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German Pages 446 Year 2002
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 52
Das Amt des Speaker of the House of Representatives im amerikanischen Regierungssystem Von
Jörg Semmler
Duncker & Humblot · Berlin
JÖRG SEMMLER
Das Amt des Speaker of the House of Representatives im amerikanischen Regierungssystem
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von
Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Bemdt Oschatz, Hans-Peter Schneider UweThaysen
Band 52
Das Amt des Speaker of the House of Representatives im amerikanischen Regierungs system
Von
J örg Semmler
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Semmler, Jörg: Das Amt des Speaker of the House of Representatives im amerikanischen Regierungssystem I Jörg Semmler. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 52) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 2001 . ISBN 3-428-10728-4
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-10728-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2001 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Ich möchte an dieser Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wemer Heun, für die Betreuung und Erstkorrektur der Arbeit danken. Zu danken habe ich für das Interesse, mit dem er dieses Promotionsprojekt von Beginn an begleitet hat. Durch seine sachverständigen und kritischen Anmerkungen haben Inhalt und Aufbau der Arbeit an Stringenz gewonnen. Bedanken möchte ich mich auch für den Zugang zu einer interdisziplinären Wissenschaftlichkeit, den er mir während meiner Zeit am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften eröffnet hat. Zu besonderem Dank bin ich daneben Herrn Privatdozent Dr. Peter Unruh für die zügige und akribische Zweitkorrektur verpflichtet. Seine kritische Durchsicht des Manuskripts hat zu segensreichen Verbesserungen der Verständlichkeit geführt. Herrn Prof. Dr. Ulrich Karpen möchte ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Beiträge zum Parlamentsrecht" danken. Der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen danke ich für die Bewilligung eines namhaften Druckkostenzuschusses. Dem DAAD habe ich für die Gewährung eines Stipendiums für einen Forschungsaufenthalt in Washington, D.C. während der Monate Februar und März 2000 zu danken. Im Rahmen dieses Aufenthalts haben mir die Gespräche mit Tom Wickham, Assistant Parliamentarian, Daniel Keniry, Senior FloOf Assistant, U.S. House of Representatives, und Prof. Paul Rundquist, Congressional Research Service, zu einem grundlegenden Verständnis des amerikanischen Parlamentsrechts verholfen. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank. Die Arbeit verdankt ihre Endfassung nicht zuletzt den kritischen Anregungen von Frau Sarah J. Weaver, die es verstanden hat, den Blick des Verfassers immer wieder für die Besonderheiten des amerikanischen politischen Systems zu schärfen. Ohne die technische Hilfe meiner Freunde Carsten Schöfer und Dipl.-Ing. Philipp Schmidt-zum Berge wäre diese Arbeit kaum möglich gewesen. Auch hierfür danke ich herzlich. Last, not least bedanke ich mich bei meiner Mutter, Jutta Semmler, für die wichtigste aller Unterstützungen. Hannover, im Februar 2002
]örg Semmler
Inhaltsverzeichnis
Einleitung.............................................................................
15
1. Kapitel
Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
17
A. Grundzüge des amerikanischen Regierungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
I. Kongreß und Präsident - die Konstellation des "divided govemment" ...... . .
17
11. Speaker und Präsident .......................................................
25
111. Speaker und Bundestagspräsident - ein Vergleich der Stellung und Funktion
29
B. Die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption - die Stellung des Kongresses im Verfassungsgefüge .............................................................
32
C. Der Senat ......... . . . . . ........ . . . . . .............. . . . ........ . . . ...... . . . ...... . ...
39
D. Das Repräsentantenhaus ........... .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich .... . .......... . ........ . ...... . .....
42
I. Allgemeines .................................................................
42
11. Die Stellung von Senatoren und Abgeordneten im politischen Prozeß ........
43
111. Die Stellung von Senatoren und Abgeordneten im parlamentarischen Verfahren ........................................... .......................... .....
47
F. Die Kompetenzen und Aufgaben des Kongresses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
6
Inhaltsverzeichnis
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens ........................................
55
1. Die Formen legislativer Entscheidungen .....................................
55
H. Das Einbringen von Gesetzesentwürfen ......................................
57
III. Die Behandlung der Gesetzesvorlagen in den Ausschüssen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
IV. Die Beratung und Verabschiedung im Plenum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
V. Die Behandlung in der anderen Kammer - Vermittlungsausschuß ............
61
VI. Die Möglichkeiten des Präsidenten und das Inkrafttreten des Gesetzes .......
61
2. Kapitel
Das amerikanische Parlamentsrecht
63
A. Bedeutung und Funktion des Parlamentsrechts ..................................
63
1. Begriff und allgemeine Bedeutung ...........................................
63
H. Besonderheiten des amerikanischen Parlamentsrechts ........................
66
B. Die "Parlamentsautonomie" des Kongresses ............ . .......... . .......... . ..
69
I. Das amerikanische Begriffsverständnis der "Parlamentsautonomie" ..........
69
H. Reichweite und Beschränkungen der Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses gemäß U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 ....................................
71
C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts ................
75
1. Die U.S.-Verfassung ........ . . . ........ . . . . . ........ . ..................... . ..
76
H. Standing Rules ..............................................................
77
III. Jefferson's Manual...........................................................
78
IV. Statutory Rules ................................................ . .......... . ..
79
V. Precedents ......... . .......... . ..................... . ........................
80
Inhaltsverzeichnis
7
1. Precedents als "case law" und "common law" des Kongresses
80
2. Arten der Precedents ..................... . ........ . ......... .. ..........
83
3. Die stare decisis-Doktrin ................................................
85
4. Bibliographische Dokumentation der Precedents .........................
90
VI. Das Geschäftsordnungsrecht der ständigen Ausschüsse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
VII. Party Rules ..................................................................
93
VIII. Informal Practices and Customs .. . . . .. . . . .. . . .. .. . .. . . .. .. . . .. .. .. .. . . .. .. . . .
94
3. Kapitel
Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
95
A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
I. Der Sprecher des englischen House of Commons ............................
98
II. Der Sprecher der Kolonialparlamente .................. . .......... . .......... 103 III. Der Präsident des Kontinentalkongresses
108
IV. Der Präsident des Verfassungskonvents ...................................... 115 B. Theoretische Konzeptionen politischer Führung bei Hamilton und Madison .... 117
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789................................... 119 I. Parliarnentary Speakership (1789 -1865)
120
11. Partisan Speakership (1866-1910) .............................. .. .......... 126 III. Feudal Speakership (1911-1961) ............................................ 139 IV. Democratic Speakership (seit 1962) .......................................... 146
D. Die Geschäftsordnungsreformen Speaker Gingrichs und der Republican Conference im 104. Kongreß - ein Überblick ........................................... 157
8
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel
Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
163
A. Die Stellung des Speaker im Vergleich zu den anderen Amts- und Funktionsträgern des Repräsentantenhauses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Die Wahlämter (officers) gemäß U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 . . . ..... .. ........ 163 I. Speaker ................. . . . ............................................. 164
a) Definition und Natur des Amtes..... ... ... . ......................... 164 aa) Verfassungsrechtliche Stellung des Amtes .. . .... .. .... ... ...... 164 bb) Präsidentennachfolge . . ........ . ................. . . . ............ 166 cc) Ausstattung und Organisation des Amtes ....................... 168 dd) Allgemeine Bedeutung und Funktionen des Speaker ........ . ... 170 (I) Die parlamentarisch-präsidiale Funktion des Speaker ... ..... 172 (2) Die partei politische Funktion des Speaker .... .. . .. .. ..... ... 175 (a) Die unterschiedliche Stellung und Funktion des amerikanischen gegenüber dem britischen Speaker . . ............ 181 (b) Gründe für das unterschiedliche Speaker-Verständnis in den USA und Großbritannien . ... .. ..... ... ..... . .. . .... 185 (3) Zum Spannungsverhältnis zwischen präsidialer und parteipolitischer Funktion des Speaker ............................ 187 ee) Bestimmungsfaktoren des politischen Führungsstils ............ 191 b) Die Wahl des Speaker . ......... .. ....... . .. . ......... . .............. 194 aa) Allgemeines. ... ... . ........ . ..... ...... ..... .. .. . . . . ...... .. . .. 194 bb) Die Nominierung durch die Fraktion . ... .... . ..... ... .......... 197 cc) Auswahlkriterien ............................................... 199 (1) Seniorität ... . . ... ............................ . .......... . ... 200
(2) Das System der Führungsämter . ........... ... ..... . .... . ... 203 dd) Der formelle Wahlakt . .. ......... .. ............. . .. . ........... 205 (1) Die Rechtsgrundlage ......................... .. ............. 205 (2) Der äußere Ablauf des Wahlvorgangs ........ . .......... . ... 206 (3) Das Wahlverfahren ............. . ........... . ............ . ... 208 (4) Die Eidesleistung .... . ...... . ... .. .... .. . .. ... . .. .. . . ... . ... 210 2. Die anderen Wahlämter des Repräsentantenhauses...... . . . .............. 212 a) Allgemeines........................ . .... . .......... . ................ 212 b) Clerk ofthe House .. . .............. .. .. .... ... .. ... . ................ 214
Inhaltsverzeichnis
9
c) Sergeant-at-Arrns.................................................... 215 d) Chief Administrative Officer ........................................ 217 e) Chaplain ............................................................ 219 11. Vom Speaker zu ernennende Beamte (officials) .............................. 220 1. Speaker pro tempore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 2. Parliamentarian . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . ... 224 3. Inspector General........................................................ 227 4. Sonstige officials ........................................................ 228 111. Die Ämter der Fraktionsführung ............................................. 229 1. Der Majority Leader. . . .. . . . . .. . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . .. 229 a) Die Stellung des Amtes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229 b) Das Amt in seiner historischen Entwicklung ......................... 231 c) Die Funktionen des Majority Leader ................................. 235 aa) Scheduling ..................................................... 236 bb) Guarding the Floor ....................... . ..................... 238 2. Der Minority Leader . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. 240 3. Die Party Whips ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242
B. Der politische Einfluß des Speaker auf die Organisationen der Repräsentantenhausfraktionen .................................................................... 249 I. Allgemeines ................................................................. 249
11. Die Einbindung des Speaker in die Fraktionsorganisation der Republikaner im Repräsentantenhaus ...................................................... 250 III. Die Einbindung des Speaker in die Fraktionsorganisation der Demokraten im Repräsentantenhaus ......................................................... , 258
5. Kapitel
Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident 263 A. Allgemeines ....................................................................... 263 B. Power of Scheduling .............................................................. 264
10
Inhaltsverzeichnis I. Überweisung von Gesetzesentwürfen an die Ausschüsse (bill referral)
267
1. Der Regelungstatbestand von House Rule XII, cl. 2 ...................... 267 2. Die Bedeutung der Ausschußüberweisung ....................... . ....... 268 II. Die vereinfachten Gesetzgebungsverfahren .......................... . ....... 270 1. Allgemeines ............................................................. 270 2. Einstimmigkeitsanträge (unanimous consent) ............................ 271 3. Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension ofthe rules) .... . .. 273 4. Der Corrections Calendar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 275 III. Der Speaker und das Rules Committee - Scheduling Major Legislation ...... 277 1. Das Verhältnis des Speaker zum Rules Committee ....................... 277 2. Die strategische Rolle des Rules Committee ............................. 287 3. Die Funktion und Arten der Special Rules ............................... 294
C. Sitzungsleitende Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 299 I. Sitzungseröffnung und Approval of the Journal .............................. 299 1. Der Regelungstatbestand von House Rule I, cl. 1 ........................ 299 2. Die Bedeutung der Protokollgenehmigung durch den Sprecher . . . . . . . . . .. 301 11. Power of Recognition ............................................ . . . ...... . .. 302 1. Der Regelungstatbestand von House Rule XVII, cl. 2 .................... 302 2. Die Bedeutung der Power of Recognition durch den Sprecher. . . . . . . . . . .. 303 III. Counting a Quorum .......................................................... 312 1. Der Regelungstatbestand von House Ru1e XX ................. . ......... 312 2. Die Bedeutung des Counting a Quorum durch den Sprecher .............. 314 IV. Order and Decorum .......................................................... 321 1. Der Regelungstatbestand von House Rule I, cl. 2 und House Rule XVII, cl. 4 ..................................................................... 321 2. Die Bedeutung der Preservation of Order and Decorum durch den Sprecher ..................................................................... 322 V. Deciding Points of Order and Answering ParJiamentary Inquiries ............ 325 1. Der Regelungstatbestand von House Rule I, cl. 5 ............ . ........ . .. 325
Inhaltsverzeichnis
11
2. Die Bedeutung des Deciding Points of Order und des Answering Parliarnentary Inquiries durch den Sprecher ................................. 327 VI. Putting Questions and Conducting Votes ..................................... 331 1. Der Regelungstatbestand von House Rule I, cl. 6 und House Rule XX ... 331 2. Die Bedeutung des Putting Questions und des Conducting Votes durch den Sprecher ............................................................ 333 D. Formale Kompetenzen ............................................................ 337 I. Appointment Power ......................................................... 337
1. Allgemeines ................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 337 2. Die historische Entwicklung der formellen Emennungsrechte des Sprechers .................................................................... 339 3. Der Sprecher und die Besetzung der conference committees
341
11. Administration of Oath ............... . ............... . ...................... 348 III. Signature of Documents ..................................................... 349 E. Parlamentarische Teilnahmerechte ............................................... 350
I. Debate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 350 11. Voting ....................................................................... 352 111. Gesetzeseinbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 355 F. Sonstige Kompetenzen des Sprechers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 355
6. Kapitel
Die Stellung des Speaker im Vergleich zu den Führungspositionen des Senats
359
A. Allgemeines ....................................................................... 359 B. Der Vizepräsident ................................................................. 361
1. Die verfassungsrechtliche Stellung des Amtes ............................... 361
12
Inhaltsverzeichnis H. Das Amt in seiner historischen Entwicklung ................................. 364 III. Die Kompetenzen des Vizepräsidenten und der anderen Senatsvorsitzenden .. 372 1. Allgemeines ............................................................. 372
2. Sitzungsleitende Kompetenzen ...... . . . ........ . . . . . ...... . . . . . ...... . .. 373 a) Power of Recognition ............................................... 373 aa) Gegenstand und Umfang der Kompetenzgewährleistung ........ 373 bb) Ermessensspie1räume der Presiding Officers .................... 374 b) Putting Questions, Answering Parliamentary Inquiries and Deciding Points of Order .............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 377 aa) Gegenstand und Umfang der Kompetenzgewährleistung ........ 377 bb) Bedeutung der präsidialen Interpretationsbefugnis für den Verfahrensablauf in Senat und Repräsentantenhaus. .. . . . . .. . . . . . . .. 378 c) Order and Decorum ................................................. 379 3. Formale Kompetenzen ................................................... 380 a) Appointment Power ................................................. 380 b) ReferralofBills ..................................................... 382 c) Sonstige formale Kompetenzen ........................ .. ............ 383 4. Parlamentarische Teilnahmerechte ... . .......... . .......... . .......... . .. 384 a) Debate .... . ......................................................... 384 b) Voting............................................................... 385 C. Der President pro tempore des Senats ............................................ 386 D. Der Majority Leader des Senats .................................................. 390
7. Kapitel
Abschließende Bemerkungen
394
Anhang I: Die Sprecher des Repräsentantenhauses ...... . . . ........ . . . ........ . . . .. 397 Anhang 11: Die institutionelle Organisation des Kongresses ......... . . . ... . . . . . . . . .. 403
Inhaltsverzeichnis
13
Verzeichnis der Quellen und Literatur . . . .. . . . . . .. .. . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . . . .. .. .. . . . .. 404 I. Gedruckte Quellen .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... 404 H. Literatur und sonstiges Schrifttum ............ . . . .. . . . . . . . . ..... . .... . . ..... . 405 IH. Intemetquellen ... .. .. . . . .. .. . . . .. . ..... . ....... . . ... .. . . . .. . ........ . .... .. . 433
Personenverzeichnis ..... . .... . ..... . ... . .... . . . ... ......... . .. ... . .. . ....... ...... . . . 434
Sachworlverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 436
2 Semmler
Abkürzungsverzeichnis Die deutschen Abkürzungen folgen grundsätzlich den Vorschlägen von Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., 1993. Von den amerikanischen Abkürzungen werden nur die für das Verständnis wichtigsten angegeben. Die übrigen Abkürzungen sowie die Zitierweise von Vrteilen und Gesetzen ergeben sich aus A Vniform System of Citation, 15. Aufl., 1991. Bei Literaturangaben ist die Zitierweise den deutschen Gepflogenheiten angepaßt worden und Zeitschriften werden im allgemeinen nicht mit den üblichen Abkürzungen zitiert, um dem deutschen Leser einen leichteren Zugang zu ermöglichen. Der Congressional Record wird mit Datum des Sitzungstages und Seitenangabe zitiert. Seitenangaben ohne ein H bzw. S vor der Ziffer verweisen auf die permanent edition, solche mit einem H bzw. S vor der Ziffer auf die daily edition. Die Präzedenzfallsammlungen von Hinds und Cannon werden mit einer römischen Ziffer für die jeweilige Bandzahl und einer Abschnittsangabe zitiert. Die Verweise auf die Präzedenzfallsamrnlung von Deschler erfolgen durch Kapitel- und Abschnittsangaben. AHR amend. APSR art. Ch. cl. CQWR CRS H.Res. LSQ P.L. Pol. Sc. Quart. Sec.! § Stal. V.S. Const. V.S.c.(A.) vol.
American Historical Review Zusatzartikel zur V .S.-Verfassung American Political Science Review Artikel Kapitel Abschnitt (House Rules, Senate Rules)! Absatz (V.S.-Verfassung) Congressional Quarterly Weekly Report Congressional Research Service House Resolution Legislative Studies Quarterly Public Law Political Science Quarterly Abschnitt (V.S.-Verfassung, Jefferson's Manual, Präzedenzfallsammlungen) Statute Verfassung der Vereinigten Staaten Vnited States Code (Annotated) Band
Einleitung Im 104. U.S.-Kongreß (1995 -1997) hielten nach 40 Jahren wieder eine Republikanische Mehrheit und mit ihr ein Republikanischer Speaker, Newt Gingrich, Einzug in das Repräsentantenhaus. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt zog der neue Sprecher mit tiefgreifenden parlamentsrechtlichen Reformen zur Durchsetzung seines Gesetzgebungsprogramms "Contract with America" die öffentliche Aufmerksamkeit schlaglichtartig auf sich und das Speaker-Amt, das während der meisten Zeit seiner Geschichte von der amerikanischen Öffentlichkeit kaum beachtet wurde und in Deutschland weitgehend unbekannt ist. Obwohl der Speaker nach dem Präsidenten der institutionell bedeutendste Amtsträger im amerikanischen Regierungssystem ist, wird sein Amt in der amerikanischen politologischen, ganz zu schweigen von der verfassungsrechtlichen Literatur nur am Rande gewürdigt. In der Untersuchung staatlicher Führungsämter steht es gänzlich im Schatten des Präsidentenamtes. Die deutsche Literatur zum amerikanischen Regierungssystem setzt sich mit dem Speaker-Amt nahezu gar nicht auseinander, beschränkt sich vielmehr auf den bloßen Hinweis seiner Existenz. Neben einer Reihe amerikanischer politikwissenschaftlicher Aufsätze, die sich im Rahmen von Untersuchungen zum Thema "congressional leadership" auch mit der politischen Funktion des Speaker-Amtes beschäftigen, und einer Vielzahl von Biographien über einzelne Amtsinhaber behandeln nur drei Werke das Sprecher-Amt umfassend: Mary Parker Follett, The Speaker of the House of Representatives (1896/1902), Chang-Wei Chiu, The Speaker ofthe House ofRepresentatives since 1896 (1928) und Ronald M. Peters, Jr., The American Speakership, 2. Aufl. (1997). Alle drei Werke weisen einen vorwiegend historischen, bisweilen biographischen Ansatz auf. Eine systematische, an den rechtlichen Kompetenzen und Funktionen des Amtes ausgerichtete Studie über den Speaker fehlt indes. Die vorliegende Arbeit untersucht die rechtliche Stellung und die politische Bedeutung des Speaker-Amtes im amerikanischen Regierungssystem, indem sie die Kompetenzen und Funktionen des Sprechers darstellt. Dazu werden im wesentlichen fünf Aspekte erörtert: die Stellung des Speaker-Amtes im Verfassungsgefüge, die Stellung des Amtes innerhalb der institutionellen Organisation des Kongresses, die Kompetenzen des Sprechers als Parlamentspräsident, die Befugnisse und Einflußmöglichkeiten des Sprechers als Mehrheitsführer aufgrund der jeweiligen Fraktionssatzung und die historische Entwicklung des Speaker-Amtes. Zur besseren Verständlichkeit für den deutschen Leser werden an entsprechenden Stellen jeweils vergleichende Bezüge zum Amt des Bundestagspräsidenten hergestellt. 2*
16
Einleitung
Die Besonderheit des amerikanischen Speaker ist seine Doppelfunktion: Er ist mit fonnalen Kompetenzen ausgestatteter Parlamentspräsident und politischer Mehrheitsführer. Die zentrale Frage der Arbeit ist daher, ob und wie er seine parlamentsrechtlichen Kompetenzen einsetzen kann, um die politischen Interessen seiner Fraktion zu fördern. Den methodischen Schwerpunkt der Arbeit bildet die Aufarbeitung der parlamentarischen Präzedenzfälle des Repräsentantenhauses, anhand derer sich die historische Entwicklung der Kompetenzen und Funktionen des Speaker nachzeichnen läßt. Im übrigen basieren die parlamentsrechtlichen Ausführungen auf der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses und den Satzungen der Republikanischen und Demokratischen Repräsentantenhausfraktionen des l06. Kongresses (1999-2001).
1. Kapitel
Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA A. Grundzüge des amerikanischen Regierungssystems I. Kongreß und Präsident - die Konstellation des "divided government" Die Stellung des Speaker-Amtes im amerikanischen Regierungssystem wird grundlegend durch dessen Funktionsbedingungen bestimmt. In der modernen Typologie der Regierungsformen gilt das politische System der Vereinigten Staaten von Amerika als das klassische Beispiel eines "Präsidentiellen Regierungssystems"l. Anders als im parlamentarischen Regierungssystem etwa Großbritanniens oder der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Regierung in ihrem Bestand vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig ist2 , wird der amerikanische Präsident nicht von der Kongreßmehrheit bestelle und - dies ist verfassungsrechtlich 1 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Begriffs "Präsidentielles Regierungssystem" eingehend Beyme, Das präsidentielle Regierungssystem der Vereinigten Staaten in der Lehre der Herrschaftsformen, S. 3 ff.; zum Charakter des präsidentiellen Regierungssystems vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 282; vgl. ferner Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 364 ff., der insoweit von "Präsidialregierung" bzw. "Präsidentialismus" spricht; ders., Verfassungslehre, S. 109 ff.; zum Begriff des amerikanischen "Presidential System" im Gegensatz zum britischen "Cabinet System" vgl. Corwin, The Constitution and what it means today, S. 33. Siehe zu den Charakteristika des britischen parlamentarischen und amerikanischen präsidentiellen Systems auch Verney, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. 2 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 956; Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: HdbStR I, § 23, Rn. 10. Zu den Strukturelementen eines parlamentarischen Regierungssystems siehe Beyme, Die Parlamentarische Demokratie, S. 38 ff.; Loewenstein, Verfassungslehre, S. 84 ff. Nach Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 281 f., ist Kennzeichen des parlamentarischen Regierungssystems die rechtliche Abhängigkeit der Regierung vom Parlament bei gleichzeitiger politischer Abhängigkeit des Parlaments von der Regierung. 3 Gemäß Art. 63 I GG wird der deutsche Bundeskanzler vom Bundestag gewählt und darauf gemäß Art. 63 II 2 GG vom Bundespräsidenten ernannt. In Großbritannien wird der Premierminister ohne vorherige Wahl durch das Unterhaus von der Krone üblicherweise nach Maßgabe des bei den Generalwahlen sich manifestierenden Wahlerwillens bestellt. Vgl. Loewenstein, Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritannien, Bd. I, S. 374; ferner zur
18
1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
entscheidend - ist nicht vom Vertrauen der Mehrheitspartei abhängig4 . Das Fehlen einer verfassungsrechtlich-funktionalen Handlungseinheit zwischen Präsident (Exekutive) und Kongreß (Legislative) kann zu der für das amerikanische Regierungssystem eigentümlichen Konstellation des "divided govemment" führen. Mit der Unterscheidung zwischen Phasen des divided govemment und des unified govemment kennzeichnet die amerikanische Politikwissenschaft die unterschiedlichen Verteilungsmuster parteipolitischer Kontrolle der beiden in separater Wahl bestellten Institutionen, Präsident und Kongreß5 . Im Fall des divided government wird mindestens eines der beiden Häuser des Kongresses nicht von der Partei des Präsidenten dominiert. Die Phasen des divided govemment im 20. Jahrhundert zeichneten sich nahezu immer durch eine unterschiedliche parteipolitische Kontrolle des Präsidentenamtes und des Repräsentantenhauses aus. Steht der Präsident indes einem Kongreß gegenüber, in dem seine Partei sowohl im Senat wie im Repräsentantenhaus die Mehrheit besitzt, so handelt es sich um ein unified govemment6 . Bestellung durch die Krone Jennings, Cabinet Government, S. 20; zur Kabinettsbildung im parlamentarischen Regierungssystem insgesamt Beyme, Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, S. 499 ff. 4 Zur Abberufbarkeit der Regierung vom Parlament als primäres Unterscheidungsmerkmal zwischen präsidentiellern und parlamentarischem System Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, S. 37 ff. (39 f.); Scheuner; Uber die verschiedenen Gestaltungen des parlamentarischen Regierungssystems I, in: AöR 13 (1927), S. 209 ff. (214, 228, 231). Hinsichtlich der Begriffe "Kongreßmehrheit" und "Mehrheitspartei" ist jedoch zu bedenken, daß die Mehrheitsverhältnisse im Senat und Repräsentantenhaus unterschiedlich ausfallen können. S Vgl. Helms, Präsident und Kongreß in der legislativen Arena, in: ZParl 4 (1999), S. 841 ff. (841, 856 f.); Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 193. 6 Wahrend die Konstellation des divided government in den früheren Phasen der amerikanischen Geschichte vergleichsweise selten war, stellt sie seit dem Zweiten Weltkrieg den Regelfall der Verteilung parteipolitischer Kontrolle von Präsidentenamt und Kongreß dar. Zwischen 1945 und 2000, also vom 79. bis zum 106. Kongreß, bestand während 34 Jahren die Situation des divided government. Dabei stand in der Regel einem Republikanischen Präsidenten (Eisenhower, Nixon, Ford, Reagan, Bush) ein Demokratisch kontrollierter Kongreß gegenüber. Eisenhower war der einzige Republikanische Nachkriegspräsident, der im 83. Kongreß (1953 - 54) unter den Bedingungen des unified government arbeiten konnte; Reagan konnte sich vom 97. bis zum 99. Kongreß (1981-1986) immerhin auf eine Republikanische Mehrheit im Senat stützen. Hingegen stellte die Situation des unified government für Demokratische Präsidenten (Kennedy, Johnson, Carter) eher den Normalfall dar. Clinton ist nach Truman erst der zweite Demokratische Nachkriegspräsident gewesen, dessen Präsidentschaft in eine Phase des divided government fiel. Truman stand während seiner Amtszeit (194553) im 80. Kongreß (1947 -48) ein Republikanisch kontrollierter Kongreß gegenüber und Clinton (1993 -2001) mußte sich seit dem 104. Kongreß, also seit 1995, mit einer Republikanischen Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus auseinandersetzen. Der Beginn von Clintons Amtszeit fiel indes im 103. Kongreß (1993-95) in eine Phase des unified government. In allen Phasen des divided government seit dem Zweiten Weltkrieg hat es der jeweilige Präsident mindestens immer mit einer gegnerischen Parteimehrheit im Repräsentantenhaus zu tun gehabt, zumeist aber auch mit einer gegnerischen Mehrheit im Senat. Die Konstellation
A. Grundzüge des amerikanischen Regierungssystems
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An dieser Begriffswahl wird deutlich, daß die Bezeichnung "government" nach amerikanischem Verständnis ausdrücklich den executive branch und den legislative branch einbezieht7 • Unter der Exekutive ist die administration, d. h. der Präsident einschließlich aller ihm zu- bzw. untergeordneten Behörden und sonstigen Einrichtungen von der Regierungszentrale im Weißen Haus bis zum Kabinett zu verstehen. Die Legislative bildet der Kongreß mit seinen beiden Kammern, Senat und Repräsentantenhaus. Der Begriff "government" ist kein Synonym für Exekutive bzw. Gubernative. Er steht daher nicht für die Regierung im organisatorisch-institutionellen Sinn, die in parlamentarischen Systemen aus Regierungschef und Ministern (Kabinett) besteht. Vielmehr bezeichnet "government" die Regierung im funktionellen Sinn, d. h. die Wahrnehmung staatsleitender Aufgaben politischer Natur8 • Der Begriff ist am treffendsten mit der Präsident und Kongreß gemeinsam zufallenden Staatsleitung9 als oberste politische Richtungsbestimmung lO zu übersetzen. Das amerikanische Politik- und Verfassungsverständnis geht demnach von einer Teilung der Regierungsgewalt zwischen Präsident und Kongreß aus 11. Im parlamentarischen Regierungssystem sind Exekutive und Legislative institutionell und politisch eng miteinander verschränkt. Die Regierung ist ein integraler Bestandteil des Parlaments. Die Parlamentsmehrheit bildet mit der Regierung eine dauerhafte politische Aktionseinheit, und stellt damit die Funktionsfähigkeit dieses eines divided government, in der die Partei des Präsidenten zwar über eine Mehrheit im Haus, nicht aber im Senat verfügt, hat es im 20. Jahrhundert nicht gegeben. Vgl. Anhang I: Präsidentschafts- und Kongreßwahlen 1789-1992, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, S. 486 ff.; ferner Übersicht zur Parteiherrschaft im Kongreß und im Weißen Haus 18751992 bei Cox / KernelI, The Politics of Divided Government, S. 3. 7 Vgl. Helms, Präsident und Kongreß in der legislativen Arena, in: ZParl 4 (1999), S. 841 ff. (841). 8 Also ohne die Verwaltung, siehe dazu Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 68 ff. (79). Vgl. zu den verschiedenen Regierungsbegriffen Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, S. 273 f. 9 Der Begriff der "Staatsleitung zur gesamten Hand" ist von Ernst Friesenhahn ursprünglich für das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes entwickelt worden, trifft aber insofern auch auf das amerikanische Regierungssystem zu, als der U.S.-Präsident ebensowenig wie die Bundesregierung über einen verfassungsrechtlichen Vorbehaltsbereich verfügt. Vgl. Friesenhahn, Parlament und Regierung im modemen Staat, in: VVDStRL 16 (1958), S. 9 ff. (37 f.). Die Bedeutung der Gesetzgebung für die Staatsleitung in den USA hervorhebend schon Thoma, Die Funktionen der Staatsgewalt. Grundbegriffe und Grundsätze, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 11, § 71, S. 108 ff. (136). Vgl. zum Begriff der Staatsleitung ausführlich Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 20 ff. m. w. N., bes. S. 23 mit einer Zusammenstellung von Definitionen. 10 Zum Begriff der Staatsleitung als von Gesetzgebung und Regierung gemeinsam auszuübende oberste politische Richtungsbestirnrnung siehe Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, S. 30 sowie ders., Der Bereich der Regierung, in: FS Rudolf Smend (1952), S. 253 ff. (277 f.). 11 Vgl. Helms, Präsident und Kongreß in der legislativen Arena, in: ZParl 4 (1999), S. 841 ff. (841); siehe dazu auch 1. Kap. B.
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I. Kap.: Der KongreB und das präsidentielle Regierungssystem der USA
politischen Systems her. Demgegenüber sind Präsident und Kongreß in den VSA institutionell nicht integriert und politisch nicht koordiniert 12 . Dies hat zur Konsequenz, daß der Präsident im Kongreß über keine für eine Legislaturperiode oder auch auf kürzere Dauer abgesicherte Mehrheit verfügt. Er ist darauf angewiesen, sich im Senat und Repräsentantenhaus ad hoc-Mehrheiten zur Verabschiedung des Haushalts oder zur Durchsetzung seines Gesetzgebungsprogramms zu suchen. Zwar wird dem Präsidenten die Mehrheitsbeschaffung im Fall des unified govemment nicht zuletzt wegen der größeren ideologisch-programmatischen Übereinstimmung zwischen ihm und der Kongreßmehrheit vergleichsweise leicht fallen. Einer Abstimmungsmehrheit sicher sein kann sich der Präsident aufgrund der Fragmentierung des Kongresses und des instabilen und flüchtigen Aggregatzustands 13 amerikanischer Politik aber auch bei einem unified govemment nicht 14. Noch viel schwerer fällt dem Präsidenten die Bildung strategischer Koalitionen in der Konstellation des divided govemment. Entsprechend starke politische Spannungen zwischen Exekutive und Legislative können hierbei sogar zum sog. "gridlock", zur dysfunktionalen gegenseitigen Blockade der Regierungsorgane führen 15 . Das amerikanische Regierungssystem bringt die institutionelle Trennung von Präsident und Kongreß noch an anderen Stellen zum Ausdruck. Gemäß V.S. Const. art. 11, § 1, cl. 1 und 2 i.Y.m. art. I, § 2, cl. 1, art. I, § 3, cl. 2 wird der V.S.-Präsident in indirekter Volkswahl durch ein Wahlmännergremium (electoral college) bei jeweils gleichzeitig stattfindenden, aber getrennten Kongreßwahlen auf vier Jahre gewählt 16. Die Amtsdauer des Präsidenten ist durch den 1951 in Kraft getretenen 12 Vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 84; Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (217). I3 Vgl. Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (219). 14 Siehe hierzu Mann, President Clinton and the Democratic Congress: Promise and Performance, in: Sundquist, Back to Gridlock?, S. 9 ff. (10 f.); ferner auch Milkis, Political Parties and Constitutional Government: Remaking American Democracy, S. 137 ff.; Cohen, Changing Course in Washington: Clinton and the New Congress, S. 216 f.; Laski, The American Presidency, S. 112. 15 So insbesondere am Ende der Amtszeit Präsident Bushs 1993, vgl. Davidson/ Oleszek, Congress and its Members, S. 287 f. Vgl. Dürr, "A Victory over Gridlock?" Präsident und KongreB nach dem Ende von "Divided Government" in den USA, in: ZParl 25 (1994), S.517ff. 16 Dieser Wahlzeitpunkt verhindert aber nicht, daß der Präsident einer anderen Partei angehören kann als der Mehrheit im KongreB, wenngleich die Wahrscheinlichkeit eines solchen Wahlausgangs etwa bei einer sieben Jahre dauernden Amtszeit des Präsidenten ungleich gröBer wäre. So Verney, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (41 f.). Zu Einzelheiten der Präsidentschaftswahl vgl. U.S. Congress, Our American Government, S. 57 ff.; Jäger, Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 138 ff. sowie Schreyer, Wahlsystem und Wählerverhalten, in: Jäger/Welz, a. a. 0., § 13, S. 247 ff.; ferner Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, S. 40, dort Fn. 7, 309 f. Die reiche Autoritätsquelle der
A. Grundzüge des amerikanischen Regierungssystems
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22. Zusatzartikel der V.S.-Verfassung auf zwei Amtsperioden beschränkt worden 17 . Die ohnehin begrenzte Amtszeit des Präsidenten läßt es ausreichend erscheinen l8 , daß der Kongreß den Präsidenten nur im Wege des Amtsanklage (V.S. Const. art. 11, § 4 - impeachment) 19 seines Amtes entheben kann. Der V.S.-Präsident ist nur gegenüber der Verfassung verantwortlich, nicht gegenüber dem Kongreß. Wenngleich beide Häuser des Kongresses den Präsidenten mit Hilfe des Amtsenthebungsverfahrens vor der Verfassung zur Verantwortung ziehen können, so handelt es sich hierbei jedoch um die Durchsetzung einer justiziellen Verantwortlichkeit, nicht einer politischen Vertrauensabhängigkeit. Das impeachment dient als strafrechtliches Verfahren nicht der Ausübung politischer Kontrolle über die Amtsführung des Präsidenten2o • Ebensowenig wie der Präsident sind die Minister bzw. Staatssekretäre (secretaries) dem Kongreß verantwortlich. Ihre Verantwortlichkeit besteht vielmehr allein gegenüber dem Präsidenten, der sie beruft und jederzeit einzeln oder kollektiv entlassen kann. Die secretaries sind lediglich als "Gehilfen" des Präsidenten bei der Ausführung der Regierungsgeschäfte anzusehen 21 . Sie finden in der V.S.- Verfas-
plebiszitären Legitimation des Präsidenten, der als einziger Gewählter die ganze Nation seinen Wahlkreis nennen dürfe, betont Jäger, a. a. 0., S. 152, ähnlich auch Verney, a. a. 0., S. 45 f. 17 U.S. Const. amend. XXII, § 1 sieht nur eine gewählte Amtszeit für denjenigen vor, der während einer Amtsperiode infolge des vorzeitigen Ausscheidens eines Präsidenten (durch Rücktritt, Amtsenthebung oder Tod) nachrückt und mehr als zwei Jahre amtiert. Die Höchstdauer einer ununterbrochenen Amtsführung beträgt also zehn Jahre (bei zweijähriger Amtszeit durch Nachrücken und zweimaliger Wahl). 18 Vgl. Verney, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (41). 19 Das Amtsenthebungsverfahren ist ein justizfönniges Verfahren, das strafrechtliche Vorwürfe gegen den Präsidenten zum Gegenstand hat und mit der Präsidentenanklage gemäß Art. 61 GG vergleichbar ist. Da es bis heute keinen Fall einer präsidentiellen Verurteilung gegeben hat (gegen Präsident Andrew Johnson wurde 1868 lediglich Anklage erhoben, Präsident Nixon ist 1974 rechtzeitig vor Anklageerhebung zurückgetreten), ist das Impeachment lange für "überholt" gehalten worden, so Hübner, Das politische System der USA, S. 106, ähnlich Corwin, The Constitution and what it means today, S. 201 m. w. N. Durch die Amtsanklage des Repräsentantenhauses gegen Präsident CIinton vom 19. 12. 1998 ist das Impeachment erneut Gegenstand einer breiten politischen wie verfassungsrechtlichen Diskussion geworden. Siehe allgemein zum Impeachment Berger, Impeachment: the constitutional problems, S. 1 ff.; Labovitz, Presidential Impeachment, S. 1 ff.; Gerhardt, The Federal Impeachment Process. A Constitutional and Historical Analysis, S. 1 ff. sowie Committee on the Judiciary, House of Representatives, Constitutional Grounds for Presidential Impeachment: Modern Precedents, S. 1 ff. Zum CIinton-Impeachrnent Committee on the Judiciary, House of Representatives, Impeachment Inquiry: William Jefferson Clinton, President of the United States, Consideration of Articles of Impeachment, S. 1 ff.; House of Representatives, Impeachment of William Jefferson Clinton, President of the United States, Report of the Committee on the Judiciary together with additional, minority, and dissenting views, S. 1 ff. 20 Vgl. hierzu insgesmt Verney, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (43 f.).
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
sung keinerlei Erwähnung und sind folglich nicht mit den Bundesministern des Grundgesetzes vergleichbar. Infolgedessen ist in den VSA das Kabinett auch kein Verfassungsorgan, sondern lediglich ein nach dem Ermessen des Präsidenten einzuberufendes Beratergremium, dessen Beschlüsse keinerlei rechtliche Bindungswirkung für den Präsidenten haben 22 . Die V.S.-Regierung ist also nicht als Kollegial-, sondern als Individualorgan konstituiert23 . In den VSA ist der Präsident die Regierung 24 . Das amerikanische Regierungssystem weist im Gegensatz zu der für die konstitutionelle Monarchie oder das parlamentarische System typischen dualen Spitze der Exekutive eine monistische Exekutive aue s. Der V.S.-Präsident ist als Regierungschef zugleich Staatsoberhaupt26 . Ein die institutionelle Trennung zwischen Exekutive und Legislative verdeutlichendes Merkmal des amerikanischen Regierungssystems ist der in V.S. Const. art. I, § 6, cl. 2 statuierte Grundsatz der Inkompatibilität27 • Hiernach können Mit21 Vgl. Beyme, Das präsidentielle Regierungssystem der Vereinigten Staaten in der Lehre der Herrschaftsformen, S. 1; ferner Loewenstein, Vom Wesen der amerikanischen Verfassung, S. 11, der die Minister, die in den USA lediglich den Titel eines "Secretary" tragen, als Vertrauensleute und persönliche Gehilfen des Präsidenten bezeichnet, die dieser nach seinem Gutdünken ernennen und entlassen könne. Wenngleich der Präsident bei der Berufung der Regierungsmitglieder in der Praxis tatsächlich einen weiten Entscheidungsfreiraum hat, normiert U.S. Const. art. II, § 2, cl. 2 dennoch das formelle Mitwirkungsrecht des Senats bei deren Ernennung. Der Senat kann mit einfacher Mehrheit über die Personalvorschläge des Präsidenten entscheiden. Vgl. auch Vemey, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (42). 22 V gl. im Gegensatz dazu den verfassungsrechtlichen Status der Bundesregierung und der Bundesminister aus Art. 62 GG sowie das Ressortprinzip aus Art. 65 S. 2 GG und das Kollegialitätsprinzip aus Art. 65 S. 3 GG. Vgl. Steffani, Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie, S. 310. Siehe zum Verhältnis von Präsident und Kabinett in den USA klassisch Laski, The American Presidency, S. 70 ff. 23 V gl. Vemey, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (42 f.). 24 "Regierung" wird hier wie im folgenden im organisatorischen Sinne als politische Spitze der Exekutive verstanden. U.S. Const. art. 11, § 1, cl. I besagt: "The executive power shall be vested in a President of the Uni ted States of America." Vgl. auch Loewenstein, Vom Wesen der amerikanischen Verfassung, S. 11. 25 V gl. Beyme, Das präsidentielle Regierungssystem der Vereinigten Staaten in der Lehre der Herrschaftsformen, S. 1, der dort in Fn. 1 die provisorische Präsidentschaft Adolphe Thiers als "Chef der Exekutive" (31. 8. 1871-24. 5. 1873) während der Dritten französischen Republik als seltenes Beispiel der Vereinigung bei der Staatsfunktionen in einem parlamentarischen System anführt. 26 Auf diese Reihenfolge im Unterschied zu konstitutionellen Monarchien, wo der Monarch als Staatsoberhaupt zugleich Regierungschef war, besonders hinweisend Vemey, Parliamentary Government and Presidential Government, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Government, S. 31 ff. (42). 27 Vgl. Steffani, Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie, S. 310. Zur weiten Geltung des Inkompatibilitätsgebots in der amerikanischen Verfassungswirklichkeit siehe Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 284 ff.; zum "office"-Begriff i. S. d. U.S.-Verfassung vgl. Willoughby, The Constitutional Law of the United States, vol. I, § 338.
A. Grundzüge des amerikanischen Regierungssystems
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glieder des Kongresses nicht zugleich ein Exekutivamt (civii office) bekleiden 28 . Das Inkompatibilitätsgebot der U.S.-Verfassung gewährleistet die institutionelle Unabhängigkeit und Autonomie von Kongreß und Präsident. Es macht durch den unbedingten Ausschluß jeglicher personeller Identität zwischen Legislative und Exekutive eine gegenseitige Abhängigkeit durch Integration, wie sie dem parlamentarischen System entspricht, unmöglich 29 . Indem das Inkompatibilitätsprinzip als Ausfluß der institutionellen Gewaltenteilung die Teilnahme des Präsidenten und der Regierungsmitglieder an regulären Sitzungen eines der bei den Häuser ausschließt, dient es dem Schutz des Kongresses und seiner Mitglieder vor unzulässiger unmittelbarer Einflußnahme des Präsidenten auf das parlamentarische Verfahren 30 . Dem Präsidenten steht als wichtigster Ausdruck von Gewaltenteilung und Inkompatibilität kein formelles Gesetzesinitiativrecht gegenüber dem Kongreß ZU 31 • Die einzige dem Präsidenten eingeräumte legislative Kompetenz ist das suspensive Vetorecht nach U.S. Const. art. I, § 7, cl. 2 gegenüber allen Gesetzesvorlagen des Kongresses, das aber mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern 28 Auch der U.S.-Vizepräsident bildet als Senatsvorsitzender keine Ausnahme des Inkompatibilitätsgrundsatzes, denn er ist kein Mitglied des Senats. So steht ihm auch ein Stimmrecht nur bei Stimmengleichheit zu (U.S. Const. art. I, § 3, cl. 4). Anders jedoch Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 136. 29 Vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 112 f. 30 Vgl. insgesamt Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 287 f. Die Ausschüsse können indes Regierungsmitglieder - mit Ausnahme des Präsidenten und Vizepräsidenten - als (sachverständige) Zeugen vorladen. Ein Interpellationsrecht des Plenums existiert hingegen nicht, ebensowenig haben Regierungsmitglieder ein Recht auf Anhörung durch das Plenum oder die Ausschüsse. Anders Art. 43 I und H GG. 31 U.S. Const. art. H, § 3 bestimmt jedoch, daß der Präsident von Zeit zu Zeit dem Kongreß über die Lage der Union Bericht zu erstatten und Maßnahmen zur Beratung zu empfehlen hat, die er für notwendig und nützlich erachtet. Diese Pflicht geht bis auf die Kolonialzeit zuriick, in der das Gesetzesinitiativrecht der Gouverneure bereits auf das bloßes Recht, den legislativen Versammlungen Botschaften zukommen zu lassen, reduziert worden war. Vgl. Riddick, The U.S. Congress, S. 419. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind die U.S.-Präsidenten dieser Pflicht ausschließlich durch die Übersendung schriftlicher Botschaften an den Kongreß nachgekommen. Seit der Präsidentschaft Woodrow Wilsons (1913-1921) ist es zur Verfassungsgewohnheit geworden, daß der Präsident einmal im Jahr in einer repräsentativen Sitzung beider Häuser des Kongresses eine .. Ansprache zur Lage der Nation" (State of the Union Address) hält. Die anläßlich dieser Ansprache dem Kongreß übermittelten Empfehlungen stellen die einzige verfassungsrechtlich sanktionierte Einflußnahme des Präsidenten auf den Willensbildungsprozeß des Kongresses dar. In der Verfassungswirklichkeit leitet der Präsident von seiner Administration ausgearbeitete Gesetzesentwürfe dem Kongreß zumeist über ihm nahestehende Kongreßmitglieder, wie vor allem die Führer seiner Partei im Kongreß, zu. Dies gilt auch für den Budgetentwurf, zu dessen Aufstellung und Übermittlung, nicht aber formaler Einbringung der Präsident gegenüber dem Kongreß seit dem Budget and Accounting Act aus dem Jahre 1921 (42 Stat. 20) verpflichtet ist. Hierzu Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 25 ff., 33, dort Fn. 96; zur Entstehung des Budget Act Fisher; Presidential Spending Power, S. 31 ff. Vgl. zur Mitwirkung des Präsidenten am Gesetzgebungsprozeß Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 226 ff., 286 f.; Jäger; Der Präsident, in: Jäger /Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 152; Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger/Welz, a. a. 0., § 9, S. 185 ff.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
des Kongresses überwunden werden kann. Die im Vergleich zum parlamentarischen System größere Autonomie von Legislative und Exekutive nach der amerikanischen Verfassung findet schließlich ihren Ausdruck darin, daß einerseits der Kongreß - wie dargestellt - den Präsidenten nicht durch Vertrauensentzug, etwa in Form eines Mißtrauensvotums, seines Amtes entheben kann, daß andererseits der Präsident aber auch nicht die Möglichkeit hat, den Kongreß durch Fraktionszwang, Vertrauensfrage oder Drohung mit Parlarnentsauflösung politisch zu disziplinieren 32 . Der Kongreß ist ein die Regierung ausschließendes, von ihr unabhängiges Organ. Er ist nach einem engeren Begriffsverständnis kein "parliament", sondern vielmehr "assembly,,33. In seiner Eigenschaft als Kontrollinstanz ist der Kongreß das entscheidende Gegengewicht zum Präsidenten, vergleichbar der Rolle einer Oppositionspartei in einem parlamentarischen Regierungssystem 34 . Diese Kontrollfunktion des Kongresses wird besonders bedeutsam im Fall des divided government, bei dem sich ein Präsident und eine gegnerische Partei mehrheit im Kongreß mit unterschiedlichen, an den Parteilinien ausgerichteten politischen Ideologien bzw. Grundüberzeugungen sowie mit unterschiedlichen politischen Gesetzgebungsprogrammen gegenüberstehen 35 . Da im amerikanischen Regierungssystem zwischen dem Präsidenten und der Mehrheit im Kongreß keine funktionale Verbindung - wie zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit in einem parlamentarischen System - besteht, kommt dem Präsident auch nicht die Lenkungsfunktion des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses zu. Diese liegt vielmehr primär in der Hand der Kongreßführung36 und hier in erster Linie beim verfassungsrechtlich höchsten und politisch bedeutsamsten Funktionsträger des Kongresses, dem Speaker of the House of Representatives. Damit kommt dem Speaker in einem funktionellen Sinn ein Anteil an der Regierungsgewalt ZU 37 .
32 U.S. Const. art. 11, § 3 erwähnt nur das Einberufungs- und Vertagungsrecht des Präsidenten in Ausnahmefallen. Vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 112; Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (217). 33 Vgl. hierzu näher Verney, Parliamentary Govemment and Presidential Govemment, in: Lijphart, Parliamentary versus Presidential Govemment, S. 31 ff. (33), der unter "parliament" nur ein Gesetzgebungsorgan unter Einschluß der Regierung versteht und bei deren Ausschluß von "assembly" spricht. 34 Vgl. Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (218). 35 Vgl. Helms, Präsident und Kongreß in der legislativen Arena, in: ZParl 4 (1999), S. 841 ff. (857). Für das 20. Jahrhundert gilt, daß sich ein Präsident in allen Phasen des divided govemment mindestens immer einer gegnerischen Mehrheit im Repräsentantenhaus gegenüber sah, vgl. Fn. 6. 36 Vgl. Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger / Welz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 184. 37 Zum Regierungsbegriff im funktionellen Sinn vgl. Fn. 8.
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11. Speaker und Präsident Aus der besonderen Ausgestaltung des Machtverhältnisses zwischen Präsident und Kongreß im amerikanischen Regierungssystem folgt ein funktionaler Bezug zwischen Präsident und Speaker. Denn die verfassungsrechtliche Pflicht des Letzteren ist es, "to facilitate congressional consideration of the policy agenda,,38. Als mit sitzungsleitenden Kompetenzen ausgestatteter Parlamentspräsident und von der Mehrheit der Abgeordneten bestellter politischer Führer der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus ist der Speaker grundsätzlich der wichtigste Akteur auf seiten der Legislative. Ihm kommt in dem durch ständige Koalitionsbildung und -auflösung gekennzeichneten politischen Prozeß mit seiner Vielzahl von über ein bestimmtes Maß an politischer Handlungs- und Entscheidungsautonomie verfügenden Akteuren 39 eine Schlüsselrolle in der Koalitionspolitik zu. Daher ergibt sich vor allem mit Blick auf die Gesetzgebung eine gegenseitige funktionale Abhängigkeit zwischen Präsident und Sprecher. Das Verhältnis zwischen beiden wird in erster Linie durch ihre jeweilige Parteizugehörigkeit bestimmt. Gehören Präsident und Speaker derselben politischen Partei an, wird ihre Zusammenarbeit in aller Regel harmonisch verlaufen 4o . Allerdings setzt dies voraus, daß zwischen beiden eine persönliche Sympathie sowie eine generelle politische Übereinstimmung besteht. Fehlt eine von beiden, so kann sich die Zusammenarbeit selbst in einer Phase des unified govemment schwierig gestalten41 • Denn im politischen System der USA mit seinem Spannungsverhältnis zwischen Zentralisation (Präsident) und Dezentralisation (Kongreß) sowie seinen extrem fragmentierten und heterogenen Parteien42 folgt aus derselben Parteizugehörigkeit keineswegs automatisch eine Übereinstimmung in politischer Programmatik. In dieser Konstellation ist der Sprecher der wichtigste parteipolitische Verbindungsmann des Präsidenten im Kongreß. Dies kann allerdings dazu führen, daß der Sprecher als verlängerter Arm des Präsidenten im Kongreß nur über ein 38 Peters, The American Speakership (1997), S. 285, 216; vgl. auch ders., a. a. O. (1990), S.288. 39 Vgl. Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (219). 40 Dies gilt etwa für das Verhältnis zwischen Speaker Rayburn und den Demokratischen Präsidenten F. D. Roosevelt, Truman, Kennedy, vgl. Peters, The American Speakership, S. 140, 142 f., 216; siehe hierzu auch ders., The History and Character ofthe Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (10). 41 Dies gilt etwa für das Verhältnis zwischen Speaker O'Neill und dem Demokratischen Präsidenten Carter, vgl. Peters, The American Speakership, S. 285. Ebenso war das Verhältnis zwischen Speaker Reed und Präsident McKinley sowie Speaker Clark und Präsident Wilson eher distanziert, obwohl sie derselben Partei angehörten, vgl. Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 337. 42 Vgl. Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger / Welz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 184; Lösche, Die politischen Parteien, in: Jäger/Welz, a. a. 0., § 14, S. 268; ferner Wasser, Politische Parteien und Wahlen, in: Adams/Lösche, Länderbericht USA, S. 305 ff.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
schwaches eigenes politisches Profil verfügt. Gehören Präsident und Speaker bei einem divided government indes verschiedenen Parteien an, so ist der Speaker frei, gegen das Gesetzgebungsprogramm des Präsidenten zu opponieren und sich insoweit ein eigenständiges politisches Profil zu verschaffen. Der Sprecher ist in dieser Konstellation im allgemeinen nicht nur der institutionelle Führer der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus, sondern kann auch zum bedeutendsten nationalen Parteiführer und mitunter sogar zum symbolic leader seiner Partei werden43 . In diesem Fall kann der Speaker zum mächtigsten politischen Gegenspieler des Präsidenten44 und somit zum eigentlichen Oppositionsführer im funktionellen Sinn werden45 . Als prominentestes Sprachrohr einer politischen Alternative des Kongresses gegenüber der Politik des Präsidenten kann es ihm sogar gelingen - wie im Fall des Sprechers Gingrich (1995 -1998) -, den Präsidenten zeitweilig von seiner Position als führendem Visionär der zukünftigen politischen Entwicklung des Landes zu verdrängen 46 . Aufgrund des verfassungsrechtlich vorgesehenen Zusammenwirkens von Exekutive und Legislative bei der Gesetzgebung kann der Sprecher, soweit er im Repräsentantenhaus von einer ausreichenden Mehrheit unterstützt wird, dem Präsidenten vor allem bei starken oppositionellen Spannungen im Fall des divided government auch politische Zugeständnisse abringen. Die herausragende Stellung des Sprechers innerhalb seiner Partei bedeutet jedoch nicht, daß er zum naturgegebenen Kandidaten seiner Partei für die nächste Präsidentschafts wahl wird. In der Geschichte der Vereinigten Staaten haben nur sehr wenige Sprecher die Präsidentschaftsnominierung ihrer Partei erhalten und nur ein einziger Sprecher, James K. Polk (1835 -1839), ist bisher zum Präsidenten gewählt worden47 . In jedem Fall finden jedoch zwischen Präsident und Sprecher politische Konsultationen, insbesondere zu parteiübergreifenden Fragen, statt, deren Häufigkeit indes von den genannten Konstellationen abhängt. Die Beziehung zwischen Präsident und Speaker ist von ganz wesentlicher Bedeutung für die politische Rolle des Speaker-Amtes im amerikanischen Regierungssystem. Der Präsident ist neben dem Senat der wichtigste externe Faktor für die Bedeutung des Speaker-Amtes48 . Während seiner gesamten Entwicklungsge43 Vgl. Peters, Institutional Context and Leadership Style: The Case of Newt Gingrich, in: Rae/Campbell, New Majority or Old Minority?, S. 43 ff. (59 f.). 44 Treffend ist auch die Bezeichnung als "Gegenpräsident", vgl. Wieland, Clintons neuer Gegenpräsident, in: FAZ v. 20.11. 1998, S. 16. 45 Diese Situation gilt etwa für Speaker Albert von 1971-76, für Speaker O'Neill von 1981-86 sowie für Speaker Gingrich von 1994-98. Vgl. Peters, The American Speakership, S. 208, 285. 46 Vgl. Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (331, 334). Morrow, Newt's World, in: Time-Magazine 146 (1995), S. 26 ff. (28). Vgl. auch Barry, The Ambition and the Power, S. 4. 47 Neben Polk sind nur Clay und Blaine zum Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei gewählt worden. Vgl. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (196). 48 Vgl. Peters, The American Speakership (1997), S. 10 sowie a. a. O. (1990), S. 288.
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schichte ist das Speaker-Amt entscheidend durch sein Verhältnis zum Präsidentenamt geprägt worden. Dies gilt sowohl im Kleinen, also für das Verhältnis zwischen einzelnen Präsidenten und Sprechern, wie auch im Großen, für die langfristige Entwicklung beider Verfassungsämter als Institutionen. War die Stellung des Präsidenten im politischen System bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts schwach, so gewann er seit der Amtszeit des populären Theodore Roosevelt (1901-1909) ein stärkeres politisches Gewicht. Unter den Präsidentschaften Woodrow Wilsons (1913 -1921) und Franklin D. Roosevelts (1933 -1945) wird der Präsident zum entscheidenden gestaltenden Akteur der amerikanischen Politik. Dies äußert sich besonders in der starken Führung bei der Präsidenten in der Gesetzgebung ("New Freedom", "New Deal"). In den 1920'er und 30'er Jahren beginnt dann mit der Schaffung des Bureau of the Budget und des Executive Office of the President der Ausbau und die institutionelle Entwicklung des Präsidentenamtes hin zu einem mächtigen administrativen Apparat. Seit dem Zweiten Weltkrieg und dem damit einhergehenden auch außenpolitischen Bedeutungszuwachs bildet das Präsidentenamt den Mittelpunkt und den dominierenden Faktor des politischen Systems der USA49 . Die Schwächeperiode des Präsidentenamtes während des 18. und 19. Jahrhunderts ist hingegen für das Speaker-Amt eine Phase stetigen Machtgewinns, der vor allem auf den Ausbau eines stabilen Zwei-Parteien-Systems nach dem Ende des Bürgerkriegs (1861-1865) zurückzuführen ist. Diese Entwicklung gipfelte schließlich in dem autoritären Regime der Sprecher Reed (1889 - 1891, 18951899) und Cannon (1903-1911) über das Repräsentantenhaus (sog. "Czarism") und wurde durch die "Revolte" gegen Speaker Cannon im Jahre 1910 beendet. Infolge der mit dieser Revolte einhergehenden Geschäftsordnungsänderungen wurde die Macht im Repräsentantenhaus vor allem auf die Vorsitzenden der ständigen Ausschüsse veriagert50 . Dies führte zu einer Dezentralisierung der Macht im Haus und damit zu einer institutionellen Schwächung des Speaker-Amtes51 . Seit Franklin D. Roosevelts erster Amtszeit im Jahre 1933 hat das Speaker-Amt seine Unabhängigkeit gegenüber dem Weißen Haus verloren und hat insbesondere im Zuge des massiven Gesetzgebungsprogramms des New Deal eine gegenüber dem Präsidenten untergeordnete und reagierende Rolle eingenommen 52. Die Kongreßreformen unter Speaker Albert (1971-1977) zu Beginn der 1970'er Jahre haben wie49 Zur modem presidency seit der Präsidentschaft F. D. Roosevelts und dem Zweiten Weltkrieg siehe Cronin, The State of the Presidency, S. 77 ff.; Rossiter; The American Presidency, S. 113 ff.; Milkis / Nelson, The American Presidency: Origins and Development, 1776-1990, S. 259 ff.; siehe auch 3. Kap. C. III. 50 V gl. Committee on Hause Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 84; zur Entmachtung des Speaker im Repräsentantenhaus vgl. hier nur die übersichtliche Darstellung bei Barchen, Legitimation und partikulare Interessen, S. 49 ff.; hierzu ferner Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 49 ff., 385 ff. sowie Peters, The American Speakership, S. 75 ff. 51 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 96. 52 Vgl. Peters, Tbe American Speakership, S. 142.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
derum einen Trend zur Zentralisierung der Macht im Repräsentantenhaus in den Händen des Speaker eingeleitet und somit zu dessen institutioneller Stärkung beigetragen 53 . Nachdem die Republikaner 1994 in den Wahlen zum 104. Kongreß nach vierzig Jahren Demokratischer Herrschaft im Repräsentantenhaus - der längsten ununterbrochenen Herrschaft einer Partei in der amerikanischen Geschichte die Mehrheit zuriickgewonnen hatten, verschaffte Speaker Gingrich dem Amt gegenüber der Clinton-Administration wieder stärkere Unabhängigkeit und mehr Eigengewicht. Er setzte sich auf der Grundlage seines Gesetzgebungsprogramms "Contract with America,,54 medienwirksam an die Spitze einer "konservativen Revolution", die Präsident Clinton sogar zwang, vom linksliberalen Lager seiner Partei abzuriicken55 . Speaker Gingrichs Instrumentalisierung des Speaker-Amtes als nationale Oppositionsplattform hat somit das Bewußtsein der Öffentlichkeit für die politische Bedeutung dieses Amtes geschärft56. Während das amerikanische Regierungssystem dem Speaker-Amt einerseits einen erheblichen Gestaltungsraum bietet, begrenzt es andererseits die Macht des Sprechers. Wenn sich der Sprecher im Repräsentantenhaus auf eine starke und einige Mehrheit stützen kann, ist es äußerst schwierig, eine Politik zu betreiben, die nicht seine Zustimmung findet 57 . Die Tatsache, daß der Speaker in bestimmten Phasen die Politik des Hauses bestimmt, bedeutet indes nicht zwangsläufig, daß er auch die Regierung im funktionellen Sinne steuern kann. Denn sowohl der Senat als auch ein von der erforderlichen Mehrheit in bei den Häusern des Kongresses gestütztes präsidentielles Veto können die Gesetzgebung blockieren. Der Präsident verfügt zudem über die exekutive Gewalt, die eine allgemeine Handlungsvollmacht sowie die Ermächtigung einschließt, zu allen Politikbereichen Stellung zu nehmen. Der Sprecher kann hingegen nur im Rahmen der House Rules und party rules agieren, ihm stehen indes grundsätzlich keine Befugnisse nach sonstigem öffentlichen Recht zu 58 . Ferner besteht die institutionelle Macht des Speaker-Amtes Vgl. Perers, The American Speakership, S. 177,205; siehe 3. Kap. C. Bei dem "Contract with America" handelte es sich um eine Mischung aus Wahlkampfinstrument und ideologischem Manifest der Gingrich-Republikaner. Seine wichtigsten Inhalte waren ein beschränktes line item veto für den Präsidenten, eine den Haushaltsausgleich vorschreibende Verfassungsänderung, ein Verbrechensbekämpfungsgesetz, Sozialhilfereformen, Kindergeldgesetzgebung, die Begrenzung der Befehlsgewalt der U.N. über U.S. Truppen, Kürzung der Kapitalerwerbssteuer, eine Deliktsrechtsreform sowie Mandatszeitbegrenzungen für Kongreßabgeordnete. Siehe insgesamt Perers, The American Speakership, S. 303 sowie den Überblick bei Gibbsl Tumulty, Master of the House, in: Time-Magazine 146 (1995), S. 30 ff. (41). 55 Vgl. Komelius, Der tiefe Sturz eines Revolutionärs, in: SZ v. 09. 11. 1998, S. 4; Wieland, Die republikanische Revolution frißt ihren Erfinder, in: FAZ v. 09. 11. 1998, S. 3; ferner Gibbs I Duffy, Fall of the House of Newt, in: Time-Magazine 152 (1998), S. 50 ff. (58) ; Cloud, Gingrich Clears the Path for Republican Advance, in: CQWR 52 (1994), S. 3319 ff. 56 Vgl. Harris, The Rise ofthe Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff. 57 Vgl. Perers, The American Speakership, S. 309. 58 Siehe 4. Kap. B. und 5. Kap. 53
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nicht in erster Linie in der positiven Steuerung des Gesetzgebungsprogramms, etwa durch das Einbringen von Gesetzesentwürfen, sondern eher negativ in der Verhinderung von politisch unliebsamen Vorschlägen der Gegenpartei. Schließlich kann das Speaker-Amt aufgrund seiner anderen institutionell-verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mit der Symbolkraft des Präsidentenamtes konkurrieren. Zwar haben die Sprecher seit Ende der 1970'er Jahre eine stärkere Medienpräsenz gesucht und erhalten 59 , und es gab auch einzelne Fälle, in denen Speaker einen legislativen Kampf mit dem Präsidenten für sich entscheiden konnten60 , doch in der Gesamtschau verfügt das Speaker-Amt - wenngleich ein Amt von erheblichem politischen Gewicht - nicht über ein dem Präsidentenamt vergleichbares Ansehen in der Öffentlichkeit61 . III. Speaker und Bundestagspräsident - ein Vergleich der Stellung und Funktion
Die Stellung des deutschen Bundestagspräsidenten62 im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes unterscheidet sich grundlegend von der des amerikanischen Speaker im präsidentiellen Regierungssystem der Vereinigten Staaten. Der deutsche Bundestagspräsident ist wie der Sprecher des Repräsentantenhauses staatsrechtlich Repräsentant und Personifizierung des Parlaments und hat als solcher die Würde 63 und die Rechte des Parlaments zu wahren 64. Auch die drei anderen Hauptfunktionen als Sitzungsvorsitzender, Hausherr und Behördenleiter sind grundsätzlich mit denen des amerikanischen Speaker vergleichbar. Der 59 Vgl. Harris, The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff.; siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2). 60 So mußte sich z. B. Präsident Reagan 1988 Speaker Wright beugen und gegen seinen eigenen Willen zulassen, daß der sog. "Arias-Friedensplan" für Mittelamerika von den USA unterstützt wurde. Vgl. Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (216). 61 Vgl. Cloud, Speaker Wants His Platforrn To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (331 f.). 62 Siehe zur rechtlichen Stellung des Bundestagspräsidenten umfassend Kleinschnittger, Die rechtliche Stellung des Bundestagspräsidenten, S. 1 ff.; aus politikwissenschaftlicher Sicht Wennser, Der Bundestagspräsident: Funktion und reale Ausformung eines Amtes im Deutschen Bundestag, S. 1 ff.; einen journalistischen Überblick bieten Schick, Der Bundestagspräsident: Amt, Funktionen, Personen, S. 1 ff.; Rummel, Der Bundestagspräsident: Amt, Funktionen, Personen, S. 1 ff.; zu den Landtagspräsidenten siehe Köhler, Die Rechtsstellung der Parlamentspräsidenten in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und ihre Aufgaben im parlamentarischen Geschäftsgang, S. 1 ff. 63 Siehe zur Würde des Parlaments Weng, Die Würde des Hauses, in: ZParl 17 (1986), S. 248 ff. sowie Cannon, The Rights of the House in Safety, Dignity, Integrity of the Proceedings, in the House of Representatives, S. 1 ff. 64 Vgl. § 7 I GOBT; Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 7, Rn. 1; Ritzel / Bücker / Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 1; Bücker, Präsident und Präsidium, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 7. 3 Sernrnter
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
entscheidende Unterschied besteht indes darin, daß dem deutschen Bundestagspräsidenten keine parteipolitische Führungsrolle im Parlament zufällt. In weitaus stärkerem Maße als der amerikanische Sprecher, allerdings keineswegs so restlos wie der Speaker des britischen House of Commons, ist der Bundestagspräsident bei seiner Amtsführung dem Grundsatz der Unparteilichkeit und parteipolitischen Neutralität verpflichtet65 . Ebenso wie der Sprecher des Repräsentantenhauses, aber anders als der britische Speaker, ist der Bundestagspräsident ein gleichberechtigtes Parlamentsmitglied mit grundsätzlich vollen parlamentarischen Teilnahmerechten (v.a. Abstimmungs- und Debattenteilnahme). Er kann daher nicht nur außerhalb des Bundestages, sondern auch im Plenum und in den Ausschüssen seine parteipolitischen Auffassungen äußern und ist somit kein politisches Neutrum. Aufgrund seiner herausgehobenen parteiinternen Stellung - handelt es sich doch in aller Regel um eine angesehene, verdiente Politikerpersönlichkeit - sowie der symbolischen Bedeutung seines Amtes kommt seiner Stimme in der Öffentlichkeit auch ein besonderes Gewicht zu. Der Bundestagspräsident ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, für das Parlament als Ganzes zu sprechen. Diese Verpflichtung gebietet ihm eine besondere Zuriickhaltung bei politisch strittigen Fragen und verlangt, auf das Gemeinsame, zum Kompromiß und Miteinander Führende aufmerksam zu machen 66 . Der amerikanische Speaker tritt demgegenüber in erster Linie als politischer Vertreter der Mehrheitsfraktion und nicht als Parlamentspräsident auf und wird auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen. Grundsätzlich bleibt daher festzuhalten, daß traditionell die Stellung des Bundestagspräsidenten im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland parteipolitisch als neutral empfunden wird. Dem Bundestagspräsidenten fällt vor allem aus zwei Griinden keine parteipolitische Führungsrolle im Parlament zu. Zum einen wird die politische Führung im Parlament von der Regierung wahrgenommen, die integraler Bestandteil des Parlaments ist. Zum anderen wird der Bundestagspräsident in aller Regel nicht der Oppositionsfraktion im Parlament, sondern stets der grundsätzlich die Regierung und damit die Parlamentsmehrheit stellenden stärksten (Koalitions-)Fraktion angehören. Allerdings läßt es das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes zu, daß die stärkste im Bundestag vertretene Fraktion nicht die Parlamentsmehrheit stellt und damit auch nicht die Regierung bildet. Dann gehört der Bundestagspräsident nicht der Regierungsmehrheit an, da er traditionell von der jeweils stärksten Fraktion im Parlament vorgeschlagen und gestellt wird67 . Nur in diesem für das 65 Zum Bundestagspräsidenten vgl. Klein, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 94; Versteyl, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 40, Rn. 3 f. m. w. N.; Ritzel! Bücker I Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 4; Bücker, Präsident und Präsidium, in: Schneider I Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 11; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 24. Zum englischen Speaker vgl. May, Treatise on The Law, Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, S. 189; Wilding I Laundy, An Encyc\opaedia of Parliament, S. 704; siehe auch 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2) (a). 66 V gl. Klink, Bemerkungen zur Rolle von Parlamentspräsidenten in Politik und Gesellschaft, in: ZParl 12 (1981), S. 436 f. (437).
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parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik durchaus unüblichen Fa1l 68 kann also eine parlamentarische Konstellation entstehen, die formal derjenigen des divided govemment - i.S. einer gegnerischen Parteizugehörigkeit von Regierung und Parlamentspräsident - vergleichbar ist. Der entscheidende Unterschied zum amerikanischen System ist indes, daß unter dem Grundgesetz - mit Ausnahme einer Minderheitsregierung69 - kein Fall denkbar ist, in dem ein nicht der Regierungsfraktion angehörender Bundestagspräsident eine oppositionelle parlamentarische Mehrheit hinter sich hat. Gerade dies ist aber die Situation, die im amerikanischen System funktional mit divided govemment beschrieben wird und die die Grundlage für eine vom Speaker gegen den Präsidenten betriebene Oppositionspolitik bildet. Wenn der deutsche Bundestagspräsident also nicht der Regierungsfraktion angehört, ist er lediglich aufgrund parlamentarischen Gewohnheitsrechts zur Ausübung seines Amtes durch eine Bundestagsmehrheit legitimiert worden. Diese Mehrheit kann aber systemimmanent keine politisch gegen die Regierung gerichtete Mehrheit sein. Aus diesem Grund kann der Bundestagspräsident funktional nicht - wie der amerikanische Sprecher - zu einem Oppositionsführer werden. Überdies ist gerade der Umstand, daß der Bundestagspräsident nicht notwendigerweise der Regierungsmehrheit angehören muß, ein Indiz dafür, daß dieses Amt nicht als einflußreiches politisch-parlamentarisches Führungsamt angesehen wird.
67 So Morlok. in: Dreier, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 23; gegen Verfassungsgewohnheitsrecht Versteyl. in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 40, Rn. 3; ebenso Brockmeyer, in: Schrnidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40, Rn. 3 sowie gegen Verfassungsrecht und für parlamentarisches Gewohnheitsrecht Pieroth. in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 40, Rn. I; für parlamentarisches Gewohnheitsrecht Achterberg, Parlamentsrecht, S. 190 f.; für eine sog. "Konventionalregel" Meyn. Parlamentsbrauch und Fraktionsgemeinschaft, in: JZ 1977, S. 167 ff. m. w. N. Kritisch zum Rechtscharakter des Benennungsrechts des Bundestagspräsidenten durch die stärkste Fraktion und mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes Schulze-Fielitz. Parlamentsbrauch, Gewohnheitsrecht, Observanz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 11, Rn. 72. Alle Bundestagspräsidenten wurden bisher von der stärksten Fraktion .,gestellt, vgl. Troßmann. Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 2, Rn. 2.3. Diese Ubung findet eine Stütze in § 7 VI GOBT, vgl. Ritzel / Bücker / Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 12 b. 68 'In der Geschichte der Bundesrepublik hat es diese Konstellation bisher nur zweimal gegeben. In der 8. (1976-80) und zu Beginn der 9. Legislaturperiode (1980- 83) bis zum konstruktiven Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Schrnidt am 01. 10. 1982 befand sich die CDU / CSU-Fraktion als stärkste Fraktion im deutschen Bundestag in der Opposition gegenüber der sozial-liberalen SPD/FDP-Koalition. Die beiden der CDU /CSU-Fraktion entstammenden damaligen Bundestagspräsidenten, Carl Carstens und Richard Stücklen, gehörten nicht zur Regierungsmehrheit.Vgl. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Bd. I, S. 156 f., 862 ff. 69 Zum Vergleich des amerikanischen divided government mit Minderheitsregierungen in parlamentarischen Systemen Europas, siehe Laver / Shepsle. Divided Governrnent: America is Not Exceptional, in: Governance 4 (1991), S. 250 ff.; sowie zum Vergleich des divided government mit europäischen Koalitionsregierungen Laver, Divided Parties, Divided Government, in: LSQ 24 (1999), S. 5 ff.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Schon aufgrund dieser unterschiedlichen funktionalen Einbindung der Ämter des amerikanischen Speaker und des deutschen Bundestagspräsidenten in ihre jeweiligen Regierungssysteme wird deutlich, daß das Speaker-Amt im politischen System der USA ein weitaus machtvolleres, mit größerem politischen Gewicht ausgestattetes Amt ist als das des Bundestagspräsidenten im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland.
B. Die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption - die Stellung des Kongresses im Verfassungsgefüge Die Stellung des Sprecher-Amtes als Organteil des Kongresses wird dem Grunde nach zunächst durch die Stellung der Legislative im Verfassungsgefüge bestimmt. Diese ergibt sich aus der amerikanischen Gewaltenteilungskonzeption (separation of powers)70. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist anders als im Fall des Grundgesetzes (Art. 20 11 2 GG) nicht ausdrücklich in die U.S.-Verfassung aufgenommen worden71, sondern kommt in den Einleitungssätzen der ersten drei Verfassungsartikel zum Ausdruck72 . 70 Gegenstand der Betrachtung ist hier lediglich die klassische Gewaltenteilungslehre. Siehe allgemein zu den verschiedenen Gewaltenteilungslehren (reine Funktionenlehre, umfassende Gewaltenteilung, Funktionsgerechtigkeit) Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 86 ff. Speziell zur "horizontalen" Gewaltenteilungslehre als politologischer Kategorie siehe Steffani, Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie, S. 20 ff. Zur Bedeutung der "horizontalen" und "vertikalen" Gewaltenteilung für den amerikanischen Regierungsprozeß umfassend Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 220 ff., S. 104 ff. Zu weiteren Grundprinzipien der U.S.-Verfassung neben der Gewaltenteilung, wie limited government, federalism und checks and balances siehe Oleszek, Congressional Procedures, S. 2 ff.; Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 14 ff. sowie ferner Linn, Die staatsrechtliche Stellung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 3 ff. m. w. N. Zur begrifflichen Unterscheidung von "Gewaltenteilung" und "Gewaltentrennung" siehe Lange, Teilung und Trennung der Gewalten bei Montesquieu, in: Der Staat 19 (1980), S. 213 ff. (213 ff.). 71 Vgl. zum Versuch, den Gewaltenteilungsgrundsatz 1789 im Wege der Verfassungsänderung in die Verfassung aufzunehmen Fisher, President and Congress, S. 22 ff. Im Gegensatz zur Bundesverfassung haben indes die meisten Einzelstaaten, die sog. "distributing c1auses" in ihre ersten Verfassungen aufgenommen, vgl. z. B. Verfassung von New Hampshire vom 05. 01. 1776, Verfassung von Maryland vom 08. 11. 1776, Verfassung von Massachusetts vom 16. 06. 1780. Vgl. Willoughby, The Constitutional Law of the United States, vol. III, § 1058. Die "distributing c1auses" der Einzelstaatsverfassungen hatten indes nur deklaratorische Bedeutung, da ihr materieller Gehalt noch nicht definiert war. Vgl. Binkley, The Powers of the President, S. 15. Die Bundesverfassung zwingt die Einzelstaaten allerdings nicht zur Übernahme des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Calder v. Bull, 3 U.S. (3Dall.) 386 (1798), Prentis v. Atlantic Coast Line Co., 211 U.S. 210 (1908), Dreyer v. Illinois 187 U.S. 71 (1902). 72 U.S. Const. art. I, § 1: "All legislative powers herein granted shall be vested in a Congress of the United States"; U .S. Const. art. 11, § 1, cl. 1: "The executive power shall be vested in a President of the United States of America"; U.S. Const. art. 111, § 1: "The judicial
B. Die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption
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Die amerikanische Bundesverfassung von 1787 hat erstmals in der Geschichte die Idee der Volkssouveränität73 praktisch umgesetzt. Die verfassunggebende Gewalt des amerikanischen Volkes, des ursprünglichen Trägers der Souveränität, begründet, begrenzt und organisiert die Staatsgewalt durch die Verfassung. Legislative und Exekutive sind unabhängig von einander und beide dem Volk verantwortlich 74. Da das Volk in den Wahlen nicht als Souverän auftritt, sondern lediglich als durch die Verfassung konstituierte Macht unter den Bedingungen der von ihm selbst geschaffenen Verfassung seinen politischen Willen äußert und damit Staatsgewalt ausübt, ist auch die Verfassung als souverän anzusehen 75 . Die gesamte Staatsgewalt und mithin auch die Gesetzgebung als Teil von ihr sind an die Verfassung gebunden. Daraus folgt eine scharfe Abgrenzung zwischen Verfassungs geber und Gesetzgeber und damit ein institutionell und legitimatorisch76 begründeter höherer Rang der Verfassung gegenüber dem Gesetz als supreme law of the land 77. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum europäischen Souveränitätsdenken. Denn anders als in Großbritannien 78 und Frankreich79 , wo die Gesetzgebung power of the United States shall be vested in one Supreme Court, and in such inferior courts as the Congress may from time to time ordain and establish." 73 Die Präambel der U.S.-Verfassung von 1787 bringt das Prinzip der Volkssouveränität mit den Worten zum Ausdruck: "We the People of the United States, ... do ordain and establish this Constitution for the United States of America." Siehe ferner auch U.S. Const. amend. X. Vgl. Levi, Some Aspects of Separation of Powers, in: Columbia Law Review 76 (1976), S. 371 ff. (376); Schwartz, A Commentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 35; zur anglo-amerikanischen Idee der Volkssouveränität Wood, The Creation of the American Republic, 1776 - 1787, S. 344 ff. 74 Vgl. Bowsher v. Synar, 478 U.S. 714, 722 (1986). 75 Vgl. Schwartz, A Commentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 35; Solberg, The Constitutional Convention and the Formation of the Union, S. cv. So auch Seiler, Gewaltenteilung, S. 30 unter Hinweis auf die Verfassung als "metaphysisch überhöhter Ausdruck einer unwandelbaren Gerechtigkeitsidee". 76 Die Verfassung wird durch die besonders bestellten constitutional conventions ausgearbeitet und verabschiedet und anschließend durch das Volk ratifiziert, vgl. hierzu U.S. Const. art. 7 sowie zum ebenfalls zwei stufigen Verfahren bei der Verfassungsänderung U.S. Const. art. 5. Zur Bedeutung der conventions Wood, The Creation of the American Republic, 17761787, S. 306 ff. 77 Vgl. zum Ganzen Starck, Vorrang der Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders. /Weber, Verfassungsgerichtsbarkeit, Bd. I, S. 11 ff. (21 f.) sowie Heun, Das Konzept der Gewaltenteilung in seiner verfassungsgeschichtIichen Entwicklung, in: Starck, Staat und Individuum, S. 95 ff. (103 f.); Öhlinger, Die amerikanische Verfassung. 200 Jahre Geschichte des Verfassungsstaates, in: ZfRV 29 (1988), S. 3 ff. (8). 78 Siehe zur Parlamentssouveränität in Großbritannien klassisch Dicey, The Law of the Constitution, S. 35 ff.; Petersmann, Die Souveränität des Britischen Parlaments in den Europäischen Gemeinschaften, insbesondere S. 165 ff.; Strotmann, Die Souveränität des britischen Parlaments unter der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts und der europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere S. 37 ff. 79 Siehe zur Gesetzgebung als Ausdruck des Volkswillens in Frankreich Carre de Malberg, La Loi, expression de la volonte generale, insbesondere S. 16 f. Anders indes seit Einführung der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle durch die Verfassung der V. Republik
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Inbegriff der Parlamentssouveränität bzw. der volonte generale ist, ist die Gesetzgebung in Amerika nicht suprema potestas. Die drei Staatsgewalten der Legislative, Exekutive und Judikative sind vielmehr von der an die Stelle des Volkssouveräns getretenen Verfassung abgeleitete, voneinander unabhängige und grundsätzlich gleichgeordnete Gewaltenso . Ausgehend von dem Grundsatz "the power to make the laws is the power to rule" räumt die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption allerdings der Legislative einen potentiellen Vorrang vor der Exekutive (legislative supremacy) einsl . Das amerikanische Gewaltenteilungskonzept basiert in erster Linie auf den praktischen Erfahrungen der Verfassungs väter und nicht auf der formalen Anwendung von Theorien. Die Erfahrungen mit der rein deklaratorisch verbürgten, schwachen Gewaltenteilung auf der Einzelstaatsebene sowie mit dem Fehlen einer Gewaltenteilung im System des Kontinentalkongresses auf der gesamtstaatlichen Ebene lieBen die Founding Fathers zu der Überzeugung gelangen, daß die Gewaltenteilung nicht nur zur Sicherung der als vorstaatlich verstandenen Freiheit der Bürger dienen, sondern vor allem auch eine effiziente Regierungstätigkeit gewährleisten solltes2 • Ausgangspunkt der Gewaltenteilungsdoktrin der Griindungsväter war zunächst im Sinne von Locke und Montesquieu das Verbot ungeteilter Kompetenzzuweisung, d. h. die Verhinderung einer "unified governmental power"S3. Hieraus folgte das Gebot der personellen, organisatorischen und institutionellen Trennung der legislativen, exekutiven und judikativen Organe; KongreB, Präsident und Geim Jahre 1958, siehe hierzu Starke, Die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle durch den Conseil constitutionnel, S. 5 ff. 80 Vgl. insgesamt Seiler, Gewaltenteilung, S. 26 f.; Heun, Das Konzept der Gewaltenteilung in seiner verfassungsgeschichtlichen Entwicklung, in: Starck, Staat und Individuum, S. 95 ff. (103). 81 Kelly/Harbison/Belz, The American Constitution, vol. II, S. 717 f. So auch Merry, Five-Branch Government, S. 15 und Seiler, Gewaltenteilung, S. 27; Shell, Kongreß und Präsident, in: Adams/Lösche, Länderbericht USA, S. 207 ff. (231). Siehe ferner Willoughby, The Constitutional Law of the United States, vol. III, § 1062. Vgl. auch Madison, in: Cooke, The Federalist No. 51, S. 347 ff. (350): "In republican government the legislative authority, necessarily, predominates." In formaler Hinsicht ergibt sich der Vorrang schon aus der Verfassungssystematik, da die Gesetzgebung in Artikel I vor der Exekutive und der Judikative in den Artikeln II und III geregelt wird, sowie aus dem Umfang des ersten Verfassungsartikels, der allein mehr als die Hälfte des gesamten Verfassungstextes ausmacht. 82 Vgl. ausführlich Fisher, President and Congress, S. 1 ff., siehe ferner a. a. 0., S. 241 ff. auch die Ausführungen zum historischen und philosophischen Hintergrund der amerikanischen Gewaltenteilungslehre. Ebenso ders., The Allocation of Powers: The Framers' Intent, in: Knight, Separation of Powers, S 19 ff. (20). 83 Knight, Separation of Powers in the American Political System, Einleitung, S. 14. Vgl. auch Gwyn, The Meaning of the Separation of Powers, S. 72, 104. Vgl. exemplarisch Madison, in: Cooke, The Federalist No. 47, S. 323 ff. (324): "The accumulation of all powers legislative, executive and judiciary in the same hands, ... , may justly be pronounced the very definition of tyranny." ebenso Jejferson, Notes on the State of Virginia (1787), in: ders., Writings, S. 123 ff. (245). Vgl. auch Heun, Das Konzept der Gewaltenteilung in seiner verfassungsgeschichtlichen Entwicklung, in: Starck, Staat und Individuum, S. 95 ff. (100, 104).
