können.

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Ps 58 Ps 58, den man als sperrigen Rachepsalm lesen kann, ist nicht nur theologisch eine harte Nuss – an ihm wird auch deutlich, wie sehr Interpreten überhaupt damit ringen, dem masoretischen Text einen Sinn abzugewinnen, und wie unterschiedlich der exegetische Interpretationsspielraum genutzt wird. Dies zeigt sich in den Übersetzungen, in denen der Psalm umläuft. Zum Einstieg empfiehlt sich ein Vergleich von Einheitsübersetzung30 und der Übersetzung von M. Buber / F. Rosenzweig („Die Bücher der Kündung“),31 bei dem folgende Abweichungen auffallen: Einheitsübersetzung

Buber-Rosenzweig

V. 2

Sprecht ihr wirklich Recht, ihr Mächtigen?

Treulich: redet ihr, Gottwesen, Wahrspruch?

V. 8

… wie Gras, das verwelkt auf dem Weg

… Spanne der nur, wie gekappt sind seine Pfeile

V. 10

Ehe eure Töpfe das Feuer des Dornstrauchs spüren …

Eh sies merken, eure Stacheln des Wegdorns

Nun kann in der Lerngruppe die Frage erschlossen werden, wie nun solche grundverschiedenen Übersetzungen zustande kommen. Das hat wenig mit Inkompetenz oder theologischer Willkür zu tun, sondern mit einem Phänomen der hebräischen Sprache. Dort werden nämlich ursprünglich nur die Konsonanten eines Wortes aufgeschrieben. Muttersprachliche Leserinnen und Leser können die Vokale dem Sinn gemäß automatisch ergänzen. Doch bisweilen sind unterschiedliche Vokalisierungen möglich, die verschiedene Sinne ergeben. Außerdem: Ist ein Konsonant im Manuskript unklar, multipliziert dies die Deutungsmöglichkeiten, so dass man auch den überlieferten masoretischen Text nochmals hinterfragen kann, wenn Verständnisschwierigkeiten auftreten. So wird bisweilen versucht, eine unklare Stelle zu „verbessern“, indem man den ursprünglichen Text als „verderbt“ erklärt und Konjekturen (Veränderungen von Buchstaben oder Wörter auch unabhängig von belegten Manuskripten) einfügt. So verhält es sich auch im Ps 58: –– V. 2: In der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) ist eine eventuelle alternative Lesart angegeben, die statt des unklaren ‫ אלם‬/ „Verstummung“ ‫ אלים‬/ „Götter“ liest – dies führt zur Buber / Rosenzweig-Variante; in der Einheitsübersetzung wurden die „Götter“ als ironische Bezeichnung für Mächtige verstanden. –– V. 8: Der wörtlich übersetzte hebräische Text, wie er durch die Masoreten überliefert wurde, lautet: „Er trete seine Pfeile – als seien sie gekappt“. Die Schwierig30 Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980. 31 Bücher der Kündung, verdeutscht von M. Buber / F. Rosenzweig, Gerlingen 1958.

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keit dieses Satzes, die Buber / Rosenzweig noch beizubehalten versuchen, wird in der Einheitsübersetzung „verbessert“: „Kappen / Abhauen“ (‫ )מלל‬kann in einer zweiten Bedeutung auch „verdorren“ heißen. Dann wird aus den „Pfeilen“ (‫)חציו‬ „Gras“ (‫)חציר‬, aus dem Verb „treten“ (‫ )ידרך‬wird die Adverbiale „auf dem Weg“ (‫)בדרך‬ – „sie verdorren wie das Gras auf dem Weg“. –– V. 10: Das Nomen ‫ סיר‬hat zwei Bedeutungen: Topf oder Dorn. Die Einheitsübersetzung versucht dem einen Sinn abzugewinnen, indem sie vom „Feuer“ des Dornstrauchs spricht: Obwohl es nicht im hebräischen Text vorhanden ist, wird das Wort „Feuer“ eingesetzt, um zu verdeutlichen, wie ein „Topf “ einen „Dornstrauch“ zu spüren bekommen kann. Die Arbeit an Ps 58 wird so zum eindrücklichen Plädoyer für eine Arbeit am hebräischen Text und ein kritisches Verhältnis zu Bibelübersetzungen, deren Entscheidungen man durch exegetische Schulung zumindest nachvollziehen können sollte. Ebenso weist diese Einheit angehende theologische Profis auf einen typischen „Sitz im Leben“ der Textkritik (und Übersetzungskritik) hin, für den man gewappnet sein sollte, nämlich Bibelarbeit in einer Gruppe, in der die Teilnehmenden je unterschiedliche Bibeln konsultieren und u. U. auf ähnliche Diskrepanzen stoßen. Literatur zum Text F. L. Hossfeld, Psalm 58, in: Ders. / E. Zenger, Psalmen 51–100 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2000, 131–140. H.-J. Kraus, Psalmen, Bd. 1: Psalmen 1–59 (BK XV/1), Neukirchen-Vluyn 51978. P. Krawczack, „Es gibt einen Gott, der Richter ist auf Erden!“ (Ps 58,12b). Ein exegetischer Beitrag zum Verständnis von Psalm 58 (BBB 132), Berlin 2001.

Textabgrenzung und Kontexteinordnung Hanna-Maria Mehring

Hinführung zur Methode Die Texte der Bibel sind über Jahrhunderte über Abschriften tradiert worden. Zunächst auf (Papyrus-)Rollen, ab dem 2./3. Jahrhundert in Form des (Pergament-)Kodex, wurden diese Texte immer wieder abgeschrieben und auf diese Weise weitergegeben. Die biblischen Autoren kannten jedoch weder Kapitel- noch Verseinteilung. Im Judentum nahmen ab dem 7. Jh. die Masoreten die Sicherung des Textes durch Fixierung der Vokalisation und die Setzung von Akzentzeichen vor. Erst im 13. Jahrhundert führte der spätere Erzbischof von Canterbury, Stephan Langton, die heutige Kapiteleinteilung der biblischen Schriften für die Herausgabe der Vulgata, der lateinischen Bibelausgabe, ein. Die Einteilung der biblischen Schriften in Verse erfolgte sogar erst im 16. Jahrhundert und geht auf die Druckausgaben des Druckers und Verlegers Robert Estienne zurück. Da die Kapitel- und Verseinteilungen der Bibel sekundär sind, gilt es, diese kritisch zu überprüfen und den biblischen Text auf seine ihm eigenen Sinnabschnitte zu untersuchen. Dieser Analyseschritt erfolgt anhand spezifischer Kriterien zur Gliederung eines (Gesamt-)Textes. Gegebenenfalls kann und muss auch eine andere, von der Kapitel- und Verseinteilung abweichende Textabgrenzungsentscheidung vorgenommen werden. Die Textabgrenzung ähnelt in ihrer Frageperspektive derjenigen der → Literarkritik oder der → Analyse von Gliederung und Komposition, denn sie überprüft das zu gliedernde Textkorpus auf Wechsel in der Narration (Figureninventar), Syntax (Einleitung, Schlusspassagen) und Semantik (Themenwechsel, Stichwortwechsel). Sie verbleibt dabei jedoch im Gegensatz zur Literarkritik auf der synchronen Ebene. Die Literarkritik fragt auch nach Brüchen im Text, führt diese aber auf die Kombination unterschiedlicher Quellen zurück und versucht diese zu rekonstruieren. Die Ergebnisse der Textabgrenzung können daher auch auf Wachstumsprozesse im Text hinweisen und mit literarkritischen Entscheidungen verbunden sein. Die Methode der Textabgrenzung sucht dabei nach Kohärenzmarkern im Text, d. h. sie achtet auf seine sprachlich-syntaktische,

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seine semantische und seine narrative Einheitlichkeit und prüft diese auch „negativ“ – achtet also auf „Brüche“ und Zäsuren, d. h. auf Textdetails, die die Kohärenz unterbrechen. Ich möchte die Kriterien für die Textabgrenzung, die je nach Textgattung unterschiedlich sind, exemplarisch an der Gattung der erzählenden Literatur aufzeigen. Für die erzählende Literatur sind Gliederungsmerkmale auf drei Ebenen, der szenischen, der metakommunikativen und der sprachlich-formalen Ebene, relevant. Im Rahmen der Abgrenzung eines Einzeltextes von seinem Kontext geben die szenischen Gliederungsmerkmale die markantesten Kriterien ab. Anzeichen für Zäsuren im Text sind daher ähnliche Merkmale wie in der Dramenliteratur: Personenwechsel, Ortswechsel, neue Zeitangaben. Weitere Merkmale stellen Themenwechsel und Argumentationseinschnitte oder ein Wechsel der Gattung dar.1 Auf der metakommunikativen Ebene sind für die Abgrenzung der einzelnen Sinnabschnitte eines Textes die im Text auftretenden direkten Lesehinweise des Autors, mit denen er die Leserichtung seines Adressaten lenkt, wesentlich. Zu dieser zweiten Analysekategorie zählen metakommunikative Sätze, die direkt die Kommunikation zwischen Autor und Leser thematisieren, sowie die Substitution auf der Metaebene, d. i. die Thematisierung eines vorangehenden oder nachfolgenden Teiltextes und Charakterisierung durch einen abstrahierenden Ausdruck. Als dritte Analysekategorie sind die Kriterien auf der sprachlich-formalen Ebene zu nennen, die den jeweiligen Sinnabschnitt auf der Oberflächenstruktur des Textes bereits als eigenständige Einheit erkennbar machen. Sichtbarstes Zeichen für eine einheitliche Sinneinheit sind hier die dem Text selbst zugrundeliegenden Gliederungsmerkmale wie seine Strukturierung über Chiasmen und Parallelismen, vor allem aber auch über seine Rahmungen bzw. Inklusionen (→ Analyse von Gliederung und Komposition). Auf der syntaktischen Ebene sind hier besonders die Satzkonjunktionen zu beachten, die eine logische Beziehung zwischen den einzelnen Satzteilen herstellen, sowie Pronomen und Wiederholungen, die den Text zu einem (logischen) kohärenten Ganzen machen. Häufig kennzeichnen formelhafte Einleitungs- oder Schlusspassagen explizit den Anfang bzw. das Ende eines Textabschnitts. So beginnt Lukas mehrfach eine neue Texteinheit mit „und dies geschah“ (2,1; 3,2). Als Ausleitungen werden verallgemeinernde Aussagen, Summarien oder Chorschlüsse verwendet. Merkmale für das Vorliegen zweier voneinander abzugrenzender Einzeltexte sind auf der formalen sprachlichen Ebene ein Wechsel des Wortschatzes oder Stilwechsel. Eng verbunden mit diesen Fragen der Textabgrenzung ist der Schritt der Einordnung der jeweiligen Perikope in ihren unmittelbaren Kontext und in den Makrokontext. Daher wird die Textabgrenzung sogleich um den Aspekt der Einordnung in den unmittelbaren sowie den übergeordneten literarischen Kontext erweitert. Die Einordnung einer abgegrenzten Texteinheit in ihren Kontext kann freilich 1 Vgl. Söding, Wege 120.

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erst als zweiter Schritt nach der Textabgrenzung näher in den Blick genommen werden. Die folgenden Fragen leiten die Erfassung des unmittelbaren Kontextes eines Erzähltextes: Welchen Stand hat die Erzählung, Darstellung oder Argumentation zu Beginn des zu untersuchenden Textes erreicht? Hierbei sind dann vor allem vorausgehende Ereignisse, Zeit und Ort, beteiligte Personen zu beachten, Stichwortverbindungen und thematische Zusammenhänge in den Blick zu nehmen und offene Fragen, ungeklärte Konflikte, unvollendete Handlungen innerhalb der Erzählung als Hintergrund für die Analyse der abgegrenzten Sinneinheit mit einzubeziehen. Ebenso müssen für die Einordnung in Hinblick auf den nachfolgenden Text die Leitfragen gestellt werden: Wie setzt sich der Text fort? Was für Ereignisse schließen sich an? Auch das Auftreten neuer Fragen, neuer Konflikte, neuer Handlungen durch den zu untersuchenden Text oder die Weiterentwicklung der bekannten Vorgaben ist zu berücksichtigen. Welche Stellung nimmt der Text in seinem unmittelbaren Kontext ein: Höhepunkt, Markierung eines Bruchs, Fortsetzung eines Gedankengangs? Die Einordnung in den Makrokontext einer Ganzschrift meint die Bestimmung des Standortes und des Stellenwertes eines Teiltextes und die Herausarbeitung der Verbindungslinien zwischen Einzeltext und Gesamtkontext. Zunächst ist zu klären, welcher größeren Untereinheit der Gesamtschrift der Text angehört und welchen Stand die Erzählung erreicht hat. Auf syntaktischer Ebene beinhaltet die Einordnung in den Makrokontext zudem die Suche nach Stichwortverbindungen und logischen Verknüpfungen. Auf der strukturellen Ebene ist auf Vor-, Rück- und Querverweise zu achten sowie auf Argumentationsketten, erzählerische Ereigniszusammenhänge, Spannungsbögen und Personenkonstellationen. Auf der semantischen Ebene geben Motivwiederholungen und -variationen sowie thematische Wiederaufnahmen Hinweise für eine Einordnung in die Ganzschrift.2 Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden erkennen die Notwendigkeit der Textabgrenzung. –– Die Lernenden werden vertraut gemacht mit den Kriterien für eine Textabgrenzung. –– Sie können einen Text begründet abgrenzen und in seinen literarischen Kontext einordnen. –– Sie haben Einsicht in die Unsicherheit der (Kapitel- und Vers-)Gliederung der Bibelausgaben trotz faktischer Normativität.

2 Vgl. insgesamt Söding, Wege 121–125.

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Literatur zur Methode W. Egger / P. Wick, Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen (Grundlagen Theologie), Freiburg i. Br. 62011, 81–83. T. Söding, Wege der Schriftauslegung. Methodenbuch zum Neuen Testament, Freiburg i. Br. 1998, 117–127.

Baustein AT: „Im Anfang war?“ – Eine Umfangsbestimmung der zweiten Schöpfungserzählung

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Einleitungswissen zum Aufbau des Pentateuch und zur Grobstruktur des Buches Genesis ist vorhanden. –– Gen 3–5 wurden bereits vorbereitend gelesen. –– Alle Lernenden verfügen über eine mit einem kritischen Übersetzungsapparat ausgestattete Eberfelder Studienbibel. Einstieg Wie überprüfe ich die vorliegende Abgrenzung einzelner Perikopen und die vorgenommene Kapiteleinteilung des biblischen Textes und was sind meine Kriterien dafür? Für die Erarbeitung der Textabgrenzungskriterien eignet sich eine Zusammenstellung des Beginns des Märchens „Die Sterntaler“ und des Beginns von „Rotkäppchen“.3 Die Studierenden erhalten dazu ein Arbeitsblatt auf dem die ersten Abschnitte der beiden Märchen unmittelbar hintereinander abgedruckt sind. Sie sollen die beiden Märchentexte anhand folgender Leitfragen voneinander abgrenzen: Wie lässt sich die Abgrenzung unterschiedlicher Märchen vornehmen? Nach welchen Kriterien sind Sie vorgegangen? Gibt es Parallelen auf der kompositorischen Ebene der Märchentextausschnitte? Das prägnanteste Kriterium für die Festlegung des Beginns des zweiten Märchens „Rotkäppchen“ ist die stereotype Märcheneinleitungsformel „Es war einmal“. Neben diesem syntaktischen Gliederungsmerkmal spielen hier auch die wichtigsten szenischen Gliederungsmerkmale eine Rolle: Es findet ein Wechsel der (Haupt-)Figur sowie ein Wechsel des Ortes (Feld, Dorf) statt. Zudem weisen die Einleitungspassagen strukturelle Parallelen auf der kompositorischen Ebene 3 Vgl. zu Sterntaler: H. Rölleke, Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage (1837) (Bibliothek deutscher Klassiker 5), Frankfurt a. M. 1985, 590 f.; vgl. zu Rotkäppchen ebd. 133–137.

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auf. Die Märchen beginnen beide mit der gleichen Einleitungsformel, mit der die Hauptfigur eingeführt wird. Die Beschreibung ihres familiären Kontextes (verwaist bzw. Großmutter / Mutter) und des damit verbundenen sozialen Status (arm bzw. reich beschenkt) und die Nennung von spezifischen Charakteristika des Mädchens (gut und fromm, rote Samtkappe) charakterisiert die Hauptfiguren sodann weiter. Das jeweilige Mädchen vollzieht einen Ortswechsel: Es erhält den Auftrag, zur Großmutter zu gehen, bzw. es geht hinaus aufs Feld. Nachdem ein Ortswechsel (Feld bzw. Wald) erfolgt ist, treibt das Auftreten neuer Figuren (Mann bzw. Wolf) die Handlung voran. Über diese Ähnlichkeiten in der Komposition können die beiden Märchenanfänge zugleich auf der sprachlich-formalen Ebene als jeweils abzugrenzende eigenständige Texteinheit erfasst werden. Die Gruppe hält die möglichen Kriterien für die Textabgrenzung an der Tafel fest. Diese Ergebnissicherung dient dann im weiteren Verlauf der Sitzung gerade in Hinblick auf die kompositorischen Gliederungskriterien als Grundlage für die Textabgrenzung zwischen erstem und zweitem Schöpfungstext. Erarbeitung / Vertiefung Die Erarbeitung der Textabgrenzung innerhalb von Gen 1–5 erfolgt mittels der „Lernstopp“-Methode,4 d. h. die Impulse der Leitung wechseln sich ab mit kurzen an die Lerngruppe gerichteten Aufgaben, mit denen die Lernenden sich die Impulse aneignen und weiterführen können. Alle folgenden Ausführungen zu den von der Seminarleitung zu referierenden Inhalten sind dabei als Orientierung zu verstehen; sie können und müssen nach Bedarf gekürzt werden. Die „Lernstopps“ erstrecken sich jeweils nur über wenige Minuten, in denen die Studierenden eigene Überlegungen anstellen und ihre Gedanken vor der Gruppe äußern können. Anschließend greift die Leitung die von der Gruppe geäußerten Ideen im nächsten Abschnitt des Vortrags wieder auf. Impuls Nr. 1: Die Leitung weist die Lernenden darauf hin, in welch geringem Umfang die ältesten Handschriften der biblischen Überlieferung Gliederungsmerkmale enthalten, die sich am Schriftbild ablesen lassen (s. o.). Lernstopp Nr. 1: Die Lernenden erhalten die Kapitel 1,1–2,25 der Genesis­ erzählung aus der Biblia Hebraica Quinta oder der Elberfelder Übersetzung ohne Kapiteleinteilung und mit durchgängiger Versnummerierung. Sie sollen den Anfang des zweiten Schöpfungstextes des Buches Genesis bestimmen. Den Lernenden kann eine Liste ausgewählter Fragen zum Auffinden von Inkohärenzen in einem Text an die Hand gegeben werden, der die zuvor in der Einstiegsphase gemein4 Vgl. dazu G. Macke / U. Hanke / P. Viehmann, Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim / Basel 22012, 229 f. Die Bezeichnung der Methode ist allerdings etwas irreführend, denn natürlich wird dabei nicht das Lernen unterbrochen, sondern nur der Vortrag der Leitung. Doch dient dies gerade dem Zweck, den Studierenden einen gelingenden Lernprozess zu ermöglichen.

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sam erarbeitete Liste von Kriterien der Textabgrenzung aufnimmt und erweitert. Gibt es im Text: –– Personenwechsel, Ortswechsel, neue Zeitangaben, –– Themenwechsel und Argumentationseinschnitte, –– Wechsel der Gattung, –– Substitution auf der Metaebene, d. i. die Thematisierung eines vorangehenden oder nachfolgenden Teiltextes und Charakterisierung durch einen abstrahierenden Ausdruck, –– Gliederungsmerkmale wie Chiasmen und Parallelismen, Rahmungen bzw. Inklusionen, –– Satzkonjunktionen, Pronomen, Wiederholungen, die den Text zu einem (logischen) kohärenten Ganzen machen, –– formelhafte Einleitungspassagen oder Schlusspassagen, –– Wechsel des Wortschatzes oder Stilwechsel? Mögliche Brüche und logische Inkonsequenzen können gemeinsam mit den Lernenden im Plenum gesammelt werden und von der Leitung eingeordnet werden. Impuls Nr. 2: Der Leser ist bei der Lektüre von Gen 1–2 schnell irritiert und kann leicht einen logischen Bruch zwischen Gen 1,1–2,3 und Gen 2,5–25 feststellen. Die Textabgrenzung in Gen 2,3 f. ist eines der meistdiskutierten Beispiele für literarkritische Scheidungen (→ Literarkritik) und die Frage nach der Entstehung des Pentateuchs bzw. nach den ihm zugrundeliegenden Quellen und ihrer redaktionellen Verarbeitung. Die Einordnung von Gen 2,4a als Überschrift oder Unterschrift bedingt jeweils andere literarkritische Vorannahmen und Rekonstruktionen der Entstehungsgeschichte, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann. Denn bei der Textabgrenzung geht es zuallererst um die Festlegung der im Weiteren zu untersuchenden Texteinheit. Der Schritt der Textabgrenzung verbleibt daher auf der synchronen Ebene und fragt nicht diachron nach zugrundeliegenden Quellen und Bearbeitungsschichten. Die vorgenommene Textabgrenzung kann aber durch die Ergebnisse des Methodenschritts der Literarkritik überprüft und abgesichert, im Extremfall sogar revidiert werden. Demgegenüber müssen sich auch die literarkritischen Entscheidungen durch die Ergebnisse der synchronen Textabgrenzung hinterfragen lassen. Hier stehen daher anstatt der literarkritischen die Kriterien der Textabgrenzung im Vordergrund, anhand derer die Lernenden eine Scheidung zweier Text­einheiten vornehmen sollen. Festzuhalten bleibt, dass in Gen 2,4a mit der Toledot-Formel ein Einschnitt zwischen zwei unterschiedlich charakterisierten Schöpfungstexten vorliegt.5

Während in Gen 1 die Trennung von Wasser und Land bereits vollendet und die Schaffung der Pflanzen und Tiere sowie des Menschen nach dem Bild Gottes bereits vollzogen, ja Himmel und Erde und all ihr Heer vollendet sind, ist in Gen 2,5 weder die Vegetation noch der Mensch von Gott ins Werk gesetzt. Der Text konfrontiert den Leser also mit einer anderen, noch öden Erde. Es findet ein Personenwechsel 5 Die folgende Darstellung basiert auf den Analysen von Hieke, Genealogien.

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statt: Gott ist noch nicht am Werk; die Menschen fehlen. Die Zeitangabe zu Beginn von V. 4b wirkt irritierend und wie ein Neueinsatz in einer Erzählung. Alttestamentliche und mesopotamische Erzählungen sowie sumerische Streitgespräche beginnen eine Erzählung häufiger mit einem temporalen Einleitungssatz (vgl. Gen 5,1; 6,1; 7,10). Gen 2,4b wirkt daher wie der Neuanfang einer zweiten Schöpfungserzählung. Zudem unterscheidet sich die gesamte Topographie in Gen 2,5–25 von der vorausgehenden: So pflanzt Gott einen Garten in Eden, in den er den Menschen hineinsetzt. Der Mensch als wirkmächtiges „Repräsentationsbild“6 bzw. Repräsentant Gottes ist zudem nicht mehr zum „Herrschen“ über die ganze Erde, d. h. zur Gestaltung und zum Schutz des Lebensraumes eingesetzt, sondern dafür bestimmt, den Ackerboden zu bebauen. Auch schildert der zweite Schöpfungstext die Schaffung des Menschenpaares sehr viel detaillierter und mit großer Anschaulichkeit. Im Hintergrund steht ein anthropomorphes Bild von Gott als Gärtner, der einen Garten anlegt oder wie ein König im Garten herumgeht. Den ersten Schöpfungstext kennzeichnet hingegen die Vorstellung eines transzendenten Gottes, der die Welt aus dem Land einer überschwemmten (Fluss-)Ebene schafft.7 Während der erste Schöpfungstext berichtenden Charakter hat, liegt mit dem zweiten Schöpfungstext eine mythische Erzählung vor. Im ersten Schöpfungstext sticht die Formelhaftigkeit ins Auge. Die Tagesstruktur gliedert den gesamten Abschnitt. Jedem Tag sind ein bis zwei Schöpfungswerke zugeordnet – die gesamte Schaffung von Himmel, Erde und Lebewesen umfasst sechs Tage. Am siebten Tag ruht Gott. Im Verlauf der sechs Schöpfungstage werden die geschaffenen Wesen den zuvor geschaffenen Räumen Himmel, Erde, Meer zugeordnet. Die Beschreibung der Ins-Werksetzung der einzelnen Gegenstände der Schöpfung geschieht jeweils zweiteilig: durch die Anordnung (es werde, es soll) und die Feststellung der jeweils darauf folgenden Schaffung in Entsprechung zur Anordnung, in deren Zusammenhang das handwerkliche schöpferische Tun Gottes herausgestellt wird. Folgendes Schema kann zur Veranschaulichung dienen:8 –– Redeeinleitungsformel –– Anordnung –– (Ersterschaffung) –– Entsprechungsformel –– Ausführung Gottes –– Billigungsformel –– Benennung / Segen –– Tagesformel

6 B. Janowski, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Gott und Mensch im Dialog I (FS O. Kaiser) (BZAW 345), Berlin 2004, 183–214, hier 190. 7 Vgl. Zenger / Frevel, Das priester(schrift)liche Werk (P) 193. 8 Vgl. Zenger / Frevel, Das priester(schrift)liche Werk (P) 185. Vgl. auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte 49.

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Die Wortschöpfungsformel am Anfang und die Tagesformel am Ende einer Schaffenseinheit Gottes treten regelmäßig auf.9 Die anderen Formelelemente sind nicht immer vorhanden oder wechseln die Stellung. Auf der Basis dieser festen Tagesstruktur kann 2,1–3 dem ersten Schöpfungstext eindeutig zugeordnet werden. Hier kommen die Kriterien der Komposition zum Tragen, aufgrund derer Gen 1,1–2,3 eine strukturierte Einheit bildet. Zwar fehlen für den letzten Tag die Wortschöpfungsformel sowie die Tagesformel, jedoch benennt der Text ihn als siebten Tag und markiert ihn mit der Einstellung der Schöpfungstätigkeit Gottes und der Heiligung des Tages. Inhaltlich hängt der siebte Tag mit dem ersten und vierten Tag zusammen, denn an diesen Tagen geht es um die Strukturierung von Zeit – am siebten Tag wird die Wocheneinteilung vollzogen.10 Der temporale Einleitungssatz Gen 2,4b markiert eindeutig den Beginn des zweiten Schöpfungstexts. Doch kann ein Bruch mitten in einem Vers sein? Zugleich findet sich zwischen 2,3 und 2,5 eine formelhafte Wendung, die Toledot-Formel. Welchem Schöpfungstext ist die Toledot-Formel Gen 2,4a zuzuordnen? Schaut man genauer hin, so greift 2,4a in seiner Terminologie auf Gen 1,1 zurück und bildet eine Klammer um den Abschnitt 1,1–2,3. Zudem wechselt das Lexem für „schaffen“ zwischen 4a und 4b. Himmel und Erde kommen in V. 4a und 4b in einem Chiasmus vor – einmal determiniert und einmal undeterminiert. Dieser Lexemwechsel sowie der Wechsel zwischen determiniertem und undeterminiertem Objekt kann ein Argument für die Abtrennung von 2,4a und die Zugehörigkeit zu Gen 1,1 sein, kann aber zugleich auch die Zusammengehörigkeit von 4a und 4b begründen. Denn die beiden Verben „schaffen“ und „machen“ treten häufiger in Kombination miteinander auf. Auch die chiastische Stellung von Himmel und Erde zwischen 4a und 4b ist kompositionell ein Indiz für Zusammengehörigkeit. Lernstopp Nr. 2: Die Entscheidung über die Zuordnung zum ersten oder zum zweiten Schöpfungstext kann über den Vergleich des Einsatzes der Toledot-Formel in weiteren alttestamentlichen Textstellen abgesichert werden. Die Lernenden erhalten darum nun eine Übersicht mit den Parallelstellen Gen 5,1–3 und 6,9 und dem Text zur jeweiligen Stelle aus der Biblia Hebraica Quinta oder der Elberfelder Übersetzung. Sie sollen die Toledot-Formeln sprachlich analysieren und vergleichen, wie sie jeweils eingesetzt werden. Folgende Leitfragen können als Orientierung für diese Gruppenarbeitsphase dienen: Welche sprachliche Form haben die Toledot-Formeln? Auf welchen Textteil beziehen sie sich jeweils? Welcher Inhalt wird in diesem Textteil geschildert? Wie und mit welcher Funktion werden die Toledot-Formeln eingesetzt?

  9 Odil Hannes Steck hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Formel des Geschehensvollzugs weniger den von der Anordnung zu trennenden Vollzug der Wortschöpfung als vielmehr die genaue Entsprechung zwischen Anordnung und Einlösung zum Ausdruck bringe. Vgl. Steck, Schöpfungsbericht 34 f. 10 Vgl. Zenger, Bogen 75 f.

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Im Plenum können die Lernenden die Ergebnisse der sprachlichen Analyse zusammentragen und die Funktion der Toledot-Formeln diskutieren. Impuls Nr. 3: Toledot ist die Substantivierung der Wurzel yld im H-Stamm („erzeugen“, „gebärenlassen“).11 Das Substantiv wird unterschiedlich übersetzt als Zeugungen, Geschlechterfolge, Nachkommen, Geschichte der Nachkommen. Die Formel findet im Zusammenhang mit Generationenregistern (Gen 5,1) und Ahnengeschichten (Gen 6,9) Verwendung. Bei der Toledot-Formel handelt es sich um eine Constructus-Verbindung mit Toledot als nomen regens und einem nomen rectum, welches häufig ein Personenname ist. Diese Verbindung bildet das Prädikat im Nominalsatz. Subjekt ist häufig ein Demonstrativum („Dies …“). Vergleicht man die Toledot-Formeln Gen 5,1 und 6,9 und ihre Verwendung miteinander, so zeigt sich, dass die nomina recta sich immer auf den Ahnherren, nie auf die Nachkommen beziehen. Die Toledot-Formel bezieht sich daher immer auf den nachfolgenden Text und kann allein als Einleitung eines neuen Textabschnitts fungieren.12 Auch die Toledot-Formel Gen 2,4a dient damit als Einleitung des nachfolgenden Textabschnitts, d. h. des zweiten Schöpfungstextes. In 2,4ab liegt der gleiche Aufbau, bestehend aus Toledot-Formel und Temporalsatz, wie in Gen 5,1 vor. Beide Vershälften bilden daher eine Einheit und haben die Funktion, die Geschichte der Erzeugungen des Himmels und der Erde einzuleiten. Eine kurze Rekapitulation an dieser Stelle: Gen 2,1–3 schließt innerhalb des unmittelbaren Kontextes die sechs Tage währende Schöpfung von Himmel und Erde ab. Die Bemerkung 2,4a fungiert sodann als Überleitung zum zweiten Schöpfungstext in 2,4b–25. Die Verseinheit 2,4ab leitet die Geschichte der Erzeugungen des Himmels und der Erde ein. Die Toledot-Formeln besitzen damit eine gliedernde Funktion. Lernstopp Nr. 3: Nachdem damit eine Abgrenzung des Texts erreicht wurde, wendet sich der weitere Verlauf der Erarbeitungs-Phase der Funktion des Textabschnitts im Gesamtzusammenhang zu. Nun kann sich die Seminargruppe dem Kontext von 1,1–2,3 zuwenden. Nimmt man die Toledot-Formel als Textabgrenzungskriterium und gliederndes Element ernst, so legt ihr Einsatz den Mikrokontext von Gen 1,1–2,3 fest. Die Zuordnung von 1,1–2,3 zum unmittelbar folgenden Text 2,4–4,26 sowie zum Makrokontext der Ganzschrift Genesis kann anhand der näheren Bestimmung der Funktion der Toledot-Formeln in 2,4 und 5,1 erfolgen. In einer arbeitsteiligen Gruppenphase (3 Gruppen) können folgende Fragen die nähere Analyse der beiden Toledot-Formeln lenken: –– Gruppe 1: Welche Inhalte umfasst die Toledot des Himmels und der Erde? Wie verläuft der Anfang der Menschheitsgeschichte? Was sind wichtige Stationen? Welche Funktion haben die Geschlechterfolgen Abels und Kains? –– Gruppe 2: Welche Inhalte umfasst die Toledot Adams 5,1–32? Ist die Toledot Adams mit der ersten Toledoteinheit 2,4–4,26 und mit Gen 1,1–2,3 verbunden? 11 Vgl. Staubli, Verortungen 22. 12 Vgl. Childs, Introduction 145.

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Gibt es Rückbezüge? Wenn ja – welcher Art sind diese und welche (Wirkungs-) Absicht steckt dahinter? –– Gruppe 3: Vergleichen Sie die Geschlechterfolgen Lamechs und Sets und benennen Sie Analogien und Unterschiede. Arbeitsgrundlage ist die Elberfelder Studienbibel. Impuls Nr. 4: 1) Das Buch Genesis ist das erste Buch innerhalb des Pentateuchs. In den Kapiteln 1–9 reicht der Erzählbogen von der Erschaffung der Welt über den Sündenfall Adams und Evas bis hin zum ersten Bundesschluss JHWHs mit Noah nach der Rettung aus der Sintflut, der den Bestand der Menschheit und der Schöpfung verbürgt. Ab Kapitel 10 setzt dann ein zweiter Erzählbogen ein, der die Erzeltern Israels von der Berufung Abrahams bis Jakob und die Übersiedlung seiner Söhne nach Ägypten in den Blick nimmt. Sowohl Ur- als auch Erzelterngeschichte werden durch den jeweils fünfmaligen Einsatz der Toledot-Formel gegliedert. Über die Toledot-Formel in Gen 2,4a und in 5,1 werden wörtlich die „Erzeugungen des Himmels und der Erde, als sie geschaffen wurden,“ sowie das „Buch der Erzeugungen Adams“ eingeleitet. Das erste Menschenpaar ist nach Gen 2,4a damit Geschöpf des Himmels und der Erde. Der Zusatz „als sie geschaffen wurden“ macht deutlich, dass die Toledot das gesamte Schöpfungswerk Gottes und damit auch den Menschen umfasst. Gen 2,4a knüpft an Gen 1,1–2,3 an und spezifiziert die Schaffung des Menschen. Zugleich ist damit aber auch das Handeln des Menschen und seine Geschichte des Sündenfalls sowie der Vertreibung aus dem Garten (3,1–24) impliziert. Die erweiterte Geburtsnotiz von Kain als dem Erstgeborenen Adams und Evas leitet die Geschichte des Brudermords von Kain an Abel (4,1–16) ein. Darauf folgt mit der gleichen Einleitungsformel die Geschlechterfolge Kains (4,17–26). Hier wird die Fortsetzung der Krise der Menschheit beschrieben: Durch den Brudermord Kains an Abel scheint die Fortsetzung der Menschheitsgeschichte gefährdet zu sein. Denn der Mörder Kain bringt als Nachkommen nur weitere Mörder hervor, wie Lamech, dessen Gewalttätigkeit gegenüber derjenigen Kains noch gesteigert ist. Erst mit dem dritten Sohn Adams, Set, dem Nachkommen anstelle Abels, scheint ein unter guten Vorzeichen stehender Neuanfang möglich zu sein (4,25).13 2) Die Toledot Adams beginnt in 5,1 mit einer Analepse auf den Tag der Erschaffung der Menschen. Sie enthält explizite Rückbezüge auf Gen 2,4b („an dem Tag als“) und auf die Ebenbildlichkeit des Menschenpaares mit Gott in Gen 1,26 f. So heißt es in 5,1: „als Gott Adam schuf, machte er ihn Gott ähnlich“. Gen 5,2 ruft zudem die Erinnerung an den Segen Gottes über das erste Menschenpaar (Gen 1,28) wach.14 Die als Mann und Frau Geschaffenen werden in 5,2 mit dem Namen Mensch belegt. Adam steht hier also synonym für die Menschheit. Aufgrund der genannten Besonderheiten kommt dieser Toledot die Funktion zu, den zweiten Anfang der Menschheitsgeschichte einzuleiten. In Gen 5,3 wird die Schaffung von 13 Vgl. Hieke, Genealogien 59. 14 Vgl. Hieke, Genealogien 85.

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Adams Sohn Set als sein Bild beschrieben, so dass auch 5,3 aufgrund der Anklänge an Gen 1 die Repräsentation Gottes durch den Menschen als Ideal aktualisiert. 3) Die Toledot des Ahnherrn Adam, die durch den Zusatz „Buch“ eigens hervorgehoben ist, holt den Neubeginn Gottes mit den Menschen erzählerisch ein. Sie beschreibt eine parallel zur Genealogie der Kainiten laufende Geschlechterfolge. Trotz der Namensähnlichkeiten und Namensgleichheiten wird eine andere Geschlechterfolge beschrieben und damit eine neue Generationenkette erstellt. Taucht der Name Lamech doppelt auf, so ist er in dieser ganz anderen Generationenfolge nicht identisch mit dem gewalttätigen Mörder Lamech, sondern Erzeuger und Vater Noahs.15 Lernstopp Nr. 4: Nachdem die Ergebnisse der Gruppenphase nun erläutert wurden, kann die Beantwortung der beiden folgenden Fragen den Abschluss dieser Arbeitsphase bilden. –– Welche Funktion kommt der Toledot Adams zu und welche der Toledot des Himmels und der Erde? –– Welche Funktion kommt Gen 1,1–2,3 vor dem Hintergrund von 5,1–3 zu? Abschließender Impuls: Die Toledot Adams fungiert als Themenangabe für alle Toledot-Formeln des gesamten Buches Genesis16 und verweist nicht nur auf den nachfolgenden Kontext der Ur- und Erzelterngeschichte, sondern zugleich auf die vorangehenden Kontexte der Schöpfung und der Krise der Menschheit. Die Toledot-Formel in 2,4a leitet nicht nur den zweiten Schöpfungstext, sondern zugleich die ganze sich unter dem Zeichen des Sündenfalls vollziehende krisenhafte Vorgeschichte ein. Über den expliziten Rückbezug in Gen 5,1 f. auf die in Gen 1 beschriebene Schaffung des Menschen als „Gott ähnlich“ und den Segen Gottes erhält der erste Schöpfungstext die Funktion eines Prologs, der die Lesebrille für das Buch der Toledot Adams und damit zugleich für das gesamte Buch Genesis vorgibt.17 Gegebenenfalls kann die Funktion eines Prologs anhand des Prologs in Goethes Faust oder des Prologs im Johannesevangelium erklärt werden. Eine solche der eigentlichen Handlung vorgeschaltete Rede dient zum einen als Leseanweisung für die gesamte nachfolgende Erzählung, da sie den der Erzählung zugrunde liegenden Konflikt und die übergeordneten Handlungsstrukturen vorzeichnet. In der Tragödie Faust I ist es die Wette zwischen Mephistopheles und Gott mit dem Wetteinsatz der Person des Doktor Faust und der Frage, ob er sich als Knecht Gottes erweisen wird. Im Johannesprolog ist es das Kommen des Logos in die Welt und seine Inkarnation sowie die zwiegespaltene Reaktion der Welt auf ihn. Bei den einen Nichterkennen und Ablehnung, bei den ihn Aufnehmenden und Glaubenden die Gotteskindschaft. Zum anderen identifiziert die Vorrede die Hauptakteure in der richtigen Weise anhand der ihnen zukommenden Funktion. Doktor Faust wird als Knecht Gottes, der Frucht 15 Vgl. Hieke, Genealogien 82. 16 Vgl. Hieke, Genealogien 86. 17 Vgl. zu Vorgeschichte und Vorwort Hieke, Genealogien 86.

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tragen wird, eingeführt. Im Johannesprolog wird der Logos als Einziggezeugter des Vaters bezeichnet. Ihm kommt die Funktion zu, Gott auszulegen.

Gen 1,1–2,3 enthält damit die Leseanweisung für das gesamte Buch Genesis. Als Vorwort macht es bekannt mit dem Horizont der Genesis und schafft ein Vorverständnis für die erzählte Ur- und Erzelterngeschichte. Die beiden Analepsen in 5,1 erinnern an das Vorwort mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen und dem (Mehrungs-)Segen als Ideal und verknüpfen dieses über seine Aktualisierung mit dem (zweiten) Beginn der Menschheitsgeschichte. Der Prolog legt die eigentliche Bestimmung des Menschen sowie seine Beziehung zu Gott fest. Inwieweit der Mensch seiner Bestimmung gerecht wird und die richtige Beziehung zu Gott eingeht, schildert das Vorspiel Gen 2,4–4,26 und das Buch der Toledot Adams. Dass Gottebenbildlichkeit und Schöpfungssegen in die Menschheitsgeschichte eingehen,18 wird in Gen 4,25 f. damit angedeutet, dass zur Zeit Sets und Enoschs die Anrufung des Namens des Herrn begann. Dies ist hier allgemein als Beginn des Kultes und der religiösen Verehrung zu verstehen und weist bereits voraus auf die (Namens-)Offenbarung und Verehrung JHWHs in Ex 3.19 Mit Noah, der ein gerechter Mann ist und mit Gott lebt, erfährt diese Segensgeschichte trotz allen (menschlichen) Versagens ihre Fortsetzung. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Als Abschluss dieser Einheit können die Lernenden eine adäquate Überschrift für Gen 1,1–2,3, Gen 2,4–26 und 5,1–23 formulieren. Die Überschrift sollte weniger quellenkritische Entscheidungen zum Ausdruck bringen (Urkunde, Schriftstück), sondern sich an den auf der synchronen Ebene erarbeiteten thematischen Einschnitten und leseleitenden Funktionen orientieren. Ein Vorschlag für Gen 2,4a könnte sein: „Geschichte der Geschöpfe des Himmels und der Erde – das Vorspiel“; Gen 5,1 könnte mit „Buch der Geschichte Adams und seiner Nachkommen“ überschrieben werden. Für Gen 1,1–2,3 bietet sich folgende Überschrift an: „Der Prolog – Wie alles wurde, wie es sein sollte“. Die Lerngruppe hat damit den Einsatz der Toledot-Formel als strukturierendes Merkmal für die Gliederung der Ur- und Erzelterngeschichte Israels und damit auch für die Textabgrenzung von Teiltexten erfasst. Die Genesis verwendet diese Formel als Überschrift. Sie setzt sie inhaltlich planvoll ein, um den Wechsel des Segens JHWHs von einer Generation Israels auf die nachfolgende im Rahmen der Geschichte des Volkes Israel zu kennzeichnen. Somit ordnet die Toledot-Formel auch Segen und Genealogie jeweils einander zu. Diese Zuordnung kommt in ihrem Vollbild zum ersten Mal in Gen 5,1 in der Toledot Adams zum Tragen. Die Toledot in Gen 2,4a leitet hingegen eine eher geschichtlich orientierte Dar18 Vgl. Hieke, Genealogien 85. 19 Vgl. Hieke, Genealogien 64; vgl. auch Westermann, Genesis 460–464.

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stellung der Erzeugungen des Himmels und der Erde ein. Diese Text­einheit umfasst den Sündenfall des Menschen und seine Vertreibung aus dem Paradies sowie die Generationenfolge Kains. Damit wird sie zur (unheilvollen) Vor-­Geschichte der mit dem Neueinsatz in Gen 5,1 geschilderten Geschichte Adams und Evas und ihrer Nachkommen sowie des Fortgangs ihrer Geschichte, die erst im zweiten Anlauf unter dem Segen Gottes steht. Literatur zur Textstelle N. C. Baumgart, Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9 (Herders biblische Studien 22), Freiburg i. Br. 1999. B. S. Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture, London 1979. T. Hieke, Die Genealogien der Genesis (Herders biblische Studien 39), Freiburg i. Br. 2003. W. H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b–3,24 (WMANT 17), Neukirchen-Vluyn 21967. T. Staubli, Verortungen im Weltganzen. Die Geschlechterfolgen der Urgeschichte mit einem ikonographischen Exkurs zur Völkertafel, in: BiKi 58 (2003) 20–29. O. H. Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (FRLANT 115), Göttingen 21981. T. Stordalen, Genesis 2,4. Restudying a locus classicus, in: ZAW 104 (1992) 163–177. C. Westermann, Genesis, Bd. 1: Genesis 1–11 (BK I/1), Neukirchen-Vluyn 1974. E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart 1983. E. Zenger / C. Frevel, Das priester(schrift)liche Werk (P), in: Dies. u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 183–209.

Baustein NT: Jesus von Sinnen!? Eine Analyse von Mk 3,22–30 in seinem Kontext Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Lernenden verfügen über Einleitungswissen zu Aufbau und Grobstruktur des Markusevangeliums. –– Sie haben die Gliederung des Markusevangeliums von Martin Ebner20 gelesen. Einstieg Für die Erarbeitung der Kriterien zur Abgrenzung in erzählenden Texten eignen sich Märchen besonders gut. Durch die Stereotypisierung der Einleitung und des Schlusses lassen diese sich als Gattung leicht erkennen. Zudem kommen alle sze20 Ebner, Markusevangelium 155–158.

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nischen Gliederungsmerkmale zur Anwendung. Es empfiehlt sich, eine Collage aus Abschnitten verschiedener Märchen zu erstellen und zum Beispiel den Beginn aus „Die Sterntaler“ (ohne Sterntalerregen) mit dem Mittelteil von „Aschenputtel“ (Schuhverlust) und dem Ende von „Der Froschkönig“ (Verwandlung des Prinzen durch Werfen an die Wand)21 zu einem neuen Text zusammenzufügen. Die Studierenden erhalten dazu ein entsprechendes Arbeitsblatt. Die disparaten Teile sollen dann von den Lernenden voneinander abgetrennt werden. Der Arbeitsauftrag kann dreiteilig strukturiert sein: Wie lässt sich die Abgrenzung unterschiedlicher Märchen vornehmen? Wie lassen sich die einzelnen Szenen voneinander trennen? Nach welchen Kriterien sind Sie jeweils vorgegangen? Die Studierenden können die ausgewählten Szenen leicht voneinander unterscheiden. Die Szenenübergänge sind eindeutig gekennzeichnet über den Wechsel des Figureninventars (armes Mädchen, Aschenputtel und Prinz, Königstochter und Frosch), neue Zeitangaben in unlogischer Reihenfolge (Nacht, plötzlicher Wechsel zum Abend, Abend / am nächsten Morgen) und einen Wechsel des Ortes (Wald, Treppe, Kammer). Zudem findet ein Themenwechsel durch das Aufeinandertreffen neu gelagerter Konflikte statt: Steht bei Sterntaler die aus seiner Waisenschaft resultierende und im Erzählverlauf weiter gesteigerte Armut im Vordergrund, so bildet bei Aschenputtel die Suche des Prinzen nach seiner Braut anhand des verlorenen Schuhs den zentralen, zu lösenden Konflikt. Im Froschkönig stellt die Einlösung des Versprechens durch die Königstochter das wesentliche Problem dar. Die folgenreiche Rückverwandlung des (Frosch-)Prinzen ermöglicht ihm dann die Heirat mit der Königstochter. Erarbeitung / Vertiefung In der Erarbeitungs- und Vertiefungsphase sollen die Lernenden die zuvor vorgestellten und eingeführten Kriterien zur Textabgrenzung an den Perikopen des Textstücks Mk 3,7–4,9 erproben. Die Phase teilt sich in zwei Etappen, die gerade am gewählten markinischen Beispieltext eng aufeinander bezogen sind, nämlich erstens die Textabgrenzung und zweitens die Textgliederung. Beide Etappen beginnen mit je einer kurzen Gruppenarbeit und münden dann in ein bündelndes Plenumsgespräch, in welches die Leitung zusätzliche Fachinformationen einbringt. Erste Etappe: Textabgrenzung Die Lernenden erhalten die Übersetzung von Mk 3,7–4,9 ohne Kapiteleinteilung und mit durchgängiger Versnummerierung aus dem Münchener Neuen Testament mit dem Auftrag, einzelne Perikopen voneinander abzugrenzen. Es empfiehlt sich, dass die Lernenden die auftretenden Personen von Mk 3,7–4,9 in der 21 Vgl. zu Sterntaler: H. Rölleke, Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage (1837) (Bibliothek deutscher Klassiker 5), Frankfurt a. M. 1985, 590 f.; zu Aschenputtel vgl. ebd. 116–122; zu Froschkönig vgl. ebd. 23–26.

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Reihenfolge ihres Auftretens auf einer Zeitleiste verorten. Dabei können auch der Ort des Auftretens und der Inhalt des Handelns mit einem Schlagwort benannt werden. Zudem sind auch die Gründe für die jeweiligen Textabgrenzungsentscheidungen und damit die Kriterien für die Textabgrenzung festzuhalten. Eine ideale Zeitleiste kann dabei gemeinsam im Plenum erstellt und an der Tafel oder auf Folie festgehalten werden. Im Gespräch wird deutlich: Mk 3,7–12 ist ein Summarium über die Heilung der zuströmenden Kranken und Besessenen durch Jesus, was zugleich einen Gattungswechsel zur Heilungsgeschichte in Mk 3,1–6 impliziert. Besonders fällt der explizite Hinweis auf die Identifizierung Jesu als Sohn Gottes durch die Dämonen auf. In 3,13–19 findet ein Ortswechsel auf einen Berg statt, wo Jesus die Zwölf benennt und einsetzt. Auch dies bildet eine abgeschlossene Szene, denn es geht nun um ein Geschehen zwischen den Schülern und Jesus selbst. Mk 3,20 beschreibt das Eintreffen Jesu mit seinen Schülern im Haus und das Zusammenströmen der Volksmenge. Der Eindruck eines Szenenwechsels resultiert aus der Kombination von Ortswechsel und der Einführung neuer Personen (Volksmenge), so dass Mk 3,20 von der vorangehenden Berufung der Zwölf auf dem Berg abzugrenzen ist. Mk 3,21 schildert das Auftreten der Angehörigen Jesu, die ihn mit dem Vorwurf, er sei von Sinnen, belegen und sich auf den Weg machen, um ihn (gewaltsam) nach Hause zurückzuholen. In Mk 3,22 treten die Schriftgelehrten auf, die an Jesus den Vorwurf der Besessenheit und der Dämonenaustreibung mit Hilfe des Beelzebul richten. Es folgt Jesu Antwort in V. 23–29, die den Vorwurf widerlegt und mit V. 30 in einen rekapitulierenden Erzählerkommentar mündet. Mk 3,31 berichtet dann vom Herannahen der Mutter und der Brüder Jesu, die Jesus aus dem Haus rufen lassen wollen. Der ausleitende Erzählerkommentar in V. 30 und der erneute Wechsel des Personeninventars lassen auf einen weiteren Szenenwechsel schließen. Der Evangelist beginnt dann in 4,1 f. seinen großen Gleichniszyklus durch einen erneuten Ortswechsel an das Meer bzw. den See von Gennesaret und durch die Einleitung der Lehre Jesu mit „er lehrte sie in Gleichnissen“ (4,2). Adressat der Gleichnisse sind sowohl die Schüler als auch die anwesende Volksmenge. Hier beginnt also eine neue übergeordnete Texteinheit. Die Perikope 3,22–30 ist nicht leicht vom vorangehenden und nachfolgenden Evangelientext abzugrenzen. Wie ist das Verhältnis zu V. 31–35 zu bestimmen? Und gehören die V. 20 f. noch zur Perikope hinzu? Bemerkenswert ist, dass in V. 22 beim Auftreten der Schriftgelehrten kein Ortswechsel erfolgt. Bilden die V. 20–30 eine Einheit? Zudem fällt auf, dass die Angehörigen Jesu zunächst in V. 21 mit einem Vorwurf auftreten, der demjenigen der Schriftgelehrten in V. 22 ähnelt, ohne dass dieses Auftreten weiter ausgeführt wird oder die Handlung vorantreibende Konsequenzen hätte. Die Verwandten kommen in V. 31 erneut ins Spiel und bestimmen die Szene bis V. 35. Ist V. 31–35 dann ebenfalls Mk 3,20–30 zuzuordnen? Die Lernenden können diese Frageperspektiven selbst im Plenumsgespräch entwickeln, indem sie den Text nach jedem Vers daraufhin befragen, was der Leser als Nächstes erwartet bzw. welche Leerstellen im Text enthalten sind: Wie wird Jesus

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sich zum Vorwurf der Schriftgelehrten verhalten? Wie ist die Reaktion auf seine Gegenrede? Warum wirkt der zweite Auftritt der Familie Jesu nach dem Erzählerkommentar in V. 30 überraschend? Hängen die beiden Perikopen zusammen, da beide Male die Familie Jesu einleitend auftritt? Zweite Etappe: Textgliederung Wegen dieser offenen Fragen, auf die die Seminarleitung bündelnd hinweist, gilt es nun, den Zusammenhang zwischen den Vorwürfen der Verrücktheit durch die Familie Jesu und der Besessenheit durch die Schriftgelehrten zu klären sowie das Verhältnis zwischen der antwortenden Gleichnisrede V. 24–29 und der Familienszene V. 31–35 auszuloten und im Rahmen einer Gliederung der Texte zu beschreiben. Die Lernenden erhalten den Auftrag, nach möglichen Bezügen zwischen den beiden Vorwürfen und dem Aufeinandertreffen von Jesus und den Schriftgelehrten sowie von Jesus und seiner Familie zu suchen. Wie werden die Konflikte jeweils gelöst? Die Ergebnisse können im Plenumsgespräch gesammelt und auf der idealen Zeitleiste eingetragen werden. Das dafür notwendige Hintergrundwissen über dämonische Besessenheit und Exorzismen, frühjüdische Satansvorstellungen und Verrücktheit bzw. die Anwendung von Magie kann durch die Leitung eingespielt werden. Im Gespräch soll die Seminargruppe zudem die Auffälligkeiten im Auftritt der Figuren anhand der angefertigten Zeitleiste benennen und analysieren. Anhand der Besonderheiten im Aufbau kann die Leitung die typisch markinische Schachteltechnik („Sandwiching-Modell“), d. h. die Umrahmung einer Perikope durch eine andere (vgl. auch z. B. Mk 5) einführen. Die Bezugnahme auf die zuvor angefertigte Zeitleiste macht die markinische Schachteltechnik in Mk 3,20–35 als Gliederungsprinzip sichtbar. Zwei Reaktionen auf die Notiz des Eintreffens Jesu (mit seinen Schülern) im Haus und das Zuströmen der Volksmenge werden berichtet: Die Angehörigen Jesu machen sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen, da Jesus von Sinnen sei. Sie halten ihn für verrückt oder für jemanden, der sich der Zauberei bedient.22 Der nächste Vers beschreibt dann relativ unvermittelt das Auftreten der Schriftgelehrten aus Jerusalem, die ebenfalls einen (zweiten) Vorwurf an Jesus richten: Er sei besessen und würde mit der Hilfe Beelzebuls die Dämonen austreiben. Beelzebul stellt eine Verunglimpfung des Orakelgottes Baal-Sebul (Baal der Fürst) zu BaalZebub (Herr der Fliegen) dar, im Sinne der Abwertung heidnischer Gottheiten zu Dämonen. Das antike jüdische Schrifttum kennt mehrere Namen für Satan (vgl. Beliar in den Testamenten der zwölf Patriarchen). Hinter dem Vorwurf der Schriftgelehrten steht die Vorstellung, 22 Ein weiterer auffälliger Befund ist, dass Matthäus und Lukas keine Parallele zu diesem Vers bieten und hier ein sogenanntes negatives minor agreement, die gemeinsame Auslassung von Textstellen der Markusvorlage, vorliegt. Matthäus und Lukas ist der gegen Jesus gerichtete Vorwurf durch die eigene Familie, er sei von Sinnen, wohl zu provokativ.

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dass sich Jesus wie ein Magier des Dämonenfürsten als paredros, als eines dienstbaren Geistes, bedient. Die Entgegnung Jesu auf diesen zweiten Vorwurf durch die Streitpartei der Schriftgelehrten erfolgt in V. 23–29. Diese Verse sind über ihre parallele Gestaltung im doppelten Bildwort von Reich und Haus als Einheit gekennzeichnet und über die Stichwortverbindung „Bestand haben“ miteinander verknüpft. So wie die soziopolitischen Einheiten Reich und Haushalt, wenn sie in sich uneins sind, keinen Bestand haben können, wird auch Satan ein Ende nehmen, wenn er gegen sich selbst vorgeht. Im Hintergrund ist hier die Vorstellung vom bereits durch Gott vollzogenen Sturz Satans präsent. Es findet ein Rückschluss vom einzelnen Exorzismus Jesu auf die grundsätzliche Überwindung des Bösen durch die wirksame Macht JHWHs statt: JHWH hat über den Dämonenfürsten und seine Heerscharen im Himmel bereits den Sieg errungen. In V. 27 erfährt diese Vorstellung eine christologische Zuspitzung: Nur wenn der Starke (Satan) durch den Stärkeren (Jesus) bereits gebunden ist, kann sein Haus ausgeraubt, d. h. können die Besessenen geheilt werden. Die Exorzismen Jesu setzen die Entmachtung Satans im irdischen Bereich durch. Da Jesus sie stellvertretend in der Vollmacht Gottes wirkt, sind die Exorzismen Zeichen der schon angebrochenen und sich ausdehnenden Gottesherrschaft und signalisieren zugleich, dass Satan im Himmel bereits entmachtet ist.23

V. 31 berichtet, dass die Mutter und die Brüder das Haus erreichen und Jesus herausrufen lassen. Dieser kommt der Aufforderung nicht nach, sondern verweist auf die um ihn Sitzenden und deklariert diese als Mutter und Brüder. Jesus bleibt im Inneren des Hauses – seine Verwandten bleiben draußen. Sie gehören nicht in den Kreis der den Willen Gottes Tuenden. Hier liegt markinische Schachteltechnik vor: Der Evangelist Markus schaltet zwischen die Auseinandersetzung Jesu mit seinen Angehörigen die Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten ein, nimmt den Konflikt mit den Angehörigen ab V. 31 wieder auf und führt diesen zum Höhepunkt der Konstitution einer neuen familia dei aus denen, die den Willen Gottes tun. So tragen die V. 32–35 die Reaktion Jesu auf den ersten Vorwurf durch seine Familie (er sei von Sinnen) nach. Inhaltlich besagt diese die Errichtung einer neuen Familie, bestehend aus denen, die den Willen Gottes einhalten. Das die neu gestiftete Familie verbindende Ethos ist die Beherzigung des von Jesus ausgelegten Willens Gottes. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Zum Abschluss der Einheit markieren die Studierenden die markinische Schachteltechnik durch einen Rahmen zwischen dem Vorwurf der Familie (V. 21) und der Familienszene (V. 31–35) auf ihrer Zeitleiste. Die Beziehungen zu den weiteren Handlungseinheiten, wie zum Beispiel zur Einsetzung der Zwölf, die die Lernenden bereits auf ihren Blättern eingetragen haben, können sie nun durch Verbindungslinien oder Farbmarkierungen illustrieren. 23 Zu den Hintergründen des Beelzebulvorwurfs vgl. M. Ebner, Jesus von Nazaret. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart 52016, 104–117.

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Die Stichwortverbindung „besessen“ vernetzt die Perikope eng mit ihrem unmittelbaren Kontext. In Kapitel 3 berichtet der Evangelist Markus zunächst in einem Summarium über das Zuströmen von Kranken und von Besessenen, die Jesus als Sohn Gottes akklamieren, sowie über deren Heilung durch Jesus (V. 7–12). Sogar die Dämonen als die eigentlichen Gegner des Dämonenaustreibers Jesus identifizieren Jesus und sein Handeln adäquat als in der Vollmacht Gottes stehend. Dass die Familie und die Schriftgelehrten aus Jerusalem auftreten und die Vollmacht Jesu infrage stellen, wirkt daher absurd. Die von Markus geleistete Kontextualisierung der Perikope regt den Leser dazu an, der Familie und den Schriftgelehrten umgekehrt den Vorwurf zu machen: Seid ihr von Sinnen?! An das Summarium schließt die Konstitution des Zwölferkreises durch Jesus an (V. 13–19). Die Zwölf werden mit der Vollmacht Jesu ausgestattet, Dämonen auszutreiben. Thematisch verbindet sich diese Szene eng sowohl mit der vorherigen Austreibung der Dämonen durch Jesus als auch mit der Konstitution der familia dei in V. 31–35 als neuer Gemeinschaft der den Willen Gottes Tuenden, zu denen ganz exponiert natürlich auch die Zwölf gehören. Literatur zur Textstelle P. Dschulnigg, Das Markusevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 2), Stuttgart 2007. M. Ebner, Das Markusevangelium, in: Ders. / S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 155–184. R. A. Guelich, Mark 1–8:26 (WBC 34A), Dallas (TX) 1989 (ND 1999). J. Marcus, Mark 1–8. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 27), New York (NY) 2000.

Ertrag zur Methode Die hier ausgewählten Textbeispiele Gen 1,1–2,25 und Mk 3,20–35 bringen unterschiedliche Textabgrenzungskriterien zum Einsatz. Für Gen 2,4–25 erfolgt die Textabgrenzung vorrangig auf der Basis formal-syntaktischer Gliederungsmerkmale. Bei der Abgrenzung von Mk 3,22–30 kommen vor allem szenische Gliederungsmerkmale zum Tragen. Für die Abgrenzung eines Einzeltextes von seinem Kontext müssen im Sinne eines Kriterienbündels mehrere Textabgrenzungs- und damit Gliederungsmerkmale zusammenkommen, die auf szenischen oder formalen Gesichtspunkten beruhen können. Die Interpretation einer abgegrenzten Perikope muss zudem immer den Kontext miteinbeziehen. Dieser gibt szenische, aber auch syntaktische oder kompositorische Kriterien für die Textabgrenzung vor. Formale Kriterien wie Komposition und Syntax zielen auf die Erfassung der Kohärenz von Texteinheiten, um diese voneinander abzugrenzen. Wechsel in der Komposition oder im Wortschatz weisen dann darauf hin, wo sich zwei Einzeltexte

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voneinander unterscheiden lassen. Darüber hinaus ist die Stellung des zu untersuchenden Textes im Mikro- und Makrokontext des Gesamtwerkes wichtig. Die Einbindung in den Mikrokontext enthält Hinweise auf die Funktion der Perikope innerhalb des Makrokontextes. Mit den vorgetragenen Analysen hat sich der Arbeitsschritt der Textabgrenzung einer dezidiert auf der synchronen Ebene verbleibenden Betrachtungsweise verpflichtet. Ausschlaggebend für die Abgrenzungsentscheidung ist nur die Signifikanz der (Gliederungs-)Merkmale im Text selbst. Die vorgenommene Textabgrenzung kann später erneut im Zuge der → Literarkritik überprüft werden. Diese fragt dann diachron zurück nach ursprünglichen kleinen Texteinheiten, die Wachstumsprozesse durchlaufen haben und redaktionell bearbeitet wurden. Für ihre diachrone Fragestellung der Trennung von ursprünglichen (Quellen-)Einheiten und späteren Bearbeitungen zieht sie ebenfalls Kriterien der Textabgrenzung heran. Die beiden Methodenschritte stehen daher in einem Wechselverhältnis und erhellen sich gegenseitig. Die Ergebnisse der jeweiligen Methodenschritte können getroffene (methodisch reflektierte) exegetische Entscheidungen bestätigen oder neue (methodisch reflektierte) Auslegungsentscheidungen notwendig machen.

Übersetzungsvergleich Stephanie Feder

Hinführung zur Methode Noch bevor der Kanon des Alten und des Neuen Testaments vorlag, gab es schon Übersetzungen biblischer Texte. Sie waren notwendig geworden, weil die Menschen kein Hebräisch und Aramäisch bzw. kein Griechisch mehr verstanden. Sie sind auch heute notwendig, damit Menschen, die des Griechischen, Hebräischen und Aramäischen nicht mächtig sind, die Texte lesen und verstehen können. Ein Übersetzungsvergleich ermöglicht, sich dem hebräischen oder griechischen Text anzunähern, ihn genauer zu untersuchen, seine sprachlichen Eigenarten und Uneindeutigkeiten zu erforschen und den Unterschieden verschiedener Bibelübersetzungen auf die Spur zu kommen. Für alle diejenigen, die keine biblische Sprache gelernt haben, ist diese erste Entdeckung des Textes deshalb besonders wichtig. Der Übersetzungsvergleich unterscheidet sich von anderen hier vorgestellten exegetischen Methoden, da er eher als vorbereitende Texterschließung verstanden werden kann und keine synchrone oder diachrone Methode im eigentlichen Sinn ist. Gerade weil es Studiengänge gibt, die das Lernen biblischer Sprachen nicht voraussetzen, ist diese grundlegende Erschließung des Textes in seiner potentiellen Mehrdeutigkeit von besonderer Dringlichkeit. Im Deutschen verwenden wir das Wort „über-setzen“, das anzeigt, dass eine Übersetzung mehr ist als das Übertragen eines Wortes einer Sprache in eine andere. Über-setzen meint auch, den Text von einer Kultur in eine andere zu tragen – von einem Ufer ans andere überzusetzen. Biblische Texte zu übersetzen ist eine besondere Herausforderung, weil zum einen kulturelle Differenzen, zum anderen auch zeitliche von mehr als 2000 Jahren überwunden werden müssen. Zudem steht eine Bibelübersetzung zwischen der Treue zum ursprünglichen hebräischen oder griechischen Text und ihrer Verständlichkeit in unserer heutigen Welt.

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Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Studierenden lernen verschiedene Bibelübersetzungen kennen und können diese eigenständig verwenden. –– Die Studierenden wissen, welche Bibelübersetzung für welche Zielgruppe und welchen Anlass angemessen ist. –– Die Studierenden können die Bibelübersetzungen miteinander vergleichen und zentrale Unterschiede herausstellen. Sie entdecken dabei die Relativität jeder Übersetzung. –– Die Studierenden können einen eigenen Übersetzungstext erstellen, der die Ergebnisse des Vergleichs der verschiedenen Übersetzungen berücksichtigt. Literatur zur Methode M. Buber, Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift. Beilage zum ersten Band „Die fünf Bücher der Weisung“, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, in: Ders., Die fünf Bücher der Weisung (Die Schrift 1), Darmstadt 121997. W. Egger / P. Wick, Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen (Grundlagen Theologie), Freiburg i. Br. 62011, 88–104. M. Kuschmierz / R. Kuschmierz, Handbuch Bibelübersetzungen. Von Luther bis zur Volxbibel, Wuppertal 2007. Themenheft „Bibelübersetzungen“ = BiLi 75 (2002) 221–301. Themenheft „Bibel übersetzen“ = BiHe 193 (2013).

Baustein AT: Vom Erdkloß zu Mann und Frau – Übersetzungskonfusionen Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Basale Englischkenntnisse. Einstieg Die Studierenden erhalten die englische Kopie des Calvin und Hobbes Comics1 und eine weitere Kopie, auf der der englische Text aus den Sprechblasen entfernt wurde und alle Sprechblasen leer sind. Die Studierenden sollen in Zweiergruppen die deutsche Übersetzung des englischen Comics auf das Blatt mit den leeren Sprechblasen eintragen. 1 Vgl. Watterson, Calvin and Hobbes 186; zu finden auch unter http://www.gocomics.com/calvinandhobbes/1986/12/14#.UkKGYj977Lw (12.08.16).

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Anschließend werden die Übersetzungen der Studierenden im Plenum besprochen. Erfahrungsgemäß wird schon am ersten Bild intensiv diskutiert, wie „be“ zu übersetzen ist. Die Studierenden sollten befragt werden, wie sie das Übersetzungsproblem lösen würden. Häufig vorgeschlagene Lösungen – die im Übrigen denen von Bibelübersetzungen sehr ähnlich sind – sind z. B. im Deutschen „Sein“ beizubehalten und die Punktzahl entsprechend zu erhöhen (wobei diese Entscheidung zu Lasten der Pointe des Comics geht), „Sein“ mit einer Fußnote zu versehen und in dieser die Übersetzungsschwierigkeit zu erklären oder das Wort „be“ mit einem anderen Wort, bestehend aus zwei Buchstaben, zu ersetzen. Die deutsche Übersetzung des Comics favorisiert übrigens die letztere Variante, da das Wort „be“ für den Inhalt des Comics ohne Bedeutung ist. Ähnlich ist es bei den Wörtern „zygomorphic“ und „nucleoplasm“, an denen die Diskussion fortgeführt werden könnte. Interessant für die Frage nach der Bibelübersetzung ist auch das Wort „triple word score box“, das nur diejenigen kennen werden, die schon einmal Scrabble gespielt haben. An diesem Wort zeigt sich, dass die Kenntnis des Spiels und seiner Spielregeln bei der Übersetzung helfen kann. Auf biblische Texte gemünzt bedeutet diese Erkenntnis, dass Übersetzende nicht nur den Text als solchen übersetzen, sondern auch den Kontext kennen und diesen bei der Übersetzung berücksichtigen müssen. Mit den Studierenden kann diskutiert werden, inwieweit es nötig ist, an das Wort „dreifacher Wortwert“ eine erklärende Fußnote anzuhängen, damit Lesende diesen Bezug verstehen. Abschließend sollten die Erkenntnisse der hier durchgeführten Übersetzung und Diskussion gebündelt und auf biblische Übersetzungsprozesse übertragen werden. Dazu könnten noch einmal alle Möglichkeiten, mit Übersetzungsproblemen umzugehen, gesammelt werden. Bestehen Parallelen im Umgang mit biblischen Texten (z. B. Fußnoten, die eine andere Übersetzungsmöglichkeit nennen), sollten diese an konkreten Beispielen aufgezeigt werden. Erarbeitung / Vertiefung Die Studierenden werden in sechs Kleingruppen aufgeteilt. Jede Kleingruppe erhält grundlegende Informationen zu einer der folgenden Bibelübersetzungen und die Bibelübersetzung selbst:2 –– Einheitsübersetzung3 –– Interlinearübersetzung (1. Band) –– Elberfelder Bibel –– Bibel in gerechter Sprache 2 Diese sind gut zusammengestellt unter https://www.die-bibel.de/bibelwissen/bibeluebersetzung/ deutsche-uebersetzungen/uebersicht/ (12.08.16). 3 Bei Erstellung dieses Kapitels lag weder die revidierte Einheitsübersetzung noch die Lutherbibel 2017 vor. Daher konnten sie für den hier erstellten Übersetzungsvergleich nicht berücksichtigt werden.

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–– Gute Nachricht Bibel –– revidierte Lutherübersetzung In der Kleingruppe sollen die Informationen zu der Bibelübersetzung nach folgenden Kriterien erarbeitet werden, die in einer Tabelle zusammengestellt werden können: –– Bezeichnung der Übersetzung –– Erscheinungsjahr –– drei aussagekräftige Stichpunkte zur Bibelübersetzung (z. B. einfache Sprache, erklärende Fußnoten, von der deutschen Bischofskonferenz für den RU zugelassen) –– geeignet für welche Leserschaft? –– Zitat einer Bibelstelle (möglichst eine, die an späterer Stelle noch von Bedeutung ist; von der Leitung evtl. konkret vorzugeben). Die Ergebnisse der einzelnen Kleingruppen werden auf Overheadfolien festgehalten und im Plenum vorgestellt, so dass die Studierenden der anderen Kleingruppen die Ergebnisse notieren können und z. B. in eine vorgefertigte Tabelle eintragen können. Für die Interlinearübersetzung sollte besonders viel Zeit zur Verfügung stehen, damit die Studierenden die Handhabung dieser Übersetzung nachvollziehen können. Anschließend erhalten die Studierenden Kopien von Gen 2,21–23 in den Versionen der Interlinearübersetzung, der Einheitsübersetzung, der Elberfelder Bibel, der Bibel in gerechter Sprache und der revidierten Lutherübersetzung. Eine spaltenförmige Anordnung der Texte erleichtert den Vergleich (→ Materialanhänge). Die Studierenden werden aufgefordert, die Unterschiede zu benennen. In einer Diskussion erschließen die Studierenden mit Unterstützung der Leitung die Unterschiede. Folgende Informationen sollten in der Diskussion bereitgestellt werden: –– Im Text gibt es verschiedene Gottesbezeichnungen: Elohim und JHWH. Diese werden im Deutschen jeweils unterschiedlich wiedergegeben. –– Adam ist (hier noch) kein Name, sondern die Bezeichnung für den Menschen, das „Menschenwesen“ oder auch für den „Erdkloß“. Er steht im Zusammenhang mit dem Boden (ha adamah), aus dem der Mensch genommen ist. –– Die beiden Geschlechter entstehen erst, nachdem das Fleisch aus dem adam genommen wurde. Der adam ist das Grundmaterial, aus dem beide Geschlechter hervorgehen. –– Isch und ischa ist ein hebräisches Wortspiel, das in den deutschen Übersetzungen unterschiedlich abgebildet wird. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Abschließend soll von den Studierenden eine Arbeitsübersetzung von Gen 2,21–23 erstellt werden. Dazu wird der Text der Elberfelder Bibel verwendet. An Stellen, an denen sie von der Elberfelder Übersetzung abweichen, fügen sie das neue Wort

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ein und versehen dieses mit einer Fußnote. In der Fußnote erklären sie, warum sie an dieser Stelle von der Elberfelder Übersetzung abweichen. Ein bis zwei Arbeitsübersetzungen werden im Plenum vorgestellt. Eventuell werden daran inhaltliche Aspekte diskutiert. Eine mögliche Arbeitsübersetzung findet sich bei den → Materialanhängen. Literatur zur Textstelle J. Ebach, Liebe und Paradies. Die Logik einer Erzählung und die Logik der Grammatik, in: Ders., Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen, Reflexionen, Geschichten, Neukirchen-Vluyn 1986, 111–125. H. Schüngel-Straumann, Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen, Münster 31999. P. Trible, Eine Liebesgeschichte, die ein unglückliches Ende genommen hat, in: Dies., Gott und Sexualität im Alten Testament, Gütersloh 1992, 89–162. M. T. Wacker, Wann ist der Mann ein Mann? Oder: Geschlechterdisput vom Paradiese her, in: Dies. / S. Rieger-Goertz (Hrsg.), Mannsbilder. Kritische Männerforschung und Theologische Frauenforschung im Gespräch, Münster 2006, 93–114. B. Watterson, The Essential Calvin and Hobbes. A Calvin and Hobbes Treasury, Kansas City (MO) 1988, 186. Auch zu finden unter: http://www.gocomics.com/calvinandhobbes/1986/12/14#.UkKGYj977Lw (12.08.16).

Baustein NT: Maria und Martha lost in translation Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Keine. Einstieg Zu Beginn wird das folgende Gedicht von Goethe in beiden Fassungen an die Wand projiziert. Die Originalversion hat Goethe 1780 verfasst. 1902 wurde dieses Gedicht ins Japanische übertragen. Schließlich wurde das Gedicht 1911 aus dem Japanischen ins Französische (und dann wieder ins Deutsche) übersetzt, allerdings ohne zu wissen, dass es sich dabei ursprünglich um ein Goethe-Gedicht gehandelt hat. Der Übersetzer begeisterte sich für asiatische Poesie und ging wohl davon aus, dass es sich bei dem Gedicht um ein genuin japanisches handle.4

4 Vgl. H. Haefs, Das dritte Handbuch des nutzlosen Wissens, München 1994, 136. Der WikipediaArtikel zu diesem Gedicht geht davon aus, dass es sich bei dem aus dem Japanischen ins Deutsche rückübersetzten Gedicht um eine „parodistische Mystifikation“ handle, die eher dem Bereich der modernen Sage zuzuordnen sei. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wandrers_Nachtlied (24.01.17).

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Goethe Original 1780

Goethe Übersetzung 1911 (deutsch – japanisch – französisch – deutsch)

Über allen Gipfeln ist Ruh, In allen Wipfeln spürest du Kaum einen Hauch. Die Vöglein schweigen im Walde.

Stille ist im Pavillon aus Jade. Krähen fliegen Stumm zu beschneiten Kirschbäumen im Mondlicht. Ich sitze Und weine.

Warte nur, balde Ruhest du auch.

Mit den Studierenden können die Unterschiede und Ähnlichkeiten der beiden Texte erörtert werden. Die Studierenden können Thesen entwickeln, wie und warum sich verschiedene Fragmente des Textes so verändert haben. Abschließend wird zusammen getragen, was bei einem Übersetzungsprozess geschieht und was dies für die Übersetzung biblischer Texte bedeutet. Erarbeitung / Vertiefung Der Übersetzungsvergleich soll am Beispiel der Erzählung von Maria und Martha (Lk 10,38–42) demonstriert werden. Dazu erhalten die Studierenden zunächst den Text der Einheitsübersetzung oder der revidierten Lutherübersetzung (→ Material­ anhänge). Anschließend wird der gleiche Text aus folgenden Bibeln im A3-Format an die Wände gepinnt: –– Einheitsübersetzung (EÜ) oder revidierte Lutherübersetzung (je nachdem, welche noch nicht ausgeteilt wurde); –– Münchener Neues Testament (MNT); –– Bibel in gerechter Sprache (BigS); –– Interlinearübersetzung. Die Studierenden gehen nun im Raum herum, schauen sich die unterschiedlichen Übersetzungen an und notieren Unterschiede zu ihrer Übersetzung. Im Plenum werden die Unterschiede benannt und möglichst auf einige zentrale Phrasen gebündelt, so z. B. „Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen“, „du machst dir viele Sorgen“ und „Maria hat das Bessere gewählt“. Wichtige Aspekte zum Text Gerade der zweite Teil der Perikope gestaltet sich hinsichtlich der Übersetzung eher schwierig. –– In V. 40 sind unterschiedliche Übersetzungen denkbar: „Martha war vom vielen Dienst beunruhigt“ (BigS) oder „Martha aber war überbeschäftigt mit viel

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Dienst“ (MNT) und „Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen“ (EÜ). Anni Hentschel erläutert die Schwierigkeit des in V. 40 verwendeten Wortes diakonia, das hier singulär im Lukasevangelium ohne Objektbezug steht5 – von daher schließt sich die von der Einheitsübersetzung vorgeschlagene Übersetzung direkt aus, denn der Bezug auf Jesus ist im griechischen Text so nicht vorhanden. Was genau unter diakonia zu verstehen ist, versucht Hentschel in ihrem Aufsatz zu erläutern. Sie kommt zu dem Schluss, dass diakonia nicht nur Dienst im Sinne von Hausarbeit meint, sondern dass man „unter der Diakonia im umfassenden Sinn die gastfreundliche Aufnahme eines (Gast-)Verkündigers sowie von Jüngern und Jüngerinnen, die Zur-VerfügungStellung eines Versammlungsraumes, die Ermöglichung einer gemeinsamen Mahlzeit, den Vorsitz beim Mahl“6 verstehen kann. In Kombination von diakonia und perispaomai ergibt sich am ehesten eine Übersetzung wie „Martha war völlig beschäftigt mit viel Diakonia“7 oder auch „mit viel Gastfreundschaftsdienst.“ –– In V. 41 (ab „Martha, Martha“) weichen die Übersetzungen z. T. stark voneinander ab. Es empfiehlt sich, sorgen und beunruhigen (oder das jeweilige andere Wort) möglichst als Verb zu übersetzen, um nah am griechischen Text zu bleiben, denn Martha „hat keine Sorgen“ und „macht sich auch keine Sorgen“, sondern „sie sorgt sich“. „Sorgen“ sollte auf jeden Fall beibehalten werden, da es an anderen Stellen des Lukasevangeliums ebenfalls um das Thema „Sorge“ geht und so indirekt auf die anderen Texte und das zentrale Wort „Sorgen“ hingewiesen werden kann.8 Der Anhang „um Vieles“ sollte – wenn möglich – ebenso erhalten werden, denn „viele Sorgen haben“ und „sich um Vieles sorgen“ enthält einen deutlichen Unterschied: Ersteres widerfährt einem passiv; Letzteres kann eher aktiv verstanden werden. „Sich um Vieles sorgen“ empfiehlt sich für den Übersetzungsvergleich. –– Im letzten Vers wird die Komplexität eines Übersetzungsvergleiches noch einmal deutlich. In der Einheitsübersetzung heißt es: „Maria hat das Bessere gewählt“, im Münchener Neuen Testament ist nur die Rede von einem „guten Teil“ („denn Mariam wählte aus den guten Teil“). Hier stellt sich natürlich die Frage, ob Marias Teil lediglich gut oder sogar besser ist. Ein Komparativ stellt die beiden Handlungen der Frauen in ein anderes Licht als das Adjektiv im Positiv (ohne Vergleich). Im griechischen Text (s. Interlinearübersetzung) findet sich jedoch kein solcher Komparativ. Es ist lediglich die Rede vom „guten Teil“ – und das sollte auch im Übersetzungsvergleich Beachtung finden. Gleichwohl kann mit den Studierenden darüber gesprochen werden, ob nicht dennoch eine Wertung in diesem „guten Teil“ liegt, zumal Jesus diese Worte sagt und dafür wirbt, dass Maria dieses nicht genommen wird. 5 Vgl. Hentschel, Martha 186. 6 Vgl. Hentschel, Martha 189. 7 Vgl. Hentschel, Martha 170. 8 Vgl. Wolter, Lukasevangelium 398–402.

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Abschließend soll eine Übersetzung erstellt werden, die als Grundlage für die weitere Arbeit mit dem Text und als Bündelung der Diskussion über eine angemessene Übersetzung dient. Dabei wird sich schnell zeigen, welche Bibelübersetzungen sich für den wissenschaftlichen Gebrauch eignen und welche in erster Linie auf Verständlichkeit aus sind. Um die einzelnen Bibelübersetzungen, mit denen die Studierenden schon gearbeitet haben, besser kennen zu lernen, werden im Anschluss an die Textarbeit noch die einzelnen Bibelübersetzungen vorgestellt. Die Studierenden schildern zunächst ihre Eindrücke zu den einzelnen Übersetzungen, z. B. hinsichtlich der Verständlichkeit und der Lesbarkeit. Diese Aspekte werden in einer Tabelle gesammelt. Zudem werden grundlegende Informationen zu den einzelnen Bibelübersetzungen an die Studierenden ausgeteilt, die diese dann in der Tabelle ergänzen sollen.9 Kategorien für die Tabelle, nach denen die Informationen zusammengestellt werden sollen, könnten – neben der o. g. Lesbarkeit – noch sein: –– Bezeichnung der Übersetzung –– Erscheinungsjahr –– drei aussagekräftige Stichpunkte zur Bibelübersetzung (z. B. einfache Sprache, erklärende Fußnoten, von der deutschen Bischofskonferenz für den RU zugelassen) –– geeignet für (welche Leserschaft?) –– Zitat einer Bibelstelle (z. B. Lk 10,42, um die Textabweichungen beispielhaft deutlich zu machen) Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Nutzt man zunächst einmal den Übersetzungsvergleich, um sich dem Text zu nähern, dann wird v. a. eines deutlich: Maria und Martha werden mit ihren Handlungen unterschiedlich bewertet. Zum einen ist da Martha, die einiges zu tun hat und sich die Unterstützung ihrer sitzenden und hörenden Schwester wünscht. Zum anderen ist da Maria, die selbst nicht zu Wort kommt, aber von der Jesus sagt, dass sie den guten Teil gewählt hat. Über Marthas Dienst verliert Jesus kein Wort, aber dennoch wird deutlich, dass er Marthas Willen nicht nachkommt und Maria nicht auffordert, ebenfalls gastfreundschaftlich zu dienen. Am Übersetzungsvergleich wird (noch) nicht deutlich, was Hentschel in ihrem Artikel zu dieser Perikope argumentativ nachzeichnet: Es erscheint möglich, „dass Lk mit dem Text ein ideales Frauenbild transportiert, zu welchem gemeindliche Funktionen nicht gehören. Das Hören des Wortes wäre das den Frauen angemessene Verhalten in der Gemeinde, während die sich etablierenden amtlichen Funktionen den Männern vorbehalten würden.“10 9 Gute Zusammenstellungen finden sich unter: http://www.die-bibel.de/bibelwissen/bibeluebersetzung/deutsche-uebersetzungen/uebersicht/ (12.08.16). 10 Hentschel, Martha 190.

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Literatur zur Textstelle F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 2: Lk 9,51–14,35 (EKK III/2), Zürich / NeukirchenVluyn 1996. A. Hentschel, Martha und Maria – zwei vorbildliche Jüngerinnen?, in: B. Heininger (Hrsg.), Geschlechterdifferenz in religiösen Symbolsystemen (Geschlecht – Symbol – Religion 1), Münster 2003, 170–191. J. Schaberg, Luke, in: C. A. Newsom (Hrsg.), Women’s Bible Commentary, London 1992, 363–380. M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008.

Ertrag zur Methode Die Erzählung von Maria und Martha und auch die kurze Perikope von der Erschaffung von Frau und Mann aus der Genesis in ihren unterschiedlichen Übersetzungen zeigen, dass der übersetzte Text je neu mit Sinn versehen wurde und verschiedene Übersetzungen auch zu inhaltlich divergierenden Aussagen führen können. Die Arbeit am Text macht deutlich, dass sich griechische und hebräische Wörter nicht problemlos in unsere Welt übertragen lassen, da das Bedeutungsfeld eines griechischen oder hebräischen Wortes nicht dem deutschen entsprechen muss. Darüber hinaus wird deutlich, dass Bibelübersetzungen verschiedene Zielgruppen haben und keine der vorgestellten Übersetzungen absichtlich Fehler einbaut, sondern zugunsten der besseren Verständlichkeit oder aus Treue zum Text jeweils andere Wörter wählt. Für die Studierenden machen die zum Einstieg gewählten Beispiele und vielleicht selbst gemachte Erfahrungen in fremden Kontexten deutlich, dass Übersetzung kein schematisches Übertragen von Wörtern in eine andere Sprache ist. Die Welt des jeweils Fremden muss mit erschlossen werden, damit Bedeutungsdimensionen erkannt und abgesteckt werden können. Auch hier tragen viele kleine Informationen zu einem größeren Gesamtbild des Alten und des Neuen Testaments bei. Weitere Ideen –– Anstelle des Einstiegs zum übersetzen Gedicht von Goethe könnte man auch mit dem Brockhausartikel „Übersetzung“ beginnen, der einmal um die Welt ging und dabei 52mal übersetzt wurde. Hier lohnt es sich, Ausgangstext und Endtext miteinander zu vergleichen.11

11 Vgl. T. Ulrichs, Übersetzung – Translation – Traduction. Ein polyglotter Zyklus, in: M. Wullen / G. Schauerte (Hrsg.), Babylon. Mythos, München 2008, 138.

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–– Der Film „Lost in Translation“ bietet sich allein schon wegen des Titels an. Die Szene, in der die Whiskeywerbung aufgezeichnet werden soll, eignet sich für den Einstieg gut, weil sie deutlich macht, dass Sprachen Eigentümlichkeiten und Kontexte haben, die beim Sprechen selbst berücksichtigt werden müssen. Deswegen erscheint die deutsche bzw. englische Übersetzung der Übersetzerin sehr viel kürzer als die eigentliche Ansage des japanischen Regisseurs. Die Filmsequenz findet sich unter: http://www.youtube.com/watch?v=0QWlnj9Xg6Y (12.08.16). Um Nachverfolgen zu können, was im Japanischen tatsächlich gesagt wird, lohnt sich ein Blick auf diese Seite (auf Englisch): http://www.9timezones. com/suntory.htm (12.08.16). –– In die ähnliche Richtung geht das Festival des nacherzählten Films, bei dem eine Schweizerin den Film „Godzilla“ nacherzählt. Sie selbst kennt den Film jedoch nicht und bringt deswegen ihren japanischen Freund mit auf die Bühne, der den Film zwar kennt, aber kein Deutsch spricht. Die junge Frau übersetzt auf sehr unterhaltsame Weise aus dem Japanischen und erzählt so Godzilla nach. http://www.total-recall.org/doku/(Sahra Schütz und Kazuhiko Yoshida „Godzilla“ [12.08.16]).

Textorientierte Methoden: Synchrone Perspektiven

Linguistische Analyse Hildegard Scherer

Hinführung zur Methode Im geschriebenen Text häufen sich einzelne Wörter, die Wörter wiederum bestehen aus organisierten Gruppen von Buchstaben. Das alles hat System: Die Wörter stehen als Zeichen für ein Referenzobjekt aus unserer gedanklichen oder gegenständlichen Welt. Nach der Wortbedeutung fragt die (lexikalische) „Semantik“. Mit ihr lassen sich die Wörter zu bestimmten Klassen zusammenfassen, und diese Klassen folgen in festgelegten Mustern aufeinander, um Sätze zu bilden. Dazu ist es auch nötig, die Wörter mittels systematischer Veränderung so zu beugen, dass sie ins Satz-System passen und verschiedene Aspekte (z. B. Zeit) ausdrücken können. Mit dieser systematischen Aneinanderreihung von Wörtern auf Satzebene beschäftigt sich die Syntax. Spielen syntaktische und semantische Bezüge über mehrere Sätze hinweg ineinander, entsteht i. d. R. ein kohärenter Text. Gerade die syntaktische Analyse – im strengsten Fall die genaue Wortbestimmung und -klassifikation – ist mühsame Detailarbeit. In unserem Kontext dient sie nicht der kompletten Erschließung allen Wortmaterials, sondern dem Orten der „Goldkörnchen“, der auffälligen Gestaltungen einerseits und der regelmäßigen Muster andererseits, die dem Text seine innere Struktur verleihen. Und solche Auffälligkeiten wollen treffsicher benannt werden – deshalb ist es für die Exegese unabdingbar, die sprachliche Beschreibung ihres Gegenstands, des Textes, einzuüben und mittels entsprechender Kategorien den Charakter des Textes zu erfassen. Die semantische Analyse, die hier vorgestellt wird,1 fragt zum einen nach Bedeu1 Und wie sie sich ähnlich in neutestamentlichen Methodenbüchern eingebürgert hat, vgl. schon früh Egger, Methodenlehre 95–100, unter den Stichworten „semantisches Inventar“ – „Sinnlinien“ – „Oppositionen“ und Ebner / Heininger, Exegese 97–99. In der Textlinguistik werden unter dem Stichwort „lexikalische Kohäsion“ weitere Kategorien wie Repetition, Über- oder Unterordnung von Begriffen, Meronymie und Paraphrase verhandelt (vgl. Schubert, Textlinguistik 46–55). Ich behalte dennoch die in den o. g. Methodenbüchern verwendete Gruppierungsweise bei und spreche dabei von „Wortfeldern“ im weitesten Sinne (entsprechend ebd. 54: lexical sets / assoziative Felder; vgl. ebd.

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tungen, bringt diese aber auch gleich in Beziehung zueinander: Sie gruppiert Wörter aus einem Gegenstandsbereich zu Wortfeldern; sie findet Oppositionen und Periphrasen, sie stellt fest, wo Wörter in einer uneigentlichen Bedeutung als metaphorische Fremdkörper in der Textumgebung auftauchen. Da bestimmte syntaktische wie auch semantische Phänomene immer wieder auftreten und sich als Besonderheiten im Textverlauf hervorheben, ergibt sich ein Repertoire von „Stilfiguren“, die man leicht erkennen können sollte. Die Methode legt Wert auf ein streng formales Analysieren des Textes. Dies ist – wie bei allen anderen Methoden – nicht Selbstzweck, sondern handwerkliche Voraussetzung für weitere Methodenschritte, z. B. die → Analyse von Gliederung und Komposition oder die → Motivkritik. Darüber hinaus geht es hier um den detaillierten und vor allem umfassenden Blick auf den Text, der eine eklektische Interpretation verhindern soll. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung Kennen –– Die Lernenden kennen wichtige Stilmittel antiker Texte. Können –– Die Lernenden können einen Text umfassend unter formalen Kriterien analysieren. –– Die Lernenden können Besonderheiten eines Textes adäquat formal beschreiben. –– Die Lernenden können aufgrund linguistischer Signale eine begründete Textstruktur benennen. Literatur zur Methode H. Baumgarten, Compendium Rhetoricum. Die wichtigsten Stilmittel. Eine Auswahl, Göttingen 22007. H. Bussmann (Hrsg.), Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 42008. M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015. W. Egger, Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguistische und historisch-kritische Methoden, Freiburg i. Br. 1987. W. Kürschner, Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe (UTB 1526), Tübingen 62008. 76–79 zu frames / scripts als kulturell geprägte, mentale Wissensbündel): Darin sammeln sich die übrigen Phänomene weitgehend. Allein die Opposition (ebd. 49: Antonymie) sei herausgehoben, da sie sich als stark strukturbildend erweist. Ich erweitere zudem um die m. E. hilfreichen Stilmittel Periphrase und Metapher.

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C. Schubert, Englische Textlinguistik. Eine Einführung (Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik 30), Berlin 22012.

Baustein AT: Semantische Analyse an Ps 23 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– Grundwissen zu den biblischen Psalmen. Können –– Die Lernenden können aufgrund ihrer kulturellen und sprachlichen Kompetenz Begriffe nach thematischen Feldern ordnen. Einstieg Begriffsgruppen sind ein Alltagsphänomen, das wir intuitiv erfassen. So kann die Leitung die Lernenden bitten, das Wortfeld zu einem Begriff wie z. B. „Universität“ auszuleuchten – indem sie reihum je ein dazu passendes Wort nennen: „Studierende“, „Seminar“, „exzellent“, „promovieren“ … Diese Begriffe ordnen wir aufgrund unseres Weltwissens zusammen: Dies kann die Leitung verdeutlichen, indem sie darauf hinweist, niemand wäre wohl eben auf die Idee gekommen, Wörter wie „Heftpflaster“, „blond“ oder „klettern“ einzuspeisen. Die kulturelle Bedingtheit und damit u. U. Fremdheit von Wortfeldern zeigt sich am Beispiel eines „Festessens“: Ein griechisch-römisch sozialisierter Mensch könnte mit Begriffen wie „Porzellan“ oder „Kroketten“ nichts anfangen – würde aber sofort an eine „mittlere Liege“ oder ein „Trankopfer“ denken. Wenn die Leitung nach dieser „Aufwärmübung“ noch Metapher, Periphrase (Stichwort: Kreuzworträtsel) und Opposition an interaktiven Beispielen veranschaulicht, stehen die Kategorien für die semantische Analyse fest: Sie werden nun auf Ps 23 angewandt. Erarbeitung / Vertiefung Die Aufgabe ist einfach: Die Lernenden erhalten Ps 23 in Sinnzeilen2 und sind gefordert, den Text auf die eben besprochenen semantischen Phänomene abzuklopfen. Die Ergebnisse werden dann im Plenum gesammelt, indem etwa auf einer

2 Hier exemplarisch nach der Elberfelder Übersetzung, die an manchen Stellen guten Anlass zur Übersetzungs- bzw. Textkritik bietet: z. B. V. 1ab: Kursivierung der Psalmüberschrift; V. 1c und 6b: Übertragung des Gottesnamens; V. 3a: „Seele“, missverständlich im Sinne eines Leib-Seele-Dualis-

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Folie mit dem Text die genannten Wortfelder oder Begriffe in unterschiedlichen Farben visualisiert werden: Wortfelder Schnell werden sich folgende Wortfelder finden lassen: (a) Tierweide: Hirte, lagert, auf grünen Auen, führt, zu stillen Wassern, leitet, auf Pfaden, wandere, Tal, du bist bei mir, Stecken, Stab;3 (b) Mahl: Tisch, Becher, Haus; (c) Bewegung: führt, leitet, wandere, folgen, kehre zurück; (d) Bedrohung: mangeln, Tal des Todesschattens, fürchte, Unheil, Feinde. Eine erste grobe Strukturierung wirft weitere Fragen auf, die im Dialog von Leitung und Lernenden behandelt werden: Anhand der Wortfelder „Tierweide“ und „Mahl“ lässt sich der Psalm zwischen V. 4 und V. 5 zäsurieren; die Wortfelder „Bewegung“ und „Bedrohung“ überlagern jedoch die beiden Abschnitte und bilden dadurch thematische Kohärenz. Innerhalb der Wortfelder bilden sich jeweils Paare oder Dreiergruppen von Sinnzeilen: In V. 2ab geht es um Nahrung; in V. 3b und 4a um Wegleitung; in V. 4b und d um Emotionen; in V. 5abc um Mahl; in V. 6ab um einen Lebensausblick: Die Lernenden können an dieser Stelle auf das Phänomen des Parallelismus membrorum aufmerksam gemacht werden. Doch betrachtet man die Wortfelder genauer, so fallen Störer auf, die sich bislang nicht integrieren ließen: Am deutlichsten sprengt der Begriff „Gerechtigkeit“ in V. 3b das Wortfeld der Tierweide: Anders als bei den sonst beschriebenen materiellen und emotionalen Umständen gelangen wir hier ins Feld der Bewertung und (theologischen) Reflexion.4 Eine solche Kennzeichnung der „Pfade“ sprengt die Perspektive des Tieres. Dieser Störer zeigt, dass wir es hier mit metaphorischer Rede zu tun haben: Im Bild des Tier-Hirten-Verhältnisses wird ein Gott-Mensch-Verhältnis beschrieben; die Pfade meinen also die Lebenspfade des Menschen; dies bestätigt nochmals die in V. 1c gewählte Überschrift, die im Übrigen durch die Wiederholung des Gottesnamens in V. 6b zur Inklusion wird.5 mus bzw. theologischen Begriffs, im Hebräischen als „Leben“ aber durchaus in die Tiermetaphorik passend; V. 5a: „angesichts meiner Feinde“, wobei die Präposition zu klären wäre; V. 6: EÜ übersetzt „wohnen“, zum textkritischen Problem vgl. z. B. Zenger, Lebensgemeinschaft 153, der im MT einen Reflex auf die Tempelzerstörung vermutet. Differenzierte Erläuterung zur Übersetzung aus dem Hebräischen: Janowski, Hirte 154 f. 3 Die Begriffe meinen verschiedene Gegenstände: den kurzen Schlagstock zur Selbstverteidigung einerseits, den (langen) Stab zum Leiten der Tiere andererseits (vgl. z. B. Zenger, Lebensgemeinschaft 155). 4 Zur Terminologie vgl. Janowski, Hirte 154: „Bahnen, wie sie sein sollen“. 5 Zum metaphorischen Potential von V. 3b, auch von V. 2b, vgl. Janowski, Hirte 157–159. Hier kann sich nach Zeit und Gusto ein kleiner Exkurs zur kulturellen Prägung der Metaphorik („geprägte Metaphern“) von „Weg“ und auch „Hirte“ anschließen. Vergegenwärtigt man sich das script einer Hirtentätigkeit, so fällt auch auf, dass die metaphorische Rede hier eine gezielte Auswahl trifft: Beschrieben werden nur die lebensförderlichen Aktivitäten; die wirtschaftliche Nutzung der Tiere von der Schafschur über das Melken bis hin zum Schlachten bleiben außen vor (vgl. Oeming, Psalmen 155).

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In V. 5b bleibt die Ölsalbung offen. Hier zeigt sich eine Verzahnung von semantischer Analyse und Frage nach dem kulturellen Hintergrund: Kennt man die Gepflogenheiten antiker Gastfreundschaft (und Körperpflege), so erweisen sich V. 5 und 6 als kohärent.6 Ein letztes Rätsel gibt V. 6b auf: Handelt es sich beim „Haus des HERRN“ um eine Periphrase für den Jerusalemer Tempel7 – oder meint der Begriff eine metaphorische Gastfreundschaft Gottes?8 Hier kann die Leitung in einem Ausblick einige Interpretationsmöglichkeiten zur Pragmatik des Psalms kritisch nebeneinanderstellen.9 Struktur Abschließend benennen die Lernenden einen Vorschlag zur Binnenstrukturierung des Textes, der sich nun mit semantischen Beobachtungen begründen lässt. Wenn in der nächsten Sitzung auch die syntaktische Analyse an diesem Text durchgeführt wird,10 können die dabei entstandenen Strukturen mit dem Erarbeiteten verglichen, evtl. zur Synthese gebracht werden und schließlich mit dem differenzierten Vorschlag von E. Zenger oder B. Janowski11 verglichen werden. Terminologische Erweiterung Ggf. zur Nacharbeit erhalten die Lernenden eine Zusammenstellung wichtiger biblischer Stilmittel12 mit der Aufgabe, die semantischen von den syntaktischen Phänomenen zu trennen. Erkenntnisgewinn Text / didaktischer Abschluss Ein scheinbar simpler und häufig genutzter Text erschließt sich durch die semantische Analyse in seiner Komplexität. Was man unkritisch als Psalmtext rezipiert,13 zeigt sich spannungsgeladen und voller Fragen, hinter einem einfachen „Bild“ eröffnen sich kulturelle und theologische Details. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit weiterer Methodenschritte, vor allem die Frage nach dem kulturellen Hintergrund plausibel.   6 Zum Hintergrund vgl. z. B. Arterbury / Bellinger Jr., Hospitality.   7 So z. B. Kraus, Psalmen 339 f.   8 Vgl. in diesem Sinne Oeming, Psalmen 157: „Bild für die permanente Verbundenheit mit Gott“.   9 Vgl. die Übersicht bei Oeming, Psalmen 152–154. 10 Untersuchen ließen sich: Personalpronomina / Verbform Person / Agens; Parataxe / Hypotaxe; Parallelismus; evtl. Zeitstufen. 11 Vgl. Zenger, Lebensgemeinschaft 153; Janowski, Hirte 153. 12 Vgl. z. B. Egger / Wick, Methodenlehre 123 f. 13 Die Leitung kann auch zu Beginn die ersten Begegnungen mit und das Vorwissen zu Ps 23 abfragen; zum Schluss vergleichen die Studierenden, was sich durch die Analyse verändert oder differenziert hat.

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Literatur zur Textstelle R. E. Arterbury / W. H. Bellinger Jr., „Returning“ to the Hospitality of the Lord. A Reconsideration of Ps 23,5–6, in: Bib. 85 (2005) 387–395. W. Egger / P. Wick, Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen (Grundlagen Theologie), Freiburg i. Br. 62011. B. Janowski, Der Gute Hirte. Psalm 23 und das biblische Gottesbild, in: Ders., Der nahe und der ferne Gott. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Bd. 5, Neukirchen-Vluyn 2014, 147–171. H.-J. Kraus, Psalmen, Bd. 1: Psalmen 1–59 (BK XV/1), Neukirchen-Vluyn 51978, 334–341. M. Oeming, Das Buch der Psalmen. Psalm 1–41 (Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 13/1), Stuttgart 2000. E. Zenger, Psalm 23. Bleibende Lebensgemeinschaft mit JHWH, in: F.-L. Hossfeld / Ders., Die Psalmen, Bd. 1: Psalm 1–50 (NEB.AT 29), Würzburg 1993, 152–156.

Baustein (NT): Syntaktische Analyse an Röm 8,31–39 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– Grundbegriffe der Sprachbeschreibung (Satzarten, Wortarten, Wortformen). –– Grundwissen zu einem paulinischen Brief. Einstieg Die Lernenden werden gebeten, einen Satz zu bilden – aber auf eine spezielle Art und Weise: Der Satz wird gemeinsam formuliert, indem jeder reihum nur ein Wort anfügt. Ganz nach Kreativität der Gruppe kann dabei ein witziges Konstrukt entstehen, das die Leitung Wort für Wort an der Tafel mitnotiert. Dass auf diese Weise überhaupt ein sinnvoller Satz zustande kommt, dass wir als Muttersprachlerinnen und Muttersprachler eine Art inneres „Programm“ in uns tragen, das uns spontan grammatische Strukturen korrekt anwenden lässt – dies verdanken wir unserer Sprachkompetenz. Die entsprechenden Regeln sind das Gebiet der „Syntax“. Die syntaktische Analyse stellt die Kategorien bereit, mit denen wir diesen Vorgang präzise – wissenschaftlich – beschreiben können. Das soll nun mit dem gemeinsam erstellten Beispielsatz entstehen: Die Lernenden sammeln alles, was sie an sprachlichem Metawissen über diesen Satz besitzen: z. B., wo es Haupt-, wo es Nebensätze gibt, in welcher Zeitstufe das Verb steht, ob es sich um einen Aussagesatz handelt … Diese spontanen Beobachtungen werden anschließend zu einem vollständigen strukturierten Begriffsinventar ausgebaut: Die Leitung verteilt Wortkarten mit allen Satz- und Wortarten sowie mit den Wortformen (aus zeitökonomischen Gründen

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am besten beschränkt auf die Wortformen des Verbs) in bunter Mischung an die Lernenden. Diese haben die Aufgabe, ihre jeweilige Karte den Rubriken „Satzart“ – „Wortart“ – „Wortform“ korrekt zuzuordnen. Alternativ (und bei beengten Raumbedingungen) schreiben die Lernenden die entsprechenden Begriffe zunächst selbst für sich auf, dann werden sie an der Tafel gesammelt. Zusätzlich kann die Leitung auch eine Übersicht der wichtigsten Stilmittel ausgeben. Ist so das Begriffsinventar erarbeitet, kann es auf einen biblischen Text angewandt werden, um dessen Besonderheiten (und Struktur, das wäre der nächste Schritt) aufzudecken. Erarbeitung / Vertiefung Der Text Röm 8,31–39 wird laut vorgelesen. In Einzelarbeit am schriftlichen Text benennen die Lernenden dann Auffälligkeiten in der syntaktischen Struktur: Satzebene Fragen sind die V. 31a.bc.32.33a.34a.35a.b–h.14 Danach finden sich nur noch Aussagesätze. Die Fragen verwenden die Fragepronomen was / wer / wie; sie evozieren die Antwort „nicht(s) / niemand“, sind also rhetorische Fragen. Die abschließenden Fragen V. 35 sind aufeinander bezogen: V. 35b–h bilden eine Ellipse, die V. 35a als Ergänzung voraussetzen. Wortebene Was die Pronomen bzw. Person der Verben angeht, nimmt der Text die 1. Person Plural, das Gesamt der Adressaten zusammen mit dem Sprecher, in den Blick. Nur in V. 36b zeigt sich ein Wechsel der Sprechrichtung in die 2. Person Singular („deinetwegen“) im Rahmen des Zitats und in V. 38a ein Einwurf des Sprechers in der 1. Person Singular. Konjunktionen häufen sich in den syndetischen Reihungen in V. 35b–h („oder“) und V. 38b–39c („weder … noch“).15 Die adversative Konjunktion „doch“ in V. 37 setzt nach dem Zitat eine Zäsur. V. 38 f., eine syntaktische Einheit, ist mit diesem V. 37 über die begründende Konjunktion „nämlich“ verbunden.

14 Zum Vorschlag, alle Teile der V. 33 f. entgegen der Konvention als Fragen zu verstehen, vgl. Jewett, Romans 540 f. (dort ältere Forschung). 15 Die Reihen selbst bieten Anlass für eine semantische Analyse, die Paare / Dreiergruppen (V. 35b–d. ef.gh mit Metonymie „Schwert“; V. 38de) oder Oppositionen (V. 38bc.fg; V. 39ab) oder den Überbegriff in V. 39c herausarbeiten kann. Die Leitung kann die Frage stellen, welche besondere Funktion wohl diese Reihen erfüllen: Sie illustrieren die Totalaussagen (räumliche / zeitliche Dimensionen) und schaffen konkrete Situationsbezüge: z. B. mit „Schwert“ als Zeichen der römischen Staatsmacht (vgl. z. B. Haacker, Römer 214: ius gladii).

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Textstruktur Die Textstruktur lässt sich unter Einbezug semantischer Beobachtungen erfassen: Durch die Inklusion „Trennen / Liebe Christi“ (V. 35a; 39d; vgl. 37a) werden die Fragen in V. 35, ergänzt durch das Schriftzitat,16 mit einem Antwortkomplex V. 37–39, bestehend aus positiver („wir siegen“; V. 37) und negativer Aussage („wird uns nicht trennen“; V. 38 f.), verbunden. Aufgrund der Länge dieser Frage-Antwort-Kombination handelt es sich hier um den Texthöhepunkt.17 Dem vorgeschaltet sind zunächst eine Frage, die mit dem Vorausgehenden verbindet (V. 31a), dann eine Reihe von rhetorischen Fragen mit eingestreuten Aussagesätzen: Die erste Frage V. 31b nennt die Thema-Frage: Sie setzt die beiden Pole „für uns“/„gegen uns“, die dann in zwei Durchgängen gefüllt werden: Durch einen ersten Fragenkomplex bis V. 34d zieht sich das Wortfeld des Gerichts (klagen; Gerechtsprechender; Verurteilender; eintreten für = Anwaltstätigkeit), das auf himmlischer Ebene stattfindet. „Gott“ und „Jesus“ sind „für uns“. V. 35–37 konzentrieren sich dagegen auf die irdischen Kräfte, die „gegen uns“ agieren – nach der Überzeugung des Paulus erfolglos. Im Anschluss kann nun die linguistisch begründete These zur Textstruktur mit gängigen Kommentaren zur Stelle ins Gespräch gebracht werden, um nun selbst das Vorgehen der „Profis“ in Augenschein nehmen zu können, um vielleicht aber auch festzustellen, dass man durch methodisches Arbeiten schon zu ähnlichen Ergebnissen vordringen kann. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die linguistische Analyse, idealerweise an diesem Text in beiden Komponenten durchgeführt, zeigt, dass jedes Wort dieses Textes wohlgesetzt ist. Die poetisch-ästhetische Kraft unterstreicht das Anliegen des Paulus, sein „Glaubensbekenntnis“, dass nämlich über alle menschlichen Anfechtungen hinaus ein unüberwindlicher Halt in Gott besteht. Gleichzeitig helfen Gerichtsszenario und Listen, die Lebenserfahrungen hinter diesem Bekenntnis aufzugreifen. Erst im Zuge der Analyse gelingt es zudem, schwer erschließbare Textdetails zu integrieren. Literatur zur Textstelle M. Ebner, Leidenslisten und Apostelbrief. Untersuchungen zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge bei Paulus (fzb 66), Würzburg 1991, 365–371. K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6), Leipzig 42012. R. Jewett, Romans. A Commentary (Hermeneia), Minneapolis (MN) 2007.

16 Semantisch führt das Zitat die Linie von „Schwert“ / gewaltsamer Tod weiter, vgl. Haacker, Römer 214 f. 17 Im Zusammenziehen der Elemente besteht der Unterschied gegenüber der Strukturierung von Ebner, Leidenslisten 370, dem alles Weitere folgt.

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Ertrag zur Methode Linguistische Analyse kommt zunächst sehr formalisierend und detailfreudig daher: Sie zwingt damit aber zur Genauigkeit und damit auch zu einer Texterfassung, die oberflächlichen und selektiven Schlüssen vorbeugt. Wenn sich die Details schließlich zu einem Strukturmuster des Textes fügen, lässt sich die Aussageabsicht und rhetorische Strategie deutlicher greifen – ein erster Schritt, das theologische Potential auch in angemessene Worte fassen zu können. Im Ringen mit schwer integrierbaren Befunden setzt ein Klärungsprozess ein, der auf spätere Schritte wie die → Motiv- oder → Literarkritik verweisen kann. Schließlich werden die unbewussten Effekte eines „gut klingenden“ Texts bewusst gemacht – ein Beitrag zum kritischen Umgang mit dem Text. Weitere Ideen Einstieg: Word Cloud Ein eher visuell orientierter Einstieg speziell in die Thematik der semantischen Analyse kann auch über das Erstellen einer „word cloud“ zu einem neutestamentlichen Text erfolgen. Mit Hilfe eines entsprechenden Programms (s. etwa www. wordle.net) wird ein Text in seine primär autosemantischen Bestandteile zerlegt. Die besonders häufig im Text vorhandenen Begriffe werden in diesem Rahmen größer dargestellt. Dabei handelt es sich zwar nicht um die Darstellung von Wortfeldern, aber der Analogieschluss auf Ziele und Methodik der semantischen Analyse lässt sich leicht nachvollziehen. Transfer: Plädoyers und Diskussion Wenn alle Analysetechniken „sitzen“, bietet sich evtl. die Möglichkeit zu einer aktiven Anwendungsübung, die allerdings etwas Zeit erfordert: Die Leitung wählt einen Text sowie zwei verschiedene Gliederungsvorschläge dazu aus der Sekundärliteratur aus, die sie auf ihr schematisches Gerüst von Versangaben und ggf. Zwischenüberschriften reduziert. Die Lernenden teilen sich in zwei Gruppen ein. Jede Gruppe erhält nun die biblische Perikope sowie je ein Gliederungsschema. Die Lernenden haben nun die (Haus-)Aufgabe, ihr Gliederungsschema en detail zu untersuchen: Auf welche Textbeobachtungen kann sich der Vorschlag stützen? Welche Kriterien werden angewandt? Im anschließenden Plenum hält nun jede Gruppe ein Plädoyer für „ihre“ Gliederung und stellt sich den kritischen Anfragen der anderen Gruppe. Anschließend fragt die Leitung nach den eigenen Fazits der Lernenden: Würden sie ein neues gemeinsames Schema formulieren, sich für eines der beiden entscheiden – oder aber beide für berechtigt halten? Beim anschließenden Blick in die Begründungen der zugrunde gelegten Sekundärliteratur können sich die Stu-

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dierenden nochmals über ihre zusammen erarbeiteten Kriterien vergewissern, sich von bisher Ungenanntem überraschen lassen – oder aber feststellen, dass sie evtl. differenziertere Argumente gefunden haben.

Analyse von Gliederung und Komposition Markus Lau

Hinführung zur Methode Neben der Textabgrenzung gehören die Gliederung eines Textes und die Analyse seiner kompositorischen Merkmale zu den exegetischen Standardvorgehensweisen, die in der Regel am Anfang jeder Beschäftigung mit einem biblischen Text stehen. Dabei geht es der Gliederungsanalyse darum, die Struktur des Textes nachzuvollziehen, den Text zu gliedern und seinen Aufbau etwa in Form von Strukturschemata zu beschreiben. Die Kompositionsanalyse – auch Kompositionskritik genannt – befragt in einem zweiten Schritt den gegliederten Text im Blick auf für antike Literatur typische Bauformen wie z. B. Inklusionen, Parallelismen, Chiasmen oder konzentrische Ringstrukturen. Im Letzten geht es also darum, die planvolle Komposition eines Textes zu erfassen. Eine solche Analyse dient nicht nur der Wahrnehmung und Würdigung des biblischen Textes als eines ästhetisch gehaltvollen literarischen Kunstwerks. Die Analyse von Gliederung und Komposition ist auch ein guter Weg, um einen methodisch rückgebundenen Überblick über den Text als ganzen zu gewinnen, seinen Inhalt und seine Baustruktur kennenzulernen und möglichst umfänglich zu erfassen. Sie dient also auch einer ersten Annäherung an den Text. Darüber hinaus kann die Gliederungsanalyse eine Vorbereitung für die Gattungsanalyse sein, wenn sie die Struktur eines Textes mit den typischen Bauformen antiker Gattungen wie Wundergeschichten, Berufungserzählungen, Gleichnissen usw. abgleicht (→ Gattungskritik). Schließlich kann insbesondere die Kompositionsanalyse bereits eine Vorarbeit für Fragen nach der Textfunktionalität, also nach der pragmatischen Intention eines Textes im Gefüge von Autor und intendiertem Adressatenpublikum, darstellen (→ Pragmatische Analyse). Oft trägt nämlich bereits die Form einen Teil der Botschaft. Was einem Autor wichtig ist, das rückt er etwa durch eine inklusorische Ringstruktur ins Zentrum seines Textes oder stellt es im Rahmen von Parallelismen, die vielleicht auch noch in Form einer Klimax oder eines Trikolons angeordnet sind, an das Ende der Kette. Derartige kompositorische Baustrukturen gilt

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es zu erfassen und im Verbund mit den Ergebnissen weiterer exegetisch-methodischer Analysen zu interpretieren. Die Analyse von Gliederung und Komposition kann sich auf verschiedene Text­ ebenen/-größen beziehen. Klassisch wird die qua → Textabgrenzung bestimmte Einzelperikope im Blick auf Gliederung und Komposition untersucht. Möglich ist es freilich auch, eine Gesamterzählung wie das Markusevangelium oder ein ganzes Buch, wie etwa das Sammelwerk Bibel, zu gliedern und kompositionell zu untersuchen; allerdings erfolgt dies meist im Rahmen der Vorlesungen zur Einleitung in das Alte/Neue Testament und ist Bestandteil typischer Einleitungswerke. Im Blick auf die Kriterien, die für die Gliederung eines Textes argumentativ genutzt werden, ist es nötig, zwischen Texten eines eher narrativen Grundtyps und solchen argumentativer Natur zu differenzieren. Dabei handelt es sich sachlich jeweils um die Kriterien, die auch für die → Textabgrenzung von Perikopen im Rahmen narrativer und argumentativer Texte genutzt werden, wobei die Kohäsion eines zu gliedernden Textes etwa angesichts einer durchgehenden Thematik gewahrt sein muss, da andernfalls die Gliederung zur Textabgrenzung mutieren würde (die entsprechenden Kriterienkataloge finden sich im Kapitel → Textabgrenzung). Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden rekurrieren auf ihre bereits vorhandenen Textgliederungsfähigkeiten und können diese auf biblische Texte anwenden. –– Die Lernenden eignen sich Kenntnisse über typische Bauformen antiker Texte an und können diese Bauformen in konkreten Texten analytisch identifizieren. –– Die Lernenden analysieren begründet die Struktur und Komposition eines biblischen Textes und können diese im Blick auf ein erstes Textverständnis interpretieren. –– Die Lernenden können in der Sekundärliteratur vorhandene Gliederungsmodelle angesichts der Wirklichkeit konkreter Texte modifizieren und die Modelle unter Rekurs auf den konkreten Text kritisieren. –– Die Analyse von Gliederung und Komposition schärft auf Seiten der Lernenden den Blick für den gesamten zu untersuchenden Text. Die im exegetischen Geschehen immer vorhandene Gefahr der potentiellen Reduktion des Textes auf nur passende / interessante Textelemente wird auf diese Weise minimiert. Dadurch wird der Entstehung eines virtuellen Hypertextes1 aktiv entgegengearbeitet.

1 Zu diesem Konzept im Rahmen der Lektüre biblischer Texte vgl. Schramm, Alltagsexegesen 91–112.

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Literatur zur Methode M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 92–97.118–121. W. Egger / P. Wick, Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen (Grundlagen Theologie), Freiburg i. Br. 62011, 81–84.125 f. T. Meurer, Einführung in die Methoden alttestamentlicher Exegese (Theologische Arbeitsbücher 3), Münster 1999, 39–54. C. Schramm, Alltagsexegesen. Sinnkonstruktion und Textverstehen in alltäglichen Kontexten (SBB 61), Stuttgart 2008.

Baustein AT: Chaos und Gottvertrauen (Gen 11; Ps 138) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Basale Fähigkeiten zur Gliederung eines Textes, wie man sie sich etwa im Schul­ unterricht angeeignet hat. –– Kenntnis der Kriterien für eine Textabgrenzung sowie Fähigkeit zur Anwendung dieser Kriterien. Einstieg Dass man Texte gliedern kann, um sich eine erste Orientierung über den Text und seinen Inhalt zu verschaffen, wissen die meisten Lernenden aus dem Schulunterricht. Und auch von typischen Bauformen eines Textes, etwa dem Aufbau einer Argumentation oder der Form eines Gedichts, haben die meisten schon gehört. Entsprechend kann die Leitung ohne längere Voraberklärungen direkt in die Thematik einsteigen. Im Sinne einer zunächst nicht textbasierten Hinführung können sodann etwa Architekturbeispiele dienen. So lassen sich mit wenig Aufwand etwa die Grundrisse großer Kirchen wie St. Peter in Rom oder der Kölner Dom projizieren. Die Lernenden sind dann aufgefordert, die Struktur der Gebäude zu beschreiben. Etwa: Wie lässt sich der Kirchenraum gliedern? Wie viele Schiffe gibt es im Gebäude, ergeben sich dabei Parallelen, steht ein Schiff im Zentrum? Welche anderen architektonischen Fluchtlinien gibt es? Gibt es ein gebautes Zentrum? Wird etwa der Altarraum durch einen Kapellenkranz inkludiert? Usw. Es empfiehlt sich, in diesem Zusammenhang bereits die Terminologie zu nutzen und knapp zu erklären, die auch bei der Kompositionsanalyse verwendet wird. Der für das Folgende notwendige Analogieschluss von der Architektur, die sich gliedern, im Blick auf ihre Komposition analysieren und schließlich auch im Blick auf die

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Pragmatik2 untersuchen lässt, auf die prinzipiell ebenfalls strukturierbaren Texte dürfte für die Lernenden leicht nachzuvollziehen sein. Erarbeitung / Vertiefung Die Leitung kann zunächst Sinn und Ziel von Gliederungs- und Kompositionsanalyse erläutern. Im Anschluss bietet es sich an, das bei den Lernenden bereits vorhandene Vorwissen über Gliederungskriterien und potentielle Kompositionsformen antiker Texte in einem Plenumsgespräch zu eruieren und für alle zu sichern. Dabei sollten die unterschiedlichen Gliederungskriterien für narrative und argumentative Texte thematisiert werden. Ein Merkblatt mit typischen Kompositionsformen (Chiasmen, Parallelen, Inklusionen, Ringstrukturen usw.) und dazu passenden biblischen Beispieltexten kann zudem hilfreich sein. In diesem Zusammenhang sollte die Leitung darauf verweisen, dass es nicht das Ziel von Gliederungs- und Kompositionsanalyse ist, bestehende Schemata auf einen Text zu „pressen“. Die schematisierten Kompositionsformen sollen vielmehr als Anregung dienen, um die je individuelle Struktur eines Textes zu erfassen. Die Analyse von Gliederung und Komposition hat eben auch einen „kreativen“ Anteil und lebt gerade für in der Materie Unerfahrene auch von einer kleinen Portion Intuition. Bewusst sollte auch darauf verwiesen werden, dass es nicht zwangsläufig nur eine richtige Gliederung geben kann. Vielmehr lassen sich je nach Gewichtung der Textphänomene mehrere Gliederungsmodelle argumentativ begründet entwickeln. Es kann hilfreich sein, wenn die Leitung vor der Eigenarbeit der Lernenden an einem instruktiven Beispiel die Technik von Gliederungs- und Kompositionsanalyse für alle vorführt. Dazu kann man eine Perikope zunächst projizieren, vorlesen und dann sukzessive gliedern sowie die kompositionellen Merkmale erfassen.

Um möglichst viele unterschiedliche Texte, Gliederungstypen und Kompositionsformen thematisieren zu können, kann im Anschluss an die theoretischen Erläuterungen (und die evtl. praktische Vorführung von Gliederungs- und Kompositionsanalyse durch die Leitung) in Kleingruppenarbeit weiter verfahren werden, wobei je zwei Kleingruppen denselben Text zu bearbeiten haben, damit sich im Idealfall zeigt, dass sich ein Text begründet unterschiedlich gliedern lässt. Die Anzahl der thematisierten Texte hängt freilich von der Gesamtgruppengröße ab. In diesem Baustein werden zwei Texte vorgestellt: Gen 11,1–9 und Ps 138 (ausführliche Gliederungsskizzen sowie Übersetzungen finden sich unter den → Materialanhängen). An guten Alternativen herrscht freilich weder im Alten noch im Neuen Testament ein Mangel. Es ist zweckmäßig, für jede Gruppe die jeweilige Perikope inklusive 2 In großen Kirchen werden in der Regel Altarraum und Mittelschiff, das ja gerade nur dann als ein solches anzusprechen ist, wenn es eine Rahmung durch Seitenschiffe gibt, durch die räumliche Gestaltung besonders betont und als Zentren des Baues erkennbar.

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ihres engeren literarischen Kontexts auf gesonderten Arbeitsblättern vorzubereiten, damit die Lernenden mit Farbstiften zur Tat schreiten können. Zu Beginn der Auswertungsphase sollten an alle Lernenden sämtliche Texte ausgeteilt werden, damit alle die von den Kleingruppen präsentierten Ergebnisse am eigenen Textblatt nachvollziehen und im Blick auf die Abschlussdiskussion notieren können. Die Auswertung sollte im Blick auf die Texte paarweise erfolgen, wobei zunächst die jeweils vorgenommene Textabgrenzung vorgestellt und unter Umständen problematisiert werden kann. Die beiden Gliederungsmodelle können dann nacheinander vorgestellt und begründet werden. Dabei ist insbesondere auf evtl. vorhandene Unterschiede und die sie begründenden Textbeobachtungen zu achten. Schließlich sind die Beobachtungen zur planvollen Komposition des jeweiligen Textes zu thematisieren. Im Durcheinandertal: Der Turmbau zu Babel (Gen 11,1–9) Die Erzählung vom Turmbau zu Babel gehört fraglos zu den bekanntesten alttestamentlichen Geschichten. Ihre Popularität wurde nicht zuletzt durch ihre Rezeption im Rahmen der Kunstgeschichte forciert. Die neun Verse der Erzählung weisen dabei eine planvolle Komposition auf. Arbeitsaufträge –– Bestimmen Sie im Rahmen einer Textabgrenzung zunächst Anfang und Ende des Textes. Welche Argumente sprechen für die von Ihnen gewählte Text­ abgrenzung? –– Gliedern Sie den Text und prüfen Sie, ob er aus kleineren Segmenten besteht. Woran machen Sie diese fest? Nennen Sie also die für Sie entscheidenden Gliederungskriterien. Hilfreich kann es sein, für die einzelnen Segmente Zwischenüberschriften zu vergeben. –– Achten Sie auf typische kompositionelle Merkmale und Strukturen innerhalb des Teiltextes. –– Bereiten Sie Ihre Ergebnisse so vor, dass Sie ein Gliederungsmodell dem P ­ lenum präsentieren können (dazu können z. B. Tafelbilder entworfen, OHP-Folien beschrieben oder ein Modell am Computer erstellt werden). Textbeobachtungen und Ergebnisse Die Textabgrenzung lässt sich für Gen 11,1–9 leicht durch die evidenten Gattungswechsel begründen. Die Erzählung ist sandwichartig zwischen zwei umgebende Stammbäume (Gen 10: die Söhne Noahs; Gen 11,10–32: von Sem bis Abraham) eingefügt. Dass damit auch ein Themenwechsel verbunden ist, liegt natürlich auf der Hand. Im Rahmen der Gliederung der Turmbauerzählung wird der Übergang von V. 4 zu V. 5 wohl als deutlichster Einschnitt wahrgenommen werden. Nachdem bis V. 4 von den Taten der Menschen die Rede war, blendet die Erzählung ab V. 5

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in die göttliche Sphäre über. Es liegt also ein Perspektivwechsel im Blick auf die Aktanten vor. Das erlaubt eine erste Untergliederung des Textes in die Abschnitte V. 1–4.5–9. In den V. 1–4 lässt sich sodann V. 1 als Exposition auffassen. Er hält als Erzählerkommentar den Ausgangszustand der gemeinsamen Sprache auf der ganzen Erde fest. Die V. 2–4 haben hingegen ausschließlich die Taten der Menschen im Blick. Diese Verse lassen sich ihrerseits noch feiner untergliedern: V. 2 erzählt die Ankunft an einem neuen Ort, die V. 3 f. berichten von den in Selbstaufforderungen (zweifaches „Auf “) gekleideten Plänen der Menschen: V. 3 beschäftigt sich mit der Herstellung von Baumaterial, V. 4 mit den Bauplänen für Stadt und Turm. Die Ausführung des Vorhabens wird nicht mehr erzählt, sondern durch V. 5 implizit vorausgesetzt. Der ganze Abschnitt V. 2–4 mündet in der finalen Begründung für das menschliche Bauvorhaben: Man will sich einen Namen machen und sich gerade nicht über die ganze Erde zerstreuen. Der Turm soll also eine Art Leuchtturm sein, an dem man sich orientieren kann und um den sich alle versammeln sollen. Im Rahmen der V. 5–9 lässt sich zunächst V. 9 als abschließender Erzählerkommentar vom Rest des Textes abtrennen. Die V. 5–8 ruhen hingegen ganz bei Gott und seinen Überlegungen. Dabei wird der Abschnitt durch das dreifache „Und der Herr“ (V. 5.6.8) strukturiert. Dem entspricht auch der jeweils unterschiedliche Inhalt der Verse und die enge Anbindung von V. 7 an V. 6: die Gottesrede von V. 6 wird in V. 7 ohne Unterbrechung fortgeführt. Kompositorisch auffällig ist in diesem Zusammenhang die Dynamik der Bewegungen: Bauen die Menschen ihren Turm gleichsam himmelhoch, so kommt ihnen Gott von oben entgegen („fuhr herab“, V. 5.7). Beide Hauptabschnitte, V. 2–4 und V. 5–8, sind von einer grundsätzlichen Parallelität gekennzeichnet. Auf die Ankunft am Ort des Bauprojekts (V. 2.5) folgt eine z. T. in Gesprächsform gekleidete Schilderung der Pläne und Überlegungen der Menschen bzw. Gottes (V. 3 f.6 f.). Dabei wirkt das „Auf “ von V. 7 als deutlicher Rückverweis auf die „Auf “-Forderungen der Menschen in den V. 3 f. Die Parallelität wird indes durch den überständigen V. 8, die Ausführung der göttlichen Pläne, der auf den ersten Blick keine unmittelbare Entsprechung in den V. 2–4 hat,3 gesprengt. Gottes Entschluss durchkreuzt die Pläne der Menschen. Allerdings gibt es deutliche Stichwortbezüge zwischen den Enden der beiden Hauptabschnitte. Endet V. 4 mit der Absicht der Menschen, die Stadt zu bauen, um sich nicht zu zerstreuen, so erzählt V. 8, wie Gott genau diese Pläne konterkariert: Die Menschen zerstreuen sich über die ganze Erde und hören auf, die Stadt zu bauen. Der ganze Text wird schließlich durch eine Stichwortverbindung zwischen V. 1 und V. 9 gerahmt. Hält V. 1 fest, dass die ganze Erde ein und dieselbe Spra­ che hatte, so erklärt der Kommentar in V. 9, dass Gott nun die Sprache der ganzen Erde verwirrt hat. 3 Dass die Menschen ihre Pläne in die Tat umsetzen, lässt sich nur implizit aus V. 5 erschließen (vgl. Westermann, Genesis 711).

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Diese Gliederungsbeobachtungen führen insgesamt zu folgender Struktur: V. 1: Exposition (Ausgangszustand) V. 2–4: Die Taten der Menschen V. 2: Der Ort der zukünftigen Baustelle wird erreicht V. 3 f.: Die Überlegungen und Pläne der Menschen V. 3: „Auf “ (hbh): Die Herstellung von Baumaterial V. 4: „Auf “ (hbh): Die Baupläne und ihre Begründung V. 5–8: Die göttliche Reaktion V. 5: „Und der Herr“: Gottes Visitation der Baustelle V. 6 f.: „Und der Herr“: Die Überlegungen und Pläne Gottes V. 6: Gottes Befürchtungen V. 7: „Auf “ (hbh): Gottes Plan V. 8: „Und der Herr“: Zerstreuung und Baustopp V. 9: Abschließender Erzählerkommentar (Endzustand) Gottvertrauen gegen den Anschein: Ein Psalm Davids (Ps 138) Als Übersetzung dieses Psalms bietet sich etwa die Übersetzung und Analyse im Kommentar von F.-L. Hossfeld und E. Zenger4 an. Auf diese bezieht sich auch die hier folgende Gliederungsanalyse. Ps 138 eröffnet dabei den fünften und letzten Davidpsalter des Psalmenbuches, der die Ps 138–145 umfasst.5 Arbeitsaufträge –– Gliedern Sie den Text und prüfen Sie, ob er aus kleineren Segmenten besteht. Woran machen Sie diese fest? Nennen Sie also die für Sie entscheidenden Gliederungskriterien. Hilfreich kann es sein, für die einzelnen Segmente Zwischenüberschriften zu vergeben. –– Achten Sie auf typische kompositionelle Merkmale und Strukturen innerhalb des Teiltextes. –– Bereiten Sie Ihre Ergebnisse so vor, dass Sie ein Gliederungsmodell dem Plenum präsentieren können (dazu können z. B. Tafelbilder entworfen, OHP-Folien beschrieben oder ein Modell am Computer erstellt werden). Textbeobachtungen und Ergebnisse Deutlichstes Gliederungsmerkmal ist der Wechsel von der ersten Person Singular des betenden Ichs in den V. 1–3 hin zur Aufforderung an die Könige der Erde, Gott zu loben und zu danken. Dabei wird in den V. 4–6 sogleich auch der Text ihres Dankliedes mitgeliefert (V. 5b.6). Mit V. 7 blickt das betende Ich wieder auf sich selbst und seine Gottesbeziehung. Dieser Wechsel vom Ich des Beters und 4 Vgl. Hossfeld, Psalm 703–713. 5 Vgl. dazu Buysch, Davidpsalter.

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dem angesprochenen Du Gottes (V. 1–3.7 f.) hin zu den Königen der Erde (V. 4–6) erlaubt eine Gliederung des Textes in drei Strophen: V. 1–3.4–6.7 f. Dadurch ergibt sich natürlich auch eine Rahmung der mittleren Strophe, die noch durch die Stichwortverbindungen „Liebe“ (V. 2 und V. 8) sowie „Treue“ (V. 2) bzw. „ewig“ (V. 8), die semantisch zu einem Feld gehören (→ Linguistische Analyse), verstärkt wird. Die erste Strophe lässt sich nach Abtrennung der Überschrift (V. 1a) ihrerseits in zwei Sequenzen gliedern: In den V. 1b–2c drückt der Beter mit dem dreifachen „Ich will“ sein Dankbekenntnis im Blick auf Gott aus. Mit V. 2d–3 wird dieses Dankbekenntnis begründet, wenn der Beter sich an die Faktizität des Heilshandelns Gottes in der Vergangenheit erinnert, die ihm persönlich gegolten hat. In der zweiten Strophe richtet sich der Beter zwar auch an Gott, hat aber nun die Könige der Erde im Blick, die Gott ebenfalls danken sollen. Den Hymnus auf Gott, den sie zu sprechen haben, liefert der Beter in den V. 5b.6 praktischerweise gleich mit. Kompositorisch und semantisch auffällig ist dabei vor allem die adversative Konstruktion von V. 6 (zweifaches „doch“), die der Erhabenheit Gottes die Niedrigkeit (der Menschen) gegenüberstellt, die Gott, obwohl er hoch oben ist, doch aus der Ferne erkennt. In der dritten Strophe werden die Strukturen der ersten Strophe aufgegriffen und umgekehrt. Sie lässt sich in drei Sequenzen gliedern. Sie beginnt mit der Faktizität der göttlichen Hilfe in der Gegenwart (V. 7; V. 3 blickte hingegen anamnetisch in die Vergangenheit) und leitet daraus in Bekenntnisform gekleidete Gewissheiten im Blick auf das heilvolle zukünftige Handeln Gottes ab (V. 8ab). Der Psalm endet schließlich mit einer kurzen und eindringlichen Bitte, die sich unmittelbar an Gott richtet (V. 8c). Diese Gliederungsbeobachtungen führen insgesamt zu folgender Struktur: V. 1a: Überschrift V. 1b–3: „Ich und Du“ (1. Strophe) V. 1b–2c: Das Dankbekenntnis des Beters („Ich will“) V. 2d–3: Die Faktizität göttlicher Hilfe in der Vergangenheit V. 4–6: „Die Könige und Du“ (2. Strophe) V. 4: Aufforderung an die Könige zum Dankgebet V. 5a: Hymnuseinleitung V. 5b–6: Dankhymnus: Gott sieht auf die Niedrigen V. 7 f.: „Ich und Du“ (3. Strophe) V. 7: Die Faktizität göttlicher Hilfe in der Gegenwart V. 8ab: Bekenntnishafter Ausblick in die Zukunft V. 8c: Die abschließende Bitte an Gott

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Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Nachdem alle Gruppen ihre Ergebnisse präsentiert haben, kann im Plenum diskutiert werden, welche Textteile, Verse oder Einzelwörter durch die Kompositionsstruktur der jeweiligen Texte besonders betont werden und was die so gemachten Beobachtungen im Blick auf die Frage nach der Textfunktionalität bedeuten können. Die Turmbauerzählung von Gen 11 kontrastiert schon in ihrer Struktur, die über die Gliederungsanalyse erfasst werden konnte, die menschlichen und die göttlichen Pläne. Die Parallelität der V. 2–4.5–8 und vor allem der leicht überständige V. 8 zeigen dabei deutlich die göttliche Überlegenheit an. Das menschliche Planen und der Versuch der Menschen, sich nicht über die ganze Erde auszubreiten, sondern an einem Zentrum gemeinsam zu verharren, werden von Gott durchkreuzt. Das steht durchaus in einer Linie mit dem Auftrag von Gen 1,28; 9,1. Unbeschadet ihrer ätiologischen Funktion im Blick auf das Phänomen der Sprachenvielfalt ist unsere Geschichte auch eine Erzählung von Gottes umfänglicher Macht, die nach dem Bund mit Noah (Gen 9) nicht mehr vernichtend straft, sondern die Menschheit kreativ auf dem göttlichen Weg führt. Zugleich deutet unsere Erzählung die Ausbreitung der Menschheit über die ganze Welt als zutiefst gottgewollt und schiebt allen zentralistischen Bestrebungen einen Riegel vor. Der Psalm 138 nimmt seine Leserinnen und Leser mit hinein in einen Gebetsprozess, der aus der Erinnerung an vergangene Heilstaten Vertrauen für eine womöglich faktisch als bedrohlich erlebte (V. 7) Gegenwart und Zukunft ableitet. Im deutlich gerahmten Mittelpunkt, eben in der zweiten Strophe, steht das hymnische Bekenntnis zu einem Gott der kleinen Leute, der zwar fern ist, aber auch aus der Ferne auf die Niedrigen in dieser Welt schaut. Diese an Gott und die Könige der Welt adressierte Aussage macht vor dem Hintergrund der Exilszeit besonders guten Sinn. Der jüdische Beter erlebt sich fremdbestimmt und unter der Hoheit der Könige der Welt. Gott wirkt eigentümlich fern und entrückt. Am Schicksal seines Volkes nimmt er augenscheinlich kaum Anteil. In dieser Situation versichert sich der Beter der zwar transzendenten, aber gleichwohl machtvollen Wirklichkeit Gottes, der unverbrüchlich auf Seiten der Niedrigen steht (wie er das schon in der Vergangenheit gezeigt hat [V. 3]) und der auch noch die Könige der Welt und die konkreten Feinde des Beters (V. 7) überragt und in ihre Grenzen weist. Daraus erwachsen Trost und Zuversicht für Gegenwart (V. 7) und Zukunft (V. 8). Letzte Zweifel werden durch die abschließende Gebetsbitte, die nach den Gewissheit vermittelnden Bekenntnissen der V. 7–8b eigentlich überrascht, verdeckt und doch eindringlich vor Gott getragen.

Im Sinne einer Ergebnissicherung kann die Leitung die vorgestellten Gliederungsund Kompositionsschemata für alle sichern und etwa in Kopie in der nächsten Sitzung austeilen.

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Literatur zur Textstelle Gen 11 H. Krauss / M. Küchler, Erzählungen der Bibel. Das Buch Genesis in literarischer Perspektive. Die biblische Urgeschichte (Gen 1–11), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2003. G. J. Wenham, Genesis 1–15 (WBC 1), Waco (TX) 1987. C. Westermann, Genesis, Bd. 1: Genesis 1–11 (BK I/1), Neukirchen-Vluyn 1974.

Ps 138 C. Buysch, Der letzte Davidpsalter. Interpretation, Komposition und Funktion der Psalmengruppe Ps 138–145 (SBB 63), Stuttgart 2009. F.-L. Hossfeld, Psalm 138, in: Ders. / E. Zenger, Psalmen 101–150 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2008, 703–713.

Baustein NT: Von Rechenfehlern und gefährlichen Mahlzeiten (Mt 1,1–17; 1 Kor 8) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Basale Fähigkeiten zur Gliederung eines Textes, wie man sie sich etwa im Schul­ unterricht angeeignet hat. –– Kenntnis der Kriterien für eine Textabgrenzung sowie Fähigkeit zur Anwendung dieser Kriterien. Einstieg Analog zum Einstieg im AT-Baustein kann natürlich auch hier mit Architekturbeispielen ein schneller Zugang zur Sachthematik erreicht werden. Alternativ könnte auch ein Stadtplan als Einstieg dienen, wobei dann insbesondere die Gliederungsanalyse als probates Mittel zur Annäherung an einen fremden Gegenstand und zur Orientierung erlebt wird. Ein schönes Beispiel ist hier etwa die Stadt New York. Deren Stadtplan lässt sich leicht via Beamer zeigen, wobei durch den Zoom eine langsame Annäherung erfolgen kann: von den fünf Stadtbezirken (Manhattan, Queens, Brooklyn, Bronx und Staten Island), die die Leitung kurz vorstellen oder durch die Lernenden zuordnen lassen kann, hin zum stadtplanerisch für diesen Zusammenhang besonders geeigneten Bezirk Manhattan (am besten von der 1st Street im Süden Richtung Norden bis zur 155th Street). Ruht hier einmal der Fokus der Darstellung, können die Lernenden die Struktur dieses Bezirkes anhand der Straßenverläufe und ihrer Benennungsprinzipien beschreiben. Dazu kann es hilfreich sein, wenn die Lernenden eine Skizze des Gliederungsprinzips entwerfen.

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Die Avenues, die in nordsüdlicher Richtung verlaufen, werden von Ost nach West in aufsteigender Zählung benannt; von Süden nach Norden steigt die Zählung der ostwestlich verlaufenden Streets auf. Die Spiegelachse für die Benennung der Streets in East und West bildet die 5th Avenue. Insgesamt ist der Bezirk durch das Straßensystem schachbrettartig in Blocks unterteilt und realisiert mit gewissen Abweichungen das antike städtebauliche Konzept des Hippodamus von Milet.6

Auf diese Weise vollziehen die Lernenden gleichsam die Gliederung eines Stadtbezirks und des Straßenbenennungssystems nach. Dabei zeigt sich dann schnell, dass die Gliederung eines ganzen Stadtbezirks bzw. der Nachvollzug der vorhandenen Gliederung eine gute Möglichkeit bietet, sich dem – abstrakt gesprochen – qua Gliederung analysierten Gegenstand anzunähern und sich eine erste Orientierung zu verschaffen. Im Rahmen des Transfers auf die Gliederung von Texten sollte die Leitung deutlich machen, dass die Gliederung eines Textes eben auch ein gutes Mittel ist, um sich reflektiert und für andere nachvollziehbar einen Überblick zum Text zu verschaffen. Erarbeitung / Vertiefung Der weitere Ablauf der Lehrveranstaltung kann sich am im AT-Baustein skizzierten Verlauf orientieren, also mit einer Erhebung des Vorwissens zur Thematik beginnen. Im Anschluss kann die Leitung einen kurzen Input zu Sinn und Zielen der Methode, den Gliederungskriterien, typischen Bauformen (wiederum ist ein Merkblatt hilfreich) sowie weiteren Tipps und Tricks geben. Ein von der Leitung vor dem Plenum vorgeführtes Beispiel kann auch in diesem Fall hilfreich sein, bevor in Kleingruppenarbeit neutestamentliche Texte bearbeitet werden und nach der Erarbeitungsphase im Plenum vorgestellt und diskutiert werden. Zwei Beispiele, ein mit Abstrichen narratives und ein argumentatives, seien im Rahmen dieses Bausteins vorgestellt (strukturierte Gliederungsskizzen sowie die Texte finden sich bei den → Materialanhängen): Mt 1,1–17 und 1 Kor 8. Monotonie mit Überraschungen: Der Stammbaum Jesu im Matthäusevangelium (Mt 1,1–17) Arbeitsaufträge –– Bestimmen Sie im Rahmen einer Textabgrenzung zunächst Anfang und Ende der Perikope. Welche Argumente sprechen für die von Ihnen gewählte Textabgrenzung?

6 Vgl. zu ihm, seinen Stadtbauprinzipien und ihren politischen Implikationen W. Schuller (Hrsg.), Demokratie und Architektur. Der hippodamische Städtebau und die Entstehung der Demokratie, München 1989.

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–– Gliedern Sie die Perikope und prüfen Sie, ob sie aus kleineren Segmenten besteht. Woran machen Sie diese fest? Nennen Sie also die für Sie entscheidenden Gliederungskriterien (ein Blick auf V. 17 kann hilfreich sein). –– Achten Sie auf typische kompositionelle Merkmale und sich wiederholende Strukturen innerhalb der Perikope. –– Bereiten Sie Ihre Ergebnisse so vor, dass Sie ein Gliederungsmodell dem Plenum präsentieren können und halten Sie insbesondere Auffälligkeiten fest, die sich bei der Analyse von Gliederung und Komposition ergeben (dazu können z. B. Tafelbilder entworfen, OHP-Folien beschrieben oder ein Modell am Computer erstellt werden). Textbeobachtungen und Ergebnisse Die Textabgrenzung nach vorne ergibt sich automatisch durch den Beginn des Evangeliums. Diskutieren kann man mit fortgeschrittenen Studierenden oder unter Rekurs auf Sekundärliteratur allenfalls, ob Mt 1,1 als Überschrift zum Gesamt­ evangelium zu werten ist und die Perikope mit V. 2 beginnt oder V. 1 unbeschadet seiner möglichen Überschriftfunktion doch in einem engeren literarischen Zusammenhang mit den V. 2–17 steht. Letzteres legt sich angesichts der Kompositionsanalyse (s. u.) nahe. Die Abgrenzung zu V. 18 ergibt sich angesichts des Gattungswechsels (der Stammbaum endet mit V. 16 f.), der summierenden und rückblickenden Funktion von V. 17, des erzählerischen Neueinsatzes in V. 18 sowie des damit verbundenen Themenwechsels. Die Gliederung des Textes drängt sich angesichts der recht monotonen Struktur des Textes wie von selbst auf: Von V. 2 bis V. 16 ergibt sich die Struktur A zeugt B, B zeugt C usw. Der Text ist also von einer grundlegend parallelen Struktur geprägt, wie dies bei Genealogien üblich ist. Das dürfte den Studierenden bei der Erarbeitung einer Gliederungsskizze schnell auffallen, so dass sich als erste Grobstruktur eine Gliederung in V. 1.2–16.17 ergeben wird. Ebenso schnell wird man über die kleinen Abweichungen vom Muster stolpern – dies umso mehr, wenn der Text listenartig von den Studierenden neu geschrieben wird. An fünf Stellen werden Frauen im Text erwähnt: Thamar (V. 3), Rahab (V. 5), Ruth (V. 5), die des Uria, also Bathseba (V. 6), sowie Maria (V. 16). Dazu kommen die Erwähnung des Exils in V. 11 f., der Königstitel bei David (V. 6), der Messias- / Christustitel bei Jesus (V. 16), die zweifache Erwähnung von Brüdern (V. 2.11) bzw. des einen Brüderpaares (Phares und Zara: V. 3) sowie letztlich auch der Abbruch der Genealogie bei Joseph im Blick auf Jesus, der eben nicht „gezeugt“ wird, sondern aus Maria „geboren wurde“. Die Periodisierung und Zählung der Generationenfolge, die V. 17 bietet, verleitet natürlich zur Überprüfung und weiteren Feingliederung der Ahntafel Jesu. Die Dreiteilung der Genealogie in die Phase Abraham bis David, David bis zum Exil sowie vom Exil bis zu Jesus lässt sich gut auf den Text übertragen, zumal mit dem zweifach erwähnten Exil in V. 11 f. ein eigentlich überständiges Element in der genealogischen Liste vorhanden ist. So ergibt sich eine feinere Untergliederung der V. 2–16 in V. 2–6a.6b–11.12–16. Die Periodisierung, die V. 17 nachträglich bie-

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tet, ist also in der Genealogie schon vorbereitet. Dem Erzähler liegt offenbar etwas an dieser Strukturierung. Größere Schwierigkeiten bereitet indes die matthäische Angabe, dass es sich jeweils um 14 Generationen handelt, Jesus also die insgesamt 42. Generation seit Abraham ist. Sollten die Studierenden zu zählen beginnen, so werden sie feststellen, dass diese Angabe sich nicht ganz passend dem Text zuordnen lässt. Zählt man jeweils die Namen der Gezeugten und rechnet Abraham als erste Generation, dann ergeben sich in der Tat 14 Generationen bis zu David bzw. von Salomo bis zu Jechonias. Von Salathiel, dem Sohn des Jechonias, bis zu Jesus sind es aber eben nur 13 Generationen, so dass Jesus auf Position 41 bzw. 13 im Rahmen des dritten Abschnitts zu stehen kommt. Hat Matthäus sich also verrechnet oder steht hinter der Angabe von 3x14 Generationen ein anderer Sinn? Darüber wird man zu reflektieren haben. Kompositorisch auffällig ist schließlich die Rahmung, die der Text durch die Bezüge zwischen V. 1 und V. 17 erfährt. Dabei werden entscheidende Stichworte in chiastischer Struktur wieder aufgenommen: V. 1: Jesus Christus – Sohn Davids – Sohn Abrahams; V. 17: Abraham – David – Christus. V. 1 wird man daher zur Perikope hinzurechnen dürfen. „Essen oder nicht essen, das ist hier die Frage!“ Paulus und das Götzenopferfleisch (1 Kor 8) Für den Zugang zum Text ist es hilfreich, wenn die Leitung kurz die Thematik vorstellt, die in 1 Kor 8 verhandelt wird. Geklärt werden sollte dabei in aller Kürze, was Götzenopferfleisch ist, wie man mit ihm in Kontakt kommen kann und welche unterschiedlichen Haltungen sich in der korinthischen Gemeinde im Blick auf die Frage, ob man dieses essen darf oder nicht, ausgebildet haben.7 Im Anschluss können sich die Studierenden mit diesen Informationen dem paulinischen Text zuwenden, ohne dass sie sich in Fragen nach einem rudimentären Textverständnis verzetteln.

Arbeitsaufträge –– Bestimmen Sie im Rahmen einer Textabgrenzung zunächst Anfang und Ende der Perikope. Welche Argumente sprechen für die von Ihnen gewählte Textabgrenzung? –– Gliedern Sie die Perikope und prüfen Sie, ob sie aus kleineren Segmenten besteht. Woran machen Sie diese fest? Nennen Sie also die für Sie entscheidenden Gliederungskriterien. –– Markieren Sie in diesem Zusammenhang die Personalpronomen und die Bezeichnungen für Gruppen. Welche Akteure und Personengruppen stehen Paulus vor Augen? –– Welche Schlüsselwörter wiederholen sich?

7 Hilfreich zur Stelle sind z. B. die Ausführungen in den Kommentaren von Klauck 1 Kor; Schottroff 1 Kor.

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–– Markieren Sie die diversen Konjunktionen und bestimmen Sie ihre syntaktische Funktion (→ Linguistische Analyse). –– Vergeben Sie für die einzelnen Abschnitte passende Überschriften. –– Bereiten Sie Ihre Ergebnisse so vor, dass Sie ein Gliederungsmodell dem Plenum präsentieren können (dazu können z. B. Tafelbilder entworfen, OHP-Folien beschrieben oder ein Modell am Computer erstellt werden). Textbeobachtungen und Ergebnisse Die Abgrenzung kann im Blick auf den Übergang von 1 Kor 7 zu 1 Kor 8 über den in 8,1 eindeutig markierten Themenwechsel erfolgen. Nach den verschiedenen Themen, die 1 Kor 7 behandelt (Eheleben, Unzucht, Jungfrauen), kommt Paulus nun auf die Problematik des Götzenopferfleisches zu sprechen. Der Themenwechsel wird auch durch das im 1 Kor strukturierend eingesetzte περὶ δέ (über / betreffs) markiert.8 Ebenfalls über einen eindeutigen Themenwechsel lässt sich unsere Perikope von 1 Kor 9 abgrenzen (Paulus und sein Aposteldienst). Eine Gliederungsanalyse dieser argumentativen Perikope gleicht dem Knacken einer harten Nuss – insbesondere für Studienanfänger. Deshalb sind die etwas direktiven Leitfragen in der Aufgabenstellung durchaus hilfreich. Geht man den Text mit den durch die Leitfragen evozierten Beobachtungsaufgaben sukzessive durch, so fällt sicherlich der parallel gestaltete Beginn der V. 1.4 auf. Achtet man zusätzlich auf Leitworte, so sticht das Wortfeld „Erkenntnis“ heraus, das die V. 1–3 deutlich prägt, aber ab V. 4 zunächst keine Rolle mehr spielt. Dass dabei „Liebe“ als Oppositionsbegriff (→ Linguistische Analyse) zu „Erkenntnis“ eingeführt wird, springt leicht ins Auge. Auch dieser Begriff spielt ab V. 4 dann keine Rolle mehr. Diese Beobachtungen rechtfertigen zunächst einen Gliederungseinschnitt nach V. 3. Sodann dürfte man schnell über die wechselnden personalen Bezugsgrößen stolpern. Auffällig ist dabei insbesondere das pointierte „Wir“ in den V. 1.4.6.8 dem mit V. 7 eine andere Gruppe gegenübergestellt wird: diejenigen, die keine Erkenntnis haben und deren Gewissen schwach ist. Die Gegenüberstellung erfolgt dabei mit einem adversativen „doch“. Von diesen „Schwachen“ (V. 9) ist dann mit Ausnahme von V. 8 beständig im Text die Rede. Allerdings werden diese Schwachen mit einem neuen Label versehen: Es sind Brüder (V. 11 f.). Dieser Wechsel vom Wir zu den anderen, den Schwachen, die Brüder sind, erlaubt eine Untergliederung in die Abschnitte V. 4–6.7.8. Ab V. 9 wird aus der Wir-Gruppe plötzlich ein „Ihr“. Paulus inszeniert also ein Gegenüber zwischen der Wir-Gruppe und sich selbst. Und auch die Schwachen stellt er kontrastierend der Wir / Ihr-Gruppe gegenüber. Argumentativ geschickt spricht er dabei aber nicht mehr die Gruppe als ganze an, sondern fokussiert auf das jeweilige Individuum: den einzelnen schwachen Bruder und „dich“ (V. 10 f.). Diese Verknüpfung der einzelnen Personengruppen hält sich bis V. 12 durch, so dass V. 9–12 eine Einheit bilden. 8 Vgl. dazu Baasland, Formel.

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Schließlich lässt sich noch V. 13 als eigenständiges Textsegment ausweisen. Paulus klinkt sich durch das betonte „Ich“ selbst in den Streitfall und die Argumentation ein. Verbunden mit der konsekutiven Konjunktion „deswegen“, die eine an das Ich des Apostels Paulus rückgebundene Schlussfolgerung bietet, macht er sich selbst zum Vorbild für das aus seiner Sicht angemessene Verhalten im Rahmen des Diskurses um Götzenopferfleisch: Die eigene Freiheit wird durch das Wohl des Bruders begrenzt. Diese Beobachtungen führen insgesamt zu einer Makrogliederung in die Abschnitte: V. 1–3.4–6.7.8.9–12.13. Selbstverständlich lassen sich die einzelnen Abschnitte noch feiner untergliedern und ihre kompositorische Struktur erfassen. In den V. 1–3 lässt sich zunächst die Themenangabe in V. 1a vom sloganartig wirkenden V. 1b abheben. Die dem Slogan von V. 1b („Wir“) gegenübergestellte These von V. 1c, die ihrerseits in völlig paralleler Gestaltung Erkenntnis und Liebe kontrastiert, wird durch zwei konditionale und parallel gestaltete Satzgefüge erweitert, die Liebe und Erkenntnis an Gott rückbinden (V. 2 f.). In den V. 4–6 wird nach der erneuten und im Vergleich zu V. 1a präzisierten Themenangabe (es geht jetzt um das Essen des Götzenopferfleisches, V. 4a) erneut ein Slogan der Wir-Gruppe zitiert oder ihr von Paulus in den Mund gelegt (V. 4b). In diesem Fall wird der Slogan durch die V. 5 f. begründet, wobei insb. V. 6 auffällig ist. Wieder findet sich ein betontes „Wir“. Dabei stellt die Wir-Gruppe ihre schöpfungstheologischen und christologischen Überzeugungen adversativ den spekulativen Überlegungen des V. 5 gegenüber. V. 6 ist dabei von einer kompositorisch auffälligen Parallelität gekennzeichnet, die den Vers gattungskritisch als akklamatorische Homologie9 ausweist. Nach dem kompositorisch wenig auffälligen V. 7, der auf die Schwachen fokussiert und ein einfaches Tat-Folge-Schema aufweist, bietet V. 8a erneut einen Slogan der Wir-Gruppe, der in paralleler Struktur (V. 8bc) die Bedeutungslosigkeit von Speisen vor Gott aufzeigt. Die V. 9–12 bieten mit V. 9 zunächst eine Art von paulinischem Gegenmotto, das sich in paränetischer Form als Verhaltensaufforderung an die Wir-Gruppe richtet. Als Begründung für die paulinische Forderung dient ein im Blick auf zwei Individuen gesprochenes Fallbeispiel in V. 10 f. Dabei entwirft V. 10 die Situation der Teilnahme eines Mitglieds der Wir-Gruppe an einem Mahl in einem paganen Tempel und mündet in einer rhetorischen Frage, V. 11 beantwortet diese Frage indirekt und spricht die Folgen des Verhaltens dieses Individuums deutlich an. Mit V. 12, der im Blick auf die Wir-Gruppe sehr hart formulierten Bewertung ihres Verhaltens, blendet der Text von den Individuen wieder zurück zu den Kollektiven, von denen zuletzt in V. 9 die Rede war. Dadurch ergibt sich eine Rahmung des Fallbeispiels „Tempelmahl“.

9 So Klauck, 1 Kor 61.

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Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Präsentation, Diskussion und Sicherung der Ergebnisse kann wiederum im Plenum erfolgen (s. den AT-Baustein). Die inhaltliche Diskussion über Auffälligkeiten des jeweiligen Textes, die im Rahmen von Gliederung und Komposition erhoben worden sind, kann unterschiedliche Komplexitätsgrade erreichen – je nach Vorwissen der Studierenden oder Wissensinput der Leitung. Thematisch wäre im Blick auf den matthäischen Stammbaum etwa die Nennung der fünf Frauen zu diskutieren. Entscheidend für die Interpretation dürfte dabei die umständliche Einführung der Bathseba über ihren hethitischen Ehemann Urija sein, die einen Fingerzeig gibt, nach welchen Kriterien diese Frauennamen ausgewählt sind: Es handelt sich um Frauen, deren jüdische Identität mindestens im Zweifel steht bzw. die aus den Völkern stammen. Im Verbund mit der Rückführung der Genealogie auf Abraham (nicht Adam oder Gott, vgl. Lk 3,38), der als Stammvater von Juden und Heiden gilt, passt der Stammbaum sehr gut in das matthäische Programm der Werbung für eine Öffnung der judenchristlichen Jesusbewegung hin auf interessierte Heidinnen und Heiden, sind doch Heidinnen und Heiden selbst schon Teil der Genealogie Jesu.10 Sodann ist die Periodisierung des Stammbaums in 14er-Einheiten auffällig, die die Lesenden zum Zählen anregt. Zählt man, so fallen bei einer 14er-Gliederung vor allem die Namen auf den 7er-Positionen auf. Dabei handelt es sich um besondere Könige und Priester,11 deren spezifisches Profil sich allerdings erst vor dem Hintergrund alttestamentlicher Traditionen zeigt. Sie alle präfigurieren bestimmte Ereignisse und Motive im von Matthäus erzählten Leben Jesu, so verweist etwa der von Aussatz geplagte König Usija auf Jesu Zuwendung zu Kranken und durch Krankheiten Stigmatisierte.12 Freilich verlangt eine solche an der Textfunktionalität orientierte Auswertung des Stammbaums motivkritisches Wissen (eben über die einzelnen Figuren, die im Stammbaum genannt werden) bzw. einen Blick in die Sekundärliteratur, um eine der Programmlinien des Matthäusevangeliums kennenzulernen. Letzteres kann im Rahmen von Einleitungsvorlesungen bereits vermittelt worden sein. Auch die Lektüre eines kurzen Abschnitts aus der Sekundärliteratur (evtl. schon als vorbereitende Hausaufgabe zu dieser Sitzung) ist denkbar. Die Leitung könnte freilich dies auch im Rahmen eines kurzen Wissensinputs in die Diskussion einbringen oder als Hausaufgabe einen passenden Text mitgeben, den man dann in der nächsten Sitzung kurz thematisieren kann.

10 Vgl. dazu Luz, Evangelium 133–136. 11 Vgl. dazu die sehr hilfreichen Überlegungen bei Ostmeyer, Stammbaum. 12 Näheres zu allen 7er-Positionen, zur Periodisierung in 3×14 Generationen sowie zum Symbolwert der Zahl 40 findet sich wiederum bei Ostmeyer, Stammbaum.

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Für 1 Kor 8 hat die Leitung bereits einen Input über die Hintergrundproblematik vor Erarbeitung der Gliederung gegeben. Im Rahmen einer abschließenden Diskussion kann man auf diese Thematik zurückkommen und die inhaltliche Option des Paulus bestimmen. Zu prüfen wäre dabei, wie Paulus schon auf der Ebene der planvollen Anlage seiner Argumentation, die die Gliederung ja erhoben hat, seine Ziele strategisch verfolgt. Denn zur Strategie des Paulus gehören gewiss auch Merkmale des Textes, auf die die Studierenden im Rahmen der Analyse von Gliederung und Komposition gestoßen sind. Auffällig dürfte in diesem Zusammenhang etwa V. 13 sein, der eindeutig als Schlussfolgerung markiert ist und Paulus als Vorbild in den Diskurs einbringt. Damit wirft er gleichsam als letztes Argument das ganze Gewicht seiner Person in die argumentative Waagschale (vgl. ähnlich 1 Kor 14,18 f.). Nicht minder auffällig sind die V. 9–12, die zum einen den Schwachen einen neuen Titel zuweisen und damit an ihren Gemeindestatus erinnern („Bruder“), zum anderen den abstrakten Diskurs auf einen konkreten und individualisierten Einzelfall beziehen und schließlich mit dem summierenden V. 12 eine eindeutige und negative Bewertung des Verhaltens der Wir-Gruppe vornehmen. Man merkt 1 Kor 8 an, dass Paulus alle Register der Argumentationskunst ziehen muss, um die Wir-Gruppe, die Starken in der Gemeinde von Korinth, von seiner Option in Sachen Götzenopferfleisch zu überzeugen. Mit seiner Argumentation in 1 Kor 10 (vermutlich Teil eines älteren Briefes im Rahmen der Korintherkorrespondenz) war ihm das offensichtlich nicht gelungen. Die schöpfungstheologischen, theozentrischen und christologischen Slogans der Wir-Gruppe, die er in 1 Kor 8 wohl aus einem Fragebrief zitiert, sind ja im Blick auf die verhandelte Sachfrage theologisch schlüssig: Wenn es keine Götzen gibt, dann gibt es auch kein Götzenopferfleisch. Also kann man beruhigt essen. Allerdings zeitigt die streng an der Sachfrage orientierte Argumentation der Starken in ihrer ganzen Blindheit für die Anderen üble Folgen, die Paulus deutlich vor Augen führt, wenn er die Verführungskraft der Freiheit der Starken im Blick auf die Schwachen, deren Gewissen nach dem Fleischkonsum zuschlägt, klar benennt. Damit verlagert Paulus die Argumentation letztlich auf das Feld der innergemeindlichen Ethik. Dem dient der im 1. Korintherbrief so positiv konnotierte Begriff Liebe (vgl. 1 Kor 13), der der „aufgeblähten“ (V. 1c) korinthischen Erkenntnis / Gnosis entgegengestellt wird, dem dient die Bezeichnung der Schwachen als Brüder, dem dient die von Paulus inszenierte Aktantenstruktur des Kapitels wie auch das persönliche Vorbild des Paulus als Apostel am Ende von 1 Kor 8 und damit unmittelbar vor der Apostelthematik von 1 Kor 9. Dem dient schließlich auch die soteriologische Perspektive von V. 11 f., die die Schwachen als Brüder ausweist, für die Christus eben auch gestorben ist und die nun von der theologisch begründeten Freiheit der Starken zugrunde gerichtet werden. Das ist für Paulus letztlich eine Sünde gegen den Bruder und damit gegen das von Jesus gewirkte Erlösungsgeschehen. Wo Jesus Menschen befreit und aufgebaut hat, da richten die Starken Korinths sie zugrunde. Das konterkariert geradezu den soteriologischen Wert des Todes Jesu und wird so zur Sünde gegen Jesus. Für die Starken war das gewiss ein hartes Urteil. Im Rahmen der paulinischen Argumentation und angesichts der Ver-

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suchung, solch theologische Spitzenformeln geradezu ontologisch aufzuladen und aus ihrem Kontext zu lösen, ist diese Argumentationstechnik bemerkenswert: Eine soteriologische Aussage, die ihre Wurzel im Bemühen um eine interpretierende Deutung des Todes Jesu hat, wird zur Lösung eines ekklesiologischen und sozial­ethischen Problems funktional genutzt.

Literatur zur Textstelle Mt 1 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 1: Mt 1–7 (EKK I/1), Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 52002. K.-H. Ostmeyer, Der Stammbaum des Verheißenen. Theologische Implikationen der Namen und Zahlen in Mt 1.1–17, in: NTS 46 (2000) 175–192.

1 Kor 8 E. Baasland, Die περί-Formel und die Argumentation(ssituation) des Paulus, in: StTh 42 (1988) 69–87. H.-J. Klauck, 1. Korintherbrief (NEB.NT 7), Würzburg 31992. L. Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 7), Stuttgart 2013.

Ertrag zur Methode Die Analyse von Gliederung und Komposition ist ein Methodenschritt, der eine erste Annäherung an das Ganze des zu untersuchenden Textes ermöglicht und zugleich wichtige Vorarbeiten für andere exegetische Analysen leistet. Dabei deckt die Analyse von Gliederung und Komposition auch eine der ästhetischen Komponenten biblischer Texte auf: Sie sind literarische Kunstwerke, die äußerst planvoll komponiert sind. Schönheit ist aber nicht nur Selbstzweck. Denn die Form trägt immer auch einen Teil der Botschaft, die gehört werden will und der man durch Gliederungs- und Kompositionsanalyse auf die Spur kommen kann. Weitere Ideen Der Philemonbrief Der Philemonbrief bietet als kürzeste neutestamentliche Schrift eine schöne Gelegenheit, eine Ganzschrift im Rahmen einer Seminarsitzung zu gliedern (alternativ bieten sich auch 2+3 Joh an). Als Orientierungsraster für die Gliederung von

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Briefen kann dabei das Briefschema dienen, wie es etwa von H.-J. Klauck herausgearbeitet worden ist.13 Wendet man dieses auf den Philemonbrief an, ergibt sich:14 Briefeingang: V. 1–7 Präskript: V. 1–3 Proömium: V. 4–7 Briefkorpus: V. 8–20 Selbstdarstellung des Paulus im Blick auf Philemon: V. 8 f. Briefbitten: V. 10–18 Selbstverpflichtung des Paulus: V. 19 f. Briefschluss: V. 21–25 Epilog: V. 21 f. Postskript: V. 23–25 Bei dieser Makrogliederung zeigt sich schön, dass die für Paulus zentralen Bitten, die er seinem christlichen Mitbruder Philemon gegenüber im Blick auf dessen Sklaven Onesimus äußert, im Zentrum des Briefes stehen, durch die brieflichen Rahmenteile umschlossen und schließlich auch durch die paulinische Selbstdarstellung und Selbstverpflichtung zusätzlich gerahmt sind. Was hier verhandelt wird, ist für Paulus entscheidend: Philemon soll den bei Paulus zum Christ gewordenen Sklaven Onesimus als Bruder annehmen und so neu und anders in seine Hausgemeinde (V. 2.25) aufnehmen (vielleicht nach einer vorhergehenden Flucht), wie er Paulus selbst aufnehmen würde (V. 16 f.). Das Verhältnis zwischen Philemon (Sklavenhalter) und Onesimus (Sklave) zu kitten und auf eine neue Stufe (christliche Brüder) zu stellen, steht im Zentrum dieses Bitt- und Empfehlungsbriefes, was bereits Gliederungs- und Kompositionsanalyse zeigen können und was sich durch weitere exegetische Analysen erhärten lässt. Gedichte Als Einstieg in die Thematik bietet sich auch eine kreative Schreibaufgabe an. Die Studierenden werden gebeten, jeweils ein kurzes (oder auch längeres) Gedicht zu verfassen. Das Sujet ist natürlich frei zu wählen: ein lustiges Gedicht ist genauso möglich wie ein romantisches oder trauriges. Im Anschluss können Studierende einzelne Gedichte vortragen. Entscheidend ist dabei, dass wohl die meisten Studierenden eine Gedichtform gewählt haben werden, die klassischen Gedichtsgliederungen entspricht (Strophengliederung, Reime und damit Parallelen, vielleicht auch Wiederholungen usw.). Schon die äußere Form des Gedichtes dürfte 13 Vgl. H.-J. Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (UTB 2022), Paderborn 1998, 54 (vgl. zum Phlm auch 247 f.332 f.). 14 Vgl. dazu und für das Folgende M. Ebner, Der Philemonbrief, in: Ders. / S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 403–413.

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hier verräterisch sein und eine Strophengliederung aufweisen (größere Absätze und Textblöcke werden auf dem Blatt Papier zu sehen sein). Von diesem Befund ausgehend kann man dann das Phänomen der Gliederung und Komposition thematisieren. Es ist im Rahmen der Erarbeitung / Vertiefung dann durchaus sinnvoll, poetische Texte für die Analyse zu wählen, also im Bereich des Alten Testaments etwa Psalmtexte, im Neuen Testament z. B. Lk 1,46–55; 1 Kor 13, Eph 1,3–14.

Aktantenanalyse Stephanie Feder

Hinführung zur Methode Die Aktantenanalyse verfolgt das Ziel, die Beziehung der verschiedenen Figuren des Textes (sogenannte Aktanten, also jemand oder etwas, der oder das handelt bzw. spricht) darzustellen und über das Verhältnis der Figuren zueinander Aufschluss über Eigenschaften und Handlungsoptionen einzelner Figuren zu gewinnen, die ohne eine solche Analyse häufig nicht offensichtlich werden würden. Sie will also in Erfahrung bringen, wer der Held einer Erzählung ist, welche Figur die Rolle des Helfers oder des Gegenspielers spielt usw. In der Forschung haben sich verschiedene Aktantenmodelle etabliert. Dabei handelt es sich um typische Rollenkonstellationen, wie sie sich in einer ganzen Reihe von Texten finden lassen. Ein sehr anwenderfreundliches und von Lernenden gut nachvollziehbares Modell ist das von Martin Ebner und Bernhard Heininger,1 das eine Adaption des Aktantenmodells des russischen Literaturwissenschaftlers Vladimir Propp ist. Das Modell hat fünf Positionen, die versuchsweise mit den im Text handelnden und sprechenden Aktanten zu füllen sind, wobei es nicht darauf ankommt, jede Position auf Gedeih und Verderb zu füllen (was häufig auch gar nicht möglich ist, weil bei biblischen Teiltexten oft weniger als fünf Erzählfiguren zur Verfügung stehen). Das wäre eine sklavische Anwendung des Modells, die nicht angezielt ist. Die Wirklichkeit konkreter Texte lässt sich eben nur selten vollkommen in einem vorgegebenen Modell abbilden. Vielmehr sind Aktantenmodelle heuristische Mittel, die es ermöglichen, den Text unter der Perspektive zu betrachten, wie die Figuren zueinander stehen. Die Modelle sollen also helfen, den Text zu verstehen; es ist nicht das Ziel, das Modell vom Text her gleichsam zu „erfüllen“. Neben dem Aktantenmodell nach Ebner / Heininger ist es empfehlenswert, ein weiteres, alternatives Aktantenmodell einzuführen: Das Modell nach Algirdas 1 Vgl. Ebner / Heininger, Exegese 78 f.

Aktantenanalyse

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Greimas2 überschneidet sich inhaltlich an einigen Stellen mit dem von Ebner / Heininger, weil Ebner / Heininger auch bei Greimas Anleihen gemacht haben; es bietet jedoch die Möglichkeit mehrere Ebenen, wie die der Kommunikation und die des Wollens, zu berücksichtigen, die bei Ebner / Heininger zwar vorkommen, aber nicht ganz explizit benannt werden. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden lernen zwei exemplarische Aktantenmodelle (Ebner / Heininger und Greimas) zunächst anhand von nicht-biblischen Texten kennen. –– Sie vollziehen nach, wie die Modelle auf biblische Erzählungen angewandt werden können. –– Sie entwickeln die Fähigkeit, zu unterscheiden, welches Modell für welchen Bibeltext geeignet ist und zu plausiblen Einsichten in den Text, seine Welt und Funktion führt. –– Sie wenden die Aktantenmodelle auf biblische Erzähltexte eigenständig an. Literatur zur Methode M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 75–79.114 f. W. Egger / P. Wick, Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen (Grundlagen Theologie), Freiburg i. Br. 62011, 174–191. A. J. Greimas, Strukturale Semantik, Braunschweig 1971. S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Mt 28 (WUNT II/285), Tübingen 2010, 125–164.

Baustein AT: Jona steht sich selbst im Weg (Jona 1.3 f.) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Studierenden kennen Harry Potter. Einstieg Um das Aktantenmodell von Ebner / Heininger kennen zu lernen, bietet es sich an, das Modell zunächst auf eine bekanntere Geschichte anzuwenden. „Harry Potter und der Stein des Weisen“ – der erste Band der Potter-Reihe – eignet sich beson2 Vgl. dazu Egger / Wick, Methodenlehre 181.

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ders gut, da die Geschichte vom Zauberschüler Harry erzählt, der gegen den verhassten Voldemort kämpft und dabei auf die Unterstützung seiner Freunde Ron und Hermine sowie des Hogwarts-Schuldirektors Dumbledore angewiesen ist. Am Ende besiegt Harry tatsächlich das Böse. Die Aktanten eignen sich gut, füllen sie doch alle zu besetzenden Position im Modell nach Ebner / Heininger. Zunächst lesen die Lernenden eine Zusammenfassung von „Harry Potter und der Stein der Weisen“.3 Anschließend wird das Aktantenmodell Ebner / Heiningers eingeführt: Es wird eine Grafik an die Tafel gezeichnet und die Positionen Adressant (Sender), Adressat (Empfänger), Gegenspieler (Opponent) und Helfer (Adjuvant) und Held werden vorgestellt (Abb. 1).

Um das Modell deduktiv erschließen zu können, erörtert die leitende Person im Gespräch folgende Fragen mit den Lernenden und besetzt dabei die Positionen des Aktantenmodells: –– Wer erteilt den Auftrag? Worin besteht der Auftrag? Wer ist der Auftraggeber? (Frage nach dem Adressanten; im Fall von Harry Potter: Harry selbst) –– Wer ist Ziel des Auftrags? Wann ist der Auftrag erfüllt? (Frage nach dem Adressaten; im Fall von Harry Potter: Voldemort in Form von Quirrell; wenn der Stein der Weisen nicht entwendet wird) –– Wer soll den Auftrag ausführen? (Frage nach dem Helden; im Fall von Harry Potter: Harry Potter) –– Wer versucht den Auftrag zu behindern? (Frage nach dem Gegenspieler; im Fall von Harry Potter: Snape) –– Wer hilft mit, dass der Auftrag doch (noch) erfüllt werden kann? (Frage nach dem Helfer; im Fall von Harry Potter: Ron, Hermine, Dumbledore)

3 Dazu eignet sich z. B. der Abschnitt „Inhalt“ unter http://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Potter_und_ der_Stein_der_Weisen (16.08.16).

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Beim „Stein der Weisen“ ist es offensichtlich, dass Harry Potter der Held der Gesamt­erzählung ist. Diese Feststellung gestaltet sich bei anderen Texten jedoch sehr viel schwieriger, so dass an dieser Stelle das Knotenpunktmodell (auch Handlungssequenzanalyse) von Claude Bremond4 vorgestellt werden sollte, das helfen kann, die Hauptfigur einer Erzählung zu identifizieren.5 Dazu wird zunächst über die erste Entscheidungssituation in „Harry Potter und der Stein der Weisen“ gesprochen: Harry ist der Überzeugung, dass jemand den Stein der Weisen stehlen will. Welche Handlungsoptionen hat Harry? A) Er versucht herauszufinden, wer den Stein der Weisen stehlen will. B) Er interessiert sich nicht weiter für den Stein der Weisen. Die weiteren Entscheidungssituationen, also die Knotenpunkte des Handlungsverlaufs, werden ebenfalls an der Tafel festgehalten, so dass in etwa folgende Grafik entsteht (Abb. 2):

Anhand der Grafik wird deutlich, dass Harry die Figur mit den meisten zu treffenden Entscheidungen ist. Besonders deutlich wird dies im Blick auf die letzten Knotenpunkte, bei denen Harry allein beteiligt ist und der gesuchten Person, die 4 Vgl. dazu Egger / Wick, Methodenlehre 178–180. 5 Das Knotenpunktmodell von Bremond birgt das Problem, dass jegliche Handlungen im Text als Entscheidungspunkte definiert werden können und somit unterschiedliche Knotenpunktmodelle zu ein und demselben Text zu Stande kommen können – je nachdem, was die Lernenden als Knotenpunkt ermitteln. Um eine allzu intuitive Ermittlung der Entscheidungspunkte zu vermeiden, empfiehlt es sich, möglichst nah am Text zu arbeiten, den Verlauf der Story zu erarbeiten und durch Sätze im Muster von Subjekt – Prädikat – Objekt herauszustellen, wer die handelnde und Entscheidung treffende Person ist.

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nun auch die Züge des Gegenspielers annimmt, allein gegenüber steht. Er ist demnach der Held. Ein weiteres Modell, das – um die Lernenden nicht unnötig zu verwirren – im Stundenverlauf später eingeführt werden sollte, ist das von Algirdas Greimas. Es kann dann angewendet werden, wenn die Positionen im Modell von Ebner / Heininger nicht sinnvoll zu besetzen sind. Um dieses Modell für die Lernenden anschaulicher zu machen, empfiehlt es sich, das Modell zunächst vorzustellen und es einmal anhand des Anfangs von „Rapunzel“ auszuprobieren. Auf der Ebene „Wer will was?“ ist zu ermitteln, dass Rapunzels Mutter die Rapunzeln aus dem Garten der Zauberin Frau Grothel essen möchte. Subjekt ist also die Mutter, Objekt sind die Rapunzeln. Auf der Helfer-Widersacher-Ebene kann beobachtet werden, dass Frau Grothel der Mutter die Rapunzeln verweigert und damit die Gegenspielerin ist. Gleichzeitig ist der Vater zum einen der Helfer, weil er das Vorhaben seiner Frau, Rapunzeln zu beschaffen, um diese zu essen, maßgeblich durch seine Tätigkeit als Dieb unterstützt. Dabei ist der Vater auch Sender, der seiner Frau (Empfängerin) das gewünschte Objekt, nämlich die Rapunzeln, besorgt. Eine Grafik dazu könnte in etwa so aussehen (Abb. 3):

Anders als bei den anderen Aktantenmodellen ist es bei Greimas’ Modell möglich (und manchmal sogar notwendig), ein Objekt zu ermitteln. Dabei handelt es sich häufig um einen Gegenstand – in diesem Fall um die Rapunzeln. Erarbeitung / Vertiefung Das Jonabuch, das nur vier Kapitel umfasst aber dennoch ein Buch mit großer Wirkungsgeschichte ist, soll als biblisches Beispiel für die Arbeit mit Aktantenmodellen dienen. Obwohl die Anzahl der Figuren im Jonabuch sehr übersichtlich ist, ist es sinnvoll, die einzelnen Kapitel (bis auf Kapitel 2, das sich aufgrund der Dichtung und der eingeschränkten Handlung von Figuren nur bedingt für eine Aktantenanalyse eignet) unabhängig voneinander zu untersuchen. An dieser Stelle

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kann schon verraten werden, dass die Rollen innerhalb der Kapitel wechseln und deswegen eine Aktantenanalyse besonders interessant ist. Das kleine Buch Jona, das von einem störrischen Israeliten handelt, der erst auf Umwegen zum Propheten wird, wird aufgrund seiner universalistischen Perspektive in die nachexilische Zeit datiert.6 Anders als die anderen prophetischen Bücher berichtet das Jonabuch in Prosa über das Schicksal eines Propheten. Die Berufungsdarstellung ist den klassischen Berufungsgeschichten wie der des Jeremia oder auch des Jesaja nachempfunden. Aufgrund seiner Form als reine Erzählung unterscheidet es sich jedoch stark von den anderen prophetischen Büchern, die weniger eine Erzählung sind als vielmehr literarisch komponierte Sammlungen prophetischer Reden. Das zentrale Thema des Buches ist nicht der große Fisch – wie viele Kinderbibeln Glauben machen –, sondern die Frage nach der Barmherzigkeit Gottes. Gott beauftragt Jona nach Ninive zu gehen, weil die Schlechtigkeit Ninives zu ihm gedrungen ist. Nachdem Jona endlich Ninive erreicht und das kommende Gericht Gottes ankündigt, tun die Niniviten so intensiv Buße, dass Gott sich von der Umkehr der Menschen beeindrucken und das Gericht nicht über Ninive kommen lässt. Jona fühlt sich in seiner Annahme bestätigt: Weil er wusste, dass Gott seinen Plan von der Vernichtung Ninives nicht zu Ende bringen würde, steht er nun als falscher Prophet da, dessen Prophezeiung sich nicht erfüllt. Im vierten Kapitel des Jonabuches wird der Konflikt zwischen Jona, der zu sterben wünscht, und Gott, der Jona auf ganz pädagogische Weise nahezulegen versucht, warum er Ninive nicht untergehen lässt, zum Höhepunkt geführt. Gott nutzt als Anschauungsbeispiel den Rizinusstrauch, lässt ihn wachsen und verdorren und zeigt Jona, der sich über den Verlust des gerade gewonnenen, schattenspendenden Bäumchens sehr ärgert, wie sehr viel mehr Gott den Verlust der Niniviten bedauern würde, weil Gott mit den Niniviten vertrauter ist als Jona mit einem einzelnen, über Nacht gewachsenen Rizinusstrauch. Das Buch endet mit einer Frage Gottes. Ob Jona einsichtig ist und Gottes barmherziges Handeln nachvollziehen kann, bleibt offen. Nachdem das Aktantengerüst nach Ebner / Heininger am Beispiel von Harry Potter eingeführt wurde, werden die Lernenden in zwei Gruppen aufgeteilt: Gruppe 1 erstellt für Jona 1 und Gruppe 2 für Jona 3 jeweils ein Aktantenmodell. Am einfachsten ist es, die Lernenden das Modell mit einem Folienstift auf eine OHP-Folie zeichnen zu lassen. Bei der Auswertung des Aktantenmodells zu Jona 1 im Plenum sind zunächst die Figuren herauszustellen, die aktiv an der Handlung beteiligt sind: Jona, JHWH, die Matrosen und der Kapitän. Zudem werden die Niniviten bzw. Ninive genannt. Als erstes wird im Aktantenmodell die vertikale Achse besprochen mit der Frage: Wer erteilt einen Auftrag? Wer soll den Auftrag ausführen? Das erste Kapitel des Jonabuchs ist an dieser Stelle sehr eindeutig: Jona erhält von JHWH den Auftrag, nach 6 Vgl. Zenger, Zwölfprophetenbuch 668 f.

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Ninive zu gehen. Da Jona den Auftrag JHWHs ausführen soll, ist er hier leicht als Held zu ermitteln. Die Niniviten spielen folglich die Rolle der Adressaten (Abb. 4).

Anschließend wird die Frage gestellt, wer in der Erzählung diesen Auftrag stört, bzw. ihn behindert. Wer sorgt dafür dass die Niniviten (noch) nicht davon erfahren, dass ihre Stadt untergehen soll? Anders als häufig von den Lernenden angenommen, sind nicht die Matrosen die Gegenspieler, sondern Jona selbst. Jona entscheidet sich, nicht nach Ninive zu gehen und auch nicht Gottes Auftrag zu erfüllen, sondern er sucht sich ein Schiff, das ihn in die entgegengesetzte Richtung bringen soll: nach Tarschisch, das vermutlich im heutigen Spanien lag und das Ende der damaligen Welt kennzeichnet. Auffällig ist, dass Jona als Aktant gleich zwei Rollen einnimmt: Er ist nicht nur der Held, sondern auch der Gegenspieler. Dieser Aspekt verkompliziert das Aktantenmodell für die Lernenden, zeigt zum anderen aber die ambivalente Haltung Jonas: Er soll einen göttlichen Auftrag ausführen, steht sich dabei aber v. a. selbst im Weg. Zum Schluss sollten noch die Matrosen / der Kapitän in die Grafik übernommen werden. Die einzige noch unbesetzte Position ist die des „Helfers“. Die Matrosen und insbesondere der Kapitän können an diese Stelle gesetzt werden, da sie Jona dabei unterstützen, den Auftrag zu erfüllen: Sie sorgen dafür, dass Jona das Schiff nach Tarschisch verlässt, indem sie ihn ins Meer werfen. Diese Argumentation ist häufig für die Lernenden schwer nachzuvollziehen, denn beurteilt man das Verhalten der Matrosen moralisch, sind sie ja keine „Helfer“, wenn sie Jona über Bord werfen und ihn dadurch in seinen sicheren Tod stürzen. Dieses Problem taucht immer wieder bei der Arbeit mit Aktantenmodellen auf, besonders wenn Gott / JHWH einer der Aktanten ist, der – moralisch betrachtet – ja immer der Gute ist und deswegen für die Lernenden nur ungern in der Rolle des Gegenspielers gesehen wird. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig darauf hinzuweisen, dass zunächst die Aktanten gleichwertig analysiert werden und keinem ein moralischer Vorschuss gegeben werden sollte. Anders gesagt: Jede Erzählfigur kann prinzipiell

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jede Rolle spielen. Um einen stärkeren analytischen Blick auf Gott entwickeln zu können, ist es manchmal hilfreich, einfach einen alltäglich verwendeten Alternativnamen für ihn einzusetzen, da so ermöglicht wird, Gott als reinen Aktanten wahrzunehmen. Die abschließende Grafik könnte wie folgt aussehen (Abb. 5):

Das Aktantenmodell von Jona 3 ähnelt Abbildung 4, da die Rollen „Gegenspieler“ und „Helfer“ unbesetzt bleiben. Niemand hält Jona auf, den Auftrag Gottes zu erfüllen. Es kann diskutiert werden, ob die Niniviten zusätzlich zu der von ihnen schon besetzten Position auch noch die des Helfers besetzen könnten, was prinzipiell möglich ist. Nach der Vorstellung der Ergebnisse durch die Lernenden könnte im Plenum noch einmal mit Hilfe des Knotenpunktmodells kontrolliert werden, ob Jona tatsächlich der Held der beiden untersuchten Kapitel ist. Im 4. Kapitel des Jonabuches reduziert sich die Zahl der Aktanten auf zwei: JHWH und Jona. Dieses Kapitel ist besonders schwierig und sollte deswegen am besten gemeinsam im Plenum analysiert werden. Um die Grenzen der Modelle deutlich zu machen, lohnt es sich, die Lernenden zu bitten, das Modell von Ebner / Heininger auch auf Jona 4 anzuwenden. Aufgrund der wenigen Aktanten wird eine sinnvolle Besetzung der Positionen im Modell schwierig. Hier zeigen sich die Grenzen des Modells; ein weiteres Modell – in diesem Fall das von Greimas – sollte eingeführt werden und ebenfalls auf Jona 4 angewendet werden. Das Modell kann mit Hilfe von Rapunzel (→ Einstieg) erklärt werden und dann auf Jona 4 angewendet werden. Mit Hilfe folgender Fragen ist eine Zuordnung der Aktanten zu den Positionen einfach möglich. –– Ebene Subjekt – Objekt: Wer (Subjekt) will was (Objekt)? –– Ebene Sender – Empfänger: Wer (Sender) gibt wem (Empfänger) was (Objekt)? –– Ebene Helfer – Widersacher: Wer hilft (Helfer)? Wer hindert (Widersacher)?

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Auf Kapitel 4 des Jonabuches übertragen, könnte in etwa folgende Grafik entstehen (Abb. 6):

Es ist Jona, der etwas (ein Objekt) begehrt: Er möchte verstehen, warum Gott Ninive nicht vernichtet hat. Um diese Botschaft verstehen zu können, schickt Gott den Rizinusstrauch. Mithilfe des Strauches soll Jona verstehen, dass Gott aus Barmherzigkeit gehandelt hat. JHWH ist also der Sender, denn er schickt die „Erkenntnis“ in Form des Rizinusstrauches. Die Grafik impliziert, dass es einen Empfänger geben muss. Ob Jona jedoch versteht, was JHWH ihm sagen und durch das Wachsen und Verdorren des Strauches zeigen möchte, wird im Jonabuch nicht beantwortet. Das Buch endet mit einer Frage Gottes und lässt offen, ob die Botschaft bei Jona angekommen ist. Auch die Widersacher-Position ist nicht besetzt. Hier könnte wiederum Jona eingesetzt werden, weil er sich – ähnlich wie im ersten Kapitel – wieder selbst im Weg steht. Die Grafik ist aber auch ohne Doppelbesetzung des Jona nachvollziehbar; die Widersacherposition kann auch unbesetzt bleiben. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Mithilfe der verschiedenen Grafiken, die bei der Arbeit zu den einzelnen Kapiteln entstanden sind, kann nun aufgezeigt werden, wie Jona sich in der Erzählung wandelt. Zunächst verweigert er, den Auftrag Gottes anzunehmen. Ausgerechnet die ungläubigen Matrosen „retten“ Jona, indem sie ihn über Bord werfen. Jona steht sich selbst im Weg; er ist sein eigener Gegenspieler, der ihn hindert, den Auftrag JHWHs auszuführen. In Kapitel 3 wiederholt sich die Struktur von Kapitel 1. Diesmal gibt es jedoch keine Helfer und Gegenspieler. Der Auftrag wird durch Jona als

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Helden sofort erfüllt. Im letzten Kapitel verkompliziert sich die Geschichte jedoch noch einmal: Jona will wissen, warum Gott gegenüber den Niniviten so barmherzig ist. Gott schickt „Verständnishilfen“, aber wiederum steht sich Jona als Widersacher im Weg. Am Ende bleibt offen, ob Jona verstanden hat, was Gott ihm auf so eindrückliche, pädagogische Weise mitteilen wollte. Die Leitung kann die Grafiken nebeneinander stellen und die Lernenden bitten, Unterschiede zwischen den einzelnen Kapiteln aufzuzeigen. Eventuell kann weiter gefragt werden, inwieweit die Figur Jona sich innerhalb der vier Kapitel wandelt. Die Hinweise sollten notiert werden, denn die hier gewonnenen Ergebnisse können gut in die sich eventuell anschließende Charakterisierung einfließen. Zudem liefern sie wertvolle Hinweise in Hinblick auf die → Pragmatik des Buches. Literatur zur Textstelle M. Gerhards, Art. Jona / Jonabuch, in: www.wibilex.de (24.01.17). R. Lux, Jona, Prophet zwischen „Verweigerung“ und „Gehorsam“. Eine erzählanalytische Studie (FRLANT 162), Göttingen 1994. A. Schloemer (Hrsg.), Jona. … uns allen zum Verwechseln ähnlich = Religion betrifft uns 4 (2007) (mit einer sehr guten Arbeitsübersetzung des Jonabuches von Thomas Meurer). H.-W. Wolff, Studien zum Jonabuch. Mit einem ausführlichen Anhang von Jörg Jeremias, Neukirchen-Vluyn 32003. E. Zenger, Das Zwölfprophetenbuch, in: Ders. / C. Frevel u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 630–709.

Baustein NT: Die blutflüssige Frau und die Menge als Gegenspieler (Mk 5,21–43) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Keine. Einstieg Es empfiehlt sich, den Einstieg aus dem Baustein AT dieses Kapitels zu übernehmen. Erarbeitung / Vertiefung Die Erzählung von Jairus’ Tochter und der blutflüssigen Frau kommt in allen drei synoptischen Evangelien vor. Im Markusevangelium findet sich die Erzählung über die beiden Frauen im sogenannten „Galiläa-Teil“,7 also noch relativ am Anfang 7 Zu dieser Gliederung vgl. Ebner, Markusevangelium 155–158.

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des Buches. Der Geschichte direkt vorgeschaltet ist die Heilung des besessenen Geraseners. In Kapitel 6 folgt die Reise Jesu in seine Vaterstadt Nazareth, wo er als Prophet nichts gilt. Die Lernenden erhalten den Text Mk 5,21–43 (mit einer möglichst wörtlichen Übersetzung bzw. den griechischen Text). Ihre Aufgabe ist es, das Aktantenmodell nach Ebner / Heininger auf den ausgeteilten Gesamttext, nicht nur auf die Binnen­ erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau, anzuwenden. Es ist empfehlenswert, die Gruppe in kleinere Untergruppen einzuteilen, um die Methode ausprobieren zu können. Jede Gruppe erhält eine OHP-Folie und einen OHP-Stift und zeichnet während des Arbeitsprozesses ihr Aktantenmodell auf die Folie. Anschließend werden die Folien vorgestellt und die Ergebnisse diskutiert. Ein mögliches Aktantenmodell könnte wie folgt aussehen (Abb. 7):

Jairus bittet Jesus, in sein Haus zu kommen, um seine sterbenskranke Tochter zu heilen. Damit erteilt Jairus Jesus also einen als Bitte formulierten Auftrag, den Jesus bereit ist anzunehmen und auszuführen. Jesus ist damit der Held in dieser Erzählung, denn er führt den Auftrag aus und er ist der Entscheidungsträger (→ Knotenpunktmodell). Die Adressatin ist in diesem Fall Jairus’ Tochter, denn sie soll geheilt und vor dem Tod bewahrt werden. Eigentlich steht dem Heilungsauftrag nichts im Weg: Jairus hat seinen Wunsch klar ausgesprochen und Jesus scheint bereit zu handeln. Doch dann durchbricht die blutflüssige Frau die Auftragskette, die in Jesus – nachdem alle anderen Heilungsversuche zwar kostspielig, aber letztlich erfolglos blieben – die letzte Chance auf Heilung ihres zwölf Jahre andauernden Blutflusses sieht. Dadurch, dass sie das Gewand Jesu anfasst und Jesus spürt, dass Kraft von ihm ausgeht, konzentriert sich plötzlich die Handlung auf die Frau und Jesus. Der ursprüngliche Auftrag wird zeitweise unterbrochen. Erst nachdem die blutflüssige Frau geheilt ist und Jesus ermitteln konnte, wen er geheilt hat, verfolgt der Held seinen Auftrag weiter. Durch die von der blutflüssigen Frau verursachte Zeitverzögerung hat sich die Lage des Mädchens jedoch

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arg verschlimmert: Sie ist tot. Eine Rettung scheint nun noch unwahrscheinlicher als zuvor. Ähnlich wie die blutflüssige Frau verzögern auch noch die Menge und sogar die Menschen im und am Haus des Jairus Jesu Heilung. Doch Jesus lässt sich davon nicht beirren und ist der Meinung, dass das Mädchen nur schläft. Die Geschichte endet mit einer erfolgreichen Erfüllung der Mission, wenn auch ein wenig abgewandelt als ursprünglich intendiert: Jairus’ Tochter wird zum Leben erweckt und ist geheilt. Die blutflüssige Frau wird in aktantenanalytischer Sicht zur Gegenspielerin, wenn man in erster Linie den Auftrag des Jairus im Aktantenmodell betrachtet. In abgeschwächter Weise sind auch die Menge und die Menschen am Haus des Jairus als Gegenspieler herauszustellen, weil sie Jesus aufhalten, den Auftrag des Jairus zu erfüllen. Nicht nur das Modell von Ebner / Heininger lässt sich auf Mk 5,21–43 anwenden; auch das Modell von Greimas kann auf den Bibeltext übertragen werden. Nachdem das Greimas-Modell eingeführt wurde (z. B. mit Hilfe des Rapunzel-Märchens) wird es anschließend auf Mk 5,21–43 angewendet. Folgendes Aktantenmodell nach Greimas zu Mk 5,21–43 wäre denkbar (Abb. 8):

Jairus (Subjekt) möchte, dass seine Tochter geheilt wird (Objekt). Betrachtet man die Frageebenen „Wer gibt wem (Empfänger) was (Objekt)?“ dann kann schnell herausgefunden werden, dass Jesus der Tochter des Jairus die Heilung „gibt“. Jesus selbst kann auch als Helfer eingeordnet werden. Auch hier nimmt die blutflüssige Frau die Rolle der Gegenspielerin ein, da sie die Sender-Objekt-Empfänger-Ebene durch ihre Berührung und ihren Wunsch, geheilt zu werden, verzögert und damit das Mädchen in noch größere Lebensgefahr bringt. Neben der blutflüssigen Frau sind hier ebenfalls die Menschenmenge und die Leute vor Jairus’ Haus als Widersacher zu nennen. Allerdings fallen sie nicht so deutlich ins Auge wie die blutflüssige Frau.

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Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Obwohl die beiden Aktantenmodelle verschieden sind, kommen sie doch zu einem Ergebnis: Die blutflüssige Frau ist die Gegenspielerin in der Geschichte Mk 5,21– 43. Beurteilt man diesen Erkenntnisertrag auf einer rein moralischen Ebene, ist wenig zu gewinnen, denn auch die blutflüssige Frau hat ein berechtigtes Anliegen, das Beachtung finden will, zumal sie auf der Erzählebene gar nicht wissen kann, dass Jesus in eiliger Mission unterwegs ist. Mit Hilfe der Aktantenmodelle lässt sich jedoch herausstellen, dass die blutflüssige Frau die Hilfe Jesu für Jairus so sehr verzögert, dass am Ende die Frage steht, ob das Mädchen, das inzwischen sogar tot ist, überhaupt noch gerettet werden kann. Die blutflüssige Frau unterbricht den Handlungsauftrag und ist somit Gegenspielerin eines Auftrags, erfüllt gleichzeitig aber ihren eigenen Auftrag. Auch die Menge und die Menschen am Haus des Jairus verzögern die Heilung des jungen Mädchens und tragen dazu bei, dass sie vor der Ankunft Jesu schon tot ist. Deswegen sind neben der blutflüssigen Frau auch die Menge und die Leute an Jairus’ Haus als Gegenspieler zu nennen. Abschließend kann – gerade mit fortgeschrittenen Lernenden – diskutiert werden, warum Markus die blutflüssige Frau als den Handlungsstrang unterbrechende Gegenspielerin auftreten lässt, wenn es ihm offensichtlich nicht darum geht, die Frau und ihr Tun moralisch abzuwerten (vgl. Jesu positive Bewertung ihrer Handlung in Mk 5,34). Welchen Sinn hat diese Unterbrechung der Jairusgeschichte? Die Diskussion könnte dabei darauf abheben, dass durch die Unterbrechung die Not so sehr gesteigert wird, dass die Wundertat Jesu noch mächtiger erscheint: Aus einer Therapie wird eine Totenerweckung. Das ließe sich im Sinne einer mit Wundergeschichten häufig verbundenen Werbeabsicht für den Wundertäter, hier Jesus, verbinden. Alternative Interpretationen finden sich in der Literatur. Literatur zur Textstelle M. Ebner, Das Markusevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2008, 60–63. M. Ebner, Das Markusevangelium, in: Ders. / S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 155–184. M. Fander, Die Stellung der Frau im Markusevangelium. Unter besonderer Berücksichtigung kultur- und religionsgeschichtlicher Hintergründe (MThA 8), Altenberge 21990. H. Kinukawa, Frauen im Markusevangelium. Eine japanische Lektüre, Luzern 1995, 51–76.

Ertrag zur Methode Die Aktantenanalyse bereitet den Weg für andere Methoden, wie beispielsweise die → Charakterisierung oder auch die → Textpragmatik. Da sie zu den narratologischen Methoden gehört, kann sie ebenfalls gewinnbringend im Zusammenhang mit anderen narratologischen Methoden angewendet werden.

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Mit Hilfe der Aktantenmodelle ist es möglich, Texte miteinander zu vergleichen, da es um die Ermittlung von immer wiederkehrenden Funktionen in Texten geht, die als Vergleichsgrößen dienen können. Die intensive Auseinandersetzung mit den Aktanten hat zur Folge, dass die Informationen des Textes detailliert wahrgenommen und verarbeitet werden. Somit dient diese Methode auch dazu, vertrauter mit dem Text zu werden. Darüber hinaus wird durch das Ermitteln der Auftragslinie die vorschnelle moralische Abwertung einzelner Figuren aufgehoben. Da von der Logik des Textes und des Auftrages her gedacht wird, können moralisch einwandfreie Charaktere dennoch die Rolle des Gegenspielers einnehmen und die „Bösen“ die Rolle des Helfers. Dies macht die tieferliegende Struktur des Textes für die Lernenden offensichtlich. Weitere Ideen –– Der Trailer des Filmes „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ (Regie: James Cam­ er­on; 2009) wird gezeigt. Es wird aufgelistet, welche Aktanten im Trailer vorkommen. Daraus wird ein lebendiges Aktantenmodell gestellt. –– Das Märchen Rotkäppchen wird gemeinsam gelesen und das Aktantenmodell nach Ebner / Heininger mit den vorhandenen Figuren gefüllt. Alternativ kann das Märchen auch gespielt werden. Anschließend werden die Schauspielerinnen und Schauspieler gemäß des Aktantenmodells im Raum angeordnet. –– Der Film „Terminal“ (Regie: Steven Spielberg; 2004) kann mit den Lernenden gemeinsam geschaut werden. Anschließend kann ein Aktantenmodell nach Propp (s. dazu die Skizzierung des Modells bei Ebner / Heininger) erstellt werden. –– Das Aktantenmodell nach Greimas kann sehr gut an der Bibelstelle Mk 10,46– 52 nachvollzogen werden.8

8 Hinweise hierzu in Egger / Wick, Methodenlehre 187–191.

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Hinführung zur Methode Unser alltägliches Leben bringt meist vielfältige Berührungspunkte mit anderen Menschen mit sich, an denen wir – selektiv – bestimmte Merkmale wahrnehmen, Eindrücke sammeln und uns auf dieser Basis eine Meinung über die andere Person bilden. Dies erfolgt unterschiedlich intensiv, je nachdem, wie lang und tiefgehend oder vorübergehend und flüchtig die Begegnung ist, je nachdem, ob die Person uns nahesteht oder nur eine entferntere Bekanntschaft ist. Die Grundlage für unsere Einschätzung anderer Personen ist ein vielfältiges Konglomerat von Wahrnehmungen unsererseits: „Äußerlichkeiten“ (klappriges Fahrrad oder schicker Sportwagen) und „Innerlichkeiten“ (politische und religiöse Einstellung, Werte), wobei gerade auf Letzteres oft nur indirekt aufgrund von Äußerungen oder Verhalten geschlossen werden kann – auch eine bestimmte Art von Kleidung kann uns vermeintlich viel über die Einstellung einer Person verraten. Das Reden und Handeln einer Person – nicht nur uns gegenüber – spielt eine entscheidende Rolle, auch die Clique, in der wir jemanden antreffen, prägt unser Bild. Zu all diesem kommt hinzu, dass wir so gut wie nie nur neutral und objektiv beobachten, sondern zumeist intuitiv auch werten und beurteilen: im Vergleich mit uns selbst, mit eigenen Werten und Überzeugungen, mit gesellschaftlichen Standards und Konventionen, mit vergleichbaren Fällen. Manchmal rufen fremde Personen in uns Erinnerungen (positive wie negative) an frühere Bekanntschaften wach, was die Einschätzung der fremden Person maßgeblich beeinflusst. So entsteht insgesamt in unserem Kopf (und Herz) ein Bild der anderen Person, ein „mentales Modell“, das meist mit Sym- oder Antipathie angereichert wird und nur schwer zu revidieren ist – der erste Eindruck ist oft entscheidend. Was hierbei natürlich auch zu bedenken ist: Mit unserem ersten Eindruck können wir ziemlich „daneben“ liegen; jemand kann bewusst einen bestimmten Eindruck zu inszenieren sich bemühen; unser „Urteil“ ist situations- und stimmungsabhängig …

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Was bislang für unser alltägliches Leben skizziert worden ist, findet in vergleichbarer Art und Weise auch bei der Rezeption von (biblischen) Texten statt: Auch hier begegnen wir als Leserinnen und Leser Figuren – und zwar vermittelt durch den Text. Hierbei kann es sich um Einzelfiguren (Mose, Jesus) oder Figurengruppen (das Volk Israel, die Ältesten, die Pharisäer) handeln. Und diese Figuren(gruppen) hinterlassen einen Eindruck bei / in uns, wir werden zur Konstruktion eines „mentalen Modells“ angeregt – vergleichbar dem, was im alltäglichen Zusammentreffen mit Menschen geschieht. Gerade Erzähltexte leben von den Figuren, die auftreten, miteinander interagieren und die Handlung tragen. Von diesen Figuren machen wir uns ein (inneres) Bild bzw. durch die Präsentation der Figuren im und durch den Text wird ein entsprechendes Bild in uns erzeugt. Diese „Konstruktion der Figuren durch die Erzählung nennt man Charakteri­ sierung“.1 Dabei sind grundsätzlich zwei Dimensionen zu unterscheiden, die sich aber in bibelwissenschaftlicher Perspektive vielfältig durchdringen: Die Charakterisierung von Figuren kommt je neu im aktuellen Rezeptionsvorgang zum Tragen, zugleich ist aber auch – gerade mit Blick auf biblische Texte – der (re-)konstruierende Blick auf die Rezeption im antiken, zeitgeschichtlichen Kontext von Relevanz. Der Charakterisierung auf die Spur zu kommen, ist das Anliegen des vorliegenden Methodenschritts. Es geht um den analysierenden Blick darauf, wie Figuren(gruppen) in (biblischen) Texten charakterisiert werden. Hierbei ist der antike, zeitgeschichtliche Kontext der biblischen Texte jeweils angemessen zu berücksichtigen. Das Wie kommt in einer doppelten Stoßrichtung zur Geltung: Es ist sowohl zu fragen, wie ein Text vorgeht, um eine Figur zu charakterisieren, also welche Techniken etc. zur Charakterisierung eingesetzt werden (Figurendarstellung), als auch, wie die Figur schlussendlich charakterisiert ist (Figurenmerkmale; Figurenkonzeption). Damit schließt dieser Untersuchungsschritt als Teilelement der sprachlichen Analyse, genauerhin der Figurenuntersuchung, an die Analyse von Figurenbestand, Figurenkonfiguration, Figurenkonstellation und Figurenfunktion in der Handlung (→ Aktantenanalyse) an. Berücksichtigt man, dass die Charakterisierung einen wesentlichen Einfluss darauf hat, dass wir als Leserinnen und Leser Sym- oder Antipathie im Blick auf einzelne Figuren entwickeln oder uns sogar empathisch mit diesen identifizieren und dies natürlich zielgerichtet eingesetzt werden kann, so erweist sich die Untersuchung der Charakterisierung auch als wichtige „Vorarbeit“, um die → Pragmatik eines Textes zu eruieren. Welche konkrete Charakterisierung einer Figur in einem Text schlussendlich dominiert, ist von Fall zu Fall zu erheben. Dabei kann auf eine ganze Reihe von Figurenmerkmalen geachtet werden, die in unterschiedlichen Konstellationen auftreten können:2 Identität, Charakterzüge / Persönlichkeit, Meinungen / Standpunkt, Erleben, Gefühle, Verhaltensweisen, äußere Attribute, sozialer Kontext, Wissen, 1 Finnern, Narratologie 151. 2 Das Folgende nach Finnern, Narratologie 129–147.

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Pflichten, Wünsche / Bedürfnisse / Motive, Intentionen / Motivationen. Außerdem können Figurenmerkmale (erzählintern, erzählextern oder historisch) verglichen werden (Parallelisierung, Kontrastierung). Mit Blick auf die Charakterisierung ist aber nicht nur das „Ergebnis“ wichtig, sondern es ist ebenso darauf zu achten, wie die Charakterisierung der Figur im Text zustande kommt. Für die Figurendarstellung, also die Charakterisierung i. e. S., sind wiederum mehrere Analysegesichtspunkte denkbar:3 Offensichtlichkeit (direkt / explizit – indirekt / implizit), Erzählinstanz (auktorial / narratorial – figural), Distribution, Quantität, Frequenz, Zuverlässigkeit. Als vereinfachtes Grundmodell seien folgende Grundoptionen unterschieden:4 a) direkt (telling; narrativ); a1) durch Erzähler;5 a2) durch Erzählfigur; b) indirekt (showing; dramatisch); b1) durch Handlungen / Taten (action);6 b1.1) one-time; b1.2) habitual; b2) durch Worte / Reden (speech); b3) durch äußere Erscheinung (external appearance); b4) durch die (physische oder soziale) Umgebung (environment); c) durch Analogien; c1) intern; c2) extern.

Damit ist ein Instrumentarium skizziert, das für eine umfängliche Untersuchung der Charakterisierung als Leitfaden dienen kann. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden nehmen Bezug auf bereits vorhandene Analysefähigkeiten hinsichtlich der Figuren (Aktantenanalyse: Figurenbestand, -konfiguration, -konstellation, -funktion in der Handlung) und reichern diese um den Aspekt „Charakterisierung“ an.

3 Wiederum nach Finnern, Narratologie 151–156. 4 Mit leichten Modifikationen übernommen von Ebner / Heininger, Exegese 87–91. 5 Dieser Fall wird oft als „direkte Charakterisierung i. e. S.“ verstanden, vgl. z. B. Ebner / Heininger, Exegese 87; Bar-Efrat, Bibel 63. 6 Auch das, was eine Figur nicht tut, kann viel über sie aussagen, wobei hierbei wichtig ist, ob es a) ausdrücklich gesagt wird, dass eine Figur etwas nicht tut; es b) zu erwarten wäre, dass eine Figur etwas tut, was sie unterlässt; oder es c) im Vergleich mit anderen handelnden Figuren auffällt, dass eine Figur etwas nicht tut.

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–– Die Lernenden eignen sich grundsätzliche Kenntnisse über Figurenmerkmale, Figurenkonzeptionen sowie Techniken der Figurendarstellung an und können dieses heuristische Instrumentarium in der Arbeit mit (biblischen) Texten konkret einsetzen. –– Die Lernenden können Figurenmerkmale – mit sinnvoller Schwerpunktsetzung angesichts des jeweils konkret zu untersuchenden Textes – genau und argumentativ fundiert herausarbeiten und stimmig zu einer vom Text her plausiblen Gesamtinterpretation einer Figur(engruppe) synthetisieren. –– Die Lernenden können Charakterisierungstechniken in (biblischen) Texten aufspüren und in ihrer Wirkung (Rezeptionsergebnis) würdigen. –– Schlussendlich sind die Lernenden fähig, die Leserlenkung durch Charakterisierung (Sym- oder Antipathie, ggf. identifizierende Empathie) aufzudecken und hierzu kritisch-distanziert Stellung zu beziehen. Literatur zur Methode S. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006, 57–106. F. W. Burnett, Characterization and Reader Construction of Characters in the Gospels, in: E. Struthers Malbon / A. Berlin (Hrsg.), Characterization in Biblical Literature (Semeia 63), Atlanta (GA) 1993, 3–28. M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 87–91.117 f. S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28 (WUNT II/285), Tübingen 2010, 125–164. G. Fischer, Wege in die Bibel. Leitfaden zur Auslegung, Stuttgart 32008, 67 f. D. Marguerat / Y. Bourquin, How to Read Bible Stories. An Introduction to Narrative Criticism, London 1999, 58–76. M. Pfister, Das Drama. Theorie und Analyse (UTB 580), München 112001, 176–179.240–264. H. Utzschneider / S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014, 158–161.

Baustein AT: Thron-Erbe-Streitigkeiten (1 Kön 1) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Grundlegende Kenntnisse in Erzähltheorie (story – Text). –– Aktantenanalytisches Basis-Knowhow (Figurenbestand, -konfiguration, -konstellation, -funktion in der Handlung). –– Hilfreich ist bibelkundliche sowie zeitgeschichtlich informierte Vertrautheit mit der Königsgeschichte des Volkes Israel und v. a. mit König David und den biblischen Traditionen zu seiner Person.

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Einstieg Als Einstieg eignet sich eine Bezugnahme auf alltägliche Charakterisierungsvorgänge. Konkret schlage ich die Arbeit mit Partnerschaftsanzeigen vor.7 Die Lernenden bringen zur entsprechenden Seminarsitzung aus Zeitungen / Zeitschriften ausgeschnittene Partnerschaftsanzeigen / -gesuche mit; die Leitung hat einen Vorrat in der Hinterhand. Zunächst werden die Anzeigen insgesamt wahrgenommen und grob gruppiert (z. B. „Sie sucht ihn“, „Er sucht sie“, „Sie sucht sie“, „Er sucht ihn“). Dann werden in Kleingruppen einzelne Anzeigen dahingehend ausgewertet, welche „Wunschpärchen“ jeweils vor Augen stehen, wie also jemand sich selbst darstellt und wie das erwartete Gegenüber charakterisiert wird. Diese Paarungen werden auf Plakaten notiert. Die Gruppen präsentieren (sich als) die jeweils suchende Person und stellen den / die Traumpartner/in vor. Die anderen Gruppen achten darauf, ob sie selbst vielleicht ein/e Wunschpartner/in sind – ggf. finden zwei zusammen. Auch wenn eine 100%ige Passgenauigkeit unwahrscheinlich ist, so dürfte doch der ein oder andere Berührungspunkt begegnen. Wenn die Anzeigen vorgestellt sind, werden im Plenum Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Auffälligkeiten zwischen den Anzeigen gesammelt. Anschließend bringt die Leitung das Thema „Charakterisierung“ ins Spiel: Partnerschaftsanzeigen stellen Selbstcharakterisierungen sowie Charakterisierungen des/r gewünschten Partners/in dar. Manchmal sagt der Wunsch mit Blick auf das Gegenüber auch jede Menge über die wünschende Person selbst aus. Beim gemeinsamen Blick darauf, a) was bei der (Selbst-)Charakterisierung im Rahmen von Partnerschaftsanzeigen mitgeteilt wird, und b) wie die (Selbst-)Charakterisierung im Einzelfall erfolgt, werden die möglichen Figurenmerkmale (s. o. „was“) sowie die Charakterisierungstechniken (s. o. „wie“) eingeführt. Als eine Art Spezialfall der indirekten Charakterisierung durch den Kontext kann mit Blick auf Partnerschaftsanzeigen auf die jeweiligen Medien als aussagekräftige Indizien hingewiesen werden: Es macht einen Unterschied, ob eine Anzeige im Feuilleton einer Wochenzeitschrift, in der lokalen Tageszeitung, in einem Hochglanzmagazin oder in einer Partnertauschbörse … erschienen ist. Mit dieser theoretischen Grundlage im Gepäck nehmen die Kleingruppen ihre Anzeigen noch einmal genau unter die Lupe und werten sie dahingehend aus, welche Figurenmerkmalsbereiche bedient werden sowie welche Charakterisierungstechniken (Figurendarstellungsmöglichkeiten) zum Einsatz kommen. Eine tabellarische Übersicht hilft an dieser Stelle und verschafft zum Abschluss des Einstiegs einen guten Überblick darüber, welche Charakterisierungsschwerpunkte bei Partnerschaftsanzeigen (genauer gesagt natürlich im Blick auf die bearbeitete Auswahl an Partnerschaftsanzeigen) zu beobachten sind. 7 Partnerschaftsanzeigen sind auch für die Annäherung an die → Gattungskritik brauchbar – neben dem Klassiker „Todesanzeige“.