B. Die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption
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richte 84 . Das Mißtrauen gegen Amtsträger und Regierungen und letztlich gegen die Natur des Menschen selbst sowie die Furcht vor der Ausdehnung einer der staatlichen Teilgewalten auf Kosten einer anderen, vor allem der Legislative auf Kosten der Exekutive, machten in den Augen der Founding Fathers indes eine Interdependenz zwischen den Gewalten erforderlich85 . Das Gewaltenteilungsverständnis der amerikanischen Verfassungs gründer entsprach insoweit dem Montesquieus. Dieser sprach im berühmten 6. Kapitel des XI. Buches seines "De l'Esprit des Lois" (1748) lediglich in Bezug auf die richterliche Gewalt von einer auch funktional vollständigen Trennung (separation) von den anderen Gewalten. Hinsichtlich der gegenseitigen Zuordnung von Legislative und Exekutive ging Montesquieu nur von einer Auf- oder Verteilung (distribution) der beiden Gewalten aus. In diesem Sinne verstand auch Madison die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive nicht als strikte Trennung, sondern lediglich als Verbot einer Vereinigung der gesamten Staatsgewalt in einer Hand. Er schloß also die anteilige Ausübung durch jeweils mehrere Personen oder Organe nicht aus. Legislative und Exekutive86 sollten damit nach Auffassung Montesquieus wie auch Madisons nicht jeweils nur von einer politischen Kraft ausgeübt werden, so daß bei der einzelnen Gewalt eine "Gewalt-Teilung" vorzunehmen war 8? Die so verstandene Gewaltenteilung sollte den gesetzgeberischen Despotismus ebenso wie den exekutiven Absolutismus verhindern 88 , indem sie mehrere unabhängige Vgl. Seiler, Gewaltenteilung, S. 30. Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 48, S. 332 ff. (333); ders., in: Cooke, The Federalist No. 51, S. 347 ff. (349) sowie Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. 66, S. 445 ff. (445): "This partial intennixture is even in some cases not only proper, but necessary to the mutual defence of the several members of the government, against each other."; ders., in: Cooke, The Federalist No. 73, S. 492 ff. (494). Siehe auch Washington, Farewell Address (1796), in: ders., Writings, S. 962 ff. (970 f.). 86 Die Notwendigkeit der funktionalen Unabhängigkeit der Iudikative ist seit Griindung der USA unumstritten. Vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 223; Mcllwain, Constitutionalism, Ancient and Modem, S. 141. 87 Vgl. zu Montesquieu grundlegend Lange, Teilung und Trennung der Gewalten bei Montesquieu, in: Der Staat 19 (1980), S. 213 ff. (219 ff.); ferner klassisch: Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, S. 1 ff. Der Großteil von Madisons grundsätzlichen Erwägungen zur Gewaltenteilung befindet sich im 47. Federalist-Artikel. Dort gibt er auch sein Verständnis der Montesquieuschen Lehre wieder, Madison, in: Cooke, The FederaJist No. 47, S. 323 ff. (325 f.): " ... he did not mean that these departments ought to have no partial agency in, or no controul over the acts of each other. His meaning, ... , can amount to no more than this, that where the whole power of one department is exercised by the same hands which possess the whole power of another department, the fundamental principles of a free constitution, are subverted." Als Beweis für die Richtigkeit seines Verständnisses führt Madison hier aus, daß Montesquieu seine Gewaltenteilungslehre im 6. Kapitel des Xl. Buches gerade am Beispiel der englischen Verfassung entwickele, nach welcher selbst bei oberflächlichster Betrachtung erkennbar sei, daß die drei Gewalten keineswegs völlig getrennt und unabhängig voneinander seien. Ferner verweist Madison hier auf die Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten, die aus dem Bewußtsein der Unmöglichkeit einer absoluten Gewaltentrennung den Gewaltenteilungsgrundsatz z.T. nur in eingeschränkter, relativierter Fonn in ihre Verfassungen aufgenommen hätten. 84 85
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Machtträger funktional koordinierte und so miteinander verband. Im Sinne einer funktionalen Spezialisierung der Ausübung der Staatsfunktionen wurden dem Präsidenten, dem Kongreß und den Gerichten in ihren jeweiligen Yatigkeitsbereichen Autonomie und ein grundsätzliches Handlungsmonopol bewilligt. Es galt allerdings, die Gefahr einer gegenseitigen Blockierung und damit einer Lähmung des politischen Prozesses durch eine strikte Isolierung der Staatsfunktionen zu verhindern. Zu diesem Zweck macht die Verfassung an genau festgelegten "Berührungspunkten" das Zusammenwirken der grundsätzlich unabhängigen Machtträger zur Voraussetzung der verfassungsmäßigen Ausübung von Staatsgewalt 89 . Die D.S.Verfasung teilt also die Ausübung einer einzelnen Staatsfunktion auf verschiedene Staatsorgane auf und verhindert damit, daß die ausschließliche Betrauung eines Staatsorgans mit der Wahrnehmung einer Staatsfunktion die Ausübung unkontrollierbarer Herrschaftsbefugnisse ermöglicht9o . Als Instrument der Herrschaftskontrolle sieht die Verfassung vielfältige Verschränkungen, sog. "checks and balances,,91, vor. Diese bewirken eine gegenseitige Beschränkung und damit einen Ausgleich der grundsätzlich institutionell getrennten Gewalten, die auf diese Weise ausbalanciert und funktional koordiniert werden92 • Die checks and balances haben indes einen ambivalenten Effekt. Zum einen zwingen sie die legislativen und exe88 V gl. Madison, in: eooke, The Federalist No. 48, S. 332 ff. (333) sowie lejferson, Notes on the State ofVirginia (1787), in: ders., Writings, S. 123 ff. (245). 89 Vgl. insgesamt Loewenstein, Verfassungslehre, S. llO f. Durch diese funktionale Koordination mehrerer Machtträger unterscheidet sich das amerikanische Regierungssystem von einem parlamentarischen System, bei dem die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Regierung und Parlament durch Integration hergestellt wird. Ferner auch Seiler, Gewaltenteilung, S. 30; Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 228. 90 Vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 221 f. 91 Vgl. Merry, Five-Branch Government, S. 18 ff. Die Politikwissenschaft spricht insofern auch von "shared powers", so etwa Neustadt, Presidential Power and the Modern Presidents, S. 29: "a government of separated institutions sharing powers". Vgl. auch Wasser, Die Vereinigten Staaten von Amerika, S. 134: "dichtes Netz von Inter- und Intraorgankontrollen"; Carstens, Grundgedanken der amerikanischen Verfassung und ihre Verwirklichung, S. 51: "Querverbindungen und wechselseitige Einflußmöglichkeiten" sowie Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 15: "Beriihrungs- oder Integrationspunkte", "Hemmungen und Gegengewichte". In der U.S.-Verfassung selbst findet sich der Ausdruck "checks and balances" nicht. Erstmalige Erwähnung findet er wohl in der Schrift von Richard Temple "An essay on government calculated for the Meridian of England" (1660). Temple war ein Vorgänger Lockes. Vgl. hierzu Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 22 f. 92 Siehe hierzu die klassische Beschreibung des amerikanischen Gewaltenteilungssystems bei lejferson, Notes on the State of Virginia (1787), in: ders., Writings, S. 123 ff. (245): "An elective despotism was not the government we fought for; but one which should not only be founded on free principles, but in which the powers of government should be so divided and balanced among several bodies of magistracy, so that no one could transcend their legal limits, without being effectually checked and restrained by the others." Ferner lohn Adams, in: C. F. Adams, The Works of John Adams, vol. I, S. 186: "It is by balancing one of these three powers against the other two that the efforts in human nature toward tyranny can alone be checked and restrained and any degree of freedom preserved."
B. Die amerikanische Gewaltenteilungskonzeption
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kutiven Gewaltenträger in bestimmten Situationen zur Kooperation mit dem Ziel der Bildung eines Gesamtstaatswillens durch Komprorniß. Zum anderen schaffen sie Konfliktpotential zwischen den jeweiligen Machtträgern 93 . Die durch die Verfassung statuierten Verschränkungen der Gewaltenträger sind zwar nicht zahlreich, aber sie liegen an entscheidenden Punkten des politischen Prozesses94 . Der Präsident kann durch Ausübung seines suspensiven Vetorechts Einfluß auf den Gesetzgebungsprozeß und durch sein Begnadigungsrecht Einfluß auf Entscheidungen der Judikative nehmen 95 . Dem Senat ist bei der vom Präsidenten vorzunehmenden Ernennung von Beamten und obersten Bundesrichtern sowie beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge ein Beratungs- und Zustimmungsrecht eingeräumt96 . Beiden Häusern des Kongresses stehen die judikativen Kompetenzen der Durchführung des Amtsenthebungsverfahrens sowie der eigenen Gerichtsbarkeit in Angelegenheiten der Kongreßmitglieder zu. Mit der Einrichtung eines echten Zwei-Karnmer-Systems hat die Verfassung auch innerhalb der Legislative eine Gewaltenverschränkung bewirkt97 . Eine Kompetenz der Judikative mit hemmender Wirkung gegenüber Legislative und Exekutive hat sich indes erst in der Verfassungs wirklichkeit seit der Durchsetzung des richterlichen Prüfungsrechts bzw. der verfassungsgerichtlichen Verwerfungskompetenz in der Leitentscheidung des V.S. Supreme Court Marbury v. Madison98 aus dem Jahre 1803 herausgebildet. In der Verfassungspraxis hat sich ausgehend von V.S. Const. art. 11, § 3 ein Gesetzes- und Budgetinitiativrecht des Präsidenten entwickelt, der damit immer stärkeren Einfluß auf die Gesetzgebung gewonnen hat99 . Der Kongreß hingegen nimmt über die ihm zustehende "power of the purse" starken Anteil an der Regierungspolitik lOo .
Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 3. Vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 111. 95 Vgl. V.S. Const. art. I, § 7, cl. 2; art. 11, § 2, cl. 1. 96 Vgl. V.S. Const. art. 11, § 2, cl. 2. 97 Vgl. V.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 und § 3, cl. 6; art. I, § 5, cl. I und 2; art. I, § 7, cl. 2. Zur gewaltenhemmenden Wirkung des Ausschußsystems vgl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 226. 98 5 V.S. (I Cranch) 137 (1803); vgl. dazu Brugger; Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 5 ff. Vgl. zur Interpretationstechnik des Supreme Court bei Fragen der Gewaltenteilung Quint, Gewaltenteilung und Verfassungsauslegung in den VSA, in: DÖV 1987, S. 568 ff. Der Supreme Court tendiert seit seiner Entscheidung INS v. Chadka, 462 V.S. 919 (1983), in der er das sog. "legislative veto" wegen fehlenden Gesetzescharakters gemäß V.S. Const. art. I, § 7 für verfassungswidrig erklärt hat, wieder zu einer strikteren Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive. Siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung des Supreme Court bezüglich der Gewaltenteilung Howard, Supreme Court Enforcement of Separation of Powers: A Balance Sheet, in: Knight, Separation ofPowers, S. 81 ff. 99 Siehe Fn. 31. 100 Vgl. V.S. Const. art. I, § 9, cl. 7. 93
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Neben der auf Ausgleich zwischen Legislative und Exekutive zielenden funktionalen Verteilung der Gewalten, sieht die amerikanische Verfassung gewissermaßen auch eine "soziale" Aufteilung der Staatsgewalt vor. Die Founding Fathers haben der V.S.-Verfassung den Charakter einer gemischten Verfassung gegeben. Sie waren wie Montesquieu davon überzeugt, daß Gewaltenteilung auch Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte an der Ausübung politischer Macht bedeutete 101 und ihre politischen Erfahrungen waren von der Struktur der Regierungssysteme in den Kolonien geprägt lO2 • Die amerikanische Verfassung verbindet monarchische (Präsident), aristokratische (Senat) und demokratische (Repräsentantenhaus) Elemente im Sinne der traditionellen Lehre der Mischverfassung, wenngleich die soziale Basis in Gestalt von König und Adel fehlt lO3 • Dabei sollten das monarchische und das aristokratische Element, Präsident und Senat, das Volk vor der Tyrannei der Mehrheit des Repräsentantenhauses schützen, die selbst als potentielle Freiheitsbedrohung angesehen wurde lO4 . Die Verfassung läßt an vielen strategischen Punkten des politischen Prozesses eine exakte Kompetenzabgrenzung zwischen Kongreß und Präsident vermissen lO5 • Vielmehr ermächtigt sie beide Machtträger zur Einwirkung auf den originären Funktionsbereich des jeweils anderen. Die Verfassung macht den Kongreß zum Träger der legislativen Staatsgewalt und weist zugleich dem Präsidenten eine Rolle in der Gesetzgebung zu. Sie überträgt dem Präsidenten die Führung der Exekutive und sieht gleichzeitig eine Mitwirkung des Kongresses in administrativen Angelegenheiten vor. Dies hat zur Folge, daß die kompetentiellen Grenzen und das Verhältnis der beiden Gewaltenträger - nicht zuletzt wegen der extrem hohen Anforderungen einer Verfassungsänderung - in der Verfassungswirklichkeit durch einen fortwährenden Kampf um Zuständigkeiten zwischen Kongreß und Präsident bestimmt werden 106 . Dieser politische Machtkampf zwischen Präsident und Kongreß innerhalb der verfassungsrechtlichen Grauzonen hat dazu geführt, daß die Geschichte der Vereinigten Staaten seit jeher von einem Wechsel zwischen Phasen 101 Vgl. Lange, Teilung und Trennung der Gewalten bei Montesquieu, in: Der Staat 19 (1980), S. 213 ff. (221, 229). 102 Vgl. Vile, Constitutionalism and the Separation of Powers, S. 119 ff., 126 f. 103 Vgl. Seiler, Gewaltenteilung, S. 29, dort auch allgemein zur Mischverfassungslehre, S. 14 f.; Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 223 f.; Heun, Das Konzept der Gewaltenteilung in seiner verfassungs geschichtlichen Entwicklung, in: Starck, Staat und Individuum, S. 95 ff. (103 f.). Zur Bedeutung der Mischverfassungslehre in Amerika Wood, The Creation ofthe American Republic, 1776-1787, S. 197 ff. Allerdings hat sich das demokratische Element im 19. und 20. Jahrundert immer stärker herausgebildet. Zur unmittelbaren Volkswahl der Senatoren seit 1913 siehe 1. Kap. E. 1. Auch der Präsident wird heute praktisch direkt vom Volk gewählt, siehe 4. Kap. A. 1. 1. a) aa). 104 Vgl. Seiler, Gewaltenteilung, S. 29. Siehe auch Madison, in: Cooke, The Federalist No. 48, S. 332 ff. sowie ders., in: Cooke, The Federalist No. 51, S. 347 ff. lOS V gl. grundlegend Fisher, The Politics of Shared Power, S. 4 ff. 106 V gl. allgemein Fisher, Constitutional Conflicts between Congress and the President, S. 1 ff.
C. Der Senat
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eines politischen Übergewichts des Kongresses und solchen einer präsidentiellen politischen Dominanz geprägt ist lO7 • Das pendelhafte Wechselspiel zwischen congressional government und presidential government ist der sinnfälligste Ausruck des sich in der Verfassungswirklichkeit manifestierenden Systems der checks and balances.
c. Der Senat Nach D.S. Const. art. I, § I besteht der Kongreß der Vereinigten Staaten aus zwei Kammern, dem Senat und dem Repräsentantenhaus 108. Der Senat ist die föderale Kammer des Kongresses. Er setzt sich aus 100 Mitgliedern zusammen, von denen jeweils zwei Senatoren 109 in einem Bundesstaat gewählt werden. Jeder Senator hat eine Stimme. Die Amtszeit der Senatoren beträgt sechs Jahre, wobei alle zwei Jahre jeweils ein Drittel der Senatoren neu gewählt wird 110. Ursprünglich sah 107 Vgl. hierzu klassisch: Wilson, Congressional Government, insbesondere S. 30 ff.; vgl. auch Dodd, Congress and the Cycles of Power, in: Livingston I Dodd I Schott, The Presidency and the Congress, S. 46 ff.; Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 15 ff.; Lösche, Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. Ferner Laski, The American Presidency, S. 124 ff.; Horn, The Cabinet and Congress, S. 1; MacNeil, Forge of Democracy, S. 19; Wasser, Die Vereinigten Staaten, S. 171 ff. Siehe zum Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive im 19. Jahrhundert: Binkley, The Powers of the President, S. 1 ff. sowie das vierbändige Werk von White, A Study of Administrative History: The Federalists, insbesondere S. 50 ff.; The Jeffersonians (1801-1829), insbesondere S. 45 ff.; The Iacksonians (18291861), insbesondere S. 104 ff.; The Republican Era: 1869-1901, insbesondere S. 20 ff. Im 20. Jahrhundert: Corwin, The President. Office and Powers, 1787 -1984,5. Aufl., S. 303 ff. sowie im Hinblick auf die Außenpolitik Schlesinger, The Imperial Presidency, insbesondere S. 100 ff. 108 Die U.S.-Verfassung übernahm das Zweikammersystem von England. Bereits in den englischen Kolonien Nordamerikas bestand die gesetzgebende Versammlung aus einem zumeist vom König ernannten Oberhaus und einem vom Volk gewählten Unterhaus. Dieses englische Vorbild wurde dann zunächst in die Einzelstaatsverfassungen - mit Ausnahme Pennsylvanias - und danach 1787 auch in die Bundesverfassung übernommen. Vgl. Kelly I Harbison/Belz, The American Constitution, vol. I, S. 27 ff., 85; zur Debatte über die Aufnahme des Zweikammersystems in die Verfassung vgl. Wood, The Creation of the American Republic, 1776-1787, S. 244 ff. 109 Die Bezeichnung "Member of Congress" gilt sowohl für Senatoren wie für Abgeordnete. 110 U.S. Const. art. I, § 3, cl. 1, 2. Die Anzahl der Senatoren ist also unabhängig von der Bevölkerungszahl und Größe eines Bundesstaates. Seit der Aufnahme von Hawaii als 50. Staat der USA im Jahre 1959 gehören dem Senat 100 Mitglieder an. Der Senat mit seiner nichtproportionalen Stimmenverteilung hat bereits antike Vorläufer, so etwa den delphischen Amphiktyonenrat. Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 18, S. 110 ff. Vgl. hierzu wie insgesamt zur Rezeption der antiken Föderal-Staatsordnungen im Prozeß der amerikanischen Verfassungsgebung Lehmann, Die Rezeption der achaiischen Bundesverfassung in der Verfassung der USA, in: Xenia 15 (1985), S. 171 ff. (179).
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
die U.S.-Verfassung die Senatorenwahl durch die Legislativen der Einzelstaaten vor, aber seit dem Inkrafttreten des 17. Zusatzartikels der V.S.-Verfassung im Jahre 1913 gehen die Senatoren aus direkter, landesweiter Volkswahl in den jeweiligen Bundesstaaten hervor ill . Nach dem 17. Zusatzartikel können die Gouverneure der Einzelstaaten von den jeweiligen Legislativen ermächtigt werden, vakant werdende Senatorensitze bis zum Ende der Legislaturperiode mit Personen ihres Vertrauens zu besetzen 1l2 . Die aktive Wahlberechtigung richtet sich nach den Anforderungen, die für die zahlenmäßig stärkste gesetzgebende Kammer des Einzelstaates vorgesehen sind 113. Das passive Wahlrecht setzt ein Mindestalter von 30 Jahren, eine neunjährige V.S.-Staatsbürgerschaft sowie einen Wohnsitz in dem betreffenden Einzelstaat vorausl\4. Senatoren - ebenso wie Abgeordnete des Repräsentantenhauses - müssen sich vor Amtsantritt durch Eid oder Gelöbnis zur Wahrung der Verfassung verpflichten 115. Sie erhalten neben einem Entgelt für ihre Mandatstätigkeit eine umfangreiche Sach- und Personalmittelpauschale (allowance)116 und besitzen Immunität und Indemnität 117. 111 In den meisten Staaten (wichtigste Ausnahme ist Georgia) ist die relative Mehrheit (plurality vote) ausreichend. Vgl. U.S. Congress, Dur American Government, S. 59 f. Zum amerikanischen Wahlsystem Schreyer, Wahlsystem und Wählerverhalten, in: Jäger I Welz, Regierungssystem der USA, § 13, S. 246 ff. Allgemein zu den verschiedenen Mehrheitsarten siehe Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 124 ff. 112 U.S. Const. art. I, § 3, cl. 1 und U.S. Const. amend. XVII, §§ 1,2. Gemäß U.S. Const. art. I, § 4, cl. 1 bestimmt die Einzelstaatslegislative Zeit, Ort und Art der Wahlen. 113 U.S. Const. amend. XVII, § 1. Diese Bestimmung gilt allerdings nur eingeschränkt, da das Gliedstaatenrecht den Zusatzartikeln der U.S.-Verfassung Rechnung tragen muß: So sind insbesondere rassische und geschlechtliche Diskriminierungen sowie Wahlsteuern verboten gemäß U.S. Const. amend. XV, § 1, amend. XIX und amend. XXIV, § 1. Gemäß U.S. Const. amend. XXVI, § 1 beträgt das aktive Wahlalter 18 Jahre. Die in diesen Zusatzartikeln zum Ausdruck kommende grundlegende Voraussetzung des Wahlrechts ist die Staatsbürgerschaft der USA. Das Gliedstaatenrecht regelt etwa noch den Wohnsitz und die Registrierung als Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts. Vgl. insgesamt Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 29 ff. 114 U.S. Const. art. I, § 3, cl. 3. 115 U.S. Const. art. VI, § 3. 116 U.S. Const. art. I, § 6, cl. 1. Im 106. Kongreß betrug die jährliche Grundvergütung für Senatoren und Abgeordnete 136.700 $. Die Sach- und Personalmittelpauschale zur Bestreitung der Kosten für die Büros in Washington und den jeweiligen Wahlkreisen betrug für Senatoren zwischen 1.700.000 bis 3.000.000 $, für Abgeordnete durchschnittlich 952.777 $. Vgl. hierzu mit ausführlicher Aufschlüsselung Dwyer, Salaries and Allowances: The Congress, CRS Report, S. 1 ff. 117 U.S. Const. art. I, § 6, cl. 1. Der Wortlaut der U.S.-Verfassung unterstellt nur Plenardebatten dem Indemnitätsschutz ("speech or debate in either house"). Der Supreme Court hat den Indemnitätsschutz in seiner Entscheidung Barr v. Matteo, 360 U.S. 564 (1959) auf alle Aktivitäten im Kongreß erweitert. Ferner gilt die Indemnität auch für die Kongreßmitarbeiter bei Wahrnehmung ihrer Dienstpflichten. Allerdings hat der Supreme Court in United States v. Brewster, 408 U.S. 501 (1972) die Indemnität auf solche Handlungen begrenzt, die eindeutig Teil des Gesetzgebungsprozesses und nicht lediglich politischer Natur sind. Während der Indemnitätsschutz der U.S.-Verfassung sich anders als der des Grundgesetzes auch auf ver-
D. Das Repräsentantenhaus
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D. Das Repräsentantenhaus Das Repräsentantenhaus ist die unitarische Kammer des Kongresses und besteht seit 1912 aus 435 Abgeordneten (Representatives, Congressmen bzw. Congresswomen)1l8, die alle zwei Jahre vom Volk in Wahlkreisen der Einzelstaaten gewählt werden l19 . Die Verfassung selbst enthält keine Angabe der Mitgliederzahl des Repräsentantenhauses 120, sondern bestimmt lediglich, daß auf 30.000 Einwohner nicht mehr als ein Abgeordneter kommen darf, daß jeder Staat durch mindestens einen Abgeordneten vertreten sein muß und daß aufgrund einer alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung die Sitzverteilung nach Maßgabe der jeweiligen Bevölkerungszahl in den Einzelstaaten festzulegen ist l2l . Im Jahre 1929 wurde durch Gesetz 122 beschlossen, daß nach Volkszählungen künftig keine Vergrößerung der Sitzzahl, sondern nur noch eine Neuverteilung der 435 Sitze des Repräsentantenhauses unter den Einzelstaaten vorgenommen werden SOll123. Die Einerwahlkreise, in denen die Abgeordneten direkt gewählt werden l24 , müssen eine möglichst leumderische Beleidigungen bezieht (vgl. Art. 46 I 2 GG), ist der Immunitätsschutz enger als der des Grundgesetzes. Er erstreckt sich nur auf die Zeit der Sitzungsteilnahme sowie der An- und Abreise und greift bei Hochverrat, Schwerverbrechen und öffentlicher Ruhestörung nicht ein (vgl. Art. 46 II GG). Im Gegensati zu Art. 47 GG besitzen die Kongreßrnitglieder kein Zeugnisverweigerungsrecht. 118 Gemäß U.S. Const. art. I, § 2, cl. 3 hatte das Repräsentantenhaus ursprünglich 65 Sitze. Bevölkerungszunahme und Hinzutreten neuer Einzelstaaten (von anfangs 13 auf heute 50) ließen die Zahl stark ansteigen. Von 1959 bis 1963 stieg die Zahl - bedingt durch die Aufnahme von Alaska und Hawaii - kurzzeitig auf 437 an. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 742. Siehe zur Verteilung der Abgeordnetensitze nach der Größe der Staaten auf der Grundlage der Volkszählung von 1990 V.S. Congress, Our American Government,
S.80. 119 U.S. Const. art. I, § 2, cl. 1. Neben den 435 Abgeordneten, die die 50 Einzelstaaten
repräsentieren, gehören dem Repräsentantenhaus noch vier Delegierte für Washington, D.C., die Virgin Islands, Guam und American Samoa sowie ein Resident Comrnissioner für Puerto Rico an (dieser wird als einziger für vier Jahre gewählt). Diese Delegierten sind allerdings nur in den Ausschüssen, nicht im Plenum oder im Comrnittee of the Whole abstimmungs berechtigt (seit dem 104. Kongreß, anders noch im 103. Kongreß). Vgl. House Rule III, cl. 3 (a); V.S. Congress, Our American Government, S. 10. 120 Abgesehen von einer inzwischen überholten Übergangsbestimmung in U.S. Const. art. I, § 2, cl. 3. 121 U.S. Const. art. I, § 2, cl. 3 und amend. XIV, § 2. 122 Vgl. 46 Stat. 26, § 22, geändert durch 55 Stat. 761. 123 Für die Festlegung der Mitgliederzahl des Repräsentantenhauses sowie die Verteilung der Abgeordneten auf die einzelnen Staaten (apportionment) ist der Kongreß zuständig. V gl. V.S. Congress, Our American Government, S. 10. Zur Entwicklung des (re)apportionment siehe insgesamt Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 737 ff. 124 Jeder Wähler hat eine Stimme. Gewählt ist, wer in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen erzielt. Vgl. V.S. Congress, Our American Government, S. 59 f. Nach dem nahezu überall in den USA geltenden winner-takes-all-Prinzip verfallen alle anderen Stimmen. Die single-member districts und das winner-takes-all-Prinzip haben durch die Privilegierung von Kandidaten der großen Parteien wesentlich zur Vorherrschaft der Demokraten
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
gleich große Bevölkerungszahl aufweisen, da nach einer Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahre 1964 bei Kongreßwahlen je ein Abgeordneter auf die gleiche Zahl von Einwohnern kommen soU 125 . Bei vorzeitig vakant werdenden Abgeordnetensitzen eines Bundesstaates schreibt der jeweilige Gouverneur special elections zur Neubesetzung aus 126. Die aktive Wahlberechtigung richtet sich auch hier - wie beim Senat - nach den Voraussetzungen, die für die Wähler der zahlenmäßig stärksten Legislativkammer der Einzelstaaten gelten I2? Das passive Wahlrecht setzt voraus, daß Abgeordnete mindestens 25 Jahre alt sein müssen, eine mindestens 7jährige U.S.-Staatsbürgerschaft besitzen müssen und zur Zeit der Wahl ihren Wohnsitz in dem Staat haben, in dem sie gewählt werden 128. Hinsichtlich Eidesverpflichtung, Diäten, Immunität und Indemnität gilt das zum Senat Gesagte entsprechend.
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich I. Allgemeines
Zwischen dem Senat und dem Repräsentantenhaus bestehen strukturelle Unterschiede, die weitreichende Konsequenzen für die Funktionsweise der jeweiligen Kammer und damit für die politische Führung (leadership) beider Häuser des Kongresses haben 129. Die drei grundlegenden Unterschiede zwischen Senat und Repräund Republikaner beigetragen. Vgl. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S.30. 125 Wesberry v. Sanders, 376 U.S. I (1964): one person, one vote principle. Im Anschluß an Volkszählung und reapportionment sind die WahIkreisgrenzen neu zu ziehen. Dieses redistricting liegt gemäß U.S. Const. art. I, § 4, cl. 1 indes in der Kompetenz der EinzeIstaatslegislativen und birgt daher die Gefahr der politischen Manipulation der Wahlkreisgrenzen (gerrymandering) durch die Mehrheitspartei eines Einzelstaates, um Gegenkandidaten chancenlos zu stellen. Dies wiederum kann zur verstärkten Präsenz politischer Hardliner im Abgeordnetenhaus führen, da sie mangels Opposition in ihren Wahlkreisen nahezu bedenkenlos politische Extrempositionen vertreten können. Allerdings kann durch den Wahlkreiszuschnitt auch den gesetzlichen bzw. verfassungsgerichtlichen Forderungen nach Stärkung von Minderheitsstimmen nachgekommen werden. In Davis v. Bandemer, 478 U.S. 109, 132 (1986) hat der Supreme Court der Wahlkreismanipulation keine allzu engen Grenzen gezogen. Vgl. zur Entwicklung des redistricting Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 746 ff., zu den Beschränkungen durch den Supreme Court Tribe, American Constitutional Law, 2. Aufl. (1988), S. 1062 ff. sowie U.S. Congress, Our American Government, S. 10. 126 U.S. Const. art. I, § 2, cl. 4. 127 U.S. Const. art. I, § 2, cl. 1. Zu den Einschränkungen vgl. Fn. 113. 128 U.S. Const. art. I, § 2, cl. 2. 129 Vgl. Wilson, Constitutional Government in the United States, S. 87: "House and Senate are naturally unlike." Vgl. klassisch: White, CitadeI: The Story of the U.S. Senate, S. I ff. sowie ders., Horne Place: The Story of the House of Representatives, S. I ff. Zum Vergleich beider Kammern siehe grundlegend Baker, House and Senate, S. I ff.; Froman, The Congres-
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich
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sentantenhaus sind die mehr als vierfache Mitgliederzahl des Repräsentantenhauses, die größeren Wahlkreise und die längeren Amtszeiten der Senatoren. Das Repräsentantenhaus verfügt daher über die größere Repräsentationsdichte und unterliegt einer stärkeren demokratischen Kontrolle als der Senat. Eine soziologische Differenzierung zwischen beiden Häusern spielt inzwischen keine Rolle mehr. Die ursprünglich in der Verfassung vorgesehene indirekte Wahl der Senatoren durch die Einzelstaatslegislativen entsprach der Intention der Verfassungsväter, mit dem Senat als quasi-aristokratische Komponente ein Gegengewicht zu dem aus direkter Volkswahl hervorgehenden Repräsentantenhaus zu schaffen. Der Kongreß sollte durch eine intraorganschaftliche Gewaltenteilung im Sinne der Mischverfassungslehre gekennzeichnet sein. Seit Einführung der unmittelbaren Volkswahl der Senatoren durch D.S. Const. amend. XVII im Jahre 1913 kann jedoch von einer verfassungssoziologischen Bedeutung der Gewaltenteilung keine Rede mehr sein 130. 11. Die Stellung von Senatoren und Abgeordneten im politischen Prozeß
Die strukturellen Differenzen zwischen Senat und Repräsentantenhaus wirken sich auf die Stellung der Senatoren und Abgeordneten im politischen Prozeß aus. Zwar unterscheiden sich Senatoren und Congressmen heute nicht mehr durch das Bestellungsverfahren. Doch verleiht nicht zuletzt die kleinere Mitgliederzahl des Senats und die längere Amtszeit der Senatoren diesen gegenüber den Mitgliedern des Repräsentantenhauses ein höheres Prestige 131 . Die Senatoren repräsentieren jeweils einen ganzen Staat und damit eine heterogenere Wählerschaft mit einer größeren Interessenvielfalt als die Abgeordneten. Dies macht die Senatoren in aller Regel zu Generalisten, da sie sich mit der ganzen Bandbreite der ihren Staat betreffenden nationalen und internationalen politischen Fragen auseinanderzusetzen haben. Bei den Abgeordneten ist hingegen der Spezialisierungsgrad aufgrund ihrer sional Process, S. 5 ff.; Oleszek. Congressional Procedures, S. 25 ff., dort auch zur politischen Führung des Kongresses, S. 31 ff. 130 Wegen des anfangs bestehenden Zensus war das Repräsentantenhaus indes auch nicht genuin demokratisch. Es ist jedoch nach der Konzeption der Verfassungsväter die eigentliche Volkskammer, der als solcher auch die Kompetenz gemäß U.S. Const. art. I, § 7, cl. 1 zustehen sollte, vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 52, S. 353 ff. (355): [the House of Representatives] "should have an immediate dependence on, and an intimate sympathy with the people." Zum Senat siehe Madison. in: Cooke, The Federalist No. 62, S. 415 ff. Vgl. auch Fraenkel. Das amerikanische Regierungssystem, S. 223 ff. Zu Ursachen und Wirkung der Einführung von U.S. amend. XVII Hoebeke. The Road to Mass Democracy: Original Intent and the Seventeenth Amendment, S. 17 ff. 131 Vgl. klassisch: Matthews. U.S. Senators and Their World, S. 1 ff. Mit der längeren Amtszeit der Senatoren sowie der Zuweisung besonderer Zuständigkeiten an den Senat im Bereich der Personalhoheit und der Außenpolitik beabsichtigten die Verfassungsväter, die "potestas" des Senats gegenüber der größeren "auctoritas" des direkt gewählten Repräsentantenhauses im Sinne eines Gleichgewichts zwischen beiden Kammern zu stärken, vgl. Fraenkel. Das amerikanische Regierungssystem, S. 225.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Bindung an häufig lokal begrenzte und homogenere Interessen ihrer kleineren Wahlkreise wesentlich höher 132. Die längere Wahlperiode von sechs Jahren verleiht den Senatoren eine größere Unabhängigkeit gegenüber politischem Druck von seiten der Wähler und erlaubt es einem Senator, während seiner Amtszeit zeitweilig stärker als Staatsmann und weniger als Interessenvertreter aufzutreten. Allerdings sind die Senatoren heutzutage ebenso wie die Congressmen gezwungen, wegen der aufwendigen Wahlkampagnen schon unmittelbar im Anschluß an ihren Amtsantritt die Wiederwahl vorzubereiten 133. Die urspriingliche Konzeption der Verfassungsväter, wonach der Senat für Kontinuität, Stabilität, Mäßigung und Weitsicht stehen und sich in besonderem Maße den nationalen Interessen verpflichtet fühlen sollte - Eigenschaften, die sie dem Repräsentantenhaus mit seiner nur zweijährigen Amtszeit nicht zuschrieben -, entspricht heute nur noch eingeschränkt der Realität 134 . Wegen ihrer dennoch stärkeren Beteiligung an der Formulierung nationaler Politik, ihres größeren Prestiges und ihrer geringeren Anzahl stehen die Senatoren stärker im Interesse der Medienöffentlichkeit als Abgeordnete des Repräsentantenhauses 135 . Die unterschiedliche Größe von Repräsentantenhaus und Senat hat weitreichende Konsequenzen für die Organisation der jeweiligen Kammer sowie für die Stellung des einzelnen Volksvertreters in ihr. Beide Kammern weisen einen dezentralisierten Charakter auf. Grundsätzlich verfügen Senat und Repräsentantenhaus mit der wichtigen Ausnah~e des Rules Committee 136 , zu dem im Senat kein funktionelles Äquivalent existiert, über ein paralleles System von Fachausschüssen 137 . 132 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 28 f.; Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 362. Allgemein zur Bindung an die Wähler Mayhew, Congress. The Electoral Connection, insbesondere S. ll ff. Speziell zum Verhältnis von Abgeordneten zu ihren Wahlkreisen Fenno, Horne Style: House Members in Their Distriets, insbesondere S. 1 ff. Zur besonderen Bedeutung der "Lokalisierung" der Politik für Abgeordnete und Senatoren im Vergleich zu deutschen Verhältnissen Jann, Kein Parlament wie jedes andere. Die veränderte Rolle des Kongresses im politischen System der USA, in: ZParl17 (1986), S. 224 ff. (235 f.). 133 Vgl. hierzu wie insgesamt zu einem Vergleich der Wahlkämpfe von Senatoren und Abgeordneten Fenno, The United States Senate, S. 29. Vgl. DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 362. Die gegenüber den Abgeordneten niedrigere Wiederwahlquote setzt die Senatoren zusätzlich unter Wahlkampfdruck, vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 30 f. Siehe auch Mann, Elections and Change in Congress, in: Mann10mstein, The New Congress, S. 32 ff. (41). 134 Vgl. Madison, Notes of Debates in the Federal Convention of 1787, S. 83, 194; ders., in: Cooke, The Federalist No. 62 und 63, S. 415 ff. und 422 ff. Siehe auch Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 31. 135 Vgl. Green, Obstacles to Reform: Nobody covers the House, in: Washington Monthly, June 1970, S. 62 ff. Auch Fenno, The United States Senate, S. 9 ff. Wenngleich sich das Medieninteresse an Senatoren und Abgeordneten inzwischen deutlich angeglichen hat, vgl. DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 416. 136 Siehe 5. Kap. B. III. 1. 137 Mit Z.T. unterschiedlichen Bezeichnungen vgl. die Übersicht bei Deering I Smith, Committees in Congress, S. 17 für den 105. Kongreß.
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich
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Aufgrund der geringeren Anzahl der Senatoren sind die Senatsausschüsse mit weniger Mitgliedern besetzt und ein Senator ist verglichen mit einem Congressman in mehr Ausschüssen vertreten; dadurch vergrößert sich die Beteiligung des einzelnen Senators am ganzen Entscheidungsspektrum. Der Spezialisierungsgrad der Senatoren ist zwangsläufig geringer, und sie sind im Hinblick auf Detailarbeit in stärkerem Maße auf den Sachverstand ihres Mitarbeiterstabs angewiesen 138 . Demgegenüber ermöglicht die mehr als vierfache Mitgliederzahl des Repräsentantenhauses eine ausdifferenziertere Arbeitsteilung und damit den Abgeordneten ein höheres Maß an Spezialisierung l39 . Der Kongreß zeichnet sich daneben durch einen extrem hohen Grad an Fragmentierung l40 aus, denn der Koordinationsrahmen der Fraktionen ist im Vergleich zu parlamentarischen Regierungssystemen nur schwach ausgebildet 141. Dies gilt 138 Wahrend des 104. Kongresses diente jeder Senator durchschnittlich in zehn Ausschüssen und Unterausschüssen, ein Abgeordneter in fünf. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 28 f. Andererseits erlaubt z. B. die permanente Mitgliedschaft im Senate Budget Committee in Verbindung mit der sechsjährigen Amtszeit den betreffenden Senatoren gegenüber den Vertretern des House Budget Committee mit seinem Rotationsprinzip einen höheren Spezialisierungsgrad in den Haushaltsfragen, a. a. 0., S. 29. Im 106. Kongreß verfügte ein Abgeordneter durchschnittlich über 14, ein Senator über 34 Vollzeit-Mitarbeiter, vgl. Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 153. Siehe auch JeweIlI Patterson, The Legislative Process in the United States, S. 218 ff.; zu den Aufgaben der persönlichen und Ausschußmitarbeiter siehe Jann, Die Helfer des Kongresses. Eine Bestandsaufnahme der personellen und analytischen Ressourcen von Senat und Repräsentantenhaus, S. 11 ff., 19 ff. 139 Vgl. Clapp, The Congressman. His work as he sees it, S. 39. Siehe zum Ausschußwesen des Kongresses Deering I Smith, Committees in Congress, insbesondere S. 11 ff.; Fenno, Congressmen in Committees, S. 1 ff.; Goodwin, The Little Legislatures. Committees of Congress, S. 1 ff.; Unekisl Rieselbach, Congressional Committee Politics. Continuity and Change, S. 1 ff.; Hall, Participation, Abdication, and Representation in Congressional Committees, in: Dodd/Oppenheimer, Congress Reconsidered (1993), S. 161 ff.; speziell zu den Subcommittees Goodwin, Subcommittees: The Miniature Legislatures of Congress, in: APSR 56 (1962), S. 596 ff.; Davidson, Subcommittee Government: New Channels for Policy Making, in: Mann 10rnstein, The New Congress, S. 99 ff. Zur Herrschaft der Unterausschüsse ferner auch Jann, Kein Parlament wie jedes andere. Die veränderte Rolle des Kongresses im politischen System der USA, in: ZParl17 (1986), S. 224 ff. (241 ff.). Klassisch: Wilson, Congressional Government, S. 62 ff. 140 Zur Fragmentierung des politischen Systems als Spiegelbild der Segmentierung der amerikanischen Gesellschaft siehe ausführlich Lösche, Amerika in Perspektive, insbesondere S. 10 f., 15 ff., 180 ff.; ders., Herrschaft des Kongresses oder Herrschaft des Präsidenten?, in: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 215 ff. (219 ff.). 141 Der Begriff der "Fraktion" bezeichnet in dieser Arbeit im Sinne der "Party in Congress" jene Gruppe von Parlamentariern, die jeweils im Repräsentantenhaus und im Senat unter dem Abzeichen der gleichen Partei gewählt worden sind, die indes nicht wie im parlamentarischen Regierungssystem durch Fraktions- und Parteidisziplin zusammengehalten werden, vgl. zur begrifflichen Klärung des amerikanischen Parteibegriffs und seinen funktionellen Unterschieden im Vergleich zu parlamentarischen Regierungssystemen Lösche, Die politischen Parteien, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 14, S. 268 f.; siehe vor allem grundlegend zu Parteien, Parlamentsfraktionen und Fraktionsdisziplin in den USA Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 33 ff.; speziell zur Fraktionskohäsion Jann, Kein
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
vor allem für den Senat, in dem eine an Parteigrenzen ausgerichtete Politik nicht zuletzt wegen seines stark individualisierten Charakters und der persönlichen Beziehungen seiner Mitglieder eine wesentlich geringere Rolle spielt als im Repräsentantenhaus 142. In dieser Kammer ist die Macht bei der Mehrheitsfraktionsführung und insbesondere beim Sprecher konzentriert und nimmt von dort über die Ausschuß- und Unterausschußvorsitzenden bis zu den einfachen Abgeordneten immer mehr ab. Die Machtstruktur des Repräsentantenhauses ist durch eine ausgeprägte Hierarchiepyramide gekennzeichnet, wohingegen die Macht unter den Senatoren gleichmäßiger verteilt ist l43 . Politische Führung ist insbesondere im Repräsentantenhaus mit seinen 435 Abgeordneten Grundvoraussetzung für politische Willensbildung und parlamentarische Effizienz. Sie ist demgegenüber unter den 100 Senatoren in geringerem Maße erforderlich, läßt sich mit der unabhängigen und gleichrangigen Stellung der auf ihre Individualität bedachten Senatoren schwerer vereinbaren und wird weitgehend durch informelle Absprachen ersetzt l44 . Die Stellung eines Senators unterscheidet sich von der eines Congressman außerdem darin, daß praktisch jeder Senator einen Vorsitz in einem Ausschuß oder Unterausschuß bzw. die Position des ranghöchsten Minderheitsmitglieds in einem dieser Gremien innehat l45 • Gleichwohl gibt es auch im Senat einen Majority und einen Minority Leader, die aber anders als im Repräsentantenhaus in ihren Fraktionen weniger einen funktionalen Sonderstatus haben, sondern eher als Repräsentanten ihrer Fraktionen nach außen auftreten. Zusammengefaßt zeichnet sich die Machtstruktur im Repräsentantenhaus durch einen hohen Grad an Institutionalisierung, die im Senat durch größere Personalisierung aus 146. Parlament wie jedes andere. Die veränderte Rolle des Kongresses im politischen System der USA, in: ZParl 17 (1986), S. 224 ff. (236 ff.); Sinclair, Coping with Uncertainty: Building Coalitions in the House and the Senate, in: Mann/Ornstein, The New Congress, S. 178 ff.; Patterson I Caldeira, Abstimmungskohäsion (Party-Voting) im amerikanischen Kongreß, in: ZParl 17 (1986), S. 200 ff. Teilweise übernehmen spezielle, informelle - z.T. auch überfraktionelle - Interessenzusammenschlüsse ("caucuses") der Abgeordneten und Senatoren die Koordinationsfunktionen der Fraktionen, hierzu Hammond u. a., Congressional Caucuses: Legislators as Lobbyists, in: Cigler/Loomis, lnterest Group Politics, S. 275 ff. sowie Jann, a. a. 0., S. 243 ff. 142 Vgl. Baker, House and Senate, S. 87 ff. 143 Vgl. Wilson, Congressional Government, S. 146 f. Siehe auch Baker, House and Senate, S. 91 ff. 144 Außerdem konfligiert eine hierarchische Führungsstruktur im Senat auch mit dem Verfassungsprinzip der "equal representation of all states". Hierzu Baker, House and Senate, S. 71; Froman, The Congressional Process, S. 7. Zur Führungsstruktur des Kongresses vgl. DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 163 ff.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 31 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, zum House Leadership S. 384 ff., zum Senate Leadership S. 404 ff.; Ripley, Congress. Process and Policy, S. 211 ff.; Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 31 ff.; Patterson, Party Leadership in the U.S. Senate, in: Kornacki, Leading Congress, S. 35 ff. 145 Vgl. Baker, House and Senate, S. 93. 146 Vgl. Canon, The Institutionalization of Leadership in the U.S. Congress, in: LSQ 14 (1989), S. 415 ff. (416 ff.).
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich
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III. Die Stellung von Senatoren und Abgeordneten im parlamentarischen Verfahren
Das parlamentarische Verfahren in Senat und Repräsentantenhaus ist aufgrund des fragmentierten Charakters des Kongresses im Vergleich zum deutschen Bundestag zwar insgesamt durch eine pluralistische Gestaltung, eine größere Vielfalt an individuellen Beteiligungschancen und eine unmittelbarere Beteiligung der Akteure am Machtprozeß gekennzeichnet. Die größere Zahl der Abgeordneten des Repräsentantenhauses hat jedoch verfahrenstechnisch zur Konsequenz, daß das parlamentarische Verfahren im Vergleich zum Senat formalisierter, strikter und geschlossener ist und dem einzelnen Abgeordneten weniger Freiraum läßt l47 . Dies kommt allein schon im erheblich größeren Umfang der kodifizierten Geschäftsordnung (standing mIes) und der Präzedenzfall sammlung des Repräsentantenhauses sowie der daraus resultierenden größeren Komplexität der Verfahrensregeln im Haus zum Ausdruck l48 . Der Senat versteht sich im Gegensatz zum Repräsentantenhaus als permanentes Verfassungsorgan und verabschiedet daher nicht zu Beginn jedes Kongresses eine neue, erweiterte Geschäftsordnung. Ganz allgemein läßt sich feststellen, daß der Zweck der Verfahrensregeln im Repräsentantenhaus in der Durchsetzung der Mehrheitsherrschaft im legislativen Prozeß liegt. Während sich der einzelne Abgeordnete typischerweise dem Mehrheitswillen des Hauses unterordnen muß, stärkt das Verfahrensrecht des Senats den Einfluß des einzelnen Senators gegenüber der Kammer, indem es ihm weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf den Gesetzgebungsprozeß gewährt l49 . Das Geschäftsordnungsrecht des Senats räumt damit der Minderheit de facto eine absolute Vetogewalt im parlamentarischen Verfahren ein 150. Das Verhältnis von Mehrheitsherrschaft und Minderheitsrechten im Senat läßt sich wie folgt zusammenfassen: "The Senate does not prevent the majority from ruling; it mere1y prevents the majority from doing everything it wants to do when it wants to do it. The Senate does not grant the minority the right to rule. It merely grants the minority the right to block legislation until it has been demonstrated that there is a clearcut, consistent majority behind it and until it is apparent that the minority is willing to remain within the community when it is forced to gi ve in to legislation that it considers abhorrent" 151 . 147 Vgl. Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 17 f.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 26 f. 148 Die Präzedenzfall sammlung des Repräsentantenhauses umfaßt 23 veröffentlichte Bände, die des Senats einen Band. Nach Deschler ist das System der Verfahrensregeln des Repräsentantenhauses "the most carefully adjusted and scientifically balanced of any parliamentary body in the world", Deschler's Precedents, preface, S. iii. Zu den Präzedenzfällen des Senats siehe Weber, Senate Precedents, in: Bacon/Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1577 f. 149 Vgl. I Hinds' Precedents, S. v; Baker, House and Senate, S. 73; siehe auch Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415. 150 Vgl. Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (586). 151 Reedy, The U.S. Senate, S. 197.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Diese allgemeine Feststellung läßt sich anhand eines Vergleichs der wichtigsten verfahrenstechnischen Unterschiede zwischen Senat und Repräsentantenhaus verifizieren J52 . Die Festsetzung von Arbeitsplan und Tagesordnung (scheduling) stellt im Repräsentantenhaus eine der bedeutendsten Prärogativen der Mehrheitsfraktionsführung und insbesondere des Sprechers dar. Im Senat dagegen werden Arbeitsplan und Tagesordnung nach eingehender Abstimmung zwischen dem Majority und dem Minority Leader, entsprechenden Ausschußvorsitzenden sowie einzelnen an der jeweiligen Vorlage besonders interessierten Senatoren festgelegt l53 . Letztere werden vor allem dann konsultiert, wenn sie von der informellen Praxis eines sog. "hold" Gebrauch gemacht haben. Hierunter ist ein schriftlicher Einwand zu verstehen, den Senatoren - anders als Congressmen - gegen das Aufrufen einer bestimmten Vorlage gegenüber dem Majority oder Minority Leader zum Ausdruck bringen können 154. Ein Konsens auf breitmöglichster Grundlage ist gerade schon im friihen Stadium des scheduling erforderlich, weil der weitere Verhandlungs verlauf im Senat maßgeblich durch Einstimmigkeitsbeschlüsse (unanimous consent agreements) bestimmt wird l55 . Wahrend im Repräsentantenhaus das Rules Committee den konkreten Verlauf der Plenarverhandlung bei Gesetzen der major legislation, d. h. der wichtigen, umstrittenen Gesetzgebung, dirigiert, indem es mit Hilfe von special rules den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen der Beratung festlegt, fehlt ein dem Rules Committee vergleichbarer Ausschuß im Senat. Das Äquivalent zu den special rules im Repräsentantenhaus bilden im Senat die sog. "complex unanimous consent agreements"156. Hierbei handelt es sich um auf breiter Grundlage zumeist informell ausgehandelte flexible Vereinbarungen, die die Debattenzeit begrenzen, den Gesetzesänderungsprozeß strukturieren und bestimmte Geschäftsordnungsein152 Zu einern ausführlichen Vergleich der Verfahrensregeln beider Kammern siehe Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 1 ff. 153 Ausführlich zum scheduling im Senat vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 198 ff. sowie die vergleichende Übersicht des scheduling im Haus und im Senat, a. a. 0., S. 223. 154 Vgl. hierzu Tiefer, Congressional Practice, S. 561 ff.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 206 f. ISS Der Geschäftsgang des Senats kennt im Gegensatz zu dem des Repräsentantenhauses mit seinen sieben calendars nur zwei calendars, den Legislative Calendar (Calendar of Business) und den Executive Calendar. Spezielle Verfahrenstage, an denen bestimmte Vorlagen privilegiert behandelt werden können, sieht die Geschäftsordnung des Senats anders als die des Hauses nicht vor. Vgl. hierzu Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 3 f., 6. 156 Im Gegensatz dazu betreffen "simple unanimous consent agreements" Einstirnrnigkeitsbeschlüsse in unkontroversen, routinemäßigen Verfahrensfragen, z. B. die Beendigung einer Beschlußflihigkeitsfeststellung oder die Erlaubniserteilung für die Anwesenheit von Mitarbeitern im Plenum während einer Debatte. Insgesamt zu den simple und complex unanimous consent agreements vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 207 ff., zu einern Vergleich zwischen House special rules und Senate unanimous consent agreements vgl. a. a. 0., S. 214. Speziell zu den complex unanimous consent agreements siehe auch Tiefer, Congressional Practice, S. 573 ff. Ferner insgesamt auch Riddick, Senate Procedure, S. 680 f.
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich
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sprüche (points of order) ausschließen können l57 • Anders als die special rules des Rules Committee, die von einer einfachen Mehrheit der Abgeordneten des Repräsentantenhauses verabschiedet werden müssen, ist Wirksamkeitsvoraussetzung der complex unanimous consent agreements, daß jeder einzelne Senator der Vereinbarung im Plenum zustimmt. Dies bedeutet insofern eine erhebliche Stärkung des Einflusses eines einzelnen Senators, als er seine Zustimmung von einer weitgehenden Berücksichtigung seiner Interessen abhängig machen kann 158. Ähnliches gilt auch für die Behandlung unumstrittener, nicht-kontroverser Gesetzesvorlagen. Diese werden im Repräsentantenhaus in aller Regel im suspension of the rules-Verfahren verabschiedet, das eine Zweidrittelmehrheit erfordert. Im Senat werden auch solche Vorlagen als unanimous consent agreements beschlossen I59 . Der Sprecher des Repräsentantenhauses hat bei der Worterteilung im Gegensatz zum jeweiligen Senatsvorsitzenden ein beträchtliches Ermessen 160. Die Redezeit von Abgeordneten in Gesetzesdebatten ist im Repräsentantenhaus meist eng begrenzt. Für Debatten gilt grundsätzlich die sog. "one-hour" rule l61 • Im suspension of the rules-Verfahren ist die Debattenzeit auf 40 Minuten begrenzt, wobei die Zeit je zur Hälfte zwischen Mehrheit und Minderheit aufgeteilt wird. Die dem einzelnen Congressman vom jeweiligen Floor Manager, dem für die Vorlage hauptverantwortlichen Fraktionsmitglied, zugeteilte Redezeit beträgt dabei selten mehr als zwei bis fünf Minuten l62 . Während der Beratung der Änderungsanträge im Committee of the Whole gilt für den Antragsteller und -gegner jeweils die sog. "five-minute" rule l63 . Daneben können special rules und statutory rules l64 in be157 Siehe zum Einsatz der complex unanimous consent agreements als Instrumente zur Effektivitätssteigerong der Senatsarbeit Ainsworth / Flathman, Unanimous Consent Agreements as Leadership Tools, in: LSQ 20 (1995), S. 177 ff. Ferner auch Keith, The Use of Unanimous Consent in the Senate, in: Committee and Senate Procedures, S. 140 ff.; Smith/ Flathman, Managing the Senate Floor: Complex Unanimous Consent Agreements since the 1950s, in: LSQ 14 (1989), S. 349 ff. 158 Vgl. Mulvihill, House and Senate Rules of Procedures: A Comparison, CRS Report, S. 5; ferner Baker, House and Senate, S. 79 ff. 159 Vgl. Oleszek, Congressional Procedure, S. 203. 160 Siehe 6. Kap. B. 111. 2. a). 161 Vgl. House Rule XVII, cl. 2. Die one-hour role wurde im Jahre 1841 eingeführt, als der Anstieg der Mitgliederzahl im Repräsentantenhaus eine Redezeitbegrenzung erforderlich machte, vgl. im einzelnen House Manual, § 957; V Hinds' Precedents § 4978; ferner Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 195. Zur Geschichte der hour role im Haus Luce, Legislative Procedure, S. 262 ff.; McConachie, Congressional Committees, S. 168 f. Unter der hour role könnten also strenggenommen alle Angelegenheiten des Hauses 440 Stunden lang (eine Stunde pro Mitglied) debattiert werden. In praxi wird unter der hour role jedoch jede Angelegenheit nur insgesamt eine Stunde lang verhandelt und dann darüber abgestimmt. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 147, Note 3. 162 Siehe insgesamt zur Redezeit Oleszek, Congressional Procedures, S. 129, 168 ff. 163 Vgl. House Rule XVIII, cl. 5 (a). 164 So etwa für die Budgetdebatte der Congressional Budget Act, vgl. 2 U.S.C. § 688 (c) (2) (2000). Besondere - wenngleich ebenfalls eng begrenzte - Redezeiten können den Con-
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
sonderen Fällen Zeitbegrenzungen festsetzen. Die Redezeit der Senatoren ist hingegen mit Ausnahme von entgegenstehenden complex unanimous consent agreements und statutory rules unbegrenzt. Die unbegrenzte Redezeit gibt den Senatoren ein taktisches Instrument zur Obstruktion des parlamentarischen Verfahrens in die Hand, in dem sie durch ausgedehnte Reden, die nicht notwendig einen sachlichen Bezug aufweisen müssen, das Verfahren verzögern und damit Vorlagen zum Scheitern bringen können. Dieses Obstruktionsmittel wird als "filibuster" bezeichnet 165. Allein seine Androhnung, speziell gegen Ende einer Sitzungsperiode, stellt ein wirksames Druckmittel der einzelnen Senatoren gegenüber der Senatsführung dar. Abgesehen von speziellen Zeitbegrenzungen in special rules und Einstimmigkeitsbeschlüssen kann das Repräsentantenhaus eine Debatte zu einem bestimmten Gegenstand im Plenum nur durch mehrheitliche Annahme einer motion for the previous question (House Rule XIX, cl. 1 (a» und im Coffiinittee of the Whole durch Verabschiedung einer motion to close or limit debate (Rule XVIII, cl. 8) beenden, die im Unterschied zur ersteren indes nicht automatisch eine Abstimmung über den jeweiligen Beratungsgegenstand nach sich zieht. Im Senat kann eine Debatte über einen bestimmten Gegenstand mit Ausnahme von Zeitbegrenzungen in complex unanimous consent agreements oder statutory rules nur beendet werden, wenn ein Senator das Plenum freigibt, ohne daß sich ein anderer zu Wort meldet, wenn eine motion to table (Senate Rule XIV, cl. 8 oder Senate Rule XXII, cl. 1) oder eine cloture motion (Senate Rule XXII, cl. 2) verabschiedet wird. Für die Annahme einer motion to table ist zwar eine einfache Mehrheit ausreichend, aber sie bewirkt automatisch das Scheitern der jeweiligen Vorlage. Die cloture motion ist das einzige Verfahrensmittel, mit dem eine Debatte beendet werden kann, ohne zugleich negativ über den entsprechenden Beratungsgegenstand zu entscheiden. Sie ist im Jahre 1917 gezielt als Instrument zur Beendigung von senatorischen filibusters in die Geschäftsordnung aufgenommen worden l66 . Nach Senate Rule XXII, cl. 2 können 16 Senatoren gressmen im Fall der "morning hour" debates, "one-minute" speeches und der "special order" speeches eingeräumt werden, vgl. hierzu House Manual, §§ 950 f. 165 "Filibuster" (zu deutsch eigentlich: "freibeutern") ist eigentlich der Oberbegriff für jedwedes parlamentarische Obstruktionsmittel. Im Senat ist der Ausdruck vor allem in Verbindung mit endlosen Reden (Senator Strom Thurmond, R-S.C., am 28./29.8. 1957,24 Stunden und 18 Minuten) zur Blockierung der liberalen Bürgerrechtsgesetzgebung in den 1950'er und 1960'er Jahren bekannt geworden. Es kommt auch vor, daß die Redner zum Telefonbuch greifen und daraus vorlesen. Vgl. insgesamt auch zur Geschichte des filibuster: Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 90 f. m. w. N.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 249 ff.; vgl. auch Hübner; Das politische System der USA, S. 118. 166 Bis 1806 sah die Geschäftsordnung des Senats in Senate Rule VIII eine motion for the previous question zur Beendigung einer Debatte vor. Seit der Streichung dieser Vorschrift stand den Senatoren bis 1917 praktisch ein unbegrenztes Rederecht zu. Demgegenüber wandelte das Repräsentantenhaus die seit 1789 bestehende motion for the previous question im Jahre 1811 in ein Instrument zur Begrenzung des Rederechts der Abgeordneten um. Vgl. zur Entstehung Jewell/ Patterson, The Legislative Process, S. 102 f.; Tiefer; Congressional Prac-
E. Senat und Repräsentantenhaus im Vergleich
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schriftlich den Schluß einer Debatte (c1oture) beantragen. Die Abstimmung über diesen Antrag erfolgt eine Stunde nach Eröffnung des übernächsten Sitzungstages. Für die Annahme des c1oture-Antrags ist aber grundsätzlich die Zustimmung von drei Fünftein der Mitglieder des Senats (60 Senatoren) erforderlich. Nur wenn es um Fragen der Änderung der Geschäftsordnung geht, ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Senatoren erforderlich. Vom Zeitpunkt der Beschlußfassung an darf kein Senator länger als eine Stunde reden, wobei die maximale Debattenzeit grundsätzlich auf 30 Stunden begrenzt ist. Nach Ablauf dieser sog. "post-c1oture" period hat der Senat über den jeweiligen Beratungsgegenstand abzustimmen 167 . Wahrend also im Repräsentantenhaus grundsätzlich eine einfache Mehrheit zur Beendigung einer Debatte ausreicht, sind die Anforderungen im Senat mit einer Dreifünftelmehrheit erheblich höher. Der Prozeß der Beratung von Änderungsanträgen zu Gesetzesvorlagen (amendments) findet im Repräsentantenhaus in der Versammlungsform des Committee of the Whole statt, in dem vereinfachte Verfahrensvoraussetzungen zur Beschleunigung des Gesetzgebungsprozesses gelten. Der amending-Prozeß richtet sich hier strikt nach den in den special rules vorgegebenen Bedingungen, insbesondere sind Zahl und Art der möglichen Änderungsanträge genau begrenzt. Dariiber hinaus müssen Änderungsanträge im Repräsentantenhaus grundsätzlich immer im Sachzusammenhang mit der jeweiligen Vorlage stehen (germaneness-Grundsatz) 168. Die einzelnen sections und paragraphs eines Gesetzesentwurfs werden unter rigider Einhaltung eines feststehenden Verfahrensablaufs behandelt 169 . Das amendingVerfahren im Senat, der die Tagungsform des Committee of the Whole nicht kennt, ist weitaus weniger strukturiert und offener, zugleich aber auch langwieriger. Mit Ausnahme von Vorgaben in complex unanimous consent agreements ist die Einbringung von Änderungsanträgen durch einzelne Senatoren weder im Hinblick auf die Zeit, die Anzahl, die Reihenfolge noch den Inhalt begrenzt, ein germanenessErfordernis besteht für Änderungsanträge im Senat bis auf bestimmte Ausnahmetice, S. 691 ff.; Riddick, The D.S. Congress, S. 371 ff.; Baker, House and Senate, S. 74. Ferner auch House Manual, § 994. 167 Bis 1975 war in jedem Fall eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Senatoren für die Annahme eines c1oture-Antrags erforderlich. Im Zusammenhang mit der Genehmigung von Fernsehübertragungen von Senatssitzungen im Jahre 1986 wurde die Höchstgrenze der zusätzlichen Redezeit (post-c1oture period) von 100 auf 30 Stunden herabgesetzt. Die c10ture rule hat indes nicht allen Verzögerungs taktiken wirksam Einhalt gebieten können, siehe diesbezüglich zu den sog. "postc1oture filibusters" sowie insgesamt zur Wirkung der c10ture rule Oleszek, Congressional Procedures, S. 253 ff. sowie Tiefer, Congressional Practice, S. 729 ff. 168 Vgl. House Rule XVI, cl. 7. Eine special rule kann indes die Einbringung von bestimmten non-germane amendments zulassen. 169 Abweichungen von der Verfahrensreihenfolge sind nur mit Einstimmigkeitsbeschluß oder aufgrund bestimmter Geschäftsordnungsvorschriften möglich. Zum amending-Prozeß im Repräsentantenhaus vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 172 ff. Vgl. auch Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 9 f.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der VSA
fälle nicht 170. Senatoren können daher amendments in die Debatte einbringen, die nicht das Geringste mit der zu beratenden, von einem Ausschuß verabschiedeten Vorlage zu tun haben. Das Fehlen eines generellen germaneness-Erfordernisses im Senat 171 hat zur Folge, daß Senatoren Ausschüsse einfach umgehen können. Sie können eine Vorlage als Änderungsantrag in den amending-Prozeß einbringen, die von einem Ausschuß blockiert wird, so daß es insoweit auf die Verabschiedung dieser Vorlage im Ausschuß nicht mehr ankommt. Wahrend der inhaltlichen Abänderung einer von einem Ausschuß des Repräsentantenhauses verabschiedeten Gesetzesfassung enge Grenzen gesetzt sind, hat die Formulierung von Gesetzesvorlagen durch Ausschüsse des Senats wegen der Möglichkeit von non-germane amendments keinen vergleichbaren Einfluß auf die endgültige Gesetzesfassung. Den Ausschüssen kommt daher im Senat eine geringere Bedeutung im Gesetzgebungsprozeß zu als im Repräsentantenhaus I72 . Im Repräsentantenhaus können Anträge auf Feststellung der Beschlußfähigkeit grundsätzlich nur in Verbindung mit Abstimmungen gestellt werden. Demgegenüber haben Senatoren das Recht, nahezu jederzeit einen Antrag auf Feststellung der Beschlußfähigkeit zu stellen 173. Häufig dient ein solcher Antrag dem Zweck der Verfahrensverzögerung, um Zeit für informelle Absprachen zu schaffen oder abwesenden Senatoren Zeit zu geben, ins Plenum zu gelangen. Ähnliches gilt auch für die Beantragung namentlicher Abstimmungen. Im Repräsentantenhaus können namentliche Abstimmungen nur beantragt werden, wenn zuvor eine voice oder division vote stattgefunden hat I74 . Im Senat hingegen können namentliche Abstimmungen prinzipiell jederzeit beantragt werden I75. Auch dieses Recht gibt dem einzelnen Senator die Möglichkeit, das Verfahren zu verzögern. Dies gilt insbesondere, da der Senat nicht - wie das Repräsentantenhaus - über ein elektronisches Abstimmungssystem verfügt, so daß tatsächlich jeder einzelne Senator vom Clerk in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen werden muß (roll call)I76. 170 Zum amending-Prozeß im Senat vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 238 ff. mit einer vergleichenden Übersicht des amending-Verfahrens in beiden Kammern, a. a. 0., S. 240. Vgl. auch Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 10. I7l Siehe 6. Kap. B. III. 2. b) bb). 172 Vgl. Baker, House and Senate, S. 76. 173 Vgl. House Rule XX, cl. 7 (a) und Senate Rule VI, cl. 3. 174 Vgl. House Rule I, cl. 6 i.Y.m. XX, cl. 1 (a) und (b). Voraussetzung ist jedoch die Einhaltung des erforderlichen Quorums vgl. House Rule XX, cl. 1 (b), House Rule XVIII, cl. 6 (e), V.S. Const. art. I, § 5, cl. 3. 175 V gl. Senate Rule XII, cl. 1. Voraussetzung ist auch hier die Einhaltung des verfassungsmäßigen Quorums gemäß V.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 (mindestens 11 Senatoren). 176 Allerdings wird zu Beginn einer neuen Sitzungsperiode üblicherweise im Wege eines unanimous consent agreements die Zeitdauer für eine namentliche Abstimmung (roll call vote) auf 15 Minuten begrenzt. Vgl. insgesamt zum Abstimmungssystem im Senat Oleszek, Congressional Procedures, S. 245 ff.; Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 12.
F. Die Kompetenzen und Aufgaben des Kongresses
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Die aufgeführten Unterschiede des parlamentarischen Verfahrens beider Kammern zeigen, daß einem einzelnen Senator in größerem Umfang Rechte zur Einwirkung auf den Gesetzgebungsprozeß zu Gebote stehen als einem Abgeordneten. Die Machtstellung der einzelnen Senatoren unterscheidet sich somit von derjenigen der Congressmen neben ihrer größeren Unabhängigkeit, ihrem breiteren Einfluß auf das Spektrum politischer Entscheidungen und dem höheren Gewicht ihrer Stimme vor allem auch durch ihren umfangreicheren Einfluß auf den parlamentarischen Prozeß. Daher ist politische Führung im Senat schwerer durchsetzbar als im Repräsentantenhaus.
F. Die Kompetenzen und Aufgaben des Kongresses Die Legislative in den USA ist im Unterschied zu den meisten anderen Verfassungsstaaten als echtes Zwei-Kammer-System mit einer grundsätzlichen Gleichberechtigung bei der Häuser des Kongresses ausgestaltet. Senat und Repräsentantenhaus haben ein Gesetzesinitiativrecht und können beide Gesetzgebungsvorhaben jeweils zuerst verabschieden 177. Der Kongreß des präsidentiellen Regierungssystems der USA ist ein echtes Legislativorgan. Er besitzt gegenüber der Regierung nicht die Möglichkeit des politischen Vertrauensentzugs, so daß seine "höchste politische Sanktionsgewalt"l78 allein in der Gesetzgebung liegt (power of law). Nach dem Verfassungsgrundsatz des limited government l79 (U.S. Const. art. I, § 1) ist der Kongreß grundsätzlich nur zur Behandlung derjenigen Gesetzgebungsgegenstände ermächtigt, die ihm durch die Verfassung zugewiesen sind l8o . Die Gesetzgebungskompetenzen des Kongresses sind zum größten Teil in U.S. Const. art. I, § 8 mit seinen 18 Klauseln enumerativ aufgezählt und schließen insbesondere die Kriegserklärung und die Erhebung von Steuern ein l81 . Dem Repräsentantenhaus steht hierbei gemäß U.S. Const. art. I, § 7, cl. 1 das alleinige Recht zur Einbringung von Finanzgesetzen (Steuergesetzen) zu 182. Es ist vor allem die GeneralVgl. hier nur Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 16. Steffani, Der Kongreß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 115 f. 179 Vgl. hierzu Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 222. 180 Durch U.S. Const. amend. X wird dieses Enumerationsprinzip der Kompetenzen des Kongresses ausdriicklich in der Verfassung verankert. 181 Siehe auch den ausführlichen Überblick über die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten des Kongresses bei Tribe, American Constitutional Law, 3. Aufl. (2000), vol. I, S. 789 f., 795 ff. sowie bei Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 34 ff. 182 Zu den damit verbundenen Kompetenzkonflikten mit dem Senat siehe House Manual, § 102. Faktisch erstreckt sich dieses Privileg des Repräsentantenhauses auch auf die Einbringung von Ausgabenbewilligungsgesetzen (appropriation bills), die ebenfalls als unter den Begriff der "revenue"-Angelegenheiten fallend angesehen werden. Vgl. hierzu Deschler/ Brown, Procedure, Ch. 13 § 3.13. Der Senat bestreitet dem Repräsentantenhaus indes einen 177
178
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
klausel, die sog. "necessary and proper c1ause", die als Grundlage der implied powers-Lehre in ihrer Anwendung durch den Supreme Court zu einer starken Erweitung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes geführt hat l83 . Die politisch einflußreichste Gesetzgebungszuständigkeit des Kongresses ist die Haushaltskompetenz (power of the purse), die in U.S. Const. art. I, § 9, cl. 7 verfassungsrechtlich verankert ist l84 . Diese Norm gewährleistet eine umfassende Absicherung des Finanzbewilligungsrechts des Kongresses als Quelle und zentrales Instrument seiner Macht l85 . Hiernach kann allein der Kongreß Zeitpunkt, Zweck und Umfang aller staatlichen Geldausgaben bestimmen 186. Neben der Gesetzgebung verfügt der Kongreß über zentrale staatsorganisatorische Befugnisse. Er ist zuständig für das Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten und Vizepräsidenten und anderer Amtsträger, z. B. Bundesrichter, (impeachment)187. Das Recht zur Anklageerhebung steht hierbei dem Repräsentantenhaus zu, das mit der einfachen Mehrheit seiner Mitglieder die Einleitung eines impeachment-Verfahrens beschließen kann. Die Durchführung des Verfahrens erfolgt im Senat, dem auch die Urteilsfindung obliegt. Für eine Verurteilung ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Senatoren erforderlich, die als Geschworene fungieren. Erreicht bei Präsidentschaftswahlen keiner der Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten im Wahlmännerkollegium die absolute Mehrheit, so hat das Repräsentantenhaus den Präsidenten und der Senat den Vizepräsidenten zu wählen 188. Der Kongreß hat das Recht, auf Verlangen einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern Verfassungsänderungen vorzuschlagen oder auf Antrag der Legislativen von zwei Dritteln der Einzelstaaten einen Konvent zur Ausarbeitung von Verfassungsänderungen einzuberufen l89 . Der Senat verfügt über ein an eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Senatoren gebundenes Zustimmungsrecht zu völkerrechtlichen Verträgen und hat ein Mitwirkungsrecht bei der Ernennung von Diplomaten, obersten Bundesrichtern und bestimmten obersten Bundesbeamten. Er kann die jeweiligen Personalvorschläge des Präsidenten mit einfacher Mehrheit billigen oder zuriickweisen 190. vetfassungsrechtlichen Vorrang. Vgl. Deschler / Brown, Procedure, Ch. 13 § 3.11; Pressman, House vs. Senate: Conflict in the Appropriation Process, S. I ff. 183 U.S. Const. art. I, § 8, cl. 18. Siehe hierzu insgesamt nur Joswig, Die implied powersLehre im amerikanischen Vetfassungsrecht, insbesondere S. 29 ff. 184 Vgl. insgesamt Tribe, American Constitutional Law, 3. Aufl. (2000), vol. I, S. 730 ff. 185 Vgl. Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 11. Siehe auch Madison, in: Cooke, The Federalist No. 58, S. 391 ff. (394). 186 Vgl. Steffani, Der Kongreß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 116. 187 Vgl. U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 und § 3, cl. 6 sowie art. 11, § 4. Bei einem impeachment gegen den Präsidenten führt der Chief Justice des U.S. Supreme Court den Vorsitz im Senat. 188 Vgl. U.S. Const. amend. XII. 189 Vgl. U.S. Const. art. V. 190 Vgl. U.S. Const. art. 11, § 2, cl. 2.
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens
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Die Aufsicht über die ordnungsgemäße und effiziente Ausführung der Gesetze durch die Exekutive (congressional oversight) stellt schließlich eine weitere wichtige Aufgabe des Kongresses dar 191 . Die Verfassung enthält zwar insoweit keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung, doch wird die Befugnis des Kongresses zur Kontrolle der Administration als implizite Kompetenz der allgemeinen Gesetzgebungsfunktion des Kongresses angesehen l92 . Der kompetentielle Anknüpfungspunkt für die Kontrollbefugnis des Kongresses ist U.S. Const. art. I, § 1 in Verbindung mit der necessary and proper c1ause in U.S. Const. art. I, § 8, cl. 18 193 . Congressional oversight findet in drei sich überschneidenden Formen statt: durch das Ausschußsystem des Kongresses (legislative oversight), durch die Bewilligung von Haushaltsmitteln (fiscal oversight) und durch das Untersuchungsrecht des Kongresses (investigative oversight)194.
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens I. Die Formen legislativer Entscheidungen Die Formen legislativer Entscheidungen im amerikanischen Kongreß 195 lassen sich grundsätzlich in zweierlei Hinsicht unterscheiden 196: zum einen nach ihrem Stadium im Gesetzgebungsprozeß, zum anderen nach ihrer Regelungsmaterie verbunden mit bestimmten Verfahrensunterschieden. Im ersten Fall handelt es sich 191 Siehe hierzu allgemein Harris, Congressional Control of Administration, S. 1 ff.; Ogul, Congress oversees the Bureaucracy, S. 1 ff.; Aberbach, Keeping a Watchful Eye. The Politics of Congressional Oversight, S. 1 ff.; Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 155 ff.; Fisher, The Politics of Shared Power, insbesondere S. 56 ff.; Ripley I Franklin, Congress, the Bureaucracy, and Public Policy, S. 1 ff. 192 Vgl. hierzu Tribe, American Constitutional Law, 3. Aufl. (2000), vol. I, S. 791; Oleszek, Congressional Procedures, S. 301. 193 So ausdrücklich für das Untersuchungsrecht des Kongresses als Ausprägung der congressional oversight McGrain v. Daugherty, 273 U.S. 135, 174 (1927). 194 Vgl. zu den Formen und Mitteln der congressional oversight Oleszek, Congressional Procedures, S. 300 ff.; Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 324 ff. 195 Vgl. insgesamt zum Gesetzgebungsprozeß in den USA die Kurzdarstellungen von Jann, Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: ZG 3 (1988), S. 224 ff.; Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger I Welz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 184 ff.; SijflWeil, Ruling Congress, S. 2 ff.; Froman, The Congressional Process, S. 34 ff.; Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 227 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415 ff. Für eine umfassende Beschreibung des Gesetzgebungsverfahrens vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 1 ff.; Johnson, How Dur Laws Are Made, S. 1 ff.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 91 ff.; mit Schwerpunkt auf dem Senat Redman, The Dance of Legislation, S. 1 ff. 196 Abgesehen von den völkerrechtlichen Verträgen als besonderem Beratungsgegenstand des Senats.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
um eine rein terminologische Unterscheidung. Wenn Gesetzesvorhaben das erste Mal gedruckt und in das Repräsentantenhaus eingebracht werden, bezeichnet man sie als "bills" (Gesetzesentwürfe). Wenn dieser Gesetzesentwurf von einem der beiden Häuser verabschiedet und dem anderen Haus zugeleitet worden ist, trägt er die Bezeichnung "act". Wenn der Gesetzesentwurf schließlich vom Kongreß insgesamt verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet worden ist, erhält er als "law" Gesetzeskraft 197 . Im zweiten Fall ist wiederum zwischen bills und drei Arten von Resolutionen zu unterscheiden. Alle die Innen- und Außenpolitik, die amerikanische Bevölkerung und die U.S.-Regierung betreffenden Gesetzesvorhaben, die somit den weitaus überwiegenden Teil der Gesetzgebung ausmachen, werden in der Form von bills eingebracht. Hierunter fallen sowohl Entwürfe von Autorisierungsgesetzen, die Ausgabeermächtigungen und -begrenzungen für die Exekutive enthalten, als auch Entwürfe von Appropriationsgesetzen, die die eigentliche Geldbewilligung für die Politik der Exekutive zum Gegenstand haben. Desweiteren ist in diesem Zusammenhang noch zwischen den public bills, die eine unbestimmte Zahl von Personen betreffen, und den private bills, die sich auf eine bestimmte Personengruppe bzw. bestimmte Sachverhalte beziehen, zu unterscheiden. Nach Verabschiedung durch den Kongreß und Unterzeichung durch den Präsidenten erhalten sie als law Gesetzeskraft 198 . Bei den joint resolutions handelt es sich - wie bei den bills - um gemeinsame Beschlüsse bei der Kammern des Kongresses, die ebenfalls vom Präsidenten zu unterzeichnen sind. Auch sie besitzen Gesetzeskraft. Der Unterschied zu den bills besteht darin, daß die joint resolutions zumeist einen spezielleren, enger begrenzten Regelungsgegenstand aufweisen. Darüber hinaus werden die Verfassungsergänzungen (constitutional amendments) stets in der Form von joint resolutions verabschiedet. Sie stellen allerdings insofern einen Sonderfall dar, als sie grundsätzlich mindestens eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern erfordern, nicht der präsidentiellen Unterzeichnung bedürfen und von einer Dreiviertelmehrheit der Einzelstaaten ratifiziert werden müssen 199 . Concurrent resolutions sind von beiden Häusern verabschiedete Absichtserklärungen (z. B. die Budgetresolutionen), die allerdings keine Gesetzeskraft haben und daher nicht die Unterschrift des Präsidenten erfordern. Unter simple resolutions sind schließlich die Beschlüsse eines Hauses über Gegenstände zu verstehen, die vollständig der Autonomie bzw. Prärogative der betreffenden Kammer unterfallen (z. B. Stellungnahmen oder Neuverabschiedung bzw. Änderung der kodifizierten Geschäftsordnungsregeln einer
197 Teilweise wird ein endgültig verabschiedetes und vom Präsidenten unterzeichnetes Gesetz auch als act bezeichnet. 198 Die so zustandegekommenen Bundesgesetze werden in den offiziellen Gesetzessammlungen teilweise auch als federal statutes bezeichnet. 199 Vgl. insgesamt U.S. Const. art. V. Hiernach kann der Kongreß auch auf Antrag von zwei Dritteln der Legislativen der Einzelstaaten einen Konvent zur Ausarbeitung von Verfassungsänderungsvorschlägen einberufen.
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens
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Kammer). Simple resolutions haben keine Außenwirkung, erlangen keine Gesetzeskraft und erfordern insofern auch nicht die Gegenzeichnung des Präsidenten 2OO • 11. Das Einbringen von Gesetzesentwürfen
Das Gesetzesinitiativrecht steht im amerikanischen Kongreß nur einem Mitglied der jeweiligen Kammer zu. Die Exekutive, d. h. der Präsident, kann selbst keine Gesetzesvorlage einbringen. Der Präsident muß sich zu diesem Zweck eines ihm nahestehenden Abgeordneten oder Senators bedienen 201 . Wenn der Abgeordnete mit der Intention des Gesetzesentwurfs nicht einverstanden ist, kann er ihn mit dem Zusatz "by request" (auf Aufforderung) versehen. Seit einer Geschäftsordnungsänderung aus dem Jahr 1978 ist die Höchstzahl der Abgeordneten für eine gemeinsame Einbringung eines Gesetzesentwurfs abgeschafft worden202 • Das Einbringen von Gesetzesvorlagen erfolgt, indem der jeweilige Abgeordnete oder Senator seinen Entwurf in eine dafür im Plenum bereitgestellte Box, den sog. "hopper", wirft. Darauf erhält jeder eingebrachte Entwurf eine fortlaufende Nummer203 .
200 Vgl. auch zu den verschiedenen types of legislation Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 419 f. 201 Vgl. Fn. 31. Das Gesetzgebungsverfahren ist grundsätzlich in Senat und Repräsentantenhaus dasselbe, so daß die vorliegende Darstellung für beide Häuser gilt. 202 Vor 1967 ließ die Geschäftsordnung nur den Namen eines Abgeordneten pro Vorlage zu. Dies hatte zur Folge, daß einhundert Abgeordnete, die einen Gesetzesentwurf gemeinsam einbringen wollten, einhundert gleiche Vorlagen einreichen mußten. Eine in jenem Jahr beschlossene Geschäftsordnungsänderung (H. Res. 42, Congressional Record, 25. 04. 1967, S. 10712) der damaligen House Rule XXII erlaubte dann bis zu fünfundzwanzig Abgeordneten, ihre gemeinsame Unterstützung für eine Vorlage zu demonstrieren. Im Jahre 1978 wurde schließlich nach nochmaliger Änderung jener Geschäftsordnungsregel (H. Res. 86, Congressional Record, 10. 10. 1978, S. 34929) - wie im Senat - die zahlenmäßige Beschränkung ganz aufgehoben. Dies bewirkte einen erheblichen Abfall der Gesamtzahl eingebrachter Gesetzesvorhaben. Vgl. dazu hier nur Davidson, Der US-Kongreß "bei der Arbeit": Zum Wandel von Gesetzesvolumen und Geschäftsordnung, in: ZParl 2 (1988), S. 249 ff. (256 f.) und ferner House Rule XII, cl. 7. Im 106. Kongreß (1999-2000) betrug die Gesamtzahl aller im Repräsentantenhaus eingebrachten legislativen Maßnahmen 6942. Hiervon sind insgesamt 1534 verabschiedet worden. Vgl. Resume of Congressional Activity, http://thomas.loc.gov I home/resume/l06res.html. Im Vergleich dazu wurden von der 1. bis zur 12. Wahlperiode des deutschen Bundestages (1949-1994) insgesamt 7486 Gesetzesentwürfe eingebracht, von denen 4896 als Gesetze verabschiedet worden sind. In der 12. Wahlperiode (1990-1994) wurden insgesamt 800 Entwürfe eingebracht. Die Gesamtzahl der verabschiedeten Gesetze betrug in dieser Legislaturperiode 507. Vgl. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Bd. II, S. 2388 f. 203 Im Repräsentantenhaus eine H.R.-Nr., im Senat eine S.-Nr.