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Erarbeitung / Vertiefung Derart methodisch und theoretisch gerüstet, wird 1 Kön 1 in den Blick genommen. Es empfiehlt sich, kurz in die biblischen Erzähltraditionen zu den Anfängen des Königtums in Israel sowie zur Figur Davids einzuführen – ggf. unter Aktivierung bereits vorhandenen Wissens der Lernenden. Außerdem ist vor der Analyse der Charakterisierung eine aktantenanalytische Bearbeitung des Kapitels ratsam, zumindest die Ermittlung des Figurenbestands ist unerlässlich. Die Erarbeitung der Charakterisierung selbst sollte sich auf die wesentlichen „Hauptfiguren“ (David, Natan, Batseba, Adonija, Salomo) konzentrieren, wobei mit einer Figur interagierende andere Figuren für die Charakterisierung der jeweiligen Figur auch von Bedeutung sein können. Diese Erarbeitung kann gut arbeitsteilig in drei Kleingruppen geschehen: a) David; b) Natan, Batseba; c) Adonija, Salomo. Gewisse Überschneidungen werden sich automatisch ergeben, da zwischen allen Figuren auch Verbindungen bestehen, so dass einzelne Elemente bei der Charakterisierungsanalyse an mehreren Stellen auftauchen können / werden – was für die weiterführende Plenumsdiskussion durchaus von Vorteil ist. Die drei Gruppen nehmen die entsprechende(n) Figur(en) hinsichtlich der Charakterisierung genau unter die Lupe und halten die Ergebnisse auf Plakaten oder Folien fest. Hierbei hilft ein vorgegebenes Raster, die Übersicht zu wahren und die Vergleichbarkeit zu vereinfachen, z. B. können die unterschiedlichen Figurenmerkmale (Identität, Charakterzüge / Persönlichkeit …) tabellarisch oder auf einem Plakat in gleicher Anordnung vorgegeben sein (eine mögliche Gestaltung findet sich unter den → Materialanhängen); die Gruppen tragen das für ihre Figur jeweils Zutreffende ein. So sieht man auf einen Blick, welche Figur hinsichtlich welcher Aspekte wie intensiv charakterisiert wird. Die Charakterisierungstechniken, also die Arten der Figurendarstellung, können durch die Schriftfarbe in diese Übersicht integriert werden: In der Folge sieht man nicht nur, ob eine Figur z. B. äußerlich als „alt“ charakterisiert wird, sondern auch, ob dies direkt durch den Erzähler, direkt durch die Figur selbst oder eine andere Figur der Erzählung oder indirekt durch ihr Verhalten erfolgt. Die Ergebnisse können hier nicht im Detail dargestellt werden, doch möchte ich ein paar Hinweise zu den einzelnen Figuren geben. David, der „altersschwache König“ (eine mögliche Rastergestaltung findet sich bei den → Materialanhängen): David, der König, wird im ersten Vers zweifach direkt hinsichtlich seiner äußerlich-körperlichen Grundverfasstheit charakterisiert („alt“, „hochbetagt“; vgl. auch V. 15). Zudem wird seine Altersschwäche dadurch indirekt zum Ausdruck gebracht, dass er etwas nicht (mehr) tut bzw. erlebt („ihm wird nicht mehr warm“, V. 1). Abischag aus Schunem ist der Fund bei der Suche nach einem „unberührten“ (direkt durch Diener) und „(überaus) schönen“ (zweimal direkt durch Erzähler) Mädchen. Doch geht es nicht um die Schönheit Abischags um ihrer selbst willen, sondern erneut wird damit die Kraft- und „Saftlosigkeit“ Davids illustriert (indirekt, Handeln bzw. Nichthandeln): David „erkennt sie nicht“ (V. 4) (die Altersschwäche Davids wird besonders beim vergleichenden Blick in 2 Sam 11 deutlich: Der junge, potente König David

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verhält sich der „sehr schönen“ – ebenfalls direkt durch den Erzähler charakterisiert – Batseba gegenüber deutlich anders). In 1 Kön 1 steht uns somit – im Unterschied zum kraftvollen Krieger David, der Goliat und zahlreiche Philister besiegt, oder im Unterschied zum sich machtvoll durchsetzenden und herrschenden König David – ein David vor Augen, der ins Alter gekommen ist, der schwach und kraftlos geworden ist. So wird die Nachfolgefrage drängend. Doch hat David nun nicht mehr das Heft in der Hand, sondern droht zum Spielball bzw. manipuliert zu werden. In V. 6 wird auf ein habituelles Verhalten Davids in der Vergangenheit seinem Sohn Adonija gegenüber rekurriert, das David als (zu) nachsichtig ausweist. Diese Grundschwäche den eigenen Kindern gegenüber verstärkt das „Machtvakuum“ als Hintergrundfolie für den sich anbahnenden Kampf um die Nachfolge. Erst nach der Intervention (Intrige?, s. u.) Natans und Batsebas, die David im Kontext des Königshofes allerdings höchst ehrfurchtsvoll (Verneigen, Niederwerfen, Anrede, Sprachstil) begegnen, schimmert im Reden und Handeln Davids wieder der machtvoll befehlende David durch, den man aus früheren Erzählungen kennt. Doch sind seine Befehle zur Einsetzung Salomos als Nachfolger ganz von den Interventionen Batsebas und Natans ausgelöst und inhaltlich bestimmt (wenn wir noch einmal einen vergleichenden Blick auf 2 Sam 11 werfen, dann wird der Unterschied konkret greifbar: David ist dort, 2 Sam 11, der aktive Part, der an der hauptsächlich als passives Objekt auftretenden Batseba handelt, hier, 1 Kön 1, wird der König durch Batseba ganz in deren Sinne gelenkt). Natan, der „strategisch geschickte Prophet“: Natan wird als Prophet eingeführt. Ansonsten erfahren wir direkt über ihn nichts. Indirekt wird er durch sein Reden und Handeln charakterisiert als politisch weitsichtig und realistisch, da er die Gefahr, die Salomo, Batseba und ihm selbst von der potenziellen Nachfolge Adonijas droht, erkennt. Gleichzeitig weiß er erfolgversprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten und stellt dabei sein politisch-strategisches Können unter Beweis. Natan beherrscht das höfische Zeremoniell und weiß Davids Verhalten psychologisch geschickt zu beeinflussen (V. 24–27; der von Natan erwähnte Schwur Davids hinsichtlich der Thronnachfolge Salomos ist in den Erzähltraditionen explizit an keiner Stelle vorher zu finden; die Beschreibung Adonijas durch Natan ist tendenziös, vgl. V. 25 mit V. 9: Die bereits erfolgte Akklamation „Es lebe der König Adonija!“ begegnet nur im Munde Natans – vgl. auch V. 11 –, nicht aber in der Erzählung selbst; entsprechend kann das Festmahl Adonijas unterschiedlich interpretiert werden: „Wahlkampfveranstaltung“ vs. „Inthronisierung“). Die Figur Natan verfolgt ein klares Ziel in der Erzählung. Zu diskutieren ist, wie Natans (und Batsebas) Vorgehen auf der Basis des Textes zu beurteilen ist: als „Intrige“, „Selbstschutz“ oder als „politisch notwendiges Taktieren“? Batseba, die „taktierende Königinmutter in spe“: Für Batseba gilt Ähnliches wie am Ende zu Natan bemerkt. Insgesamt sagt der Text direkt wenig über sie aus. Sie wird als Mutter Salomos eingeführt und erweist sich dem Auftrag Natans gegenüber als gehorsam, weicht aber in ihrer Rede vor David im Detail von der Vorgabe ab. So wird sie indirekt als durchaus eigenständig agierende, taktisch-strategisch geschickte Persönlichkeit charakterisiert, die die höfische Höflichkeit gut beherrscht. Adonija, „der machtbewusste, aktive Konkurrent“: Zu Adonija findet sich eine direkte Charakterisierung durch den Erzähler: „sehr stattlich“ (V. 6). Von seiner äußeren Erscheinung her ist Adonija damit durchaus für Größeres qualifiziert, wobei wir es mit einer externen Analogie zu tun haben (vgl. 1 Sam 9,1; 10,23 f.: Saul; 1 Sam 16,12: David – man beachte aber 1 Sam 16,6 f.; 2 Sam 14,25: Abschalom). Zudem ist er nach dem bereits verstorbenen Abschalom

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nunmehr der älteste Sohn Davids und damit der nächste Thronfolger in der Reihe. Adonija hat somit, formal (und „ästhetisch“) betrachtet, keine schlechten Karten, um die Nachfolge Davids anzutreten. Genau darauf zielt sein Handeln und Reden, das ihn als machtbewusst (und machtgierig?) ausweist: Er verschafft sich eine Art königliche Begleitgarde, sucht einflussreiche Verbündete und veranstaltet ein Festmahl, dessen genauer Charakter schwierig zu bestimmen ist (s. o.; ein Nebenblick in 2 Sam 15 erweist Adonija jedoch per externer Analogie als „Kopie“ des Thronusurpators und Putschisten Abschalom). Adonija wird als derjenige charakterisiert, der aktiv nach der Macht greift und selbst alles tut, um als Nachfolger Davids Erfolg haben zu können. Die einzigen Gefühle, die im Text direkt genannt werden, betreffen Adonija (und seine Gäste): Erschrecken (V. 49; indirekt unterstützt: Zerstreuen); Furcht vor Salomo (V. 50; V. 51: direkt durch Boten; indirekt unterstützt: Flucht zum Altar, der in der Antike als Asylort galt → Motivkritik). Salomo, der „passive Thronnachfolger“: Die Figur, die schlussendlich den entscheidenden Statuswechsel (König) vollzogen hat, ist im Großteil des Textes rein passiv: Salomo wird auf das Maultier gesetzt, gesalbt, als König akklamiert. Nur in V. 46 berichtet Jonatan, Salomo habe sich (aktiv) auf den Thron gesetzt. Erst ganz am Ende wird Salomo als Handelnder präsentiert: Er schwört, lässt Adonija aus dem Tempel entfernen, befiehlt ihm. Diese dürftige Charakterisierung Salomos sticht ins Auge, gerade im Vergleich mit Adonija: Mit Blick auf ihr Handeln im Nachfolgemachtkampf werden die beiden geradezu als Kontrastfiguren profiliert. Adonija strebt aktiv nach der Macht, von Salomo wird erst aktives Handeln erzählt, nachdem er bereits König geworden ist. Auf der Basis externer Analogie (vgl. 1 Sam 9 f.: Saul; 1 Sam 16: David) erweist sich somit Salomo als der „wahre König“, wohingegen sich Adonija (externe Analogie 2 Sam 15: Abschalom) selbst disqualifiziert.

Haben die einzelnen Gruppen ihre Figur(en) hinsichtlich der Charakterisierung erarbeitet, so bietet sich ein „Gallery walk“ zur Wahrnehmung der Erkenntnisse / Ergebnisse (inkl. Nachfragemöglichkeit) an. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Insgesamt lässt sich die Gemengelage rund um die Nachfolge Davids in 1 Kön 1 in ihrer Vieldimensionalität plastischer konturieren, wenn neben der → Aktantenanalyse auch die Analyse der Charakterisierungen durchgeführt wird. Beide Methodenschritte greifen an dieser Stelle gut ineinander. Dabei können besonders die Veränderungen hinsichtlich der Figur Davids sowie in seinem Verhältnis zu Frauen (Abischag, Batseba) klar herausgearbeitet werden. Gleichzeitig erlaubt der genaue Fokus auf die Charakterisierungen geradezu einen Blick hinter die Kulissen: Für die biblische Tradition ist es unstrittig, dass Salomo der legitime Nachfolger Davids ist (vgl. 1 Chr 29) und Adonija unrechtmäßig nach der Macht giert, doch wie wird uns als Leserinnen und Lesern dies plausibel „verkauft“, wo doch Adonija als der ältere Sohn Davids, der sich noch dazu durch körperliche Vorzüge auszeichnet, eigentlich das dynastische Vorrecht für sich in Anspruch nehmen kann? An dieser Stelle kommt zum einen die Charakterisierung Adonijas ins Spiel: Er strebt aktiv nach der Herrschaft, er ist Putschist. Hier trägt v. a. die (externe) Ana-

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logie mit Abschalom zum negativen Gesamteindruck massiv bei. Zum anderen fällt die große Zurückhaltung des Textes gegenüber Salomo (fast durchweg passiv) auf. Salomo wird konsequent als derjenige charakterisiert, der keine eigene Initiative zur Königswerdung ergreift – dies geschieht gewissermaßen an ihm. So erweist er sich – im Unterschied zu Adonija – als der des Thrones Würdige. Liest man in 1 Kön 2 weiter, so ergibt sich durchaus ein etwas facettenreicheres Bild von Salomo, der Zug um Zug alle seine (politischen) Gegner entmachtet oder umbringen lässt. Hier zeigt sich der Machtkampf um die Nachfolge Davids in seiner blutigen Härte. So kann die Analyse der Charakterisierungen sowohl für die Beeinflussungs- und Lenkungsmechanismen in einem Text sensibel machen als auch zu einem kritischskeptischen Umgang mit biblischen (Geschichts-)Traditionen anregen: Nichts, was überliefert wird, ist interessenlos überliefert und manchmal scheinen zwischen den Zeilen interessante Aspekte durch, die ich nur entdecke, wenn ich das „technische Vorgehen“ unter die Lupe nehme. Für die Frage nach dem „Was will der Text (bei mir bewirken)?“ (→ Pragmatische Analyse) ist dies eine wichtige Grundlage. All diese Erkenntnisse können in einer abschließenden Gruppendiskussion, die auch die Ergebnisse einer vorausgehenden → Aktantenanalyse einbezieht, thematisiert werden. Mit diesem Appell zu einer kritisch-distanzierenden Grundhaltung gegenüber biblischen (Erzähl-)Traditionen als exegetischer Tugend kann die alttestamentliche Einheit gut zu einem Abschluss gebracht werden. Wem an einer inclusio gelegen ist, der kann abschließend noch einmal auf die Partnerschaftsanzeigen (s. o. Einstieg) zurückkommen und für diesen Kontext die Frage nach der Interessengeleitetheit der (selbst-)charakterisierenden Darstellungen thematisieren. Literatur zur Textstelle A. G. Auld, I & II Samuel. A Commentary (The Old Testament Library), Louisville (KY) 2011. S. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kommentar (BWANT 176), Stuttgart 2007. H. Krauss / M. Küchler, Saul – Der tragische König. Das erste Buch Samuel in literarischer Perspektive (Erzählungen der Bibel IV), Freiburg (Schweiz) / Stuttgart 2010. S. Schroer, Die Samuelbücher (Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 7), Stuttgart 1992. M. A. Sweeney, I & II Kings. A Commentary (The Old Testament Library), Louisville (KY) 2007. J. Werlitz, Die Bücher der Könige (Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 8), Stuttgart 2002.

Baustein NT: Zwei sehr unterschiedliche Gastgeber (Mk 6) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Grundlegende Kenntnisse in Erzähltheorie (story – Text). –– Aktantenanalytisches Basis-Knowhow (Figurenbestand, -konfiguration, -konstellation, -funktion in der Handlung).

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–– Hilfreich ist bibelkundliche sowie zeitgeschichtlich informierte Vertrautheit mit den politischen Machtverhältnissen zur Zeit Jesu in Palästina. Einstieg Als Einstieg kann auch hier der Anweg über die Partnerschaftsanzeigen (s. o. Baustein AT, Einstieg) gewählt werden. Alternativ kann eine Variante des Rätsels „Wer bin ich?“ gespielt werden: Jeder Lernende wählt sich eine bekannte Persönlichkeit aus Kirche, Politik, Gesellschaft, Kultur, Musik, Sport, Wissenschaft … aus und „spielt“ diese Persönlichkeit vor (z. B. durch Beschreiben des typischen Aussehens, der Kleidung, durch Nachspielen charakteristischer Gesten / Handlungen, durch entsprechende Worte). Die restliche Seminargruppe rät, wer vorgespielt wird. Wenn ein gewisser Wettbewerbscharakter gewünscht ist, kann folgendes Szenario zum Einsatz kommen: Die Seminargruppe wird in zwei Teilgruppen geteilt. Es spielen Lernende aus den beiden Teilgruppen abwechselnd Persönlichkeiten vor, die von der Leitung im Vorfeld notiert worden sind und gezogen werden. Beide Teilgruppen raten; wer es als Erstes errät, bekommt den Punkt. Das Reizvolle: Dadurch, dass beide Teilgruppen raten (also auch immer die Gruppe, zu der der Vorspielende gehört), darf der Vorspielende es weder zu einfach noch zu unerkennbar machen. Im Idealfall kommt eine zielgruppenspezifische Charakterisierung(stechnik) – mit Blick auf die eigene Teilgruppe! – zum Einsatz. Im Anschluss an die Vorspiel- und Ratephase wird das Thema „Charakterisierung“ in der Theorie eingebracht (s. o.) und direkt an das Quiz zurückgebunden: In den Teilgruppen werden die einzelnen Vorspielsequenzen unter diesen Gesichtspunkten analysiert: Welche Aspekte der möglichen Figurenmerkmale sind begegnet? Welche Charakterisierungstechniken, also Arten der Figurendarstellung, sind gewählt worden? Erarbeitung / Vertiefung Zur neutestamentlichen Erarbeitung seien die von Markus geschickt zusammenkomponierten Mahlszenarien (Herodes’ Geburtstagsfest, Speisung der 5000) in Mk 6,17–44 als Textgrundlage vorgeschlagen. Hier lässt sich in der Zusammenschau gut die Möglichkeit der charakterisierenden Kontrastierung herausarbeiten. Zudem spielt der jeweilige (soziale) Kontext für die Charakterisierung eine wichtige Rolle. Die Seminargruppe wird hälftig in zwei Untergruppen aufgeteilt, wobei jede Untergruppe ein Mahl genauer unter die Lupe nimmt: 1) Herodesmahl mit Vorgeschichte (Mk 6,17–29); 2) Speisung der 5000 mit Vorgeschichte (Mk 6,30–44). Innerhalb der beiden Untergruppen empfiehlt es sich, den Fokus arbeitsteilig auf die hauptsächlich beteiligten Figuren zu legen (1: Herodes, Johannes, Herodias, Tochter; 2: Jesus, Apostel / Schüler, Menge). Als Resultat steht bei beiden Untergruppen eine Charakterisierungsübersicht, wobei die grafisch-farbliche Gestaltung wie im AT-Baustein entfaltet aussehen kann. Einige Hinweise zu möglichen Erkenntnissen.

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Johannes, der „enthauptete Mahner“: Johannes selbst tritt beim Mahl nicht in Aktion; er wird enthauptet. Sein Handeln und seine Worte im Vorfeld erweisen ihn als toratreuen Propheten Gottes, der dem Herrscher Herodes mutig und offen seine Verfehlungen vorhält. Dafür zahlt er den Preis (Inhaftierung). Direkt wird Johannes charakterisiert als „gerecht und heilig“ (V. 20), jedoch nicht durch den Erzähler, sondern durch die Figur Herodes. Herodes „weiß ihn als …“ Somit sagt dies zwar auch etwas über die Figur Johannes aus, aber eben nur bzw. vorrangig in der Wahrnehmung des Herodes – was wiederum ganz stark ein Licht auf Herodes wirft, gerade angesichts des späteren Todesurteils. Herodes, der „schwache König“: Die Charakterisierung des Herodes ändert sich im Verlauf der Erzählung. Eingangs handelt er machtvoll und selbstbestimmt und inhaftiert den Kritiker Johannes. Dann wieder fürchtet er Johannes, weiß um dessen Gerechtigkeit und Heiligkeit und hört ihn gern. Herodes ist die Figur, von der die meisten Gefühle erzählt werden: Er fürchtet Johannes (V. 20), ist ratlos (V. 20), die tanzende Tochter gefällt ihm (V. 22), er wird betrübt (V. 26). Wir sind als Leserinnen und Leser somit nahe bei Herodes, sehen u. a. mit seinen Augen das Geschehen und haben Anteil an seinem unbeständigen Innenleben. Dadurch wird Herodes einerseits „menschlich“, andererseits büßt er seine eingangs im Handeln aufschimmernde Herrscherposition Schritt für Schritt ein. Die Charakterisierung in Wort und Tat lässt ein anderes Bild entstehen: Nicht nur, dass sich Herodes durch die illegitime Heirat des Torabruchs schuldig macht, er inhaftiert auch noch denjenigen, der ihn dafür zu Recht kritisiert. Dass er Johannes schätzt und hört und vor dem Groll seiner Frau schützt, mindert dieses negative Bild etwas ab. Dennoch bleibt der Eindruck „böser König“ vs. „guter Gottesprophet“ grundsätzlich bestehen, wobei wir es hier mit einer Charakterisierung per (externer) Analogie (vgl. z. B. Elija oder Jeremia in Auseinandersetzungen mit Königen) zu tun haben. Der soziale Kontext (Herodes feiert mit den Großen und Chiliarchen und Ersten Galiläas) zeigt uns einen Machtmenschen im Kreis der Oberschicht, der sich durch den gefälligen Tanz zu einem unbedachten Schwur hinreißen lässt: Jetzt wirft sich Herodes in die Pose des Großkönigs (externe Analogie zu Artaxerxes, Est 5,3.6; 7,2) – was ihn schlussendlich in die Falle tappen lässt und Johannes den Kopf kostet. Dass Herodes ab V. 22 monoton als „König“ tituliert wird, wirkt angesichts dieser Charakterisierung durch Reden und Handeln wie eine Farce: Herodes wird zum Spielball der Frauen, genauerhin zum „Opfer“ von Herodias’ Intrige gegen Johannes, und lässt Johannes gegen besseres Wissen und gegen seinen ausdrücklichen eigenen Willen enthaupten. Herodias, die „erfolgreiche Intrigantin“: Ihr Gefühl Johannes gegenüber ist Groll (V. 19), sie trachtet ihm nach dem Leben – gefährdet er doch durch seine Kritik an ihrer illegitimen Ehe ihren Aufstieg zur „Königin“ an der Seite des Herodes. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird sie nicht weiter direkt charakterisiert. Ihr Handeln zeigt sie als (kalt berechnend?) zielorientiert, strategisch geschickt – als Frau, die ohne langes Zögern erreicht, was sie sich vorgenommen hat. Die Tochter, die „entzückende Tänzerin“: Die Tochter wird nur durch ihr Handeln (und die wenigen Worte) charakterisiert. Sie versteht, ansprechend zu tanzen, sie ist gehorsam gegenüber ihrer Mutter – und bringt damit ihre Mutter ans Ziel. Jesus, der „Gastgeber für das Volk“: Jesus wird anschließend ganz als Kontrastfigur zu Herodes profiliert. Er hat nicht nur fürsorglich die Bedürfnisse der zurückgekehrten Apostel im Blick, sondern angesichts der anführerlosen Menge wird er auch „ergriffen“ (Gefühl). Das

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Mahl Jesu findet im sozialen Gegenkontext zum Herodesmahl statt: dort die Oberschicht unter sich (vermutlich im Palast) zu einem üppigen Festmahl versammelt, hier die Volksmenge im Freien zu einem einfachen Mahl (Brot und Fisch), das aber alle Bedürfnisse stillt – nachdem zuvor für den „geistigen Hunger“ durch die Predigt Jesu Abhilfe geschaffen worden ist. Jesus wird somit als den Menschen zugewandt charakterisiert, für ihre Bedürfnisse empfänglich, als der, der den Menschen gibt, was sie brauchen (geistig und materiell). Die Apostel / Jünger, „Begleiter Jesu“ und „Mittler“: Sie werden wenig charakterisiert. Ihr Handeln und Reden lässt eine gesunde Realitätsnähe erkennen. Zudem sind sie eine Art „Mittlerfiguren“, da sie zum einen Jesus auf die sich abzeichnenden Versorgungsschwierigkeiten aufmerksam machen. Zum anderen verteilen sie das von Jesus gebrochene Brot an die Menge. Die „bedürftige Menge“: Die Menge kommt nur in ihrer Bedürftigkeit in den Blick. Dadurch bildet sie den erforderlichen Gegenpart zu Jesus, dessen Zugewandtheit und Handeln zugunsten der Menge betont werden.

Nachdem die beiden Gruppen ihr jeweiliges Mahl (inkl. näherem Kontext) analysiert haben, kann vergleichbar einem „Gruppenpuzzle“ weiter vorgegangen werden: Es bilden sich Zweierpärchen mit jeweils einem Partner aus jeder der beiden Teilgruppen und diese vergleichen die Ergebnisse der Untergruppen miteinander. In diesen Zweiergruppen wird auf diese Weise die vergleichende Zusammenschau der beiden Mahlszenarien geleistet und damit v. a. die charakterisierende Kontrastierung von Herodes und Jesus herausgearbeitet. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Besonders die abschließende Zusammenschau verdeutlicht die Kontrastierung von Herodes und Jesus. Damit bekommt das Herodesmahl geradezu eine „christologische“ Aussagenuance – ex negativo: In Herodes begegnet uns die Kontrastfolie zu Jesus. Dies kann die leidige Diskussion, wer nun am Tod des Täufers „schuld“ ist, heilsam aufbrechen. Zudem wird deutlich, dass hinsichtlich der Charakterisierung der Fokus in Mk 6,17–29 auf Herodes liegt, der als Gegenbild zu Jesus profiliert wird. Als didaktischen Abschluss kann ich mir gut einige, genau auf die jeweils stattfindende Charakterisierung achtende Einblicke in die Rezeptionsgeschichte von Mk 6,21–29 in bildender Kunst (Malereien zur Speisung der 5000 sind ungleich zahlreicher als zum Gastmahl des Herodes, meist ist die Tochter „Salome“ mit dem Haupt des Täufers in den Mittelpunkt gerückt) und Oper / Musik (z. B. „Salome“ von Richard Strauss) vorstellen. Hier sind spannende Entdeckungen möglich, wie anders die Rezeptionsgeschichte die beteiligten Figuren charakterisiert im Vergleich mit der biblischen Vorlage. Dieser Ausblick sensibilisiert zugleich dafür, dass unsere eigenen Wahrnehmungen des biblischen Textes oftmals durch die Rezeptionen derart vorgeprägt sind, dass ein unvoreingenommener Zugang unmöglich ist (dies lässt sich auch wunderbar anhand der Erzählung von David und Batseba, 2 Sam 11, zeigen).

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Literatur zur Textstelle M. Ebner, Das Markusevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2008. J. Gnilka, Das Martyrium Johannes’ des Täufers (Mk 6,17–29), in: Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker (FS J. Schmid), Freiburg i. Br. 1973, 78–92. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 1: Mk 1–8,26 (EKK II/1), Zürich / NeukirchenVluyn 51998. M. Hartmann, Der Tod Johannes’ des Täufers. Eine exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studie auf dem Hintergrund narrativer, intertextueller und kulturanthropologischer Zugänge (SBB 45), Stuttgart 2001. P.-B. Smit, Eine neutestamentliche Geburtstagsfeier und die Charakterisierung des „Königs“ Herodes Antipas (Mk 6,21–29), in: BZ N.F. 53 (2009) 29–46.

Ertrag zur Methode Die Beschäftigung mit der Charakterisierung (was und wie) erschließt die Figuren als die mit und neben der Handlung zentralen Bausteine einer Erzählung in ihrer inhaltlichen Tiefe. Die Figuren werden genau durchleuchtet, wobei jenseits von oberflächlichem „Psychologisieren“ die Rückbindung an den Text gewahrt bleibt. Zugleich wird der Blick dafür geschärft, wie eine Erzählung auch strategisch vorgeht, um Sym- oder Antipathie für einzelne Figuren zu wecken oder empathische Identifizierungen zu befördern. Dies bereitet nicht nur für die Frage nach der → Pragmatik ein gutes Fundament, sondern versetzt uns als Leserinnen und Leser auch in die Position, eine kritisch-distanzierte Haltung zur unterschwelligen Botschaft eines Textes einnehmen und an der ein oder anderen Stelle auch „zwischen den Zeilen“ lesen zu können. Wir können, wenn wir charakterisierungsanalytisch kompetent sind, die Kreation der Figuren durch den Text (Figurendarstellung) im Detail nachvollziehen, ggf. einer kritischen Rückfrage unterziehen und auf jeden Fall von unseren eigenen, meist unbewussten „Vorurteilen“ (z. B. hinsichtlich des biblischen „Idealkönigs“ David) trennen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt hin zu einem bewusst-reflexiven Umgang mit der Beobachterrolle. Darüber hinaus, und hier berühren wir das Feld alltäglicher Handlungskompetenz, macht uns dies gerade für die tagtäglichen Begegnungen mit Menschen, ob nun face-to-face oder gewissermaßen „virtuell“, und die dabei permanent ablaufenden Charakterisierungsvorgänge sensibel und befähigt uns zu einem professionell-reflektierten Umgang damit. Und wer weiß, wie Charakterisierung in der Theorie funktioniert, fällt auch auf irreführende Selbstinszenierungen oder diffamierende Fremdcharakterisierungen nicht so schnell herein.

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Weitere Ideen Einstiegsvariationen Zum Einstieg kann auch mit dem Instrument „Steckbriefgestaltung“ gearbeitet werden, z. B. für biblische oder aktuelle kirchliche, politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Persönlichkeiten. Außerdem können aktuelle Kinofilme genutzt werden, um sich über die Charakterisierung der Hauptpersonen der Thematik zu nähern. Gerade mit Blick auf den neutestamentlichen Baustein mag ein Einstieg über „außerbiblische“ Jesuscharakterisierungen interessante Einsichten erbringen (z. B. das Lied „Jesus“ von der Gruppe „Die Doofen“, 1995; oder der Text „Lebensbeschreibung“ von Peter Handke). Weiterführende Nebenblicke Wenn mit den vorgeschlagenen Texten des alt- und neutestamentlichen Bausteins gearbeitet wird, dann lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse durch die Einbeziehung weiterer Texte vertiefen und im Vergleich profilieren. Mit Blick auf 1 Kön 1 ist der Nebenblick in 1 Chr 29 auf das hier doch deutlich anders geschilderte Nachfolgeszenario spannend. Und zur Überlieferung vom Tod Johannes’ des Täufers in Mk 6,17–29 findet sich bei Flavius Josephus in Ant 18,116–119 eine interessante Parallelüberlieferung. Ohne die schwierig zu beantwortende Frage nach möglichen (literarischen) Abhängigkeitsverhältnissen überhaupt problematisieren zu müssen, erbringt der vergleichende Blick auf die Charakterisierungen von Johannes und Herodes in beiden Erzählungen weiterführende Erkenntnisse. Methodisch-theoretische Vertiefung In den Texten, die in den beiden Bausteinen vorgeschlagen werden, begegnet jeweils die Figur eines „Königs“. In der antiken Literatur gibt es zahlreiche Schriften, meist anachronistisch als „Fürstenspiegel“, korrekter als „peri-basileias-Literatur“ bezeichnet, die zum Thema „(guter) König“ vs. „(schlechter) Tyrann“ Aufschlussreiches bieten.8 Als Vertiefung der oben skizzierten Textarbeiten können Textbeispiele der peri-basileias-Literatur analysiert und mit den Charakterisierungen von David, Adonija, Salomo, Herodes in Beziehung gesetzt werden.

8 Vgl. dazu M. Haake, Warum und zu welchem Ende schreibt man peri basileias? Überlegungen zum historischen Kontext einer literarischen Gattung im Hellenismus, in: K. Piepenbrink (Hrsg.), Philosophie und Lebenswelt in der Antike, Darmstadt 2003, 83–138; P. Hadot, Art. Fürstenspiegel, in: RAC VIII (1972) 555–632; J. M. Schulte, Speculum Regis. Studien zur Fürstenspiegel-Literatur in der griechisch-römischen Antike (Antike Kultur und Geschichte 3), Münster 2001.

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Hinführung zur Methode Als Wayne C. Booth 1961 sein Werk „Rhetoric of Fiction“ publizierte, wusste man zuerst nicht recht, was man aus seinen Differenzierungen zwischen realem und implizitem Autor und vor allem zuverlässigem und unzuverlässigem Erzähler machen sollte. Warum sollte es neben dem real existierenden Autor noch eine weitere Instanz geben? Und welchen Sinn könnte es machen, von einem Erzähler zu sprechen, der „sich irrt oder von sich selbst glaubt, Eigenschaften zu besitzen, die ihm der Autor abspricht“?1 Doch zwei Beispiele können zeigen, dass Booth und seine Nachfolger ein gutes Gespür für die Vielfalt erzählerischer Perspektiven hatten: Lk 1,1–4: 1 Da nun viele versuchten, abzufassen eine Erzählung über die Dinge, die sich bei uns erfüllt haben, 2 gleichwie uns übergaben die von Anfang (an) Augenzeugen und Diener des Wortes Gewordenen, 3 schien es auch mir (gut), der ich von vorn an allem gefolgt bin, genau nacheinander dir zu schreiben, bester Theophilos, 4 damit du erkennst die Sicherheit (der) Worte, über die du unterrichtet wurdest.2 Baron von Münchhausen (54 f.): Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müs-

1 Booth, Rhetoric 159: „[…] the narrator is mistaken, or he believes himself to have qualities which the author denies him.“ 2 Bibeltexte des Neuen Testaments werden nach der Übersetzung des Münchener Neuen Testaments (Düsseldorf 62002) zitiert; Abschnitte aus dem Alten Testament sind der revidierten Elberfelder Bibel (Wuppertal 1994) entnommen.

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sen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte.3

Im ersten Auszug lesen wir von der Motivation des augenscheinlichen Autors des Lukasevangeliums, diesen Text für seinen Freund, Theophilos, zu schreiben. Wer er selbst ist, offenbart er jedoch nicht. Vieles mehr noch bleibt implizit, muss also aus dem Text und an ihn herangetragenen Informationen rekonstruiert werden. Der Text – so wird an diesem Beispiel deutlich – ist eine Vermittlungsinstanz, die sich zwischen den realen Autor und die realen Empfänger stellt, bzw. positiv formuliert: In Fällen wie dem des Lukasevangeliums ist der Text die wichtigste Instanz, um überhaupt mit dem Autor in Kontakt zu kommen und dies wiederum geschieht im Text über die Instanz des Erzählers. Wenn wir dieser Aussage zustimmen, dann erscheint die Vorstellung eines unzuverlässigen Erzählers direkt kontraintuitiv: Ein Autor muss durch den Erzähler mit seinen Empfängern wahrheitsgemäß, ehrlich und aufrichtig sprechen, will er gelungen kommunizieren. Doch in den Geschichten um Baron von Münchhausen ist es geradezu Methode, dass Unwahrheiten erzählt werden. Der Ich-Erzähler berichtet von vollkommen phantastischen Begebenheiten, wie sie sich wohl kaum in der Welt der Leserinnen und Leser finden lassen. Denn es geht in diesem Fall nicht um wahrheitsgemäße – d. h. physikalisch richtige – Berichte von Fakten. Gerade die Diskrepanz zwischen der Selbstverständlichkeit der Erzählperspektive und dem Alltagswissen der Leserinnen und Leser macht den komischen Effekt der Erzählungen aus. Die Konzepte des impliziten Autors wie des unzuverlässigen Erzählers machen uns weiterhin darauf aufmerksam, dass die gewählte Erzählperspektive viel mehr ist als lediglich eine zwangsläufig notwendige Instanz von Prosa-Texten: Die Erzählperspektiven sind die Augen, mit denen wir als Leserinnen und Leser die Welt der Erzählung wahrnehmen. Und erst durch kritische Reflexion ist es uns möglich, uns etwas von der Festlegung auf diese eine Perspektive zu lösen. Zu diesem Zweck hat sich in der Narratologie oder Erzählwissenschaft ein Grundmuster von drei „Erzählsituationen“ (Franz K. Stanzel) entwickelt: Die „Ich“-Erzählsituation: Für sie ist kennzeichnend, „daß die Mittelbarkeit des Erzählens ihren Ort ganz in der fiktionalen Welt der Romanfiguren hat: Der Mittler, das ist der Ich-Erzähler, ist ebenso ein Charakter dieser Welt wie die anderen Charaktere des Romans. Es besteht volle Identität zwischen der Welt der Charaktere und der Welt des Erzählers […].“4 Bisweilen nennt man den Ich-Erzähler auch 3 G. A. Bürger, Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen. London [Göttingen] 1786. Vgl. dazu http://de.wikisource.org/wiki/ Des_Freyherrn_von_M%C3%BCnchhausen_Wunderbare_Reisen (Orthographie folgt dem Original [01.09.14]). 4 Stanzel, Theorie 15. In der aktuellen Ausgabe (Göttingen 82008) spricht Stanzel selbst nicht mehr von den drei prototypischen Erzählsituationen, sondern von drei Oppositionen, die als Pole die Erzählperspektive beschreiben. Aufgrund umfassender neuer Probleme mit diesem Modell wird es hier nicht näher beschrieben.

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den „expliziten“ (also den im Werk ausdrücklich genannten) Erzähler oder Autor (im Unterschied zum realen oder impliziten Autor oder Erzähler). Die „auktoriale“ Erzählsituation: Für sie ist charakteristisch, „daß der Erzähler außerhalb der Welt des Charakters steht; seine Welt ist durch eine ontische Grenze von jener der Charaktere getrennt. Der Vermittlungsvorgang erfolgt daher aus der Position der Außenperspektive […].“5 Man nennt diesen auktorialen Erzähler bisweilen auch den „allwissenden“ Er-Erzähler. Die „personale“ Erzählsituation: In ihr „tritt an die Stelle des vermittelnden Erzählers ein Reflektor: Eine Romanfigur, die denkt, fühlt, wahrnimmt, aber nicht wie ein Erzähler zum Leser spricht. Hier blickt der Leser mit den Augen dieser ‚Reflektorfigur‘ auf die anderen Charaktere der Erzählung.“6 Zur leichteren Unterscheidung der drei Erzählsituationen ist es sinnvoll, das Erzählte auf Elemente hin zu durchsuchen, in denen der Erzähler in den verschiedenen Bereichen Aussagen trifft: –– Bereich des Wissens („Da merkte Eli, dass der HERR den Jungen rief.“ 1 Sam 3,8); –– Bereich des Fühlens („Es saßen dort aber einige von den Schriftgelehrten und überlegten in ihren Herzen: Was redet dieser so? Er lästert.“ Mk 2,6 f.); –– Bereich des Wollens („So suchte Haman alle Juden, die im ganzen Königreich des Ahasveros waren, das Volk Mordechais zu vernichten.“ Est 3,6). Je nachdem, wie oft und in welcher Intensität das geschieht, bzw. ob es dem Erzähler rein logisch überhaupt möglich ist (gemessen an den drei Erzählsituationen), das, was er erzählt, überhaupt zu wissen, lässt sich leichter entscheiden, welche Erzählsituation vorliegt. Erzählsituationen müssen allerdings nicht immer in Reinform vorliegen. So kann es z. B. eine Erzählsituation geben, in der sich der eigentlich auktoriale Erzähler für eine bestimmte Zeit einer Person annähert: „Und er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verhärtung ihres Herzens” (Mk 3,5). In obigem Beispiel wird auch ohne einen Ich- oder personalen Erzähler eine große Unmittelbarkeit zu den erzählten Ereignissen vermittelt, indem intensive innere Vorgänge des Hauptcharakters geschildert werden. Auf der Kehrseite sorgen explizite Kommentare des Erzählers („Dieses ist allegorisch gesprochen […]“ Gal 4,24) oder gar Aufforderungen an die Leserinnen und Leser („Richtet euer Herz darauf, beratet und redet!“ Ri 19,30) für Distanz. Für Shimon Bar-Efrat hat die Verwendung dieser Stilmittel ein sich komplementär ergänzendes Ziel: „[…] [Es] ist zwar gut, den Leser ab und zu in Distanz zum Verlauf der Erzählung zu bringen, um über die Bedeutung der Ereignisse nachzudenken, es ist jedoch auch

5 Stanzel, Theorie 16. 6 Stanzel, Theorie 16.

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nötig, dass der Leser emotional beteiligt wird, denn wenn er nicht mitfühlt, kann und wird er auch die in der Erzählung vermittelten Werte nicht annehmen.“7 Aufgrund dieser und weiterer Phänomene, die eine scharfe Trennung in drei Erzählsituationen schwierig machen, entwickelte Gérard Genette das Konzept der Fokalisierung.8 Hierbei wird grundsätzlich getrennt in Erzählinstanz (Wer spricht?) und Perspektive (Wer sieht?). Gerade für Neulinge der Narratologie ist es sinnvoll, sich diese Unterteilung ganz plastisch wie in einem Film vorzustellen:9 Die Kamera und ihr „Blick“ auf die erzählte Welt macht die Perspektive oder Fokalisierung aus: Sehen wir die Geschichte aus den Augen einer beteiligten Person, die eventuell sogar in das Geschehen eingreift, oder ist die Kamera eine für die Figuren unsichtbare Größe? Werden meist Nahaufnahmen gemacht, in denen wir auch kleinste Details sehen können, oder schwebt die Kamera gleichsam über den Dingen und bietet uns den Gesamtüberblick? Das Gesprochene – z. B. als Stimme aus dem „Off “, oder aber als Darsteller im Film – bildet den Erzähler. Dies ist auch dann der Fall, wenn nur Figurenrede zu hören bzw. zu lesen ist, denn die „Rede der Figuren ist immer in die Rede des Erzählers eingebettet, der den Raum dafür schafft.“10 Ansgar Nünning hat sowohl die Kategorien Stanzels als auch Genettes in folgendes Modell übertragen:1112 Kategorien zur Differenzierung von Erzählinstanzen

Grade bzw. Pole

Kommunikationsebene des Sprechers

extradiegetisch12

intradiegetisch

Anwesenheit auf der Ebene der Figuren

homodiegetisch

heterodiegetisch

Grad der Involviertheit in das erzählte Geschehen

nicht-involviert

autodiegetisch

Grad der Explizität

neutral (verborgen)

explizit

Grad der Unzuverlässigkeit

glaubwürdig

unglaubwürdig

Geschlechtszugehörigkeit

weiblich

männlich

Vorab muss betont werden, dass Nünning dezidiert von „Graden“ bzw. „Polen“ spricht, jede der angesprochenen Unterscheidungen also in ihrer Ausgeprägtheit variieren kann. Denkbar wäre hier eine Skala mit einem Teil eines Begriffspaares an jedem Ende der Leiste.  7 Bar-Efrat, Bibel 45. Hier und in den weiteren Ausführungen Bar-Efrats ist die große Nähe zur (in-)direkten Charakterisierung sichtbar (→ Analyse der Charakterisierung).  8 Vgl. Genette, Erzählung (bes. Kap. I.4; I.5; II.12; II.17).   9 Vgl. dazu die Hinweise zur „Analyse im Filmblick“: → Intermedialität. 10 Bar-Efrat, Bibel 52. 11 Nünning, Funktionen 332. 12 „Diegetisch“ meint hier „das, was zur Geschichte gehört bzw. sich auf sie bezieht“.

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Wenn wir nun versuchen, das erste oben angeführte Beispiel einzuteilen, so erscheint der Erzähler des Lukasevangeliums zu Beginn zwar selbst auf der Bühne der Erzählung (intradiegetisch; „mir“ V. 3), jedoch nur in der Einleitung zur eigentlichen Geschichte, über die er vollkommen erhaben ist (extradiegetisch), wo er keinerlei Kontakt zu den handelnden Figuren13 hat (heterodiegetisch) und gänzlich uninvolviert bleibt,14 was das erzählte Geschehen angeht. Er hat somit alle Möglichkeiten eines auktorialen Erzählers (nach Stanzel). Lediglich durch die anfänglichen Hinweise in dieser Textstelle und die immer wieder auftauchenden Kommentare (etwa Lk 1,80; 2,52; 3,1 f.) im weiteren Verlauf des Evangeliums wird der Erzähler explizit. Zu größten Teilen – gerade bei Figurenrede oder „Erzählungen zweiten Grades“ wie den Gleichnissen – bleibt er jedoch verborgen. Über den Grad an Unzuverlässigkeit lässt sich nur schwer ein abschließendes Urteil bilden: Auf textueller Ebene des Lukasevangeliums lässt sich mit gutem Gewissen von Zuverlässigkeit bzw. Glaubwürdigkeit des Erzählers (!) sprechen, da es innerhalb des Textes keine offensichtlichen Widersprüche oder Selbstaussagen gibt, die dies in Zweifel ziehen würden.15 Wenn wir voraussetzen, dass realer Autor und expliziter Erzähler des Lukasevangeliums identisch sind, verkomplizieren die drei kanonischen und weiteren apokryphen Evangelien auf textexterner Ebene allerdings die Angelegenheit. Etwas klarer verhält es sich mit dem Geschlecht des Erzählers (!): Auf Textebene finden wir keine Aussage. Erst im 2. Jh. n. Chr. tritt die Autorenangabe „Evangelium nach Lukas“ hinzu, die dann den „Ich“-Erzähler zu einem Mann werden lässt. Textextern geht der aktuelle Forschungsstand von einem männlichen Autor aus.16 Mit diesem Wissen um die Perspektive des Erzählers können wir nun nicht nur genauer beschreiben, wie die Wahrnehmung der Leserinnen und Leser gelenkt wird, wir können darüber hinaus auch Vermutungen darüber anstellen, was durch den vorgegebenen „Blick“ ausgespart bleibt, und so in kritische Distanz zum Text treten. Gerade im Bereich der Emotionen und inneren Beweggründe, sozusagen der „psychischen Realität“ der Figuren, bleiben die Erzähler der Evangelien meist sehr vage. Diese Leerstellen lassen uns noch aufmerksamer nach Signalen im Text schauen – z. B. Umgebungsvariablen, wie die „Grabstätten“ (Lk 8,27) –, die uns indirekt Informationen über die Erzählung geben können.17 Schließlich ist die Erhebung der Erzählperspektive als Teil einer genaueren synchronen narratologi13 Theophilos wird zwar als Figur im Beispiel angesprochen (V. 3 f.), taucht aber innerhalb der eigentlichen Erzählung nicht wieder auf. 14 Nimmt man allerdings die Apostelgeschichte als zweiten Band der lukanischen Erzählung hinzu, so wird das Bild komplexer, insofern die Wir-Passagen (vgl. Apg 16,10–17; 20,5–15; 21,1–18; 27,1–28,16) einen intradiegetischen Erzähler andeuten. 15 Natürlich sind die Berichte von Wundern oder übernatürlichen Erscheinungen – gerade für heutige Leser – schwierig einzuordnen. Da jedoch der Erzähler selbst das Außerordentliche an ihnen hervorhebt, bleibt seine Glaubwürdigkeit gewahrt. 16 Vgl. C. Böttrich, Art. Lukasevangelium / Evangelium nach Lukas, in: www.wibilex.de (04.09.14). 17 Vgl. → Analyse der Charakterisierung.

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schen Untersuchung des Textes essentielle Vorarbeit z. B. für Methodenschritte wie Charakterisierung, Pragmatik und vor allem Gattungskritik, da so das ‚Inventar‘ des Textes in seiner spezifischen Form unterscheidbar wird. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Erhebung des Erzählprofils und damit intensivere Kenntnis der grundlegenden Bausteine der Erzählung; –– Entwickeln einer kritischen Distanz zur Erzählerfigur und zur durch sie vorgegebenen Perspektivierung der Erzählung; –– Weitung des „Blicks“ auf Leerstellen und gezielte Auslassungen; –– Kennenlernen und Unterscheiden verschiedener Erzähltypen und -gattungen (Prosa und Lyrik bzw. narrative, argumentative und kontemplative Texte). Literatur zur Methode S. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006. W. C. Booth, The Rhetoric of Fiction, Chicago (IL) 21983. S. B. Chatman, Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film, Ithaca (NY) 51989. M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015. M. Fludernik, Erzähltheorie. Eine Einführung (Einführung Literaturwissenschaft), Darmstadt 42013. G. Genette, Die Erzählung (UTB 8083), Paderborn 32010. A. Nünning, Die Funktionen von Erzählinstanzen. Analysekategorien und Modelle zur Beschreibung des Erzählverhaltens, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 30 (1997) 323–349. D. M. Rhoads / D. Michie, Mark as Story. An Introduction to the Narrative of a Gospel, Philadelphia (PA) 71988. F. K. Stanzel, Theorie des Erzählens (UTB 904), Göttingen 31985 / 82008. H. Utzschneider / S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014.

Baustein AT: Ein Kaleidoskop aus Erzählperspektiven (2 Sam 12; Ps 51) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Keine.

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Einstieg Einen unmittelbaren Einstieg in die Thematik bietet die Methode „Lebendes SatzPuzzle“. Hierzu bereitet die Leitung folgenden Satz in Teilen auf DIN-A4-Blättern vor: AM | ANFANG | SCHUF | GOTT | ICH | MEIN HERR | DIE HIMMEL | UND | DIE ERDE18 (Gen 1,1). Diese neun Blätter werden in zufälliger Reihenfolge an Freiwillige verteilt, die sie kurz vorlesen und dann für die restliche Gruppe sichtbar vor sich halten. Gemeinsam können nun Lösungsvorschläge für den Satz formuliert werden. Bis zu dieser Stelle hat die Leitung nicht darauf hingewiesen, dass der Akteur des Satzes in dreifacher Ausführung vorhanden ist. Üblicherweise sollten die Studierenden diesen ersten Satz der Bibel kennen und daher schnell herausfinden, dass die bekannte Fassung aus der Elberfelder Bibel „Gott“ vorsieht. Eventuell gibt es Äußerungen dazu, dass das „ich“ z. B. „falsch“ sei oder eine Anmaßung bzw. sogar Gotteslästerung. Im Gegenzug entspricht die Formulierung „mein Herr“ einer hoheitlichen Anrede. Alle drei Möglichkeiten sollten einmal von den Freiwilligen in entsprechender Reihenfolge gestellt und durch die Gruppe laut vorgelesen werden. Anschließend werden alle Satzteile mit Klebeband an einer Tafel o. ä. befestigt. Falls nicht schon geschehen, sollten nun die Eigenheiten der drei Varianten ausführlicher besprochen werden, denn hinter ihnen stehen die grundlegenden drei Erzählperspektiven nach Stanzel. Dabei können die beiden Genette’schen Fragen „Wer spricht?“ und „Wer sieht?“ eine gute Hilfestellung sein. So kann deutlich werden, dass durch das Personalpronomen in der ersten Person Singular Sprecher und Perspektive in eins fallen. Gerade als Vorlesende spürt man die Identität mit der sonst „Gott“ vorbehaltenen Position, der vielen bekannte Satz wirkt so unmittelbar unglaubwürdig. Die Variante „Am Anfang erschuf mein Herr …“ löst zwar das Problem der Identität zwischen Akteur und Erzählerinstanz, weil aus der Außenperspektive über das Handeln Gottes berichtet wird, aber dennoch ist dieser personale Erzähler – kenntlich durch das „mein“ – noch sehr eng an das Erzählgeschehen gebunden. Wir sehen es quasi durch die Augen eines Gläubigen, der die Geschichte fast wie eine Art Bekenntnis erzählt. „Gott“ wirkt im unmittelbaren Vergleich dagegen beinahe neutral und emotionslos, ähnlich einem Faktenbericht, da keinerlei Bindung zwischen Sprecher und Handlung ersichtlich ist; die Perspektive scheint abgehoben und losgelöst vom Erzählten zu sein. Erarbeitung / Vertiefung Auf einem Arbeitsblatt reicht die Leitung nun die kurzen Beschreibungen der drei Erzählperspektiven nach Stanzel und die Tabelle nach Nünning19 herein. Die vor18 Die Großschreibung ist insofern wichtig, als dass dadurch der Satzanfang unkenntlich gemacht wird. 19 Auf dem Arbeitsblatt sollten die Begrifflichkeiten nach Nünning (vgl. Nünning, Funktionen) entweder umschrieben oder aber mit Beispielen ausgestattet sein.

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angegangene Diskussion kann nun mittels der Fachterminologie systematisiert und reflektiert werden. Nach einem kurzen Plenumsgespräch zum Arbeitsblatt sollen Kleingruppen die Erzählperspektive entweder der sogenannten Nathan-Parabel in 2 Sam 12,1–16.20a–f oder aber von Ps 51,1–16 erheben. In der Passage aus dem zweiten Samuelbuch ist die erste knifflige Unterscheidung die zwischen dem Erzähler in der Rahmenerzählung (extradiegetisch) und Nathan als Erzähler der Parabel bzw. Binnenerzählung (intradiegetisch). Beide Erzähler verhalten sich zudem heterodiegetisch zu ihrer jeweiligen erzählten Welt (!). Anders gesagt: Der Erzähler der Rahmenhandlung ist mit keiner Figur der gesamten Erzählung identisch und Nathan ist wiederum mit keiner Figur der von ihm erzählten Parabel identisch. Beide könnten also mit Blick auf ihren jeweiligen Anteil als auktorialer Erzähler nach Stanzel verstanden werden. Für den Rahmen wird dieser Eindruck besonders dadurch verstärkt, dass erneut beinahe emotionslos berichtet wird. Es lassen sich fast ausschließlich Aneinanderreihungen von Redeeinleitungen nach dem Schema „Und X sagte“ finden. In den Versen 5 und 15 f. hingegen sind mit dem entbrennenden „Zorn Davids“ und in den genauer qualifizierenden Attributen „schwer“ und „lange“, dem Einblick in Davids Beweggründe sowie den vielen erzählerischen Details (vgl. V. 20) Annäherungen an einen personalen Erzähler erkennbar. Mit Nünning zeigt sich hier der größere Grad an Involviertheit in das Geschehen, obwohl der Erzähler, von seinen Fähigkeiten, in Personen hineinzuschauen und zu verschiedenen Orten zu springen, nach Stanzel als auktorial zu charakterisieren ist.20 Ähnlich verhält es sich mit der Parabel: Nathan erzählt nur vermeintlich aukto­ rial-distanziert, denn das quantitativ-qualitative Verhältnis zwischen der kurzen Bemerkung zum Reichen und der beinahe ausufernden Beschreibung der innigen Beziehung des Armen zu seinem einzigen Lamm spricht Bände.21 Dies alterniert mit der wiederum einem Tatsachenbericht ähnlichen Darstellung in V. 4, die beinahe sarkastische Züge trägt und so Davids vehemente Reaktion in V. 5 glaubwürdig erscheinen lässt. Ab V. 7c wechselt nun mit der Einleitung „So spricht der HERR […]“ der Modus der wörtlichen Rede: Gott spricht durch Nathan bzw. lässt durch ihn seinen Richtspruch über David in der ersten Person Singular verkünden. In V. 9 wechselt die Perspektive abrupt wieder zu Nathan („Wort des HERRN […] in seinen Augen“), nur um dann in V. 10 wieder zur „Gottesperspektive“ zurück zu wechseln. Dass dann in V. 11 eine erneute Einleitung geschieht, ist dagegen nicht ungewöhnlich für prophetische Rede. Dennoch fördert hier die Analyse der Erzählperspektive Spannungen zutage, wie sie in → Literar- und → Redaktionskritik entsprechend weiter ausgewertet werden können. 20 Sollten Studierende während der Gruppenarbeitsphase Schwierigkeiten haben, diese Aspekte in den Texten zu finden, kann die Leitung noch Hinweise bzgl. Wissen, Fühlen und Wollen (s. o.) z. B. per Powerpointpräsentation einblenden. 21 An dieser Stelle lassen sich sehr gut Brücken schlagen auf vorangegangene oder noch kommende Sitzungen zur Analyse von → Charakterisierung oder auch zur rhetorischen Analyse biblischer Texte.

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Mit Psalm 51 erwartet die Studierenden wiederum eine gänzlich andere Text­ sorte mit den ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten.22 Die Einleitungsnotiz in den ersten beiden Versen ist eine wahrscheinlich nachexilische Historisierung. Auf synchroner Ebene in der vorliegenden Endgestalt des Textes markiert sie eine Verbindung zu 2 Sam 11 f. im Allgemeinen und im Besonderen zu den Hinweisen auf Davids Gebete in 2 Sam 12,16.20. Die Notiz ist stichwortartig gehalten und lässt sich daher kaum als erzählerischer Rahmen wahrnehmen. Ab V. 3 ist jedoch unmissverständlich, dass es sich bei diesem Psalm um ein „persönliches Buss- und Bittgebet“23 handelt, in welchem der Erzähler bzw. Sprecher seine Verfehlungen und gleichzeitig seine Hoffnung auf Neuschöpfung vor Gott trägt. Es liegt also intradiegetisch-homodiegetisches Erzählen vor, die Reinform des Ich-Erzählers nach Stanzel. Auf allen drei Ebenen des Wissens, Fühlens und Wollens werden Selbstaussagen getroffen; die Leserinnen und Leser haben also intensiv Anteil an der Perspektive des Protagonisten, der in der Einleitung mit König David gleichgesetzt wird. An einigen Stellen trifft die betende Person aber auch Aussagen über Gott bzw. charakterisiert Gott direkt. So spricht der Ich-Erzähler in V. 3 von Gottes „Barmherzigkeit“ oder in V. 8 von seiner „Lust an der Wahrheit im Innern“ und weiß, dass Gott sein Heil ist (vgl. V. 16). Dieses „Wissen“ um das Fühlen und Wollen Gottes darf jedoch nicht mit dem des Erzählers aus der Nathan-Parabel gleichgesetzt werden: Es ist gebunden an die überaus subjektive Sicht des Betenden. Für ihn ist es „Gewissheit“ und aus ihr heraus bittet und betet er. Es gibt in diesem wie in allen Psalmen also keinen „neutralen“ oder „objektiven“ Standpunkt eines Erzählers, sondern nur die stets radikal Subjekt-gebundene Sicht des betenden Einzelnen bzw. Volkes (vgl. z. B. Ps 74). In diesem Verständnis ist Psalm 51 lesbar als eine spannende Ausgestaltung der kurzen Hinweise zu Davids Gebeten. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Auswertung der Gruppenarbeitsphase sollte mit einer gemeinsamen Lektüre der Nathan-Parabel beginnen. Bei der nachfolgenden Vorstellung der Ergebnisse kann die Leitung immer wieder die Frage aufwerfen „Was wäre wenn …?“; also z. B. wenn der Rahmenerzähler als Figur in der Geschichte auftauchen und in Ich-Form sprechen würde; oder der Psalm eben nicht aus der subjektiven, sondern aus einer reflektierend-personalen oder gar distanziert-auktorialen Perspektive geschrieben wäre. Wenn die Studierenden die Funktionsweisen der Erzählperspektiven der beiden Texte gut verstanden haben, sollten sie bei diesen Gedankenexperimenten feststellen, dass Umgestaltungen so massive Eingriffe in die Integrität der Texte wären, dass dabei entweder gänzlich andere Texte entstünden, oder selbige schlicht nicht mehr funktionieren würden. Auf diese Weise kann nochmals deutlich wer-

22 Vgl. hierzu die ausführliche Einführung in Weber, Werkbuch. 23 Weber, Werkbuch 234.

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den, dass die meist für selbstverständlich genommene Instanz des Erzählers von zentraler Bedeutung für den jeweiligen Text ist. Literatur zur Textstelle 2 Sam 12 B. Biberger, „Du wirst nicht sterben.“ Vergebung und Vergeltung in 2Sam 12,13–14, in: BN 151 (2011) 47–62. K. Bodner, Nathan: Prophet, Politician and Novelist?, in: JSOT 95 (2001) 43–54. A. F. Campbell, 2 Samuel (FOTL 8), Grand Rapids (MI) 2005. W. Dietrich, Tendenzen neuster Forschung an den Samuelbüchern, in: C. Schäfer-Lichtenberger (Hrsg.), Die Samuelbücher und die Deuteronomisten (BWANT 188), Stuttgart 2010, 9–17. G. Hentschel, 2 Samuel (NEB.AT 34), Würzburg 1994. D. Janzen, The Condemnation of David’s „Taking“ in 2 Samuel 12:1–14, in: JBL 131 (2012) 209–220.

Ps 51 E. Zenger, Psalm 51, in: F.-L. Hossfeld / Ders., Psalmen 51–100 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg 32007, 38–59. R. Müller, Art. Psalmen, in: www.wibilex.de (10.09.14). B. Weber, Werkbuch Psalmen I. Die Psalmen 1 bis 72, Stuttgart 2001. E. Zenger / F.-L. Hossfeld, Das Buch der Psalmen, in: E. Zenger / C. Frevel u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 431–455.

Baustein NT: Perspektivenwechsel (Mk 14; Offb 1) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Keine. Einstieg Diese Einheit steht im ganz im Zeichen des sog. „Gruppenpuzzles“.24 Nach einer grundsätzlichen Vorstellung des Themas werden hierzu – falls nicht bereits zu Beginn des Semesters geschehen – gleich große Stammgruppen zu ca. sechs Perso24 Diese Methode ist sehr gut mit Konzepten der Freiarbeit und des kooperativen Lernens kombinierbar. Vgl. für eine ausführliche Beschreibung E. Aronson, Jigsaw Classroom, in: http://www.jigsaw. org/german/index-g.html (11.09.14).

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nen gebildet. Je zwei Personen aus diesen Gruppen bekommen einen der drei unten stehenden Ausschnitte aus Geschichten zugeteilt. Zusätzlich befinden sich auf einem Arbeitsblatt die jeweils der Geschichte hinreichend zuweisbare Erzählperspektive nach Stanzel sowie die Hinweise zum Wissen, Fühlen und Wollen nach Bar-Efrat. Erarbeitung / Vertiefung Die Studierenden sollen sich nun in sog. „Expertengruppen“ zusammenfinden, d. h. mit allen anderen, die ebenfalls die gleiche Textstelle bearbeiten. Aufgabe ist, in einem ersten Schritt die jeweilige Erzählperspektive anhand des theoretischen Hintergrundes möglichst präzise und kriteriengeleitet am Beispiel zu belegen. Dabei soll ausreichend Zeit zur Diskussion gegeben sein. In einem zweiten Schritt sollen die Studierenden überlegen, wie sie ihre Ergebnisse und die dahinter stehende Theorie den anderen Mitgliedern ihrer Stammgruppe vermitteln können. Während dieser Phase der „Ausbildung zum Experten“ steht die Seminarleitung vor allem bei Fragen zur Theorie hilfreich zur Verfügung und interveniert auf Anfrage, sollte eine (Teil-)Gruppe in ihrer Analyse nicht weiterkommen. Hiernach lösen sich die Expertengruppen auf und kehren in ihre Stammgruppen zurück. Reihum werden nun die drei Beispieltexte und ihre Analysen durch die jeweiligen Experten vorgestellt. Die übrige Gruppe soll sich durch Verständnisund Diskussionsfragen einbringen. Z. B.: Teilen Sie die Analyse der Experten? Wie deutlich unterscheidet sich die eigene Erzählperspektive von denen der anderen? Wie wird begründet? Auch diese Phase wird selbstverständlich durch die Leitung nach Bedarf begleitet. Ziel ist hierbei vor allem ein grundsätzlich korrektes Verständnis der Stanzelschen Terminologie. Im Folgenden die Textbeispiele und ihre Analyse:25 Es war einmal ein Prinz, der wollte eine Prinzessin heiraten. Aber das sollte eine wirkliche Prinzessin sein. Da reiste er in der ganzen Welt herum, um eine solche zu finden, aber überall fehlte etwas. Prinzessinnen gab es genug, aber ob es wirkliche Prinzessinnen waren, konnte er nie herausfinden. Immer war da etwas, was nicht ganz in Ordnung war. Da kam er wieder nach Hause und war ganz traurig, denn er wollte doch gern eine wirkliche Prinzessin haben. (Hans Christian Andersen, Die Prinzessin auf der Erbse [1840]) Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.  (Franz Kafka, Die Verwandlung [1915])

25 Ich danke meiner Kollegin Stephanie Feder für die Ausschnitte!

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Ich war zwar ganz allein und auf mich selbst angewiesen; aber ich hatte gute Waffen und ein ausgezeichnetes Pferd, auf welches ich mich verlassen konnte. Auch kannte ich die Gegend oder die Gegenden genau, die ich zu durchreiten hatte, und sagte mir, daß es für einen erfahrenen Westmann leichter sei, allein durchzukommen, als in Begleitung von Leuten, auf die er sich nicht vollständig verlassen kann.  (Karl May, Old Surehand I [1894])

Bei der „Prinzessin auf der Erbse“ handelt es sich um einen auktorial-allwissenden Erzähler, denn er hat unbegrenzten Einblick in das Innenleben des Protagonisten und kann große Zeitspannen und die gesamte (Erzähl-)Welt überblicken. Zudem ist keinerlei Verbindung zwischen Erzähler und Erzählwelt erkennbar. In „Die Verwandlung“ begegnet uns ein personaler Erzähler. Die Geschichte wird zwar in der dritten Person erzählt, d. h. wir erfahren sehr viel über das Wissen, Fühlen und Wollen dieser Figur, aber nichts über die Wahrnehmung der Erzählwelt durch diese Person (Reflektorfigur) hinaus. Die extreme Annäherung bis zur unkritischen Übernahme der Perspektive des Protagonisten ist ungewöhnlich für auktoriale Erzähler. Allerdings wird der Unterschied zu einer auktorialen Erzählsituation erst dann deutlich, sobald andere Personen auftreten. Hierüber werden die Studierenden sicherlich diskutieren. „Old Surehand I“ andererseits bietet eindeutig die Perspektive eines Ich-Erzählers, denn allem voran sticht hervor, dass diese Geschichte in der ersten Person Singular erzählt wird. Zwar wird auch wie beim personalen Erzähler stark aus der Sicht einer Person geschrieben – erneut erfahren wir vieles aus den Bereichen Fühlen, Wissen und Wollen –, aber hier ist es explizit (!) eine „Selbstwahrnehmung“. Evtl. sollte die Leitung hier die Diskussionsfreudigkeit in den Stammgruppen etwas unterstützen, indem sie auf die große Ähnlichkeit zum Kafka-Beispiel verweist und fragt, was dies wiederum für die Erzählinstanz bedeuten kann. Im Hintergrund steht hier das Kriterium der Glaubwürdigkeit des Erzählers: Bei Old Surehand weiß der Leser, dass die Sicht auf die erzählte Geschichte beschränkt ist. Ein „Er“-Erzähler dagegen wird meist als vertrauenswürdiger auktorialer Erzähler (miss-)verstanden. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Nun sollten im Plenum die Früchte der bisherigen Arbeit gesichert und exemplarisch auf biblische Texte übertragen werden. Während auktoriale Erzählperspektiven in der Bibel die Regel sind, lassen sich personale Erzähler ähnlich dem Kafka-Beispiel nicht finden. Lediglich Annäherungen an die Sicht einer Person über längere Passagen sind möglich und auch nicht zu selten. Ein bekanntes Beispiel ist die Verleugnung Jesu durch Petrus in Mk 14,66–72: Durch erzählerische Details wie das Wärmen am Feuer und Petrus’ Hinwerfen und Weinen wird eine große Nähe zu seiner Sicht erzeugt. Ich-Erzähler, wiederum, sind im Neuen Testament vor allem in der Apostelgeschichte, der Briefliteratur und der Offenbarung

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des Johannes zu finden. Im ersten Fall tritt der Ich-Erzähler jedoch schnell hinter die erzählte Geschichte zurück und taucht auch nicht als handelnde Figur auf. Die Briefe – ähnlich den Psalmen aus dem alttestamentlichen Beispiel – gehören in eine gänzlich andere Gattung: Sie sind argumentative und kaum erzählende Texte, sie haben demnach keinen typischen Erzähler. Im Fall der Offb handelt es sich, gattungstheoretisch gesprochen, vor allem um einen Visionsbericht. Ein Auszug wie Offb 1,9–11 verdeutlicht den Übergang zwischen der Welt des Erzählers und der Welt der Vision. An der Auseinandersetzung mit kurzen Bibeltexten sollte auch die Begrenztheit der narratologischen Methodik deutlich werden: Die Terminologie und ihre Analysekategorien sind vor allem in der heutigen Auseinandersetzung mit modernen Erzähltexten entstanden. Das schmälert nicht unbedingt ihren Wert, zeigt aber, dass sie behutsam an antike Texte herangeführt werden müssen und die Texte das Primat vor der Methodik haben. Es muss also ggf. die Methodik an den Text angepasst werden, nicht umgekehrt. Literatur zur Textstelle Mk 14 M. Ebner, Das Markusevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2008. D. Dormeyer, Das Markusevangelium, Darmstadt 2005. D. M. Rhoads / D. Michie, Mark as Story. An Introduction to the Narrative of a Gospel, Philadelphia (PA) 71988.

Offb 1 S. Schreiber, Die Offenbarung des Johannes, in: M. Ebner / Ders. (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 566–593. Themenheft „Apokalypse“ = Welt und Umwelt der Bibel 52 (2009).

Ertrag zur Methode Zuerst und zumeist leistet die Erhebung der Erzählperspektive eines: Dass Studierende sich mit dem „Stoff “, aus dem Erzählungen gemacht sind, besser auskennen. Der Erzähler und seine Perspektivierung der Erzählwelt sind die zentrale Instanz in der Kommunikation zwischen ihm und dem Leser. Wenn Studierende dies verstehen, können sie gleichzeitig souveräner mit dem Text und mit weiteren Methoden wie Gattungs- und Formkritik umgehen. Wie bereits erwähnt können sie im Umgang mit moderner Narratologie auch Methodenkritik üben: Nicht jede Analysekategorie lässt sich auf die antiken Texte übertragen.

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Weitere Ideen –– Altes Testament •• Gottes Besuch bei Abraham und Sarah (Gen 18,1–16): Wer spricht mit wem? Der häufige Wechsel zwischen Singular und Plural sowie die Möglichkeit Sarahs, das Gespräch zu belauschen, wirft die Frage der Erzählperspektive ganz grundsätzlich auf. –– Neues Testament •• Die Verklärung Jesu nach Matthäus und der entsprechende Ausschnitt aus dem Drehbuch Pier Paolo Pasolinis: Er verlegt die Szene in die Nacht. Wie verändert dies die Wahrnehmung der Textstelle? Welche Anhaltspunkte gibt es dafür im Text?

Analyse der Raumkonstruktionen Stephanie Feder

Hinführung zur Methode „Beim Lesen von Raum-Texten gehen die Lesenden die Wege in der Imagination mit, durchqueren sie jene literarisch verdichteten Räume. Lesen bedeutet, den Raum des Textes Wort für Wort, Zeile für Zeile abzuschreiten und mit jedem neuen Lesen verändert sich der imaginierte Raum, verändert sich die Reise durch die Sätze.“1 Bibeltexte zu lesen, gleicht also einer Reise durch verschiedene Räume. Die Raumkonstruktion des Textes nachzuvollziehen, zu analysieren, wie der Raum im biblischen Text geschaffen wird, und herauszufinden, mit welcher Bedeutung der Raum belegt ist – das ist Sinn und Ziel dieser Methode, die aus der Narratologie stammt und der man sich in den letzten Jahren auch vermehrt in der Exegese widmet. Räume können durch handelnde Figuren und deren Bewegung durch den Raum geschaffen werden. Im Alten Testament und im Neuen Testament finden sich kaum ausführliche Beschreibungen von Orten und dazugehörigen Landschaften, Dörfern, Häusern und Palästen.2 Die Lesenden können also nur indirekt durch die Bewegung von Figuren des Textes auf den Raum schließen.3 Darüber hinaus wecken Räume Assoziationen. Der Ort kann kaum losgelöst von seiner mitschwingenden Assoziation genannt werden. Wenn Texte an bestimmten Orten oder in bestimmten Räumen spielen, dann nimmt dies Einfluss auf den Text und seinen Inhalt. Wo der Autor oder die Autorin die Handlung seiner bzw. ihrer Erzählung verortet, ist nicht beliebig, denn der Raum korrespondiert mit der Handlung. Ähnlich verhält es sich mit Orten in der Bibel. Die Hörenden und Lesenden für die die Erzählungen tradiert wurden, haben mit den verschiedenen Orten und 1 Bail, Anmerkungen 94. 2 Vgl. Bar-Efrat, Bibel 211 f. 3 Vgl. Bar-Efrat, Bibel 200 f.

Analyse der Raumkonstruktionen

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Räumen verschiedene Ereignisse oder Bewertungen assoziiert. Für die modernen Leserinnen und Leser ist es schwierig, die ursprüngliche Bedeutung des Ortes nachzuvollziehen, so dass dieser intensiver nachgegangen werden muss und etwa im Rahmen intertextueller Analysen (→ Motivkritik) eine mögliche Konnotation des Ortes erschlossen werden kann.4 Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden werden sensibel für die Bewegungsrichtungen, von denen im Text die Rede ist oder die indirekt ermittelt werden können. –– Die Lernenden lernen die Bedeutung von im Text genannten Orten für die Interpretation des Textes kennen. Sie lernen auf die Konstruktion des Raumes in biblischen Texten zu achten. –– Die Lernenden erlernen exemplarisch den Umgang mit Bibellexika. Literatur zur Methode U. Bail, Von zerstörten Räumen und Barfußgehen. Anmerkungen zu Text-Räumen der Enge in der Hebräischen Bibel, in: EvTh 61 (2001) 92–101. S. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006, 199–212. I. Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick. Hermeneutische und methodische Grundlagen der Analyse biblischer Erzähltexte, in: Protokolle zur Bibel 15 (2006) 1–24.

Baustein AT: Jona unterwegs vom Ende der Welt zum Ende der Welt Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Lernenden sind mit dem Text und der groben Gliederung des Jonabuches vertraut. Einstieg Das Jonabuch eignet sich in besonderer Weise für die Analyse der Raumkonstruktion, weil Jona sich viel von verschiedenen – sogar benannten – Orten zu anderen bewegt. Eine Auseinandersetzung mit dem Jonabuch ermöglicht Lernenden, sowohl die rein textorientierte Analyse des Raumes kennen zu lernen als auch die mitschwingenden Assoziationen der benannten Orte herauszufinden. 4 Vgl. Bar-Efrat, Bibel 203.

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Als Einstieg bietet es sich an, verschiedene Orte zu zeigen. Das kann die Freiheitsstatue sein, das Brandenburger Tor oder die Oper in Sydney. Es sollten aber auch fiktive Orte gezeigt werden, z. B. das Gleis 9¾ (davon gibt es Fotos im Internet), eine Darstellung der Hölle (z. B. von Hieronymus Bosch: Weltgerichtstriptychon5) oder ein Ort aus „Herr der Ringe“. Die Lernenden sollen bei der ersten Präsentation nur benennen, wie die Orte heißen. In einer zweiten Runde mit denselben Bildern sollen sie beschreiben, was sie mit dem Ort assoziieren (z. B. Brandenburger Tor: Trennung und Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands). Schließlich folgt noch eine dritte Runde, bei der die Lernenden erklären, woher sie die Kenntnisse über den jeweiligen Ort haben (z. B. weil sie schon mal dort waren oder weil sie Harry Potter gelesen haben). Diese Ergebnisse können in einer Tabelle auf einer Tafel gesammelt werden, um in einem Gespräch mit den Lernenden zu erläutern, dass es geografische bzw. erfahrbare Orte und fiktive Orte gibt. Beide Orts-„Typen“ sind mit Konnotationen behaftet, die sich im Laufe der Zeit oder aber durch sich verändernde Kontexte verschieben. Die Leitung erläutert anschließend, wie es sich mit der Raumanalyse bei biblischen Texten verhält. Als Grundlage für die Leitung kann dazu der Text „Zeit, Raum, Figuren, Blick“ von Ilse Müllner dienen.6 Aus dieser Präsentation sollten konkrete Fragen abgeleitet werden, die den Lernenden ermöglichen, den Jonatext auf diese Fragen hin zu untersuchen. Mögliche Fragen könnten sein: –– Welche konkreten Orte werden im Text genannt? –– Welche Hinweise zu den einzelnen Orten gibt es auf der Textebene (z. B. Abwertung, Verbindung mit bestimmten Ereignissen)? –– Bei welchen Orten sollte man im Bibellexikon nachschauen, um die Bedeutung des Ortes erschließen zu können? –– Handelt es sich dabei um Orte der erfahrbaren Welt oder um fiktive Orte? –– In welchen anderen biblischen Erzählungen ist vom selben Ort die Rede? Welche Bedeutung hat er in dem anderen biblischen Text? –– Welche Räume werden erschaffen? Wodurch? –– Welche Oppositionspaare hinsichtlich der Räume im Text gibt es (oben – unten, eng – weit, innen – außen)? –– Welche Verben der Bewegung werden im Text genannt? –– Welche Bewegungen der Figuren im Text kann man nachzeichnen? In welche Richtung verlaufen sie? Erarbeitung / Vertiefung In einem weiteren Schritt werden diese Fragen von den Lernenden auf das gesamte Jonabuch angewendet. 5 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Weltgerichtstriptychon (17.08.16). 6 Vgl. Müllner, Zeit 9–11.

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Rüdiger Lux hat in seiner Habilitationsschrift „Jona, Prophet zwischen ‚Verweigerung‘ und ‚Gehorsam‘“7 interessante Aspekte zu den Orten im Jonabuch herausgearbeitet, die die Leitung im Vorfeld gelesen haben sollte. Ergebnisse, zu denen die Lernenden nach der Beschäftigung mit dem Text gelangen könnten, sind: –– Orte, die genannt werden: Jafo, Ninive, Tarschisch; am Hafen, auf dem Meer, im Schiff, im Rumpf des Schiffes, im Fisch, an Land, unter einem Rizinusstrauch, in einer Hütte –– Verben der Bewegung: kommen, hinabsteigen, fliehen, gehen, aufstehen –– Richtung: Jona will nach Tarschisch (dem damals vermutlich letzten bekannten westlichen Punkt auf der „Landkarte“) und nicht nach Ninive, das genau in der entgegengesetzten Richtung lag und der letztbekannte östliche Punkt der damaligen Welt war. Zudem ist Ninive als Hauptstadt der Assyrer eng mit Bedrohung, Unterdrückung und Feindschaft verknüpft: kein Ort, an den ein Israelit gerne gehen wollen würde – schon gar nicht, um zur Umkehr aufzurufen –– innen – außen: Jerusalem als Zentrum; Bewegung vom Zentrum hin zur Peripherie –– oben – unten: „hinabsteigen“ im 1. Kapitel –– eng – weit: eng im Rumpf des Schiffes und im Fisch; weit in Ninive (drei Tagesreisen). Besonders die Bedeutung Tarschischs und Ninives sollte den Lernenden erläutert werden, wenn sie bei der Analyse nicht selbst darüber stolpern. Es sollte ein Bibellexikon zur Verfügung gestellt werden, damit die Lernenden darin die Bedeutung Ninives und Tarschischs nachlesen können. Hilfreich ist es, eine Karte zu verwenden, um die geografische Verortung Jafos, Tarschischs und Ninives zu zeigen. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Beobachtungen der Lernenden werden im Plenum präsentiert. Um die Bedeutung der Orte zu bündeln, kann die Leitung Satzanfänge vorgeben (idealerweise solche, die sich zuvor in der Beobachtungspräsentation der Lernenden ergeben haben), die die Lernenden zu Ende führen. Denkbar wären solche wie: „Im Text wird der Ort Tarschisch genannt, weil …“ mögliche Ergänzung der Lernenden: „… weil es der letztbekannte Ort im Westen ist und damit die Dimension des Entrinnen-Wollens Jonas vor Gottes Auftrag besonders deutlich hervorgehoben wird.“ Die Erfahrung zeigt, dass Lernende die Beschäftigung mit den Orten und dem Raum interessant finden, am Ende aber häufig nicht wissen, wozu genau diese Analyse dient. Es kann deshalb hilfreich sein, am Ende ein Gedankenexperiment zu wagen und zu fragen: Wie könnte man die Jonageschichte ganz ohne Ort und Raum erzählen? Würde der gleiche Inhalt transportiert werden? Oder auch: Erzählen Sie die Jonageschichte mit äquivalenten Orten in unserer heutigen Zeit! 7 Vgl. Lux, Jona 75–79.

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Literatur zur Textstelle R. Lux, Jona, Prophet zwischen „Verweigerung“ und „Gehorsam“. Eine erzählanalytische Studie (FRLANT 162), Göttingen 1994, 75–79.

Baustein NT: Die Nord-Süd-Achse im Markusevangelium Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Lernenden sind mit dem Text und der groben Gliederung des Markusevangeliums vertraut. Einstieg Kennen Sie die Karten, wie sie im Atlas der Globalisierung abgedruckt sind?8 Diese Karten zeigen auf einen Blick, wie Güter auf der ganzen Welt verteilt sind bzw. welche Länder besonders große ökologische Fußabdrücke hinterlassen und welche nicht. Auf diesen Landkarten wird man verzweifelt nach geografisch einwandfrei positionierten Orten suchen. Aber das ist auch nicht die Aufgabe dieser Landkarten. Vielmehr ist in ihnen eine Statistik verdichtet, die nicht auf geografische, sondern in diesem Fall auf klimarelevante Informationen abhebt. Der Karte sind andere Inhalte abzulesen als zunächst erwartet. Solch eine Karte könnte den Lernenden am Anfang präsentiert werden. Die Lernenden beschreiben, was sie sehen und wozu diese Karte dient. Dann schlägt die Leitung eine Brücke zum Markusevangelium und den dort genannten Orten. Schon an dieser Stelle kann es hilfreich sein, darauf aufmerksam zu machen, dass es im Markusevangelium nicht so sehr um genaue geografische Aussagen geht, sondern vielmehr um eine Konstruktion des Raumes, die eine theologische Botschaft präsentieren möchte. Dazu bedarf es der intensiven Auseinandersetzung mit den verschiedenen Orten und Räumen innerhalb des Markusevangeliums. Erarbeitung / Vertiefung Die Lernenden erhalten eine Karte Palästinas zur Zeit Jesu und den Text Mk 1,1– 11,1. Die große Gruppe wird in vier Kleingruppen aufgeteilt, die jeweils einen Textabschnitt liest (Gruppe 1: Mk 1,1–3,35; Gruppe 2: 4,1–6,56; Gruppe 3: Mk 7,1–9,50; Gruppe 4: 10,1–11,1), die genannten Orte im Text markiert und diese in die ausgehändigte Karte einträgt (z. B. mit einem Pfeil). So wird deutlich, wo die Hand8 Vgl. http://www.monde-diplomatique.de/karten/view.php?id=317 (05.10.14).

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lung Jesu laut Markusevangelium spielt und in welche Richtung sich Jesus und seine Jünger bewegen. Im Plenum werden die Ergebnisse miteinander verglichen und die Bedeutung der Orte herausgestellt.9 –– Wüste: Ostorientierung / Ort des gefährdeten Lebens und der Bedrohung / Ort der Begegnung Jesu mit dem Satan (Mk 1,4–13) –– Jordan: Wasser (Gegensatz zur Wüste; dadurch Spannung) (Mk 1,9–11) –– Galiläa / See Genezareth: Mittelpunktstellung (Mk 1,14–4,34) –– Kafarnaum: Ort des Wirkens Jesu in Haus und Synagoge (Mk 1,21–34; 2,1–12; 3,1–6.20–35) –– im Boot auf dem See Genezareth Richtung Osten (Mk 4,35–41) –– Gerasa: Ostufer des Sees, Dekapolis (Mk 5,1–20) –– wieder ins Boot und zurück nach Galiläa (Mk 5,21–43) –– Nazareth und seine Umgebung (Mk 6,1–13) –– an einem unbekannten Ort: Der Tod des Täufers (Machärus?) (Mk 6,14–29) –– wieder am westlichen Seeufer (Mk 6,30 f.) –– an einem einsamen Ort am Westufer des Sees (Mk 6,32–44) –– wieder im Boot und auf dem See Richtung Ostufer (Bethsaida) (Mk 6,45–52) –– plötzlich wieder am Westufer des Sees (Genezareth und Umgebung) (Mk 6,53– 7,23) –– Tyrus und das syrophönizische Umland (Mk 7,24–30) –– auf dem Landweg über Tyros, Sidon an das östliche Seeufer (Mk 7,31) –– wieder in der Dekapolis (Mk 7,31–8,9) –– nach Dalmanutha (westliches Seeufer) mit dem Boot (Mk 8,10–12) –– auf dem See Genezareth (Fahrt Richtung Ostufer) (Mk 8,13–21) –– Bethsaida (nordöstliches Seeufer) (Mk 8,22–26) –– auf dem Weg: in den Dörfern von Cäsarea Philippi (Mk 8,27–9,1) –– auf dem Weg: Verklärung auf dem Berg (im Norden) (Mk 9,2–8) –– auf dem Weg: Herunter vom Berg (Mk 9,9–29) –– auf dem Weg: Wieder in Galiläa (Mk 9,30–32) –– auf dem Weg: Wieder im Haus in Kafarnaum (Mk 9,33–50) –– auf dem Weg: Judäa und jenseits des Jordans (Mk 10,1–45) –– auf dem Weg: Jericho und seine Umgebung (Mk 10,46–52) –– auf dem Weg: Bethphage, Bethanien und der Ölberg (Mk 11,1–10) –– am Ziel: Jerusalem (Mk 11,11) Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Um ein Fazit ziehen zu können, kann die Leitung eine Skala in der Mitte auslegen mit den Polen: „Stimme ich voll zu.“ – „Stimme ich überhaupt nicht zu.“ Die Ler9 Alle hier präsentierten Ergebnisse sind entnommen aus: Klumbies, Konzept 101–121; vgl. zu den Raumkonzeptionen des Markusevangeliums aber auch Bosenius, Raum.

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nenden erhalten zum Skalieren sog. Stellvertreter z. B. in Form von Stühlchen,10 die zuvor an die Lernenden ausgegeben werden und mit denen sie sich dann entsprechend ihrer Meinung auf der Skala verorten. Die erste These, zu der die Lernenden Stellung beziehen sollen, lautet: Markus hat die Orte nach keinem bestimmten Prinzip angeordnet.

Die Leitung fordert die Lernenden auf, sich auf der Skala entsprechend den Polen zu positionieren. Es geht nicht darum, sich entweder an dem einen oder an dem anderen Pol aufzustellen, sondern möglichst die gesamte Bandbreite der Skala zu nutzen. Die Leitung befragt einzelne Stühlchen (z. B. alle roten), warum sie sich dort positioniert haben. Möglicherweise ergibt sich daraus eine Diskussion. So wird auch mit der zweiten, dritten und vierten These verfahren. Die zweite These lautet: Die von Markus beschriebene Nord-Süd-Achse enthält eine theologische Aussage.

Welche theologische Aussage, sollte von den Lernenden bei der Befragung genannt werden. Die dritte These lautet: Ein Zentrum oder Mittelpunkt ist im ersten Teil des Markusevangeliums kaum auszumachen.

Das Zentrum ist deutlich auszumachen: Kafarnaum und der See. Wenn man dies als Mitte begreift, können die „Ausflüge“ nach Osten und Westen besser eingeordnet werden: Das Land östlich des Sees wird primär mit Heiden in Verbindung gebracht, wohingegen das Land westlich des Sees als jüdisches Land gilt. Die letzte These ist ein Zitat von Klumbies, das projiziert werden sollte, da es komplex ist: In Mk 1–9 ist der See Genezareth der Omphalos [Nabel] der erzählten Welt. Die Exkursionen Jesu in verschiedene Himmelsrichtungen – ergänzt durch den Zustrom vieler Menschen aus unterschiedlichen Gegenden – setzen Richtungspfeile, die in der Summe einem Strahlenkreis nahekommen. […] Die Regionen werden in ihrer Verschiedenheit zum Ziel der Bemühung Jesu, den göttlichen Geist in alle Richtungen und Orte zu tragen.11

10 Kleine Stühle aus Holz, die eigentlich zum Spielen gebraucht werden, z. B. Balancierspiel-Stühle von goki. 11 Klumbies, Konzept 111.

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Literatur zur Textstelle P.-G. Klumbies, Das Konzept des „mythischen Raumes“ im Markusevangelium, in: JBTh 23 (2008) 101–121. B. Bosenius, Der literarische Raum des Markusevangeliums (WMANT 140), Neukirchen-Vluyn 2014.

Ertrag zur Methode Wie oben schon erwähnt, ist der Ertrag der Methode für die Lernenden nicht immer sofort einsichtig. Viel zu selbstverständlich werden Orte in Texten hingenommen. Erst wenn die Bedeutung eines im Text genannten Ortes im Horizont der Entstehungszeit des Textes erhoben ist, können tiefere Einsichten über die Anordnung von Orten gewonnen und kann der Idee vom reinen Zufall Einhalt geboten werden. Dennoch ist diese Methode eine, die viel Interpretationsspielraum lässt und die wenig festlegbare Ergebnisse hervorbringt. Wichtiger als die Ergebnisse ist jedoch die Sensibilisierung, dass der Raum nicht schon immer im Text vorhanden war, sondern vom Autor geschaffen wurde und dass die Auswahl der Orte eine (theologische) Aussage enthalten kann, der man durch eine genaue Analyse auf die Spur kommt. Weitere Ideen Der Film „Blue Jasmine“ von Woody Allen eignet sich, um den Lernenden zu zeigen, wie die Handlung an einem Ort die Wahrnehmung des Ortes prägt. In New York findet (fast) alles statt, was für die Hauptdarstellerin mit Glück und Reichtum verbunden ist, während sich in San Francisco ihr sozialer und finanzieller Abstieg ereignet. Was möchte uns Woody Allen damit über San Francisco sagen?

Pragmatische Analyse Hildegard Scherer

Hinführung zur Methode Wer Texte „pragmatisch“ betrachten will und dazu eines der gängigen linguistischen Pragmatik-Handbücher aufschlägt, traut kaum seinen Augen: Was dort zu lesen ist, ist weit entfernt von den i. d. R. knappen Pragmatik-Kapiteln der Methodenlehren. In der Linguistik hat sich eine komplexe Debatte über die Inhalte und sprachphilosophischen, historischen, anwendungsbezogenen Forschungsbereiche von „Pragmatik“ in Sprachsystem und Alltagskommunikation entwickelt – wer im Rahmen eines biblischen Methodenseminars „pragmatische“ Textzugänge vermitteln will, muss dem gegenüber radikal elementarisieren. Der Grundgedanke der linguistischen Pragmatik: Jede sprachliche Äußerung ist eine kommunikative Handlung, die, vom Sender gesetzt, beim Gegenüber eine Reaktion hervorruft. Damit erhält Sprache eine Dimension, die über „Inhalt“ und „Struktur“ hinausweist – sie hat Veränderungspotential. Was nun auf allen Ebenen passiert, wenn sprachlich kommuniziert wird, ist Betätigungsfeld der Pragmatik in all ihren Schattierungen. Die linguistische Pragmatik hat nun den entschiedenen Vorteil, dass sie bereits getätigte Kommunikation im Nachhinein analysieren kann, also sowohl die Äußerung des Adressaten, die Reaktion des Empfängers als auch deren kulturelles Umfeld kennt; sie schlägt sich nun in erster Linie auf die Seite des Empfängers, um die Regeln herauszufinden, nach denen sein Verständnis des Geäußerten zustande gekommen ist.1 Die Text-Pragmatik der Exegese muss sich dagegen allein auf den Pol des Senders konzentrieren: Das in der Ursprungssituation tatsächlich Verstandene ist nicht direkt (und nur selten indirekt) dokumentiert. In der Exegese biblischer Texte beschränken wir uns daher auf die Frage nach dem Veränderungspotential biblischer Texte, mit dem sie ihre Ersthörer und -leser treffen wollen. Nun könnte man einwenden, dabei träfen wir aber auf eine Gleichung mit vielen Unbekannten: Um ein Veränderungspotential erkennen zu können, müssten 1 Vgl. Bublitz, Pragmatik 33.39.

Pragmatische Analyse

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wir zunächst die Ausgangslage kennen, und: spätestens die rezeptionsästhetischen Überlegungen zur Literatur hätten uns gelehrt, dass der Leser selbst aktiv – und individuell – an der Konstitution von Sinn im Text beteiligt ist, will heißen, dass sich eine eventuelle „Veränderung“ von außen nicht vorhersehen ließe. Zum Ersten: In einer Exegese, die sich der Ursprungssituation der Kommunikation verpflichtet weiß, ist hier historische Rekonstruktion gefragt: Reflexion über den sozialen Ort des Textes und die zeitbedingten Kommunikationsstrukturen. Um dies adäquat berücksichtigen zu können, empfiehlt es sich, die Pragmatik ans Ende der exegetischen Überlegungen zu setzen, wenn sowohl synchrone als auch diachrone Textbeobachtungen angestellt sind. Zum Zweiten: Auch wenn Rezeption individuell erfolgt, so doch nicht völlig ungelenkt. Gelingende Kommunikation beruht auf einer Kooperation von Sender und Empfänger, die nicht zuletzt sprachlichen Konventionen folgt. Hat der Sender die Absicht, bei seinem Gegenüber etwas bewusst zu bewirken, dann muss er entsprechend plausible sprachliche Signale setzen, von denen er sich mit Recht erhoffen darf, dass die erwünschte Wirkung bei seinem Gegenüber einsetzt (ob ihr dann auch entsprochen wird, lässt sich natürlich nicht vorhersagen). In der Pragmatik spricht man an dieser Stelle von „Indikatoren“,2 die der Sender nutzt, um die Spannbreite von Interpretationsmöglichkeiten seiner Aussage möglichst effektiv einzuschränken. Und genau bei der Analyse solcher sprachlicher Signale hakt der pragmatische Blick auf die Texte ein. Sie fallen für diskursive und narrative Texte jeweils unterschiedlich aus – doch veranschaulicht man sich, wie eine Meinungsänderung vonstattengeht, gibt es eine gemeinsame Grundstruktur,3 in der ein Text mit Veränderungspotential auf eine Ausgangssituation trifft, um ein Ergebnis zu erzielen: Um eine langfristige Veränderung zu bewirken, setzt der Text auf kognitiver Ebene an, nämlich bei den leserseitigen Einstellungen (was ist gut / schlecht?) und Überzeugungen (was ist wahr / falsch?):4 Diese kann der Text, logisch betrachtet, auf fünf verschiedene Arten und Weisen zu beeinflussen versuchen: Er kann die Einstellung / Überzeugung ins Gegenteil kehren, abschwächen, bestätigen, neutralisie­ ren oder neu erzeugen wollen.5 Bei der textlichen Umsetzung gehen nun diskursive und narrative Texte unterschiedliche Wege. 2 Vgl. dazu z. B. Bublitz, Pragmatik 47. 3 Nach Finnern, Narratologie 224–243. 4 Vgl. Finnern, Narratologie 227 f. 5 So Finnern, Narratologie 239. Er nennt zudem Beispiele (240–242), wie sich diese Modi zu verschiedensten Sprechakten entfalten können. Bisweilen trifft man in Linguistik und Exegese auf Versuche, solche „Sprechhandlungen“ in übersichtliche Gruppen einzuordnen (z. B. „Direktiva“, „Repräsentativa“). Solche Taxonomien sind nicht unumstritten, vor allem aber nie umfassend (vgl. Bublitz, Pragmatik 120–122). Sie lassen sich gut verwenden, um sich Beispiele von möglichen „Sprechhandlungen“ vor Augen zu führen – doch die schier unendliche Differenziertheit an Begriffen und damit Nuancen von Sprechhandlungen lassen es geraten scheinen, von Finnerns fünf logischen Veränderungstypen auszugehen.

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Diskursive Texte Die Absichtserklärung erfolgt im einfachsten Fall der direkten Kommunikation6 explizit mit einem verbum dicendi, z. B.: „Ich ermahne euch also …“ (z. B. 1 Kor 4,16; Bekräftigung / Umkehrung); „ich will euch nicht in Unkenntnis lassen“ (z. B. 1 Kor 12,1; Neubildung); alternativ: durch die Satzart der Fragen, Imperative oder Aussagen. Daneben kann der Sender aber auch zu indirekter Kommunikation greifen, wobei in der Aussage mehr oder anderes steckt als ihre wörtliche Behauptung. Dies kann zutreffen, selbst wenn ein verbum dicendi gebraucht wird: „Ich verspreche dir, du wirst dein blaues Wunder erleben, wenn du wieder so spät heimkommst“: Dieses „Versprechen“ ist eigentlich eine Drohung. Ebenso können uns Satzarten in die Irre führen: „Kannst Du mir das Salz reichen?“ ist keine ernstgemeinte Frage: Die Fähigkeit des Gegenübers steht im Normalfall nicht in Frage, vielmehr handelt es sich um eine indirekt formulierte Aufforderung. In unserer eigenen Umgebung halten wir direkte und indirekte Kommunikation meist ohne große Überlegung auseinander – doch gerade im Blick auf eine fremde Kommunikation stellt sich die Frage, nach welchen Regeln sie eingeordnet werden. Ausschlaggebend dafür ist die Verletzung v. a. einer „Gesprächsmaxime“, einer Grundannahme, die gelingenden kooperativen Gesprächen unterliegt:7 der Maxime, dass der Sprecher nur äußere, was im Kontext sinnvoll ist. Tritt hier eine Diskrepanz auf, sucht der Empfänger automatisch nach Möglichkeiten, die Äußerung so zu interpretieren, dass sie höhere Relevanz erhält („Implikatur“). Zudem spielen neben Satzart und performativem Verb weitere Indikatoren eine Rolle, z. B. Konventionalisierung oder Partikeln („bitte“). In diskursiven Texten ist also das „Gesagte“ im jeweiligen Kontext auf seine Kongruenz mit dem „Gemeinten“ zu überprüfen, indem der Leser bzw. Interpret des Textes sich selbst in den rekonstruierten Kontext hineinversetzt. Anhand sprachlicher Merkmale und ggf. Implikaturen kann der Interpret die im Text geronnene „Sprechhandlung“ samt der erwünschten Reaktion erfassen. Die Überzeugungsstrategie wird zudem von verschiedenen Faktoren beeinflusst:8 Der Text kann zum einen systematisch argumentieren – und dabei an Normen, Wünsche / Sanktionen oder direkte Bewertungen appellieren.9 Daneben trägt u. a. indirekt zur Überzeugungswirkung bei, wenn –– der Sender mit Autorität oder sympathischen Zügen ausgestattet wird; –– der Sachverhalt / Appell besonders ausführlich oder wiederholt (Quantität) oder rhetorisch auffällig (Qualität) dargestellt wird; 6 Zur Unterscheidung von direkter und indirekter Kommunikation und zu den klassischen Beispielen vgl. Bublitz, Pragmatik 137–154. 7 Zur Theorie vgl. z. B. Bublitz, Pragmatik 195–236. 8 Finnerns Auführungen zu Faktoren der Meinungsbeeinflussung (Finnern, Narratologie 231–235) scheinen mir besonders gut auf diskursive Texte anwendbar zu sein; in narrativen Texten könnten solche diskursiven Elemente dagegen z. B. in der Figurenrede Verwendung finden. 9 Diese Faktoren verhandelt Finnern, Narratologie 236–238, beim Thema Verhaltensänderung.

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–– der Adressat sich selbst als einbezogen und unter Handlungsdruck wahrnehmen kann (Situation). Narrative Texte Komplexer wird die Sache, wenn solche (impliziten) Handlungsanweisungen in die Figurenrede oder Beschreibung einer Erzählung verpackt sind. Dann treten die „intradiegetischen“ und die „extradiegetischen“ Adressaten, Entitäten und Kommunikationssituationen auseinander. Die „extradiegetischen“ Adressaten werden von der Kommunikation nur getroffen, wenn zuvor ein Identifikationsprozess eingesetzt hat. S. Finnern hat mit Blick auf die Exegese detaillierte Analysekategorien für eine solche narrative Rezeptionssteuerung erarbeitet (die in den folgenden Ausführungen Pate stehen)10 – doch ganz vereinfacht gesagt, beruht ein Identifikationsvorgang auf einem Abgleich zwischen erzählter und erlebter Welt. Im einfachen Fall zeigt sich eine vollständige Übereinstimmung zwischen Besprochenem und Erlebtem (direkte Identifikation). Wenn Besprochenes und Erlebtes übereinstimmen, dann haben wir es mit indirekter Identifikation zu tun. Diese steht vor zwei Herausforderungen: Sie muss ausgehend von der erzählten Welt sowohl die Entität der erlebten Welt als auch die gemeinsamen Merkmale erst suchen. Diesen Vorgang, der nun mit Beteiligung des Rezipienten abläuft, kann der Sender nicht mehr steuern: Er kann nur Signale setzen, die eine Identifikation durch den Rezipienten mehr oder weniger naheliegend erscheinen lassen, z. B. durch Verwendung von Konventionen („geprägte Metaphern“) oder durch Betonung bestimmter Parallelen. Ausgangssituation vorhandene Informationen zu

Text neue Informationen zu

Setting Ereignissen Personen Sachverhalten

Setting Ereignissen Figuren Sachverhalten Vergleich

vollständige Übereinstimmung direkte Identifikation

10 Vgl. Finnern, Narratologie 186–245.

partielle Übereinstimmung indirekte Identifikation

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Doch wie kann nun ein narrativer Text unter diesen Voraussetzungen die Einstellungen und Überzeugungen des Adressaten beeinflussen? Je nachdem, ob der Text fiktiv oder faktisch erzählt und ob die Erzählstimme glaubwürdig ist, kann der Text Überzeugung von und Einstellung zu den identifizierbaren Settings, Ereignissen, Personen oder Sachverhalten neu bilden, ins Gegenteil verkehren, bestätigen etc. Aus den Überzeugungsfaktoren können dabei Dar­ stellungsmittel wie Ausführlichkeit, Wiederholung (Quantität) oder rhetorische Kontrastbildung, Übertreibung, Ironie etc. (Qualität) genutzt werden; ebenso die situativen Faktoren von Handlungsdruck und Betroffenheit. In metanarrativen Kommentaren kann der Autor darüber hinaus seine Absicht offenlegen; er kann direkt argumentieren bzw. indirekt Sympathie und Autorität für sich bzw. eine Figur erzeugen oder die Situation justieren. Ebenso kann er Hinweise auf das Identifikationspotential legen. Besonders ins Gewicht fällt die Charakterisierung der Figuren in ihrem Handeln und Reden, sind sie doch als Identifikationsträger prädestiniert. Identifiziert sich der Rezipient erst einmal zustimmend (bzw. ablehnend) mit einer Figur, dann werden ihm deren Denken, Reden und Tun zum Modell, d. h. er übernimmt deren Einstellung und Überzeugungen (bzw.: keinesfalls). Innerhalb der Figurenrede (bzw. ihres Denkvorgangs) kann nun in nuce das gesamte Repertoire der diskursiven Faktoren abgerufen werden: Absichtserklärungen, Argumentationen, Darstellungsmittel etc. Damit ergibt sich als Frageraster: 1. Welche Informationen zu Setting – Ereignissen – Figuren – Sachverhalten enthält der Text? ȤȤ Legt der Text bestimmte Einstellungen (gut / schlecht) oder Überzeugungen (wahr / falsch) zu diesen vier Bereichen nahe? ȤȤ Gibt es Auffälligkeiten in der Darstellung? Zeigt sich Identifikationspotential? 2. Metakommunikative Äußerungen: Liegt eine Absichtserklärung vor? Werden Informationen zum Autor, zur Situation, zu Figuren geboten? Wird Identifikationspotential benannt? 3. Figuren: Bieten bestimmte Figuren Identifikationspotential? Welche Einstellungen / Überzeugungen vertreten sie, wie verhalten sie sich? Setzen sie selbst in ihrer Figurenrede / in Gedanken Absichtserklärungen, Argumentationen oder indirekte Überzeugungsfaktoren ein? Als narratives Beispiel für die Analyse intendierter Meinungsveränderungen soll uns im AT-Baustein Abraham begegnen, im NT-Baustein dagegen ein diskursives Beispiel aus den paulinischen Briefen. In der Praxis empfiehlt es sich, mit den Lernenden zuerst einen diskursiven Text zu analysieren, da eine komplexere narrative Analyse darauf aufbauen kann.

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Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung Kennen –– Die Leitfrage der Pragmatischen Analyse nach dem Veränderungspotential von Texten. –– Sprachliche Indikatoren für die mit der Äußerung verbundene Intention. –– Die Differenzierung von direkter und indirekter Kommunikation. –– Analysekategorien für die Rezeption narrativer oder diskursiver Texte. Können –– Sprachliche Äußerung und (rekonstruierten) kommunikativen Kontext zueinander in Beziehung setzen. –– Sprachliche Indikatoren in diskursiven Texten benennen. –– Identifikationsmodelle in narrativen Texten eruieren und benennen. Literatur zur Methode Unter den vielen linguistischen Einleitungen z. B.: W. Bublitz, Englische Pragmatik. Eine Einführung (Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik 21), Berlin 22009. S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28 (WUNT II/285), Tübingen 2010.

Baustein AT: Der „fremde“ Abraham Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– Grundinformationen zum Diasporajudentum als dem (rekonstruierten, ursprünglichen) Kommunikationskontext des Textes. –– Allgemeinwissen aus dem Religionsunterricht zur Abrahamsfigur: Vertrauen Abrahams beim Aufbruch ins verheißene Land; Gehorsam und Bindung Isaaks; evtl. Verbindung von Abraham und Beschneidungsbund. Können –– Sich in einen kontextualisierten Kommunikationsakt hineinversetzen; Rollen in einem Kommunikationsgeschehen einnehmen.

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Einstieg Die Leitung führt kurz den folgenden Text11 aus der Legenda Minor des Bonaventura ein: Die Franziskaner hörten diese Lebensbeschreibung des Franziskus von Assisi mindestens jedes Jahr in den Tagen nach dem Gedenktag des Heiligen während der nächtlichen Stundengebete, unterteilt in Leseabschnitte wie den folgenden: 1Sich auf Gottes Gnade und den Auftrag des Papstes stützend, machte sich Franziskus voll Vertrauen auf den Weg zum Spoletotal, um die Wahrheit evangelischer Vollkommenheit, wie sie seinem Geiste vorschwebte und er sie im Gelübde versprochen hatte, in die Tat umzusetzen und in Worten zu verkünden. 2Er beriet auch mit seinen Gefährten die Frage, ob sie unter den Menschen leben oder sich an einsame Orte zurückziehen sollten. Als er darüber in ständigem Gebet den Willen Gottes erfragte, gab Gott ihm durch eine himmlische Offenbarung die Antwort. Er erkannte, der Herr habe ihn gesandt, für Christus Seelen zu gewinnen, die der Teufel von Gott abzubringen versuchte. 3Darum erachtete er es für besser, nicht für sich selber, sondern für alle Menschen zu leben. So zog er sich in eine verlassene Hütte bei Assisi zurück, um dort nach der Richtschnur der heiligen Armut mit seinen Brüdern in allem gemäß der Lebensform der Ordensleute zu leben und je nach Ort und Zeit dem Volke auch das Wort Gottes zu verkünden. 4So wurde er zum Verkünder der Frohbotschaft, wanderte durch Städte und Dörfer und verkündete das Reich Gottes, freilich nicht mit gelehrten Worten menschlicher Weisheit, sondern in der Kraft des Geistes (vgl. 1 Kor 2,13); dabei lenkte der Herr (vgl. Lk 9,60) ihn bei der Predigt mit seiner Erleuchtung und bestärkte seine Worte durch nachfolgende Wunderzeichen (vgl. Mk 16,20).

Die Lernenden äußern spontane Eindrücke: Was soll ein Franziskaner wohl denken und tun, wenn er diesen Text hört? Genannt werden kann z. B., –– der Auftrag des Franziskus entspräche dem Willen Gottes (V. 2) und würde von ihm unterstützt (V. 4); –– zu diesem Auftrag gehöre das Leben unter Menschen, Armut, die Lebensform der Ordensleute, die Predigt (V. 3); –– Franziskus verhalte sich wie Jesus (Anspielung: Verkündigung von Evangelium / Reich Gottes), die Jünger (Mk 16,20) und überhaupt idealtypisch christlich (vgl. 1 Kor 2,13) (V. 4); –– als Franziskaner sollte man sich selbst wie in V. 3 dargestellt verhalten. Nun stellt sich die Frage, mit welchen sprachlichen Mitteln diese Wirkung erzielt wird: –– In erster Linie bietet der Text Informationen zur Figur des Franziskus (→ Analyse der Charakterisierung): (1) Franziskus sucht und kennt den Willen Gottes 11 Text aus: Bonaventura von Bagnoregio, Legenda Minor – das Kleine Franziskusleben, übers. v. S. Clasen, eingel., bearb. u. komm. v. P. Zahner, in: Franziskus-Quellen. Die Schriften des Heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden (Zeugnisse des 13. und 14. Jahrhunderts zur Franziskanischen Bewegung 1), Kevelaer 2009, 813–844, 821; Informationen zur Einführung ebd. 813.

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(einmaliges Handeln); (2) Franziskus lebt arm, in Ordensgemeinschaft, verkündigend (habitual action). Die Informationen sind auf ausgewählte Aspekte verkürzt – in der Realität tat Franziskus weitaus mehr als das Erzählte (Quantität); (3) Franziskus wird durch die biblischen Anspielungen (rhetorisch und quantitativ auffällig!) in externe Analogie gesetzt. Aufgrund von (1) und (3) kann Franziskus von Christen als „gut“ bewertet werden. –– Es kommt zu direkter Identifikation: Für den Franziskaner ist Franziskus als solcher eine Autorität, die den Willen Gottes in eine Lebensform umsetzt. Er selbst wird angehalten, die hier erzählte Figur der Textwelt „Franziskus“ mit der für ihn in seiner Lebenswelt maßgeblichen Person Franziskus gleichzusetzten. Zudem kann er sich direkt mit den Brüdern identifizieren, die das Leben des Franziskus teilen (V. 3). Mit seiner Entscheidung, als „Bruder“ des Franziskus zu leben, gelten für ihn die gleichen Normen. In dieser Analyse kommt bereits ein Teil der Kategorien des o. g. Fragerasters zum Tragen. Die Leitung kann es nun vervollständigen. Erarbeitung / Vertiefung Der biblisch-narrative Text, an dem nun die pragmatische Analyse durchgeführt werden soll, widmet sich einer „fremden“ Seite der prominenten Erzählfigur „Abraham“ in einer wenig prominenten Perikope. Da den Lernenden die Abrahamsfigur als prototypische Identifikationsfigur für „Vertrauen“ (Aufbruch) oder „Gehorsam“ (Bindung Isaaks) bereits bekannt sein dürfte, verdeutlicht dieser Abrahamstext, wie Abraham in unterschiedlichen Situationen aus einem virulenten Problem heraus narrativ stilisiert wird.12 Die Lernenden erhalten einen bereits gegliederten und annotierten Text von Gen 20,1–18; 21,22–34.13 Ziel der Analyse ist es, das Veränderungspotential des Textes mit Hilfe des anfangs erarbeiteten Fragerasters zu erheben und aus den

12 Der gewählte Zugang setzt ein diachrones Wachstum der Abrahamserzählungen voraus (vgl. zu Ansatz und paradigmatischer Interpretation Mühling, Abraham 23–76). 13 Auf der Endtextebene schieben sich zwischen die beiden Abschnitte die Erzählungen von der Geburt Isaaks und der Verstoßung Ismaels. Mit den beiden Aufenthaltsnotizen in 20,1 und 21,34 bildet sich also eine konzentrische Struktur aus (Robertson Kennedy, Homeland 62). Dies ließe sich, wie E. Robertson Kennedy es in ihrem Gesamtansatz verfolgt, in der synchronen Draufsicht noch als Zusammenspiel von (verzögerter Land-)Verheißung und (Nachkommenschafts-)Erfüllung analysieren (vgl. ebd. 62–66) und pragmatisch im Sinne eines „ethnic myth“ auswerten (s. bes. ebd. 39.45 f.; „symbolic geography“ [46]). E. Robertson Kennedy wählt diesen Weg, um alle Erwähnungen von Fremdaufenthalten der Vätererzählung auszuwerten, betont dafür aber die strukturellen Gemeinsamkeiten von Gen 12; 20 f.; 26 (ebd. 174–181), während diese Analyse gerade bei den Unterschieden ansetzt. Aus ökonomischen Gründen konzentriert sich unsere Fragestellung auf Abraham und sein Verhältnis zum fremden Herrscher, die weitere Analyse der Isaak-Ismael-Erzählung muss hier ausgespart werden.

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Einzelbeobachtungen am Ende eine Gesamtthese zu formulieren, die die Frage beantwortet: Was soll (welcher) Leser nach Lektüre des Textes denken und ggf. tun? Gruppenarbeit: Information zu Figuren in Gen 20,1–18; 21,22–34 Vorbereitung im Vorfeld der Sitzung: Informationen zu den Personen und Handlungen in Gen 20,1–18 und 21,22–34 sind vorgeprägt durch die textlich verwandte Episode von der „Ahnfrau“: Gen 12,10–20 und Gen 26 (Isaak und Rebekka).14 In Vorbereitung auf die Sitzung führen die Lernenden einen → synoptischen Vergleich zwischen den drei Texten durch. Ggf. wird ihnen dazu ein (von anderen Lernenden) vorbereitetes Arbeitsblatt mit den synoptisch aufbereiteten Texten in Sinnzeilen zur Verfügung gestellt. Leitfragen sind dabei: (1) Wie unterscheidet sich Abimelech vom Pharao? (2) Wie unterscheidet sich die Situation Abrahams in Gen 12 und Isaaks in Gen 26 von der Situation Abrahams in Gen 20.21? In der Sitzung selbst wird nun erarbeitet, welche Neuinformationen der Text zu Setting, Personen und Sachverhalt enthält, welche Überzeugungen und Einstellungen er damit vertritt – und wie diese mittels Identifikationen auf die wahrscheinlichen Erstleser des Textes einwirkt. Zunächst werden die Informationen zu Setting und Sachproblem visualisiert. Wenn dann (nur) die aussagekräftigen Informationen zu den Hauptfiguren ausgewertet werden, empfiehlt es sich, bei diesem relativ langen Text arbeitsteilig vorzugehen: Gruppe (1) sammelt die Informationen zu Abraham in Gen 20,1–18, Gruppe (2) die Informationen zu Abimelech an gleicher Stelle; Gruppe (3) und (4) werten die Informationen zu diesen Figuren in Gen 21,22–34 aus. Die Gruppen notieren jeweils, wo sich der Text gegenüber den anderen beiden Ahnfrau-Erzählungen besonders profiliert.

14 Ausführlicher Vergleich mit Gen 12,10–13,1 z. B. bei Köckert, Abraham 152–161.

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Folgende Übersicht entsteht: Setting

Sachproblem Personen

Gerar (Gen 20,1).

Ort Beerscheba: Namensätiologie (V. 31); Brunnen (V. 25–32); Baum, Gebet (V. 33) Kontext: „Land der Philister“ (V. 32.34)

Verhältnis von Schutzbürger und Machthaber Abraham Freiwilliger Schutzbürger (ger; V. 1) (diff. Gen 12,10; 26,1: nicht aufgrund einer Hungersnot) Prophet, wirkungsvolles Gebet (Gott in V. 7; 17) Rechtfertigung: Furcht (vgl. Gen 12; 26), aber auch Stiefschwesterverhältnis (diff. Gen 12)

Abraham Schutzbürger (V. 23.34) (diff. Isaak: mit Abimelech „auf Augenhöhe“) lt. Abimelech mit Täuschung behaftet (V. 23) Brunnenanspruch (V. 28–30), Baumpflanzung und Gebet

Abimelech Keine Berührung Saras durch ­Gottes Eingreifen (V. 6)

Abimelech Anerkennung des Gottesverhältnis­ ses Abrahams; Schwur „bei Gott“ (V. 22 f.) Rechtfertigung wg. Sara: Fehlinfor- Rechtfertigung im Brunnenstreit: mation; „vollkommenes Herz“ von fehlendes Informationsverfahren Gott bestätigt (V. 6) (V. 26) „Sünde“ (V. 9), Gottes Weisung: Abrahams Vermutung (V. 11) falsch Geschenke an Abraham ohne äu- Bund (V. 27) bzw. Schwur (31) ßeren Anlass (anders Gen 12,16); an Abraham (lt. Erzähler, vgl. Wohnortwahl Gen 26,28.31)

Aus diesem Befund kristallisieren sich – gerade durch die doppelte Betonung (Quantität!) – wesentliche Überzeugungen und Einstellungen des Textes heraus. Sie werden im Plenum zusammengefasst: 1. Abraham: lebt als freiwilliger Schutzbürger – ist Prophet – betet wirkungsvoll – ist im Recht (Schwester-Problem) und sichert sein Recht (Brunnenrechte). 2. Abimelech: anerkennt den Gott Israels (Schwur) – ist mit göttlicher Bestätigung im Recht – wird von Gott geleitet – verhält sich großzügig gegenüber Abraham (Geschenke, Aufenthaltsangebot) – verpflichtet sich gegenüber Abraham.

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Was die Einstellungen angeht, bestätigt der Text die bei den Ersthörern vorauszusetzende Bewertung Abrahams als positives Modell („Prophet“; s. u. Identifikation) – er legt aber auch für den fremden Herrscher Abimelech eine überraschend positive Bewertung nahe, die ihn vom Pharao (Gen 12) abhebt und v. a. Abrahams Voreinstellung widerlegt. Identifikationspotential Eine Brücke zur eigenen Situation kann der Leser in der Konstellation der „Schutzbürgerschaft“ Abrahams schlagen: Zur Debatte steht das Verhältnis von länger verweilendem Immigranten und Souverän.15 Dieser entsprechende Hinweis schafft auf synchroner Ebene einen roten Faden durch und eine Klammer (Gen 22,23e.34; vgl. auch Gen 20,1c) um einen literarkritisch auffälligen Text.16 Über die Figuren wird nun Identifikationspotential freigesetzt: Als gottesfürchtiger Stammvater ist Abraham als Identifikationsfigur für den biblischen Leser prädestiniert – hier wird der Leser durch Konvention gelenkt. Abraham wird in dieser Episode somit zum Modell, an dem man Verhalten in Herausforderungen des Lebens unter fremder Herrschaft ablesen kann: –– Wenn Abraham freiwillig lange Zeit im „Land der Philister“ bleibt, so wird dies auch für die Leser zur legitimen Option. –– Abraham geht exemplarisch auf eine Bundesverpflichtung in gegenseitiger Loyalität ein – ein Kontrapunkt (Umkehrung) zu Dtn 7,2 oder Ex 23,32; 34,12.17 –– Der Text schlägt ein Verfahren bei Verletzung der Rechtssicherheit vor: Anzeige bei der obersten Instanz (vgl. z. B. Philo, LegGai 178–180). Die Figur Abimelechs als modellhafter Fremdherrscher will die Leser nun von dessen positiven Qualitäten überzeugen – vor allem aber die theologischen Möglichkeiten ausloten: Der Episode zufolge interagiert der Gott Israels mit der fremden Macht; mit seinem besonderen Gottesverhältnis verschafft sich der Schutzbürger Respekt beim Fremdherrscher; dieser ist ihm gegenüber loyal, verbindlich und großzügig. Soweit die textuelle Ebene – notorisch schwierig erweist sich die Datierung und damit die konkrete Situierung, in die hinein dieser Text wirken soll.18 Vor15 Nicht nur die erzählte Episode verweist Abraham klar auf den schwächeren Platz; auch die Rechtskorpora des Pentateuch reflektieren den Umgang mit dem ger als einem ortsansässigen Fremden, dessen Rechtsstatus eigens zu klären ist; er erscheint als besonders anfällig für Existenzrisiken (informativ dazu z. B. Kaiser, Umgang). 16 Um dem gerecht zu werden, kann an dieser Stelle im Exkurs z. B. auf die literarkritische These von Blum, Komposition 334 f.413–419, verwiesen werden, graphisch kurz eingeführt z. B. durch unterschiedliche farbliche Markierung der Schichten. 17 Vgl. z. B. Oswald, Erzeltern 87 f.; zu dtn Isolationsideen vgl. Kaiser, Umgang 48–55. 18 Schließt man sich z. B. einem Quellenmodell an und betrachtet den Text als Teil des „Elohisten“, so wäre der Text in einem anderen literarischen Kontext und in einer anderen Ausgangssituation verfasst worden und erzeugte entsprechend andere Wirkungsschwerpunkte: vgl. z. B. Graupner, Elohist 87–218.387 f. Zwei Beobachtungen sollen unser Vorgehen rechtfertigen: Auch Graupner,

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behaltlich weiterer Erkenntnisse in der bislang nicht abgeschlossenen Diskussion scheint es hier sinnvoll, die Position später Pentateuch-Leser einzunehmen: Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass der Text in der Situation der Pentateuch-Schlussredaktion (ca. 450–400 v. Chr.19) als relevant und damit wirkungsvoll betrachtet wurde20 und ergo nicht von der Redaktion ausgeschlossen wurde; die positive Königsdarstellung mag an Kyros (vgl. explizit die Schutzbürger-Thematik im „Kyros-Edikt“ Esr 1) oder den Belschazar Daniels erinnern.21 Die direkte Identifikation des Settings lenkt den Blick nach Beerscheba, in den Süden Palästinas – und damit außerhalb der persischen Provinz Jehud mit Jerusalem als ihrem kulturellen, später auch politischen Zentrum. Beerscheba wird vom Text doppeldeutig eingeordnet: zum einen ins Territorium des Königs von Gerar – zum anderen aber wird dieser als König der Philister präsentiert.22 Die klassischen Philistergebiete liegen an der südlichen Küste. Auf exakte Geographie kommt es dem Text nicht an: Vielmehr lassen die Küstenstädte an Handel und Auskommen denken,23 ebenso an die kulturelle Fremdheit der Philister, die nicht wie die anderen Völker der Umgebung genealogisch mit den Erzvätern verbunden werden.24 Der Text träfe damit einen Nerv der Lebenssituation der perserzeitlichen Gläubigen, streute sich doch mit hoher Wahrscheinlichkeit der Anteil der JHWH-Gläubigen über die Provinz Jehud hinaus.25 Und nicht zuletzt kann das bisher archäologisch nicht eindeutig identifizierte Gerar als „sprechender Name“ mit Anklang an das Nomen ger / Schutzbürger verstanden werden.26 Somit ergibt sich als Gesamtthese: Ein perserzeitlicher Rezipient kann in Abraham das Modell eines „Abrahamskindes“ finden, das sich außerhalb des Rechtsraums Jehud mit einem Leben unter fremder Herrschaft arrangiert – er wird ermutigt, im Vertrauen auf Gottes universales Eingreifen Ängste vor den vermeintlich „Gottlosen“ abzubauen, sich vertraglich abzusichern und den Schutz seiner Rechte von der staatlichen Autorität einzufordern.27 Damit öffnet sich eine Elohist 191–196, hält Gen 20,1.18; 21,31b–34 für spätere Zusätze und darüber hinaus (ebd. 385) die elohistischen Texte für Fragmente: Spätere Hände haben die Texte somit angepasst, aber auch selektiert: Was stehengeblieben ist, hat also in seiner bearbeiteten Endversion Relevanz, d. h. Wirkungspotential für die Zeit der Endfassung des Pentateuch besessen. 19 Vgl. Zenger / Frevel, Theorien 152–157. 20 Vgl. insgesamt zu einer solchen Situierung von Gen-Texten, auch der hier besprochenen, Leibold, Raum. 21 An Jona denkt darüber hinaus Blum, Komposition 416 Anm. 12; an das Gebet der Israeliten für die fremde Stadt in Jer 29,7 Köckert, Abraham 161. 22 Zum Problem vgl. z. B. Oswald, Erzeltern 84 f. 23 Zum Aufschwung der (phönizischen) Küstenstädte als Handelszentren, die die Perser unter der Ägide der Könige von Sidon und Tyrus beließen, vgl. Lipschits, Policy 26 f. 24 Vgl. Köckert, Abraham 139. 25 Vgl. Wright, Yehud. 26 Vgl. z. B. Köckert, Abraham 158. 27 Eine solche (spät-)perserzeitliche Verortung und Diaspora-Pragmatik vertreten neben Blum auch Oswald, Erzeltern 86 f.; Köckert, Abraham 159–161 (für das Gesamt von Gen 20,1–21,34); Mühling, Abraham 65 f.73 f.

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Perspektive für eine Lebensform, der die künftigen Leserinnen und Leser des Pentateuch in der Folge verstärkt begegnen: Das Leben in der „Diaspora“, wo sich Juden seit dem Exil in unterschiedlichsten Konstellationen mit der verletzlichen Position des „Fremden“ zu arrangieren hatten.28 Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss In einem Ausblick kann die Leitung nun noch weitere Abraham-Paradigmen (als Monotheist, Gelehrter, Glaubender etc.29) erläutern, um so die Vielfalt und Kontextgebundenheit von Facetten der Abrahamsfigur aufzuzeigen, die sich historisch-diachron angereichert haben. Evtl. kann dies durch einprägsame Bilder aus der Wirkungsgeschichte unterstützt werden, allerdings nur illustrativ, um den Rahmen nicht zu sprengen. „Abraham“ als literarische Figur wird in den biblischen Texten gezielt gestaltet, um den Lesern ein Verhaltensmodell für die Erfüllung einer (umstrittenen) Norm anzubieten, die sich in einer kritischen Situation zu bewähren verspricht. Ein solches Ergebnis beruht nicht auf einer intuitiven oder willkürlichen Interpretation, sondern lässt sich durch Textindikatoren eruieren und belegen. Freilich fallen auch die Schwierigkeiten ins Auge, die sich bei der Situierung von Pentateuch-Texten ergeben und die ihre Hypothesenhaftigkeit und Umstrittenheit nicht so schnell verlieren. Literatur zur Textstelle E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vlyun 1984. A. Graupner, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002. O. Kaiser, Von Ortsfremden, Ausländern und Proselyten. Vom Umgang mit den Fremden im Alten Testament, in: Ders., Gott, Mensch und Geschichte. Studien zum Verständnis des Menschen und seiner Geschichte in der klassischen, biblischen und nachbiblischen Literatur (BZAW 413), Berlin 2010, 41–62. M. Köckert, Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: S. Martus / A. Polaschegg (Hrsg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 13), Bern 2006, 139–169. S. Leibold, Raum für Konvivenz. Die Genesis als nachexilische Erinnerungsfigur (Herders biblische Studien 77), Freiburg i. Br. 2014. 28 Angesichts der Aufnahme der Perspektive in den Pentateuch ist bei der Leserperspektive zunächst allerdings von der mit Jerusalem noch verbundenen Diaspora „vor der Haustüre“ auszugehen. Dass sich darin bereits Erfahrungen aus der Zeit in Babylon zeigten, ist ohne Probleme anzunehmen. Oswald, Erzeltern 87 f., denkt dezidiert an die Probleme der Gola-Rückkehrer im 5. Jh. und wertet entsprechend auch die antiägyptische Tendenz von Gen 12,10–12 gegenüber den freundlichen Kanaanäern von Gen 20.21,22–34 / Gen 26 aus. 29 Material findet sich bei Mühling, Abraham 340–363.

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O. Lipschits, Achaemenid Imperial Policy, Settlement Processes in Palestine, and the Status of Jerusalem in the Middle of the Fifth Century b.c.e, in: Ders. / M. Oeming (Hrsg.), Judah and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake (IN) 2006, 19–52. A. Mühling, „Blickt auf Abraham, euren Vater“. Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des Zweiten Tempels (FRLANT 236), Göttingen 2011. W. Oswald, Die Erzeltern als Schutzbürger. Überlegungen zum Thema von Gen 12,10–20 mit Ausblick auf Gen 20.21,22–34 und Gen 26, in: BN 106 (2001) 79–89. E. Robertson Kennedy, Seeking a Homeland. Sojourn and Ethnic Identity in the Ancestral Narratives of Genesis (Biblical Interpretation 106), Leiden 2011. L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar, Teilband 2: Gen 11,27– 25,18 (fzb 98), Würzburg 2002. J. W. Wright, Remapping Yehud. The Borders of Yehud and the Genealogies of Chronicles, in: O. Lipschits / M. Oeming (Hrsg.), Judah and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake (IN) 2006, 67–89. E. Zenger / C. Frevel, Theorien über die Entstehung des Pentateuch im Wandel der Forschung, in: Dies. u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 87–135.

Baustein NT: Röm 12,3–8 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Kennen –– Grundunterscheidung direkte / indirekte Sprechakte. –– Grundlagen zur Kommunikationssituation eines paulinischen Briefs (Einleitungswissen). Können –– Direkte und indirekte Sprechakte identifizieren. Einstieg Von mehr oder minder gelungenen „Persuasionsakten“ können wohl die meisten jungen Leute ein Lied singen: Sie gehören zum Repertoire der Kommunikation mit „Erziehungsberechtigten“, sofern diese anderer Meinung sind. Darin kommen Überzeugungsmittel zum Einsatz – von der rhetorischen Sentenz („Wer lang feiert, kann auch früh aufstehen“) über die Stilisierung von Autorität („Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst …“) bis hin zum indirekten Sprechakt („Ich sage dir jetzt zum letzten Mal: …“). Zum Einstieg bietet es sich an, einen solchen zeitgenössischen Persuasionsakt zu analysieren: Kreative Kurse können z. B. zur Vorbereitung auf die Stunde in Gruppen eine solche Standpauke verfassen, diese untereinander austauschen und am Beginn der Sitzung analysieren.

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Anstelle der selbstgeschriebenen Texte eignen sich z. B. die Podcasts „Hashtag“ oder „Twitter“ aus der Radiowerbung. Letzterer sei nun exemplarisch genannt: Funkspot „Twitter“30 „Hallo Suni, hier ist Mama. Da du ja nur noch über das Internet kommunizierst, dann eben auf diesem Weg: @Super_Suni96, räum endlich dein Zimmer auf! Bei dem Saustall hilft ja kein Virenscanner mehr. Ich wär fast abgestürzt, als ich das gesehen habe. Der Speicherplatz vom Papierkorb ist voll, dein Bett braucht ein Upgrade, alle Fenster sind offen und das Backend sieht erst aus. Ich sag nur: DISLIKE! Papa kann auch nicht mehr darüber „ROFLn“. Der ist kurz vorm Ausloggen! Also, wenn du dich jetzt nicht mit High Speed zu Hause anmeldest, dann „followed“ dir deine Mutter und dann twitterts aber mal richtig im Karton! Mit Radio erreichen Sie immer die Richtigen. Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf.

Wir beschränken uns auf die Analyse der Kommunikation zwischen Mutter und Tochter, da diese gattungstypisch überzeichnet ist. Der weitere Kontext der Radiowerbung soll im Folgenden aus zeitökonomischen Gründen außen vor bleiben. Die Lernenden werden zunächst nach ihrem ersten Eindruck befragt: Was soll die Tochter nun denken und tun? Sie werden dann gebeten, aus der Erinnerung zu notieren, wie sie zu diesem Eindruck kamen. Anschließend vergibt die Leitung die Leitfragen pragmatischer Analyse mit der Bitte, den Text daraufhin zu untersuchen: 1. Wo liegen Absichtserklärungen vor? ȤȤ Eine Absichtserklärung wird zwar nicht durch ein verbum dicendi eingeführt, dafür aber mit einem Appell (Imperativ) verdeutlicht: „Räum endlich dein Zimmer auf!“ Wir finden eine zweite, indirekte Verhaltensforderung vor, die sprachlich in einen Konditionalsatz gekleidet ist: „Also, wenn du dich jetzt nicht mit High Speed zu Hause anmeldest …“ 2. Wo wird mit systematischer Argumentation Überzeugungsarbeit geleistet? ȤȤ Die Argumentation wird sprachlich nicht durch (kausale) Konjunktionen, sondern nur implizit verknüpft: (1) Es werden konkrete Beispiele für einen mangelhaften Zustand benannt – klar bewertet mit: „DISLIKE“; (2) Die Sicht des Vaters wird als Bestätigung herangezogen. (3) Sanktionen werden angedroht: „… dann ‚followed‘ dir deine Mutter und dann twitterts aber mal richtig im Karton!“ 3. Indirekte Überzeugungsstrategie: Wie inszeniert die Mutter ihre Autorität und Emotion? Wie erzeugt sie Handlungsdruck? Welche sprachlichen Auffälligkeiten setzt sie ein?

30 http://www.radiozentrale.de/aktuell/kampagne-pro-radio/radio-geht-ins-ohr-bleibt-im-kopf/funkspot-texte (25.11.14).

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ȤȤ Autorität des Sprechers: Sanktionsmacht: „dann ‚followed‘ dir deine Mutter und dann twitterts aber mal richtig im Karton“ ȤȤ Emotion und Handlungsdruck: „Ich wär fast abgestürzt“ – „Der ist kurz vorm Ausloggen“ ȤȤ Rhetorische Gestaltung: Situationsbeschreibung in Social-Media-Sprache (@Super_Suni96, „Virenscanner“, „abgestürzt“, „Speicherplatz“, „Upgrade“, „Fenster“, „Backend“, „DISLIKE“, „ROFLn“, „Ausloggen“, „High Speed“, „followed“, „twitterts“) – dadurch metaphorische und verfremdende Effekte. 4. Fazit: Was soll die Tochter der Mutter zufolge also denken (Überzeugung / Bewertung) und tun? ȤȤ Die Tochter soll die Überzeugung der Eltern übernehmen: Das Zimmer ist unordentlich – und die Bewertung: Dies ist inakzeptabel – es besteht also Handlungsbedarf (Umkehrung / Neubildung). ȤȤ Die Tochter soll sofort ihr Zimmer in Ordnung bringen. Die Leitung fragt resümierend nach dem Mehrwert des gesamten Textes gegenüber der simplen Aufforderung: „Räum sofort dein Zimmer auf!“ – der da z. B. wäre: Argumentation und Motivation; Erzeugung von Autorität, Emotion und Stress; Aufmerksamkeit durch Verfremdung. Mit dieser ersten Analyse ist nun schon das Raster an Persuasionsfaktoren eingeführt, wie es auf diskursive Texte angewandt wird. Die Leitung kann für die folgende Analyse eines biblischen Textes das Raster um die Komponenten ergänzen, die für den Beispieltext noch keine Rolle spielten, und es dann vollständig in tabellarischer Übersicht und graphisch aufbereitet darstellen. Erarbeitung / Vertiefung Auch beim diskursiven Text Röm 12,3–831 stehen die Fragen nach Absichtserklärungen und Überzeugungsstrategie an. Selbst erarbeiten können die Lernenden folgende Fragen: 1. Welche direkten und indirekten Absichtserklärungen enthält der Text? ȤȤ V. 3a: indirekter Befehl:32 „Denn ich sage … jedem, der unter euch ist, nicht darüber hinaus zu sinnen …, sondern zu sinnen … um besonnen zu sein …“ 31 Aus zeitökonomischen Gründen wird hier nur ein Ausschnitt aus der Paränese Röm 12 gewählt: An die Eröffnungmahnung Röm 12,1 f. schließt der Abschnitt V. 3–8 an, bestehend aus Verkündigung (V. 3) und Begründung (V. 4–8) und zusammengehalten vom Thema der Gnadengaben. V. 3 ist zwar auch mit einer begründenden Konjunktion an V. 1 f. angeschlossen, doch handelt es sich hier um eine erste Veranschaulichung der dort aufgestellten These (vgl. Jewett, Romans 738). Dem Abschnitt folgt eine lange Reihe paränetischer Aussagen (V. 9–21), die für alle Mitglieder unabhängig von unterschiedlichen Gaben / Funktionen gelten. Mit Rücksicht auf die verschiedenen Studiengänge gehe ich zunächst von der Übersetzung des Münchener Neuen Testaments aus; Einzelheiten werden bei Bedarf diskutiert. 32 Vgl. Jewett, Romans 738: „authoritative, oral declaration“ – im Deutschen wird der AcI häufig mit Imperativ wiedergegeben (z. B. Haacker, Römer 28).

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2. Welche systematische Argumentation erfolgt? ȤȤ V. 3c: „was man sinnen muss“: Norm ȤȤ V. 3: „um besonnen zu sein“: Ideal, das einen Wunsch freisetzt ȤȤ V. 4–8 Begründung („Denn“) 3. Welche indirekten Überzeugungsfaktoren werden genutzt? Achten Sie besonders auf die rhetorische Gestalt der Liste V. 6–8. ȤȤ Sender / Autorität: V. 3a: „durch die Gnade, die mir gegebene“; „wie jedem Gott zuteilte ein Maß an Glauben“.33 ȤȤ Darstellung / Quantität: Wörtlich wiederholt wird die Rede von der „gegebenen Gnade“ (V. 3a.6a); in V. 3d wird der Gedanke aufgegriffen: Gott teilt persönlich Glauben zu. ȤȤ Darstellung / Qualität: V. 3: umständliche Benennung der Adressaten: „jedem, der unter euch ist“;34 semantische Opposition der Appelle – Doppelung; V. 4: Nutzung metaphorischer Plausibilität („gleichwie … so“): Analogie „Leib / Glieder“; V. 6–8: Liste von Beispielen mit rhetorischen Auffälligkeiten: 6a Wir haben aber verschiedene Gnadengaben nach der Gnade, der uns gegebenen,  b sei es eine Prophetengabe: nach der Entsprechung des Glaubens, 7a sei es ein Dienst: im Dienst,   b sei es der Lehrende: in der Lehre, 8a sei es der Ermahnende: in der Ermahnung;   b der Gebende: in Einfalt,  c der Fürsorgende: in Eifer,   d der sich Erbarmende: in Heiterkeit.

V. 6b eröffnet eine Viererreihe von Beispielen, die mit der disjunktiven Präposition εἴτε / „sei es“ eingeleitet werden. In V. 8bcd fällt die Präposition aus. V. 6b nennt als Beispiel ein Substantiv („Prophetengabe“), ist ansonsten aber eng im Anschluss an Vorausgehendes formuliert (Präposition „nach“; Glaube V. 3d). V. 7a, nach oben verbunden durch Nennung eines Substantivs („Dienst“), eröffnet nun eine Dreierreihe, die auffällt; sowohl beim Subjekt als auch bei der Adverbialbestimmung wird derselbe Wortstamm verwendet. In V. 7a geschieht dies sogar, etwas ungeschickt wirkend, in identischer Form (Dienst / Dienst), so dass ab V. 7b das Subjekt eleganter als Partizip formuliert wird. 33 Natürlich ist diese Formulierung umstritten  – am treffendsten interpretiert m. E. Haacker, Römer 303, wenn er vom „Anvertrauten“ spricht. 34 Vgl. Jewett, Romans 738 f.

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Die Schlusstrias V. 8bcd fällt dreifach auf: Sie verzichtet nicht nur auf die Konjunktion und bringt nicht nur einen Lexemwechsel vom Subjekt zur Präpositionalphrase, sondern fällt auch semantisch auf: Während V. 6b–8a „klassische“, in einer christlichen Gruppe erwartbare Gnadengaben aufzählt,35 sind „Mitteilen“, „Fürsorge“ / „Leitung“ bzw. „Erbarmen“ untypische und innovative Beispiele.36 4. Fazit: Welche sachliche Überzeugung vertritt Paulus in V. 3–6a? ȤȤ Gott teilt verschiedene Gnaden / Glaubens„teile“ zu. ȤȤ Die Gruppe ist „ein Leib“ mit verschiedenen, aufeinander bezogenen Gliedern. Diese Vorarbeit lässt nun noch Fragen offen: Welches konkrete Problem steht hinter V. 3? Welchen Sinn hat die auffällige Gestaltung der Liste? Und was trägt schließlich die Argumentation zum Meinungsproblem bei? Um diese Fragen zu klären, ist philologisches und kulturelles Hintergrundwissen nötig – die Leitung setzt am besten in einem kurzen Vortrag die Puzzleteile thesenartig zusammen: 1. Konkretisierung des Problems in V. 3 Hinter den beiden Appellen in V. 3 stecken philologische Details. Sie wollen als Opposition wirken, beinhalten jedoch einen sprachlichen Überschuss: Bewertung

Tätigkeit

Bereich

Falsch

darüber hinaus sinnen / ὑπερφρονεῖν

vorbei (an dem), was man sinnen muss / παρ’ ὃ δεῖ φρονεῖν

Richtig

sinnen / φρονεῖν

um besonnen zu sein / εἰς τὸ σωφρονεῖν

35 Vgl. z. B. im Briefkontext von Röm: Diakonia Röm 11,13; 15,25.31; 16,1; Didaskalia Röm 2,20 f.; 15,4; Paraklesis Röm 12,1; Prophetie 1 Kor 11,4 f.; 12–14; Kombinationen: z. B. 1 Kor 14,3.26–33. Diese Letzteren setzen einen göttlichen autorisierten Wissensvorsprung voraus und eignen sich damit als typische „Gnadengaben“; dagegen: „mitgeben“: Röm 1,11; 1 Thess 2,8 (beide Male von Paulus) Eph 4,28; „fürsorgen“ nur 1 Thess 5,12 (vgl. Röm 16,1 f.); gegenseitiges „erbarmen“ im Gemeindekontext fehlt in den echten Paulinen. 36 Eine bestechende Alternative scheint Hultgren, Romans 445, aufzuzeigen: Prophetie und Dienst in V. 6b.7a seien Überbegriffe, denen die folgenden fünf Partizipialausdrücke zugedordnet werden könnten: lehren und ermahnen als Worthandlungen; mitteilen, „helfen“ („give aid“) und erbarmen als Taten. Anzufragen bleibt, ob Lehre tatsächlich unter Prophetie subsumiert werden kann (vgl. die Differenzierung in 1 Kor 12,28) und ob die letzten drei Glieder sich tatsächlich trennscharf von den Worthandlungen abheben lassen. Der Einsatz der Konjunktion lässt vielmehr die ersten vier Glieder zusammengehörig erscheinen. Selbst wenn man sich dieser Position anschließen sollte: Das rhetorische Achtergewicht liegt in den drei (!) letzten, auf Paronomasie verzichtenden Gliedern.

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Die Übersetzung des Münchener Neuen Testaments verwendet mit „Sinnen“ ein etwas aus der Mode gekommenes Wort. Man würde heute vielleicht von „sich konzentrieren auf “ sprechen.37 Um das Wortspiel richtig zu deuten, ist es wichtig, den Ausdruck im typischen Diskurskontext38 zu platzieren: Es geht um die Haltung und Selbsteinschätzung innerhalb eines sozialen Gefüges. Mit σωφρονεῖν, eigentlich „gesund sinnen / denken“, ist bereits impliziert, dass es hier um normierte Sinneshaltungen geht. „Gesund“ ist das Denken innerhalb eines sozial akzeptierten Rahmens – was diesen Rahmen sprengt, gilt als μανία / Wahnsinn, ὕβρις / Überheblichkeit oder ἀκολασία / Maßlosigkeit.39 Auf eine solche Norm spielt Paulus in V. 3 an: das göttliche Maß bzw. „was gedacht werden muss“, ebenso wie auf die Komponente der Überheblichkeit und Selbstüberschätzung40 im „Darüber-hinaus-Sinnen“. „Besonnen sein“ / σωφρονεῖν meint hier also eine nüchterne, realistische Einschätzung des eigenen sozialen Platzes, den das göttliche Maß zugeteilt hat. So wird auch klar, weshalb Paulus die komplizierte Anrede an „jeden, der unter euch ist“ richtet: Der Sinneswandel setzt beim Individuum an und kommt auch zu je verschiedenen Ergebnissen. 2. Mit der soma-Argumentation formuliert Paulus nun aus, „was gedacht werden muss“: Der „Leib“ zeigt ein Organisationsprinzip gerade für Verschiedenheit der Gnadengaben auf:41 Als individuelle Aufgabenträger mit unterschiedlichen Funktionen sind die Glieder sinnvoll zu einem Leib zusammengeordnet. Nüchtern betrachtet sind die Einzelnen nicht mehr, aber auch nicht weniger als Glieder am christlichen Gemeinde-Leib. 3. Die Liste konkretisiert nun ausgewählte Beispiele, die in typische und untypische Gnadengaben zerfallen. Dem Träger einer typischen Gnadengabe wird sein Bereich abgesteckt – wer bei den typischen Gnadengaben leer ausgeht, bekommt mit den „neuen“ einen organischen Platz zugewiesen. Besonders fällt dabei die vorletzte Formulierung auf: Das hier mit „Fürsorge“ übersetzte Wort hat auch die Bedeutung „Leitung“42  – Paulus stellt damit den prosozialen Aspekt der „Leitungs“-funktion heraus; er ordnet die ansonsten herausragende Leitungsposition erst an vorletzter Stelle43 in eine Vielzahl von Funktionen ein und verweist sie in ihre Schranken: Sie kann und darf die übrigen Kompetenzen nicht an sich ziehen – das wäre Hybris. Gleiches gilt allerdings auch für alle anderen Gnadengaben: Weder die materiell 37 Für den paulinischen Sprachgebrauch H. Paulsen, Art. φρονέω, in: EWNT3 III (2011) 1049–1051, 1050: „das zielgerichtete Trachten nach etwas wie auch die Bedingung solcher Ausrichtung“. 38 Ausführlich dazu z. B. Jewett, Romans 739–741. 39 Diese hilfreichen Gegenbegriffe samt Erläuterungen finden sich bei D. Zeller, Art. σωφροσύνη κτλ, in: EWNT3 III (2011) 790–792. 40 So Haacker, Römer 304. 41 Vgl. z. B. Haacker, Römer 303. 42 Vgl. Art. προίστημι, in: EWNT3 III (2011) 377. 43 Vgl. Haacker, Römer 305.

Pragmatische Analyse

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(„Erbarmende“) noch die intellektuell Bevorzugten (Propheten, Lehrer, Mahner, evtl. „Mitteiler“44) können den Rahmen ihrer Kompetenzen sprengen und sich über andere hinwegsetzen:45 „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Die subtile Rhetorik erklärt dies zum wünschenswerten Ziel des „gesunden Menschenverstands“ und deckt göttliches Handeln auf – ein wirkungsvolles Plädoyer für eine Gruppe, die Verschiedenheit integriert und Kompetenzgerangel ausschaltet. Der zunächst unterdeterminiert erscheinende Appell des Paulus in V. 3 wird sowohl durch den kulturellen Hintergrund als auch durch gezielte exemplarische Argumentation gefüllt – es geht um die Binnenverhältnisse und Funktionen in einer Gruppe von Christusgläubigen. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Abschließend werden die Lernenden gebeten, in eigenen Worten das Anliegen des Paulus zu formulieren und dabei Überzeugungen und Einstellungen möglichst konkret zu benennen: Was soll wer denken / tun? Alle notieren ihre Gedanken auf einem Blatt, verschiedene Vorschläge werden dann im Plenum vorgestellt und ggf. ergänzen / korrigieren sie sich gegenseitig. Auch der alltagspraktische Sitz im Leben der Methode ließe sich diskutieren: Eine dermaßen voraussetzungsreiche Analyse wird eine Lehrkraft später in der Schule ihren SchülerInnen kaum zumuten können. Weshalb aber dann das komplizierte Manöver? Evtl. kommt dabei zur Sprache, dass solche Analysen im Vorfeld notwendig sind, in der Schule dann aber elementarisiert werden müssen – dies begründet zu tun, setzt allerdings voraus, dass die Lehrkraft zuvor den Text selbst sicher entschlüsseln kann. Ein solches aus der pragmatischen Analyse gewonnenes Element könnte die Überzeugung des Paulus sein, die Gemeinschaft und der Leib mit seinen Gliedern seien funktionsanalog: Wie reagieren die Schüler auf ein solches Bild von Gemeinschaft / Kirche? Wollen sie es für sich übernehmen? Wo würden die Schüler diese Überzeugung heute anbringen? Wo sehen sie sie verwirklicht, wo wäre sie hilfreich? Wie und wem würden sie diese Überzeugung heute nahelegen wollen? Literatur zur Textstelle K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6), Leipzig 42012. A. J. Hultgren, Paul’s Letter to the Romans. A Commentary, Grand Rapids (MI) 2011. R. Jewett, Romans. A Commentary (Hermeneia), Minneapolis (MN) 2007.

44 Zu einem materiellen Verständnis vgl. Jewett, Romans 751 f. 45 Vgl. Jewett, Romans 742.

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Hildegard Scherer

Ertrag zur Methode Nach der pragmatischen Analye sind die Lernenden davor gewarnt, in der Bibel nach „einfachen“ Texten zu suchen. Die Tücke steckt im Detail. Wer sich solchen Details allerdings mit methodischer Hilfe stellt, der kann auch einen Text entschlüsseln, den man beim ersten Lesen wenn überhaupt nur sehr selektiv versteht – und gleich überblättert. In diskursiven wie narrativen Texten zeigt sich, dass die pragmatische Analyse nicht ohne die vorausgehenden Methodenschritte – Charakterisierung, linguistische Analyse, Frage nach sozialgeschichtlich-kulturellem Hintergrund – auskommen kann. Ihr gelingt es allerdings auch, nach vielen Einzelarbeiten eine kommunikative Gesamtsicht auf eine Perikope zu erstellen.

Textorientierte Methoden: Diachrone Perspektiven

Synoptischer Vergleich Markus Lau

Hinführung zur Methode Déjà-vu / „schon gesehen“ – ein solcher Leseeindruck kann sich bei aufmerksamer Lektüre der ersten drei Evangelien des Neuen Testaments einstellen. Matthäus, Markus und Lukas erzählen ihre Jesusgeschichten trotz gewichtiger Unterschiede überaus ähnlich. Wie kommt es dazu? Wie lassen sich die vielen Parallelen bei gleichzeitig vorhandenen Differenzen erklären? Das ist kurz gesagt die synopti­ sche Frage. Wer sie stellt, möchte das Verhältnis der drei Evangelien zueinander klären. Gibt es gegenseitige Abhängigkeiten? Hat einer der Texte für die anderen als Quelle gedient? Hängen alle drei von einer gemeinsamen Vorlage ab, die uns nicht überliefert worden ist? Können weitere Quellen, die vielleicht nicht allen Evangelisten zur Verfügung standen, die Unterschiede erklären? Usw. Schon seit Jahrhunderten wurden und werden diese Fragen diskutiert und mit unterschiedlichen Modellen zu lösen versucht. Ein Antwortversuch auf diese Frage, wohl der prominenteste, besteht in der sogenannten Zwei-Quellen-Theorie. Sie besagt, dass das Markusevangelium das älteste Evangelium ist und Matthäus und Lukas, die synoptischen Seitenreferenten, es jeweils unabhängig voneinander als Quelle für ihre Jesusgeschichten benutzt haben. Als zweite Quelle neben Markus diente ihnen die sogenannte Logien- oder Spruchquelle (kurz: Q), die Markus wohl unbekannt war. Bei Q handelt es sich allerdings um eine auf der Basis wissenschaftlicher Kriterien beruhende Rekonstruktion, also um einen letztlich hypothetischen Text. Der Text von Q wird dabei in einem komplexen Verfahren aus denjenigen Erzählungen des Matthäus und des Lukas erhoben, die beide gemeinsam haben und die sich nicht im Markusevangelium finden. Darüber hinaus bieten sowohl Lukas als auch Matthäus Texte, die sich nur bei ihnen finden. Diese können vollständig aus ihrer Feder stammen oder lagen ihnen in Teilen oder ganz in einer nur ihnen bekannten (oder von den übrigen Evangelisten ignorierten) Überlieferung vor (diese Texte werden in den klassischen Darstellungen der Zwei-Quellen-Theorie auch „Sondergut“ [Sg] genannt).

Synoptischer Vergleich

Mk

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Q

Sg.Mt

Sg.Lk

Mt

Lk

Es gehört fraglos zur wissenschaftlichen Redlichkeit, bei jeder Beschäftigung mit der ZweiQuellen-Theorie sowohl die Argumente, die für diese Theorie sprechen (s. dazu die ausführlichen Argumentationen in der angeführten Sekundärliteratur) als auch ihre Schwachpunkte zu erläutern. Diese bestehen zum einen in der Annahme einer hypothetischen Quelle (eben Q), sie werden zum anderen unter dem Stichwort „minor agreements“ zusammengefasst. Damit wird folgender Sachverhalt bezeichnet: Manchmal ändern Lukas und Matthäus in gleicher Weise den markinischen Text ab, was angesichts der von der Theorie postulierten Unabhängigkeit der beiden Evangelien voneinander nur schlecht zu erklären ist. Ebenfalls gewisse Schwierigkeiten bereiten die negativen minor agreements. Ein solches liegt vor, wenn Matthäus und Lukas beide eine markinische Erzählung als ganze auslassen (z. B. Mk 4,26–29) oder aber auch Teile einer Perikope gemeinsam nicht überliefern.

Auf der Basis dieser Theorie lassen sich die ersten drei Evangelien sehr gut miteinander vergleichen. Es lässt sich nämlich minutiös nachzeichnen, wie Lukas und Matthäus jeweils die markinische Erzählung bzw. den rekonstruierten Q-Text bearbeitet haben. Was übernehmen sie (Parallelen) und was ändern sie redaktionell ab? Ein solcher Vergleich ermöglicht es geradezu, in die Schreibwerkstatt von Matthäus und Lukas zu schauen und ihren redaktionellen Interessen, den Absichten, die sie bei der Erstellung ihrer Jesusgeschichten geleitet haben, auf die Spur zu kommen. Der Begriff synoptischer Vergleich ist terminus technicus für diesen Vergleich. Beim synoptischen Vergleich werden die Texte der ersten drei Evangelien bzw. der Q-Text nebeneinander gelegt und Vers für Vers miteinander verglichen (zu Technik und Auswertung solcher Vergleiche s. im Baustein NT dieses Kapitels). Die Methodik des synoptischen Vergleichs lässt sich freilich auch dann noch mit Gewinn für die Exegese anwenden, wenn man im Blick auf die synoptische Frage zu im Vergleich zur Zwei-Quellen-Theorie alternativen Antworten gelangt. Ein synoptischer Vergleich zwischen den drei Synoptikern setzt letzlich nur gegenseitige Benutzung und damit literarische Abhängigkeit der Texte voneinander voraus. Entscheidend sind dabei jeweils die vermuteten Abfassungsverhältnisse und damit die Frage nach der Priorität eines Textes (Markus-, Matthäus- oder Lukaspriorität).

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Markus Lau

Als bewährtes Hilfsmittel für solche Vergleiche stehen zu den unterschiedlichen Bibelübersetzungen Synopsen bereit, die die Texte bereits in Spalten aufbereitet abdrucken und mit denen sich schnell ein Vergleich durchführen lässt. Quellenlage, vorhandene Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich so gut erkennen. Ein synoptischer Vergleich ist keine Spielerei zum Zeitvertreib. Er schärft vielmehr den Blick für die oft kleinen, aber gleichwohl feinen und bedeutungstragenden Unterschiede zwischen den Evangelien. Er hilft dabei, den ersten Entwicklungsschritten urchristlicher Theologie- und Gemeindegeschichte nachzugehen (→ Literarkritik). Er macht sichtbar, wie sich das Bekenntnis zu Jesus und die Vorstellungswelt der frühen Christen – bei aller auch vorhandenen Kontinuität – jeweils gewandelt und entwickelt haben. Letztlich hilft der synoptische Vergleich, die Pluralität der normativen Grundschriften des Christentums besser wahrzunehmen, in der vermeintlichen und oft beschworenen Einheit der Schrift eine überaus lebendige und sich durch den Kanon gerade nicht ausschließende Vielfalt zu entdecken. Deshalb ist ein synoptischer Vergleich kein alter Hut oder Erbsenzählerei, sondern ein überaus lohnendes exegetisches Unterfangen. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden rekapitulieren und beschreiben im Kontext des synoptischen Vergleichs die Zwei-Quellen-Theorie und die hinter ihr stehende synoptische Frage. –– Die Lernenden können die Methodik des synoptischen Vergleichs auf neutestamentliche Perikopen anwenden und die gewonnenen Ergebnisse auswerten. –– Die Lernenden entdecken die Feinheiten synoptischer Erzählungen und lernen durch den Textvergleich auf die Unterschiede in den Erzählungen zu achten und diese interpretierend auszuwerten. Sie erhalten so einen Einblick in die Pluralität der urchristlichen Basisschriften. Literatur zur Methode M. Ebner, Die synoptische Frage, in: Ders. / S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 68–85. M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 133–159. M. Gielen, Die Passionserzählung in den vier Evangelien. Literarische Gestaltung – theologische Schwerpunkte, Stuttgart 2008. H. Merklein, Die Jesusgeschichte – synoptisch gelesen (SBS 156), Stuttgart 1994. R. Pesch / R. Kratz, So liest man synoptisch. Anleitung und Kommentar zum Studium der synoptischen Evangelien, 7 Bde., Frankfurt a. M. 1975–1980.

Synoptischer Vergleich

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Q-Edition P. Hoffmann / C. Heil (Hrsg.), Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch, Darmstadt / Leuven 42013.

Synopsen K. Aland (Hrsg.), Synopsis Quattuor Evangeliorum, Stuttgart 151997 (griechischer Text). J. Hainz (Hrsg.), Synopse zum Münchener Neuen Testament, Düsseldorf 21998. J. Schmid (Hrsg.), Synopse der ersten drei Evangelien mit Beifügung der Johannes-Parallelen, Regensburg 122002.

Baustein NT: Aus Eins mach Drei – oder: Wie aus Levi Matthäus wird1 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Kenntnis der mit dem Begriff „synoptische Frage“ gemeinten textlichen Phänomene. –– Kenntnis der Zwei-Quellen-Theorie, ihres Inhalts, ihrer Leistung und ihrer Grenzen. Einstieg Als Einstieg in die Thematik des synoptischen Vergleichs bieten sich prinzipiell viele Formen alltäglicher Vergleiche an, bei denen zwischen den Vergleichsobjekten Abhängigkeiten bestehen. In diesem Baustein soll ein Plagiatsfall2 als Einstiegsbeispiel dienen. Es war jeweils ein mittlerer politischer Skandal, als ab dem Jahr 2011 eine Reihe von Plagiaten bei Qualifikationsarbeiten deutscher Politiker entdeckt wurden. Einer der am besten dokumentierten Fälle ist der des ehemaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg – ein schönes Beispiel für die alltagstaugliche Anwendbarkeit dessen, was ein synoptischer Vergleich will. Im Internet findet sich eine Vielzahl von hilfreichen Seiten, die Texte aus der Doktorarbeit zu Guttenbergs im Vergleich zu den jeweiligen Originalen präsentieren. Dabei lässt sich sehr eindrücklich erleben, wie das Original von zu Guttenberg – in aller Regel äußerst moderat, was das Auffinden von Plagiaten besonders erleichtert – verändert wird. Als Hinführung 1 Insofern es sich beim synoptischen Vergleich um ein dezidiert neutestamentliches Phänomen handelt, entfällt ausnahmsweise der Baustein AT. 2 Ein solches Beispiel bietet den Vorteil, dass die Abhängigkeitsverhältnisse aufgrund der vorhandenen Datierungen bekannt sind. Zudem kann im Rahmen des Beispiels auf die Problematik von Plagiaten im Wissenschaftsbetrieb hingewiesen werden.

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Markus Lau

zur Methodik des synoptischen Vergleichs bietet es sich an, die jeweiligen Texte zu Guttenbergs und die Quellen im Vergleich via Beamer oder auf einem Arbeitsblatt in paralleler Darstellung von Vorlage und Plagiat zu präsentieren. Die Lernenden können dann die Art der zu Guttenbergschen Änderungen beschreiben. Wie geht er mit seinen (nicht gekennzeichneten) Quellen um? Auf eher spielerische Art werden dadurch die Lernenden für die einfache, aber ungemein effektive Technik des Textvergleichs sensibilisiert. Auf dieser Basis kann man sich dann dem eigentlichen synoptischen Vergleich zuwenden. Erarbeitung / Vertiefung Für einen synoptischen Vergleich eignen sich grundsätzlich alle lukanischen und matthäischen Texte, zu denen eine markinische Parallele vorhanden ist. Ferner sind auch solche Texte möglich, die mutmaßlich aus der Logienquelle stammen. Bei der Textauswahl muss man also von den synoptischen Seitenreferenten her denken. Die Methode dient primär dazu, die Texte des Matthäus und des Lukas besser zu verstehen, hingegen nicht den jeweiligen Quelltext. Allenfalls kommt dessen Wirkungsgeschichte in den Blick. Ungeeignet für einen synoptischen Vergleich sind auch diejenigen Texte, die sich nur bei Matthäus oder Lukas (oder Markus) finden.3 Aus dieser Fülle an möglichen Texten bietet es sich für die Vermittlung der Methodik des synoptischen Vergleichs an, einen Text zu wählen, bei dem eine markinische Parallele vorhanden ist und der sowohl von Matthäus als auch von Lukas übernommen worden ist.4 Beispiele gibt es dafür genug. Ein Blick in eine Synopse genügt, um solche zu finden. Nachdem die Lernenden schon durch den Einstieg für das Grundphänomen des synoptischen Vergleichs sensibilisiert sind – freilich ohne dass es sich um synoptische Texte gehandelt hätte –, kann die Leitung im Bedarfsfalle zunächst die Hintergrundtheorie des synoptischen Vergleichs auf der Basis von synoptischer Frage und Zwei-Quellen-Theorie sowie die Leistungsfähigkeit der Methode erläutern. In einem zweiten Schritt sollte die Praxis des Vergleichs anhand eines Beispiels eingeübt werden. Geeignet sind etwa die kurzen Perikopen Mk 2,13–17 par Mt 9,9– 13; Lk 5,27–32. Als Textgrundlage kann z. B. die Synopse zum Münchener Neuen Testament dienen (→ Materialanhänge). Nun ist Arbeit mit Farbstiften, Folie und ggf. Beamer gefragt. Unterschiedliche farbliche Markierungen der Texte helfen dabei, (1.) die wörtlichen Übereinstimmungen bei allen drei Texten gegenüber jenen wörtlichen Übereinstimmungen zu visualisieren, die sich (2.) nur zwischen 3 Allerdings lässt sich zumindest der Fall denken, dass ein Text, der sich nur bei Matthäus oder Lukas findet, dennoch in der Logienquelle stand und der jeweils andere Evangelist diesen ausgelassen hat. Solche Überlegungen und Problemstellungen gehören zu den Feinheiten der Q-Rekonstruktion. 4 Ein synoptischer Vergleich bei einer vorhandenen markinischen Parallele ist natürlich auch möglich, wenn nur einer der beiden Seitenreferenten den markinischen Text übernommen hat, der andere ihn hingegen auslässt (Beispiel: Matthäus übernimmt in Mt 14,22–33 die Geschichte von der Erscheinung Jesu auf dem Meer aus Mk 6,45–52, Lukas hingegen lässt die Geschichte aus).

Synoptischer Vergleich

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Matthäus und Markus, (3.) nur zwischen Lukas und Markus und (4.) nur zwischen Matthäus und Lukas (das wären dann minor agreements) finden. Was dann noch übrig bleibt, sind (5.) diejenigen Textteile, die sich nur bei Matthäus oder nur bei Markus oder nur bei Lukas finden lassen. Dabei ist es ratsam, sich auf eine einheitliche Farbsystematik (etwa blau für die wörtlichen Übereinstimmungen von Matthäus, Markus und Lukas usw.) festzulegen und die ersten Verse (Mk 2,13 f.; Mt 9,9; Lk 5,27 f.) gemeinsam zu kolorieren, das Textsegment also Stück für Stück durchzugehen. Auf diese Weise kann der Aspekt der wirklich wörtlichen Übereinstimmung nochmals eingeschärft werden, wobei sich zugleich zeigen kann, dass – je nach Qualität der Übersetzung – im deutschen Text Wörter als unterschiedlich oder gemeinsam erscheinen, die es angesichts der griechischen Textfassung gar nicht sind. In den ersten Versen des Beispiels ist das etwa an folgender Stelle der Fall: Mt 9,9

Mk 2,14

Lk 5,27

Und weitergehend Jesus von dort, sah er einen Menschen …

Und weitergehend

… und

sah er Levi …

sah einen Zöllner …

Hier ist man versucht, das Verbum „sah“ (kursiv) als dreifache Übereinstimmung zu werten und den unbestimmten Artikel „einen“ als minor agreement (fett). Dem ist aber nicht so. Im griechischen Text kommt überhaupt kein unbestimmter Artikel vor: Matthäus hat nur ἄνθρωπον (Mensch), Lukas hingegen τελώνην (Zöllner), so dass hier jeweils überhaupt keine Übereinstimmung vorliegt. Und auch das dreifach vorhandene „sah“ verdeckt eine kleine Varianz in der Wortwahl, die wiederum nur im griechischen Text zu entdecken ist. Matthäus übernimmt hier das markinische εἶδεν (sah); Lukas nutzt hingegen das Verbum ἐθεάσατο, das durchaus mit „sah“ übersetzt werden kann, wenngleich der Begriff etwas gewählter erscheint („erblickte“) und im neutestamentlichen Griechisch seltener als das bei Matthäus und Markus verwendete Verbum anzutreffen ist. Das ist dann ein guter Moment, um auf Wohl und Wehe von Bibelübersetzungen (→ Übersetzungsvergleich) hinzuweisen. Umgehen lassen sich diese Schwierigkeiten im Übrigen nur dann, wenn am griechischen Text gearbeitet wird oder die Leitung eine streng konkordante Eigenübersetzung vorbereitet. Im Anschluss kann in Einzelarbeit der gesamte Text weiter synoptisch durchgearbeitet und dabei koloriert werden. Erfahrungsgemäß benötigen gerade Anfänger hierfür mehr Zeit als man vermutet. Ist schließlich der Gesamttext von den Lernenden durchgearbeitet, beginnt die Auswertung des Vergleichs. Will man schnell überprüfen, ob die Lernenden den Text erfolgreich bearbeitet haben, bietet sich eine kurze Rückfrage nach eventuell vorhandenen minor agreements5 an: 5 Die ebenfalls vorhandenen negativen minor agreements – Matthäus und Lukas lassen z. B. beide den nachklappenden Versteil „denn sie waren viele, und sie folgten ihm“ (Mk 2,15) aus – können natürlich auch thematisiert werden.

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Markus Lau

es gibt deren drei im Text: (1.) Das Präsens „sagt“ in Mk 2,17 ändern ­Matthäus und Lukas jeweils in ein Vergangenheitstempus um („sagte / sprach“). Gewichtiger ist (2.) Mk 2,16: Hier ergänzen Matthäus und Lukas jeweils die Frage der Gegner Jesu um das Fragepronomen „weshalb“. Schließlich ändern Matthäus und Lukas (3.) die markinischen „Schriftgelehrten der Pharisäer“ (Mk 2,16) zwar im Letzten unterschiedlich ab, im Detail ergibt sich aber gleichwohl eine auffällige Parallele: Beide sprechen nämlich von „den Pharisäern“ im Nominativ Plural und erweitern damit in gleicher Weise die Gegnergruppe Jesu: Sind es bei Markus eben nur die „Schriftgelehrten der Pharisäer“, so bei Matthäus einfach „die Pharisäer“ bzw. bei Lukas „die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten“, die als Gegner fungieren. In einem ersten Schritt können nun knapp die Gemeinsamkeiten bei allen drei Evangelien in einem Plenumsgespräch festgehalten werden, wobei die Leitung etwa mittels PC und Beamer den Text entsprechend der Ergebnisse der Lernenden sukzessive kolorieren sollte. Leitfragen für das Gespräch können sein: Wo folgen Matthäus und Lukas dem markinischen Text? In welchen Textteilen sind die Übereinstimmungen besonders hoch? Im Beispiel ist das im Blick auf die Grundstruktur und Gattung der Geschichte der Fall: Jesus beruft einen Mann, der bei einer Zollstelle sitzt, sein Geld also als Zöllner verdient, in die Gruppe der Jesusnachfolgenden. Der Gerufene folgt umgehend nach. In einer zweiten Phase kommt es bei allen drei Evangelien zu einem Streitgespräch mit Juden, in dem um die Mahlpraxis mit Zöllnern und Sündern gerungen wird und das Jesus autoritativ mit einem Ausspruch (Apophthegma) beendet. Offensichtlich sind Matthäus und Lukas also nicht bereit, die von Markus vorgegebene Grundstruktur der Perikope zu ändern und zum Beispiel die Berufungsgeschichte und das anschließende Streitgespräch, die bei Markus nur sehr locker miteinander verbunden sind (in Mk  2,15 beginnt eigentlich eine neue Perikope →  Textabgrenzung), voneinander zu trennen. Ein auffällig hoher Grad an wörtlicher Übereinstimmung findet sich ferner im Blick auf die wörtlichen Reden Jesu: Sowohl der Nachfolgeruf aus Mk 2,14 wird wörtlich übernommen als auch das als Argument gedachte Schlusswort Jesu aus Mk 2,17. Dieses wird zwar signifikant erweitert, aber nicht gekürzt oder durch neues Wortmaterial substituiert (Letzteres mit einer Ausnahme: Lk 5,31 spricht gegen Mk 2,17 von „Gesunden“ und nicht von „Starken“). Es dürfte wohl die Hochachtung vor den Jesuslogien sein, die hier zu einer gewissen Zurückhaltung bei Matthäus und Lukas geführt hat, Jesusworte im großen Stil zu verdrängen. Nach diesem Blick auf die vorhandenen Gemeinsamkeiten aller drei Versionen sind jeweils die Unterschiede und die noch nicht thematisierten Gemeinsamkeiten von Matthäus und Markus, Matthäus und Lukas gegen Markus bzw. Lukas und Markus in einem nächsten Schritt im Plenum anzusprechen und von der Leitung für alle sichtbar qua Koloration des Textes festzuhalten. Ziel ist es, einen vollständig kolorierten Text zu erstellen. Im Anschluss kann man sich dann vor allem den Veränderungen zuwenden, die der markinische Text durch Matthäus bzw.

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Lukas erfahren hat.6 Gerade im Blick auf die Klassifikation von solchen Unterschieden sollte die Leitung zunächst einen allgemeinen Katalog mit möglichen Unterscheidungsarten vorstellen: Wie können Matthäus bzw. Lukas den markinischen Text abändern? Wie lassen sich Änderungen heuristisch beschreiben? Die wichtigsten Kategorien, die sich auch induktiv aus dem Eröffnungsbeispiel der Sitzung ableiten lassen, sind: –– Umstellung im Satzbau; –– Hinzufügung von neuem Wortmaterial; –– Auslassung von im Quelltext vorhandenem Wortmaterial; –– Ersatz von vorhandenem durch anderes Wortmaterial; –– Variation von bereits vorhandenem Wortmaterial (etwa Änderung der grammatischen Form). Nach kurzer Vorstellung dieser Kategorien kann die Lerngruppe in zwei Teilgruppen weiterarbeiten, wobei eine Gruppe sich die matthäischen Redaktion des markinischen Textes, die andere die lukanische Redaktion vornimmt. Alternativ beschränkt man sich für die weitere Auswertung auf einen der beiden synoptischen Seitenreferenten. Arbeitsauftrag ist in allen Fällen das Klassifizieren der vorhandenen Unterschiede. Wesentliche Aspekte der jeweiligen Redaktionen, die in der anschließenden Auswertung thematisiert werden sollten, seien an dieser Stelle kurz genannt. Die matthäische Redaktion des markinischen Textes: Den Beginn der Erzählung in Mk 2,13 streicht Matthäus radikal. Den Namen des Zöllners ersetzt Matthäus: Aus Levi wird Matthäus. Das nicht eindeutige Possessivpronomen „seinem“ aus Mk 2,15, das sich auf Jesus oder Levi beziehen kann, streicht Matthäus. Er setzt voraus, dass die Leserinnen und Leser seines Textes die Formulierung „im Haus“ vor dem Hintergrund des bereits Erzählten verstehen können. Die stilistisch unschön nachklappende Aussage „denn sie waren viele, und sie folgten ihm“ aus Mk 2,15 lässt Matthäus ebenfalls aus. Für ihn reicht das gegen Markus neu eingetragene Partizip „kommend“ aus, das sich auf die Zöllner und Sünder bezieht. Die ab Mt 9,11 auftretenden Gegner sind „Pharisäer“ und nicht „Schriftkundige der Pharisäer“ (Mk 2,16). Ebenfalls gestrichen wird die bei Markus zweifach vorhandene Aussage, dass Jesus mit Sündern und Zöllnern isst. Die kritische Anfrage der Pharisäer wird gegen Markus um ein Fragepronomen („weshalb“) erweitert und zusätzlich mit einem Titel für Jesus („euer Lehrer“) angereichert. Schließlich wird das abschließende Wort Jesu durch ein Schriftzitat aus Hos 6,6 erweitert, das sich Jesus damit zu eigen macht und durch die kausal oder final zu verstehende Konjunktion „denn“ (ebenfalls gegen Markus eingefügt) eng mit seiner Sendung zu den Sündern verbindet. Die lukanische Redaktion des markinischen Textes: Den Beginn der Erzählung in Mk 2,13 streicht Lukas weitgehend. Lukas fügt die klare Berufsbezeichnung „Zöllner“ in Lk 5,27 ein und verdeutlicht damit den aus dem Markusevangelium nur indirekt zu erschließenden Beruf 6 Bei dieser Aufgabenstellung kommen die vorhandenen minor agreements nicht mehr in den Blick. Aber natürlich können auch sie prinzipiell interpretiert und versuchsweise erklärt werden.

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Levis. Lukas fügt gegen Markus ein, dass Levi in Reaktion auf den Nachfolgeruf Jesu „alles verlässt“, wenngleich er im unmittelbaren Anschluss an die Berufung einen großen Empfang für Jesus in seinem Haus bereitet (alles gegen Markus eingefügt). Aus der Tischgesellschaft bei Levi streicht Lukas die bei Markus explizit erwähnten „Sünder“ und spricht stattdessen von „anderen, die mit ihnen waren“. Ebenfalls gestrichen wird die nachklappende Aussage „denn sie waren viele, und sie folgten ihm“ aus Mk 2,15. Zur Charakterisierung der kritisch fragenden Gegner fügt Lukas das Verb „murren“ ein. Gestrichen wird die bei Markus zweifach vorhandene Aussage, dass Jesus mit Sündern und Zöllnern isst. Die Frage der Pharisäer und Schriftgelehrten wird durch das gegen Markus eingefügte Fragepronomen „weshalb“ eröffnet. Gegen Markus verändert Lukas auch Inhalt und Adressaten der Frage: Angefragt ist nicht die Praxis Jesu, sondern die Praxis der Schüler Jesu („Weshalb esst und trinkt ihr …“) – und zwar im Blick auf Essen und (gegen Markus eingefügt) Trinken mit Zöllnern und Sündern (von „Sündern“ war vorher allerdings nicht die Rede). Die gleichwohl von Jesus gegebene Antwort auf diesen kritischen Anwurf variiert Lukas zweifach: Statt von „Starken“ spricht er dem semantischen Feld („Arzt“; → Linguistische Analyse) angepasster von „Gesunden“; die Berufung von Sündern wird explizit als ein Ruf zur Umkehr verstanden.

Hat man all diese Veränderungen, die der markinische Text durch die Seitenreferenten erfährt, erfasst und klassifiziert, ist in einem letzten Vergleichsschritt auch die jeweilige Perikope in ihrem Verhältnis zum Kontext zu analysieren. Was ist damit gemeint? Im Markusevangelium wird die Jesusgeschichte nach einem bestimmten, vom Erzähler gewählten Ablauf erzählt, reihen sich wie in einem Film Einzelszenen aneinander und ergeben einen planvollen, aber keineswegs nur in dieser Form möglichen Aufbau, so dass eine zusammenhängende und strukturierte Jesusgeschichte entsteht. Es ist nun keineswegs so, dass Matthäus und Lukas diesen Erzählfaden einfach kopieren würden. Sie sind vielmehr frei, einzelne Geschichten an anderer Stelle in ihre Jesuserzählungen einzubinden. Und dabei kann es durchaus einen Unterschied machen, wann im jeweiligen Lebensverlauf Jesu eine Szene platziert wird und damit ein Ereignis stattfindet. Deshalb ist beim synoptischen Vergleich auch darauf zu achten, an welcher Stelle Matthäus bzw. Lukas die markinische Szene in ihre Jesusgeschichten einarbeiten. Übernehmen sie den markinischen Erzählstrang oder positionieren sie die Perikope an anderer Stelle? Werden dadurch inhaltliche Veränderungen in der Perikope erklärbar (Kontextkonsequenz)? Fällt durch den potentiell neuen Kontext auf die Perikope hinsichtlich ihres inhaltlichen Akzents ein neues Licht (Letzteres ist dann schon eine Frage der → Redaktionskritik)? Nachdem die Leitung diesen Zusammenhang kurz erläutert hat, kann im Plenum mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses einer Synopse – das ist der schnellste Weg, um sich über die Perikopenabfolge in den jeweiligen Evangelien vergleichend zu orientieren – der Sachverhalt für Mk 2,13–17 geprüft werden. Dabei zeigt sich, dass sowohl Lukas als auch Matthäus die Perikope im schon von Markus gebotenen erzählerischen Mikrokontext bieten. Wie bei Markus geht auch bei Matthäus und Lukas die Heilung eines Gelähmten (Mk 2,1–12 par Mt 9,1–8; Lk 5,17–26) der

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Berufung des Levi bzw. Matthäus voraus. Auch die von Markus im Anschluss an die Berufung erzählte Fastenfrage (Mk 2,18–22) bieten Matthäus und Lukas jeweils nach der Perikope (Mt 9,14–17; Lk 5,33–39). Übernehmen Matthäus und Lukas also den markinischen Mikrokontext der Perikope, so steht sie bei beiden Evangelisten makrostrukturell an einem anderen Ort als im Markusevangelium. Die Berufung des Matthäus erfolgt bei Matthäus wesentlich später im Lebensverlauf Jesu als bei Markus. Nimmt man die Berufung der ersten Schüler als Ausgangspunkt (eine Marke, die sich wegen der gleichen Thematik durchaus anbietet), so erfolgt die Berufung des Levi bei Markus nur wenige erzählte Heilungsgeschichten und Ereignisse später, die im Übrigen alle im Umfeld von Kafarnaum spielen. Im Matthäusevangelium hingegen begegnen sich Matthäus und Jesus erst, nachdem Jesus viele Wunder gewirkt und seine programmatische Bergpredigt gehalten hat. Die Gruppe um Jesus scheint also etwas langsamer zu wachsen. Wieder anders bei Lukas: Hier wächst die Jesusgruppe schneller als bei Markus. Dieser Leseeindruck beruht fraglos auf der im Vergleich zum Markusevangelium viel später erfolgten Berufung der ersten Schüler, die Lukas erst in 5,1–11 bietet, also fast unmittelbar vor der Leviberufung. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Abschließend kann im Plenum im Sinne eines thetischen Ausblicks versucht werden, die möglichen Intentionen, die hinter den jeweiligen Redaktionsprozessen stehen, zu ergründen. Anders gesagt: Warum ändern Matthäus und Lukas den markinischen Text überhaupt ab bzw. positionieren ihn neu im Rahmen ihrer Jesusgeschichten? Und warum lassen sie bestimmte Textelemente aus ihrer Vorlage bestehen? Welche Ziele verfolgen sie dabei? Solche Ziele können im Blick auf redaktionelle Änderungen einerseits ganz und gar stilistischer Natur sein und ein eher ästhetisches Interesse im Sinne einer Verbesserung des Textes verfolgen. Dazu gehören im Beispiel etwa die Auslassung des stilistisch nachklappenden Versteils „denn sie waren viele, und sie folgten ihm“ (Mk 2,15) durch Matthäus und Lukas. Eleganter wirkt auch die lukanische Vorstellung des Zöllners „mit Namen Levi“. Auch die als störend empfundene Wiederholung der Sachaussage, dass Jesus mit Zöllnern und Sündern isst (Mk 2,16), glätten Matthäus und Lukas, indem sie diese Information nur einmalig bieten. Handlungsleitend für die Redaktion von Matthäus und Lukas kann auch das Interesse sein, vermeintliche oder tatsächliche Widersprüche und Ungereimtheiten, die der jeweilige Quelltext enthält, aufzulösen. In dieser Linie kann etwa die lukanische Aussage, dass Jesus im Haus des Levi zu Gast ist, verstanden werden, hatte doch der markinische Text den Hausbesitzer und damit Gastgeber durch das Possessiv­ pronomen „seinem“ im Unklaren belassen. Auch die nahezu vollständige Streichung von Mk 2,13 durch die beiden Seitenreferenten kann als Eliminierung einer Ungereimtheit verstanden werden: Im Prinzip stellt Mk 2,13 nämlich eine eigene Kleinstperikope dar, die für die Berufung des Levi keine erkennbare Relevanz

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entfaltet und eigentümlich offen bleibt, insofern die Leserinnen und Leser sich unwillkürlich fragen, was Jesus eigentlich der ganzen Volksmenge als Lehre sagt, wie die Volksmenge auf diese Lehre reagiert und ob sie sich ebenfalls mit auf den Weg zu Levi macht. In der jetzigen Form wirkt Mk 2,13 recht unverbunden und scheinbar funktionslos. Matthäus und Lukas wussten augenscheinlich jedenfalls nicht, was sie mit diesem Vers anfangen sollten. Schließlich können auch handfeste theologische, soziale, kirchenpolitische oder andere Sachinteressen redaktionelle Prozesse steuern. Diesen Interessen kommt man allerdings nur in Ansätzen durch die Analyse eines Einzeltextes auf die Spur. Hier ist vielmehr die intensive synoptische Lektüre von ­Matthäus oder Lukas im Verhältnis zu Markus und Q gefragt, um solche handlungsleitenden Interessen fundiert rekonstruieren zu können (→ Redaktionskritik). Als Ausgangspunkt kann freilich auch das Beispiel dieses Bausteins dienen. Es ist ja doch auffällig, dass etwa Matthäus ein Jesuslogion durch ein größeres Schriftzitat erweitert. Will er damit Jesus als Schriftgelehrten darstellen, der prophetische Forderungen mit seinem eigenen Auftreten verknüpft und das Essen mit Sündern und Zöllnern als Erfüllung der prophetischen Mahnung, „Erbarmen statt Opfer“, versteht? Ebenso erklärungsbedürftig ist der neue Name für den berufenen Zöllner: Aus Levi wird Matthäus, der mit der Berufsbezeichnung „der Zöllner“ versehen (Mt 10,3) Teil des Zwölferkreises wird – eine Ehre, die dem markinischen und lukanischen Levi nicht zu Teil wird (auch Markus und Lukas bieten einen Matthäus als Teil des Zwölferkreises, allerdings ohne den Zusatz „der Zöllner“). Warum nimmt der Erzähler diese Änderung vor? Will er zeigen, dass auch spätberufene Schüler eine Chance auf Mitgliedschaft im Zwölferkreis haben – und zwar auch dann, wenn sie einer mindestens „unschicklichen“ Tätigkeit nachgehen? Oder möchte er eine spezielle Berufungsgeschichte für eben dieses, ihm schon vorgegebene Mitglied des Zwölferkreises erzählen?7 Schließlich wundert man sich, dass Matthäus die Pharisäer von Jesus als „euer Lehrer“ sprechen lässt. Ist das boshafte Ironie oder ein Hinweis auf die Rolle Jesu als Schriftgelehrter? Und auch Lukas scheint Interessen zu verfolgen, die über das stilistische Verbessern oder Glätten von Ungereimtheiten hinausgehen: Wieso sollte er sonst so betonen, dass Levi „alles verlässt“ – und dies gerade auch vor dem Hintergrund, dass Levi, unmittelbar nachdem er „alles verlassen“ hat, in sein eigenes Haus gehen und Gäste bewirten kann? Ist das eine Reminiszenz an das berühmte Abschieds7 Man sollte in diesem Kontext nicht dem Fehlschluss erliegen, die Umbenennung linear mit dem Namen der Erzählinstanz („Evangelium nach Matthäus“) in Verbindung zu bringen. Die Betitelung der neutestamentlichen Evangelien mit Überschriften und den uns heute geläufigen Autorennamen erfolgt mit hoher Wahrscheinlichkeit nämlich erst sekundär (evtl. im 2. Jh. n. Chr.) nach der Erstellung des Evangelientextes. Das Matthäusevangelium ist historisch betrachtet von einem heute namentlich unbekannten Verfasser geschrieben worden (vgl. Petersen, Evangelienüberschriften). Und das bedeutet für unseren Kontext: Der Erzähler ändert nicht den Namen Levi in Matthäus, um sich selbst in die Jesusgeschichte einzuschreiben (weil er Matthäus heißt), sondern umgekehrt: Der Name Matthäus für den Verfasser des Textes wird sekundär wohl eher gewählt, weil ein Matthäus – aus welchen Gründen auch immer – eine im Vergleich zum Markusevangelium auffällige Rolle innerhalb dieses Evangelientextes spielt (vgl. auch Luz, Matthäus I 104 f.).

Synoptischer Vergleich

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mahl des Elischa, das er nach seiner Prophetenberufung vollzieht (1 Kön 19)? Oder geht es um die Öffnung eines Privathauses für eine bunt gemischte Gruppe, die mit Jesus Mahl halten will, sozusagen eine Art erstes Gemeindehaus?8 Als planvoll erscheint zudem die Einfügung der Umkehrthematik am Ende der Perikope, die umso mehr ins Auge fällt, als Lukas die Bezeichnung „Sünder“ als Erzählerkommentar (so bei Markus) streicht und diese „Qualifizierung“ erstmals im Mund der Gegner Jesu, also in der Figurenrede, auftauchen lässt. Geht es Lukas also auch um eine dezente „Disqualifizierung“ der auftretenden Gegner Jesu, die Menschen nur als Sünder sehen und diese gleichsam verloren geben, wohingegen Jesus sich gerade auf diese Menschen verwiesen weiß und für sie über das Stichwort „Umkehr“ neue Perspektiven eröffnet? Schließlich möchte man auch ergründen, warum in der lukanischen Version das Verhalten der Schüler und nicht das Verhalten Jesu kritisch angefragt wird. Im Kontext solcher Fragen, die schnell in die erzählerischen Tiefen zweier Grundschriften des Christentums führen können, zeigt sich dann nochmals schön die Relevanz der Methode des synoptischen Vergleichs. Deshalb sollte man diesen interpretatorischen Fragen Raum geben, auch wenn eine reflektierte Thesenbildung weitere synoptische Vergleiche und redaktionskritische Überlegungen erfordert. Unter Umständen kann es im Sinne eines „Cliffhangers“ sinnvoll sein, die angerissenen Fragen in einem „Themenspeicher“ in Frageform gebündelt zu sammeln, um im Rahmen der → Redaktionskritik auf sie zurückgreifen zu können. Literatur zur Textstelle M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 366–383. G. Hotze, Jesus als Gast. Studien zu einem christologischen Leitmotiv im Lukasevangelium (fzb 111), Würzburg 2007, 35–47. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 1: Mt 1–7 (EKK I/1), Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 52002. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 2: Mt 8–17 (EKK I/2), Zürich / NeukirchenVluyn 1990. S. Petersen, Die Evangelienüberschriften und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons, in: ZNW 97 (2006) 250–274. V. Petracca, Gott oder das Geld. Die Besitzethik des Lukas (TANZ 39), Tübingen 2003, 98–101. M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 225–233.

8 Vgl. zu redaktionskritischen Überlegungen im Blick auf Lk 5,27–32 Ebner / Heininger, Exegese 366–383.

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Ertrag zur Methode Das Beispiel hat gezeigt, dass Matthäus und Lukas kreativ und frei mit ihren jeweiligen Quelltexten umgehen, dass sie sich ihren Traditionen zwar verpflichtet fühlen, aber sich doch die Freiheit nehmen, diese für ihr Lesepublikum und gemäß der jeweils eigenen theologischen Interessen abzuändern – mal mit der feinen literarischen Feder, die nur kleinste Details ändert, mal mit dem großen Pinsel, der sich nicht scheut, ganze Verse aus den Quelltexten zu tilgen. All das kann durch den präzisen Textvergleich entdeckt werden. Wer genau hinschaut, der kann tiefer sehen und mehr entdecken, der kann spannenden theologischen Prozessen im Kontext der Entstehung der Evangelien des Matthäus und des Lukas auf die Spur kommen, der kann die ganze Bandbreite und Pluralität kanonisierten urchristlichen Erzählens wahrnehmen – eine Mühe, die sich lohnt. Weitere Ideen Die Versuchung Jesu: Q und Markus in Kombination Für Lernende, die fortgeschritten und der griechischen Sprache mächtig sind, kann im Sinne einer herausfordernden Vertiefung der Methodik des synoptischen Vergleichs eine weitere Perikope bearbeitet werden. In diesem Fall bietet sich ein von Matthäus und Lukas verarbeiteter Q-Stoff an. Als Beispiel kann die Versuchungsgeschichte in Mt 4,1–11 und Lk 4,1–13 dienen, die in ihrem Rahmen zusätzlich noch markinischen Erzählstoff (Mk 1,12 f.) enthält. Für den Vergleich ist es notwendig, auf eine der Q-Rekonstruktionen zurückzugreifen. Dabei tritt dann die Schwierigkeit auf, dass die deutschen Übersetzungen des rekonstruierten Q-Textes in der Regel nicht übersetzungskonkordant zu den Übersetzungen des matthäischen und lukanischen Textes sind. Spätestens hier wird es dann nötig, die griechischen Texte zu verwenden und sich das Material selbst synoptisch aufzubereiten. Bildvergleiche Der Einstieg in die Thematik kann auch durch einen Bildvergleich erfolgen. Konkret lassen sich etwa zwei Bilder mit prinzipiell recht ähnlicher Thematik (etwa Personendarstellungen von im Neuen Testament zu findenden Erzählfiguren) aus ungefähr der gleichen Zeit vergleichen, die sich in manchen Punkten ähneln, in anderen unterscheiden. Nach dem „10-Fehler-Suchbild-Prinzip“ lassen sich zuerst die Unterschiede zusammentragen, dann die Gemeinsamkeiten. Im Anschluss sollten potentielle Abhängigkeitsverhältnisse thematisiert werden: Ist Bild B unter dem Einfluss von Bild A entstanden? Oder ist A von B abhängig? Oder hängen beide vom noch unbekannten Bild C ab? Damit wäre man dann schon mitten drin in der Thematik des synoptischen Vergleichs und im Geschäft des Vergleichens von Texten auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden.

Literarkritik Nils Neumann

Hinführung zur Methode „Nanu, was ist hier denn los?“ Diese Frage stellt sich spitzfindigen Lesenden der Bibel an vielen Stellen. Denn wenn man sie aufmerksam studiert, offenbaren viele biblische Texte Eigenarten, die sich dagegen sträuben, sich mit den Mitteln herkömmlicher Logik erfassen zu lassen. Und damit sind hier gerade nicht jene Textdetails gemeint, die heutigen, naturwissenschaftlich geprägten Plausibilitäten zu widersprechen scheinen, wie etwa in den biblischen Wundererzählungen, sondern sprachliche Ungereimtheiten oder Eigenarten des Ausdrucks, die eine Nachvollziehbarkeit des Texts auf der sprachlich-logischen Ebene erschweren. In der Erzählung von der Sintflut beispielsweise erhält Noah von Gott zunächst den Auftrag, von jeder Tierart je ein Pärchen mit sich in die Arche zu nehmen (Gen  6,19 f.). Wenig später aber formuliert Gott seinen Auftrag noch einmal abweichend: Nur von den unreinen Tierarten solle Noah je ein Paar mitnehmen, von den reinen Tierarten hingegen sieben Paare (Gen 7,2). Wiederum wenig später beschreibt der Text die Durchführung dieses Unterfangens: Noah bringt die Tiere in die Arche, und zwar von jeder Tierart – reinen wie unreinen Tieren – jeweils ein Pärchen (Gen 7,8 f.). – „Was denn nun?“, möchte man dem Erzähler zurufen. Hat Noah Gottes Auftrag nun vollständig befolgt oder doch nicht so ganz? Wieviele Paare von den reinen Tierarten dürfen letztendlich auf der Arche mitfahren? Mit ihrem Wunsch nach einer eindeutigen logischen Auflösung des Problems bleibt die Leserschaft der Sintflutgeschichte buchstäblich im Regen stehen. Ähnliches geschieht auch in anderen Zusammenhängen: Im 2. Korintherbrief wechselt Paulus seinen Tonfall zwischen den Kapiteln 9 und 10 sehr abrupt. Hat er sich innerhalb der ersten neun Kapitel noch sehr niedergeschlagen und teilweise kratzbürstig zu Wort gemeldet, schlägt der Verfasser ab dem 10. Kapitel plötzlich versöhnliche Töne an. Wie passt das zusammen? Oder werfen wir einen Blick in das Johannesevangelium: Dort beginnt eine bekannte Szene mit den Worten: „Danach fuhr Jesus über den Galiläischen See von Tiberias hinfort“ (Joh 6,1). Wenn Jesus

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dazu in der Lage ist, über den See von Galiläa zu fahren, sollte man annehmen, dass er sich auch in der betreffenden Region aufhält. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zumindest spielt die vorausgehende Szene des Johannesevangeliums in Jerusalem, wo sich Jesus im Tempel eine verbale Auseinandersetzung mit den anwesenden Judäern liefert (Joh 5,1.14.16). Wer jedoch in Judäa diskutiert, kann schlecht in Galiläa auf dem Wasser unterwegs sein. Genau mit dieser Art von logischen Problemen befasst sich die Literarkritik. Ihrem Namen entsprechend geht es ihr darum, die literarische Beschaffenheit biblischer Texte kritisch zu beurteilen. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf logischen Brüchen bzw. Spannungen oder auf Doppelungen.1 In solchen Ungereimtheiten, Inkohärenzen, erkennt die Literarkritik einen Hinweis auf literarische Wachstumsprozesse. Durch genaues Beobachten am Wortlaut des Texts zielt dieser Ansatz darauf ab, begründete Annahmen über Entstehungsprozesse der biblischen Schriften aufzustellen. Die Erfahrungen in Lehrveranstaltungen mit Studienanfängerinnen und -anfängern zeigen häufig, dass die Studierenden dazu neigen, biblische Aussagen unkritisch hinzunehmen. Möglicherweise liegt die Ursache dafür in einem Gewöhnungsprozess, der aus dem hohen Bekanntheitsgrad vieler biblischer Episoden resultiert. Wer schon mit einem Arche-Noah-Mobile über dem Wickeltisch in das Leben gestartet ist und die Sintflut-Geschichte bereits im Kindergottesdienst erzählt bekommen hat, „weiß“ selbstverständlich, dass Noah von jeder Tierart genau ein Paar in die Arche gebracht hat. Die konträre Anweisung Gottes in Gen 7,2 kann vor diesem Hintergrund leicht überlesen werden. Möglicherweise ist hier auch ein psychologischer Prozess am Werk, der dazu führt, dass inkohärente Elemente bei der Lektüre zugunsten der allgemeinen Kohärenz ausgeblendet werden.2 In jedem Falle müssen die Studierenden im biblischen Methodenseminar jedoch gezielt dazu angewiesen werden, Inkohärenz zu würdigen, anstatt sie vorschnell zu übergehen. Ein spitzfindiger Blick auf die Texte ist erforderlich.

Die Literarkritik erklärt sich die inkohärenten Eigenarten des Textes durch die Annahme von (i. d. R. literarischen) Vorformen. Der vorliegende biblische Wortlaut basiert auf einer oder auf mehreren schriftlichen Vorstufen. Diese älteren Texte sind dann verändert, kombiniert oder gezielt überarbeitet worden (→ Redaktionskritik), und aufgrund solcher Bearbeitungsprozesse haben sich die beobachteten Ungereimtheiten in die uns bekannte Gestalt der Texte eingeschlichen. Durch präzise Beobachtung der Unstimmigkeiten sieht sich die Literarkritik dazu in der Lage, den Entstehungsprozess der Texte und teilweise sogar die ihnen zugrunde liegenden literarischen Vorformen zu rekonstruieren. Sie trennt mit scharfem Denkvermögen das voneinander, was ursprünglich nicht zusammengehört hat.3 Das Ziel 1 Sehr differenziert dazu Schweizer, Literarkritik 30 f. 2 So auch Schweizer, Literarkritik 32. 3 Die Literarkritk knüpft an Siegmund Jacob Baumgartens Forderung einer „Zergliederung“ des Texts an (vgl. dazu Merk, Literarkritik 223).

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der Methode besteht darin, die Entstehung der Texte zu erklären und damit die ihnen innewohnenden logischen Schwierigkeiten auszuräumen. So mangelt es der Forschungsgeschichte ab dem späten 19. / frühen 20. Jahrhundert nicht an Ideen zur Lösung der oben skizzierten Probleme. Die literarkritischen Bemühungen verdanken sich in dieser Epoche dem starken Wunsch der Theologie, zu den Ursprüngen der biblischen Überlieferungen und des Christentums vorzudringen und die theologischen Aussagen mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft abzusichern. Mit scharfem Blick werden die älteren im Bibeltext aufgenommenen Quellen von späteren Übermalungen befreit.4 Gemeinsam mit anderen Fachleuten seiner Zeit geht etwa Julius Wellhausen davon aus, dass dem Pentateuch mehrere ursprünglich eigenständige Quellenschriften zugrundeliegen, die dann sekundär miteinander verbunden wurden. Zwei dieser Quellenschriften beinhalteten je eine Sintfluterzählung, welche in der vorliegenden Gestalt der Genesis ineinander gewoben worden sind. Die Inkohärenz hinsichtlich der Anzahl von Pärchen reiner Tierarten erklärt sich aus unterschiedlichen Aussagen in den beiden Quellen. Zum Wechsel im Tonfall des 2. Korintherbriefs vertritt Adolf Hausrath die Auffassung, dass hier zwei einstmals eigenständige Briefe des Paulus zusammengefügt worden sind. Bei dem versöhnlich klingenden Teil (2 Kor 10–13) handle es sich um den Brief, von dem Paulus selbst sagt, er habe ihn zuvor „mit vielen Tränen“ (2 Kor 2,4) geschrieben. Das, was in der vorliegenden Textgestalt wie ein einziger Brief wirkt, sind nach Hausrath also ursprünglich zwei Briefe: Ein älterer „Tränenbrief “ (2 Kor 10–13) und ein weiterer Korintherbrief (2 Kor 1–9), der nach dem Tränenbrief entstanden ist. Eine prominente Erklärung für die Inkohärenzen der Reiseroute Jesu im Johannesevangelium bietet Rudolf Bultmann in seinem Kommentar. Seiner Ansicht nach ist die Reihenfolge der Kapitel durcheinander geraten. Der Evangelist Johannes habe den Stoff ursprünglich in der Kapitelreihenfolge 4–6–5–7 angeordnet: Jesus befindet sich demnach – literarisch spannungsfrei – zunächst in Galiläa und später in Judäa. Doch durch widrige Umstände, die sich nicht mehr genau ergründen lassen, seien die Inhalte des johanneischen Manuskripts auseinandergerissen worden. Ein späterer Redaktor habe dann versucht, alles wieder zusammenzusetzen, was ihm aber mehr schlecht als recht gelungen sei. Wie Wellhausen und Hausrath löst damit auch Bultmann den problematischen Befund literarischer Inkohärenz, indem er hypothetisch von einer kohärenten Vorform des biblischen Texts ausgeht.

4 Vgl. P.-G. Klumbies, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015, 51 f.

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Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung In der Auseinandersetzung mit der literarkritischen Arbeitsweise an den biblischen Texten erwerben die Studierenden eine Reihe von Kompetenzen. Der didaktischen Einheit zu dieser Methode geht es vor allem darum: –– die Aufmerksamkeit der Studierenden für eine präzise Beschreibung der sprachlichen und sachlogischen Struktur biblischer Texte zu wecken. –– Die Studierenden lernen, Inkohärenzen (Doppelungen, Spannungen, Brüche) zu erkennen und zu benennen. –– Sie erwerben sich mit der Kenntnis der Methode eine Würdigung des ihr innewohnenden Grundanliegens und gelangen zu einer kritischen Bewertung der betreffenden Forschungsergebnisse. –– Dadurch schulen sie ihr diachrones Denken: Konkret lernen sie, Thesen über mögliche Vorformen des Bibeltexts aufzustellen und argumentativ zu begründen. Literatur zur Methode Klassiker R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen 211986. A. Hausrath, Der Vier-Capitel-Brief des Paulus an die Korinther, Heidelberg 1870. W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. Entwurf einer alttestamentlichen Literatur­ theorie und Methodologie, Göttingen 1971. J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels [61927], Berlin 2001.

Einführungen L. Schmidt / O. Merk, Art. Literarkritik, in: TRE 21 (1991) 211–233. H. Schweizer, Literarkritik, in: ThQ 168 (1988) 23–43.

Baustein AT: „Schöpfung im Doppelpack“ (Gen 1 f.) In Erich Kästners Roman „Das doppelte Lottchen“ begegnen sich die beiden Zwillinge erstmals im Ferienlager, nachdem sie an unterschiedlichen Orten bei je einem Elternteil aufgewachsen sind. So stellt sich heraus, dass die beiden Mädchen zusammengehören, obwohl sie bislang getrennt voneinander gelebt haben. Mit den Schöpfungserzählungen der Genesis (Gen 1 f.) verhält es sich nun genau anders herum: Dort bekommen es die Lesenden mit zwei Erzählungen von der Erschaffung der Welt zu tun, die man auf den ersten Blick vielleicht für Zwillinge halten möchte, welche man nur schwer auseinander halten kann. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die vermeintlichen Zwillinge von unterschiedlichen Eltern stam-

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men. Diese Einsicht sollen die Lernenden sich im Folgenden erarbeiten. Da sich mit den Präsentationen Gottes, wie sie den Quellen von Gen 1 f. zugrunde liegen, unterschiedliche theologische Konzeptionen verbinden (s. u.), könnte man hier auch mit einem Augenzwinkern von der Schöpfung durch „das doppelte Gottchen“ sprechen. Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Wünschenswert ist, dass die Lernenden bereits vor dem Beginn der Einheit eine Orientierung über den Aufbau des Texts besitzen (→ Textabgrenzung und Kontext­ einordnung; → Linguistische Analyse; → Gliederungs- und Kompositionsanalyse). Ist dies nicht der Fall, sollte die Arbeit am Textabschnitt unbedingt mit solchen Beobachtungen zu seiner sprachlichen und sachlogischen Struktur einsetzen. Einstieg In der Fußgänger-Unterführung beim Uni-Campus haben sich junge Menschen mit der Sprühdose verkünstelt und der tristen Innenstadt-Architektur auf diese Weise einen auffälligen Farbtupfer verliehen. Die Seminarsitzung setzt mit einer „Bildbetrachtung“ dieser den Studierenden vertrauten Graffiti-Wand ein,5 indem ein Foto an die Wand des Seminarraums projiziert wird. Was auf den ersten Blick schön bunt und dadurch harmonisch wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als durchaus disparat: In verschiedenen Teilen des Bildes herrschen unterschiedliche Farben vor. Die gemalten Motive tragen unterscheidbare Handschriften. Grobe und filigrane Linienführung, runde und eckige Buchstaben wechseln einander ab. Durch solche Beobachtungen am Aussehen der bemalten Wand wird im Verlauf des Gesprächs immer deutlicher: An der Gestaltung dieser Mauer waren mehrere KünstlerInnen beteiligt. In Kleingruppen können die Studierenden nun die disparaten Teile des Gesamtbildes voneinander trennen. Sie erhalten je ein Blatt Papier mit dem ausgedruckten Foto der Graffiti-Wand und schneiden mit einer Schere die Elemente auseinander, die sich aufgrund unterschiedlicher Profile voneinander unterscheiden. Ggf. kleben sie die so erhaltenen Einheiten dann auf getrennte Blätter auf. Anhand der Vollständigkeit oder Versehrtheit der auseinander geschnittenen Einheiten können sie beurteilen, ob die jeweiligen Teile früher oder später auf der Wand hinzugefügt worden sind, ob es sich bei ihnen also um Elemente einer „Grundschicht“ oder eher um Elemente der „Übermalung“ handelt. Außerdem lassen sich nun umso besser 5 Die künstlerische Gestaltung der Wände in der Unterführung am Kasseler Uni-Campus befindet sich im fortwährenden Wandel. Immer wieder kommen neue Bilder und Schriftzüge hinzu, während alte Motive dadurch übermalt werden. So bietet sich hier immer wieder neues Anschauungsmaterial zur Diskussion an. Ich nehme an, dass sich auch in der Nähe anderer Universitäten ähnliche Graffiti-Wände finden dürften. Wo dies nicht der Fall ist, erweist sich das Internet unter dem Suchbegriff „graffiti wall“ als wahre Fundgrube.

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die unterschiedlichen Charakteristika der einzelnen Teile benennen: Jede und jeder der beteiligten SprüherInnen weist sich durch eine individuelle Handschrift aus. Spielerisch haben die Studierenden damit das voneinander abgelöst, was mutmaßlich von unterschiedlichen Urhebern stammt. Dies ist der Ansatz der Literarkritik, der im Folgenden auf einen biblischen Text angewandt werden kann. Um sich für die Arbeit am Bibeltext einen transparenten Leitfaden zu verschaffen, kann die Seminargruppe am Ende der Einstiegsphase anhand des Graffiti-Beispiels Kritierien für literarkritische Operationen (s. o.) benennen. Erarbeitung / Vertiefung Die Lerngruppe wird in einzelne Teams eingeteilt, die sich mit dem Textabschnitt der Genesis befassen sollen, welcher von der Erschaffung der Welt erzählt (Gen 1 f.). Auf der Basis der bereits erarbeiteten Kriterien für literarkritische Entscheidungen können die Teams entweder ganz frei Beobachtungen am Bibeltext sammeln. Oder – für den Fall, dass eine stärkere Strukturierung der Arbeitsphase gewünscht ist – die Seminarleitung gibt den einzelnen Teams einen konkreten Fokus für die Arbeit am Text mit auf den Weg. Hilfreiche Leitfragen wären dabei etwa: „Auf welche Weise handelt Gott als Schöpfer?“ oder „In welcher Reihenfolge erschafft Gott die einzelnen Teile der Schöpfung?“ Wer dies nicht zu simpel findet, kann auch schlicht fragen: „Mit welchen Bezeichnungen für Gott arbeitet der Text?“ Die relevanten Aussagen aus Gen 1 f. sollen die Studierenden durch farbige Unterstreichungen im Text sichtbar machen. Differierende Aspekte im Hinblick auf die genannten Leitfragen können dabei durch unterschiedliche Farbgebung der Unterstreichungen hervorgehoben werden. Ob sie nun mit oder ohne Leitfragen arbeiten – ganz sicher werden die spitzfindigen Studierenden in ihren Teams zu der Einsicht gelangen, dass der Gesamttext Gen 1 f. aus zwei Teilen besteht, die sich durch mancherlei Unterschiede voneinander abheben. Der Bruch läuft mitten durch den Vers Gen 2,4 hindurch. Die auffälligsten dieser Unterschiede sind: –– In Gen 1,1–2,4a wird die Gottesbezeichnung „Gott“ (hebr. elohim) verwendet; hingegen herrscht in Gen 2,4b–24 die Gottesbezeichnung „Gott der Herr“ (hebr. JHWH elohim) vor. –– In Gen 1,1–2,4a erschafft Gott die Dinge schwerpunktmäßig, indem er spricht: Wendungen wie Gott „sprach“ (’mr) oder Gott „benannte“ (qr’) begegnen in diesem Abschnitt sehr häufig. Vereinzelt stellt der Text Gottes Schöpferhandeln aber auch so dar, dass Gott etwas „machte“ (’sh: V. 7.16.25; vgl. auch V. 26) oder „schuf “ (br’: V. 21.27).6 Dagegen wirkt die Vorgehensweise Gottes im Abschnitt Gen 2,4b–24 viel handwerklicher: Gott der Herr „bildete“ (yzr) den Menschen (V. 7) und die Tiere (V. 19) aus Lehm. Er „pflanzte“ (nt’: V. 8) einen Garten. Er „baute“ (bnh: V. 22) die Frau. 6 Vgl. Westermann, Genesis 113.

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–– In Gen 1,1–2,4 läuft die Schöpfung auf die Erschaffung des Menschen (1,27) und schließlich auf den Ruhetag Gottes (2,2) zu. Gott erschafft das Licht, die Himmelsfeste, Pflanzen, Himmelskörper und Tiere in einer klimaktischen Reihe, die auf das Ziel hinführt. Dagegen thematisiert Gen 2,4b–24 die Formung des Menschen am Anfang (2,7) und am Ende (2,22) des Textabschnitts. Die Pflanzung des Paradiesgartens (V. 8) und die Erschaffung der Tiere (V. 19) spiegeln Gottes Bemühen, dem Menschen gute Rahmenbedingungen für seine Existenz bereitzustellen und ihn zu vervollständigen, was allerdings erst mit der Formung der Frau gelingt. Insgesamt nötigt der Befund geradezu zur Hypothese, dass in Gen 1 f. nicht eine, sondern zwei Schöpfungs-Erzählungen vorliegen. Die benannten sprachlichen und inhaltlichen Differenzen zwischen Gen 1,1–2,4a und Gen 2,4b–24 sprechen dafür, dass zwischen 2,4a und 2,4b eine Zäsur verläuft. Ist diese erst einmal erkannt, dann offenbart sich auch, dass der Gesamtabschnitt Gen 1 f. von einer umfassenden Doppelung geprägt ist: Erde und Himmel,7 Pflanzen, Tiere und Mensch werden zweimal durch Gott erschaffen. Es ist aus diesem Grund angebracht, die beiden Teile des Gesamtabschnitts als je eigenständige Schöpfungs-Erzählungen zu würdigen. Dies soll im biblischen Methodenseminar mit einer weiteren Arbeitsphase geschehen. Hierfür bietet sich die Arbeitsform des Plenumsgesprächs an, da diese eine intensive Begleitung durch die Seminarleitung ermöglicht und innerhalb von kurzer Zeit auf die entscheidenden Einsichten hinführen kann. Gemeinsam benennt die Seminargruppe auf der Grundlage der bereits erfolgten Arbeit am Text die je eigenen Profile der beiden Schöpfungs-Erzählungen aus Gen 1 f. Eine zeitintensivere Alternative besteht darin, die Gesamtgruppe in zwei Hälften je einen der Abschnitte nochmals bearbeiten zu lassen. Anschließend können die Ergebnisse im Plenum vorgestellt werden. Dabei zeigt sich: –– Gen 1,1–2,4a legt der Schöpfung ein Sieben-Tage-Schema zugrunde. Die Darstellung der einzelnen Schöpfungstage folgt dabei einem wiederkehrenden Muster,8 das jedoch leichte Variationen erlaubt: „Und Gott sprach“ – „Es werde …“ – „Und es geschah“ – „Und Gott sah, dass es gut war“ – „Und es wurde Abend und Morgen“. Zum besonderen Interesse dieser Quellenschicht gehört es, dass Gott hier mehrfach die geschaffenen Lebewesen segnet (1,22.28) und dass die Darstellung auf die Etablierung der Sabbatruhe hinausläuft (2,2 f.).9 Da beides – Segen und Sabbatruhe – seinen Ort in den kultischen Vollzügen des Gottesvolks hat, wird an diesen Punkten das priesterliche Profil der Quellenschicht sichtbar. –– Gegenüber dem linear-klimaktischen Aufbau der priesterlichen Schöpfungserzählung weist Gen 2,4b–24 eher die Gesamtstruktur einer inclusio auf. Die 7 Auffällig ist, dass die priesterliche Quelle die Erschaffung von „Himmel und Erde“ (Gen 1,1; 2,1) beschreibt, während die nicht-priesterliche anders herum von der Schöpfung von „Erde und Himmel“ (2,4b) erzählt. Vgl. dazu Speiser, Genesis 18. 8 Vgl. Westermann, Genesis 117. 9 Vgl. Gunkel, Genesis 118.

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Schöpfung des Menschen (V. 7) wird erst durch die Erschaffung der Frau (V. 22 mit 23 f.) vollendet.10 Im Zwischenteil bereitet Gott den Garten Eden für den Menschen vor (V. 8), wo sich der Baum der Erkenntnis befindet, von dem der Mensch nicht essen darf (V. 17). Über dieses Motiv verknüpft der Text die Schöpfung eng mit der sich anschließenden Erzählung vom „Sündenfall“ (Gen 3).11 Diese Quellenschicht will damit nicht nur die Herkunft der Menschheit, sondern auch die Existenz von Gut und Böse erklären. Aufgrund ihrer charakteristischen Gottesbezeichnung als „JHWH elohim“ wurde diese Schicht lange als „jahwistische“ Quelle bezeichnet. Die an Gen 1 f. begonnene Quellenscheidung lässt sich ggf. in einer weiteren Seminarsitzung noch für den Rest der Urgeschichte (Gen 1–11) fortsetzen. Im Kontext der Sintfluterzählungen (Gen 7–9) ist dabei dann ein hohes Maß an Differenzierungsvermögen erforderlich, so dass die Lernenden ihr Beobachtungsvermögen schulen können. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Zum Abschluss der Einheit wäre es denkbar, die gewonnenen Erkenntnisse mit Schere und Klebstoff an einem Arbeitsblatt anzuwenden. Die einzelnen Teile des Texts, welche unterschiedlichen Quellenschichten zugeordnet wurden, können mit der Schere voneinander abgetrennt und dann als je kohärente Teile wieder aufgeklebt werden. Den Erfolg ihrer literarkrischen Arbeit bekommen die Studierenden somit buchstäblich zu greifen. Die rekonstruierten Quellen können sie einander laut vorlesen und sich dabei ihrer Kohärenz erfreuen. Durch die Bearbeitung der Einheit zur Literarkritik haben die Lernenden sich nun eine genauere Kenntnis der Schöpfungserzählungen in der Genesis erarbeitet. Sie haben die Quellenscheidung eigenständig erprobt und können das je eigene theologische Profil der Quellenschichten benennen. Achtung! – Bei aller neu gewonnenen Freude über die Feststellung von Inkohärenzen im Text ist es dennoch wichtig, im Kopf zu behalten, dass diejenigen, die den biblischen Texten ihre heute vorliegende Gestalt verliehen haben, das Endprodukt als in gewisser Weise kohärent empfunden haben müssen. Auch dies gilt es zu würdigen; allerdings gehören solche Fragen zum Arbeitsbereich der → Redaktionskritik.

Literatur zur Textstelle H. Gunkel, Genesis, Göttingen 81969. E. A. Speiser, Genesis (AncB 1), Garden City (NY) 1964. C. Westermann, Genesis, Bd. 1: Genesis 1–11 (BK I/1), Neukirchen-Vluyn 1974. 10 So Westermann, Genesis 262. 11 Vgl. Westermann, Genesis 259.

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Baustein NT: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast“ (Mt 8,5–13) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Ähnlich wie im Baustein AT ist es auch hier hilfreich, wenn sich die Studierenden schon zuvor in einer eigenen Arbeitseinheit Gedanken zur literarischen Beschaffenheit des zu behandelnden Textabschnitts gemacht haben (→ Textabgrenzung und Kontexteinordnung; Linguistische Analyse; Analyse von Gliederung und Komposition). Darüber hinaus stellt vor dem Hintergrund der Zwei-Quellen-Theorie auch der → synoptische Vergleich eine sehr gute Ergänzung für die literarkritische Arbeit am Matthäus- oder Lukasevangelium bereit. Einstieg Die Leitung stellt der Lerngruppe einen Paragraphen aus einer studentischen Hausarbeit vor, deren Verfasserin bzw. Verfasser geschummelt hat. Da es brisant sein kann, eine Arbeit von noch eingeschriebenen Studierenden auf diese Weise zu exponieren, kann die Diskussion auch an einem fingierten Beispiel erfolgen. Der Lerngruppe bietet sich jedenfalls das folgende Bild: In einem sprachlich schlichten Absatz begegnet plötzlich und unerwartet ein sehr eleganter Satz mit verschachtelter Satzstruktur und differenzierter Fachterminologie. Der Verdacht legt sich nahe, dass an dieser Stelle eine nicht gekennzeichnete Quelle in den Textzusammenhang eingebaut worden ist. Die in den letzten Jahren mehrfach geführte Diskussion um die Redlichkeit der Dissertationen prominenter Politikerinnen und Politiker hat den Entdeckergeist vor allem der Internet-Community befördert. Minutiös wurde auf eigens zu diesem Zweck eingerichteten Homepages der Nachweis darüber geführt, welche Passagen der Qualifikationsschriften als Plagiate zu bewerten seien.12 Die besagten Abhandlungen sind in einer Zeit entstanden, zu der die wissenschaftliche Welt noch nicht derart sensibilisiert für „gute wissenschaftliche Praxis“ war, wie dies heute der Fall ist. Im biblischen Methodenseminar kann es daher an dieser Stelle nicht darum gehen, eine ethische Diskussion über die Bewertung solcher PlagiatsAffären zu führen; jedoch eignet sich das Thema dazu, die investigative Leidenschaft der Studierenden anzuregen. Zunächst können sich die Lernenden in kleinen Gruppen über ihre Beobachtungen am Wortlaut des Textes austauschen und Schlussfolgerungen aus diesen Beobachtungen ziehen. Die sich ergebenden Verdachtsmomente gegen die Verfasserin bzw. den Verfasser unserer Hausarbeit müssen möglichst präzise argumentativ abgesichert werden. Nach einer Bündelung der Beobachtungen und Thesen im Plenum kann der Fokus des Gesprächs dann von der konkreten auf die prinzipielle Ebene verlagert 12 Jüngst ist eine entsprechende Diskussion auch um die exegetischen Kommentare des Neutestamentlers Peter T. O’Brien entfacht. Vgl. dazu insbes. den Blogeintrag von S. F. Winter, On Commentaries and Plagiarism (https://seanfwinter.com/2016/08/16/on-commentaries-and-plagiarism/ [22.08.16]).

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werden. Gemeinsam sollen die Studierenden Kriterien formulieren, anhand derer sich ein Plagiatsverdacht in einem ersten Schritt erhärten und in einem zweiten Schritt möglicherweise sogar verifizieren lässt. Solche Kriterien können sein: –– ein abrupter Wechsel im sprachlichen Stil oder –– ein Bruch bzw. eine Unstimmigkeit in der Gedankenführung des Texts. Beide Kriterien legen die Annahme nahe, dass an der betreffenden Stelle zwei Textteile aufeinander stoßen, die ursprünglich nicht zusammen gehörten. Verifizieren lässt sich ein Verdacht sodann durch eine Recherche im Internet oder in der Bibliothek. Wo es gelingt, die Quelle zu benennen, die dem zu untersuchenden Text als Vorlage gedient hat, kann das Plagiat als entlarvt gelten.13 Erarbeitung / Vertiefung Mit dem gleichen detektivischen Blick, mit dem die Plagiatsjäger die Qualifikationsschriften prominenter Menschen lesen, schaut sich die Literarkritik den Bibeltext an. Als Beispiel dient hier die Episode vom „Hauptmann von Kapernaum“ in der matthäischen Variante (Mt 8,5–13). Gemäß der oben beschriebenen Verfahrensweise in zwei Schritten sollen zunächst Indizien im Text gesammelt werden, die eine literarkritische Annahme begünstigen. Die Arbeit an Texten aus dem M ­ atthäusund Lukasevangelium bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die so gefundene Hypothese zusätzlich in einem zweiten Arbeitsschritt durch einen → synoptischen Vergleich auf der Grundlage der Zwei-Quellen-Theorie abzusichern. Die Studierenden erhalten nun zunächst den Auftrag, je zu zweit den Textabschnitt Stück für Stück durchzugehen und dabei jeweils zu diskutieren, inwieweit sich die einzelnen Elemente kohärent zum Vorausgehenden verhalten. Jeden Hinweis auf Störungen der Kohärenz sollen sie sich notieren. Dabei können die Teams unter anderem zu den folgenden Beobachtungen gelangen: –– Das Wort Jesu an die Umstehenden (Mt 8,10 f.) wirkt unvermittelt. Abrupt geht die Handlung von der Interaktion Jesu mit dem Hundertschaftsführer zur Ansprache Jesu an die ihm Nachfolgenden über. Besonders auffällig ist dabei die zweifache Einleitung eines Satzes mit den Worten „ich sage euch“ (V. 10 und V. 11). Die Doppelung wirkt sprachlich ungelenk. 13 Wer von vornherein komparativ an zwei Quellen arbeiten möchte – ähnlich einem synoptischen Vergleich –, kann sich einmal die kurze Einführung zu den Nag-Hammadi-Schriften in der Quellen-Sammlung von Jens Schröter und Jürgen Zangenberg aus dem Regal nehmen und sie mit dem entsprechenden Abschnitt im Gnosis-Büchlein von Christoph Markschies vergleichen: J. Schröter / J. Zangenberg (Hrsg.), Texte zur Umwelt des Neuen Testaments (UTB 3663), Tübingen 32013, 688 f.691; C. Markschies, Die Gnosis (C.H. Beck Wissen 2173), München 2001, 52–62. Man wird auf erstaunliche Übereinstimmungen stoßen. Ebenfalls aufschlussreich ist der Vergleich der beiden Apg-Kommentare von Rudolf Pesch und Jacob Jervell: R. Pesch, Die Apostelgeschichte, Bd. 1–2 (EKK V/1–2), Zürich / Neukirchen-Vluyn 1986; J. Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 1998.

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–– Insbesondere bleibt fraglich, worauf sich das griechische Wort δέ am Anfang von V. 11 bezieht. Die Funktion des Wortes besteht normalerweise darin, einen Gegensatz zum vorher Gesagten herzustellen. Allerdings eignet sich der vorausgehende Satz „bei keinem habe ich in Israel solchen Glauben gefunden“ schlecht als eine solche Gegenfolie. Der Kontrast, den das kleine Wort δέ andeutet, ist im Kontext also gar nicht erkennbar. Die Aussagen der V. 10 f. thematisieren damit nicht nur ganz unterschiedliche Gedanken, sondern knüpfen obendrein auch noch schlecht aneinander an. Zugespitzt formuliert: Hier liegt eine Inkohärenz vor. –– Während sich folglich der logische Zusammenhang zwischen den V. 10 und 11 dürftig ausnimmt, springt die thematische Verbindung zwischen den V. 10 und 13 umso deutlicher ins Auge. Denn wie in V. 10 geht der matthäische Jesus auch in V. 13 auf den Glauben des Hauptmanns ein. Die zweifache Verwendung des Wortstamms πιστ- macht dies besonders deutlich. Begegnet in V. 10 das Substantiv „Glaube“ (πίστις), ist es in V. 13 das Verb „glauben“ (πιστεύω). Einerseits vermisst man somit die Kohärenz zwischen den V. 10 und 11; andererseits ist ein kohärenter Zusammenhang zwischen den V. 10 und 13 klar vorhanden. Im sich anschließenden Plenumsgespräch stellen die Lernenden ihre Beobachtungen vor. Weil die V. 10–13 wie oben skizziert eine dichte Folge von zusammenhängenden Einzelheiten bieten, kann die Seminarleitung die Aufmerksamkeit der Lerngruppe schließlich gezielt auf diese Zusammenhänge lenken. Die Studierenden werden nun dazu aufgefordert, sich mit dem Spürsinn eines Plagiatsjägers bzw. einer -jägerin einen Reim auf die gesammelten Beobachtungen zu bilden. Der Verdacht legt sich nahe, dass hier mit den V. 11 f. ein Textfragment Eingang in den Abschnitt gefunden hat, das ursprünglich aus einer anderen Quelle stammt. Die V. 11 f. stören den Gesamtzusammenhang, verhalten sich aber wiederum in sich stimmig. Führt man auf der Basis dieser Annahme eine Trennung durch, wird der Gesamtabschnitt Mt 8,5–13 in zwei kleinere Einheiten zerlegt, nämlich 8,5–10.13 auf der einen und Mt 8,11 f. auf der anderen Seite. Beide Stücke lassen sich je für sich als kohärente und relativ eigenständige Texte lesen. Mit der soeben beschriebenen Annahme hat die Seminargruppe nun eine veritable literarkritische Hypothese aufgestellt, die durch die Beobachtungen am Text argumentativ recht gut begründet ist. Durch einen synoptischen Vergleich lässt die Hypothese sich nun noch weiter absichern. Alle Studierenden erhalten als Arbeitsblatt den Auszug aus einer Evangeliensynopse zu Mt 8,5–13 und sollen nun auf der Grundlage dessen, was sie zum → synoptischen Vergleich bereits gelernt haben, ihre literarkritische Hypothese bewerten. Eine Parallele zur matthäischen Erzählung vom Hauptmann zu Kapernaum findet sich nur bei Lukas (Lk 7,1–10). Gemäß der Zwei-Quellen-Theorie hat ­Matthäus an dieser Stelle also Q-Material verarbeitet.14 Besonders auffällig ist dabei, dass 14 Vgl. Luz, Evangelium 12 f.; vgl. auch Wiefel, Evangelium 161.