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
III. Die Behandlung der Gesetzesvorlagen in den Ausschüssen
Nach der fonnalen Einbringung eines Gesetzesentwurfs wird dieser vom Vorsitzenden der jeweiligen Kammer, im Repräsentantenhaus vom Speaker, im Senat in aller Regel vom amtierenden Senatspräsidenten, ohne Aussprache im Plenum an den zuständigen Ausschuß überwiesen. In der Praxis wird diese Aufgabe allerdings von den jeweiligen Kammerjuristen (House und Senate Parliamentarians) wahrgenommen. Die Überweisung gilt technisch als erste Lesung 204 . Wahrend im zahlenmäßig kleineren Senat mit seiner weniger strengen Geschäftsordnung seit jeher eine Überweisung an mehrere Ausschüsse durch Einstimmigkeitsbeschluß üblich ist (multiple referral), wurde dem Speaker des Repräsentantenhauses erst durch eine Geschäftsordnungsänderung im Jahre 1975 das Recht der Mehrfachüberweisung eingeräumt205 . Der Speaker kann eine Mehrfachüberweisung auf drei verschiedene Arten vornehmen, nämlich durch eine parallele Zuweisung an mehrere Ausschüsse (additional initial referral), durch eine Zuweisung an mehrere Ausschüsse nacheinander (sequential referral) oder durch Aufteilung des Entwurfs in mehrere Einzelvorlagen und deren Überweisung an verschiedene Ausschüsse (split referral). Die einzelnen Kompetenzbereiche der Ausschüsse sind in der Geschäftsordnung festgelegt 206 . Es liegt im Ennessen eines Ausschusses, auf welche Art und Weise, z. B. durch Einsetzung von Unterausschüssen, er die Vorlage behandelt. Die eigentliche Ausschußbehandlung eines Gesetzesentwurfs beginnt mit einer öffentlichen Anhörung (public hearing) von Sachverständigen, Interessenvertretern und Mitgliedern der Exekutive, deren Protokolle im Congressional Record veröffentlicht werden. Nach der Anhörung entscheidet der (federführende) Ausschuß dariiber, ob der Entwurf an das Plenum weitergeleitet werden soll. Nimmt der Entwurf diese Hürde nicht, ist er im allgemeinen bereits im Ausschuß gescheitert ("killed in committee,,)207 und müßte im nächsten Kongreß unter Einhaltung desselben Verfahrens neu eingebracht werden. Soll der Entwurf verabschiedet werden, so findet vor der Weiterleitung an das Plenum zunächst eine öffentliche mark-up-Sitzung statt. Hierbei wird die Gesetzesvorlage paragraphenweise durchgegangen, beraten und gegebenenfalls nach Neufonnulierung verabschiedet. Dieser Ausschußentwurf wird dann in aller 204 205
cl. 2.
Vgl. zu den drei Lesungen House Rule XVI, cl. 8. Vgl. H. Res. 988, Congressional Record, 08. 10. 1974, S. 34470 und House Rule XII,
Vgl. House Rule X und Senate Rule XXV. Die Weiterleitung einer in einem Ausschuß gescheiterten Vorlage an das Plenum kann allerdings durch eine von der absoluten Mehrheit der Repräsentantenhausabgeordneten (218) unterzeichnete discharge petition erzwungen werden, vgl. House Rule XV, cl. 2. Im Senat besteht wegen des Fehlens eines generellen germaneness-Erfordemisses die Möglichkeit, den Entwurf als Ergänzung an eine bereits an das Plenum weitergeleitete bill anzufügen und so den Ausschuß zu umgehen. Die Behandlung einer Vorlage in den Ausschüssen stellt die entscheidende Phase im Gesetzgebungsverfahren dar, da hier der größte Teil der Vorlagen "hängenbleibt" . 206 207
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens
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Regel unter Beifügung eines ausführlichen Berichts, der auch abweichende Meinungen und Minderheitsvoten enthält, (reported bill) dem Plenum zugeleitet. IV. Die Beratung und Verabschiedung im Plenum
Der nächste Verfahrensschritt ist die Aufnahme der reported bill in die Tagesordnung des Repräsentantenhauses bzw. des Senats (scheduling). Hierzu wird die Gesetzesvorlage auf einem calendar plaziert. Dies ist ein legislatives Verzeichnis aller bills, die den beiden Kammern zur Beratung und Abstimmung vorliegen. Das Repräsentantenhaus kennt insgesamt sieben solcher calendars 208 . Die einzelnen calendars werden an bestimmten Sitzungstagen aufgerufen. Die auf einen calendar entfallende Sitzungszeit richtet sich nach der Bedeutung und Komplexität seiner Gesetzesvorlagen. Die Plazierung eines Entwurfs auf einem der calendars ist allerdings lediglich die formale Voraussetzung dafür, daß er im Plenum aufgerufen und debattiert werden kann, nicht jedoch eine Garantie dafür, daß er auch tatsächlich behandelt wird. Alle Vorlagen, die Einnahmen und Ausgaben betreffen, werden in den Union Calendar aufgenommen. Sonstige public bills, die keine finanziellen Regelungen, sondern vielmehr Verwaltungs- und Verfahrens angelegenheiten zum Gegenstand haben, werden dem House Calendar zugewiesen. Daneben gibt es drei calendars für weniger bedeutsame Gesetzesvorlagen, die im allgemeinen routinemäßig verabschiedet werden. Der Private Calendar erfaßt die sich nur auf einen eng begrenzten Adressatenkreis beziehenden private bills und in den Corrections Calendar gehen die unkontroversen Vorlagen zur Korrektur verfehlter gesetzlicher Regelungen ein. Gesonderte Sitzungszeit entfällt auch auf die sog. "District of Columbia Legislation". Ferner können in den Discharge Calendar Entwürfe aufgenommen werden, deren Behandlung durch das Plenum entgegen der Ablehnung eines Ausschusses durch eine discharge petition erzwungen wird. Mit Hilfe des Calendar Wednesday können die ständigen Ausschüsse die von ihnen verabschiedeten, aber noch nicht mit einer special rule des Rules Committee versehenen Vorlagen zur Beratung aufrufen. Auf die Anwendung dieses calendar wird indes heutzutage in aller Regel durch einen Einstimmigkeitsantrag verzichtet. Der Senat kennt hingegen nur zwei calendars. In den Executive Calendar werden nur die Entwürfe aufgenommen, die die Zustimmung des Senats erfordern (z. B. Zustimmung zu Ernennungen oder internationalen Verträgen). Alle übrigen Vorlagen werden im Legislative Calendar bzw. Calendar of Business zusammengefaßt. Im Repräsentantenhaus bestimmt der Geschäftsordnungs- oder Lenkungsausschuß, das Rules Committee, zusammen mit der Führung der Mehrheitsfraktion, welche Entwürfe wann und unter welchen zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen 208 Vgl. House Rule XIII, cl. 1 i.V.m. XV, cl. 2, 5, 6. Zum Calendar Wednesday und zur den District of Columbia betreffenden Gesetzgebung vgl. House Rule XV, cl. 4 und cl. 7.
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I. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
im Plenum behandelt werden. Im Senat ist diese Festlegung grundsätzlich von einer Mehrheitsentscheidung des Plenums abhängig. Die Bestimmung der Agenda durch Rules Committee und Mehrheitsfraktionsführung im Repräsentantenhaus gilt zumindest für die meisten Gesetzesentwürfe der major legislation, d. h. Gesetzesentwürfe des Union und House Calendar. Einige Vorlagen der major legislation können hingegen nahezu jederzeit vom entsprechenden calendar zur Beratung ins Plenum eingebracht werden (privileged legislation)209. Der weitaus größte Teil der Gesetzesentwürfe sind minor and noncontroversial bills, die in einem beschleunigten parlamentarischen Verfahren, z. B. mittels Einstimmigkeitsanträgen (unanimous consent), im suspension of the rules-Verfahren oder über den Corrections Calendar im Plenum beraten werden 21O . Demgegenüber werden die meisten Vorlagen der major legislation, bevor sie ins Plenum gelangen, vom Lenkungsausschuß mit einer special rule versehen, von der es grundsätzlich drei verschiedene Arten gibt. Eine open rule läßt alle Änderungsvorschläge aus dem Plenum zur Gesamtvorlage zu, soweit sie von Belang sind und rechtzeitig eingebracht werden. Bei einem mit einer modified rule versehenen Entwurf sind nur Änderungen bestimmter Abschnitte einer Vorlage zulässig. Wenn Änderungsvorschläge aus dem Plenum gänzlich ausgeschlossen werden sollen und nur die Ausschußänderungen zulässig sein sollen, wird die Vorlage mit einer closed oder gag rule versehen. Eine special rule bedarf der Annahme durch eine Mehrheitsentscheidung des Repräsentantenhauses in Form einer simple resolution. Das Plenum des Repräsentantenhauses behandelt die meisten Gesetzesvorlagen, nämlich die des Union Calendar, sowie die entsprechenden Änderungsanträge in einer besonderen organisationstechnischen Sitzungsform, dem Committee of the Whole House on the State of the Union211 . Dieses Verfahrensstadium stellt die zweite Lesung dar. Beim Committee of the Whole handelt es sich um einen Ausschuß, in dem jeder Abgeordnete Mitglied ist und in dem geschäftsordnungsrechtliche Besonderheiten zur Verfahrensvereinfachung, insbesondere zur Beschleunigung der Debatte über Gesetzesänderungen gelten. So ist im Committee of the Whole schon bei einem Quorum von nur 100 statt grundsätzlich 218 Abgeordneten 209 Die Ausschüsse, die für bestimmte Gesetzesentwürfe einen direkten Zugang zum Plenum haben, sind: Committee on Appropriations, Budget, House Administration, Rules und Standards ofOfficial Conduct. Vgl. hierzu im einzelnen House Rule XIII, cl. 5 (a). 210 Vgl. House Rule XIII, cl. I (b) i.Y.m. XV, cl. 6 sowie House Rule XV, cl. 1. 211 Terminologisch korrekt ist das "Committee of the Whole House" vom "Committee of the Whole House on the State of the Union" zu unterscheiden. Wahrend im ersteren nur private bills beraten werden, werden alle public bills, besonders Steuer- und Finanzgesetze, im letzteren verhandelt, das daher auch der bedeutendere Hausausschuß ist. Im folgenden steht die Bezeichnung "Committee of the Whole" - wie allgemein üblich - nur für den zuletzt genannten Ausschuß. Das Committee of the Whole geht auf die englische Parlarnentstradition unter den Stuarts zurück. Bei der zwischen der Krone und den Commons umstrittenen Steuergesetzgebung richteten die Commons das Committee of the Whole als geheimes Beratungsgremium ein, in dem sie sich ohne den für den König spionierenden Speaker of the House unter ihrem selbst gewählten Vorsitzenden hinsichtlich der Steuergesetze frei beraten konnten. Vgl. Alexander, History and Procedure ofthe House of Representatives, S. 257.'
G. Grundzüge des Gesetzgebungsverfahrens
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die Beschlußfähigkeit gegeben. Für Änderungsanträge gilt statt der hour rule im regulären Plenum eine Verhandlungszeit von fünf Minuten für und gegen den Vorschlag 212 . Eine elektronische Abstimmung kann schon von 25 Abgeordneten statt sonst von 44 herbeigeführt werden. Der Antrag auf Zurückverweisung einer Vorlage an einen Fachausschuß ist unzulässig. Der Speaker sitzt dem Committee of the Whole gewohnheitsrechtlieh nicht vor, sondern bestimmt ein anderes Mitglied der Mehrheitsfraktion zum Sitzungsleiter. Die vom Committee of the Who1e beschlossenen Gesetzesänderungen entsprechen den Ausschußberichten der Fachausschüsse. Da das Committee of the Whole als Ausschuß aber selbst keine Gesetze bzw. die entsprechenden Gesetzesänderungen und -ergänzungen verabschieden kann - dies kann nur das Haus als Gesamtparlament -, verweist es die Vorlage mit den von ihm vorgenommenen Änderungen an das reguläre Plenum. Dieses entscheidet dann darüber, ob der Entwurf an einen Ausschuß zurückverwiesen oder nach einer dritten Lesung endgültig verabschiedet wird.
V. Die Behandlung in der anderen Kammer Vermittlungsausschuß Um Gesetz werden zu können, muß eine von einem der beiden Häuser endgültig verabschiedete Vorlage, auch in die andere Kammer eingebracht und grundsätzlich unter Durchlaufen desselben Bearbeitungsprozesses als gleichlautender Entwurf verabschiedet worden sein 213 . Für den Fall, daß die von beiden Häusern verabschiedeten Entwürfe divergieren, muß der Versuch unternommen werden, zwischen beiden Kammern eine Verständigung zu erreichen. Zu diesem Zweck wird ein öffentlich tagender Verrnittlungsausschuß (conference committee) eingesetzt. Seine Mitglieder werden für jedes Gesetz gesondert vom Speaker bzw. Vizepräsidenten oder President pro tempore of the Senate aus den Reihen der für die Erstellung der Beschlußvorlagen maßgeblichen Ausschußmitglieder beider Häuser bestimmt. Die vom conference committee beschlossene einheitliche Textversion einer Vorlage bedarf anschließend einer mehrheitlichen Annahme in beiden Häusern. Der gemeinsame Beschluß beider Kammern muß schließlich vom Speaker und vom Vizepräsidenten oder vom President pro tempore unterzeichnet werden.
VI. Die Möglichkeiten des Präsidenten und das Inkrafttreten des Gesetzes Ein von beiden Häusern akzeptierter Entwurf wird dann dem Präsidenten zugeleitet 214 . Diesem stehen daraufhin innerhalb von zehn Tagen vier Optionen offen. Siehe zu filibuster und cloture auch Fn. 167. m Vgl. U.S. Const. art. I, § 7, cl. 2. 214 Vgl. U.S. Const. art. I, § 7, cl. 2. 212
5 Semmler
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1. Kap.: Der Kongreß und das präsidentielle Regierungssystem der USA
Der Präsident kann die Gesetzesvorlage unterzeichnen, so daß sie unmittelbar in Kraft tritt2lS . Er hat daneben die Möglichkeit, sein suspensives Vet02l6 gegen die Gesetzesvorlage einzulegen, das der Kongreß allerdings nach erneuter Beratung mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern zuriickweisen 217 kann mit der Folge, daß die Vorlage unmittelbar Gesetzeskraft erlangt. Wenn der Präsident die Zehntagesfrist verstreichen läßt, ohne die Gesetzesvorlage zu unterzeichnen und sie zuriickzugeben, so tritt sie automatisch in Kraft, als ob er sie unterzeichnet hätte. Vertagt sich der Kongreß jedoch vor Ablauf der Zehntagesfrist, so daß dem Präsidenten eine Rückgabe der Vorlage nicht möglich ist218 , so kann der Präsident durch einfaches Nichthandeln ein endgültiges Veto (pocket veto) einlegen.
215 Wenn ein Entwurf Gesetz geworden ist, bekommt er innerhalb der zweijährigen Legislaturperiode des Kongresses eine fortlaufende Nummer, d. h. P.L. 98 - 324 ist das 324. Gesetz des 98. Kongresses (1983-84). Die Gesetze werden mangels eines kontinuierlichen Gesetzblattes in den USA zunächst als slip law veröffentlicht. Am Ende jeder session des Kongresses werden die innerhalb dieser Sitzungsperiode verabschiedeten Gesetze dann unter dem Titel United States Statutes at Large in chronologischer Reihenfolge publiziert. Daneben sind alle jeweils geltenden Gesetze im Code of the Laws of the United States of America (kurz: U.S. Code) enthalten, der vom Office of Law Revision Council des Repräsentantenhauses herausgegeben und durch jährliche Ergänzungen auf dem neuesten Stand gehalten wird. 216 Das am 01. 01. 1997 in Kraft getretene line item veto, wonach dem Präsidenten das Recht eingeräumt wurde, gegen einzelne Teile einer Gesetzesvorlage sein Veto einlegen zu können, anstatt, wie bis dahin, nur gegen das gesamte Gesetz, wurde vom Supreme Court in Clinton v. New York City, 000 U.S. 97 -1374 (1998) für verfassungswidrig erklärt. Siehe zum line item veto Roe, Line Item Veto Act, CRS Report, S. 1 ff. sowie Fisher; The Line Item Veto Act of 1996, CRS Report, S. 1 ff. 217 Die Zuriickweisung des suspensiven Vetos gelingt allerdings außerordentlich selten. 218 Pocket vetoes sind indes nur bei einem adjournment sine die, d. h. bei der endgültigen Vertagung am Ende der zweiten Sitzungshalbzeit eines Kongresses möglich.
2. Kapitel
Das amerikanische Parlamentsrecht A. Bedeutung und Funktion des Parlamentsrechts I. Begriff und allgemeine Bedeutung
Jede gesetzgebende Versammlung ist auf eine Organisation und ein Verfahren angewiesen, um ihre Aufgaben sinnvoll wahrnehmen zu können I. Als die zwei zentralen Funktionen von Verfahrens- und Organisationsregelungen stellte bereits Thomas Jefferson den Minderheitsschutz und die Gewährleistung eines ordentlichen Geschäftsgangs heraus: " ... it is always in the power of the majority, by their numbers, to stop any improper measures proposed on the part of their opponents, the only weapons by which the minority can defend themselves against similar attempts from those in power are the forms and rules of proceeding ... It is much more material that there be a rule to go by than what that rule is; that there may be a uniformity of proceeding in business not subject to the caprice of the Speaker or captiousness of the members. It is very material that order, decency, and regularity be preserved in a dignified public body,,2.
Das Parlamentsrecht dient der Balancierung der Rechte der Mehrheit und der Minderheit sowie des einzelnen Parlamentsmitglieds und der Gesamtheit der Mitglieder. Es hat aber insbesondere die Durchsetzung des Mehrheitswillens zu gewährleisten, sofern er gerecht und angemessen zustandekommt3 . Denn das Mehrheitsprinzip ist für jede legislative Versammlung konstitutiv 4 . Gewährleistung von Stabilität und Verfahrens sicherheit, Legitimierung von Entscheidungen, Arbeits1 V gl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 1; Oleszek, Congressional Procedures, S. 5. 2 lefferson's Manual, §§ 283, 285. lefferson zitiert hier Hatsell's Precedents. Siehe auch das Zitat eines ehemaligen Vorsitzenden des Massachusetts House of Representatives bei Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 2: " ... If anything can restrain the impetuosity of triumph or the vehemence of opposition, if anything can awaken the glow of oratory and the spirit of virtue, if anything can preserve the courtesy of generous minds against the rivalries and jealousies of contending parties, it will be found in the protection with which these rules encirc1e and shield every member ofthe legislative body... " 3 Vgl. Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. viii f.; Deschler, Rules of Order, S. vi. 4 "The voice of the majority decides; for the lex majoris partis is the law of all councils, elections, etc., where not otherwise expressly provided", vgl. lefferson's Manual, § 508. Siehe ferner auch Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 79 ff.
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
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und Verantwortungsteilung, Konfliktreduzierung und -lösung sowie Machtverteilung sind weitere wichtige Funktionen von Verfahrens- und Organisationsregelungens. Allerdings bilden diese nur den Handlungsrahmen für die politischen Akteure. Innerhalb dieses Rahmens bestimmen politische Macht und Willkürlichkeit die Resultate des politischen Prozesses6 . Verfahrens- und Organisationsregelungen können unterschiedliche Erscheinungsfonnen aufweisen. Zunächst gibt es die geschriebenen Regeln der Verfassung, der Gesetze und des Geschäftsordnungsrechts, das seiner Rechtsnatur nach Parlamentsinnenrecht mit Satzungscharakter ist. Daneben existiert eine Fülle ungeschriebener Regeln in Fonn von Verfassungs- oder parlamentarischem Gewohnheitsrecht, parlamentarischer Observanz, Rechtsfortbildung durch Auslegung, Parlamentsbrauch, parlamentarischer Übung, politischer Usancen sowie Akten der Courtoisie und Verfassungskonventionalregeln7 . Die Terminologie ist dabei ebenso uneinheitlich wie die Zuordnung bestimmter Regeln zu der einen oder anderen Kategorie 8 . Mag auch die Rechtsverbindlichkeit und damit die Eigenständigkeit der ungeschriebenen parlamentarischen Regeln fraglich sein, so kommt ihnen jedenfalls eine Ergänzungsfunktion im Hinblick auf das geschriebene Parlamentsrecht, insbesondere die Geschäftsordnung, ZU9. Unabhängig von ihrer Rechtsquelle bilden all diese verschiedenen Arten von Verfahrens- und Organisationsregelungen das Parlamentsrecht. Hierunter versteht man die Rechtsnonnen, die sich auf die staatlichen, aus gewählten Abgeordneten des Volkes bestehenden, gesetzgebenden Organe beziehen und die deren Organisation und Tätigkeit regeln JO . Auch das amerikanische Parlamentsrecht geht funktionell von diesem Verständnis aus. Danach wird parliamentary law definiert als "the rules and usages of Parliament or of deliberative bodies by which their procedure is regulated"lI. Das autonome Parlamentsrecht ist ein Teil des Parlamentsrechts. Es umfaßt diejenigen Regelungen, die ausschließlich auf der Willensentschließung des Parlaments selbst beruhen, hierzu zählen vor allem die kodifizierten Geschäftsordnungen 12. Der Rechtscharakter des Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 5 ff. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 3. 7 Vgl. hierzu insgesamt Schulze-Fielitz, Parlamentsbrauch, Gewohnheitsrecht, Observanz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 11, Rn. 1 ff. sowie speziell zur Geschäftsordnung Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider/Zeh, a. a. 0., § 10, Rn. 18 ff.; BVerfGE 1,144 (148). S Vgl. Klein, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 35. 9 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 36; siehe auch Blischke, Geschäftsordnung. Kurz skizziert und kommentiert, S. 14. 10 Keine "Parlamente" i. S. d. Definition sind etwa das Europäische Parlament, der Bundesrat, die Kommunalvertretungen oder die kirchlichen Synoden. Senat und Repräsentantenhaus der USA können hingegen i.d.S. als "Parlamente" bezeichnet werden. Definitionen bei Achterberg, Parlamentsrecht, S. 1 ff.; Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider I Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 1; Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 1. 11 Deschler's Precedents, vol. I, preface, S. vii, dort Fn. 14. 5
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A. Bedeutung und Funktion des Parlamentsrechts
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Parlamentsrechts folgt aus seiner Bindungswirkung gegenüber dem Gesetzgebungsorgan und seinen Mitgliedern \3. Das Parlamentsrecht bildet weder im deutschen noch im amerikanischen Rechtssystem ein eigenständiges Rechtsgebiet. Das deutsche Parlamentsrecht definiert sich lediglich durch seinen Gegenstand, eine eigenständige dogmatische Bedeutung kommt ihm nicht ZU I4 . Die Auffassung Hatscheks, wonach sich in Deutschland das Parlamentsrecht in gleicher Weise vom Staatsrecht abgespalten habe wie das Verwaltungsrecht und es zur Ausbildung einer besonderen Parlamentsrechtswissenschaft gekommen sei, überzeugt weder in ihrer Begründung noch hat sie sich in der Rechtswirklichkeit bestätigt 15 . In Deutschland ist das Parlamentsrecht ein Teil des Staatsrechts. Auch in den Vereinigten Staaten versteht man das Parlamentsrecht, parliamentary law oder congressional rules and procedures, nicht als eigenständigen Rechtszweig mit besonderer rechtswissenschaftlicher Dogmatik 16. Das Parlamentsrecht wird vielmehr auch in den USA grundsätzlich nur im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren (legislative process) genannt und behandelt 17. Insofern sind die congressional rules and procedures unter rechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls als Teil des materiellen Verfassungsrechts im prozeduralen Sinne aufzufassen l8 .
Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 4. Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. vii. 14 V gl. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 1. 15 Vgl. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 1,2 ff., 8 ff., 11; Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 1. Das Staatsrecht regelt nicht nur die Organisation und den Rechtsstatus der Staatsorgane "in ihrer Ruhe", sondern vielmehr auch die Interaktionen und damit die "Tätigkeit" zwischen ihnen. Die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit politischer Entscheidungen der Regierung aufgrund einer Entscheidungsprärogative der Exekutive führt auch nicht zur Ausbildung eines exekutiven Sonderrechts. Dem Parlament unter dem Grundgesetz steht nicht mehr das alleinige Kontrollrecht über die sog. "Parlamentsinteressen" zu (vgl. Art. 41 II GG). 16 Wenngleich seit der Aufarbeitung und Zusammenstellung der Präzedenzfälle durch Rinds am Anfang des 20. Jahrhunderts die Grundlage für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Parlamentsrecht geschaffen worden ist, vgl. VI Cannon s Precedents, preface, S. vi sowie Deschler 's Precedents, vol. I, preface, S. vii. 17 Vgl. hier nur Walker, The Legislative Process, S. 225 ff.; Pritchett, The American Constitution, S. 185 ff.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 125 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415 ff. 18 Mißverständlich insofern Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 295, der in diesem Zusammenhang von "Verfassungsprozeßrecht" spricht. 12
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
11. Besonderheiten des amerikanischen Parlamentsrechts
Im Vergleich zu Bedeutung und Funktion des deutschen Parlamentsrechts weist das amerikanische Parlamentsrecht, die congressional rules and procedures, einige Besonderheiten auf: Der kontinentaleuropäische Begriff des Parlamentsrechts umfaßt auch diejenigen Bestimmungen des Verfassungsrechts im formellen Sinne, die die Organisation und Tatigkeit der gesetzgebenden Organe regeln l9 . Nach striktem amerikanischen Verständnis fallen Verfassungsnormen nicht unter den Begriff des parliamentary law. Denn es handelt sich bei ihnen nicht um Eigenrecht des Kongresses, sondern um Recht des Verfassungsgebers, dessen Abschaffung oder Änderung zum einen nicht in das Belieben von Senat und Repräsentantenhaus gestellt ist und das zum anderen überhaupt erst den rechtlichen Rahmen für ein Handeln des Kongresses schafft2o . Somit ist das amerikanische Begriffsverständnis von parliamentary law enger als das deutsche, da es nur das autonome Parlamentsrecht bezeichnet21 . Beim amerikanischen parliamentary law fallen Normgeber, Normanwender und Betroffener stets zusammen. Hinsichtlich des deutschen Parlamentsrechts gilt dies grundsätzlich nur für den Fall des autonomen, vom Parlament selbst gesetzten Parlamentsrechts (Parlamentsrecht i.e.S.)22. Parliamentary law und autonomes Parlamentsrecht sind also Intraorganrecht bzw. parlamentarisches Binnenrecht23 . In diesem Punkt unterscheiden sich das deutsche und das amerikanische Parlamentsrecht indes von anderem Recht. Insofern handelt es sich aber lediglich um eine methodische Besonderheit24 , nicht um ein Abgrenzungskriterium des Parlamentsrechts gegenüber dem sonstigen Staatsrecht25 , denn diese Besonderheit ändert nichts an dem inhaltlichen Zusammenhang zwischen Parlaments- und Staatsrecht.
\9 Wobei hier wohl zwischen Parlamentsrecht i.w.S., d. h. unter Einschluß des formellen Verfassungsrechts, und solchem i.e.S., ausschließlich autonomes Parlamentsrecht, unterschieden werden kann. 20 Landes v. State ex rel. Matson, 67 N.E. 189 (193) führt dazu aus: "Thus it appears that a rule of parliamentary law is a rule created and adopted by the legislative or de1iberative body it is intended to govern. It is, therefore, quite different from a provision of the Constitution, which the people have set up as defining and limiting the powers and duties of the Legislature. The former is subject to revocation or modification at the pleasure of the body creating it, while the latter is the law of its being, and prescribes the terms upon which it has power to act at all." 2\ Im folgenden (v.a. 2. Kap. C.) wird der Begriff des "Parlamentsrechts" im weiteren Sinne unter Einschluß des formellen Verfassungsrechts verstanden. 22 Selbst hier gibt es Fälle einer "Drittwirkung" des Parlamentsrechts, siehe z. B. § 7 IV 4, V GOBT; vgl. Bücker; Präsident und Präsidium, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 14 f.; im einzelnen Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 65 ff. 23 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 8. 24 Vgl. insgesamt Pietzcker; Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 2.
A. Bedeutung und Funktion des Parlamentsrechts
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Anders als in Rechtsordnungen, die auf der Rechtstradition des römischen Rechts basieren, wie etwa der deutschen, entspricht es in den USA einer allgemeinen Tendenz, den prozessualen Aspekten bei juristischen Auseinandersetzungen besonderes Gewicht beizumessen. So spielt auch im U.S.-Kongreß das Parlamentsrecht, insbesondere die Handhabung der Geschäftsordnung, eine größere Rolle als in der Parlamentspraxis der vom römischen Recht beeinfIußten Länder26 . Allerdings steht im Kongreß insoweit die politische, nicht die juristische Bedeutung des Parlamentsrechts im Vordergrund. Hierin liegt auch der Grund dafür, daß die congressional rules and procedures in den Vereinigten Staaten im wesentlichen ein politikwissenschaftlicher und kein rechtswissenschaftlicher Forschungsgegenstand sind. Sie werden in erster Linie nicht in ihrer juristischen, sondern in ihrer politischen Bedeutung wahrgenommen 27 . Dies gilt nicht zuletzt, weil das amerikanische Parlamentsrecht dem Speaker Handlungs- bzw. Ermessensspielräume zugesteht, die dieser nutzen und somit das Parlamentsrecht als Steuerungsmittel zur politischen Machtausübung instrumentalisieren kann. Aufgrund der Eigenart der amerikanischen Parteien kommt dem Parlamentsrecht eine besondere Bedeutung für den parlamentarischen Prozeß zu. Die politischen Parteien im amerikanischen präsidentiellen Regierungssystem unterscheiden sich durch ihre extreme Dezentralisation und Fragmentierung in ihrer Struktur, Programmatik und Funktion wesentlich von den Parteien im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland 28 • Das schwache Parteiensystem der Vereinigten Staaten, in dem Kongreßabgeordnete eher den Interessen ihres jeweiligen Wahlkreises folgen als den Vorgaben der nationalen Parteiorganisationen, führt mangels Fraktionsdisziplin häufig zu Abstimmungen entgegen den Parteilinien. Abstimmungsmehrheiten der Kongreßopposition bei bestimmten Gesetzesvorhaben sind daher keine Seltenheit29 . Das Parlamentsrecht stärkt zwar einerseits die zentralen Institutionen im Gesetzgebungsprozeß, wie den Speaker, die Fraktionsführungen, die Ausschüsse und deren Vorsitzende, andererseits gewährleistet es aber gerade das Zustandekommen von erfolgreichen oppositionellen ad hoc- Abstimmungskoalitionen. Durch die Sicherung des Erfolgs wechselnder regionaler oder sachspezifischer Mehrheiten und damit durch die Sicherung der Sta25 Dies wird für das deutsche Parlamentsrecht vor allem daran deutlich, daß diese Besonderheit eben nur auf den Unterfall des autonomen Parlamentsrechts zutrifft, Parlamentsrecht in weiterem Sinne aber auch Verfassungsrecht umfassen kann, bei dem jedenfalls der Normgeber sich vom Normanwender und Betroffenen unterscheidet. 26 V gl. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 295, der aufgrund der in zwei Jahrhunderten stark verfestigten Handhabung der Geschäftsordnungen von Senat und Repräsentantenhaus von der Existenz eines regelrechten "Verfassungsprozeßrechts" spricht. 27 Die überwiegende Mehrzahl der sich mit den rules and procedures auseinandersetzenden Autoren sind Politikwissenschaftler: so etwa Walter J. OJeszek und Roger H. Davidson. 28 Vgl. Lösche, Die politischen Parteien, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 14, S. 268 ff. 29 Dies gilt insbesondere für die sog. "conservative coalition" aus Südstaatendemokraten und Republikanern, die sich vor allem in der Bürgerrechtsgesetzgebung auswirkte.
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
bilität des politischen Systems gleichen die congressional rules and procedures aus, was die amerikanischen Parteien aufgrund ihrer Funktionsschwäche nicht zu leisten imstande sind. Die Gewährleistung dieser "dynamic balance" zwischen der grundsätzlichen Macht der Mehrheitsfraktion, das parlamentarische Verfahren zu kontrollieren, und dem politischen Widerstand der Kongreßopposition ist zugleich Ausdruck des Minderheitsschutzes wie des Systems der checks and balances 3o . Die besondere Bedeutung der congressional rules and procedures im politischen Prozeß der USA basiert schließlich auf dem Einfluß, den sie auf die Schlüsselfaktoren im Gesetzgebungsverfahren haben. Indem sie die Überweisung von Gesetzen an verschiedene Ausschüsse regeln, verteilen sie politische Macht. Denn von der Zuweisung an den "richtigen" Ausschuß hängt es maßgeblich ab, ob eintl-,Gesetzesvorlage Erfolg hat oder nicht. Die Festlegung des Arbeitsplans und der Tagesordnung bei der Kammern des Kongresses unterliegt ebenfalls den parlamentsrechtlichen Regelungen. Hierdurch werden die rules and procedures zu einem entscheidenden Steuerungsinstrument für das Gesetzgebungsprogramm, da sie unmittelbaren Einfluß auf die nationale politische Prioritätensetzung haben. Sie regeln auch die Machtverteilung zwischen den sog. "Bill / Floor Managers,,3! und ihren Gegnern sowie die Einwirkungsmöglichkeiten der party leaders auf den parlamentarischen Geschäftsgang und wirken sich somit wesentlich auf die Plenararbeit aus. Durch die Regelungen der Auswahl von Mitgliedern der conference committees 32 , der Gesetzesverweisung an die conference committees sowie die Regelung der Annahme von Vorschlägen derselben durch Senat und Repräsentantenhaus legen die rules and procedures den normativen Rahmen für das politisch bedeutsame "Third House of Congress,,33 fest. Schließlich bestimmen spezielle rules and procedures das Herzstück parlamentarischer Tätigkeit, die Budget- und Appropriationsgesetzgebung. Diese ist insbesondere aufgrund der enormen Höhe des Bundeshaushalts und der großen Anzahl unterschiedlichster Gesetze, die mit den Haushaltsgesetzen verbunden werden, von zentraler Bedeutung für die Politik34 . Ein markanter Unterschied der Geschäftsordnungen von Senat und Repräsentantenhaus gegenüber der des deutschen Bundestags ist, daß erstere in stärkerem Maße individualistische Züge aufweisen. Während Antragsrechte im Bundestag zumeist an das Quorum der Fraktionsstärke geknüpft sind, steht das Antragsrecht im Kongreß grundsätzlich jedem einzelnen Mitglied zu. Dies gilt vor allem für das Recht zur Einbringung von Gesetzesvorlagen, aber auch im Fall der Einstimmigkeitsanträge, durch die die Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses zwecks Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 4 f. Unter Bill Managers versteht man Kongreßmitglieder, die Gesetzesvorschläge ausarbeiten, begriinden und in den Ausschüssen betreuen. Meistens handelt es sich hierbei um Ausschußvorsitzende. 32 Conference committee ist der sich aus Mitgliedern beider Kongreßhäuser zusammensetzende Vermittlungsausschuß. 33 Johnson, How Dur Laws Are Made, S. 36. 34 V gl. Tiefer, Congressional Practice, S. 8 ff. 30 31
B. Die "Parlamentsautonomie" des Kongresses
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Beratung andernfalls nicht zulässiger Gesetzesentwürfe aufgehoben werden kann. Einstimmigkeitsanträge können durch jedes einzelne Mitglied des Hauses verhindert werden. Die größere Anzahl von Einzelanträgen, insbesondere im Repräsentantenhaus, macht aber im Hinblick auf die Effektivität und Ordnungsgemäßheit des Verfahrensablaufs andererseits eine flexible, mit weitem Ermessen ausgestattete Kammer- bzw. Sitzungsleitung erforderlich. Dies ist ein Grund für die Zentralisierung parlamentarischer Macht im Speaker-Amt. Daneben ist dem deutschen Gesetzgebungsverfahren das Instrument der special rules unbekannt, mit denen im Repräsentantenhaus die zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen für die Beratung bestimmter Gesetzesvorlagen festgelegt werden. Der für den Entwurf der special rules zuständige Lenkungsausschuß des Repräsentantenhauses ist insofern ein wichtiges Instrument politischer Einflußnahme für den Speaker. Im legislativen Prozeß des Bundestags gibt es für einzelne Gesetze grundsätzlich keine vom Plenum zu beschließenden verfahrensrechtlichen Sonderkonditionen, die zudem zu einer Beschneidung von politischen Gestaltungsrechten, etwa durch den Ausschluß bestimmter Anträge, führen können. Durch die Einhaltung eines für alle Gesetzesvorlagen gleichen Verfahrensgangs ist das Gesetzgebungsverfahren des Bundestags zwar weniger flexibel als das des Repräsentantenhauses, dafür aber ein Stück weit transparenter und demokratischer.
B. Die "Parlamentsautonomie" des Kongresses I. Das amerikanische Begriffsverständnis der "Parlamentsautonomie"
Nach deutschem Verständnis bezeichnet der Begriff der Parlamentsautonomie im wesentlichen die Befugnis des Parlaments, seine eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Heute gilt indes nur die Regelung der internen Angelegenheiten, insbesondere der inneren Organisation, des Geschäftsgangs und der Disziplin, als legitimer Bereich der Parlamentsautonomie 35 . Im amerikanischen Verfassungsrecht ist die Bedeutung der Parlamentsautonomie hingegen weiter. Sie beruht auf dem sog. "parliamentary privilege,,36, das jedoch wegen seines weiteren Bedeutungsgehalts nicht als terminologische Entsprechung zum engen deutschen Begriff der Parlamentsautonomie verstanden werden kann. Parliamentary privilege ist der Oberbegriff für verschiedene, kollektiv dem Parlament und individuell den einzelnen Mitgliedern zustehende Prärogativen bzw. Privilegien 37 . Der Begriff stammt 35 Vgl. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 4; BVerfGE 44,308 (314); Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 5 ff. 36 V gl. hierzu insgesamt Levy, Parliamentary Privilege, in: Levy / Karst / Mahoney, Encyclopedia ofthe American Constitution, S. 1365 f. 37 V gl. Levy, Parliamentary Privilege, in: Levy / Karst! Mahoney, Encyclopedia of the American Constitution, S. 1365; May, Treatise on The Law, Privileges, Proceedings and Usage ofParliament, S. 65 ff.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 420 ff.
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
aus England, wo man den Ursprung der Parlamentsprivilegien allein in dem althergebrachten Verständnis des Parlaments als höchstem Gerichtshof begriindet sah. Die richterlichen Privilegien wurden nach dieser Vorstellung auch den Parlamentsmitgliedern als Richtern des höchsten Gerichtshofs des Landes zugestanden 38 . In England ist das parliamentary privilege allerdings mit dem Gedanken der Souveränität des Parlaments verbunden und bezieht sich daher nicht ausdriicklich nur auf die internen Angelegenheiten des Parlaments39 . Dieses weitere Verständnis des parliamentary privilege ist über die englische Kolonialzeit hinweg im amerikanischen Verfassungsrecht erhalten geblieben. Zwar betreffen die meisten der in U.S. Const. art. I normierten Rechte, die dem parliamentary privilege unterfallen, interne Parlamentsangelegenheiten. Hierzu gehören das Recht des Repräsentantenhauses, seinen Präsidenten (Speaker) und andere Amtsträger zu wählen (U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5), das Recht des Senats zur Wahl eines Interimspräsidenten (President pro tempore) und anderer Amtsträger (§ 3, cl. 5), die Rechte jeder Kammer, über die Wahlen, die Wahlergebnisse und die Wählbarkeit ihrer eigenen Mitglieder zu entscheiden (§ 5, cl. 1), sich eine Geschäftsordnung zu geben, Mitglieder wegen ordnungswidrigen Verhaltens zu bestrafen und mit Zweidrittelmehrheit auszuschließen (§ 5, cl. 2) sowie die Immunität und Indemnität40 der Kongreßmitglieder (§ 6, cl. 1). Zusätzlich umfaßt das parliamentary privilege aber auch das Recht, außenstehende Bürger wegen Mißachtung des Kongresses (contempt of Congress) bestrafen zu lassen41 . Insofern gehen also die unter dem parliamentary privilege zusammengefaßten Rechte des Kongresses über die Regelung rein interner Parlamentsangelegenheiten hinaus. Die die innere Organisation beider Kammern des Kongresses betreffenden Bestimmungen der U.S.-Verfassung, insbesondere die in U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses, stellen daher nur Ausschnitte des weiteren Begriffs des parliamentary privilege dar. Das deutsche Ver38 Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 420 f. m. w. N.; May, Treatise on The Law, Privileges, Proceedings and Vsage ofParliament, S. 65. 39 Vgl. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider I Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 4. 40 Siehe 1. Kap. Fn. 117. 41 Vgl. hierzu Levy, Parliamentary Privilege, in: Levy I Karst! Mahoney, Encyc10pedia of the American Constitution, S. 1365 f. Die legislative contempt power geht zurück auf die Zeit, in der das englische Parlament als höchstes Gericht noch undifferenziert legislative wie judikative Gewalt ausübte. Die V .S.-Verfassung nennt sie nicht ausdrücklich, sie ist aber seit Anderson v. Dunn, 19 V.S. (6 Wheat.) 204 (1821), durch den Supreme Court als implied power anerkannt. Vgl. hierzu auch Kilbourn v. Thompson, 103 V.S. 168 (1880). Ferner VI Cannon's Precedents §§ 332-334. Ihre wichtigste Bedeutung findet sie als Grundlage zur Bestrafung der Aussageverweigerung von Zeugen vor Kongreßausschüssen, die als Mißachtung des Kongresses gilt. Vgl. insgesamt Mahoney, Legislative contempt power, in: Levy I Karst!Mahoney, Encyc10pedia of the American Constitution, S. 1143 f.; Pritchett, The American Constitution, S. 192 f.; vgl. auch Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 369. In der Praxis überträgt der Kongreß die Strafverfolgung indes der Staatsanwaltschaft, vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 3.40 ff.; 2 V.S.c. § 194 (2000).
B. Die "Parlamentsautonomie" des Kongresses
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ständnis der Parlamentsautonomie ist hingegen auf die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages (Art. 40 I 2 GG) sowie die Regelungen seiner internen Organisation beschränkt. Während sich parliamentary privilege und Parlamentsautonomie also ihrem Umfang nach unterscheiden, findet der deutsche Begriff der Parlamentsautonomie seine sachliche Entsprechung42 in der Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses (U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2) und den genannten U.S.Verfassungsnormen zur inneren Organisation von Repräsentantenhaus und Senat. Damit unterscheiden sich zwar das deutsche und das amerikanische Verständnis im Hinblick auf den Umfang der Autonomie des Legislativorgans gegenüber Dritten, aber sie stimmen überein hinsichtlich des Umfangs und Gegenstands der Geschäftsordnungsautonomie als Ermächtigung des Bundestags und des Kongresses zur Setzung von Parlamentsinnenrecht. Das weite Autonomieverständnis des parliamentary privilege kann als Ausdruck der starken und unabhängigen Stellung des Kongresses im präsidentiellen Regierungssystem der USA gewertet werden. Die Kompetenzen des Sprechers, insbesondere die Kompetenz, Sitzungen zu eröffnen, zu leiten und zu schließen (Leitungsgewalt), sowie die Kompetenz, einen geordneten Ablauf der Plenarsitzungen zu gewährleisten (Ordnungs- und Disziplinargewalt), sind Bestandteile der Geschäftsordnungsautonomie des Repräsentantenhauses. Somit ist das Repräsentantenhaus der Rechtsinhaber dieser Kompetenzen. Der Sprecher übt jene Kompetenzen nur aufgrund geschäftsordnungsrechtlicher Übertragung (Delegation) durch das Repräsentantenhaus aus 43 . Daher kann gegen die Entscheidungen des Speaker von seiten der Abgeordneten grundsätzlich Einspruch (appeal) erhoben werden, über den das Parlament mit Mehrheit zu entscheiden hat. Der Sprecher ist an diese Entscheidung gebunden und damit der sich durch Mehrheitswillen der Abgeordneten manifestierenden Geschäftsordnungsautonomie unterworfen. 11. Reichweite und Beschränkungen der Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses gemäß V.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 Die Reichweite und die Beschränkungen der Geschäftsordnungsautonomie beider Kammern des Kongresses ergeben sich einerseits unmittelbar aus der Verfassung, andererseits aus ihrer Konkretisierung in der Rechtsprechung des Supreme Court. Die U.S.-Verfassung enthält selbst einige Regelungen, die den Geschäftsgang und das Verfahren des Kongresses betreffen. Diese Verfassungsbestimmungen gehen aufgrund ihres höheren Ranges (Vorrang der Verfassung) den Geschäfts42 Eine terminologische Entsprechung gibt es nicht. Bei Tribe, American Constitutional Law, 2. Aufl. (1988), S. 374 und 375 ff. findet sich zwar der Begriff "legislative autonomy", der allerdings kein technischer Begriff ist und auch dem Inhalt nach nicht der Geschäftsordnungsautonomie entspricht. 43 Vgl. insgesamt die Ausführungen bei Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 99 ff.
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
ordnungsregeln beider Häuser vor und begrenzen somit die Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses44 . So sieht U.S. Const. art. I, § 3, cl. 4 vor, daß der Vizepräsident der USA Präsident des Senats ist, jedoch außer im Falle der Stimmengleichheit kein Stimmrecht besitzt. Die Regelung des U.S. Const. amend. XX, § 2, die im Jahre 1933 U.S. Const. art. I, § 4, cl. 2 ersetzte, bestimmt, daß der Kongreß mindestens einmal im Jahr am Mittag des 3. Januar zusammentreten muß, wobei allerdings durch Gesetz ein anderer Tag festgelegt werden kann. Gemäß U.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 ist in jeder Kammer die Anwesenheit der Mehrheit der Mitglieder zur Beschlußfähigkeit erforderlich. Jedoch kann eine geringere Zahl der Anwesenden die Sitzung von einem Tag auf den anderen vertagen und ermächtigt werden, das Erscheinen abwesender Mitglieder in der von jedem Haus vorgesehenen Form und mit entsprechender Strafandrohung zu erzwingen. Jede Kammer hat nach U.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 über ihre Verhandlungen ein Protokoll zu führen, das - ausgenommen solche Teile, die nach ihrem Ermessen Geheimhaltung erfordern - von Zeit zu Zeit veröffentlicht wird. Die Ja- und Nein-Stimmen der Mitglieder einer Kammer zu jeder Frage sind auf Antrag eines Fünftels der Anwesenden im Verhandlungsprotokoll zu vermerken. U.S. Const. art. I, § 5, cl. 4 bestimmt, daß sich eines der beiden Häuser während der Sitzungsperiode des Kongresses ohne Zustimmung des anderen weder auf mehr als drei Tage noch an einen anderen als den für beide Häuser bestimmten Sitzungsort vertagen darf. Im Falle eines präsidentiellen Vetos sieht U.S. Const. art. I, § 7, cl. 2 vor, daß die vorlegende Kammer die Einwände des Präsidenten vor erneuter Beratung vollständig zu Protokoll zu nehmen hat. Ferner bestimmt diese Norm, daß die Vorlage bei einer Zweidrittelmehrheit für die Verabschiedung der anderen Kammer mitsamt den Einwänden zur weiteren Beratung zugesandt werden soll, wo sie ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden muß, um Gesetz zu werden. In allen derartigen Fällen erfolgt die Abstimmung in beiden Häusern nach Ja- und Nein-Stimmen, und die Namen derer, die für und gegen die Gesetzesvorlage stimmen, werden im Protokoll der betreffenden Kammer vermerkt45 . Der Präsident kann nach U.S. Const. art. 11, § 3 bei außerordentlichen Anlässen beide oder eine der Kammern einberufen, und er kann sie, falls sie sich über die Zeit der Vertagung nicht einigen können, bis zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt vertagen. Die Anzahl der Verfassungsbestimmungen, die die Geschäftsordnungen beider Häuser unmittelbar betreffen, ist demnach gering. Die Existenz einiger weniger solcher Vorschriften ändert jedoch an der grundsätzlichen Autonomie des Kongresses zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten nichts, sondern beschränkt diese 44 Vgl. zur amerikanischen Normenhierarchie Bumham. Introduction to the law and legal system of the United States. S. 40; vgl. ferner Schwartz. A Commentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 107 f.; Walker, The Legislative Process, S. 194. 45 Diese Regeln gelten gern. U.S. Const. art. I, § 7, cl. 3 auch bei einern präsidentiellen Veto gegen sonstige Anordnungen, Entschließungen und Abstimmungen, für die die Zustimmung beider Häuser erforderlich ist - ausgenommen die Frage einer Vertagung.
B. Die "Parlamentsautonomie" des Kongresses
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nur in unwesentlichen Details46 . Hinzu kommt, daß die Verfassungsbestimmungen den beiden Häusern zwar bestimmte Pflichten hinsichtlich ihrer internen Angelegenheiten auferlegen, daß es aber in das Ermessen von Senat und Repräsentantenhaus gestellt ist, wie sie diesen Pflichten nachkommen47 . Damit trifft der Grundsatz, wonach eine detaillierte Vornormierung von Geschäftsordnungsange1egenheiten in der Verfassung Ausdruck relativer Schwäche eines Gesetzgebungsorgans ist48 , auf den Kongreß nicht zu. Aus der starken und unabhängigen Stellung des Kongresses im amerikanischen Verfassungssystem folgt, daß der Supreme Court hinsichtlich der Geschäftsordnungen von Senat und Repräsentantenhaus nur ein eingeschränktes richterliches Priifungsrecht in Anspruch nimmt49 . In der grundlegenden Entscheidung United States v. Ballin (1892) hat der Supreme Court die Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses sehr weit ausge1egt50 . Der Oberste Gerichtshof hatte in dieser Sache u. a. die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Geschäftsordnungsregel des Repräsentantenhauses, der damaligen "Rule XV", zu entscheiden51 . Nach dieser Bestimmung wurden die im Repräsentantenhaus anwesenden Abgeordneten, die jedoch nicht an einer Abstimmung teilnahmen, auf Verlangen eines Abgeordneten oder auf Anweisung des Speaker bei der Feststellung der Beschlußfähigkeit der Kammer mitgezählt. Der Supreme Court bestätigte die Rechtsgültigkeit der Geschäftsordnungsregel als verfassungsmäßige Ausübung des Rechts des Repräsentantenhauses zur Regelung seines eigenen Verfahrens. Zur Begriindung wurde ausgeführt: "Neither do the advantages or disadvantages, the wisdom or folly, of such a rule present any matters for judicial consideration. With the courts the question is only one of power. The Constitution empowers each house to determine its rules of proceedings. It may not by its rules ignore constitutional restraints or violate fundamental rights, and there should be a reasonable relation between the mode or method of proceeding estab!ished by the rule and the result which is sought to be attained. But within these limitations all matters of method are open to the determination of the house, and it is no impeachment of the rule to say that some other way would be better, more accurate or even more just. It is no objection to the validity of a rule that a different one has been prescribed and in force for a length of time. The power to make rules is not one which once exercised is exhausted. It is a continuous power, always subject to be exercised by the house, and within the !imitations suggested, absolute and beyond the challenge of any other body or tribunal,,52. V gl. Schwartz, A Comrnentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 108. Vgl. Willoughby, the Constitutional Law of the Uni ted States, vol. 11, § 362. 48 V gl. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 3. 49 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 5 § 4; Yellin v. United States, 374 U.S. 109 (1963); United States v. Ballin, 144 U.S. I (1892). 50 V gl. Schwartz, A Comrnentary on the Constitution of the United States, vol. I , S. 108; Tribe, American Constitutional Law, 2. Aufl. (1988), S. 267, dort Fn. 32. SI Rule XV, § 3. Es handelt sich hierbei um ein auf Speaker Reed zurückgehendes Mittel zur Verhinderung der Obstruktionstaktik der Minderheit, siehe 5. Kap. C. III. 2. 46 47
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
Mit seiner Entscheidung stellte der Supreme Court klar, daß die Geschäftsordnungsautonomie des Kongresses ihre Grenzen allein in der U.S.-Verfassung und den sich aus ihr ergebenden Rechtsgrundsätzen findet. Daneben wird das Recht der beiden Häuser des Kongresses bestätigt, ihre Geschäftsordnungen jederzeit im Rahmen der verfassungsmäßigen Grenzen ändern zu können 53 und schließlich folgt aus United States v. Ballin, daß die Geschäftsordnungsregeln von Senat und Repräsentantenhaus grundsätzlich nicht gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Die Geschäftsordnungen sind jedoch dann Gegenstand gerichtlicher Auslegung und Überpriifung, wenn die Anwendung der Geschäftsordnungsregeln unmittelbare Außenwirkungen auf die Rechtsstellung Dritter hat54 . So entschied der Supreme Court in United States v. Smith (1932), daß die Geschäftsordnungsregeln den Senat nicht ennächtigen, seine Bestätigung der Ernennung einer Person zum Mitglied der Federal Power Commission durch den Präsidenten zu revidieren 55 . In Christoffel v. Uni ted States (1949) legte das Gericht die Regel des Repräsentantenhauses über die Beschlußfähigkeit von Ausschüssen dahingehend aus, daß die Beschlußfähigkeit im Moment einer Zeugenaussage gegeben sein muß, wenn die Zeugenaussage die Grundlage eines späteren strafrechtlichen Meineidsverfahrens bilden sollte56 . Im Fall Yellin v. United States (1963) bestätigte der Supreme Court sogar die Verletzung einer Ausschußregel (committee rule) des House Committee on Un-American Activities. Der Ausschuß hatte es unterlassen, die Rufschädigung eines Zeugen bei einer öffentlichen Vernehmung in Betracht zu ziehen und ihm stattdessen die Möglichkeit einer Vernehmung in geschlossener Sitzung einzuräumen 57 • Die rechtliche Geltungskraft von Verfahrenshandlungen des Kongresses bestätigte der Supreme Court in zwei Fällen. In Field v. Clark (1892) unterstrich das Gericht die abschließende Geltung der fonnellen Gesetzgebungsakte. Nach dieser Entscheidung gilt ein Gesetz allein in der vom Speaker, dem Senatspräsidenten und dem Präsidenten unterzeichneten und in der vom Department of State aufbewahrten Fassung als vom Kongreß verabschiedet. Es kann demnach nicht mit der auf Kammer- oder Ausschußprotokolle sowie sonstige Kongreßveröffentlichungen gestützten Begriindung angegriffen werden, der ursprünglich vom Kongreß verabschiedete Gesetzesentwurf hätte einen Abschnitt enthalten, der später in der auUnited States v. Ballin, 144 U.S. 1,5 (1892) [Justice Brewer]. Vgl. auch Deschlers Precedents Ch. 5 §§ 3,5. 54 Vgl. Schwartz, A Commentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 108; Pritchett, The American Constitution, S. 187. Das richterliche Priifungsrecht wird indes selbst in diesem Fall restriktiv ausgelegt. Den Geschäftsordnungsregeln kommt dementsprechend auch Gesetzeskraft und Bindungswirkung hinsichtlich des von ihnen adressierten Personenkreises zu, vgl. insgesamt Deschlers Precedents Ch. 5 § 4. 55 United States v. Smith, 286 U.S. 6, 34 (1932); i.d.S. auch Flint v. Stone Tracy Co., 220 U.S. 107 (1911). 56 Christoffel v. United States, 338 U.S. 84 (1949). 57 Yellin v. United States, 374 U.S. 109 (1963). 52 53
C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts
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thentisierten Fassung ausgelassen worden sei 58 . Hiernach ist also ein ausgefertigtes Gesetz abschließender Beweis für ein nach der Verfassung und den Geschäftsordnungen des Kongresses ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren. Vor dem Hintergund dieser Entscheidung erkannte der Oberste Gerichtshof in dem bereits erwähnten Fall United States v. Ballin (1892) die Protokolle bei der Häuser als abschließenden Beweis für die nach der Verfassung in sie aufzunehmenden Tatsachen an. Somit werden bei der Frage nach dem verfassungswidrigen Zustandekommen eines Gesetzes aufgrund Unsicherheit über die Antragstellung hinsichtlich der Aufnahme der Ja- und Nein-Stimmen in das Protokoll sowie über das bekanntgegebene Abstimmungsergebnis die Aufzeichnungen des Protokolls als wahr unterstellt 59 . Eine Ausnahme von der grundsätzlich abschließenden Geltungskraft der Verfahrenshandlungen beider Häuser betrifft nur den Fall eines offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzgebungsverfahrens. In Hubbard v. Lowe (1916) bestätigte der Supreme Court die Auffassung der Vorinstanz, wonach ein Steuergesetz, daswie vom Kongreß bestätigt - vom Senat ausgegangen war, wegen Verfassungsverstoßes schon von vornherein kein Gesetz werden konnte6o .
c. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts Ähnlich wie das deutsche Parlamentsrecht setzt sich das amerikanische 61 aus verschiedenen Quellen zusammen. Diese weisen zwar teilweise eine unterschiedliche Rechtsnatur auf, schließen sich aber grundsätzlich nicht gegenseitig aus, sondern interagieren und ergänzen sich in der Parlamentspraxis 62 . Für ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise des Kongresses im allgemeinen wie der Rolle des Speaker im Repräsentantenhaus im besonderen sind sie deshalb von großer Bedeutung, weil sie den Verfahrensgang des Kongresses aus verschiedenen Richtungen beeinflussen. Für den Speaker stellen die verschiedenen Rechtsquellen sowohl Instrumente unterschiedlicher Einflußintensität auf das parlamentarische Verfahren als auch funktionelle Grenzen und Bindungen seiner Tätigkeit als ParlamentspräsiField v. Clark, 143 U.S. 649 (1892). United States v. Ballin, 144 U.S. 1,4 (1892). 60 Hubbard v. Lowe, 226 Fed. 135, 140 (1915), appeal disrnissed 242 U.S. 654 (1916). Die Gesetzesvorlage trug den offensichtlichen Vermerk "S. 110". 61 Vgl. hierzu insgesamt die Übersichten bei Oleszek, Congressional Procedures, S. 6 f.; Tiefer, Congressional Practice, S. 21 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 419 sowie die umfassende, mit vielen Literaturhinweisen und Angaben zu hilfreichen InternetfundsteIlen sowie praktischen Anwendungshinweisen versehene Aufstellung bei Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 1 ff. Zum Begriffsverständnis siehe 2. Kap. A. 11. 62 V gl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 3. 58 59
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
dent dar. Im folgenden werden die Rechtsquellen des amerikanischen Parlamentsrechts nach ihrer Rangfolge dargestellt.
I. Die U.S.-Verfassung Den Ausgangspunkt des amerikanischen Parlamentsrechts bildet die Verfassung selbst. Sie setzt einerseits den institutionellen Rahmen des amerikanischen Regierungssystems, insbesondere durch Konstituierung des Senates und des Repräsentantenhauses. Andererseits enthält sie einschlägige Verfahrensregelungen, wobei der Geschäftsordnungsautonomie aus U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 die größte Bedeutung zukommt 63 • Diese Nonn ist in erster Linie die verfassungsrechtliche Ennächtigungsgrundlage zur Schaffung der standing rules, der kodifizierten Geschäftsordnungen beider Häuser. Sie ist aber auch die Rechtsgrundlage für das ungeschriebene und infonnale Parlamentsrecht des Kongresses, die rules, precedents und customs. U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 enthält die generelle Ennächtigung des Kongresses, seinen Geschäftsgang selbst zu regeln 64 • Diese Ennächtigung vermittelt zwei Befugnisse. Zum einen kann das Repräsentantenhaus entscheiden, welche Geschäftsordnungsregeln es sich gibt. Zum anderen kann es autonom festlegen, wann es diese Regelungen außer Kraft setzt. Von der ersten Befugnis macht das Repräsentantenhaus Gebrauch, wenn es zu Beginn einer neuen Wahlperiode die Geschäftsordnungsregelungen des vorhergehenden Kongresses - teilweise unter Abänderungen und Hinzufügung neuer Regeln 65 übernimmt, wenn es Gesetze mit sich auf die Geschäftsordnung auswirkenden Bestimmungen verabschiedet oder wenn es special rules annimmt, die ein spezielles Verfahren für einzelne Gesetzesvorhaben vorsehen. Von der zweiten Befugnis macht das Repräsentantenhaus Gebrauch, wenn es einstimmig ein parlamentarisches Verfahren beschließt, das seine eigenen Geschäftsordnungsregeln umgeht, mit einer Zweidrittelmehrheit die Regeln für die Beratung von Gesetzesvorlagen aufhebt oder mit Mehrheitsbeschluß eine special rule annimmt, nach der grundsätzlich zulässige Einlassungen von Abgeordneten außer acht gelassen werden können66 .
Die Verfassung der USA wird in kommentierter Form im House Manual abgedruckt. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 419; Schwartz, A Commentary on the Constitution of the United States, vol. I, S. 107; Walker, The Legislative Process, S. 194; Tiefer, Congressional Practice, S. 22. Siehe 2. Kap. B. I. 65 In der gegenwärtigen politischen Praxis werden diese Änderungen der Geschäftsordnung von der Mehrheitsfraktion vorgeschlagen. 66 Vgl. insgesamt Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 3. 63
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C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts
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11. Standing Rules Unter standing rules versteht man die geschriebenen Verfahrens- und Organisationsregeln, die sich beide Häuser kraft ihrer Geschäftsordnungsautonomie gemäß U.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 geben. Die standing rules sind die Geschäftsordnungen im eigentlichen Sinne. Ihre offiziellen Bezeichnungen sind "Rules of the House of Representatives,,67 und "Standing Rules of the Senate"68. Sie werden alle zwei Jahre mit jedem neuen Kongreß als House bzw. Senate Document unter dem Titel "Constitution, Jefferson's Manual and Rules of the House of Representatives,,69 und "Senate manual containing the standing rules, orders, laws, and resolutions affecting the business of the United States Senate,,70 in kommentierter Form veröffentlicht. Für das Repräsentantenhaus gilt ebenso wie für den deutschen Bundestag das Prinzip der Diskontinuität. Daher müssen sich beide Legislativversammlungen zu Beginn einer neuen Wahlperiode (term) ihre Geschäftsordnung neu geben. In der Praxis wird allerdings die Geschäftsordnung des alten Organs vom neuen - in teilweise abgeänderter Form - auf seiner konstituierenden Sitzung übernommen 71. Im Repräsentantenhaus geschieht dies durch die Verabschiedung einer simple resolution 72 . Die in Form eines einfachen Parlamentsbeschlusses ergehenden Rules of the House binden als reines Parlamentsinnenrecht nur das Repräsentantenhaus selbst und auch nur soweit, wie sein Selbstbindungswille reicht73. Demzufolge mahnt der Speaker oder sein Vertreter eine Verletzung von Geschäftsordnungsregeln nicht an, sondern das Verfahren wird solange als rechtmäßig angesehen, bis ein Abgeordneter Einspruch wegen der Verletzung der Geschäftsordnung (point of order) einlegt. Erst in der Entscheidung des Speaker über diesen Einspruch bzw. in der Verwerfung der Entscheidung des Speaker durch die Mehrheit des Hauses wird deutlich, ob sich das Repräsentantenhaus durch die Geschäftsordnung binden lassen will. Den standing rules kommt innerhalb der Normenhierarchie des amerikanischen Parlamentsrechts deshalb eine erhöhte Bedeutung zu, weil sie auf der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Repräsentantenhauses zur Schaffung seiner eigenen Im Text zitiert als "House Rule". Im Text zitiert als "Senate Rule". 69 Constitution, Jefferson's Manual and Rules of the House of Representatives, Washington, D.C. 1999; Kurztitel: "House Manual". 70 Senate manual containing the standing rules, orders, laws, and resolutions affecting the business of the United States Senate, Washington, D.C. 1993. 71 Vgl. Steffani, Der Kongreß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 113; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 9. Die standing rules des Senats als die eines continuing body bleiben ständig in Kraft. Vgl. Pritchett, The American Constitution, S. 186; Riddick, The U.S. Congress, S. 329 f.; McGrain v. Daugherty 273 U.S. 135 (1927). 72 Siehe 1. Kap. G. I. 73 Vgl. Walker, The Legislative Process, S. 194 f., 307. 67 68
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
Geschäftsordnung und damit letztlich auf einem Mehrheitsbeschluß des Plenums beruhen74 . Weniger entscheidend ist hingegen der Umstand, daß es sich bei ihnen um geschriebene Quellen des Parlamentsrechts handelt. Denn dem gesetzten Recht (statute law) kann im anglo-amerikanischen Recht - anders als im deutschen Rechtssystem - gelegentlich auch nur der Rang einer sekundären, das case law ergänzenden Rechtsquelle zukommen 75 . Die inhaltliche Entwicklung der Geschäftsordnungsregeln vor allem im 19. Jahrhundert weist einen deutlichen Trend zu steigender Effizienz und Beschleunigung des parlamentarischen Verfahrens aue 6 . III. Jefferson's Manual Daneben ist das von Thomas Jefferson während seiner Zeit als Vizepräsident und Senatsvorsitzender (1797 - 1801) zu seiner eigenen Orientierung geschriebene "A manual of parliamentary practice for the use of the Senate of the United States" von grundlegender Bedeutung für Verfahren und Organisation beider Häuser77 . Obwohl ursprünglich für den Senat geschrieben, hat nur das Repräsentantenhaus Jefferson's Manual im Jahre 1837 durch House Rule XLII zum formalen Bestandteil seiner Verfahrensregeln gemacht, wohingegen es der Senat heutzutage nicht als maßgebende Quelle für sein Verfahrensrecht ansieht. Diejenigen Abschnitte von Jefferson's Manual, die auf das Parlamentsrecht des Repräsentantenhauses angewandt werden können, werden in kommentierter Form im "House Manual" aufgeführt7s . Die Grundlage des von Jefferson ausgearbeiteten Handbuchs bildet das vorwiegend auf Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch basierende englische Parlamentsrecht des House of Commons des 18. Jahrhunderts 79 . Jefferson stützt seine Ausführungen dabei hauptsächlich auf Hatsell's Standardwerk zum englischen Parlamentsrecht des 18. Jahrhunderts "Precedents of proceedings in the House of commons"so. Allerdings begründete Jeffersons Werk zugleich den entscheidenden Unterschied zwischen englischem und amerikanischem Parlamentsrecht. Während 74 Vgl. insgesamt Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 4. 75 Vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 42 ff. 76 Siehe den Überblick über die Entwicklung der Geschäftsordnungsrege1n im 19. Jahrhundert bei Galloway, The Legislative Process in Congress, S. 526 f. 77 lejferson, Thomas, A manual of parliamentary practice: for the use of the Senate of the Vnited States, Washington, D.C. 1993.Vgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 328; Tiefer, Congressional Practice, S. 22; vgl. auch lejferson 's Manual, § 283, Anmerkung zur Überschrift. 78 Die Kurzzitierung "lejferson s Manual" bezieht sich auf die entsprechenden Abschnitte im House Manual. 79 Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 365 f.; Walker, The Legislative Process, S. 193; Tiefer, Congressional Practice, S. 22 f. 80 Hatsell, John, Precedents of proceedings in the House of commons, London 17851796. Vgl. lejferson s Manual, § 284.
C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts
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ersteres nur aus Parlamentsbrauch, Präzedenzfällen und Einzelbeschlüssen beider Häuser besteht, basiert letzteres in erster Linie auf kodifizierten Geschäftsordnungen von Senat und Repräsentantenhaus, denen Jefferson's Manual als Vorbild diente. Jeffersons Handbuch bildete gewissermaßen das amerikanische Gegenstück zu dem etwa gleichzeitig von Dumont geschriebenen kontinental-europäischen Werk "Tactique des assemblees legislatives,,81. Dieses Buch erschien 1816 unter dem Namen Benthams, auf dessen Gedanken es auch beruhte und der ein enger Freund Dumonts war. Auch das Handbuch Romillys über die Verfahrensregeln des House of Commons 82 , auf dessen Grundlage Dumont zuvor auf Veranlassung Mirabeaus einen Geschäftsordnungsentwurf für die französische Nationalversammlung erarbeitet hatte, der jedoch wegen seines englischen Ursprungs nicht angenommen wurde, fand Eingang in das Werk. "Tactique des assemblees legislatives" hatte großen Einfluß auf die Geschäftsordnungen der gesetzgebenden Versammlungen, die sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa herausbildeten83. Aus all dem folgt zweierlei. Erstens läßt sich die Handhabung der amerikanischen wie der kontinental-europäischen Geschäftsordnungen auf den Ursprung des englischen Parlamentsrechts des House of Commons zurückführen. Zweitens lassen sich auf dem Gebiet des Geschäftsordnungswesens mit Fraenkel drei Typen unterscheiden: das unkodifizierte englische, das kodifizierte amerikanische und das kodifizierte kontinental-europäische Geschäftsordnungsrecht. Die beiden letzteren unterscheiden sich darin, daß das kontinental-europäische Geschäftsordnungsrecht weniger detailliert und kompliziert ist und im Anschluß an Bentham in stärkerem Maße rationalistische als traditionalistische Züge trägt84 . IV. Statutory Rules
Bei den statutory rules oder auch rule-making statutes 85 handelt es sich um allgemeine Gesetze, die gesonderte Verfahrensvorschriften für Senat und Repräsentantenhaus enthalten und sich insofern auf den jeweiligen Geschäftsgang auswirken. Sie ergehen ebenso wie die standing rules aufgrund der verfassungsrechtlichen Geschäftsordnungsautonomie jedes der beiden Häuser und haben insoweit denselben Rang wie diese. Daher enthalten die statutory rules üblicherweise in einem Abschnitt wie "Exercise of rulemaking powers" den Hinweis, daß die VerfahBentham, Jeremy, Tactique des assemblees legislatives, Geneve 1816. Romilly, Samuel, Reglemens observes dans la Chambre des communes pour debattre les matieres & pour voter, Paris 1789. 83 Vgl. hierzu insgesamt Ilhert, Methods of Legislation, S. 13 ff.; Walker, The Legislative Process, S. 193 f.; Luce, Legislative Procedure, S. I. 84 Vgl. insgesamt Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 294 f. 85 Vgl. insgesamt Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 11, 13 f. 81
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
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rensvorschriften dieser allgemeinen Gesetze "shall be considered as part of the rules of such House,,86. Die statutory rules lassen sich nach ihren Regelungsmaterien in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe bilden diejenigen rule-making statutes, die sich auf den congressional budget process beziehen. Hierzu gehören der Congressional Budget and Impoundment Control Act von 1974, der Balanced Budget and Emergency Deficit Control Act von 1985 und der Budget Enforcement Act von 199087 . Diese drei Gesetze bestimmen spezielle Verfahren für die Beratung von Haushaltsgesetzen in Senat und Repräsentantenhaus. Zur zweiten Gruppe gehören die beiden Legislative Reorganization Acts von 1946 und 197088 , die jeweils Kongreßreformen zum Gegenstand hatten und auf eine Stärkung des Kongresses gegenüber der Exekutive sowie auf eine stärkere Demokratisierung innerhalb des Kongresses gerichtet waren. Beide Gesetze beeinflußten durch ihre Regelungen die Geschäftsordnungen von Senat und Repräsentantenhaus so stark, daß viele von ihnen später in die Rules of the House aufgenommen wurden 89 . Die dritte Gruppe besteht aus den sog. "congressional disapproval statutes,,90. Hierbei handelt es sich um Gesetze, wie z. B. den Free Trade Act von 1974, die spezielle Verfahrensvorschriften (privileged procedures) für beide Häuser des Kongresses hinsichtlich der (Miß-)Billigung bestimmter Handlungen der Exekutive oder unabhängiger Behörden enthalten. Die entscheidenden Vorschriften dieser statutory rules werden im "House Manual" veröffentlicht.
v. Precedents 1. Precedents als "case law" und "common law" des Kongresses Die precedents stellen die wichtigste Quelle des ungeschriebenen Parlamentsrechts dar9l . Es handelt sich hierbei im allgemeinen um die PräzedenzfallentscheiVgl. z. B. 2 U.S.C. § 1431 (1) (2000); 2 U.S.C. § 1515 (1) (2000). P.L. 93 - 344, 88 Stat. 297 (Kurzbezeichnung: Congressional Budget Act); P.L. 99177,99 Stat. 1037 (Kurzbezeichnung: Gramm-Rudman-Hollings Act); P.L. 101-508, 104 Stat. 1388. 88 P.L. 79-601, 60 Stat. 812 und P.L. 91-510, 84 Stat. 1140. 89 So wurde z. B. die Vorschrift des Legislative Reorganization Act von 1970, wonach sich alle ständigen Ausschüsse des Repräsentantenhauses eigene kodifizierte Geschäftsordnungen zu geben haben, im Jahre 1971 als Rule XI, cl. 2 in die Rules of the House aufgenommen. 90 V gl. hierzu insgesamt House Manual, § 1130 mit einer Liste der congressional disapproval statutes. 91 Vgl. I Hinds' Precedents, introduction, S. iii und hier das Zitat John Shermans im Senat, Congressional Record, 17.01. 1876, S. 433: "The great body of the rules of all parliamentary bodies are unwritten law; they spring up by precedent and custom; these precedents and customs are this day the chief law of both Houses of Congress, ... " Vgl. ferner Johnson, House Precedents, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1577. 86
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C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts
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dungen zu Geschäftsordnungsanträgen bzw. -einsprüchen (points of order, auch questions of order) und Verfahrensfragen (parliamentary inquiries) in beiden Häusern des Kongresses 92 • Die Präzedenzfälle geben Aufschluß darüber, wie die jeweilige Kammer und insbesondere der Speaker im Repräsentantenhaus die kodifizierten Geschäftsordnungsregeln bisher ausgelegt und angewandt haben. Bei Verfahrensfragen wird daher zunächst, auf bereits entschiedene Präzedenzfälle Bezug genommen. Für den Fall, daß das Parlamentsrecht noch keine passende Präzedenzfallregelung vorsieht, wird ein Vergleich mit analogen Fällen vorgenommen und dann ein neuer Präzedenzfall begründet93 . Auf der Grundlage der Überzeugung, daß ein government of laws einem government of men vorzuziehen sei94 , kommt der Einhaltung und Befolgung der Präzedenzfälle und der sich auf sie gründenden Verfahrensregeln traditionell sehr große Bedeutung zu. Ein Abweichen des Repräsentantenhauses bzw. des Speaker von früheren, in der Parlamentspraxis verfestigten Entscheidungen eines vorigen Hauses oder Sprechers stellt eine seltene Ausnahme dar95 . Diese strenge Selbstbindung beider Kammern des Kongresses an die jeweiligen Präzedenzfälle führt grundsätzlich zu einem hohen Maß an Vertrauensschutz und Verfahrenssicherheit, da im Falle von Streitfragen über die Geschäftsordnung jedem Mitglied die Richtlinien der Entscheidungsfindung bekannt sind. Diese Bindungswirkung, die den precedents somit als Teil des parliamentary law zukommt, begründet letztlich ihren Rechtscharakter 96 . Die parlamentarischen Präzedenzfälle werden in vergleichbarer Weise begründet wie die precedents der Gerichte im anglo-amerikanischen Rechtssystem und sind daher gewissermaßen richterrechtliche Entscheidungen des Speaker. In ihrer aufgearbeiteten und zusammengestellten Form in den Kompendien von Hinds, Cannon und Deschler werden sie in praxi als Ergänzung und Auslegungshilfe der standing rules angesehen. Ihnen kommt also eine vergleichbare Funktion zu wie dem richterrechtlichen case law gegenüber dem von der Legislative erlassenen statutory law. Daher kann man die parlamentarischen precedents als "case law" des Kongresses und im Gegensatz dazu die vom Plenum verabschiedeten standing und statutory rules als dessen "statutory law" bezeichnen97 • Wegen ihrer auf Tradition, Gewohnheit und parlamentarische Praxis gestützten Bindungswirkung bilden die precedents als althergebrachtes Recht darüber hinaus auch den Hintergrund für dieses case law und statutory law des Kongresses und können insofern als "common law" des Kongresses bezeichnet werden 98 . Siehe zur diesbezüglichen Entscheidungsgewalt des Speaker 5. Kap. C. V. Vgl. Cushing, Lex Parliamentaria Americana, paragraph 780. 94 Vgl. 5 V.S. (I Cranch) 137, 163 (1803). 95 Vgl. Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. vi. 96 Vgl. Deschler's Precedents, vol. I, preface, S. vii. Einschränkend MacNeil, Forge of Democracy, S. 65: "The Speaker's rulings have carried with them no writ of positive law, but for all practical purposes they have been almost as definitive as law." 97 Vgl. Cushing, Lex Parliamentaria Americana, paragraph 780; Deschler, Rules of Order, S.vi. 92
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2. Kap.: Das amerikanische Parlarnentsrecht
So wie Anwälte vor Gericht bereits ergangene gerichtliche Entscheidungen heranziehen, um ihre Argumentation zu stützen, berufen sich Repräsentantenhausabgeordnete zur Untermauerung ihrer Geschäftsordnungsanträge auf die Präzedenzfälle des Hauses. Auch der jeweilige Kammervorsitzende, vor allem der Speaker, führt Entscheidungen seiner Vorgänger als Stütze und Begriindung seiner Sitzungsentscheidungen an. Vorgegangen wird hierbei nach der für das amerikanische Rechtsdenken typischen tatbestandsbezogenen Methode des "Wegdifferenzierens". Rechtliche Argumentation ist hiernach zu einem großen Teil vergleichende Sachverhaltsanalyse. Es geht darum, das günstige Präjudiz als mit dem Sachverhalt vergleichbar, das ungünstige hingegen als völlig anders gelagert zu betrachten (to distinguish, d. h. durch Differenzierung aus der Welt zu schaffen). Diese Methode trägt maßgeblich zur Rechtsfortbildung auch des Parlamentsrechts bei, indem eine veraltete Entscheidung nicht mehr ausdriicklich aufgehoben werden muß, sondern sie allein durch differenzierte Betrachtung der neuen Sachverhalte und der daraus folgenden Nichtanwendung des alten Präjudizes ausgehöhlt wird99 . Die Folge dieser Vorgehensweise ist allerdings eine stetige zahlenmäßige Zunahme der Präzedenzfallentscheidungen, die sich mittlerweile im Repräsentantenhaus auf mehr als 40.000 Einzelentscheidungen belaufen 100. Hinsichtlich des Parlamentsrechts ist es in erster Linie der Speaker, der im Sinne einer Rechtsfortbildung - ähnlich einem Richter - "rechtsschöpferisch" tätig wird. Ihm steht bei der Entscheidung über die Vergleichbarkeit von Sachverhalten ein Ermessen zu, das ihm politischen Handlungsspielraum verleiht. Die Rechtsfortbildung des case law bzw. common law entwickelt sich bedingt durch das schrittweise Vorantasten von Fall zu Fall niemals sprunghaft und weist daher eine strukturelle Verwandtschaft mit der Analogie des kontinentaleuropäischen Rechtskreises auf lOl . Indem mittels der Präzedenzfälle friihere Entscheidungen über Geschäftsordnungsfragen unter Beriicksichtigung ihres historischen Kontextes zu den jeweils aktuellen parlamentsrechtlichen Streitfragen in Beziehung gesetzt werden, beeinflussen sie die Anwendung und Auslegung der gegenwärtigen Geschäftsordnungsregeln und führen so zur Herausbildung einer gefestigten parlamentsrechtlichen Tradition 102. Die präsidiale Interpretationsbefugnis des Sprechers unterscheidet sich in doppelter Hinsicht von der des deutschen Bundestagspräsidenten. Diesem wird gemäß § 127 I 1 GOBT das Recht eingeräumt, während einer Sitzung des Bundestages auftretende Zweifel über die Auslegung der Geschäftsordnung für den Einzelfall zu entscheiden. Daraus folgt erstens, daß die Geschäftsordnung eine Vorschrift ent98 Zu den Begriffen vgl. Black, Black's Law Dictionary, S. 216, 276 f. Zur Bezeichnung der precedents als "common law" vgl. Deschler's Precedents, vol. I, preface, S. vii. 99 Vgl. Hay, Einführung in das arnerikanische Recht, S. 9. 100 Vgl. Siff I Weil, Ruling Congress, S. 5. 101 Vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-arnerikanische Recht, S. 41. 102 V gl. insgesamt Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 4. Zur stabilisierenden Wirkung des Parlarnentsrechts auf das Regierungssystern, vgl. Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. iii.
C. Quellen und Rechtsnatur des amerikanischen Parlamentsrechts
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halten muß, die im gegebenen Fall unmittelbar oder entsprechend angewandt werden kann, und zweitens, daß die Entscheidung des Bundestagspräsidenten nur für den anstehenden konkreten Fall gilt, sie also weder den Präsidenten noch das Parlament für zukünftige Fälle präjudiziert 103 . Demgegenüber setzt das amerikanische Verständnis der Interpretationsgewalt des Sprechers weder einen Ansatzpunkt für die Auslegung im bisherigen Geschäftsordnungsrecht voraus noch begrenzt es die Wirkung der präsidialen Entscheidung auf den Einzelfall. Wahrend nach deutschem Parlamentsrechtsverständnis für die Ergänzung der Geschäftsordnung und damit die Schaffung neuen Geschäftsordnungsrechts ausschließlich der Bundestag selbst zuständig ist 104, kann der amerikanische Speaker selbständig das parlamentarische Verfahrensrecht ergänzen und damit selbst Recht schöpfen - freilich unter dem Zustimmungsvorbehalt des Repräsentantenhauses. Die Verfahrensentscheidungen des Bundestagspräsidenten entfalten anders als die des Sprechers nicht per se normative Verbindlichkeit, sondern können allenfalls nach längerer parlamentarischer Übung in das geschriebene Geschäftsordnungsrecht übernommen werden 105. Das Geschäftsordnungsrecht des Bundestages ist daher im Gegensatz zu dem des Kongresses im wesentlichen kodifiziertes Recht und kein Fallrecht.
2. Arten der Precedents
In der Einleitung zu der von ihm zusammengestellten Präzedenzfallsammlung definiert Lewis Deschler einen precedent allgemein als "a ruling, decision, or conclusion of the Speaker or Chairman or even a longstanding practice or custom of the House that is applied in settling some question or issue conceming the House or its comrnittees or Members"I06.
Ein parlamentarischer Präzedenzfall ist also der Sache nach eine Entscheidung über die Auslegung des parlamentarischen Verfahrensrechts in Zweifelsfällen. Wenngleich die Definition eines precedent weit verstanden wird, so ist für seine Konstituierung jedenfalls zwingend erforderlich, daß er das Verfahren oder den Geschäftsgang (practice or procedure) des Repräsentantenhauses näher erläutert, also einen parlaments- und verfahrensrechtlichen Bezug aufweist. Nicht jedem Akt des Gesetzgebungsverfahrens kommt damit Präzedenzfallcharakter zu. So stellt ein routinemäßiges Abstimmungsverhalten des Hauses für oder gegen ein bestimmtes Gesetz noch keinen Präzedenzfall dar. Ebensowenig bildet die Berufung
103 Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 128, Rn. 5, 10 sowie den Ergänzungsband Troßmannl Roll, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 127, Rn. 2, 5. 104 Vgl. Blischke, Geschäftsordnung. Kurz skizziert und kommentiert, S. 14. 105 V gl. Klein, in: Maunz I Dürig, Art. 40, Rn. 36. 106 Vgl. auch zum folgenden Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. xi f.