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gerade die oben als die Kohärenz störend empfundenen Verse Mt 8,11 f. keine Parallele in der Textpassage Lk 7,1–10 haben. Jedoch steht in Lk 13,28 f. eine ganz ähnliche Formulierung. Diese Beobachtung führt zu dem Schluss, dass im Gesamtabschnitt Mt 8,1–13 zwei ursprünglich getrennte Texte zusammengeflossen sind: In den Aufriss der Erzählung vom Hauptmann, die der Evangelist aus Q übernimmt, wurde mit Mt 8,11 f. par. Lk 13,28 f. ein anderes Q-Logion integriert.15 Auf der Grundlage der Zwei-Quellen-Theorie bestätigt somit der synoptische Vergleich die zuvor formulierte Hypothese. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Literarkritik fragt nach der Erklärung für Unstimmigkeiten in der sprachlichen oder inhaltlichen Logik des Texts. Sie löst die betreffenden Probleme durch die Annahme von zuvor bereits existierenden (meist schriftlichen) Quellen. Dieser Ansatz ist den Studierenden durch den Vergleich zur Quellenscheidung in universitären Leistungsnachweisen oder Qualifikationsschriften plastisch geworden. Die Lerngruppe hat die literarkritische Vorgehensweise mit der eigenständigen Formulierung und Überprüfung einer Hypothese erprobt. Natürlich hinkt der Vergleich zur Plagiatsjägerei früher oder später, wenn er als Allegorie immer weiter ausgewalzt wird. Denn selbstverständlich wird niemand dem Evangelisten Matthäus eine Unredlichkeit beim Abfassen seines Werkes unterstellen wollen. Was im modernen Universitätsbetrieb verboten ist, zählt in der Antike zum legitimen Handwerkszeug eines Schriftstellers: nämlich die ungekennzeichnete Einarbeitung fremder Quellen in das eigene Opus. Studierende der Literarkritik sollen hier also nicht dazu angeleitet werden, den biblischen Schriftsteller zu diskreditieren – aber sie dürfen sich darüber freuen, seiner Arbeitsweise mit detektivischem Spürsinn auf die Schliche gekommen zu sein. Der Evangelist Matthäus vereint in Mt 8,1–13 zwei ursprünglich getrennte Abschnitte aus der Quelle Q. Die zuletzt geäußerten Überlegungen zur Arbeitsweise des Evangelisten deuten bereits einen Brückenschlag hin zur → Redaktionskritik an. Während es der Literarkritik nur darum geht, die Vorlagen zu identifizieren, die den biblischen Schriften zugrunde liegen, fragt die Redaktionsgeschichte später, mit welcher Intention diese Quellen von den biblischen Schriftstellern verarbeitet wurden. Sie nimmt den literarkritischen Faden auf und beschreibt die (theologischen) Leitprinzipien, die die Produzenten des Textes dazu bewogen haben, ihm die uns vorliegende Gestalt zu geben. In Vorbereitung auf diesen Ansatz, kann die Seminargruppe am Ende der Sitzung zur Literarkritik noch einmal ihre literarkritischen Beobachtungen Revue passieren lassen und anhand des Arbeitsblattes zum synoptischen Vergleich Kategorien von Veränderungen benennen, die der Matthäus-Abschnitt gegenüber seinen QuellenStücken aus Q aufweist. Dies sind in der Hauptsache zwei Arten von Abänderungen: 15 Vgl. Gnilka, Matthäusevangelium 300.

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(a) die Kombination und Anordnung von Quellentexten; hier sind dies konkret zwei verschiedene Q-Passagen; und (b) der eigenständige Eingriff in den Wortlaut der Quellen durch Kürzungen, Ergänzungen oder Umformulierungen. Dass auch die zweite Kategorie von Änderungen eine Rolle bei der Entstehung von Mt 8,1– 13 bzw. Lk 7,1–10; 13,28 f. gespielt hat, ist am synoptischen Arbeitsblatt deutlich ablesbar: An vielen Stellen fällt die Matthäus-Fassung im Vergleich zur Lukas-Fassung deutlich kürzer aus (vgl. etwa Mt 8,8 mit Lk 7,6 f.), teilweise aber auch etwas länger (etwa die Wendung „wie du geglaubt hast geschehe dir“ in Mt 8,13). Allerdings ist es in solchen Fällen schwer, zu beurteilen, ob die Änderungen gegenüber Q nun auf das Wirken des Matthäus- oder auf das Wirken des Lukas-Evangelisten zurückzuführen sind.16 Plausible Argumente hierzu hält vor allem die → Redaktionskritik bereit, wenn sie das Einzelproblem im Zusammenhang mit der Gesamt-Redaktion eines Evangeliums beleuchtet.

Literatur zur Textstelle J. Gnilka, Das Matthäusevangelium, Bd. 1: Kommentar zu Kap. 1,1–13,58 (HThK.NT I/1), Freiburg i. Br. 1986. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 2: Mt 8–17 (EKK I/2), Zürich / NeukirchenVluyn 1990. W. Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus (ThHK 1), Leipzig 1998.

Ertrag zur Methode Am Ende der Einheit haben die Studierenden einen Einblick in die Arbeitsweise der Literarkritik mit ihren Kritierien für die Beurteilung von Inkohärenzen und Hypothesenbildung erworben. Sie wissen um die Verwurzelung des Ansatzes in der Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Weil sie den Ansatz eigenständig erprobt haben, können die Studierenden sich ein begründetes Urteil über die Kohärenz oder Inkohärenz eines zu bearbeitenden biblischen Abschnitts bilden. Dieses Urteil können sie sodann in zwei Richtungen fruchtbar machen: Sie können erstens literarkritische Hypothesen zur Entstehung des Bibeltexts aufstellen. Zweitens können sie aber auch die in der Sekundärliteratur vertretenen literarkritischen Ansichten (wie z. B. Bultmanns Annahme zur Kapitel-Reihenfolge in Joh 4–7) auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Miteinander fördern diese beiden Aspekte ein umfassendes kritisches Urteilsvermögen der Studierenden.

16 Gnilka spricht sich für die Annahme aus, dass Matthäus der Q-Vorlage hier treuer folgt als Lukas, vgl. Gnilka, Matthäusevangelium 299.

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Weitere Ideen Ein alternativer Einstieg zu einem der Bausteine könnte über die Betrachtung des bekannten Portals der Geburtskirche von Bethlehem erfolgen. Reiseführer zum Heiligen Land und das weltweite Netz halten zahlreiche geeignete Abbildungen bereit, zu denen die Studierenden ihre Beobachtungen äußern können. Auf den ersten Blick wirkt die Fassade der Kirche recht einheitlich. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich aber bald, dass die Fassade und insbesondere das Portal in mehreren Phasen weitergebaut (konkret: verkleinert) wurde: In ein großes eckiges Portal aus byzantinischer Zeit wurde später ein deutlich kleinerer frühgotischer Eingang mit leichtem Spitzbogen eingesetzt. Später wurde dieses Portal nochmals deutlich verengt, so dass heutige Besucherinnen und Besucher beim Betreten der Kirche in die Hocke gehen müssen. Wer die literarkritische Herangehensweise im neutestamentlichen Baustein ohne flankierenden synoptischen Vergleich erproben möchte, kann gut an Joh 20,1–18 arbeiten: Der Abschnitt erzählt die Episode vom leeren Grab und weist eine Reihe von interessanten Inkohärenzen auf: Maria kommt morgens zum Grab und sieht, dass es offen ist (V. 1); in ihrer darauf folgenden Mitteilung an Petrus und den Lieblingsjünger erwähnt sie aber nicht das offene Grab, sondern sagt, dass der Leichnam verschwunden sei, was sie erzähllogisch nicht wissen kann (V. 2). Darüber hinaus verwundert ihr Gebrauch der 1. Person Plural V. 2, obwohl sie alleine am Grab gewesen ist. Nachdem V. 2 damit zuletzt vom Weggang Mariens vom Grabe erzählt hat, ist sie als Erzählfigur dann aber mit V. 11 doch plötzlich wieder dort präsent, nachdem Petrus und der Lieblingsjünger die Szene verlassen haben. In einer Begegnung mit dem Auferstandenen erhält sie von diesem den ausdrücklichen Auftrag (V. 17 f.), den Jüngern von der Auferstehung zu verkünden. Die genannten Inkohärenzen lassen sich mit der literarkritischen Annahme erklären, dass ein Bearbeiter die Szene vom Wettlauf zwischen Petrus und Johannes (Joh 20,2–10) nachträglich in eine bereits existierende Szene von Maria am Grab (Joh 20,1.11–18) integriert hat.17

17 Vgl. J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, Bd. 2: Kapitel 11–21 (ÖTBK 4/2), Gütersloh / Würzburg 31991, 717–720.

Gattungskritik und Sitz im Leben Nils Neumann

Hinführung zur Methode Wieso sollten Sie Ihre Bewerbung um ein Stipendium lieber nicht aus einzelnen Buchstaben zusammenstückeln, die Sie aus der Tageszeitung ausgeschnitten haben? Richtig: Weil sonst die Gefahr bestünde, dass Ihr Schreiben für einen Erpresserbrief gehalten würde anstatt für einen seriösen Antrag. Und das wollen Sie ja nicht, oder?1 Die Erkenntnis, dass die Form und der Inhalt von Texten aufeinander bezogen sind, hat sich auch in der Bibelwissenschaft längst durchgesetzt, und zwar spätestens seit dem beginnenden 20. Jahrhundert. Mit der Literarkritik verfügte die biblische Wissenschaft zu dieser Zeit über ein leistungsfähiges Instrument, das ihr erlaubte, Thesen über die Entstehung der biblischen Schriften aufzustellen, die auf breiter Linie zu überzeugen vermochten. Hypothesen wie die Zwei-Quellen-Theorie (→ Synoptischer Vergleich) oder die Quellenscheidung im Pentateuch (→ Literarkritik) machten es plausibel, dass die Texte der Bibel bereits auf eine schriftliche Vorgeschichte zurückblickten. Wie so oft brachte der damalige methodische Fortschritt aber auch wieder neue Probleme mit sich; der veränderte Blickwinkel öffnete den Horizont für veränderte Fragen. Wenn sich in der Vorgeschichte der biblischen Texte nach allgemeiner Überzeugung nun schriftliche Quellen nachweisen ließen, musste konsequenterweise auch die nächste Frage gestellt werden: Was passierte denn vor der Schriftlichkeit? Dass die biblischen Texte nicht einfach der reinen Fantasie derer entsprungen sind, die sie schließlich aufgeschrieben haben, darüber herrschte ein breiter Konsens. Nun stand die Frage im Raum, wie sich methodisch abgesicherte Aussagen über die mündliche Vorgeschichte der Texte treffen lassen.2 Genau diesem Problem widmet sich seither die Formgeschichte als Gattungskritik. 1 Ausgenommen wäre vielleicht eine Bewerbung um ein Stipendium im Bereich des Graphic Design, für die Sie mit dieser Methode eventuell auf Erfolg hoffen dürfen. 2 Zu den theologischen Entwicklungen, die zur Entstehung der Formgeschichte beitragen, vgl. insbes. P.-G. Klumbies, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015, 53–57.

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Dabei geht sie von der Grundeinsicht aus, dass die literarische Form und der Inhalt eines Texts sich in einem Entsprechungsverhältnis zueinander befinden und sich wechselseitig erläutern. Grundsätzlich gilt dies natürlich sowohl für schriftliche als auch für mündliche Texte.3 Die (schriftlichen) Gattungen des Kfz-Steuerbescheids und der Hochzeitseinladung unterscheiden sich voneinander. Aufgrund von festen Gattungsmerkmalen heben sie sich voneinander ab. Wer diese Merkmale kennt, kann Steuerbescheid und Einladung auseinander halten und wird entsprechende Erwartungen an den Inhalt der Schriftstücke richten. Analoges gilt von den (mündlichen) Formen des Häschen-Witzes oder des Tischgebets. Weil die meisten Menschen intuitiv beide Formen unterscheiden können, quittieren sie die eine Äußerung mit Gelächter und die andere mit „Amen“, nicht umgekehrt. Die Frage nach der Form bzw. Gattung und ihrem Gebrauch lässt sich folglich sinnvoll sowohl auf schriftliche wie auch auf mündliche Texte anwenden. So oder so bringt sie aufschlussreiche Einsichten hervor. In der Formgeschichte, wie Hermann Gunkel sie in seiner Arbeit über die „Sagen der Genesis“ durchführt, steht die Bestimmung der Formen allerdings strikt im Dienst der Frage nach der Mündlichkeit. Ähnlich verfährt Rudolf Bultmann in seiner elaborierten „Geschichte der synoptischen Tradition“. Beiden Vätern der Formgeschichte geht es darum, den Prozess nachzuvollziehen, den ein Stück biblischer Überlieferung vor seiner Verschriftlichung durchlaufen hat. Allerdings sind die Einsichten der frühen Formgeschichte dann im weiteren Verlauf der Forschungsgeschichte immer mehr auch auf den Bereich der Schriftlichkeit ausgeweitet und weitergedacht worden. Die exegetische Herangehensweise der Gattungskritik kann sich darum sowohl zur Beschaffenheit eines schriftlichen Texts äußern als auch Hypothesen über dessen mündliche Vorgeschichte aufstellen.

Um Aussagen über die Beschaffenheit einer bestimmten Form oder Gattung treffen zu können, muss die Gattungskritik mit einer Bestandsaufnahme einsetzen. Alle konkreten Ausprägungen einer Form werden miteinander verglichen, um auf dieser Grundlage ein idealtypisches Schema zu erheben. Rudolf Bultmann nimmt in seiner „Geschichte der synoptischen Tradition“ zunächst einmal die Grundunterscheidung zwischen „Redenstoff “ und „Erzählstoff “ vor. Jedes Stück der Jesusüberlieferung ordnet er dann einer dieser beiden Hauptkategorien zu, je nachdem, ob Jesus in der betreffenden Szene schwerpunktmäßig spricht oder nonverbal handelt. Innerhalb der Hauptkategorien gibt es aber wiederum Unterkategorien. So zählt Bultmann zum Redenstoff die Formen der Streitgespräche, der prophetischen Worte oder der Gleichnisse u. a. Zum Erzählstoff gehören beispielsweise die Formen der Naturwunder oder der Legenden. Innerhalb der Subkategorien wird nun ein Vergleich angestellt, um die charakteristischen Bestandteile der Form herauszuarbeiten. So kommt Bultmann etwa durch Vergleichen von Heilungswundern zu dem Schluss, dass eine typische Heilungs-Episode vier Elemente umfasst:4 (a) eine Exposition mit der Vorstellung 3 Vgl. dazu die Differenzierung zwischen Form und Gattung bei Dibelius, Formgeschichte. 4 Bultmann, Geschichte 236–241.

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des Kranken; (b) das eigentliche Wunder, das auf die Initiative des Wundertäters zurückgeht; (c) eine Demonstration, dass auch tatsächlich eine Heilung eingetreten ist; und (d) die Reaktion des Publikums. Dieses Grundschema kann nun von den einzelnen konkreten Exemplaren der Heilungswunder auf ganz unterschiedliche Weise mit Inhalt gefüllt werden. Bultmann beschreibt die entsprechenden Grundlinien von Wundern in den synoptischen Evangelien sehr differenziert.5 Auf diese Bestandsaufnahme folgt dann der eigentlich spannende Teil der gattungskritischen Arbeit. Denn jede konkrete Wunder-Episode kann nun daraufhin überprüft werden, inwieweit sich das idealtypische Schema in ihr widerspiegelt. Die Methode geht axiomatisch davon aus, dass am Ursprung der Überlieferung („Tradition“) die „reine Form“ steht, d. h. ursprünglich hat jedes konkrete Heilungswunder am Beginn des mündlichen Überlieferungs-Prozesses einmal alle Elemente eines typischen Heilungswunders umfasst. Der Blick auf die Texte des Neuen Testaments lehrt jedoch, dass sich die konkreten Ausformungen von Heilungswundern vom idealtypischen Schema unterscheiden. Gegenüber der „reinen Form“ sind in den konkreten Exemplaren einzelne Elemente hinzugefügt, weggelassen, gekürzt, erweitert oder verändert worden. Diese Abweichungen gegenüber dem idealen Schema führt die Gattungskritik nun auf den Überlieferungsprozess zurück. Stand am Anfang der Überlieferung die „reine Form“, so muss das konkrete Exemplar, das vom Ideal abweicht, entweder im Lauf der mündlichen Weitergabe oder spätestens bei der Verschriftlichung durch den biblischen Autor (→ Redaktionskritik) abgewandelt worden sein. Gerade die gattungsuntypischen Elemente geben der Gattungskritik damit Hinweise auf das Stadium der Mündlichkeit oder werden zum Einfallstor für die Frage nach der Textfunktionalität. Die verbreitete Bezeichnung neutestamentlicher Textabschnitte als „Perikopen“ verdankt sich genau diesem Denkschema der Gattungskritik. Dem griechischen Wortursprung nach bezeichnet „Perikope“ ein klar umrissenes Stück Text. Die Gattungskritik geht also davon aus, dass die einzelnen Stücke als kleine Einheiten der biblischen Überlieferung sich nicht nur aus ihrem in der Bibel vorfindlichen literarischen Kontext herauslösen lassen, sondern dass sie aus diesem vielmehr sogar herausgelöst werden müssen. Schließlich haben die einzelnen Traditionen im Lauf der mündlichen Überlieferung auch nicht zusammengehört. Erst die biblischen Autoren oder die Autoren ihrer Vorlagen haben sie gesammelt und zusammengefügt.6 Für die Beschäftigung mit der mündlichen Tradition ist der literarische Zusammenhang folglich sekundär. Bei der biblischen Tradition handelt es sich um Perikopen-Überlieferung.

Weitere Möglichkeiten, um die Weitergabe der mündlichen Traditionen nachzuvollziehen, gewinnt die Gattungskritik durch ihre Überlegungen zum sog. „Sitz im 5 Gute Übersichten zu den verschiedenen Formen und ihren jeweiligen Schemata finden sich bei Kaiser, Einleitung und Köster, Formgeschichte. 6 Dieses einseitige Bild, das sich die Formgeschichte von der Tätigkeit der biblischen Autoren macht, wird später zu Recht von der → Redaktionskritik korrigiert werden.

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Leben“7 der verschiedenen Formen. Die Methode geht davon aus, dass sich zu jeder Form von mündlicher Überlieferung eine charakteristische Verwendungssituation benennen lässt. Diese typische Verwendungssituation im Stadium der Mündlichkeit bezeichnet sie als „Sitz im Leben“. Es muss also die Frage gestellt werden, zu welchen Gelegenheiten es im antiken Judentum Sinn ergeben hat, von den Reiserouten der Väter oder von Gottes Bundesschlüssen zu erzählen; wann man in der paganen Antike Wundergeschichten erzählt hat, bzw. zu welchen Gelegenheiten es im frühen Christentum Sinn ergeben hat, von Jesu Heilungswundern, Streitgesprächen oder Gleichnissen zu erzählen. In diesem Sinne nimmt die Gattungskritik einen durchaus soziologischen Blickwinkel ein. Sie erschließt sich mit dem Blick auf die biblischen Texte die sozialen Zusammenhänge der Trägergemeinschaften, welche die Traditionen mündlich überliefert haben. Nach Gunkel wird das Siegeslied vor der Stadt angestimmt, wenn das erfolgreiche Heer aus der Schlacht zurückkehrt; die Gattung des Prophetenspruchs gehört dagegen in den Vorhof des Tempels; und das Weisheitswort hat seinen „Sitz im Leben“ im Kreis der alten Männer, die sich im Stadttor treffen. In der neutestamentlichen Forschung wird als „Sitz im Leben“ der Wundergeschichten die „missionarische Verkündigung“ des frühen Christentums angesehen;8 die Form der Streitgespräche dient hingegen der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum. Gunkel macht in seinem wegweisenden Aufsatz zum Thema deutlich, dass der „Sitz im Leben“ einer Gattung im Stadium der Mündlichkeit natürlich nur hypothetisch erschlossen werden kann. Dazu soll die Exegetin bzw. der Exeget sich des gesunden Menschenverstands bedienen und die folgenden Fragen stellen: „Wer ist es, der redet? Wer sind die Zuhörer? Welche Stimmung beherrscht die Situation? Welche Wirkung wird erstrebt?“9 Die Beantwortung dieser Fragen erleichtert die Rekonstruktion einer „Traditions-“ bzw. „Überlieferungsgeschichte“.10 Wer mit Bultmann die „reine Form“ am Ursprung der Überlieferung verortet, muss Abweichungen einer konkreten Überlieferung vom idealen Schema der Form auf Veränderungen zurückführen, die im Überlieferungsprozess vorgenommen worden sind. Die Rede vom „Sitz im Leben“ ermöglicht dabei die Reflexion darüber, welche veränderten Rahmenbedingungen im frühen Christentum wohl die Abweichung gegenüber dem Schema erforderlich gemacht haben.

  7 Gunkel, der den Begriff prägt, spricht ursprünglich von einem „Sitz im Volksleben Israels“ (Gunkel, Grundprobleme 1861).   8 Vgl. dazu insbes. D. Zeller, Wunder und Bekenntnis. Zum Sitz im Leben urchristlicher Wundergeschichten, in: BZ.NF 25 (1981) 204–222, 221 f.  9 Vgl. Gunkel, Grundprobleme. 10 Ich bevorzuge den Begriff der „Überlieferungsgeschichte“, da der Begriff der „Tradition“ in der Exegese doppeldeutig verwendet wird. Einerseits bezeichnet man im formgeschichtlichen Sinn die Gestalt einer Überlieferung im Stadium der Mündlichkeit als „Tradition“. Andererseits nennt aber auch die → Motivkritik ihren Gegenstand gelegentlich „Tradition“. Um hier Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt es sich, auf die unzweideutigere Bezeichnung „Überlieferungsgeschichte“ auszuweichen.

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Diese axiomatische Annahme hat natürlich ihren Reiz, ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Wie Klaus Haacker plausibel macht,11 muss die Formgeschichte stillschweigend davon ausgehen, dass die frühchristliche Gemeinschaft die Jesusüberlieferung überhaupt erst für ihre jeweiligen Zwecke ausgebildet habe, um die „reine Form“ als Ursprung der Tradition annehmen zu können. Nur so wäre es zu erklären, dass die jeweilige Überlieferung haargenau in den ihr zugedachten „Sitz im Leben“ hineinpasst. Erst mit der andauernden Weitergabe und spätestens der Verschriftlichung würden sich dann Abweichungen von der „reinen Form“ ergeben. Nimmt man hingegen mit Haacker an, dass große Teile der Jesusüberlieferung auf den historischen Jesus zurückzuführen sind, ist es viel wahrscheinlicher, dass sich am Ursprung nicht die „reine Form“ befindet. Vielmehr wäre mit disparatem Überlieferungsmaterial zu rechnen, das erst durch den wiederholten Gebrauch in der frühchristlichen Verkündigung immer mehr den kerygmatischen Notwendigkeiten und damit einem bestimmten Schema angeglichen wird. Anstelle einer Entwicklung weg von der „reinen Form“ sollte es deswegen im Stadium der Mündlichkeit nach Haacker vielmehr eine Entwicklung hin zur „reinen Form“ geben. Alle überlieferungsgeschichtlichen Hypothesen der älteren Formgeschichte würden mit dieser Annahme allerdings hinfällig.

Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Studierenden lernen Theorien zur mündlichen Überlieferung kennen; –– sie werden für den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt eines Texts sensibilisiert; –– sie können verschiedene Formen bzw. Gattungen biblischer Überlieferung unterscheiden; –– sie schärfen ihr diachrones Denken, da sie begründete Annahmen darüber formulieren können, welche Entwicklung eine Perikope im Stadium der Mündlichkeit durchlaufen hat (Sitz im Leben, Tradition / Überlieferung); –– sie entwickeln im Idealfall aber auch ein kritisches Bewusstsein gegenüber der Methodik mit ihren Axiomen. Literatur zur Methode Klassische Werke der Pioniere R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition. Mit einem Nachwort von Gerd Theißen (FRLANT 29), Göttingen 101995. M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 51966. H. Gunkel, Die Grundprobleme der Israelitischen Literaturgeschichte, in: DLZ 27 (1906) 1797–1800.1861–1866. H. Gunkel, Die Sagen der Genesis. Göttingen 21901. 11 Vgl. K. Haacker, Leistung und Grenzen der Formkritik, in: ThBeitr 12 (1981) 53–71, 64–69.

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Spätere Monographien K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984. K. Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese, Neukirchen-Vluyn 1964. G. Theißen, Die Erforschung der synoptischen Tradition seit R. Bultmann. Ein Überblick über die formgeschichtliche Arbeit im 20. Jahrhundert, in: R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition. Mit einem Nachwort von Gerd Theißen (FRLANT 29), Göttingen 101995, 408–452. G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, Gütersloh 71998.

Vorstellung der Formen O. Kaiser, Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, Gütersloh 51984, §§ 5.6.25.29.34 (für das AT). H. Köster, Art. Formgeschichte II: Neues Testament, in: TRE 11 (1983) 286–299 (für das NT).

Baustein AT: „Das dicke Ende für die Mächtigen“

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Die gattungskritische Arbeit setzt ein Verständnis der → Gliederung und Komposition des zu bearbeitenden Textabschnitts sowie die → Literarkritik voraus. Einstieg Gunkel ist bei seiner Entwicklung gattungskritischer Erforschung der biblischen Texte teilweise von Johann Gottfried Herder inspiriert worden. Denn in seiner Sammlung von Volksliedern formuliert Herder bereits Annahmen zur Überlieferung des Stoffs, die sich später auch bei Gunkel im veränderten Kontext wiederfinden.12 Nach Herder geht auch dem Volkslied vor seiner Verschriftlichung (oftmals) eine Phase mündlicher Überlieferung voran. Der Überlieferungsprozess ist dabei auch ein Prozess der Veränderung und Fortschreibung von Volksdichtung. Und die Lieder haben ihren primären Ort im Gesang – also in der Mündlichkeit – nicht in Buchstaben ans Papier gefesselt. Damit bereitet Herder den Weg für Gunkels Überlegungen zur mündlichen Überlieferung und zum „Sitz im Leben“ der biblischen Tradition. Entsprechend bietet sich auch eine kurze Beschäftigung mit Volksliedern, die den Studierenden bekannt sind, für den Einstieg in eine Seminarsitzung an. Die 12 Vgl. J. G. Herder, Volkslieder. Zweiter Theil. Leipzig 1779, 3–36 (Vorrede).

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wesentlichen Züge der Formgeschichte lassen sich daran deutlich machen. An jedem Lied lässt sich das Phänomen der Mündlichkeit thematisieren, denn die Studierenden werden die Lieder in der Regel durch mündliche Tradition kennen gelernt haben – vielfach noch bevor sie selbst überhaupt lesen konnten. Dabei ist auch evident, dass jede Gattung von Liedern einen ganz speziellen „Sitz im Leben“ hat. Als Vertreter der Gattung „Geburtstagslied“ kann „Zum Geburtstag viel Glück“ eben nicht zu einer beliebigen Situation gesungen werden, sondern es bedarf eines Geburtstagskindes, das durch dieses Lied geehrt werden soll. „Wanderlieder“ wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“ erlernen die Kleinen beim Ausflug mit der Familie oder beim Wandertag im Kindergarten oder in der Schule. „Weißt Du wieviel Sternlein stehen?“ und andere Lieder aus der Gattung „Schlaflied“ singen die Eltern für ihr Kind beim Zubettgehen. Als Provokation ließe sich ein Weihnachtslied wie „O Tannenbaum“ im Sommersemester anstimmen. Dadurch wird vollends deutlich, wie unverzichtbar der adäquate „Sitz im Leben“ ist, damit ein Volkslied funktioniert. Erarbeitung / Vertiefung Als konkretes Beispiel einer in der prophetischen Literatur gebräuchlichen Redegattung dient im Folgenden der sog. „Weheruf “. Besonders erfreulich an diesem Beispiel ist, dass das Vorkommen dieser Gattung sich nicht auf die Schriften der hebräischen Bibel beschränkt, da sich auch an mehreren Stellen des Neuen Testaments Weherufe finden (vgl. etwa Mt 11,21 par. Lk 10,13; Lk 6,24–26; vgl. außerdem Offb 18,10). In einem ersten Schritt sollen die Studierenden sich charakteristische Merkmale der Form „Weheruf “ induktiv erarbeiten (Bottom-Up-Prozess), d. h. den Ausgangspunkt geben eine Reihe von konkreten Weherufen aus der hebräischen Bibel ab. Aus ihren genauen Beobachtungen an den Textbeispielen können die Studierenden schließlich die typischen Elemente der Form abstrahieren. Besonders gut eignet sich zu diesem Zweck die didaktische Herangehensweise der sog. Schneeball-Methode:13 Alle Studierenden der Gruppe erhalten je ein eigenes Textbeispiel zugewiesen, um den Aufbau des Texts präzise zu erfassen. Geeignete Textbeispiele sind etwa die folgenden: Am 5,18; 6,1; Jes 1,4; 5,8.11.18.20.21.22 f.; 10,1; 29,15; 30,1; 31,1; 45,9.10; Mi 2,1 f.; Jer 22,13 f.; 23,1; Zef 3,1; Ez 34,2; Nah 3,1; Hab 2,6.9.12.15.19.14 Nachdem alle Lernenden sich den Aufbau ihres jeweiligen Beispiels genau vergegenwärtigt haben, führen sie in Zweiergruppen das Gespräch darüber, welche Merkmale die beiden ihnen zugewiesenen Texte miteinander verbinden. Danach werden je zwei Zweiergruppen zu einer Vierergruppe von Studierenden zusammengefasst. Die Gruppen führen die gleiche Diskussion auf der nun breiteren Textbasis weiter, und 13 Vgl. dazu G. Macke / U. Hanke / P. Viehmann, Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim / Basel 22012, 255 f., unter dem Stichwort „Pyramiden-Methode“. 14 Die Liste stammt von Gerstenberger, Woe-Oracles 253.

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so fort, bis schließlich die Gesamtgruppe miteinander einen Katalog von typischen Merkmalen der prophetischen Redeform „Weheruf “ erarbeitet hat. Ganz übereinstimmend gehen Claus Westermann und Erhard Gerstenberger in ihren Studien zum Thema davon aus, dass die ursprüngliche Form des Weherufs nur zwei Elemente umfasst, und zwar den Ausruf „wehe!“ (hôj), gefolgt von einer Anrede an eine Menschengruppe, deren Verhalten Anlass zum Tadel gibt. Eine drohende göttliche Sanktion ist dabei durch das „Wehe!“ bereits impliziert.15 Alle ausführlicheren Weherufe, die etwa die Vergehen der Adressaten oder deren bevorstehendes unerfreuliches Schicksal thematisieren, lassen sich vor dieser Folie als Erweiterungen des Grundschemas begreifen. Weder Gerstenberger noch Westermann legen sich fest, an welcher Stelle des Entstehungsprozesses der biblischen Texte diese Erweiterungen zu verorten sind. Sowohl eine Rückführung auf die Propheten-Persönlichkeit als auch sekundäre Erweiterungen im Lauf der Überlieferungs- oder → Redaktionskritik kommen damit prinzipiell als Ursachen der Abweichungen vom Grundschema in Frage. In jedem Fall wird die Seminargruppe am Ende der induktiven Erarbeitungsphase festgestellt haben, dass alle Weherufe durch hôj + klagende Ansprache miteinander verbunden sind, während etwaige Erweiterungen sich nicht in allen Exemplaren finden. In der Regel beinhalten die Weherufe soziale Kritik. Ihr Sitz im Leben ist die von Gott her ermahnende Ansprache an die Wohlhabenden und Einflussreichen des Volkes, die sich lokal mit Gunkel am ehesten im Vorhof des Tempels zuträgt. Es gibt aber auch Weherufe gegen die Feinde des Gottesvolks; sie gehören in den Kontext der Heilsprophetie.16 Die neu gewonnenen Einsichten zum Aufbau und zum Sitz im Leben der Wehe­ rufe können die Studierenden sodann auf einen konkreten Textabschnitt anwenden. In Kleingruppen untersuchen sie je einen der sechs Weherufe aus Jes 5,8–24 und notieren sich, welche typischen Formelemente der Weheruf beinhaltet und an welchen Stellen er über die „reine Form“ hinausgeht. Wegen seiner sehr konsequenten Gestaltung nach dem sog. Parallelismus membrorum17 lässt sich die Textstruktur des Abschnitts und seiner Verse besonders gut nachvollziehen. Durch die sich anschließende Vorstellung der Arbeitsergebnisse im Plenum ergibt sich die folgende Gesamtübersicht:

15 Vgl. Gerstenberger, Woe-Oracles 251; Westermann, Grundformen 137. 16 So Westermann, Grundformen 137. 17 Zur Vielgestaltigkeit des poetischen Parallelismus in der hebräischen Bibel, die über die drei Möglichkeiten „synonym“, „antithetisch“ oder „synthetisch“ weit hinausreicht, vgl. insbes. W. Watson, Classical Hebrew Poetry. A Guide to its Techniques (JSOT.S 26), Sheffield 22001, pass.

Gattungskritik und Sitz im Leben

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„Wehe“ & Adressaten

Zweiter Vorwurf

Unheils-Ankündigung

I. (8–10)

Die das Land an sich reißen (8)

--

Verfall und ­Missernte (9f.)

II. (11–13)

Die von früh bis spät Alkohol trinken (11)

Die Festmusik spielen anstatt auf Gottes Taten zu achten (12)

Exil, Hunger, Durst (13) plus Erweiterung 14–17

III. (18 f.)

Die Unrecht herbeiziehen (18)

Die vorheucheln, Gottes Ratschluss erfahren zu wollen (19)

--

IV. (20)

Die Wahrheit und -Lüge vertauschen (20)

--

V. (21)

Die sich selbst für klug halten (21)

--

--

VI. (22–24)

Die Helden des Alkoholgenusses sind (22)

Die für Bestechungsgeschenke das Recht beugen (23)

Niedergang (24)

Jeder der sechs Weherufe beginnt mit dem Ausruf hôj, auf den in einer zweigliedrigen (V. 8.11.18.21.22) bzw. dreigliedrigen (V. 20) Partizipialkonstruktion die Anrede an die Adressaten folgt, welche als Anklage zu verstehen ist. Soweit stimmt also jeder der Weherufe in Jes 5 mit der zuvor erarbeiteten „reinen Form“ überein. Nur der vierte (V. 20) und fünfte (V. 21) Weheruf beschränken sich auf diesen Grundbestand. Alle anderen Weherufe sind entweder um einen zweiten Vorwurf (dritter Weheruf, V. 19), um eine Unheils-Ankündigung (erster Weheruf, V. 9 f.)18 oder um beide Elemente (zweiter Weheruf, V. 12 f.; sechster Weheruf, V. 23 f.) erweitert.19 Im Plenumsgespräch kann die Seminargruppe die Gründe für den Befund diskutieren. Traditionell geht die Gattungskritik vom überlieferungsgeschichtlichen Primat der kleinen Einheiten aus. Es ist tatsächlich nicht unplausibel, anzunehmen, dass auch die sechs Weherufe von Jes 5 einmal unabhängig voneinander tradiert worden sind.20 Die literarkritische Beobachtung von der Doppelung zwischen den Versen 11 und 22 erhärtet diese Annahme, denn wären alle sechs Weherufe von vornherein als Einheit konzipiert worden, ließe sich die zweifache Polemik gegen die Rauschsüchtigen schlecht erklären,21 zumal sie hier ganz offensichtlich nicht als Rahmen konzipiert ist, der alle anderen Weherufe umschließt. Die ungleiche Länge der sechs Weherufe kann sich einem ursprünglich disparaten Überlieferungs18 Wildberger, Jesaja 183.185 arbeitet hier mit den klassischen Bezeichnungen „Scheltwort“ und „Drohwort“ und stellt die Weherufe somit in den Zusammenhang der Gerichtsprophetie. 19 Vgl. hierzu auch Westermann, Grundformen 139. 20 Vgl. Beuken, Jesaja 146; Wildberger, Jesaja 180 f. Wildberger geht davon aus, dass es sich zwischenzeitlich um eine Siebenerreihe handelte, zu der auch der Weheruf Jes 10,1–3 hinzugehörte. 21 So Wildberger, Jesaja 180.

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stoff verdanken (Haacker);22 auf der Basis des Axioms von der Ursprünglichkeit der „reinen Form“ müssten alle Teile der Weherufe I–III und VI, welche über den Grundbestand von hôj + Adresse hinausgehen, jedoch als sekundäre Erweiterungen begriffen werden. Alle sechs Weherufe richten sich gegen die Genusssucht und Skrupellosigkeit der Reichen und Mächtigen. Dieses gemeinsame Grundthema hat ihre Zusammenstellung begünstigt. Hinsichtlich der Erweiterungen fällt besonders auf, dass bei aller Regelmäßigkeit der Formulierungen dennoch die Einleitungen der UnheilsAnkündigungen voneinander abweichen: Während die Drohung des ersten Wehe­ rufs von der Wendung „In meinen Ohren [ist] JHWH Zevaoth …“ (V. 9) eingeleitet wird, beginnen die Drohungen des zweiten und sechsten Weherufs schlicht mit „darum“ (lachen, V. 13.24), so wie auch die Erweiterung nach dem zweiten Weheruf (V. 14–17). Beim ersten und zweiten Weheruf steht die Unheils-Ankündigung in einem spiegelbildlichen Entsprechungs-Verhältnis zum Vergehen der Adressaten: Denen, die Häuser und Äcker an sich bringen wollen (V. 8), wird die Verlassenheit der Häuser und eine Missernte vorhergesagt (V. 9 f.). Und diejenigen, die rauschende Gelage feiern, anstatt nach Gottes Taten zu fragen (V. 11 f.), sollen Hunger und Durst leiden (V. 13). Eine ebenso strikte inhaltliche Zuordnung der Unheils-Ankündigung zur Schuld der Angesprochen lässt sich im sechsten Weheruf dagegen nicht feststellen. Deswegen muss erwogen werden, ob V. 24 evtl. nicht als auf den sechsten Weheruf bezogene Drohung, sondern als Abschluss der gesamten Reihe verstanden werden kann.23 Die → Redaktionskritik könnte darum im Anschluss an die gattungskritische Arbeit prüfen, inwieweit die beiden durch hebr. lachen eingeleiteten Teile V. 14–17 und V. 24 als spätere Ergänzungen aus einer Hand interpretiert werden können.24 Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Beschäftigung mit der Form des Weherufs hat deutlich gemacht, wie intensiv auch der Abschnitt Jes 5,8–24 von dieser Redeform Gebrauch macht. Sowohl die ausgeprägten übereinstimmenden Züge der sechs Weherufe als auch ihre voneinander abweichenden Eigenschaften ließen sich beschreiben. Während die „reine Form“ der kleinen Einheiten in ein überlieferungsgeschichtlich frühes Stadium zurückverweist,25 muss die Sammlung und Erweiterung der Weherufe durch spä22 So geht auch Wildberger, Jesaja 182 f., davon aus, dass die Weherufe weitgehend auf den Propheten zurückzuführen sind; Wildberger rechnet dabei nur mit kleineren Zusätzen. 23 So Beuken, Jesaja 153. 24 Im Einzelnen ist es schwierig, den verschiedenen Erweiterungs-Elementen einen genauen Platz innerhalb der Entstehungsgeschichte des vorliegenden Texts zuzuweisen (vgl. Beuken, Jesaja 146). Die Möglichkeiten reichen von einer Erweiterung durch den Propheten selbst, über die Fortentwicklung innerhalb der mündlichen Trägergemeinschaft bis hin zur Ausgestaltung im Zusammenhang der → Redaktionskritik. 25 Beuken, Jesaja 146, führt sie auf den Propheten Jesaja selbst zurück.

Gattungskritik und Sitz im Leben

213

tere Überlieferungs- und Redaktionsprozesse erklärt werden. Hinter dem Wortlaut von Jes 5 wird eine Propheten-Persönlichkeit greifbar, die im Vorhof des Tempels mutig auftritt und den einflussreichen Männern aus dem Volk Gottes Missfallen über ihre eigensinnige Lebensführung entgegenschleudert. Gleichzeitig spiegelt Jes 5 aber auch das Bedürfnis der späteren Tradition oder Redaktion, die Vergehen der Angeklagten und das ihnen drohende Unheil zu präzisieren. Literatur zur Textstelle W. A. M. Beuken, Jesaja 1–12 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2003, 141–158. E. Gerstenberger, The Woe-Oracles of the Prophets, in: JBL 81 (1962) 249–263. C. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, München 1960, 136–142. H. Wildberger, Jesaja, Bd. 1: Jesaja 1–12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 21980, 175–202.

Baustein NT: „Geh! Dir ist vergeben!“ (Mk 2) Weil Bultmanns „Geschichte der synoptischen Tradition“ noch immer der Literatur-Klassiker zur Formgeschichte bzw. Gattungskritik in der neutestamentlichen Forschung ist, empfiehlt es sich, mit der Lerngruppe zunächst an Beispieltexten aus den synoptischen Evangelien zu arbeiten. Besonders geeignet für die Bearbeitung sind solche Textabschnitte, in denen sich mehrere Überlieferungs-Stücke zu einer neuen Einheit verbinden, da dies unbedingt dazu nötigt, über die Überlieferungsgeschichte des Stoffs nachzudenken. So kommt es, dass viele Lehrbücher die Formgeschichte am Text von der „Heilung des Gichtbrüchigen“ (Mk 2,1–12) demonstrieren. Hier treffen die beiden Formen des „Heilungswunders“ und des „Streitgesprächs“ aufeinander.26 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Hilfreich für die gattungskritische Arbeit ist es, wenn die Lernenden bereits zuvor über eine Orientierung über literarische Zusammenhänge und deren Bedeutung für die Entstehung der synoptischen Evangelien verfügen (→ Literarkritik; Synoptischer Vergleich). Außerdem können sie von Kenntnissen narratologischer Methodenwerkzeuge (→ Aktantenanalyse) profitieren.

26 Vgl. Grundmann, Markus 73; Pesch, Markusevangelium 152 f. Andere beliebte Textabschnitte sind die „Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand“ (Mk 3,1–6: Wunderheilung plus Streitgespräch) oder die „Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jairus“ (Mk 5,21–43: zwei Wundertraditionen).

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Einstieg Zur Demonstration des Zusammenhangs zwischen Form und Inhalt dient an dieser Stelle die literarische Form des Pizzaservice-Flyers. Wer in einer Universitätsstadt lebt und für eine Weile den „Bitte-keine-Werbung-einwerfen“-Aufkleber vom Briefkasten entfernt, kann es innerhalb von einigen Wochen auf eine ganz beachtliche Sammlung von Anschauungsmaterial bringen. Anhand der gesammelten Exemplare dieser ihnen gut vertrauten Textgattung erarbeiten Studierende eine Liste von formtypischen Merkmalen. Diese gewährleisten im Umkehrschluss die Zuordnung jedes konkreten Exemplars zur Gattung, auch wenn Studierende die einzelne Ausführung möglicherweise noch nie zu Gesicht bekommen haben. Auch die charakteristische Verwendungssituation der Gattung „Pizzaservice-Faltblatt“ (Sitz im Leben) dürften Studierende leicht beschreiben können: Diese Text­sorte kommt vornehmlich am Wochenende zum Einsatz, beispielsweise am Anfang eines gemütlichen Fernsehabends mit Freunden. Seminargruppen, die über einen großen Fundus von Flyern verfügen, können das Thema sogar historisch angehen und nachzeichnen, wie die ursprünglich „reine Form“, die vornehmlich Pizza- und Pasta-Gerichte auf der Karte hatte, im Lauf der Zeit um neue Elemente erweitert wird: Schnitzel, Gyros, Pommes Frites etc. Gattungsgeschichtlich entstehen schließlich die neuen Formen des Dönerdienst- oder Sushi-Flyers. Erarbeitung / Vertiefung Während die Lernenden bei der Arbeit mit den Bringdienst-Prospekten einen induktiven Lernweg beschritten haben, bietet sich für die thematische Erschließung der Formen der synoptischen Tradition ein deduktiver Ansatz an. Die Seminarleitung stellt den Studierenden wichtige der von Bultmann angenommenen Formen vor,27 wie insbes. Heilungswunder, Naturwunder, Gleichnisse, Streit- und Schulgespräche, prophetische Worte etc. Am Ende dieser Einführung müssen die Studierenden dazu in der Lage sein, die zu den jeweiligen Formen gehörenden Elemente zu identifizieren und zu benennen. In einem nächsten Schritt können sie sodann ihr neu gewonnenes Wissen auf den konkreten Textabschnitt anwenden. In Kleingruppen untersuchen sie Mk 2,1– 12 mit dem Auftrag, die im Text vorliegenden Formen zu bestimmen. Einige Elemente der Formen, die sie zuvor kennen gelernt haben, werden die Studierenden dabei wiedererkennen (Top-Down-Prozess). Konkret können sich die folgenden Beobachtungen einstellen: 27 Wer im Seminar über viel Zeit und Platz verfügt, kann die Studierenden auch dazu anleiten, sich die Inhalte nach der Methode eines Gruppen-Mixes selbstständig zu erarbeiten bzw. gegenseitig zu vermitteln (vgl. G. Macke / U. Hanke / P. Viehmann, Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim / Basel 22012, 213 f., unter dem Stichwort „Gruppenpuzzle“).

Gattungskritik und Sitz im Leben

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–– Ein Heilungswunder bildet die Rahmenhandlung des Gesamtabschnitts: Ein gelähmter Mann wird zu Jesus gebracht und kann die Szene am Ende infolge der Interaktion mit Jesus selbstständig laufend wieder verlassen. Die Formelemente, welche Bultmann für Heilungswunder als charakteristisch ansieht, sind alle vorhanden:28 Die Exposition (V. 1–4) schildert ausführlich, wie die vier Helfer den Gelähmten auf außergewöhnliche Weise zu Jesus bringen. Die eigentliche Heilung erfolgt sodann durch die Anrede Jesu (V. 10b–11). Anschließend steht der Mann tatsächlich auf; er kann gehen (V. 12a). Dieser Teil fungiert als Demonstration des Wunders und wird gefolgt von einer Reaktion (V. 12b): Die Anwesenden geraten in Erstaunen und loben Gott. Verglichen mit der langen Exposition fällt die Beschreibung der eigentlichen Heilung an dieser Stelle damit ausgesprochen kurz aus; alle typischen Elemente eines Heilungswunders sind jedoch präsent. –– Mit den Beobachtungen zur Wunderheilung kann aber ein beachtlicher Teil der Szene noch nicht erklärt werden, nämlich die V. 5–10a. Sie gleichen am ehesten der Bultmann’schen Form eines Streitgesprächs. Streitgespräche gehören zu den sog. Apophthegmata; dies sind idealisierte kurze Szenen, die auf einen pointierten und eingängigen Ausspruch Jesu hinauslaufen. Eine solche Pointe lässt sich im vorliegenden Textabschnitt in der Aussage „Der Menschensohn hat Vollmacht, auf Erden Sünden zu vergeben“ (V. 10a) erblicken. Motiviert wird dieser Ausspruch hier nicht von einer expliziten Anfrage durch die Gegner, sondern Jesus durchschaut sogar die unausgesprochenen Gedanken der Schriftgelehrten und reagiert darauf (V. 6–8). Ausgelöst wurden die kritischen Gedanken der Gegner durch Jesu Zusage der Sündenvergebung an den gelähmten Mann (V. 5). Damit hätten sich in der Szene beide typischen Elemente der Form „Streitgespräch“ aufgefunden: erstens die Anfrage der Gegner (V. 6–8), und dann die apophthegmatische Antwort Jesu (V. 10a). Allerdings fällt auf, dass es sich hier um ein veritables Gespräch kaum handelt, denn Jesus ist der einzige, der redet.29 Angemessener ließe sich folglich von einer „Konfliktsituation“ o. ä. sprechen. Als Hilfestellung kann die Seminarleitung die Lerngruppe auf bereits in der → Aktantenanalyse gewonnene Einsichten ansprechen und die Frage aufwerfen, mit wem die Hauptfigur Jesus in diesem erzählenden Textabschnitt primär interagiert. Zwei Antwortmöglichkeiten kommen in Frage, nämlich erstens der Gelähmte (bzw. seine Helfer) oder zweitens die Schriftgelehrten. Die Einsicht in die verschiedenen Handlungszusammenhänge kann den Studierenden dabei die Augen dafür öffnen, dass die beiden unterschiedlichen Interaktionen auch auf unterschiedliche Art (Form) geschehen.

So weit können die Studierenden ihren Gedankengang gut in kleinen Gruppen entwickeln. Für die folgenden weiterführenden Überlegungen bietet sich dann

28 Vgl. dazu auch Pesch, Markusevangelium 152 f. 29 Vgl. auch Pesch, Markusevangelium 151.153.

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aber das Plenumsgespräch an, in dem die Seminarleitung stärker die Möglichkeit hat, die Studierenden auf knifflige Aspekte hinzuweisen: –– Die Szene Mk 2,1–12 lässt sich mit den oben gesammelten Beobachtungen als eine Verbindung zweier Formen begreifen: In den Rahmen des Heilungswunders ist ein Streitgespräch eingebettet worden.30 Eine Scharnierfunktion kommt dabei den beiden Versen 5 und 9 zu; beide lassen sich weder vollkommen der Wunderheilung noch dem Streitgespräch zuordnen. Zusammengehalten werden beide Teile der Szene von der gemeinsamen Thematik der Sündenvergebung.31 Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein ursprünglich isoliert überliefertes Heilungswunder auch schon die Zusage der Vergebung beinhaltet haben könnte, da der Glaube an einen Zusammenhang zwischen Sünde und körperlicher Beeinträchtigung in der antiken jüdischen bzw. christlichen Welt eine gewisse Verbreitung besitzt (vgl. nur Joh 9).32 Auffällig ist außerdem die anakoluthische Satzstruktur von V. 10:33 Will man den Bruch in der Syntax nicht als Stilmittel verbuchen, kann man in ihm sehr gut einen Hinweis darauf erblicken, dass an dieser Stelle Überlieferungen aufeinander treffen, die zuvor getrennt voneinander existierten. Der grammatisch holprige Übergang von der Anrede Jesu an die Gegner zur Anrede an den gelähmten Mann dient häufig auf diese Weise als literarkritisches bzw. formgeschichtliches Argument.34 –– Die ältere Formgeschichte kann auf der Basis der gesammelten Einsichten zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die beiden Episoden der Heilung des Gelähmten und des Streits um die Sündenvergebung einmal unabhängig voneinander waren und im Lauf des Überlieferungsprozesses miteinander kombiniert worden sind. Beide Teile weisen weitgehend – mit den oben angesprochenen Besonderheiten – den idealtypischen Aufbau der jeweiligen Form auf. Das Motiv der Sündenvergebung stellt dabei das verbindende Moment dar; es ermöglicht die Einbettung des Streitgesprächs in das Heilungswunder. Traditionell nimmt die Formgeschichte der Bultmann-Schule für Heilungswunder und Streitgespräche recht unterschiedliche „Sitze im Leben“ an. Heilungswunder gehören zum Erzählstoff der Evangelien und verweisen auf einen missionarischen Kontext. Dagegen rechnet Bultmann die Streitgespräche zum Redenstoff; sie gehören innerhalb der mündlichen Überlieferung in einen apologetischen Kontext.35 Dass beide Teile sich im vorliegenden Textabschnitt zu einer Einheit verbun30 Vgl. hierzu auch Klumbies, Mythos 224. Freilich will Klumbies im weiteren Verlauf seiner Studie auf die Annahme hinaus, dass sich der vorliegende Text Mk 2,1–12 sehr wohl als organische Einheit begreifen lässt. 31 Vgl. auch Grundmann, Markus 73. 32 Vgl. dazu insbes. Grundmann, Markus 78 f. 33 Vgl. auch Pesch, Markusevangelium 151. 34 Vgl. dazu Klauck, Frage 227 f. 35 Grundmann verortet das vorliegende Streitgespräch in der Gemeindeunterweisung: Es dient seiner Ansicht nach der Begründung, weshalb man sich im frühen Christentum die Sündenvergebung im Namen Jesu zuspricht (Grundmann, Markus 73).

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den haben, ist unter dieser Perspektive immerhin erstaunlich. Bei genauerer Betrachtung muss die referierte Hypothese auch davon ausgehen, dass das Streitgespräch, welches hinter Mk 2,1–12 zum Vorschein kommt, ursprünglich frei von einer konkreten erzählten Situation tradiert wurde. Es müsste nach folgendem Schema aufgebaut gewesen sein: Jesus vergab einmal einem Menschen die Sünden, – daraufhin erhoben die Gegner Einwände, – Jesus antwortete apoph­ thegmatisch. Dass ein solch blasses Streitgespräch in einer tatsächlichen apologetischen Auseinandersetzung des frühen Christentums hilfreich gewesen sein sollte, ist nun aber schwer vorstellbar. Näher liegt darum die Annahme, dass das Apophthegma erst mit der Integration in die Wunderepisode zum Streitgespräch ausgebaut wurde.36 In eine bereits existierende Heilungs-Überlieferung wird also durch den gemeinsamen Bezug zur Thematik der Vergebung ein passender pointierter Ausspruch Jesu integriert und erweitert. Bei allen über diese bescheidenen Ansätze hinausgehenden überlieferungsgeschichtlichen Hypothesen ist Zurückhaltung angebracht.37 Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Wichtig ist es, am Ende der gattungskritischen Arbeit dem Blick wieder von der Vorgeschichte zurück zum eigentlichen auszulegenden Text zu lenken. Es hat sich gezeigt, dass in Mk 2,1–12 eine Verbindung eines Heilungswunders mit einem Streitgespräch vorliegt. Beide sind vielleicht schon in der vormarkinischen Tradition, spätestens aber durch den Evangelisten, den wir Markus nennen, zusammengefügt worden. Die Kenntnis der charakteristischen Form-Elemente ermöglicht es den Studierenden, wahrzunehmen, an welchen Punkten der vorliegende Text vom zu erwartenden Schema abweicht. So springen die lange Exposition des Wunders (V. 1–4), die Reaktion Jesu auf die unausgesprochenen Gedanken seiner Gegner (V. 6–8) sowie der auffällig unterbrochene Satzbau von V. 10 besonders ins Auge. Schlussendlich unterstreichen die Ergebnisse der formgeschichtlichen Herangehensweise die zentrale Bedeutung der Vollmacht Jesu zur Sündenvergebung im vorliegenden Textabschnitt. Das erfolgreich durchgeführte Wunder wird in der Endgestalt der markinischen Erzählung zum Interpretament der Sündenvergebungsvollmacht Jesu.

36 Ähnlich auch Bultmann, Geschichte 12–14; Pesch, Markusevangelium 158. 37 Ich verweise hier noch einmal auf die oben bereits erwähnte Kritik Haackers, die mit Recht zur Vorsicht mahnt. Die Verbindung beider Traditionen muss spätestens durch die markinische Redaktion erfolgt sein. Grundmann hält es aber auch für denkbar, dass Markus die Verbindung bereits in der mündlichen Überlieferung vorgefunden hat (Grundmann, Markus 74).

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Literatur zur Textstelle R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition. Mit einem Nachwort von Gerd Theißen (FRLANT 29), Göttingen 101995, 12–14. W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus (ThHK 2), Berlin 91984, 72–79. H.-J. Klauck, Die Frage der Sündenvergebung in der Perikope von der Heilung des Gelähmten (Mk 2,1–12 parr), in: BZ.NF 25 (1981) 223–248. P.-G. Klumbies, Der Mythos bei Markus (BZNW 108), Berlin 2001, 222–224. R. Pesch, Das Markusevangelium, Bd. 1: Einleitung und Kommentar zu Kap. 1,1–8,26 (HThK. NT II/1), Darmstadt 2000, 151–163 (Sonderausgabe).

Ertrag zur Methode Am Ende der Einheit besitzen die Studierenden eine Sensibilität für die mündliche Tradition, die der schriftlichen Fixierung biblischer Texte vorausgeht. Sie kennen verbreitete Theorien zur Überlieferungsgeschichte und können auf dieser Grundlage eigenständig Hypothesen formulieren. Der gattungskritische Blickwinkel ermöglicht es ihnen aber auch, Besonderheiten in einem konkreten biblischen Text wahrzunehmen, dort nämlich, wo sich einzelne Bestandteile eines Texts gegen die gattungskritische Klassifizierung sträuben. Die Studierenden wissen um die Probleme der axiomatischen Setzungen in der älteren Formgeschichte und können in ihren eigenen exegetischen Überlegungen daher Behutsamkeit walten lassen. Weitere Ideen Die gattungskritische Arbeit können die Studierenden im Rahmen des biblischen Methodenseminars nur exemplarisch erlernen. Ihre Erfahrung mit der eigenständigen Arbeit an der biblischen Überlieferung beschränkt sich darum auf wenige Formen und Gattungen. Reizvoll ist darum auch der Seitenblick auf weniger prominente Formen, wie in der hebräischen Bibel beispielsweise auf die Psalmen mit ihren explizit oder implizit angegebenen Verwendungssituationen; oder innerhalb der neutestamentlichen Briefliteratur etwa auf die Formen des Hymnus (z. B. Phil 2,5–11) oder des Bekenntnisses (z. B. 1 Kor 15,3–5). Als eine schöne Variante zum Einstieg ins Thema lassen sich verschiedene leere Flaschen verwenden. Innerhalb von kürzester Zeit können die Studierenden Rückschlüsse von der Form auf den Inhalt der Flaschen ziehen – auch wenn die Flaschen geleert und die Etiketten entfernt wurden.38 Bier-, Wein-, Wasser- und Limonadenflasche, Parfümflakon und Spülmittelbehältnis, Tequila- oder Vodkapulle: Jede Flasche hat ihre charakteristische Form, die unmissverständlich auf 38 Die Idee stammt von T. Meurer, Einführung in die Methoden alttestamentlicher Exegese (Theologische Arbeitsbücher 3). Münster 1999, 87.

Gattungskritik und Sitz im Leben

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ihren Inhalt hinweist. Nach einem kurzen Ratespiel können Leitung und Lerngruppe die Frage thematisieren, zu welchen Gelegenheiten denn die unterschiedlichen Flaschen mit ihren je bestimmten Inhalten zum Einsatz kommen. Sicher gelingt es dabei, einen Katalog von Merkmalen zusammenzustellen, welche eine Situation aufweisen muss, damit die Verwendung einer spezifischen Flasche bzw. ihres Inhalts angebracht ist. Auf diese Weise wird deutlich, dass die unterschiedlichen Formen je auch einen typischen „Sitz im Leben“ haben. Wer das Prinzip durchschaut hat, kann natürlich auch kreativ mit ihm umgehen. Scherze leben oftmals davon, dass der – ansonsten selbstverständliche – Zusammenhang von Form und Inhalt durchbrochen wird. Und dass mein Opa seinen Pinselreiniger in einer ausgetrunkenen Weinbrand-Flasche aufbewahrt hat, mahnt zwar zur Vorsicht, bestätigt als sprichwörtliche Ausnahme aber auch wiederum die Regel. Gattungsspezifische Texte können die Studierenden auch durchaus selbst verfassen, wie beispielsweise einen Liebesbrief oder eine Todesanzeige. Aus dem Vergleich der so entstandenen Exemplare lassen sich sodann die gattungstypischen Merkmale abstrahieren.

Redaktionskritik Nils Neumann

Hinführung zur Methode Viele von uns besaßen als Kinder diese bunten Bausteine aus Kunststoff, die einen derben Schmerz verursachten, wenn man barfuß auf dem Weg durch das unaufgeräumte Kinderzimmer ein Exemplar übersah. Beim Spielen mit diesen Bausteinen mag es für eine Weile unterhaltsam sein, ein existierendes Bauwerk auseinander zu nehmen und die so gewonnenen einzelnen Klötzchen zu untersuchen und farblich zu sortieren. Über kurz oder lang wächst dann aber doch auch der Wunsch, die einzelnen Teile wieder zum Bauwerk zusammenzusetzen. Ähnliches hat sich jedenfalls in der Mitte des 20. Jahrhunderts im Bereich der bibelwissenschaftlichen Methodik ereignet: Mit der → Literarkritik und der → Gattungskritik standen der Exegese in dieser Zeit leistungsfähige Instrumente zur Verfügung, um den biblischen Text zielsicher auf seine mündlichen oder schriftlichen Vorstufen hin zu befragen und die Beschaffenheit dieser Vorstufen genau zu beschreiben. Je präziser dies möglich wurde, umso vernehmbarer stellte sich dann aber auch die Frage, unter welchen Gesichtspunkten diejenigen, denen die Texte ihre kanonische Gestalt verdanken, ihr Material ausgewählt, angeordnet und bearbeitet haben.1 Dies ist die Frage nach der Redaktion der biblischen Schriften. Um im Bild von den Bauklötzchen zu bleiben: Im Anschluss an Literar- und Formkritik, die die einzelnen Komponenten des Bauwerks analysierten, richtete die Redaktionskritik ihr Augenmerk auf das Bauwerk selbst, um seine Entstehung und seine Charakteristika zu begreifen. Während die Literarkritik bei der Inkohärenz einer zu untersuchenden Textstelle einsetzt, fokussiert die Redaktionskritik also stärker die Kohärenz des Texts vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte.

1 Vgl. hierzu auch Strecker, Redaktionsgeschichte 23.

Redaktionskritik

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Auf dem Feld der neutestamentlichen Exegese hat in den 1950er Jahren2 zuerst Hans Conzelmann in seiner Habilitationsschrift „Die Mitte der Zeit“3 eine gezielt redaktionskritische Herangehensweise angewandt und dezidiert die Zeitkonzeption erforscht, die dem lukanischen Doppelwerk zugrunde liegt. Gerade die Aspekte, die nicht zum Überlieferungsgut des Verfassers gehören, sondern seiner eigenen Feder entspringen, wertet Conzelmann unter dieser Problemstellung aus. Damit knüpft er einerseits nahtlos an den formkritischen Forschungsstand seiner Zeit an, geht aber gleichzeitig auch über dessen Horizont hinaus, indem er sich eben für die konstruktiven Aspekte des Gesamtwerks interessiert. In Günther Bornkamm und seinen Schülern, die auf ähnliche Weise das Matthäusevangelium bearbeiten und ihre Ergebnisse gemeinsam in dem Buch „Überlieferung und Auslegung des Matthäusevangeliums“ publizieren, findet Conzelmann methodisch Gleichgesinnte. Mit dem dritten und letzten der Synoptiker befasst sich danach Willi Marxsen. Er knüpft in seiner Studie „Der Evangelist Markus“ an die Arbeiten von Conzelmann und Bornkamm an und gibt der neu entstandenen Arbeitsweise mit seinem Untertitel „Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums“ ihren Namen.4 So gelingt es der Redaktionsgeschichte, die Verfasser der synoptischen Evangelien, die bis dahin vor allem als Sammler und Tradenten von Überlieferungsmaterial von Interesse waren,5 als reflektierte Gestalter ihrer Inhalte und damit als Schriftsteller bzw. Erzähler und Theologen zu würdigen.6 Um dies tun zu können, muss die Redaktionskritik auf einen gewissen Konsens hinsichtlich der Überlieferung aufbauen. Unter der Voraussetzung, dass das dem Evangelisten vorliegende Material zuverlässig erschlossen wurde, kann die redaktionskritische Arbeitsweise sodann beschreiben, auf welche Weise der Redaktor seinen Stoff ausgewählt, angeordnet und ggf. abgeändert hat.7 Aufbauend auf den Hypothesen zu den schriftlichen oder mündlichen Quellen, die einem biblischen Text zugrunde liegen, wird hier also nach den leitenden Prinzipien gefragt, die den Bearbeiter (Redaktor) dazu veranlasst haben, disparate Materialien zu sammeln, zusammenzufügen und zu ergänzen. Sowohl die Tradition als auch die Redaktion müssen also in diesem Arbeitsschritt Beachtung finden. Die Kenntnis der Tradition ist die unverzichtbare Voraussetzung für die Beschäftigung mit der Redaktion. Nur so kann die Redak­ 2 Zuvor haben faktisch auch bereits etwa William Wrede mit seiner These vom „Messiasgeheimnis“ des Markusevangeliums oder Karl Ludwig Schmidt mit seiner Annahme vom unhistorischen „Rahmen der Geschichte Jesu“ redaktionskritische Hypothesen geäußert (vgl. dazu insbes. Strecker, Redaktionsgeschichte 15–19). Diese standen am Anfang des 20. Jahrhunderts aber noch nicht im Kontext einer methodischen Strömung. 3 Tübingen 31960. 4 Vgl. Kratz / Merk, Redaktionsgeschichte 379.381; Rohde, Methode 14. Vgl. auch Donahue, Redaction Criticism 28; Perrin, Wredestrasse 297. 5 Vgl. Strecker, Redaktionsgeschichte 19. 6 Vgl. dazu v. a. Lindemann, Erwägungen pass. Vgl. hierzu auch P.-G. Klumbies, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015, 58; Rohde, Methode 13. 7 Auch Auslassungen können aufschlussreich sein (vgl. Perrin, Wredestrasse 297; Strecker, Redaktionsgeschichte 25).

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tions­kritik dann nach den Merkmalen forschen, die das narrative, argumentative, geistesgeschichtliche und theologische Profil einer biblischen Schrift ausmachen. Dabei macht gerade die Frage nach diesen Kohärenzmerkmalen die Redaktionskritik zu einem Scharnier zwischen synchroner und diachroner Texterschließung.8 Während die Pioniere der redaktionkritischen Methode innerhalb der Forschung an den synoptischen Evangelien von einem einzigen Redaktionsvorgang ausgingen (der Evangelist sammelt und bearbeitet sein Material), nimmt die spätere Redaktionskritik für andere Schriften und Schriftengruppen der Bibel einen mehrschichtigen Bearbeitungsprozess an. Beispiele hierfür sind etwa die Pentateuch-Forschung oder Bultmanns Johannes-Kommentar.9 Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung Mit dem Erlernen der redaktionskritischen Methodik schulen die Lernenden fortgesetzt ihr diachrones Denkvermögen und lernen dadurch die Entstehung der biblischen Texte genauer zu begreifen: –– Die Lernenden vertiefen ihre Kompetenz im Umgang mit der literar-, gattungsund motivkritischen Methodik. –– Sie erwerben eine Vorstellung von der Entstehung biblischer Texte in ihrer vorliegenden Gestalt. Gleichzeitig können die Lernenden aber auch die vorliegenden biblischen Schriften als inhaltlich durchdachte Texte würdigen: –– Sie können sprachliche und inhaltliche Besonderheiten einer biblischen Schrift aufspüren und benennen. –– So gelingt es ihnen schließlich, die unterschiedlichen literarischen und theologischen Profile bzw. Konzeptionen der Schriften zu differenzieren und zu beschreiben, d. h. das redaktionelle Konzept der jeweiligen Texte zu erheben.10  8 Vgl. Donahue, Redaction Criticism 48. Donahue unterscheidet dabei zwischen zwei verschiedenen möglichen Blickrichtungen redaktionskritischer Arbeit. Er sieht einerseits einen unterscheidenden Ansatz (Tradition vs. Redaktion), der den Text in seine Schichten zerlegt, und andererseits einen bündelnden Ansatz, der eher auf die Zusammenfügung des Materials und die ihm zugrunde liegenden Überzeugungen achtet.   9 In der Arbeit am Pentateuch wird häufig die These vertreten, dass hier Quellenschriften miteinander kombiniert wurden, die zuvor selbstständig existierten. Das Ergebnis dieser Kombination wurde dann wiederum von einem (deuteronomistischen) Bearbeiter durchgesehen und stellenweise verändert. Ähnlich verhält es sich mit Bultmanns Auffassung von der Entstehung des Johannesevangeliums. Dem Evangelisten lagen mündliche und schriftliche Materialien vor. Sein Werk ist dann aber nach seinem Abschluss noch einmal von einem kirchlichen Redaktor bearbeitet worden. 10 Zu Recht unterstreicht Rohde die Tatsache, dass diese Profile sich wiederum entstehungsgeschichtlichen Notwendigkeiten verdanken. So ermöglicht die Kenntnis der redaktionellen Prozesse, die eine biblische Schrift auszeichnen, auch Rückschlüsse auf den Entstehungskontext der Endgestalt, welcher nach der Auffassung des Redaktors offenbar die Betonung der jeweiligen Charakteristika erforder-

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Literatur zur Methode Klassiker G. Bornkamm u. a., Überlieferung und Auslegung des Matthäusevangeliums (WMANT 1), Neukirchen-Vluyn 51968. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 7), Tübingen 31960. W. Marxsen, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums (FRLANT 67), Göttingen 21959.

Weitere Literatur J. R. Donahue, Redaction Criticism: Has the Hauptstrasse Become a Sackgasse?, in: E. S. Malbon / E. V. McKnight (Hrsg.), The New Literary Criticism and the New Testament (JSNT.S 109), Sheffield 1994, 27–57. R. G. Kratz / O. Merk, Art. Redaktionsgeschichte / Redaktionskritik, in: TRE 28 (1997) 367– 384. A. Lindemann, Erwägungen zum Problem einer „Theologie der synoptischen Evangelien“, in: ZNW 77 (1986) 1–33. N. Perrin, The Wredestrasse Becomes the Hauptstrasse: Reflections on the Reprinting of the Dodd Festschrift in: JR 46 (1966) 296–300. J. Rohde, Die redaktionsgeschichtliche Methode. Einführung und Sichtung des Forschungsstandes, Hamburg 1966. G. Strecker, Redaktionsgeschichte als Aufgabe der Synoptikerexegese, in: Ders.: Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1979, 9–32.

Baustein AT: Gottes Sturm und Moses Stab (Ex 14,15–31) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Wie gesagt setzt die redaktionskritische Arbeit die vorausgehende Beschäftigung mit → Literarkritik, Gattungskritik und Überlieferungsgeschichte sowie Motivkritik voraus. Dies sind die Arbeitsschritte, die Auskunft darüber geben, welche einzelnen Elemente, die schon vor der Entstehung der Endgestalt existierten, in den Text Einzug gefunden haben. Auf dieser Grundlage lässt sich dann nach den Gesichtspunkten der Entstehung des vorliegenden Texts fragen. Der gedankliche Weg im biblischen Methodenseminar verläuft somit von der Kohärenz (Textkonstitution) lich macht. Rohde, Methode 23, spricht diesbezüglich – in Anlehnung an die formgeschichtliche Terminologie – von einem „dritten Sitz im Leben“ (nach dem sog. „Sitz im Leben Jesu“ und dem Sitz im Leben der Trägergemeinschaften mündlicher Überlieferung).

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zur Inkohärenz (Literar- und Formkritik) und dann wieder zurück zur Kohärenz (Redaktionskritik). Einstieg Banksy ist ein aus Bristol stammender britischer Graffiti-Künstler, dessen Werke es mittlerweile von der Straße bis hinein in Ausstellungen geschafft haben, die tausende von Besucherinnen und Besuchern anziehen. Sein Buch „Wall and Piece“ beinhaltet aber auch einige unterhaltsame Beispiele dafür, dass es dem Künstler bereits vor seiner Etablierung in der modernen Kunst gelungen ist, einzelne Werke unbemerkt in große Museen hineinzuschummeln.11 Gruppen von Studierenden erhalten jeweils Abzüge der Bild-Dokumentationen von Banksys Guerilla-Kunst-Aktionen. Sie sollen beschreiben, wie genau der Brite jeweils vorgegangen ist und welches Ziel er mit seinem Vorgehen verfolgt hat. Folgende Einsichten werden sich ergeben: Banksy besorgt sich auf dem GebrauchtMarkt potenzielle handliche Museums-Exponate. Doch bevor er sie in das Museum hineinmogelt und sie in einem unbeobachteten Moment zwischen den dort ausgestellten Stücken platziert, fügt er Elemente hinzu: Der präparierte dicke Käfer erhält Tragflächen und Raketenbewaffnung eines Modellflugzeugs, bevor er ins Naturkundemuseum wandert; das Ölbild von einer Landschafts-Idylle wird um ein Polizei-Absperrband ergänzt oder der Monet-See um zwei halb versunkene Einkaufswagen. Anschließend hängt Banksy sie mit starkem doppelseitigem Klebeband neben Werke des 19. Jahrhunderts. Ein Plenumsgespräch wertet anschließend die Beobachtungen der Lernenden aus und bündelt sie. Der Guerilla-Künstler verschafft sich Material, welches er der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte (Sammlung); er verändert dieses Material durch die Hinzufügung kleiner Einzelheiten gemäß seinen eigenen Vorstellungen (Bearbeitung) und platziert das so gestaltete Ausstellungsstück schließlich in einem musealen Kontext (Anordnung). Damit zeichnet sich seine Vorgehensweise durch ähnliche Merkmale aus wie die redaktionelle Arbeit der synoptischen Evangelisten.12 Die Wahrnehmung dieses wiederkehrenden Mechanismus ermöglicht es den Lernenden anschließend aber umso besser, begründete Thesen über die Aussageabsicht des Künstlers zu formulieren: Banksy geht es um einen Verfremdungs-Effekt. Er will sein Publikum dadurch überraschen, dass er Aspekte in die Exponate einbringt, die man in der jeweiligen Ausstellung nicht erwarten würde. Besucherinnen und Besucher der Museen, die in die beschauliche Welt der Käfer oder in die Landschaftsmalerei des Impressionismus abtauchen wollen, werden so mit ihrer eigenen Gegenwart und deren unerfreulichen Eigenschaften konfrontiert, wie Krieg, Kriminalität und Umweltverschmutzung oder Konsum11 Banksy, Wall and Piece, London 2006, ab S. 158. 12 Ein Unterschied besteht freilich darin, dass Banksy nicht das Gesamtwerk – die museale Ausstellung insgesamt – gestaltet, sondern nur ein Element hinzufügt.

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verhalten. Banksys Botschaft ist eine politische Botschaft, die zum Nachdenken herausfordert. Ganz ähnlich haben auch die biblischen Redaktoren ihr Programm: Auch ihr Wirken lässt sich unter stilistischen sowie theologischen Gesichtspunkten beschreiben. So ermöglicht der Analogieschluss zur modernen Subkultur ein vertieftes Verständnis für die redaktionskritische Methodik, die sodann an einem Bibeltext erprobt werden kann. Erarbeitung / Vertiefung Weil die Redaktionskritik in Ex 14 – wie so häufig – auf der Literarkritik basiert, kann es didaktisch erforderlich werden, dass die Seminarleitung den Lernenden die Ergebnisse literarkritischer Forschung an der Meerwundererzählung am Anfang der Erarbeitung in Form eines Vortrags darlegt. Ideal wäre es aber, wenn die Studierenden bereits in einer der vorausgehenden Seminarsitzungen unter literarkritischer Perspektive am selben Textabschnitt gearbeitet hätten. Sollte dies studienorganisatorisch nicht möglich sein, muss die Leitung unbedingt darauf achten, in ihrem Vortrag die Gründe für die literarkritischen Entscheidungen auch transparent zu machen. Auf diese Weise ermöglicht sie der Seminargruppe erstens die Einübung und Verfestigung literarkritischen Wissens und schafft zweitens eine nachvollziehbare Basis für die Anwendung der Redaktionskritik. Für die Existenz zweier verschiedener Quellenschriften in Ex 14,15–31 sprechen unter literarkritischer Betrachtungsweise vor allem die zahlreichen Doppelungen: Die Art und Weise, wie das Wasser sich teilt, die darauf folgende Reaktion des ägyptischen Heeres, die Rückkehr des Wassers, der Untergang der Gegner sowie die darauf folgende Wahrnehmung des Geschehens durch das Volk Israel werden je zweimal und unterschiedlich geschildert.13 Auf der Basis dieser Beobachtung hat sich in der alttestamentlichen Wissenschaft die Ansicht durchgesetzt, dass hier zwei ursprünglich selbstständige Erzählfäden miteinander verknüpft wurden, nämlich eine evtl. ältere nicht-priesterliche (früher als „jahwistisch“ bezeichnete14) Fassung und eine jüngere (priesterliche). Mutmaßlich haben diese einmal die folgenden Teile des Texts umfasst:15 –– nicht-priesterliche Quelle: V. 19b.20.21aβ.24.25b.27aβb.30a –– priesterliche Quelle: V. 15–18.21aαβ.22.23.26.27aα.28.29

13 Vgl. von Rabenau, Erzählungen 8 f. 14 Vgl. dazu T. Römer, Zwischen Urkunden, Fragmenten und Ergänzungen. Zum gegenwärtigen Stand der Pentateuchforschung, in: ZAW 125 (2013) 2–24. 15 Die Einteilung folgt dem Vorschlag von Donner, Redaktor, findet sich aber beinahe identisch auch bei von Rabenau, Erzählungen. Hinsichtlich der priesterlichen Fassung stimmt auch Weimar, Meerwundererzählung, mit dem genannten Vorschlag weitgehend überein. Weimar sieht hinter der nicht-priesterlichen Quelle jedoch eine alte Erzählung, welche anfänglich nur Teile der V. 24– 25.27–28.30–31 umfasst hat und dann mehrfach überarbeitet worden ist, bevor sie redaktionell mit der priesterlichen Quelle verbunden wurde.

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Für die redaktionskritische Arbeit an der Textpassage bieten sich nun insgesamt zwei Ansatzpunkte an: a. Legt man den Fokus auf die ursprünglich eigenständigen Quellentexte, kann man deren je spezifisches literarisches Profil zu verstehen trachten und die Quellen zeitgeschichtlich einordnen. b. Legt man den Fokus hingegen auf die Endgestalt des biblischen Textabschnitts, kann man nach Spuren von Überarbeitung der Quellen suchen und nach den Gründen für die redaktionelle Bearbeitung fragen. Beides soll in der folgenden Arbeitsphase mit der Seminargruppe geschehen. Die folgende Skizze zum Verlauf einer Arbeitsphase variiert die hochschuldidaktische Methode des Gruppenpuzzles16 und lässt sich besonders gut mit einer Sitzordnung realisieren, bei der die Tische ring- oder U-förmig angeordnet sind. Eine Hälfte der Lernenden sitzt innerhalb des Rings, die andere Hälfte sitzt außerhalb. Alle Studierenden erhalten ein Arbeitsblatt:17 die nicht-priesterliche Quelle für die innen sitzenden, und die priesterliche Quelle für die, die sich im äußeren Ring befinden. Die Arbeitsaufgabe besteht darin, dass alle Lernenden die Akzente benennen sollen, die ihre jeweilige Quelle bei der Erzählung des Schilfmeerwunders setzt. Dabei können ggf. einige Leitfragen hilfreich sein, die die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Punkte lenken, welche in der literarkritischen Analyse des Gesamttexts Ex 14,15–31 als Doppelungen aufgefallen waren: –– Wodurch verschwindet das Wasser? –– Wie reagieren die Ägypter auf das Wunder? –– Wodurch kehrt das Wasser zurück? –– Auf welche Weise gehen die Ägypter unter? –– Wie deuten die Israeliten das Geschehen? Nachdem die Lernenden sich eine Zeit lang einzeln mit dem Arbeitsblatt befasst und ihre Beobachtungen notiert haben, wenden sie sich an ihre Nachbarin oder ihren Nachbarn aus der gleichen Gruppe, um die Beobachtungen miteinander abzugleichen. Zu zweit skizzieren sie das literarische Profil der jeweiligen Quelle, soweit es aus dem Textabschnitt ersichtlich wird. Dabei können sich die folgenden Einsichten ergeben: –– Die nicht-priesterliche Quelle akzentuiert das souveräne Handeln JHWHs: JHWH stellt sich in Form der Wolkensäule zwischen das Volk Israel und die Ägypter, um die Israeliten zu beschützen (V. 19b–20). JHWH legt das Meer durch einen Wind trocken (V. 21a). JHWH verwirrt die Ägypter (V. 24), treibt sie dem Meer entgegen (V. 25) und vernichtet sie durch das zurückkehrende Wasser (V. 27). Die Quelle kennt damit einen ganz deutlichen Lenker des Geschehens, nämlich JHWH. Die Völker der Israeliten und Ägypter nehmen dabei passiv 16 Vgl. dazu G. Macke / U. Hanke / P. Viehmann, Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim / Basel 22012, 213 f. 17 Eine gute Vorlage dafür gibt die bei von Rabenau durchgeführte Quellenscheidung ab: von Rabenau, Erzählungen 20 f.

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die Rolle von Objekten seines Handelns ein. Dem entsprechend schließt die Szene auch mit der Bemerkung, dass JHWH sein Volk aus der Gefahr gerettet hat (V. 30a). –– Die priesterliche Quelle hingegen lässt JHWH durch die Figur Mose handeln. Auch hier ist JHWH souverän, doch bedient er sich zur Umsetzung seines Willens der Mosefigur. Von vornherein verfolgt JHWH einen Plan: Er will das Heer des gegnerischen Volks vernichten und den Gegnern auf diese Weise zur Erkenntnis seiner göttlichen Macht verhelfen. Zweimal erwähnt der Text dabei explizit die Verherrlichung JHWHs als Ziel seines Handelns (V. 17.18: kbd). Mose erhält deswegen zunächst den Auftrag, das Wasser zu teilen, indem er seinen Stab erhebt und die Hand ausstreckt (V. 16). So geschieht es dann auch (V. 21). Auf die gleiche Weise lässt Mose nach dem Durchzug das Wasser gemäß des göttlichen Auftrags (V. 26) zurückkehren (V. 27a.28a). Stärker als die andere Quelle ist die priesterliche Version an erzählerischen Details interessiert: Sie erwähnt mehrfach die Bewaffnung der Verfolger mit Streitwagen (V. 17.18.23.26.28); auch die Art der Teilung des Wassers weicht von der nichtpriesterlichen Version ab, denn hier bildet das Wasser einen Korridor für das Volk Israel, indem es sich zu beiden Seiten wie eine Wand auftürmt (V. 22.29). Die Quelle steigert damit die Plastizität des Geschehens; der dramatische Charakter der Szene wird deutlich.18 Damit ist ein erstes Ziel erreicht: Die Lernenden haben sich die redaktionellen Eigenarten je einer Quelle erschlossen und können sich im Plenum kurz über ihre Erkenntnisse austauschen.19 Die Leitung hält die Beobachtungen stichwortartig an der Tafel fest, damit sie gesichert sind und für den nächsten Arbeitsschritt zur Verfügung stehen. Eine zeitgeschichtliche Einordnung kann den Arbeitsschritt noch weiterführen: In welcher Epoche der Geschichte Israels gibt es Sinn, so zu schreiben, wie die beiden Quellen es tun? Diese zweite Frage können Studierende natürlich nur dann eigenständig bearbeiten, wenn 18 Dem entspricht es, dass das Volk Israel am Ende die Größe von Gottes Handeln (wörtlich: „die große Hand“, hayad hagedolah) rühmt (V. 31a). Da JHWH hier seinen Knecht Mose gebraucht, um sein Tun auszuführen, setzt das Volk am Ende auch ausdrücklich sein Vertrauen sowohl auf JHWH als auch auf Mose (V. 31b). Allerdings ist es umstritten, ob V. 31 zur priesterlichen Quelle zu zählen ist, oder ob es sich hier um einen späteren redaktionellen Zusatz handelt, der die priesterliche Logik fortführt. Von Rabenau, Erzählungen 21, rechnet den Vers zur Quelle, während Donner, Redaktor 261, ihn von ihr ausnimmt. 19 Auf einer breiteren Textbasis ließen sich hier natürlich noch viel ausführlichere und differenzierte Beobachtungen treffen (wie etwa bei von Rabenau, Erzählungen pass.). Zum Beispiel würde dann ersichtlich, dass die nicht-priesterliche Quelle eine Vorliebe für das Motiv des „sich Fürchtens“ (yr’) besitzt (vgl. Ex 14,10b.13a.31a), doch anhand des einen Belegs in V. 31a können die Lernenden dies noch nicht als Charakteristikum wahrnehmen. Dennoch empfiehlt es sich angesichts der begrenzten Zeit von einer Seminarsitzung, die Redaktionskritik zunächst einmal mit einem kurzen Text­ abschnitt einzuüben und sich entsprechend hinsichtlich der dabei möglichen Arbeitsergebnisse zu bescheiden.

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sie sich in der Zeitgeschichte gut auskennen, etwa durch eine vorgeschaltete Vorlesung zur Geschichte Israels. Wo dies nicht sicher vorausgesetzt werden kann, bietet es sich eher an, die zeitgeschichtliche Einordnung in der Plenumsphase anzuschließen, da hier nun stärkere Impulse von Seiten der Leitung gefragt sind. Bieberstein20 datiert die nicht-priesterliche Fassung in die neuassyrische Zeit, die priesterliche dagegen in die persische. Um zu dieser Konklusion zu gelangen, wertet er freilich die gesamte Exodustradition Ex 1–15 aus und stellt deren Aussagen in den Kontext weiterer biblischer und außerbiblischer Quellentexte.

Offen ist bislang noch die Frage nach den leitenden Gesichtspunkten, die in der redaktionellen Verbindung zwischen den beiden Quellentexten eine Rolle gespielt haben. Um sie zu bearbeiten, wenden sich die Lernenden nun im nächsten Schritt je einem Gegenüber zu, so dass immer eine Person aus der nicht-priesterlichen und eine Person aus der priesterlichen Gruppe miteinander ein Team bilden. Gemeinsam werfen sie einen Blick auf die kanonische Fassung der Schilfmeer-Erzählung. Ihre Arbeitsaufgabe besteht darin, das Vorgehen der Gesamtredaktion zu beschreiben: Nach welchen Kriterien wurden die beiden Erzählstränge der Quellen miteinander verflochten? Beide Mitglieder des Teams sind dabei dafür zuständig, besonders darauf zu achten, welcher Stellenwert den Aussagen aus der Quelle, für die sie zuvor zuständig waren, nun im Gesamttext Ex 14,15–31 zukommt. Die folgenden Einsichten können sich dabei ergeben: –– Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Redaktion davon überzeugt war, dass die Inhalte beider Quellen erhaltenswert sind. Anderenfalls hätte sie sich einfach für eine von beiden Fassungen entscheiden können. Gleichzeitig kann die Redaktion die Unterschiede zwischen beiden Versionen nicht als eklatante Widersprüche wahrgenommen haben. Vielmehr sah sie beide Fassungen als vereinbar an; das Endprodukt des kanonischen Texts hat sie als kohärente Erzählung empfunden.21 –– Das redaktionelle Vorgehen besteht darin, die Aussagen beider Quellen Schritt für Schritt nebeneinander zu stellen. Auf diese Weise bleibt der Wortlaut beider Vorlagen erhalten. Die längere priesterliche Fassung gibt dabei den Rahmen ab, in den die Aussagen der kürzeren nicht-priesterlichen Fassung integriert werden.22 Mit Auslassungen aus den Vorlagen ist höchstens in kleinerem Umfang zu rechnen. Auch von eigenen Hinzufügungen hat die Redaktion nur sparsam Gebrauch gemacht.23 Donner führt dieses Vorgehen auf die hohe Wertschätzung zurück, die die Redaktion ihren Quellen entgegenbringt. Die Quellen haben nach der Wahrnehmung der Redaktion bereits den Status von „heiligen“ Texten erlangt.24

20 Vgl. Bieberstein, Geschichte pass. 21 Vgl. dazu Donner, Redaktor 272; von Rabenau, Erzählungen 25 f.28. 22 So Donner, Redaktor 261; von Rabenau, Erzählungen 28. 23 Vgl. Donner, Redaktor 273 f. 24 Donner, Redaktor 283.

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–– Denkbar wäre es allerdings auch, dass die Redaktion um das Alter ihrer Quellen weiß und der älteren, also der nicht-priesterlichen ein höheres Maß an Würde zuerkennt. Dafür spricht nach Weimar die Beobachtung, dass die redaktionellen Ergänzungen innerhalb der nicht-priesterlichen Teile sich auf erzählerisch notwendige Kleinigkeiten beschränken, während die Redaktion an die priesterlichen Elemente der Erzählung auch solche Anfügungen vornimmt, die deren Aussagen neu akzentuieren.25 Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die Studierenden kennen somit die Leitprinzipien der Pentateuchredaktion, die auf „Addition“ und „Identifikation“ beruht26 und können sie im einzelnen Textabschnitt aufzeigen. Eine bündelnde Besprechung der redaktionellen Schwerpunkte von Ex 14,15–31 kann deswegen die Phase der Arbeit am Text abrunden. Zusätzlich zu ihren bereits vorhandenen Kenntnissen der literar- und formkritischen Arbeit haben sich die Lernenden nun auch ein Verständnis der redaktionskritischen Methodik erarbeitet. Sie können mit ihm einerseits das literarische und theologische Profil der Quellenschriften ergründen, andererseits hat die Seminarsitzung sie aber auch für die Leitprinzipien der Redaktion sensibilisiert, welche die Quellenschriften zu einer neuen Einheit kombiniert. Neben der Literarkritik, die ihr Augenmerk auf die inkohärenten Aspekte des kanonischen Bibeltexts richtet, beherrschen die Lernenden nun also auch die Redaktionskritik, die den Text mit der Perspektive der Redaktion als kohärente Einheit würdigt. Eine offene Diskussion um die Bedeutung von Kohärenz und Inkohärenz für das Verständnis des biblischen Texts kann darum die Lerneinheit abrunden. Literatur zur Textstelle K. Bieberstein, Geschichte und Geschichten vom Auszug aus Ägypten. Fiktional und wahr zugleich in: BiKi 62 (2007) 210–214. H. Donner, Der Redaktor. Überlegungen zum vorkritischen Umgang mit der Heiligen Schrift, in: Ders., Aufsätze zum Alten Testament aus vier Jahrzehnten (BZAW 224), Berlin 1994, 259–285. K. von Rabenau, Die beiden Erzählungen vom Schilfmeerwunder in Exod. 13,17–14,31, in: ThV 1 (1966) 7–29. P. Weimar, Die Meerwundererzählung. Eine redaktionskritische Analyse von Ex 13,17–14,31 (ÄAT 9), Wiesbaden 1985.

25 Vgl. Weimar, Meerwundererzählung 238–240. 26 So Donner, Redaktor 279. Gemeint ist, dass die Redaktion die Aussagen verschiedener Quellen nebeneinanderstellt („Addition“) und dies auch für ganz unproblematisch erachtet, da sie die dort erzählten Ereignisse für dieselben ansieht („Identifikation“).

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Baustein NT: Die Ethik der Vollkommenheit (Mt 19,16–30) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Wie immer (s. o.) setzt die Anwendung der Redaktionskritik bei den Lernenden auch hier die Kenntnis des schriftlichen oder mündlichen Materials voraus, welches dann eine redaktionelle Bearbeitung erfährt. → Literarkritik, → Gattungs- und Überlieferungskritik sowie → Motivkritik sind daher von großer Bedeutung. Für die Arbeit an einem Textabschnitt aus dem Matthäusevangelium ist darüber hinaus aber auch ein → synoptischer Vergleich unverzichtbar, da dieser auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie sehr differenzierte Einsichten in das redaktionelle Wirken des Evangelisten ermöglicht. Einstieg In der Freiburger Wochenzeitung „Der Sonntag“ war vor Jahren ein Kuriosum abgebildet. Unbekannte Täter hatten über Nacht ein Ortseingangsschild in der Nähe eines Studentenwohnheims manipuliert, indem sie die Buchstabenkombination „urg“ mit den Buchstaben „ier“ überklebt hatten. Statt „Freiburg im Breisgau“ las man dort nun „Freibier im Breisgau“.27 Dieser Fall ist einerseits natürlich eine Demonstration dafür, dass selbst ein kleiner Eingriff die Aussage eines Texts stark variieren kann. Andererseits lassen sich an ihm aber auch die Dimensionen von Redaktionstätigkeit für die biblische Exegese deutlich machen. Zu diesem Zweck projiziert die Seminarleitung eine Abbildung des Fotos aus dem „Sonntag“ an die Wand und sucht das freie Gespräch mit den Lernenden unter der Leitfrage „Was hat sich hier ereignet, und warum?“ Dabei wird sich zeigen: Es wurde von den Urhebern der Endgestalt des Texts ein bereits vorher vorhandener Wortlaut aufgenommen, dann jedoch verändert und (blieb) öffentlich platziert. Dem entspricht in der Bibelwissenschaft die Rede von der Sammlung, Anordnung und Bearbeitung des Stoffs durch die Redaktoren. Trotz der geringen Textmenge lässt sich auch anhand des Beispiels vom Ortsschild die Frage aufwerfen, die die redaktionskritische Exegese leitet: Welches Anliegen wird durch die charakteristische Bearbeitung des Texts stark gemacht? Für das „Freibier“-Schild ergibt sich die Einsicht, dass hier offenkundig ein oder mehrere Spaßvögel am Werk waren, die den Alltag der Passanten durch den Gedanken an eine Party mit kostenlosem Bier-Ausschank erheitern wollten. Analog hierzu sollen die Lernenden nun auch an einem biblischen Text zunächst die einzelnen Spuren redaktioneller Tätigkeit feststellen und sodann die leitenden Ziele der Redaktion benennen.

27 K. Riexinger, Standbild > Freibier in Littenweiler, in: Der Sonntag, Freiburg 05. Mai 2002, 5.

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Erarbeitung / Vertiefung Die Erarbeitung beschäftigt sich mit dem Aufruf zur Nachfolge, welchen Jesus in Mt 19 an den sog. „reichen Jüngling“ richtet. In Teams zu je zwei oder drei Personen vergegenwärtigen sich die Lernenden zunächst die Arbeitsergebnisse ihres synoptischen Vergleichs oder fertigen diesen nun neu an, sofern das Zeitbudget der Seminarsitzung dies zulässt. Dazu erhalten sie ein synoptisches Arbeitsblatt und können es durch farbige Unterstreichungen bearbeiten, so, wie sie es in der Seminarsitzung zum → synoptischen Vergleich erlernt haben. Am Ende kommt denjenigen Unterstreichungen in der Matthäus-Spalte besondere Bedeutung zu, die anzeigen, dass der Matthäus-Wortlaut von den Fassungen bei Markus oder Lukas abweicht, da diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auf redaktionelles Wirken durch den Redaktor Matthäus hinweisen.28 Gemäß der Zwei-Quellen-Theorie basiert die Fassung der Episode im Matthäus­ evangelium größtenteils auf der markinischen Version Mk 10,17–31. In diesen Aufriss integriert der Redaktor des Matthäusevangeliums zusätzlich noch eine kurze Sequenz, welche er der Quelle Q entnimmt (Mt 19,28//Lk 22,28–30).29 Alle matthäischen Eigenheiten im Markus-Soff lassen sich also unmittelbar der matthäischen Redaktion zurechnen. Bei matthäischen Besonderheiten im Q-Stoff muss hingegen jeweils diskutiert werden, ob die Formulierung möglicherweise dem ursprünglichen Wortlaut von Q entspricht oder aber vom Mt-Redaktor selbst geprägt worden ist. Es zeigen sich auf diese Weise zahlreiche Besonderheiten des Textabschnitts in der Fassung von Mt 19. Sie müssen an dieser Stelle nicht eigens genannt werden, da die im synoptischen Vergleich inzwischen geübten Lernenden sie durch ihre primär handwerkliche Arbeit leicht aufspüren. Im Plenum werden diese matthäischen Eigenarten zunächst gesammelt. Die Leitung legt eine umfassende, für alle sichtbare Liste an, zum Beispiel an der Tafel. Die Liste macht deutlich, dass der Evangelist Matthäus nicht nur Material sammelt (Mk und Q), sondern dieses auch durch dessen Anordnung und durch Eingriffe in den Wortlaut gestaltet. Auf der Basis dieser Einsichten kann nun die besonders wichtige Frage nach der leitenden Intention des Evangelisten aufgeworfen werden. Das Plenumsgespräch eignet sich gut für diesen Arbeitsschritt, da die Lernenden dabei unmittelbar an den Beobachtungen und Schlussfolgerungen der Mitstudierenden partizipieren und sie weiterdenken oder auch hinterfragen können. Insbesondere sollte die Leitung die Lerngruppe darauf hinweisen, dass Hypothesen über das theologische Profil der matthäischen Redaktion dann sehr schlüssig sind, wenn diese nicht nur von einer, sondern von mehreren der an der Tafel festgehaltenen Einsichten in die 28 Die Textpassagen, die Matthäus aus seinen Quellen wortwörtlich übernimmt, sind deswegen aber mitnichten belanglos. Offenkundig hat sich der Redaktor an diesen Stellen bewusst dazu entschlossen, den vorgefundenen Wortlaut zu belassen. 29 Vgl. dazu auch Luz, Matthäus 120 f.

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matthä­ische Gestaltung des Texts gestützt werden. Zwei Hauptbeobachtungen lassen sich – neben vielen anderen kleineren – auf diese Weise gewinnen: (1) Der Evangelist Matthäus verfolgt ein ethisches Interesse: ȤȤ Die Frage des Gesprächspartners Jesu lautet: „Was soll ich Gutes tun?“ (V. 16). Dabei wandert das Adjektiv „gut“ (ἀγαθός) gegenüber der Markusvorlage aus der an Jesus gerichteten Anrede „guter Lehrer“ (Mk 10,17) heraus und wird zur näheren Bestimmung des Tuns. Der Redaktor konzentriert sich in diesem Punkt also weniger auf die moralische Qualität Jesu als vielmehr auf die gewünschte Qualität des menschlichen Verhaltens. ȤȤ Matthäus erweitert die Liste der aufgezählten Gebote um ein Element. Während er die Gebote aus dem Dekalog, die er bei Markus vorfindet, übernimmt, fügt er am Ende der Liste noch das aus Lev 19,18 stammende Gebot der Nächstenliebe an (V. 19).30 ȤȤ Wo der markinische Jesus schlicht feststellt: „Eines fehlt dir“ (Mk 10,21), formuliert der matthäische: „Wenn du vollkommen (τέλειος) sein willst …“ (V. 21).31 Matthäus nimmt damit eine Bewertung des den Geboten entsprechenden Lebensstils seines Gegenübers vor: Dieser bewegt sich nahe an der Vollkommenheit. Einzig der Besitzverzicht und die Jesusnachfolge trennen den Mann noch von der Vollendung. (2) Der Redaktor legt zudem einen besonderen Akzent auf die eschatologische Belohnung des gerechten Verhaltens: ȤȤ Seinen Hinweis auf die Einhaltung der Gebote eröffnet Jesus bei Matthäus mit den Worten „Wenn du in das Leben eingehen willst“ (V. 17) und greift damit noch einmal die Frage des Mannes (V. 16) auf. Dabei handelt es sich um eine Hinzufügung durch Matthäus, denn in der Markus-Fassung fehlt die erneute Erwähnung des ewigen Lebens. ȤȤ Diesem gesteigerten matthäischen Interesse an der Eschatologie und deren Belohnungscharakter entspricht auch die Beobachtung dass Matthäus die Figur Petrus explizit nach der Belohnung für die Jesusnachfolge fragen lässt (V. 27), während Petrus bei Markus nur schlicht feststellt „Wir sind dir nachgefolgt“ (Mk 10,28). ȤȤ Ebenso erklärt die matthäische Vorliebe für eschatologische Themen den Einschub aus Q an dieser Stelle. Der Evangelist benutzt das Q-Logion (V. 28;

30 So auch Hoppe, Vollkommenheit 161; Luz, Matthäus 122. 31 Dabei handelt es sich um eine matthäische Akzentsetzung, die auch andernorts charakteristisch für die Redaktionstätigkeit im Matthäusevangelium ist (Mt 5,48). Vgl. dazu insbes. Hoppe, Vollkommenheit pass.; Lohse, Vollkommen sein pass. Hoppe zufolge setzt Matthäus damit allerdings nicht in erster Linie einen ethischen, sondern vielmehr einen theologischen Schwerpunkt (163). Anders jedoch sieht Lohse (131) in der matthäischen Rede von der Vollkommenheit durchaus einen Beleg für ein ethisches Interesse. Zum matthäischen Verständnis der Vollkommenheit vgl. auch Luz, Matthäus 124 f.

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vgl. Lk 22,30), um die eschatologische Reflexion auszubauen.32 Dabei passt er die Antwort Jesu vom Sitzen auf den zwölf Thronen und vom Richten auf den neuen Kontext hin an: Eingeleitet wird die Sequenz über das Stichwort „Nachfolge“. Bei Lukas hingegen geht es ausdrücklich um die Teilhabe an der Passion Jesu. Unklar bleibt, ob auch der Hinweis auf die „Wiedergeburt“ (παλιγγενεσία) und die Einbindung des Motivs (→ Motivkritik) vom „Menschensohn“ (Dan 7) auf die Kappe des Matthäus gehen. Da diese Elemente in der geschlossen wirkenden Sequenz Lk 22,28–30 fehlen, ist dies jedoch nicht unwahrscheinlich. ȤȤ Mit V. 29 schließlich verlagert Matthäus die Vorstellung vom vielfachen (Mk: hundertfachen) Empfangen ganz ins Eschaton. Deswegen lässt er auch die markinische zweite Erwähnung von Häusern, Familienangehörigen und Äckern (Mk 10,30) wegfallen. Markus trifft eine zweiteilige Aussage: Die Nachfolger Jesu empfangen a. zum jetzigen Zeitpunkt (ἐν τῷ καιρῷ τούτῳ) materielle Güter und neue „Familienmitglieder“ sowie (b) im kommenden Äon (ἐν τῷ αἰῶνι τῷ ἐρχομένῳ) das ewige Leben. Dagegen deutet der matthäische Jesus das ewige Leben als die vielfache Vergeltung, welche Markus noch dem gegenwärtigen Kairos zugeordnet hatte. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Damit haben die Lernenden zwei wesentliche Züge matthäischer Redaktion kennengelernt und am konkreten Text detailliert nachvollzogen. Es ist ihnen deutlich geworden, dass der Redaktor als theologisch bewusst vorgehender Gestalter seiner Materialien verfährt. Sofern die Zeit der Seminarsitzung dazu noch ausreicht, ließen sich die Beobachtungen zur Vorliebe des Matthäus-Evangelisten für die Themen der Ethik und der Eschatologie durch flankierende Analysen an anderen Textabschnitten derselben Schrift noch weiter untermauern und ausdifferenzieren. Literatur zur Textstelle R. Hoppe, Vollkommenheit bei Matthäus als theologische Aussage, in: Salz der Erde – Licht der Welt. Exegetische Studien zum Matthäusevangelium (FS A. Vögtle), Stuttgart 1991, 141–164. E. Lohse, „Vollkommen sein“. Zur Ethik des Matthäusevangeliums. in: Salz der Erde – Licht der Welt. Exegetische Studien zum Matthäusevangelium (FS A. Vögtle), Stuttgart 1991, 131–140. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 3: Mt 18–25 (EKK I/3), Zürich / NeukirchenVluyn 1997, 117–137.

32 Vgl. dazu auch Luz, Matthäus 128 f.

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Ertrag zur Methode Die Texte der Bibel sind nicht zu einem einzelnen vergangenen Zeitpunkt aus dem Nichts heraus geschrieben worden und waren dann für alle Zeiten unantastbar. Vielmehr werden die Lernenden sich im biblischen Methodenseminar dessen bewusst, dass die Schriften sich einem komplexen und mehrschichtigen Entstehungsprozess verdanken. Die redaktionskritische Arbeit führt damit die Ansätze weiter, die den Lernenden mit der Literar-, Gattungs- und Motivkritik sowie dem synoptischen Vergleich bereits bekannt waren. Der Fokus liegt nun aber auf dem Prozess, der aus den einzelnen schriftlichen Quellen, mündlichen Überlieferungen und Motiven eine neue Gesamtheit werden lässt. Die Lernenden haben sich mit dem redaktionskritischen Analyseverfahren ein Gespür dafür erworben, dass die biblischen Autoren – auch dann, wenn sie in starkem Maße bereits vorhandene Überlieferungen sammeln – als Schriftsteller und Theologen gewürdigt werden wollen. Sie haben erkannt, dass scheinbar kleine Abänderungen gegen den Text der Quelle einen theologisch gewichtigen Unterschied machen können. Anhand von Beispieltexten haben sie das redaktionelle Profil einzelner Schriften des Alten oder Neuen Testaments kennengelernt. Weitere Ideen Eine Variante für einen Einstieg ins Thema kann über die Beschäftigung mit manipulierten Wahlkampf-Plakaten erfolgen. Vor jeder politischen Wahl sieht man Plakate am Straßenrand, die von Menschen mit einem kleineren Maß an krimineller Energie verändert worden sind. Diese Veränderungen funktionieren in der Regel analog zu dem oben vorgestellten Freibier-Schild: Durch die Hinzufügung von Accessoires oder die Veränderung von Buchstaben ergeben sich überraschende neue Bedeutungsmöglichkeiten. Die pfiffigeren unter diesen Werken finden schnell Verbreitung über die sozialen Netzwerke des Internet und sind daher gut zugänglich. An ihnen lassen sich die Möglichkeiten und Mechanismen redaktioneller Arbeit an einem Quellentext nachzeichnen. Wer die Anwendung der Methode auf eine ganze biblische Schrift ausweiten möchte, kann sich beispielsweise mit dem Psalter befassen: Die Entstehung der Schrift von den einzelnen Psalmen über die Zwischenstufe der Teilsammlungen bis hin zur Gesamtkomposition lässt sich als ein mehrstufiger Redaktionsprozess begreifen, der insbesondere von den redaktionellen Tätigkeiten des Sammelns und Anordnens sowie des Hinzufügens von Überschriften vorangetrieben wird. Die Leitprinzipien dieses Vorgangs können die Lernenden gut anhand der Didaktik der sog. Schneeball-Methode33 nachzeichnen: Zunächst erhalten alle Lernenden

33 Vgl. dazu G. Macke / U. Hanke / P. Viehmann, Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten, Weinheim / Basel 22012, 255 f.

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je wenige,34 in der Endgestalt des Psalters aufeinander folgende Psalmen zugewiesen und sollen sich notieren, an welchen Punkten sie inhaltliche Zusammenhänge erblicken. Sodann arbeiten die Studierenden in Gruppen zu den „Teilsammlungen“ zusammen und sollen beschreiben, nach welchen inhaltlichen Gesichtspunkten die betreffenden Psalmen wohl zusammen gruppiert worden sind und welche konkreten textlichen Merkmale den Zusammenhang stärken. Den Abschluss der Erarbeitung bildet eine Plenumsdiskussion: Die Studierenden der „Teilsammlungen“ sitzen jeweils zusammen und kommen mit den anderen Gruppen ins Gespräch darüber, welche verbindenden Momente die Teilsammlungen wiederum miteinander zum Gesamtpsalter verknüpfen.

34 Hier wäre eine Lerngruppe mit 150 Studierenden ausnahmsweise einmal ideal, weil man dann allen Studierenden genau je einen Psalm zuweisen könnte.

Motivkritik Hanna-Maria Mehring

Hinführung zur Methode Mit der Methode der Motivkritik werden biblische Texte in ihrer Entstehungszeit verankert und vor diesem Hintergrund verstanden. Motivkritik interessiert sich dabei für die den biblischen Texten zugrunde liegende Vorstellungswelt, sofern diese sich durch im Text vorhandene geprägte Motive artikuliert. Solche Motive sind (sprachliche) Präsentationen einer Vorstellung, die unabhängig voneinander in verschiedenen Kontexten in ähnlicher Weise anzutreffen sind, und die daher auf die Verbreitung dieser Vorstellung – als „Motiv“ – schließen lassen. Motivkritik analysiert die Bedeutung dieser Motive in ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext und vergleicht die traditionelle Bedeutung des jeweiligen Motivs mit der Art und Weise der Aufnahme und Abwandlung dieser Motive bei der Einfügung in die biblischen Schriften. Der Mehrwert des Methodenschritts der Motivkritik besteht darin, dass sich die Leserinnen und Leser die kulturelle Fremdheit der biblischen Texte bewusst machen und die biblischen Texte nicht vorschnell aus der Perspektive moderner kultureller Codes lesen. Durch die Aneignung von Wissen über die Kultur der Entstehungszeit der biblischen Texte können Verständnisbarrieren zwischen den heutigen Leserinnen und Lesern und den in biblischen Texten aufgenommenen Motiven sowie den impliziten Vorannahmen soziokultureller Art eines Textes überwunden werden. Der heutige Leser macht sich sozusagen die Brille, oder mit Umberto Eco formuliert, die „semantische Enzyklopädie“1 des vom Autor intendierten Rezipienten2 zu eigen. „Semantische Enzyklopädie“ meint alle die dem jeweiligen Individuum zur Verfügung stehenden Wissensbestände sowie alle Kompetenzen, Wissen für 1 U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache (Supplemente 4), München 1985, 77–133, 129. 2 Vgl. zum intendierten Rezipienten S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28 (WUNT II/285), Tübingen 2010, 50–54.

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die Erfassung eines in einem biblischen Text verwendeten traditionellen Ausdrucks zu generieren. Semantik und Pragmatik sind also eng miteinander verbunden. Eco spricht von einer „Instruktionssemantik“,3 die im Rahmen der Konstituierung von Sinn durch den Rezipienten einen Hinweis auf die auktoriale Intention4 geben kann. In diesem Sinne sind die zeitliche und örtliche Situierung der Adressatengruppe, für die der Verfasser schreibt, sowie die Situation der Adressaten mit einzubeziehen. Denn erst vor diesem Hintergrund kann dann auch eine umfassende Analyse der Verwendung aufgenommener geprägter Motive in den biblischen Texten erfolgen. Die Ergebnisse der Motivkritik bilden eine der Grundlagen für die Eruierung der Wirkungsabsicht des untersuchten Textes. Durch die Verwendung eines geprägten Motivs in einem biblischen Text wird für die Erstleserinnen und -leser des Textes Wissen über die tradierte Semantik des Motivs aufgerufen, zugleich aber durch die Modifizierung und Fortschreibung des Motivs eine neue semantische Variante der Verwendung des Motivs geschaffen, die sich der Pragmatik der jeweiligen Schrift verdankt. Das jeweilige Spezifikum der neuen semantischen Variante wird in Auseinandersetzung mit der altorientalischen sowie hellenistisch-römischen Umwelt bzw. dem soziokulturellen Kontext des Alten und Neuen Testaments gebildet. Damit findet im Alten und im Neuen Testament zugleich Bewahrung von Tradition und variierende Aktualisierung dieser Tradition für den neuen jüdischen oder christlichen Identifikationszusammenhang statt. Der Begriff „Motiv“ umfasst direkte Zitate, die Aufnahme5 von geprägten Topoi,6 geprägter bildhafter Rede oder geprägter Themen, geprägter Erzähl- und Gedankenzüge und Vorstellungen sowie von tradierten Formeln. Die Motivkritik umfasst zudem die Analyse des zeit- und sozialgeschichtlichen Hintergrundes sowie der religionsgeschichtlichen Einflüsse, deren Spuren man in den biblischen Texten entdecken kann. Neben den direkten Vergleich einzelner Motive oder Motivkomplexe treten daher auch die sozialgeschichtliche Einordnung und die religionsgeschichtliche Analyse der ausgewählten Perikope. Die zeit- und sozialgeschichtliche Analyse beschäftigt sich mit den politischen, wirtschaftlichen und geistesgeschichtlichen Hintergründen der Umwelt des Alten und Neuen Testaments. Die religionsgeschichtliche Analyse fragt nach direkten oder indirekten Einflüssen und Abhängigkeiten der biblischen Texte sowie der jüdischen / christlichen Religionsausübung von ihrer religiösen Umwelt.7 3 U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache (Supplemente 4), München 1985, 108. Vgl. auch T. Nicklas, Leitfragen leserorientierter Exegese. Methodische Gedanken zu einer „Biblischen Auslegung“, in: E. Ballhorn / G. Steins (Hrsg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 45–61, 50. 4 Vgl. zur Autorfiguration B. Schmitz, Prophetie und Königtum. Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern (FAT 60), Tübingen 2008, 88–92. 5 Oder auch die Allusion auf solche Phänomene. 6 Einzelne Begriffe, Wortverbindungen aber auch Redewendungen, die spezifisch konnotiert sind. 7 Wegen der offenkundig großen Schnittmenge und der umfassenderen Perspektive der Motivkritik haben wir in unserem Buch auf ein eigenes Kapitel „Religionsgeschichte“ verzichtet.

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Das Vorgehen bei der Analyse geprägter Motive gliedert sich in vier Schritte:8 (1.) die Identifizierung geprägter Motive im biblischen Text; (2.) das Recherchieren von Paralleltexten, wobei Text hier in einem weiten Sinne gemeint ist,9 und ihre zeitliche Einordnung; (3.) eine gründliche Analyse der herangezogenen Vergleichstexte insb. im Blick auf die Verwendung des zu untersuchenden Motivs; (4.) schließlich wird die Art der Verwendung des Motivs im biblischen Text mit der Verwendung des Motivs in den chronologisch dem biblischen Text vorausgehenden Paralleltexten verglichen und nach der (vermutlich) mit dem Einsatz des geprägten Motivs beabsichtigten Wirkung gefragt. Wichtige Leitfragen für den Vergleich der individuellen Ausprägung des Motivs im Paralleltext und in den biblischen Schriften sind die Frage nach der sprachlichen Gestalt des Motivs sowie nach den mit dem Motiv verbundenen Inhalten und thematischen Zusammenhängen. Gleichzeitig sind die literarischen Gattungen, in deren Rahmen das Motiv ursprünglich verwendet wird, sowie das geistesund religionsgeschichtliche Umfeld der Paralleltexte zu berücksichtigen, um vergleichend die spezifischen Züge bei der Aktualisierung und Transformation des Motivs in den biblischen Texten erfassen zu können.10 Für die Bestimmung der jeweiligen Funktion des Motivs im Paralleltext gilt es immer, nach Gemeinsamkeiten und Variationen in Gestalt und Gehalt des Motivs zu fragen. Die Rekon­ struktion der Situation der Adressatengruppe, in die der Text hineinspricht, kann eine wichtige Hilfestellung sein. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden entwickeln ein Gespür für die Fremdheit der biblischen Texte. –– Die Lernenden werden sensibilisiert für die Fragekriterien der Motivkritik. –– Die Lernenden entwickeln ein Gespür für die zeit- und religionsgeschichtliche Kontextualisierung der Texte und für ihre Verankerung in ihrer ursprünglichen Lebenswelt. –– Die Lernenden können die Veränderungsprozesse bei der Verwendung der Motive im Rahmen der Übernahme in einen biblischen Text erkennen und die jeweilige Aktualisierung des Motivs funktional für die interpretierende Erschließung der Wirkungsabsicht des Textes nutzen. –– Die Lernenden können mit den für die Motivkritik notwendigen Hilfsmitteln umgehen und entsprechende Sekundärliteratur für die Erfassung des zeit- und religionsgeschichtlichen Kontextes heranziehen und zielgerichtet auswerten.

  8 Vgl. auch Ebner / Heininger, Exegese 248–251.   9 So können etwa auch ikonographische Zeugnisse oder Bauwerke als „Paralleltext“ fungieren. 10 Vgl. Söding, Wege 180–183.

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Literatur zur Methode M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015, 241–282. T. Söding, Wege der Schriftauslegung. Methodenbuch zum Neuen Testament, Freiburg i. Br. 1998, 173–190.

Baustein AT: Der gute Hirte – Königsattribute für Gott und den von ihm erwählten Hirten Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Lernenden kennen wichtige Stationen der Geschichte Israels. Einstieg Für den Einstieg in die Methode der Motivkritik im Bereich des Alten Testaments kann eine Abbildung des Hermes bzw. eines Widderträgers gezeigt werden oder alternativ der pagane Schafträger aus der Calixtus-Katakombe in Rom.11 Die Lernenden sollen die Darstellung beschreiben und benennen. Sie werden die Abbildung dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit als Christus-Bildnis einordnen. Als Zweites kann der gute Hirte als Christusfiguration mit einem Schaf über den Schultern aus der Domitilla-Katakombe (Rom) präsentiert werden.12 Die Lernenden können die Abbildung zunächst ebenfalls beschreiben und dann inhaltlich benennen. Weitere Darstellungen des „guten Hirten“ von christlichen und römischen Sarkophagen können folgen. Abschließend wird die Leitung die korrekten Identifizierungen vornehmen und insofern das „Rätsel“ lösen. Das kann mit einer Frage nach Entstehungszeiten und Abhängigkeitsverhältnissen (Vorbild-Abbild13) verbunden werden. Zudem könnte mit Blick auf den inhaltlichen Aspekt der Abbildungen die Frage thematisiert werden, wofür der Typus des tiertragenden Hirten in antiken (auch christlichen) Texten, auf römischen Sarkophagen und in christlichen Sepulkralkontexten steht, was er sozusagen als Motiv veranschaulichen soll. 11 Hermes / Widderträger: Rom Lateranmuseum; vgl. auch T. Klauser, Studien zur Entstehungsgeschichte der christlichen Kunst I (mit 4 Abbildungen im Text und 19 Tafelabbildungen), in: JbAC 1 (21973) 20–51, Tafel 1e; paganer Schafträger: Rom, Coemeterium des Calixtus. Decke der Sakramentskapelle A3 mit Schafträger und Bacchantinnen; vgl. auch T. Klauser, Studien zur Entstehungsgeschichte der christlichen Kunst IX (mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln), in: JbAC 10 (1967) 82–120, Tafel 7a. 12 Rom, Coemeterium der Domitilla. Arkosolbogen mit Schafräger zwischen kleinen Oranten; vgl. auch T. Klauser, Studien zur Entstehungsgeschichte der christlichen Kunst IX (mit 6 Abbildungen im Text und 6 Tafeln), in: JbAC 10 (1967) 82–120, Tafel 8a. 13 Hier könnte auch über die konkreten Abbildungen hinausgehend die Frage nach ikonographisch wirksamen Bildmotiven, die hinter den konkreten Abbildungen stehen, thematisiert werden.

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Den Typus des Schafträgers findet man in der Bukolik,14 deren Hirtenszenen ein friedliches Zeitalter propagieren. Taucht das Motiv des ein Schaf tragenden Hirten auf römischen Sarkophagen auf, so soll damit der Wunsch nach einem friedvollen Leben in idyllischer Umgebung auch für die Existenz nach dem Tod zum Ausdruck gebracht werden. Auf christlichen Sarkophagen ist der Schafträger die Figuration Christi, der sein Leben für die Schafe gibt. Dies ist mit der Hoffnung auf die Auferweckung nach dem Tod verbunden. Insgesamt kann durch die Bildvergleiche deutlich werden, wie schwierig die eindeutige Identifizierung einer ikonographischen Konstellation ist. „Christlich“ wird ein solcher Bildtypus oft erst durch weitere vereindeutigende christliche Symbole in seinem Kontext.

Die Lernenden werden angesichts der kognitiven Dissonanzerfahrungen, der angesichts der nur scheinbar christlichen Ikonographie erlebten „Überraschung“, für die Problemzusammenhänge und die Ziele der Motivkritik sensibilisiert. Die Leitung kann darauf aufbauend in Ziele und konkretes Vorgehen der Motivkritik einführen. Erarbeitung / Vertiefung Zu Beginn der Phase der Erarbeitung des Bildfelds „Gott als König im Alten Testament“ erhält die Lerngruppe Ez 34 (Elberfelder Übersetzung) mit folgenden Fragestellungen, die sie in Einzel- oder Kleingruppenarbeit bearbeiten soll: –– Wie ist die im Text beschriebene augenblickliche Situation Israels gekennzeichnet? –– Wie wird nach Ez 34 eine Verbesserung der Situation herbeigeführt? –– Was zeichnet den guten und was den schlechten Hirten aus? Ez 34 wechselt von der Situation des Versagens der Hirten Israels, die hier synonym für die mit dem König verbundene Führungsschicht stehen, und der Hirtenschelte JHWHs angesichts der Zerstreuung seiner Herde (V. 1–10) hin zum Entschluss, die Hirtenfunktion nun selbst zu übernehmen, seine Herde aus der Zerstreuung zusammenzuführen, sie auf gute Weideplätze zu führen und für das einzelne Tier Sorge zu tragen (V. 11–16). Für JHWH wird als vornehmliche Aufgabe die fürsorgende Funktion des Hirten betont, die sich in der Herausführung aus der Zerstreuung manifestiert.15 Durch JHWH eingesetzt wird ein einziger Hirte – David –, der diese Aufgaben im Auftrag JHWHs fortan stellvertretend übernimmt und erfüllt (V. 17–24). JHWH selbst wird für Israel eine Pflanzung „zum Ruhm“ (V. 29) vornehmen, d. h. das Land segnen und zugleich Schutz vor den Fremdvölkern bieten. Dabei lässt sich eine Verschiebung der Situation erkennen von der Zerstreuung als dem Leitwort für die Beschreibung des babylonischen Exils zur Hoffnung auf Sammlung des Volkes Israel, die gekennzeichnet ist durch die deuteronomistisch geprägte Vorstellung der Wiedererrichtung des davidischen Königtums. 14 Wichtige Quellen zur Bukolik sind: P. Vergilius Maro, Bucolica. Hirtengedichte. Studienausgabe. Lateinisch / Deutsch, übersetzt und hrsg. von M. von Albrecht (Reclams Universal-Bibliothek 18133), Stuttgart 2001; Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden. Lateinisch / deutsch, hrsg. und übersetzt von G. Fink (Sammlung Tusculum), Düsseldorf 2002; Hirtengedichte aus neronischer Zeit. Titus Calpurnius Siculus und die Einsiedler Gedichte, hrsg. und übersetzt von D. Korzeniewski (TzF 1), Darmstadt 1971. 15 Vgl. Zimmermann, Christologie 323 f.

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Nachdem die Ergebnisse der ersten Textanalysen im Plenum präsentiert worden sind, kann den Lernenden nun eine frühsumerische Abbildung eines Priesterfürsten als zwei Schafe mit Rosettenzweigen fütternder Hirte präsentiert werden.16 Als Ez 34 vorausgehende ältere Tradition kann das durch die Abbildung bezeugte Motiv des Herrschers als Hirte inhaltlich durch die Leitung erklärt und im Alten Orient kontextualisiert werden. Damit wird der bildspendende Bereich für JHWH bzw. König David als Hirte motivkritisch erschlossen. Die Leitung sollte aufzeigen, dass Ez 34 Teil eines Traditionsstroms ist, der die Metaphorik des Hirten zur Beschreibung des guten Königs oder Gottes nutzt. Ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. wurde in Mesopotamien der Herrscher als von Gott eingesetzter und damit göttlicherseits berufener Hirte identifiziert und in Mesopotamien und Ägypten mit dem Titel Hirte und den dazugehörigen Funktionen eines idealen Hirten belegt. So heißt es in einer sumerischen Königsinschrift: „Etana, der Hirt, der zum Himmel emporstieg, der die Länder festigte, war König, 1560 Jahre regierte er.“17 Aber auch die den Herrscher mit dem Hirtenamt beauftragenden Götter können unter Rekurs auf das Bildfeld des Hirten beschrieben werden. Der Herrscher ist als Träger des Hirtenamtes und dessen göttlichen Ursprungs immer zugleich religiös konnotiert. Dies spiegelt sich auch in der Übernahme priesterlicher Funktionen, so dass der König als Mittler gegenüber den Göttern und Garant von Leben und Nahrung fungiert. Die Hirtensymbolik impliziert vorrangig die Funktionen des Schutzes (in der Symbolik des Kampfes gegen wilde Tiere) und der (Lebens-)Fürsorge (in der Symbolik der Pflege des Lebensbaumes) für die anvertraute Herde, d. h. das Volk. In Ägypten wurde zunächst der Gott der Unterwelt, Osiris, mit dem Titel Hirte belegt, während im Neuen Reich der Sonnengott Amun-Re als Welthirte fungiert. So heißt es in einem Hymnus: „Starker Hirte, der seine Herde (zur Weide) treibt, ihre Zuflucht, der ihren Lebensunterhalt erschafft.“18 Im späteren Neuen Reich kam der Hirtentitel dem Pharao als militärischem Machthaber zu. Damit wurde die mit dem Hirtentitel einhergehende Verpflichtung zur Fürsorge als Schutzfunktion gegenüber dem Volk akzentuiert.19

Nach einer Auswertung der Arbeitsergebnisse im Plenum kann Jer 23,1–8 (Elberfelder Übersetzung) im Rahmen eines Plenumsgesprächs mit in die Konturierung des Motivfelds „Gott und König als Hirt“ einbezogen werden und vor allem im Vergleich mit Ez 34 ein Motivinventar für die schlechten Hirten (Verhalten und Konsequenzen) sowie für den idealen Hirten (Verhalten und Konsequenzen) entworfen werden. Die einzelnen Stichworte zu den schlechten Hirten und dem guten 16 Vgl. I. Seibert, Hirt – Herde – König. Zur Herausbildung des Königtums in Mesopotamien (SSA 53), Berlin 1969, Abb. 7. 17 Zitiert nach: I. Seibert, Hirt – Herde – König. Zur Herausbildung des Königtums in Mesopotamien (SSA 53), Berlin 1969, 2. 18 Zitiert nach: Ägyptische Hymnen und Gebete. Übersetzt, kommentiert und eingeleitet von J. Assmann (OBO), Freiburg (Schweiz) 21999, 211, Z. 45 f. 19 Vgl. zum gesamten Abschnitt zum Topos des Königs als Hirte in Mesopotamien und Ägypten: Zimmermann, Christologie 317–320.

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Hirten können an der Tafel festgehalten und entsprechend sortiert werden. Dies soll dann in einem nächsten Schritt einem Motivvergleich mit der Rezeption des Motivs des guten Hirten in Joh 10 unterzogen werden. Kritik an den schlechten Hirten wird in Ez 34 und Jer 23,1–8 angesichts der Vernachlässigung ihrer Hirtenfunktion geübt, was sich bis hin zur Hinzufügung direkten Schadens gegenüber der Herde steigern kann. So wird den schlechten Hirten in Ez 34,1–10 die Ausbeutung und Schlachtung für die eigene Bereicherung sowie das Herrschen mit Härte vorgeworfen, was eine Anspielung auf die Unterdrückung des Volkes durch seine Herrscher ist. Als Konsequenz werden die Zerstreuung der Tiere und die Gefahr des Geraubtwerdens bzw. der Tötung durch wilde Tiere genannt. JHWH richtet zwischen dem mageren und dem fetten Schaf; er stellt Gerechtigkeit zwischen den Mächtigen, die alle Ressourcen für sich auf Kosten der Schwächeren beanspruchen, und den Unterdrückten wieder her. In Jeremia ist ebenfalls die Vertreibung und Zerstreuung der Schafe JHWHs die Konsequenz der Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht durch die von JHWH eingesetzten Hirten. JHWH kündigt sein Strafhandeln an den schlechten Hirten an. Demgegenüber wird in beiden Stellen die Sammlung der zerstreuten Herde durch JHWH selbst betont sowie die Einsetzung Davids als Fürst bzw. in Jer 23,4 mehrerer Hirten, die stellvertretend für JHWH die Hirtenfunktion im Sinne des Weidens der zusammengeführten Herde ausüben. In Jer 23,5 f. wird dann ein König – „der Herr, unsere Gerechtigkeit genannt“ – verheißen, der Sicherheit und Recht und Gerechtigkeit schafft.

Die Rezeption der Visionen Ezechiels geschieht zunächst innerjüdisch durch Texte wie Sach 2,5–9; 1 Chr 28,18; Sir 49,8 oder die Qumranschriften. Auch im Neuen Testament findet sich eine sehr prominente Rezeption von Ez 34 in seiner Motiv­ verbindung der Situation der Zerstreuung und der Verheißung eines kommenden Hirten, der die noch zusammenzuführenden Schafe in Stellvertretung JHWHs weidet und alle Funktionen eines guten Hirten erfüllt: Joh 10, in dessen Hintergrund auch Jer 23,1–8 steht. In Joh 10 wird Jesus mit dem Topos des Hirten identifiziert, der sich im Gegensatz zu den Dieben, die die Schafe schlachten, und den vor dem Wolf fliehenden Lohnhirten als guter Hirte erweist: Er kennt die Seinigen (V. 14). Der Topos des Kennens, JHWH kennt Israel als seine Herde und wird umgekehrt von ihnen als „ihr Gott“ (V. 30 f.) erkannt, bildet den Abschluss von Ez 34.

Die Lernenden erhalten den Auftrag, in Partnerarbeit nach Motivparallelen in Bezug auf das Verhalten der schlechten Hirten und der entsprechenden Konsequenzen sowie für das Verhalten des guten Hirten und der damit verbundenen Konsequenzen zwischen den drei Textausschnitten zu suchen. Arbeitsgrundlage ist neben Ez 34 und Jer 23,1–8 die Übersetzung von Joh 10,1–16 aus dem Münchener Neuen Testament. Eine tabellarische Erfassung der Parallelen und Unterschiede kann die Ergebnisse visualisieren. Die Verben, Stichworte und Wortverbindungen für die Beschreibung des Verhaltens des schlechten und des guten Hirten sowie ihrer jeweiligen Konsequenzen können in einem zweiten Schritt über vier (seman-

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tische) Leitlinien strukturiert werden. Folgendes Motivinventar20 kann im Rahmen eines die Erarbeitungsphase abschließenden Plenumsgesprächs erhoben und ebenfalls an der Tafel oder auf Folie festgehalten werden: Verhalten der schlechten Hirten: –– Joh 10,12: Flucht vor dem Wolf, Verlassen der Schafe –– Jer 23,1.2: Zugrunderichten, Zerstreuen, Vertreiben, Nicht-Sehen nach Schafen –– Ez 34,2–4: Sich selbst weiden, kein Weiden der Herde, Ausbeutung der Herde, Herrschen mit Gewalt, kein Suchen / Fragen nach den Schafen Hirtenschelte / Konsequenzen des Fehlverhaltens der Hirten: –– Joh 10,12: Bedrohung der Schafe durch wilde Tiere und Zerstreuung –– Jer 23,1.2: Zerstreuen, Vertreiben, Nicht-Sehen nach Schafen –– Ez 34,5.6: Zerstreuung der Schafe, Umherirren und den Tieren zum Fraß werden –– Joh 10,10 / Jer 23,1.2: Zugrundegehen der Schafe Rettendes Eingreifen des guten Hirten: –– Joh 10,9 / Ez 34,14.15 / Jer 23,3: Weide geben –– Joh 10,16 / Jer 23,3 / Ez 34,13: Sammlung der Herde Der eine Hirt für die gesammelte Herde – David und Jesus: –– Joh 10,16: sie werden eine Herde, ein Hirt –– Jer 23,4: Einsetzung von Hirten über sie, die die Schafe weiden –– Ez 34,23 f.: Einsetzung eines Hirten über Israel, Knecht David als Fürst, der die Herde weidet Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Als Abschluss dieser Einheit kann mit den Lernenden folgende dreigliedrige Struktur, die allen drei Texten zugrunde liegt, in einer das vorherige Plenumsgespräch fortsetzenden abschließenden Diskussion erarbeitet werden: 1. Hirtenschelte (Hirten sind jedoch unterschiedlich besetzt) 2. (rettendes) Eingreifen durch JHWH selbst bzw. Jesus: Sammlung der Herde 3. der eine Hirt für die eine zusammengeführte Herde Die Motivparallelen zwischen dem alttestamentlichen Ideal des guten Hirten und dem johanneischen guten Hirten Jesus sind evident. Jesus wird als der eine Hirte für die eine (zusammenzuführende) Herde eingeführt. Die Betonung der Einzigkeit des (eschatologischen) Hirten und seiner Herde wird in Ez 34,23 für David verwendet und fungiert als Hoffnungsbild für die dauerhafte Aufhebung der gegenwärtig vorliegenden Situation der Zerstreuung und die Wiedererrichtung des davidischen 20 Vgl. auch Zimmermann, Christologie 337–339.

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Königtums. David übernimmt die königliche Fürsorge- und Schutzfunktion als guter Hirte und wird damit zugleich als Herrscher(dynastie) legitimiert. Auch Jesus ist königlich konnotiert durch die Einschreibung in das Bild des schützenden und fürsorgenden Hirten, der Weide gibt und Leben im Überfluss. Als Abschluss der Sitzung sollte ein Ausblick gegeben werden, in welche Situation Ez 34 und Joh 10 hinein sprechen. Ez 34 reflektiert mit seiner Bildrede die Situation des babylonischen Exils. Gemeinsam diskutiert werden kann, welche Situation der Zerstreuung im Hintergrund der johanneischen Bildrede vom guten Hirten steht, der die Schafe sammelt. Im Kontext des Johannesevangeliums fungiert dieses Bild als Verheißung der Zusammenführung von Juden und Heiden als den „anderen Schafen, die nicht aus dem Hof sind“ (V. 16), spricht also in die Situation des Ausstehens der Jesusnachfolge durch die eine Herde, bestehend aus Israel und den Heidenvölkern, hinein.21

Die Lernenden haben im Laufe der Seminarsitzung erkannt und miterlebt, dass die Hirtenfunktion der Götter bzw. des Herrschers der bildspendende Bereich für die Beschreibung JHWHs bzw. Davids ist. Insofern greifen die Texte des Alten Testaments auf geprägte Motive zurück. Unterschiedliche für die Identität Israels wichtige tradierte Stationen wie das babylonische Exil können über das Agieren JHWHs als Hirte metaphorisch umschrieben werden: JHWH erscheint als der Israel aus der Zerstreuung zusammenführende Hirte. Über die gewählten Texte wird zudem die Verwendung des Motivs als Hoffnungsbild für die Wiederaufrichtung des davidischen Königtums sichtbar. Bis hinein in das Neue Testament, das unter Rückgriff auf das Alte Testament am geprägten Motiv des Hirten partizipiert, fungiert der Topos des guten Hirten als Hoffnungsbild für die Sammlung der zerstreuten Schafe und zeichnet im Neuen Testament ein identitätsstiftendes zukünftiges Ideal der Aufhebung der Trennung von Juden und Heiden. Jesus übernimmt damit die Hauptfunktion des Hirten JHWHs. Im Hintergrund solcher Anspielungen steht freilich die hermeneutisch und theologisch problematische Vorstellung der Erfüllung der Verheißung des davidischen Hirten im guten Hirten Jesus. Und auch dieser Aspekt, der im Gefüge vieler neutestamentlicher Allusionen auf alttestamentliche Texte latent oder explizit vorhanden ist, könnte im abschließenden Diskurs eine Rolle spielen.

21 Vgl. U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig 52016, 234. J. Frey, Heiden – Griechen – Gotteskinder. Zu Gestalt und Funktion der Rede von den Heiden im vierten Evangelium, in: Ders., Die Herrlichkeit des Gekreuzigten. Studien zu den Johanneischen Schriften I (WUNT 307), Tübingen 2013, 297–338, 318–322.

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Literatur zur Textstelle G. Fischer, Jeremia 1–25 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2005. M. Greenberg, Ezechiel 21–37 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2005. R. Hunziker-Rodewald, Hirt und Herde. Ein Beitrag zum alttestamentlichen Gottesverständnis (BWANT 155), Stuttgart 2001. R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (WUNT 171), Tübingen 2004.

Baustein NT: Der adventus Jesu (Mk 11,1–11) – die markinische Einzugserzählung in motivkritischer Perspektive Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Lernenden sind vertraut mit dem markinischen Mikrokontext des Einzugs Jesu: der Feigenbaumepisode und der Reinigung des Tempels (Mk 11,12–25). –– Die Lernenden können die Methodik der Handlungssequenzanalyse anwenden. –– Die Lernenden haben Vorwissen über die Funktionen des Jerusalemer Tempels. –– Die Lernenden verfügen über grundlegende Lateinkenntnisse, um eine lateinische Münzaufschrift verstehen zu können. Einstieg Um die Bedeutung der Motivkritik als Methodenschritt, ihre Frageperspektive, ihre hermeneutischen Voraussetzungen, aber auch ihre Erträge für das Verstehen der zu analysierenden Textabschnitte exemplarisch zu erschließen, wird hier das Beispiel einer Reihe von Darstellungen des Sol invictus als Bildtypus und ikonographisches Vorbild für frühe Christus-Darstellungen gewählt. Zunächst wird eine in Ticinum geprägte Münze22 präsentiert, die auf der Vorderseite den Kopf Kaiser Konstantins und auf der Rückseite Sol invictus Kaiser Konstantin mit einem Lorbeerkranz bekränzend zeigt. Die Lernenden sollen zunächst den Kaiser auf der Vorderseite identifizieren. Die umlaufende Inschrift ermöglicht das. Sodann stellt sich die Frage der Identifizierung der zweiten Person neben Kaiser Konstantin auf der Rückseite. Wer bekränzt den traditionell als ersten christlichen Kaiser gewerteten Herrscher mit dem Lorbeerkranz? Die Lernen22 Vgl. RIC VII 374 Nr. 98. Vgl. auch K. M. Girardet, Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen (Millennium-Studien 27), Berlin 2010, 41 Abb. 5. Vgl. zur Münzprägung Kaiser Konstantins Wienand, Abschied 58.

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den sollen spontan die Abbildung einordnen und benennen, wer dort abgebildet ist. Vom kulturellen Kontext der Lernenden und den ihnen vertrauten kulturellen Codes ausgehend liegt es nahe, die Abbildung als Christusdarstellung zu identifizieren. Auf den ersten Blick scheint insofern eindeutig zu sein: Kaiser Konstantin wird durch Christus bekränzt und kann seine Herrschaft auf ihn zurückführen. Daraufhin wird das römische Deckenmosaik des Sol invictus mit 7-strahliger Gloriole in der Vatikanischen Nekropole (3. Jh., Rom)23 gezeigt. Als weiteres Bild wird das Fresko des Christus-Sol in der Katakombe SS. Marcellino e Pietro in Rom präsentiert.24 Zunächst sind die beiden Personen auf den Mosaiken zu identifizieren. Die Leitung kann dafür die Abbildungen kurz im Hinblick auf ihren Entstehungskontext einordnen. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob Sol oder Christus den bildgebenden Typus für die Münze Kaiser Konstantins darstellt. Die Auflösung lässt sich über einen Zoom oder eine Detailaufnahme im Blick auf die Konstantinsmünze herstellen. Denn der Sonnengott wird typisierend mit Peitsche dargestellt, so dass die Peitsche, die sich in der linken Hand des Sonnengottes befindet, der wesentliche Indikator für die Identifizierung als Sol invictus, den Lenker des Sonnenwagens, ist. Die Leitung kann dann auch auf die Münzlegende der Rückseite hinweisen (SOLI INVICTO COMITI), die in der Sache eindeutig ist. Kaiser Konstantins Münzprägung war charakterisiert durch Sol invictus als comes d. h. als Begleiter und persönliche Schutzgottheit des Kaisers. So übernahm Konstantin auch die Bezeichnung invictus in seine Herrschertitulatur. Die Bekehrung Konstantins zum Christentum wird mit einer Vision 310 n. Chr. vor der Schlacht gegen seinen Konkurrenten Kaiser Maxentius und dem Sieg bei der Milvischen Brücke (312 n. Chr.) in Zusammenhang gebracht. Die Einstellung der Sol-invictus-Münzprägung fand jedoch erst 318 n. Chr. im Zuge einer Münzreform statt. Goldmünzen mit Sol invictus als comes des Kaisers wurden über einen noch längeren Zeitraum weiterhin geprägt. Während man lange Zeit in der Forschung die späte Einstellung der bronzenen Sol-invictus-Münzen und die Fortsetzung der Prägung von Goldmünzen mit der Anschlussfähigkeit der Sol-invictus-Motivik christlicherseits und ihrer Deutbarkeit auf Christus erklärt hat, geht man heute davon aus, dass es zu einer erst sukzessiv einsetzenden „Sublimierung des Sonnengottes“25 kam. So wurde das Abbild des Sonnengottes auch im Kontext ziviler Bereiche verwendet. Konstantin selbst integrierte in den kaiserlichen Bildtypus spezifische Elemente der Sol-Symbolik wie die Sonnenscheibe als Nimbus, nicht aber länger das Abbild von Sol invictus selbst.26 Der Nimbus um das kaiserliche Haupt war also doppelt anschlussfähig und auch für Christen aufgrund der Ablösung von eindeutig paganen Kontexten, wie dem Kult des Sonnengottes, akzeptabel. Die Propagierung 23 Wallraff, Kontexte 47. Das Deckenmosaik selbst ist zunächst als Abbildung des Sol zu identifizieren und enthält keine christlichen Motive. Dennoch wäre nach Wallraff aufgrund der Seitenmosaike und des dadurch hergestellten Kontextes zu überlegen, ob das Mosaik nicht ebenfalls eine Darstellung des Christus-Sol bietet. 24 Wallraff, Kontexte 48. 25 Wienand, Abschied 58. Vgl. zum Gesamtzusammenhang der Sublimierung des Sonnengottes ebd. 57–61. 26 Vgl. Wienand, Abschied 59 Abb. 10ab.

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von Sonnengott und Christus erfolgte also adressatenorientiert: Anhänger des Sonnenkultes konnten diesen Kaiserbildtypus als Aufwertung verstehen, die Christen als Anerkennung ihres Christus(-kultes) als offizielle, vom Kaiser geförderte Gottheit.27

Über die Beschäftigung mit der Ikonographie der Konstantinsmünze und der motivkritischen Analyse eines Bilddetails auf dem Revers der Münze wird zum einem der Unterschied zwischen einer synchronen Analyse und einer diachronen Analyse des Textes induktiv erschlossen. Denn die erste Bilddeutung verbleibt ganz auf der Oberflächenebene des Bildes, während die weiteren Fragen hinter das Bild zurückführen und die Entstehungsgeschichte des Bildprogramms thematisieren. Zum zweiten wird über diese Bilderabfolge eine erste Annäherung an den Methodenschritt der Motivkritik erreicht, da die Lernenden den Bildtypus „Sol invictus“ in seinem ursprünglichen Kontext der römischen Götterverehrung verstehen lernen und vertraut gemacht werden mit der ikonographisch prägenden Wirkung des Sonnengottes, nicht nur für die Münzprägung durch den römischen Kaiser, sondern auch für die frühen Christusdarstellungen. Dabei erhellen sich die drei Spielarten der Motivkritik, die Motivanalyse (Strahlenkranz und Peitsche als zentrale Identifikationsmerkmale des Sol), die Zeit- und Sozialgeschichte (die wechselnde adressatenorientierte kaiserliche Münzprägung Konstantins des Großen) und die Religionsgeschichte (Doppeldeutigkeit der kaiserlichen Münzprägung – Konstantin mit Strahlenkranz / Nimbus – auf Sol oder Christus als Schutzgottheit Konstantins verweisend) gegenseitig. Erarbeitung / Vertiefung Unter Rückgriff auf den ikonographisch basierten Einstieg führt die Leitung in die Methode der Motivkritik ein, erläutert ihre Zielsetzungen, ihre Spezifika, konkretes Vorgehen und wesentliche Hilfsmittel. Im Anschluss kommt der für diesen Baustein zentrale Text, Mk 11,1–11, in den Blick. Um eine erste Orientierung über den Text sowie eine Sensibilisierung für die Spezifika der markinischen Darstellung des Einzugs Jesu zu erreichen, kann die Handlungssequenz der markinischen Erzählung erhoben werden. Arbeitsgrundlage ist der griechische Text bzw. die Übersetzung des Münchener Neuen Testaments. Für die Lernenden stellt sich die Aufgabe, den Ablauf des Geschehens, also die Handlungssequenz, zu eruieren. Dabei ist auch auf die Orte und die die jeweiligen Handlungen tragenden Aktanten zu achten. Die Erarbeitung kann in Partner- oder Gruppenarbeit erfolgen. Die Ergebnisse werden vergleichend präsentiert und eine gemeinsame Handlungssequenz für den Text erstellt. 27 Die mit Sol geprägten Goldmünzen wurden als Geschenke allein an hohe Amtsträger, die sich zum Sonnengott bekannten, ausgegeben. Auch hier erfolgte also die Münzprägung adressatenorientiert, während die massenhafte Münzprägung ab 318 n. Chr. durch das Zurücktreten paganer Elemente geprägt war; vgl. Wienand, Abschied 58.

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Im Anschluss führt die Leitung in die potentiellen motivkritischen Hintergründe der markinischen Einzugserzählung ein. Neben alttestamentlichen Vorbildern und Anspielungen im markinischen Text ist vor allem das pagane Zeremoniell des adventus entscheidend. Eine große Nähe des markinischen Textes besteht nämlich zu den adventus-Erzählungen für Kaiser, römische Statthalter und sonstige Würdenträger. Adventus meint Ankunft und zwar zumeist in der eroberten Stadt. Im Griechischen wird der Begriff ἀπάντησις verwendet, was das Zentrum dieses Szenarios – das Entgegengehen dem Würdenträger durch die Stadtbevölkerung sowie seine Begleitung bis zum ingressus in die Stadt – besser trifft und auf die παρουσία des Herrschers antwortet.28 Die Lernenden erhalten eine Übersicht mit der Stationenfolge eines idealen adventus.29 Diesen Stationen sollen sie die entsprechenden Passagen aus dem adven­ tus Vespasians in der Schilderung des Josephus (Bell IV 63–74)30 und dem adventus Jesu bei Markus (Mk 11,1–11) zuordnen. Dazu erhalten sie den Text des Josephus in einer sinnvoll gekürzten Fassung. Zu fragen ist im Rahmen dieses Vergleichs: –– Welche Parallelen und Variationen gibt es im Ablauf der beiden adventus im Vergleich mit dem idealen adventus? –– Wie inszeniert Markus literarisch den adventus Jesu in Jerusalem? Welche Motivbestandteile des idealen adventus werden in welcher Form realisiert? Weil die Identifikation der Motive in den Texten des Josephus und des Markus keine ganz leichte Aufgabe ist, kann die Auswertung nach einer Lesephase im Plenumsgespräch erfolgen und durch die Leitung moderiert und ggf. gelenkt werden. idealer adventus

Jos., Bell IV 63–74

Mk 11,1–11

Ankündigung der Ankunft

Denn selbst als Vespasian noch in weiter Ferne war, schlugen ihm bereits alle Herzen in Italien entgegen, wie wenn er schon da wäre: Die bloße Erwartung erzeugte – so groß war das Verlangen nach ihm – schon den Eindruck seiner wirklichen Ankunft, […] (64) Als nun endlich sein Herannahen gemeldet wurde (70)

Und als sie nahekommen nach Hierosolyma, nach Bethphage und Bethania zum Berg der Ölbäume (V. 1)

28 Vgl. Lehnen, Adventus principis 55–59. 29 Vgl. zum Ablauf eines idealen adventus: Lehnen, Adventus principis 405. 30 Der Einzug Vespasians in Rom nach seiner Erhebung zum Kaiser kommt dem idealen Ablauf einer Einholung vergleichsweise nahe.

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idealer adventus

Jos., Bell IV 63–74

Mk 11,1–11

Dekoration der Stadt

Vor lauter Kränzen und Räucherwerk sah übrigens die Stadt fast wie ein Tempel aus (71)

Und viele breiteten aus ihre Gewänder auf den Weg, andere aber Büschel, abschlagend (sie) von den Äckern (V. 8)

Beginn der Prozession außerhalb der Stadt (occursus)

[…] konnten die angesehenen Männer der Stadt es nicht über sich bringen, ihn in Rom zu erwarten, sondern eilten ihm bis weit vor die Stadt entgegen. Aber auch den anderen Bürgern war jeder Aufschub der Begegnung unerträglich; sie strömten daher in großen Scharen hinaus, und da ihnen das Gehen lieber und leichter als das Bleiben war, überkam die Stadt zum erstenmal das angenehme Gefühl der Entvölkerung – denn die Zahl derer, die ihm entgegenzogen, überwog die der Zurückbleibenden um ein Bedeutendes (68 f.)

Und sie bringen das Füllen zu Jesus, und sie werfen auf es ihre Gewänder, und er setzte sich auf es (V. 7)

[…] da wollte die gesamte übrige Bevölkerung ihn am Wege empfangen, und wo er vorüberkam, begeisterte sein freundliches Wesen und der milde Ausdruck seines Antlitzes die Menge zu den verschiedensten Zurufen, die ihn als Wohltäter, Retter und allein würdigen Beherrscher Roms bezeichneten (70 f.)

schrien: „Hosanna; gesegnet der Kommende im Namen (des) Herrn; gesegnet das kommende Königtum unseres Vaters David; Hosanna in den Höhen!“ (V. 9 f.)

Nur mit Mühe konnte der Gefeierte durch die Masse des ihn umdrängenden Volkes hindurch in den Palast gelangen […] (72)

Und hineinging er nach Hierosolyma ins Heiligtum […] (V. 11)

Akklamation dem Einziehenden durch die Teilnehmer des occursus

und die Vorausgehenden und die (ihm) Folgenden […] (V. 9)

Begrüßung des Einziehenden durch den praefectus urbi vor den Toren der Stadt; Gruß der Stadt durch den Einziehenden Öffnen des Stadttors und ingressus

Akklamationen

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idealer adventus

Jos., Bell IV 63–74

Mk 11,1–11

Opfer auf dem Capitol

[…] wo er sogleich den Hausgöttern Dankopfer für seine glückliche Ankunft darbrachte (72)

[…] ins Heiligtum, und rings anschauend alles […] (V. 11)

Einzug in den Palast

hindurch in den Palast gelangen […] (72)

[…] als schon spät war die Stunde, hinausging er nach Bethania mit den Zwölf (V. 11)

Spiele

Das Volk aber machte sich unterdessen an die Schmausereien (73)

Beim adventus Vespasians sind alle Motive und wichtigen Stationen realisiert. Nur die Begrüßung durch den praefectus urbi und der Gegengruß durch den Einziehenden entfallen. An die Stelle der Spiele tritt das Gastmahl. Josephus hebt die Menschenleere der Stadt nach dem occursus hervor. Auch der ingressus gestaltet sich schwierig angesichts der herandrängenden Menschenmassen. Vespasian wird als Wohltäter, Retter und Herrscher Roms akklamiert. Bei einem oberflächlichen Blick auf die Schilderung bei Markus könnte man meinen, dass auch Markus das Motivinventar für den adventus des Herrschers Jesus in der Stadt Jerusalem aufbietet. Als Jesus sich Jerusalem nähert, werden ihm Akklamationen entgegengebracht, bis er die Stadt Jerusalem und den Tempel betritt. Bei näherem Hinschauen, wird jedoch deutlich, dass das wichtigste Merkmal des Einzuges fehlt: das Entgegeneilen der Stadtbevölkerung. Die Akklamationen werden Jesus allein durch die ihn seit Mk 10,46 begleitende Menge entgegengebracht. Der erste Festzug, der occursus, wird also entscheidend abgewandelt. Der zweite Festzug bzw. der ingressus wird nur sehr kurz mit dem häufig für das Einziehen verwendeten Terminus „Hineingehen“ notiert und direkt mit dem Tempel als vorrangigem Ziel verbunden. Und auch beim ingressus fehlt sozusagen der entscheidende Anteil an Personen – neben dem Eingeholten und seinen Begleitern nämlich die Teilnehmer des occursus. Wird dann überhaupt in Mk 11,1–11 ein adventus geschildert? Das ist durchaus möglich, denn für die einzelnen Interaktionsformen zwischen Herrscher und Volk, wie etwa den adventus oder das Gastmahl, haben sich über Gewohnheit ideale Formen des Ablaufs herausgebildet; diese blieben aber kein „,befriedetes‘, […] statisches Ritual“, sondern waren für die beteiligten Personen und Personengruppen zugleich individuell variabel.31 Abweichungen vom idealen Verlauf verunmöglichen also nicht eine Anspielung.

Nachdem im Plenum die markinischen Anspielungen auf den adventus und die Abweichungen von diesem Prätextmotiv erfasst worden sind, kann die Leitung die Aufmerksamkeit auf zwei Teilaspekte in der markinischen Inszenierung des jesuanischen adventus lenken. Zu den hervorstechenden Variationen des adventus in der Version bei Markus zählen u. a. die Auswahl und genaue Beschreibung des Reittiers 31 Vgl. Ronning, Stadteinzüge 76.

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sowie das im Vergleich zum idealen adventus fehlende Opfer im Tempel, obwohl sich Jesus im Anschluss an das Betreten Jerusalems direkt zum Tempel begibt. Zunächst sollte mit den Lernenden die Besonderheit des Reittieres analysiert werden. Über das Reiten auf dem Füllen32 und die Stichwortverbindung Füllen werden Assoziationen an Gen 49,11 und Sach 9,9 wachgerufen und die Erwartung eines kommenden gerechten Königs eingespielt, der Frieden herstellt und dem eine universale Herrschaft zukommt. Die Lernenden erhalten den Text von Sach 9,9 f. in der Elberfelder Übersetzung. Folgende Leitfragen können die kurze Textarbeit lenken: –– Welches Bild des verheißenen Königs wird in Sach 9,9 f. gezeichnet? –– Lässt sich dies mit Jesus vergleichen? Nach dem Austeilen des Textblattes mit den Leitfragen erfolgt eine kurze Leseund Tuschelphase. Die Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen und an der Tafel festgehalten. Der in Sach 9,9 f. verheißene König ist daran erkennbar, dass er auf einem Eselsfüllen reitet.33 Als Reittier wählt Jesus weder Schlachtross noch Triumphwagen eines römischen Herrschers. Durch das Eselsfüllen, hier Sohn einer Eselin, wird daher zum einen der König als Friedensbringer inszeniert.34 Der Sohn einer Eselin ist zudem vornehmlich das Tier des davidischen Herrschers. Denn die Herrschaft Judas in ihrer Dauerhaftigkeit und Beständigkeit wird in Gen 49,11 metaphorisch über das Binden und Lösen des Sohnes einer Eselin eingeholt. In Verbindung mit der Akklamation des Königtums Davids wird Jesus hier als davidischer Herrscher eingeführt. Hier klingt die Offenbarung Natans gegenüber David in 2 Sam 7 an, die die Zusicherung des ewigen Bestands seines Hauses und seines Königtums durch Gott verheißt. Dem König werden in Sach 9,9 f. als weitere Prädikate „gerecht, gerettet (vgl. die Anmerkung in der Elberfelder Bibel) und demütig“ zugeschrieben. Sacharja geht mit dem Prädikat der Demütigkeit auf die Gottesbeziehung des Königs ein: Dieser leitet seine gesamte Vollmacht von JHWH ab. Der König selbst ist nicht mehr Retter wie der kultisch verehrte

32 Adela Yarbro Collins votiert aufgrund der kontextuellen Verortung der Findungslegende in einem kleinen Dorf in der Nähe des Ölbergs eindeutig für die nähere Bestimmung des Füllens als Jungtier einer Eselin und nicht als Fohlen eines Pferdes, vgl. Collins, Mark 517. 33 C. L. Meyers / E. M. Meyers, Zechariah 9–14. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 25C), New York (NY) 1993, 129–131; K. Elliger, Das Buch der zwölf kleinen Propheten II. Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi (ATD 25), Göttingen 81982, 149; J. M. Sasson, Art. Ass, in: The Interpreter’s Dictionary of the Bible. An Illustrated Encyclopedia (Supplementary Volume), Nashville (TN) 1976, 72 f. Zur Royalität des Einzugs vgl. auch Evans, Mark 138–140; Collins, Mark 514–521. 34 Zur Friedfertigkeit des Einzugs vgl. M. Rehm, Der Friedensfürst in Zach 9,9–10, in: BiLe 9 (1968) 164–176; C. L. Meyers / E. M. Meyers, Zechariah 9–14. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 25C), New York (NY) 1993, 125–131; A. Deissler, Zwölf Propheten III. Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi (NEB.AT 21), Würzburg 1988, 296 f.; K. Elliger, Das Buch der zwölf kleinen Propheten II. Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi (ATD 25), Göttingen 81982, 149.

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seleukidische Herrscher. Als Geretteter steht er in einem Abhängigkeitsverhältnis zu JHWH. Nicht der König wirkt seine universale Herrschaft, sondern JHWH.35 Denn der König zieht gerade nicht als militärischer Machthaber auf einem Kriegsross bzw. als Sieger auf einem Triumphwagen ein, was die Voraussetzung für eine (militärische) Durchsetzung seiner Herrschaft wäre. Die Entmilitarisierung mit der Hoffnung auf ein Gesamtisrael wird nicht durch den Sieg über die Feinde, sondern über die Entwaffnung Jerusalems und Ephraims seitens JHWHs hergestellt. Wird in Sach 9,9 f. die Friedfertigkeit und Niedrigkeit des Königs nuanciert, so fällt zugleich seine Passivität auf, die sich aus dem Stehen in der Vollmacht JHWHs erklärt. Der verheißene König hat eine (schieds-)richterliche Funktion zwischen den Völkern und stellt Frieden zwischen ihnen her; seine universale Herrschaft steht jedoch ganz in der Vollmacht JHWHs. Sach 9,9 f. fungiert als Gegenbild zum hellenistischen Herrscher, der als soter eine gottgleiche Stellung hatte und dessen vornehmstes königliches Prädikat seit Alexander dem Großen seine Sieghaftigkeit war. Auch in der markinischen Inszenierung des adventus Jesu beinhaltet das Reiten Jesu auf dem Esel gegensätzliche Implikationen zu einem Kaiser wie Vespasian, dessen militärische Sieghaftigkeit durch die anlässlich seines Triumphzuges nach den Eroberungen in Galiläa und Jerusalem geprägten Judaea-capta-Münzen dem römischen Volk anschaulich und dauerhaft vor Auge stand. Wird Vespasian im Rahmen seiner Einholung nach Rom als Retter und Wohltäter akklamiert, so fungiert Jesus als Gegenbild bzw. als Überbietung: Jesus ist der wahre Retter und universale Herrscher, der durch die Vollmacht JHWHs legitimiert ist.

In einem weiteren Schritt lässt sich auch V. 11 eigens thematisieren. Denn auch das Verhalten Jesu am Ende eines solchen adventus bricht mit dem idealen Ablauf: Zwar besucht Jesus angesichts des typischen adventus den richtigen Ort. Es erfolgt aber kein Opfer im Tempel. Stattdessen schaut sich Jesus im Tempel um und zieht sich dann wieder nach Bethanien zurück. Bezieht man den Kontext von Mk 11,1–11, also die Feigenbaumepisode und die Reinigung des Tempels (Mk 11,1–25), in die Analyse mit ein, dann lässt sich die inhaltliche Bedeutung des fehlenden Opfers im Zusammenhang mit der Feigenbaumepisode und der Tempelaktion erschließen. Folgende Leitfragen sind hilfreich: –– Welche Funktionen übernahm der Tempel von Jerusalem? –– Inwiefern übt Jesus Kritik daran? Die Lernenden können sich zunächst zu Zweit oder Dritt über die Funktionen des Tempels austauschen. Danach kann im Plenum zusammengetragen werden, welche Handlungen durch welche Personen an welchem Ort im Tempel ausgeführt werden. Eine Abbildung des Tempels kann präsentiert werden.36 An ihr können die Ler35 Vgl. C. L. Meyers / E. M. Meyers, Zechariah 9–14. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 25C), New York (NY) 1993, 126 f.; A. Deissler, Zwölf Propheten III. Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi (NEB.AT 21), Würzburg 1988, 296; K. Elliger, Das Buch der zwölf kleinen Propheten II. Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi (ATD 25), Göttingen 81982, 149. 36 M. Küchler, Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 22014, 120. S. Schreiber, Begleiter durch das Neue Testament, Ostfildern 32014, 221.

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nenden die einzelnen Funktionen des Tempels verorten und beschreiben. Zudem kann gemeinsam der Frage nachgegangen werden, inwiefern der markinische Jesus Kritik am Tempel übt und welche Rolle dabei V. 11 im Licht des adventus spielt. Das Allerheiligste durfte nur durch den Hohepriester und nur am großen Versöhnungstag, Yom Kippur, betreten werden. Zentral ist die Darbringung von Opfern (Morgen- und Abend­ opfer) im Hof der Priester. Neben den täglichen Morgen- und Abendopfern gab es auch das Entsündigungs- oder Entschuldigungsopfer, das den Status der Reinheit und die Möglichkeit der Gottesbegegnung wiederherstellt. Jesus übt mit seinem Strafwunder am Feigenbaum, der keine Früchte trägt und damit funktionslos ist, Kritik an der Institution des Tempels und der mit ihm verbundenen Funktion der Reinigung. Reinigung und die Wiederherstellung der Gottesbeziehung ist in der Gottesherrschaft ohne Opfer möglich und wird durch JHWH direkt geschenkt. Die Sündenvergebung kann von den Menschen einander zugesprochen werden; JHWH selbst macht diese Vergebung wirksam. Vor diesem Hintergrund des Strafwunders am Feigenbaum wird die Tempelreinigung verständlich als Angriff auf eine der Hauptfunktionen des Tempels: die stellvertretende Darbringung von Opfern, die durch das Heraustreiben der Händler unmöglich wird. Im Vorhof der Heiden fand der Münzwechsel in die den Reinheitsgeboten entsprechende Währung für den Kauf der Opfertiere statt. Zudem kooperierte die Führungselite des Jerusalemer Tempels mit den Römern, um zum Beispiel das Recht auf Religionsausübung und Rechtsprechung in religiösen Angelegenheiten zu gewährleisten. Damit war der Tempel auch wirtschaftliche Einrichtung und im weiteren Sinne auch politische Instanz und wird als solche von Jesus angegriffen.37

Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Zentral für die markinische Variante des adventus Jesu ist zum einen die Inszenierung Jesu als Repräsentant des Königtums Davids, der dann aber durch die Jerusalemer Bevölkerung keine Anerkennung erfährt: Sie gehen Jesus nicht entgegen und akklamieren dem davidischen (Friedens-)König, der die Gottesherrschaft vertritt, nicht. Die zweite zentrale Kategorie ist die Verweigerung des Opfers im Tempel durch Jesus und seine damit einhergehende innerjüdische Kritik an der Funktion des Tempels. In Mk 11,1–11 wird die gegenseitige Nichtanerkennung des jeweiligen Anspruchs – Jesu als Repräsentant der Gottesherrschaft sowie der Jerusalemer Führungsschicht auf die (Reinigungs-)Funktion des Tempels – in der literarischen Inszenierung des Markus in ihrer ganzen Dramatik sichtbar. Als Abschluss dieser Einheit kann die Leitung die angesichts der motivkritischen Analyse auffälligen Erzähldetails von Mk 11,1–11 im Blick auf ihre Pragmatik mit der Gesamtgruppe diskutieren. Dabei kann der zurückgelegte Erkenntnisweg re37 S. Schreiber, Begleiter durch das Neue Testament, Ostfildern 32014, 270–274; M. Ebner, Jesus von Nazaret. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart 52016, 158–161; G. Theissen / A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011, 380 f.

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kapituliert und unter Rückgriff auf das Eröffnungsbeispiel sowie die Beobachtungen zu Mk 11,1–11 der große Nutzen, aber auch die Komplexität der Motivkritik erläutert werden. Wenn es das Zeitbudget zulässt, können abschließend Beispiele für motivkritische Analysen an weiteren neutestamentlichen Texten genannt werden. Literatur zur Textstelle A. Y. Collins, Mark. A Commentary (Hermeneia), Minneapolis (MN) 2007. C. A. Evans, Mark 8:27–16:20 (WBC 34B), Nashville (TN) 2001. J. Lehnen, Adventus principis. Untersuchungen zu Sinngehalt und Zeremoniell der Kaiserankunft in den Städten des Imperium Romanum (Prismata. Beiträge zur Altertumswissenschaft 7), Frankfurt a. M. 1997. J. Marcus, Mark 8–16. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 27A), New York (NY) 2009. C. Ronning, Stadteinzüge in der Zeit der römischen Republik. Die Zeremonie des Adventus und ihre politische Bedeutung, in: Ders. (Hrsg.), Einblicke in die Antike. Orte – Praktiken – Strukturen (Münchner Kontaktstudium Geschichte 9), München 2006, 57–86. M. Wallraff, Konstantins „Sonne“ und ihre christlichen Kontexte, in: K. Ehling / G. Weber (Hrsg.), Konstantin der Große. Zwischen Sol und Christus, Darmstadt 2011, 42–52. J. Wienand, Ein Abschied in Gold – Konstantin und Sol invictus, in: K. Ehling / G. Weber (Hrsg.), Konstantin der Große. Zwischen Sol und Christus, Darmstadt 2011, 53–63.

Ertrag zur Methode Der Methodenschritt der Motivkritik beinhaltet die Rückfrage hinter den Text nach geprägten Motiven und sich im Text spiegelnden zeit- oder religionsgeschichtlichen Phänomenen der Umwelt des Alten und Neuen Testaments. Der Text konstituiert sich damit immer zugleich auch durch die Rezeption und pragmatische Aktualisierung geprägter Motive aus seiner Umwelt im Blick auf die Adressatenschaft des Textes. Der Methodenschritt der Motivkritik versucht, diesem Prozess von Rezeption und aktualisierender Transformation auf die Spur zu kommen und ihn transparent zu machen. Die Ausleger des biblischen Textes unternehmen mit diesem Methodenschritt den Versuch, den biblischen Text mit der Brille des vom Autor vermutlich intendierten Lesers, d. h. mit seiner kulturellen „Enzyklopädie“,38 zu lesen und zu verstehen. Dies impliziert zunächst die Wahrnehmung der Fremdheit des biblischen Textes aufgrund des zeitlichen Abstandes und der kulturellen Differenzen. Zugleich ist die Motivkritik wesentliche Voraussetzung für die Analyse der Wirkungsabsicht des Textes im Blick auf seine Erstadressaten und die Rekonstruktion der Situation der Adressaten, in die der Text hineinspricht. 38 Vgl. U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache (Supplement 4), München 1985, 129 f.

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Der Methodenschritt der Motivkritik ist per se interdisziplinär. Zentrale Bezugswissenschaften sind z. B. die Numismatik, Epigraphik, Archäologie, Papyrologie und das weite Feld der Altertumswissenschaft und der Alten Geschichte. Gerade in Bezug auf die Feststellung geprägter Motive lässt sich die Motivkritik als Suche nach Intertextualität verstehen. Weitere Ideen Alternativer Einstieg Lohnend erscheint ein diachroner Vergleich im Blick auf Produktwerbung (etwa für Waschmittel, Hautpflegeprodukte, Kaffeesorten) über verschiedene Jahrzehnte: Wie wurde das Produkt damals beworben? Wie wird es heute in der Werbung inszeniert? Welche kulturellen Codes (etwa im Blick auf Geschlechterrollen) werden verwendet und mit der jeweiligen Werbung neu kommuniziert, ironisiert, verändert? Alternative Texte für die Erarbeitung / Vertiefung Der Wechsel der Ämter Samuels: 1 Sam 2,35 im Vergleich mit 1 Sam 3,19 f. und 1 Sam 7,15, hinter denen jeweils andere Traditionen stehen; Sichtbarkeit von Wachstumsspuren im Text, die jeweils eigene Ziele mit Samuel verfolgen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37) und die Frage nach der Bedeutung der religiösen Zuordnung der Aktanten.

R. Zimmermann, Berührende Liebe (Der barmherzige Samariter) Lk 10,30–35, in: Ders. (Hrsg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 538–555.

Der ἱλαστήριον-Begriff in Röm 3, seine Semantik und sein funktionaler Einsatz durch Paulus. W. Kraus, Der Erweis der Gerechtigkeit Gottes im Tod Jesu nach Röm 3,21–26, in: L. Doering / H.-G. Waubke / F. Wilk (Hrsg.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen (FRLANT 226), Göttingen 2008, 192–216. S. Schreiber, Weitergedacht: Das versöhnende Weihegeschenk Gottes in Röm 3,25, in: ZNW 106 (2015) 201–215.

Die politischen Konnotationen der lukanischen Geburtsgeschichte (Lk 1–2).

S. Schreiber, Weihnachtspolitik. Lk 1–2 und das goldene Zeitalter (NTOA 82), Göttingen 2009.

Rezeptionsorientierte Zugänge

Feministische Exegese und geschlechtersensible Zugänge zur Bibel Stephanie Feder

Hinführung zur Methode Feministische Bibelauslegung, gender-faire Exegese, kritische Männerforschung und Bibelwissenschaft, geschlechtergerechte Leseweisen – viele Namen für unterschiedliche Herangehensweisen an den biblischen Text, die aber dennoch einen Fokus haben: Das Geschlecht spielt beim Verfassen, Lesen, Auslegen und Übersetzen von Bibeltexten eine wichtige Rolle. Bibeltexte sind in einem patriarchalen Kontext entstanden; Männer haben die (meisten) Texte verfasst.1 Lange Zeit war auch die Interpretation biblischer Texte Männern vorbehalten, so dass sich dominante männliche Sichtweisen fortsetzten. Die Bibel war lange ein Männer-Buch und bleibt es auch, wenn nicht zwischen den Zeilen nach der Lebenswirklichkeit und den Erfahrungen von Frauen gesucht wird. Die feministische Exegese fokussierte in den 70er und Anfang der 80er Jahre die biblischen Frauenfiguren. Man setzte sich gezielt mit den bis dahin vernachlässigten Frauen des Alten und Neuen Testaments auseinander. Daneben spielten v. a. auch weibliche Gottesmetaphern eine zentrale Rolle. Der feministische Zugang hat sich dabei von Anfang an verschiedener Methoden bedient, wie beispielsweise der historisch-kritischen Methoden. Zentral war und ist es, Frauenthemen in biblischer Zeit herauszuarbeiten, die Lebenswelt der Frauen nachzuzeichnen und kontextuell einzuordnen und sich mit der Bibel für aktuelle Frauenanliegen zu engagieren. Seit der Mitte der 80er Jahre hat der sex- und gender-Diskurs Einzug in die feministische Exegese gehalten. Der Diskurs erörtert die Frage, ob und wie Geschlechter gesellschaftlich gebildet werden. Somit verlagerte sich die Bibelwissenschaft, die diesen Ansatz berücksichtigte, hin zu der Frage, wie Geschlechter in der Bibel kons1 Lediglich beim Buch Rut wird eine Frau als Autorin des Buches in Betracht gezogen, vgl. Fischer, Rut 93 f.

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truiert werden. Es geht um Fragen des Körpers, der Repräsentation von Geschlechtern und um die Normierung (→ Postkoloniale Exegese, besonders Foucault) dessen, was männlich und weiblich ist. Ausgeweitet wurde dieses Konzept durch den in den 90er Jahren von Judith Butler maßgeblich geprägten Dekonstruktivismus. In diese Zeit ist auch die kritische Männerforschung zu verorten. Mit Hilfe des Ansatzes wird nicht von einer essentialistischen Perspektive auf Männer geschaut, sondern kritisch reflektiert, was den Mann zum Mann macht, welche Form der Männlichkeit in einer Gesellschaft erwünscht ist und gefördert wird und welche Männer aus welchen Gründen nicht akzeptiert sind – z. B. aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Auch dieser Ansatz ist für die Exegese fruchtbar gemacht worden. Der AT-Baustein wird sich dieser Frage detaillierter widmen. Wie auch immer man die hier vorgestellten Herangehensweisen betitelt – zentral ist, dass man sie als Herangehensweisen und nicht als Methoden versteht. Alle hier präsentierten Ansätze bedienen sich synchroner oder diachroner Methoden, jedoch mit einem bestimmten Ziel, z. B. um patriarchale Strukturen aufzudecken. Die Lese-Absicht entscheidet, welche Methoden zu welchem Zweck genutzt werden. Es ist – sowohl für die beiden Bausteine, die präsentiert werden, als auch für die Arbeit mit den Studierenden – mit einer Anwendung unterschiedlichster Methoden zu rechnen. Weil nur zwei Bausteine zur Verfügung stehen, soll die kritische Männerforschung im AT-Baustein und die feministische Bibelauslegung im NT-Baustein präsentiert werden. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Studierenden entdecken die patriarchale oder androzentrische Dominanz biblischer Texte. –– Die Studierenden können anhand von konkreten methodischen Schritten die Konstruktion von Männer- und Frauenbildern in der Bibel nachvollziehen und kritisch beurteilen. –– Die kritische Auseinandersetzung mit den biblischen Texten auf der Ebene der feministischen Kritik ermöglicht den Studierenden auch, den Text aus anderen Perspektiven zu lesen und andere Formen von Ungerechtigkeit, die sich im Text niederschlagen, zu entdecken und kritisch zu hinterfragen. Literatur zur Methode I. Fischer, Rut (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2001. I. Fischer, Gender-faire Exegese. Gesammelte Beiträge zur Reflexion des Genderbias und seiner Auswirkungen in der Übersetzung und Auslegung von biblischen Texten (Exegese in unserer Zeit 14), Münster 2004.

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M. Navarro Puerto / M. Perroni (Hrsg.), Neues Testament. Evangelien. Erzählungen und Geschichte (Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie 2/1), Stuttgart 2011. L. Schottroff / S. Schroer / M.-T. Wacker, Feministische Exegese. Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen, Darmstadt 1995. L. Schottroff / M.-T. Wacker (Hrsg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 32007. E. Schüssler Fiorenza, Brot statt Steine. Die Herausforderung einer feministischen Interpretation der Bibel, Freiburg (Schweiz) 1988. E. Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis… Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, Gütersloh 21993. P. Trible, Mein Gott, warum hast du mich vergessen! Frauenschicksale im Alten Testament (GTBS 491), Gütersloh 21990. Themenheft „Männer. Biblische Perspektiven“ = BiKi 63/3 (2008).

Baustein AT: David – ein Mann? Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Studierenden sind mit Grundlagen historisch-kritischer bzw. synchroner Exegese vertraut. Sie können einzelne Methoden sicher anwenden. –– Die Studierenden kennen den Unterschied zwischen „Methode“ und hermeneutischer Perspektive. –– Den Studierenden ist die Davidserzählung in den Samuelbüchern vertraut. Einstieg Der AT-Baustein befasst sich exemplarisch mit David. An dieser biblischen Figur wird das von David Clines erprobte Verfahren von Männlichkeitskonzeptionen angewandt. Da dies sehr umfassend ist, dient ein einführender Artikel von MarieTheres Wacker zur Bibelwissenschaft und Männerforschung als Grundlage für die Leitung.2 Zudem sollte die Leitung den Artikel von David Clines gut kennen.3 Arbeitsblätter (→ Materialanhänge) helfen den Studierenden, die komplexen Arbeitsschritte zu überschauen. Die Leitung führt in die kritische Männerforschung ein, indem sie Spielfiguren mitbringt, wie z. B. einen Powerranger, eindeutig männliche Playmobilfiguren, Spider­man, Batman, Figuren aus Herr der Ringe, Ken, männliche Schleichfiguren – einfach alles, was die Spielzeugwelt so hergibt. Gut wäre es, wenn alle Studierenden jeweils eine Figur erhielten. Die Studierenden sollen anschließend erläutern, woran sie erkennen, dass ihre Figur männlich ist. Nachdem dies zusammen getra2 Vgl. Wacker, Bibelwissenschaft. 3 Vgl. Clines, David the Man.

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gen wurde, kann im Plenum diskutiert werden, welche Bilder von Männlichkeit in unserer Gesellschaft existieren. Das könnte zu Fragen nach der Unterscheidung von sex und gender führen, wie sie in der sozialwissenschaftlichen Forschung verwendet wird. Während sex das biologische Geschlecht bezeichnet, verweist der Begriff gender auf das gesellschaftlich konstruierte Geschlecht. So ordnen die Studierenden den Figuren ein Geschlecht zu (und die Leitung beim Auswählen der Figuren übrigens auch), obwohl sie das biologische Geschlecht kaum erkennen werden. Durch Kleidung, Haltung und Gebärden findet jedoch eine Zuordnung statt. Dies ist gesellschaftlich normiert, kann sich aber verändern. So war es im 19. Jahrhundert in Europa unüblich, dass Frauen Hosen trugen; rosa war vor hundert Jahren die Farbe der Jungen; heute gilt es in den meisten Milieus Westeuropas als unschön, wenn sich Frauen einen Bart wachsen lassen. Das heißt, dass neben dem biologischen Geschlecht auch ein gesellschaftliches konstruiert wird. Diese Konstruktion scheint notwendig, um sich zu orientieren, kann aber gleichzeitig eine Überforderung für Menschen sein, die sich nicht in die Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lassen wollen, wie z. B. intersexuelle Menschen. Auch in der Bibel werden Geschlechter „gemacht“. So wie Powerrangers etwas über unser Männerbild verraten, so spiegeln sich auch in biblischen Texten kulturelle Normen, die durch die Tradierung der Texte weitergegeben bzw. erhalten werden sollen.4 Die Leitung kann dann als Überleitung die David-Statue von Michelangelo per Beamer projizieren und den Studierenden erläutern, dass es im weiteren Verlauf der Sitzung um David als Mann geht. Im Folgenden geht es um die Fragen: Wie wird Davids Männlichkeit in den Texten 1 Sam 16–1 Kön 2 konstruiert? Wie wird David zum Mann stilisiert? Erarbeitung / Vertiefung Die Studierenden stellen vor der Textarbeit Vermutungen über David als Mann an. Diese Aspekte werden auf Moderationskarten gesammelt und anschließend im Auge behalten. Um die Herangehensweise von Clines für die Studierenden transparent zu machen, wird ein Zitat von Clines projiziert: My scope here is the David story (1 Samuel 16 to 1 Kings 2), which is of course not the same thing as: ancient Israel. How typical the masculinity of this story is of the Hebrew Bible as a whole I do not know, yet; and how the literary representations of masculinity in our texts relate to real men […] in ancient Israel I shall never know. But my guess is that the myth of masculinity inscribed in the David story was a very potent influence upon Israelite men, and I am quite sure that the construction of masculinity in the David story was not invented by its author – or by some historical David – but reflects the cultural norms of men of the author’s time.5 4 Vgl. Wacker, Bibelwissenschaft 128. 5 Clines, David the Man 215 f.

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Das erste Beispiel sollte deduktiv erschlossen werden: Die Studierenden erhalten eine Textstelle aus der Daviderzählung. Besonders geeignet sind 1 Sam 16,18, 1 Sam 17,50 und 1 Sam 18,27. Die Studierenden sollen nach Vorlage der Bibelstellen erläutern, wie David hier dargestellt wird. Sie finden einen Begriff, der die Eigenschaft Davids aus den drei Textstellen subsummiert, z. B. „kriegerisch-kämpferisch“. Die Leitung erklärt, dass Clines das kriegerisch-kämpferische Merkmal als entscheidende Kategorie für David als Mann beschreibt. Deckt sich diese Haltung mit denen der Studierenden? Dies lässt sich leicht über die zuvor erstellten Karten ermitteln. Dass Gewalttätigkeit auch heute zuerst mit Männern in Zusammenhang gebracht wird, ist für die Studierenden gut nachvollziehbar. Die anderen von Clines genannten Beispiele werden mit Hilfe eines Arbeitsblattes (→ Materialanhänge) präsentiert, auf dem die von David Clines genannten Aspekte zur Bestimmung von Männlichkeit schon genannt sind. Die Leitung erläutert die zweite Kategorie „der redegewandte Mann“. Die Bibelstelle, an der dies von den Studierenden nachvollzogen werden soll, ist ebenfalls 1 Sam 16,18. Die Studierenden tragen mit Hilfe der Leitung in ihr Arbeitsblatt ein, was redegewandt genauerhin meint, sie vermerken das biblische Beispiel, über das sie gesprochen haben, und sie tauschen sich darüber aus, ob dieser Aspekt von Männlichkeit heute noch genauso passend ist, um einen Mann als Mann zu beschreiben. Auch hierbei können die Moderationskarten zur Hilfe genommen werden. Im Plenum werden mit den Studierenden die Aspekte „frauenlos“ und „Bindung zwischen Männern“ erörtert. Dazu werden die Textstellen auf dem Arbeitsblatt gelesen und mit den bereitgestellten Definitionen von „frauenlos“ und „Bindung zwischen Männern“ in Zusammenhang gebracht. Gerade diese beiden Kategorien sind schwierig nachzuvollziehen und unterscheiden sich von heutigen Idealen von Männlichkeit grundlegend. Abschließend sollten die Aspekte von Männlichkeiten zur Zeit des ATs (und genauer: So wie es uns in den Samuelbüchern über David präsentiert wird) mit denen in unserer Gesellschaft von heute verglichen werden. Deutlich herauszustellen ist, dass es sich um unterschiedliche Kontexte handelt, die Männlichkeit verschieden definieren, und wir so zu divergierenden Idealtypen von Männern gelangen. Beim Lesen von biblischen Texten sollte dies immer wieder reflektiert und in den Blick genommen werden. Wenn noch Zeit ist, können die Studierenden eigenständig an einem weiteren alttestamentlichen Beispiel arbeiten, z. B. an Adam (Gen 2 f.). Dieser Text ist sehr viel übersichtlicher und kann daher schnell erschlossen werden. Hierbei könnte das gerade Erlernte noch einmal angewandt und auf einen anderen Text übertragen werden.

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Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Dass Männer in der Bibel männlich sind, ist nichts Neues. Inwiefern ihre Männlichkeit aber konstruiert ist und innerhalb eines kulturellen Kontextes funktioniert, ist den Studierenden nach dieser Einheit hoffentlich deutlich geworden. Den Blick auf Attribute wie Männlichkeit und Weiblichkeit zu lenken, kann helfen, verborgene Dimensionen des Textes zu erschließen, die zuvor nur als nebensächlich oder „normal“ galten und eine eigene Analyse anscheinend überflüssig machten. Das genaue Hinschauen, wie Männlichkeit – womöglich auf Kosten von Frauen oder marginalisierten Gruppen – erzeugt wird, kann die Studierenden zu ideologiekritischeren Leser/inne/n machen. Zudem kann diese Einheit die historische Distanz zwischen der heutigen Welt und der Welt, in der der Text entstanden ist, bewusster machen. Die Übertragung von Männlichkeitsidealen der biblischen Zeit in das Leben von heute wird damit erschwert und ermöglicht somit eine Differenzierung von biblischer und moderner Welt. Diese Aspekte könnten abschließend mit den Studierenden reflektiert werden. Bei einer Abschlussrunde im Plenum könnte die Frage im Raum stehen: Wie männlich ist David eigentlich? Die Leitung sollte – wenn bis dahin noch nicht geschehen – die Konstruktion der Geschlechter besonders herausstellen. Abschließend kann noch einmal ein Blick auf die Männer-Spielfiguren des Anfangs geworfen werden. Dabei könnte die Transferfrage lauten: Wie wird Männlichkeit mit meiner Figur konstruiert? Literatur zur Textstelle M.-T. Wacker, Bibelwissenschaft und Männerforschung. Zur Einführung, in: BiKi 63 (2008) 126–131. D. J. A. Clines, David the Man. The Construction of Masculinity in the Hebrew Bible, in: Ders., Interested Parties: The Ideology of Writers and Readers in the Hebrew Bible (JSOT.S 205), Sheffield 2005, 212–243. M. Wischer, Gendersensible Bibeldidaktik konkret. Schritte einer Unterrichtsvorbereitung zu „David und Goliath“ (1 Sam 17) mit der „Genderbrille“, in: A. Qualbrink / Dies. / A. Pithan (Hrsg.), Geschlechter bilden. Perspektiven für einen genderbewussten Religionsunterricht, Gütersloh 2011, 198–211.

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Baustein NT: Besondere Frauen im Stammbaum Jesu (Mt 1,1–17) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Grundlegende methodische Kenntnisse zum Thema „Gliederung“ (→ Analyse von Gliederung und Komposition). –– Kenntnis des Matthäusevangeliums (Aufbau, Gliederung, theologische Grundposition, Schwerpunktthemen). Einstieg In dieser Einheit wird die Abstammungslinie Jesu aus dem 1. Kapitel des Matthäus­ evangeliums erläutert und aus feministischer Perspektive beleuchtet. Die Studierenden werden zunächst mit der Gattung des Stammbaums (→ Gattungskritik) vertraut gemacht. Dies könnte durchaus exemplarisch am Stammbaum einer königlichen Familie geschehen. Die Leitung fragt: Warum werden diese Stammbäume aufgezeichnet? Was ist Sinn und Zweck von Stammbäumen? Existiert solch ein Stammbaum auch für Ihre Familie? Anschließend weist die Leitung darauf hin, dass auch von Jesus Stammbäume in den Evangelien existieren. Wenn die Studierenden diesen Stammbaum nachzeichnen sollten, wen würden sie unbedingt nennen? Welche Verwandten Jesu sollten vorkommen? Bei wem würden sie anfangen? Dann wird den Studierenden zunächst der Stammbaum in der Übersetzung von Hubert Frankemölle6 (→ Materialanhänge) vorgelegt. Sie sollen den Stammbaum genau studieren: –– Welche Personen kommen vor? (Abraham, Isaak, Jakob, David, Jesus – andere wichtige Personen können natürlich ebenfalls aufgezählt werden). –– Welche Personen, nach denen kurz zuvor gefragt wurde und die von den Studierenden genannt wurden, fehlen im Stammbaum? –– Wo beginnt der Stammbaum? (bei Abraham; Frankemölle vermutet, dass dies bewusst von Matthäus so konzipiert wurde und der nicht-jüdische Stammvater zusammen mit dem Missionsauftrag ganz am Ende des Mt-Evangeliums die Klammer bildet und damit den universalen Heilsauftrag bei Matthäus herausstellt). –– Bei wem hört er auf? (bei Jesus; um ihn muss es also gehen. Interessant ist, dass nicht mit Jesus begonnen wird und die Abstammungslinie in die Vergangenheit absteigend vervollständigt wird). –– Was fällt ihnen darüber hinaus bei der Gestaltung des Stammbaums auf? (Zählt man die Namen, die vor David genannt werden [David jeweils eingerechnet] kommt man auf 14 Namen. Insgesamt gibt es drei mal 14 Generationen: Die ersten 14 Generationen zeigen den Aufstieg des Volkes Israel bis zum Königtum 6 Vgl. Frankemölle, Matthäus 17.

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Davids. Mit ihm beginnt auch der Verfall des Königreiches bis hin zum Babylonischen Exil. Die letzten 14 Generationen steuern dann auf Jesus hin. In der Perspektive jüdischer Gematrie ergeben die Konsonanten des hebräischen Namens DaViD den Zahlwert 14. Das könnte vielleicht als Erklärung dienen, warum die Zahl 14 im Text so häufig vorkommt.) Den Studierenden können ein paar allgemeine Informationen über den Stammbaum und seinen Aufbau gegeben werden. Diese Informationen sind z. B. im Kommentar von Peter Fiedler gut zusammengestellt.7 Die Studierenden stoßen u. a. darauf, dass von insgesamt fünf Frauen die Rede ist: Tamar, Rahab, Rut, die des Urija und Maria. Diese Informationen werden im Plenum gesammelt. Erarbeitung / Vertiefung In der Erarbeitungsphase soll der Frage nachgegangen werden, warum ausgerechnet diese recht unbekannten Frauen in den matthäischen Stammbaum Jesu aufgenommen wurden. Dazu werden vier Kleingruppen zu den alttestamentlichen Frauen gebildet. Jede Kleingruppe erhält die Bibelstelle zu einer Frau des Stammbaums (Tamar: Gen 38; Rahab: Jos 2; Jos 6,17.25; Rut: Rut 1–4; die des Urija [Batseba]: 2 Sam 11). Die biblische Geschichte soll gelesen, verstanden und für die jeweils anderen Kleingruppen illustriert werden, z. B. in Form einer Comic-Zeichnung mit der der Verlauf der Geschichte leicht nachvollziehbar ist. In der Kleingruppe sollen die Fragen diskutiert werden: Warum kommt ausgerechnet diese Frau im matthäischen Stammbaum vor? Was ist – laut vorliegender Bibelstelle – ihr Verdienst, dass sie in der Genealogie Jesu genannt wird? Anschließend kommen die Kleingruppen wieder im Plenum zusammen und stellen ihre Comics den anderen Gruppen vor. Es wird gemeinsam überlegt, warum diese Frauen im Stammbaum genannt werden; außerdem wird nach Gemeinsamkeiten zwischen den Frauen gesucht. Abschließend erhalten die Studierenden ein weiteres Arbeitsblatt (→ Materialanhänge), auf dem traditionelle Deutungen und eine feministische Auslegung zu den Frauen im Stammbaum zusammengefasst sind. Die Studierenden lesen die Thesen und beziehen in einer Plenumsdiskussion selbst Stellung, welche der Thesen für sie am überzeugendsten ist. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Die feministische Theologin Jane Schaberg hat einige sehr provokante Thesen zu den Frauen im Stammbaum bei Matthäus formuliert, die in gängigen Kommentaren so nicht zu finden sind. Mit den Studierenden soll abschließend auf der Meta­ 7 Vgl. Fiedler, Matthäusevangelium 38–46.

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ebene reflektiert werden, inwieweit die Thesen von Schaberg feministisch sind. Was unterscheidet ihre Thesen von den anderen? Deduktiv soll erschlossen werden, was feministische Exegese ist und wie sie vorgeht. Mit Hilfe der Unterstützung durch die Leitung, die im Hintergrund den Wibilexartikel „Christliche Bibelauslegung“ (darin Feministische Bibelauslegung) von Joachim Vette8 bereithält, können grundlegende Aspekte der feministischen Exegese gesammelt werden. Dabei geht es nicht darum, dass alle Punkte benannt werden sollen, sondern vielmehr, dass die von den Studierenden artikulierten Erfahrungen mit der feministischen Interpretation von Schaberg anschlussfähig bleiben. Der Aspekt, dass die alttestamentlichen Frauen nicht von vorneherein als (sexuelle) Sünderinnen zu sehen sind, sollte eigens erläutert werden. Denn vielmehr sind es die Umstände der patriarchalen Welt, die sich im Text und damit auch in den Frauenfiguren widerspiegeln. Dass diese Frauen allesamt mit (problematischer) Sexualität konnotiert sind, zeigt, dass sie nicht wertfrei und unbelastet präsentiert werden und lenkt damit den Blick auf diejenigen, die diese biblischen Geschichten aufgeschrieben haben. Im Sinne einer Hermeneutik des Verdachts (→ Postkoloniale Exegese) müssen diese Frauen auch ohne die patriarchale Brille der männlichen Autoren betrachtet werden. Als Abschlussimpuls könnte den Studierenden die Frage mitgegeben werden: Wie würde Tamars Geschichte lauten, wenn sie sie selbst erzählen würde? Literatur zur Textstelle P. Fiedler, Das Matthäusevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 1), Stuttgart 2006. H. Frankemölle, Matthäus. Kommentar, Bd. 1, Düsseldorf 1994. U. Luz, Die Jesusgeschichte des Matthäus, Neukirchen-Vluyn 1993, 38. J. Schaberg, Die Stammmütter und die Mutter Jesu, in: Conc(D) 25 (1989) 528–533.

Ertrag zur Methode Da die feministische Exegese ja keine Methode im eigentlichen Sinn ist, sondern sich anderer Methoden bedient, kann an dieser Stelle nicht der Ertrag der Methode bewertet werden. Die bekannte feministische Exegetin Elisabeth Schüssler Fiorenza schreibt, „dass feministische Interpretationsmethoden am besten als solche Wege und Mittel zu verstehen sind, mit denen der Bewusstwerdungsprozess in Gang gesetzt werden kann.“9 Dies ist auch in der Seminarsitzung für die Studierenden zentral: Es geht nicht darum, dass alle patriarchalen Bausteinchen gefunden und 8 Vgl. J. Vette, Art. Bibelauslegung, christliche, in: www.wibilex.de (01.05.14). 9 E. Schüssler Fiorenza, WeisheitsWege. Eine Einführung in feministische Bibelinterpretation, Stuttgart 2005, 194 (Hervorhebungen S. F.).

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analysiert werden, sondern es geht darum, den Text kritisch auf seine patriarchale Überformung hin zu analysieren. Zum Feministen / zur Feministin würde man erst, wenn man dies als Lesehaltung ernst nimmt und eine feministische Lektüre auch eine Emanzipation von patriarchalen Strukturen mit sich bringen würde. Das unterscheidet die feministische Exegese auch von gender-Ansätzen, die stärker den Fokus auf die Analyse legen, wie Geschlechter im Text konstruiert werden, als sich engagiert für die Gleichberechtigung einzusetzen. Damit wird den gender-Ansätzen eine politische Dimension nicht abgesprochen, sie haben aber andere Voraussetzungen, die einer dem Feminismus ähnlichen Emanzipation vom Patriarchat nicht gleichkommen und deswegen nicht direkt miteinander verglichen werden können. Dass Studierende biblische Texte jedoch geschlechterbewusst lesen, dass sie erkennen, dass gesellschaftliche Realitäten in den Text eingeschrieben wurden und heute kritisch betrachtet werden müssen – das wäre ein wünschenswerter Ertrag dieses Zugangs. Weitere Ideen Elisabeth Schüssler Fiorenzas „Hermeneutischer Tanz“ ist eine der wichtigen Methoden innerhalb der feministischen Exegese. Der Tanz umfasst insgesamt sieben Schritte und ist für eine Seminarsitzung zu umfangreich, um diese entsprechend erläutern und ausprobieren zu können. In „WeisheitsWege“10 kann diese Methodik genauer nachgelesen und dann in der Praxis auch angewandt werden. Der Einstieg kann auch mit dem sogenannten „Bechdel-Test“ gestaltet werden. Beim Test geht es darum, in welchen aktuellen Kinofilmen es weibliche Hauptrollen gibt, die nicht über ihr Verhältnis zu Männern definiert werden.11

10 E. Schüssler Fiorenza, WeisheitsWege. Eine Einführung in feministische Bibelinterpretation, Stuttgart 2005. 11 http://www.feministfrequency.com/2009/12/the-bechdel-test-for-women-in-movies/ (12.08.16).

Postkoloniale Exegese Thimo Zirpel

Hinführung zur Methode In einer Universitätsstadt vor der zentralen Mensa: Adrett gekleidete Menschen bitten alle, die zu Mittag essen wollen, durch eine bestimmte, für sie mit entsprechendem Schild versehene Türe zu gehen. Deutsche Studierende durch die linke Tür und ausländische Studierende durch die nur wenige Meter entfernte rechte Tür. Beide führen in den gleichen Vorraum. Der überwiegende Teil der Studierenden folgt der freundlichen Bitte. Ein kleinerer Teil fragt nach: Was soll das? Warum wird hier nach deutsch / ausländisch getrennt? Einzelne entrüsten sich sogar oder missachten die Bitte. Konsequenzen folgen keine. Hier zumindest nicht. Denn es ist lediglich eine Versuchsanordnung des Instituts für Erziehungswissenschaften, um die (unterbewusste) Bereitschaft der Mensagäste zu testen, sich willkürlichen Kategorisierungen unterzuordnen. Und obwohl die vollkommen abstruse Aufforderung, nur durch die „richtige“ Tür zu gehen, zudem noch einen rassistischen Anklang hat, gehorcht die überwiegende Mehrheit. Vielleicht weil doch alles so „offiziell“ und „normal“ aussieht, weil es „nicht schlimm“ ist, weil es nur geringfügig in das Privatleben eingreift, oder weil man einfach schnell zum Essen kommen will?1 Mit dem französischen Poststrukturalisten Michel Foucault gesprochen ist hier die Macht des Diskurses am Werk.2 Der Anschein von Normalität, der vom Diskurs generiert wird, lässt uns fast immun werden gegenüber Ungerechtigkeiten. Es ist 1 Autor unbekannt, Protokoll einer Aussonderung, in: Die Zeit vom 17. Juni 1994. http://pdfarchiv. zeit.de/1994/25/protokoll-einer-aussonderung.pdf (26.06.13). 2 M. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, München 1974. In Kurzform beschreibt Foucault den Diskurs wie folgt: „[D]er Diskurs – dies lehrt uns immer wieder die Geschichte – ist auch nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen versucht“ (11). Als vornehmlich sprachliches Phänomen ist er zugleich soziales Konstrukt und durch seine Auswirkungen physische Realität.

Postkoloniale Exegese

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alltäglich, dass wir einteilen und eingeteilt werden: In männlich / weiblich, jung / alt, Ausländer / Einheimische. Damit ist ein zentrales Dilemma aufgeworfen: Auf der einen Seite brauchen wir offensichtlich das, was nach Foucault zu den maßgeblichen Bausteinen eines Diskurses gehört: Einteilungen und hiermit verbundene Ein- und Ausgrenzungen, um uns so in der Welt zurechtzufinden und miteinander zu kommunizieren. Auf der anderen Seite sind die dadurch hervorgebrachten Kategorien niemals absolut wertfrei. Denn zumindest ist mit ihnen immer eines verbunden: Die Definition dessen, was eine Sache ist und was sie nicht ist. Gerade wenn Letzteres auf einzelne Menschen oder gar ganze Volksgruppen übertragen wird – zudem noch als Fremdzuschreibung und nicht als Selbstaussage –, wird deutlich, wie potentiell repressiv solch ein Diskurs und seine Macht werden können. Ein Beispiel: Der indische Diener, das stimmt, lernt sehr schnell […], aber schon wenige Tage der Abwesenheit oder der Nichtbeaufsichtigung seitens der Hausherrin reichen aus, damit die Dienerschaft in ihr altes Verhalten zurückfällt, was auch die ererbte Vorliebe für Dreck angeht.3

Die postkoloniale Theorie bezieht hierzu, auch in dem Bewusstsein der hermeneutischen Gefahren einer anachronistischen Sichtweise, dezidiert Stellung: Dieses Zitat strotzt nur so vor fremdenfeindlichen Stereotypen. 1891 hingegen war das „Handbuchwissen“ für englische Hausherrinnen gesellschaftlich en vogue. Wie konnte es dazu kommen? Zu dieser Zeit war England imperiale und koloniale Großmacht und das – euphemistisch formuliert – gesamtgesellschaftliche Klima erlaubte es, ja erforderte es sogar, seine Untergebenen aus der indischen Kolonie derart zu behandeln, um die eigene Macht zu festigen und auszubauen. Abstrakter formuliert zeigen sich drei Elemente in diesem kurzen Zitat, welche die Macht des in diesem Fall kolonialen Diskurses textuell zu festigen suchen: Stereotypisierung, die damit einhergehende essentialisierende und naturalisierende Darstellung des „Anderen“ und schließlich der Drang zu dessen Beherrschung.4 Stereotype zeichnen sich nach dem Verständnis der foucaultschen Diskurstheorie durch eine Reduktion auf Merkmale aus, die eine Gruppe in ihrem Wesen (lat. essentia) angeblich ausmacht. Zugleich – wie im obigen Beispiel – versuchen solche Darstellungen die vermeintlich essentiellen Wesenszüge als naturgegeben darzustellen. Auf diese Weise wird ein Stereotyp scheinbar unhinterfragbar. Im weiteren Verlauf einer Diskussion dient es dann als schlagendes Argument, z. B. in der Frage, ob „diese dreckliebenden Inder“ von „uns zivilisierten Europäern“ durch direkte Beherrschung „in ihrer Entwicklung voran gebracht werden sollten“. Denn

3 F. A. Steels / G. Gardiner, The Complete Indian Housekeeper and Cook, London 1891, 2, zitiert nach: S. Mills, Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis (UTB 2333), Tübingen 2007, 126. 4 Redaktionskritische und pragmatische Methodenschritte können die interessengeleitete Leserlenkung und die rhetorische Tiefenstruktur des Textes weiter erhellen.

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das ist das Ziel jeder tendenziösen Darstellung: Macht zu erlangen über „die Anderen“. Alle jene, die nicht „wir“ sind, zur eigenen Machtsteigerung zu beherrschen. Postkoloniale Theorie nimmt sich solcher Texte und Diskurse an, um das „historische, textuelle, diskursive und epistemologische Vermächtnis des Kolonialismus“5 zu erhellen. Das Zeitalter der großen modernen Imperien ist daher der erste Bezugspunkt und hauptsächliche Auslöser für die Entstehung dieser ursprünglich literaturwissenschaftlichen und dann viele Wissenschaftszweige umfassenden Theorie. Das Zitat aus dem Handbuch für englische Hausherrinnen zeigt diese Notwendigkeit überdeutlich. Die eingangs geschilderte Situation vor der Mensa legt aber nahe, dass analoge Situationen grundsätzlich auch heute noch möglich sind. Zusätzlich stellen sich mit dem kritisch geschulten Blick der postkolonialen Theorie Fragen im Blick auf die Zeit vor dem Aufkommen des weltweiten Kolonialismus im 17. und 18. Jahrhundert; konkret für den Umgang mit der Bibel: Sind auch in biblischen Texten jene Machtdiskurse eingeschrieben, von denen Foucault und in seinem Gefolge Edward Said, Gayatri Spivak und Homi Bhabha6 sprechen? Bereits auf rein textueller Ebene lässt sich diese Frage mit „Ja“ beantworten. Denn wenn wir in postkolonialer Perspektive, also bewusst parteiergreifend, auf einen Text wie z. B. Mk 7,24–30 (Jesus und die Syrophönizierin) schauen, wird deutlich, dass auch in der Bibel und selbst auf der vermeintlich „sakrosankten“ Seite Jesu unterdrückende Tendenzen sichtbar werden: Die namenlose Frau gewinnt zwar die Gesundheit ihrer Tochter,7 muss sich dafür allerdings erst verbal als Hund beschimpfen lassen und dann selbst noch als ein solcher erniedrigen, um ihr Ziel zu erreichen. Auch, dass sie vor Jesus niederfällt und ihn mit „Herr“8 anspricht (V. 28), macht ein deutliches Machtgefälle zu Ungunsten der Frau deutlich.9 Sicherlich mag eine solche Leseweise ungewohnt oder gar skandalös sein, denn sie bürstet den Text gegen den Strich und ist mit einem radikalen Perspektivwechsel verbunden.10 Wenn jedoch Machtstrukturen in Texten nicht stillschweigend legitimiert werden sollen, ist es essentiell, zu fragen, ob in ihnen ausgrenzende oder gar unterdrückende Tendenzen vorhanden sind. Hinzu kommen in der postkolonialen Perspektive Fragestellungen wie:  5 Donaldson, Postcolonialism 1 (übersetzt von Th. Z.).   6 Die so genannte „Holy Trinity“ der postkolonialen Theorie.   7 Und ist nebenbei die einzige Person – männlich wie weiblich –, die Jesus in einer verbalen Auseinandersetzung übertrumpfen kann.   8 Im Folgenden wird das Münchener Neue Testament verwendet. Alttestamentliche Texte sind der Elberfelder Bibel bzw. der Biblia Hebraica Stuttgartensia entnommen.   9 Vgl. dazu ausführlicher den Baustein NT. 10 In gattungskritischer Perspektive würde man etwa das Niederfallen der Frau als Proskynese und entsprechend als gattungstypisches Motiv im Rahmen einer Wundergeschichte verstehen, das vom Erzähler den Konventionen antiker Wundergeschichten entsprechend in die Erzählung aufgenommen worden wäre. In heuristischer Perspektive würden viele Exegetinnen und Exegeten das Verhalten der Frau daher primär als gattungskonform interpretieren und es nicht unmittelbar als Zeichen von Unterwürfigkeit werten. Eine Lektüre in postkolonialer Perspektive will hingegen auch gattungskritisch gleichsam gezähmte Machtkonstellationen und -diskurse aufdecken.

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–– Gibt es binäre Oppositionen, die evtl. zusätzlich durch Wertzuschreibungen charakterisiert sind? –– Wird „das Andere“ als fremd evtl. aber zugleich als exotisch und begehrenswert dargestellt? –– Forciert der Text das Reisen in entfernte Länder? Wird evtl. sogar vom friedlichen Kolonialisieren oder gar militärischen Einnehmen gesprochen? Wie legitimiert der Text das jeweilige Vorgehen? –– Wer ist aktiv? Wer spricht, hat eine eigene Stimme? Wer hat einen eigenen Namen? –– Wer wird passiv geschildert, ist stumm oder erst gar nicht präsent? –– Existieren Anhaltspunkte im Text, um die ihm immanente Machtstruktur gegen die machtvolle Seite auszuspielen? Über diese textinterne Ebene hinaus sind die Fragen nach Machtdiskursen und Kolonialismus zu Lebzeiten der biblischen Autoren auch auf textexterner Ebene eindeutig mit „Ja“ zu beantworten: Die Geschichte Israels und seines Umlandes besteht aus zahlreichen Passagen der Eroberung, des Exils, gar der Auslöschung. Das Volk Israel befindet sich sowohl auf Seiten der Unterdrückten (ägyptisches und babylonisches Exil) als auch auf Seiten der Unterdrücker (z. B. die so genannte „Landnahme“ und Kriege Davids und Salomos).11 Auch in den Tagen Jesu ist eine historische koloniale Macht in Judäa und Galiläa präsent: das römische Imperium. In den Jesuserzählungen des Neuen Testaments beschreiben folglich „Zeitzeugen“ durch den Erzähler / Autor aus der ihnen je eigenen Perspektive etwa die Zöllner oder den Hohen Rat als Kollaborateure zwischen kolonialen Sub-jekten,12 die sie teilweise selbst unterdrücken, und den Vertretern des imperialen Zentrums (wie z. B. Pontius Pilatus13). Wichtig sind auf dieser Ebene für die exegetische Interpretation biblischer Texte also vor allem traditionskritische Zugänge wie Sozial- und Religionsgeschichte, die Hinweise zu den soziokulturellen Umständen der Entstehung eines Textes liefern. Auf vielfältige Weise haben sich koloniale Diskurse in Texten niedergeschlagen und werden zugleich durch sie argumentativ vorangetrieben. Letzteres gilt jedoch nicht nur für ihre Entstehungszeit, sondern auch für die Zeit ihrer Rezeption. Postkoloniale Exegese hat deshalb einen weiteren Schwerpunkt in der Reflexion (nicht-) wissenschaftlicher Auslegungen biblischer Texte: 11 Es ist natürlich im Einzelnen teils heftig umstritten, ob und inwieweit die geschilderten Ereignisse historisch valide sind. Eine größere Zahl ist es aufgrund von Widersprüchen im Text oder im Vergleich mit archäologischen Funden oder anderen historischen Zeugnissen wohl nicht. Dass sich auf langen Strecken des Alten Testaments kriegerische Auseinandersetzungen finden lassen, spricht in jedem Fall aber für die Existenz von kolonialen bzw. imperialen Machtkonstellationen (vgl. H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen, Bd. 1–2 [GAT IV/1–2], Göttingen 21995). 12 Wortwörtlich aus dem Lateinischen übersetzt „die Unterworfenen“. 13 Vgl. M. Ebner, Strukturen der Gewalt in Palästina zur Zeit Jesu. Jesuanische Wahrnehmungen und sozialgeschichtliche Daten, in: R. Zwick (Hrsg.), Religion und Gewalt im Bibelfilm (Film und Theologie 20), Marburg 2012, 83–104.

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–– Inwiefern spiegelt sich ein historischer, sozialer oder sonstiger Kontext in den Interpretationen wider? –– Mit wem identifizieren sich die Lesenden? –– Welche ideologische Ausrichtung hat ihre Leseweise? –– Zugespitzt: Wie lesen die Machtvollen und wie die Machtlosen z. B. den Exodus? Robert A. Warrior z. B. betont hierzu unmissverständlich, dass er als Nachfahre der amerikanischen Ureinwohner sich nur in der Rolle der Kanaaniter sehen kann, die durch die Israeliten, repräsentiert durch die europäischen Kolonisatoren, unterdrückt wurden.14 Aus einem Text, der bis heute vorherrschend als Befreiungserzählung gelesen wird, deren Lesart auch nicht angefragt werden darf / kann, wird ein Text, in dem sich begründet auch repressive Tendenzen entdecken lassen. Generell gilt es, eine Geschichte aufzuarbeiten, in der die Bibel allzu oft Wegbegleiter und sogar Wegbereiter der kolonialisierenden Mächte war. Die Bibel – und mit ihr das Christentum – war gleichsam die Speerspitze eines kulturellen wie religiösen Imperialismus mit bis in das Hier und Jetzt reichenden Folgen; ein normativer Text, dessen eigentliche Vieldeutigkeit zugunsten von Machtinteressen eingeebnet wurde. Doch die postkoloniale Perspektive möchte mehr erreichen: Dass über Aufdeckung von Machtverhältnissen und klare Benennung von Unterdrückung und Marginalisierung hinaus, den Subjekten, den Unterworfenen, wieder eine Stimme gegeben wird, dass sie aufgerichtet werden und ihre Probleme, verursacht durch Rassismus, Misogynie und Neo-Kapitalismus,15 ein Ende finden.16 Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden werden für die den Texten inhärenten Machtstrukturen sensibilisiert. –– Sie üben sich darin, biblische Texte gegen den Strich lesen zu können und erhalten so ein kritisches Bewusstsein für die stets auch parteiische / tendenziöse Sicht biblischer Texte. –– Sie entwickeln ein Sensorium für im Text verschwiegene Entitäten (Figuren / Städte etc.) und lernen, solche Leerstellen zu entdecken und ggf. gegen die vorherrschende Leseweise des Textes einzusetzen. –– Die Lernenden erhalten einen Einblick in die Kontext-Gebundenheit biblischer Texte, d. h. wie sie in Entstehung und Deutung bedingt werden durch soziale, gesellschaftliche, politische, kulturelle und religiöse Zusammenhänge.

14 Vgl. Warrior, Perspective. 15 Um nur einige wenige Spätfolgen nicht nur, aber auch des Kolonialismus zu benennen. 16 Hierin hat dieser Ansatz Parallelen z. B. zur Befreiungstheologie, aber auch zur feministischen bzw. geschlechtergerechten Exegese.

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–– Auf der Metaebene wird anhand der offen Partei ergreifenden postkolonialen Perspektive Methodenkritik geübt. Literatur zur Methode M. D. M. Castro Varela / N. Dhawan, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung (Cultural Studies 12), Bielefeld 2005. L. E. Donaldson, Postcolonialism and Biblical Reading: An Introduction, in: Semeia 75 (1996) 1–14. M. W. Dube, Postcolonial Feminist Interpretation of the Bible, St. Louis (MO) 2000. S. D. Moore, Postcolonialism, in: A. K. M. Adam (Hrsg.), Handbook of Postmodern Biblical Interpretation, St. Louis (MO) 2000, 182–188. H. Birk / B. Neumann, Go-between: Postkoloniale Erzähltheorie, in: A. Nünning / V. Nünning (Hrsg.), Neue Ansätze in der Erzähltheorie (WV. Handbücher zum literaturwissenschaftlichen Studium 4), Trier 2002, 115–152. F. F. Segovia, Postcolonial Criticism and the Gospel of Matthew, in: M. A. Powell (Hrsg.), Methods for Matthew (Methods in Biblical Interpretation), Cambridge 2009, 194–238. R. A. Warrior, A Native American Perspective: Canaanites, Cowboys, and Indians, in: R. S. Sugirtharajah (Hrsg.), Voices from the Margin. Interpreting the Bible in the Third World, London 2002, 277–288. G. A. Yee, Postcolonial Biblical Criticism, in: T. B. Dozeman (Hrsg.), Methods for Exodus (Methods in Biblical Interpretation), Cambridge 2010, 193–234.

Baustein AT: Rhetorik der Auslöschung – „Wir“ versus „die Anderen“ (Dtn 7,1–11) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Grundkenntnisse in pragmatischer Analyse, Charakterisierung, Traditions- und Motivkritik sowie rhetorischer Analyse sind wichtig. –– Der Unterschied zwischen hermeneutischer Perspektive und einer exegetischen Methode im engeren Sinne sollte bereits thematisiert worden sein. –– Unterschiedliche Ebenen des Textverständnisses sollten bekannt sein und differenziert werden können: intentio operis / auctoris / lectoris. –– Nicht notwendig, aber vorteilhaft ist es, wenn Grundlagen der Diskurstheorie (v. a. M. Foucault) und der Theorie der Repräsentation (v. a. S. Hall) bekannt sind. –– Grundlegende Englischkenntnisse sind ebenfalls von Vorteil, die sehr kurzen Textpassagen können aber auch im Seminar übersetzt werden.

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Einstieg Ein an die Wand projiziertes Bild zeigt „The World according to America“,17 eine satirische (Selbst-)Darstellung der angeblichen Geographiekenntnisse und politischen Ansichten von Durchschnittsamerikanerinnen und -amerikanern. Nachdem die Studierenden die Darstellung kurz auf sich wirken haben lassen, sollen sie beschreiben, was sie sehen können. Die Beschreibung wird von der Leitung (vorerst) nicht kommentiert. Schnell wird deutlich, dass die Karikatur gespickt ist mit Stereotypen: Zum einen, wie Amerika sich selbst sieht und zum anderen, wie Amerika „den Rest“ der Welt sieht. Ebenso wird durch Pfeile auf der Karte sichtbar, dass es ein mehrheitlich positiv besetztes „Wir“ und ein auffallend abgewertetes „die Anderen“ gibt. Große Teile am Rand der Weltkarte sind in aggressivem Rot gehalten und mit „Commies“ betitelt. Nebenstehend ist ein ethisch-moralischer Imperativ zu lesen: „Kommunisten sind unsere Feinde; sie müssen zerstört werden“. Anderen Erdteilen wird gleich jegliche Zivilisation abgesprochen. Außerdem werden noch kurz die wichtigsten Exportgüter Amerikas benannt: Disney und McDonalds („Jeder liebt sie“). Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich unter die Beschreibung der Karte Erfahrungsberichte erster, zweiter oder gar dritter Hand mischen, wie „die“ Amerikaner sind. Evtl. kann die Leitung durch geschicktes Nachfragen die sicherlich ebenfalls von Vorurteilen geprägten Berichte provozieren (Z. B.: „War schon einmal jemand in Amerika? Wie sind Amerikaner denn so?“). Nach und nach sollte das Gespräch dann aber auf die der Karte zu Grunde liegende Ironie gelenkt werden: Die Stereotype werden bewusst überzeichnet, um zu zeigen, dass sie nie adäquat „die Wirklichkeit“ spiegeln. Und doch tappen auch wir in diese Falle: Wir bestätigen und verstärken vielleicht sogar ein Vorurteil, sobald es einmal im Raum steht und sich wenigstens annähernd mit eigenen Erfahrungen verknüpfen lässt. Ohne es zu merken befindet man sich in einem dominanten Diskurs, der nicht nur die eine Seite essentialisierend darstellt („Commies“; „Dragons“), sondern auch die andere karikiert („Land of the free and of the brave etc.“). Folgen sind Abgrenzung, Distanzierung und Konflikt, jedoch auch das irgendwie gute Gefühl, etwas „Besseres“ zu sein als die Anderen. Der überwiegende Teil der oben ausgeführten Diskurstheorie lässt sich also an dieser Karikatur bereits erläutern. Es müssen dabei nicht unbedingt die Fachtermini fallen; wichtig ist, dass die Macht eines Diskurses zur Sprache kommt und gerade an den evtl. selbst gehegten und gepflegten Vorurteilen spürbar wird. Im nächsten Schritt wird der Zusammenhang von Macht und Beherrschung mit dem kolonialen Kontext in Verbindung gebracht. Dazu lesen die Studierenden das bereits besprochene Zitat aus dem Handbuch für Hausherrinnen. Dass das Zitat in postkolonialer Perspektive menschenverachtend und rassistisch ist, muss hoffentlich nicht betont werden. Durch kurze Erläuterungen seitens der Leitung zum 17 Vgl. http://interculturalmeanderings.files.wordpress.com/2011/07/the-world-according-to-ameri ca-2.png (Übers. Th. Z. [09.10.13]).

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historischen Hintergrund des vor allem europäischen Kolonialismus und Imperialismus erfährt die Lerngruppe, dass der Rassismus immer einhergeht mit dem „Willen zur Beherrschung“ (Foucault), getarnt als „Geschenk der Zivilisation an die Wilden“. Mit einem kleinen Ausschnitt aus „Tim im Kongo“18 (Hergé urspr. 1930) kann die Leitung zeigen, dass auch (christliche) Religion, vor allem in Form von Missionaren, an dieser Entwicklung ihren Anteil hatte. Doch hinter dem Ziel der „Zivilisierung“ der „Barbaren“ stand noch ein weiteres: „When the missionaries came to Africa they had the Bible and we had the land. They said ‚Let us pray.‘ We closed our eyes. When we opened them, we had the Bible and they had the land.“19 Mit diesem Zitat von Desmond Tutu kann die Leitung zur Frage überleiten, die die Lerngruppe weiterhin begleiten soll: Wie konnte die Bibel – schon auf textinterner Ebene – als Wegbereiter des Imperialismus fungieren? Erarbeitung / Vertiefung In Partnerarbeit lesen die Studierenden Dtn 7,1–11 unter der Fragestellung „Welche Akteure tauchen im Text auf? Gibt es zwischen ihnen binäre Oppositionen, die evtl. zusätzlich durch Wertzuschreibungen charakterisiert sind?“20 Eine Antwort auf diese Fragen fällt nicht schwer: Als erstes wird „der Herr, dein Gott“ (V. 1) genannt (später auch JHWH in V. 9). Das Possessivpronomen „dein“ und das Personalpronomen „du“ etc. weisen zurück an den Anfang des bekannten „Schema Jisrael“ (Dtn 5,1), welches hier in V. 6 aufgegriffen wird („Denn du bist ein Volk […]“); angeredet ist also das gesamte Volk Israel, wie es sich mit Mose „in der Talschlucht gegenüber Bet-Pegor“ (Dtn 4,46) befindet. Ihnen gegenüber stehen vor dem inneren Auge „viele Völker“ bzw. konkreter „Hetiter, Girgaschiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter“ (V. 1) und die mit ihnen indirekt assoziierten „anderen Götter […]“ (V. 4). Sie sind – auf narrativer Ebene – die Bewohner des Landes, das Israel nun gewaltsam in Besitz nehmen soll. Ferner wird von Töchtern und Söhnen der Israeliten und der anderen Völker gesprochen (V. 3 f.) sowie vom ägyptischen Pharao, aus dessen Hand Gott die Israeliten errettet hat (V. 8). Überdeutlich sind diese Figuren in zwei Gruppen aufgeteilt: Israel und sein Gott versus die anderen Völker und ihre Götter. Diese Aufteilung wird diskursiv untermauert durch zahlreiche wertende Aussagen des Textes, beginnend bereits mit V. 1: Gott hat Israel das Land versprochen, räumt ihm sogar die anderen Völker aus dem Weg, obwohl sie „zahlreicher und mächtiger“, d. h. bedrohend (vgl. V. 17), sind. Spätestens ab V. 2 sind Distanzierung und Konflikt seitens der Israeliten eine heilige Pflicht: Die anderen Völker sollen gebannt, d. h. vollständig vernichtet 18 Vgl. http://lewebpedagogique.com/terminaleshg/files/2008/04/tintin-au-congo-1930.jpg (links oben [09.10.13]). 19 So Desmond Tutu, vgl. S. Gish, Desmond Tutu: A Biography, Westport (CT) 2004, 101. Eine Variation dieses Zitates wird Jomo Kenyatta zugeschrieben, vgl. auch Dube, Interpretation 3. 20 Evtl. muss der Terminus „binäre Oppositionen“ erläutert werden, falls dies in der Einstiegsphase nicht geschehen ist.