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
eines bestimmten Abgeordneten in einen Ausschuß einen precedent, wenngleich die Art und Weise seiner Berufung durchaus einen Präzedenzfall begründen kann. Die Präzedenzfälle des Repräsentantenhauses lassen sich in drei Hauptgruppen unterteilen: Die erste Gruppe bilden die Entscheidungen des Sprechers oder anderer Vorsitzender (Speaker pro tempore, Chairman of the Committee of the Whole House on the State of the Union), die im allgemeinen als Antwort auf einen Geschäftsordnungsantrag (point of order) oder eine Geschäftsordnungs- bzw. Verfahrensfrage (parliamentary inquiry) ergehen. Ein Geschäftsordnungsantrag (point of order) ist ein parlamentarischer Einspruch, der das Verfahren unterbricht, bis der Sprecher über die Gültigkeit der Behauptung entschieden hat. Zur zweiten Gruppe gehören die das Verfahren betreffenden, ohne Einspruch ergangenen ausdrücklichen oder konkludenten Entscheidungen des Repräsentantenhauses selbst, etwa über die Annahme von special rules oder bestimmter Ausschußbeschlüsse 107 . In der dritten Gruppe lassen sich die sog. "precedents sub silento" zusammenf~ssen, d. h. parlamentarische Praktiken des Hauses, über die niemals gesondert entSchieden worden ist. Den größten Teil der Präzedenzfälle des Repräsentantenhauses bilden die Ermessensentscheidungen über Geschäftsordnungsanträge (points of order) der Abgeordneten durch den Sprecher gemäß House Rule I, cl. 5, die zur Auslegung der Geschäftsordnung, der House Rules, herangezogen werden 108. Diese Entscheidungen können, müssen aber nicht begründet werden. Sie bilden nur einen Präzedenzfall für nachfolgende Streitigkeiten, wenn derselbe parlamentsrechtliche Gegenstand betroffen ist. Die Präzedenzfallwirkung bezieht sich auch nur auf die tatsächlich vom Sprecher entschiedenen Fragen; einer Frage, die lediglich Eingang in den Congressional Record gefunden hat, ohne daß sie vom Speaker entschieden worden ist, kommt kein Präzedenzfallcharakter zu. Die Entscheidungen des Sprechers unterliegen dem Einspruchsrecht (appeal) der einzelnen Congressmen und können durch Mehrheitsbeschluß des Hauses verworfen werden. In der parlamentarischen Praxis werden die Entscheidungen des Speaker jedoch nur in Ausnahmefällen angegriffen. Denn zum einen basieren sie auf dem professionellen Rechtsrat des House Parliamentarian, des Parlamentsjuristen, und fügen sich so zumeist rechtsfehlerfrei in das Präjudiziensystem des Repräsentantenhauses ein. Zum anderen sind die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion politisch verpflichtet, den Speaker als ihren Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus zu stützen, so daß ein Einspruch praktisch keine Aussicht auf Erfolg hat und überdies heutzutage als persönliche Beleidigung des Sprechers gewertet wird 109 . Seit 1927 hat es keinen erfolgreichen Einspruch mehr gegen eine Entscheidung des Speaker gegeben 1I 0. 107 Vgl. Deschlerl Brown, Procedure, S. vii; Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 4. 108 House Rule I, cl. 5: "The Speaker shall decide all questions of order, subject to appeal by a Member, Delegate, or Resident Commissioner." 109 Vgl. Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 2; Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives,
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Zwar sind die precedents insgesamt von großer Bedeutung für das Parlamentsrecht, weil sie in jedem Fall Ausfluß der mehrheitlich ausgeübten Parlamentsbzw. Geschäftsordnungsautonomie des gesamten Repräsentantenhauses sind, allerdings kommt nicht allen precedents derselbe Rang zu. Die Präzedenzfälle, die sich auf eine Entscheidung des Speaker über Geschäftsordnungsanträge oder einen Mehrheitsbeschluß des Repräsentantenhauses gründen, haben größeres Gewicht als die, die aus der Beantwortung von Geschäftsordnungsfragen entstehen. Diese Beantwortung hat lediglich explikativen, nicht dezisiven Charakter und unterliegt daher auch nicht dem Einspruchsrecht der Abgeordneten 111. Die Antworten des Sprechers oder Vorsitzenden auf solche parlamentarischen Anfragen werden - anders als Entscheidungen über Geschäftsordnungsanträge - nicht in das Journal, das offizielle Parlamentsprotokoll, aufgenommen 112. Desweiteren haben jüngere Präzedenzfälle grundsätzlich größere Bedeutung als ältere und ihre Bedeutung steigt, je besser sie sich in das Gesamtsystem einfügen und keine isolierte Entscheidung darstellen 113. Sind keine Präzedenzfälle für eine vorliegende Streitfrage vorhanden, so kann eine Kammer sich an den precedents der anderen orientieren, ohne daß indes eine Bindung einer Kammer an die Präzedenzfälle der anderen Kammer besteht 114. 3. Die stare decisis-Doktrin
Die Ursache für die Entstehung der auf ein konsistentes Präjudiziensystem gestützten parlamentsrechtlichen Tradition liegt letztlich in der den gerichtlichen Präzedenzfällen vergleichbaren Bindungswirkung der parlamentarischen Präzedenzfälle. Ähnlich einem Richter, der sich bei der Lösung rechtlicher Fragen an den früheren Entscheidungen der Obergerichte zu orientieren hat, richtet sich auch der Kammervorsitzende bzw. die gesamte Kammer bei der Beantwortung von Geschäftsordnungsanträgen oder Verfahrensfragen nach den in der Vergangenheit zu dem gleichen Gegenstand ergangenen Entscheidungen. Hierbei folgt die Kammer wie jedes Gericht des amerikanischen oder englischen case law-Systems der anglo-amerikanischen stare decisis-Doktrin, d. h. der die Verbindlichkeit der Vorentscheidung gebietenden Grundnorm jedes Präjudiziensystems 115. CRS Report, S. 4; Tiefer; Congressional Practice, S. 24 f., 198, der auf den Unterschied zum Senat hinweist. 110 Siffl Weil, Ruling Congress, S. 47. 111 Vgl. Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 2. ll2 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2840, 2841, 2842. 113 Vgl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 4. 114 Vgl. Deschler's Precedents, vol. I, preface, S. xii. 115 Vgl. Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. vi; Deschlerl Brown, Procedure, S. vii; vgl. ferner Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 22 ff.; Walker; The
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Die stare decisis-Doktrin ist gewissennaßen der Kristallisationspunkt eines case law-Systems, in dem frühere Gerichtsentscheidungen zur Rechtsquelle für spätere Gerichtsentscheidungen werden 116 • Die Verbindlichkeit der precedents im Rahmen des case law ist weder verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich nonniert noch werden die Richter oder etwa die Kongreßmitglieder durch Amtseid verpflichtet, die doctrine of precedent einzuhalten. Vielmehr handelt es sich bei der stare decisis-Doktrin um gewohnheitsrechtlich herausgebildetes Richterrecht 1l7 . Die stare decisis-Doktrin gründet sich in den USA neben dem hohen Ansehen von Richtern auf Gedanken wie Stabilität, Rechtsgleichheit und -einheitlichkeit, Vorhersehbarkeit, Verfahrens- und Rechtssicherheit sowie Wirtschaftlichkeit 11 8. Zwar stammt die Rechtsfigur der stare decisis-Doktrin ursprünglich aus dem Bereich der Judikative, doch läßt die Vergleichbarkeit der Entstehung und die gewohnheitsrechtlich gewachsene Selbstbindungswirkung von gerichtlichen und parlamentarischen Präzedenzfällen es als sinnvoll erscheinen, die stare decisis-Doktrin auch auf die legislative Präzedenzfallmethodik anzuwenden 11 9. Die Übertragung der Konzeption des stare decisis auf den legislativen Umgang mit Präzedenzfällen erscheint schließlich umso mehr gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß der Effekt der stare decisis-Doktrin in der Außerfragestellung früherer Entscheidungen und damit in der Schaffung eines stabilen traditionsbildenden Entscheidungsfundaments besteht. Stabilitätsstiftende Tradition, d. h. gewohnheitsrechtliche Selbstbindung, ist gerade
Legislative Process, S. 401, 430; Burnham, Introduction to the law and legal system of the United States, S. 65 f. Die vollständige lateinische Wendung "stare decisis et non quieta movere" wird in den USA übersetzt als "Iet the decision stand and do not disturb things which have been settled", so Goldberg, Equal Justice. The Warren Era of the Supreme Court, S. 74, bzw. als "stand by the precedents and do not disturb the calm", so Reed, Stare Decisis and Constitutional Law, in: Pennsylvania Bar Association Quarterly 35 (1938), S. 131 ff. (131). Die Entstehung der stare decisis-Doktrin läßt sich bis ins England des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. Bracton's Note Book, das eine der ersten englischen Entscheidungssammlungen enthält und etwa die Zeitspanne von 1217 - 1240 abdeckt, gab dieser Theorie bereits frühen Anstoß. Vgl. zur Entstehung der stare decisis-Doktrin Sprecher, The Development of the Doctrine of Stare Decisis and the Extent to Which It Should Be Applied, in: American Bar Association Journal 31 (1945), S. 501 ff. (501, dort Fn. 9 m. w. N.). Zur weiteren Entwicklung der stare decisis-Doktrin insbesondere im 20. Jahrhundert vgl. Stevens, The Life Span of a Judge-Made Rule, in: New York University Law Review 58 (1983), S. 1 ff. 116 Vgl. Burnham, Introduction to the law and legal system ofthe United States, S. 65. 117 Vgl. Stevens, The Life Span of a Judge-Made Rule, in: New York University Law Review 58 (1983), S. 1 ff. (1). 118 Vgl. Sprecher, The Development of the Doctrine of Stare Decisis and the Extent to Which It Should Be Applied, in: American Bar Association Journal 31 (October 1945), S. 501 ff. (505 f.). Ferner auch Burnham, Introduction to the law and legal system of the United States, S. 65. Als die wohl grundlegendste Rechtfertigung für die Befolgung von Präzedenzfällen führt Llewellyn an "that curious, almost universal sense of justice which urges that all men are properly to be treated alike in like circumstances", Llewellyn, The Common Law Tradition, S. 26 mit weiteren Begründungen für die stare decisis-Doktrin. 119 Vgl. in diesem Sinne Deschler's Precedents, vol. 1, preface, S. vi.
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die Grundlage des anglo-amerikanischen case law-Systems der Gerichte ebenso wie der Legislative. Nach Bumham können Gerichtsentscheidungen grundsätzlich zwei Arten von stare decisis-Wirkungen entfalten: zum einen eine Bindungswirkung (binding effect) und zum anderen eine Überzeugungswirkung (persuasive effect) 120. Unter Bindungswirkung ist allgemein zu verstehen, daß ein Gericht an die Entscheidung eines früheren Falles gebunden ist, wobei zwischen zwei Zielrichtungen der Bindungswirkung zu unterscheiden ist. Die im Rahmen der common law-Gerichtsbarkeit in den USA entwickelte Theorie der stare decisis begründet in erster Linie die Bindung der Untergerichte an die Entscheidungen der Obergerichte des jeweiligen Instanzenzugs (vertical stare decisis)121, daneben aber auch die grundsätzliche Selbstbindung eines Gerichts an seine früheren Entscheidungen (horizontal stare decisis) 122. Nach anglo-amerikanischer Rechtsauffassung ist eine Bindung an die Vorentscheidung conditio sine qua non für das case law-System I23 • Die amerikanische Konzeption der stare decisis-Doktrin ist allerdings im Vergleich zur absoluthierarchischen Bindungswirkung der englischen Theorie wegen ihrer größeren Anpassungsfähigkeit an die soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung flexibler l24 . Dies hat seinen Grund insbesondere in der weniger strikten Anwendung der stare decisis-Doktrin im Bereich des amerikanischen Verfassungsrechts. Wegen 120 Vgl. insgesamt Burnham, Introduction to the law and legal system of the United States, S. 65 f. 121 "A decision of the United States Supreme Court is binding on federal matters on all other courts, federal or state.", Moore I Oglebay, The Supreme Court, Stare Decisis, and Law of the Case, in: Texas Law Review 21 (1943), S. 514 ff. (525); vgl. ferner Hay, Einführung in das amerikanische Recht, S. 8; Walker, The Legislative Process, S. 430. 122 "The Supreme Court has never held itself to be rigidly bound by its own decisions, and other federal and state courts have followed that course in reference to their own decisions", vgl. Sprecher, The Development of the Doctrine of Stare Decisis and the Extent to Which It Should Be Applied, in: American Bar Association Journal 31 (October 1945), S. 501 ff. (503); ferner Stevens, The Life Span of a Judge-Made Rule, in: New York University Law Review 58 (1983), S. 1 ff. 123 Vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 22; Farnsworth, An Introduction to the Legal System of the United States, S. 49; Burnham, Introduction to the law and legal system of the United States, S. 65; siehe die Zusammenstellung der wichtigsten Stabilitätsfaktoren eines case law-Systems bei Llewellyn, The Comrnon Law Tradition, S. 219 ff. sowie Bodenheimer, Jurisprudence: The philosophy and method ofthe law, S. 425 ff. 124 Vgl. Kocourek I Koven, Renovation of the Comrnon Law Through Stare Decisis, in: Illinois Law Review 29 (1935), S. 971 ff. (977 f.); Hardman, Stare Decisis and the Modern Trend, in: West Virginia Law Quarterly (and the Bar) 32 (1926), S. 163 ff. (165 f., 191); Cardozo, The Nature ofthe Judicial Process, S. 98 ff. Seit dem practical statement des House of Lords vom 26. 07. 1966 hat das oberste Gericht des Vereinigten Königreiches indes den Grundsatz verkündet, wonach es sich selbst nicht mehr absolut an seine früheren Entscheidungen gebunden fühlt, wenngleich diese Ausnahmen nur in engen Grenzen zugelassen werden. " ... They propose therefore to modify their present practice and, while treating former decisions of this House as normally binding, to depart from a previous decision when it appears right to do so .... " [1966]3 All England Law Review 77 (Lord Gardiner, L.C.).
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der extrem hohen Anforderungen an eine Verfassungsänderung in den USA 125 ist eine flexiblere Anwendung des Richterrechts in diesem Bereich dringend erforderlich, um zu verhindern, daß die Verfassungsentwicklung gegenüber neuen politischen und sozialen Herausforderungen vollends verschlossen bleibt l26 • Daneben ist die Handhabung der stare decisis-Doktrin eines Gerichts bezüglich seiner eigenen Präzedenzfälle flexibler als im Verhältnis zu solchen der Obergerichte, so daß es in diesen Fällen häufiger zu einer Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung kommt l27 . Hinsichtlich der Bindungswirkung ergeben sich durchaus Parallelen zwischen dem eigentlichen Anwendungsbereich der stare decisis-Doktrin innerhalb der Judikative und den beiden Häusern des Kongresses. Denn innerhalb des Senats und des Repräsentantenhauses existiert auch ein "Instanzenzug". So läßt sich etwa das Plenum des Repräsentantenhauses aufgrund seiner aus House Rule I, cl. 5 folgenden Berechtigung zur Überprüfung und Verwerfung der Entscheidungen des Sprechers mittels Mehrheitsentscheids mit einer Berufungsinstanz vergleichen 128. Verwirft das Plenum eine gewissermaßen erstinstanzliche Entscheidung des Sprechers, so handelt es in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Geschäftsordnungsautonomie durch demokratischen Mehrheitsbeschluß und begründet damit einen Präzedenzfall, der den Speaker in der Zukunft bindet. Allgemein gilt, daß der Speaker an Mehrheitsentscheidungen des Hauses gebunden ist, das Haus aber wegen seiner Verwerfungskompetenz in letzter Konsequenz nicht an die Entscheidungen des Sprechers gebunden ist. Innerhalb derselben Instanz kommt Entscheidungen - wie im Bereich der Judikative - nur eine grundsätzliche zeitliche Selbstbindung zu. Zwar orientieren sich sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Sprecher an den von ihnen gesetzten precedents, doch kann das Repräsentantenhaus seine Entscheidungen kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie selbst aufueben. Ebensowenig ist der Sprecher gezwungen, Präzedenzfällen blind und unüberlegt zu folgen. Der Speaker kann von einem einschlägigen Präzedenzfall abweichen, wenn es sich dabei um den einzigen zu der Frage ergangenen precedent handelt und dieser nicht hinreichend begründet ist l29 . Die Ausnutzung seines Ermessensspielraums bei der Entscheidung über Geschäftsordnungsanträge und -fragen, hat damit unmittelbare Auswirkung auf die Legitimation der demokratischen Entscheidungen. Begrenzt 125 Vgl. U.S. Const. art. V: Zweidrittelmehrheit in bei den Kammern, Antrag auf Einberufung eines Konvents durch Legislativen von zwei Drittel der Einzelstaaten, Ratifizierung der Verfassungsänderungen von drei Viertel der Einzelstaatslegislativen. 126 Burnet v. Colorado Oil & Gas Co., 285 U.S. 393,406-408 (1932): "in cases involving the Federal Constitution, where correction through legislative action is practically impossible, this Court has often overruled its earlier decisions." 127 Vgl. Bumham, Introduction to the law and legal system ofthe United States, S. 66. 128 Abgeordneter Robert Luce, R-Mass., 04. 02. 1925: "We are sitting here as an appellate court, a court to pass upon the correctness of an interpretation of the parliamentary law made by the Presiding Officer... ", zitiert nach Cannon, Cannon' s Procedure in the House of Representatives, S. iv. 129 V gl. Deschler s Precedents, vol. 1, preface, S. vii; VI Cannon s Precedents § 48.
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wird dieser Ennessensspielraum des Sprechers zunächst durch die traditionswahrende stare decisis-Doktrin, die Richtlinie seiner Entscheidungsfindung ist, darüber hinaus durch den Mehrheitswillen des Repräsentantenhauses als Ausdruck der Geschäftsordnungsautonomie und schließlich durch die Verfassung. Dies unterstreicht einmal mehr, daß der Sprecher seine Kompetenzen in erster Linie vom Repräsentantenhaus ableitet und er daher nur solange als Verkörperung der Geschäftsordnungsautonomie gilt, wie er eine Mehrheit des Hauses hinter sich weiß. Fraglich ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob und inwieweit die Diskontinuität des Repräsentantenhauses der Bindungswirkung der Präzedenzfälle entgegensteht. Insoweit gilt es indes festzuhalten, daß lediglich die Geschäftsordnungsregeln (standing rules) des Repräsentantenhauses mit dem Ende der Legislaturperiode ihre Gültigkeit verlieren. Dies hat zur Folge, daß das Repräsentantenhaus sich zu Beginn eines neuen Kongresses unter Geltung des allgemeinen Parlamentsrechts zusammenfindet und eine neue Geschäftsordnung verabschiedet I3o. Unter dem "allgemeinen Parlamentsrecht" sind die allgemein anerkannten Regeln des parlamentarischen Verfahrens, d. h. in der Vergangenheit begründete Präzedenzfälle und parlamentarisches Gewohnheitsrecht, zu verstehen 13l. Die Grundlage dieses allgemeinen Parlamentsrechts im Sinne des Repräsentantenhauses bildet das Jefferson's Manual, soweit es nicht als obsolet und der herrschenden Parlamentspraxis widersprechend angesehen wird 132. "It is a general principle that in the absence of the adoption of mies of procedure and in the absence of statutory regulation, a public deliberative body is governed by the generally accepted mies of parliamentary procedure. In the House of Representatives, however, the general parliamentary law applicable is that body of parliamentary law generally based upon precedents and mies ofpast Houses .. l33 .
Daraus folgt, daß das allgemeine Parlamentsrecht unter Einschluß der Präzedenzfälle gerade nicht der Diskontinuität unterliegt, sondern vielmehr die immerwährende traditionsbildende Basis des Parlamentsrechts insgesamt darstellt. Somit steht die Diskontinuität des Repräsentantenhauses der fortgeltenden Bindungswirkung der Präzedenzfälle nicht entgegen.
130 Vgl. VIII Cannon's Precedents §§ 3383-3386; V Hinds' Precedents §§ 6002, 67586763; Deschler's Precedents Ch. 1 §§ 1,10,10.1,10.2. 131 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 1; V Hinds' Precedents §§ 6758-63; VIII Cannon's Precedents §§ 3383 - 86; House Manual, § 60 sowie Committee on House Administration, History of the Vnited States House of Representatives, 1789-1994, S. 85. Ferner allgemein Blair, American Legislatures. Structure and Process, S. 1 ff.; Froman, Organization Theory and the Explanation of important Characteristics of Congress, in: APSR 62 (1968), S. 518 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415 ff.; Riddick, The V.S. Congress, S. 1 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 1 ff. l32 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 1; V Hinds' Precedents §§ 6757, 6761-63; House Manual, § 60. Vgl. ferner House Rule XXVIII, cl. 1. 133 Deschler's Precedents Ch. 1 § 1. Vgl. auch House Manual, § 60.
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Desweiteren spielt aber auch die Überzeugungswirkung der stare decisis-Doktrin im Parlamentsrecht des Kongresses eine Rolle. Unter der Überzeugungswirkung der stare decisis-Doktrin ist im Hinblick auf die Judikative zu verstehen, daß ein Gericht die Option hat, einer früheren Entscheidung eines anderen Gerichts derselben Instanz oder eines anderen Einzelstaates zu folgen, wenn es von der Urteilsbegründung überzeugt ist. Das Gericht ist aber insofern nicht zur Befolgung verpflichtet 134 . Die Geltung des Kriteriums der Überzeugungswirkung der stare decisis-Doktrin läßt sich im Verhältnis zwischen Repräsentantenhaus und Senat feststellen. So gibt es Fälle, in denen sich eines der beiden Häuser bei einem erstmals zu entscheidenden Sachverhalt nach vorherigen vergleichbaren Entscheidungen des anderen Hauses richtet, wenn es diese für sinnvoll und überzeugend hält. Eine rechtliche Bindungswirkung der Vorentscheidung des anderen Hauses besteht indes nicht 135.
4. Bibliographische Dokumentation der Precedents
Die Präzedenzfall sammlung des Repräsentantenhauses ist bei weitem umfangreicher als die des Senats. Die modemen Präzedenzfälle des Senats sind ursprünglich von den ehemaligen Senate Parliamentarians, Floyd M. Riddick und Charles Watkins, in einem einbändigen Kompendium zusammengestellt worden. Der Senate Parliamentarian, Alan S. Frurnin, überarbeitet dieses in regelmäßigen Abständen und veröffentlicht die neuen Ausgaben als Senate Document unter dem Titel "Riddick's Senate Procedure, Precedents and Practices" 1 36. Die veröffentlichte Präzedenzfallsammlung der Entscheidungen des Sprechers des Repräsentantenhauses umfaßt drei mehrbändige Kompendien ehemaliger House Parliamentarians: Das grundlegende Werk ist das von Asher Crosby Hinds "Hinds' Precedents of the House of Representatives of the United States", Bände I bis VIII, veröffentlicht 1907/08, Präzedenzfälle von 1789 bis 1907, wobei es sich bei den Bänden VI bis VIII um Registerbände 137 handelt. Eine von Clarence Cannon überarbeitete achtbändige Ausgabe dieser Präzedenzfall sammlung wurde 1936 veröffentlicht. Bei den ersten fünf Bänden dieser Ausgabe handelt es sich lediglich um einen unveränderten Nachdruck der entsprechenden Bände der Hinds-Ausgabe. Daher tragen diese fünf Bände auch den Titel "Hinds' Precedents of the House of Representatives" und das Erscheinungsjahr 1907. Die Bände VI bis VIII hingegen sind als Vgl. Burnham, Introduction to the law and legal system of the United States, S. 66. So hat sich etwa der Senat im Jahre 1860 hinsichtlich einer Resolution zur Erzwingung der Anwesenheit von vorgeladenen Zeugen an den Präzedenzfällen des Repräsentantenhauses orientiert. Vgl. III Hinds' Precedents § 1724. Grundsätzlich orientiert sich der Speaker jedoch nicht an den Präzedenzfällen und dem Geschäftsordnungsrecht des Senats, vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 4. 136 Kurztitel: "Senate Procedure". 137 Nur die Registerbände VI bis VIII sind als House Document, 59 th Cong., 2 nd Sess., No. 59 - 355 veröffentlicht. 134
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"Cannon's Precedents of the Rouse of Representatives of the United States" betitelt und umfassen die Präzedenzfälle von 1907 bis 1935. Die 1941 erschienenen Bände IX bis XI sind Registerbände zu Cannon's und Rinds' Precedents. Die Präzedenzfälle von 1935 bis zur Gegenwart sind von Lewis Deschler unter dem Titel "Deschler's Precedents of the United States Rouse of Representatives" zusammengestellt worden. Bisher sind 15 Bände erschienen, wobei die Bände 1 bis 9 bis zum Jahr 1977 unter dem genannten Titel veröffentlicht wurden. Die Bände 10 bis 15, die unter Mitwirkung von William Rolmes Brown, dem Nachfolger Deschlers als Rouse Parliamentarian, zusammengestellt wurden, tragen den formellen Titel "Deschler-Brown Precedents of the United States Rouse of Representatives". Seit 1994 erfolgt die Bearbeitung unter Mitwirkung von Browns Nachfolger, dem gegenwärtigen Rouse Parliamentarian, Charles W. Johnson. Wegen des hohen Bearbeitungsaufwands sind bisher nur Präzedenzfälle bis zum 104. Kongreß im Jahre 1995 berücksichtigt und zusammengestellt worden, und dies auch nur von Band 12 an 138. Die Zahl der in diesen Bänden zusammengefaßten Präzedenzfälle beträgt ca. 40.000 und steigt stetig. Dennoch handelt es sich bei diesen veröffentlichten Kompendien keineswegs um vollständige Sammlungen. Die einzigen kompletten Präzedenzfallsammlungen sind die unveröffentlichten und einzeln zusammengetragenen precedents jeder Kammer, die sich im Besitz des Rouse bzw. Senate Parliamentarian befinden 139 . Wegen der enormen Anzahl der precedents ist der Rouse Parliamentarian durch Gesetz mit der Zusammenstellung und ständigen Überarbeitung eines einbändigen Randbuchs der wichtigsten und häufigsten Präzedenzfälle in zusammengefaßter Form beauftragt worden 140. Dieses wird alle zwei Jahre von ihm in überarbeiteter Form herausgegeben. Das erste Werk seit der gesetzlichen Regelung ist von Lewis Deschler unter dem Titel "Procedure in the U.S. Rouse of Representatives" veröffentlicht worden. Es hatte seinen Vorläufer in dem Werk von Clarence Cannon "Cannon's Procedure in the Rouse of Representatives". Das aktuellste Nachfolgewerk zu Deschler's Procedure ist schließlich "Rouse Practice: A Guide to the Rules, Precedents and Procedures of the Rouse" von William Rolmes Brown. Daneben gilt das ebenfalls zu jedem neuen Kongreß vom Rouse Parliamentarian als Rouse Document herausgegebene Rouse Manual mit seinen kommentarartigen Verweisen auf die wichtigsten Präzedenzfälle als Standardnachschlagewerk. Letztlich kann bei der Suche nach Präzedenzfällen noch auf die beiden Rauptdokumentationen der parlamentarischen Arbeit des Rauses zurückgegriffen werden. Es handelt sich hierbei um das am Ende einer Sitzungsperiode (session) veröffentlichte, von der Verfassung in U.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 vorgesehene offizielle 141 Protokoll des Repräsentantenhauses, das Journal of the 138 Alle 15 Deschler- bzw. Deschler-Brown-Bände sind als House Document, 94 th Cong., 2nd Sess., No. 94-661 veröffentlicht. 139 Siffl Weil, Ruling Congress, S. 29 f. und 52. 140 P.L. 91-510, 84 Stat. 1140, § 332: " ... parJiamentary precedents ... which have current use and application in the House .....
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House of Representatives, und den täglich publizierten Congressional Record. In das Journal werden allerdings nur die einzelnen Verfahrensakte des Hauses aufgenommen, nicht jedoch der Verhandlungsverlauf im Wortlaut 142 . Der Congressional Record ist hingegen das wörtliche Protokoll aller Debatten, Erklärungen und sonstigen Vorkommnisse im Repräsentantenhaus 143 .
VI. Das Geschäftsordnungsrecht der ständigen Ausschüsse Das Geschäftsordnungsrecht der Repräsentantenhausausschüsse läßt sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Zum einen handelt es sich hierbei um die internen Geschäftsordnungen der Ausschüsse (committee rules of procedure), zum anderen um die sog. "memorandums of understanding regarding committee jurisdiction" oder auch "Ietters of agreement". Die Geschäftsordnungsbestimmungen der Ausschüsse basieren nicht auf einem Beschluß des Plenums, sondern nur auf einem Beschluß des jeweiligen Ausschusses. Insofern sind sie nicht unmittelbarer Ausdruck der verfassungsrechtlichen Geschäftsordnungsautonomie, sind daher im Plenum grundsätzlich nicht durchsetzbar und somit Rechtsquellen niederen Ranges l44 . Bei den eigentlichen Geschäftsordnungen der ständigen Ausschüsse handelt es sich um die schriftlichen rules of procedure, die sich jeder ständige Ausschuß gemäß House Rule XI, cl. 2 (a) (1) zu geben hat. House Rule XI, cl. 2 (a) (1) (B) stellt ihre mindere Geltungskraft ausdriicklich klar, indem sie deren Vereinbarkeit 141 Vgl. IV Rinds ' Precedents § 2727. In Gerichtsverfahren der Bundes- wie der EinzeIstaatsgerichte kann allein das Journal und nicht der Congressional Record als offizielles Kongreßdokument zu Beweiszwecken herangezogen werden, vgl. 31 CJS Evidence § 43 sowie 4 Hinds ' Precedents § 2810. 142 Vgl. insgesamt zum Journal of the House of Representatives Deschler's Precedents Ch. 5 §§ 8-14 sowie Riddick, The V .S. Congress, S. 325 f. : "The Journal is arecord of proceedings and not of opinions, an account of acts and not of reasons for the acts, arecord of facts, and not an explanation of the facts." 143 Vgl. insgesamt zum Congressional Record Deschler's Precedents Ch. 5 §§ 15-20 sowie Riddick, The V .S. Congress, S. 326 f. Der Record of the House ist seit 1789 in folgenden Sammlungen zusammengestellt worden: Annals of Congress of the Vnited States (1.-18. Kongreß, 03. 03. 1789-27. 05. 1824), The Register of Debates (18.-25. Kongreß, 06. 12. 1824-16. 10. 1837), Congressional Globe (23.-42. Kongreß, 07. 12. 183317.01. 1873), Congressional Record (43. Kongreß bis heute, 04. 03. 1873 bis heute). Vgl. insgesamt die Quellenübersichten und Zusammenstellungen der offiziellen Regierungspublikationen bei Mulvihill, Parliamentary Reference Sourees: House of Representatives, CRS Report, S. I ff. sowie bei Gold! Hugo, The Book on Congress, S. 12 ff. und Boyd! Rips, Vnited States Government Publications, S. 68 f.; Schmeckebier! Eastin, Government Publications and Their Vse, S. 185 ff. sowie jährlich: Congressional Information Service, CIS annual 1970-, Abstracts of congressional publications and legislative histories (part 1), Index to congressional publications and public laws (part 2). 144 Vgl. insgesamt auch zum folgenden Mulvihill, Parliamentary Reference Sourees: House of Representatives, CRS Report, S. 23 ff.
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mit den standing rules des Repräsentantenhauses bzw. mit Parlamentsrecht gleichen Ranges verlangt. Die Geschäftsordnungen der Ausschüsse regeln die zentralen Aspekte des Ausschußverfahrens, wie z. B. Quoren und Abstimmungserfordernisse, die Gesetzesberatung sowie die Erstellung von Ausschußberichten. Sie werden innerhalb von 30 Tagen seit der Konstituierung eines Ausschusses mit Beginn eines neuen Kongresses im Congressional Record veröffentlicht. Die memorandums of understanding sind schriftliche Übereinkünfte zwischen den ständigen Ausschüssen, die die Abgrenzung ihrer Zuständigkeits bereiche betreffen. Sie dienen der Beratung des Speaker bei der Verweisung solcher Gesetzesvorlagen an die einzelnen Ausschüsse, bei denen es Unklarheiten oder Überschneidungen der Ausschußzuständigkeiten gibt. Aber auch hierbei wird der Speaker in erster Linie von den Vorgaben in House Rule X sowie den einschlägigen Präzedenzfällen geleitet. Wenngleich der Speaker den memorandums zwar in der Praxis grundsätzlich Rechnung trägt, so ist er dennoch rechtlich nicht an sie gebunden. Seit den Geschäftsordnungsänderungen des Repräsentantenhauses im 104. Kongreß, die den Speaker u. a. berechtigten, bei Mehrfachüberweisungen einen federführenden Ausschuß einzusetzen 145, haben die memorandums stark an Bedeutung gewonnen. Denn sie legen zum Teil von vornherein fest, welche Ausschüsse federführend für bestimmte Materien sein sollen. Einige der memorandums werden ebenfalls zu Beginn eines neuen Kongresses im Congressional Record veröffentlicht, während andere nicht öffentlich zugänglich sind. VII. Party Rules
Einen weiteren Bestandteil des Parlaments rechts bilden die party rules der Demokratischen und der Republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus. Diese Regeln des Democratic Caucus oder der Republican Conference 146 werden von den Demokratischen und den Republikanischen Repräsentantenhausmitgliedern auf ihren Organisationstreffen nach den Kongreßwahlen im November beschlossen. Insofern handelt es sich hierbei lediglich um fraktionsinterne Regelungen, die nur eine Bindungswirkung für die Abgeordneten der jeweiligen Fraktion besitzen. Da sie also nur auf eine Willensäußerung der einzelnen Fraktion im Repräsentantenhaus zurückgehen und gerade nicht Ausdruck der vom gesamten Haus ausgeübten verfassungsrechtlichen Geschäftsordnungsautonomie sind, haben sie keine unmittelbare Geltung im Plenum des Hauses. Ihnen kommt insofern auch nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die party rules können daher im Gegensatz zu den standing rules nicht mittels eines Geschäftsordnungsantrags (point of order) im Plenum des Hauses durchgesetzt werden l47 . Sie bestimmen z. B. die Wahl und 145 146 147
Vgl. House Rule XII, cl. 2 (c) (I). Siehe zum Democratic Caucus und zur Republican Conference 4. Kap. B. I. Vgl. Smith, Call to Order, S. 39.
7 Semmler
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2. Kap.: Das amerikanische Parlamentsrecht
Amtsdauer der Fraktionsführung, regeln den Ablauf der Fraktionssitzungen des Democratic Caucus oder der Republican Conference und legen die Anzahl der Ausschußmitglieder sowie die Art ihrer Berufung fest. Desweiteren bestimmen sie die Einteilung der Ausschüsse in exc1usive und non-exc1usive committees und ergänzen damit die die Begrenzung der Ausschußtätigkeit betreffenden Regelungen der House Rules l48 . Obwohl es sich hierbei eigentlich nur um fraktionsinterne Verfahrens- und Organisationsregelungen handelt, berühren einige dieser Regeln auch den Geschäftsgang des Hauses, auf den sie sich durch ihre Anwendung seitens der jeweiligen Mehrheitsfraktion direkt auswirken l49 . So unterwirft z. B. Rule 39. B. der Regeln des Democratic Caucus für den 106. Kongreß die Instruktion der Vertreter in den Vermittlungsausschüssen (conference committees) den Vorgaben der Demokratischen Fraktionsführung. Rule 28 der Regeln der Republican Conference weist den Speaker an, unter bestimmten Voraussetzungen Gesetzesvorlagen nicht zur Beratung im vereinfachten Verfahren (suspension of the ruIes) zuzulassen, außer im Falle einer besonderen Ermächtigung durch die Mehrheit der Fraktionsführung. Die party rules werden grundsätzlich nur den Congressmen zugänglich gemacht.
VIII. Informal Practices and Customs Als letzte Quelle des Parlamentsrechts ist der große Bereich der informalen Parlamentsregeln zu nennen. Hierzu zählen das parlamentarische Gewohnheitsrecht des Kongresses, d. h. der Parlaments brauch und die parlamentarische Übung, die politischen Usancen sowie Akte der Courtoisie. Diese informal practices haben sich im Laufe der Zeit entwickelt und sind zu allseits akzeptiertem Gewohnheitsrecht geworden, obwohl sie eigentlich keine formale Geltungskraft im Plenum besitzen. Sie sind nicht zusammenfassend dokumentiert, sondern lassen sich etwa dem Congressional Record sowie wissenschaftlichen und anderen Abhandlungen über den Kongreß entnehmen. Zum Gewohnheitsrecht des Repräsentantenhauses gehört es z. B., Abgeordneten vor Beginn der eigentlichen Sitzung Gelegenheit zu einminütigen Reden ("one-minute speeches") über Themen ihrer Wahl zu geben oder den Mitgliedern der Ausschüsse oder Unterausschüsse, die eine Vorlage betreuen, Vorrang bei der Stellung von Änderungsanträgen einzuräumen 150. 148 Nach House Rule X, cl. 6 darf im allgemeinen kein Abgeordneter Mitglied in mehr als zwei ständigen Ausschüssen und vier Unterausschüssen dieser ständigen Ausschüsse sein. Darüber hinaus dürfen die Abgeordneten grundsätzlich nur Mitglied in einem derjenigen ständigen Ausschüsse sein, die von den jeweiligen party rules als exc1usive committees festgelegt worden sind. Vgl. Schneider, House Committees: Categories and Rules for Committee Assignments, CRS Report, S. I ff. 149 Vgl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sourees: House of Representatives, CRS Report, S. 28 f. 150 Vgl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sourees: House of Representatives, CRS Report, S. 4.
3. Kapitel
Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes Zwar findet bereits in der Antike l die Funktion eines Leiters einer beschlußfassenden Versammlung Erwähnung, doch läßt sich von hier keine Entwicklungslinie zu den Präsidenten moderner Parlamente ziehen 2 . Der Ursprung des amerikanischen Sprecher-Amtes geht nach einhelliger Auffassung amerikanischer Historiker und Politologen 3 jedenfalls in formaler Hinsicht auf das Amt des Sprechers des 1 Im Athen des antiken Griechenlands wurde die Volksversammlung vor Einführung der Losung (487/486 v. Chr.) durch den eponymen Beamten (Archon) einberufen und geleitet. Seit dieser Zeit führten zunächst die Prytanen, mit ihrem Vorsitzenden, dem epistates ton prytaneon, und seit 403/378 v. Chr. die neun proedroi, von denen einer zum Leiter, dem epistates ton proedron, bestimmt wurde, den Vorsitz sowohl im Rat (bule) als auch in der Volksversammlung (ekklesia), die kein eigenes Präsidium besaß. Vgl. hierzu insgesamt Hansen, Die Athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes: Struktur, Prinzipien und Selbstverständnis, S. 145 f. sowie Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 165 ff. In der römischen Republik besaßen weder die Volksversammlung noch der Senat ein eigenes Präsidium, sondern wurden von den jeweils geschäftsführenden Obermagistraten und Volkstribunen mit ius cum populo/plebe agendi bzw. ius referendi einberufen und geleitet. Vgl. hierzu insgesamt Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik: Grundlagen und Entwicklung, S. 88 und 120; eine Zusammenstellung der zuständigen Amtsträger findet sich bei Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. I, S. 192 ff. und 209 ff. Vgl. ferner Kunkel! Galsterer, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik, Abschn. 2. Die Magistratur, S. 191 ff.; Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, S. 190 ff. sowie Rilinger; Der Einfluß der Wahlleiter bei den römischen Konsulwahlen von 366 bis 50 v. Chr., S. 1 ff. 2 V gl. Luce, Legislative Procedure, S. 433. 3 Siehe hierzu wie insgesamt zu Ursprung, Entstehung und früher Geschichte des amerikanischen Speaker-Amtes Peters, The American Speakership, S. 18 ff. (18); ders., The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff.; ders., Speaker of the House, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyc\opedia, S. 1858 f.; Follett, The Speaker ofthe House of Representatives, S. 1 ff. (2 f.); Fuller; The Speakers of the House, S. 1 ff.; Taylor; The Speaker and his Powers, in: North American Review 188 (1908), S. 495 f.; Bryce, The American Commonwealth, vol. I, S. 138; Brown, The Leadership of Congress, S. 3 ff. (3); Smith, Speakers of the House of Representatives, S. 7; Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (185); Currie, The United States House of Representatives, S. 12; Huitt, Congress: Retrospect and Prospect, in: The Journal of Politics 38 (1976), S. 209 ff. (214 ff.); Risjord, Partisanship and Power: House Committees and the Power of the Speaker, 1789-1801, in: William and Mary Quarterly 49 (1992), S. 628 ff.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
englischen House of Commons zurück, das sich seit dem Ende des 14. Jahrhunderts herauszubilden beginnt. Unterschiedlich beurteilt werden die Fragen, ob dem englischen Speaker auch in funktioneller Hinsicht der maßgebliche Einfluß auf das amerikanische SpeakerAmt zugeschrieben werden kann bzw. der englische Sprecher gar als alleiniges Vorbild des amerikanischen anzusehen ist. Im Kern geht es um die Überlegung, ob dem amerikanischen Sprecher ursprünglich lediglich die Rolle eines bloßen Moderators oder auch die eines political leader zugedacht war. In der Constitutional Convention fand offensichtlich keine Debatte über das Speaker-Amt statt. Deshalb kann keine präzise Aussage über die Speaker-Konzeption der Verfassungsväter wenn es eine solche überhaupt explizit gab - getroffen werden4 . Es ist allerdings davon auszugehen, daß dem Speaker-Verständnis der Founding Fathers diejenigen historischen Beispiele für Parlaments präsidenten zugrundelagen, die den Verfassungsvätern bekannt waren. Als solche kommen neben dem englischen Speaker des House of Commons die Sprecher der Kolonialparlamente, der Presiding Officer des Continental Congress sowie der Presiding Officer der Constitutional Convention in Betracht. Der Einfluß dieser vier historischen Vorläufer des Sprechers des Repräsentantenhauses wird in der Literatur unterschiedlich gewichtet. Nach Hitchner geht das amerikanische Sprecher-Amt, das des Repräsentantenhauses ebenso wie das der Kolonialparlamente, mit seiner politischen und präsidialen Doppelfunktion eindeutig auf den englischen Sprecher des Unterhauses vor dem 19. Jahrhundert zurück, als dieser noch eine politische Rolle spielte5 . Ähnlich, indes den Einfluß der colonial Speakers stärker betonend und auch die Vorbildfunktion des Presiding Officer des Continental Congress sowie des Präsidenten der Constitutional Convention erwähnend, argumentiert Peters. Er geht davon aus, daß sich der parlamentarische wie politische Charakter des englischen Sprecher-Amtes des 17. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der englischen Kolonisation Nordamerikas, in der Rolle der kolonialen Sprecher insofern widerspiegelt, als die von den Kolonialparlamenten gewählten Sprecher gegen die Autorität der vom (629 ff.); Ogg I Ray, Introduction to American Government, S. 312, dort Fn. 1; Zink, Government and Politics in the United States, S. 338; Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 29 (1961), S. 1847 ff. (1848 ff.). Den Ursprung des Speaker-Amtes im House of Commons nicht verneinend, aber auf den Vorbildcharakter der kolonialen Sprecher für die funktionale Ausgestaltung des amerikanischen Sprecher-Amtes ausdrücklich hinweisend: Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (156); Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 1 ff. 4 So Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 25; Fuller, The Speakers of the House, S. 21; Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (156); Chiu, The Speaker ofthe House ofRepresentatives since 1896, S. 20 f. sowie Peters, The American Speakership, S. 18. S Vgl. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (185).
A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes
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englischen König eingesetzten Gouverneure für die Durchsetzung der Rechte und Privilegien repräsentativer Institutionen in ihren Versammlungen kämpften. So sei das amerikanische Sprecher-Amt neben seinem präsidialen Charakter von Anfang an auch ein politisches Amt gewesen, wenn auch nicht das eines Parteiführers im engeren Sinne6 . Andere Stimmen sehen die funktionale Ausgestaltung des Amtes weniger im englischen Vorbild als in den amerikanischen Vorläufern begriindet. So handelt es sich beim Sprecher-Amt des Repräsentantenhauses nach Brown vor allem aufgrund der alleinigen Verantwortlichkeit des Sprechers gegenüber dem amerikanischen Volk sowie aufgrund der alleinigen Ermächtigung des Sprechers durch das Volk um eine "distinct American conception". Brown hebt die Bedeutung der politischen Führungsrolle der colonial Speakers für das Verständnis des amerikanischen Sprecher-Amtes als politisches Amt besonders hervor? Noch deutlicher wird die Vorbildfunktion der Kolonialsprecher für das SpeakerAmt von Hinds betont. Er geht davon aus, daß die Verfassung das Sprecher-Amt nicht neu geschaffen, sondern lediglich einen "existing officer" übernommen habe. Hinds verweist insoweit ausschließlich auf den Sprecher der Kolonialparlamente, der gerade auch als politischer Oppositionsführer gegenüber dem königlichen Gouverneur galt. ,,[T]he speaker they adopted was the speaker of the colonial house of representatives, of whom they had intimate personal knowledge, rather than the speaker of the house of commons, whom they knew of in a theoretical way only"s.
Auch Chiu sieht das Sprecher-Amt des Repräsentantenhauses unter besonderer Betonung der aktiven politischen Führungsrolle der Kolonialsprecher als "direct heir of the colonial assemblies". Er geht aber insofern über Hinds hinaus, als er auch die Bedeutung der vom Continental Congress und der Philadelphia Convention ausgehenden Traditionen für die Entwicklung des Sprecher-Amtes anerkennt9 . Nach Follett und Fuller hatten alle drei amerikanischen Vorläufer einen gleichwertigen Einfluß auf das Verständnis des Sprecher-Amtes. Auch sie lehnen eine Vorbildfunktion des englischen Sprechers für die Ausformung des amerikanischen Speaker-Amtes mangels tatsächlicher Kenntnis und Beriihrungspunkte der Verfassungsväter mit dem Unterhaussprecher ab. Für sie stellt sich die Speaker-Konzeption der Founding Fathers als eine Symbiose aus den diesen bekannten Vorbildern dar. Die Verfassungsväter waren hiernach vertraut mit dem colonial Speaker als politischem Volksführer gegenüber dem königlichen Gouverneur, mit dem Presi6 Vgl. insgesamt Peters, The American Speakership, S. 19 ff.; ders., The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. I ff. (2 f.). 7 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 3 ff., 10. g Vgl. Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (156 f.). 9 Vgl. Chiu, The Speaker ofthe House ofRepresentatives since 1896, S. 19.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
ding Officer des Continental Congress als "Staatsoberhaupt" mit administrativen Funktionen sowie mit dem Präsidenten der Constitutional Convention, bei dem die präsidiale Macht auf George Washingtons Einfluß als der führenden politischen Persönlichkeit der Nation beruhte. Sowohl Follett als auch Fuller gehen davon aus, daß die Founding Fathers den Speaker auch als politischen Führer verstanden 10. Follett begründet ihre Auffassung mit dem Hinweis auf einen in der Constitutional Convention gestellten, aber letztlich nicht angenommenen Antrag auf Einrichtung eines den Präsidenten beratenden Staatsrats "which shall consist of the president of the Senate, the speaker of the House of Representatives, the chief justice of the Supreme Court, and the principal officer in the respective departments of foreign affairs, domestic affairs, war, marine, and finance, ... " 11. Sie sieht in der angedachten Mitgliedschaft des Sprechers in diesem staatsrechtlich wichtigen Gremium ein Indiz für eine dem Sprecher zugedachte politische Macht 12 • Festzuhalten bleibt, daß den Verfassungsvätern jedenfalls mehrere historische Vorbilder für das Sprecher-Amt bekannt waren, ohne daß einem von diesen der allein dominierende Einfluß auf die Konzeption des Amtes nach der U.S.-Verfassung zugeschrieben werden kann 13 . Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß alle historischen Vorläufer wenngleich mit unterschiedlicher Gewichtung für einen auch politischen, nicht lediglich neutral-sitzungsleitenden Charakter des Speaker-Amtes sprechen 14 - obwohl sich die eigentliche parteipolitische Führungsfunktion des Amtes erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. I. Der Sprecher des englischen House of Commons
Die Geschichte des englischen Speaker of the House of Commons ist gekennzeichnet durch die Entwicklung des Sprecher-Amtes von der Unterordnung unter die Krone über die Bindung an politische Parteien bis hin zu seiner völligen Loslösung von der Parteipolitik l5 . \0 V gl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 25 f.; Fuller; The Speakers ofthe House, S. 16 ff. II Zitiert aus Elliot, Debates on the Adoption of the Federal Constitution, vol. I, S. 257. Der Antrag wurde am 22. 08. 1787 vom zuständigen Ausschuß ins Plenum eingebracht. 12 V gl. FolZett, The Speaker of the House of Representatives, S. 25. 13 Vgl. auch Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 83 f. 14 Nach McClellan, Leadership in the House of Representatives, in: Scribner's Magazine 49 (1911), S. 594 ff. (595), ist der Sprecher schon von den Verfassungsvätern eindeutig als "political official" gedacht worden. Anders, den Sprecher anfangs als bloßen Moderator charakterisierend, Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789 - 1869, in: Davidson / Hammond / Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (10 ff.). Die Begründung ist indes unausgewogen und überzeugt insbesondere deshalb nicht, weil die Wirkung der historischen Vorbilder nicht hinlänglich berücksichtigt wird.
A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes
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Seine erste formelle Erwähnung in den Parlamentsurkunden fand das englische Sprecher-Amt im Jahre 1377, als Sir Thomas Hungerford zum ersten Mal der formelle Titel eines Sprechers des Unterhauses verliehen wurde 16. Allerdings waren bereits seit den Anfängen der englischen Parlamentsgeschichte in der Mitte des 13. Jahrhunderts sog. "pariours", "prolocutors" oder "procurators" bekannt, denen die Aufgabe zufiel, dem französisch sprechenden König die Beschlüsse der Commons vorzutragen und dabei für sie zu sprechen 17. Der Sprecher war "the mouth of Parliament" 18. Daneben hatte er die Aufgabe, für einen ordnungsgemäßen Sitzungsverlauf zu sorgen und war seit jeher der höchste Repräsentant der Macht und Würde des House of Commons 19 • Er wurde von Anfang an von den Commons gewählt und anschließend bedurfte seine Wahl königlicher Bestätigung. Zwar hat die Krone dem Parlament niemals von Rechts wegen einen Vorsitzenden zugewiesen, zweifellos nahm sie im mittelalterlichen Parlament aber entscheidenden Einfluß auf die Wahl des Sprechers2o . Die Parlamentssprecher des 13. und 14. Jahrhunderts unter dem Haus Plantagenet waren in erster Linie das Sprachrohr des House of Commons gegenüber dem König und der englischen Nation. Als verbindendes Glied zwischen Krone und Unterhaus oblag es ihnen aber auch, letzterem den Willen des 15 Vgl. ausführlich zur Geschichte des englischen Sprechers: Dasent, The Speakers of the House of Commons, S. I ff.; Roskell, The Commons and Their Speakers in English Parliaments, 1376-1523, S. I ff.; MacDonagh, The Speaker of the House, S. 120 ff.; Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 11 ff.; Lloyd, Mr Speaker, Sir, S. 22 ff. sowie Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 417 ff.; Peabody, Leadership in Legislatures: Evolution, Selection, Functions, in: LSQ 9 (1984), S. 441 ff. (446 ff.). 16 "Monsieur Thomas de Hungerford, chivaler, qi avoit les paroies pur les Communes d'Eng1eterre en cest Parlement." Rotuli Parliamentorum, ii, 374 no. 87, zitiert nach Plucknett, English Constitutional History, S. 209. 17 Der erste dieser Prolocutoren, der nach der Quellenlage bekannt ist, war Peter de Montfort, der den Vorsitz des am 11. 06. 1258 in Oxford zusammengetretenen sog. "Mad Parliament" innehatte. Der bis dahin einflußreichste Parlaments führer unter den Commons war Sir Peter de la Mare, dem im sog. "Good Parliament" von 1376 die Rolle eines Sprechers der Commons - indes noch ohne formellen Titel - übertragen wurde und der aufgrund seiner herausragenden Stellung im Parlament eigentlich als erster Sprecher bezeichnet werden kann. Vgl. hierzu wie zu anderen frühen Parlamentssprechern Brown, The Governance of Late Medieval England, 1272-1461, S. 214; Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 11 ff.; Plucknett, English Constitutional History, S. 208 f.; Lloyd, Mr Speaker, Sir, S. 22 ff.; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 417; Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 228 f.; Peabody, Leadership in Legislatures: Evolution, Selection, Functions, in: LSQ 9 (1984), S. 441 ff. (446). 18 Luce, Legislative Procedure, S. 433; "mouthpiece", Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 16. 19 Vgl. Anson, The Law and Custom ofthe Constitution, vol. I, S. ISS, der davon ausgeht, daß die Commons seit der Trennung der beiden Häuser des Parlaments einen "Sprecher" für die Kommunikation mit der Krone benötigten. Vgl. ferner Peters, The American Speakership, S. 19. 20 Vgl. Plucknett, English Constitutional History, S. 210 f.; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 418.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Königs zu übennitteln 21 . Die Stellung des mittelalterlichen Sprechers im Unterhaus ist mit der des heutigen Lord Chancellors im Oberhaus zu vergleichen. In beiden Fällen ist der Vorsitzende nicht nur ein Sprecher des jeweiligen Hauses im Verhältnis zur Krone, sondern auch ein Vertreter der Regierung in der entsprechenden Kammer22 . Die im Bestätigungsrecht der Krone implizierte Vetogewalt bezüglich der Sprecherwahl ist überdies ein deutlicher Hinweis auf den ausgesprochen politischen Charakter des mittelalterlichen Amtes sowie die Unterwürfigkeit des Sprechers gegenüber der Krone. Sein bestimmender Einfluß auf die gesamte Kommunikation zwischen Krone und Parlament sowie auf das Verfahren des Unterhauses, insbesondere das Stellen von Abstimmungsfragen, ennöglichte es dem Sprecher, die Handlungen des Parlaments in seinem eigenen wie auch dem königlichen Interesse zu steuern 23 • Die Stellung des Sprechers änderte sich im durch die Rosenkriege der Häuser Lancaster und York geprägten 15. Jahrhundert nicht. Das Parlament wurde in dieser Zeit von der jeweils dominierenden Partei instrumentalisiert. Der Sprecher wurde mithin zum Parteigänger des jeweils herrschenden Hauses. Dies ist einmal mehr ein Beweis für die vonnalige Abhängigkeit des Amtes von der Krone 24 . Die Tudor-Herrschaft des 16. Jahrhunderts mit ihrer monarchischen Vonnachtstellung und weitgehenden faktischen Entmachtung des Unterhauses 25 war zugleich die Phase der vollständigen Unterwerfung und Abhängigkeit des Sprechers vom König sowie der Höhepunkt der politischen Einbindung des Sprechers durch die Monarchie. Unter den Tudors wurde es üblich, den Sprecher noch vor Zusammentreten eines Parlaments zu ernennen. Die anschließende Wahl des Speaker im Parlament war damit nichts weiter als ein fönnlicher Nachtrag zur königlichen Ernennung 26 . Außerdem wurde es in dieser Zeit Brauch, daß der Sprecher eine feste Bezahlung von der Krone erhielt und häufig ein Kronamt bekleidete27 . Zu seiner Kompetenz, für den König den Willen der Commons zu interpretieren, trat nun 21 Vgl. Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 16; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 418. 22 Vgl. Plucknett, English Constitutional Ristory, S. 210 f. So für den Sprecher der TudorZeit Stubbs, Seventeen Lectures on the Study ofMedieval and Modem History, S. 271 f. 23 Vgl. Fulter, Tbe Speakers of the House, S. 2 f.; Faltett, Tbe Speaker of the Rouse of Representatives, S. 3; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 418. 24 Vgl. Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 19. 25 Vgl. zur Entwicklung des Parlaments in der Tudor-Zeit Eltan, Studies in the Tudor and Stuart Politics and Government, vol. 11, S. 19 ff. (51 f.), der unter Betonung der monarchischen Vormachtstellung auch auf die Effizienzsteigerung der Parlamentstätigkeit während dieser Zeit hinweist. 26 Vgl. Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 20; Foltett, The Speaker of the Rouse of Representatives, S. 4; Fulter, The Speakers of the Rouse, S. 3; Luce, Legislative Procedure, S. 433 sowie Keir, The Constitutional Ristory of Modem Britain since 1485, S. 479 und ferner Eltan, Studies in Tudor and Stuart Politics and Government, vol. I, S. 43. 27 Vgl. Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 419.
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auch ein beherrschender Einfluß des Speaker auf die Tagesordnung. Ihm wurde das Recht zugestanden, darüber zu entscheiden, welche Gesetze zur Verhandlung und welche Fragen zur Abstimmung gelangen sollten 28 . Die Sprecher waren bei ihren Entscheidungen darauf bedacht, sich dem königlichen Diktat zu beugen und wurden so zu willfährigen Werkzeugen der Krone29 : "The result was that the Speaker instead of being the defender of the liberties of the House had often to reduce it to an order that meant obsequious reticence or sullen submission,,30. "Thus the Tudor Speaker was not the servant of the House but of the King,,31.
Mit dem Ende der Tudor-Herrschaft gerieten die Sprecher in Loyalitätskonflikte zwischen der Krone und dem House of Commons. Die doppeldeutige Haltung einiger Sprecher führte dazu, daß weder der Monarch noch das Parlament volles Vertrauen in den Speaker hatten 32 . Vor diesem Hintergrund spiegelt die Stellung des Sprecher-Amtes unter den Stuarts im 17. Jahrhundert den Kampf zwischen König und Parlament wider: Solange die Krone die Oberhand hatte, war der Sprecher abhängig, unter der Herrschaft des Parlaments konnte er frei als dessen Führer agieren 33 . In jedem Fall spielte der Sprecher aber eine politische Rolle für die eine oder andere Partei. Der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte des Amtes geht auf das Jahr 1679 zurück, als der König zum letzten Mal seine Bestätigung der Sprecherwahl verweigerte. Seit dieser Zeit hat kein Monarch das freie Recht des Unterhauses zur Wahl seines Sprechers in Frage gestellt und die königliche Bestätigung galt als reine Formsache34 • Mit dem Ende der Glorious Revolution im Jahre 1689, als das englische Parlament seine Unabhängigkeit und Suprematie über die Monarchie erlangte, endete auch die Unterordnung des Sprecher-Amtes unter die Krone. Es war von nun an als von allen äußeren Einflüssen unabhängig anerkanne 5 . Der englische Konstitutionalismus des 18. Jahrhunderts machte das SprecherAmt dann zu einem parteipolitischen Amt 36 . Es wurde zu einem Schritt auf der 28 V gl. Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 420. 29 Vgl. Fulter, The Speakers of the House, S. 3 f.; ferner auch Plucknett, English Constitutional History, S. 246; ferner auch Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 422. 30 Stubbs, Seventeen Lectures on the Study of Medieval and Modem History, S. 272. 31 Faltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 3 ff. (7). 32 Vgl. Keir, The Constitutional History ofModern Britain since 1485, S. 479; Plucknett, English Constitutional History, S. 360 f. sowie ferner zum Vertrauensverlust der Sprecher Russelt, Parliaments and English Politics, 1621-1629, S. 38 f. 33 Vgl. Fallett, The Speaker of the House of Representatives, S. 7 ff.; Luce, Legislative Procedure, S. 434; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 423. 34 V gl. zu dem daraus entstandenen Konflikt und seiner Kompromißlösung Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 424 f.; Follett, The Speaker of the House ofRepresentatives, S. 10 f.; Fuller, The Speakers ofthe House, S. 14. 35 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 18; Fuller, The Speakers ofthe House, S. 14; Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 11.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
politischen Karriereleiter 37 . Während der außerordentlich langen, die gesamte Regierungszeit Georgs 11. überdauernden Amtszeit Speaker Arthur Onslows von 1727 bis 1761 wurde die Trennung des Sprecher-Amtes von der Politik eingeleitet. Onslow begründete für sein Amt die Tradition des unparteiischen, Minderheitsrechte schützenden Richteramtes 38 . Die Entwicklung des Sprecher-Amtes zu größerer Unparteilichkeit während dieser Zeit ist nicht zuletzt auch auf die Herausbildung der Kabinettsregierung unter Walpole (1722 -1742) zurückzuführen, der die politische Führung im Unterhaus zufie1 39 . Die verschärften parteipolitischen Auseinandersetzungen während der Regentschaft Georgs III. (1760-1820) unterbrachen diese Entwicklung zunächst. Die Unparteilichkeit des englischen Sprechers, die ihren deutlichsten Ausdruck im Aufgeben aller Abgeordnetenrechte fand, setzte sich erst im Zuge der demokratischen Reformen des englischen Regierungssystems gegen Mitte des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Herausbildung eines stabilen Parteiensystems endgültig durch4o . Die Vollendung und dauernde Sicherung der parteilosen, neutralen, sowohl von der Krone als auch den Parteien unabhängigen, im Parlament wie in der Öffentlichkeit unpolitischen Amtsführung im modemen Sinne geht letztlich auf Speaker Shaw-Lefevre (18391857) zurück. Ihm gelang es im Jahre 1841 als erstem Sprecher, nach einem Mehrheitsverlust seiner Partei wiedergewählt zu werden 41 • Das englische Sprecher-Amt war somit bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund seiner Instrumentalisierung durch die Krone oder die Parlamentsmehrheit neben einem präsidialen vor allem auch ein politisches Amt. Der modeme Charakter des Amtes als unparteiisches Schiedsrichteramt wurde erst im 19. Jahrhundert durch die Zwänge des parlamentarischen Regierungssystems geformt42 , das den 36 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 18; Anson, The Law and Custom of the Constitution, vol. I, S. 155; Keir, The Constitutional History of Modern Britain since 1485, S.479. 37 Vgl. Plucknett, English Constitutional History, S. 593. Besonders illustrativ ist in diesem Zusammenhang die Karriere von Robert Harley, Sprecher von 1701-1705. Vgl. Hili, Robert Harley. Speaker, Secretary of State and Premier Minister, S. 1 ff. 38 Vgl. hierzu im einzelnen Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 426; Keir, The Constitutional History of Modern Britain since 1485, S. 479; Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 42. 39 Vgl. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (185); ferner Jennings I Ritter, Das britische Regierungssystem, S. 234. 40 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 18 f.; Keir, The Constitutional History of Modern Britain since 1485, S. 479 f.; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 426 ff.; Plucknett, English Constitutional History, S. 594. Siehe auch Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 638 f., der auf die vollständige Beseitigung des Sporte1systems im Jahre 1832 als Grund für die Entwicklung eines unparteiischen Sprecher-Amtes hinweist. 41 Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 378; Laundy, The Office of the Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 50; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 429; Anson, The Law and Custom of the Constitution, vol. I, S. 156; Keir, The Constitutional History ofModern Britain since 1485, S. 480.
A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes
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Speaker in eine unpolitische Rolle zwischen Premierminister und Mehrheitspartei einerseits und Opposition andererseits drängte. Die Vorstellungen und Konzeptionen des politischen Systems, die die Kolonisten aus England nach Nordamerika brachten, basierten auf ihren Kenntnissen und Erfahrungen aus dem England des 16. und 17., weniger aber des 18. Jahrhunderts 43 . Es spricht daher vieles dafür, daß ihr Speakerverständnis auch von einem starken politischen Charakter des Amtes geprägt war. Insofern geht auch die politische Funktion des amerikanischen Sprechers auf den Speaker des englischen House of Commons zurück. 11. Der Sprecher der Kolonialparlamente
Die englische Kolonisation Nordamerikas hatte mit der Gründung Virginias durch Walter Raleigh im Jahre 1584 begonnen und vollzog sich dann schwerpunktmäßig im 17. Jahrhundert durch die Einwanderung religiös Verfolgter aus dem englischen Mutterland. Im Zuge dieser Kolonisation brachten die Einwanderer ihre am englischen Beispiel orientierten Vorstellungen eines repräsentativen Regierungssystems, mitsamt der Institution des Speaker, in die neue Welt. Diese durch englische Erfahrungen geformten Ideen waren in Amerika neuen Bedingungen ausgesetzt und paßten sich diesen im Laufe der Zeit an. "To the force of English precedent was added that of American circumstance,,44. Nachdem im Jahre 1619 die erste legislative Versammlung auf dem neuen Kontinent in Jamestown, Virginia, zusammengetreten war, wurden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch in den anderen Kolonien, so v.a. in Massachusetts und Maryland, vom Volk gewählte Repräsentativversammlungen gebildet, die zunehmend an Bedeutung gewannen45 . Wahrend der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sicherten sich diese gesetzgebenden Versammlungen das sog. "parliamentary privilege". Von einer Parlamentsautonomie im eigentlichen Sinne kann jedoch insofern noch nicht gesprochen werden, als die Einberufung einer legislativen Versammlung noch vom Willen des Gouverneurs abhängig war. Die Repräsentativversammlungen erwarben insbesondere das alleinige Recht zur Einbringung aller Einnahmeund Ausgabegesetze, d. h. die Finanzkontrolle46 . In dieser Zeit verfestigte sich in allen Kolonien das Grundmuster des Systems der politischen Institutionen, das sich neben den Volksvertretungen als den lower houses der Legislative aus zwei weiteVgl. Peters, The American Speakership, S. 19. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 12; Fuller, The Speakers of the House, S. 15. 44 Vgl. insgesamt Perers, The American Speakership, S. 19; so auch Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 12. 45 Vgl. Kelly/Harbison/Belz, The American Constitution, vol I, S. 12 ff., 27 ff.; Brown, The Leadership of Congress, S. 4. 46 Vgl. im einzelnen Kellyl Harbisonl Beiz, The American Constitution, vol. I, S. 31. Ferner C/arke, Parliamentary Privilege in the American Colonies, S. 1 ff. 42
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ren Faktoren zusammensetzte. An der Spitze der Kolonie stand der zumeist vom König ernannte47 Gouverneur. Diesem standen als Vertreter der englischen Krone die traditionell monarchischen Prärogativrechte zu, wie u. a. die Einberufung der Legislativversammlung, das Vetorecht bei der Gesetzgebung sowie die allgemeine Administration der Kolonie. Unterstützt wurde er von dem als Beratungsorgan konzipierten council, dessen Mitglieder vom König ernannt wurden und der zusammen mit dem Gouverneur das upper house der Legislative sowie das höchste Gericht der Kolonie bildete 48 . Eines der wichtigsten Rechte, welches die Volksvertretungen (lower houses) nach englischem Vorbild von Anfang an für sich in Anspruch nahmen, war die Wahl eines eigenen Vorsitzenden, des Speaker, durch die Abgeordneten49 . Aber ebenso wie es in England bis zum Ende des 17. Jahrhunderts üblich war, daß die Krone die Speaker-Wahl kontrollierte, unterlagen auch die kolonialen Sprecher einer Bestätigung durch den Gouverneur als monarchischem Repräsentanten 5o. Dieses Bestätigungsrecht des Gouverneurs stellte zwar in den meisten Kolonien eine bloße Formalität dar. Dennoch wurde es in einigen Kolonien in Frage gestellt und führte in Fällen, in denen einem gewählten Speaker die Bestätigung versagt wurde, zu schweren Konflikten zwischen Volksvertretung und Gouverneur. Auch wenn sich die rechtliche Position des Gouverneurs meist durchsetzte, so führten diese Erfahrungen doch später zu der in die U.S.-Verfassung eingegangenen Überzeugung, daß einer legislativen Versammlung das Alleinentscheidungsrecht über ihren Vorsitzenden zufalle sl . 47 Vom König ernannt wurde der Gouverneur nur in den Kronkolonien, nicht in den Charter-Kolonien, d. h. den Eigentümerkolonien Maryland, Pennsylvania, Delaware und den Genossenschaftskolonien Connecticut und Rhode Island. Zu den verschiedenen Rechtsformen der nordamerikanischen Kolonien vgl. Naumann, Vom Staatsrecht der Neu-England-Kolonien im 17. Jahrhundert, in: Leipziger rechts wissenschaftliche Studien 52 (1930), S. 4 ff. 48 Vgl. im einzelnen Kelly I Harbisonl Belz, The American Constitution, vol. I, S. 32 f. Siehe zum politischen System in den Kolonien allgemein Steele, The Anointed, the Appointed, and the Elected: Governance of the British Empire, 1689-1784, in: Marshall, The Oxford History of the British Empire, vol. 11, S. 105 ff. (110) sowie Greene, The Provincial Governor in the English Colonies of North America, S. 1 ff.; Osgood, The American Colonies in the Seventeenth Century, vol. 1, S. 1 ff. sowie Naumann, Vom Staatsrecht der NeuEngland-Kolonien im 17. Jahrhundert, in: Leipziger rechtswissenschaftliche Studien 52 (1930), S. 47 ff. 49 Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 12; Fulter, The Speakers of the House, S. 15. Teilweise wurde die Bezeichnung "Speaker" auch für den Vorsitzenden des upper house gebraucht, so etwa in Virginia, South Carolina und North Carolina, später ebenso in Kentucky und Tennessee, vgl. hierzu im einzelnen Luce, Legislative Procedure, S. 438 f. 50 Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 12; Fulter, The Speakers of the House, S. 15 f. Siehe zu Virginia Pargellis, The Procedure of the Virginia House of Burgesses, in: William and Mary Quarterly 7 (1927), S. 73 ff. (76). 51 Praktische Bedeutung erlangte das Bestätigungsrecht des Gouverneurs etwa in New Jersey (1707), in Massachusetts (1705 und 1720), in New Hampshire (1728 und 1749), vgl.
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Die Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident waren von nachrangiger Bedeutung. Ebenso wie der Speaker des englischen Unterhauses war der Sprecher der Kolonialpariamente das Sprachrohr der Volksvertretung gegenüber Gouverneur und counci!. Er leitete als Sitzungsvorsitzender die Beratungen, sorgte für einen ordnungsgemäßen Verhandlungsablauf sowie für die Durchsetzung der Geschäftsordnung und entschied im allgemeinen mit seiner Stimme im Fall eines Abstimmungsgleichstands52 . Allerdings besaß der Kolonialsprecher in der Regel bereits das Recht zur Ausschußbesetzung, auch wenn dieses in vielen Fällen der Zustimmung durch die Volksvertretung unteriag 53 . Darüber hinaus bedeutete die Wahl zum Sprecher keineswegs den Verzicht auf die Abgeordnetenrechte. So nahmen die Sprecher in vielen Kolonialversammlungen an allen Abstimmungen teil, stellten sogar Anträge von ihrem Vorsitzendenplatz aus und waren wie jeder andere Abgeordnete Mitglied in verschiedenen Ausschüssen 54 . Schon hieran wird deutlich, daß der Sprecher ein aktiver Politiker war. Er wurde in sein Amt gewählt "as the man with the push and the energy necessary to accomplish certain definite purposes,,55. Motive für die Wahl des Speaker waren also weniger seine Kenntnisse des Parlamentsrechts oder sitzungsleitende Fähigkeiten als vielmehr seine kämpferische Persönlichkeit und seine politischen Führungsqualitäten 56 . Folglich waren die kolonialen Sprecher nicht in erster Linie neutrale Sitzungsleiter, sondern typischerweise politische Führer von Interessengruppen, die die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen suchten. Dieser politische Charakter des kolonialen Sprecher-Amtes kam insbesondere während des der amerikanischen Revolution vorausgehenden Jahrzehnts am stärksten zum Ausdruck. Dies war zugleich die Periode der amerikanischen Geschichte, an der die Verfassungsväter aktiven Anteil hierzu Greene, The Provincial Governor in the English Colonies ofNorth America, S. 149 ff., ebenso FolZett, The Speaker of the House of Representatives, S. 13 f. 52 Vgl. Luce, Legislative Procedure, S. 439 ff.; Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 14 f.; Fuller, The Speakers of the House, S. 16; Pargellis, The Procedure of the Virginia House of Burgesses, in: William and Mary Quarterly 7 (1927), S. 73 ff. (79); Clarke, Parliamentary Privilege in the American Colonies, S. 175 f. Zu den Unterschieden hinsichtlich der Organisation und des Verfahrens der einzelnen Kolonialversammlungen wie auch der Kompetenzen der jeweiligen Sprecher, die hier nur generalisierend angesprochen werden können, vgl. die Übersicht bei Jillson / Wilson, Congressional Dynamies, S. 24 ff., wonach die Sprecher in den südlichen Kolonien, Virginia, North Carolina, South Carolina und Georgia, im Verhältnis zu ihren Counterparts in den Versammlungen der Neu-England und der Mittel-Atlantik Region eine institutionell wie politisch mächtigere Position innehatten. 53 Vgl. Clarke, Parliamentary Privilege in the American Colonies, S. 177; Brown, The Leadership of Congress, S. 4; Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 15; Fuller, The Speakers ofthe House, S. 16. 54 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 4; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 17; Fulter, The Speakers of the House, S. 16 f. 55 Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 15. 56 V gl. FolZett, The Speaker of the House of Representatives, S. 15; vgl. auch Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. ISS ff. (156); FulZer, The Speakers of the House, S. 16.
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hatten 57 . Das koloniale Sprecher-Amt wurde letztlich weniger aufgrund der mit ihm verbundenen Kompetenzen und Amtspflichten als vielmehr durch den politischen Einfluß der jeweiligen Amtsinhaber zu einem politischen Amt58 .
In funktionaler Hinsicht bildet die besondere Stellung des Sprecher-Amtes im politischen System der Kolonien den wichtigsten Grund für den politischen Charakter des Amtes. Der koloniale Speaker wurde - wenngleich nur mittelbar - vom Volk gewählt und war der nur ihm, nicht der Krone, verantwortliche Führer der Volksvertretung. Der Kolonialsprecher war damit der sichtbarste Ausdruck der Volkssouveränität, gewissermaßen ein neuzeitlicher "Volkstribun" gegenüber dem von der Krone ernannten Gouverneur. Er war als höchster, vom Volk gewählter Amtsträger des politischen Systems der Kolonien der natürliche, legitime Führer des Volkes 59 . Die Wahl des Sprechers spiegelte somit unweigerlich die Haltung der Kolonialversammlung gegenüber Krone und Gouverneur wider6o . Da in den Kolonien anders als in Großbritannien im Laufe des 18. Jahrhunderts keine Parlamentarisierung des Regierungssystems stattgefunden hatte, fiel dem Sprecher als "Volksführer" seit jeher die Funktion eines Oppositionsführers gegen die Politik des königlichen Gouverneurs zu. Dies galt vor allem im Kampf gegen die englische Krone um die kolonialen Freiheiten und hier besonders um die Rechte und Privilegien der Repräsentativversammlungen 61 . Die dem Speaker im politischen System der U.S.-Verfassung in der Situation eines divided government zufallende Rolle eines nationalen Oppositionsführers gegenüber einem vom Kongreß in gleichem Maße wie ein Kolonialgouverneur von der Legislative unabhängigen Präsidenten findet somit hier ihr historisches Vorbild. In der Situation eines divided government ist die Rolle des Sprechers des Repräsentantenhauses strategisch-funktional mit der des kolonialen Oppositionsführers zu vergleichen. Aufgrund des Fehlens eines stabilen Parteiensystems während der Kolonialzeit war der koloniale Sprecher indes in ungleich stärkerem Maße der Gefahr eines Amtsverlustes ausgesetzt, wenn er als legislativer Führer nicht die Mehrheit des Abgeordnetenhauses hinter sich zu bringen vermochte bzw. sich nicht deren Willen unterordnen wollte 62 . 57 Vgl. Hinds, The Speaker ofthe House ofRepresentatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (156 f.). Als Beispiele für solche "militant party chiefs" führt Hinds die Sprecher James Otis (Massachusetts, 1766), Noble Wimberly Jones (Georgia, 1771) und Peyton Randolph (Virginia, 1774) an. 58 Vgl. Faltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 17; Fulter, The Speakers of the House, S. 17. 59 Vgl. Faltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 19; Fulter, The Speakers of the House, S. 17; Brawn, The Leadership of Congress, S. 6, 10. 60 V gl. Fallett, The Speaker of the House of Representatives, S. 15; Fulter, The Speakers of the House, S. 16. 61 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 19; ders., The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (2 f.); Fallett, The Speaker of the House of Representatives, S. 18. 62 Vgl. Fallett, The Speaker of the House of Representatives, S. 20; Fuller, The Speakers of the House, S. 17.
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Eine besondere Bedeutung für das Verhältnis zwischen Sprecher und Gouverneur spielten die ausschließliche Macht der Volksvertretung über die gesamte koloniale Finanzgesetzgebung sowie die Zuständigkeit der Kolonialversammlung für die Aufsicht über die Finanzausgaben. Aufgrund dieser Kompetenzen, die sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausbildeten, konnten sich die Abgeordneten zum einen gegen die wiederholten Forderungen der im Namen des englischen Königs handelnden Gouverneure nach pennanenten Finanzgesetzen anstelle jährlicher Finanzbewilligungen durchsetzen. Zum anderen besaß die Volksvertretung ein besonderes Druckmittel gegen den Gouverneur, da die Auszahlung seines Gehalts der parlamentarischen Bewilligung unterlag. Gerade in den 1760' er und 1770' er Jahren, als sich die Kämpfe zwischen bei den Akteuren verschärften, machte die Volksvertretung die Auszahlung des Gouverneurgehalts, VOn dessen Zustimmung zu bestimmten Gesetzen abhängig und neutralisierte damit faktisch die Vetogewalt des Gouverneurs. Die Kolonialversammlung baute ihre Macht zulasten des Gouverneurs immer weiter aus und errang schließlich das Recht zur Ernennung des Finanzministers63 . Um die Stellung des Sprechers gegenüber dem von der Volksvertretung grundsätzlich unabhängigen Gouverneur zu stärken, übertrug man häufig dem Sprecher dieses Amt, so v.a. in Virginia und North Carolina. Die Folge war, daß der Speaker die direkte Finanzkontrolle besaß und insbesondere die Auszahlung des Gouverneurgehalts von der konkreten Anweisung des Sprechers abhing64 • Ins Amt gelangt mit der demokratischen Legitimation eines Volksführers, gestützt auf die finanzgesetzgeberische Macht der Volksvertretung und als von der Kolonialversammlung eingesetzter Finanzminister ausgestattet mit substanziellen Kompetenzen hinsichtlich der Verteilung von Geldern wurde der Speaker auch machtpolitisch zum Gegenspieler der Koalition zwischen Gouverneur und council, ohne den keine Politik betrieben werden konnte 65 . 63 Vgl. insgesamt Kelly / Harbison / Beiz, The American Constitution, vol. I, S. 31; Brown, The Leadership ofCongress, S. 6 sowie auch Peters, The American Speakership, S. 19 f. 64 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 19; Brown, The Leadership of Congress, S. 7, 10; Peters, The American Speakership, S. 20. 65 Als bedeutendstes Beispiel ist hier lohn Robinson, Speaker of the Virginia House of Burgesses für über ein Vierteljahrhundert von 1738 bis 1766, zu nennen, der während seiner Amtszeit auch das Amt des Finanzministers bekleidete. V gl. Peters, The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (3). In Virginia wurde der Finanzminister bereits seit 1691 vom Abgeordnetenhaus eingesetzt. Für nahezu 80 Jahre waren die Ämter des Sprechers und Finanzministers in Personalunion vereint. Ihren Anfang nahm diese Personalunion im Jahre 1697, als das Abgeordnetenhaus die Zahlung eines Gehalts an seinen Sprecher einstellte. Diesem über das Amt des Finanzministers eine andere Einnahmequelle zu verschaffen, wird auch zu dem Entschluß beigetragen haben, beide Ämter in einer Person zu vereinen. Als sich nach dem Tode Robinsons Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dessen Amtsführung als Finanzminister herausstellten, wurden beide Ämter 1766 wieder getrennt. Der Speaker erhielt daraufhin wieder ein Gehalt vom Abgeordnetenhaus. Vgl. hierzu insgesamt Pargellis, The Procedure of the Virginia House of Burgesses, in: William and Mary Quarterly 7 (1927), S. 73 ff. (79) m. w. N. sowie Brown, The Leadership of Congress, S. 6 ff. und Peters, The American Speakership, S. 20. Follett weist darauf hin, daß nahezu alle Volksvertretungen ihren Sprechern wohl nicht zuletzt deshalb Gehälter zahlten, um sie an die
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Die Sprecher der Kolonialparlamente waren somit von Anfang an in erster Linie politische Führer der Volksvertretung, denen von Amts wegen auch die Funktion des neutralen Parlamentspräsidenten zufiel. Als Angehörige des Landadels zählten sie zudem zur gesellschaftlichen Elite und ihre institutionelle Machtstellung machte sie zu den politisch einflußreichsten und geachtetsten Männern in ihren Kolonien 66 • Als höchste demokratisch legitimierte Repräsentanten in den Kolonien wurden sie typischerweise mit staatsmännischen Aufgaben wie der Ausarbeitung von Verträgen, der Teilnahme an Konferenzen und Versammlungen sowie der diplomatischen Vertretung ihrer Kolonialversammlung in London betraut67 . Den Verfassungsvätern war der politische Charakter gerade des kolonialen SprecherAmtes aus eigener Erfahrung nur allzu gut vertraut. Deshalb ist davon auszugehen, daß auch er eine Grundlage ihres in die Verfassung eingegangenen Speaker-Verständnisses darstellt. III. Der Präsident des Kontinentalkongresses
Der aus Delegierten der 13 britischen Kolonien Nordamerikas zusammengesetzte Continental Congress tagte vom 05.09. bis zum 26. 10. 1774 (Erster Kontinentalkongreß) und dann vom 10. 05. 1775 bis formell zum Frühjahr 1789 (Zweiter Kontinentalkongreß) in Philadelphia. Er war die erste und während der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung einzige Form eines institutionalisierten Zusammenschlusses aller nordamerikanischen Kolonien und hatte entscheidende Bedeutung für die Entstehung der amerikanischen Union. Im Juni 1775 stellte der Kontinentalkongreß eine gemeinsame Armee unter dem Oberbefehl George Washingtons für den Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Kolonialmacht auf. Er vollzog durch die von Thomas Jefferson entworfene Unabhängigkeitserklärung am 04. 07. 1776 die Loslösung vom Mutterland und verabschiedete im November 1777 eine Staatenbundsverfassung, die Articles of Confederation68 , die nach der Ratifizierung durch die 13 Kolonien am 01. 03. 1781 in Kraft trat. Die Schwächen dieser Konföderationsverfassung - Einstimmigkeitserfordernis, unzureichende kompetentielle Ausgestaltung der Bundesgewalt, Fehlen einer eigentlichen BunKolonialversammlungen zu binden. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 19, dort Fn. 51. 66 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 7; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 15, dort Fn. 33. Siehe ferner Luce, Legislative Procedure, S. 442. 67 Vgl. Fuller, The Speakers of the House, S. 16; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 16 f.; Brown, The Leadership of Congress, S. 5. So standen die Sprecher etwa auch an der Spitze der sog. "Correspondence Committees" ihrer jeweiligen Volksvertretungen, die zur Koordination aller Legislativversammlungen der englischen Kolonien Nordamerikas eingerichtet worden waren und über die die Sprecher maßgeblichen Einfluß auf die föderale Entwicklung der Kolonien nahmen. Vgl. Brown, a. a. 0., S. 9 f. 68 House of Representatives, Documents. Illustrative of the Formation of the Union of the American States, S. 27 ff.
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desregierung - führten schließlich zur Ausarbeitung der Bundesverfassung von 178769 . Wie bei beschlußfassenden Versammlungen üblich wählte auch der Kontinentalkongreß bei seinem Zusammentreten eines seiner Mitglieder zum Sitzungsvorsitzenden, dem President of the Continental Congress, ohne daß dessen Aufgaben und Befugnisse in irgendeiner Weise umschrieben waren. Der Kontinentalkongreß entwickelte sich in der Folgezeit von einem Gremium von Botschaftern zu einer Institution mit exekutiven, legislativen und judikativen Funktionen fort. In dem Maße wie Zuständigkeiten und Bedeutung des Kongresses zunahmen, erfuhren die Aufgaben des Vorsitzenden im Laufe der Zeit eine gewisse kompetentielle Ausgestaltung. Aber die im Kontinentalkongreß institutionalisierte Bundesgewalt, der der President of the Continental Congress vorstand, war während der gesamten Zeit schwach. Daher hatte auch der Kongreßvorsitzende keine politisch bedeutungsvolle Position inne7o . Nach Jillson/Wilson ist diese politische Schwäche des Vorsitzenden des "prenational Congress" auf externe wie interne Faktoren zurückzuführen. Hiernach beruht starke politische Führung im modemen U.S.-Kongreß einerseits auf der allgemeinen öffentlichen Akzeptanz der Legitimität nationaler politischer Institutionen und ihrer Handlungen, auf dem Rückhalt politischer Parteien im Land sowie auf der Unterstützung derjenigen Kongreßführer durch die Exekutive, die der Präs identenpartei angehören. Andererseits basiert die politische Führung auf einer institutionellen Infrastruktur des Kongresses, die es seinen Führern erlaubt, eine politikkoordinierende Rolle zu spielen 71. Der Präsident des Kontinentalkongresses 69 Anfänglich waren indes nur 12 Kolonien auf dem Kontinentalkongreß vertreten, Georgia sandte keine Delegierten. V gl. zum Kontinentalkongreß und den Konföderationsartikeln Burnett, The Continental Congress, S. 1 ff.; Rakove, The Beginnings of National Politics, S. I ff.; Marston, King and Congress, S. 1 ff.; Henderson, Party politics in the Continental Congress, S. 1 ff. und Jensen, The Articles of Confederation, S. 1 ff. Ferner Wood, The Creation of the American Republic, 1776-1787, S. 354 ff.; zur allgemeinen Geschichte der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung siehe Heideking, Revolution, Verfassung und Nationalstaatsgründung, 1763-1815, in: Adams/Lösche, Länderbericht USA, S. 18 ff. (20 ff.). Seit Inkrafttreten der Articles of Confederation 1781 wird der Kontinentalkongreß auch als Congress of the Confederation bezeichnet, vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 21. Vorliegend wird die Bezeichnung "Kontinentalkongreß" einheitlich für alle Delegiertenversamrn1ungen zwischen 1774 und 1789 verwendet. 70 Vgl. Burnett, Perquisites of the President of the Continental Congress, in: AHR 35 (1929), S. 69 ff. (69); Peters, The American Speakership, S. 20. Siehe zum Präsidenten des Kontinentalkongresses insgesamt Sanders, The Presidency of the Continental Congress 1774-1789, S. 1 ff. sowie Jillson/ Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff.; dies., Congressional Dynamics, S. 49 ff., 61 f., 71 ff. (59); Wilson/ Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (13 ff.). 71 Vgl. insgesamt Jillson/Wilson, Congressional Dynarnics, S. 73 ff.; dies., Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 17741789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (88 ff.).