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werden. Hier sei bereits angemerkt, dass die nachfolgenden Zusätze: „keinen Vertrag mit ihnen schließen“ und „nicht mit ihnen verschwägern“, unnötig sind, da nach der Vollziehung des Banns kein Gegenüber mehr existiert. In der gegebenen Reihenfolge sprechen sie zudem dafür, dass die tatsächliche Durchführung des Bann-Gebots zumindest unrealistisch ist.21 Die Kluft zwischen den binär sich gegenüberstehenden Gruppen wird dadurch rhetorisch vertieft, dass das Volk Israel im positiven Sinne „ausgewählt“ ist „unter allen Völkern“ (V. 6). Die Kehrseite bzw. ein Dilemma ist aber, dass es den „Zorn des Herrn“ und damit die eigene Vernichtung (V. 4) auf sich zieht, sollte es nicht den als „Gebot“ bzw. „Gesetze[n] und Rechtsvorschriften“ (V. 11) ausgegebenen Anordnungen JHWHs folgen. Zwar wird diese massive Drohung und Beschränkung in den V. 7–10 dahingehend austariert, dass der Erzähler die Israeliten daran erinnert, wie sehr Gott sie liebt und was er bereit ist, für sie zu tun und auch bereits getan hat; dennoch bleibt in der rhetorischen Tiefenstruktur ein gleichsam positiv wie negativ bestärkter Zwang zum Gehorsam bestehen. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Auffällig ist schließlich, dass die anderen Völker – im Hebräischen mit dem in diesem Bereich der Tora grundsätzlich negativ konnotierten Nomen „gojim“ betitelt – des Öfteren erwähnt werden, aber weder hier noch in folgenden Perikopen selbst zu Wort kommen.22 Es wird ausschließlich das Anderssein, das Trennende bis hin zum Gefährlichen betont. Da dies zudem mit der göttlich legitimierten (Auf-)Forderung zur Ausübung von extremer Gewalt und der Einnahme eines fremden Landes verbunden ist, muss man Ferdinand Deist zustimmen, dass dieser Text im Speziellen und auch das Buch Deuteronomium im Allgemeinen ein gefährliches Buch sein kann.23 Zudem liefert gerade Dtn 7,1–11 – unbestritten der anders gelagerten historischen Tatsachen! – mit seiner rhetorischen Struktur auf textueller Ebene eine Vorlage, die in der Rezeptionsgeschichte von den Pilgern auf der Mayflower (1620) bis hin zu den Buren in den 1940er Jahren24 zu Anwendungen mit tragischen Ergebnissen geführt hat. Denn immer gab es neben den Auserwählten, für die sich die Interpretierenden selbst hielten, die anderen und fremden Völker, die es zu vertreiben oder gar zu vernichten galt. Nach der vermutlich recht zeitintensiven Aufdeckung der rhetorischen Struktur des Textes gäbe es nun die Möglichkeit, z. B. an alternativen Lesarten zu arbeiten, 21 Vgl. Rüterswörden, Deuteronomium. 22 Vgl. C. Koch, Art. „Gottesvolk“, in: www.wibilex.de (21.11.13), und A. R. Hulst, Art. ‘am / gōj – Volk, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament I (1971) 290–325. Zudem wird auch das Volk Israel über lange Strecken hinweg lediglich von der hierarchisch höher stehenden Erzählerinstanz (Mose) angeredet, ebenfalls ohne zu Wort zu kommen. 23 Deist, Dangers. 24 Ein Beispiel aus Deist, Dangers, kann hier gut als Illustration und Diskussionsgrundlage in der Gruppe dienen.

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indem man die Perikope aus Sicht der Völker des Landes neu erzählen lässt (ein sog. re-reading / re-writing), mit dem Ziel, die verdrängten Stimmen des Textes zu Wort kommen zu lassen; oder die Gruppe versucht sich an einer subversiven Lesart, die versucht aufzuzeigen, wie die Dynamik des Textes nicht nur gegen andere Völker, sondern auch gegen das eigene Volk wirkt (s. o.). Letztlich schließt sich fast nahtlos eine Diskussion darüber an, wie mit problembehafteten biblischen Texten umgegangen werden kann; diese könnte in einem kurzen Essay bzw. einer Partnerarbeit gut als Überleitung zu einer umfassenden Abschlusssitzung dienen, in der Aufgabe und Sinn von Exegese heute erörtert werden. Literatur zur Textstelle G. Braulik, Die Völkervernichtung und die Rückkehr Israels ins Verheißungsland. Hermeneutische Bemerkungen zum Buch Deuteronomium, in: Deuteronomy and Deuteronomic Literature (FS C. H. W. Brekelmans) (BEThL 133), Leuven 1997, 3–38. E. W. Davies, The Morally Dubious Passages of the Hebrew Bible: An Examination of Some Proposed Solutions, in: Currents in Biblical Research 3 (2005) 197–228. F. E. Deist, The Dangers of Deuteronomy: A Page of the Reception History of the Book, in: Studies in Deuteronomy (FS C. J. Labuschagne) (VT.S 53), Leiden 1994, 13–29. D. R. Mbuwayesango, Canaanite Women and Israelite Women in Deuteronomy: The Intersection of Sexism and Imperialism, in: Postcolonial Interventions (FS R. S. Sugirtharajah), Sheffield 2009, 45–57. U. Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium (Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 4), Stuttgart 2006.

Baustein NT: Feilschen um Brotkrumen und das vollständige Menü Menschenrechte (Mk 7,24–30) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Entsprechend dem Baustein AT. Einstieg „I am not interested in picking up crumbs of compassion thrown from the table of someone who considers himself my master. I want the full menu of rights.“ Diese Aussage soll der südafrikanische Bischof Desmond Tutu 1985 in einem Fernseh­ interview25 geäußert haben. Bewusst oder unbewusst spricht er damit sowohl die 25 Fernsehsendung Today, NBC TV (9. Januar 1985). Übersetzung (Th. Z.): „Ich bin nicht daran interessiert, Mitleids-Krümmel aufzupicken, die jemand vom Tisch runtergeworfen hat, der sich selbst für meinen Herrn hält. Ich will das vollständige Menü an Menschenrechten.“

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dem Kolonialismus entsprungene Apartheid als auch mögliche biblische Wurzeln derselben an: Es ist ein etwas umgeformtes Zitat aus der Begegnung Jesu mit der Syrophönizierin / Kanaaniterin in Mk 7,24–30 bzw. Mt 15,21–28. Mit jenem Zitat an der Tafel bzw. an die Wand projiziert kann die Leitung die Stunde beginnen und in einem ersten Schritt die Wissensbestände der Lerngruppe aktivieren: Ohne Nachweis über Name und Herkunft des Zitats können frei Vermutungen angestellt werden, von wem es stammen könnte und welche historischen Hintergründe damit verbunden sind. Sehr wahrscheinlich ist Desmond Tutu nur wenigen Lernenden bekannt; eher werden sie auf den Begriff der „[human] rights“ ansprechen. Falls sie dies z. B. zu Martin Luther King führt, ist dies nicht weiter von Nachteil, da seine Person ein ähnlich gelagertes Beispiel darstellt. Während der Diskussion können Stichpunkte angeschrieben werden, die auf der einen Seite die Situation der Apartheid und auf der anderen Seite die zentrale Vision der gleichen Menschenrechte charakterisieren, um später Ähnlichkeiten mit dem bereits angesprochenen Bibeltext herausstellen zu können. Auch die Perikope um Jesus und die Syrophönizierin werden vermutlich nur wenige kennen. Der vermeintliche Nachteil kann sich aber als Vorteil herausstellen: In einem zweiten, bereits überleitenden Schritt soll das Zitat im Vordergrund stehen, auf das Tutu anspielt: „Herr, auch die Hündchen unter dem Tisch essen von den Bröckchen der Kinder“ (Mk 7,28). Es wäre tatsächlich vorteilhaft, wenn die Lerngruppe nicht unmittelbar herausfände, dass mit „Herr“ Jesus angesprochen wird, da auf diese Weise die beteiligten Personen neutraler gesehen werden können. Es sollten nun ebenso frei – also ohne Nennung der Quelle etc. – Assoziationen gesammelt werden. Sicherlich sind diese von der vorangehenden Diskussion geprägt und lassen vermutlich große Sympathien für die sprechende Person und evtl. sogar Antipathien für den „Herrn“ erkennen. Umso größer ist dann der AhaEffekt, wenn die vollständige Bibelstelle bearbeitet wird. Erarbeitung / Vertiefung Zuerst soll nun die markinische Fassung der Perikope26 in Einzelarbeit gelesen werden. Die Leitfrage dabei lautet: Wie nehme ich das Verhältnis zwischen den Protagonisten wahr und wie schlägt es sich textuell nieder? In Partnerarbeit können die Wahrnehmungen ausgetauscht und differenzierter begründet werden. Das Plenum wird dann dazu genutzt, die Ergebnisse zusammenzutragen und evtl. Strittiges zu klären. Vermutlich wird das Verhältnis zum einen als unterwürfig seitens der namenlosen Frau bzw. stark durch ein Hierarchiegefälle geprägt wahrgenommen, welches von Jesus zu ihr verläuft. Auf der Textebene erkennbare Gründe dafür sind ihr Niederfallen zu seinen Füßen (V. 25), dass Jesus ihrer Bitte nicht entspricht 26 Die matthäische Variante ist um einiges komplizierter und lenkt daher die Aufmerksamkeit eher auf andere Fragestellungen.

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und sie mit „Hündchen“ vergleicht, die noch unter Kindern stehen (V. 27) und schließlich, dass sie ihn mit „Herr“ anspricht und sich in ihrer, wenngleich klugen Antwort mit den Hunden identifiziert (V. 28). Gerade Letzteres ist diskursiv gesehen ein zweischneidiges Schwert: Zwar ist die Frau so in der Lage, als Einzige in den Evangelien überhaupt ein Zwiegespräch mit Jesus „zu gewinnen“; gleichzeitig wird sie so aber zur prototypischen „gläubigen Heidin“, die in Unterwürfigkeit und Anerkennung der Herrschaft des Fremden – nichts anderes ist Jesus an dieser Stelle (vgl. V. 24!) – ihm nach dem Mund redet, um so zumindest ein paar „Bröckchen“ (V. 28) abzubekommen.27 Weiter verstärkt wird diese Position indirekt bzw. vom Standpunkt der Autoren und Adressaten abhängig durch Faktoren wie die syrophönizische bzw. heidnische Herkunft der Frau (V. 26),28 dass ihr zumindest auf Textebene kein Mann zur Seite steht und schließlich, dass ihre Tochter von einem Dämon besessen ist, was sich je nach religiösem Verständnis, auf jeden Fall aber nach biblischem Verständnis auch auf ein Fehlverhalten der Eltern respektive der Mutter zurückführen lassen kann. Alles in allem ist das Verhältnis zwischen Jesus und der syrophönizischen Frau stark von Asymmetrien geprägt und bietet auf textueller Ebene eine fatale rhetorische Tiefenstruktur an, wie sie ein einseitiger Bibelkommentar herausstellt: Sie hatte erkannt, dass sie kein Anteil an den Verheißungen Israels hatte, wie ein Hund nicht das Brot der Kinder essen darf. Was Gottes Wege angeht, so war Israel äußerlich noch immer Gottes Volk, doch sie war als Heidin außerhalb – wie ein Hund bei den Kindern. Demütig nimmt sie diesen verächtlichen Platz ein, doch sie gibt ihre Hoffnung und ihren Glauben nicht auf, der immer noch auf Gnade wartet. Der Herr belohnt ihren „großen Glauben“ und gibt ihr nach ihrem Wunsch.29

Zugespitzt formuliert: Von dieser Interpretation sind es nur noch wenige Schritte hin zu einer patriarchalen zwei Klassen-Kirche, die den einen Macht und den anderen lediglich demütige Unterordnung gewährt. Selbstverständlich ist es ebenfalls möglich, dass sich einzelne Personen mit Jesus identifizieren oder der dominanten Lesart folgend sich gegen eine Kritik an Jesu Äußerung in V. 28 wehren. An dieser Stelle sollte die Leitung beharrlich nachfragen, wie die Sympathien auf der Ebene des Textes tatsächlich verteilt sind. Vermutlich liegt das Problem jedoch darin begründet, dass es generell ungemein schwer ist, an Jesus bzw. an Passagen des Neuen Testaments „etwas Schlechtes“ zu sehen. Jesus

27 Vgl. auch Rahab in Jos 2,11 (vgl. dazu Dube, Interpretation). Homi K. Bhabha spricht in solchen Fällen von „mimicry“, dem papageihaften Nachahmen der machtvollen Position des Kolonisators. Auffindbar ist dies vor allem als Fremdzuschreibung in der Literatur der imperialen Mächte. 28 Häufig wird „das Fremde“ in Gestalt einer Frau dargestellt. Neben dieser Stelle und der bereits erwähnten Rahab gibt es z. B. noch die samaritanische Frau am Brunnen (Joh 4,4–42). 29 F. W. [Abkürzung nicht erläutert], Warum heilt der Herr die besessene Tochter der Kananäerin nicht sofort? (vgl. http://www.bibelkommentare.de/index.php?page=qa&answer_id=632 [26.11.13]).

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wird nunmal fast ausschließlich als „der Gute“ gezeichnet.30 Mit etwas Glück können aber durch dieses Beispiel noch weitere Elemente zur Sprache kommen, die das Potenzial haben, einem Diskurs Macht zu verleihen und andere Lesarten zu marginalisieren: Prägung in Elternhaus, Gemeinde und Schule; heilige und damit unantastbare Schrift; evtl. sogar fehlende kritische Hinterfragung im Studium. Tatsächlich liegt vom Ende der Erzählung her gesehen nahe, dass die Frau ihr Ziel erreicht hat: Was gibt es also noch zu kritisieren? Dem stellt die postkoloniale Herangehensweise dezidiert eine den Schriften Paul Ricoeurs entlehnte „Hermeneutik des Verdachts“ entgegen: Wer hat am Ende mehr „Gewinn“ aus der Situation schlagen können? Zu welchem Preis? Die namenlose, hauptsächlich über ihre ethnische Abstammung charakterisierte Frau ordnet sich Jesus unter und erhöht so diesen Repräsentanten eines ihr fremden Glaubens,31 um etwas von ihm zu bekommen, was ihr wichtig ist: das Leben ihrer Tochter. Dass Jesus ihr überhaupt ablehnend gegenübertritt, ist schon erstaunlich genug. Im Hintergrund laufen aber noch andere Dinge ab: Nicht nur wird Jesus und der Glaube an das Reich Gottes durch die Erniedrigung der Frau erhöht, es wird auch durch die ethnische, geschlechtliche und geographische Verortung derselben dem Argument Vorschub geleistet, dass „die Heiden“, für die die Frau pars pro toto steht, etwas von Jesus wollen: Sie können kaum darauf warten, missioniert zu werden und sich der Botschaft Jesu unterzuordnen.32 Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Sicherlich klingt für manche die Hermeneutik des Verdachts nach purer Polemik und für wissenschaftliche, d. h. rationale und (scheinbar) objektiv-distanzierte Betrachtungen zu wenig argumentativ unterfüttert. Dies sollte ausgiebig diskutiert werden. Doch ein Blick zurück auf den Einstieg stellt dieser Position eine Alternative 30 Szenen wie z. B. die Tempelreinigung (Mk 11,27–33) oder der Zorn über die Pharisäer und Schriftgelehrten (Mk 3,5) sind rar gesät. 31 Zwar sollte man „Wort“ (λόγος) in V. 29 nicht mit „Glaube“ identifizieren, sondern zuerst mit der „Argumentation“ der Frau verbinden (vgl. Gerber, Heilung). Jedoch ist es über die Verbindung mit dem „Brot der Kinder“ (V. 27) als Heilszusage zum Volk Israel und der Heilung der Tochter leicht nachzuvollziehen, dass nun auch die Frau Anteil am heilbringenden Christus hat. Passend dazu ersetzt der Evangelist Matthäus „Wegen dieses Wortes“ durch „Oh Frau, groß (ist) dein Glaube“ (Mt 15,29) als Begründung für die Heilung. 32 Vgl. die Auslegung zu dieser Textstelle von Matthew B. Riddle aus dem Jahr 1879: „The interview with the heathen woman is striking and prophetic. The Jews reject the blessing; the Gentiles seek it with longing desire. The heathen world had been prepared for Him who was ‚a light to lighten the Gentiles.‘ […] The Jewish world was closing against our Lord; the Gentile world was not yet open. He sought seclusion near the borderline, but ‚He could not be hid‘ (Mark vii. 24). The heathen mother found Him: she was a type of the longing, suffering Gentile world.“ (P. Schaff / M. B. Riddle, The Gospel of Matthew, in: P. Schaff [Hrsg.], A Popular Commentary on the New Testament. By English and American Scholars of Various Evangelical Denominations, Vol. I: Introduction, and the Gospels of Matthew, Mark, and Luke, Edinburgh 1879, 27–245, 138 [Hervorhebungen Th. Z.]). Zu diesem wirkungsgeschichtlichen Aspekt vgl. vor allem Leander, Empire 109–115.

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zur Seite: Es gibt genügend Bibelstellen, die davon erzählen, dass Jesus den Menschen „das vollständige Menü“ an Menschlichkeit, Wertschätzung und Zuwendung zukommen lässt – ohne Vorbedingungen und Gegenleistungen. Mit dieser Kontrastfolie vor Augen wird deutlich, dass in der vorliegenden Perikope andere, machtgeleitete Interessen33 die Interaktion zwischen Jesus und der Frau so überlagert haben, dass eine Begegnung auf Augenhöhe unmöglich war. Womöglich war dies noch nicht einmal die Intention bei der Entstehung des Textes. Doch heutigen Leserinnen und Lesern hilft die postkoloniale Perspektive ihr Unbehagen gegenüber der Perikope in Worte zu fassen und hermeneutisch wie methodisch verantwortbar zu reflektieren. Die Lernenden könnten zum Abschluss der Sitzung oder in einer Aufgabe zu Hause im Rückblick auf die hoffentlich intensiven Diskussionen die Perikope aus der Perspektive der Syrophönizierin neu schreiben, über eine OnlineLernplattform austauschen und zu Beginn der nächsten Sitzung nachdiskutieren. Literatur zur Textstelle P. Alonso, The Woman who Changed Jesus. Crossing Boundaries in Mk 7,24–30 (Biblical Tools and Studies 11), Leuven 2011. B. Q. Baisas, From Marginalization to Inclusion. A Renewed Re-reading of the Syrophoenician Woman of Mark 7:24–31a, in: Biblical Responses to the Poor and Marginalized. Proceedings of the Seventh Annual Convention. Phinma Training Center, Tagaytay City, 21–23 July 2006 (2007) 62–77. M. D. M. Castro Varela / N. Dhawan, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung (Cultural Studies 12), Bielefeld 2005, 83–109. M. W. Dube, Readings of the Semoya. Botswana Women’s Interpretations of Matt 15:21–28, in: Semeia 73 (1996) 111–129. M. W. Dube, Divining Texts for International Relations. Matt. 15:21–28, in: I. R. Kitzberger (Hrsg.), Transformative Encounters. Jesus and Women Re-viewed (Biblical Interpretation Series 43), Leiden 2000, 315–328. C. Gerber, Es ist genug für alle da! (Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin). Mk 7,24– 30, in: R. Zimmermann u. a. (Hrsg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Bd. 1: Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013, 313–322. A. Gnanadason, Jesus and the Asian Woman. A post-Colonial Look at the Syro-Phoenician Woman / Canaanite Woman from an Indian Perspective, in: Studies in World Christianity 7 (2001) 162–177. P.-L. Kwok, Discovering the Bible in the Non-biblical World (Bible and Liberation), Maryknoll (NY) 1995. H. Leander, Discourses of Empire. The Gospel of Mark from a Post-colonial Perspective (SBL. Semeia Studies 71), Atlanta (GA) 2013 (besonders 109–115).

33 Denkbar ist, dass diese Perikope als „Werbeschrift“ für die Heidenmission diente und die namenlose Frau – zumindest in der matthäischen Variante – als „gläubige Heidin“ unterwürfig auftreten musste. Vgl. nochmals die einseitige Interpretation oben; vgl. Leander, Empire 109–113; Gerber, Heilung 318–320.

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Thimo Zirpel

J. E. McKinlay, Reframing Her. Biblical Women in Postcolonial Focus, Sheffield 2004. S. Nelavala, Smart Syrophoenician Woman: A Dalit Feminist Reading of Mark 7:24–31, in: ET 118/2 (2006) 64–69. J. Perkinson, A Canaanitic Word in the Logos of Christ: Or the Difference the Syro-Phoenician Woman Makes to Jesus, in: Semeia 75 (2005) 61–85.

Ertrag zur Methode Während die historisch-kritischen Methoden grundsätzlich stark fokussiert sind auf die Kommunikationszusammenhänge in der Entstehungssituation des Textes, nimmt die postkoloniale Exegese diese Sichtweise und ihre Ergebnisse zwar zur Kenntnis und nutzt sie für ihre Agenda, fügt ihr aber dezidiert synchrone Aspekte hinzu: Immer stehen dabei die Marginalisierten, Entrechteten und (scheinbar) Stimmlosen im Vordergrund, seien es nun diejenigen des Ursprungskontextes oder diejenigen der Rezeptionsgeschichte einer Perikope. Es wird also deutlich, dass es sich hier nicht um eine eigenständige Methode handelt, sondern um eine hermeneutische Perspektive der Textwahrnehmung und -interpretation, die dann ihrerseits auf ganz unterschiedliche exegetische Methoden zurückgreift, um ihre Ziele zu erreichen. Dabei ist die hier vorgeführte Herangehensweise nur eine unter mehreren: Neben der Analyse von Machtstrukturen auf textueller Ebene kann ein Text z. B. auf Reisen, Darstellungen des Fremden und Exotischen etc. befragt werden. Nicht zuletzt werden in die postkoloniale Sichtweise auch die Ansätze des so genannten „ordinary readers“ und damit des „Reader-Response-Criticism“ einbezogen. Gerade dort, wo Menschen in (post-)kolonialen Umständen die Bibel lesen, ist es herausfordernd zu sehen, wie sie mit den Geschichten umgehen und was daraus an Anfragen für die eigenen Leseweisen entstehen können. Doch was geschieht nach der ausführlichen Problematisierung der Texte und mit den Anfragen an den eigenen Standpunkt? Postkoloniale Exegese will Spannungen gerade im Umgang mit problematischen Texten nicht vorschnell erklären und damit auflösen. Stattdessen will sie als „Stachel im Fleisch“ gegen Harmonisierung und Gleichgültigkeit wirken. Dunkle Seiten der Texte lassen sich zwar durch historisches Wissen und kritische Reflexion beleuchten, aber nicht dauerhaft erhellen. Denn werden solche Texte gleichsam ohne Handbuch gelesen, können sie doch wieder das in ihnen eingeschriebene unterdrückende Potenzial entfalten. Insgesamt sind zwei Aspekte in der postkolonialen Exegese besonders wichtig: Erstens, dass dieser Ansatz gezielt nach seiner eigenen hermeneutischen und kulturellen Verortung fragt, um etwaigen Vorprägungen und dunklen Flecken entgegenwirken zu können. Und zweitens, dass der Lese- und Auseinandersetzungsprozess nicht isoliert gedacht werden darf, sondern zum Handeln gegen jedwede Art von Ausgrenzung und Unterdrückung führen möchte.

Postkoloniale Exegese

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Weitere Ideen –– Altes Testament •• Die Makkabäerbücher können als Herrschaftspropaganda gegen angebliche oder reale seleukidische Unterdrückungsstrukturen gelesen werden. Ein Vergleich mit den tatsächlichen historischen Hintergründen deckt auf, inwieweit im Text rhetorisch Macht generiert wird. •• Rahab (Jos 2): Die Protagonistin wird im Text als vorbildliche Heidin dargestellt, die nicht nur Kundschafter des Gegners in ihrem Haus beherbergt und so für Israel ihr eigenes Volk verrät, sondern auch noch als eigentlich „ungläubige“ einen Lobgesang Jahwes in den Mund gelegt bekommt. So wird sie zum Paradebeispiel einer „kolonialisierten“ Frau, die zur Komplizin der – im Text! – Machthabenden wird. •• Isebel (1 Kön 16,29–31; 21): Die intrigante ausländische Frau, die Israel zum Götzendienst verführt. Diese Erzählung kann als „Diskreditierung“ einer an sich starken Persönlichkeit gelesen werden. Isebel war in der Sicht der Autoren der Erzählung anscheinend keine würdige Königin für Ahab und z. B. für den Abfall des Volkes von Gott verantwortlich (Externalisierung von eigenen schlechten Eigenschaften). –– Neues Testament •• Der Blutruf aus Mt 27,25 und seine Wirkungsgeschichte (bis zum modernen Film wie z. B. Mel Gibsons „Die Passion Christi“): An dieser Textstelle entzünden sich bis heute Antisemitismen, obwohl natürlich in keinster Weise gesichert ist, dass es diese Situation so gegeben hat (die übrigen Synoptiker erzählen diese Szene nicht). Erneut wird hier eine Gruppierung von der Struktur des Textes „dämonisiert“, um so den Helden des Textes und sein Gefolge in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. •• Machtstrukturen thematisieren und kritisieren: Mit Mk 10,41–45 kann ein besonderer Akzent gesetzt werden, wie Jesus weltlichen Herrschern gegenübersteht und das Bedürfnis nach Macht innerhalb seiner eigenen Gefolgschaft addressiert.

Tiefenpsychologische Exegese Anne Kruse / Stephanie Feder

Hinführung zur Methode Tiefenpsychologische Exegese ist im deutschsprachigen Raum zur Zeit eine wenig praktizierte Erschließung von Bibeltexten. Um sich Texten mit einem im Sinne dieses hermeneutischen Textzugangs adäquaten Handwerkzeug nähern zu können, bedarf es einiger Vorkenntnisse. Haben Studierende sich diese angeeignet, wird die Mühe oft durch Erkenntnisse belohnt, die von vielen als bereichernd und sinnhaft beschrieben werden. Die tiefenpsychologische Exegese beruft sich je nach Vertreter auf Sigmund Freud oder Carl Gustav Jung. Beide arbeiteten eine Zeit lang zusammen, distanzierten sich später jedoch in ihren Theorien voneinander. Wenn wir in diesem Artikel von tiefenpsychologischer Exegese sprechen, werden hierbei Theorien von Jung und seinen Schülerinnen und Schülern, Eugen Drewermann und Maria K ­ assel, berücksichtigt. Einige Begriffe, die im weiteren Verlauf von Bedeutung sind, werden im Folgenden eingehender vorgestellt: Unbewusstes Der Mensch ist in seinem Verhalten, seinen Werteinstellungen und in der Entwicklung seiner Person stark von unbewusster Dynamik gelenkt. Dabei bezeichnet der Begriff Unbewusstes „alle die psychischen Inhalte und Wirkungen, die dem Menschen nicht bewußt sind, vereinfacht ausgedrückt, von denen er nichts weiß“.1 Einer der Zugänge zum Unbewussten und seinen Inhalten sind laut Jung die Träume, und zwar so, dass der Traum dazu angetan ist, „das Leben eines einzelnen darzustellen und zu deuten“.2

1 Kassel, Urbilder 66. 2 Drewermann, Tiefenpsychologie 132.

Tiefenpsychologische Exegese

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Individuelles und kollektives Unbewusstes Die Tiefenpsychologie nach C.G. Jung unterteilt das Unbewusste in ein individuelles und ein kollektives. Die Inhalte des individuellen Unbewussten basieren auf persönlichen Erfahrungen des jeweiligen Menschen, zumeist aus seiner bzw. ihrer Kindheit, die aufgrund ihres traumatischen Potenzials verdrängt wurden. Das kollektive Unbewusste ist eine im Vergleich hierzu tiefer liegende Schicht der Psyche. Seine Inhalte sind nicht persönlich erfahren, sondern allen Menschen gemeinsam, gleichsam angeboren.3 „Das kollektive Unbewusste hat (…) im Gegensatz zur persönlichen Psyche Inhalte und Verhaltensweisen, welche überall und in allen Individuen cum grano salis die gleichen sind“.4 Ausdruck des kollektiven Unbewussten: archetypische Erzählungen Wie der Traum die individuelle Ausdrucksform des Unbewussten ist, so sind Märchen, Sagen, Legenden, Mythen und zahlreiche weitere Textarten Ausdrucksform des kollektiven Unbewussten.5 Eine so genannte archetypische Erzählung spricht das Unbewusste der Lesenden direkt an, so wie ein Traum, der wirkt, auch wenn er nicht gedeutet oder sogar vergessen wird. Die tiefenpsychologische Deutung versucht über diese unbewusste Wirkung hinaus die Botschaft des Traums oder Textes ins Bewusstsein zu heben. Das Bewusstsein und das Ich Zum Bewusstsein eines Menschen gehört alles, was er bewusst weiß oder was er bewusst tut.6 Das ist nur scheinbar der größere Teil der menschlichen Psyche. Die Tiefenpsychologie behauptet sogar das Gegenteil und verdeutlicht dies an dem Modell einer Kugel. Wenn die gesamte Psyche als diese Kugel vorgestellt wird, dann ist das Bewusstsein nicht mehr als ein heller Fleck auf ihrer Oberfläche.7 Mit dem Begriff „Ich“ wird das Zentrum oder die Verdichtung des Bewusstseins bezeichnet.8 Das Selbst Im alltäglichen Umgang erlebt der Mensch Bewusstsein und Unbewusstes als zwei „dissoziierte psychische Teilfunktionen“,9 deren Impulse sich in zahlreichen Situationen nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen. Angesichts dieser 3 Vgl. Kassel, Urbilder 69. 4 Kassel, Urbilder 69. 5 Vgl. Kassel, Urbilder 69. 6 Vgl. Kassel, Urbilder 168. 7 Vgl. Kassel, Urbilder 172. 8 Vgl. Kassel, Urbilder 168 f. 9 Kassel, Urbilder 172.

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konfliktreichen Spaltung seiner Psyche strebt er eine Synthese von Bewusstsein und Unbewusstem an. Dieser ideale psychische Zustand wird in der Tiefenpsychologie mit dem Terminus „Selbst“ bezeichnet und auch als Gleichgewicht zwischen Bewusstsein und Unbewusstem oder als Ganzheit der Psyche vorgestellt. Die als Selbst bezeichnete Synthese von Bewusstsein und Unbewusstem kann jedoch vom Menschen „in seiner geschichtlichen Existenz nie erreicht“10 werden. Das Selbst ist also eine potentielle Größe; Maria Kassel bezeichnet sie auch als „utopisches Ziel der Selbstwerdung“.11 Der Schatten Der Schatten eines Menschen befindet sich in der tiefenpsychologischen Vorstellung der Psyche an der Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstem. Maria Kassel beschreibt den Schatten als den „negativen Teil der Persönlichkeit“ oder auch als die „Kehrseite dessen, was wir bewußt leben, und die wir uns bemühen, vor uns selbst und der Umwelt verborgen zu halten“.12 Auf der kollektiven Ebene drückt sich das Phänomen des psychischen Schattens in dem Themenkreis des Bösen aus.13 Der typische Umgang eines Menschen mit seinem Schatten ist die Verdrängung, Verleugnung und Unterdrückung seiner Inhalte.14 Diese „Behandlung“ reicht jedoch nicht aus: „Da (…) der Schatten durch die Verdrängung aber nicht verschwindet, bleibt nur der Ausweg der Projektion.“15 Ein solcher projizierter Schatten, das sind – so Maria Kassel – „Verhaltensweisen, Einstellungen, Charakterzüge, ja sogar körperliche Merkmale, die uns an anderen Menschen nicht gefallen“ und „eigentlich Züge sind, die wir latent selbst besitzen, aber nicht sehen“.16 Nicht nur auf der direkten zwischenmenschlichen Ebene, sondern „zu jeder Zeit und in jeder Kultur“ können solche Projektionen „besonders brisante“ Folgen nach sich ziehen: „denn dabei sind immer Zerstörungen das Ergebnis, seien sie rein psychischer Art bei einem Menschen, der zum Objekt des Bösen gemacht wird, seien es gesellschaftliche Diskriminierungen, oder seien es physische Zerstörungen wie bei kriminellen oder kriegerischen Aktionen“.17 In der vom Menschen angestrebten, aber nie erreichten Synthese von Bewusstsein und Unbewusstem, im Selbst, ist der Schatten angenommen und integriert.18

10 Kassel, Urbilder 171. 11 Kassel, Urbilder 168. 12 Kassel, Urbilder 136. 13 Vgl. Kassel, Urbilder 135. 14 Kassel, Urbilder 139. 15 Kassel, Urbilder 139. 16 Kassel, Urbilder 139. 17 Kassel, Urbilder 119. 18 Vgl. Kassel, Urbilder 171.

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Die Individuation Der Individuations- oder Selbstwerdungsprozess bezeichnet die Entwicklung des Menschen zum Selbst, oder anders gesagt, die fortschreitende Integration und Versöhnung der oft als ambivalent und einander widerstrebend erlebten Tendenzen der Psyche. Zu diesem Prozess gehören die Synthese zwischen Bewusstsein und Unbewusstem, die Annahme des eigenen Schattens sowie die Integration der männlichen und weiblichen Anteile (Anima beim Mann und Animus bei der Frau). „Der Individuationsprozess ist in seiner Gesamtheit eigentlich ein spontaner, natürlicher und autonomer, jedem Menschen potentieller mitgegebener Ablauf innerhalb der Psyche, wenn er sich dessen auch zumeist unbewusst ist. Er bildet, insofern er nicht durch besondere Störungen gehindert, gehemmt oder verbogen wird, als ‚Reifungs- bzw. Entfaltungsprozeß‘ die psychische Parallele zum Wachstums- und Alterungsprozess des Körpers. Unter bestimmten Umständen (…) kann er durch verschiedene Methoden angeregt, intensiviert, bewusst gemacht, bewusst erlebt und verarbeitet werden, und dem Menschen dadurch zu einer größeren ‚Vollständigkeit‘, zu einer ‚Abrundung‘ seines Wesens verhelfen“.19 Tiefenpsychologie und Exegese? Wie kann Tiefenpsychologie für die Exegese fruchtbar werden? Jung zählt verschiedene Textarten zu den Ausdrucksformen des kollektiven Unbewussten. Das Besondere an ihnen ist, dass sie ihre Relevanz und Dechiffrierbarkeit über Jahrtausende und differierende kulturelle Hintergründe behalten. Zu diesen Texten gehören für Jung auch die Erzählungen des Alten und Neuen Testaments. Die tiefenpsychologische Exegese beansprucht für sich, die in diesen Texten ruhenden menschlichen Tiefenerfahrungen aufschließen zu können.20 Kritik an der tiefenpsychologischen Exegese Die tiefenpsychologische Exegese hat unterschiedliche Kritik auf sich gezogen, die kurz angerissen werden soll, weil sie im Gespräch mit den Studierenden von Bedeutung sein könnte. 1. Jung und die Religion oder: Gott bleibt nicht unangetastet Auf dem Hintergrund seiner Vorstellung vom Menschen und seiner Seele hat Jung unterschiedliche religiöse Topoi bearbeitet – nicht immer mit Zustimmung der Theologen seiner Zeit. Seine Bearbeitungen, am bekanntesten die des Buches Hiob, gingen dabei zum Teil weit über den theologischen Forschungsstand und 19 Jacobi, Psychologie 119. 20 Vgl. Kassel, Urbilder 26.56.77.79.

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das dazugehörige methodische Instrumentarium hinaus. Er selbst beschreibt sein Vorgehen in „Antwort auf Hiob“ so: Es soll keine kühl abwägende, jeder Einzelheit gerecht werdende Exegese gegeben, sondern eine subjektive Reaktion dargestellt werden.21

Das, was Jung subjektive Reaktion nennt, macht nicht davor halt, die gängigen Gottesvorstellungen in Frage zu stellen, wovon folgendes Zitat eine Ahnung gibt. Sagen wir zum Beispiel „Gott“, so äußern wir ein Bild oder einen Wortbegriff, der im Laufe der Zeit viele Wandlungen erlebt hat. Dabei sind wir außerstande, mit irgendwelcher Sicherheit anzugeben – es sei denn durch den Glauben –, ob diese Veränderungen nur Bilder und Begriffe oder das Unaussprechliche selber betreffen. Man kann sich ja Gott ebenso wohl als ewig strömendes, lebensvolles Wirken, das sich in unendlichen Gestalten abwandelt, wie als ewig unbewegtes, unveränderliches Sein vorstellen.22

In der tiefenpsychologischen Auslegung eines Bibeltextes muss nicht notwendigerweise so weit gegangen werden. Hilfreich für den Umgang mit der Figur Gott ist folgendes Zitat Maria Kassels: „(Es …) ist genau zu unterscheiden zwischen der Rede vom Gottesbegriff bzw. vom Gottesbild – wovon im Rahmen einer tiefenpsychologischen Hermeneutik der Bibelauslegung nur gesprochen werden kann – und der Rede von Gott an sich. (…). Ob letztere überhaupt möglich ist und ob nicht auch die Theologie letztlich vom Gottesbild spricht, soll hierbei offen gelassen werden“.23 2. Nicht auf jeden Text anwendbar Tiefenpsychologische Exegese ist nicht auf jeden Text anwendbar. Es hat sich die Rede von archetypischen Texten eingebürgert, die tiefenpsychologisch erschlossen werden können. Ein archetypischer Text kann in verschiedene Textarten gekleidet sein. Als Indizien dafür, dass ein Text archetypisches Material enthält und damit sinnvollerweise mit der tiefenpsychologischen Methode gedeutet werden kann, können folgende Anhaltspunkte gelten: –– Ein Text oder seine Motive haben eine große Wirkmächtigkeit entfaltet, d. h. er oder sie sind in der Musik, der bildenden Kunst, der Populärkultur etc. rezipiert worden.24

21 C. G. Jung, Antwort auf Hiob (Gesammelte Werke 11), Solothurn 1995, 370, Abs. 561. 22 C. G. Jung, Antwort auf Hiob (Gesammelte Werke 11), Solothurn 1995, 366, Abs. 555. 23 Kassel, Urbilder 181 f. 24 Als eine Fundgrube können Bildarchive im Internet in Kombination mit zentralen Stichwörtern des jeweiligen Textes dienen.

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–– Einzelne Elemente eines Textes kommen „in den Mythen und Märchen, den Sagen und Legenden der Völker  – und zwar womöglich unabhängig voneinander! – häufiger“25 vor.26 3. Wer ist wer in einer archetypischen Erzählung? In Bezug auf die Kategorien „individuell“ und „kollektiv“ ist Jungs Ideenwelt ziemlich herausfordernd: In seinem Modell der menschlichen Psyche verortet er im Innersten des einzelnen Menschen das kollektive Unbewusste. Bei der Textanalyse führt das zu der Frage, wie die Erzählfiguren zu deuten sind. Im Beispiel der Sintfluterzählung: Ist Noah ein (historisches) Individuum? Oder ist an seiner Figur ein Entwicklungsschritt des Volkes Israel beschrieben? Oder noch weiter gefasst eine von jedem Menschen bzw. jeder menschlichen Gruppe zu durchlaufende Entwicklung? Kassel beschreibt den Umfang der Aussage von archetypischen Texten als „ein (…) für eine Gruppe entworfenes Ganzheitsbild des kollektiven Unbewussten, das dem Bewusstsein zur Verwirklichung angeboten wird.“27 Für die Sintfluterzählung kann man also antworten, dass in ihr psychische Erlebnisse und seelische Tiefenerfahrungen einer größeren Gruppe dargestellt sind – z. B. des Volkes Israel zur Zeit der Textentstehung – und als Erfahrungen des Individuums Noah erzählt werden. Da die Sintfluterzählung bis heute als eine der beliebtesten biblischen Erzählungen gilt, liegt außerdem die Vermutung nahe, dass hier ein universeller menschlicher Entwicklungsschritt dargestellt wird. Neben aller Kritik, die zwischen historisch-kritisch und tiefenpsychologisch arbeitenden Exegetinnen und Exegeten zum Teil scharf ausgeteilt wird, ist die Annahme einer komplexen Vielschichtigkeit der biblischen Texte ein gemeinsamer Nenner beider Methoden. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden lernen zentrale Begriffe der Tiefenpsychologie kennen, die zum Erschließen von biblischen Texten notwendig sind. –– Die Lernenden können die ihnen vorgestellten tiefenpsychologischen Thesen an biblischen Texten nachvollziehen.

25 Drewermann, Tiefenpsychologie 376. 26 Eine umfassende Materialsammlung zu den Motiven der Erzählungen des Alten Testaments bietet E. Drewermann, Strukturen des Bösen. Teil 1–3, Paderborn 51984. 27 Kassel, Urbilder 206.

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Literatur zur Methode E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 1: Die Wahrheit der Formen: Traum, Mythos, Märchen, Sage und Legende, Olten 1984. J. Jacobi, Die Psychologie von C.G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk, Frankfurt a. M. 182001. M. Kassel, Biblische Urbilder, Freiburg i. Br. 1992. L. Müller / A. Müller (Hrsg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie, Düsseldorf 2003.

Baustein AT: Der Mensch in der Krise (Gen 6–9) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Studierenden kennen die oben genannten, zentralen Begriffe der Jung­ schen Theorie. Einstieg Die Studierenden sollten als Hausaufgabe den Text der biblischen Sintfluterzählung (Gen 6,1–9,19) lesen und vor und nach der Lektüre folgende Fragen bearbeiten: –– Bevor Sie den Text heute lesen: Was wissen Sie von diesem Text? –– Und nach dem Lesen: Was hatten Sie vergessen? Was hatten Sie bisher nicht so gewusst? Mit Hilfe dieser und den weiteren am Anfang der Sitzung zu bearbeitenden Fragen sollen die Studierenden für die Ungereimtheiten und Besonderheiten des Textes sensibilisiert werden, da diese „zumeist die Knotenpunkte am Leitfaden der Interpretation“28 sind. Außerdem wurde in der vorhergehenden Sitzung ein Blatt mit Definitionen zu Jungschen Begriffen ausgegeben, mit der Bitte dieses durchzulesen. Als Einstieg der Sitzung wird Bingo gespielt. Dazu erhalten die Lernenden jeweils eine Kopie der Bingo-Vorlage (→ Materialanhänge). Gesucht werden die Mitspielenden, die beantworten können, was in den einzelnen Kästchen gefragt ist, z. B. jemand, der etwas über Freud weiß. Hat der Spielende jemanden gefunden, der eine der Fragen positiv beantworten kann, lässt er denjenigen auf dem eigenen Blatt an der entsprechenden Stelle unterschreiben. Ziel ist es, auf dem Spielblatt eine Reihe vertikal, horizontal oder auch diagonal mit Unterschriften zu füllen. Dabei darf man nicht auf dem eigenen Blatt unterschreiben und man darf auf dem eigenen Blatt nur jeweils eine Unterschrift derselben Person haben, auch wenn diese faktisch mehrere Antworten liefern könnte. Sobald jemand eine Reihe vollständig ausgefüllt 28 Drewermann, Tiefenpsychologie 385 f.

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hat, ruft er „Bingo“. Anschließend wird ausgewertet, wer beim Gewinner unterschrieben hat und wie die richtige Antwort lautet. Auf diese Weise werden die relevanten tiefenpsychologischen Begriffe noch einmal genannt und ggf. ergänzend erklärt. Hilfreich für die Erklärung ist die Verwendung der Grafik „Totalpsyche“ von Jolande Jacobi.29 Erarbeitung / Vertiefung Dass die Erzählung von Noah und der Flut ein für eine tiefenpsychologische Auslegung sehr gut geeigneter Text ist, wird schnell mithilfe der unter „Nicht auf jeden Text anwendbar“ genannten Punkte deutlich: Der Text hat mehrere beeindruckende und berühmt gewordene Bilder in sich versammelt. Zwei besonders wirkmächtige sind die Arche30 und die Taube, die vor allem als von Pablo Picasso gezeichnete Friedenstaube berühmt geworden ist. Die Flut, die Schiffsfahrt und die Vogelaussendungen sind Elemente, die in ganz ähnlicher Form in anderen außerbiblischen Mythen zu finden sind. Die Vogelaussendungsszene der Tafel XI des babylonischen Gilgameschepos, das spätestens im 12. Jh. v. Chr. in Mesopotamien entstanden ist, lautet zum Beispiel: Wie nun der siebente Tag herbeikam, ließ ich eine Taube hinaus. Die Taube machte sich fort und kam wieder. Kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. Eine Schwalbe ließ ich hinaus. Die Schwalbe machte sich fort, und kam wieder. Kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. Einen Raben ließ ich hinaus. Auch der Rabe machte sich fort, da er sah, wie das Wasser sich verlief, fraß er, flatterte er, krächzte er und kehrte nicht um.31

Schritt 1: Auffälligkeiten in der Sintfluterzählung –– Als erster Schritt der Auseinandersetzung mit dem Text Gen 6,1–9,19 wird die von den Studierenden in der Hausaufgabe eigenständig begonnene Suche nach den Auffälligkeiten des Textes mit Hilfe folgender Fragen fortgesetzt: Stellen Sie sich vor, Sie hören den Text zum ersten Mal. Was erscheint Ihnen ungereimt? Was überrascht Sie? –– Wenn Sie die Erzählung neu schreiben könnten, was finden Sie verbesserungswürdig? Was würden Sie anders schreiben? 29 Jacobi, Psychologie 131. 30 Darstellungen der Arche gibt es von Michelangelo Buonarroti in der Sixtinischen Kapelle, in zeitgenössischen Comics (vgl. z. B. R. König, Archetyp, Reinbek b. Hamburg 2010) und in der Kinder­ literatur. 31 Zitiert nach: O. Keel, Vögel als Boten. Studien zu Ps 68, 10–12, Gen 8, 6–12, Koh 10,20 und dem Aussenden von Botenvögeln in Ägypten (OBO 14), Freiburg (Schweiz) 1977, 84.

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Beispielhaft seien einige der Auffälligkeiten genannt: –– Alle Menschen außer Noah sind in Gottes Augen böse. –– Gott ist zuerst grausam, unversöhnlich, zerstörerisch. Am Ende versöhnt er sich jedoch wieder mit den Menschen. –– Noah spricht während der gesamten Erzählung kein Wort. Am Anfang macht er nur das, was Gott sagt, und erst ganz am Ende handelt er selbständig. –– Den von Noah ausgesendeten Raben kennen die meisten nicht, die Taube hingegen ist als Friedenstaube berühmt geworden. Die Ergebnisse werden im Plenum ausgewertet. Schritt 2: Drei Aspekte des Textes Im Anschluss bearbeiten die Lernenden in Kleingruppen je einen der drei Aspekte einer tiefenpsychologischen Deutung des Textes: Aspekt 1: Gut und Böse –– Können Sie die Anfangssituation der Erzählung: „Alle Menschen sind böse. Nur Noah ist in den Augen Gottes gut“, mit Hilfe des tiefenpsychologischen Phänomens Schatten erklären? –– Was wird nach der Flut über Gut und Böse ausgesagt? –– Vergleichen Sie den Umgang mit Gut und Böse vor und nach der Flut miteinander! Wie würden Sie die Entwicklung beschreiben? Mögliche Antworten: –– Die Anfangssituation mit dem betonten Schwarzweißdenken, das durch eine Vernichtung des Bösen gelöst werden soll, lässt auf einen verdrängten und dann auf die Menschen projizierten psychischen Anteil schließen. –– Nach der Flut ist Gen 8,21 aufschlussreich: Das Böse wird als Anteil aller Menschen von Gott nicht mehr verdammt, sondern akzeptiert. Die Bedrohung der Vernichtung ist durch Gottes Versprechen abgewendet. –– Die Entwicklung kann als Integration, Versöhnung oder Erweiterung beschrieben werden. Aspekt 2: Vor und nach der Flut –– Eine zentrale These der tiefenpsychologischen Deutung für die Sintfluterzählung lautet: Die Flut ist Ausdruck einer schweren psychischen Krise und der Versuch, einen ungesunden Zustand in ein Gleichgewicht zu bringen. Woran können Sie das im Text ablesen? Sammeln Sie Hinweise für die ungesunde Situation vor der und die geheilte Situation nach der Flut! Mögliche Antworten: –– Noah hat als Ich vor der Flut keinen Selbststand und keine Eigenständigkeit. Darauf weisen die fehlenden Informationen zu seiner Person, der fehlende

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Redeanteil, die nicht vorhandenen Beziehungen zu den anderen Menschen und sein Handeln hin, das ausschließlich Ausführen der Anweisungen Gottes ist. Gott vor der Flut sieht und urteilt schwarz-weiß, verwickelt sich in einen unüberwindbaren Konflikt mit der Erde und den Menschen und lässt diesen zur Vernichtung eskalieren. –– Nach der Flut handelt Noah in der Opferung der Tiere initiativ und Gott zugewandt. Als Ackerbauer steht Noah unmittelbar mit der Erde in Kontakt, statt wie vor der Flut isoliert von Erde und Menschen dargestellt zu werden. Gott verspricht, Erde und Menschen nie wieder zu vernichten, und integriert das Böse als zum Menschen zugehörig und akzeptabel. Der Regenbogen ist Zeichen der Verbindung zwischen Gott, der Erde und den Menschen. Aspekt 3: Der Aufenthalt in der Arche –– Die Flut ist zunächst destruktiv und lebensbedrohlich. Noah überlebt diesen Ausbruch durch den Aufenthalt in der Arche. Haben Sie eine Idee, für welche psychische Erfahrung dieser Aufenthalt steht? Mögliche Antworten: –– Rückzugszeit –– Inkubation –– Regression –– Ins-Bett-verkriechen bei Krankheiten –– Depression –– Abtauchen Mit diesem Zwischenergebnis hat die Gruppe die tiefenpsychologische Deutung des Textes in ihren Grundzügen kennengelernt. Erkenntnisgewinn Text / didaktischer Abschluss Am Ende der Seminarsitzung werden die tiefenpsychologischen Ergebnisse zur Noah-Erzählung noch einmal gesammelt. Wenn zuvor schon zur gleichen Bibelstelle mit historisch-kritischen Methoden gearbeitet wurde, können die Ergebnisse zu diesen Methoden mit denen der Tiefenpsychologie verglichen werden. Dabei können die Fragen leitend sein: Wie unterscheiden sich die Deutungen voneinander? Wo erscheinen die Ergebnisse widersprüchlich, wo ergänzen sie sich? Wenn zuvor nicht mit Hilfe von anderen Methoden zu dieser Textstelle gearbeitet wurde, lohnt es sich, zusammenfassend mit Hilfe der folgenden Fragen die tiefenpsychologische Herangehensweise und die ihr zugrunde liegende Hermeneutik zu reflektieren. –– Wie sind wir vorgegangen? –– Zu welchen Ergebnissen sind wir gelangt? Zu welchen nicht?

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–– Für welche Zwecke, Zielgruppen, Settings ist die tiefenpsychologische Methode sinnvoll einzusetzen und wann nicht? –– Inwiefern unterscheidet sich die tiefenpsychologische Exegese von anderen synchronen oder diachronen Methoden? Literatur zur Textstelle Vgl. dazu unter „Literatur zur Methode“.

Baustein NT: Lebe wild und gefährlich (Lk 15,11–32) In der tiefenpsychologischen Deutung von Texten (ebenso von Träumen) wird zwischen der objektstufigen und der subjektstufigen Deutung unterschieden. An einem Beispiel verdeutlicht, meint dies: Wenn ich von meinem Vater träume, nimmt die objektstufige Deutung an, dass mit dieser Figur mein realer Vater gemeint ist. Der Traum macht z. B. eine Aussage über meine Beziehung zu ihm. Die subjektstufige Deutung nimmt an, dass mit der Figur Vater im Traum einer meiner inneren Anteile symbolisiert wird. So ist der Vater, das, was er tut und nicht tut und wie er im Traum zu mir in Beziehung steht, als eine Seite von mir selber zu interpretieren. In der tiefenpsychologischen Textauslegung wird vor allem mit der subjektstufigen Deutung gearbeitet. Dabei meint eine solche Auslegung, dass alle Figuren, Gegebenheiten und Beziehungen in der Erzählung als symbolische Darstellungen innerer Kräfte, Zustände und Zusammenhänge zu verstehen sind.32 Oftmals wählt der Deutende eine Figur der Erzählung als Hauptfigur (auch Ich-Figur genannt) aus und bezieht alle anderen Figuren als personifizierte Züge ihrer Persönlichkeit auf sie.33 In der Parabel vom barmherzigen Vater werden wir nicht mit einer Hauptfigur innerhalb der Erzählung arbeiten, sondern postulieren eine Person außerhalb, die alle Figuren der Erzählung als Anteile in sich vereinigt. Die Lernenden sollen am Beispiel der Parabel üben, –– den Vater und seine beiden Söhne im Rahmen einer subjektstufigen Deutung als drei Anteile einer Person zu verstehen, –– an ihnen die psychische Entwicklung dieser Person nachzuvollziehen, –– und so mit den Personen, Gegenständen und der Handlung symbolisch umzugehen. Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Die Studierenden kennen grundlegende Differenzierungen und Konzepte tiefenpsychologischer Textdeutungen (vgl. die Vorbemerkungen). 32 Vgl. Drewermann, Tiefenpsychologie 376. 33 Vgl. Kassel, Urbilder 201.

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–– Als Hausaufgabe haben sie den Text der Parabel vom barmherzigen Vater (Lk 15,11–32) gelesen. Einstieg Den Lernenden wird der folgende Traum ausgeteilt und vorgelesen. Fritz geht spazieren. Auf der Straße trifft er einen guten Bekannten. Die beiden unterhalten sich eine Weile. Der Bekannte ist ein ruhiger und ausgeglichener Mensch. Das mag Fritz an ihm. Sie vereinbaren, sich regelmäßig zu treffen und sich in der Kirchengemeinde zu engagieren. Nach dem Gespräch geht Fritz weiter. Von weitem sieht er einen Mann und eine Frau heftig streiten. Er bleibt stehen und beobachtet die Szene ängstlich und gleichzeitig fasziniert. Er folgt den beiden und kommt auf ihrer Spur in ein altes Haus. Dort trifft er auf eine Frau, die gelangweilt in ihrem Garten Unkraut zupft, auf einen Zuhälter, der rauchend an einem Tisch sitzt und auf einen Lehrer, der seine Schüler sucht. Fritz geht von Zimmer zu Zimmer. Dem Lehrer will er gerne helfen, den Zuhälter findet er primitiv und strebt von ihm weg und als er die Frau sieht, wird ihm sehr schwer ums Herz.

Anschließend erhalten die Lernenden in Zweiergruppen Puzzleteile (ein Muster findet sich bei den → Materialanhängen). Die grauunterlegten Puzzleteile sind Abschnitte des oben erzählten Traums. Die weißen Puzzleteile sind tiefenpsychologische Deutungen der einzelnen Abschnitte. Aufgabe der Lernenden ist es, die Abschnittspuzzleteile den passenden Deutungspuzzleteilen zuzuordnen. Die Zuordnung im Rahmen des Musters entspricht dem Ergebnis, zu dem die Lernenden kommen sollten. Im Plenum werden die Ergebnisse verglichen und ggf. erläutert. Ziel dieser Übung ist es, die subjektstufige intrapsychische Sichtweise auf Texte einzuüben. Erarbeitung / Vertiefung Anschließend bearbeiten die Lernenden in sechs Kleingruppen je eine der folgenden sechs Fragen, die Bausteine einer tiefenpsychologischen Deutung der Parabel vom barmherzigen Vater liefern: 1. Der jüngere Sohn –– Benennen Sie anhand des Textes die Bedürfnisse des jüngeren Sohnes am Anfang der Erzählung, während der Hungersnot und als er zu seinem Vater zurückkehrt. Wie geht er mit diesen Bedürfnissen um? Finden Sie ein oder mehrere Wörter, die den jüngeren Sohn charakterisieren! Mögliche Antworten: –– Anfang der Erzählung: Lösung von der Familie, Freiheit, Unabhängigkeit, feiern lernen, ein gedanken-, ziel- und absichtsloses Leben weit ab von allen Bindungen führen. Der jüngere Sohn sorgt aktiv und willensbetont dafür, dass diese Bedürfnisse erfüllt werden. Er fordert vom Vater sein Geld und geht (V. 12 f.).

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–– Während der Hungersnot: Von seinem neuen Leben erfahren wir lediglich, dass es liederlich ist und Geld kostet (V. 13). Von konkreten Menschen (Freunde, Feinde etc.), einer Bleibe oder einer Tätigkeit ist im Text nicht die Rede. In der dann eintretenden Hungersnot wird sein Hunger so mächtig, dass er dieses Leben verlässt. Das liederliche Leben scheint keine sättigende Nahrung zu bieten. Er geht eine Bindung mit einem Fremden ein (V. 15). Der Hunger bleibt. Er ist nicht fähig, dieses Bedürfnis jemandem mitzuteilen oder selber für seine Erfüllung zu sorgen: Er sitzt hungernd vor den vollen Schweinetrögen, nach deren Inhalt er sich sehnt (V. 16). –– Bei der Rückkehr: In den bei den Schweinen entstehenden Gedanken will er nicht als Sohn zu seinem Vater zurückkehren, sondern als ein bezahlter Lohnarbeiter (V. 17–19). Das legt den Verdacht nahe, dass es ihm schwer fällt, Liebe umsonst (wie ein Kind von seinen Eltern) anzunehmen, dass er stattdessen etwas leisten will, bevor er etwas erhält (do-ut-des-Prinzip). Im Moment der Begegnung mit seinem Vater spricht er jedoch nicht mehr von der Idee, als Arbeiter zurückzukehren (V. 21). Öffnet er sich in diesem Moment für die Erfahrung, als Sohn angenommen zu werden? Im Folgenden ist weder von ihm noch von seinen Bedürfnissen mehr die Rede. Er scheint gesättigt und die Bedürfnisse erfüllt. In diesem, dem letzten Teil der Parabel tritt der ältere Bruder in den Vordergrund. 2. Der ältere Sohn –– Was erfahren Sie über den älteren Sohn und seine Bedürfnisse? Mögliche Antworten: –– Ist die Unsichtbarkeit des älteren Sohnes bis V. 25 gleichzusetzen mit einer Bedürfnislosigkeit, einem Aufgehen in der Familie und auf dem Hof? Dass der Vater seine Bedürfnisse bisher nicht erkannt und erfüllt hat, ist der zentrale Vorwurf dieses Sohnes (V. 29 f.). Ob der Sohn diese Bedürfnisse jedoch jemals artikuliert hat, bleibt offen. Er hätte gerne mit seinen Freunden gefeiert (so wie es der Jüngere in der Fremde getan hat) und hat sich hierfür eine Essensgabe seines Vaters, einen Ziegenbock gewünscht. Man kann die Wut des Älteren über die Rückkehr seines Bruders und über den großzügigen Empfang auch als befreiend deuten. Sie ermöglicht es dem zu Hause Gebliebenen, sein Bedürfnis zu feiern gegenüber dem Vater auszudrücken und so sichtbar zu werden. 3. Die beiden Brüder –– Die Brüder verkörpern zwei sich gegenüberstehende Prinzipien. Versuchen Sie dies am Text zu belegen. Gibt es auch Züge, in denen sich die beiden ähneln? Mögliche Antworten: –– Der Jüngere ist aktiv (er vollzieht die erste Handlung der Erzählung: er fordert, sammelt, verreist, verprasst, tritt heraus, macht sich auf [V. 12–15]). Der Ältere hingegen ist bis V. 25 unerwähnt und damit unsichtbar.

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–– Am Ende der Erzählung ist der jüngere Sohn drinnen beim Fest; der ältere ist draußen und weigert sich hineinzukommen (V. 28). In dieser Polarisierung, die der Vater durch sein Herauskommen und Bitten zusammenhält, endet die Parabel. –– Es gibt Ähnlichkeiten zwischen den Söhnen: Der eine zieht weg und feiert und kommt zurück und wird gefeiert. Der ältere hätte gerne gefeiert (V. 29). Beiden scheint also das Feiern ein Anliegen zu sein. Eine psychologische These wäre: Die Familie hatte das Feiern verlernt. Der jüngere Sohn macht sich auf, um es in der Ferne wiederzufinden. Er lebt es bis an die Grenzen aus und erlebt dabei auch, wie es schal wird. Dann bringt er es auf den Hof zurück. So verbindet er auf der einen Seite Familie, Heimat, Besitz, Sicherheit, Arbeit und Pflicht und auf der anderen wildes, fremdes Feiern miteinander. –– Eine weitere Ähnlichkeit zwischen den Brüdern: Der Jüngere traut sich nicht, den Mann im fremden Land nach den Schoten zu fragen (V. 16). Der Ältere traut sich nicht, seinen Vater nach dem Ziegenbock zur Feier zu fragen (V. 29). Beiden scheint es schwer zu fallen, um etwas zu bitten, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, wenn sie kein Recht auf sie haben (wie in V. 12 und 19). 4. Der Vater –– Was macht der Vater? Sammeln Sie anhand des Textes die ihm zugeschriebenen Tätigkeiten! Haben Sie eine Vermutung, was sein Anliegen ist? Finden Sie ein Schlagwort, das die Haltung des Vaters beschreibt! Mögliche Antworten: –– Auszahlen (V. 12), gehen lassen, sehen, erbarmen, um den Hals fallen, abküssen (V. 20), anziehen, Ring anstecken (V. 22), Feier und Essen organisieren (V. 23), heraus zum älteren Sohn gehen, bitten, sprechen, vermitteln (V. 28–30), den Älteren Kind und Bruder nennen, aber nicht Sohn (V. 31 f.). –– Der Vater lässt den jüngeren Sohn gehen. Er handelt in dieser Szene erlaubend und gewährend. Bei der Rückkehr des Sohnes agiert er stark körperbetont und emotional. Dieses, sowie das Ankleiden und Füttern lassen an mütterliche Aspekte denken, die der Vater dem jüngeren Sohn gegenüber verwirklicht. Auf den älteren Sohn, der sein Bedürfnis äußert, indem er sich zornig der Feier entzieht, geht der Vater aktiv zu und bittet ihn hinein. In seiner Rede an den Älteren betont der Vater mit dem Wort „Kind“ die Unreife seines Bedürfnisses und mit dem Wort „Bruder“ die enge Verwandtschaft und Ähnlichkeit zwischen den beiden Brüdern. Deuten kann man das Verhalten des Vaters als Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den beiden Söhnen und zwischen den Polen Ausleben und Zurückhalten, Bedürfnis und Pflicht, Sich-Entfernen und Dableiben. Dem Vater scheinen der Ausgleich, das Integrieren und Zusammenhalten zentrale Anliegen zu sein. Im tiefenpsychologischen Modell der Psyche erinnert sein Verhalten an die sogenannte transzendente Funktion, laut C.G. Jung „die schöpferische, final orientierte Fähigkeit der Psyche, Gegensatzpaare zu einer

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Synthese zu vereinigen. (…). Durch sie werden Bewusstes und Unbewusstes miteinander verbunden und ein Übergang von einer Einstellung in eine andere organisch möglich.“34 5. Grafik –– Zeichnen Sie eine Grafik, die die Konstellation der Brüder und ihres Vaters deutlich macht. Eine Möglichkeit wäre diese:

jüngerer Sohn

Vater

älterer Sohn

Ausgleich Zusammenhalten Ausleben Bedürfnis sich entfernen

Zurückhalten Pflicht dableiben

6. Essen –– Essen ist ein Leitwort der Erzählung (→ Linguistische Analyse). Finden Sie im Text die Wörter, die mit dem Thema Essen in Verbindung stehen! Was fällt Ihnen auf? Wie kann Essen im übertragenen Sinne als ein psychisches Bedürfnis zu verstehen sein? Mögliche Antworten: –– Der jüngere Sohn gerät nach einem ausschweifenden Leben in eine starke Hungersnot (V. 14). Er begehrt sich zu sättigen. Er sieht die Schweine fressen und will das gleiche essen, aber keiner gibt ihm zu essen (V. 16). In seiner Phantasie haben die Lohnarbeiter seines Vaters Überfluss an Nahrung. Die Vorstellung, als Arbeiter, der für sein tägliches Brot etwas leistet, auf seines Vaters Hof zu leben, macht für ihn die Rückkehr denkbar. Bei seiner Rückkehr wird diese Idee jedoch überholt: Der Vater stillt seinen Hunger nicht im Gegenzug für eine Leistung, sondern über alle Maßen: Das gemästete Kalb wird für den hungernden Sohn geschlachtet (V. 30). Der Ältere bezeichnet den Jüngeren gegenüber dem Vater als „auffressend dein Vermögen“. Nicht übersehen werden darf Lk 15,1: Jesus erzählt diese Parabel, nachdem ihm der Vorwurf gemacht wurde, er äße mit den Sündern.

34 A. Kuptz-Klimpel, Funktion, transzendente, in: L. Müller / A. Müller (Hrsg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie, Düsseldorf 2003, 135 f.

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–– Schon im biblischen Text wird das Verb „essen“ im übertragenen Sinne verwendet (V. 30). Das und der logisch nicht auf Anhieb erklärbare Umstand, dass der jüngere Sohn sich nicht einfach an den Schweinetrögen bedient, lassen auf eine tiefere, symbolische Bedeutung des Essens in dieser Parabel schließen. Eine mögliche psychologische Deutung ist: Essen ist ursprünglich mit der Mutter und ihrer Mütterlichkeit verbunden. Sie ist die erste Person, die einem Kind zu essen gibt. In der Parabel vom barmherzigen Vater fehlt die Mutter. Der jüngere Sohn verlässt am Anfang des Textes den mutterlosen Hof. Er lebt ein triebhaftes Leben. Der Ältere wird später behaupten, er habe das Vermögen mit Dirnen aufgefressen. Diese Dirnen sind übrigens die einzigen im Text vorkommenden Frauen. Das heißt, Frauen kommen nur in der Phantasie des neidischen Bruders vor und zwar in der verzerrten und begrenzten Form der bezahlten, für Lust und Trost zuständigen und moralisch abgewerteten Frauen. In diesem bezahlten Leben gerät der jüngere Sohn schließlich in eine Hungersnot. Gedeutet kann das heißen, sein Hunger nach der Mutter wurde dort nicht gestillt. Auch in der Anstellung bei dem Mann, der ersten Beziehung, die er eingeht, quasi ein Ersatzvater im fernen Land, bleibt er hungrig. Es gelingt ihm nicht, sich selber zu ernähren. Er wartet auf einen, der ihm gibt. Aus dieser Situation kehrt er zu seinem Vater zurück, der ihn wie eine Mutter in einer emotionalen und stark körperbetonten Begegnung empfängt. Auch das Anziehen und das Füttern mit dem Mastkalb lassen an die Beziehung zwischen Eltern und Neugeborenem denken. Bei dieser Rückkehr scheinen sich Vater und jüngerer Sohn in ihren Bedürfnissen zu ergänzen: Der Sohn findet in seinem Vater eine Mutter, die ihn umarmt und nährt; der Vater empfängt vom Sohn das in dem fernen Land erlernte und zuvor auf seinem Hof nicht mögliche Feiern. Die hier als mögliche Antworten markierten Hinweise sind sehr ausführlich formuliert. Der Anspruch an die Antworten der Lernenden kann weitaus geringer sein. Die Hinweise sollen der Leitung helfen, die möglichen Antworten der Lernenden einzuordnen, zu ergänzen und weiterzuführen. Wertvoll ist es, die Ergebnisse der Gruppen im Plenum zu diskutieren. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Nachdem die Lernenden aufgrund der Bearbeitung der Fragen einzelne Aspekte der tiefenpsychologischen Deutung der Parabel kennengelernt haben, soll in einem abschließenden Schritt die subjektstufige Deutung im Zentrum stehen und zwar mit Hilfe der Diskussion folgender Frage: –– Diskutieren Sie die These, dass der Vater, der ältere und der jüngere Sohn drei Charakterzüge ein und derselben Person sind. Es gibt kein Kriterium, das zwingt, diese Parabel (oder andere Texte) als inneres Geschehen einer Person deuten zu müssen. Die intrapsychische Sicht auf einen

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Text ist jedoch ein interessantes Deutungsexperiment und ermöglicht eine neue Perspektive auf den bekannten biblischen Text. Dementsprechend kann die Diskussion ergebnisoffen verlaufen und folgende Gesichtspunkte miteinschließen: –– Was legt nahe, dass die Parabel ein Geschehen innerhalb eines Menschen beschreibt? –– Was macht das eher unwahrscheinlich? –– Was macht es Ihnen schwer, diesen Blickwinkel einzunehmen? Mögliche Antworten und ergänzendes Material: –– Die Darstellung der Entwicklung eines Menschen anhand mehrerer Figuren illustriert besonders anschaulich die oft widersprüchlichen und komplementären Anteile innerhalb der Psyche. Die Tiefenpsychologin Marie-Louise von Franz erwähnt, dass eine Dreierkonstellation wie in der Parabel vom barmherzigen Vater eine weit verbreitete mythologische Erzählgestalt ist und nimmt eine Deutung vor, die dem Inhalt der hier vorliegenden Parabel entspricht: Sie schreibt: „In der Mythologie wird eine Gestalt oft von zwei Akoluthen (Gefolgsmännern) begleitet: Mithras und die Dadophoren, Christus zwischen den zwei Schächern etc. Solche triadischen mythologischen Gestaltungen stehen für die Einheit und ihre Polarität, das Eine, das einigt, und die Gegensätze als die beiden Pole, zwischen denen das vereinigende Zentrum erscheint. [… E]ine Gruppe von drei, bei der das eine in der Mitte tatsächlich das Ganze ist und die beiden Gegensätze als eine Illustration dessen, was innen ist, dieser Ganzheit, dargestellt werden.“35 Literatur zur Textstelle P. V. Veliyannoor, The Parable of a Father and Two Sons. Jungian Hermeneutics and Therapeutic Applications, in: Journal of Psychology and Christianity 28/4 (2008) 338–349.

Ertrag zur Methode Die tiefenpsychologische Auslegungsmethode bietet eine interessante Kombination: Alte, den Lernenden und der Leitung oft gut bekannte Texte werden mit einer jungen Methode, die auf einem theologiefremden wissenschaftlichen Denkansatz beruht, ins Gespräch gebracht. Dabei kommt sie durch die sich von anderen Methoden unterscheidende Herangehensweise (z. B. die Deutung von äußeren Geschehnissen als inneren Prozessen oder von Figuren als psychischen Anteilen) zu ungewöhnlichen Ergebnissen (die Flut als Ausbruch unbewusster Kräfte oder der Vater und die beiden Söhne als widerstreitende Anteile in einer Person). Die tiefenpsychologische Methode bietet den Anwenderinnen und Anwendern damit die Infragestellung von althergebrachten Deutungen und Verstehensweisen, die 35 M.-L. von Franz, Psychologische Märcheninterpretation. Eine Einführung, München 1986, 82.

Tiefenpsychologische Exegese

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Herausforderung des Neu- und Querlesens, sowie die Möglichkeit von angeregten und kontroversen Diskussionen. Die Lernenden erhalten mit der tiefenpsychologischen Auslegungsmethode die Möglichkeit, mit den biblischen Texten als Ganzes umzugehen. Die Methode geht von der Idee aus, dass eine sinnvolle und dechiffrierbare Botschaft der Texte von den Zuhörerschaften über Jahrhunderte hinweg unbewusst aufgenommen und weitergegeben wurde und so auch für uns gegenwärtige Leser/innen lesbar und mit Hilfe dieser Methode zu entschlüsseln ist. Damit gelingt der tiefenpsychologischen Auslegungsmethode die Lösung von der letztlich unbeantwortbaren Frage: Hat die/der Autor/in das so gewusst und es so sagen wollen? Denn sie rechnet mit einer mehr unbewussten als gewollten Intention, die transportiert wurde und wird. Da die tiefenpsychologische Auslegungsmethode postuliert, von allgemeinmenschlichen Erfahrungen zu sprechen, regt sie zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenserfahrung an. Die tiefenpsychologische Auslegungsmethode interessiert sich schließlich in besonderer Weise für die von der menschlichen Psyche hervorgebrachten generations- und kulturübergreifenden Bilder. Auf dieser Grundlage fördert sie bei ihren Anwenderinnen und Anwendern ein bildliches, imaginatives, intuitives und assoziatives Denken. Die archetypischen Bilder sind das Material, auf das auch die fiktionale Literatur, die Cinematographie sowie die bildenden Künste zurückgreifen. So eröffnet diese Lesart ein weites Feld von Querverbindungen und Bereicherungen für das Verständnis biblischer Texte.

Intermedialität Thimo Zirpel

Hinführung zur Methode 2007 überraschte das australische Kreativ-Kollektiv „The Glue Society“ mit ihrer Arbeit „God’s Eye View“ viele Menschen. Zuerst auf der „Miami Art Fair“ und dann als Internetphänomen rund um den Globus.1 Dabei war das, was es zu sehen gab, mit den Internetdiensten Google Earth bzw. Google Maps doch schon fast alltäglich geworden: Vier Satellitenbilder zeigten Landschaftsaufnahmen, eben aus der Sicht, wie sie allgemein dem „Auge Gottes“ zugesprochen wird. Erst bei näherer Betrachtung der „Aufnahmen“ aus einer nicht ganz exakten Aufsicht zeigte sich das eigentlich Irritierende: Die vier Szenen geben vor, photorealistische Umsetzungen von Adam und Eva im Garten Eden, Noahs Arche nach der Flut, Mose und dem Volk Israel auf dem Weg durch das Rote Meer und schließlich der Kreuzigung Jesu auf Golgotha zu sein. Als erste Reaktion mag man diese kindlich-naiv anmutende Umsetzung vielleicht belächeln oder bestenfalls als Kritik eines solchen kindlichen Gottesbildes sehen. Doch in der Verschränkung von beinahe alltäglichem „Weltzugang“ via Satellit und antiken, in Teilen fiktiven Szenen zeigt sich noch mehr: Auf Ebene der verarbeiteten Erzählungen muss man sich fragen, ob diese Form der Visualisierung den eigenen inneren Bildern entspricht bzw. denen, die der Ursprungstext nahe legen mag. Auf einer Metaebene geht es um die vielleicht doch nicht so schlichte Frage: „Is seeing really believing?“2 Glaube ich – blind und nur? – den Dingen, die ich selbst oder eben vermittelt über vermeintlich realistisch-wissenschaftliche Darstellungen gesehen habe? Habe ich jede andere Form des Weltzugangs bereits abgelegt? Was ist mein Zugang zu der „Wahrheit“, wie sie biblische Stoffe präsentieren? 1 The Glue Society, God’s Eye View (http://www.gluesociety.com/art/godseyeview [16.04.14]). 2 Kommentar eines Nutzers auf http://www.creativereview.co.uk/cr-blog/2007/december/the-bibleaccording-to-google-earth (08.01.14).

Intermedialität

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Wie sich am obigen Beispiel zeigt, kommt die Auseinandersetzung über Jahrtausende alte Erzählungen noch einmal ganz neu in Gang, wenn die Erzählung in eine vollkommen andere mediale Form transferiert wird. Die Fragerichtung läuft jedoch auch umgekehrt: Unsere Situation heute und mit ihr die vielen Selbstverständlichkeiten werden neuen Fragen ausgesetzt. Der biblische Text befragt seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte und vice versa. Der intermedialen Exegese3 geht es auf basaler Ebene genau um dies: Wie können neue Kon-Texte neue Einsichten und Erkenntnisse über biblische Texte und unsere heutige Situation liefern? Anders gesagt: Artefakte der Gegenwart, die mal klar erkennbar und mal hintergründig biblische Stoffe aktualisieren, tun genau das, worum auch die detaillierteste Auslegung nicht umhin kommt: Nach der Bedeutung des biblischen Textes für das Hier und Jetzt zu fragen. Zudem fordern diese Aktualisierungen zu einer Reaktion seitens der Bibelwissenschaft auf. Das noch sehr junge Forschungsparadigma der Intermedialität wird dabei vorwiegend aus drei Gründen aufgenommen: Erstens bietet es eine Möglichkeit, fundiert unser heutiges „Multimedia-Zeitalter“ bzw. „digital age“ mit den ihm eigenen medialen Artefakten mit der Bibel in Verbindung zu bringen. Zweitens kann so überhaupt die Frage danach thematisiert werden, wie die mediale Beschaffenheit eines Artefaktes – wie z. B. der Bibel – Inhalt und Verstehen präfiguriert. Drittens und letztens leistet dieser Zugang einen wichtigen Beitrag zur Wirkungs- und Rezeptionsforschung biblischer Stoffe, denn die Bibel will ja nicht nur als Dokument einer vergangenen Zeit gelesen werden, sondern gerade in gläubiger Perspektive Relevanz für das Hier und Jetzt entfalten. Deshalb wird sie von Kirchen wie Künstlern fortlaufend aktualisiert und inkulturiert. Methodologisch erweitert ein Ansatz intermedialer Exegese die bisherigen Bemühungen im Bereich der Intertextualität und fügt vor allem Reflexionen zu Fragen der medialen Beschaffenheit und des Medienwechsels hinzu. Pate stehen also literaturtheoretische Ansätze wie die von Michail M. Bachtin, Julia Kristeva und Roland Barthes.4 Um das Vorhaben jedoch theoretisch wie dann auch in der praktischen Analyse handhabbar zu halten, ist es sinnvoll, sich auf drei grundsätzliche Ebenen von Intermedialität im weiteren Sinne zu beschränken, wie sie von Irina O. Rajewsky herausgearbeitet wurden: Intramedialität, Intermedialität und Transmedialität. Intramedialität beschreibt Phänomene, „die nur ein Medium involvieren“;5 also z. B. einen literarischen Text, der sich wiederum auf einen anderen literarischen Text bezieht. Dies kann in Form von wörtlichen Zitaten, Anspielungen 3 Es sei hier angemerkt, dass es weder deutsch- noch englischsprachig einen systematischen Ansatz zur intermedialen Exegese gibt, sondern höchstens Einzelinitiativen, die sich darunter subsumieren lassen. Anders sieht es in der sogenannten intertextuellen Exegese aus. Diese ist jedoch von ihrem theoretischen Fundament her und auch in ihren praktischen Fragen enger ausgerichtet, als der hier vorgeschlagene Ansatz. Mehr dazu im Folgenden. 4 Vgl. hierzu Rakel, Schönheit 8–31. 5 Rajewsky, Intermedialität (alle Zitate beziehen sich auf die schematische Darstellung auf S. 157).

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bzw. der Übernahme von „Subsystemen“ wie Formen und Gattungen geschehen. In der Exegese werden solche Bezüge weithin als Ausdruck von „Intertextualität“ verstanden bzw. lassen sich den verschiedenen bereits etablierten Methoden wie z. B. dem → synoptischen Vergleich sowie der → Gattungs- und Motivkritik zuordnen. In diesem Sinne hat sich die Exegese demnach schon seit geraumer Zeit mit einem Teilbereich der Intermedialität beschäftigt. Intermedialität im engeren Sinne versteht Rajewsky als „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.“ Die uns vor allem durch die Verfilmung und / oder Vertonung von literarischen Vorlagen sicher bekannteste Unterkategorie ist die des Medienwechsels.6 Wichtig ist hierbei, dass materiell am Ende nur ein Medium präsent ist, es also identifizierbare Ausgangs- und Zielmedien gibt. Denn dies unterscheidet – vor allem an der unmittelbar wahrnehmbaren Oberfläche – den Medienwechsel von der Medienkombination.7 Dort lässt sich eine „[p]unktuelle oder durchgehende Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien [finden], die sämtlich im entstehenden Produkt materiell präsent sind.“ Schon im Oberbegriff „Multimedia“ für Filme und vor allem Software wird dies deutlich. Literaturverfilmungen lassen sich selbstverständlich auch als Medienkombination verstehen, in dieser Perspektive steht dann nicht der Prozess der Umwandlung, sondern das Endprodukt mit seinen miteinander kombinierten semiotischen Systemen im Vordergrund. Schließlich definiert Rajewsky intermediale Bezüge als letzte Unterkategorie wie folgt: Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein Produkt (Einzelreferenz) oder das semiotische System (Systemreferenz) eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mitteln; nur letzteres ist materiell präsent. Bezug genommen werden kann auf das fremdmediale System als solches oder aber auf ein (oder mehrere) Subsystem(e) desselben, wobei letzteres per definitionem auch ersteres impliziert.

Als Beispiele liefert sie hier Literatur, die filmische Techniken wie z. B. bestimmte Kameraperspektiven oder Kamerafahrten gleichende Erzählweisen einsetzt, um einen „Als ob-Charakter“ zu erzeugen und dadurch dem literarischen Text z. B. eine starke Lebendigkeit zu verleihen. Autoren wie Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“) oder Patrick Roth (bes. „Meine Reise zu Chaplin“) haben dies dezidiert 6 Bibelfilme gibt es in fast unüberschaubarer Menge (vgl. dazu einführend R. Zwick, Bibel im Film, in: M. Zimmermann / R. Zimmermann [Hrsg.], Handbuch Bibeldidaktik [UTB 3996], Tübingen 2013, 565–571); eine Vertonung der Bibel (in Auszügen) wagte in neuerer Zeit z. B. Ben Becker mit „Die Bibel – Eine gesprochene Symphonie“ (ursprünglich als Theateraufführung konzipiert, dann auch als DVD und Hörbuch vertrieben). 7 Ein spannender und vielschichtiger Versuch der Umsetzung von Mk 6,14–29 (Der Tod Johannes des Täufers) als Computerspiel ist Tale of Tales „FATALE – Exploring Salome“ (http://tale-of-tales. com/Fatale/index.html [22.07.14]).

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in ihren Arbeiten umgesetzt. M. E. lässt sich gerade diese Perspektive besonders fruchtbar machen, wenn man nicht nur auf der Produktebene nach Bezügen und Vorbildern sucht, sondern auch in der Theorie-Perspektive überlegt, wie vor allem Literatur- und Filmwissenschaften sich gegenseitig bei der Analyse ihrer „Texte“ bereichern können. Last but not least geht es um den Teilbereich der Transmedialität, der „medienunspezifische Phänomene [umfasst], die in verschiedenen Medien mit den dem jeweiligen Medium eigenen Mitteln ausgetragen werden können, ohne daß hierbei die Annahme eines kontaktgebenden Ursprungsmediums wichtig oder möglich ist.“ Auf der Mikroebene kann man Erzählweisen ausmachen, die medienübergreifend existieren, dann aber in jedem Medium eigens realisiert werden. Hierauf basiert z. B. Reinhold Zwicks Ansatz der „Analyse im Filmblick“:8 Die Filmsprache schult unseren Blick nicht nur für bewegte Bilder, sondern auch für literarische Werke. Man kann vom „Auge des Erzählers“ sprechen, welches den Lesern auf bestimmte Art und Weise die Geschichte zeigt, oder man kann es in der Terminologie des Films „Kamera“ und „Bildausschnitt“ nennen. Diese Begriffe sind in der Filmsprache geprägt und durch sie verbreitet worden, analysieren aber Mediengrenzen transzendierende Phänomene. Auf der Makroebene sind es Diskurse und Diskurstypen wie z. B. die ästhetischen Strömungen des Expressionismus und Realismus oder auch Parodie und Satire, die nicht mediengebunden, sondern eben übergreifend auftreten. Rajewsky zählt hierzu auch biblische wie mythische Stoffe, „die unabhängig des Ursprungsmediums im kollektiven Gedächtnis einer Zeit verankert sind“ und vor allem „nicht gebunden rezipiert“ werden (13); wenn also heutzutage z. B. in einem medialen Produkt von „Apokalypse“ die Rede ist, dann impliziert das nicht zwingend die Verbindung zu einem konkreten apokalyptischen Text, sondern ist sehr wahrscheinlich eher Reaktion und Ausdrucksform einer krisengeschüttelten Gegenwart.9 Für eine intermedial orientierte Exegese sind m. E. vor allem die ersten beiden Bereiche der Intermedialität am ertragreichsten. Transmedialität ist zwar als übergreifendes Phänomen wahrnehmbar, jedoch als Ästhetik oder „geistige Strömung“ nur schwer analytisch operationalisierbar. Lediglich der Teil transmedialer Phänomene, der medienunspezifische Erzähltechniken umfasst, könnte gut bearbeitet werden. Hierfür sind aber bereits ausreichend methodische Ansätze vorhanden, so dass dies hier nicht weiter behandelt werden muss. Gleiches gilt für jene intertextuellen Phänomene, welche in Rajewskys Modell der Intramedialität zugeordnet und bereits lange von der Exegese behandelt werden. Somit bleibt die Intermedialität im engeren Sinne als Fokus für die weitere Arbeit.

8 Zwick, Filmwissenschaft 183. 9 So hat z. B. das Computerspiel „Motorstorm: Apocalypse“ (SCEE 2011; eine Auto- und MotorradSimulation) zwar ein schon fast klassisch gewordenes Weltuntergangsszenario zum Thema, hier aber biblische Bezüge zu suchen, wäre unpassend.

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Hier lassen sich den Unterkategorien entsprechend Fragen formulieren:10 Medienwechsel: –– Genese: •• Was war Anfangs- und was Zielmedium? Wurde der Wechsel autorisiert oder geschah er nachträglich / unautorisiert? •• Welche (explizite) Intention ist mit dem Medienwechsel verknüpft? Und woran lässt sich diese festmachen? –– Produktions- und Rezeptionsästhetik: •• Welche Medien mit welchen spezifischen Eigenarten (semiotischen Systemen) sind jeweils beteiligt (bzgl. Produktion, Vertrieb, Rezeption etc.)? Welche Konsequenzen ergeben sich hierfür aus dem Medienwechsel? •• Welche Interpretationen ruft der Prozess des Medienwechsels hervor und wie füllt er so Leerstellen des Anfangsmediums? Welche neuen Leerstellen entstehen im Zielmedium, die interpretierungsbedürftig sind? •• Welche Veränderungen in Umfang, Inhalt, Anordnung etc. werden vorgenommen? Welche Dinge bleiben (nahezu) unverändert, soweit dies möglich ist? •• Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich feststellen, falls ein Wechsel in mehrere Zielmedien vorliegt? –– Qualität: •• Lässt sich neben der „Treue“ zum Ausgangsmedium auch die Perspektive der produktiven Rezeption stark machen? Medienkombination: –– Genese: •• Welches sind hier die beteiligten Medien? Welche semiotischen Systeme werden aufgerufen? Wie tragen sie jeweils zur Bedeutungskonstitution mit den ihnen eigenen Mitteln bei? •• Welche (explizite) Intention ist mit der Medienkombination verknüpft? Und woran lässt sich diese festmachen? –– Dominanzbildung: •• In welchem Verhältnis stehen die beteiligten Medien zueinander? Wird eines (auch durch implizite wie explizite Wertungen) präferiert? Gibt es ein Hauptund ein oder mehrere Begleitmedien? –– Quantität: •• Wird ein Medium nur punktuell eingespielt (partielle Intermedialität) oder sind beide bzw. alle Medien durchgehend materiell präsent (totale Intermedialität)?

10 Diese sind neben Rajewsky, Intermedialität, 15–27, auch der Terminologie von Wolf, Relevance 15–43, entlehnt.

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–– Qualität: •• Stehen die konventionell distinkten Medien lediglich nebeneinander (Kontiguität) oder kann man von einem echten Zusammenspiel (Synthese) sprechen? Ergibt die Medienkombination einen „Mehrwert“ an Bedeutung? Werden neue Sinndimensionen erschlossen, die ein einzelnes Medium nicht hätte eröffnen können? Intermediale Bezüge: –– Genese: •• In welcher Richtung verlaufen die Bezüge? Welches Medium / semiotische System etc. ist Kontakt-nehmend (produktiv), welches Kontakt-gebend (wird rezipiert)? –– Quantität: •• Werden ganze Systeme, Subsysteme oder einzelne Elemente thematisiert? –– Qualität: •• Sind die simultane Rezeption fremdmedialer Systeme bzw. deren Elemente bedeutungskonstitutiv? Stehen Ähnlichkeiten und / oder Unterschiede im Vordergrund? –– Markierung: •• Werden die Bezüge explizit (kontextuell / paratextuell / extratextuell) hergestellt oder lediglich implizit evoziert / simuliert? Wie stark ist der Verweischarakter präsent? –– Produktionsästhetik: •• Welche Intention verbirgt sich hinter den Bezügen? Existiert so etwas wie eine Meta-Ebene, auf der die jeweiligen Medien und / oder deren semiotischen Systeme selbst thematisiert werden (Meta-Ästhetik / Meta-Kommunikation)? Darüber hinaus können viele Fragen aus dem intramedialen Bereich hinzugefügt werden, sofern die unterschiedliche Beschaffenheit der Medien mitbedacht wird. Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung –– Die Lernenden schulen ihren Blick für produktions- wie rezeptionsästhetische Fragestellungen. –– Die materielle Bedingtheit biblischer Texte und die vielseitige Beschaffenheit der beteiligten semiotischen Systeme werden thematisierbar. –– Damit werden auch aktuelle mediale Produkte und ihre Verbindung zum Buch der Bücher analysierbar, interpretierbar und einer tieferen Wertschätzung eröffnet. Umgekehrt erscheint der biblische Text in einem neuen Licht. –– Vorwissen der Lernenden aus dem privaten Umgang mit Medien und anderen Fächern (Germanistik, Anglistik, Filmwissenschaften etc.) wird fruchtbar gemacht.

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–– So kann Interdisziplinarität erprobt werden, was auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Kritik exegetischer Methodik leistet. Literatur zur Methode Wie bereits erwähnt gibt es grundlegende Literatur lediglich aus anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Neben dieser werden einzelne Ansätze aufgeführt, die der intermedialen Exegese zugeordnet werden können bzw. ähnliche Fragestellungen verfolgen. G. Aichele / G. Phillips (Hrsg.), Intertextuality and the Bible = Semeia 69/70 (1996). G. Fischer, Wege in die Bibel, Stuttgart 32008 (darin: B. Repschinski, Analyse im Filmblick [78–80]). F. Hartenstein, Die Welt als Bild und als Erzählung. Zur Intermedialität altorientalischer und biblischer Weltkonzeptionen, in: Behutsames Lesen. Alttestamentliche Exegese im interdisziplinären Methodendiskurs (FS C. Hardmeier) (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 28), Leipzig 2007, 63–88. J. Helbig (Hrsg.), Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets, Berlin 1998. S. Hübenthal, Wie kommen Schafe und Rinder in den Tempel? Die „Tempelaktion“ (Joh 2,13– 22) in kanonisch-intertextueller Lektüre, in: K. Herrmann / Dies. (Hrsg.), Intertextualität. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Arbeitsfeld, Aachen 2007, 69–81. D. Pezzoli-Olgiati, Babylon und Jerusalem als Frauenfiguren in der Offenbarung. Visionen, Traditionen und Intermedialität, in: M. Navarro Puerto / M. Perroni (Hrsg.), Neues Testament. Evangelien. Erzählungen und Geschichte (Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie 2/1), Stuttgart 2011, 246–264. I. O. Rajewsky, Intermedialität (UTB 2261), Tübingen 2002. C. Rakel, Judit – über Schönheit, Macht und Widerstand im Krieg. Eine feministisch-intertextuelle Lektüre (BZAW 334), Berlin 2003. S. Seiler, Intertextualität, in: H. Utzschneider / E. Blum (Hrsg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 275–294. G. Steins, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre. Mit einer Spezialbibliographie zu Gen 22 (Herders biblische Studien 20), Freiburg i.Br. 1999. H. Utzschneider / S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014 (bes. das Kapitel „Literargeschichte oder die Geschichte des Textes“ [266–330]). W. Wolf, The Relevance of Mediality and Intermediality to Academic Studies of English Literature, in: A. Fischer / M. Heusser / A. H. Jucker (Hrsg.), Mediality / Intermediality (Swiss Papers in English Language and Literature 21), Tübingen 2008, 15–43. R. Zwick, Filmwissenschaft und Exegese. Auf den Spuren des impliziten Betrachters der „Auferstehung“ des Besessenen von Gerasa (Mk 5,1–20), in: S. Alkier / R. Brucker (Hrsg.), Exegese und Methodendiskussion (TANZ 23), Tübingen 1998, 177–210. R. Zwick, Montage im Markusevangelium. Studien zur narrativen Organisation der ältesten Jesuserzählung (SBB 18), Stuttgart 1989.

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Baustein AT: Die Wüste und das „gute Leben“ (Dtn 4,40) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Es ist von Vorteil, wenn Überlieferungsgeschichte und / oder der Vorgang der Kanonisierung alttestamentlicher Texte bereits angesprochen wurden. –– Zur Vorbereitung kann Dtn 1–4 gelesen werden. Einstieg Um sich der Denkweise der intermedialen Exegese anzunähern, bietet es sich an, zuerst mit einem Beispiel aus der Alltagswelt der Lernenden anzufangen: Vor einigen Jahren schenkte mir meine Großmutter ein kleines, selbstgebundenes Büchlein, in dem sie einige der Geschichten niedergeschrieben hatte, welche sie uns als Kindern oft erzählt hatte. Meist waren sie damals frei von ihr erfunden bzw. mit Elementen aus populären Kindermärchen kombiniert worden. Ich freute mich sehr über ihr Geschenk, aber als ich das Büchlein das erste Mal las, merkte ich, dass es ganz andere Geschichten waren. Ich kam nicht umhin, mich mehr in Gedanken mit der früheren Situation zu beschäftigen, in der mir erzählt wurde, als mit den geschriebenen Worten selbst. Warum macht es in diesem Fall so einen großen Unterschied, ob man diese Erzählungen quasi „live“ von ihrer Autorin vorgetragen bekommt oder ob man sie für sich in einem Büchlein liest? Mit dieser Frage können die Lernenden im Partnergespräch erste Ideen entwickeln, was ein Blick auf ein Medium an sich für Einsichten bringen kann. Womöglich wird die erste Antwort sein, dass eine vorgetragene oder frei erzählte Geschichte vor allem durch die vortragende Person selbst an Bedeutung gewinnt. Also durch deren Gestik, Mimik etc. Hinzu kommt die persönliche Verbindung, die im obigen Beispiel zwischen Erzählerin und Zuhörer besteht, die beim Lesen des Büchleins nur sekundär hervorgerufen werden kann. Eine wesentliche Rolle spielt schließlich der Kontext. Dazu gehören im Groben vor allem Ort und Zeit, genauer genommen dann zu welchem Zweck das Büchlein gelesen wird, wer liest und wie diese Person unterschieden ist (z. B. bezüglich Alter, Bildung etc.) vom ursprünglichen Zuhörer. Viele Punkte mehr sind denkbar. Es bietet sich an, beim Auswerten der Partnerarbeit zentrale Punkte an eine Tafel o. ä. zu schreiben, um sie später weiter zu systematisieren bzw. zu vertiefen. Erarbeitung / Vertiefung Daran schließt sich gut eine Stelle aus der Bibel an, welche evtl. im Rahmen von Überlieferungsgeschichte oder Kanonbildung bereits thematisiert wurde:11 In Dtn 4,1 f. ist in komprimierter Form erkennbar, wie der Medienwechsel einer 11 Z. B. als Teil einer Einführung in die Literaturgeschichte des Alten Testaments. Literatur s. u.

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zentralen mündlichen Überlieferung zur besseren Wieder- und Weitergabe ins schriftliche Medium thematisiert wird.12 Die Lerngruppe soll in Kleingruppenarbeit zu diesen zwei Versen überlegen, was sich aus medialer Perspektive an ihnen beobachten lässt. „Mediale Perspektive“ meint hierbei die Form des Textes an sich und was in ihm durch Meta-Kommunikation über ihn selbst ausgesagt wird. Eine konkrete Leitfrage könnte lauten: Was verraten uns die Verse über ihre eigene textuelle Gestalt (Gegenwart), wie diese entstanden ist (Vergangenheit) und wie sie sich weiterentwickeln soll (Zukunft)? Zusatzinformationen und Deutungsvorschläge, wie sie im Folgenden ausgeführt werden, könnten als „Spezialistenwissen“ jeweils einem Teil der Gruppen zur Verfügung gestellt werden. So wird zum einen nicht die eigene Auseinandersetzung vorschnell unterbunden und zum anderen die Diskussion der Textstelle nach und nach vertieft. In der anschließenden Plenumsdiskussion können sich dann die Teilergebnisse der Gruppen nochmals gegenseitig ergänzen. Bei einer Bestandsaufnahme auf der semantischen Oberfläche des Textes fallen sofort einige Begriffe ins Auge, die bestimmte Medien und Vermittlungsvorgänge implizieren. Da ist zum einen das „höre“, was eine mündliche Kommunikationssituation impliziert und so auf die mündliche Vorstufe des Textes verweist. Unmittelbar darauf liest man von „Ordnungen und Rechte[n]“, die bereits von ihren hebräischen Lexemen her – aber auch in ihrer deutschen Konnotation – eine Verschriftlichung bzw. Kodifizierung beschreiben („hoq“; vom Verb „einritzen“ und „mischpat“; auch „Rechtsvorschriften“). Intratextuell verweisen diese Begriffe zudem auf die in Stein eingeritzten zehn Gebote, die nur wenige Verse später direkt aufgegriffen werden (vgl. Dtn 4,13). Metaphorisch gesehen sollen die Israelitinnen und Israeliten selbst zu „Medien“ der guten Weisung ihres Gottes werden: Sie sollen die Vorschriften „tun“, d. h. sie in sich verkörpern, damit sie leben. Besonders aufschlussreich ist dann die so genannte Kanonformel in V. 2: Es soll nichts dem „Wort“ („davar“; vom Verb „sprechen“) hinzugefügt oder hinweg genommen werden. Der Wortlaut, wie er von Gott über Mose an das Volk Israel ergeht, soll in seiner Integrität bewahrt und weitergegeben werden. Dass eine Verschriftlichung dafür unumgänglich ist, erfahren wir dann in Dtn 31,9.24, wo Mose selbst eine autorisierte Kernfassung zumindest der „Ordnungen und Rechte“ und evtl. auch seiner Auslegung niederschreibt. All dies darf aber nicht über die lange Überlieferungsgeschichte des Textes hinwegtäuschen; denn wenn schon der Text selbst davon berichtet, wie Mose etwas niederschreibt, dann muss es zumindest noch eine weitere Entwicklungsstufe – sicherlich mit einem weiteren Autor – gegeben haben. Darin unterscheidet sich die Materialität bzw. Genese der biblischen Texte immens von der der meisten heutigen Texte. In der Regel hat ein biblischer Text mündliche Vorstufen und ist somit bei seiner Verschriftlichung einen Medienwechsel durchlaufen. Mit allen Konsequenzen! 12 Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch 274–280, führen dies an der Entstehung der Baruchrolle in Jer 36,1–4.23–32 vor.

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Zuerst lässt sich grundlegend feststellen, dass der Text aus dem semiotischen System der Oralität in das der Literalität übergegangen ist. Die Erzählung von Dtn 4 ist ausdrücklich in Ort und Zeit fixiert (vgl. Dtn 1,1–3);13 der schriftliche Text hingegen ist zeitlos (vor-)lesbar, solange seine materielle Form weitergegeben wird. Damit wird der Text an sich zwar nicht verändert, aber in eine Vielzahl von neuen Kontexten versetzbar, die ihn wiederum bedingen können. Erstaunlicherweise antizipierte bereits Mose bzw. der Verfasser des Buches Deuteronomium diesen Umstand und gibt dem schriftlichen Text genaue Hinweise zum erneuten „Medienwechsel“ mit (vgl. Dtn 31,9–13). Allerdings wird hier und anderswo in der Bibel nur wenig über die genaueren Umstände der Verkündigung einer Erzählung oder eines Textes gesagt. Es fehlen daher meist Informationen über Duktus, Intonation, Tempo, Gestik und Mimik sowie Reaktionen der ZuhörerInnen (sofern man der ursprünglichen Erzählung sozusagen „live“ beiwohnte, es also auch visuelle Zeichen zu verstehen gab).14 Diese bedeutungstragenden Ebenen gehen bei der vorliegenden Form des Medienwechsels verloren, bzw. die spärlichen Hinweise werden dann durch die LeserInnen vor dem geistigen Auge vervollständigt. Beim Wechsel vom gesprochenen zum geschriebenen Wort geht viel an Bedeutung verloren bzw. werden zahlreiche Leerstellen produziert, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eindeutig von den Rezipierenden gefüllt werden. Doch auch die Gegenposition ist denkbar: Die „Ordnungen und Rechte“ nebst Auslegung stehen nun in einem größeren (literarischen) Kontext, in dem Mose selbst sie bereits verstanden wissen wollte (vgl. Dtn 1–3). Es sind sozusagen alle intratextuellen Verweise in der Tora und dem weiteren Textkorpus der Bibel sofort nachvollziehbar, soweit man das nötige Wissen oder eben die aufbereitete Version des Textes zugänglich hat. Es ist nicht mehr nötig – und das kann man positiv wie negativ sehen – von klein an mit diesen Erzählungen aufzuwachsen. Man kann bildlich gesprochen jederzeit in den „großen Traditionsstrom“ eintauchen. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Anhand von Dtn 4,1 f. und seinem Kontext konnten nun intensive Einblicke in die Bereiche Intratextualität und Medienwechsel erlangt werden. Gleichzeitig haben die Studierenden über die Informationen zur Materialität des Textes, seiner Vorstufen und seiner intendierten Zukunft viel zur Überlieferungsgeschichte erfahren können, was sich schematisch auf weitere Texte des Alten wie Neuen Testaments übertragen lässt (vgl. besonders Lk 1,1–4).

13 Wobei auch eine „Nacherzählung“ bzw. längere mündliche Tradierung denkbar und bei vielen Texten wahrscheinlich ist. Demnach können auch in diesem Fall multiple Kontexte die Bedeutung bedingen. 14 Am ehesten spricht der biblische Text noch von „ausrufen“ (Dtn 31,11), was eine gewisse Lautstärke impliziert, oder aber davon, dass etwas im Zorn oder in Freude geschrien etc. wird.

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Auf der Meta-Ebene der Intermedialität sollte nun noch ein Ausblick gegeben werden in das weite Feld der intermedialen Bezüge. Ziel hierbei ist es zum einen, die Grenzen biblischer Texte zu überschreiten und die rezeptionsgeschichtliche Perspektive anzunehmen. Zum anderen kann so das Dtn 4 zu Grunde liegende Thema der Verkündung der „Ordnungen und Rechte“ in der Wüste abschließend behandelt werden. Ausgangspunkt hierfür ist ein Auszug aus den Zwischensequenzen des Computerspiels „Journey“.15 Im Anschluss an die Visionierung kann im Plenum der reiche Assoziationsspielraum, der durch dieses Video eröffnet wird, besprochen und können die Grenzen einer intermedialen Exegese ausgelotet werden. „Journey“ erzählt eine Art Schöpfungsmythos, in welchem eine (göttliche) Energie von einem großen Berg inmitten einer endlosen Wüste ausgeht. Diese Energie formt zuerst Pflanzen, dann Tiere und Menschen, die allesamt sichtbar einen „Funken“ dieser Energie in sich tragen. Die Menschen wiederum machen sich diese Energie und die Welt zu Eigen und entwickeln eine von riesigen Bauwerken und Maschinen geprägte Zivilisation. Schließlich zerstören sie mit ihren Bauten sämtliche Natur und machen auch vor dem höchsten Berg nicht halt. Daraufhin zieht sich die inzwischen in Maschinen und Gebäuden verzweckte Energie aus der Welt zurück. Ein Krieg apokalyptischen Ausmaßes um die verbliebene Energie ist die Folge. Zwar sind keine expliziten Referenzen vorhanden, aber bereits qua Genre sind Ähnlichkeiten zu biblischen Schöpfungserzählungen und ätiologischen Sagen wie vor allem der Turmbauerzählung erkennbar. Die spielende Person ist auf einer „Reise“ zur Erkenntnis, warum ihre Welt ist, wie sie ist. An dieser Stelle lässt sich eine Brücke zurück zum Buch Deuteronomium schlagen: Dort ist der Leser mit dem Volk Israel zusammen auf einer ähnlichen Reise: Über Hindernisse und Rückschläge hinweg zum „guten Leben“ (Dtn 4,40) nach Gottes Ordnungen und Rechten. Während die oben angeführten Ähnlichkeiten im System noch sehr offensichtlich sind, kann man im Fall z. B. der Turmbauerzählung in Gen 11,1–9 nicht von Verweisen per se sprechen, sondern muss die offenere Formulierung der „Bezüge“ wählen, wie es Rajewsky vorschlägt. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass sich Verbindungen herstellen lassen, diese aber nicht werkimmanent angelegt, geschweige denn Autorintention sind. Die Rezipierenden bringen durch ihren Kontext neue Interpretationsmöglichkeiten an das Spiel heran und müssen diese intersubjektiv plausibel machen. Denn für das Verständnis der Geschichte von „Journey“ selbst ist die Turmbauerzählung keinesfalls notwendig. Das Wissen um biblische und mythologische Stoffe kann es jedoch erleichtern und erweitern. Doch auch umgekehrt macht das Computerspiel auf eine Dimension des biblischen Textes aufmerksam, die vielleicht in Vergessen geraten ist: Die biblischen Geschichten wollen quasi „am eigenen Leib“ erfahren und dementsprechend existentiell wirksam werden. 15 Entwickler: thatgamecompany. Publisher: Sony Computer Entertainment. 13.03.2012 (US). http:// www.youtube.com/watch?v=izfG8C9yh1E (bis 04:19 [12.08.16]).

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Literatur zur Textstelle G. Braulik, „Worauf ich euch heute eidlich verpflichte“. Beobachtungen zur Verpflichtungsformel des Deuteronomiums, in: „Ich werde meinen Bund mit euch niemals brechen!“ (Ri 2,1) (FS W. Groß) (Herders biblische Studien 62), Freiburg i. Br. 2011, 29–54. C. Koch, Art. Kanonformel, in: www.wibilex.de (26.03.14). J. Taschner, „Fügt nichts zu dem hinzu, was ich euch gebiete, und streicht nichts heraus!“ Die Kanonformel in Deuteronomium 4,2 als hermeneutischer Schlüssel der Tora, in: G. Steins / Ders. (Hrsg.), Kanonisierung – die Hebräische Bibel im Werden (BThSt 110), Neukirchen-Vluyn 2010, 46–63.

Baustein NT: Die Taufe Jesu in Wort und bewegtem Bild (Mt 3,1–17) Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Es ist nützlich Mt 3,1–17 bereits narratologisch aufzuarbeiten (Aktanten, Erzähler, Zeit, Ort). –– Vorwissen im Umgang mit dem Medium Film ist hilfreich (Drehbuch, Kameraeinstellungen, Blende, Schnitt etc.). Einstieg Literaturverfilmungen sind gang und gäbe. Die großen Blockbuster wie „Der Medicus“, „Harry Potter“, „Herr der Ringe“ und aktuell Comicverfilmungen wie „Avengers“ sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Sicherlich lässt sich immer eine bekannte Verfilmung finden, an der sich gerade die Geister scheiden.16 Die Lerngruppe kann zu einem oder zwei Beispielen zuerst in Kleingruppen und dann im Plenum diskutieren, warum für sie eine Verfilmung gelungen ist oder nicht und was Herausforderungen einer Verfilmung sind. Zur Einstimmung können evtl. Trailer gezeigt werden. Unabhängig von einem konkreten Beispiel lässt sich zur ersten Frage allgemein sagen, dass meist die „Glaubwürdigkeit“ der Umsetzung und deren Treue zum „Original“, also der literarischen Vorlage, im Mittelpunkt stehen. Dies sind jedoch nur Oberbegriffe für ein feiner zu differenzierendes Set an Kriterien. Wie in der Hinführung zur Methode dargestellt geht es darum, ob Veränderungen in Umfang, Inhalt, Anordnung etc. vorgenommen worden sind. Fallen z. B. wichtige Textpassagen oder Personen der Kürzung zum Opfer, um in das recht rigorose Zeitkorsett des Mainstream-Kinos zu passen? Geht dadurch evtl. der Tiefgang der Geschichte und die Komplexität der Figuren auch in ihren Beziehungen zueinander 16 „Noah“ (Paramount Pictures, 2014) von Darren Aronofsky ist ein aktueller Film mit biblischem Hintergrund.

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verloren? Oder wird umgekehrt intensiv erweitert, gar gestreckt und so z. B. der Spannungsbogen einer Geschichte über die Maßen gedehnt? All dies ist in Teilen von der Wahrnehmung des Rezipienten abhängig. Noch viel mehr gilt dies, wenn es z. B. um die Frage geht, inwieweit die ausgewählten SchauspielerInnen und Settings mit jenen Figuren und Bildern korrespondieren, die die Lesenden vor ihren inneren Augen entstehen lassen. Wichtig ist also in dieser ersten und den folgenden Diskussionen, stets darauf zu achten, dass orientiert an Kriterien und möglichst eng am „Quellmaterial“ entlang diskutiert wird. Damit sind bereits einige Herausforderungen angesprochen, denen sich eine Literaturverfilmung stellen muss. Abstrakter formuliert ist hier ein Medienwechsel zu bewältigen, dessen Richtung von einem mono-medialen Ausgangsprodukt zu einem multi-medialen Endprodukt verläuft. Zwar kann auch mit Literatur in nahezu naturalistischer Schreibweise ein Bild einer Umgebung oder Figur erzeugt werden, doch wird es immer Leerstellen geben, die durch die photo-realistische Darstellung der Kamera gefüllt werden. Denn neben der Umsetzung von „stummem Text“ in gesprochene Sprache mit entsprechender Ausgestaltung der Prosodik (in Tempo, Akzent usw.), wird mit der Bildsprache der Kamera und musikalischer Untermalung viel an neuem Kon-Text und semiotischen Systemen hinzugefügt, die in den meisten Literaturvorlagen schlicht nicht existieren. Einige dieser Punkte sollten von der Leitung bereits während der Diskussion an der Tafel mitgeschrieben werden. Erarbeitung / Vertiefung Pier Paolo Pasolini soll einmal gesagt haben, dass für ihn das (Matthäus)-Evangelium bereits ein Drehbuch sei. Dem soll die Lerngruppe im nächsten Schritt mit Hilfe der „Analyse im Filmblick“ auf den Grund gehen. Zunächst nimmt sie sich dazu Mt 3,1–17 vor und erarbeitet in Kleingruppen ein skizzenhaftes Drehbuch der sechs wichtigsten Einstellungen der Perikope, so wie sie sie als Film umsetzen würden. Wichtig sind dabei vor allem das Setting, die Kameraeinstellung, die Auswahl des Textes und evtl. Musik. Weitere Hilfestellung bieten die an der Tafel gesammelten Kriterien vor allem zur Frage der Herausforderungen einer filmischen Adaption. Evtl. sollte nach Erläuterung der Aufgabenstellung nachgefragt werden, ob die Fachtermini ausreichend bekannt sind. Gerade für Kameraeinstellungen lassen sich sonst schnell überschaubare Arbeitsblätter anfertigen, die während der Gruppenarbeit gelesen werden können.17 Als Material sollten entweder mit sechs Rechtecken vorgezeichnete Flipchartpapiere oder eine Digital-Kamera und Laptop mit Beamer zur Verfügung stehen, um die Ergebnisse später im Plenum visualisieren und besprechen zu können.