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hatte weder formelle Führungskompetenzen, noch konnte er politische Führung auf der Grundlage eines ausgeprägten Ausschußsystems mit fester Zuständigkeitsverteilung oder auf der Basis von stabilen Koalitionen im Plenum aufbauen. Denn der Kongreß verfügte im wesentlichen nur über vom Plenum kontrollierte ad hocAusschüsse und die einmal gebildeten Faktionen innerhalb des Kongresses befanden sich wegen der starken Delegiertenfluktuation in ständigem Wechsel. Sie wurden außerdem zu schnell durch die Interessengegensätze zwischen einzelnen Kolonien auseinandergerissen72 . In Bezug auf den Kontinentalkongreß waren weder die genannten externen Faktoren vorhanden, noch stellte er eine feste institutionelle Grundlage für die Entwicklung politischer Führung bereit. Von zentraler Bedeutung für die Schwäche des Kontinentalkongresses war darüber hinaus auch das politische Selbstverständnis der Delegierten. Für sie war bei ihrem Zusammentreten im Jahre 1774 die Vorstellung, eine nationale Regierung einzurichten, ebenso fremd wie die Idee, eine mit substanziellen Kompetenzen ausgestattete Legislative zu schaffen73. Sie sahen sich in erster Linie als Vetreter ihrer jeweiligen Kolonie, deren Aufgabe es war, sich zu beraten, Empfehlungen auszuarbeiten und den Volksvertretungen, die sie entsandten und von denen sie politisch abhängig waren, Bericht zu erstatten. Um einen übermäßigen politischen Einflußgewinn des Continental Congress zu verhindern, wurden die Delegierten auch jeweils nur für ein Jahr gewählt, und die Abstimmung im Kongreß erfolgte nach Staaten, unabhängig von deren Größe, Einwohnerzahl oder wirtschaftlicher Situation74. Zwar räumten die Articles of Confederation, die der geschichtlichen Entwicklung durchaus Rechnung trugen, dem Kongreß schließlich wichtige außenpolitische und militärische Kompetenzen ein. Doch erhielt auch das Selbstverständnis der Eigenstaatlichkeit mit Art. 11 Eingang in die Konföderationsartikel: "Each state retains its sovereignty, freedom, and independence, and every Power, Jurisdiction and right, which is not by this confederation expressly delegated ... ,,75. Vor diesem Hintergrund wird das vor allem anfänglich geringe Interesse der einzelnen Kolonien und ihrer Vertreter verständlich, die Bundesgewalt zu stärken und insbesondere den Vorsitzenden des Kongresses mit besonderen Kompetenzen auszustatten, die ihn gegenüber den anderen Vertretern übervorteilt hätten. Die De1e72 Vgl. insgesamt Wilson/Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (34 f.). 73 Vgl. Marston, King and Congress, S. 67 f.; Montross, The Reluctant Rebels, S. 66; Wilson / Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (8). 74 Vgl. Journals of the Continental Congress, vol. I (1774), S. 7 sowie insgesamt Jillson/ Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (85 f.); dies., Congressional Dynamics, S. 51 ff.; Wilson/ Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (9). Zum politischen Einfluß der einzelnen Kolonien siehe insgesamt Wilson / Jillson, a. a. 0., S. 31 ff. 75 Zitiert nach Hause 0/ Representatives, Documents. Illustrative of the Formation of the Union of the American States, S. 27 ff. (27).
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gierten betrachteten sich und die einzelnen Kolonien als gleichberechtigt und wachten daher aufmerksam darüber, daß es im Amt des Vorsitzenden nicht zu einem Machtzuwachs auf Kosten ihrer eigenständigen Kompetenzen kam76 • Diese Interessenlage hatte Einfluß auf die spätere Entscheidung der Verfassungsväter, den Senatsvorsitz nicht einem Senator zu übertragen 77. Eine Sicherung gegen einen zu mächtig werdenden Vorsitzenden sahen die Delegierten zum einen darin, diesen nach dem Rotationsprinzip aus den verschiedenen Kolonien zu wählen, was indes spätestens im Jahre 1784 aufgegeben wurde 78 . Zum anderen wurde die Amtszeit des Präsidenten in Art. IX der Konföderationsartikel auf nur ein Jahr festgelegt79 . Das Fehlen von politischer Führung durch den Vorsitzenden des Kontinentalkongresses war sicher nicht in erster Linie auf die persönliche Führungsschwäche seiner insgesamt 14 Präsidenten zuriickzuführen, unter denen immerhin so beeindruckende Persönlichkeiten wie Peyton Randolph (1774, 1775), John Hancock (1775 -1777, 1785 -1786), John Jay (1778 -1779) und Richard Henry Lee (1784 - 1785)80 waren. Es macht aber deutlich, wie wichtig institutionalisierte Mechanismen, d. h. bestimmte parlamentsrechtlich abgesicherte Leitungskompetenzen, für die politische Führung des parlamentarischen Verfahrens sind81 . Im Fall des Kontinentalkongresses waren solche geschäftsordnungsrechtlichen Steuerungsinstrumente gerade nicht vorhanden.
76 Vgl. Fulter, The Speakers of the House, S. 18; Jillson/ Wilson, Congressional Dynamics, S. 89. 77 Siehe 6. Kap. B. 11. 78 Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 21; Fulter, The Speakers of the House, S. 17. 79 Vgl. House 0/ Representatives, Documents. I1lustrative of the Fonnation of the Union of the American States, S. 27 ff. (33). Die Festlegung der Amtszeit stellt im übrigen die einzige Erwähnung der Funktion des Präsidenten in den Konföderationsartikeln dar. Siehe auch Journals of the Continental Congress, vol. XVIII (1780), S. 871. 80 Außer den vier genannten Präsidenten des Kontinentalkongresses saßen noch Henry Middleton, Henry Laurens, Samuel Huntington, Thomas McKean, John Hanson, Elias Boudinot, Thomas Mifflin, Nathaniel Gorham, Arthur St.Clair und Cyrus Griffin dem Gremium vor. Vgl. zu näheren Angaben die Übersichten bei Jillson/ Wilson, Congressional Dynamics, S. 77 sowie bei Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 335 f. 81 Vgl. Jillson/ Wilson, Congressional Dynarnics, S. 90; Wilson/ Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (5, 35). Anders als Cooper/Brady, die in ihrer Studie von 1981 die These aufstellen, daß der persönliche Führungsstil eines Sprechers sich entsprechend der institutionellen Rahmenbedingungen ändert, zeigen Jillson/Wilson, daß im Hinblick auf den Kontinentalkongreß die externen und internen Faktoren zu einer derart weitgehenden Beschränkung von politischer Führung führten, daß selbst starke politische Persönlichkeiten keine wirksame politische Führung auszuüben vennochten. Vgl. Jillson / Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (87). Zur Darstellung der "contextualist theory" bei Cooper / Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Raybum, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff.; siehe 4. Kap. A. I. 1. a) ee).
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Beim Vergleich mit dem Sprecher der Kolonialparlamente fällt zunächst einmal auf, daß der Vorsitzende des Kontinentalkongresses nicht den Titel "Speaker" trug. Vielmehr entschieden sich die Delegierten für die offizielle Bezeichnung "President,,82. So formal dieser Unterschied auch sein mag, so kann man ihm doch eine funktionale Bedeutung nicht ganz absprechen. Er macht deutlich, daß die Delegierten den Kongreß nicht als eine gesetzgebende Versammlung im Sinne der lower houses in den Kolonien sahen, weil sie sonst den gemeinhin üblichen Titel "Speaker" gewählt hätten. Dem Präsident des Kontinentalkongresses war somit nicht die Funktion eines Vertreters der gesetzgeberischen Interessen des Volkes gegenüber einer monarchischen Exekutive zugedacht. Die Bezeichnung "President" wurde im allgemeinen für die Vorsitzenden informeller Versammlungen verwandt, deren eng begrenzte Kompetenzen lediglich auf die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Verhandlungsverlaufs abzielten 83 . Darüber hinaus brachte der Titel "President of the Continental Congress" die von Anfang an gegenüber dem Kolonialsprecher weitere formelle Rolle des Kongreßpräsidenten zum Ausdruck. Dieser war schließlich nicht nur "Parlamentspräsident", sondern übte als höchster Amtsträger der vereinigten Kolonien auch die Funktion eines formellen "Staatsoberhaupts" aus. Da eine Bundesregierung im eigentlichen Sinne noch nicht bestand, fielen ihm zwangsläufig auch exekutive und diplomatische Aufgaben zu. So übernahm er praktisch die Funktionen eines Außen- und Verteidigungsministers, empfing ausländische Diplomaten und führte den offiziellen Schriftwechsel mit den Kolonien. Er war also der höchste Repräsentant des aus damaliger Sicht weniger nationalen als internationalen Kontinentalkongresses84 . Trotz des beträchtlichen Prestiges des Amtes, das von Anfang an aus diesen Verantwortungen erwuchs, blieb es stets "more honorable than powerful,,85. Die Delegierten gingen somit beim Kongreßpräsidenten von einem sich in zweifacher Hinsicht von den kolonialen Sprechern unterscheidenden Rollenverständnis aus. Da die Geschäftsordnungsregeln des Continental Congress eine Machtkonzentration in den Händen eines einzelnen oder einer Gruppe nicht zuließen86 , beVgl. Burnett, The Continental Congress, S. 34. V gl. Jillson / Wilson, Congressional Dynamics, S. 50. 84 Siehe zur Rangfolge der Funktionsträger des Kongresses Journals of the Continental Congress, vol. XXIV (1783), S. 391 sowie dort Fn. 2, ferner zur Repräsentationsfunktion Journals ofthe Continental Congress, vol. XXV (1783), S. 837 f. Vgl. Henderson, Party politics in the Continental Congress, S. 2; Morris, The Forging of the Union, 1781-1789, S. 99; Jillson / Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The ..President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (94); Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 22; Fuller, The Speakers of the House, S. 18. Ferner Burnett, Perquisites of the President of the Continental Congress, in: AHR 35 (1929), S. 69 ff. (69), hier insgesamt auch zur Amtsausstattung des Präsidenten, a. a. 0., S. 69 ff. Zur Amtsausstattung ferner Journals of the Continental Congress, vol. IX (1777), S. 806, vol. XVI (1780), S. 317 sowie vol. XXIV (1783), S. 220, 337, 500 und dort Fn. 2, vol. XXXII (1787), S. 128. 85 Sanders, The Presidency of the Continental Congress 1774 -1789, S. 39. 82
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schränkte sich die sitzungsleitende Funktion des Kongreßpräsidenten letztlich auf zwei Befugnisse. Ihm standen das Recht zur Einberufung und Vertagung des Kongresses 87 sowie die Sitzungsleitung, d. h. die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, zu. So hatte der Präsident insbesondere keinen Einfluß auf die Tagesordnung des Kongresses. Anträge und Ausschußberichte wurden entweder in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Einbringung oder an einem durch Mehrheitsbeschluß festgesetzten Zeitpunkt verhandelt. Im Zweifel entschied die Kongreßmehrheit über die Priorität von Vorlagen. Selbst die Terminierung weniger wichtiger Angelegenheiten, für die noch keine Platzierung auf der Tagesordnung durch die Kongreßmehrheit vorgenommen worden war, wurde nicht dem Präsidenten, sondern einem aus drei Mitgliedern bestehenden, wöchentlich zu bestimmenden "Comrnittee of the Week" übertragen. Die Agenda-Kontrolle lag damit letztlich vollständig beim Kongreß selbst und nicht bei seinem Vorsitzenden 88 • Ebensowenig besaß der Präsident die Kompetenz zur Ausschußbesetzung, die ebenfalls vom Kongreß vorgenommen wurde 89 . Hinzu kam, daß der Kontinentalkongreß die wichtigen Angelegenheiten ohnehin als Comrnittee of the Whole beriet, in dem der Präsident nicht den Vorsitz führte 9o • Der Kongreß und nicht der Präsident bestimmte einen Stellvertreter im Fall seiner Abwesenheit91 . Die Benennung des Secretary of the Continental Congress, der selbst kein Mitglied des Kongresses war, zum Interimspräsidenten im Jahre 1777 macht deutlich, wie wenig Bedeutung der Funktion des Sitzungsvorsitzenden für den Verhandlungsablauf beigemessen wurde92 • Zwar hatte 86 Vgl. Wilsonl Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (26, 35). 87 Siehe Journals of the Continental Congress, vol. I (1774), S. 29, zur Entbehrlichkeit des Präsidenten bei der Vertagung siehe indes Journals of the Continental Congress, vol. XXV (1783), S. 767. 88 Vgl. Journals of the Continental Congress, vol. I (1774), S. 29, vol. III (1775), S. 320, 327, 330 sowie vol. XX (1781), S. 476 f., vol. XXIV (1783), S. 108 und vol. XXV (1783), S. 538 f. Ferner insgesamt Jillson I Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (97 f., 102 f.); dies., Congressional Dynamics, S. 63. 89 Siehe Journals of the Continental Congress, vol. XXVI (1784), S. 7, vol. XX (1781), S. 476 ff. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 21; Fuller; The Speakers of the House, S. 18; Jillson I Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (105); zur Ausschußbesetzung und Funktionsweise der Ausschüsse im einzelnen dies., Congressional Dynamics, S. 53 ff., 65 f. und Wilsonl Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (20 ff.). 90 Siehe Journals of the Continental Congress, vol. XIV (1779), S. 667 f. und vol. XXIV (1783), S. 98. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 21; Fuller; The Speakers of the House, S. 18. 91 Siehe Journals of the Continental Congress, vol. XXV (1783), S. 539, 799 und vol. XXVI (1784), S. 133. 92 Vgl. Journals ofthe Continental Congress, vol. IX (1777), S. 846; JillsonlWilson, Congressional Dynamies, S. 79 f., 87; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 21; Fuller; The Speakers ofthe House, S. 18.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
der Präsident die Aufgabe der Unterzeichnung aller offiziellen Dokumente. Doch handelte es sich hierbei lediglich um ein formales Recht und nicht um eine Kompetenz zu politischer Machtausübung, denn auf die inhaltliche Ausgestaltung der Dokumente hatte der Präsident so gut wie keinen Einfluß93 • Im Hinblick auf die offiziellen Schriftstücke, die an den Präsidenten in seiner Eigenschaft als höchster Repräsentant des Kongresses gesandt wurden, war er ohne ausdrückliche Anweisung des Kongresses noch nicht einmal ermächtigt, deren Empfang zu bestätigen, geschweige denn sie eigenmächtig zu beantworten94 . Vielmehr bestand seine Pflicht lediglich darin, den Kongreß über deren Inhalt zu informieren95 . "The president's role, in 1775 as in 1774, was based on the model of the evenhanded, judicious moderator provided by the Speakers of the English House of Commons and the weakest of the presiding officers of the colonial assemblies,,96.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich der Kongreß eher selbst organisierte und leitete, als entsprechende Kompetenzen an seinen Präsidenten zu delegieren. Die Folge war, daß diesem keine institutionalisierten Machtinstrumente zu Gebote standen, um die Arbeit des Kongresses zu steuern 97 • Die Funktion des President of the Continental Congress war nicht die eines politischen Führers einer bestimmten Interessengruppe. Dies ließen weder das Selbstverständnis noch die Struktur des Kongresses zu. Anders als der Sprecher der Kolonialparlamente wurde der Kongreßpräsident nicht als Volksführer wahrgenommen und befand sich auch nicht in einer unmittelbaren Konfrontationsstellung gegenüber der Krone. Vielmehr war seine Funktion in erster Linie die eines parlamentarischen Moderators, der um der Ehre und Würde seines Amtes wegen seinen politischen Einfluß weitgehend aufgab. So beschrieb Henry Laurens (1777 - 1778) seine Rolle als President of the Continental Congress als "a silent auditor and spectator [with] no will of my own,,98. Dies heißt allerdings nicht, daß mächtige Politiker, wie vor allem John Hancock, nicht beträchtlichen Einfluß auf das Geschehen im Kongreß ausübten und bisweilen nicht auch eine gewisse Parteilichkeit in ihrer Amtsführung an den Tag legten. Außerdem nahmen sie in den Ausschüssen ihre politischen Inter93 V gl. Bumett, Perquisites of the President of the Continental Congress, in: AHR 35 (1929), S. 69 ff. (70); Jillson / Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774- 1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (96). Siehe Journals of the Continental Congress, vol. XXIV (1783), S. 96, 228. 94 V gl. Jillson / Wilson, Leadership and Coordination in Legislatures: The "President" of the First American Congress: 1774-1789, in: Congress & The Presidency 17 (1990), S. 85 ff. (99). 95 Siehe Journals ofthe Continental Congress, vol. XIII (1779), S. 124. 96 Jillson / Wilson, Congressional Dynamies, S. 61 f. 97 Vgl. Fuller, The Speakers of the House, S. 18; Jillson / Wilson, Congressional Dynamies, S. 90; Wilson/Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (20). 98 Vgl. Bumett, Letters of the Members of the Continental Congress, vol. III, S. 221, 227, 272.
A. Historische Vorläufer des amerikanischen Speaker-Amtes
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essen wahr wie jeder andere Delegierte auch 99 . Darüber hinaus spielte sich ein beträchtlicher Teil politischer Einflußnahme durch die Präsidenten auch in informellen Gesprächen im gesellschaftlichen und privaten Bereich außerhalb des Kongresses ab HlO • Doch handelte es sich insofern nur um eine gelegentliche, unbeständige Einflußnahme, die in den persönlichen und politischen Fähigkeiten der jeweiligen Amtsinhaber begründet war und nicht in ihrem formellen Amt und seinen Kompetenzen 101. Der President of the Continental Congress war zwar insgesamt kein mächtiger Funktionsträger. Er war vor allem keine Institutionalisierung politischer Führung, sondern neutraler Sitzungsleiter. Dennoch verbanden die Amtsträger ihre präsidiale Moderatorenrolle mit Elementen politischer Einflußnahme. Daher war der doppelfunktionale Charakter dieses Amtes ein Vorbild für das Sprecher-Amt unter der U.S.-Verfassung, wenngleich dieses Vorbild vornehmlich die parlamentarische Seite des Amtes unterstrich. Ein Beispiel für ein vollends unparteiisches bzw. unpolitisches Sprecher-Amt war jedenfalls auch der President of the Continental Congress nicht lO2 •
IV. Der Präsident des Verfassungskonvents Das den Verfassungsvätern bei der Verfassungsgebung am unmittelbarsten vor Augen stehende Beispiel für ihre Speaker-Konzeption war der President of the Constitutional Convention. Der Verfassungskonvent trat am 25.05. 1787 in Philadelphia zusammen. An ihm nahmen letztlich 55 Delegierte aus den 13 Gründerstaaten teil. Der Verfassungskonvent entwarf statt einer Revision der Konföderationsartikel die am 17. 09. 1787 verabschiedete Bundesverfassung der Vereinigten Staaten auf der Grundlage der Prinzipien einer starken republikanischen Bundesregierung, der Gewaltenteilung und des Föderalismus und leitete damit die Konsolidierung des amerikanischen Nationalstaats ein 103. Bei seinem Zusammentritt wählte der Verfassungskonvent George Washington (1732 - 1799) in geheimer Wahl einstimmig zu seinem Präsidenten 104. 99 Vgl. Bumett, Letters of the Members of the Continental Congress, vol. 11, S. 117; Morris, The Forging of the Union, 1781 - 1789, S. 100; siehe ferner auch Wilson / Jillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (34). 100 Vgl. Reardon, Peyton Randolph, 1721-1775. One who presided, S. 52. 101 Vgl. Jillson/Wilson, Congressional Dynamics, S. 88 f.; WilsonlJillson, Leadership Patterns in the Continental Congress: 1774-1789, in: LSQ 14 (1989), S. 5 ff. (31); Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 22 ff.; Fuller, The Speakers of the House, S. 19. Ferner Proctor, John Hancock: New Soundings on an Old Barrel, in: The Journal of American History 64 (1977), S. 652 ff. 102 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 24; Fuller, The Speakers ofthe House, S. 20; Peters, The American Speakership, S. 20; ders., The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. I ff. (3). 103 Zum Verfassungskonvent in Philadelphia siehe die umfassende Darstellung von Rossiter, 1787. The Grand Convention, S. I ff.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Dem Vorsitzenden wurden ausdrücklich die Kompetenzen zur Worterteilung, zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Debattenverlaufs und zur Entscheidung aller Geschäftsordnungsanträge ohne Einspruchsvorbehalt und Aussprache eingeräumt. Die Ausschußbesetzung wurde nicht durch den Präsidenten, sondern in geheimer Wahl durch den Konvent selbst vorgenommen. Die besondere Stellung und Würde des Präsidentenamtes und seines Inhabers wurde durch eine Vorschrift zum Ausdruck gebracht, wonach bei Sitzungsende jedes Mitglied sich erheben und solange an seinem Platz stehenbleiben mußte, bis der Präsident an ihm vorbeigegangen war 105 . Dem Präsidenten eine so weitgehende Kompetenz wie die der Entscheidung von Geschäftsordnungsanträgen ohne Einspruchsmöglichkeit der Konventsmitglieder zuzuweisen, sollte einerseits zwar einen straffen Verhandlungsablauf sichern, war George Washington aber andererseits insbesondere wegen des tiefen Vertrauens der Mitglieder in seine politische Klugheit und Integrität zugestanden worden 106 . Washingtons Vorsitz im Verfassungskonvent ist in der Tat das eindrucksvollste Beispiel für den politischen Einfluß, den ein Sitzungsleiter auf die Arbeit einer Versammlung allein durch seine von allen geachtete, überragende Persönlichkeit haben kann. Denn er nahm weder aktiv an den Verhandlungen teil noch bediente er sich verstärkt seiner geschäftsordnungsmäßigen Kompetenzen 107 . So schildert Madison in seinem Journal of the Federal Convention Washingtons Unterstützung eines Antrags, auf jeweils 30.000 Einwohner einen Abgeordneten kommen zu lassen, als dessen einzige Äußerung politischer Überzeugung in seiner Eigenschaft als Vorsitzender. Der Antrag wurde daraufhin angenommen 108 . Für den President of the Constitutional Convention ist deshalb festzuhalten, daß auch sein Amt bei aller Betonung der neutral-präsidialen Moderatorenrolle einen doppelten Charakter aufwies. Denn auch George Washington übte aufgrund seiner persönlichen Autorität politischen Einfluß auf die Versammlung aus. Das heutige Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses mit seiner doppe1funktionalen Erscheinung findet somit in allen seinen historischen Vorläufern - wenngleich mit unterschiedlicher Gewichtung der neutral-präsidialen und der politischen Elemente - seine Entsprechung. Den Verfassungsvätern war jedenfalls im Jahre 1787 ein Sprecher-Bild vertraut, das neben einer formalen Moderatorenrolle auch aktive Interessenvertretung und politische Führung einschloß. 104 Vgl. Elliot, Debates on the Adoption of the Federal Constitution, vol. V, S. 123; Rossiter, 1787. The Grand Convention, S. 161. 105 Siehe die Geschäftsordnungsregeln der Federal Convention vom 28. 05. 1787 bei EIliot, Debates on the Adoption ofthe Federal Constitution, vol. V, S. 124 f. Vgl. ferner Follett, The Speaker of the Rouse of Representatives, S. 24; Rossiter, 1787. The Grand Convention,
S.167. 106 Vgl. Fuller, The Speakers of the Rouse, S. 20. 107 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 23. 108 Vgl. Madison, Journal of the Federal Convention, S. 744, zitiert nach Follett, The Speaker of the Rouse of Representatives, S. 24 f.
B. Konzeptionen politischer Führung bei Hamilton und Madison
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B. Theoretische Konzeptionen politischer Führung bei Hamilton und Madison Neben den historischen Beispielen lassen sich auch aus den Theorien politischer Führung, die der U.S.-Verfassung zugrundeliegen, Anhaltspunkte für die amerikanische Speaker-Konzeption gewinnen. Das Sprecher-Amt war indes niemals per se Gegenstand der theoretischen Diskussion. Zu der Frage nach dem Ursprung politischer Führung wurden von den Verfassungsvätern grundsätzlich zwei verschiedene Positionen vertreten, die sich mit den Namen Alexander Hamiltons und James Madisons verbinden 109. Nach Hamiltons Auffasung fällt der Exekutive, d. h. dem Präsidenten, die politische Führung zu. Seiner Führungstheorie zufolge ist die Stärke der Exekutive ein bestimmendes Merkmal bei der Definition eines guten Regierungssystems 110 . Die Staatskunst gehe nicht von der Legislative aus, sondern allein von der Unabhängigkeit, Stärke und Initiative der Exekutive 111. Ein einzelner unterscheide sich von einer größeren Gruppe durch eine größere Entschlußkraft, Aktivität, Verschwiegenheit und Schnelligkeit. Er sei daher am besten geeignet, die Stabilität und Klugheit des politischen Prozesses zu gewährleisten, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen und seine Interessen zu sichern 11 2. Der große Staatsmann, seine Vision und auch die Fähigkeit, theoretische Grundsätze der politischen Praxis anpassen zu können, bilden das Zentrum von Hamiltons Verständnis von politischer Führung l\3. Sein Ideal eines wahren Staatsmannes beschreibt Hamilton in einem Aufsatz aus dem Jahre 1795, in dem es heißt: "The true politician... will favour all those institutions and plans which tend to make men happy according to their natural bent, which multiply the sources of individual enjoyment and increase those of national resource and strength ... ,,114.
Demgegenüber geht Madison davon aus, daß in einem republikanischen Regierungssystem notwendig die Legislative dominiert 115 • Nach Madison gilt es, die Legislative so zu strukturieren, daß die deliberative Rationalität einer Repräsentativversammlung maximiert wird. Dies habe zur Folge, daß stets die besten Volksvertreter herausgefiltert werden und ihnen die politische Führung zufällt\16. Dieses Vgl. insgesamt Peters, The American Speakership, S. 21 ff. Vgl. Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. 70, S. 471 ff. (471). 111 Vgl. Frisch. Alexander Hamilton and The Political Order, S. 65 f.; ders., Se1ected Writings and Speeches of A1exander Hamilton, S. 3. 112 Vgl. Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. 70, S. 471 ff. (472). 113 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 21; Frisch, Selected Writings and Speeches of Alexander Hamilton, S. 2. 114 Hamilton, zitiert nach Frisch, Selected Writings and Speeches of Alexander Hamilton, S. 416 f.; siehe auch Flaumenhaft. The Effective Republic, S. 28 m. w. N. 115 Vgl. Madison. in: Cooke, The Federalist No. 51, S. 347 ff. (350). 109
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
sehr theoretische Verständnis eines repräsentativen Regierungssystems führt Madison am deutlichsten im 10. Federalist-Artikel aus. Hier beschreibt er die Vorteile eines solchen Regierungssystems bei der Überwindung von "factions", deren Ursprünge in der Natur des Menschen begründet seien 117. Ein repräsentatives Regierungssystem bringe Volksvertreter hervor, "whose enlightened views and virtuous sentiments render them superior to local prejudices, and to schemes of injustice" 118.
Sowohl Hamilton als auch Madison waren sich indes der Gefahr bewußt, daß der von ihnen favorisierte exekutive bzw. legislative politische Führer zu einem Demagogen werden und sich damit von seinem Ideal entfernen kann. So schreibt Hamilton im 1. Federalist-ArtikeI 1l9: " ... of those men who have overturned the liberties of republics the greatest number have begun their carreer, by paying an obsequious court to the people, commencing Demagogues and ending Tyrants."
Madison führt dazu im 58. Federalist-Artikel aus 12o: "It is, that in all legislative assemblies, the greater the number composing them may be, the fewer will be the men who will in fact direct their proceedings .... the more numerous any assembly may be, of whatever characters composed, the greater is known to be the ascendancy of passion over reason ... the larger the number, the greater will be the proportion of members of limited information and of weak capacities. Now it is precisely on characters of this description that the eloquence and address of the few are known to act with all their force. In the antient republies, where the whole body of the people assembled in person, a single orator, or an artful statesman, was generally seen to rule with as compleat a sway, as if a sceptre had been placed in his single hands."
Doch anders als Hamilton sah Madison in der Verfassung selbst eine Sicherung gegen eine derartige Entwicklung. Wie sich aus den Ausführungen zur Struktur des Repräsentantenhauses in den Federalist-Artikeln Nr. 52 bis 58 121 ergibt, war Madison der Überzeugung, daß die verfassungsmäßigen Anforderungen an die 116 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 21. Zur "filtration of talent" ferner auch McCoy, The Last of the Fathers, S. 43 sowie ausführlich bei Wood, The Creation of the American Republic, 1776-1787, S. 506 ff., von dem die Formulierung stammt. 117 Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 10, S. 56 ff. (58), der in diesem Zusammenhang auf die Vorteile gerade einer großen Republik bei der Überwindung von Parteiungen hinweist. Ferner Banning, The Sacred Fire of Liberty, S. 203. 118 Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 10, S. 56 ff. (64). Ferner Rakove, James Madison and the Creation of the American Republic, S. 72. 119 Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. I, S. 3 ff. (6). 120 Madison, in: Cooke, The Federalist No. 58, S. 391 ff. (395 f.). 121 Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 52-58, S. 353 ff. Explizit wird dies von ihm im 57. Federalist-Artikel zum Ausdruck gebracht: "The means relied on in this form of government for preventing their degeneracy are numerous and various. The most effectual one is such a limitation of the term of appointments, as will maintain a proper responsibility to the people." Ders., in: Cooke, The Federalist No. 57, S. 384 ff. (384).
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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Wahlbarkeit von Abgeordneten des Repräsentantenhauses die Verantwortlichkeit der Volksvertreter gegenüber dem amerikanischen Volk sicherten. Die so Gewählten zeichneten sich nach Madisons Ansicht durch Verdienst, Treue und dankbare Zuneigung sowie durch eine ehrliche und gewissenhafte Mandatswahrnehmung gegenüber ihren Wählern aus\22. In konsequenter Weiterführung dieses Gedankens war der aus einem solchen Kreis gewählte Sprecher des Repräsentantenhauses "a person of substantial reputation, respected by his peers, capable of representing the House in the government and to the people, a firm and fair moderator of its proceedings, and possessed of political wisdom ... " 123.
Diese politiktheoretischen Hintergründe machen deutlich, daß die ambivalente Funktion des amerikanischen Sprechers als Moderator und politischer Führer sowie die im Laufe der Zeit herausgebildeten unterschiedlichen Führungsstile der Sprecher schon in den Konzeptionen der Verfassungsväter zur politischen Führung angelegt sind, ohne daß offensichtlich zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung eine genaue Speaker-Konzeption bestanden hat. So deutet vor allem Madisons Theorie, dem - wie im 10. Federalist-Artikel ersichtlich 124 - das Phänomen von Parteiungen in der amerikanischen Politik wohlbekannt war, das Potential des SprecherAmtes zur Führung der Mehrheitsfraktion im Haus an. Die dargestellten Theorien zur politischen Führung bieten somit einerseits eine Grundlage für die Funktion des Speaker als alleiniger starker Mehrheitsführer im Haus und andererseits als fairer, ausgleichender Parlamentspräsident. Wenngleich sowohl die historischen Beispiele als auch die theoretischen Verfassungsgrundlagen von Anfang an für einen präsidialen wie auch politischen Charakter des amerikanischen Speaker-Amtes sprachen, so handelt es sich hierbei doch nur um unverbindliche, faktische Leitlinien. Die Verfassung selbst schweigt zur funktionalen Ausgestaltung des Amtes. Der Grund dafür kann nur darin liegen, daß die Verfassungsväter den Doppelcharakter des Sprecher-Amtes für zu selbstverständlich erachteten, um ihn ausdrücklich zu erwähnen. Jedenfalls überließen die Founding Fathers die exakten Konturen des Amtes - wie insbesondere die Führungsfunktion der Mehrheitsfraktion - der geschichtlichen Entwicklung.
c. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789 Die historischen Vorbilder zeigen, daß dem in die V.S.-Verfassung eingegangenen Speaker-Verständnis ein doppelfunktionaler Charakter des Amtes zugrundegeVgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 57, S. 384 ff. (385). Peters, The American Speakership, S. 22. Ähnlich auch Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (159 f.), der indes den großen persönlichen Einfluß eines so Gewählten stärker betont. 124 Vgl. Madison, in: Cooke, The Federalist No. 10, S. 56 ff. (57). Vgl. ferner Peters, The American Speakership, S. 22 f. 122
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
legen hat. Der Sprecher wurde somit seit dem ersten Kongreß sowohl als parlamentarischer Moderator als auch als Politiker gesehen. Dieser doppelfunktionale Charakter begründet das Potential, das die Sprecher bei der Ausübung des Amtes nutzen können. Die Entwicklung des Amtes seit 1789 macht deutlich, daß die Sprecher in verschiedenen Phasen der amerikanischen Geschichte unterschiedliche Rollen gespielt haben, in denen der formal-präsidiale und der politische Charakter des Amtes unterschiedlich stark zum Ausdruck gekommen sind. Ausgehend von den entscheidenden Wendepunkten in der Geschichte des Amtes sind mit Peters 125 vier Entwicklungsphasen zu unterscheiden 126. Sie spiegeln zugleich die Entwicklung des amerikanischen Parteiensystems wider. I. Parliamentary Speakership (1789-1865)
Die Phase des parliamentary speakership beschreibt die Zeit vom ersten Kongreß bis zum amerikanischen Bürgerkrieg und damit die Entwicklungsphase des Sprecher-Amtes, in der die Grundlagen für das Amt als späteres parlamentspräsidiales und politisches Führungsamt gelegt wurden. Diese erste Phase war gekennzeichnet von einer noch nicht gefestigten Verfassungsordnung und einem unstabilen und oft fragmentierten Parteien system. Die Bundesgewalt, d. h. Präsident und Kongreß, war schwach, da einzelstaatliche Interessen erheblichen Einfluß auf die politische Agenda nahmen. Die Schwäche des Kongresses während dieser Zeit läßt sich neben dem im Verhältnis zu einzelstaatlichen Institutionen geringen Prestige vor allem auf die außerordentlich kurzen Amtszeiten der Abgeordneten und den geringen Grad an Institutionalisierung zu125 Die überzeugendste Periodisierung der Entwicklung des Sprecher-Amtes hat Peters in seiner ebenso detaillierten wie umfassenden Untersuchung zur Geschichte des amerikanischen Sprechers vorgenommen. Sie ist daher auch die Grundlage für die folgenden summarischen Ausführungen zum Wandel des Sprecher-Amtes während der über zwei Jahrhunderte währenden amerikanischen Verfassungsgeschichte. Vgl. Peters, The American Speakership, S. 18 ff. 126 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 5 ff., die Phase des "Republican Speakership" wird hier wegen ihrer noch zu kurzen Dauer nicht gesondert behandelt. Neben Peters, The American Speakership, S. 1 ff., siehe zur Geschichte des amerikanischen Sprechers allgemein Follett, The Speaker of the House of Representatives, insbesondere S. 64 ff., die indes nur die Entwicklung des Amtes bis 1896 erfaßt; Fuller; The Speakers of the House (1909), S. 22 ff.; Brown, The Leadership ofCongress (1922), S. 10 ff.; Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896 (1928), S. 19 ff.; Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1848 ff.); MacNeil, Forge of Democracy (1963), S. 61 ff.; Congressional Quanerly, Guide to Congress (1991), S. 384 ff.; Committee on House Administration, History of tbe United States House of Representatives, 1789 -1994 (1994), S. 83 ff.; Peters, The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker (1994), S. 1 ff.; CheneylCheney, Kings of the Hili (1996), S. 1 ff.; Davidsonl Hammondl Smock, Masters of tbe House (1998), S. 1 ff.; schwerpunktmäßig zur Geschichte des Sprecher-Amtes im 20. Jahrhundert unter Einschluß des 106. Kongresses siehe Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 165 ff.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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rückführen. Es gab noch keine geeinten Parteien und es mangelte an einer festen Organisationsstruktur, vor allem an einem System von Führungsämtern, sowie an einem effizienten parlamentarischen Regelwerk zur Strukturierung von Entscheidungsabläufen. Die Sprecher dieser parliamentary era konnten daher im allgemeinen weder auf stabile Parteimehrheiten noch auf eine zentrale Organisation zur politischen Planung und Steuerung zurückgreifen 127 . Ihre Hauptfunktion bestand in der Sitzungsleitung zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit des Repräsentantenhauses als gesetzgebende Versammlung und damit in der Gewährleistung des legislativen Prozesses über alle sektionalen Konflikte und Partei spaltungen hinweg 128 • Die institutionelle Schwäche des Sprecher-Amtes verhinderte während der ersten Phase die Entwicklung des Sprechers zum operativen Schlüsselfaktor im Geschäftsgang des Repräsentantenhauses und reduzierte ihn im wesentlichen auf die Rolle des neutralen, parlamentarischen Moderators. Es erschien daher zweckmäßig, eher gemäßigte Politiker in das Amt zu wählen 129 . Daß von diesem parliamentary speakership bisweilen dennoch starke politische Führung ausgehen konnte, lag an den jeweiligen Persönlichkeiten, nicht am Amt 130. Sehr deutlich trat die Beschränkung auf die rein sitzungsleitend-präsidiale Funktion bei den Sprechern bis zum Jahre 1811 hervor. Dies hat seinen Grund zum einen darin, daß die bis zur Jahrhundertwende dominierenden Federalists bei aller Befürwortung von politisch-hierarchischer Führung den politischen Parteien und deren organisatorischen Erfordernissen ablehnend gegenüberstanden. Die Beschränkung auf die formal-präsidiale Rolle ist zum anderen darauf zurückzuführen, daß die Jeffersonian Republicans (Anti-Federalists), die seit 1801 die Politik bestimmten, unter dem Postulat politischer Gleichheit gegen jede Form von Machtzentralisation waren 131. Das Repräsentantenhaus wurde während dieser Zeit vielmehr von außen, insbesondere durch die Exekutive, politisch geführt. In der Federalist-Ära war es zunächst Präsident Washingtons Finanzminister Alexander Hamilton, der sich selbst als eine Art "Premierminister" betrachtete und Gesetzesvorlagen entwarf, Ausschußberatungen koordinierte und legislative Strategien ausarbeitete 132 . Da diese exekutive Einflußnahme auf die Legislative aber 127 Vgl. Hoadley, Origins of American Political Parties, 1789-1803, S. 58 f.; Swijt, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (18); Peters, The History and Character ofthe Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (3). 128 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 5. 129 V gl. Hoadley, Origins of American Political Parties, 1789 -1803, S. 48. 130 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 5. 131 V gl. Swijt, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (17). 132 Vgl. Binkley, The Powers of the President, S. 14; Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 21 f. Harnilton beabsichtigte sogar, einen Bericht über die Staatsfinanzen selbst vor dem Repräsentantenhaus vorzutragen, konnte aber unter Verweis auf das Parlamentsrecht der Kammer zur schriftlichen Einreichung veranlaßt werden. Dies begründete
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
in zunehmenden Konflikt mit der Gewaltenteilung trat, bediente er sich dazu alsbald bestimmter Vertrauensmänner im Haus als partisan Floor Leaders. Die Jefferson-Administration stützte seit 1801 ihre Form des extern gesteuerten informal party leadership auf die strategisch einflußreichen Vorsitzenden des Ways and Means Comrnittee 133. Allerdings setzten die Sprecher bereits seit dem ersten Kongreß ihre Kompetenz zur Ausschußbesetzung zur Sicherung des politischen Einflusses der sie stützenden politischen Parteiungen ein 134 . Bedenkt man, daß das Ausschußsystem während der ersten zwei Jahrzehnte des Repräsentantenhauses nur von geringer Bedeutung war 135 , so machte die Ausschußbesetzung die frühen Federalist- und Republican-Speaker noch nicht zu Parteiführern, sondern allenfalls zu Hütern von Parteiinteressen 136. Für die Zeit bis 1811 hatte sich damit grundsätzlich ein Dualismus an der Spitze der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus herausgebildet, der dem Speaker lediglich die Rolle des neutralen Parlamentspräsidenten, dem Floor Leader bzw. Vorsitzenden des Ways and Means Comrnittee hingegen die Rolle des politischen Fraktionsführers im Haus zuwies. Seitdem sich aber seit etwa 1797 die Federalists und die Republicans (Anti-Federalists) als zwei geschlossene Abstimmungsblöcke gegenüberstanden und im Jahre 1799 die Speaker-Wahl erstmals einen klaren Parteiwettkampf zwischen Kandidaten beider Gruppierungen darstellte 137 , wurde das Speaker-Amt im Zuge der beginnenden Parteipolarisierung im Haus seit der Jahrhundertwende zu einem aktiveren Teil der Fraktionsführung. Es kam hinzu, daß die mit dem politischen Machtwechsel zu Beginn des 19. Jahrhunderts einhergehenden staatstheoretischen Konzeptionen der Jeffersonian Republicans die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Legislative gegenüber der Exekutive betonten. Sie bereiteten damit den Boden für eine insgesamt stärkere Stellung des bisher gegenüber dem Präsidenten völlig untergeordneten Kongresses und damit auch des Speaker 138 • einen Präzedenzfall, wonach Minister nicht vor der Kammer auftreten, vgl. Swisher, American Constitutional Development, S. 54 sowie Bryce, The American Commonwealth, vol. I, S. 208 und White, The Federalists, S. 68 ff. 133 Vgl. Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (17 f.); Hoadley, Origins of American Political Parties, 1789-1803, S. 51 ff. Siehe ferner auch Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 93 ff.; Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 22. 134 Vgl. Risjord, Partisanship and Power: House Comrnittees and the Powers of the Speaker, 1789-1801, in: William and Mary Quarterly 49 (1992), S. 628 ff. 135 Vgl. Hoadley, The Origins of American Political Parties, 1789-1803, S. 50. 136 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 69. 137 Vgl. Hoadley, The Origins of American Political Parties, 1789-1803, S. 49, 84 f.; Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/ Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (16 f.). 138 Vgl. Cooper, Congress and its Comrnittees, S. 10; Follett, The Speaker ofthe House of Representatives, S. 68.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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Den entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Speaker-Amtes zu einer eigenständigen politischen Plattform von nationaler Bedeutung stellte die Amtszeit Speaker Henry Clays dar. Dieser im Jahre 1810 an der Spitze einer Reihe von militant-nationalistischen Abgeordneten, den sog. "War Hawks", ins Repräsentantenhaus gewählte Politiker, der von der übergeordneten Rolle des Kongresses gegenüber dem Präsidenten überzeugt war, hatte das Speaker-Amt zwischen 1811 und 1825 insgesamt sechs Mal inne. Er war der erste Sprecher, der das gesamte ihm zur Verfügung stehende Spektrum institutioneller, parteipolitischer und persönlicher Ressourcen nutzte, um das Speaker-Amt in ein sowohl parlamentarisch-präs idiales als auch parteipolitisches Führungsamt zu verwandeln. Clay legte damit die Grundlage für das modeme Verständnis des "majoritarian" oder "partisan" Speaker 139 . Seiner Auffassung zufolge, mußte der politische Führer des Repräsentantenhauses anders als ein von der Exekutive bestimmter Floor Leader oder ein vom Sprecher eingesetzter Ausschußvorsitzender den Abgeordneten gegenüber direkt verantwortlich sein. Nach Clays Ansicht konnte somit nur der von den Abgeordneten gewählte Sprecher der eigentliche politische Mehrheitsführer sein 140. Clay verstand als erster Sprecher, daß er mit einer strikten Durchsetzung selbst der damals wenig elaborierten Geschäftsordnungsregeln das Repräsentantenhaus unter seine Führung zwingen konnte, und setzte die formellen Kompetenzen seines Amtes vehement zur Erreichung parteipolitischer Ziele ein l41 . Hierzu bediente er sich insbesondere des präsidialen Rechts zur Worterteilung 142 . Clay nutzte aber auch erstmals systematisch und gezielt seine Kompetenz zur Besetzung der ständigen Ausschüsse, die dem Sprecher seit dieser Zeit für ein Jahrhundert unwidersprochen zustand. So besetzte er die Ausschüsse mit verbündeten Abgeordneten in erster Linie zur Sicherung seiner anfangs vor allem nationalistischen, kriegsorientierten Politik gegenüber England l43 • Darüber hinaus erweiterte er das Ausschuß139 Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 100 ff.; Brown, The Leadership of Congress, S. 35; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 71; Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789 - 1869, in: Davidson / Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (19 ff.); Cooper, The Origins of the Standing Committees and the Development of the Modem House, S. 47; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 388 f. 140 Vgl. Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Deveiopment of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (21). 141 Vgl. MacNeil, Forge of Democracy, S. 67; Congressional Quarterly, The Speaker of the House, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1848); Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 72. 142 So insbesondere in Bezug auf seinen Opponenten John Randolph, vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 73; Committee on House Administration, History ofthe United States House ofRepresentatives, 1789-1994, S. 100 f. 143 Vgl. hierzu Brown, The Leadership of Congress, S. 37 sowie insgesamt Cooper, The Origins of the Standing Committees and the Development of the Modem House, S. 61 ff. Anders Risjord, Partisanship and Power: House Committees and the Powers of the Speaker,
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
system. Dieses hatte 1811 noch aus neun ständigen Ausschüssen bestanden und wurde allein im Jahre 1816 um sechs Ausschüsse zur Überwachung der exekutiven Regierungstätigkeit vergrößert. Insgesamt erhöhte Clay die Zahl der ständigen Ausschüsse bis 1825 auf 25. Außerdem machte er die ständigen Ausschüsse zu einem festen Bestandteil der Organisationsstruktur des Hauses, da von nun an der größte Teil der Gesetzgebung an die Ausschüsse verwiesen wurde. Er stärkte ihre Machtstellung, indem die Ausschüsse Vorlagen nicht mehr an das Plenum weiterleiten mußten und sie somit ex ante scheitern lassen konnten 144. Speaker Clay stützte seine Führung indes nicht nur auf seine formellen Kompetenzen, sondern auch auf die uneingeschränkte Wahrnehmung seiner Abgeordnetenrechte. So nahm er wie jedes andere Mitglied des Repräsentantenhauses an Abstimmungen teil. Er beteiligte sich auch aktiv an den Debatten des Hauses, sofern dieses als Committee of the Whole tagte. Clay begründete damit für seine Nachfolger die Tradition, wonach ein zum Sprecher gewählter Abgeordneter nicht auf seine parlamentarischen Teilnahmerechte zu verzichten hat l45 • Der Aufstieg des Sprecher-Amtes unter Clay "placed hirn [the SpeakerJ, ... , in the position of central or integrative leader; made hirn director, agent, ... , even assembler of the most broad-based coalition in the House,,146.
Indem Clay das Sprecher-Amt zum zentralen Führungsamt in der Organisationsstruktur des Hauses sowie zum Hauptmobilisator und wichtigsten Instrument des Mehrheitswillens im Haus machte, verschaffte er dem Repräsentantenhaus die Fähigkeit zur Selbststeuerung und schuf die Grundlage für die politische Unabhängigkeit des Kongresses von der Exekutive l47 . Clay nutzte die strategische Macht1789-1801, in: William and Mary Quarterly 49 (1992), S. 628 ff. (630), der davon ausgeht, daß die Instrumentalisierun.g der Ausschußbesetzung zu parteipolitischen Zwecken spätestens im Jahre 1801 üblich war. Ahnlich Maxey, der in der Ausschußbesetzung durch den Sprecher seit 1790 die Grundlage für dessen Macht als politischer Führer sieht, vgl. Maxey, The Powers ofthe Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (344 f.). 144 V gl. Gramm / Shepsle, Emergence of Legislative Institutions: Standing Committees in the House and Senate, 1810-1825, in: LSQ 14 (1989), S. 39 ff. (47); zur institutionellen Stärkung der Ausschüsse unter Clay siehe Jenkins, Property Rights and the Emergence of Standing Committee Dominance in the Nineteenth-Century House, in: LSQ 23 (1998), S. 493 ff. (503); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 101; Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Harnmond/ Smock, Masters ofthe House, S. 9 ff. (22). 145 V gl. FolZett, The Speaker of the House of Representatives, S. 74 f.; MacNeil, Forge of Democracy, S. 68; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 101; Swift, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789 -1869, in: Davidson / Hammond / Smock, Masters ofthe House, S. 9 ff. (22). 146 Cooper, The Origins of the Standing Comittees and the Development of the Modern House, S. 64. 147 V gl. Cooper, The Origins of the Standing Committees and the Development of the Modern House, S. 59.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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basis des Sprecher-Amts zur direkten Einflußnahme auf die nationale Politik, vor allem auf die Außenpolitik, und transfonnierte das Amt zum nationalen politischen Führungsamt. Dies wurde insbesondere in der Frage der Kriegserklärung gegenüber England im Jahre 1812 deutlich, als Clay seine aggressive Militärpolitik gegenüber der Zurückhaltung Präsident Madisons durchsetzte. Es zeigte sich aber auch in der Durchsetzung seiner Schutzzollpolitik und der Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegungen in Südamerika und Griechenland gegenüber Präsident Monroe. Zwischen 1811 und 1825 dominierte Speaker Clay die amerikanische Politik und daher markiert seine Amtszeit zugleich eine Phase der Unterordnung des Präsidenten unter den Kongreß und seinen Sprecher 148 . In den folgenden vier Jahrzehnten bis zum Sezessionskrieg erfuhr das SprecherAmt keine wesentlichen institutionellen Änderungen. Es erlitt im Zuge der zunehmenden Destabilisierung des politischen Systems bis zum Bürgerkrieg indes einen deutlichen politischen Machtverlust. Zwar trat das Amt unter den Sprechern Stevenson (1827 - 1834) und Polk (1835 - 1839) noch deutlich als politisches Führungsamt zur Unterstützung der energischen Politik Präsident Jacksons hervor 149 . Doch erschwerte die seit dieser Zeit stetig zunehmende politisch-moralische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und geographische Teilung des Landes aufgrund der sich verschärfenden Sklavenfrage auch die politische Mehrheitsbildung im Kongreß 150. Dies entzog dem Speaker die Machtbasis für eine politische Führung. Von 1839 bis 1863 blieb das Amt nahezu ausnahmslos nicht länger als für die Dauer eines Kongresses in den Händen desselben Amtsinhabers 151 • In den Jahren 1839, 1849, 1855 und 1859 konnte aufgrund der enormen politischen Fragmentierung des Repräsentantenhauses kaum ein Sprecher gewählt werden. Dies führte 1849 und 1855 dazu, daß man für die Sprecher-Wahl schon die einfache statt der absoluten Mehrheit ausreichen ließ 152 . Bei den Sprechern dieser Zeit handelte es sich zumeist um Mediokritäten, die als Kompromißkandidaten gewählt wurden, 148 Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 77 ff.; Brown, The Leadership of Congress, S. 38; SwiJt, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development ofthe Speakership, 1789-1869, in: Davidson/Hammond/Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (21 f.); Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 22 f.; White, The leffersonians (1801-1829), S. 55. 149 Vgl. Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1848); Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 84, 87; SwiJt, The Start of Something New: Clay, Stevenson, Polk, and the Development of the Speakership, 1789 - 1869, in: Davidson I Hammond I Smock, Masters of the House, S. 9 ff. (27); Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 23. Zur Macht des Präsidentenamtes vgl. White, The lacksonians (1829-1861), S. 20 ff. 150 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 49 f.; MacNeil, Forge ofDemocracy, S. 72 f. 151 Siehe Anhang I. 152 Siehe zu den contested elections Lientz, House Speaker Elections and Congressional Parties, 1789-1860, in: Capitol Studies 6 (1978), S. 63 ff. sowie Moser, The Speaker and the House, S. 26 ff. Siehe ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 87 sowie Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 386 f.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Arntes
weil sie gerade nicht die wahren Führer ihrer jeweiligen politischen Gruppierungen waren 153. Ihre Funktion beschränkte sich infolgedessen im wesentlichen auf die bloße Aufrechterhaltung des parlamentarischen Geschäftsgangs 154. Der Wandel der politischen Verhältnisse wird besonders deutlich beim Vergleich der SprecherWahlen Clays (1811) und Penningtons (1859), die beide als einzige Sprecher in der Geschichte des Repräsentantenhauses an ihrem ersten Abgeordnetentag in das Amt gewählt wurden. Während die Wahl auf Clay fiel, gerade weil er für eine ganz bestimmte Politik stand, wählte man Pennington, weil es unmöglich war, einen erklärten Vertreter einer politischen Richtung zum Sprecher zu wählen i55 . Die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs markiert schließlich den historischen Tiefpunkt der politischen Bedeutung des Sprechers. Sie schloß eine Phase des Sprecher-Amtes ab, in der das Amt zwar schon gewisse funktionale Konturen, aber noch keine institutionelle Stärke entwickelt hatte l56 . 11. Partisan Speakership (1866-1910) Wahrend der folgenden fast fünf Jahrzehnte entwickelte sich das Sprecher-Amt geradlinig von seinem Tiefpunkt an politischer Bedeutungslosigkeit zur Zeit des Bürgerkrieges zu seinem Zenith an absoluter politischer Macht während der Amtszeit Speaker Cannons (1903 - 1911). Diese Entwicklung fand ihr Ende in der Hausrevolte des Jahres 1910. Insgesamt erwies sich das Sprecher-Amt in dieser Phase als der eigentliche Nutznießer der Geschäftsordnungsreformen, die im 19. Jahrhundert zur Verbesserung der Gesetzgebungsfähigkeit des Repräsentantenhauses durchgeführt worden waren i57 • Das halbe Jahrhundert zwischen 1860 und 1910 war geprägt durch eine zunehmende Nationalisierung der amerikanischen Politik, die sich in einer Machtzentralisation des politischen Systems niederschlug l58 . Der Grund für diese Entwicklung liegt im Ausgang des Bürgerkriegs, der die Lincoln-Republikaner, die im Sezessionskrieg für den Erhalt der Nation eingetreten waren, zur dominierenden Partei der partisan era machte. Die Republikanische Partei zielte nach Ende des Bürgerkriegs darauf, den Nationalstaat auszubauen und zu festigen und propagierte daher eine starke Bundesgewalt gegenüber den Rechten der Einzelstaaten 159. Die Republika153 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 96; MacNeil, Forge of Dernocracy, S. 73. 154 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 5, 51. ISS Vgl. Follett. The Speaker ofthe House ofRepresentatives, S. 71. 156 Vgl. Peters. The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (4). 157 V gl. Cooper; The Origins of the Standing Committees and the Development of the Modem House, S. 59. 158 Vgl. Keller; Affairs of State, S. 38 ff.; Schlesinger; Der Aufstieg der USA, 1865-1951, S. 202; Peters, The Arnerican Speakership, S. 86.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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ner waren aber auch deshalb die natürliche Mehrheitspartei jener Zeit, weil ihr politisches Spektrum die neuen konservativen Forderungen des auf die Wiedereingliederungsphase (Reconstruction, 1865 - 1877) folgenden "Gilded Age" der amerikanischen Gründerzeit deutlicher widerspiegelte als das der Demokraten. Industrialisierung, laissez-faire-Pragmatismus, Materialismus und Kommerzialismus waren in erster Linie Republikanisch besetzte Themen l6o . Die bedeutendste Folge der Machtzentralisation war die Entstehung eines stabilen, polarisierten Zwei-Parteien-Systems in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die damit verbundene Entwicklung der Parteiherrschaft, des party government, im Repräsentantenhaus. Ein weiteres Merkmal der amerikanischen Politik im späten 19. Jahrhundert war der Triumph der "organizational politics". Stil, Ton und Struktur der Parteipolitik verlagerten sich von einer ideologischen auf eine organisatorische Basis. Das Ergebnis war das Aufkommen von hoch organisierten, modemen Parteimaschinen und fachmännischen Berufspolitikern 161. Die Republikanische Partei dominierte in der partisan era das Präsidentenamt und den Kongreß nicht zuletzt deshalb, weil sie im Gegensatz zur Demokratischen Partei über eine weitaus größere Homogenität und Einheitlichkeit verfügte. Sie besaß infolgedessen eine stärkere Fähigkeit zur internen Machtkonzentration und zur Einführung institutionalisierter Führungsstrukturen. Die Republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus war daher auch verglichen mit der Demokratischen ein effektiveres Instrument zur zentralen politischen Führung in den Händen ihrer Sprecher l62 . Die durch das Zwei-Parteien-System, besonders durch die Republikanische Partei, bewirkte Machtkonzentration innerhalb des Repräsentantenhauses führte zu einer enormen institutionellen Stärkung des Sprecher-Amtes und ließ dieses schließlich in der Parteihierarchie als das stärkste zentrale politische Führungsamt hervortreten l63 . Die institutionellen Änderungen im Repräsentantenhaus in der Phase des party government übertrugen die effektive Steuerung des parlamentarischen Verfahrens auf den Sprecher und die Mehrheitsfraktion und machten somit das Repräsentantenhaus zu einer Institution der reinen Mehrheitsherrschaft. In der partisan era tritt damit die Funktion des Sprechers als politischer Führer einer geschlossen
Vgl. White, The Republican Era (1869-1901), S. 14 ff. Vgl. Nagler, Territoriale Expansion, Sklavenfrage, Sezessionskrieg, Rekonstruktion, 1815 -1877, in: Adams/Lösche, Länderbericht USA, S. 42 ff. (67); Brown, The Leadership of Congress, S. 72. 161 Vgl. insgesamt Keller, Affairs of State, S. 238 ff., 245, 522 und White, The Republican Era (1869-1901), S. 10 ff. 162 Vgl. Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise ofParty Government, in: Davidson/ Hammond/Smock, Masters ofthe House, S. 33 ff. (35 ff.); Cooper/ Brady, Institutiona1 Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (414); Peters, The American Speakership, S. 86 ff.; MacNeil, Forge of Democracy, S. 74. Ferner insgesamt White, The Republican Era (1869-1901), S. 49 ff. 163 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 307; Peters, The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (4). 159
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
hinter ihm stehenden Fraktionsmehrheit gegenüber seiner Funktion als Parlamentsmoderator am deutlichsten in den Vordergrund l64 . Neben der Festigkeit des Zwei-Parteien-Systems haben auch die herausragende Persönlichkeit bestimmter Sprecher der Periode des partisan speakership sowie die relative Schwäche des Präsidenten gegenüber dem Kongreß zu der besonderen politischen Stärke und der nationalen Bedeutung des Sprecher-Amtes während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beigetragen l65 . Der Umfang des administrativen Apparates und der institutionellen Kompetenzen des Präsidenten war unvergleichbar geringer als im 20. Jahrhundert. Die Außenpolitik, die bedeutendste Prärogative des Präsidenten, spielte während des amerikanischen Isolationismus im 19. Jahrhundert praktisch keine Rolle. Vor allem aber hatte der Präsident bei der Ausgabenpolitik der Exekutivbehörden nur ein geringes Mitspracherecht. Denn die Ausgaben der Exekutive waren in erster Linie abhängig vom Appropriations Committee des Repräsentantenhauses. Der Präsident war über weite Strecken zu sehr in die Wirren der Parteipolitik und Patronage eingebunden, als daß er seine politische Leitungsaufgabe effektiv wahrnehmen oder gar visionäre politische Programme entwerfen konnte l66 . Die Formulierung der amerikanischen Politik ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Kongreß aus, was Woodrow Wilson im Jahre 1885 dazu veranlaßte, diese Phase als "congressional government" zu bezeichnen. Nach ihm war der Kongreß jener Zeit "the predominant and controlling force, the centre and source of all motive and of all regulative power,,167. Die Gründe für die politische Dominanz des Kongresses in jener Zeit waren vielschichtig. Zu nennen sind insbesondere die Anwesenheit von einzelstaatlichen oder kommunalen Parteiführern als Senatoren und Abgeordnete im Kongreß, die Kontrolle des Kongresses über die Haushalts- und Finanzpolitik, die Schwäche des Präsidenten und das Fehlen einer starken, unabhängigen Bürokratie, die zunehmende Zentralisierung politischer Führung im Kongreß und die Institutionalisierung des parlamentarischen Verfahrens 168. Ausgangspunkt der Entwicklung zu einer Zentralisation von institutioneller Macht beim Sprecher als Mehrheitsführer im Haus waren im wesentlichen die veränderten politischen Rahmenbedingungen, denen das Repräsentantenhaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterworfen war. Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Aufnahme neuer Staaten in die Union stieg die Zahl der Abgeordneten von 243 im Jahre 1868 auf 357 im Jahre 1898 an. Gleichzeitig markiert dieser Zeitraum den Übergang von der hohen Abgeordnetenfluktuation des frühen Vgl. MacNeil, Forge of Democracy, S. 73. Vgl. Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise of Party Government, in: Davidson / Hammond/ Smock, Masters of the House, S. 33 ff. (39 f.); Peters, Speaker of the House, in: Bacon / Davidson / Keller, Encyc1opedia, S. 1861. 166 Vgl. Keller, Affairs of State, S. 297 ff.; Bryce, The American Commonwealth, vol. I, S. 53 f., 65; Peters, The American Speakership, S. 89. 167 Wilson, Congressional Government, S. 31. 168 Vgl. Keller, Affairs of State, S. 299. 164
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Repräsentantenhauses zu den langen Abgeordnetenzeiten des 20. Jahrhunderts l69 . Während zwischen 1841 und 1881 durchschnittlich noch ca. 50% der Abgeordneten in jedem Kongreß neu gewählt wurden, fiel diese Zahl zwischen 1881 und 1901 zunächst auf ca. 40% und bis 1920 schließlich auf ca. 25% ab. Mit der längeren Amtszeit der Abgeordneten bildeten sich Spezialisierung und Senioritätsprinzip als Anspruchsgrundlagen für einen gebührenden Platz im Ausschußwesen des Hauses heraus 170. Das Gesetzesvolumen und damit die Arbeitsbelastung des Repräsentantenhauses erhöhte sich vor allem aufgrund der rapiden Zunahme der von den einzelnen Abgeordneten eingebrachten private bills 171 im Zeitraum zwischen 1859 und 1893 um das Zehnfache. Diese Entwicklung war zum einen darauf zurückzuführen, daß die Abgeordneten seit 1870 die Interessen ihrer Wähler stärker fokussierten als die Politik der Einzelstaaten. Zum anderen beruhte sie darauf, daß nach dem Bürgerkrieg ein größeres Bedürfnis der Wähler nach Rentenzahlungen und staatlichen Ersatzleistungen bestand 172 . Schließlich verschärften sich die programmatische Abgrenzung und damit der parteipolitische Gegensatz zwischen Republikanern und Demokraten. Entsprechend ihrer inneren Struktur wurden die Republikaner zur klassischen Partei des "majoritarian party government" und die Demokraten zur Partei der Minderheitsrechte 173 . Vor diesem Hintergrund vollzog sich die Machtzentralisation im Repräsentantenhaus in drei Phasen. Die erste Phase diente der Herstellung von Effizienz in einem zunehmend größer und schwerfälliger werdenden Parlament l74 . Die Macht des Sprechers zur partei politischen Einflußnahme auf die Gesetzgebung sowie zur Belohnung und Bestrafung von einzelnen Abgeordneten, die sich seit 1790, vor allem aber seit der Amtszeit Clays, auf das Recht des Sprechers zur Ausschußbesetzung gestützt hatte, wurde in den 1870'er und 1880'er Jahren um zwei wesentliche Grundlagen erweitert. So kam es zu einer bedeutenden Stärkung der Ermessensentscheidung des Sprechers bei der Worterteilung. Bereits Speaker Blaine (18691875) hatte die Entscheidung des Sprechers über die relative Wichtigkeit mehrerer Anträge zur alleinigen Grundlage der Worterteilung gemacht, so daß die Worterteilung stärker als zuvor in das Ermessen des Sprechers fiel. Speaker Randall (18761881) ging noch einen Schritt weiter. Er entzog die Entscheidung über die Worterteilung dem Einspruchsvorbehalt des Hauses und sicherte dem Sprecher damit ein 169 Vgl. hierzu insgesamt Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise of Party Government, in: Davidson/Hammond/ Smock, Masters of the House, S. 33 ff. (36) m. w. N. 170 V gl. Boinville, Origins and Development of Congress, S. 124 f.; siehe 4. Kap. A. I. 1. b) cc) (1). 171 Siehe 1. Kap. G. I. 172 V gl. zu den Zahlen wie zu der Gesamtentwicklung des Arbeitsvolumens des Repräsentantenhauses im 19. Jahrhundert Cooper/ Young, Bill Introduction in the Nineteenth Century: A Study ofInstitutional Change, in: LSQ 14 (1989), S. 67 ff. (83 ff., 99). 173 V gl. Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise of Party Govemment, in: Davidson / Hammond / Smock, Masters of the House, S. 33 ff. (37). 174 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 88.
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absolutes Instrument zur Debattensteuerung. Abgeordnete, die von der Geschäftsordnung nicht privilegierte Anträge stellten, waren bei der Worterteilung fortan vollständig auf das Wohlwollen des Sprechers angewiesen, der ihnen das Wort aus persönlichen oder parteipolitischen Gründen verweigern konnte 175. Daneben entwickelte sich das Rules Committee, dessen Vorsitzender der Sprecher seit 1858 war und das seit 1883 über die Kompetenz zur Ausarbeitung von Sonderverfahren zur beschleunigten Verabschiedung bestimmter Gesetzesvorlagen verfügte, zum bedeutendsten Machtinstrument in den Händen des Sprechers l76 • Am Ende der 1880'er Jahre verliehen das Recht der Worterteilung, der Vorsitz des Lenkungsausschusses und die Kompetenz zur Ausschußbesetzung dem Sprecher weitreichende Möglichkeiten zur Einflußnahme auf einzelne Abgeordnete sowie auf die Effizienz des parlamentarischen Verfahrens insgesamt. Die Sprecher zwischen 1869 und 1889 trugen erstmals selbst in der Geschichte des Amtes mittels ihrer Kompetenzen zu einer institutionellen Machterweiterung des Amtes bei. Zu einer auf der Geschäftsordnung beruhenden umfassenden Kontrolle des Repräsentantenhauses durch den Speaker kam es jedoch noch nicht l77 . Die zweite Phase der Machtzentralisation im Repräsentantenhaus war gekennzeichnet durch die Überwindung der Obstruktion der Minderheit durch den Sprecher, um die Durchsetzung der Politik der legislativen Mehrheit zu gewährleisten. Sie ist daher untrennbar mit den sog. "Reed-Rules" des Jahres 1890 verbunden. Anders als seine Vorgänger hatte Speaker Reed (1889-1891, 1895-1899) nicht nur die Gefahr erkannt, die sich aus dem Mißbrauch von parlamentarischen Minderheitsrechten für die Effizienz des Gesetzgebungsverfahrens ergeben konnte, sondern war auch entschlossen, etwas dagegen zu tun. In den 1870'er und 1880'er Jahren hatten einzelne Abgeordnete in zunehmendem Maße versucht, durch überlange Reden oder zeitraubende Anträge auf namentliche Abstimmungen das parlamentarische Verfahren zu verzögern bzw. durch ihre Nichtteilnahme an Abstimmungen trotz Anwesenheit im Plenarsaal das Zustandekommen des erforderlichen Quorums und damit die Verabschiedung von Gesetzen seIbst zu verhindern 178 . Der 175 Vgl. Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1850); Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise ofParty Govemment, in: Davidson I Hamrnond I Smock, Masters of the House, S. 33 ff. (41 ff.); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 102f. 176 Vgl. hier nur Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1849 f.); siehe 5. Kap. B. 111. 1. 177 Vgl. Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise of Party Govemment, in: Davidson I Hammond I Smock, Masters ofthe House, S. 33 ff. (43). 178 Vgl. zur Obstruktion insgesamt Reed, Obstruction in the National House, in: North American Review 149 (1889), S. 421 ff. (422 f.); ders., Rules of the House of Representatives, in: Century 37 (1889), S. 792 ff. (794); Cannon, The Power of the Speaker, in: The Century 78 (1909), S. 306 ff. (307); Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (159); Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (468); Maxey, The Powers
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Einsatz dieser dilatory tactics führte teilweise zu einer regelrechten Blockade der Gesetzgebung. Mit Hilfe der Reed-Rules von 1890 setzte Speaker Reed u. a. zwei weitreichende Geschäftsordnungsänderungen durch. Erstens brauchte der Sprecher zukünftig solchen Anträgen nicht mehr stattzugeben, die auf die Verzögerung des parlamentarischen Verfahrens zielten. Zweitens durften nichtabstimmende Abgeordnete zum Zwecke des Zustandekommens eines Quorums mitgezählt werden. Mit der Durchsetzung dieser kompetentiellen Erweiterung des Sprecher-Amtes sicherte Speaker Reed nicht nur den Charakter des Repräsentantenhauses als deli berative assemblyl79. Er begründete vielmehr auch das unanfechtbare Recht der Mehrheitsfraktion und damit des Sprechers zur Steuerung des parlamentarischen Verfahrens und trieb die institutionelle Machtkonzentration im Sprecher-Amt auf ihren Höhepunkt 18o • Seine unnachgiebige Durchsetzung der Mehrheitsherrschaft im Haus brachte Speaker Reed als erstem die Titulierung "Czar" ein l81 . Die Ausformung der parlamentsrechtlichen Kompetenzen des Sprechers am Ende des 19. Jahrhunderts hat nicht zuletzt auch dem Bedürfnis der entstandenen politischen Parteien nach effektiver Führung Rechnung getragen 182. Die letzte Phase war die eigentliche Zentralisation von Macht im Sprecher-Amt. Speaker Cannon (1903 -1911) nutzte schließlich die institutionelle Grundlage einer starken politischen Führung des Repräsentantenhauses, die seine Vorgänger geschaffen hatten, um das System der Parteiherrschaft im Repräsentantenhaus in ein System des legislativen Despotismus zu verwandeln l83 . Zwar hatten bereits seine Vorgänger ihre Kompetenzen, v.a. die Ausschußbesetzung und die Worterteilung, zur Förderung ihrer eigenen bzw. der politischen Interessen ihrer Partei genutzt. Insbesondere hatte Speaker Reed die Obstruktions taktik der Minderheit parlamenofthe Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (347 f.); VI Cannon's Precedents, preface, S. vi. 179 In diesem Sinne Stevens, The Rules of the House of Representatives: A Defense., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 470 ff. Anders Carlisle, The Limitations of the Speakership, in: North American Review 150 (1890), S. 390 ff., der in den Reed-Rules gerade die Zerstörung des freien, repräsentativen Charakters des Parlaments sah. ISO Siehe die Zusammenstellung der Konsequenzen der Reed-Rules für das parlamentarische Verfahren bei Cooperl Young, Bill Introduction in the Nineteenth Century: A Study of Institutional Change, in: LSQ 14 (1989), S. 67 ff. (94 ff.). Vgl. auch Follett, The Speaker of the Houseof Representatives, S. 190 ff.; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 104 f.; Maxey, The Powers of the Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (345 f.); Peters, The American Speakership, S. 62 ff.; Strahan, Thomas Brackett Reed and the Rise of Party Government, in: Davidsonl Hamrnond I Smock, Masters of the House, S. 33 ff. (51); Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 389 f. Siehe ferner auch die Darstellung der Amtszeit Reeds in Tuchman, Der stolze Turm, S. 146 ff. ISI Vgl. hier nur Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S. 163. IS2 Vgl. Hasbrouck, Party Government in the House of Representatives, S. 83; siehe ferner auch McClellan, Leadership in the House of Representatives, in: Scribner's Magazine 49 (1911), S. 594 ff. (595). IS3 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 76.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
tarisch gezähmt und die Herrschaft der Mehrheitsfraktion konsolidiert. Doch die Amtszeit Speaker Cannons markiert die Kulmination des sich während des 19. Jahrhunderts vollziehenden Trends zu einer immer größeren Machterweiterung des Sprecher-Amtes. Die Periode des sog. "Cannonism" ist gekennzeichnet durch die praktisch absolute Kontrolle des Sprechers über das parlamentarische Verfahren, durch ein System der autokratischen Ein-Mann-Herrschaft unter der Ägide der Parteiherrschaft 184. Speaker Cannon nutzte die ihm zu Gebote stehenden Mittel nach seiner Willkür zur Förderung des Gesetzgebungsprogramms der Mehrheitsfraktion, ohne die formellen Kompetenzen des Amtes selbst zu erweitern 185. Dabei stützte er seine Macht erstens auf das Recht zur Ernennung aller Ausschußmitglieder, der Mehrheits- ebenso wie der Minderheitsfraktion, zweitens auf das Recht zur Bestimmung der Ausschußvorsitzenden, drittens auf die Kompetenz zur Verweisung der Gesetzesvorlagen an die jeweiligen Ausschüsse, viertens auf das Worterteilungsrecht und fünftens auf die aus seiner Funktion als Vorsitzender des Lenkungsausschusses folgende Kompetenz zur Steuerung der Tagesordnung l86 . Daneben stellte die starke Fraktionsgeschlossenheit eine wichtige Stütze der Macht des Sprechers als Fraktionsführer dar. Auf der Grundlage dieser Parteiloyalität konnte der Sprecher mit Hilfe bindender Beschlüsse der Fraktionsvollversammlung über eine Mehrheit in der Fraktion die Mehrheitsentscheidungen des Hauses bestimmen. Cooper I Brady haben überzeugend nachgewiesen, daß die Interaktion der formellen Kompetenzen des Sprechers und des Einflusses, der aus seiner Funktion als Führer einer geschlossenen Fraktion folgt, die Ursache für die hoch zentralisierte Machtstruktur im Repräsentantenhaus der Jahrhundertwende war 187 . Im Ergebnis führte die Schlüsselstellung des Speaker im Machtgefüge des Repräsentantenhauses dazu, daß ohne die Zustimmung des Sprechers kein Gesetz ver184 Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 106; Peters, The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (4). 185 Vgl. Bolling, Power in the House, S. 63 f.; Peters, The American Speakership, S. 82 f.; MacNeil, Forge of Democracy, S. 78; Rager, Unc1e Joe Cannon: The Brakeman of the House of Representatives, 1903-1911, in: Davidson I Harnmond I Smock, Masters of the House, S. 63 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 391. 186 Vgl. Baker, The Character ofthe Congressional Revolution of 1910, in: The Journal of American History 60 (1973), S. 679 ff. (680); Cockrell, The Place and the Man, in: The Arena 22 (1899), S. 653 ff.; Cannon, The Power of the Speaker, in: The Century 78 (1909), S. 306 ff. sowie unter besonderer Betonung der Bedeutung der Kompetenz zur Ausschußbesetzung Hinds, The Speaker and the House, in: McClure's Magazine 35 (1910), S. 195 ff. und ders., The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. Ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 106 und Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 49. 187 V gl. Cooper I Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (413).
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abschiedet werden konnte 188 • Ein Vergleich dieser politischen Vetogewalt des Sprechers mit der verfassungsrechtlichen Veto gewalt von Senat und Präsident unterstreicht die Machtstellung des Speaker: "Instead of leaving to the Senate and the President the veto power upon the action of the House, as designed by the fathers of the Constitution, he arrogates to himself this power. He has become far more arestraining power upon the House than either the Senate or the President,,189. "The House of Representatives ... is no longer the legislative power, but it is not even the maker of the legislative power; it is but the maker of the real maker, the Speaker of the House ofRepresentatives,,190.
Die willkürliche Ausübung seiner persönlichen Kontrolle über das Schicksal einzelner Gesetzesvorlagen wie über die Karriere der einzelnen Abgeordneten verlieh Cannons Macht geradezu einen autokratischen Charakter. Sie führte in der Öffentlichkeit ein weiteres Mal zur Bezeichnung des Sprechers als "Zar" und "Tyrann,,!91. Zu Beginn des 61. Kongresses im Jahre 1909 hatte die politische Macht des Sprechers ihren Höhepunkt erreicht. Während das Sprecher-Amt unter Speaker Reed von zeitgenössischen Historikern noch als das zweitmächtigste politische Amt neben dem Präsidenten 192 bezeichnet worden war, wurde es unter dem zweiten Republikanischen Zar, Speaker Cannon, sogar als das mächtigste Amt im ame188 Vgl. Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 299; Peters, The American Speakership, S. 82. 189 Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (465). 190 Follett, The Speaker ofthe House ofRepresentatives, S. 247. 191 V gl. RageT, Unc1e loe Cannon: The Brakeman of the House of Representatives, 19031911, in: Davidson/Harnmond/Smock, Masters of the House, S. 63 ff. (64); Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 299; MacNeil, Forge of Democracy, S. 79 f.; "system of personal government": Hasbrouck, Party Government in the House of Representatives, S. 90; Brown, The Leadership of Congress, S. 158 ff. Siehe auch Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (465). Dagegen Cannon, The Power of the Speaker, in: The Century 78 (1909), S. 306 ff., der betont, daß allein die konsequente Anwendung der Geschäftsordnungsregeln durch den Sprecher die Durchsetzung des Mehrheitswillens und die Bewältigung des umfangreichen Arbeitsvolumens des Repräsentantenhauses gewährleiste. 192 Zur Zeit Speaker Reeds wurde die Macht des Sprechers als "the central feature of our actual system of government" bezeichnet, siehe Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. vii, und Albert Bushnell Harts Einleitung zu Follett, a. a. 0., enthält auf Seite xi folgende Charakterisierung des Sprechers: "No one who looks below the surface of our national political system can fail to see that the Speaker is, next to the President, the most powerful man in the nation, and that his influence increases." Siehe aber auch schon zum "Czarism" unter Speaker Reed Hart, The Speaker as Premier, in: ders., Practical Essays on American Government, S. 1 ff. (19): "Since the legislative departrnent in every department constantly tends to gain ground at the expense of the executive, the Speaker is likely to become, and perhaps is already, more powerful, ... , than the President of the Uni ted States." Ähnlich auch Cockrell, in: The Arena 22 (1899), S. 653 ff. (653): "whose political power is exceeded only by that of the President and whose authority within certain limits is even greater than his."
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rikanischen Regierungssystem angesehen 193 . Andere verglichen den Sprecher aufgrund seiner Kompetenz zur Agendasteuerung und seiner Verantwortlichkeit gegenüber der Mehrheitsfraktion im Haus mit dem britischen Premierminister. Sie wiesen damit auf den parlamentarischen Charakter hin, den das präsidentielle amerikanische Regierungssystem unter Speaker Cannon angenommen hatte 194 . Cannon nutzte seine Kompetenzen restlos zur Blockade der von liberalen Republikanern und Demokraten unterstützten Gesetzgebung aus. Er hatte die Geschäftsordnungsregeln, die zur Verhinderung eines Minderheitsobstruktionismus durch die Gewährleistung der Mehrheitsherrschaft konzipiert worden waren, zugunsten eines Obstruktionismus durch den Sprecher und das Rules Comrnittee pervertiert. Dies führte zu einer faktischen Unterdrückung des gesetzgeberischen Willens des Repräsentantenhauses, der sich nicht mehr nur auf die Mehrheitsfraktion selbst stützte, sondern zunehmend auf eine neu entstandene parteiübergreifende Hausmehrheit 195 . In den Jahren 1908 und 1909 wurde die öffentliche Kritik am Cannoni sm auf seiten der Presse und der Politik immer lauter 196 . Sie gipfelte schließlich 193 So Fuller, The Speakers of the House, S. 269: "This system in reality made hirn more powerful than the President of the United States. Without his consent and assistance, legislation was practically impossible. The President might recommend, but the Speaker dictated, legislation. He not only decided what legislation should be permitted, but he even shaped the form of that legislation to comply with his own personal ideals." Ähnlich auch die Einschätzung Browns, The Leadership of Congress, S. 102: "The Speaker of the House of Representatives was the undoubted second officer of the government. He towered at times above the President, with whom, in power he was virtually co-eq~al." Fullers Charakterisierung der Macht des Sprechers als "diktatorisch" stellt indes eine Ubertreibung dar. So konnte sich etwa Speaker Reed selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht in so wichtigen politischen Fragen wie dem Krieg gegen Spanien, der Annexion von Hawai oder dem Erwerb der Philippinen nicht gegen die Hausmehrheit durchsetzen und Speaker Cannons Macht endete ebenfalls in seiner persönlichen Niederlage gegenüber der Hausmehrheit. Vgl. insgesamt MacNeil, Forge ofDemocracy, S. 77 f. 194 Vgl. Hart, The Speaker as Premier, in: ders., Practical Essays on American Government, S. I ff.; Maxey, The Powers of the Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (348); Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (465 f.), der indes auf die Unterschiede zwischen dem amerikanischen Speaker und dem britischen Premierminister hinweist. Ferner auch MacNeil, Forge of Democracy, S. 73. Desweiteren vgl. Taylor, The Speaker and his Powers, in: North American Review 188 (1908), S. 495 ff., der für die Einführung eines Kabinettsystems zur legislativen Führung des Repräsentantenhauses plädiert, um die außergewöhnliche Macht des Sprechers einzudämmen. Dagegen unter Hinweis auf die im amerikanischen Regierungssystem mögliche Konstellation des divided government Hinds, The Speaker of the House of Representatives, in: APSR 3 (1909), S. 155 ff. (157 f.). 195 Vgl. Boinville, Origins and Development ofCongress, S. 126. 196 Vgl. hierzu Baker, The Character of the Congressional Revolution of 1910, in: The Journal of American History 60 (1973), S. 679 ff. (685 f.); Morrison, Champ Clark and the Rules Revolution of 1910, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 43 ff. (48 f.); Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (466 f.). In der Democratic platform des Jahres 1908 findet sich etwa folgende Verurteilung des "Cannonism": "The House of Representatives, as controlled in recent years by the Republican party, has ceased to be a de1iberative and legislative body, responsive to the
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in der sich zwischen 1909 und 1911 in mehreren Schritten vollziehenden Hausrevolution 197 gegen das persönliche Regime Speaker Cannons.
Im Mittelpunkt der Revolte gegen das Herrschaftssystem des Sprechers stand dessen Kontrolle über den Lenkungsausschuß. "The speaker's power over the Rules Comrnittee provided a uniquely visible and justifiable object of attack"198. Der Sprecher war Vorsitzender des fünfköpfigen Rules Comrnittee und ernannte dessen vier weitere Mitglieder, je zwei Republikaner und Demokraten. Ohne die Zustimmung des Lenkungsausschusses, der die zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen der Plenumsdiskussion festlegte, konnte mit Ausnahme einiger privilegierter Gesetzesvorlagen kein Gesetzesentwurf vom Repräsentantenhaus beraten werden. Als zentrales Instrument zur Steuerung des parlamentarischen Verfahrens verlieh der Lenkungsausschuß dem Sprecher faktisch die absolute Kontrolle über die Tagesordnung 199. Um die Kritik an dieser außergewöhnlichen Machtstellung des Sprechers zu beschwichtigen, wurden im März 1909 zunächst zwei alternative Verfahrensarten zum vereinfachten, vom Rules Comrnittee unabhängigen Aufruf von Gesetzesvorlagen im Plenum in die Geschäftsordnung eingeführt. Der Calendar Wednesday200 gab den Ausschüssen das Recht, jeweils mittwochs aus eigener Initiative Vorlagen, die vom Sprecher und vom Rules Committee noch nicht zur Beratung im Plenum zugelassen worden waren, zur Verhandlung im Plenum aufzurufen. Der Consent Calendar, Vorläufer des heutigen Corrections Calendar201 , diente zur Verabschiedung unkontroverser Vorlagen 202 . Beide calendars privilegierten bestimmte Anträge, umgingen insofern die Worterteilung des Speaker und führten daher bereits zu einer leichten Einschränkung der absoluten Macht des Sprechers und des Lenkungsausschusses über die Tagesordnung. Nachdem dann der Versuch der Clark-Resolution203 vom 15.03. 1909 zur Entmachtung des Sprechers gescheitert war, begann die eigentliche "Revolution" schließlich am 17.03. 1910204 . will of the majority of its members, but has come under the absolute domination of the Speaker, who has entire control of its deliberations and powers of legislation .... Legislative control becomes a failure when one member in the person of the Speaker is more powerful tban the entire body." Zitiert nach Maxey, The Powers of the Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (349). 197 Die Bezeichnung "Revolution" wird sowohl von zeitgenössischen Beobachtern als auch Politikern selbst verwendet, vgl. hier nur Brown, The Leadership of Congress, S. 143: "The Revolution of 1910" und Minderheitsführer Clark: "it is a revolution", zitiert nach Brown, a. a. 0., S. 166. 198 Siehe insgesamt Peters, The American Speakership, S. 82; vgl. auch Baker, The Character of the Congressional Revolution of 1910, in: The Journal of American History 60 (1973), S. 679 ff. (684). 199 Siehe 5. Kap. B. III. l. 200 Siehe l. Kap. G. IV. 201 Siehe 5. Kap. B. 11. 4. 202 Vgl. HouseManual, §§ 899, 90l.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
An diesem Tag nutzte der Abgeordnete George Norris, der einer von Speaker Cannon mit besonderen Repressalien 205 bedachten progressiven Minderheit in der Republikanischen Fraktion angehörte ("insurgent" liberal Republicans), die parlamentarische Verfahrensentscheidung in einem unmittelbar vorausgegangenen Präzedenzfall zur Stellung eines lange vorbereiteten und mit den Demokraten koordinierten Antrags 206 . Dieser Antrag sah den Ausschluß des Sprechers aus dem Rules Comrnittee und dessen Vergrößerung auf 15 Mitglieder vor207 . Nach ununterbrochener Debatte von 29 Stunden, während der Speaker Cannon auf das Eintreffen weiterer Abgeordneter seiner Fraktion hoffte, vertagte sich das Haus am späten Nachmittag des 18. März. Am folgenden Tag, dem 19.03. 1910, fiel dann die Entscheidung 208 . Zunächst erklärte der Sprecher die Norris-Resolution für nach der Geschäftsordnung nicht privilegiert und damit für unzulässig. Diese Entscheidung des Sprechers wurde vom Repräsentantenhaus mit einer Mehrheit von 182 zu 162 Stimmen verworfen209 . Daraufhin brachte Norris eine neue Fassung seiner Resolution ein 21O • Dieser Antrag beinhaltete folgendes: Erstens sollte der Sprecher von der Mitgliedschaft des Rules Committee ausgeschlossen sein. Zweitens sollte die Mitgliederzahl des Ausschusses von fünf auf zehn Mitglieder, von denen sechs der Mehrheits- und vier der Minderheitsfraktion angehören sollten, erhöht werden. 203 Die Clark-Resolution sah nur noch ein Besetzungsrecht des Sprechers für vier Ausschüsse vor, darunter das Ways and Means Cornrnittee. Das Rules Cornrnittee sollte auf 15 Mitglieder erweitert und vom Haus gewählt werden. Seinen Vorsitzenden sollte der Lenkungsausschuß selbst bestimmen. V gl. hierzu im einzelnen Morrison, Champ Clark and the Rules Revolution of 1910, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 43 ff. (50); Boinville, Origins and Development of Congress, S. 126. 204 Vgl. insgesamt zum Gang der Ereignisse Atkinson I Beard, The Syndication of the Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 26 (1911), S. 381 ff. Eine ausführliche Schilderung sowohl der zu dieser Revolte führenden Umstände wie auch der Ereignisse im Repräsentantenhaus zwischen dem 16. und 19. 03. 1910 findet sich bei Brown, The Leadership of Congress, S. 143 ff.; Galloway, History of the House of Representatives, S. 56 ff.; Bolling, Power in the House, S. 74 ff.; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 84, 107 ff., 183 f.; Peters, The American Speakership, S. 84 f.; Boinville, Origins and Development of Congress, S. 125 ff.; Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1850 ff.); Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 49 ff. 205 Vgl. Morrison, Champ Clark and the Rules Revolution of 1910, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 43 ff. (51). 206 Vgl. Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 50; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 -1994, S. 108. 207 V gl. Atkinson I Beard, The Syndication of the Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 26 (1911), S. 381 ff. (399 ff.). 208 V gl. Brown, The Leadership of Congress, S. 164. Zum Verlauf der Debatte vgl. Brown, a. a. 0., S. 154 ff.; Atkinsonl Beard, The Syndication of the Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 26 (1911), S. 381 ff. (400 ff.). 209 Vgl. Congressional Record, 19.03.1910, S. 3425, 3428. 210 Vgl. Atkinsonl Beard, The Syndication of the Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 26 (1911), S. 381 ff. (408 f.).
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Drittens sollten die Mitglieder des Rules Cornrnittee nicht länger vom Sprecher ernannt, sondern von nun an vom Repräsentantenhaus gewählt werden und viertens sollte der Lenkungsausschuß seinen Vorsitzenden aus den eigenen Reihen wählen. Diese Resolution wurde daraufhin mit 191 zu 156 Stimmen angenommen 211 • Dafür stimmte eine Koalition aus 149 Demokraten und 42 Republikanern 212 . Um den harten Kampf um die prinzipiellen Reformen nicht zu einem Kampf um Persönlichkeiten werden zu lassen, stützten die insurgent Republicans den Sprecher in einer Abstimmung über seine Abwahl, der Cannon angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse zuvor zugestimmt hatte 213 . Die Einführung des Discharge Calendar214 im Juni 1910 stellte eine weitere Liberalisierung der Geschäftsordnung dar. Denn es war den Ausschüssen fortan nicht mehr möglich, eine Vorlage durch Zeitablauf scheitern zu lassen. Vielmehr konnte jetzt die Behandlung einer Vorlage im Plenum durch eine Mehrheit der Abgeordneten mittels eines privilegierten, die Worterteilung des Sprechers unterlaufenden Antrags erzwungen werden. Der formelle Abschluß der Reformbewegung und damit die Konsolidierung der Revolte gegen den Cannonism fand schließlich im Jahre 1911 statt. Die Demokraten gewannen die Mehrheit im 62. Kongreß (1911-1913), wählten Champ Clark (1911-1919) zum Sprecher und verabschiedeten getreu ihrem Wahlversprechen "to adopt such rules and regulations to govern the House of Representatives as will enable a majority of its members to direct its deliberations and control legislation,,215 eine reformierte Geschäftsordnung216 . Diese schloß im wesentlichen alle in den Jahren 1909 und 1910 bereits verabschiedeten Geschäftsordnungsänderungen ein, so insbesondere den Calendar Wednesday, den Consent Calendar, den Discharge Calendar und vor allem die die Machtstellung des Sprechers im Rules Cornrnittee brechenden Regelungen der Norris-Resolution 217 . Sie führte aber noch eine weitere radikale Beschränkung der traditionellen Kompetenzen des Sprecher-Amtes ein. Denn sie bestimmte, daß alle Mitglieder der ständigen Ausschüsse und deren Vorsitzende zu Beginn eines jeden Kongresses vom Repräsentantenhaus ge2II Vgl. Congressional Record, 19.03.1910, S. 3428-3436 (3429); VII Cannon's Precedents § 2047; ferner Brown, The Leadership of Congress, S. 165. 212 Vgl. Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 50. 213 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 85 f.; Committee on House Administration, History ofthe United States House of Representatives, 1789-1994, S. 108 f. 214 Vgl. House Manual, § 892. 215 Zitiert nach Maxey, The Powers of the Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (349). Die Demokraten hatten ihr Wahlkampfmotto von 1908 wiederholt. Vgl. insgesamt Fleming, Oscar W. Underwood: The First Modern House Leader, 1911-1915, in: Davidsonl Harnmondl Smock, Masters ofthe House, S. 91 ff. (95 ff.). 216 Siehe hierzu Congressional Record, 04. 04. 1911, S. 10 sowie Brown, The Leadership of Congress, S. 181; Galloway, History of the House of Representatives, S. 58. 217 Allerdings wurde die Mitgliederzahl des Lenkungsausschusses gegenüber der NorrisResolution von 1910 auf 11 erhöht und sein Vorsitzender wurde formell vom Haus gewählt.
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wählt werden sollten. Diese Geschäftsordnung nahm damit dem Sprecher das ihm seit 1790 zustehende Recht zur Ausschußbesetzung. Die Demokraten übertrugen die Wahl der Demokratischen Ausschußmitglieder und -vorsitzenden faktisch ihren Vertretern im Ways and Means Comrnittee, die fortan das Demokratische "Committee on Comrnittees" bildeten 218 . Der Vorsitzende des mächtigen Ways and Means Committee, Oscar W. Underwood (1911-1914), war zugleich der Vorsitzende des Comrnittee on Comrnittees und wurde darüber hinaus auch zum Majority Floor Leader gewählt. Damit wurde ein großer Teil der Machtkonzentration, die zuvor beim Sprecher gelegen hatte, auf den Majority Leader als neuen politischen Führer des Hauses übertragen. Dies bedeutete eine Machtverlagerung "from the Chair to the floor,,219. Die mit Mehrheit der Abgeordneten verabschiedeten Reformen von 1909-1911 zementieren die Unterordnung des Sprecher-Amtes unter die Geschäftsordnungsautonomie des Repräsentantenhauses. Sie verweisen auf den Mehrheitswillen als die äußerste Grenze jeder noch so "diktatorischen" oder "autoritären" Macht eines Sprechers. Im Zeitraum von nur drei Jahren hatte das Sprecher-Amt einen erheblichen institutionellen Machtverlust im Hinblick auf die drei wichtigsten traditionell gewachsenen Kompetenzen erlitten. Erstens war der Sprecher nicht mehr Vorsitzender des Rules Comrnittee. Zweitens hatte er das Ernennungsrecht der Mitglieder und Vorsitzenden der Ausschüsse verloren und drittens war seine absolute power of recognition durch die Einführung des Calendar Wednesday, des Consent und des Discharge Calendar insgesamt deutlich eingeschränkt worden 22o . Die Rebellion von 1910 und die Kongreßreformen der Jahre 1909-1911 hatten den Sprecher seiner Machtbasis, d. h. seiner Kontrolle über die Ausschüsse, über die Geschäftsordnung und damit insgesamt über das parlamentarische Verfahren, beraubt221 . Daneben steht das Jahr 1910 für eine deutliche Abspaltung der politischen von den formal-präsidialen Kompetenzen des Sprecher-Amtes. Es markiert zugleich den Ausgangspunkt einer Verlagerung der zuvor beim Sprecher liegenden politischen Macht zur Führung des Repräsentantenhauses auf andere Akteure innerhalb der Hausorganisation 222 . Das Ergebnis der Hausrevolution von 1910 / 11 war somit letztlich die Deinstitutionalisierung des Sprecher-Amtes verbunden mit einer Dezentralisierung von Macht im Repräsentantenhaus. Keiner der Nachfolger Siehe 4. Kap. B. 111. VI Cannon's Precedents, preface, S. vii. Vgl. ebenso Brown, The Leadership of Congress, S. 176; Fleming, Oscar W. Underwood: The First Modem House Leader, 1911-1915, in: Davidson/Harnmond/Smock, Masters of the House, S. 91 ff. (95 ff.). Ferner Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 51. Siehe 4. Kap. A. 111. 1. 220 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 181 ff.; Chiu, The Speaker of the House ofRepresentatives since 1896, S. 303. 221 Vgl. Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 51. 222 V gl. Hasbrouck, Party Government in the House of Representatives, S. 91; Congressional Quarterly, The Speaker of the House ofRepresentatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1852). 218 219
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Speaker Cannons hat jemals wieder ein solches Ausmaß an institutioneller Macht gehabt wie er223 .
III. Feudal Speakership (1911-1961) Die feudal era umfaßt die Entwicklungsphase des Sprecher-Amtes von der Hausrevolte gegen Speaker Cannon im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bis zur Erweiterung des Rules Committee und dem Ende der Amtszeit Speaker Raybums im Jahre 1961. Während dieser Zeit wurde die Machtstruktur im Repräsentantenhaus in erster Linie durch die Stärke und Unabhängigkeit der Ausschußvorsitzenden, der sog. "committee barons", geformt. Diese Zeitspanne der amerikanischen Geschichte war außenpolitisch durch zwei Weltkriege und innenpolitisch durch das Streben nach sozialer Gerechtigkeit gekennzeichnet. Die Demokratische Partei war die dominierende Partei der feudal era. Mit Ausnahme des 80. (1947 -1949) und des 83. Kongresses (1953-1955) stellte sie von 1931 an während der gesamten Zeit die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Als die Partei des "kleinen Mannes" war sie die typische Partei der Umverteilung und gab dieser Phase das politische Gepräge. Dies galt insbesondere auch für die Machtverteilung im Repräsentantenhaus, die maßgeblich von der Struktur und Kultur der Demokratischen Partei bestimmt wurde. Im Gegensatz zur partisan era, in der die Polarisierung des Zwei-Parteien-Systems ihren Höhepunkt erreicht hatte, zeichnete sich die feudal era durch einen stetigen Zerfall der Parteigeschlossenheit, d. h. durch Faktionalisierung, aus. Dies traf aufgrund ihrer ohnehin heterogenen Struktur vor allem auf die Demokratische Partei zu. Als Folge dieser Faktionalisierung bildete sich seit Ende der 1930'er Jahre im Repräsentantenhaus die sog. "conservative coalition" aus konservativen Südstaatendemokraten und Republikanern heraus, die sich als Abstimmungskoalition gegen die liberale New Deal-Politik Präsident Roosevelts wandte 224 . Das 19. Jahrhundert war von einem kontinuierlichen Machtzuwachs des Kongresses gegenüber dem Präsidenten gekennzeichnet, der mit der Hausrevolution von 1910/11 zu einem abrupten Ende kam. Das 20. Jahrhundert war demgegenüber vom Aufstieg des U.S.-Präsidentenamtes zum unbestrittenen nationalen wie internationalen politischen Führungsamt geprägt (sog. "modern presidency,,)225. Diese politische Stärkung des Präsidentenamtes beruhte auf einer Reihe von Faktoren 226 : auf der seit der Abkehr vom amerikanischen Isolationismus durch Eintritt 223 V gl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, l789-1994, S. 183. 224 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 7, 143 f.; ders., Speaker of the House, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1861 ff. 225 V gl. hier nur Rossiter, The American Presidency, S. 113 ff. 226 Vgl. Natoli, American Prince, American Pauper, S. ix; Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 614, 616.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
der USA in den Zweiten Weltkrieg veränderten außenpolitischen Rolle der Vereinigten Staaten, speziell auf ihrer Weltmachtrolle seit Beginn des Kalten Krieges, auf der mit der Entwicklung der Atombombe einhergehenden politisch-militärischen Aufwertung des U.S.-Präsidenten als ultimativer Entscheidungsträger eines Atomwaffeneinsatzes sowie auf der Entwicklung des Präsidentenamtes zur sog. "personal presidency", die den jeweiligen Amtsinhaber im Zeitalter der Massenmedien, insbesondere des aufkommenden Fernsehens, immer mehr in das Zentrum des öffentlichen Interesses rucken ließ. Von besonderer Bedeutung war schließlich der Machtgewinn der präsidentiellen Zentralgewalt im amerikanischen Regierungssystem sowie der damit zusammenhängende Ausbau der sog. "institutionalized presidency" seit der Roosevelt-Administration (1933 -1945). In den 60 Jahren seit der Präsidentschaft Wilsons (1913 - 1921) hatte die Machtverlagerung vom Kongreß auf den Präsidenten diesen zum "nation's chief legislator, chief budgetary officer, the primary overseer of the bureaucracy, the leader in foreign policy, the nation's chief tribune" werden lassen227 . Die feste Verwurzelung des "strong presidential leadership" in der politischen Kultur Amerikas wurde erst durch Präsident Johnsons Außen- und Präsident Nixons Innenpolitik wieder erschüttert228 . Die Zeit des feudal speakership war daher über weite Strecken eine Periode der Unterordnung des Kongresses und seines Sprechers unter das Präsidentenamt. Dies galt vor allem für die Präsidentschaften Wilsons und F. D. Roosevelts, die beide mit der Steuerung der nationalen politischen Agenda auch die politische Führung ihrer Partei an sich zogen229 . "Since the New Deal, speakers have been subordinate and / or reactive to the presidents with whom they have served. When the president and the speaker have been of the same party, the subordination has been voluntary; when the president and the speaker have been of opposite parties, the subordination has been reactive. But in all cases it has occured,mo.
Das Sprecher-Amt verfügte in der Periode des feudal speakership lediglich über die ihm 1911 belassenen schwachen formellen Kompetenzen und wurde zwischen 1911 und 1961 keinen wichtigen institutionellen Änderungen unterworfen. Indes 227 V gl. Dodd, Congress and the CycJes of Power, in: Livingston / Dodd / Schott, The Presidency and the Congress, S. 46 ff. (49); ferner Sundquist, The DecJine and Resurgence of Congress, S. 30 ff.; zur modem presidency seit der Präsidentschaft F. D. Roosevelts und dem Zweiten Weltkrieg siehe auch Cronin, The State of the Presidency, S. 77 ff.; Neustadt, Presidential Power and the Modem Presidents, S. I ff.; Rossiter, The American Presidency, S. 113 ff.; Milkis / Nelson, The American Presidency: Origins and Development, 1776 - 1990, S. 259 ff. 228 Vgl. Sundquist, The DecJine and Resurgence of Congress, S. 34; Havemann, Congress and the Budget, S. 12 f. 229 V gl. Sundquist, The DecJine and Resurgence of Congress, S. 31 f., 34, 170, 175; Milkis / Nelson, The American Presidency: Origins and Development, 1776 -1990, S. 226, 264 ff. 230 Peters, The American Speakership, S. 142; vgl. auch Brown, The Leadership of Congress, S. 178, 184, 186.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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hat sich die Machtstruktur im Repräsentantenhaus fundamental gewandelt. Den Demokraten war es 1910/ 11 nicht um die Abschaffung der Mehrheitsherrschaft an sich gegangen, sondern lediglich um die Beseitigung der politisch wie parlamentarisch dominierenden Stellung des Sprechers. Im Demokratisch dominierten 62. Kongreß übertrugen sie daher die dem Sprecher-Amt entzogene Macht auf die Fraktionsvollversammlung, den Democratic Caucus, und ihren Floor Leader, Oscar Underwood231 . Bei einer Zweidrittelmehrheit entfalteten die Beschlüsse der Fraktionsvollversammlung eine grundsätzliche Bindungswirkung für alle Demokratischen Abgeordneten. Underwood nutzte daher die Fraktionsbeschlüsse als Mittel zur Herstellung von Parteieinheit und zur Durchsetzung der Demokratischen Agenda im Haus. "King Caucus" löste damit die vormalige "Czar rule" als Instrument zentralisierter Fraktionsführung ab 232 . Die seit etwa 1916 zunehmende Faktionsbildung innerhalb der Demokraten ließ den Caucus als Transmissionsriemen zur Durchsetzung Demokratischer Politik im Haus immer unzuverlässiger werden und spätestens gegen Ende der 1930'er Jahre hatte er seine politische Bedeutung praktisch völlig verloren 233 . Als die Republikaner im Jahre 1919 die Mehrheit im Kongreß wiedererlangten, die sie bis 1931 behielten, übertrugen sie die zentrale Fraktionsführung einem als politisches Koordinations- und Planungsgremium eingerichteten Republikanischen Steering Committee. In diesem hatte der Majority Floor Leader den Vorsitz, und die weiteren sieben234 Mitglieder des Gremiums wurden unter formellem Zustimmungsvorbehalt der Fraktion praktisch von den Fraktionsführern bestimmt235 • Der Sprecher war kein offizielles Mitglied des Steering Committee, sondern nahm an dessen Sitzungen nur auf Einladung teil. Aufgrund dieses Umstands sowie der Faktionsbildung innerhalb der Republikanischen Fraktion stellte sich immer deutlicher heraus, daß das Steering Committee weder ausreichend zentralisiert noch dezentralisiert war, um effektive legislative Führung zu gewährleisten. Es behinderte die eigentliche Fraktionsführung in den späten 1920'er Jahren immer stärker in ihrer politischen Beweglichkeit und strategischen Wirksamkeit, so daß es schließlich seine Funktion als zentrales Organ der Fraktionsführung vollständig einbüßte236 . Unter dem Republikanischen Speaker Longworth (1925 - 1931), der um Rezentralisation von Macht im Sprecher-Amt bemüht war, bildete sich vielmehr die TradiSiehe 3. Kap. C. 11. sowie 4. Kap. A. III. 1. Vgl. Sundquist, The Dec1ine and Resurgence of Congress, S. 168 ff.; Cooperl Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Raybum, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (416); Boinville, Origins and Development of Congress, S. 128 f. 233 Vgl. Luce, Legislative Procedure, S. 513; Kefauver, A Twentieth Century Congress, S. 102 f. 234 Im 66. Kongreß gehörten dem Gremium neben dem Vorsitzenden nur vier weitere Mitglieder an. 235 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 195 ff.; Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 329 ff. (336), bezeichnet das steering committee als "central executive committee of the House". 236 Vgl. Chiu, The Speaker ofthe House ofRepresentatives since 1896, S. 334 ff. 231
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
tion von informellen Strategie- und Führungstreffen heraus, in denen für die nächsten drei Jahrzehnte wichtige politische Entscheidungen koordiniert und vorbereitet wurden. Diese Treffen hatten den Charakter eines privaten Gesprächsclubs und fanden auf Initiative des Sprechers statt. Indem er seine politischen Vertrauensleute um sich gruppierte, brachte er sich selbst wieder stärker in eine politische Schlüsselstellung im Haus. Anfangs handelte es sich noch wie bei der von Speaker Longworth gegründeten Gruppe der sog. "Big Four" um ein fraktionsinternes Forum. Später schloß das von Speaker Longworth und Minority Leader John Nance Garner gemeinsam institutionalisierte, anschließend von Garner während seiner Amtszeit als Sprecher (1931 - 1932) und dann insbesondere von Speaker Rayburn (1940-1946, 1949-1952, 1955-1961) aufrechterhaltene sog. "Board of Education" auch ausgewählte Vertreter der Minderheitsfraktion ein237 . Der Einflußverlust der Fraktionsvollversammlung und des Steering Committee als offiziellen Steuerungsgremien zur politischen Koordination und Durchsetzung von Fraktionseinheit förderte seinerseits wiederum das Erstarken und die Unabhängigkeit von Parteifaktionen, einzelnen Abgeordneten und den ständigen Ausschüssen. Die Folge war, daß auch die Mechanismen der Ausschußbesetzung dieser Dezentralisierung angepaßt werden mußten. In diesem Zusammenhang wurde das Senioritätsprinzip, das allein einen dezentralisierten und damit konfliktvermeidenden Maßstab für die Vergabe von Führungspositionen in den Ausschüssen gewährleistete, im Laufe der 1920'er Jahre von einem wichtigen Kriterium zu einem souveränen Prinzip der Ausschußbesetzung238 . Die strikte Einhaltung des Senioritätsprinzips, dem ausschließlichen Maßstab für eine Kongreßkarriere, bei der Vergabe der Ausschußposten entzog die Ausschüsse einerseits dem bestimmenden Einfluß der Fraktionsführungen und stärkte andererseits die Unabhängigkeit der Vorsitzenden und ihrer Ausschüsse. Die weitreichenden Geschäftsordnungsbefugnisse der Ausschüsse über die in ihre Zuständigkeit fallenden Gesetzesvorlagen in Verbindung mit der den Vorsitzenden aufgrund der Geschäftsordnungsregeln der Ausschüsse zustehenden Macht in ihren committees gaben den Ausschüssen spätestens seit 1937 den Charakter von "feudal baronies". Sie wiesen den Vorsitzenden, die durch ihre Seniorität gestützt und allein ihrem Wahlkreis verantwortlich waren, gewissermaßen als "lord-proprietors" die Schlüsselstellungen in der Machtstruktur des Hauses ZU 239 . Gegen den Willen der Ausschüsse und insbesondere ihrer Vorsitzenden war praktisch keine Gesetzgebung mehr durchzusetzen. Die Fraktionsfüh237 Vgl. MacNeil, Forge of Democracy, S. 81 ff.; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 110; Chiu, The Speaker of the House of Representatives, S. 334 f. 238 Vgl. Cooper/ Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (417); Sundquist, The Dec1ine and Resurgence ofCongress, S. 177 f.; siehe 4. Kap. A.1. 1. b) cc) (1). 239 Cooperl Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (419); Galloway, The Legislative Process in Congress, S. 289. Vgl. auch Peters, The American Speakership, S. 144 f.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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rung konnte die Ausschüsse nicht länger als Instrumente ihres Willens einsetzen, sondern wurde vielmehr zur Bittstellerin um eine Unterstützung ihrer Vorhaben durch die Ausschüsse 24o . Da der Großteil der Demokratischen senior members in den Ausschüssen aus den Südstaaten stammte, kam dem konservativen Südstaatenflügel der Demokratischen Partei der dominierende Einfluß auf das Ausschußsystem ZU241 . Die Macht der konservativen Demokratischen Südstaatenabgeordneten 242 ebenso wie die Unabhängigkeit der Ausschüsse von der zentralen Fraktionsführung war nirgends so offensichtlich wie im Rules Committee, das unter dem Vorsitz von Südstaatendemokraten seit 1939 von einer konservativen Koalition aus Südstaatendemokraten und Republikanern kontrolliert wurde. Bereits seit dieser Zeit fungierte der Lenkungsausschuß nicht mehr als verlängerter Arm der Demokratischen Fraktionsführung, sondern blockierte die liberale Gesetzgebung, vor allem die Politik Präsident Roosevelts. Die Dominanz der konservativen Koalition über das Rules Committee und damit dessen von der Fraktionsführung unabhängige Stellung wurde erst durch die von Speaker Rayburn im Jahre 1961 durchgesetzte Erweiterung der Mitgliederzahl des Ausschusses beseitigt 243 . Das Hauptmerkmal der Repräsentantenhausführung zwischen 1911 und 1961, vom "King Caucus" bis zur Herrschaft der Ausschußbarone, war damit der kollektive Charakter der Fraktionsführung als "commission,,244. Der Sprecher war nur ein Mitglied neben vielen anderen, wie etwa dem Majority Floor Leader oder den Vorsitzenden bedeutender Ausschüsse. Neben der Deinstitutionalisierung des Sprecher-Amtes als Ergebnis der Hausrevolte von 1910/11 hatte die Dezentralisierung von Macht im Repräsentantenhaus mit ihren immer stärker werdenden zentrifugalen Kräften in Form der Ausschüsse eine unmittelbare Auswirkung auf die Funktion des Sprechers in der Phase des feudal speakership. Im Zuge der Hausrevolution war das Sprecher-Amt, abgesehen von dem imponderabilen hohen Ansehen bestimmter Amtsinhaber innerhalb ihrer Fraktion, zunächst auf die Rolle des bloßen Parlamentsmoderators reduziert worden 245 . Bis zum Amtsantritt Speaker Rayburns im Jahre 1940 stand - mit Ausnah240 Vgl. Cooper I Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (419). 241 Vgl. Peters, History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (4); ders., Speaker ofthe House, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1861 f. 242 Zur Gruppenstruktur der Südstaatendemokraten siehe Hartmann, Der amerikanische Präsident im Bezugsfeld der Kongreßfraktionen, S. 46 ff. 243 Vgl. hier nur Galloway, History of the House of Representatives, S. 145 f. Zur Geschichte des Rules Comrnittee siehe 5. Kap. B. III. 1. 244 Vgl. Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 315; Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (159); Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 12. 245 Vgl. VI Cannon's Precedents, preface, S. vii; Brown, The Leadership of Congress, S. 179. Weniger weitgehend Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896,
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
me der Amtszeit Speaker Longworths - tatsächlich die Sprecher-Funktion der Sitzungsleitung gegenüber der der politischen Führung im Vordergrund. Der sitzungsleitende, präsidial-richterliche Charakter des Amtes wurde während dieser Zeit nicht zuletzt durch die Entscheidungen der Sprecher selbst erneuert und hervorgehoben. Denn nachdem Asher C. Hinds im Jahre 1907 eine umfassend aufgearbeitete Sammlung der parlamentarischen Präzedenzfälle seit 1789 zusammengestellt hatte, war es für die Sprecher wesentlich einfacher, ihre Entscheidungen auf klar definierte, vormalig begriindete Verfahrensprinzipien zu stützen und sie so der Kritik der Presse und dem Mißtrauen der Repräsentantenhausminderheit weitgehend zu entziehen. Diese parlamentsrechtliche Konsistenz der Entscheidungen in Verbindung mit der seit der Hausrevolte 1910/11 verstärkten Unparteilichkeit des Amtes ließen die Entscheidungen des Sprechers als ,judicial and academic rather than polemic and partisan" erscheinen 246 . Der Amtsantritt Speaker Rayburns im Jahre 1940 markierte einen Wendepunkt in der funktionalen Entwicklung des Sprecher-Amtes. Die Zeit zwischen 1910 und 1940 war gekennzeichnet durch eine Übergangsphase des Charakters des Repräsentantenhauses als politische Institution, in der "centralization of power and hierarchical control had given way to a diffusion of power and bargaining,,247. Die Aufgabe der Fraktionsführer, insbesondere die des Sprechers, bestand vor dem Hintergrund der dezentralisierten Machtstruktur im Haus seit 1940 nicht länger darin, stabile Mehrheiten zu dirigieren oder die Arbeit der Ausschüsse zu leiten. Vielmehr war es die Aufgabe des Sprechers, als "broker" ad hoc-Mehrheiten zur Verabschiedung bestimmter Gesetze zustandezubringen, um die Unterstützung der Ausschüsse zu werben und Kompromisse auszuhandeln 248 . "But the Speaker played almost no part in formulating the details of legislation.With regard to party leadership, the Speaker acted mostly as amiddieman who maintained a neutral ideological position so as to mediate differences between members. Overall, the Speaker dealt mostly with procedural tasks, floor management, and coalition building,,249.
Die Konsequenz dieser gewandelten Rolle des Sprechers war, daß seit 1940 seine persönlichen und politischen Fähigkeiten anstelle seiner institutionellen Kompetenzen zu den entscheidenden Bestimmungsfaktoren für die Durchsetzung des legislativen Programms seiner Partei wurden 25o . S. 340, der davon ausgeht, daß die Märzrevolution von 1910 dem Sprecher-Amt die politische Führungsposition des Repräsentantenhauses nicht genommen, sondern sie lediglich geschwächt hat. 246 Siehe hierzu insgesamt VI Cannon's Precedents, preface, S. vii. 247 Cooper/ Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (418). 248 Vgl. Cooper/ Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (417, 419). 249 Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 13. 250 Vgl. Cooper/ Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (419 f.).
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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Speaker Rayburns infonneller Führungsstil entsprach diesen Erfordernissen in geradezu idealtypischer Weise. Er arbeitete mit den konservativen Ausschußvorsitzenden zusammen, ohne deren Macht in Frage zu stellen, und setzte dabei Überzeugungsarbeit und diplomatisches Verhandlungsgeschick im Gegensatz zu politischen Repressalien als Mittel politischer Führung ein 251 . Gleichzeitig stellte er sich institutionellen Änderungen zur Beschränkung der Macht der Ausschüsse und ihrer Vorsitzenden entgegen. Denn seine Macht beruhte gerade auf seinem Verhältnis zu den Ausschußvorsitzenden und solche Änderungen hätten sich zwangsläufig auch auf die Position des Sprechers als zentralem Vennittler nachteilig auswirken müssen. Dem Südstaatendemokrat Rayburn gelang es über nahezu zwei Jahrzehnte, die ideologisch-politische Klufe s2 zwischen den konservativen Südstaatenabgeordneten und den liberalen Congressmen seiner Fraktion zu überbrücken. Im Jahre 1961 unterstützte er jedoch entscheidend die Erweiterung des Rules Committee, die die Kontrolle der konservativen Koalition über den Ausschuß ausschalten und damit die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Lenkungsausschuß und der Fraktionsführung schaffen sollte253 . Sie leitete einen erneuten Trend zur Machtzentralisation im Haus ein und markierte das Ende der feudal era254 . Mit Blick auf die gesamte Geschichte des Sprecher-Amtes bleibt festzuhalten, daß die institutionelle Macht des Sprechers in der Phase zwischen 1911 und 1961 am schwächsten ausgeprägt war. Auch Rayburn war trotz seiner persönlichen Führungsqualitäten jedenfalls in institutioneller Hinsicht kein mächtiger Sprecher. Er war auch kein ideologisch-starker Speaker. Die interne politische Spaltung der Demokraten während der längsten Zeit der feudal era machte eine zentrale, ideologische Führung unmöglich. Erst als die seit den 1930'er Jahren dominierende heterogene Roosevelt-Koalition der Demokraten in den 1970'er Jahren u. a. durch den Wählerwechsel der konservativen Südstaatendemokraten zu den Republikanern zerfiel 255 , konnten die Demokraten mit Tip O'Neill einen politisch-programmatischen Sprecher wählen.
251 Vgl. Gouldl Young, The Speaker and the Presidents: Sam Raybum, the White House, and the Legislative Process, 1941 - 1961, in: Davidson I Hammond I Smock, Masters of the House, S. 181 ff.; Cohen, Congressional Leadership: Seeking a New Role, S. 34; Cooperl Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (420); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 110 ff.; Peters, The American Speakership, S. 120 ff.; ders., History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (5); ders., Speaker of the House, in: Bacon I Davidson I Keller, EncycJopedia, S. 1863; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 393; MacNeil, Forge of Democracy, S. 75, 84. 252 Vgl. Rae, Southem Democrats, S. 39. 253 Siehe 5. Kap. B. III. 1. 254 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 145; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 112. 255 Vgl. Lösche, Amerika in Perspektive, S. 225; Wasser, Politische Parteien und Wahlen, in: Adams I Lösche, Länderbericht USA, S. 305 ff. (331 ff.).
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Im Vergleich zwischen der partisan era und der feudal era stellen Cooper / Brady zusammenfassend fest 256 : "The higher the degree of party unity or cohesion the more power in both the formal and party systems can be concentrated in the hands of party leaders and the more 1eadership style will be oriented to command and task or goal attainment. The lower the degree of party unity or cohesion the more power in both the formal and party system will be dispersed and the more leadership style will be oriented to bargaining and the maintenance of good relations."
Das entscheidende Merkmal der Entwicklung des Sprecher-Amtes in der Phase des feudal speakership ist demnach der Wandel des Führungsstils in Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen. Die vormals hierarchisch-autokratische Führung durch den Sprecher unter den Bedingungen eines geschlossenen, polarisierten Zwei-Parteien-Systems hat sich in der feudal era mit ihrem geringen Grad an Partei- und Fraktionsgeschlossenheit in eine vermittelnde, kompromißsuchende Führung verwandelt. Um politische Führung handelt es sich in beiden Fällen, wenngleich der Einfluß des feudal Speaker auf die Ergebnisse des Gesetzgebungsprozesses mittelbarer und schwächer war als der des partisan Speaker. IV. Democratic Speakership (seit 1962)
Die post-Rayburn Phase, die mit dem Ende der Herrschaft der konservativen Koalition im Rules Committee beginnt und bis in die Gegenwart andauert, ist die letzte Phase in der Entwicklung des Sprecher-Amtes. Sie wird hier indes nicht deshalb als "democratic speakership" bezeichnet, weil die Demokratische Partei bis 1994 die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellte, sondern weil während dieser Zeit in beiden Parteien ein Trend zu demokratischeren Strukturen zu verzeichnen ise57 . Im Laufe der Reformära der 1960'er und 1970'er Jahre erhielt das Repräsentantenhaus seinen bis heute anhaltenden dezentralisierten und fragmentierten Charakter. Eine wichtige Folge dieser Entwicklung war, daß Abgeordnete nicht länger als "role players in a complex system of interactions in equilibrium" gesehen wurden, sondern als "individual entrepreneurs in a vast, open marketplace that rewarded self-interested competitiveness,,258. Diese veränderten Rahmenbedingungen konfrontierten auch das Sprecher-Amt mit neuen Herausforderungen. 256 Cooperl Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Rayburn, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. (424,411). 257 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 7. 258 Vgl. Davidson, The Emergence of the Postreform Congress, in: ders., The Postreform Congress, S. 3 ff. (12 f.). Siehe ferner auch Uslaner, Policy Entrepreneurs and Amateur Democrats in the House of Representatives: Toward a More Party-Oriented Congress?, in: Rieselbach, Legislative Reform, S. 105 ff. (106), der den neuen Abgeordneten-Typus als eine Mischform des idealistischen "amateur democrat" und des aktivistischen "policy entrepreneur" sieht.
C. Die Entwicklung des Sprecher-Amtes seit 1789
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Die Periode des Übergangs von der feudal in die democratic era vom Anfang der 1960'er bis Mitte der 1970'er Jahre war gekennzeichnet durch das Ende der Ausdehnung des amerikanischen Wohlfahrtsstaates und leitete damit den Wandel "from the positive to the regulatory state" ein259 • Den Ausgangspunkt dieser staatspolitischen Veränderungen bildeten die Forderungen einer liberalen Refonnbewegung im Kongreß, die ihren Anfang im Jahre 1958 mit dem überragenden Sieg der Demokraten in den Wahlen zum 86. Kongreß genommen hatte und bis weit in die 1970'er Jahre hinein anhielt. Die Refonnbewegung hatte drei verschiedene Stoßrichtungen, eine inhaltliche, eine kulturelle und eine institutionelle: Sie nahm von Minderheitsgruppen, urbanen Wablerschichten, Bürgerbewegungen und aktivistischen Präsidenten geforderte Politikinhalte, wie Bürgerrechtsgesetzgebung, Umweltschutz, Konsumdenken, Opposition gegen den Vietnam-Krieg u. a.m., auf und setzte sie auf die politische Tagesordnung 26o . Sie leistete einer neuen politischen Kultur Vorschub, in deren Mittelpunkt interpersonale Kommunikation, das Bemühen um gegenseitiges Verständnis und die Klarstellung von Werten stand261 . In institutioneller Hinsicht zielte die Refonnbewegung darauf ab, den dominierenden Einfluß der konservativen Kräfte auf die Gesetzgebung zu brechen, um der großen Anzahl der moderaten und liberalen Demokratischen Abgeordneten, die während der 1960'er und vor allem in der ersten Hälfte der 1970'er Jahre neu ins Repräsentantenhaus gewählt worden waren, die Durchsetzung ihres Programms zu ennöglichen262 . Seit dem 86. Kongreß im Jahre 1959 stellte der liberale Flügel zwar die Mehrheit im Democratic Caucus. Doch seine Mitglieder verfügten nicht über die ausreichende Seniorität für die Besetzung von Ausschußvorsitzendenposten. Zudem war die autonome Macht der alten Ausschußvorsitzenden so groß, daß diese den liberalen Abgeordneten - trotz Seniorität - sogar Unterausschußvorsitzendenposten versagen bzw. deren Einfluß weitgehenden Beschränkungen unterwerfen konnten 263 . Im Jahre 1959 schlossen sich die refonnorientierten, liberalen Demokratischen Ab259 Siehe hierzu Seidman I Gi/mour, Politics, Position, and Power: From the Positive to the Regulatory State, S. I ff. Vgl. auch Peters, The American Speakership, S. 283. 260 Siehe hierzu insgesamt Sinclair, Congressional Realignment, 1925 - 1978, S. 90 ff.; ferner Davidson, The Emergence of the Postreform Congress, in: ders., The Postreform Congress, S. 3 ff. (11 f.); Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 455. Siehe zu den Forderungen der Reformbewegung auch Deering I Smith, Committees in Congress, S. 33 sowie speziell zu den Motiven für die Reformen in der Mitte der 1970'er Jahre Iones, How Reform changes Congress, in: Welch I Peters, Legislative Reform and Public Policy, S. 11 ff. (19 ff.). 261 Vgl. hierzu Peters, The American Speakership, S. 206. 262 Vgl. Peters, Speaker of the House, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyc1opedia, S. 1864. Zwischen 1958 und 1970 wurden insgesamt 293 Demokraten neu ins Haus gewählt. Allein zwischen 1970 und 1974 wurden nochmals 150 neue, zum größten Teil moderate, liberale Demokratische Abgeordnete hinzugewählt, unter ihnen war die größte Gruppe die 75 Abgeordnete umfassende "Class of 1974", die sog. "Watergate babies". Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 458. 263 Vgl. hierzu Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 112.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
geordneten daher in der Democratic Study Group (DSG)264 zusammen, um mit Hilfe einer zahlenmäßig großen Organisation ihren Forderungen Nachdruck verleihen zu können. Die DSG wurde fortan zum eigentlichen Motor der Kongreßreformen der 1970'er Jahre. Die Reformbestrebungen der DSG zielten in erster Linie darauf ab, den dominierenden Einfluß der Ausschußvorsitzenden auf die Gesetzgebung zu brechen und Macht von den Ausschüssen auf die Unterausschüsse zu verlagern, um auf diese Weise mehr Abgeordneten ein "piece of the action" zu geben265 . Da die Macht der Ausschußvorsitzenden zum Teil aufgrund des Senioritätsprinzips und der Schwäche des Caucus informell-traditionell begriindet war, sich aber auch auf die formellen Geschäftsordnungsbestimmungen stützte, richteten sich die liberalen Bestrebungen neben einer Reform der Geschäftsordnung auch auf eine Reform des Democratic Caucus 266 . In struktureller Hinsicht wiesen die Reformen aufgrund der Machtverlagerung von den Ausschußvorsitzenden auf die Unterausschüsse und mithin auf die einzelnen Abgeordneten einerseits einen dezentralisierenden Effekt auf. Durch die Zuweisung der Koordinations- und Leitungsfunktion des neuen Ausschußsystems an die gewählten Fraktionsführer, und hier vor allem an den Sprecher, hatten sie andererseits auch eine zentralisierende Wirkung 267 . Der erste Reformschritt war der 1970 verabschiedete, für beide Häuser des Kongresses geltende Legislative Reorganization Act. Dieser beschnitt die Macht der Ausschußvorsitzenden zum Durchbringen von Gesetzesvorlagen unter Beschränkung der Mitsprache des Plenums und zum Durchschleusen bzw. Einfrieren von Gesetzesvorlagen gegen den Willen des Ausschusses erheblich. Er zielte damit insgesamt auf eine Demokratisierung und größere Transparenz des parlamentarischen Verfahrens ab 268 . Den zweiten Reformschritt stellten die Demokratischen Caucus 264 Zur Democratic Study Group siehe Ferber, The Formation of the Democratic Study Group, in: Polsby, Congressional Behaviour, S. 249 ff.; Stevens/ Miller/ Mann, Mobilization of Liberal Strength in the House, 1955 - 1970: The Democratic Study Group, in: APSR 68 (1974), S. 667 ff.; Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (160), bezeichnet die DSG als "executive committee ofthe proletariat". 265 Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (160); Peters, Speaker ofthe House, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyclopedia, S. 1864. 266 V gl. Dodd / Schott, Congress and the Administrative State, S. 113. 267 Vgl. iones, House Leadership in an Age of Reform, in: Mackaman, Understanding Congressional Leadership, S. 117 ff. (121); Palazzolo, From Decentralization to Centralization: Members' Changing Expectations for House Leaders, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 112 ff. (113); Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (159 f.); Peters, The American Speakership, S. 200. Siehe eingehend zu den dezentralisierenden und zentralisierenden Effekten der Kongreßreform Brenner, The Limits and Possibilities of Congress, S. 148 ff.; ferner Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 184 ff. 268 Legislative Reorganization Act von 1970: P.L. 91-510, 84 Sial. 1140. Vgl. Dodd/ Schott, Congress and the Administrative State, S. 113 f. Siehe zu Entstehung und Inhalt des Legislative Reorganization Act von 1970 Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 190 ff.; Galloway, History of the
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Refonnen der Jahre 1971, 1973 und 1974 dar. In diesen drei Jahren beschloß die Demokratische Fraktion dreimal auf der Grundlage von Empfehlungen ihres Committee on Organization, Study and Review, unter dem Vorsitz Judith Butler Hansens, D-Wash., und ein weiteres Mal ohne vorherige Empfehlungen Refonnen. Diese Refonnen, die eigentlich rein fraktionsinterne Regelungen darstellten, hatten aufgrund der klaren Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus der 1970' er Jahre eine weitreichende Bedeutung für die Struktur der Kammer insgesamt und vor allem auch für die institutionelle Einbindung des Sprecher-Amtes269 • Die wichtigsten Maßnahmen dieser Refonnen waren: die Verpflichtung zur Einrichtung von Unterausschüssen für praktisch jeden ständigen Ausschuß, die Übertragung der Auswahl der Unterausschußvorsitzenden vom Vorsitzenden des ständigen Ausschusses auf die Demokratischen Mitglieder jedes ständigen Ausschusses, die Beschränkung jedes Demokratischen Abgeordneten auf maximal zwei Ausschußmitgliedschaften und einen Unterausschußvorsitz, die Verabschiedung der sog. "Subcommittee Bill of Rights", die jedem Unterausschuß klare Kompetenzen, einen eigenen Haushalt und eigene Mitarbeiter garantierte sowie schließlich die Einführung der Wahl der einzelnen Ausschußvorsitzenden 27o durch den Demokratischen Caucus ohne verpflichtende Beriicksichtigung des Senioritätsprinzips. In ihrer Summe schwächten diese Refonnen die Macht der ständigen Ausschüsse und ihrer Vorsitzenden, führten zu einer Machtverlagerung auf die Unterausschüsse und deren Vorsitzende und begriindeten damit die überragende Bedeutung der Unterausschüsse.
House of Representatives, S. 63 ff.; Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 141 f.; Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (160 ff.); Deering I Smith, Committees in Congress, S. 35. 269 Siehe zu den Demokratischen Caucus Reformen - Hansen-Reformen I (1971), II (1973), III (1974) und Caucus-Reformen IV (1974) - insgesamt Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 114 ff.; Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (162 ff.); Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 143 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 458 ff.; DoddlOppenheimer; Maintaining Order in the House: The Struggle for Institutional Equilibrium, in: dies., Congress Reconsidered (1993), S. 41 ff. (46 ff.) sowie die Übersicht bei DeeringlSmith, Committees in Congress, S. 36 f. Bei den Hansen-Reformen III handelt es sich um die überarbeitete Version der Reformvorschläge des 1973 vom Haus unter dem Vorsitz Richard Bollings, D-Miss., eingesetzten SeIect Committee on Committees. Siehe hierzu Select Committee on Committees, House of Representatives, Committee Reform Amendments of 1974, S. 25 ff. Zum Teil sind einige der Demokratischen Reformempfehlungen in die Geschäftsordnung des Hauses übernommen worden, siehe dazu Galloway, History of the House of Representatives, S. 66. Siehe zur Auswirkung der Reformen auf das Senioritätsprinzip Stangal Famsworth, Seniority and Democratic Reforms in the House of Representatives: Committees and Subcommittees, in: Riese1bach, Legislative Reform, S. 35 ff. 270 Die Republikaner beschlossen im Jahr 1971 ebenfalls, daß das führende Republikanische Mitglied jedes Ausschusses durch Wahl der Republican Conference und nicht durch automatische Befolgung des Senioritätsprinzips bestimmt werden sollte, vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 458.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Neben dem dezentralisierenden Effekt dieser Veränderungen hatten andere Reformen eine zentralisierende, die institutionelle Macht der Fraktionsführung und damit vor allem die des Sprechers stärkende Wirkung 271 . Im Jahre 1973 wurde das mit dem Vorschlagsrecht für die Besetzung der Ausschußposten betraute Demokratische Committee on Committees, das zuvor nur aus den Demokratischen Mitgliedern des Ways and Means Committee bestanden hatte, um den Sprecher als Vorsitzenden sowie den Majority Leader und den Vorsitzenden des Caucus erweitert. Dieser Schritt stärkte das Sprecher-Amt insofern, als er ihm einen direkten Einfluß bei der Auswahl der Ausschußmitglieder und -vorsitzenden einräumte. Ebenfalls im Jahre 1973 wurde eip neues Demokratisches Steering and Policy Committee geschaffen. Dieses "Executive Committee of the Caucus" hatte die Aufgabe, Parteipositionen zwischen der Führung und den Vertretern der Abgeordneten auszuarbeiten und diese dann dem Caucus zur Beratung vorzulegen 272 • Es war somit ein typisches Produkt der Demokratischen Kongreßreformen der ersten Hälfte der 1970'er Jahre, die das Ziel verfolgten, sowohl die einzelnen Mitglieder der Demokratischen Fraktion als auch die Fraktionsführung wieder intensiver in den politischen Prozeß einzubeziehen und damit die Leitungsfunktion der Letzteren zu stärken 273 . Der Sprecher wurde zum Vorsitzenden dieses "geschäftsführenden Fraktionsvorstandes..274 gemacht und hatte einen erheblichen Einfluß auf dessen Zusammensetzung275 . Zu Beginn des 94. Kongresses im Januar 1975 nahm der Democratic Caucus dem Committee on Committees das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Ausschußsitze und Vorsitzendenposten mit Demokratischen Abgeordneten und übertrug es dem Steering and Policy Committee 276 . Damit war der Einfluß des Sprechers auf die Ausschußbesetzung abermals gestärkt worden. Denn er verfügte nicht nur erstmals seit 1911 wieder über eine - wenngleich nur auf der Ebene der Fraktionssatzung - institutionalisierte Rolle bei der Vergabe der Ausschußposten, sondern bestimmte auch noch maßgeblich die Zusammensetzung des für die Ausschußbesetzung zuständigen Gremiums. Darüber hinaus übertrug der 271 Siehe hierzu im einzelnen Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 142 ff. 272 Nach den Rules of the Democratic Caucus, 95. Kongreß, Section M VIIc war es Aufgabe des Committee: ,,[to] make recommendations regarding party policy, legislative priorities, scheduling of matters for House or Caucus action, and other matters as appropriate to further Democratic programmes and policies." 273 Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 23 f.; Sheppard, Rethinking Congressional Reform, S. 96 ff.; Peters, The American Speakership, S. 177. 274 So Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 144, dort Fn. 4. 275 Vgl. hier nur DoddlSchott, Congress and the Administrative State, S. 143. Siehe 4. Kap. B. III. 276 Vgl. Brenner, The Limits and Possibilities of Congress, S. 141 f.; Uslaner, Policy Entrepreneurs and Amateur Democrats in the House of Representatives: Toward a More Party-Oriented Congress?, in: Rieselbach, Legislative Reform, S. 105 ff. (107); iones, How Reform Changes Congress, in: Welch/Peters, Legislative Reform and Public Policy, S. 11 ff. (24); Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 117, 144. Siehe 4. Kap. B. III.
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organisierende Democratic Caucus des 94. Kongresses dem Sprecher unter Zustimmungs vorbehalt die Kompetenz zur Ernennung aller Demokratischen Mitglieder sowie des Vorsitzenden des Rules Committee 277 und machte den Geschäftsordnungsausschuß erstmals seit 1910 auch institutionell wieder zu einem verlängerten Arm des Sprechers278 . Neben diesen den Sprecher direkt betreffenden Änderungen der Demokratischen Fraktionssatzung trugen noch zwei weitere fraktionsinterne Neuerungen zur Stärkung der zentralen Fraktionsführung durch den Sprecher bei. Zum einen bildete sich seit dem 95. Kongreß (1977 -78) die Organisationsform der sog. "task force" als vom Speaker eingesetzte ad hoc-Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines bestimmten Gesetzes heraus 279 . Während in den Ausschüssen Abgeordnete beider Fraktionen vertreten sind, handelt es sich bei den vom Sprecher ernannten Mitgliedern sowie dem Vorsitzenden der task forces ausschließlich um Abgeordnete der Mehrheitsfraktion. Da der Einsatz von task forces eine Umgehung der Ausschüsse und insbesondere der Mitwirkung der Minderheitsfraktion an der Ausarbeitung von Gesetzen bedeutet, dienen diese Arbeitsgruppen dem Sprecher daher als wirkungsvolles Druckmittel gegen unkooperative Ausschüsse. Zudem bieten die task forces dem Sprecher die Möglichkeit, den Forderungen der einzelnen Congressmen nach größerer Partizipation am Gesetzgebungsprozeß nachzukommen, und stärken kooperative Verhaltensmuster unter Fraktionsmitgliedern. Die task forces sind daher ein strategisch wichtiges und flexibles Instrument für eine integrative Fraktionsführung des Sprechers 28o . Zum anderen stärkten der im Laufe der 1970' er Jahre stattfindende finanzielle wie personelle Ausbau des Party Whip Office sowie der auf die Einrichtung von zehn at-l arge Whips zurückführbare Anstieg der Zahl der von der Fraktionsführung zu ernennenden Whips das Whip-System als Instrument des Sprechers zur Durchsetzung des Gesetzgebungsprogramms281 . Aber der Ausbau der institutionellen Macht des Sprechers erfolgte nicht nur auf der Fraktionsebene, sondern auch durch formelles Parlamentsrecht. Mit der Verab277 Vgl. Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (163 0; Oppenheimer, Policy Implications of Rules Comrnittee Refonns, in: Rieselbach, Legislative Refonn, S. 91 ff. (92); Brenner, The Limits and Possibilities of Congress, S. 142. Die Republikaner verabschiedeten im Jahre 1989 eine entsprechende Regelung. 278 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 177. Siehe 5. Kap. B.III. 1. 279 Vgl. Brenner, The Limits and Possibilities of Congress, S. 150. Siehe insgesamt zur Funktion der task forces Sinclair, The Speaker's Task Force in the Post-Refonn House of Representatives, in: APSR 75 (1981), S. 397 ff. 280 Vgl. Sinclair, House Majority Party Leadership in an Era of Divided Control, in: Dodd/Oppenheimer, Congress Reconsidered (1993), S. 237 ff. (248). 281 Vgl. Dodd/ Schott, Congress and the Administrative State, S. 144; Canon, The Institutionalization of Leadership in the V.S. Congress, in: LSQ 14 (1989), S. 415 ff. (430); sowie auch kritisch Waldman, Majority Leadership in the House of Representatives, in: Pol. Sc. Quart. 95 (1980), S. 373 ff. (390 f.). Siehe insgesamt zum Ausbau des Whip-Systems in den 1970' er Jahren Dodd, The Expanded Roles of the House Democratic Whip System: The 93 rd and 94th Congresses, in: Congressional Studies 7 (1979), S. 27 ff.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
schiedung der Geschäftsordnung für den 94. Kongreß im Januar 1975 erhielt der Sprecher die Kompetenz zur Überweisung von Gesetzesvorlagen an mehrere Ausschüsse und damit ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Ausschußarbeit282 • Schließlich stellte der zur Neuorganisation des Haushaltsprozesses 1974 verabschiedete "Congressional Budget and Impoundment Control Act" eine Reihe von Mechanismen bereit, die dem Sprecher insbesondere über die Koordination der Ausschußarbeit eine zentrale Position in der Haushaltsgesetzgebung zuwiesen 283 . Eine Steuerung des Haushaltsprozesses durch den Sprecher ergibt sich aus seinem, gemeinsam mit dem President pro tempore des Senats auszuübenden Ernennungsrecht hinsichtlich des Direktors des Congressional Budget Office, der wirtschaftswissenschaftlichen Beratungsstelle des Kongresses 284 . Darüber hinaus folgt sie aus der Entsendung eines Vertreters in das House Budget Committee, eines der beiden die Ausschußarbeit im Haushaltsprozeß zentral koordinierenden Organe des Kongresses285 . Daneben stellt der Einfluß, den der Sprecher als Vorsitzender des für die Besetzung des Budget Committee zuständigen Demokratischen Steering and Policy Comrnittee auf die Ausschußbesetzung ausübt, ein weiteres Steuerungsinstrument des Sprechers dar286 . Desweiteren enthält das vom Budget Act vorgeschriebene Haushaltsverfahren drei Elemente, die eine zentrale Steuerung der Haushaltsgesetzgebung erforderlich werden lassen. Neben der strikten Einhaltung des Haushaltszeitplans und den in den Haushaltsresolutionen enthaltenen Ausgabengrenzen ist es vor allem die sog. "reconciliation", die zu einer Zentralisierung des Haushaltsprozesses beiträgt und insofern die Rolle der Fraktionsführung und des Sprechers in der Haushaltsgesetzgebung stärkt287 . Der koordinierende, die Ausgabengewalt zentralisierende Mechanismus der reconciliation besteht darin, daß die Fraktionsführung Ausschüsse anweisen kann, die in ihre Zuständigkeit fallenden materiellen Gesetze so zu ändern, daß die Staatsausgaben um einen beVgl. House Manual, § 816; siehe 5. Kap. B. I. 2. Siehe hierzu allgemein Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 46 ff.; ders., The Speaker and the Budget, in: Peters, The Speaker, S. 86 ff. sowie allgemein zum Haushaltsprozeß in den USA Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 33 ff.; Havemann, Congress and the Budget, S. 1 ff.; Schick, Congress and Money. Budgeting, Spending and Taxing, S. 1 ff. 284 Vgl. zum Congressional Budget Office Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 21 f. m. w. N. sowie Havemann, Congress and the Budget, S. 100 ff.; ferner Steinmann, Congressional Budget Reform: Prospects, in: Welch/Peters, Legislative Reform and Public Policy, S. 73 ff. (74 ff.). 285 Vgl. Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 40; zu den zwei Budget Committees Havemann, Congress and the Budget, S. 79 ff.; ferner Thurberl Ellwood, Tbe New Congressional Budget Process: its causes, consequences, and possible success, in: Welch/Peters, Legislative Reform and Public Policy, S. 82 ff. (86 f.). 286 Vgl. insgesamt zu den genannten Emennungsrechten Dodd I Schott, Congress and the Administrative State, S. 144 f. 287 Vgl. hierzu insgesamt Thurber, New Rules for an OId Game: Zero-Sum Budgeting in the Postreform Congress, in: Davidson, Tbe Postreform Congress, S. 257 ff. (261 f.); so auch Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 86. 282 283
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stimmten Betrag verringert werden 288 . Dem Sprecher fallt in diesem "top-down"Prozeß 289 als für die Effektivität des Gesetzgebungsprozesses Verantwortlichem die entscheidende Rolle eines Chef-Koordinators zwischen den Ausgabenwünschen der Ausschüsse und den vom House Budget Committee durchzusetzenden Vorgaben der Budgetresolution zu. Indem die Kongreßreformen der frühen 1970'er Jahre einen grundlegenden Wandel der Struktur und Funktionsweise des Kongresses herbeiführten, änderten sie auch die Rahmenbedingungen für die politische Führung des Kongresses. Die Reformen machten den Kongreß zu einer offeneren, demokratischeren Institution. Denn sie sorgten für mehr Verfahrenstransparenz, werteten die Stellung des einzelnen Abgeordneten durch eine bessere Möglichkeit zur Teilnahme am parlamentarischen Prozeß auf, beschränkten die Macht der Ausschußvorsitzenden und schufen schließlich durch Steigerung der Zahl und Autonomie der Unterausschüsse ein System extremer Machtdispersion 29o. Zugleich führte die Instrumentalisierung des Democratic Caucus zur Durchsetzung der Demokratischen Fraktionssatzungs- und Geschäftsordnungsreformen nach nahezu einem halben Jahrhundert politischer Bedeutungslosigkeit zu einer Aufwertung des Caucus als zentralem Organ des sich neu entwickelnden party government im Repräsentantenhaus. So wie die Kongreßreformen insgesamt darauf abzielten, die Effektivität der Gesetzgebung zu steigern und damit das entstandene Machtungleichgewicht zwischen der Exekutive und der Legislative zu verringern, so diente auch der Democratic Caucus zur Herstellung von Fraktionsgeschlossenheit und damit zur Stärkung der Demokratischen Führung gegenüber der Nixon Administration und ihren Angriffen auf die Sozialgesetzgebung Präsident Johnsons291 . Vor diesem Hintergrund standen die 1970' er Jahre im Zeichen einer Machtverlagerung vom Präsidenten auf den Kongreß. Sie gründete auf dem Versuch der Konzentration von Macht in den Händen der Parteiführer und zielte auf die Wiedererlangung des "co-equal status" des Kongresses gegenüber der Exekutive. Das Wiedererstarken des Kongresses kam unter den Bedingungen des divided government in den 1980'er Jahren eher in der Ablehnung
288 Vgl. Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 57, dort Fn. 251 m. w. N. Ferner Thurber; New Rules for an Old Game: Zero-Sum Budgeting in the Postreform Congress, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 257 ff. (262). 289 Rubin, The politics of public budgeting: Getting and spending, borrowing and balancing, S. 65. 290 Vgl. Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 27; Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (164); Dodd/ Schott, Congress and the Administrative State, S. 145. Siehe ferner auch Loomis, Congressional Careers and Party Leadership in the Contemporary House of Representatives, in: American Journal of Political Science 28 (1984), S. 180 ff. (197). 291 Vgl. Dodd/Oppenheimer; Maintaining Order in the House: The Struggle for Institutional Equilibrium, in: dies., Congress Reconsidered (1993), S. 41 ff. (54); Dodd/ Schott, Congress and the Administrative State, S. 142 f. sowie Palazzolo, The Speaker and the Budget, S.27.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
des präsidentiellen Programms als in der Fähigkeit zur Formulierung klarer Alternativen zum Ausdruck292 . Die Summe der das Sprecher-Amt betreffenden Reformen resultierte nach Dodd/Oppenheimer in "a true resurgence of the speakership,,293. Diese Einschätzung trifft insoweit zu, als der Umfang der Instrumentarien des Sprechers zur Organisation der Mehrheitsfraktion sowie zur Koordination des parlamentarischen Verfahrens, d. h. der Grad seiner institutionellen Macht, seit der Post-Reform Ära größer ist als jemals zuvor seit 1910. Gleichwohl ist er nicht so groß wie der eines Speaker Reed oder Cannon. Der Sprecher des Post-Reform-Kongresses gründet seine institutionelle Macht in erster Linie auf die Fraktionssatzung und nicht wie der Sprecher der partisan era auf die formelle Geschäftsordnung des Hauses. Dies führt zu einer stärkeren Abhängigkeit und Rückbindung des Sprechers an die Fraktion. Zwar hat der Speaker als Vorsitzender des Steering and Policy Committee seiner Fraktion einen erheblichen Einfluß auf die Ausschußbesetzung. Doch entscheidet er nicht allein über die Vergabe der Ausschußposten, sondern muß auf die Belange der anderen Mitglieder des Steering Committee Rücksicht nehmen. "Despite the opportunities for direct intervention by the Speaker, the size of Steering and Policy makes it difficult for party leaders to control"294. Darüber hinaus schränkte der Democratic Caucus nach dem klaren Sieg der Demokraten in den Wahlen zum 95. Kongreß 1976 den Einfluß des Sprechers auf die Besetzung des Steering and Policy Committee entscheidend ein 295 . Anders als die Republikanischen "Czars" ist der Post-Reform-Speaker auch nicht selbst Vorsitzender des Rules Committee und seine Besetzung des Lenkungsausschusses unterliegt der Zustimmung der Fraktion 296 . Eine weitere Relativierung der von Dodd/Oppenheimer getroffenen Einschätzung über das "Wiederaufleben des Sprecher-Amtes" stellen die beschränkten Möglichkeiten des modemen Sprechers zur Steuerung seiner Wirkungsbedingungen als politischer Führer dar. Waldman führt in seiner kritischen Studie zur Stärke des Post-Reform-Speaker als die wichtigsten dem Einfluß des Sprechers weitgehend entzogenen Wirkungsbedingungen die Sichtbarkeit bestimmter Verfahrensabläufe im Gesetzgebungsprozeß, den Druck aus den Wahlkreisen, die politische Stimmung im Land, die Zusammenarbeit des Präsidenten mit der 292 Dodd, Congress and the Cycles of Power, in: Livingston I Dodd I Schott, The Presidency and the Congress, S. 46 ff. (49,62); Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, S.36. 293 Dodd I Oppenheimer, Maintaining Order in the House: The Struggle for Institutional Equilibrium, in: dies., Congress Reconsidered (1993), S. 41 ff. (55); so auch Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 28. 294 Smithl Ray, The Impact of Congressional Reform: House Democratic Committee Assignments, in: Congress & The Presidency 10 (1983), S. 219 ff. (224). 295 Vgl. Uslaner, Policy Entrepreneurs and Amateur Democrats in the House of Representatives: Toward a More Party-Oriented Congress?, in: Rieselbach, Legislative Reform, S. 105 ff. (109). 296 Vgl. insgesamt auch Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 28 f.
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Kongreßführung sowie die Größe der Stimmenmehrheit im Repräsentantenhaus an 297 . Trotz dieser Beschränkungen haben die kompetentiellen Erweiterungen des Sprecher-Amtes vor allem im Zusammenhang mit einem neuen, erweiterten Rollenverständnis des Speaker im fragmentierten Gesetzgebungsprozeß der Post-Reform Ära zu einer Aufwertung des Sprechers als Koordinator, Konsensbereiter und bisweilen auch politischem Führer geführt. Die Voraussetzung für diese Entwicklung war in erster Linie eine gewandelte Erwartungshaltung der Congressmen gegenüber der Fraktionsspitze nach stärkerer politischer Führung. Die Abgeordneten sind im Zuge der Machtdezentralisierung durch die Kongreßreformen zu der Erkenntnis gelangt, daß sie ihre eigenen politischen Interessen in einem Umfeld von unabhängigen Akteuren nur durchsetzen können, wenn die Fraktionsführung und insbesondere der Sprecher "aggregates interests, determines which policies get priority at specific times, and works with the policy entrepreneurs to obtain party support for their individual programmes,,298. Das wachsende Bedürfnis nach stärkerer Koordination und Vermittlung durch den Sprecher erstreckt sich zum einen auf die Früh-Phase der Ausarbeitung von Gesetzen. Denn die politische Fragmentierung des Repräsentantenhauses macht es erforderlich, nur sorgfältig ausgearbeitete und damit breiter Unterstützung sichere Vorlagen vor das Plenum zu bringen. Zum anderen erwarten die Abgeordneten vom Sprecher auch einen strategischen Einsatz von special rules des Geschäftsordnungsausschusses zur Steuerung des Geschäftsgangs im Plenum299 . Außerdem hat die fragmentierte Struktur des Repräsentantenhauses eine integrative, möglichst viele Abgeordnete aktiv in den Gesetzgebungsprozeß einbeziehende Führung durch den Sprecher mit Hilfe des Whip-Systems und der task forces immer wichtiger werden lassen 3OO • Neben diesen gewissermaßen traditionellen, aufgrund der dezentralisierten Machtstruktur im Post-Reform-Kongreß besonders wichtigen, Führungsfunktionen der Koalitionsbildung und der Aufrechterhaltung von Fraktionsgeschlossenheieo1 haben sich im Laufe der 1980'er Jahre neue Führungsaufgaben herausgebildet. Diese dienen stärker der Erreichung bestimmter sachpolitischer Ziel vorgaben im 297 Vgl. Waldman, Majority Leadership in the House of Representatives, in: Pol. Sc. Quart. 95 (1980), S. 373 ff. (379). 298 Uslaner, Policy Entrepreneurs and Amateur Democrats in the House of Representatives: Toward a More Party-Oriented Congress?, in: Riese1bach, Legislative Reform, S. 105 ff. (110). Siehe auch Sinclair, House Majority Party Leadership in an Era of Legislative Constraint, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 91 ff. (111); ferner auch Peters, The American Speakership, S. 200. 299 Vgl. Sinclair, House Majority Party Leadership in an Era of Legislative Constraint, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 91 ff. (95 ff.). 300 Vgl. "strategy of indusion": Sinclair, House Majority Party Leadership in an Era of Legislative Constraint, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 91 ff. (99); dies., The Speaker's Task Force in the Post-Reform House ofRepresentatives, in: APSR 75 (1981), S. 397 ff. 30\ Siehe hierzu Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 1 ff.
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Zusammenhang mit der Haushaltsgesetzgebung. Es handelt sich dabei um "policyoriented tasks both internal and extern al to the House,,302. Hierzu zählt vor allem die Beteiligung des Sprechers an der Ausarbeitung der Einzelheiten der Budgetresolutionen im Haus, seine Rolle als Verhandlungsführer des Repräsentantenhauses bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Senat und das Aushandeln von Haushaltsposten mit dem Präsidenten. Seit der fundamentalen Machtdezentralisation im Repräsentantenhaus der friihen 1970'er Jahre hat besonders in den 1980'er und 1990'er Jahren ein Trend zu einer "Recentralization"303 eingesetzt, der die politische Führungsrolle des Sprechers stärkt. Begünstigt wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch das seit der Amtszeit Präsident Reagans (1981-1989) fast durchgängige divided government304 . Unter diesen Bedingungen entwickelten sich die Demokratischen Sprecher der 1980'er Jahre unter gezieltem Einsatz der Medien 305 in einem seit der Jahrhundertwende nicht gekannten Maße zu nationalen Partei- und Oppositionsführern gegen die Politik der Exekutive306 . Die Intensität, mit der sie von den ihnen zur Verfügung stehenden politischen und parlamentarischen Instrumenten zur Durchsetzung der Interessen der Mehrheitsfraktion Gebrauch machten, hing entscheidend von der jeweiligen Persönlichkeit und dem Führungsstil der Sprecher ab. Speaker Tip O'Neill (1977 -1987) nutzte die in der Reform-Ära erweiterten institutionellen Machtmittel des Sprechers unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf einflußreiche Abgeordnete. Der Zerfall der heterogenen New-Deal-Koalition in den 1970'er Jahren erlaubte ihm im Gegensatz zu seinen Demokratischen Vorgängern eine politisch-programmatische Führung307 . Er unterschied sich in der Stärke partei politischer Führung deutlich von seinem zuriickhaltenderen Vorgänger, earl Albert (1971-1977), der eher als Interessenkoordinator auftrat. Sein Nachfolger Jim Wright (1987 -1989) hingegen schöpfte die ihm zustehende institutionelle Macht in vollem Umfang aus 308 . Erstmals seit 1910 trat mit den Spre302 Vgl. hierzu insgesamt Palazzolo, From Decentralizing to Centralizing: Members' Changing Expectations for House Leaders, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 112 ff. (112). 303 Vgl. Quirk, Structures and Performance: An Evaluation, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 303 ff. (310 ff.). 304 Siehe 1. Kap. Fn. 6. 305 Vgl. hier nur Sinclair, House Majority Party Leadership in an Era of Legislative Constraint, in: Davidson, The Postreform Congress, S. 91 ff. (99 f.); Harris, The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff. m. w. N. sowie Foote, The Speaker and the Media, in: Peters, The Speaker, S. 135 ff. 306 Vgl. Peters, The Speaker of the House, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1864. Siehe zu Speaker O'Neill auch Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 113 f. 307 Siehe 3. Kap. C. III. 308 Vgl. Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (169); Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 145. Siehe zu Speaker Alberts Amtsverständnis Albert, Little Giant: The life and times of Speaker Carl Albert, S. 319 f.
D. Die Geschäftsordnungsreformen im 104. Kongreß
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ehern O'Neill und Wright die Rolle des Speaker als parteipolitischer Führer im Verhältnis zum rein präsidialen Charakter des Amtes wieder eindeutig in den Vordergrund. Nicht zuletzt aufgrund der Verschärfung des parteipolitischen Gegensatzes seit den 1980'er Jahren wurde der Sprecher wieder zum zentralen Organ der Fraktionsmehrheit im Repräsentantenhaus. Dies gilt ganz besonders für Speaker Wright, der sich mit der Durchsetzung seines ehrgeizigen Gesetzgebungsprogramms für den 100. Kongreß unter vollständiger Ausnutzung seiner Kompetenzen viele Feinde in den Republikanischen Reihen gemacht hae o9 . Den Höhepunkt der Entwicklung zur institutionellen Machtzentralisation im Sprecher-Amt seit 1910 markiert die Amtszeit Speaker Newt Gingrichs (1995-1998)310. Speaker Gingrich machte nicht nur umfassend Gebrauch von der institutionellen Macht des Sprecher-Amtes, sondern spielte im Unterschied zu seinen Vorgängern des 20. Jahrhunderts 311 in den Jahren 1994/95 selbst eine führende Rolle bei der Durchsetzung parlamentarischer Reformen zur Stärkung der Stellung des Sprechers. Unter Gingrich wurde das Speaker-Amt dariiber hinaus erstmals als ideologisches Führungsamt wahrgenommen 312 . Die Geschichte des Amtes macht deutlich, daß es rechtlich wie faktisch ganz entscheidend durch die verschiedenen Persönlichkeiten der Amtsinhaber geformt worden ist. Sie sind mit ihren durchaus unterschiedlichen Führungsstilen, politischen Fähigkeiten und Charakteren den jeweiligen politischen Herausforderungen begegnet und haben damit dem Amt in den einzelnen Phasen der politischen Geschichte der Vereinigten Staaten ein jeweils besonderes Gepräge gegeben.
D. Die Geschäftsordnun~reformen Speaker Gingrichs und der Republican Conference im 104. Kongreß ein Überblick Nach dem Sieg der Republikanischen Partei bei den Wahlen zum 104. Kongreß setzte Newt Gingrich mit Hilfe der neuerworbenen Republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus arn 04.01. 1995 eine Reihe von fundamentalen Geschäftsord309 V gl. Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (170 f.) sowie Cohen, Quick-Starting Speaker, in: National Journal 19 (1987), S. 1409 ff.; Hook, Jim Wright: Taking Big Risks to Amass Power, in: CQWR 46 (1988), S. 623 ff.; siehe zum Führungsstil der Sprecher Albert, O'Neill, Wright und Foley auch Peters, The Speakership Today, in: ders., The Speaker, S. 247 ff. (257 ff.); Wise, The Dynamics of Legislation: Leadership and Policy Change in the CongressionaI Process, S. 28 ff. 310 Siehe hierzu Peters, Institutional Context and Leadership Style: The Case of Newt Gingrich, in: Rae/Campbell, New Majority or Old Minority?, S. 43 ff. 311 Vgl. Davidson, The Speaker and Institutional Change, in: Peters, The Speaker, S. 157 ff. (174). 312 Vgl. Gibbs/Tumulty, Master of the House, in: Time-Magazine 146 (1995), S. 30 ff.; Warner / Berley, Newt Gingrich: Speaker to America, S. 224 f.
11 SemmJer
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
nungsrefonnen durch. Diese sollten einerseits Ausdruck eines offeneren, transparenteren, der Öffentlichkeit gegenüber verantwortungsbewußteren Repräsentantenhauses sein. Sie führten andererseits aber auch zu einer erheblichen Machtzentralisation313 im Speaker-Amt. Ziel war die Durchsetzung der legislativen Agenda der Republikaner, des sog. "Contract with America,,314. Die einzigen in ihrer Reichweite vergleichbaren Geschäftsordnungsänderungen seit 1911 waren die Demokratischen Refonnen der 1970'er Jahre, die indes im Laufe mehrerer Jahre und nicht innerhalb weniger Wochen durchgesetzt worden waren. Die tiefgreifenden Gingrich-Refonnen, die für die Machtverhältnisse innerhalb der Republikanischen Fraktion wie im Repräsentantenhaus insgesamt bedeutsam und auch für die einzelnen Republikanischen Congressmen einschneidend und daher nicht unumstritten waren, wurden Anfang Dezember 1994 von der Republican House Conference verabschiedet315 . Bei der Abstimmung konnte Newt Gingrich insbesondere auf die Gefolgschaft der erstmals gewählten Abgeordneten zählen, die ihre Wahl u. a. Gingrichs Unterstützung im Wahlkampf sowie dem von ihm und der Republikanischen Parteiführung initiierten "Contract with America" verdankten. Daneben konnte sich Gingrich aber auch schon deshalb einer breiten Unterstützung seiner Refonnpläne unter den Republikanischen Abgeordneten sicher sein, weil sie die Überwindung des 40jährigen Minderheitsstatus in erster Linie auf Gingrichs entschiedenen, bisweilen aggressiven Führungsstil zurückführten 316 . Wiederum hing die Stärke und Durchsetzungsfähigkeit eines Sprechers und damit seine politische Führungsrolle entscheidend davon ab, ob er sich im Repräsentantenhaus bzw. in seiner Fraktion auf eine breite und geschlossene Gefolgschaft stützen kann. Ein großer Teil der Refonnen sollte verhindern, daß die Ausschüsse und ihre Vorsitzenden weiterhin als von der Fraktionsführung unabhängige Machtzentren Vgl. Gibbsl Tumulty, Master ofthe House, in: Time-Magazine 146 (1995), S. 30 ff. Viele der Geschäftsordnungsänderungen setzten indes nur bereits vorhandene Entwicklungen fort, ohne selbst revolutionäre Änderungen zu sein. Vgl. hierzu die ausführliche Übersicht der Geschäftsordnungsänderungen des 104. Kongresses bei Cloud, Organization: GOP, to Its Own Great Delight, Enacts House Rules Changes, in: CQWR 53 (1995), S. 13 ff. sowie bei Peters, The American Speakership, S. 293 ff.; Evans I Oleszek, Congress under Fire, S. 86 ff.; dies., Procedural Features of House Republican Rule, in: Rae/CampbeIl, New Majority or Old Minority?, S. 117 ff. (123 ff.). 315 Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (548). Nach Einschätzung von DeGregorio, Networks of champions: leadership, access, and advocacy in the U.S. House of Representatives, S. 130 ff. hatten die Reformen keinen "revolutionären" Charakter. 316 Vgl. insgesamt Cloud, Organization: GOP's House-Cleaning Sweep Changes Rules, Cuts Groups, in: CQWR 52 (1994), S. 3487 ff.; ferner Koszczuk, Gingrich Puts More Power Into Speaker's Hands, in: CQWR 53 (1995), S. 3049 ff. (3053); AldrichlRohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (562 ff.). 313
314
D. Die Geschäftsordnungsrefonnen im 104. Kongreß
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fungieren 3 !? Drei ständige Ausschüsse (District of Columbia, Merchant Marine and Fisheries und Post Office and Civil Service) wurden abgeschafft und ihre Zuständigkeiten anderen Ausschüssen mit breiteren Zuständigkeits bereichen übertragen. Bei den drei aufgelösten Ausschüssen handelte es sich um traditionell mit Demokratischen Interessengruppen eng verbundene committees (Bürgerrechtsgruppen, Seefahrtsgewerkschaften und Bundesbedienstete). Da die Macht von congressional committees im wesentlichen auf ihrer jeweiligen Verbindung zu Interessengruppen basiert, führen eng begrenzte Ausschußzuständigkeiten zu einer Verstärkung solcher linkages. Mit der Übertragung der Kompetenzbereiche der drei Ausschüsse auf solche mit allgemeineren Zuständigkeitsbereichen verwässerten die Republikaner den Einfluß einiger Demokratischer Lobbyismus-Gruppen im Ausschußsystem 3 !8. Diese Veränderungen führten zusammen mit der eingeführten Beschränkung der Unterausschüsse auf eine Höchstzahl von fünf3 !9 und der Beschränkung von Abgeordneten auf höchstens zwei Ausschuß- und vier Unterausschußsitze320 zu einem Wegfall von insgesamt 25 Unterausschüssen. Zusätzlich zum Wegfall der Ausschußsitze der drei aufgelösten ständigen Ausschüsse reduzierten die Republikaner auch die Größe der meisten anderen Ausschüsse erheblich. Dies führte zu einem Netto-Wegfall von 106 Ausschußsitzen bzw. 12 Prozent von vormals insgesamt 892 Ausschußsitzen im 103. Kongreß 32 ! . Den entscheidenden Schritt zur Zentralisierung von Macht innerhalb der Fraktion stellte die Änderung der Fraktionssatzung hinsichtlich der Stimmenverteilung im Republikanischen Steering Committee dar. Durch sie sicherte sich Newt Gingrich einen überproportionalen Stimmenanteil und damit einen beträchtlichen Einfluß auf die Vergabe der Ausschußposten an Republikanische Abgeordnete 322 • Ferner wurde die Gesamtzahl der Ausschußmitarbeiter (committee staff) um insgesamt ein Drittel im Vergleich zum 103. Kongreß reduziert. Dies stellte eine erhebliche Minderung der Macht der Ausschüsse dar, da der Umfang ihrer Tätigkeit maßgeblich von den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängt. Die Fraktionsführung sicherte sich ein Mitspracherecht bei der Auswahl von wichtigen 317 Vgl. Koszczuk, Gingrich Puts More Power Into Speaker's Hands, in: CQWR 53 (1995), S. 3049 ff. (3049, 3053); Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (550 f.); Evans / Oleszek, Congress under Fire, S. 87. 318 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 294 f.; ferner Cloud, Speaker Wants His Platfonn To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (335). 319 Drei Ausschüsse dürfen mehr als fünf Unterausschüsse haben: Appropriations (13), Government Refonn and Oversight (7) und Transportation and Infrastructure (6). 320 Ausgenommen die Ausschußvorsitzenden und die ranghöchsten Ausschußmitglieder der Minderheitsfraktion, die ex officio in allen Unterausschüssen vertreten sein dürfen. 321 Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (550). 322 Siehe hier nur AldrichlRohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (554); siehe 4. Kap. B. H.
11*
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
Ausschußmitarbeitern 323 . Die Amtszeit der Ausschuß- und Unterausschußvorsitzenden wurde auf drei Folgekongresse, beginnend mit dem 104. Kongreß, beschränkt324 . Das sog. "proxy voting" in den Ausschüssen, eine Art stellvertretende Stimmabgabe, wurde abgeschafft. Es hatte eine wesentliche Quelle der Macht der Ausschußvorsitzenden dargestellt, da sie hierüber Quoren und Abstimmungsergebnisse steuern konnten, ohne daß ein anderes Mitglied ihrer Fraktion in den Ausschußsitzungen anwesend war. Gleichzeitig wurde aber die Macht der Ausschußvorsitzenden gegenüber den Unterausschußvorsitzenden relativ gestärkt. Die Ausschußvorsitzenden erhielten das Recht, Unterausschußvorsitzende zu ernennen, wodurch das Senioritätsprinzip insoweit praktisch aufgehoben wurde 325 . Ferner wurde den Ausschußvorsitzenden auch die gesamte Kontrolle über die Einstellung von Mitarbeitern der Unterausschüsse übertragen, so daß die Unterausschußvorsitzenden und die ranghöchsten Ausschußmitglieder der Minderheitsfraktion nicht einmal mehr berechtigt waren, jeweils zumindest einen Mitarbeiter einzustellen. Darüber hinaus machte Speaker Gingrich auf Kosten der Ausschüsse in einem Maße von den speziell eingesetzten Fraktionsarbeitsgruppen, task forces, zur Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen Gebrauch wie keiner seiner Vorgänger. Diese task forces bestanden ausschließlich aus einzelnen Republikanischen Mitgliedern der relevanten Ausschüsse, Republikanischen Abgeordneten und Mitarbeitern sowie externen Beratern und Vertretern von Interessengruppen, die ebenfalls der Republikanischen Partei nahestanden. Die so zusammengesetzten Arbeitsgruppen bündelten das Expertenturn von Abgeordneten, Mitarbeitern und Lobbyisten unter Ausschaltung jeglichen Einflusses der Demokratischen Partei und stellten somit eine vollständige Umgehung des Ausschußwesens dar326 . Die Entmachtung der Unterausschußvorsitzenden sowie die stärkere Kontrolle der Ausschußvorsitzenden durch die Fraktionsführung, insbesondere aufgrund des erheblichen Einflusses des Sprechers auf die Vergabe der Ausschußposten durch 323 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 294 f.; vgl. auch Republican Conference Rule 24. 324 Zur Amtszeitbeschränkung des Sprechers siehe 4. Kap. A. I. 1. b) aal; vgl. auch Republican Conference Rule 14. 325 Vgl. auch Republican Conference Rule 19. 326 Vgl. Koszczuk, Gingrich Puts More Power Into Speaker's Hands, in: CQWR 53 (1995), S. 3049 ff. (3052); Peters, The American Speakership, S. 295 f.; Aldrich/Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (552). Ferner Kalb, The Official Gingrich Task Force List, in: The Hili v. 29. 03.1995, S. 8; dies., Government by Task Force: The Gingrich Model, in: The Hili v. 22.02.1995, S. 3; Oleszek, The Vse ofTask Forces in the House, CRS Report, S. 4 f. Der Einsatz von task forces ist indes keine Erfindung Newt Gingrichs, diese wurden vielmehr bereits seit Ende der 1970'er Jahre in erheblichem Umfang von den Demokraten (besonders Speaker O'Neill) eingesetzt, vgl. hierzu ausführlich Sinclair, The Speaker's Task Force in the Post-Reform House of Representatives, in: APSR 75 (1981), S. 397 ff.; dies., Majority Leadership in the V.S. House, S. 142 ff.; Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 87 f.