17 Vgl. hierzu Monaco / Bock, Film; Faulstich, Filmanalyse.

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Eine mögliche Umsetzung in Kameraeinstellungen18 sei hier angeführt: –– V. 1–6: Panorama, Heranfahrt inkl. Menschenmenge über Halbtotale Johannes und einen Täufling bis close-up auf Johannes; –– V. 7–9: erst Totale auf Pharisäer und Sadduzäer in der Menschenmenge und dann Halbnahe auf Johannes, die in eine Totale überzoomt („diese Steine“); –– V. 10–12: Halbtotale auf Johannes; –– V. 13: Totale auf ankommenden Jesus und Johannes; –– V. 14 f.: Halbnahe auf die Gesichter der beiden; –– V. 16 f.: Halbtotale, die langsam in Panorama übergeht („Stimme aus den Himmeln“). Im Plenum können im Folgenden zwei Umsetzungen vorgestellt und in ihren künstlerischen Entscheidungen sowie deren Vor- und Nachteilen besprochen werden. Dabei werden sicherlich unterschiedliche Verstehensweisen des Textes zu Tage treten, die seitens der Leitung durch historisch-kritisches Wissen zur Perikope unterfüttert oder korrigiert werden sollten. Es ist natürlich auch möglich, sich bewusst von einer textnahen Umsetzung zu distanzieren. Auch hier können Beweggründe und Konsequenzen diskutiert werden. Schließlich schaut sich die Gruppe gemeinsam die sehr textnahe und in Teilen historisierende Darstellung der Taufszene in Pasolinis „Das erste Evangelium – Matthäus“19 an und vergleicht zwischen der eigenen Umsetzung und der des italienischen Filmemachers. Leitfragen sind: Welche Unterschiede lassen sich erkennen? Welcher Effekt wird erzielt und welche gestalterischen Intentionen könnten dahinter stehen? Beachtenswert ist, dass Pasolini lediglich die wörtliche Rede aus dem Bibeltext übernimmt. Sämtliche Erzähler-Passagen versucht er direkt im Medium Film umzusetzen. Dafür verwendet er in dieser ca. fünfeinhalb Minuten dauernden Sequenz mehr als 40 Schnitte, d. h. Wechsel zwischen verschiedenen Einstellungen. Dabei kommen vom Panorama bis zur Detailaufnahme fast alle Einstellungsgrößen zum Einsatz. Besonders bemerkenswert ist dabei die Auswahl der Einstellungen zur Drohpredigt gegenüber den Pharisäern und Sadduzäern: Johannes wird bereits unten im Jordantal positioniert und stimmig in einer leichten Aufsicht mit halbnaher Kamera gefilmt. Die angesprochenen jüdischen Gruppierungen laufen oberhalb des Flussbettes einen Fußweg herauf und die Kamera zeigt sie von unten aus der Perspektive des Johannes. Zum einen wird so vermieden, dass Johannes überheblich wirkt, da er sich doch unten im Fluss zwischen den Menschen und seinen vermutlichen Jüngern befindet. Zum anderen werden auch die Sadduzäer nicht 18 Geräuschkulisse und Umsetzung von biblischem Text sind zusätzlich zu bedenken und müssen in die Gesamtintention der Inszenierung passen. Welche Effekte sich mit verschiedenen Typen der Inszenierung erzielen lassen, kann im Plenum besprochen oder über vorbereitende Lektüre zur Film­ analyse (s. u.) eingebracht werden. 19 Pier Paolo Pasolini, „Das erste Evangelium – Matthäus“, Italien 1964 (BRD 1965). 21:40–27:23.

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überzogen dargestellt: Die Untersicht der Kamera und die über ihre Schulter nach unten blickenden Gesichter vermitteln zwar Distanz und Abneigung, aber eben keine Hochnäsigkeit. Weiterhin ist interessant, wie Pasolini die Reaktion Gottes auf die Taufe umsetzt: Zuerst wird Jesus in einer starken Nah-Aufsicht gezeigt, wie er geradewegs nach oben gen Himmel blickt. Hinter ihm rauscht das Wasser des Jordans. Darauf folgt eine Totale erneut in der Aufsicht, die die gesamte Taufszene zeigt. Die Kamera zoomt nun fast bis zu einer Panorama-Einstellung – mit der auch der Abschnitt begann – und eine Stimme aus dem Off spricht die Worte Gottes: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Durch die crescendo-artige Musik im Hintergrund und den Zoom nach Außen bleibt aber fraglich, ob alle Anwesenden die Stimme hören können. Allerdings schauen alle Anwesenden ebenfalls gen Himmel und die meisten nehmen eine Ehrfurcht-vermittelnde Gebetshaltung ein. Auf irgendeine direkte Darstellung des heiligen Geistes verzichtet Pasolini vollständig. Damit gibt er sehr gut die Leerstelle oder Uneindeutigkeit wieder, wie sie die Perikope in V. 16 f. vermittelt: Während V. 16 nahe legt, dass alles aus der Perspektive Jesu geschildert wird und auch nur er Zugang zu dieser Art Vision hat (so auch die markinische Fassung), macht die Anrede in Form einer Präsentationsformel in V. 17 „Dieser ist …“ und das erneute Erwähnen der Himmel eindeutig mehr Sinn, wenn damit alle Anwesenden angesprochen sind. Abschließend sei noch kurz die Musikauswahl zur Taufszene angesprochen: Zu Beginn werden erst ganz allmählich Umgebungsgeräusche eingeblendet. Man hört vor allem Wasser plätschern. Nachdem die erste Taufe gezeigt wurde, spielt das Spiritual „Sometimes I feel like a motherless child“ gesungen von Odetta, einer afro-amerikanischen Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin. Es läuft im Hintergrund der Drohpredigt bis zum Verweis auf Jesus (Ende V. 11). Dann folgen erst erneut Hintergrundgeräusche bis kurz nach der Überblende zur Großaufnahme Jesu. Hier wird die „Maurerische Trauermusik“ (KV 477) von Wolfgang Amadeus Mozart eingespielt, die schließlich mit einem Crescendo zu V. 17 endet. Während das Spiritual eher traurig-tröstend stimmt und der Text von Einsamkeit und Verlassen-Sein spricht, schlägt die „Trauermusik“ zum Ende hin erhabene und gewaltige Töne an. M. E. werden so erst Buße sowie Umkehr unterstrichen, wie Johannes sie fordert, und dann allmählich die sehr unscheinbare, schließlich aber am Ende monumentale Szene der Taufe Jesu vorbereitet. Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Einiges mehr könnte noch zur Perikope und deren filmischer Umsetzung gesagt werden. So hat Pasolini z. B. die literarkritische Spannung, die V. 12 erzeugt, umgesetzt: Gerade noch wetterte Johannes über das Endgericht, da blendet die Kamera langsam zu dem sanftmütig wirkenden Jesus über, der mit großer Ruhe in die Szene eingeführt wird. Insgesamt gibt es in der „Analyse im Filmblick“ vieles für die Lerngruppe zu entdecken, was in Teilen hier nicht angesprochen werden konnte.

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Sollten am Ende der Diskussion zu Pasolini noch ca. 15 Minuten Zeit sein, ließe sich die Umsetzung der Perikope im italienischen Film der 1960er Jahre mit einem südafrikanischen Film von 2007 kontrastieren: Mark Dornford-Mays „Son of Man“ ist eine gleichsam unerschrockene wie kraftvolle Inkulturierung und Aktualisierung der Evangelien, welche die Taufe Jesu durch ein Stammesritual der „Mann-Werdung“ ersetzt. So ließe sich gut ein Bogen zurück zur Einstiegsdiskussion über das Für und Wider von Literaturverfilmungen schlagen. Literatur zur Textstelle G. Bornkamm, Studien zum Matthäus-Evangelium (WMANT 125), Neukirchen-Vluyn 2009. H. Frankemölle, Johannes der Täufer und Jesus im Matthäusevangelium. Jesus als Nachfolger des Täufers, in: Ders., Jüdische Wurzeln christlicher Theologie. Studien zum biblischen Kontext neutestamentlicher Texte (BBB 116), Bodenheim 1998, 109–130. J. A. Gibbs, Israel Standing with Israel: The Baptism of Jesus in Matthew’s Gospel (Matt 3:13– 17), in: CBQ 64 (2002) 511–526. M. Konradt, Die Taufe des Gottessohnes. Erwägungen zur Taufe Jesu im Matthäusevangelium (Mt 3,13–17), in: Neutestamentliche Exegese im Dialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium (FS U. Luz), Neukirchen-Vluyn 2008, 257–273. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 1: Mt 1–7 (EKK I/1), Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 2002. M. Mayordomo, „Matthäus“, in: M. Krieg / K. Schmid (Hrsg.), Erklärt – Der Kommentar zur Zürcher Bibel, Bd. 3: Neues Testament und Anhang, Zürich 2010, 1946–2029.

Hilfreich zur Einführung in die Filmanalyse W. Faulstich, Grundkurs Filmanalyse (UTB 2341), Paderborn 32013. J. Monaco / H.-M. Bock, Film verstehen – das Lexikon. Die wichtigsten Fachbegriffe zu Film und Neuen Medien, Reinbek b. Hamburg 2011.

Ertrag zur Methode Im Verlauf dieses Kapitels dürfte deutlich geworden sein, dass intermediale Exegese nicht ein völlig neues Paradigma der Bibelauslegung darstellt. Sie hat ein solides Fundament vor allem in inter- bzw. intratextueller Exegese, wie sie bereits seit einigen Jahrzehnten praktiziert wird. So lassen sich sehr gut Brücken bauen zur Überlieferungsgeschichte, Motivkritik, dem synoptischen Vergleich usw. Tatsächlich neu ist allerdings der Fokus auf die Materialität biblischer Texte und wie diese Texte in modernen Formen weiterentwickelt wurden und werden. Durch Anleihen aus der Rezeptionskritik und Hinwendung zu (multi-)medialen Formaten der Gegenwart werden nicht nur biblische Wurzeln heutiger Kultur erkennbar, sondern auch ein frischer Blick auf alte Texte ermöglicht.

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U. a. können so narrative Erzählstrukturen, Raum-Zeit-Perspektivierungen, bis dato unbekannte Leerstellen und vor allem das bildproduktive Potenzial der Bibel zum Vorschein kommen. Gerade für Bibel-ferne Menschen wird so das Sperrige und teils Körperlose der Buchstaben aufgebrochen, dynamisiert und somit wieder lebendig gemacht. Biblische Texte wollen bewegen! Weitere Ideen –– Altes Testament •• König David in Kinderbibeln  – Differenzierte Darstellung oder Glorifizierung? Die Tendenz geht – schon bereits in der Textauswahl und besonders in der Bebilderung – deutlich zu Letzterem. Generell durchlaufen Bibeltexte einen umfangreichen intra- und intermedialen Wechsel, wenn sie für Kinder aufbereitet werden; diese Wechsel sind für Studierende gut nachvollziehbar (und insbesondere für das Lehramt Grundschule sehr wichtig). •• Psalmen: Wie und wozu wurden sie eingesetzt? Hier lässt sich zum einen die „Mündlichkeit“ der als Gebete gedachten Psalmen thematisieren (evtl. in Verbindung mit → Gattungskritik / Sitz im Leben). Zum anderen kann durch einen Vergleich mit altorientalischer Ikonographie20 die Bildsprache der Psalmen besprochen werden (also die „Intermedialität“ im Sinne von intermedialen Bezügen). –– Neues Testament •• Mk 6,14–29: Der Tod Johannes des Täufers und die Tochter der Herodias in Oscar Wildes „Salome“ und Tale of Tales „FATALE: Exploring Salome“. Der stark von Leerstellen geprägte markinische Text ist sowohl zum Ausgangspunkt für ein viktorianisches Drama als auch ein modernes Computerspiel geworden. Durch den intensiven Medienwechsel werden zahlreiche Fragen an den Ausgangstext aufgeworfen.

20 Vgl. dazu O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996.

Abschlusssitzung Markus Lau / Nils Neumann

Hinführung Am Ende des Semesters angekommen bietet die letzte Sitzung des Methodenseminars sowohl die Gelegenheit, Rückschau auf den Seminarverlauf zu halten und wesentliche Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit zu sichern, als auch die Chance, die Teil- und Gesamtlernziele des Seminars auf einer Metaebene nochmals transparent zu machen, zu diskutieren und zu bündeln. Dies kann etwa im Rahmen einer exemplarischen Anwendung exegetischer Methoden auf einen kurzen Beispieltext erfolgen. Im Verbund mit der Einstiegssitzung rahmt die Abschlusssitzung insofern das Seminar und führt den inhaltlichen Bogen, der den ganzen Seminarverlauf im Idealfall ausgezeichnet hat, zu seinem Ende. Zugleich kann von der Leitung herausgestellt werden, welchen Beitrag das Methodenseminar zur Bildung exegetischer Kompetenz leistet. Das Seminar ist ja der Lernort, der Gelegenheit bietet, sich exegetische Methodenkompetenz anzueignen, die ihrerseits eine Basiskompetenz für die Bildung exegetischer Kompetenz ist. Es wäre insofern schade, wenn die letzte Sitzung nur ein Sammelplatz für noch Offenes, zu kurz Gekommenes, Prüfungspraktisches oder die Besprechung der Evaluation wäre. Ziele der Abschlusssitzung –– Die Lernenden können den roten Faden des ganzen Seminars erkennen und beschreiben. –– Die Lernenden können die im Seminar behandelten Methoden reflektiert auf einen Text anwenden und dabei gemachte Textbeobachtungen für die inhaltliche Interpretation des Textes argumentativ nutzen. –– Die Lernenden können den eigenen Lernfortschritt unmittelbar erleben.

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Baustein AT / NT: Die Kunst des (exegetischen) Mosaiks Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden –– Teilnahme an den Sitzungen des Methodenseminars. –– Kenntnis und Beherrschung der in den Sitzungen thematisierten Methoden und hermeneutischen Perspektiven. Einstieg Letzte Sitzungen fallen in aller Regel in Zeiten von Prüfungsvorbereitung und Examina. Das sind für die allermeisten Lernenden „Stressphasen“. Die letzte Sitzung eines Seminars hat dabei im Vergleich zur Prüfungsvorbereitung manchmal geringere Relevanz. Wenn freilich das Seminar insgesamt eine für die Lernenden spannende Veranstaltung war, dann wird die intrinsische Motivation zur Teilnahme an der letzten Sitzung auch in Zeiten gefühlt knapper Zeit hoch sein. Die Einstiegsphase in die Sitzung kann dem Rechnung tragen, indem sie knapp ausfällt und direkt zu den Hauptinhalten der Sitzung vermittelt. Mit Blick auf die in diesem Beispiel für die Erarbeitungsphase gewählte didaktische Methode des Gruppenpuzzles bietet sich etwa ein mit dem Folgenden über einen Analogieschluss verbundener Einstieg an. Nachdem die Leitung die Ziele und den Ablauf der Sitzung kurz vorgestellt hat, kann sie das Bild eines Mosaiks präsentieren. Am Anfang sollte sie so stark in das Bild hineinzoomen, dass man die Einzelsteinchen jeweils für sich erkennen kann. Die Lernenden sind aufgefordert, das Gesehene ganz kurz zu beschreiben und eine Identifizierung zu versuchen. Sukzessive wird dann herausgezoomt, bis das ganze Bild vor Augen steht. Die Leitung kann im Anschluss umgehend den Analogieschluss im Blick auf das Gruppenpuzzle und das Ineinander exegetischer Methoden formulieren: Wie das Mosaik aus vielen Steinen besteht und jeder Stein seine Bedeutung hat, es aber im Letzten doch um das Gesamtbild geht, dem jeder Stein dient, so ist es auch mit den exegetischen Methoden: Jede hat ihre Funktion, Berechtigung und Bedeutung, aber sie alle dienen letztlich dem gemeinsamen Ziel, den Text besser zu verstehen und seinem Sinn wissenschaftlich verantwortet auf die Spur zu kommen. Den Lernenden sollte dabei deutlich werden, dass das anschließende Gruppenpuzzle in gewisser Weise dem Legen eines exegetischen Mosaiks gleicht, an dessen Ende ein Gesamtbild des Textes, d. h. eine inhaltliche Interpretation steht. Erarbeitung / Vertiefung Für die Arbeit im Rahmen des Gruppenpuzzles wird die Lerngruppe in Teams aufgeteilt. Im Idealfall entspricht dabei die Anzahl der Teammitglieder der Anzahl der im Seminar behandelten Methoden und hermeneutischen Perspektiven. Die konkrete Erarbeitung erfolgt in drei Phasen.

Abschlusssitzung

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Phase 1: Alle Teammitglieder und alle Teams erhalten den gleichen biblischen Text. Dabei sollte es sich um einen Text kurzer bis mittlerer Länge handeln, der im Idealfall gewinnbringend mit allen besprochenen Methoden analysiert werden kann. Sollte eine Methode komplett ungeeignet oder in besonderer Weise voraussetzungsreich sein (das gilt etwa für die pragmatische Analyse), so wird sie im Rahmen des Gruppenpuzzles nicht behandelt.1 Jedes Teammitglied wird individuell mit der Erarbeitung eines Methodenschritts im Blick auf den konkreten biblischen Text beauftragt. Evtl. Hilfsmittel, die für die methodische Analyse nötig sind, erhält das jeweilige Teammitglied von der Leitung. Innerhalb des Teams arbeiten also alle am gleichen biblischen Text, aber mit unterschiedlichen Methoden. Phase 2: Haben alle Teammitglieder ihre jeweilige methodische Arbeit ausgeführt, werden die Gruppen entlang der behandelten Methoden neu gemischt, so dass sich „Expertengruppen“ bilden. Innerhalb der Expertengruppen versammeln sich also alle, die jeweils mit dem gleichen methodischen Schritt den biblischen Text analysiert haben. Sie diskutieren untereinander ihre Ergebnisse. Ziel ist es dabei, Unterschiede in der Erarbeitung wahrzunehmen und – sofern argumentativ möglich und plausibel – zu nivellieren. Phase 3: Im Anschluss kehren alle Experten in ihre Ausgangsteams zurück. In diesen Teams stellen sie jeweils nun das auch durch die Analysen der übrigen „Experten“ angereicherte Ergebnis ihrer methodischen Arbeit vor. Sukzessive entsteht also in den Kleingruppen ein analytisches Gesamtbild des biblischen Textes und seiner Auffälligkeiten. Die Teams sollten dabei angehalten werden, nicht nur die Ergebnisse sich gegenseitig vorzustellen, sondern auch zu einer argumentativ fundierten, also auf durch Methodenanwendung gemachten Textbeobachtungen beruhenden Interpretation des Textes zu gelangen. Variante: Wenn die Seminargröße ausreichend ist, kann zu Beginn von Phase 1 zusätzlich ein Team „Sekundärliteratur“ gebildet werden, das sich mit exemplarischen Stimmen aus der Sekundärliteratur zum biblischen Text beschäftigt. In Phase 1 erarbeiten die einzelnen Teammitglieder jeweils unter einer bestimmten Fragestellung, die die Leitung passend vorgibt, „ihren“ Sekundärliteraturtext. In Phase 2 kann diese Gruppe den Diskurs untereinander über die verschiedenen Stimmen aus der Sekundärliteratur führen. In Phase 3 löst sich diese Arbeitsgruppe auf. Die Mitglieder ordnen sich als „Literaturexperten“ und damit als zusätzliche Stimmen den übrigen Teams zu und bereichern den Gruppendiskurs mit ihrem Wissen. Ideal ist es natürlich, wenn dabei die Sekundärliteratur die eigenen Hypothesen bestätigt oder aber die Positionen der Literatur unter Rückgriff auf die eigenen Textbeobachtungen kritisch diskutiert werden können.

1 Sollte die Anzahl der Seminarteilnehmer insgesamt zu klein sein, um jeweils ein Gruppenmitglied mit einem Methodenschritt zu betrauen, so kann man diejenigen Methoden aus dem Gruppenpuzzle ausscheiden, die nur bedingt sinnvoll auf den Text angewandt werden können. Auch kann es sinnvoll sein, den Methodenschritt Textabgrenzung als gegeben vorauszusetzen.

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Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss Am Ende des Gruppenpuzzles steht eine umfassende, methodisch geleitete Analyse eines biblischen Textes. Im Plenum und damit im Austausch mit der Leitung, die evtl. zusätzliche inhaltliche Impulse geben kann, kann abschließend die inhaltliche Interpretation des Textes (Was ist der Sinn des Textes? Was will er bewirken? In welcher Kommunikationssituation steht er und welche Funktion kann er entsprechend haben?) weitergeführt und vertieft werden. Für die Leitung bietet diese abschließende Diskussion auch die Gelegenheit, den Lernstand der Gruppe, also die Ausprägung exegetischer Methodenkompetenz, abschließend zu erheben (zu individuellen Lernstandserhebungen s. unter „Weitere Ideen“) und die gemachten Fortschritte der Gruppe wohlwollend zu spiegeln. In einem bündelnden Fazit kann die Leitung nun nochmals auf das Ineinander einzelner methodischer Schritte, die Leistungsfähigkeit und die Grenzen einzelner Methoden sowie ihre Funktion im Rahmen exegetischer Interpretationen hinweisen. Vor allem sollte den Lernenden die Tatsache vermittelt werden, dass sie wirklich etwas gelernt haben und nun im Rahmen exegetischer Methodik kompetent handeln können – selbstverständlich nur, wenn dies auch der Realität entspricht. Je nach Angebot von → Prüfungsformen besteht im Anschluss an das Gruppenpuzzle und den abschließenden Diskurs über den Text natürlich auch Gelegenheit, generelle Fragen zu schriftlichen Arbeiten und Co. im Plenum zu klären und / oder die studentische Evaluation, die in aller Regel ja während des Semesters durchgeführt, aber erst am Ende besprochen wird, zu thematisieren.2

Weitere Ideen „Exegese schreiben“ Um in der letzten Sitzung den eigenen individuellen Lernerfolg im Sinne eines Gewinns an exegetischer Methodenkompetenz zu erleben, lässt sich auch folgendes Szenario realisieren.3 In einer der ersten Sitzungen des Seminars hält die Leitung die Lernenden an, in einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen eine Exegese zu einer von der Leitung vorgegebenen Textstelle zu schreiben. Diese in aller Regel mehr intuitiv erstellten, wenig argumentativen und nicht einer exegetischen Methode verpflichteten Texte werden in einem peer-review-Verfahren von anderen Lernen2 Klugerweise sollten solche Evaluationen eigentlich in der Mitte des Seminars durchgeführt und unmittelbar besprochen werden, um noch im laufenden Semester Anpassungen an das Evaluationsergebnis vornehmen zu können. Die Wirklichkeit von Evaluationsordnungen und den zugehörigen EDV-Systemen sieht allerdings anders aus. 3 Nach einer Grundidee von S. Hübenthal, Was ist exegetische Kompetenz?, in: F. Bruckmann / O. Reis / M. Scheidler (Hrsg.), Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion – Reflexion – Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 65–83.

Abschlusssitzung

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den gelesen und im Blick auf Argumentation und Texterschließung analysiert. Die Leitung sammelt am Ende alle Texte ein. Am Ende des Seminars wird die Übung wiederholt (dabei sollte auch der peer-review-Partner identisch sein). Zusätzlich können die Lernenden am Ende auch ihren ersten Text mit dem neuen Text vergleichen und die Lernfortschritte unmittelbar erleben. Exegetisches Kreuzworträtsel Als Einstieg eignet sich auch ein dezidiert spielerischer Auftakt. Die Leitung gestaltet ein Kreuzworträtsel (entsprechende Tools finden sich im Internet) mit Fragen und Begriffen rund um das im vergangenen Semester behandelte thematische Feld. Das Rätsel ist individuell zu lösen. Gewonnen hat, wer es komplett ausfüllen oder das übergreifende Lösungswort erarbeiten konnte. Ein kleiner Siegespreis, der dann natürlich auch in der anschließenden Arbeitsphase mit allen geteilt werden kann, bietet sich an. „Fundamentalismuskritik“ Eine alternative Einstiegsvariante besteht in der Auseinandersetzung mit einem Textbeispiel, das in mehr fundamentalistischer Weise einen biblischen Text instrumentalisiert. Beispiele dürften sich dafür mühelos finden lassen. Nachdem der Text zu Gehör gebracht worden ist, wird in einem ersten Schritt die Art des Umgangs mit dem biblischen Text beschrieben und seine Instrumentalisierung nachgezeichnet. In einem zweiten Schritt wird sodann der biblische Text selbst in Augenschein genommen und  – z. B. im Rahmen des oben beschriebenen Gruppenpuzzles – intensiv analysiert. Abschließend gilt es, das eigene, methodisch abgesicherte Textverständnis mit dem Einstiegsbeispiel zu vergleichen und dabei auch auf die Bedeutung der exegetischen Methoden als Instrumente der Ideologie- und Fundamentalismuskritik abzuheben.

Lernziele und Prüfungen Markus Lau / Nils Neumann

Prüfungs- und Studienordnungen legen in der Regel bestimmte Prüfungsformen fest, mit denen die erfolgreiche Teilnahme am biblischen Methodenseminar attestiert wird und ECTS-Punkte vergeben werden können. Aus diesen mitunter misslichen Zwängen kann man sich allenfalls mit viel Kreativität befreien. Dabei lässt sich gerade im Bereich des biblischen Methodenseminars ziemlich scharf zwischen sinnvollen und weniger sinnvollen Prüfungsformen differenzieren. Prüfungen sollen ja den Lernerfolg nachweisen. Sie müssen insofern zu den Lernzielen und damit zu den angestrebten Kompetenzen passen. Und sie sollen im Idealfall die Lernenden selbst und unmittelbar erleben lassen, welcher Lernfortschritt sich eingestellt hat, also welchen Gewinn an Handlungskompetenz die Lernenden jeweils gemacht haben. Insofern die Lernziele eines kompetenzorientierten Methodenseminars zu einem sehr wesentlichen Teil Handlungsaspekte beinhalten, also mit dem eigenen handelnden Tun im Sinne einer reflektierten Anwendung exegetischer Methodik verbunden sind, liegt es nahe, Prüfungsformen zu wählen, die solches Tun explizit verlangen. Klausuren oder mündliche Prüfungen zum Ende eines Semesters bieten in dieser Perspektive wenig Gelegenheit, die eigene exegetische Handlungskompetenz intensiv unter Beweis zu stellen. Passender erscheinen daher etwa die unterschiedlichen Formen schriftlicher Hausarbeiten, egal ob als Essay, im Rahmen eines Portfolios oder in Form der klassischen Hausarbeit. Formen schriftlicher Arbeiten Die Gestaltung schriftlicher Arbeiten hat fraglos mit der Kreativität der Leitung zu tun. Sie muss entscheiden, welche Form die schriftliche Arbeit inhaltlich1 haben soll. Im Blick auf die klassische Hausarbeit ist etwa zu bestimmen, ob im Zentrum der Arbeit ein einzelner Text, eine einzelne bzw. ein Bündel an Methoden oder evtl. auch ein konkretes Thema stehen soll. Ebenso ist zu definieren, ob sich die Ler1 Die äußere Form (Umfang, formale Gestaltung usw.) ist meist durch übergreifende Konventionen des jeweiligen Instituts oder der jeweiligen Fakultät definiert.

Lernziele und Prüfungen

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nenden Text bzw. Thema selbst auswählen dürfen oder dieses jeweils von der Leitung vorgegeben wird. Gerade bei selbstgewählten Texten besteht die Gefahr, dass die Wahl auf einen Text fällt, der angesichts der im Seminar behandelten Methoden nicht sehr ergiebig analysiert werden kann. Gute Absprachen zwischen Leitung und Lernenden sind in diesem Sinne nötig. Zu bestimmen ist ferner, ob die Lernenden – sofern denn ein Text im Zentrum der Arbeit steht – alle im Seminar behandelten Methoden und hermeneutischen Herangehensweisen wenigstens probehalber am Text anwenden sollen oder ob die Studierenden ganz oder zumindest teilweise sich Methoden auswählen, die besonders gut zu Fragestellung bzw. Text passen. Eine solche Auswahl kann dann im Blick auf ihre Angemessenheit freilich auch zu einem Bewertungskriterium für die ganze Arbeit werden. Jenseits der schriftlichen Hausarbeit, die am Ende des Semesters und damit nach Abschluss der gesamten Seminarveranstaltung geschrieben wird, bieten sich auch andere Formen der semesterbegleitenden Arbeit an. Eine gute Möglichkeit kontinuierliche Mitarbeit zu fördern und einen sukzessiven Lernfortschritt – auch für die Lernenden – unmittelbar erlebbar zu machen, bietet die Arbeit mit einer Variante eines Lernportfolios. Konkret kann diese Arbeit etwa so gestaltet sein, dass zu Beginn des Semesters alle Lernenden jeweils einen Text erhalten (selbst gewählt oder vorgegeben), der sie das Semester begleiten wird. Die Leitung formuliert nach jeder Seminarsitzung einen zum Inhalt der konkreten Sitzung passenden Arbeitsauftrag, der im Blick auf den zu untersuchenden Text von den Lernenden umgesetzt wird. Die dabei entstehenden schriftlichen Arbeiten werden von Woche zu Woche der Leitung zur Verfügung gestellt, die den Lernenden zur nächsten Sitzung eine Rückmeldung zum Erarbeiteten gibt und den entstandenen Text entsprechend kommentiert, korrigiert und ggf. benotet. Dieses Modell bietet den Vorteil, dass die Leitung viel deutlicher Entwicklungen im Lernprozess wahrnehmen, würdigen und ggf. im Seminar aufgreifen kann, der Lernprozess in seinen Stärken und Schwächen unmittelbar von den Lernenden selbstreflexiv erlebt wird und das in der Seminarsitzung theoretisch Erlernte direkt in Handlung umgesetzt und damit einem Praxistest unterzogen wird. Inzwischen wird oftmals auch ein Essay als schriftliche Abschlussarbeit in den Studien- und Prüfungsordnungen eingefordert. Diese eher auf Reflexion einer Erfahrung bzw. persönliche Stellungnahme ausgerichtete Arbeit, die ja gattungsgemäß eher locker bis journalistisch geschrieben werden kann, bedarf für den Bereich des Methodenseminars einer überlegten inhaltlichen Füllung, damit ein Bezug zu den Seminarinhalten vorhanden bleibt. Denkbar ist etwa, dass die Lernenden zu einem aktuellen theologischen, gesellschaftlichen oder kirchenpolitischen Thema unter Rekurs auf biblische Texte Stellung nehmen und mit dem biblischen Text im Blick auf das Thema oder die Streitfrage argumentieren (was mindestens eine implizite Methodenanwendung erfordert). Der Essay wäre dann wie ein exegetischer Zwischenruf in einer laufenden Debatte.

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Mögliche Bewertungskriterien – nicht nur im Blick auf Hausarbeiten Für die Vergabe von Noten sind transparente und reflektiert eingesetzte Bewertungskriterien unerlässlich. Neben einer korrekten, stringenten sprachlichen sowie formalen Gestaltung des Textes und einer klar erkennbaren Leserführung („roter Faden“), können folgende Aspekte als Kriterien dienen:2 –– handwerklich korrekte und transparente Anwendung der exegetischen Methodik; –– Auswahl und bewusst überlegter Einsatz exegetischer Methoden angesichts von •• biblischem Text •• Fragestellung •• hermeneutischer Option / Leitperspektive; –– argumentative Plausibilität im Sinne einer Verknüpfung von konkreten, durch Methodeneinsatz gemachten Textbeobachtungen mit einer inhaltlichen Interpretation des Textes (Frage nach dem Sinn, der Aussageabsicht und der Funktion des Textes bzw. textbasierte Beantwortung der Leitfrage, die in der Arbeit thematisiert wurde); –– Angemessenheit (Reflexionsgrad, Problembewusstsein) der Erarbeitung angesichts der Komplexität des Textes oder des Themas; –– Eigenanteil und Kreativität im Rahmen der exegetischen Arbeit; –– reflektierte Transferleistungen im Blick auf die gegenwärtige Bedeutung des Textes oder Themas; –– reflektierter und sachlich stimmiger Umgang mit der Sekundärliteratur; –– im Blick auf die Portfolioarbeit: Würdigung individueller Fortschritte im Lernprozess. Feedback Mit der Bewertung der Studienleistung in Form eines schriftlichen Gutachtens oder eines persönlichen Auswertungsgesprächs kommt der Seminarleitung am Ende des biblischen Methodenseminars ganz dezidiert die Aufgabe zu, den Lernenden eine Rückmeldung (Feedback) auf den erzielten Lernerfolg zu geben. Zahlreiche Studien belegen die immense Bedeutung, die diesem Vorgang des Feedbacks zukommt.3 Dabei hängt der Erfolg der Rückmeldung aus Sicht der Lernenden ganz entschei2 Das Folgende bezieht sich nur auf schriftliche Arbeiten im Rahmen einer Hausarbeit oder eines anwachsenden Lernportfolios. Die Beteiligung am Seminargeschehen (evtl. auch durch ein Referat) wird gewiss auch im Rahmen der Bildung einer Gesamtnote zu berücksichtigen sein. Die Reihung der Einzelaspekte spiegelt im Übrigen nicht automatisch ihre Gewichtung wider, die die jeweilige Leitung selbst zu definieren hat. 3 Vgl. v. a. J. Hattie / H. Timperley, The Power of Feedback, in: Review of Educational Research 77 (2007) 81–112, pass.; vgl. ferner V. J. Shute, Focus on Formative Feedback, in: Review of Educational Research 78 (2008) 153–189, pass.

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dend damit zusammen, wie differenziert das Feedback ausfällt und welche Aspekte es beleuchtet.4 Ein für Lernende hilfreiches Feedback kann auf vier unterschiedlichen Ebenen erfolgen, nämlich (a) auf der Ebene der von den Lernenden hervorgebrachten Arbeitsergebnisse, (b) auf der Ebene der verfolgten Lösungswege, (c) auf der Ebene der individuell verfolgten Arbeitsorganisation und schließlich (d) auf der persönlichen Ebene. Ein hohes Maß des Feedbacks von Seminarleitenden konzentriert sich üblicherweise auf die Frage (a), welche der präsentierten Ergebnisse richtig oder falsch sind, bzw. in welchem Maße dies der Fall ist. Es liegt auf der Hand, dass solche Rückmeldungen für die Studierenden durchaus wichtig sind. Besonders gut können die Lernenden allerdings dann vom Feedback profitieren, wenn sich dies (b) mit einer Beurteilung der Effektivität der beschrittenen Lösungswege verbindet. Solche Informationen geben den Lernenden die Möglichkeit, künftig bereits im Ansatz die Entwicklung ihrer Gedanken zu präzisieren und zu verbessern. Diesbezüglich kann es sich anbieten, den Lernenden einen sinnvollen nächsten Schritt für die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen zu benennen. Gleiches gilt (c) auf der Ebene der individuellen Lernorganisation der Lernenden, soweit das biblische Methodenseminar der Leitung hierzu einen Einblick ermöglicht. Eine Rückmeldung auf der persönlichen Ebene (d) in Form von Lob oder Tadel trägt nachweislich nur dann zum konstruktiven Fortgang des Lernprozesses bei, wenn sie mit Aspekten aus den anderen drei Ebenen verknüpft wird. Die bloße Feststellung „Das haben Sie aber gut / schlecht gemacht“ fördert einen positiven Fortgang studentischen Lernens hingegen nicht. Selbstredend ist seitens der Seminarleitung bei all dem auf eine wertschätzende Vermittlung der unterschiedlichen Aspekte zu achten. Von Rückmeldungen kann aber auch die Seminarleitung selbst profitieren. Für einen gelingenden Lernprozess ist es elementar, dass die Komplexität der von der Leitung vorgegebenen Aufgaben in einem angemessenen Verhältnis zu den Möglichkeiten der Lerngruppe steht. Von der Hochschule vorgegebene Evaluationen vermitteln der Seminarleitung im Idealfall am Ende des Semesters eine Auskunft darüber, wie die Lernenden die Modalitäten der Lehre wahrgenommen haben. Um hier aber zeitnah auf die Bedürfnisse der Lerngruppe reagieren zu können, ist es sinnvoll, auch während des Semesters schon nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Studierenden der Seminarleitung niederschwellig und ohne größeren Aufwand eine Rückmeldung (Assessment) geben können. Lernprozesse weiter begleiten Mit dem erfolgreichen Abschluss der letzten Sitzung des Methodenseminars ist die Arbeit freilich nicht beendet. Gute Dozierende sind auch im Anschluss verlässli4 Die folgenden Leitgedanken orientieren sich an den Ergebnissen von J. Hattie / H. Timperley, The Power of Feedback, in: Review of Educational Research 77 (2007) 81–112, 102 f.

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che Lernwegbegleiter – nicht nur bei der Beratung im Blick auf eine schriftliche Hausarbeit, deren Benotung und ausführliche Besprechung. Regelmäßig angebotene Sprechstunden, Erreichbarkeit und eine Kultur der Ansprechbarkeit sollten an einer Universität, die von ihrem Wesen her nicht nur eine Forschungs-, sondern auch eine Lerngemeinschaft ist, selbstverständlich sein. Das Angebot von thematischen Übungen, die sich auch gut in Kombination mit Lektüreelementen im Blick auf die biblischen Sprachen kombinieren lassen, kann gerade motivierten Studierenden aus dem Proseminar einen zusätzlichen exegetischen Lernort zwischen Pro- und Hauptseminar bieten. Hier gilt es, den Kontakt zu den Studierenden aufrechtzuhalten und sie z. B. auch für eine exegetische BA-Arbeit zu gewinnen. Die Studierenden von heute sind der wissenschaftliche Nachwuchs und damit die Kolleginnen und Kollegen von morgen.5

5 Vgl. auch die Überlegungen bei D. J. A. Clines, Learning, Teaching, and Researching Biblical Studies, Today and Tomorrow, in: JBL 129 (2010) 5–29, 15.

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Übersetzungsvergleich (Stephanie Feder) Arbeitsübersetzung von Gen 2,21–23 (auf der Grundlage der Elberfelder Übersetzung [ELB], Ergänzungen durch die Interlinear-Übersetzung) 21

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a b c d

Da ließ Gott, JHWH1, einen tiefen Schlaf auf den ‘adam2 fallen, so dass er einschlief. Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch;

a und Gott, JHWH, baute die Rippe, b die er von dem ‘adam genommen hatte, zu einer ischa3 (Frau), c und er brachte sie zum ‘adam. a Da sagte der ‘adam: b Diese endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch; c diese soll ischa (Frau) heißen, denn vom isch4 (Mann) ist sie genommen.

1 In der ELB steht an dieser Stelle HERR. Ich wähle an dieser Stelle JHWH, um eindeutig anzuzeigen, dass hier (im Gegensatz zu Gen 1,1–2,4a) der Gottesname verwendet wird (vgl. auch V. 22a). 2 An dieser Stelle steht in der ELB Mensch. Da dieser Begriff jedoch eine recht unbestimmte Bezeichnung ist, verwende ich an dieser Stelle den hebräischen Begriff ‘adam (vgl. V. 22b.c.23a). Außerdem verweist der Begriff ‘adam eindeutig auf das Material, aus dem er gemacht ist, der ha adamah, dem Erdboden. 3 Um das Wortspiel, das in V 23c eine zentrale Rolle spielt, möglichst eindeutig wieder zu geben, verwende ich an dieser Stelle „ischa“ und nicht wie in der ELB Frau, auch wenn die Bezeichnung der ELB durchaus richtig und sinnvoll ist (vgl. auch V. 23c). 4 isch bedeutet Mann; zur Erklärung vgl. Anmerkung 3.

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Lk 10,38–42 im Vergleich der Übersetzungen Vers 38

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Interlinearübersetzung Ἐν δὲ τῷ πορεύεσθαι αὐτοὺς Während aber weiterzogen sie, αὐτὸς εἰσῆλθεν εἰς κώμην τινά· γυνὴ δέ τις er ging hinein in ein Dorf; aber eine Frau ὀνόματι Μάρθα ὑπεδέξατο αὐτόν. mit Namen Marta nahm gastlich auf ihn. καὶ τῇδε ἦν ἀδελφὴ καλουμένη Und dieser war eine Schwester, genannt Μαριάμ, [ἣ] καὶ παρακαθεσθεῖσα Maria, die – sich daneben gesetzt habend πρὸς τοὺς πόδας τοῦ κυρίου – ἤκουεν τὸν λόγον αὐτοῦ. zu den Füßen des Herrn – hörte seine Rede. ἡ δὲ Μάρθα περιεσπᾶτο περὶ πολλὴν Aber Marta war völlig in Anspruch genommen mit vielem διακονίαν· ἐπιστᾶσα δὲ εἶπεν, κύριε, Dienen; hinzugetreten aber, sagte sie: Herr, οὐ μέλει σοι ὅτι ἡ ἀδελφή μου μόνην nicht liegt daran dir, dass  meine Schwester allein με κατέλιπεν διακονεῖν; εἰπὲ οὖν αὐτῇ mich gelassen hat zu dienen? Sage doch ihr, ἵνα μοι συναντιλάβηται. dass mir sie beisteht! ἀποκριθεὶς δὲ εἶπεν αὐτῇ ὁ κύριος· Antwortend aber, sagte zu ihr der Herr: Μάρθα Μάρθα, μεριμνᾷς καὶ Marta, Marta, du sorgst und θορυβάζῃ περὶ πολλά, wirst umgetrieben um vieles, ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία· Μαριὰμ γὰρ τὴν an einem aber ist Bedarf: Maria nämlich das ἀγαθὴν μερίδα ἐξελέξατο ἥτις οὐκ gute Teil hat sich erwählt, welches nicht ἀφαιρεθήσεται αὐτῆς. genommen werden wird von ihr.

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Einheitsübersetzung 38 Sie zogen zusammen weiter und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. 39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. 40 Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! 41 Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. 42 Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden. Revidierte Lutherübersetzung 38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. Münchener Neues Testament 38 Bei ihrem Gehen aber hineinging er selbst in ein Dorf; eine Frau aber mit Namen Martha nahm ihn auf. 39 Und diese hatte eine Schwester, gerufen Mariam, und [die], dasitzend zu den Füßen des Herrn, hörte sein Wort. 40 Martha aber war überbeschäftigt mit viel Dienst; hintretend aber sprach sie: Herr, nicht kümmert dich, dass meine Schwester allein mich zurückließ zu dienen? Sprich nun zu ihr, damit sie mir beisteht. 41 Antwortend aber sprach zu ihr der Herr: Martha, Martha, du sorgst und beunruhigst dich um vieles, 42 eines aber ist nötig; denn Mariam wählte aus den guten Teil, welcher nicht wird genommen werden von ihr. Bibel in gerechter Sprache 38 Als sie sich aufmachten, ging er in ein Dorf. Eine Frau namens Martha nahm ihn auf. 39 Und bei ihr war ihre Schwester, die hieß Maria. Diese setzte sich zu den Füßen des Befreiers und hörte sein Wort. 40 Martha aber war vom vielen Dienst beunruhigt. Sie trat herzu und sagte: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein zurücklässt, um zu dienen? Sprich mit ihr, damit sie mit mir zusammen Hand anlegt!“ 41 Jesus antwortete ihr: „Martha, Martha, du sorgst dich und lärmst die Vielheit. 42 Eines aber ist nötig. Maria hat das gute Teil gewählt, das wird man nicht von ihr wegnehmen.“

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Analyse von Gliederung und Komposition (Markus Lau) Gliederung und Komposition von Gen 11,1–9 (Übersetzung der Elberfelder Bibel) Und die ganze Erde hatte ein und dieselbe Sprache und ein und dieselben Wörter. Und es geschah, als sie von Osten aufbrachen, da fanden sie eine Ebene im Land Schinar und ließen sich dort nieder. 3Und sie sagten einer zum anderen: Auf, lasst uns Ziegel streichen und hart brennen! Und der Ziegel diente ihnen als Stein, und der Asphalt diente ihnen als Mörtel. 4Und sie sprachen: Auf, wir wollen uns eine Stadt und einen Turm bauen, und seine Spitze bis an den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Fläche der Erde zerstreuen! 5Und der Herr fuhr herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. 6Und der Herr sprach: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle, und dies ist der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts unmöglich sein, was sie zu tun ersinnen. 7Auf, lasst uns herabfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass sie einer des anderen Sprache nicht mehr verstehen! 8Und der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde; und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. 9Darum gab man ihr den Namen Babel; denn dort verwirrte der Herr die Sprache der ganzen Erde, und von dort zerstreute sie der Herr über die ganze Erde. 1

2

V. 1: Exposition (Ausgangszustand) V. 2–4: Die Taten der Menschen V. 2: Der Ort der zukünftigen Baustelle wird erreicht V. 3 f.: Die Überlegungen und Pläne der Menschen V. 3: „Auf “ (hbh): Die Herstellung von Baumaterial V. 4: „Auf “ (hbh): Die Baupläne und ihre Begründung V. 5–8: Die göttliche Reaktion V. 5: „Und der Herr“: Gottes Visitation der Baustelle V. 6 f.: „Und der Herr“: Die Überlegungen und Pläne Gottes V. 6: Gottes Befürchtungen V. 7: „Auf “ (hbh): Gottes Plan V. 8: „Und der Herr“: Zerstreuung und Baustopp V. 9: Abschließender Erzählerkommentar (Endzustand)

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Gliederung und Komposition von Ps 138 (Übersetzung Hossfeld/Zenger1) 1a 1b 1c 2a 2b 2c 2d 3a 3b 3c 4a 4b 5a 5b 6a 6b 6c 6d 7a 7b 7c 7d 7e 8a 8b 8c

Von David. Ich will dir danken aus meinem ganzen Herzen, vor Göttern will ich dir musizieren. Ich will mich niederwerfen zu deinem heiligen Tempel hin und danken deinem Namen um deiner Liebe und deiner Treue willen. Denn du hast groß gemacht über deinen ganzen Namen dein Wort. Am Tag, da ich rief, gabst du mir Antwort, du weckst in meiner Seele Kraft. Danken sollen dir, JHWH, alle Könige der Erde, wenn sie gehört haben die Worte deines Mundes. Und sie sollen singen auf den Wegen JHWHs: „Ja, groß ist die Herrlichkeit JHWHs. Ja, erhaben ist JHWH, doch er schaut auf Niedriges, und hoch ist er, doch erkennt er von ferne.“ Muss ich auch gehen inmitten Drangsal, du erhältst mich am Leben trotz der Wut meiner Feinde. Du streckst deine Hand aus, und es hilft mir deine Rechte. JHWH wird meine Sache führen, JHWH, deine Liebe währt ewig. Von den Werken deiner Hände lass nicht ab.

1 Vgl. F.-L. Hossfeld, Psalm 138, in: Ders./E. Zenger, Psalmen 101–150 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i. Br. 2008, 703–713, 703 f.

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V. 1a: Überschrift V. 1b–3: „Ich und Du“ (1. Strophe) V. 1b–2c: Das Dankbekenntnis des Beters („Ich will“) V. 2d–3: Die Faktizität göttlicher Hilfe in der Vergangenheit V. 4–6: „Die Könige und Du“ (2. Strophe) V. 4: Aufforderung an die Könige zum Dankgebet V. 5a: Hymnuseinleitung V. 5b–6: Dankhymnus: Gott sieht auf die Niedrigen V. 7 f.: „Ich und Du“ (3. Strophe) V. 7: Die Faktizität göttlicher Hilfe in der Gegenwart V. 8ab: Bekenntnishafter Ausblick in die Zukunft V. 8c: Die abschließende Bitte an Gott

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Gliederung und Komposition von Mt 1,1–17 (Übersetzung des Münchener Neuen Testaments) Buch (des) Ursprungs von Jesus Christos, (dem) Sohn Davids, (dem) Sohn Abrahams. 1

 Abraham01 Isaak Jakob 3  Judas Phares Hesrom 4  Aram Aminadab Naasson 5  Salmon Boes Jobed 6  Jessai

aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber

zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte

den Isaak02, den Jakob03, den Judas04 den Phares05 den Hesrom06, den Aram07, den Aminadab08, den Naasson09, den Salmon10, den Boes11 den Jobed12 den Jessai13, den David14,

David 7  Solomon Roboam Abia 8  Asaph Josaphat Joram 9  Ozias Joatham Achaz 10  Hezekias Manasses Amos 11  Josias

aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber

zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte

den Solomon den 16Roboam02, den 17Abia03, den 18Asaph04, den 19Josaphat05, den 20Joram06, den 21Ozias07, den 22Joatham08, den 23Achaz09, den 24Hezekias10, den 25Manasses11, den 26Amos12, den 27Josias13, den 28Jechonias14

zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte zeugte geboren wurde

den 29Salathiel01, den 30Zorobabel02, den 31Abiud03, den 32Eliakim04, den 33Azor05, den 34Sadok06, den 35Achim07, den 36Eliud08, den 37Eleazar09, den 38Matthan10, den 39Jakob11, den 40Joseph12, 41 Jesus13,

2

Jechonias Salathiel 13  Zorobabel Abiud Eliakim 14  Azor Sadok Achim 15  Eliud Eleazar Matthan 16  Jakob

aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aber aus der

15

und seine Brüder, und den Zara

aus der Thamar,

aus der Rachab, aus der Ruth, den König. aus der des Uria,

01

und seine Brüder

während der Um­siedlung nach Babylon. 12 Nach der Um­siedlung nach Babylon:

den Mann

Marias, der Christos genannte.

 Alle Geschlechter nun von Abraham bis David (sind) vierzehn Geschlechter, und von David bis zur Umsiedlung nach Babylon (sind) vierzehn Geschlechter, und von der Umsiedlung nach Babylon bis zu dem Christos (sind) vierzehn Geschlechter 17

Materialanhänge

337

Gliederung und Komposition von 1 Kor 8 (Übersetzung des Münchener Neuen Testaments) Die Erkenntnis der Wir-Gruppe und der paulinische Gegensatz von Erkenntnis und Liebe 1 Über das Götzenopferfleisch aber: Wir wissen, dass wir alle Erkenntnis haben. Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf; 2  wenn einer meint, etwas erkannt zu haben, noch nicht erkannte er, wie man erkennen muss; 3  wenn aber einer Gott liebt, dieser ist erkannt von ihm. Die These der Wir-Gruppe: Radikaler Monotheismus und seine Freiheiten 4  Über das Essen nun des Götzenopferfleisches: Wir wissen, dass kein Götze in (der) Welt (ist) und dass kein Gott (ist), außer einem. 5  Denn wenn auch so genannte Götter sind, sei es im Himmel, sei es auf Erden, wie ja viele Götter sind und viele Herren, 6  doch für uns (ist) ein Gott, der Vater, von dem alles, und wir auf ihn (hin), und ein Herr Jesus Christos, durch den alles, und wir durch ihn. Perspektivwechsel: Die Anderen und ihr schwaches Gewissen 7  Doch nicht in allen (ist) die Erkenntnis; einige aber, aus Gewöhnung an den Götzen bis jetzt, essen (es) wie Götzenopferfleisch, und ihr Gewissen, weil es schwach ist, wird befleckt. Die These der Wir-Gruppe: Vor Gott sind Speisen bedeutungslos 8  Eine Speise aber wird uns nicht beistehen vor Gott; weder, wenn wir nicht essen, stehen wir zurück, noch, wenn wir essen, haben wir mehr. Paulus an die Wir-Gruppe: Die Folgen der Erkenntnis der Wir-Gruppe für die Schwachen und für die Wir-Gruppe 9  Seht aber (zu), dass nicht etwa diese eure Vollmacht Anstoß werde den Schwachen!

338

Materialanhänge



Ein individuelles Fallbeispiel und seine Folgen Denn wenn einer sieht dich, den Erkenntnis Habenden, im Götzenhaus (zu Tisch) liegend, wird nicht das Gewissen von ihm, der schwach ist, erbaut werden zum Essen (von) Götzenopferfleisch? 11  Denn zugrunde geht der Schwache an deiner Erkenntnis, der Bruder, um dessentwegen Christos starb. 10 

So aber sündigend gegen die Brüder und schlagend ihr Gewissen, das schwach ist, gegen Christos sündigt ihr. 12 

Abschließende Folgerung und Paulus als Vorbild 13  Deswegen, wenn eine Speise Anstoß gibt meinem Bruder, nicht esse ich Fleisch (bis) in den Aion, damit nicht meinem Bruder ich Anstoß gebe.

Das Raster möglicher Formen von Charakterisierung

Analyse der Charakterisierung (Christian Schramm)

Materialanhänge

339

Die Charakterisierung König Davids in 1 Kön 1

340 Materialanhänge

Materialanhänge

341

Synoptischer Vergleich (Markus Lau)

Die Berufung des Levi (bzw. Matthäus) und die Tischgemeinschaft mit den Zöllnern1

1 Entnommen aus J. Hainz (Hrsg.), Synopse zum Münchener Neuen Testament, Düsseldorf 21998.

342

Materialanhänge

Feministische Exegese und geschlechtersensible Zugänge zur Bibel (Stephanie Feder) David, der Mann, nach David J. Clines Literaturhinweise M.-T. Wacker, Bibelwissenschaft und Männerforschung. Zur Einführung, in: BiKi 63 (2008) 126–131. D. J. Clines, David the Man. The Construction of Masculinity in the Hebrew Bible, in: Ders., Interested Parties: The Ideology of Writers and Readers in the Hebrew Bible (JSOT.S 205), Sheffield 2005, 212–243. Der kriegerisch-kämpferische Mann Definition (nach Clines)

Textstellen

1 Sam 16,18 1 Sam 17,50 1 Sam 18,27

Trifft dieses Ideal heute noch zu?

Der redegewandte Mann Definition (nach Clines)

Textstellen

Trifft dieses Ideal heute noch zu?

1 Sam 16,18 1 Sam 17,34–36 1 Sam 24,10–16

Materialanhänge

343

Der frauenlose Mann Definition (nach Clines)

aus der Perspektive des Protagonisten werden Frauen marginalisiert es gibt kein sexuelles Verlangen nach einer oder mehreren Frauen es gibt keine Liebesgeschichten

Textstellen

2 Sam 16,21–23 2 Sam 11

Trifft dieses Ideal heute noch zu?

Bindung zwischen Männern Definition (nach Clines)

Freundschaft zwischen Männern emotionale Beziehung zwischen Männern gegenseitige Loyalität gegenseitige Hochschätzung der Bindung

Textstellen

2 Sam 1,26

Trifft dieses Ideal heute noch zu?

344

Materialanhänge

Mt 1,1–17 in der Übersetzung von Hubert Frankemölle1 1

Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

2

Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder.

3

Juda zeugte Perez und Serach aus Tamar. Perez zeugte Hezron, Hezron zeugte Aram.

4

Aram zeugte Aminadab. Aminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon.

5

Salmon zeugte Boas mit Rahab. Boas zeugte Obed mit Rut. Obed zeugte Isai.

6

Isai zeugte David, den König. David zeugte Salomo mit der (Frau) des Urija.

7

Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abija, Abija zeugte Asaf.

8

Asaf zeugte Joschafat. Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Ozia.

9

Ozia zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskija.

10

Hiskija zeugte Manasse. Manasse zeugte Amos. Amos zeugte Joschija.

11

Joschija zeugte Jechonias und seine Brüder zur Zeit der Verbannung nach Babylon.

12

Nach der Vebannung nach Babylon zeugte Jechonias Salathiel. Salathiel zeugte Zorobabel.

13

Zorobabel zeugte Abihud. Abihud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Azor.

14

Azor zeugte Sadok. Sadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud.

1 Vgl. H. Frankemölle, Matthäus. Kommentar, Bd. 1, Düsseldorf 1994, 17.

Materialanhänge

345

15

Eliud zeugte Eleazar. Eleazar zeugte Matthan. Matthan zeugte Jakob.

16

Jakob zeugte Joseph, den Mann Marias, mit der gezeugt wurde Jesus, der Christus genannt wird.

17

Also: alle Generationen von Abraham bis David sind vierzehn Generationen, und von David bis zur Verbannung nach Babylon sind vierzehn Generationen, und von der Verbannung nach Babylon bis zu Christus sind vierzehn Generationen.

346

Materialanhänge

Die vier Frauen im Stammbaum Jesu bei Matthäus „Warum fügt Mt sie [sc. die vier Frauen, S. F.] also ein – und warum gerade diese vier? Wären nicht Sara und Rebekka, Rahel und Lea angebrachter?“1 Herkömmliche Begründungen zu den vier Frauen im Stammbaum Jesu 1. Bei den genannten Frauen bzw. bei ihren Kindern liegt eine Irregularität vor, die aber für Gott keine Rolle spielt. „Ohne Tamar gäbe es Perez als Verheißungsträger nicht, ohne Rut gäbe es David nicht, ohne Batseba gäbe es Salomo nicht, ohne Rahab gäbe es keine Landnahmegeschichte. Die jüdische Verheißungsgeschichte würde ohne diese Frauen zusammenbrechen. Daß die Verheißungsgeschichte dabei gleichsam ‚auf krummen Wegen‘ verläuft, gehört hinsichtlich der Auswahl der Frauen sicherlich zur Intention des Matthäus. Insgesamt bringen sie etwas Irreguläres in die Gattung ‚Stammbaum‘, der von seiner Gattung her ansonsten auf Normalität, Exaktheit und Legitimität ausgerichtet ist.“2

2. Alle Frauen sind Sünderinnen. Damit werde auf die Erlöserrolle Christi hingedeutet. 3. Alle vier Frauen stammen von nichtjüdischen Völkern ab. Sie könnten auf den universalistischen Unterton des Stammbaums und des Evangeliums allgemein hinweisen. „Tamar war eine Aramäerin, Rahab eine Kanaaniterin und Rut eine Moabiterin. Alle drei Frauen waren also Nicht-Israelitinnen. Batseba aber war eine Israelitin, die erst durch ihre Heirat mit dem Hethiter Urija Nichtisraelitin geworden ist. […] Die universalitische Perspektive, der Einschluß der Heidenwelt, muß Matthäus wichtig sein.“3

Die Begründung von Jane Schaberg4 „1. Alle vier Frauen befinden sich außerhalb der patriarchalen Familienstruktur […]   2. Allen vier Frauen wird von der Männerwelt Unrecht angetan oder Schaden zugefügt […]   3. Mit ihrer sexuellen Aktivität riskieren alle vier Frauen die Zerstörung der sozialen Ordnung und damit ihre eigene Verdammung […]   4. Die Situation aller vier Frauen wird durch Handlungen von Männern dadurch wieder gutgemacht, daß sie Schuld anerkennen und/oder Verantwortung für die Frauen übernehmen, indem sie sie unter ihren patriarchalen Schutz stellen, ihnen eine Identität und eine Zukunft verschaffen und sie ihre ungeborenen Kinder legitimieren.“ 1 P. Fiedler, Das Matthäusevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 1), Stuttgart 2006, 40. 2 H. Frankemölle, Matthäus. Kommentar, Bd. 1, Düsseldorf 1994, 142. 3 U. Luz, Die Jesusgeschichte des Matthäus, Neukirchen-Vluyn 1993, 38. 4 J. Schaberg, Die Stammmütter und die Mutter Jesu, in: Conc(D) 25 (1989) 528–533, 529.

Materialanhänge

347

Tiefenpsychologische Exegese (Anne Kruse/Stephanie Feder) Bingo Gesucht wird eine/einer, die/der … … weiß, wofür die Abkürzung C.G. bei C.G. Jung steht.

… weiß, was der Begriff „Ich“ bei C.G. Jung bezeichnet.

… schon mal die tiefenpsycholo­gi­ sche Auslegung eines Bibeltextes gelesen hat.

… schon tiefenpsychologische Phänomene im Buch Genesis entdeckt hat.

… weiß, was der Begriff „Individuation“ bezeichnet.

… das Arbeitsblatt zu den tiefenpsychologischen Begriffen gelesen hat.

… ein Sprichwort kennt, das den Begriff „Schatten“ enthält.

… einen Buchtitel von Eugen Drewermann kennt.

… ein Märchen kennt, das bereits tiefenpsychologisch ausgelegt wurde.

… den Unterschied zwischen Tiefenpsychologie und Psychoanalyse kennt.

… weiß, welche Nationalität Jung hatte.

… den Begriff „Schatten“ an einem Beispiel erläutern kann.

… eine/n berühmte/n Psychologen/in nennen kann.

… drei Dinge über Freud weiß (z. B. Vorname, Nationalität, Werktitel).

… weiß, was es mit dem kollektiven Unbewussten auf sich hat.

… eine Vermutung hat, was die Tiefenpsychologie mit der Exegese zu tun hat.

348

Materialanhänge

Puzzle: Fritz’ Traum Kopieren Sie die Tabelle, schneiden Sie die einzelnen Kästchen aus und vermischen Sie diese. Lassen Sie die Lernenden die Kästchen wieder richtig zusammensetzen (die hier dargestellte Anordnung entspricht der Lösung).

„Auf der Straße trifft Fritz einen guten Bekannten.“

Der gute Bekannte steht für einen wichtigen und bestimmenden Anteil von Fritz’ Persönlichkeit, denn er trifft ihn als erstes und kennt ihn bereits gut. Die Straße steht für Fritz’ öffentliches Leben.

„Fritz und der Bekannte unterhalten sich eine Weile.“

Der Bekannte entspricht einer Seite von Fritz, mit der er leicht in Kontakt kommt.

„Der Bekannte ist ein ruhiger und ausgeglichener Mensch. Das mag Fritz an ihm.“

Die ruhige und ausgeglichene Seite des Bekannten entspricht der Ruhe und Ausgeglichenheit eines Persönlichkeitsanteils von Fritz. Er mag diesen Anteil an sich.

Materialanhänge

349

„Sie vereinbaren, sich regelmäßig zu treffen und sich in der Kirchengemeinde zu engagieren.“

Fritz möchte diesen Charakterzug in Zukunft noch mehr und effektiver und im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Lebensbereiches nutzen.

„Von weitem sieht er einen Mann und eine Frau heftig streiten. Er bleibt stehen und beobachtet die Szene ängstlich und gleichzeitig fasziniert.“

Das Paar ist etwas an Fritz, das er weniger gut kennt, angedeutet durch das Beobachten aus der Ferne. Das Paar entspricht einer spannungsvollen Seite in ihm, denn es sind zwei Personen, unterschiedlichen Geschlechts, die miteinander streiten. Der Streit, die Angst und die Faszination deuten darauf hin, dass viel Energie im Spiel ist.

„Er folgt den beiden und kommt auf ihrer Spur in ein altes Haus.“

Die Spur des Paares führt Fritz in ein altes Haus. Intrapsychisch gedeutet kann das eine zurückliegende Geschichte sein oder Gefühle, die Fritz schon lange mit sich herumträgt.

„Dort trifft er auf eine Frau, […], einen Zuhälter […] und einen Lehrer.“

In diesem Haus trifft Fritz drei weitere Personen, das heißt, Fritz hat neben dem versöhnlichen und explosiven mindestens drei weitere Persönlichkeitsanteile.

350

Materialanhänge

„Dort trifft Fritz auf eine Frau, die gelangweilt in ihrem Garten Unkraut zupft. […] Als er die Frau sieht, wird ihm sehr schwer ums Herz.“

Zu Fritz gehört eine gewisse Langeweile, kombiniert mit Traurigkeit. Diese Langeweile kann man in Zusammenhang setzen mit seinem starken versöhnlichen Anteil, der im Bild gesprochen alles Konflikthafte und Spannende wie Unkraut auszupft.

„Er trifft einen Zuhälter, der rauchend an einem Tisch sitzt. […] Den Zuhälter findet er primitiv und strebt von ihm weg.“

Dadurch, dass ein Zuhälter etwas mit Gewalt, Macht über andere und käuflicher Sexualität zu tun hat, ist dieser Anteil der Ausgleich für Fritz’ nette, harmonieliebende und öffentliche Seite. Dass Fritz den Zuhälter primitiv findet, zeigt, dass er diese Seite bisher nicht allzu sehr ausgelebt hat.

„Fritz trifft einen Lehrer, der seine Schüler sucht. […] Dem Lehrer will er gerne helfen.“

Den Lehrer ohne Schüler, dem Fritz helfen will, kann man so deuten, dass er sich jemanden wünscht, dem er etwas weitergeben oder beibringen kann.

Stellen- und Sachregister

Stellenregister Altes Testament (LXX / MT)  Gen 1: 49, 54 1–2: 49, 192–196 1–5: 48 1–11: 196 1,1: 51, 138, 195 1,1–2,3: 49, 51–55 1,1–2,4a: 194 f., 329 1,1–2,25: 48, 61 1,7: 194 1,16: 194 1,21: 194 1,22: 195 1,25: 194 1,26: 194 1,26 f.: 53 1,27: 194 f. 1,28: 53, 92, 195 2–3: 262 2,1: 195 2,1–3: 51 f. 2,2: 195 2,2 f.: 195 2,3: 51 2,3 f.: 49 2,4a: 49, 51–55, 194 f. 2,4b: 50–53, 194 f. 2,4b–24: 194 f. 2,4b–25: 52, 61 2,4–26: 55 2,4–4,26: 52, 55 2,5: 49, 51 2,5–25: 49 f. 2,7: 194–196 2,8: 194–196 2,17: 196

2,19: 194 f. 2,21–23: 66, 329 f. 2,22: 194–196, 329 2,23: 329 2,23 f.: 196 3,1–24: 53 4: 31–34 4,1–16: 53 4,3–8: 31–34 4,3: 33 4,4: 33 4,5: 33 4,7: 32–34 4,8: 33 4,17–26: 53 4,25: 53 4,25 f.: 55 5,1: 50, 52 f., 55 f. 5,1 f.: 54 5,1–3: 51, 54 5,1–23: 55 5,1–32: 52 5,2: 53 5,3: 53 f. 6,1: 50 6,1–9,19: 290 f. 6,9: 51 f. 6,19 f.: 189 7–9: 196 7,2: 189 f. 7,8 f.: 189 7,10: 50 8,21: 292 9: 92 9,1: 92 10: 88

11: 86, 92 11,1: 89 11,1–4: 89 11,1–9: 87 f., 90, 312, 333 11,2: 89 11,2–4: 89, 92 11,3: 89 11,3 f.: 89 11,4: 88 f. 11,5: 88 f. 11,5–8: 89, 92 11,5–9: 89 11,6: 89 11,6 f.: 89 11,7: 89 11,8: 89, 92 11,9: 89 11,10–32: 88 12: 161–164 12,10: 163 12,10–12: 166 12,10–20: 162 12,10–13,1: 162 12,16: 163 18,1–16: 145 20: 161 f., 166 20,1: 161, 163–165 20,1–18: 161 f. 20,1–21,34: 165 20,6: 163 20,7: 163 20,9: 163 20,11: 163 20,17: 163 20,18: 165 21,22 f.: 163

352

Stellen- und Sachregister

21,22–34: 161 f., 166 21,23: 163 21,25–32: 163 21,26: 163 21,27: 163 21,28–30: 163 21,31: 163 21,31–34: 165 21,32: 163 21,34: 161, 163 22,23: 164 22,34: 164 26: 161–163, 166 26,1: 163 26,28: 163 26,31: 163 38: 265 49,11: 251 Ex 1–15: 228 3: 55 14,10: 227 14,13: 227 14,15–31: 223, 225–229 14,16: 227 14,17: 227 14,18: 227 14,19 f.: 226 14,21: 226 f. 14,22: 227 14,23: 227 14,24: 226 14,25: 226 14,26: 227 14,27: 226 f. 14,28: 227 14,29: 227 14,30: 227 14,31: 227 23,32: 164 34,12: 164 Lev 19,18: 232

Dtn 1,1–3: 311 1–4: 309 4: 311 f. 4,1 f.: 309, 311 4,2: 310 4,13: 310 4,40: 309, 312 4,46: 275 5,1: 275 7,1: 275 7,1–11: 273, 275 f. 7,2: 164, 275 7,3 f.: 275 7,4: 275 f. 7,6: 275 f. 7,7–10: 276 7,8: 275 7,9: 275 7,11: 276 7,17: 275 31,9: 310 31,9–13: 311 31,11: 311 31,24: 310 Jos 2: 265, 283 2,11: 279 6,17: 265 6,25: 265 Ri 19,30: 134 Rut 1–4: 265 1 Sam 1,7 f.: 41 1,9–15: 41 1,15–18: 41 2,35: 255 3,8: 134 3,19 f.: 255

7,15: 255 9 f.: 125 9,1: 124 10,23 f.: 124 16: 125, 261 16,6 f.: 124 16,12: 124 16,18: 262, 342 17,34–36: 342 17,50: 262, 342 18,27: 262, 342 24,10–16: 342 2 Sam 1,26: 343 7: 251 11: 123 f., 129, 343 11 f.: 140 12: 137 12,1–16: 139 12,4: 139 12,5: 139 12,7: 139 12,9: 139 12,10: 139 12,11: 139 12,15 f.: 139 12,16: 140 12,20: 139, 140 14,25: 124 15: 125 16,21–23: 343 1 Kön 1: 121, 123–125, 131, 340 1,1: 123 1,4: 123 1,6: 124 1,9: 124 1,15: 123 1,24–27: 124 1,25: 124 1,46: 125 1,49: 125 1,50: 125

Stellen- und Sachregister

1,51: 125 2: 126, 261 16,29–31: 283 19: 187 21: 283 1 Chr 28,18: 242 29: 125, 131 Esr 1: 165 Est 3,6: 134 5,3: 128 5,6: 128 7,2: 128 Ps 23: 76, 78 23,2: 77 23,3: 77 23,4: 77 23,5: 77 f. 23,6: 77 f. 51: 137, 140 51,1–16: 139 51,3: 140 51,8: 140 51,16: 140 58: 42 f. 58,2: 42 58,8: 42 f. 58,10: 42 f. 74: 140 138: 86 f., 90, 92, 334 f. 138,1 f.: 91 138,1–3: 90 f. 138,2: 91 138,2 f.: 91 138,3: 91 f. 138,4–6: 90 f. 138,5: 90 f. 138,6: 90 f.

138,7: 90–92 138,7 f.: 91 f. 138,8: 91 f. 138–145: 90 Sir 49,8: 242 Jes 1,4: 209 5,8: 209, 211 f. 5,8–10: 211 5,8–24: 210, 212 f. 5,9: 212 5,9 f.: 211 f. 5,11: 209, 211 5,11–13: 211 5,12: 211 5,12 f.: 211 5,13: 211 f. 5,14–17: 211 f. 5,18: 209, 211 5,18 f.: 211 5,19: 211 5,20: 209, 211 5,21: 209, 211 5,22: 211 5,22 f.: 209 5,22–24: 211 5,23: 211 5,23 f.: 211 5,24: 211 f. 10,1: 209 10,1–3: 211 29,15: 209 30,1: 209 31,1: 209 45,9: 209 45,10: 209 Jer 22,13 f.: 209 23,1: 209, 243 23,1–8: 241 f. 23,2: 243

23,3: 243 23,4: 242 f. 23,5 f.: 242 29,7: 165 36,1–4: 310 36,23–32: 310 Ez 34: 240–244 34,1–10: 240, 242 34,2: 209 34,2–4: 243 34,5: 243 34,6: 243 34,11–16: 240 34,13: 243 34,14: 243 34,15: 243 34,17–24: 240 34,23: 243 34,23 f.: 243 34,29: 240 34,30 f.: 242 Dan 7: 233 Hos 6,6: 183 Am 5,18: 209 6,1: 209 Jona 1: 105, 109, 112, 149 2: 108, 149 3: 105, 109, 111 f., 149 4: 105, 111 f., 149 Mi 2,1 f.: 209 Nah 3,1: 209

353

354

Stellen- und Sachregister

Hab 2,6–19: 209

Zef 3,1: 209

Sach 2,5–9: 242 9,9 f.: 251 f.

8,13: 199, 201 9,1–8: 184 9,9: 181 9,9–13: 180, 341 9,11: 183 9,14–17: 185 10,3: 186 11,21: 209 14,22–33: 180 15,21–28: 278 15,29: 280 19,16: 232 19,16–30: 230 f. 19,17: 232 19,19: 232 19,21: 232 19,27: 232 19,28: 231 f. 19,29: 233 27,25: 283

2,10: 215–217 2,10 f.: 215 2,12: 215 2,13: 183, 185 f. 2,13 f.: 181 2,13–17: 180, 184, 341 2,14: 181 f. 2,15: 181–185 2,16: 182 f., 185 2,17: 182 2,18–22: 185 3,1–6: 58, 151, 213 3,5: 134, 280 3,7–12: 58, 61 3,7–4,9: 57 3,13–19: 58, 61 3,20: 58 3,20–30: 58 3,20–35: 59, 61, 151 3,21: 58, 60 3,22: 58 3,22–30: 56, 58, 61 3,23–29: 58, 60 3,24–29: 59 3,27: 60 3,30: 58 3,31: 58, 60 3,31–35: 58–61 3,32–35: 60 4,1 f.: 58 4,1–6,56: 150 4,2: 58 4,26–29: 177 4,35–41: 151 5: 59 5,1–20: 151

Neues Testament  Mt 1,1: 95 f. 1,1–17: 93 f., 264, 336, 344–346 1,2: 95 1,2–16: 95 1,2–17: 95 1,3: 95 1,5: 95 1,6: 95 1,11: 95 1,11 f.: 95 1,16: 95 1,16 f.: 95 1,17: 95 f. 1,18: 95 3,1–6: 315 3,1–17: 313 f. 3,7–9: 315 3,10–12: 315 3,11: 316 3,13: 315 3,14 f.: 315 3,16: 316 3,16 f.: 315 f. 3,17: 316 4,1–11: 188 5,48: 232 8,1–13: 200 f. 8,5–13: 197–199 8,8: 201 8,10: 198 f. 8,10 f.: 198 f. 8,10–13: 199 8,11: 198 f. 8,11 f.: 199 f.

Mk 1,1–3,35: 150 1,1–11,1: 150 1,4–13: 151 1,9–11: 151 1,12 f.: 188 1,14–4,34: 151 1,21–34: 151 2,1–4: 215, 217 2,1–12: 151, 184, 213 f., 216 f. 2,5: 215 2,5–10: 215 2,6 f.: 134 2,6–8: 215, 217

Stellen- und Sachregister

5,21–43: 113–116, 151, 213 5,34: 116 6: 114, 126 6,1–13: 151 6,14–29: 151, 304, 318 6,17–29: 127, 129, 131 6,17–44: 127 6,19: 128 6,20: 128 6,21–29: 129 6,22: 128 6,26: 128 6,30 f.: 151 6,30–44: 127 6,32–44: 151 6,45–52: 151, 180 6,53–7,23: 151 7,1–9,50: 150 7,24: 279 7,24–30: 151, 270, 277 f. 7,25: 278 7,26: 279 7,27: 279 f. 7,28: 270, 278 f. 7,29: 280 7,31: 151 7,31–8,9: 151 8,10–12: 151 8,13–21: 151 8,22–26: 151 8,27–9,1: 151 9,2–8: 151 9,9–29: 151 9,30–32: 151 9,33–50: 151 10,1–45: 151 10,1–11,1: 150 10,17: 232 10,17–31: 231 10,21: 232 10,28: 232 10,30: 233 10,41–45: 26, 283 10,46: 250 10,46–52: 117, 151

11,1: 248 11,1–10: 151 11,1–11: 245, 247–250, 252–254 11,1–25: 252 11,7: 249 11,8: 249 11,9: 249 11,9 f.: 249 11,11: 151, 249 f., 252 f. 11,12–25: 245 11,27–33: 280 14: 141 14,66–72: 143 Lk 1–2: 255 1,1–4: 132, 311 1,3: 136 1,3 f.: 136 1,46–55: 103 1,80: 136 2,1: 45 2,52: 136 3,1 f.: 136 3,2: 45 3,38: 99 4,1–13: 188 5,1–11: 185 5,17–26: 184 5,27: 181, 183 5,27 f.: 181 5,27–32: 180, 187, 341 5,31: 182 5,33–39: 185 6,24–26: 209 7,1–10: 199–201 7,6 f.: 201 8,27: 136 10,13: 209 10,25–37: 255 10,38–42: 68, 331 f. 10,40: 68 f. 10,41: 69 10,42: 70

13,28 f.: 200 f. 15,1: 298 15,11–32: 294 f. 15,12: 297 15,12 f.: 295 15,12–15: 296 15,13: 296 15,14: 298 15,15: 296 15,16: 296–298 15,17–19: 296 15,19: 297 15,20: 297 15,21: 296 15,22: 297 15,23: 297 15,25: 296 15,28: 297 15,28–30: 297 15,29: 297 15,29 f.: 296 15,30: 298 f. 15,31 f.: 297 22,28–30: 231, 233 22,30: 233 Joh 1,1–18: 54 4–7: 191, 201 4,4–42: 279 5,1: 190 5,14: 190 5,16: 190 6,1: 189 9: 216 10: 242, 244 10,1–16: 242 10,9: 243 10,10: 243 10,12: 243 10,14: 242 10,16: 243 f. 20,1: 202 20,1–18: 202 20,2: 202

355

356

Stellen- und Sachregister

20,2–10: 202 20,11: 202 20,11–18: 202 20,17 f.: 202 Apg 16,10–17: 136 18,2: 40 20,5–15: 136 21,1–18: 136 27,1–28,16: 136 Röm 1,11: 171 2,20 f.: 171 3,21–26: 26, 255 8,31–39: 79 f. 8,31: 80 f. 8,32: 80 8,33: 80 8,33 f.: 80 8,34: 80 f. 8,35: 80 f. 8,35–37: 81 8,36: 80 8,37: 80 f. 8,37–39: 81 8,38: 80 8,38 f.: 80 f. 8,39: 80 f. 11,13: 171 12,1: 171 12,1 f.: 169 12,3: 169–172 12,3–6: 171 12,3–8: 167, 169 12,4: 170 12,4–8: 169 f. 12,6: 170 f.

12,6–8: 170 f. 12,7: 170 f. 12,8: 170 f. 12,9–21: 169 15,4: 171 15,25: 171 15,31: 171 16,1: 171 16,1 f.: 171 16,3 f.: 40 16,7: 35–40 16,15: 40 1 Kor 4,16: 156 7: 97 8: 93 f., 96 f., 100, 337 f. 8,1: 97 f., 100 8,1–3: 97 f. 8,2 f.: 98 8,3: 97 8,4: 97 f. 8,4–6: 97 f. 8,5: 98 8,6: 97 f. 8,7: 97 f. 8,8: 97 f. 8,9: 97 f. 8,9–12: 97 f., 100 8,10: 98 8,10 f.: 97 f. 8,11: 98 8,11 f.: 97, 100 8,12: 97 f., 100 8,13: 98, 100 9: 97, 100 9,5: 40 10: 100 11,4 f.: 171

12–14: 171 12,1: 156 12,28: 171 13: 100, 103 14,3: 171 14,26–33: 171 14,18 f.: 100 15,3–5: 218 2 Kor 1–9: 191 2,4: 191 9–10: 189 10–13: 191 Gal 1,1: 40 4,24: 134 Eph 1,3–14: 103 4,28: 171 Phil 2,5–11: 218 1 Thess 2,8: 171 5,12: 171 Phlm 1–25: 101 f. Offb 1: 141 1,9–11: 144 18,10: 209

Stellen- und Sachregister

357

Sachregister Abschlusssitzung: 277, 319–323 Adressat: 45, 80, 84, 154, 157 f., 170, 184, 210–212, 237 f., 247, 254, 279 Adventus: 245–254 Ätiologie: 92, 163, 312 Aha-Effekt: 83, 240, 278 Aktantenanalyse: 25, 104– 117, 119–121, 123, 125 f., 213, 215, 313 Aktualisierung: 54 f., 237 f., 254, 303, 317 Alltag: 76, 118 f., 122, 130, 133, 154, 179, 230, 269, 285, 302, 309 Allusion: s. Anspielung Altertumswissenschaft: 255 Analogieschluss: 82, 86, 225, 320 Analyse im Filmblick: 135, 305, 308, 314, 316 Anspielung: 160 f., 237, 242, 244, 248, 250, 303 Apologie: 216 f. Apophthegma: 182, 215, 217 Apostel: 35–41, 97 f., 100, 127–129 Arbeitsauftrag: 26, 41, 57, 88, 90, 94, 96 f., 148, 183, 314, 325 Arbeitsblatt: 47, 57, 87 f., 94, 138 f., 142, 162, 180, 196, 199–201, 226, 231, 260, 262, 265, 314, 347 Archetyp: 285, 288 f., 301 Archäologie: 165, 255, 271 Architektur: 86, 93 f., 193, 220, 238 Argumentative Texte: s. Diskursive Texte Atlas: 150

Aufbauendes Lernen: 15, 240 Aufgabenstellung: s. Arbeitsauftrag Ausgangstext: 29, 41 Auswertungsgespräch: s. Feedback Autor: 22–24, 28, 44 f., 84, 132–134, 136, 146, 153, 158, 186, 205, 234, 236 f., 254, 258, 266, 271, 279, 283, 301, 309 f., 312 Baron von Münchhausen: 132 f. Bauwerk: s. Architektur Bechdel-Test: 267 Beamer: s. Visualisierung Befreiungstheologie: 272 Bekenntnis: 81, 91 f., 138, 178, 218, 337 Berufungsgeschichte: 84, 109, 182, 186 f., 341 Bewerbung: 203 Bewertungskriterien: 325 f. Bibelgruppe: 43 Bibelkunde: 121, 127 Bibelübersetzung: 34–37, 43, 63–72, 178, 181 Biblische Sprachen: 28–30, 32, 35–39, 42 f., 63, 66, 69, 71, 77, 114, 181, 188, 245– 247, 276, 310, 328 f. Bild: 28, 31, 129, 148, 166, 188, 193, 224, 239–241, 245–247, 252, 274, 288, 291, 302, 320 Bildvergleich: 188, 240 Bingo: 290 f., 347 Bologna-Prozess: 10 f. Bottom-Up-Prozess: 209 Brandenburger Tor: 148

Brief: 26, 102, 203, 214, 219 Bruch: 24, 44–46, 49, 51, 190, 192, 194, 198, 216 Buchdruck: 28 Bündelargument: 29, 61 Bukolik: 240 Chaosinterview: 20 Charakterisierung: 33, 45, 49, 113, 116, 118–131, 135– 137, 139, 158, 160, 174, 184, 273, 339 f. Chiasmus: 51, 96 Chorschluss: 45 Christologie: 60, 98, 100, 129, 240–244 Cliffhanger: 187 Collage: 57 Comic: 64 f., 265, 291, 313 Computer: s. Visualisierung Computerspiel: 304 f., 312, 318 Darstellung: s. Visualisierung Dekonstruktivismus: 259 Detektiv: 197 f., 200 Diachronie / Diachron: 15, 19, 23, 49, 62 f., 155, 161, 166, 192, 207, 222, 247, 255, 259, 294 Diasporajudentum: 159, 165 f. Didaktik: 14–16 Differenzierungsvermögen: 196 Diskursive Texte: 85, 87, 94, 97, 137, 144, 155–159, 169–174 Diskussion: 9, 13, 21, 65 f., 70, 82 f., 88, 99 f., 116, 123,

358

Stellen- und Sachregister

126, 139, 142, 152, 197, 209, 229, 235, 243, 265, 269, 277 f., 281, 299–301, 310, 314, 317, 322 Doppelung: 170, 190, 192, 195, 198, 211, 225 f. Drama: 318 Drehbuch: 145, 313 f. Eigenständigkeit: 9 f., 12, 64, 105, 196, 200 f., 218, 227, 262, 291 Einleitungsvorlesung: 85, 99, 228 Einleitungswissen: 47, 56, 167 Einstiegssitzung: 19–26, 319 Einzelarbeit: 14, 174, 181, 240, 278 Elementarisierung: 154, 173 Epigraphik: 241, 255 Ergebnissicherung: 16, 48, 87, 92, 99, 227, 319 Erpresserbrief: 203 Erzähler: unzuverlässiger: 132 f., 135 f. zuverlässiger: 120, 132 f., 135 f. Erzählfigur: 104, 110, 120, 161, 188, 202, 289 Erzählinstanz: 120, 135, 143, 186 Erzählperspektive: 25, 132– 145, 157 Erzählsituation: 33, 133– 135, 143 Erzählstoff: 144, 188, 191, 204, 216, 221, 230, 303, 312 Erzähltheorie: 121, 126 Eschatologie: 232 f., 243 Essay: 277, 324 f. Ethik: 100 f., 230–233, 274

Evaluation: 319, 322, 327 Exegetische Kompetenz: s. Kompetenz Exil: 92, 95, 160, 211, 240, 244, 265, 271 Exorzismus: 58–61, 279 Fachwissen: 9–13 Farbstifte: s. Visualisierung Feedback: 326 f. Feministische Exegese: 25, 258–267, 272, 342–346 Film: 26, 72, 117, 131, 135, 153, 184, 267, 283, 304 f., 307, 313–317 Flasche: 218 f. Flyer: 214 Fokalisierung: s. Erzählperspektive Formgeschichte: 203–207, 209, 213, 216–218, 223 Forschungsgeschichte: 10, 14, 191 f., 201, 204 Foto: 148, 193, 230 Frau / Weiblichkeit: 25, 35–41, 53, 64–71, 95, 99, 113–116, 125, 128, 135, 162, 194–196, 258–267, 269 f., 278–281, 283, 287, 299 Freiarbeit: 141 Freiheitsstatue: 148 Fürstenspiegel: 131 Fundamentalismus: 323 Gallery Walk: 125 Gastfreundschaft: 69 f., 78 Gattungskritik: 24, 26, 84, 98, 122, 137, 144, 168, 203– 219, 222 f., 230, 234, 264, 270, 304, 318 Gebet: 91 f., 140, 160, 163, 165, 204, 316, 318, 334 f. Geburtskirche von Bethlehem: 202

Gedankenexperiment: 140, 149 Gedicht: 23, 25, 67, 71, 86, 102 f., 240 Gematrie: 265 Gender: 25, 39, 258–267 Genealogie: 54 f., 94–96, 99, 165, 264–266, 336, 344–346 Geographie: 148–150, 165, 274, 280 Geschichtswissenschaft: 191, 255 Gesprächsmaxime: 156 Gleichnis / Parabel: 58 f., 84, 136, 139 f., 204, 206, 214, 255, 294–300 Gliederung eines Textes: 24, 44 f., 47–49, 55–57, 59, 61 f., 75, 82, 84–103, 147, 150, 193, 197, 208, 264, 333–338 Gottesbezeichnung: 33, 66, 194, 196 Gottesherrschaft: 60, 252 f. Graffiti: 193 f., 224 Graphik: s. Visualisierung Griechisch: s. Biblische Sprachen Gruppenarbeit: 14, 37, 51, 57, 65 f., 87 f., 94, 122 f., 139 f., 150, 162, 193 f., 198, 210, 214, 228, 231, 240, 242, 247, 265, 275, 277 f., 292, 295, 309 f., 313 f., 320 f. Gruppenmix: 214 Gruppenpuzzle: 129, 141, 214, 226, 320–323 Gunkelfragen: 206 Gutachten: 326 Handlungskompetenz: s. Kompetenz Handlungssequenzanalyse: 107 f., 245, 247

Stellen- und Sachregister

Handschrift: 23, 29, 36 f., 39, 41, 48 Handschriftenkollation: 36 Harry Potter: 105–107, 109, 148, 313 Hausarbeit: 197, 324–326, 328 Hausaufgabe: 99, 290 f., 295 Hebräisch: s. Biblische Sprachen Hellenistisch-Römisch: 76, 237, 252 Hermeneutik: 11, 14 f., 41, 244 f., 260, 269, 273, 281 f., 284, 288, 293, 320, 325 f. Hermeneutik des Verdachts: 266, 280 Hermeneutischer Tanz: 267 Herr der Ringe: 148, 260, 313 Hilfsmittel: 178, 238, 247, 321 Hirte: 77, 239–245 Historische Rekonstruktion: 49, 155, 206, 238, 254 Historischer Jesus: 41, 207 Hochschuldidaktik: 9–11 Hochzeitseinladung: 204 Hunger: 129, 163, 211 f., 295 f., 298 f. Hymnus: 91 f., 218, 241, 334 f. Identifikation: 157–159, 161 f., 164 f. Ikonographie: 238–240, 245, 247, 318 Implikatur: 156 Inklusion / inclusio: 45, 49, 77, 81, 84, 87, 126, 195 Inkohärenz: 48, 190–192, 196, 199, 201 f., 220, 224, 229 Intention: 84, 120, 159, 185, 200, 231, 237, 273,

281, 301, 306 f., 312, 315, 346 Interdisziplinarität: 255, 308 Intermedialität: 135, 302– 318 Internet: 20 f., 26, 148, 179, 193, 197 f., 234, 281, 288, 302, 323 Intertextualität: 147, 255, 303–305, 317 Intramedialität: 303–305, 307, 318 Intratextualität: 310 f., 317 Ironie: 42, 158, 186, 255 Jesusüberlieferung: 204, 207 Judentum / Jüdisch: 28 f., 44, 59, 92, 99, 152, 206, 216, 237, 253, 264, 315, 346 Kamera: 135, 304 f., 313– 316 Kanon / Kanonisierung: 63, 136, 178, 188, 220, 228 f., 309 Kanonformel: 310 Karikatur: 274 Kinderbibel: 31, 34, 109, 190, 291, 318 Kirchenraum: 86 f. Kirchlicher Redaktor: 222 Klausur: 324 Kleine Einheit: 205, 211 f. Kleingruppe: s. Gruppenarbeit Klimax: 84, 195 Knotenpunktmodell: 107, 111, 114 Kölner Dom: 86 König: 50, 90–92, 95, 99, 121–126, 127–131, 165, 239–245, 251–253, 264 f., 318, 340

359

Kohärenz: 33, 44 f., 49, 61, 74, 77 f., 190 f., 196, 198– 201, 220, 222–224, 228 f. Kommunikation: 105, 135, 144, 154–157, 159, 167 f., 174, 282, 310, 322 Kompetenz: 9–12, 16, 130, 236, 319, 322, 324, 327 Kompetenzentwicklung: 10 Kompetenzorientierung: 10–12, 324 Kompositionskritik: 24, 44 f., 75, 84–103, 193, 197, 208, 264, 333–338 Kongruenz: 156 Konjektur: 42 Kontaktanzeige: 122, 126 f. Kontexteinordnung: 44–62, 193, 197 Kooperatives Lernen: 141 Kreativität: 79, 87, 102, 167, 219, 324, 326 Kultureller Code: 236, 246, 255 Kunst / Kunstgeschichte: 88, 224, 261, 288, 301 Landkarte: 149 f., 274 Latein: s. Biblische Sprachen Lebendes-Satz-Puzzle: 138 Legende: 204, 251, 285, 289 Leib: 76, 170–173 Leitfrage: 33, 46 f., 51, 97, 148, 159, 162, 168, 194, 226, 230, 238, 251 f., 278, 310, 315, 326 Lernerfolg: 10, 13, 322, 324, 326 Lernorganisation: 327 Lernprozess: 10, 12–14, 48, 214, 325–328 Lernstoppmethode: 48–55 Lernwegbegleiter: 327 f. Lernziel: 5, 11, 16, 19, 30, 46, 64, 75, 85, 105, 120,

360

Stellen- und Sachregister

137, 147, 159, 178, 192, 207, 222, 238, 259, 272, 289, 307, 319, 324–328 Lesephase: 248 Leser: 22–24, 33, 42, 45, 49, 58, 61, 66, 70, 92, 119, 125, 128, 130, 133–136, 140, 143 f., 147, 154 f., 156, 162, 164–166, 183, 186, 189, 236 f., 254, 263, 281, 301, 305, 311 f. Leserlenkung: 121, 269 Liebesbrief: 219 Lied: s. Musik Linguistische Analyse: 25, 74–83, 91, 97, 154 f., 174, 184, 193, 197, 298 Literarkritik: 24, 44, 49, 62, 82, 164, 178, 189–202, 208, 211, 213, 216, 220, 223, 225 f., 229 f., 316 Logienquelle: 24, 176, 180, 186, 188, 199–201, 231–233 Macht des Diskurses: 268– 274, 279 f. Männerforschung: 258– 260 Märchen: Aschenputtel: 57 Froschkönig: 57 Rapunzel: 108, 111, 115 Rotkäppchen: 47, 117 Sterntaler: 47, 57 Magie: 59 f. Mahl: 69, 77, 93, 96–98, 100 f., 124 f., 127–130, 182, 186 f., 250 Malerei: s. Bild Mann / Männlichkeit: 25, 36, 38 f., 48, 53, 55, 64, 66 f., 70 f., 135 f., 258–263, 267, 269 f., 279, 287, 317, 329 Masoreten / Masoretischer Text: 28–32, 42 f., 44

Medienkombination: 304, 306 f. Medienwechsel: 303 f., 306, 309–311, 314, 318 Mentales Modell: 118 f. Merkblatt: s. Arbeitsblatt Messiasgeheimnis: 221 Metapher / Metaphorik: 75–78, 157, 169 f., 241, 244, 251, 258 Methodenkenntnis: 9, 12 Methodenkompetenz: 319, 322 Methodenkritik: 144, 273 Minor Agreement: 59, 177, 181, 183 Mission: 206, 216, 264, 275, 280 f. Moderationskarte: 261 f. Modul: 15 Mosaik: 246, 320 Motivation: 9, 12–14, 19, 320 Motivinventar: 241, 243, 250 Motivkritik: 24 f., 75, 99, 125, 147, 206, 222 f., 230, 233 f., 236–255, 273, 304, 317 Mündliche Prüfung: 324 Mündlichkeit: 204–209, 263 f., 311, 318 Münze: 245–247, 252 f. Museum: 224 Musik: 127, 129, 131, 206, 208 f., 288, 314, 316 Narrative Texte: 85, 87, 94, 137, 155–159, 161–166, 174, 318 Narratologie: 104–174, 213, 313 Numismatik: 255 OHP-Folie: s. Visualisierung

Oper: s. Musik Oper von Sydney: 148 Opfer: 32 f., 76, 96–98, 100, 186, 250–253, 293, 337 f. Oralität: s. Mündlichkeit Papyrologie: 255 Papyrus: 28 f., 36, 44 Parallelismus: 45, 49, 78, 84, 210 Parallelismus membrorum: 77, 210 Paronomasie: s. Wortspiel Partnerarbeit: s. Gruppenarbeit Peer-Review-Verfahren: 322 f. Pentateuch: 47, 49, 53, 164– 166, 191, 203, 222, 229 Pergament: 28, 36, 44 Peri-basileias-Literatur: 131 Perikope: 205 Periphrase: 75 f., 78 Perserzeit: 165 Persuasion: s. Überzeugungsstrategie Petersbasilika: 86 Pizzaservice: 214 Plädoyer: 82 f. Plagiat: 179 f., 197–200 Plakat: s. Visualisierung Plausibilität: 41, 189, 201, 326 Plenum / Plenumsgespräch: 14, 37, 49, 52, 57–59, 65–68, 76, 82, 87 f., 90, 92, 94 f., 97, 99, 109, 111, 122 f., 139, 143, 149, 151, 163, 173, 182, 184 f., 195, 197, 199, 210 f., 216, 224, 227 f., 231, 235, 241, 243, 248, 250–252, 261– 263, 265, 278, 292, 295, 299, 310, 312–315, 322

Stellen- und Sachregister

Pluralität: 26, 178, 188 Podcast: 168 Politik / Politiker: 60, 94, 118, 124, 126 f., 131, 179, 197, 225, 237, 253, 255, 267, 272, 274 Portfolio: 324–326 Postkoloniale Exegese: 25, 259, 266, 268–283 Postkoloniale Theorie: 268–273 Pragmatik: 78, 84, 87, 237, 253 f. Pragmatische Analyse: 84, 113, 116, 119, 126, 130, 137, 154–174, 269, 273, 321 Predigt: 26 Problemorientierung: 12 Prolog: 54 f. Prophet / Prophetie: 109, 114, 124, 128, 149, 163 f., 170 f., 173, 186 f., 204, 206, 209–214 Prüfung: 324–328 Prüfungsform: 322, 324– 328 Prüfungsrelevanz: 13 Puzzle: 295, 348–350 Pyramiden-Methode: s. Schneeball-Methode Q: s. Logienquelle Quellenscheidung: 196, 200, 203, 226 Quiz: 76, 127, 218 f., 239, 323 Rätsel: s. Quiz Raster: s. Visualisierung Raum: 50, 69, 86 f. Raumkonstruktion: 146– 153 Reader-Response-Criticism: 282

Redaktion: 24, 49, 62, 165, 177, 183, 185 f., 201, 213, 217 Redaktionskritik: 24, 139, 184, 186 f., 190, 196, 200 f., 205, 210, 212, 220–235, 269 Redenstoff: 204, 216 Referat: 326 Reflektorfigur: 134, 143 Reine Form: 205–207, 210, 212, 214 Relevanz: 13, 320 Religionsgeschichte: 237 f., 247, 254, 271 Repetition: 14 Re-Reading: 277 Re-Writing: 277 Rezeption / Rezipient: 15, 38 f., 88, 108, 119, 121, 129, 155–157, 159, 166, 180, 236 f., 242, 254, 271, 276, 280, 282 f., 303, 306 f., 312, 314, 317 Rhetorik: 82, 139, 158, 161, 167, 169–171, 173, 269, 273, 276, 279, 283 Rhetorische Frage: 80 f., 98 Roman: 133 f., 192, 304 Satzart: 79 f., 156 Schachteltechnik / Sandwichtechnik: 59 f., 88 Schere: 193, 196 Schneeball-Methode: 209, 234 Schöpfungsgeschichte: 47–56, 98, 100, 192–196, 312 Schriftgelehrter: 58–61, 134, 182, 184, 186, 215, 280 Schulgespräch: 214 Scrabble: 65 Segen: 50, 53–56, 195, 240 Sekundärliteratur: 82, 85, 95, 99, 201, 238, 321, 326

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Semantische Analyse: 25, 74–80, 82, 184, 236 Semantische Opposition: 74–76, 80, 97, 148, 170 f., 271, 275 Seminarraum: 68, 80, 117, 193 Semiotik: 236 f., 254 Septuaginta: 28–34, 38 Sicherung: s. Ergebnissicherung Sintflutgeschichte: 53, 189– 191, 196, 289–282 Sitz im Leben: 43, 173, 203–219, 223, 318 Sitzordnung: 20, 226 Sklave / Sklaverei: 101 f. Skriptorium: 41 Sozialgeschichte: 174, 237, 247 Sozialisation: 76 Soziologie: 206 Spielzeug: 220, 260 Sprechstunde: 328 Spruchquelle: s. Logienquelle Stadtplan: 93 Stammbaum: s. Genealogie Steckbrief: 131 Steuerbescheid: 204 Stilmittel: 75, 78, 80, 134, 216 Streitgespräch: 50, 182, 204, 206, 213–217 Sünde / Sündenvergebung: 33, 100, 163, 182–187, 215– 218, 253, 266, 298, 346 Summarium: 45, 58, 61 Symbolik: 241, 246, 294, 299 Synchronie / Synchron: 15, 19, 23, 44, 49, 55, 62 f., 136, 140, 155, 161, 164, 222, 247, 259 f., 282, 294

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Stellen- und Sachregister

Synopse: 178–180, 184, 199, 341 Synoptische Evangelien: 113, 176 f., 205, 213, 221 f., 224 Synoptische Frage: 41, 176–179 Synoptischer Vergleich: 24, 162, 176–188, 197–203, 213, 230 f., 234, 304, 317, 341 Syntaktische Analyse: 25, 44–46, 74 f., 79–82, 97 Tabelle: s. Visualisierung Tafel: s. Visualisierung Tempel: 77 f., 98, 125, 190, 206, 210, 213, 245, 249–253 Textabgrenzung: 23 f., 44–62, 84–86, 88, 93–96, 182, 193, 197, 321 Textkritik: 23, 28–43, 76 Textkritischer Apparat: 30, 37 Theater: 304 Themenspeicher: 187 Tiefenpsychologische Exegese: 284–301, 347–350 Todesanzeige: 122, 219 Toledot-Formel: 49, 51–55 Top-Down-Prozess: 214 Tora: 128, 276, 311 Totenerweckung: 116 Tradition: 28 f., 39, 99, 121, 123–125, 188, 205–209, 213 f., 217 f., 221 f., 236 f., 241, 255 Traditionskritik: 271, 273 Tränenbrief: 191 Trailer: 117, 313

Transfer: 12, 82 f., 94, 262 f., 326 Transformation: 238, 254 Transmedialität: 303, 305 Transparenz: 13, 34, 194, 225 Traum: 284 f., 294 f., 348– 350 Trikolon: 84 Tuschelphase: 23, 251 Überlieferung: 25, 29, 41, 48, 131, 176, 191, 204–208, 211–213, 216–218, 221, 223, 234, 310 Überlieferungsgeschichte: 206 f., 211–213, 217 f., 223, 309–311, 317 Überlieferungskritik: 210, 230 Überschrift / Überschriftenredaktion: 49, 55, 77, 88, 90 f., 95, 97, 186, 234 Übersetzungsvergleich: 63–72, 181, 329–332 Überzeugungsstrategie: 156, 158, 167–170 Übung: 76, 82, 295, 323, 328 Urtext: s. Ausgangstext Vernetztes Denken: 12 Visualisierung: 9, 14, 22 f., 48, 58, 66, 70, 79 f., 82, 88, 90, 93, 95, 97, 106–114, 122 f., 127, 138, 148, 180, 182, 227, 231, 239, 242 f., 245–247, 251, 261, 274, 278, 291, 298, 309, 314, 339 f., 348

Vortrag: 13, 38, 48–55, 171, 225, 228 Vorwissen: 20, 31, 78, 87, 94, 99, 123, 245, 307, 313 Vulgata: 44 Wahlkampfplakat: 234 Wahrheit: 133, 302 Wahrscheinlichkeit: 29, 37, 39 Weheruf: 209–212 Weisheit: 206 Werbung: 72, 99, 168 f., 214, 255 Werkzeug: 21 f., 213 Wirkungsgeschichte: s. Rezeption Word Cloud: 82 Wortart: 79 f. Wortfeld: 25, 74–78, 81 f., 97 Wortspiel: 66, 171 f., 329 Wundergeschichte: 84, 116, 136, 185, 189, 204–206, 213–217, 225 f., 253, 270 Zäsur: 45, 80, 195 Zeitgeschichte: 119, 121, 127, 226–228, 237 f., 247, 254 Zeitleiste: 58–60 Zeitmanagement: 41, 66, 77, 79, 82, 142, 168 f., 181, 195, 214, 218, 227, 233, 254, 262, 276, 317, 322 Zeitung: 122, 203, 230 Zitat: 66, 80 f., 183, 186, 237, 269 f., 274 f., 303 Zwei-Quellen-Theorie: 24, 176–180, 197–200, 203, 230 f.

Die Autorinnen und Autoren

Stephanie Feder Stephanie Feder (geb. 1979); Dipl.-Theol.; hat Methodenseminare an der Universität Münster geleitet und ist derzeit Referentin in der Weiterbildung für Pastorale Dienste im Erzbistum Köln. Kontakt: [email protected] Anne Kruse Anne Kruse (geb. 1977); Dipl.-Theol.; hat in ihrer Diplom-Arbeit die biblische Sintfluterzählung tiefenpsychologisch gedeutet und hierfür 2009 den Maria-Kassel-Preis der Westf.-Wilhelms-Universität Münster erhalten; sie arbeitet zur Zeit als Klinikseelsorgerin in einer Fachklinik für Naturheilverfahren und macht eine Ausbildung in analytischer Psychologie im C.-G.-Jung-Institut Zürich. Kontakt: [email protected] Markus Lau Markus Lau (geb. 1977); Dr. des. theol.; hat Methodenseminare an den Universitäten Münster und Freiburg (Schweiz) verantwortet und arbeitet gegenwärtig als Ober­ assistent am Departement für Biblische Studien der Universität Freiburg (Schweiz). Kontakt: [email protected] Hanna-Maria Mehring Hanna-Maria Mehring (geb. 1982); Lic. theol.; hat Methodenseminare an den Universitäten Münster, Augsburg und Wien geleitet und arbeitet gegenwärtig als Universitätsassistentin am Institut für Bibelwissenschaft (Neues Testament) der Universität Wien. Kontakt: [email protected]

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Die Autorinnen und Autoren

Nils Neumann Nils Neumann (geb. 1975); PD Dr. phil.; hat an der Universität Kassel Methodenseminare geleitet und arbeitet derzeit als Lehrstuhlvertreter für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Kontakt: [email protected] Hildegard Scherer Hildegard Scherer (geb. 1975); PD Dr. theol.; nach Methodenseminaren an den Universitäten Münster, Bonn und Köln Dozentin für Neutestamentliche Wissenschaften an der Theologischen Hochschule Chur. Kontakt: [email protected] Christian Schramm Christian Schramm (geb. 1977); Dr. theol.; hat exegetische Methoden an der Universität Halle/Saale gelehrt und arbeitet gegenwärtig als Dozent für theologische Fortbildung (Schwerpunkt: biblische Theologie) am Bischöflichen Priesterseminar Hildesheim sowie als Leiter der Bibelschule in der Arbeitsstelle für pastorale Fortbildung und Beratung im Bistum Hildesheim. Kontakt: [email protected] Thimo Zirpel Thimo Zirpel (geb. 1981); Dr. theol.; unterrichtete sechs Jahre Methodenseminare an der Universität Münster und befindet sich derzeit im Referendariat für Gymnasien mit den Fächern Englisch und Katholische Religionslehre. Kontakt: [email protected]

Eine umfassende Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. Jan Christian Gertz (Hg.)

Grundinformation Altes Testament Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments UTB 2745 M In Zusammenarbeit mit Angelika Berlejung, Konrad Schmid und Markus Witte. 5., überarb. und erw. Auflage 2016. 640 Seiten mit 19 Abb. und zahlr. Tab. Paperback ISBN 978-3-8252-4605-1 Dieses Lehrbuch führt in die Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments ein und eröffnet ein vertieftes Verständnis des Alten Testaments für Studium und Praxis. Beginnend mit der Erläuterung der Quellen des Alten Testaments und der verschiedenen Methoden ihrer Untersuchung, zeichnen die Autoren Geschichte und Religionsgeschichte des antiken Israels ausführlich nach. Der zweite Teil des Buches widmet sich der Literatur des Alten Testaments: Die einzelnen Bücher werden bibelkundlich erschlossen, es werden literar- und forschungsgeschichtliche Probleme aufgezeigt und ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie ihre Theologie vorgestellt. Abschließend werden Grundfragen einer alttestamentlichen Theologie geklärt. Neben der Definition elementarer Begriffe enthält das Lehrbuch zahlreiche Tabellen, Karten, Abbildungen, ausführliche Literaturhinweise sowie ein Glossar. Das Buch trägt den vielfältigen Umbrüchen innerhalb der Forschung in den letzten Jahren Rechnung und bemüht sich erstmals um eine Synthese neuer Forschungspositionen.

Die Autorität unter den Einleitungen ins Neue Testament

Udo Schnelle

Einleitung in das Neue Testament UTB 1830 8. Auflage 2013. 638 Seiten, mit 6 Karten, kartoniert ISBN 978-3-8252-3737-0

Udo Schnelles Einleitung behandelt die Entstehungsverhältnisse der 27 neutestamentlichen Schriften und stellt die theologischen Grundgedanken jeder Schrift und die Tendenzen der neuesten Forschung dar. Darüber hinaus werden Themen wie die Chronologie des paulinischen Wirkens, die Paulus-Schule, methodische Überlegungen zu Teilungshypothesen, die Gattung Evangelium, Pseudepigraphie und das Werden des neutestamentlichen Kanons ausführlich erörtert.

Die Beiträgerinnen und Beiträger liefern ­didaktisch reflektierte, kreative und in der Praxis erprobte ­Anregungen für die konkrete Gestaltung von biblischen Methodenseminaren. Dabei nehmen sie Erkenntnisse aus der jüngsten hochschuldidaktischen Forschung auf und wenden sie auf die Durchführung der exegetischen Grundlagen-Lehrveranstaltung an. Jedes Kapitel umfasst separate Bausteine zum Alten und zum Neuen Testament, so dass sich das Buch zur Durchführung von alt- und neutestamentlichen sowie von gesamtbiblischen Proseminaren einsetzen lässt.

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-4612-9

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Lau | Neumann (Hg.)

„Das biblische Methodenseminar – Kreative Impulse für Lehrende“ ist ein Buch für Dozentinnen und Dozenten.

Das biblische Methodenseminar

Theologie | Religionswissenschaft

Markus Lau Nils Neumann (Hg.)

Das biblische Methodenseminar