D. Die Geschäftsordnungsrefonnen im 104. Kongreß
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das Steering Committee, waren die wichtigsten Maßnahmen zur Zentralisierung der Führungsstruktur. Damit bildeten die Geschäftsordnungsänderungen der Republikaner im 104. Kongreß das genaue Gegenteil zu den Reformen der Demokraten in den 1970'er Jahren, deren Dezentralisation gerade zu einer Stärkung der Unterausschußvorsitzenden auf Kosten einer Schwächung der Ausschußvorsitzenden geführt hatte 327 . Ferner stellten die Republikaner die öffentliche Finanzierung der Legislative Service Organizations (LSOs) ein. Hierbei handelt es sich um die 28 der etwa 140 Mitglieder-caucuses, die zuvor vom Kongreß Büroräume und Finanzmittel für ihre Arbeit im Repräsentantenhaus erhalten hatten (hierzu gehören z. B. der Congressional Black Caucus, der Congressional Human Rights Caucus, die Democratic Study Group, das House Republican Study Committee). Die LSOs sind im allgemeinen Abgeordneten beider Parteien offenstehende Gremien, die sich mit der Analyse der Gesetzgebung unter dem Blickwinkel bestimmter politischer Interessen befassen und den Congressmen diesbezügliche Berichte und Informationen für ihre Arbeit zur Verfügung stellen. Einige der caucuses nehmen dabei aufgrund ihrer Besetzung und interessenpolitischen Ausrichtung indes den Charakter von Parteigremien an. Diese Änderungen - wie die meisten anderen Geschäftsordnungsreformen auch - dienten zwar einerseits dem von den Republikanern propagierten Ziel, "to downsize government", führten aber andererseits auch zur Beseitigung vieler verschiedener die Gesetzgebung beeinflussender Machtbastionen und damit zur Zentralisation von Macht in der Fraktionsführung328 . Dieselbe Intention verfolgten auch die von den Republikanern durchgesetzten Änderungen im seit den 1990'er Jahren skandalgeschüttelten Verwaltungsapparat des Repräsentantenhauses - "long a bastion of Democratic patronage and a deep reflection of Democratic culture,,329. Zahlreiche Dienstleistungen des Hauses wurden privatisiert (etwa Post Office) oder sogar abgeschafft (etwa Printer Office). Der Posten des House Doorkeeper wurde gestrichen und seine Funktion dem Sergeant-at-Arms übertragen 33o . Das u. a. für die Finanzverwaltung des Parlaments zuständige Committee on House Administration, ein Zentrum politischer Günstlingswirtschaft, wurde in House Oversight Committee umbenannt und vieler seiner Kompetenzen beraube 3!. Der Posten des unmittelbar dem Speaker zur Berichterstattung verpflichteten Chief Administrative Officer wurde neu geschaffen und erV gl. Peters. The American Speakership, S. 294. Vgl. im einzelnen Cloud. Organization: GOP's House-Cleaning Sweep Changes Rules, Cuts Groups, in: CQWR 52 (1994), S. 3487 ff. (3488), mit einer Aufstellung aller 28 LSOs; ferner ders .• Speaker Wants His Platfonn To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (332) sowie Peters. The American Speakership, S. 296. 329 Vgl. insgesamt Peters. The American Speakership, S. 297 f. 330 Siehe 4. Kap. A. I. 2. c). 331 Seit dem 106. Kongreß trägt es wieder die Bezeichnung Comrnittee on House Administration, siehe House Rule X, cl. 1 (i). 327
328
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3. Kap.: Ursprung und historische Entwicklung des Speaker-Amtes
setzte den Director of Non-Legislative Services 332 . Das gesamte System der Hausverwaltung wurde von Price Waterhouse auf seine Wirtschaftlichkeit hin überprüft. Das entscheidende Ziel war, die Zuteilung von Hausressourcen nicht länger nach politischen Vorlieben vorzunehmen, gleichwohl aber die Lösung von Spannungen zwischen Bedürfnissen der Politik und der Geschäftsführung dem Sprecher zu übertragen. Aufgrund der von ihm initiierten und durchgeführten Reformen der party rules und der formellen Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses verfügte Sprecher Gingrich schließlich über ein größeres Potential an zentralisierter und institutionalisierter Macht als jeder andere Speaker seit Joseph G. Cannon im Jahre 1910.
332
Siehe 4. Kap. A. I. 2. d).
4. Kapitel
Der Speaker im System des Repräsentantenhauses Die Stellung des Speaker im amerikanischen Regierungssystem als Parlamentspräsident, Verwaltungschef und Parteiführer wird insbesondere an seiner funktionellen Einbindung in die institutionelle Organisation des Repräsentantenhauses I einerseits und in die Organisationen der beiden Repräsentantenhausfraktionen andererseits deutlich. Beide Untersuchungsebenen beeinflussen die Stellung des Sprechers durch die jeweilige Aufteilung seiner Befugnisse und Verantwortlichkeiten. Innerhalb der institutionellen Gliederung des Repräsentantenhauses sind es vor allem die funktionalen Bezüge und Unterschiede zu den anderen Amts- und Funktionsträgern des Parlaments, die das Speaker-Amt konturieren.
A. Die Stellung des Speaker im Vergleich zu den anderen Amts- und Funktionsträgern des Repräsentantenhauses I. Die Wahlämter (otlicers) gemäß V.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 Als Ausdruck seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstorganisationsfähigkeit wählt das Repräsentantenhaus nach U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 einen Präsidenten (Speaker) und sonstige Amtsträger (officers). Der erste Akt eines neu zusammengetretenen Repräsentantenhauses ist die Wahl des Speaker, dessen Amt nach dem Grundsatz der personellen Diskontinuität des Abgeordnetenhauses mit dem Ende eines Kongresses, d. h. einer Wahlperiode (term), endet2 • Daneben werden gemäß Rouse Rule 11, cl. 1 zu Beginn eines jeden neuen Kongresses vier weitere Amtsträger des Repräsentantenhauses gewählt, die - entgegen der grundsätzlichen personellen Diskontinuität des Abgeordnetenhauses - solange im Amt bleiSiehe Anhang H. Die Amtszeit des Speaker beginnt mit seiner Wahl und Eidesleistung. Sie endet grundsätzlich mit dem Ende des Kongresses, für den der jeweilige Abgeordnete zum Speaker gewählt worden ist, es sei denn, der Speaker tritt vorher zurück, verstirbt oder wird vom Repräsentantenhaus seines Amtes enthoben. Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 § 2, dort Fn. 3 sowie House Manual, § 315: "A Speaker may be removed at the will of the House ... " Bisher ist jedoch noch niemals ein Speaker des Amtes enthoben worden. 1
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
ben, bis ihre Nachfolger gewählt und eingesetzt sind3 : Clerk, Sergeant-at-Arms, Chief Administrative Officer und Chaplain4 •
1. Speaker
a) Definition und Natur des Amtes aa) Verfassungsrechtliche Stellung des Amtes
Das Amt des Speaker of the Rouse of Representatives ist das höchste Legislativamt der Vereinigten Staaten und eines der drei legislativen Ämter, die ausdrücklich in der Verfassung genannt werden 5 . Die demokratische Legitimation des Speaker ist indes nicht mit der des V.S.-Präsidenten vergleichbar6 . Zwar weisen die Bestellungsverfahren des Präsidenten und des Sprechers faktische Parallelen auf, doch wird nur der Präsident vom gesamten amerikanischen Volk in einer auch formell nationalen Wahl in sein Amt gewählt. Beide Amtsträger werden vom amerikanischen Staatsvolk gewissermaßen durch ein mittelbares Wahlverfahren bestimmt. Der Präsident wird formell von einem aus Wahlen in den Einzelstaaten hervorgehenden Wahlmännergremium gewählt7 , der Speaker von den aus den landesweiten Kongreßwahlen hervorgehenden Congressmen des Repräsentantenhauses. Beiden Legitimierungsakten ist gemeinsam, daß faktisch das Volk durch die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse im Wahlmännergremium und im Repräsentantenhaus den Ausgang der Wahlen entscheidet. Denn so wie die Wahlmänner vor ihrer Wahl auf einen der auf den Bundeskonventen der Parteien nominierten Präsidentschaftskandidaten festgelegt werden, so bestätigen die Abgeordneten in praxi nur noch förmlich, unter strikter Einhaltung der So vor allem der Clerk, vgl. I Hinds' Precedents §§ 187, 188,235,244. Das Amt eines Postmaster wurde durch die House Administrative Reform Resolution von 1992 abgeschafft, siehe H. Res. 423, §§ 2, 5, Congressional Record, 09. 04. 1992, S. 9040. Zu Beginn des 104. Kongresses wurde ferner das Amt des Doorkeeper abgeschafft. V gl. hierzu insgesamt Rundquist I Tang, House Administrative Reorganization: 104'h Congress, CRS Report, S. 1 ff. 5 Vgl. insgesamt Albert, The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, S. 5. Bezüglich des Repräsentantenhauses ist es sogar die einzige ausdrücklich in der Verfassung genannte Führungsposition, denn die anderen zwei Ämter sind Senatsämter: der Vice President und der President pro tempore of the Senate. Siehe Anhang 11. 6 Gleiches gilt auch für den Vizepräsidenten, der auf demselben "ticket" gewählt wird wie der Präsident. Siehe hierzu MacNeil, Forge ofDemocracy, S. 61. 7 Siehe U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 2 und amend. XII. Eine umfassende Zusammenstellung aller die Präsidenten wahl betreffenden verfassungsrechtlichen sowie einfachgesetzlichen Rechtsgrundlagen und Parteiregelungen für die Einzelstaaten findet sich bei Durbin, Nomination and Election of the President and Vice President of the United States, S. 1 ff. V gl. jetzt Heun, Das Debakel der amerikanischen Präsidentenwahlen - eine juristische Analyse, in: JZ 2001, S. 421 ff. 3
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Fraktionsdisziplin den zuvor von der Mehrheitsfraktion intern gewählten Kandidaten für das Amt des Speaker8 . "As the elect of the elected, the Speaker stands near the president as anational figure,,9.
Allerdings sind die Wahlmänner auf den einzelnen Präsidentschaftskandidaten namentlich festgelegt, wohingegen die Abgeordneten bei der Speaker-Wahl in ihrer Entscheidung frei sind. Denn die Congressmen werden nicht mit der Maßgabe gewählt, für einen bestimmten Sprecherkandidaten zu stimmen. Diesen kennt das Volk im Vorfeld der Wahlen häufig nicht einmal, und er ist daher für das Wahlverhalten des Volkes bei den Kongreßwahlen kaum von Bedeutung. Der Name des Sprecherkandidaten steht nur faktisch aufgrund der fraktionsinternen Hierarchie schon vorher fest, denn in den überwiegenden Fällen sind die jeweiligen Fraktionsführer (Floor Leaders) in das Speaker-Amt gewählt worden lO • Doch dies bedeutet keine Festlegung auf die tatsächliche Wahl eines bestimmten Abgeordneten, weder in der Fraktionsvollversammlung noch im Haus selbst. Der Sprecher des Repräsentantenhauses kann seine demokratische Legitimation letztlich nur auf seinen eigenen Wahlbezirk und die Vollversammlung seiner Fraktion im Haus zurückführen 11. Die Wahl des Speaker ist im Gegensatz zur Präsidentenwahl eben keine nationale Wahl zur Besetzung des höchsten Legislativamtes. Die Kongreßwahlen dienen nicht in erster Linie der Besetzung des Sprecheramtes, sondern der Bestimmung einer Mehrheit im Repräsentantenhaus zur Umsetzung ihrer Politik. Die eigentliche interne Sprecherwahl im Haus ist schließlich nur eine Wahl im Rahmen der Selbstorganisation des Hauses, auf die das Wahl volk keinen konkreten Einfluß hat. Insgesamt gilt, daß der Präsident über die größere demokratische Legitimation verfügt und daß das Präsidentenamt daher eine höhere Plattform zur Einwirkung auf die nationale Politik bietet als das Speaker-Amt I2 . 8 V gl. zum Verlust der Entscheidungsfreiheit und der ursprünglichen Bedeutung des Amtes der Wahlmänner sowie zu deren Verpflichtung auf einen zuvor nominierten Präsidentschaftskandidaten Jäger, Der Präsident, in: Jäger I Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 14l. Zur Wahl des Speaker siehe im einzelnen 4. Kap. A. I. l. b). Unterschiede zwischen beiden Wahlen bestehen insofern, als die Zahl der Wahlmänner nach dem Census von 1990 538, die der Repräsentantenhausabgeordneten nur 435 beträgt. 9 Davidson/Oleszek, Congress and its Members (1996), S. 163. Die ursprüngliche Formulierung "the elect of the elect of the people" stammt von Hinds, The Speaker and the House, in: McClure's Magazine 35 (1910), S. 195 ff. (196). Siehe ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 83 und vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § l. 10 V gl. insgesamt Sinclair, Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (121 f.). Siehe auch Albert, The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, S. 5 und Deschler's Precedents Ch. 6 § 2. 11 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 309; ferner Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (332). 12 Vgl. Sinclair; The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (57); Petrocik, Divided Government: Is it all in the Campaigns?, in: Cox I Kernell, The Politics of Divided Government, S. 13 ff. (16).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Anders als der Präsident und der Vizepräsident sowie die civil officers, die gemäß U.S. Const. art. H, § 4 im Wege des impeachment-Verfahrens 13 ihrer Ämter enthoben werden können, kann der Speaker nicht in einem solchen Verfahren angeklagt werden. Zum einen wird der Begriff der "civil officers" sehr eng ausgelegt, so daß Mitglieder des Kongresses gerade nicht darunter fallen. Zum anderen kann der Speaker als Ausdruck des parliamentary privilege des Repräsentantenhauses nur durch das Haus selbst seines Amtes enthoben werden 14. Allerdings ist eine Abwahl des Sprechers jederzeit möglich, ohne daß es insofern einer Anklage bedarf. Dieser Unterschied zum Präsidenten- und Vizepräsidentenamt unterstreicht die besondere Stellung des Speaker als nur dem Repräsentantenhaus verantwortliche Spitze der Legislative. Die Möglichkeit einer Abwahl des für die Dauer einer Legislaturperiode gewählten Bundestagspräsidenten oder seiner Entfernung aus dem Amt durch einen sonstigen formellen Akt ist im Gegensatz dazu nach deutschem geltenden Parlaments- und Verfassungsrecht nicht gegeben l5 . bb) Präsidentennachfolge
Gemäß U.S. Const. amend. XXV, § 1 i.Y.m. art. H, § 1, cl. 5 wird im Falle der Amtsenthebung, des Todes, des Rücktritts oder der Amtsunfähigkeit des Präsidenten der Vizepräsident Präsident der Vereinigten Staaten. U.S. Const. amend. XX, § 3 i.Y.m. art. 11, § I, cl. 5 ermächtigt den Kongreß ferner die Präsidentschaftsnachfolge im Fall der Amtsenthebung, des Todes, des Rücktritts oder der Amtsunfähigkeit von Präsident und Vizepräsident einfachgesetzlich zu regeln. Der Kongreß hat in seiner Geschichte bisher drei Nachfolgegesetze verabschiedet. Nach dem Succession Act l6 vom 01. 03. 1792 sollte nach dem Vizepräsidenten der President pro tempore of the Senate und danach der Speaker die Präsidentennachfolge antreten. Dies änderte sich mit der Verabschiedung des Presidential Succession Act l7 vom 19. 01. 1886, der nach dem Vizepräsidenten den Secretary of State, dann den Secretary of the Treasury und schließlich alle cabinet departments (Ministerien) in der Reihenfolge ihres Gründungszeitpunkts für die Nachfolge der Siehe 1. Kap. A. I. Vgl. Kruschke, An Introduction to the Constitution of the Dnited States, S. 54. Gemäß D.S. Const. art. I, § 3, cl. 6 obliegt die Entscheidung im impeachment-Verfahren gerade der anderen Kammer, dem Senat. Zur Amtsenthebung des Speaker durch das Repräsentantenhaus vgl. lefferson's Manual, § 315. Daneben kann das Repräsentantenhaus gemäß D.S. Const. art. I, § 5, cl. 2 mit Zweidrittelmehrheit Mitglieder ausschließen. Dies gilt insofern auch für den Speaker, als bisher ausschließlich Abgeordnete in das Amt gewählt worden sind. 15 So die h.M. siehe hier nur Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 91 m. w. N., der indes auf die jederzeitige Abänderbarkeit der Geschäftsordnung sowie die nach § 126 GOBT bestehende Möglichkeit der Abweichung von der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit verweist; einen Überblick über den Meinungsstand bietet Härth, Abwählbar oder nicht? Der Parlamentspräsident und sein Amt, in: ZParl 16 (1985), S. 490 ff. 16 1 Stat. 240. 17 24 Stat. 1. 13
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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Präsidentschaft vorsah. Seit dem Presidential Succession Act vom 18.07. 1947 ist der Speaker im Falle des Todes, des Rücktritts, der Amtsenthebung, der Amtsunfähigkeit und der mangelnden rechtlichen Qualifikation des U.S.-Präsidenten nach dem Vizepräsidenten der zweite Kandidat in der Nachfolge der Präsidentschaft 18 • Absatz (a) (1) des Presidential Succession Act 19 aus dem Jahre 1947 bestimmt: "if, by reason of death, resignation, removal from office, inability, or failure to qualify, there is neither a President nor Vice President to discharge the powers and duties of the office of President, then the Speaker of the House of Representatives shall, upon his resignation as Speaker and as Representative in Congress, act as President."
Die aktuelle gesetzliche Regelung von 1947 unterstreicht die im Laufe der Zeit gestiegene Bedeutung des Speaker-Amtes in zweierlei Hinsicht, indem sie den Speaker in der Präsidentschaftsnachfolge nicht nur vor den President pro tempore of the Senate, sondern als zumindest mittelbar gewählten Amtsträger und Volksvertreter auch vor alle Kabinettsmitglieder setzt20 . Das Speaker-Amt ist damit protokollarisch das dritthöchste Staatsamt in den Vereinigten Staaten21 . Im Vergleich dazu rangiert der deutsche Bundestagspräsident nach allgemeiner Auffassung von Verfassungs- und Parlamentsrechtlern an zweiter Stelle nach dem Bundespräsidenten22 • Die Nachfolgeregelung von 1947 erlangt besondere Bedeutung für den - wenig wahrscheinlichen - Fall des Scheiterns der Präsidenten- und Vizepräsidentenwahl 18 Die Nachfolge des Speaker in das Präsidentenamt kann sogar aufgrund der im präsidentiellen Regierungssystem angelegten Möglichkeit des divided government dazu führen, daß der Speaker als neuer Präsident nicht derselben Partei angehört wie der vorhergehende Inhaber des Präsidentenamtes. Vgl. Wilson, American Government: Institutions and Policies, S. 354. Allerdings ist die Präsidentennachfolge bisher noch niemals über den Vizepräsidenten hinausgegangen. Vgl. Johnson, Govemment in the United States, S. 282. 19 P.L. 80-199,61 Stat. 380. Vgl. ferner Deschler's Precedents Ch. 6 § 2 und 3 U.S.C. § 19 (2000). 20 Die in Absatz (b) und (d) (1) des Presidential Succession Act von 1947 festgelegte Reihenfolge der Nachfolgeämter ist im Laufe der Zeit immer wieder aktualisiert worden, um der Einrichtung neuer Ministerien Rechnung zu tragen. Vgl. daher insgesamt zur Präsidentennachfolge Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 344 mit einer Übersicht der aktuellen Reihenfolge der Nachfolgeämter: Vizepräsident, Speaker, President pro tempore of the Senate, Secretaries of State, Treasury, Defense, Attomey General, Interior, Agriculture, Commerce, Labor, Health and Human Services, Housing and Urban Development, Transportation, Energy, Education, Veterans Affairs. 21 Zur Geschichte der Präsidentschaftsnachfolgegesetzgebung vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 18 ff. Im Falle des Todes eines amtierenden Speaker ist die U.S.-Flagge auf Halbmast zu hissen. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 2. Als potentieller Präsidentschaftsnachfolger steht der Speaker auch unter dem Schutz des United States Secret Service. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 2 sowie 18 U.S.c. § 3056 (2000). 22 Unabhängig davon, daß der Bundespräsident gemäß Art. 57 GG im Fall seiner Verhinderung durch den Bundesratspräsidenten vertreten wird. Vgl. hierzu Bücker; Präsident und Präsidium, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 6; Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 93.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
unter den Bedingungen von U.S. Const. amend. XII: Wenn bei der Präsidentenwahl im Repräsentantenhaus keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit der Einzelstaaten auf sich vereint und ein Vizepräsident mangels erforderlicher absoluter Mehrheit der Senatoren nicht gewählt werden kann, so wird der Speaker am 04. März des jeweiligen Jahres nach dem Presidential Succession Act von 1947 Präsident der Vereinigten Staaten23 . Es wäre in dieser Situation staatsrechtlich sogar denkbar - wenngleich praktisch kaum vorstellbar -, daß das Repräsentantenhaus durch die Wahl eines neuen Sprechers zugleich einen neuen Präsidenten wählt. Im Falle einer Präsidentschaftsnachfolge auf der Grundlage des Presidential Succession Act von 1947 ist der Sprecher gemäß Absatz (c) des Presidential Succession Act grundsätzlich bis zum Ende der laufenden präsidentiellen Amtszeit Präsident. Wenn der Sprecher allerdings wegen vorübergehender Gründe, nämlich der Nichterfüllung der rechtlichen Amtsfähigkeitsvoraussetzungen eines gewählten Präsidenten und eines gewählten Vizepräsidenten oder der persönlichen Amtsunfahigkeit von Präsident und Vizepräsident in die Präsidentschaft folgt, so übt er nach Absatz (c) (1) und (2) das Präsidentenamt nur solange aus, bis der Präsident oder der Vizepräsident die rechtlichen Amtsfähigkeitsvoraussetzungen erfüllen oder die persönliche Amtsunfähigkeit von einem von beiden behoben ist24. Nach Absatz (b) und (e) des Presidential Succession Act von 1947 muß auch der Sprecher die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für das Präsidentenamt erfüllen. So muß er gemäß U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 4 gebürtiger U.S.-Amerikaner, mindestens 35 Jahre alt sowie seit 14 Jahren Einwohner der USA sein. ce) Ausstattung und Organisation des Amtes Die Amtsausstattung des Speaker unterscheidet sich von der eines einfachen Congressmen. Dem Speaker stehen besondere Sach- und Personal mittel zur Verfügung, die ihm zum Teil sogar nach dem Ausscheiden aus dem Amt bis zu einem festgesetzten Zeitpunkt gewährt werden25 . Rechtsgrundlage der Vergütung des Sprechers und aller anderen Mitglieder des Kongresses ist U.S. Const. art. I, § 6, cl. 1. Die Grundvergütung des Sprechers beträgt 175.400 $ jährlich und entspricht derjenigen des Vizepräsidenten und des Chief Justice. Im Vergleich hierzu erhalten Abgeordnete und Senatoren jährlich ein Grundgehalt von 136.700 $ und die Majority und Minority Leaders des Repräsentantenhauses von 151.800 $26. Zusätzlich zu seinem Gehalt bezieht der Sprecher - wie der Vizepräsident - jährlich 10.000 $ 23 Die Amtszeiten des vorherigen Präsidenten und Vizepräsidenten enden gemäß U.S. Const. amend. XX, § 1 bereits am Mittag des 20.01., so daß eine weitere Geschäftsführung ausgeschlossen ist. 24 Vgl. auch U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 5 und amend. XX, § 3. 25 Vgl. insgesamt Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 2, 2.3, 2.4, 2.5 und Ch. 7 sowie 2 U.S.C. §§ 31, 31b, 31b-l bis 31b-7 (2000). 26 Vgl. zu den Bezügen House Manual, §§ 85 f.; 2 U.S.c. § 31 (2000); 3 U.S.C. § 104 (2000).
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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zur Bestreitung entstehender Sonderausgaben27 . Daneben steht dem Sprecher wie jedem anderen Abgeordneten die sog. "Members' Representational Allowance" (MRA) zu. Bei der im 104. Kongreß eingeführten MRA handelt es sich um eine Pauschale, die die Kosten für die Beschäftigung eines Mitarbeiterstabs im Washingtoner Büro und im Wahlkreisbüro des Abgeordneten sowie sonstige Post- und Bürokosten urnfaßt28 . Darüber hinaus stehen dem Speaker wie den anderen politischen Führungsämtern des Hauses (Majority und Minority Leader, Majority und Minority Whip 29) besondere sog. "Leadership Staff Allowances" für einen Mitarbeiterstab zur Unterstützung ihrer offiziellen Führungsfunktionen zu 30 . Der Mitarbeiterstab des Sprechers umfaßt etwa 45 Personen, die zum größten Teil aus diesen staatlichen Mitteln finanziert und offiziell vom Repräsentantenhaus beschäftigt werden 31 • Das Amt des Sprechers gliedert sich in das personal office, das policy office und das floor office. Beim personal office handelt es sich um das Abgeordnetenbüro des Sprechers, das wie die Büros der anderen Mitglieder des Repräsentantenhauses für die Unterstützung der Gesetzgebungstätigkeit der einzelnen Abgeordneten und die Wahlkreisarbeit zuständig ist32 . Das policy und das floor office des Sprechers sind au schließlich an seine offizielle Funktion als Parlamentspräsident gebunden. Im 106. Kongreß umfaßten das policy und das floor office Speaker Hasterts 32 Mitarbeiter. Das policy office unterstützt den Sprecher in seiner Rolle als politischer Führer des Repräsentantenhauses, indem es ihn bei der Politikplanung und -ausführung berät. Das policy office ist für die langfristige Planung ebenso zuständig wie für die Planung des legislativen Tagesgeschäfts. Die meisten politischen Entscheidungen werden in diesem Gremium getroffen. Dem policy office gehören auch der Communications Director, der Press Secretary sowie die übrigen Medienberater des Sprechers an. Das floor office ist für Angelegenheiten zuständig, die mit der Funktion des Sprechers als Kammervorsitzender in Zusammenhang stehen. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren, insbesondere der Geschäftsgang im Plenum, fällt in den Zuständigkeitsbereich des floor office. Die sog. "floor assistants" planen Verfahrensstrategien und beraten den Sprecher in verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlichen Fragen 33 . Vgl. 2 U.S.C. § 31b (2000); 3 U.S.C. § III (2000). Vgl. House Manual, § 88. Die MRA betrug im 106. Kongreß durchschnittlich 952.777 $, siehe Dwyer; Salaries and Allowances: The Congress, CRS Report, S. 1 ff. 29 Siehe 4. Kap. A. III. 30 Vgl. House Manual, § 89. 31 Zur Anzahl der Mitarbeiter von Abgeordneten und Senatoren siehe 1. Kap., Fn. 138. 32 Zu diesem Zweck teilen viele Abgeordnete ihre Büros in ein Washingtoner Hauptbüro und mehrere Zweigstellen im Wahlkreis, vgl. Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 155. 33 Organisation, Kompetenzen und Funktionsweise des Mitarbeiterstabs des Sprechers sind nicht formell erfaßt. Die Darstellung erfolgt auf der Grundlage mehrerer Gespräche des Verfassers mit dem Assistant Parliamentarian, Tom Wickham, und dem Senior Floor Assistant, Daniel Keniry, im U.S.-Repräsentantenhaus im Februar I März 2000. 27 28
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
dd) Allgemeine Bedeutung und Funktionen des Speaker
Die Leitung von Legislativorganen kann entweder in Fonn eines Präsidien- oder eines Präsidenten systems, d. h. kollektiv oder einzeln organisiert sein34 . Staaten, in denen ein mehrköpfiges Präsidium den Legislativorganen vorsteht, sind z. B. die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Norwegen und die Schweiz. Das Präsidentensystem findet sich vor allem in den vom WestminsterModell geprägten Regierungssystemen der Commonwealth-Staaten. Der Parlamentspräsident trägt hier - wie auch in einigen anderen Staaten 35 - die Bezeichnung "Speaker,,36. Auch der Kongreß des amerikanischen Regierungssystems ist nach dem Präsidentensystem organisiert. Sowohl im Vergleich zu den Vorsitzenden der Präsidentensysteme als auch der Präsidiensysteme anderer nationaler Parlamente weist das amerikanische Speaker-Amt auf einzel staatlicher Ebene wie insbesondere auf der Bundesebene37 substanziellere Verantwortlichkeiten und Befugnisse und damit vor allem eine größere politische Bedeutung auf. Grundsätzlich läßt sich in diesem Zusammenhang feststellen, daß dem Amt des Speaker bzw. Parlamentspräsidenten in parlamentarischen Regierungssystemen eher eine unparteiische, politisch-neutrale Rolle zukommt (wie bspw. in Großbritannien, Canada 34 Vgl. die vollständige Übersicht in Herman, Parliaments of the world, S. 325 ff. Siehe allgemein zu den Grundtypen von Parlamentspräsidenten Partsch, Die Wahl des Parlamentspräsidenten, in: AöR 86 (1961), S. 1 ff. (3 ff.). 35 Nicht zum Commonwealth gehörende Staaten, in denen der Parlamentspräsident ebenfalls die Bezeichnung "Speaker" trägt, sind z. B. Finnland, Schweden, Israel, Japan und Jordanien. 36 Siehe allgemein zum Speaker in den Parlamenten der Commonwealth-Staaten: Wilding / Laundy, An EncycJopaedia of Parliament, S. 710 ff.; Laundy, The Office of Speaker in the Parliaments of the Commonwealth, S. 1 ff. Siehe ferner zum Speaker des kanadischen House of Commons: Jerome, The Speakership in Canada, in: The Parliamentarian 59 (1978), S. 82 ff.; ders., Mr. Speaker, S. 1 ff.; Aitchison, The Speakership of the Canadian House of Commons, in: Clark, Canadian Issues, S. 23 ff.; Levy, Speakers of the House of Commons, S. 1 ff. m. w. N. Zum Speaker des australischen House of Representatives siehe Snedden, The Speaker of the Australian House of Representatives, in: The Parliamentarian 59 (1978), S. 205 ff. und zum Speaker des indischen House of the People (Lok Sabha) Sastry, A Comparative Study ofthe Speaker. India, Britain, and the USA, S. 1 ff.; Singh, The Speaker in India, in: The Parliamentarian 48 (1967), S. 10 ff.; Hegde, The Speakership in India, in: The Parliamentarian 59 (1978), S. 11 ff. Siehe allgemein zum britischen Speaker: Wilding / Laundy, a. a. 0., S. 703 ff.; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 391 ff. m. w. N.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 378 ff.; MacDonagh, The Speaker of the House, S. 1 ff.; Lloyd, Mr. Speaker, Sir, S. 1 ff. Im Vergleich mit den Präsidenten der beiden Kammern der hannoverschen Ständeversammlung auch Hayungs, Die Geschäftsordnung des hannoverschen Landtages (1833-1866), S. 206 ff. 37 Während auf der Bundesebene der Speaker der Parlamentspräsident des Repräsentantenhauses und der U.S.-Vizepräsident der fonnelle Senatspräsident ist, sitzt dem lower house auf Einzelstaatsebene ebenfalls ein Speaker und dem upper house entweder der Lieutenant Governor oder ein gewählter Presiding Officer vor, vgl. hierzu Jewell / Patterson, The Legislative Process in the United States, S. 118 ff.; Dimock/ Dimock, American Government in Action, S. 362 f.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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oder der Bundesrepublik Deutschland). Präsidentielle Systeme begünstigen hingegen die Herausbildung des Speaker-Amtes bzw. des Amtes des Parlamentspräsidenten zu einer unabhängigen Machtbasis (so etwa in den USA oder im Revolutionsregime des Iran)38. Der frühere Speaker of the House of Representatives, Carl Albert (1971-1977), faßt die fünf wesentlichen Funktionen des amerikanischen Speaker-Amtes wie folgt zusammen 39 : Erstens ist der Speaker der Präsident des Repräsentantenhauses. Er ist zweitens der politische Führer der Mehrheitsfraktion im Haus und trägt drittens als Kongreßabgeordneter die gleiche Verantwortung für seinen Wahlkreis wie jedes andere Mitglied des Hauses. Er ist viertens formaler Verwaltungschef der Repräsentantenhausseite des Capitols und schließlich - fünftens - als symbolisch höchster Amtsträger des Kongresses der Vertreter der gesetzgebenden Gewalt bei zeremoniellen Anlässen. Von den genannten Funktionen sind der Vorsitz im Repräsentantenhaus und die Führung der Mehrheitsfraktion bzw. -partei die wichtigsten, da sie dem Speaker den größten Einfluß im politischen Prozeß einräumen. Daran wird deutlich, daß das Amt des Speaker einen doppelten Charakter aufweist: Es ist sowohl ein richterlich-präsidiales als auch ein parteipolitisches Amt40 • Die politische Bedeutung des Speaker-Amtes im amerikanischen Regierungssystem wird damit im wesentlichen durch fünf Faktoren bestimmt: durch die Stellung des Amtes im Verfassungsgefüge41 , die Stellung des Amtes innerhalb der institu38 Vgl. hierzu Peters, The History and Character of the Speakership, in: ders., The Speaker, S. 1 ff. (2). Auch im semi-präsidentiellen Regierungssystem Frankreichs werden die Ämter des President de I' Assemblee Nationale und des President du Senat als unparteiisch und politisch-neutral verstanden, vgl. hierzu Villiers, Dictionnaire de droit constitutionnel, S. 157 sowie zu Geschichte und Kompetenzen beider Ämter die Darstellung bei Duhamell Meny, Dictionnaire Constitutionnel, S. 800 ff. Allerdings ist das jeweilige Regierungssystem nicht der alleinige Bestimmungsfaktor für die Funktion des Amtes des Parlamentspräsidenten. Im parlamentarischen Regierungssystem Japans förderte der Sprecher des Unterhauses während langer Phasen der Nachkriegszeit die Politik der Liberaldemokratischen Partei. Seit der Herausbildung eines echten Mehrparteiensystems im Jahre 1973 ist er indes zu einem parteineutralen Vorsitzenden geworden, vgl. hierzu Krauss, Conflict in the Diet: Toward Conflict Management in Parliamentary Politics, in: Krauss, Conflict in Japan, S. 243 ff. (266 ff.). 39 V gl. Albert, The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, S. 5 f. sowie Saturno, The Speaker of the House, CRS Report, S. 1 ff. 40 Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 19. Congressional Record, 02. 03. 1901, S. 3604: " ... The position of the Speaker of the House is both judicial and political. It is judicial in this, that the occupant of the chair is at all times bound by and obedient to a code of rules prescribed for the govemment and control of the House, and in the execution of which he is but its organ and servant. It is at the same time political. In the very nature of the things, he is expected in his position to look carefully to the interest of his party, and while he is to administer the affairs of his great office in a manner to best promote the public weal, it is not expected that he will fail to use alliegitimate and proper methods to build up his party and fortify it against attack... " So auch Riddick, The U.S. Congress, S. 66. Nach Deschler hat das Amt heutzutage einen stärker richterlich-vermittelnden als einen parteipolitisch-polemischen Charakter. Vgl. Deschler's Precedents, preface, S. viii. 41 Siehe 1. Kap.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
tionellen Organisation des Kongresses42 , die Kompetenzen als Parlamentspräsident43 , die dem Sprecher aufgrund der jeweiligen Fraktionssatzung eingeräumten politischen Einflußmöglichkeiten und Befugnisse als Mehrheitsführer44 und schließlich durch die Persönlichkeit der Amtsinhaber45 . "No other member of Congress possesses the visibility and authority of the Speaker of the House,,46. Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und das Speaker-Amt aufgrund seiner staatsrechtlich wie politisch herausgehobenen Stellung als das nach dem Präsidentenamt zweitmächtigste Amt in der politischen Hierarchie der USA bezeichnen 47 . (1) Die parlamentarisch-präsidiale Funktion des Speaker
Der (parlamentarisch-)präsidiale Charakter des Sprecher-Amtes wird im Gegensatz zum (partei-)politischen Charakter des Amtes durch die Rolle des Sprechers als formales Oberhaupt und neutraler Sitzungsleiter des Repräsentantenhauses bestimmt. Der Begriff "präsidial" wird hier als "parteipolitisch-neutral" verstanden. Er meint die Wahrnehmung des Amtes ohne politische Einflußnahme allein im Sinne eines über den Parteien stehenden Parlamentspräsidenten. Als solchem obliegt dem Speaker die Repräsentation des Repräsentantenhauses als gesetzgebender Körperschaft gegenüber den anderen Staatsorganen, der Öffentlichkeit und den Abgeordneten selbst. Der Sprecher ist insofern die Verkörperung der "authority and dignity"48 des Parlaments. Daneben gehört zur parlamentarisch-präsidialen Funktion des Sprechers die Verantwortung für die Effektivität des Gesetzgebungsprozesses im gesamtstaatlichen Interesse sowie der Schutz der Minderheitsrechte durch eine faire und unparteiliche Leitung des parlamentarischen Verfahrens mit dem Ziel der größtmöglichen demokratischen Legitimation der Willens bildung im Siehe 4. Kap. A. und 6. Kap. Siehe 5. Kap. 44 Siehe 3. Kap. D. und 4. Kap. B. 45 Vgl. 3. Kap. C. Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 83 und 97 ff. Zu einzelnen Speaker-Persönlichkeiten vgl. ferner z. B. Davidsonl Hammondl Smock, Masters of the House, S. 1 ff.; Bentley, Speakers of the House, S. 1 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 388 ff.; Peters, The American Speakership, S. 24 ff.; Galloway, History of the House of Representatives, S. 109 ff.; Smith, Speakers of the House of Representatives of the United States with Personal Sketches of the Several Speakers, S. I ff.; Fuller, The Speakers of the House, S. 1 ff.; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 64 ff. Die umfassendste, alle Biographien der einzelnen Sprecher bis 1984 aufführende Bibliographie ist die von Kennon, The Speakers of the U.S. House of Representatives. A Bibliography, 1789 -1984. 46 Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 165. 47 Vgl. Galloway, History of the House of Representatives, S. 112; siehe auch Deschler's Precedents Ch. 6 § 1. 48 Peters, The American Speakership, S. 278; siehe auch Cannon, The Rights of the House in Safety, Dignity, Integrity of the Proceedings, in the House of Representatives, S. 1 ff.; Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.1. 42
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Repräsentantenhaus 49 . Demgegenüber beruht die politische Funktion des Sprechers auf der Instrumentalisierung des Amtes zu partei politischen Zwecken. Der Sprecher ist als Führer der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus verpflichtet, die Interessen seiner Partei und Fraktion zu fördern. Die Repräsentationsfunktion des Sprechers hat verschiedene Dimensionen. Mit seinem Amtsantritt obliegt ihm - wie dem deutschen Bundestagspräsidenten - die Repräsentation des Parlaments als ganzes. Während diese Aufgabe dem Bundestagspräsidenten parteipolitische Mäßigung auferlegt 50 , gilt dies für den Speaker indes nicht in gleicher Intensität. Lediglich bei rein formellen und zeremoniellen Anlässen, bei denen er als höchster gewählter Amtsträger der Legislative mitunter sogar den Kongreß als Gesamtorgan repräsentiert, ist der Sprecher zur unpolitischen Wahrnehmung seines Amtes verpflichtet. Im übrigen tritt der Sprecher in der Öffentlichkeit, selbst wenn er für das Gesamtparlament spricht, in erster Linie als Führer der Mehrheitsfraktion auf und wird nicht zuletzt wegen des Verständnisses des Repräsentantenhauses als Institution der Mehrheitsherrschaft auch vorrangig als solcher wahrgenommen 51 . Anders als der Bundestagspräsident ist der Sprecher nicht auf die Rolle des allein dem Konsens verpflichteten Mahners und Wamers beschränkt, sondern es wird geradezu von ihm erwartet, daß er politisch Stellung bezieht. Freilich folgen dabei aus der Würde seines Amtes bestimmte Verhaltenspflichten im Umgang mit dem politischen Gegner und im Rahmen seiner parlamentarischen Leitungs- und Ordnungsgewalt obliegt ihm eine faire, die Rechte der Minderheit schützende Amtsausübung. Indem er alle Gesetze und gemeinsamen Resolutionen für das Repräsentantenhaus unterzeichnet - eine Aufgabe, die dem Bundestagspräsidenten für den Bundestag nicht zukommt -, vertritt er das Haus als die eine Kammer des Kongresses52 . In anderer Hinsicht repräsentiert er das Abgeordnetenhaus als eigenständige Körperschaft. Dies ist etwa der Fall, wenn er in offizieller Funktion der Staatsanwaltschaft die Namen störender Personen zur Verfolgung wegen Mißachtung des Hauses mitteilt 53 . Allerdings besitzt der Sprecher anders als der Bundestagspräsident nicht die Aktiv- und Passivlegitimation zur Vertretung des Repräsentantenhauses in allen Rechtsstreitigkeiten 54 . Der Speaker vertritt ebenso wie der BundesVgl. Peters, The American Speakership, S. 278. Vgl. hier nur Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 95. 51 Vgl. Aldrich/ Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (545, dort Fn. 7). 52 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 2, Ch. 24 sowie House Rule I, cl. 4 und House Manual, §§ 624, 625, 626. 53 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 2, 3.40, 3.41, 3.42 sowie 2 U.S.c. § 194 (2000). 54 Im Rubrum das Repräsentantenhaus betreffender Gerichtsentscheidungen wird der Speaker anders als der Bundestagspräsident nicht als Partei bezeichnet. Vgl. zum Bundestagspräsidenten Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 98; Bücker, Präsident und Präsidium, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 7 ff.; im einzelnen Ritzel! Bücker/ Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 1 ff. 49
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12 Semm1er
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
tagspräsident in seiner präsidialen Funktion auch die Mitglieder des Repräsentantenhauses in ihrer Gesamtheit. So müssen die Abgeordneten ihre Reden im Haus stets an den Speaker richten 55 . Dieser gilt als das einzige alle Abgeordneten vertretende Organ des Repräsentantenhauses. Indem er angesprochen wird, werden zugleich alle Abgeordneten des Hauses angesprochen 56 . Daneben repräsentiert er die Gesamtheit der Abgeordneten, wenn er in seiner offiziellen Eigenschaft Vorladungen nachkommt, um als Zeuge vor Gericht auszusagen 57 . Der Speaker ist ferner wie der Bundestagspräsident der offizielle Adressat und Empfänger des gesamten Schriftverkehrs, der nach dem Gesetz an den Kongreß zu richten ist58 . In seiner Eigenschaft als Parlamentspräsident hat der War Powers Act von 1973, der eine Notifizierungspflicht des U.S.-Präsidenten gegenüber dem Speaker und dem President pro tempore of the Senate bei jeder Entsendung amerikanischer Soldaten in Kampfeinsätze vorsieht, dem Sprecher auch eine formale Rolle in der Außenpolitik zugewiesen 59 . Dem Speaker stehen in seiner amtlichen Funktion als Präsident des Repräsentantenhauses zahlreiche - wenngleich nicht unbeschränkte - Befugnisse zur Organisation des Hauses und zur Regelung des Geschäftsgangs zu Gebote 6o . Grundlage dieser Rechte und Begrenzungen des Amtes sind vor allem die Geschäftsordnung (House Rules) und die Präzedenzfälle des Hauses, da die Verfassung selbst keinerlei Bestimmungen zu den Kompetenzen des Speaker enthält. Die kompetentielle Ausstattung des Amtes räumt dem Sprecher parlamentsrechtlich-institutionell erSiehe 5. Kap. C. II. 1. Vgl. House Rule XVII, cl. 2. 57 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 2, 2.1, 3.39, Ch. 11 und Ch. 29. 58 Hierzu gehören z. B. Berichte des Präsidenten, von Regierungsmitgliedern, Behördenleitern oder auch des Direktoriums des Federal Reserve System. Unabhängig davon, ob die Berichte von Gesetzes wegen explizit an ihn gerichtet sein müssen, werden in praxi alle Schriftstücke schon deshalb an den Speaker adressiert, weil es ihm obliegt, sie an die entsprechenden Ausschüsse des Hauses weiterzuleiten. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 2, Ch. 35 sowie 7 u.s.c. § 2155 (2000); 12 U.S.C. § 247 (2000); 16 U.S.C. § 46ge (2000); 22 U.S.C. §§ 1853, 2261, 2318, 2753 (2000). Zum Bundestagspräsidenten vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, S. 89; Bücker, Präsident und Präsidium, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 10. 59 Gemäß 50 U.S.c. § 1544a (1999) können der Speaker und der President pro tempore vom Präsidenten gemeinsam die Einberufung des Kongresses zur Beratung und Beschlußfassung von geeigneten Maßnahmen verlangen. Einerseits bestätigte die War Powers Resolution von 1973 lediglich die bedeutende außenpolitische Rolle die die Nachkriegs-Speaker mit Carl Albert während des Vietnam-Krieges wieder zu spielen begannen. Andererseits bildet sie die formelle Grundlage für die stärkere Involvierung der Sprecher in außenpolitische Fragen, so etwa Speaker O'Neill und die Teilnahme amerikanischer Soldaten an der UN peacekeeping Mission 1983 im Libanon oder Speaker Wrights Nicaragua-Contra-Politik, vgl. hierzu im einzelnen Peters, The American Speakership, S. 174, 185,248,270 f. Siehe ferner insgesamt zur Rolle des Sprechers in der Außenpolitik Smith / Watts, The Speaker and Foreign Policy, in: Peters, The Speaker, S. 107 ff. 60 Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 2, 3, 4; siehe dazu im einzelnen 5. Kap. 55
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hebliche Einflußnahmemöglichkeiten auf den politischen Prozeß und damit auf die Form der Willensbildung ein. (2) Die parteipolitische Funktion des Speaker Der Speaker, die beiden Floor Leaders, d. h. der Majority Leader und der Minority Leader, sowie der Majority Whip und der Minority Whip sind die wichtigsten politischen Führungsämter der Fraktionen im Repräsentantenhaus 61 . Unter diesen Ämtern der Partei- bzw. Fraktionsführung im Repräsentantenhaus ist das 1787 begründete Verfassungsamt des Speaker das älteste. Es existiert ununterbrochen seit dem ersten Kongreß von 178962 . Die vier anderen Ämter sind im Repräsentantenhaus erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts offiziell als Führungsärnter der Fraktionen anerkannt worden63 • Dies hat seinen Grund darin, daß sich stabile politische Parteien erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgebildet und sich erst im späten 19. Jahrhundert feste ürganisationsstrukturen gegeben hatten 64 . Innerhalb des inneren Führungskreises, der in den frühen 1970'er Jahren um die Chief Deputy Whips und den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktionsvollversammlung erweitert worden ist, ist der Speaker jedoch der unbestrittene Führer. Dies wird schon dadurch sichergestellt, daß alle Funktionsträger unabhängig voneinander gewählt werden und damit über ihre eigene Wählerschaft im Haus verfügen, wobei diejenige des Sprechers die größte ist. Hinzu kommt, daß der Speaker die Zusammensetzung dieses inneren Führungszirkels in erheblichem Maße beeinflussen kann. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine formal festgelegte Gruppe. Vielmehr besteht diese innere Führungsriege aus denjenigen Mitgliedern, die vom Speaker regelmäßig zur Teilnahme an den Führungsgesprächen hinzugezogen werden65 . Dem Sprecher kommt als Gesamtverantwortlichem für die politische Führung seiner Fraktion im Haus auch entscheidender Einfluß auf die Festlegung der Arbeits- und Funktionsteilung zwischen den einzelnen Mitgliedern 61 Vgl. Sinclair, Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (108). Die fünf genannten Führungspositionen werden nach Sinclair zusammenfassend als "party leadership" im Gegensatz zum weiteren Begriff des "congressional leadership" bezeichnet, der neben den genannten fünf Ämtern auch noch die Ausschußvorsitzenden und die informelle Repräsentantenhausführung umfaßt. Vgl. Sinclair, a. a. 0., S. 148. Vgl. im einzelnen zu den Führungsämtern der Republikaner und Demokraten im Repräsentantenhaus Republican Conference Rule 2, Democratic Caucus Rule 2. 62 Als parteipolitisches Amt ist das Speaker-Amt allerdings erst mit Beginn der Amtszeit von Henry Clay im Jahre 1811 ausgestaltet worden. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 72. Siehe 3. Kap. C. Anders Patterson, Parteien und Ausschüsse im Kongreß, in: Thaysen I Davidson I Livingston, US-Kongreß und Deutscher Bundestag, S. 236 ff. (239), der das Speaker-Amt bereits seit dem 4. Kongreß aus dem Jahre 1795 als parteipolitisches Amt ansieht. 63 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 380. 64 Siehe 3. Kap. C. 11. 65 Vgl. Sinclair, The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (42).
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der Führungsspitze ZU66 , deren grundlegende Aufgabe es ist, "to bring coherence, direction, and efficiency to a decentralized and individualistic legislative body,,67. Diese Aufgabe hat sowohl eine parteipolitische als auch eine institutionelle Komponente68 . In parteipolitischer Hinsicht muß sie die Abstimmungsmehrheiten für die jeweiligen Gesetzesvorhaben zustandebringen und in institutioneller Hinsicht hat die Repräsentantenhausführung sicherzustellen, daß die Kammer und ihre Mitglieder ihre legislativen Aufgaben effektiv wahrnehmen 69 . Das Ziel der einzelnen Abgeordneten ist ihre Wiederwahl. Ihr politisches Interesse - speziell das der Abgeordneten der Mehrheitsfraktion -liegt daher in der Bildung von Abstimmungskoalitionen zur Durchsetzung von Gesetzesvorhaben, wenn möglich, unter Außerachtlassung von Fragen, die ihnen in ihren jeweiligen Wahlbezirken schaden könnten. Daher erwarten die Congressmen von ihren Fraktionsführungen, insbesondere den Führern der Mehrheitsfraktion, daß diese die ihnen übertragenen formellen Kompetenzen und Ressourcen nutzen, um kollektives Handeln zu ermöglichen, so z. B. Gesetzespakete zu schnüren, die von ausreichenden Mehrheiten gestützt werden 7o . Dies wiederum setzt die intensive Teilnahme der Fraktionsführer am politischen Prozeß und damit die Entwicklung von Kommunikations- und Beratungsmechanismen voraus, die diesen Koalitionsbildungen den Weg bereiten. Die Aufgabe des Speaker ist, diesen gesamten Prozeß zu leiten. Dazu soll er die Mittel seines Amtes nutzen, die legislative Agenda bestimmen und für das Programm seiner Partei im Kongreß und in der Öffentlichkeit werben 71. Desweiteren kommt den Führern der Mehrheitsfraktion und besonders dem Sprecher im Rahmen der dualen Organisationsstruktur des Hauses zwischen den für die Formulierung von Politik in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen zuständigen Ausschüssen und der Fraktion die wichtige Aufgabe der Koordination der Gesetzgebung zu. Dies gilt umso mehr, als die Führung der Mehrheitsfraktion zugleich die einzige zentrale Führung im gesamten Repräsentantenhaus ist72 . Hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens im Plenum erwarten die Mitglieder der Mehrheitsfraktion von ihrer Führung, daß sie problematische Gesetzesentwürfe und -änderungen vom Plenum fernhält, Verfahrensstrategien für wichtige Gesetze 66 Vgl. Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, Kap. 3 und 6; dies., The Emergence of Strong Leadership in the 1980s House of Representatives, in: Journal of Politics 54 (1992), S. 658 ff.; dies., The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (43). 67 Davidson/Oleszek, Congress and its ~embers, S. 184. 68 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 1. 69 Vgl. Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 184. 70 Dabei richtet die Fraktionsführung ihre Entscheidungen indes nicht allein nach den Interessen der Mehrheit der Abgeordneten, sondern auch nach der Intensität von Reaktionen seitens bestimmter Wählerminderheiten, vgl. hierzu Bawn, Congressional Party Leadership: Vtilitarian versus Majoritarian Incentives, in: LSQ 23 (1998), S. 219 ff. (221). 71 Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 288; Sinclair, The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (40 f.). 72 Vgl. Sinclair, The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (41).
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plant und für politisch sichere Abstimmungsalternativen sowie für einen reibungslosen Zeitplan der Gesetzesberatungen sorgt73 • Daneben ist der Sprecher auch maßgeblich für die externe Koordination der Politik mit dem Präsidenten und dem Senat verantwortlich 74. Dem Sprecher stehen sowohl im Rahmen der Fraktionsvollversammlung auf der Grundlage von party rules als auch im Repräsentantenhaus aufgrund der House Rules Kompetenzen zur Ausübung parteipolitischer Führung zu Gebote. Innerhalb der Republican Conference bzw. des Democratic Caucus kommt dem Sprecher als Vorsitzendem des steering committee seiner Fraktion vor allem ein erheblicher Einfluß auf die Benennung von Abgeordneten seiner Fraktion für die einzelnen Ausschüsse und ihre Vorsitzendenposten ZU 75 • Die aus der Geschäftsordnung resultierenden Kompetenzen ermöglichen es dem Sprecher insbesondere, zu Gunsten seiner Fraktion Einfluß auf den Arbeitsplan und die Tagesordnung des Parlaments zu nehmen (scheduling). Er hat zwar sicherzustellen, daß das Repräsentantenhaus die notwendigen jährlichen Gesetze (etwa die Haushaltsgesetzgebung) verabschiedet. Er hat jedoch erheblichen Einfluß auf die Festlegung, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Reihenfolge bestimmte Gesetzesvorschläge im Haus verhandelt werden, und diese Festlegung bestimmt im allgemeinen den Erfolg der Gesetzesentwürfe76 • Eine einwöchentliche Verzögerung eines umstrittenen Gesetzesvorhabens kann die Chancen für dessen Verabschiedung sowohl vergrößern als auch minimieren 77 • Für Speaker O'Neill war das scheduling eine seiner wichtigsten Kompetenzen, denn "if [a Speaker] doesn't want a certain bill to come up, it usually doesn't,,78. Daneben wird dem Sprecher mit den Rechten zur Worterteilung, zur Bestimmung eines Quorums sowie zur Bestimmung der Abstimmungsdauer ein nahezu unbeschränktes Ermessen eingeräumt, das er zugunsten seiner Fraktion nutzen kann79 • Neben diesen konkreten Kompetenzen spielt auch der mit dem Amt einhergehende imponderabile Einfluß für die Ausübung von parteipolitischer Führung eine erhebliche Rolle. Speaker O'Neill hat diesen in einem Interview wie folgt umschrieben: " ... you ask me what are my powers and my authorities around here? The power to recognize on the floor; little odds and ends - like men get pride out of the prestige of handling the Committee of the Whole, being named Speaker for the day... there is a certain aura 73 Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 290; insgesamt Oleszek, Congressional Procedures, S. 31 f. 74 Vgl. zu den legislativen Funktionen des Sprechers auch Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 54. 75 Siehe 4. Kap. B. 11. und III. 76 Siehe 5. Kap. B. 77 Vgl. insgesamt Saturno, The Speaker of the House, CRS Report, S. 5 ff. 78 O'Neill/ Novak, Man ofthe House, S. 273. 79 Siehe 5. Kap. C. 11. 2., 111. 2. und VI. 2.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
and respect that goes with the Speaker's office. He does have the power to pick up the telephone and call people. And Members oftentimes like to bring their local political leaders or a couple of mayors. And oftentimes they have problems from their area and they need aid and assistance ... We're happy to try to open the door for them, having been in the town for so many years and knowing so many people. We do know where a lot of bodies are and we do know how to advise people,,80.
Um seiner Rolle als Parteiführer vollends gerecht zu werden, kann sich der Sprecher nicht nur auf fraktions- und kongreßinterne Maßnahmen beschränken. Er muß vielmehr in verstärktem Maße auch außerhalb des Repräsentantenhauses tätig werden, etwa durch öffentliches Werben für das Programm seiner Partei, die Unterstützung einzelner Abgeordneter bei ihrer Wiederwahl, die Kooperation mit Exekutive und Senat hinsichtlich der nationalen legislativen Agenda sowie durch die Wahrnehmung einer öffentlichen Oppositionsführerrolle unter den Bedingungen eines divided government 81 . Das in der Politikwissenschaft traditionelle Verständnis von congressional party leadership als vorwiegend interne FÜhrung82 wurde im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts im Sinne einer stärker öffentlichen und externen politischen Führung widerlegt. Der politische Erfolg eines Sprechers in der Mediengesellschaft des späten 20. Jahrhunderts hängt entscheidend von der Wahrnehmung seiner Öffentlichkeitsfunktion ab. "To an increasing degree, the way for a Speaker to win support among colleagues is to influence public opinion ... [Al House leader now needs some credibility outside the institution in order to win on the inside,,83.
Eine Ausweitung der Kongreßberichterstattung vor allem durch die 1979 zugelassene Fernsehübertragung der Haussitzungen (C-SPAN), die Bedingungen des divided government und insbesondere die veränderte Erwartungshaltung von Abgeordneten haben seit der Amtszeit Speaker O'Neills gegen Ende der 1970'er Jahre einen Wandel des Speaker-Amtes zu größerer Öffentlichkeits wirksamkeit ausgelöst84 . Die Sprecher des Repräsentantenhauses haben seitdem eine Art politische Symbolwirkung erlangt und sind darüber in gewissem Sinne zu öffentlichen Berühmtheiten geworden. Dies traf in besonderem Maße auf Speaker Gingrich, den Inbegriff des "public Speaker"85, zu, für den die Instrumentalisierung der Massen80 Vgl. Malbin, House Democrats are playing with a strong leadership lineup, in: National Journal 9 (1977), S. 942. 81 Vgl. Satumo, The Speaker of the House, CRS Report, S. 6; siehe 1. Kap. A. I. 82 So Peabody, Leadership in Congress: Stability, Succession, and Change, S. 27 ff.; Polsby, Two strategies of influence: choosing a majority leader, 1962, in: Peabody I Polsby, New Perspectives on the House of Representatives, S. 260 ff. 83 Ehrenhalt, Speaker'sjob transformed under 0' Neill, in: CQWR 43 (1985), S. 1247. 84 Vgl. House Manual, § 684. o 'Neill I Novak, Man of the House, S. 289 f. Die Fernsehübertragung von Senatssitzungen wurde 1986 eingeführt. Siehe zur Entwicklung des Verhältnisses des Sprechers zu den Medien insgesamt Harris, The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff. m. w. N. sowie Foote, The Speaker and the Media, in: Peters, The Speaker, S. 135 ff.
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medien eine tragende Säule seines Amtsverständnisses darstellte 86 • Bereits seit dem divided government am Anfang der 1970'er Jahre haben die Sprecher die Medien vor allem für eine öffentlichkeitswirksame Antwort auf die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation genutzt, später auch für ihre Stellungnahme zur wöchentlichen Radioansprache des Präsidenten 87 • Seit 1977 ist ein starker Anstieg der Fernsehberichterstattung über den Speaker sowohl im Verhältnis zu seinen Vorgängern als auch zu den anderen Congressmen zu verzeichnen88 . In der post-O'Neill Ära haben daneben die Auftritte der Sprecher in den sonntäglichen Talk Shows erheblich zugenommen. Außerdem wandelte sich der Charakter der täglichen Pressekonferenzen des Sprechers von bloßer sachlicher, eher auf Innenwirkung zielender Information über die anstehende Tagesordnung und das Gesetzgebungsverfahren unter Rayburn zu einer auf Außenwirkung bedachten, medienorientierten und werbewirksamen Kundgebung politischer Motive unter O'Neill und seinen Nachfolgern 89 . Der Wandel des Speaker-Amtes zu größerer Öffentlichkeitswirksamkeit und Medienorientiertheit ist von einem organisatorischen Wandel innerhalb der Institutionen der Fraktionsführung begleitet worden. Die wichtigste Veränderung zur Unterstützung der neuen öffentlichen Rolle des Sprechers ist die Institution eines Pressesekretärs und deren Bedeutungszunahme im Laufe der Zeit. Seit der Einführung eines solchen Postens im Jahre 1972 unter Speaker Albert haben die Pressesekretäre der Sprecher an Zahl, Prestige und Expertenturn stetig zugenommen. In Speaker Gingrichs Stab waren allein vier Mitarbeiter für die Medientätigkeit verantwortlich 9o . Ferner bleibt die Pressetätigkeit nicht auf den Mitarbeiterstab des Sprechers beschränkt. Vielmehr sichern regelmäßige Treffen zwischen den Presseverantwortlichen des Sprechers und denen des Majority Leader, der Whip-Organisation sowie der Fraktionsvollversammlung ein hohes Maß an Koordination und Integration der Pressearbeit. 85 Der Begriff des "public speaker" stammt von Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, Kap. 11. 86 Newt Gingrich: "Each generation produces its own style of being effective. The most accurate statement of how I see the speakership fis] somebody who could somehow combine grassroots organizations, mass media and legislative detail into one synergistic pattern". Zitiert nach Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (333). 87 Vgl. Foote, Television Access and Political Power: The Networks, the President, and the "Loyal Opposition", S. 50 ff. 88 Wenngleich innerhalb dieses Zeitraums wiederum Unterschiede zwischen einzelnen Speakerpersönlichkeiten festzustellen sind; vor allem Speaker Hastert ist gegenüber den Medien zurückhaltender als seine Vorgänger. 89 Auf Betreiben Speaker Gingrichs wurde seine tägliche Pressekonferenz vom Fernsehsender C-SPAN sogar national ausgestrahlt, vgl. Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (331). 90 Kenan Block: "Speaker Gingrich is surrounded by people who are incredibly sophisticated about how to use the media and how to use television". Zitiert nach Jacoby, Gingrich briefings to be scaled back, in: Roll Call v. 04. 05. 1995, S. 1, 16.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Der Aufstieg des media speakership führt zu weitreichenden Folgen für das politische System der USA und das Speaker-Amt91 . Die Aufwertung der Medienwirksamkeit des Speaker-Amtes, wie der Kongreßführung im allgemeinen, wirkt sich auf das relative Machtgleichgewicht zwischen Kongreß und Präsident aus. So wie der Gebrauch der Medien seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zur Stärkung des Präsidentenamtes beigetragen hat, hat die Instrumentalisierung der Medien durch die Kongreßführer im letzten Viertel des Jahrhunderts zur einer Stärkung des Kongresses gegenüber dem Präsidenten geführt. Wenngleich der Kongreß nicht in demselben Umfang Gegenstand der Medienberichterstattung ist wie der Präsident, so erhält er doch in zunehmendem Maße Gelegenheit, medienwirksam auf politische Aktivitäten des Weißen Hauses zu reagieren. Dies gilt vor allem für die Konstellation eines divided government. Unter Einsatz der Mittel moderner Massenmedien gelingt es Sprechern bisweilen sogar, nicht nur die Agenda des Repräsentantenhauses, sondern teilweise anstelle des Präsidenten auch die nationale Agenda zu bestimmen. Dies war insbesondere unter den Sprechern Wright92 und Gingrich im 100. und 104. Kongreß der Fall. Nach seiner landesweit übertragenen Fernsehansprache an das amerikanische Volk vom 07.04. 1995 und seiner öffentlichen Diskussion mit Präsident Clinton über verschiedene nationale Fragen vom 11. 06. 1995 in New Hampshire schien es, als trete der politische Einfluß Speaker Gingrichs, der in einer Konferenz über congressional leadership desselben Jahres seine Auffassung des prime ministerial speakership darlegte, in Konkurrenz zu dem Präsident Clintons93 . Die öffentliche Rolle der Sprecher stärkt einerseits ihre Führungsfunktion und macht sie in einem divided government zu umso mächtigeren Symbolen des Parteiprogramms der Opposition94 . Andererseits werden sie aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung verwundbarer. So trugen ethische Anschuldigungen seitens der Minderheitsfraktion zum Sturz Speaker Wrights 95 bei und Speaker Foleys Politik in Fragen der Mandatszeitbegrenzungen für Abgeordnete hat ihn in seinem Wahlkreis angreifbar gemacht 96 . Schließlich hat die verstärkte Medienberichterstattung über das Speaker-Amt nicht zwangsläufig zur Folge, daß der Sprecher zum nationalen Parteiführer wird. Der institutionelle Rahmen des Amtes verbunden mit den Möglichkeiten der Mas91 Vgl. insgesamt Harris, The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff. (207). 92 Vgl. Cohen, Quick-Starting Speaker, in: National Joumal19 (1987), S. 1409 ff. 93 Die NBC Korrespondentin Lisa Myers kommentierte die starke Medienwirkung Gingrichs zu Beginn seiner Amtszeit mit den Worten: "Newt is the star. Newt's setting the agenda". Zitiert nach Kurtz, Television has trouble bringing Congress's revolution into focus, in: Washington Post v. 24. 01. 1995, S. A 1. 94 Siehe 1. Kap. A. I. 95 U.a. ging es dabei um Verstösse gegen Nebenverdienstvorschriften und um die Scheinbeschäftigung seiner Frau. Vgl. Peters, The Speakership Today, in: ders., The Speaker, S. 247 ff. (261); ders., The American Speakership, S. 277. Siehe auch insgesamt Barry, The Ambition and the Power, S. 678 ff. 96 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 289, 291.
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senmedien schaffen hierfür zwar die Grundlagen. Doch letztlich hängt es vom jeweiligen Amtsinhaber ab, ob er durch Medienpräsenz auch extern, also außerhalb des Repräsentantenhauses bzw. Kongresses, als Parteiführer auf der nationalen Bühne auftreten will. Es hängt also von der Persönlichkeit eines Sprechers ab, ob er in einem weiteren Sinne als political leader agieren will oder ob er seine Rolle nur intern als Mehrheitsführer seiner Fraktion im Repräsentantenhaus definiert und sich dabei allein auf die gesetzgeberischen Aufgaben eines legislative leader im Parlament konzentriert. Zur Veranschaulichung beider Varianten können die beiden letzten Republikanischen Amtsinhaber herangezogen werden 97 . Speaker Newt Gingrich stellte den Prototypen eines political leader bzw. symbolic leader dar, der die nationale Bühne suchte, um dem Präsidenten als landesweiter Oppositionsführer seiner Partei gegenüberzutreten. Speaker Dennis J. Rastert beschränkt sich im Gegensatz dazu auf die Rolle eines legislative leader bzw. manager des Repräsentantenhauses 98 . Er wählt seine Presseauftritte geradezu vorsichtig aus und konzentriert sich in erster Linie - hierin Rayburn vergleichbar - auf die legislative Führung zur Erfüllung der Agenda des Repräsentantenhauses. Als Führer seiner Partei bzw. Fraktion agiert der Sprecher in jedem Fall, nur wählt er im ersten FaIl einen größeren Wirkungskreis als im zweiten. Die Unterschiedlichkeit der Führungsstile von Gingrich und Rastert verdeutlicht darüber hinaus exemplarisch das Potential des Speaker-Amtes zwischen seinem präsidialen und seinem politischen Charakter. Ca) Die unterschiedliche Stellung und Funktion des amerikanischen gegenüber dem britischen Speaker Die Besonderheit des amerikanischen Sprechers ist seine politische Funktion. Sie ist am deutlichsten in einem Vergleich mit dem britischen Speaker zu konturieren. In Großbritannien gehört das zum Speaker gewählte Mitglied des Unterhauses vom Augenblick seiner Wahl keiner politischen Partei mehr an, betritt keinen politischen Club mehr und enthält sich innerhalb und außerhalb des Unterhauses jedweder politischen ÄUßerung und Tätigkeit. Das Parlamentsrecht erlaubt ihm ledig97 Ein Grund für das unterschiedliche Amtsverständnis Gingrichs und Hasterts ist sicherlich in den Umständen zu sehen, unter denen beide in ihr Amt gelangt sind. Gingrich hatte seine Partei 1994 als politicalleader aus einem vier Jahrzehnte langen Minderheitsstatus herausgeführt. Hastert ist 1999 nicht zuletzt deshalb von den Republikanern zum Sprecher gewählt worden, weil sie, nachdem ihre populären Parteigrößen, Gingrich und Livingston, wegen ethischer Anschuldigungen nicht mehr für das Speaker-Amt in Frage kamen, vor allem einen glaubwürdigen Sachwalter für die Lenkung der legislativen Aufgaben des Repräsentantenhauses suchten. Gingrich ist freilich auch für die beträchtlichen Verluste der Republikaner in den Wahlen zum 106. Kongreß verantwortlich gemacht worden. Vgl. Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 163, 171; Wieland, Die republikanische Revolution frißt ihren Erfinder, in: FAZ v. 09. 11. 1998, S. 3. 98 Vgl. Peters, Institutional Context and Leadership Style: The Case of Newt Gingrich, in: Rae/Campbell, New Majority or Old Minority?, S. 43 ff. (59 f.). Siehe hierzu auch den Vergleich der Führungsstile der Sprecher Gingrich und Hastert bei Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 173.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
lich, sich im Falle eines Stimmengleichstands an einer Abstimmung zu beteiligen. Üblicherweise einigen sich Regierung und Opposition auf einen Kandidaten für das Amt und wählen diesen dann einstimmig. Die Wiederwahl des britischen Speaker ist nach feststehendem parlamentarischen Brauch grundsätzlich solange gesichert, bis der jeweilige Speaker selbst dem Amt entsagt. Dies gilt sogar dann, wenn die Partei, der der Speaker angehört, später zur Minderheitspartei wird. Bei Wahlen stellt die Gegenpartei dem Speaker in der Regel noch nicht einmal einen Opponenten in seinem Wahlkreis gegenüber99 , da er als "Speaker seeking re-e1ection" keiner Partei mehr angehört. Im Wahlkreis des britischen Speaker ist die politische Organisation vielmehr suspendiert. Denn der Sprecher bedarf ja gerade keiner politischen Parteiorganisation, um seine Wiederwahl zu sichern, zumal die dortige Presse von jeder Kritik oder Kommentierung seines politischen Verhaltens absehen muß. Die dem britischen Speaker auferlegte völlige politische Passivität führt somit faktisch dazu, daß sein Wahlkreis politisch nicht vertreten ist. Dies bedeutet also praktisch eine Wahlentrechtung (practical disfranchisment) der entsprechenden Wähler. Mit seinem Rücktritt vom Speaker-Amt gibt das jeweilige Mitglied des Unterhauses sein Mandat auf, und es wird ihm daraufhin von der Krone die Pairs würde verliehen. Mit der Wahl zum Speaker des Unterhauses endet also gewissennaßen zugleich die aktive politische Tätigkeit eines Abgeordneten, da er sich von diesem Zeitpunkt an traditionell nicht mehr an der politischen Auseinandersetzung beteiligen kann. Die unparteiliche Rolle des britischen Sprechers entwickelte sich parallel zur Herausbildung des cabinet government im House of Commons lOO. Diese absolute Unparteilichkeit des britischen Speaker ist der Ursprung der Autorität des Amtes in Großbritannien und bildet dessen "Lebensgesetz"lOl. 99 Dies war im Jahre 1992 anders, als mit Betty Boothroyd erstmals in der Geschichte des Parlaments eine Gegenkandidatin zum vorab erwählten Speaker aufgestellt wurde. Sie wurde daraufhin auch als erste Frau in das Amt gewählt. Vgl. Heimrich, Eine Wahl nach Drehbuch wird es diesmal nicht geben, in: FAZ v. 08. 08. 2000, S. 3. 100 Zur historischen Entwicklung des britischen Speaker-Amtes siehe 3. Kap. A. I. Siehe auch insgesamt zu einem Vergleich des amerikanischen mit dem britischen Speaker Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (185). 101 Vgl. insgesamt Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 392 ff.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 378 ff. sowie Wilding I Laundy, An Encyclopaedia ofParliament, S. 703 ff.; Bryce, The American Commonwealth, vol. I, S. 138. Die erwähnte "Wahlentrechtung" wird in den Augen der Bevölkerung des betreffenden Wahlkreises allerdings durch das hohe Ansehen und die Ehre "kompensiert", die seinem Vertreter von Parlament und Land entgegengebracht wird. Vgl. Redlich, a. a. 0., S. 397 m. w. N. Zu Reformansätzen Wilding I Laundy, a. a. 0., S. 706. Vgl. ferner Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 29. Er wird von den Unterhausmitgliedern aus ihrer Mitte gewählt und bedarf zu seiner Ernennung der Zustimmung der Krone. Diese wird allerdings in praxi nie versagt, weil dies zu einem ernsten Verfassungskonflikt zwischen Krone und Parlament führen würde. Als unparteiischer Parlamentspräsident, der über die Rechte und Freiheiten des Unterhauses zu wachen hat, ist er kein politischer Führer, sondern vielmehr unparteiischer "Diener" des gesamten Hauses. Äußere Zeichen der besonderen Würde seines Amtes
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Der britische Speaker wird demnach des Status eines Parteimitglieds und Volksvertreters mit materiellem Einfluß auf den politischen Prozeß enthoben und auf eine rein formelle, unparteiliche, sitzungsleitende Rolle beschränkt, die es ihm versagt, als politischer Führer seiner Partei in Erscheinung zu treten. Der amerikanische Speaker hingegen bleibt während seiner gesamten Amtszeit ein Parteipolitiker 102 . Dies gilt auch über seine Amtszeit hinaus, denn die Wahl zum Speaker des Repräsentantenhauses bedeutet nicht zugleich den zwangsläufigen Abschied aus der aktiven Politik!03. Der amerikanische Speaker muß sich in seinem Wahlkreis ebenso einem Gegenkandidaten stellen wie jeder andere Abgeordnete auch. Es wird von ihm erwartet, daß er die Interessen seines Wahlkreises mit der gleichen politischen Entschlossenheit vertritt wie die anderen Mitglieder des Repräsentantenhauses. Zugleich ist der Speaker aber auch als von der Mehrheitsfraktion nominierter und vom Plenum gewählter Präsident des Abgeordnetenhauses der parteipolitische Führer der Repräsentantenhausmehrheit 104 . Zwar ist ein Speaker in der Demokratischen und der Republikanischen Fraktion auf unterschiedliche Art und Weise in die Fraktionsstrukturen eingebunden und insoweit mit zum Teil unterschiedlichen Kompetenzen und Funktionen ausgestattet. Doch läßt sich generell sagen, daß der Speaker einerseits über maßgeblichen fraktionsinternen Einfluß hinsichtlich der Organisation der Mehrheitsfraktion im Haus, der Festlegung von Ausschußzuständigkeiten und -besetzungen, der Aufstellung von standing rules und party rules sowie der Bestimmung des Parteiprogramms verfügt. Andererseits kann
sind Perücke und Talar, auch stehen ihm - ebenfalls anders als dem amerikanischen Speaker - weder Glocke noch Hammer bei der Sitzungs leitung zur Verfügung, sondern nur seine Autorität. Vgl. hierzu insgesamt Galloway, History of the House of Representatives, S. 133 f.; Follett, a. a. 0., S. 29. 102 Vgl. Johnson, Government in the United States, S. 371. 103 In den USA steht der vollständige Rückzug aus der aktiven Politik sowie die Aufgabe des Repräsentantenhaussitzes nach Ende der Amtszeit - Wiederwahl vorausgesetzt - allein im Ermessen des einzelnen. Gesetzliche oder traditionelle Vorgaben gibt es nicht. Der Ausstieg aus der Politik ist jedoch der Regelfall. Das aktuellste Beispiel ist Newt Gingrich. Es gab aber auch einige Fälle, in denen ehemalige Speaker nach zeitweiligem Mehrheitsverlust ihrer Partei in späteren Kongressen erneut in das Amt gewählt wurden, so etwa Henry Clay, Thomas B. Reed und Samuel T. Rayburn, oder Sprecher nach Beendigung ihrer Amtszeit ein anderes öffentliches Amt bekleideten. Henry Clay gab das Amt 1825 auf, um Secretary of State zu werden. Schuyler Colfax war Vizepräsident während Präsident Grants erster Amtszeit. lames G. Blaine wurde nach seiner Amtszeit als Sprecher in den Senat gewählt und bekleidete den Posten des Secretary of State. lohn G. Carlisle wurde nach dem Ausscheiden aus dem Amt Secretary of the Treasury und lohn N. Gamer wurde 1932 während seiner Zeit als Speaker sogar zum Vizepräsidenten gewählt und übte dieses Amt in den ersten zwei Amtszeiten Franklin D. Roosevelts aus. Die Sprecher Polk, Clay, Blaine, Reed und Clark bewarben sich sogar um die Präsidentschaftsnominierung ihrer Partei. Vgl. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (196) sowie die Übersicht bei Polsby, The Institutionalization of the U.S. House of Representatives, in: APSR 62 (1968), S. 144 ff. (150 f., Tabelle 5); siehe auch Anhang 1. 104 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 1.
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er auch seine formellen Kompetenzen als Parlaments präsident zur Förderung der Politik seiner Partei bzw. Fraktion einsetzen 105. "The British Speaker's authority is greater than his power... ; before achieving his office he may have been a relatively obscure backbeneher, and thereafter he avoids further party association and is esteemed for his impartiality. The American Speaker's power is greater than his authority, because he brings to the office his established influence in party councils, and is able to apply it thenceforward at the very centre of the House's official and party machinery"I06.
Die Amtsgewalt des britischen Sprechers ist - nach Hatschek - im Vergleich zu der der kontinentaleuropäischen Parlamentspräsidenten verhältnismäßig groß. Sie findet ihr Gegengewicht in der Unparteilichkeit des Amtes 107 • Die Machtstellung des amerikanischen Sprechers, der nicht nur mit formellen Kompetenzen ausgestatteter Parlamentspräsident, sondern auch politischer Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus ist, ist in diesem Verhältnis jedoch noch größer. Obwohl sich die politische Stellung und Funktion beider Sprecher also erheblich unterscheiden, so gleichen sie sich doch in ihren präsidialen Funktionen. Ebenso wie der amerikanische Sprecher das Abgeordnetenhaus gegenüber dem Präsidenten, dem Senat und der Öffentlichkeit als Repräsentant der Repräsentierten nach außen vertritt, so ist auch der britische Sprecher der höchste Repräsentant des Unterhauses gegenüber der Krone, dem Oberhaus sowie den sonstigen offiziellen Stellen und der Öffentlichkeit. Daneben obliegt es dem britischen Sprecher wie seinem amerikanischen Counterpart, im Rahmen der Sitzungsleitung über die Einhaltung der parlamentarischen Verfahrensregeln unparteiisch zu wachen. Der britische Sprecher hat ebenso wie der Speaker des Repräsentantenhauses für einen störungs- und obstruktionsfreien Sitzungsverlauf zu sorgen, entscheidet über Geschäftsordnungsanträge, wobei seinen Entscheidungen ebenfalls präzedenzfallbegründende Wirkung zukommt, erteilt Abgeordneten das Wort, stellt Abstimmungsfragen und verkündet die Abstimmungsergebnisse. Ferner hat er das Hausrecht im Unterhaus von Westminster und ist zugleich Verwaltungschef des House of Commons 108. Eine weitreichende richterlich-interpretative Kompetenz ist dem englischen Sprecher aufgrund des Parliament Act von 1911 eingeräumt worden. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 380. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (195). Äußeres Zeichen der Autorität des britischen Sprechers ist, daß Abgeordnete den Äußerungen des Sprechers sitzend und in völliger Stille zu folgen haben. Dies ist eine Situation, die im Repräsentantenhaus, in dem Abgeordnete ständig im Sitzungs saal ein und aus gehen, undenkbar ist. 107 V gl. Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 380. 108 Vgl. zur rechtlichen Stellung und den Kompetenzen des britischen Sprechers ausführlich May, Treatise on The Law, Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, S. 188 ff.; Griffith, Parliament. Functions, Practice and Procedures, S. 141 ff. sowie Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 400 ff.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 379 f.; Jennings I Ritter, Das britische Regierungssystem, S. 181. 105
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Dieser überträgt ihm die verbindliche und nicht überprüfbare Feststellung eines Finanzgesetzentwurfes, die Voraussetzung für die Behandlung einer Vorlage im besonderen Verfahren nach dem Parliament Act ist 109 . Der Sprecher ist in der Verfassungswirklichkeit Großbritanniens zu strikter Unparteilichkeit verurteilt und damit auf die Rolle eines bloßen Schiedsrichters und Parlamentsmoderators zurückgedrängt. Das Speaker-Amt des House of Commons ist als rein verfassungsrechtlich-formelles Amt dem politischen Kräftefeld entrückt. Der britische Speaker - einstimmig gewählt und über den Parteien stehend ist letztlich nur das Symbol für die Würde des Parlaments. Der amerikanische Speaker, der vom Repräsentantenhaus unter strikter Wahrung der Fraktionsdisziplin gewählt wird, ist hingegen der sichtbarste Ausdruck eines über das gesamte Spektrum parteiinterner ideologischer Unterschiede geformten einheitlichen Fraktionswillens llO . Der Speaker ist der Exponent der Mehrheitsfraktion schlechthin. In den USA ist daher das Verfassungsamt des Speaker im Laufe der Zeit parteipolitisch instrumentalisiert und von der jeweiligen Mehrheitsfraktion als ihr höchstes Parteiamt "vereinnahmt" worden l11 • Die Tatsache, daß der Speaker im politischen System der USA in erster Linie als Führer der Mehrheitsfraktion und nicht als Präsident des Repräsentantenhauses insgesamt angesehen wird, bestätigt diese These l12 • Im Gegensatz zum britischen Speaker-Amt mit seinem ausschließlich richterlich-präsidialen Charakter ist das amerikanische Speaker-Amt über diese rein formelle, schiedsrichterliche und sitzungsleitende Funktion hinaus eben auch ein politisches Amt. (b) Gründe für das unterschiedliche Speaker-Verständnis in den USA und Großbritannien Das unterschiedliche Speaker-Verständnis in den USA und Großbritannien ist in erster Linie auf die Unterschiede zwischen einem präsidentiellen und einem parlamentarischen Regierungssystem zurückzuführen, die sich einerseits in einem organisatorischen Sinne auf die Arbeitsweise des Parlaments und andererseits auf dessen politische Führung auswirken. Während in einem parlamentarischen Regierungssystem dem Kabinett, das grundsätzlich von der Parlamentsmehrheit gestellt wird, die Steuerung des Gesetzgebungsprozesses zufällt, kommt dem Präsidenten und seinem Kabinett im ameri109 Vgl. Parliament Act 1911, (1 & 2 Geo. 5, c. 13), s. 1 (2), (3), s. 3. Vgl. auch Anson, The Law and Custom ofthe Constitution, vol. I, S. 157. 110 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 1; siehe aber auch Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 34. III Vgl. hierzu Republican Conference Rule 2 sowie Democratic Caucus Rule 2; sowie Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 35; Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 187 f. 112 Vgl. Aldrich I Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (545, dort Fn. 7).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
kanischen Regierungssystem diese Funktion nicht zu 1J3 . Die Auswirkung dieses funktionellen Unterschieds wird dadurch verstärkt, daß der Exekutive in den USA aufgrund des aus der Gewaltenteilung und dem Inkompatibilitätsgebot folgenden Verbots der Teilnahme an Kongreßsitzungen eine direkte Steuerung des legislativen Verfahrens ablaufs unmöglich ist 1J4 . Die Folge ist, daß die notwendige Aufgabe der Steuerung des Gesetzgebungsprozesses von der Legislative selbst vorgenommen werden muß. Da die parlamentarischen Verfahrensregeln in erster Linie die Durchsetzung des Mehrheitswillens gewährleisten, fällt diese Aufgabe grundsätzlich der jeweiligen Repräsentantenhausmehrheit zu. Mit der Entstehung des Zwei-Parteien-Systems in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der wachsenden Mitgliederzahl in Senat und Repräsentantenhaus, der starken Zunahme der Gesetzgebungstätigkeit des Kongresses, die den Druck auf die schwache Organisationsstruktur des Repräsentantenhauses erhöhte, sowie mit der zunehmenden Größe und Komplexität des Ausschußwesens im 19. Jahrhundert hatten sich weitreichende Kompetenzen des Sprechers zur Steuerung des parlamentarischen Verfahrens herausgebildet l15 • Dieser sollte gewährleisten, daß aus der ungeheuren Menge von Gesetzesvorlagen zumindest die wichtigsten ihren Weg durch das Dickicht der parlamentarischen Hürden in das Plenum fanden 1J6 . So war dem Sprecher allmählich die Funktion zugewachsen, den Gesetzgebungsprozeß zu vereinfachen und zu vereinheitlichen 117. Diese Entwicklung führte zu einem immer stärkeren kompetentiellen Ausbau des Speaker-Amtes und schließlich zum "Czarism" unter den Sprechern Reed und Cannon 1J8 . Die Gründe für den schrittweisen Machtzuwachs des Speaker sind nicht in einer wissenschaftlich-abstrakt durchdachten Reorganisation des Repräsentantenhauses zu suchen, sondern in punktuellen Reaktionen des Hauses auf seine vermeintliche Arbeitsunfähigkeit angesichts des großen Gesetzesvolumens und seiner komplexen Organisationsstruktur l19 . Der Machtzuwachs des Sprechers war "a natural growth, and part of the tendency throughout the national, state, and municipal systems to put responsibility upon individuals rather than upon boards. It is a wholesome 113 Vgl. hierzu ausführlich Taylor; The Speaker and his Powers, in: North American Review 188 (1908), S. 495 ff. (499 f.). 114 Vgl. U.S. Const. art. I, § 6, cl. 2; Johnson, Government in the United States, S. 371; ferner Galloway, History ofthe House ofRepresentatives, S. 133. 115 Vor allem die Ermessensentscheidung über die Worterteilung und der Vorsitz im Rules Committee, siehe 3. Kap. C. 11. 116 Vgl. Taylor; The Speaker and his Powers, in: North American Review 188 (1908), S. 495 ff. (496 f.), der indes vor dem Hintergrund der im Jahre 1908 abnormen Macht des Sprechers für die Einführung eines modifizierten Kabinettsystems plädiert, S. 502. 117 Vgl. Hart, The Speaker as Premier, in: ders., Practical Essays on American Government, S. I ff. (10). 118 Siehe 3. Kap. C. 11. 119 Vgl. Taylor; The Speaker and his Powers, in: North American Review 188 (1908), S. 495 ff. (497).
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reaction from a di vided irresponsibility and a wasteful system of conducting the business of legislation" 120.
Eng verbunden mit der notwendigen Steuerung des Gesetzgebungsprozesses durch den amerikanischen Sprecher ist ein weiterer Aspekt zur Erklärung des unterschiedlichen Speaker-Verständnisses. Dieser Aspekt resultiert ebenfalls aus dem Fehlen einer Aktionseinheit zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit im präsidentiellen Regierungssystem sowie aus dem Verbot der Anwesenheit exekutiver Funktionsträger im Kongreß. Er liegt in der Abwesenheit "of any official Government leadership in the House of Representatives,,121 trotz der Erforderlichkeit einer solchen politischen Führung im Haus. "Not only does the constitutional separation between Congress and Executive, and between Senate and House require the unifying influence of party, but there exist necessities within the House itselfd22. Insbesondere die an europäischen Verhältnissen gemessene schwache Fraktionsdisziplin im Repräsentantenhaus macht eine politische Führung erforderlich. Im parlamentarischen Regierungssystem Großbritanniens sind die Mitglieder der Exekutive als Führer der Mehrheitsfraktion in den Sitzungen des Unterhauses anwesend und können eine strikte Fraktionsdisziplin durchsetzen, so daß die Funktion des britischen Speaker als zusätzlicher Fraktionsführer überflüssig wird. Unabhängig von der parteipolitischen Konstellation zwischen Exekutive und Legislative sind im Repräsentantenhaus keine dem britischen Premierminister oder Kabinettsmitgliedern vergleichbaren Funktionsträger der Exekutive anwesend. Es ist daher funktionell geboten, daß die Mehrheitsfraktion ihre Ziele unter Instrumentalisierung der herausragenden Stellung und Kompetenzen des Speaker als Fraktionsführer im Repräsentantenhaus durchsetzt. Der amerikanische Sprecher füllt das systemimmanente politische Führungsvakuum im Repräsentantenhaus aus. Aufgrund ihrer funktionsbedingten Unterschiede bedienen sich beide Regierungssysteme lediglich unterschiedlicher Akteure zur Erreichung desselben Ziels: politische Führung. (3) Zum Spannungsverhältnis zwischen präsidialer und partei politischer Funktion
des Speaker
In seiner offiziellen Funktion als sitzungs1eitender Präsident des Hauses ist der Speaker zwar nicht zur Unparteilichkeit, aber doch zu politischer Neutralität verpflichtet. Es ist seine Aufgabe, die Rechte aller Abgeordneten des Repräsentantenhauses zu wahren, der Mitglieder der Mehrheitsfraktion ebenso wie der Mitglieder der Minderheitsfraktion 123. Als Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus ist er ver120 Hart, The Speaker as Premier, in: ders., Practical Essays on American Govemment, S. 1 ff. (18). 121 Hierzu auch insgesamt Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (186). 122 Hasbrouck, Party Govemment in the House of Representatives, S. 84. 123 Vgl. Deschler's Precedents eh. 3 § 1.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
pflichtet, dem Gesetzgebungsprogramm seiner Partei zum Erfolg zu verhelfen und die legislative Kontrolle der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus zu sichem 124. Diese Doppelfunktion des amerikanischen Sprechers wird in einer Äußerung von Speaker Longworth aus dem Jahre 1925 treffend umschrieben: "The functions and duties of the Speakership as I view them divide themselves into two general c1asses, the one parliamentary, the other political. The first I propose to administer with most rigid impartiality. With an eye single to the maintenance in the fullest degree of the dignity and honor of the House, and the rights and privileges of its Members, I promise you that there will be no such thing as favoritism in the treatment by the Chair of either parties individuals. The political side, to my mind, involves a question of party service. I believe it to be the duty of the Speaker, standing squarelyon the platform of his party, to assist in so far as he properly can the enactment of legislation in accordance with the dec1ared principles and policies of his party and by the same token to resist the enactment of legislation in violation thereof" 125.
Zwischen der präsidialen Funktion des amerikanischen Speaker als Präsident des Repräsentantenhauses und seiner politischen Funktion als Mehrheitsführer seiner Fraktion im Haus besteht ein Spannungsverhältnis, da es sich zum Teil um konfligierende Rollen handelt. Die funktionalen Spannungen ergeben sich zum einen daraus, daß der Speaker in der politischen Praxis seine amtliche Autorität und seine amtlichen Befugnisse eben auch gezielt zu parteipolitischen Zwecken einsetzen kann. "Tradition and unwritten law require that the Speaker apply the rules of the House consistently, yet in the twilight zone a large area exists where he may exercise great discrimination and where he has many opportunities to apply the rules to his party's advantage,,126.
Zum anderen dient der Sprecher vielfach allein durch die bloße Anwendung der Geschäftsordnungsregeln den Zwecken seiner Partei bzw. Fraktion. Denn diese Regeln haben sich im Laufe der Zeit von einem Instrument des Minderheitsschutzes, als die sie insbesondere noch von Jefferson gesehen wurden, zu einem Werkzeug der Mehrheitsfraktion zur Durchsetzung ihres Gesetzgebungsprogramms entwickelt. Die Folge ist, daß für den Speaker häufig gar nicht die Notwendigkeit besteht, seine Fraktion aktiv zu bevorzugen, um seine Ziele als Fraktionsführer zu erreichen. Was den amerikanischen Speaker "politisch" macht, "is not any longer so much what he does as a presiding officer on behalf of the majority, as what he does not do on behalf of the minority,,127.
124 V gl. hierzu Albert, The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, S. 6 sowie Welch / Gruhl, American Government, S. 348. 125 Congressional Record, 07. 12. 1925, S. 382. 126 Riddick, The O.S. Congress, S. 76. Siehe hierzu ferner Bryce, The American Commonwealth, vol. I, S. 138, dessen Darstellung des Sprecher-Amts freilich in die Hochphase des partisan speakership fällt. 127 Hasbrouck, Party Government in the House ofRepresentatives, S. 85.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Auch die Entwicklung des Speaker-Amtes ist durch dieses Spannungsverhältnis zwischen präsidialer und partei politischer Funktion des Sprechers gekennzeichnet. Die Geschichte des Speaker-Amtes ist eine Geschichte des Wechsels zwischen Phasen, in denen die rein präsidiale Funktion des Sprechers im Vordergrund stand, und solchen, in denen er die Verpflichtungen aus seiner parlamentarisch-neutralen Stellung als Presiding Officer hinter den legislativen Erfolg seiner Partei zurückgestellt hat. Die Sprecher haben das Potential des Amtes unterschiedlich stark ausgeschöpft J28 . Zwar läßt sich für das 20. Jahrhundert generell sagen, daß der Unterschied zwischen der präsidialen und der partei politischen Rolle des Sprechers nicht mehr so eindeutig in den Vordergrund tritt wie im 19. Jahrhundert. Doch sind auch im 20. Jahrhundert Phasen festzustellen, in denen sich der Sprecher auf seine sitzungsleitende Funktion zurückgezogen und die politische Führung anderen, meist dem Majority Leader, überlassen hat. Dies galt insbesondere für das Verhältnis von Speaker Clark gegenüber Oscar Underwood und Claude Kitchen, von Speaker Gillett gegenüber Franklin MondeIl und Nicholas Longworth oder von Speaker Martin gegenüber Charles Halleck. Auch Speaker Hastert überläßt die politische Führung der Fraktion dem Majority Leader Dick Armey. Ebenso gab es Phasen, in denen der Speaker deutlich als Partei- und Fraktionsführer hervorgetreten ist, so z. B. die Sprecher Longworth, O'Neill, Wright und Gingrich l29 . Die Revolte gegen Speaker Cannon, der die partei politische gegenüber der rein präsidialen Rolle des Sprechers in einem Maße überbetont hatte, welches mit der grundsätzlichen Konzeption des Speaker-Amtes vollends unvereinbar war, zeigt jedoch deutlich, daß die Mitglieder des Repräsentantenhauses stets einen gerechten Sprecher einem mächtigen vorziehen und daß das Wesen des amerikanischen Speaker-Amtes in der Balance zwischen politischer Macht und institutioneller Pflicht liegt 130. Diese These wird durch ein in der Geschichte des Speaker-Amtes auffälliges Phänomen gestützt. Nachdem eine Fraktion von einem im politischen Sinne als stark betrachteten Sprecher geführt worden ist, wählt sie häufig im nächsten Kongreß einen politisch weniger dominanten, schwächeren, lediglich als moderierender Sitzungsleiter und legislativer Manager auftretenden, bisweilen sogar nur als Galionsfigur dienenden Sprecher. Dies läßt sich besonders deutlich in der Republikanischen Fraktion zeigen. Hier folgte etwa Langdon Cheves auf Henry Clay, J. Warren Keifer auf James G. Blaine und David B. Henderson auf Thomas B. Reed. Joseph G. Cannons Republikanischer Nachfolger war Frederick H. Gillett. Auf Nicholas Longworth folgte Joseph W. Martin und Newt Gingrichs Amtsnachfolger ist Dennis 1. Hastert. In der Republikanischen Partei ist damit beginnend mit Speaker Blaine, der dem Haus vom 41.- 43. Kongreß vorstand (18691875), durch das gesamte 20. Jahrhundert ein stetiger Wechsel von starken und 128 129 130
Siehe zu den verschiedenen Phasen ausführlich 3. Kap. C. I. - IV. und D. Vgl. insgesamt MacNeil, Forge ofDemocracy, S. 69 f. Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 279 und a. a. O. (1997), S. 321.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
schwachen, von als dominante Fraktionsführer und lediglich als formelle Parlamentspräsidenten auftretenden Sprechern festzustellen. Bei den Demokraten ist dieses Schema indes nicht so deutlich ausgeprägt. Hier folgte etwa Speaker James B. Clark, der sich völlig auf seine formale Rolle als Parlamentspräsident zurückzog, auf den politisch stärker hervortretenden Charles F. Crisp. Die zwischen 1931 und 1940 aufeinanderfolgenden Demokratischen Sprecher Gamer, Rainey, Byrns und Bankhead sind allesamt eher als politisch schwache Sprecher einzustufen. Sam T. Rayburn, der dem Haus 17 Jahre vorstand, kann zwar unter den Demokratischen Sprechern aufgrund seines besonderen Führungsstils als stark bezeichnet werden. Eine zentralisierte oder gar ideologische Führung übte jedoch auch er nicht aus \31. Darauf wählten die Demokraten John W. McCormack zum Sprecher, der das Speaker-Amt eher als repräsentatives Amt verstand. Ebensowenig trat dessen Nachfolger Carl B. Albert als politischer Führer in Erscheinung. Tip Q'Neill und James C. Wright hingegen nutzten das Speaker-Amt beide zur parteipolitischen Führung. Nachfolger des Letzteren wurde dann der konziliantere und moderatere Thomas S. Foley 132. Für dieses gegenüber den Republikanern weniger deutlich ausgeprägte Schema des Wechsels von starken und schwachen Sprechern gibt es im wesentlichen folgenden Grund. Die Demokraten können insgesamt zwar eine Reihe populärer Sprecher aufweisen, wie Randall, Carlisle, Gamer, Rayburn und Q'Neill. Die meisten starken, die Kompetenzen und das Potential des Speaker-Amtes restlos zur Förderung ihres Partei programms einsetzenden Sprecher waren hingegen Republikanische "Czars", wie Blaine, Reed, Cannon, Longworth und Gingrich 133 . Dies wurde nicht zuletzt dadurch begünstigt, daß die Republikaner die geschlossenere Partei mit den geringeren ideologischen Spannungen sind. Die in der Federalistund Whig-Tradition stehende Republikanische Partei weist seit jeher eine stärkere kulturelle Einheitlichkeit, ideologische Konsistenz und Homogenität auf als die Demokratische, die durch große ethnische und religiöse Verschiedenheit sowie regionale Eigenart als Folge ihres auf die Anti-Federalist und Democratic-Republican Party zurückgehenden Erbes gekennzeichnet ist 134 . Daher haben die Republikanischen Sprecher eine stärker zentralisierte Partei- bzw. Fraktionsführung ausüben können als die Demokratischen 135. Für die Demokraten hat sich - anders als bei den Republikanern - im Grunde nie die Situation ergeben, den autokratischen Führungsstil eines Demokratischen Sprechers durch einen moderateren, sich betont Siehe 3. Kap. C. III. Siehe insgesamt Anhang I. I33 Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 291 f. und a. a. O. (1997), S. 293; ferner Green, Who runs Congress?, S. 136. 134 Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 53, 290 ff.; Wasser, Politische Parteien und Wahlen, in: Adams I Lösche, Länderbericht USA, S. 305 ff. (308); auch Lösche, Amerika in Perspektive, S. 207 f.; ferner Ladd, American Political Parties, Kap. 4. 135 Vgl. Peters, The American Speakership (1990), S. 291 f. und a. a. o. (1997), S. 293. 131
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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auf die präsidiale Rolle des Amtes zurückziehenden Sprecher ausgleichen zu müssen, um dadurch den Abgeordneten wieder größeres Gewicht gegenüber der Fraktionsführung zu verschaffen. ee) Bestimmungsfaktoren des politischen Führungsstils
Der politische Führungsstil des Speaker, seine Macht und seine Rolle im Regierungssystem haben sich im Laufe der Zeit verändert '36 und werden auch zukünftig Veränderungen erfahren. Zu fragen ist nach den Faktoren, die diesen Wandel im politischen Führungsstil ermöglicht und bestimmt haben. In der amerikanischen Politikwissenschaft werden unterschiedliche Antworten angeboten. Mary Parker Follett hat in ihrem 1896 enstandenen Grundlagenwerk über das Speaker-Amt als erste die politische Führung als Hauptfunktion des Amtes herausgearbeitet und so den Boden für ein neues Verständnis der Rolle des Speaker bereitet. Sie geht davon aus, daß die Macht und Effektivität eines Speaker vor allem von seinen persönlichen Führungsqualitäten und seinem Engagement für ein bestimmtes Programm abhängt '37 . Dagegen versuchen Joseph Cooper und David Brady in ihrem vielbeachteten Artikel über die unterschiedlichen Führungsstile der Speaker Cannon und Raybum auf der Grundlage ihrer sog. "contextualist theory" nachzuweisen, daß der "institutional context" des Repräsentantenhauses die Stärke und Effektivität eines Speaker bestimmt l38 . Nach diesem sozialwissenschaftlichen Ansatz hängt die Stärke eines Speaker davon ab, wie gut er seinen Führungsstil den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen des Repräsentantenhauses, d. h. etwa dem Parteiensystem, der Organisation und Struktur des Hauses sowie der Zentralisation bzw. Dezentralisation von Macht, anzupassen imstande ist. Diese Theorie wird neuerdings auch von Douglas B. Harris gestützt. Er ist in seiner Untersuchung über die steigende Medienpräsenz des Speaker seit Tip O'Neills Amtszeit Ende der 1970'er Jahre zu der Erkenntnis gelangt, daß sich der Führungsstil der Repräsentantenhaussprecher hin zu einer stärkeren Öffentlichkeitswirksamkeit vor allem auf eine entsprechend geänderte Erwartungshaltung der Abgeordneten zurückführen läßt. Diese neue Erwartungshaltung sieht Harris als Merkmal eines neuen Typus von Congressmen und mithin als institutionellen Parameter im Sinne der contextualist theory139. Auf der Grundlage der contextualist theory haben auch John H. Aldrich und David W. Rohde ihre Theorie des sog. "conditional party govemment", auch als "partisan Siehe 3. Kap. C. und D. Vgl. Follett, The Speaker ofthe House of Representatives, bes. S. 64. 138 Vgl. Cooper/ Brady, Institutional Context and Leadership Style: The House from Cannon to Raybum, in: APSR 75 (1981), S. 411 ff. 139 Vgl. Harris, The Public Speakership: The Media and Party Leadership in the House of Representatives, 1950-1996, S. 1 ff.; ders., The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff. (206). 136 137
13*
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
theory" bezeichnet, entwickelt. Hiernach sind vor allem die internen Organisationsregeln der Mehrheitsfraktion im Haus, zu denen auch die die Haus- und Fraktionsführung betreffenden Regelungen zählen, für das Verhalten der Abgeordneten und somit auch des Speaker sowie für den legislativen Erfolg der Mehrheitsfraktion von entscheidender Bedeutung 14o . Die Stärke eines Speaker hängt folglich vom Grad des politischen Einflusses ab, den ihm die Parteistatuten zubilligen. Gegen diesen Ansatz wendet sich die von Keith Krehbiel entwickelte sog. "majoritarian theory". Hiernach wird das Repräsentantenhaus nicht entscheidend von internen Organisationsregelungen und Strukturen der Mehrheitsfraktion gelenkt, sondern in erster Linie von der majority rule. Die Mehrheit im Repräsentantenhaus ist nach Krehbiel indes nicht die majority party, sondern die jeweilige, gegebenenfalls auch Abgeordnete der Minderheitsfraktion umfassende floor majority 141. Die Effektivität und Stärke eines Speaker hängt also davon ab, inwieweit es ihm gelingt, Mehrheiten um das Zentrum des gesamten Hauses herum zustandezubringen und nicht solche, die allein von der Mitte der Mehrheitsfraktion ausgehen. Eine soziologische Betrachtungsweise eröffnet die sog. "theory of agency and leadership" von Fiorinal Shepsle 142 . Hiernach werden Führungspositionen von den Geführten an die Führer (agents) als Belohnung für Leistungen in der Vergangenheit vergeben. Für den Sprecher bedeutet das, daß er in der Rolle des "leader as folIower" der ihn stützenden Mehrheit dienen muß. Diese Theorie geht davon aus, daß sich Führer grundsätzlich berechnend verhalten. Sie werden mit Führungspositionen belohnt, wenn sie die Interessen der Geführten durchsetzen. Einen historischen Ansatz verfolgt schließlich Ronald M. Peters 143 . Er geht davon aus, daß das Speaker-Amt verschiedenen historischen Wandlungsprozessen unterliegt, die ihrerseits wiederum von Veränderungen des politischen Systems, in welchem das Repräsentantenhaus und das Speaker-Amt Bestandteile bilden, hervorgerufen und begleitet werden. Hierbei weist er den unterschiedlichen historischen Phasen jeweils charakteristische Formen des Parteiensystems, bestimmte Politiken, eine besondere institutionelle Ausgestaltung des Repräsentantenhauses sowie eine spezielle Ausprägung des Speaker-Amtes zu (parliamentary, partisan, feudal und democratic speakership). Für Peters ist das Speaker-Amt heute wie früher "a product of the Constitution, the character of the political system, the public 140 Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff.; Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 1 ff.; Aldrich, Why Parties? The Origin and Transformation of Party Politics in America, S. 1 ff. 141 Krehbiel, Information and Legislative Organization, S. 1 ff.; ders., Where's the Party?, in: British Journal of Political Science 23 (1993), S. 235 ff.; ders., Institutional and Partisan Sources of Gridlock, in: Journal of Theoretical Politics 8 (1996), S. 7 ff. 142 Fiorinal Shepsle, Formal Theories of Leadership: Agents, Agenda Setters, and Entrepreneurs, in: Jones, Leadership and Politics, S. 17 ff. (18). 143 Peters, The American Speakership, bes. S. 4.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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agenda, and modem culture"J44. In dem allmählichen Prozeß politisch-sozialer Entwicklung wird es einzelnen Sprechern gelingen, den Charakter ihres Amtes zu formen, wenn sie es nur versuchen. Die von Peters vertretene These ist grundsätzlich mit der von Cooper und Brady vergleichbar. Sie geht jedoch durch ihre Einbeziehung weiter, allgemeiner Veränderungen des amerikanischen Lebens als Formkräfte des Sprecheramtes darüber hinaus und ist insofern historisch breiter. Der "institutional context", der nach Cooper und Brady den Stil des Speaker-Amtes prägt, ist hiernach selbst wiederum nur ein Teil der politisch-sozialen Entwicklung, die letztlich für das Verständnis des Speaker-Amtes ausschlaggebend ist. Es ist unbestreitbar, daß all diese Erklärungsansätze wichtige Einflußfaktoren für den Wandel des Speaker-Amtes und des Führungsstils der einzelnen Sprecher herausgearbeitet haben. Dies gilt in besonderem Maße für die Konzeption von Peters, die wohl die umfassendste von allen ist. Alle Theorien, mit Ausnahme derjenigen von Follett, sind indes durch ein reaktives Moment gekennzeichnet. So reagiere das Speaker-Amt bzw. der Führungsstil des Speaker stets auf bestimmte externe oder interne, das Repräsentantenhaus betreffende Faktoren. Diese modemen Ansätze lassen allerdings den weiten rechtlichen Handlungsspielraum außer Betracht, der dem Speaker-Amt aufgrund seiner nur knappen verfassungsrechtlichen Normierung inhärent ist. Es ist stets jener rechtliche Handlungsspielraum gewesen, der die Grundlage für den Führungsstil starker Speaker gebildet hat. Dieser Spielraum ermöglichte den jeweiligen Amtsinhabern, sich selbst aktiv rechtliche Rahmenbedingungen für ihre Amtsausübung zu schaffen. Der Freiraum für politische Machtausübung, der etwa von Clay, Reed, Cannon und Gingrich genutzt wurde, ist letztlich in der defizitären normativen Ausgestaltung des Amtes in der Verfassung begründet. Dieser rechtliche Handlungsspielraum besteht in zwei Richtungen. Zum einen ermöglicht er einem designierten Speaker, im Vorfeld der konstituierenden Sitzung eines neuen Kongresses starken Einfluß auf die Ausgestaltung der zu verabschiedenden House Rules und party rules und damit auf die Organisation und Arbeitsbedingungen des Repräsentantenhauses zu nehmen. Dies läßt sich insbesondere am Beispiel Newt Gingrichs zeigen. Er wollte durch die maßgeblich von ihm initiierten und durchgeführten institutionellen Veränderungen im Repräsentantenhaus des 104. Kongresses, die auf eine effizientere Organisation des Hauses, eine größere Transparenz des Entscheidungsprozesses sowie vor allem auf stärkere Machtzentralisation im Sprecher-Amt zielten, in erster Linie die Vorbedingungen für die Umsetzung seines "Contract with America" schaffen J45 . Zum anderen gewährt die Geschäftsordnung, die sich auf parlamentarisches Gewohnheitsrecht stützt und hinsichtlich des Speaker-Amtes keinerlei verfassungsrechtlichen Beschränkungen unterliegt, dem Sprecher in der Parlamentspraxis ein beträchtliches Peters, The American Speakership (1990), S. 294. Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the Rouse: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (548 ff.). 144
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Ermessen. Dieses kann sich aufgrund der rechtsschöpferischen Tätigkeit des Speaker mittels precedents sogar rechtlich verfestigen und somit eine nachhaltige Wirkung erlangen. Das autokratische Regime der Sprecher Reed und Cannon ist hierfür das zentrale Beispiel. Zwar ist daran zu erinnern, daß das Speaker-Amt seit der Revolte von 1910 viel von seinem Ermessensspielraum eingebüßt hat 146. Doch verbleibt dem Speaker immer noch ein nicht zu vernachlässigender Ermessensspielraum insbesondere bei der Rederechtszuweisung und der Ausschußüberweisung von Gesetzesvorlagen l47 . Wesentliche Voraussetzung für die Stärke des Führungsstils eines Speaker ist also, daß eine politische Führungspersönlichkeit den rechtlichen Gestaltungsfreiraum des Amtes auszuschöpfen vermag. In diesem Zusammenhang ist Folletts Betonung der politischen Führungsqualitäten eines Sprechers für die Stärke seines Führungsstils nachdriicklich hervorzuheben. Ihre These ist sowohl für die Vergangenheit wie für die Gegenwart gültig. Dies gilt für die amerikanische Nation gerade auch deshalb, weil sie wegen ihrer großen Bevölkerungszahl und Heterogenität besonders nach charismatischen politischen Führern als Integrationssymbolen verlangt. Ein Speaker ist stark, wenn es ihm gelingt, das Parlamentsrecht derart fortzubilden und anzuwenden, daß es ihm die Durchsetzung seines politischen Programms erlaubt. b) Die Wahl des Speaker aa) Allgemeines
Die freie Wahl des Speaker gemäß U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 bricht entscheidend mit der englischen und kolonialamerikanischen Verfassungspraxis. Während die Speaker-Wahl in Großbritannien und den friiheren Kolonien noch der Sanktionierung durch die Krone bzw. den königlichen Gouverneur unterstand l48 , wird der Speaker nach der amerikanischen Verfassung in freier, keiner präsidentiellen Zustimmung unterliegenden Wahl bestellt. Diese Regelung ist in erster Linie Ausdruck des der U.S.-Verfassung zugrunde liegenden Gewaltenteilungsprinzips, das nach dem Verständnis der Founding Fathers gerade keinen Platz für einen vom Präsidenten zu ernennenden oder auch nur zu billigenden Speaker vorsah 149 • Die freie Wahl des Speaker nach der amerikanischen Verfassung wirkt sich allerdings nicht nur im Außen verhältnis gegenüber der Exekutive im Sinne einer Stärkung und Unabhängigkeit der legislativen Gewalt, sondern auch nach innen, d. h. im Repräsentantenhaus selbst, aus. Die freie Wahl des Speaker sichert eine unabhängigere und zugleich unbeschränktere Wahl durch die Abgeordneten und ermöglicht es 146 147 148 149
Vgl. 3. Kap. C. 11. und III. Siehe 5. Kap. B. 1. 2. und C. 11. 2. Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 29 ff. V gl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 32.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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ihnen, sich auf der Grundlage objektiver, die Persönlichkeit der Kandidaten in den Mittelpunkt stellender Kriterien zu entscheiden 150. Die Wahl des Speaker ist weder in der V.S.-Verfassung noch einfachgesetzlich näher ausgestaltet und unterliegt insofern nur zwei Beschränkungen: Mitgliedschaft im Haus und Amtszeitbegrenzung. Zwar ist weder in der Verfassung noch in den einschlägigen Gesetzen bestimmt, daß der Speaker ein Mitglied des Hauses sein muß 151 . Doch erfordert das parlamentarische Gewohnheitsrecht, ausgehend von englischen und kolonialen Präzedenzfällen, daß der Speaker stets ein Mitglied des Hauses sein muß 152 • Darüber hinaus findet die Auffassung der Griindungsväter, daß der Speaker - nach englischem Vorbild - ein Mitglied des Repräsentantenhauses sein müsse, ihren Ausdruck darin, daß die Geschäftsordnungsregel, die dem Speaker unter bestimmten Voraussetzungen ein Stimmrecht einräumt, bereits 1789 im ersten Kongreß eingeführt wurde l53 . Daneben setzt eine Reihe von Verfassungsvorschriften den Abgeordnetenstatus des Sprechers voraus. So spricht die den Speaker miteinbeziehende Eidesverpflichtung aus V.S. Const. art. VI, cl. 3 dafür, daß nur Abgeordnete in das Amt gewählt werden können l54 , und der Sprecher erhält seine Vergütung gemäß der nach ihrem Wortlaut nur für Senatoren und Abgeordnete geltenden Vorschrift V.S. Const. art. I, § 6, cl. 1. Auch die Inkompatibilitätsvorschrift V.S. Const. art. I, § 6, cl. 2, die sich auf die Mitgliedschaft im Kongreß bezieht, gilt für den Sprecher. Die seit dem ersten Kongress bestehende und seither ununterbrochene Praxis, ausschließlich Abgeordnete in das Amt zu wählen 155, hat im Laufe der Zeit zu einer diesbezüglichen Festigung des sich seit Geltung der Verfassung herausbildenden parlamentarischen Gewohnheitsrechts geführt l56 . Ähnliches gilt auch für den deut150 Vgl. hierzu die Bemerkung Judge Storys, Commentaries on the Constitution, § 685, zitiert nach Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 31 f.: "The free e1ection by the Representatives secures a more independent and unlimited choice on the part of the House, according to the merits of the individual, and their own sense of duty. It avoids those inconsistencies and collisions, which might arise from the interposition of a negative in times of high party excitement. It extinguishes a constant source of jealousy and heart-buming; and a disposition on one side to exert an undue influence, and on the other, to assurne a hostile opposition. It relieves the executive department of all the embarrassments of opposing the popular will; and the House from all the irritation of not consulting the cabinet wishes." 151 So erhielten bspw. bei der Sprecherwahl für den 105. Kongreß zwei ehemalige Abgeordnete, Robert H. Michael und Robert Walker, jeweils eine Stimme. Vgl. Congressional Record, 07. 01. 1997, S. H4. 152 So ist Lex Parliamentaria, 264, zitiert nach Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 32, dort Fn. 12 die Regel zu entnehmen: "The Speaker... is to be a Member of the House." 153 Vgl. Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 393, 397; House Manual, § 631; House Rule I, cl. 7. 154 Vgl. hier nur Deschler's Precedents Ch. 1 § 6; siehe 4. Kap. A. I. 1. b) dd) (4). 155 Vgl. hier nur Maser, The Speaker and the House, S. 15 und Galloway, History of the House of Representatives, S. 129. 156 V gl. Brown, The Leadership of Congress, S. 28.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
sehen Bundestagspräsidenten, dessen Abgeordnetenmandat weder von der Verfassung noch von der Geschäftsordnung ausdrücklich für die Wahl als Parlamentspräsident verlangt wird. Die Abgeordneteneigenschaft des Bundestagspräsidenten wird freilich als gewohnheitsrechtliehe Prämisse und unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung des Präsidentenamtes angesehen und indirekt aus der Geschäftsordnung abgeleitet J57 . Zusätzlich fordert das parlamentarische Gewohnheitsrecht für die Sprecherwahl, daß hinsichtlich der Abgeordnetenmandate der Kandidaten für das Speaker-Amt keinerlei Unsicherheiten bestehen dürfen. Der jeweilige Bewerber muß über einen sicheren Sitz im Haus verfügen. Doch dieses Erfordernis ist bereits durch Ausnahmen relativiert worden 158. Darüber hinaus muß ein Abgeordneter als Kandidat für das Speaker-Amt die für alle Mitglieder des Hauses geltenden Voraussetzungen aus U.S. Const. art. I, § 2, cl. 2 (25jähriges Mindestalter, 7jährige Staatsbürgerschaft und Einwohner des Wahlstaates) und art. I, § 6, cl. 2 (keine Ausübung eines anderen Amtes) erfüllen. Seit dem 104. Kongreß ist auf Initiative und Betreiben Speaker Gingrichs die Amtsdauer des Sprechers gemäß House Rule I, cl. 9 auf maximal 4 aufeinanderfolgende Kongresse (two-year terms) begrenzt worden, wobei eine kürzere Amtszeit als eine volle Halbzeit (session) eines Kongresses nicht mitgezählt wird 159 . Die Amtszeitbegrenzung des Sprechers muß in einem größeren Zusammenhang gesehen werden mit der seit Jahren geführten Diskussion um die Begrenzung von Mandatszeiten für Abgeordnete und der ebenfalls im 104. Kongreß durch Gingrich eingeführten Begrenzung der Amtszeit für Ausschuß- und Unterausschußvorsitzende auf höchstens drei Kongresse in Folge 16o • Als der Gedanke einer Amtszeitbegrenzung unter den erstmalig gewählten Abgeordneten eine starke Unterstützung gewann, reagierte Newt Gingrich mit der Einführung des term limit, um auf diese Weise dem allgemeinen Wunsch nach Beschränkung politischer Führung nachzukommen und damit seinen Geschäftsordnungsreformen nach außen einen dezentralisierten, demokratischeren Anschein zu geben 161 . Da es allerdings im 20. Jahrhundert überhaupt nur einem einzigen Sprecher gelungen ist, sein Amt in vier aufeinanderfolgenden Kongressen auszuüben l62 , stellte die Amtszeitbegrenzung des 157 Wenn in § 7 VI GOßT die Fraktionszugehörigkeit des Stellvertreters vorausgesetzt wird, so gilt das auch für den Präsidenten selbst. Vgl. hier nur Bücker, Präsident und Präsidium, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 1. 158 lohn Winston Iones und lohn Griffin Carlisle sind zum Speaker gewählt worden, obwohl ihr Abgeordnetenmandat noch nicht feststand. Vgl. hierzu insgesamt Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 32, die auf Hatsell's Precedents, II, 217 verweist. 159 Vgl. House Manual, § 635. 160 Vgl. Rule X, cl. 5; House Manual, § 761; zu den Geschäftsordnungsänderungen des 104. Kongresses siehe 3. Kap. D. 161 Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (559). 162 Thomas P. (Tip) O'Neill war von 1977 bis 1987, also vom 95. bis zum 99. Kongreß, und damit sogar während fünf Folgekongressen Sprecher des Repräsentantenhauses. Siehe Anhang I.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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Sprechers in tatsächlicher Hinsicht kein besonders großes Opfer an politischer Selbstbeschränkung dar. Gingrich befürwortete die maximal achtjährige Amtszeit des Sprechers mit der Begriindung, daß dem Sprecher als Vorsitzendem eines gleichberechtigten branch of government dieselbe Amtszeitbegrenzung zustehe wie dem U.S.-Präsidenten I63 . Auffallig ist in diesem Zusammenhang, daß die Neubesetzung aller Ausschuß- und Unterausschußvorsitzendenposten des 104. Kongresses wegen ihrer gegenüber dem Sprecher kürzeren Amtszeit von höchstens sechs Jahren noch unter der Ägide Gingrichs hätte vorgenommen werden müssen, was ihm ein politisches Druckmittel gegenüber den Nachfolgeaspiranten an die Hand gab l64 . bb) Die Nominierung durch die Fraktion
Der Speaker wird zwar formell vom Plenum des Repräsentantenhauses gewählt. Doch bei dieser Wahl handelt es sich nur noch um die förmliche Bestätigung der bereits im Democratic Caucus bzw. der Republican Conference fraktions intern gefällten Entscheidung l65 . Mit Follett ist davon auszugehen, daß es bereits seit dem ersten Kongreß bestimmte Zusammenschlüsse von Abgeordneten zum Zwecke der Mehrheitsbildung gegeben hat, daß der moderne Caucus-Typ sich aber erst seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat, also zeitgleich mit der Entstehung geeinter, gefestigter politischer Parteien. Der Democratic Caucus und die Republican Conference besitzen keine Grundlage im geltenden Recht; sie sind als Produkte parteiinternen Gewohnheitsrechts reine Partei- bzw. Fraktionsorgane l66 . Den beiden Fraktionsvollversammlungen gehören alle Abgeordneten der jeweiligen Partei im Repräsentantenhaus an 167. Die Hauptfunktionen dieser Parteiorgane sind Herstellung und Förderung innerparteilicher Geschlossenheit, parteipolitische Willensbildung und Bestimmung der Programmatik im Hinblick auf die anstehenden Gesetzesvorhaben, Auswahl der Kandidaten für das Speaker-Amt und die anderen Ämter des Hauses, Wahl der Fraktionsführer sowie Mitwirkung bei der Auswahl von Fraktionsmitgliedern für die Besetzung von Ausschußsitzen l68 .
Vgl. Jacoby, For Gingrich, 2002 or Bust, in: Roll Call v. 15. 12. 1994, S. 1. Vgl. Aldrich/Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (559). 165 Vgl. Griffith, Wie Amerika regiert wird. Das Regierungssystem der USA, S. 39. Die Republikaner nennen ihre Fraktionsversammlung seit 1911 nicht mehr "caucus", sondern "conference", um sich damit kritisch vom "caucus" der Demokraten abzugrenzen, der ihrer Auffassung nach zu einem Instrument der Bevormundung der Fraktionsmitglieder geworden war. Vgl. hierzu wie insgesamt zur Geschichte und Entwicklung des Democratic Caucus und der Republican Conference Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 61 f. 166 Vgl. insgesamt Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 40. 167 Vgl. Republican Conference Rule 1, Democratic Caucus Rule 1. A. 168 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 2; siehe 4. Kap. B. 163
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Spätestens mit dem amtlichen Endergebnis der Kongreßwahlen steht fest, welche Partei über die Mehrheit im Repräsentantenhaus verfügt und damit auch den Speaker im neugewählten Haus stellen wird. Seit Herausbildung des Zwei-Parteien-Systems Mitte des 19. Jahrhunderts stellt sich dann nur noch die personalpolitische Frage, welcher Demokrat oder Republikaner es sein wird. Das eigentliche Entscheidungszentrum für die Wahl des Speaker ist allein die Fraktionsvollversammlung der Mehrheitsfraktion des Hauses. Denn sie bestimmt, wer zum Speaker gewählt wird 169 • Bei der darauf folgenden verfassungsmäßigen Wahl des Speaker im Plenum des Repräsentantenhauses, die unter strikter Wahrung der Fraktionsdisziplin erfolgt 170, handelt es sich dann gewissermaßen nur noch um die Ratifikation der bereits in Caucus oder Conference getroffenen Entscheidung 171 . Auch wenn der Ausgang der förmlichen Wahl im allgemeinen schon vorher feststeht, benennen beide Fraktionsvollversammlungen, der Democratic Caucus wie die Republican Conference, auf ihren der konstituierenden Sitzung eines neuen Kongresses vorausgehenden Sitzungen je einen Kandidaten für die offizielle Wahl des Speaker im Repräsentantenhaus 172. Der bei der Wahl unterliegende Kandidat der Minderheitsfraktion wird in aller Regel Fraktionsführer (Minority Leader) und damit aussichtsreicher Kandidat für das Speaker-Amt im Falle eines Mehrheitswechsels 173 • Nach Rule 4. A. 4. des Democratic Caucus für den 106. Kongreß ist für die Kandidatenwahl die absolute Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder des Democratic Caucus erforderlich. Die Wahl wird solange wiederholt, bis ein Kandidat die erforderliche Mehrheit erlangt hat. Gemäß Rule 4. A. 1. handelt es sich um eine geheime Wahl. Gleiches gilt nach Rule 4 der Republican Conference für den 106. Kongreß auch für die Wahl des Republikanischen Kandidaten für das Speaker-Amt 174 .
169 Deschler's Precedents Ch. 6 § 2. Die Begriffe "caucus" und "conference" bezeichnen sowohl die Organisationstreffen beider Parteien des Senats und des Repräsentantenhauses vor der konstituierenden Sitzung des Kongresses als auch die Gremien der aus den jeweiligen Abgeordneten einer Partei in einem der beiden Häuser bestehenden Fraktionsvollversammlungen. Vgl. Republican Conference Rule 3, Democratic Caucus Rule 2; insgesamt Kruschke, An Introduction to the Constitution of the United States, S. 53. Zum Begriff der "Fraktionsvollversammlung" vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 61. 170 Siehe hierzu Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 34; Sinclair, Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (121). 171 Vgl. Galloway, History ofthe House of Representatives, S. 129. 172 V gl. insgesamt Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 -1994, S. 87 f.; Deschler's Precedents Ch. 3 § 6.1. Ebenso wird im Falle des Todes eines Speaker verfahren, um anschließend dem Haus die Namen der Kandidaten bekanntzugeben, Deschler's Precedents Ch. 3 § 6.2. Das Recht zur Wahl eines Kandidaten für das Speaker-Amt wird ausdrücklich auch dritten Parteien eingeräumt, Deschler's Precedents Ch. 3 § 6.3. Vgl. ferner Johnson, Government in the United States, S. 370 f. 173 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 1; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 40 f.; siehe 4. Kap. A. III. 2.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Die Verlagerung des Prozesses der Kandidatenauswahl für das Speaker-Amt vom Repräsentantenhaus in die Parteiorgane ermöglicht es den Fraktionen, eine weitaus offenere und freiere innerparteiliche Auseinandersetzung um die Kandidatenaufstellung führen zu können. Denn für etwaige innerfraktionelle Gruppen besteht keine Möglichkeit der Koalitionsbildung mit Mitgliedern der anderen Fraktion, und interne Meinungsverschiedenheiten dringen nicht so stark nach außen 175 . Für den erfolgreichen Kandidaten bedeutet dies, daß sämtliche Auseinandersetzungen um seine Kandidatur bereits im Vorfeld der eigentlichen Wahl, hinter den verschlossenen Türen der Fraktionsvollversammlung ausgetragen werden, so daß ihm bei der offiziellen Wahl im Repräsentantenhaus die uneingeschränkte Zustimmung seiner Fraktion sicher ist. Es bedeutet ferner, daß der Sprecher als einziger Abgeordneter des Repräsentantenhauses zwei "Wahlkreisen" verantwortlich ist: neben seinem Abgeordnetenwahlkreis nämlich auch der Fraktionsvollversammlung seiner Partei. Das Verhältnis des Sprechers zur Mehrheitsfraktion ist also ambivalent, "the Speaker is the slave of the majority - and its absolute master,,176. ce) Auswahlkriterien
In Ermangelung formeller Kriterien für die Auswahl eines Speaker-Kandidaten haben sich im Laufe der mehr als 200jährigen Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten zahlreiche informelle Kriterien herausgebildet. Die Wahl des Speaker ist zu keiner Zeit nur durch ein einziges Kriterium bestimmt worden, sondern es war stets das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, das die Kandidatenauswahl beeinflußt hat. Dieses Zusammenspiel und die Bedeutung der einzelnen Kriterien für die Auswahl eines Kandidaten stehen in direkter Abhängigkeit zu den politischen Bedingungen der Zeit l77 . Zu den nennenswerten, traditionellen Auswahlkriterien zählen u. a.: persönliche Popularität und geographische Herkunft eines Kandidaten, seine politische Ideologie sowie politische und insbesondere auch parlamentarische Erfahrung, politische Begabung und Überzeugungsfähigkeit verbunden mit Integrationsfähigkeit zur Koalitionsbildung sowie friihere Erfahrung in anderen politischen Führungspositionen 178 • Im Medienzeitalter des 20. Jahrhunderts ist das Kriterium der Öffentlichkeits- und Medienwirksamkeit hinzugetreten 179. 174 Bei beiden Fraktionsvollversammlungen ist die Anwesenheit eines aus der absoluten Mehrheit der Mitglieder bestehenden Quorums für die Kandidatenwahl erforderlich, vgl. Republican Conference Rules 4 und 8, Democratic Caucus Rules 4. A. 2., 8. A. 175 V gl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 40. 176 Cockrell, The Place and the Man: The Speaker of the House of Representatives, in: The Arena 22 (1899), S. 653 ff. (660). 177 V gl. insgesamt Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 91. 178 Vgl. etwa Sinclair, Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Komacki, Leading Congress, S. 97 ff. (121 ff.); Committee on House Administration,
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Unter den genannten sind zwei Faktoren von herausragender Bedeutung für die Kandidatenauswahl: die Seniorität, die die Dauer der Mitgliedschaft eines Abgeordneten im Repräsentantenhaus zum Gradmesser für dessen politische Erfahrung macht, und die vorherige Ausübung der anderen institutionalisierten, im Rang unter dem Speaker stehenden Führungsämter der Fraktionen.
Cl) Seniorität Bei der Nominierung ihrer Kandidaten für die Führungsämter im Kongreß, insbesondere für das Speaker-Amt, spielt das Dienstalter der Abgeordneten für beide Fraktionen seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle. Anders als die Vergabe der Ausschußvorsitzendenposten, die spätestens seit dem Legislative Reorganization Act von 1946 bis zu den Kongreßreformen der 1970'er Jahre strikt nach dem Senioritätsprinzip vorgenommen wurde l80 , unterstand die Besetzung der Führungsämter im Repräsentantenhaus nicht der starren Anwendung der seniority rule. Nach dieser Regel erfolgt die Vergabe von Posten nicht nach Fraktionsloyalität oder anderen Kriterien, sondern allein nach dem Dienstalter des Kandidaten, das durch die Länge der ununterbrochenen Zugehörigkeit zu der gleichen Fraktion in der betreffenden Kongreßkammer bestimmt wird I81. Wenngleich also nicht automatisch das Repräsentantenhausmitglied mit der längsten ununterbrochenen Dienstzeit zum Speaker gewählt wird, so gelangten im 20. Jahrhundert doch ausschließlich Abgeordnete in das Amt, die bereits auf eine langjährige Kongreßtätigkeit zuriickblicken konnten l82 . Insofern kann weniger seniority in ihrem genannten engen Sinne als vielmehr longevity l83, im Sinne genereller parlamentarischer History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 91 f.; Galloway, History of the House of Representatives, S. 129 ff.; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 33 ff. 179 Vgl. Sinclair; Majority Leadership in the House, S. 40 f.; dies., Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (123); Ehrenhalt, Speaker's job transformed under O'Neill, in: CQWR 43 (1985), S. 1247; Harris, The Rise of the Public Speakership, in: Pol. Sc. Quart. 113 (1998), S. 193 ff.; siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2). 180 Vgl. Polsbyl Gallaherl Rundquist, The growth ofthe seniority system in the U.S. House of Representatives, in: APSR 63 (1969), S. 787 ff. (807); Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 454 ff.; Steffani, Der Kongreß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 122 ff. 181 Vgl. zum Senioritätsprinzip: Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 377; Steffani, Der Kongreß, in: Jäger I Welz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 125; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 454 f. 182 Carl Albert stand bspw. bei seiner Wahl zum Speaker im Jahre 1971 an 27. Stelle der Senioritätsskala. Vgl. Bullock, House Careerists: Changing Patterns of Longevity and Attrition, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 75 ff. (80); vgl. ferner insgesamt Sinclair; Majority Leadership in the House, S. 33. 183 Vgl. zum Begriff der "longevity": Bullock, House Careerists: Changing Patterns of Longevity and Attrition, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 75 ff.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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"Langlebigkeit", als das für die Kandidatenauswahl maßgebliche Kriterium bezeichnet werden. Die Bedeutung des Dienstalters der Abgeordneten für die Vergabe von Führungsämtern im Repräsentantenhaus spielt im 20. Jahrhundert eine ungleich größere Rolle als noch im 19. Jahrhundert l84 • Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es gänzlich bedeutungslos. Dies findet seine Erklärung darin, daß die Dienstzeit der einzelnen Abgeordneten zumeist um ein Vielfaches kürzer war, als es im 20. Jahrhundert der Fall ist. Die Abgeordnetentätigkeit beschränkte sich häufig auf eine oder höchstens einige wenige Legislaturperioden 185. Hierfür können im wesentlichen vier Gründe angeführt werden: Erstens ist die enorme Fluktuation der Mitglieder des Repräsentantenhauses zu nennen. Im 19. Jahrhundert wurden bei jeder Repräsentantenhauswahl zwischen 30 und 60% der Mitglieder durch neue Abgeordnete ersetzt l86 • Zweitens verloren insbesondere Kandidaten der Minderheitspartei in sog. "contested-e1ections" ihre Sitze an die Kandidaten der Mehrheitspartei. Hierbei handelte es sich um Neuwahlen, die beantragt werden konnten, wenn es Streitigkeiten über den Ausgang von Kongreßwahlen in einzelnen Wahlbezirken gab. Drittens waren aufgrund des schwach ausgebauten Parteiensystems im 19. Jahrhundert - im Gegensatz zum 20. - Mehrheitswechsel im Repräsentantenhaus an der Tagesordnung, die längere, ununterbrochene Abgeordnetenkarrieren häufig verhinderten. Schließlich wurde - viertens - die Mitgliedschaft im Repräsentantenhaus vor allem von den führenden Politikern nur als Sprungbrett für andere Ämter, insbesondere das Senatoren- oder Gouverneursamt, angesehen. Dies hatte den häufigen Wechsel in den Führungspositionen der Parteien bzw. Fraktionen zur Folge 187 . In dem Maße, wie sich die politischen Bedingungen für die genannten Gründe im ausgehenden 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert zu ändern begannen, gewann das Repräsentantenhaus zunehmend an struktureller Stabilität und Konsolidierung. Die Verlängerung des Dienstalters der Abgeordneten erhöhte kontinuierlich die Bedeutung des Senioritätsprinzips. Die im 20. Jahrhundert mit der Seniori184 Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 92; Galloway, History of the House of Representatives, S.130. 185 Vgl. Price, The congressional career then and now, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 81 ff. (83). 186 Der im Jahre 1900 gewählte Kongreß war der erste in der amerikanischen Geschichte, in dem neue Abgeordnete weniger als 30% der Mitgliedschaft ausmachten und es war auch der erste Kongreß, in dem die durchschnittliche frühere Abgeordnetenzeit mehr als zwei Legislaturperioden betrug. Diese Werte unterscheiden sich allerdings noch weit von der typischen Zusammensetzung des Hauses im 20. Jahrhundert. Vgl. Price, The congressional career then and now, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 81 ff. (83, 90). Siehe insbesondere zur Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert 3. Kap. C. 11. 187 Vgl. insgesamt Price, The congressional career then and now, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 81 ff. (83, 84, 86, 90) mit einer Auflistung weiterer Gründe für die starke Fluktuation im Repräsentantenhaus des 19. Jahrhunderts sowie Polsby, The Institutionalization of the U.S. House of Representatives, in: APSR 62 (1968), S. 144 ff. (146 ff.).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
tät einhergehende Garantie von Vorteilen und Belohnungen - wie z. B. der Vorsitz eines Ausschusses - schaffte ihrerseits einen Anreiz für eine möglichst langjährige Abgeordnetentätigkeit. Sie ließ die Mitgliedschaft im Repräsentantenhaus zu einer eigenständigen, erstrebenswerten Karriere mit einem Amtsbonus für langjährige Abgeordnete werden 188. Von 1789 bis 1899 betrug die durchschnittliche Abgeordnetenzeit der Speaker vor ihrer Wahl etwa sieben Jahre. Henry Clay und William Pennington wurden sogar beide an ihrem ersten Tag im Kongreß zum Speaker gewählt 189 - dies scheint heutzutage unvorstellbar. Im 20. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Abgeordnetenzeit hingegen mehr als das dreifache 190. Dementsprechend verlängerte sich auch die Amtszeit der Sprecher - von Ausnahmen abgesehen - im 20. Jahrhundert deutlich 191 • Dies hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß die Wiederwahl eines Speaker traditionell erfolgt, wenn seine Partei weiterhin die Mehrheit stellt bzw. nur kurzzeitig verloren hat, wenn er seinen Sitz behält und wenn er weiterhin für das Amt zur Verfügung steht l92 . So war die Zahl der Amtsinhaber im 20. Jahrhundert nur halb so groß wie zwischen 1789 und 1903. Haben bis ins Jahr 1903 34 Personen das Amt bekleidet, so lassen sich für das 20. Jahrhundert 17 Amtsinhaber feststellen. Die durchschnittliche Amtszeit der Sprecher bis 1903 (1. bis 57. Kon188 Vgl. Bullock, House Careerists: Changing Patterns of Longevity and Attrition, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 75 ff. (75); ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 92; Polsby, The Institutionalization of the U.S. House of Representatives, in: APSR 62 (1968), S. 144 ff. (164). 189 Dies gilt auch für den ersten Speaker des Hauses, Frederick A. Muhlenberg, der allerdings insofern einen Sonderfall darstellt. Außerdem brachte Muhlenberg schon Erfahrung als Speaker der General Assembly of Pennsylvania sowie als President of the Council of Censors of Pennsylvania mit. Dasselbe gilt für Clay, der vor seiner ersten Wahl zum Repräsentantenhaus dem Kentucky House vorgesessen hatte und bereits Senator gewesen war. V gl. hierzu sowie zu den weiteren Sprechern, die zuvor den Vorsitz in ihren Staatslegislativen innehatten, Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 33 f.; vgl. ferner Price, The congressional career then and now, in: Silbey, The Congress of the United States, Bd. I, Rn. 81 ff. (88) und insgesamt Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 92 sowie Galloway, History of the House of Representatives, S. 130. 190 Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 -1994, S. 92; Galloway, History of the House of Representatives, S. 130. So betrugen die Abgeordnetenzeiten vor der (ersten) Wahl zum Speaker ungefähr: bei Cannon 30 Jahre, Clark 15, Longworth 20, Rayburn 27, McCormack 32, Albert 23, O'Neili 23 und Gingrich 14. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, Appendices 97-A, 113-A ff., 3-B ff. Vgl. Ferner Bullock, House Careerists: Changing Patterns of Longevity and Attrition, in: Silbey, The Congress ofthe United States, Bd. I, Rn. 75 ff. (80). 191 Siehe hierzu insgesamt Anhang I. 192 Vgl. auch zu den Ausnahmen im 19. Jahrhundert Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 34 f. Ferner Galloway, History ofthe House ofRepresentatives, S. 130 f. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, Appendix 97-A. Siehe auch Sinclair, Majority Leadership in the House, S. 32 f.; Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (187).
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greß) liegt bei 1,7 Kongressen, im 20. Jahrhundert (58. bis 106. Kongreß) beträgt sie 2,9 Kongresse. Unter den Sprechern des 20. Jahrhunderts sind auch die zwei Sprecher mit der absolut längsten und der ununterbrochen längsten Amtszeit 193 . So wird die im 20. Jahrhundert zu beobachtende strukturelle Stabilität des Repräsentantenhauses nicht zuletzt an den längeren Amtszeiten und mithin der geringen Anzahl der Sprecher im 20. Jahrhundert sichtbar. Dies stützt die These Peabodys, nach dessen viel beachteter Studie von 1986 heutzutage nicht Wechsel, sondern Kontinuität die Nonn in der Führungsspitze des Kongresses ist 194 . (2) Das System der Führungsämter Die Bedeutung des Senioritätsprinzips und die darauf basierende strukturelle Stabilität des Abgeordnetenhauses im allgemeinen wie seiner Führungsspitze im besonderen sind Ausdruck einer seit der Jahrhundertwende stetig zunehmenden "Institutionalisierung,,195 des Repräsentantenhauses. Mit diesem Begriff wird das institutionelle Eigenleben des Repräsentantenhauses beschrieben, das sich bisweilen unabhängig von den Parteien bzw. Fraktionen und Ausschüssen vollzieht und das durch eine interne Bürokratisierung, eine durch demokratische Wahlen geschützte Unangreifbarkeit sowie durch das Parlamentsrecht gestützt wird l96 . Im einzelnen ist eine institutionalisierte Organisation nach Polsby durch drei Merkmale gekennzeichnet 197 : Sie ist gegenüber ihrem Umfeld klar abgegrenzt, so daß ihre Führer grundsätzlich aus der Organisation selbst hervorgehen. Sie weist eine komplexe Organisationsstruktur mit festgelegten Rekrutierungsmustern für die Führungspositionen auf. Schließlich wird ihre interne Geschäftsführung durch allgemeine Kriterien und automatische Verfahrensweisen bestimmt, wie etwa durch 193 Rayburn ist mit einer Gesamtzeit von 17 Jahren (bei zwei Unterbrechungen durch Republikanische Repräsentantenhausmehrheiten) der Speaker mit der absolut längsten Amtszeit. Q'Neill hält mit 10 Jahren den Rekord für die längste ununterbrochene Amtszeit. Vgl. insgesamt Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 92; siehe Anhang I. 194 Vgl. Peabody, Leadership in Congress: Stability, Succession, and Change, S. 465 ff. 195 Vgl. hierzu grundlegend: Polsby, The Institutionalization of the U.S. House of Representatives, in: APSR 62 (1968), S. 144 ff. Ferner allgemein Abram I Cooper, The rise of seniority in the House of Representatives, in: Polity 1 (1968), S. 52 ff.; Davidson, The Role of the Congressman, 2. Kapitel; Huntington, Congressional responses to the twentieth century, in: Truman, The Congress and America's future, S. 5 ff.; Jones, Every second year: congressional behavior and the two-year tenn, S. 1 ff.; ders., The minority party in Congress, S. 1 ff.; Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 49 ff.; ders., Majority party leadership in Congress, S. 1 ff.; Hinckley, Stability and change in Congress, S. 1 ff.; Peabody, Party leadership change in the United States House of Representatives, in: APSR 61 (1967), S. 675 ff.; Wittmer, The aging ofthe House, in: Pol. Sc. Quart. 79 (1964), S. 526 ff. 196 Vgl. Nelson, Partisan patterns of House leadership change, 1789-1977, in: APSR 71 (1977),918 ff. (918 f.). 197 Vgl. Polsby, The Institutionalization of the U.S. House of Representatives, in: APSR 62 (1968), S. 144 ff. (145).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
die Geschäftsordnungsregeln und das Leistungsprinzip. Insofern manifestiert sich diese Institutionalisierung insbesondere in dem zweiten herausragenden Kriterium für die Speaker-Wahl, nämlich im Durchlaufen eines festen Systems der Fraktionsführungsämter. Hierunter ist eine institutionalisierte Stufenfolge für die Nachfolge in den Führungsämtern zu verstehen, die sich neben politischen, parteilichen und personenbezogenen Auswahlkriterien etabliert hat und in ihrer Bedeutung sogar über diese hinausgeht, weil sie vor allem die potentiellen Chancen von Außenseitern verschlechtert l98 . Nach diesem System erhält jemand letztlich einen Posten, weil er den unmittelbar im Rang unter diesem stehenden und zu diesem hinführenden Posten bekleidet l99 •
Im Repräsentantenhaus hat sich dieses System der Führungsämter allmählich mit der Festigung der einzelnen Fraktionsämter im Anschluß an die Revolte gegen Speaker Cannon aus dem Jahre 1910 entwickelt2oo. Die Rangfolge der Ämter ist grundsätzlich dreistufig: An unterster Stelle steht der Whip, auf ihn folgt der Floor Leader und schließlich - im Falle der Repräsentantenhausmehrheit - der Speaker. Ein Mehrheitswechse1 führt grundsätzlich zu einer Rotation innerhalb dieses Ämtersystems, bei der der Speaker auf den Posten des Minority Leader zurückfällt, der ehemalige Majority Leader Minority Whip wird und der vorherige Majority Whip wieder den Status eines einfachen Fraktionsmitglieds erhält. Die vormaligen Führer der Minderheitsfraktion steigen hingegen auf, d. h. der frühere Minority Leader wird in aller Regel zum Speaker gewählt und der Minority Whip wird neuer Majority Leader201 . Vor allem der Sprung vom Floor Leader zum Speaker-Amt hat sich als klares Nachfolgemuster in diesem Jahrhundert herausgebildet, wohingegen bei den übrigen Ämterbesetzungen verhältnismäßig zahlreiche Ausnahmen von der grundsätzlichen Ämternachfolge festzustellen sind202 . So waren von den 16 Inhabern des Speaker-Amtes seit 1911 13 vor ihrer Wahl Floor Leader ihrer Fraktion im Repräsentantenhaus 203 . Neben dem Amt des Mehrheits- bzw. Minder198 Vgl. allgemein Brownl Peabody, Patterns of Succession in Rouse Democratic Leadership: The Choices of Wright, Foley, Coelho, 1986, Paper presented at the annual meeting of the American Political Science Association, Chicago, I1l., 1987, S. 3, zitiert nach Sinclair, Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (122, dort Fn. 81). 199 Vgl. insgesamt Nelson, Partisan patterns of Rouse leadership change, 1789-1977, in: APSR 71 (1977),918 ff. (919). Ferner Hinckley, Stability and change in Congress, S. 121: "Although forrnally elective, the actual se1ection bears all the marks of a much more automatie procedure. Leaders stay in their posts for a number of congresses. New leaders are recruited from apprenticeship posts. Whip leads to floor leader. Floor leader to Speaker." 200 Siehe 4. Kap. A. I. I. und III. Vgl. Nelson, Partisan patterns of Rouse leadership change, 1789-1977, in: APSR 71 (1977),918 ff. (920 ff.). 201 Vgl. Galloway, Ristory ofthe Rouse ofRepresentatives, S. 131; siehe 4. Kap. A. III. 202 Vgl. auch zu einigen Ausnahmen Sinclair, Majority Leadership in the Rouse, S. 33; dies., Congressional Leadership: A Review Essay and a Research Agenda, in: Kornacki, Leading Congress, S. 97 ff. (122 f.) sowie insbesondere zu den Unterschieden zwischen Demokraten und Republikanern in der Ämterbesetzung Nelson, Partisan patterns of Rouse leadership change, 1789-1977, in: APSR 71 (1977),918 ff. (938 f.).
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heitsführers als Sprungbrett für das Speaker-Amt ist auch der Posten des Vorsitzenden eines der bedeutenden Ausschüsse zu erwähnen204 . Außerdem müssen sich die zum Speaker gewählten Abgeordneten in aller Regel vor ihrer Wahl aufgrund ihrer Tätigkeit in verschiedenen führenden Funktionen des Hauses ein beträchtliches Maß an Vertrauen und Respekt nicht nur in den eigenen Reihen, sondern auch beim politischen Gegner erworben haben 205 • Dieses System der Führungsämter hat sich allerdings im wesentlichen in der Demokratischen Fraktion herausgebildet, da sie aufgrund ihrer langen Mehrheitsherrschaft im 20. Jahrhundert im Gegensatz zu den Republikanern durch einen höheren Grad an Institutionalisierung geprägt war und langfristige, stabilere Karriereläufe ermöglicht hat206 . dd) Der formelle Wahlakt
Der wichtigste Tagesordnungspunkt der konstituierenden Sitzung eines neuen Repräsentantenhauses ist die in der Verfassung vorgesehene Wahl des Speaker of the House. Allerdings schweigt die U.S.-Verfassung nicht nur hinsichtlich der Kandidatenauswahl, sondern überläßt dem Repräsentantenhaus auch die Regelung des Wahlverfahrens 207 . (I) Die Rechtsgrundlage Aufgrund der Diskontinuität des Repräsentantenhauses besitzt die formelle Geschäftsordnung des vorhergehenden Kongresses für die Eröffnungssitzung eines neugewählten Hauses keine Geltung. Insbesondere entfalten Geschäftsordnungsre203 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, Appendix 97-A, 98-A. Die einzigen Ausnahmen sind die Republikanischen Speaker Gillet, Gingrich und Hastert. Gillett war vor seiner Wahl zum Speaker vom 56. bis zum 61. Kongreß Vorsitzender des Committee on Reform in the Civil Service. Gingrich bekleidete vom 101. bis zum 103. Kongreß das Amt des Minority Whip und Hastert war Vorsitzender verschiedener Unterausschüsse des House Govemment Reform and Oversight Committee sowie seit dem 104. Kongreß Chief Deputy Majority Whip. Wenngleich diese drei Republikaner nicht der ersten Garde der Partei- und Fraktionsführung entstammten, so gehörten sie doch vor ihrer Wahl zumindest dem weiteren Kreis der Führungsspitze ihrer Fraktion an. 204 Beispiele: Thomas B. Reed war im 47. Kongreß (1881/83) Vorsitzender des Judiciary Committee. Nach dem Mehrheitswechsel zugunsten der Demokraten im Jahre 1931 (72. Kongreß) hatte Joseph Byms den Vorsitz des Appropriations Committee inne, William Bankhead war Vorsitzender des Rules Committee und Sam Raybum saß dem Interstate and Foreign Commerce Committee zwischen 1933 und 1936 vor. 205 Vgl. Galloway, History of the House of Representatives, S. 130. 206 Vgl. Canon, The Institutionalization of Leadership in the U.S. Congress, in: LSQ 14 (1989), S. 415 ff. (421 f.). Zu den Unterschieden beider Fraktionen in der Besetzung von Führungspositionen vgl. auch Nelson, Partisan patterns of House leadership change, 1789 - 1977, in: APSR 71 (1977),918 ff. (938 f.). 207 Vgl. insgesamt Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 41 ff.; ferner Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 24.
14 Semmler
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
geln (standing roles, Rouse Rules), die vom vorhergehenden Raus mit dem Ziel der Bindung des Nachfolgehauses erlassen worden sind, und statutory ro1es, die den Geschäftsgang und die Organisation betreffen und die das Vorgängerhaus kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie in seine Verfahrensrege1ungen aufgenommen hat, keine Bindungswirkung gegenüber einem neugewählten Repräsentantenhaus, solange sie von diesem nicht ausdrücklich übernommen worden sind208 . Dies hat zur Folge, daß das gesamte Verfahren der konstituierenden Sitzung bis zur Annahme einer neuen Geschäftsordnung durch das Repräsentantenhaus, die aber erst nach der Speaker-Wahl erfolgt209 , unter der Geltung des allgemeinen Parlamentsrechts 210 steht. Zentrale Rechtsgrondlage für die Speaker-Wahl ist insoweit Jefferson's Manual Sec. IX. Im übrigen dienen die Rouse Rules und bestimmte statutory roles - obwohl rechtstechnisch nicht wirksam - als Maßstab, indem eine diesen Vorschriften entsprechende Praxis geübt wird2 \1. (2) Der äußere Ablauf des Wahl vorgangs Nach Jefferson's Manual Sec. IX 212 führt der Clerk of the Rouse213 des vorhergehenden Kongresses den Vorsitz der konstituierenden Sitzung, bis ein neuer Speaker gewählt ist214. Aus diesem Grund ist ihm auch die gewohnheitsrechtliche 208 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 §§ 1,5; V Hinds' Precedents §§ 6747, 6765-66; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 43. 209 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 7, sowie zur Annahme der neuen Geschäftsordnung Ch. 1 § 10. Ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 85. 210 Siehe zum allgemeinen Parlamentsrecht sowie zum Jefferson's Manual als dessen Grundlage 2. Kap. C. III. 211 Vgl. z. B. House Rule 11, cl. 1,2 (a) sowie XXVIII, cl. 1 und 2 U.S.c. § 25 (2000). Wenngleich das Haus hiervon abweichen kann. Vgl. I Hinds' Precedents § 81; House Manual, § 637. 212 Vgl. House Manual, § 312. 213 Siehe 4. Kap. A. I. 2. b). 214 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 5; 1 Hinds' Precedents §§ 64-65. Der Clerk sitzt der Versammlung in erster Linie kraft parlamentarischen Gewohnheitsrechts vor. V gl. aber auch Rule 11, cl. 2 (a). Zwar gilt diese Vorschrift nicht bis zu ihrer ausdrücklichen Annahme im Wege der Geschäftsordnungsgebung, aber das Verfahren auf der konstituierenden Sitzung folgt einer dieser Norm entsprechenden Praxis, vgl. I Rinds' Precedents § 81; House Manual, § 637. Gleiches gilt für Rule 11, cl. 1. Anders als der Speaker, dessen Amt mit dem Ende eines Kongresses endet, bleibt der Clerk traditionell bis zur Wahl seines Nachfolgers im Amt. Vgl. I Rinds' Precedents §§ 187, 188,325,244. Vgl. ferner D.S.C., Title 2 (2000), der - rechtlich ebenfalls nicht bindend - von der Amtsausübung des Clerk über das Ende eines Kongresses hinaus ausgeht. Allerdings kann das Haus anstelle des Clerk auch einen Abgeordneten zum Vorsitzenden wählen. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 5; I Hinds' Precedents §§ 66-67. Der Clerk führt den Vorsitz des Hauses auch im Falle des Todes eines Speaker, da die Amtsgewalt des Speaker pro tempore ebenfalls mit diesem Zeitpunkt endet. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 §§ 5, 6, 6.6, 6.7; I Hinds' Precedents §§ 232, 234. Für den Fall der Abwesenheit des Clerk vgl. Deschler's Precedents Ch. I § 5.2.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
207
Kompetenz zuerkannt worden, Tagesordnungsfragen unter Einspruchsvorbehalt zu entscheiden 215 • Auf das Eröffnungsgebet und die Feststellung der Beschlußfähigkeit des Repräsentantenhauses durch den Clerk erklärt dieser die Wahl des Speaker zum nächsten Tagesordnungspunkt216 . Hierauf folgt zunächst die offizielle Nominierung der Kandidaten durch die Vorsitzenden des Democratic Caucus und der Republican Conference217 . Nach der Ernennung von vier Wahlhelfern aus den Reihen der Abgeordneten 218 ruft der Clerk jedes einzelne Mitglied des Repräsentantenhauses namentlich auf. Dieses erhebt sich daraufhin von seinem Platz und ruft den Nachnamen seines Kandidaten aus. Die Wahlhelfer notieren die Stimmabgabe neben dem jeweiligen Kandidaten und zählen die Stimmen nach Ende des namentlichen Aufrufs aus. Im Anschluß daran verkündet der Clerk das Ergebnis und proklamiert den neuen Speaker of the House. Der Clerk ernennt nun eine Abordnung von Hausmitgliedern, die den neugewählten Speaker zu seinem Platz auf dem Rostrom geleiten 219 • Daraufhin präsentiert der Minority Leader den neuen Speaker vom Rostrum aus dem Plenum des Hauses 22o . Es folgt eine Ansprache des gewählten Speaker von seinem Platz aus an das Repräsentantenhaus. Im Anschluß daran ersucht der Speaker ein Mitglied des Hauses, ihm den Amtseid 221 abzunehmen. 215 Vgl. Rule 11, cl. 2 (a), die - obwohl rechtlich nicht bindend - der Untermauerung der gewohnheitsrechtlichen Kompetenz dient. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 5; ferner I Rinds' Precedents § 64; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 41. 216 Vgl. Deschler's Precedents Ch. I §§ 5.1, 6. Obwohl es Fälle gab, in denen bestimmte Verfahrensregeln vor der Speaker-Wahl angenommen wurden, hat das Haus der Wahl letztlich in 2 U.S.C. § 25 (2000) grundsätzliche Priorität eingeräumt. Vgl. I Rinds' Precedents §§ 94-102, 130, 140. Aus dieser Vorschrift, die das Haus bei seiner Eröffnungssitzung zwar nicht bindet, aber als Grundlage einer entsprechenden Verfahrenspraxis von Bedeutung ist, folgt, daß die Eidesleistung des Speaker sowie die Vereidigung der Abgeordneten durch ihn und damit also auch seine Wahl - auf der konstituierenden Sitzung des Hauses vor jedem weiteren Geschäftsgang zu erfolgen hat. Wahrend die Wahl in der Vergangenheit gesondert beantragt werden mußte - der Antrag diente auch der Festlegung des Wahlmodus -, erklärt der Clerk die Wahl heute automatisch zum nächsten Tagesordnungspunkt. Vgl. Deschler's Precedents Ch. I §§ 6, 6.1; I Rinds' Precedents §§ 204-14; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 41 f. 217 Vgl. zum Ablauf des gesamten Wahlverfahrens Deschler's Precedents Ch. 1 § 6, 6.1, ferner Ch. 3 § 3.1, 3.3 sowie Follett, The Speaker ofthe House of Representatives, S. 41 ff. 218 Vgl. I Rinds' Precedents § 217. 219 Zu dieser Abordnung gehören u. a. der Gegenkandidat aus der Fraktionsvollversammlung, zumeist der Majority Leader, sowie der Minority Leader. Vgl. Deschler's Precedents Ch.3 § 21.1. Der Ursprung dieses Brauchs liegt nach Follett darin, daß das Einnehmen seines Platzes keine Anmaßung durch den Speaker darstellen soll. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 43, dort Fn. 32. Ähnlich wird traditionell auch im britischen Unterhaus verfahren, wo der Speaker in der Vergangenheit wegen seiner "Unwürdigkeit" für das Amt beim Geleit zu seinem Platz körperlichen Widerstand leistete, so daß er förmlich an seinen Platz gezogen werden mußte. Zu den Ähnlichkeiten im Ablauf der Speaker-Wahl in Großbritannien vgl. insgesamt Wilding / Laundy, An Encyclopaedia of Parliament, S. 706 f.; Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 310 ff. 220 In der Vergangenheit wurde der Speaker zuvor vom Doorkeeper of the House angekündigt. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 §§ 6.1, 6.2 sowie Ch. 3 §§ 21.1, 21.2.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Mit der Eidesleistung ist der Wahl vorgang abgeschlossen. Im Falle des Todes oder Rücktritts eines amtierenden Sprechers während einer Sitzungsperiode oder zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode wählt das Repräsentantenhaus unverzüglich einen neuen 222 . Wahrend das Haus zu diesem Zweck früher eine Resolution verabschiedete, sind Ablauf und Verfahren einer solchen Speaker-Wahl inzwischen die gleichen wie zu Beginn eines neuen Kongresses 223 • (3) Das Wahlverfahren Die Entscheidung über das Wahl verfahren liegt bei den Mitgliedern des Hauses, nicht beim Clerk 224 . Die Wahl findet grundsätzlich ohne Aussprache statt225 . Wahrend die Wahl des Speaker in den ersten 50 Jahren der Republik geheim war, erfolgt sie seit 1839 durch mündliche Abstimmung nach Aufruf26 . Mit dieser Änderung des Wahlmodus setzte sich die Auffassung durch, daß ein Abgeordneter offen abstimmen und die Verantwortung für seine Entscheidung übernehmen sollte. Für den Fall, daß ein Abgeordneter dem Kandidaten seiner Fraktion die Unterstützung verweigert, sollen fraktionsinterne Sanktionen ermöglicht werden 227 . Die namentliche Abstimmung bei der Speaker-Wahl ist ein wesentlicher Grund für die strikte Fraktionsdisziplin, die im Repräsentantenhaus nur bei Fragen der Se1bstorganisation gilt. Diese kurzlebige Fraktionsdisziplin beruht ausschließlich auf den summierSiehe 4. Kap. A. I. 1. b) dd) (4). Das aktuellste Beispiel ist die Wahl Thomas Foleys zum Nachfolger des während des 101. Kongresses zurückgetretenen Sprechers Jim Wright, vgl. Congressional Record, 221
222
06.06. 1989,S. 10800.
223 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 §§ 6.6, 6.7, 6.8. Allerdings muß ein während einer Sitzungsperiode oder zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode gewählter Speaker von allen Ausschußposten zurücktreten, die er als Mitglied innehatte. Dies gilt naturgemäß nicht für einen zu Beginn eines neuen Kongresses gewählten Speaker, da dieser noch vor Abschluß der Selbstorganisation des Rauses und damit vor Vergabe der Ausschußposten gewählt wird. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 6.5. 224 Vgl. Insgesamt Rouse Manual, § 312. Ferner Deschler's Precedents Ch. 1 § 6; I Hinds' Precedents § 210. 225 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 6. Es ist aber auch schon zu tagelangen Verzögerungen gekommen, vgl. I Hinds' Precedents §§ 221-223; V Hinds' Precedents §§ 5356, 6647, 6649; VI Cannon's Precedents § 24. In einem Fall war von den Kandidaten sogar eine Stellungnahme zu wichtigen politischen Fragen verlangt worden, bevor man zur Abstimmung schritt, vgl. I Hinds' Precedents § 218. Siehe ferner eine Zusammenstellung umstrittener Speaker-Wahlen der amerikanischen Geschichte in Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 386 f.; Saturno, The Speaker of the Rouse, CRS Report, S. 2 f.; dazu ausführlicher Moser; The Speaker and the Rouse, S. 25 ff. sowie Lientz, House Speaker Elections and Congressional Parties, 1789-1860, in: Capitol Studies 6 (1978), S. 63 ff. 226 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 6; I Hinds' Precedents §§ 187,204,208,211. Ferner insgesamt Saturno, The Speaker of the House, CRS Report, S. 2 f. 227 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 43 sowie zum Für und Wider dieser Regelung Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 85 f.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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ten Einzelinteressen der Abgeordneten, insbesondere der Mehrheitsfraktion, die sich mit ihrer Stimmabgabe ausdrücklich zu einer der beiden Parteien bekennen und damit das Recht begründen, bei der Sitz- und Posten verteilung im Haus von der jeweiligen Fraktion bedacht zu werden 228 • Spätestens seit 1809 war für die Wahl zum Speaker offiziell die absolute Stimmenmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Repräsentantenhauses erforderlich 229 • Nachdem der Speaker zwischenzeitlich in den Jahren 1849 und 1855 zweimal nur mit der einfachen Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder gewählt worden war, dieses Ergebnis allerdings in beiden Fällen im Anschluß durch die absolute Mehrheit der die Beschlußfähigkeit begründenden Mitglieder bestätigt wurde 23o , kam es schließlich 1879 auf der Grundlage eines Präzedenzfalls zu der Regelung, die auch heute noch Anwendung findet. Hiernach benötigt ein Kandidat für die Wahl zum Speaker die absolute Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder des Repräsentantenhauses, sofern ihre Zahl die Beschlußfähigkeit begründet; diese Mehrheit kann jedoch kleiner sein als die der gesetzlichen Mitgliederzahl des Hauses 231 • Wenn kein Kandidat die erforderliche Mehrheit erhält, wird das Verfahren solange wiederholt, bis ein Sprecher gewählt ist. Der deutsche Bundestagspräsident wird demgegenüber in geheimer Wahl gewählt, wobei die absolute Stimmenmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags erforderlich ist. Im dritten Wahlgang werden nur die beiden Kandidaten mit den höchsten Stimmenzahlen aus dem zweiten Wahlgang zur Wahl gestellt. 228 Sachentscheidungen sind hingegen deutlich durch ein individualistisches Abstimmungsverhalten gekennzeichnet, da der einzelne Congressman sich hierbei in erster Linie als Vertreter seines Wahlkreises sieht. Der strukturelle Grund für die geringe Fraktionsdisziplin im Repräsentantenhaus ist letztlich durch das präsidentielle Regierungssystem vorgegeben, denn die Abgeordneten müssen keine Regierung im Amt halten. Vgl. insgesamt zur Fraktionsdisziplin in den USA Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 34; Steffani, Der Kongreß, in: Jäger / WeIz, Regierungssystem der USA, § 6, S. 117 f. 229 Vgl. I Hinds' Precedents § 215. Vgl. allgemein zu den Mehrheitsarten Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 124 ff. und zur Entwicklung des Wahlverfahrens im Repräsentantenhaus sowie zu den erforderlichen Mehrheitsarten insgesamt Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789- 1994, S. 85 ff. 230 Vgl. I Hinds' Precedents § 221; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789- 1994, S. 87. Für den Fall, daß das Haus die einfache Mehrheit für die Wahl des Speaker ausreichen läßt, muß allerdings die Ausrufung des neuen Speaker durch Beschluß des Hauses ergehen. Sie darf nicht allein durch den Clerk oder ein Mitglied erfolgen. Vgl. I Hinds' Precedents § 222. 231 Dies geht auf eine Entscheidung des Clerk vom 18.03. 1879 zurück: "It requires a majority of those voting to elect a Speaker, as it does to pass a biII." Vgl. insgesamt I Hinds' Precedents §§ 215-216; Deschler's Precedents Ch. 1 § 6. Ferner Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 86 f.; Galloway, History of the House of Representatives, S. 129. Aus Anlaß von Todesfällen während der Sitzungsperiode des Kongresses ist der Speaker jedoch in zwei Fällen nicht durch Wahl, sondern durch Beschluß bestimmt worden, vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 6.3.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Ausreichend ist hier die relative Mehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet das Los durch die Hand des amtierenden Präsidenten 232 . (4) Die Eidesleistung Der förmliche Abschluß des Wahl vorgangs ist die Eidesleistung des Speaker vor dem Plenum des Repräsentantenhauses. Allerdings ist der Eid des Speaker - anders als der des Präsidenten in D.S. Const. art. 11, § I, cl. 7 - in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Die Verfassung sieht in D.S. Const. art. VI, § 3 den Eid explizit lediglich für Senatoren, Abgeordnete, Mitglieder der Einzelstaats1egislativen sowie für alle exekutiven und judikativen Amtsträger des Bundesstaates wie der Einzelstaaten vor, aber gerade nicht für die Amtsträger des Kongresses, zu denen auch der Speaker gehört. Zwar sind in der Verfassungspraxis ausschließlich Mitglieder des Repräsentantenhauses zum Speaker gewählt worden, so daß die bisherigen Speaker insoweit schon über ihren Abgeordnetenstatus gemäß D.S. Const. art. VI, § 3 zur Eidesleistung verpflichtet waren. Da die Verfassung aber nicht vorschreibt, daß der Speaker ein Mitglied des Hauses sein muß, ist zumindest die theoretische Möglichkeit denkbar, nach der ein dem Repräsentantenhaus nicht als Abgeordneter angehörender Speaker verfassungsrechtlich nicht zur Eidesleistung verpflichtet wäre. Dies ist jedoch eine Schlußfolgerung, die der systematischen und teleologischen Auslegung der Verfassungsnormen nicht standhält. Systematische und teleologische Gesichtspunkte sprechen vielmehr dafür, daß es sich möglicherweise bei der Auslassung des Speaker in D.S. Const. art. VI, § 3 um einen Redaktionsfehler handelt. Noch näherliegend erscheint indes der folgende Schluß. Die umfassende Formulierung in D.S. Const. art. VI, § 3, die die Intention der Einbeziehung aller D.S.-Amtsträger zum Ausdruck bringt, legt die Vermutung nahe, daß die Verfassungsväter davon ausgingen, daß der Speaker stets ein Abgeordneter sein müsse und insofern schon gemäß D.S. Const. art. VI, § 3 zum Eid auf die Verfassung verpflichtet sei 233 . Eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Eidesverpflichtung für den Sprecher sollte entbehrlich sein. Dies gilt um so mehr, als der zum Speaker gewählte Abgeordnete nur einen Eid als Speaker zu leisten hat und nicht etwa daneben einen weiteren in seiner Eigenschaft als Abgeordneter. Ferner ist der Eid des Speaker inhaltlich derselbe wie der der Repräsentantenhausmitglieder234 . Somit ist der Amtseid des Speaker vielmehr zugleich als sein Abgeordneteneid zu verstehen 235 • 232 Vgl. § 2 GOBT i.Y.m. § 49 GOBT, Art. 121 GG; vgl. auch Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 2, Rn. 3. 233 Für eine solche Einbeziehung des Speaker als Abgeordneter vgl. Deschler's Precedents Ch. 1 § 6. Siehe auch 4. Kap. A. I. 1. b) aa). 234 Vgl. 5 U.S.C. § 3331 (2000); ferner Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 44; Deschler's Precedents Ch. 1 § 6. 235 Dies gilt jedoch nicht im umgekehrten Fall, wenn während einer Legislaturperiode ein neuer Speaker gewählt wird. Der betreffende Abgeordnete muß nach seiner Wahl zum
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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Die These vom Erfordernis der Mitgliedschaft im Haus und der Eidesleistung gemäß U.S. Const. art. VI, § 3 wird durch die einfachgesetzliche Regelung des Amtseides gestützt. Dies ergibt sich aus 2 U.S.c. § 25 (2000) i.Y.m. 5 U.S.c. § 3331 (2000). Die Regelung des 2 U.S.C. § 25 (2000) ordnet den oath of office für den Speaker ausdrücklich an, und die die Eidesformel enthaltende Vorschrift 5 U.S.C. § 3331 (2000), nach deren Wortlaut der oath of office nur für Ämter in den "civil or uniformed services" gilt, findet auch auf die Mitglieder des Kongresses Anwendung 236 . Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich um einen promissorischen Eid, der ein Versprechen für zukünftiges Verhalten ist237 . Während 2 U.S.c. § 25 (2000) bestimmt, daß jedes Mitglied des Hauses dem Speaker den Eid abnehmen darf, ersucht dieser üblicherweise den Abgeordneten mit der längsten ununterbrochenen Dienstzeit um die Eidesabnahme 238 . Erst nach der Eidesleistung - hingegen noch nicht mit dem Feststehen des Wahlergebnisses - bekleidet ein Speaker sein Amt rechtskräftig, d. h. seine Amtspflichten und -rechte knüpfen formell an die Eidesleistung an239 . Während sich die Eidesverpflichtung des amerikanischen Sprechers letztlich jedenfalls gewohnheitsrechtlich entwickelt hat, besteht eine solche für den deutschen Bundestagspräsidenten weder aufgrund Verfassungsrechts noch geschriebenen oder ungeschriebenen Parlamentsrechts 24o• Wie bereits erwähnt, ist die Eidesformel für den Speaker und die Abgeordneten identisch 241 • Nach Auffassung von Follett sollte die größere Amtsgewalt des Speaker auch in einer besonderen Form des Eides zum Ausdruck kommen, wie es beim Präsidenten der Fall ist242 • Diese würde aber der in U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 und art. VI, cl. 3 angelegten Stellung des Speaker im Repräsentantenhaus als primus inter pares nicht gerecht. Im übrigen unterscheidet sich der Amtseid des Präsidenten gemäß U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 7 inhaltlich nicht wesentlich von dem Eid der Kongreßmitglieder. In beiden Fällen bilden der Schutz der U.S.-Verfassung und die getreue Amtsführung die Gegenstände der Eidesbindung. Wahrend die spezielle Eidesformel aus U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 7 aus der exponierten Stellung des Präsidenten im U.S.-Regierungssystem gerechtfertigt werden kann, erscheint Speaker nochmals einen Eid in seiner neuen Funktion ablegen, obwohl er bereits zu Beginn der Legislaturperiode als Abgeordneter vereidigt worden ist. Vgl. I Rinds' Precedents § 225. 236 Vgl. 5 D.S.C.A. § 3331 (1982), Notes ofDecisions. 237 Vgl. Friesenhahn, Der politische Eid, S. 21 f. 238 Im ersten Kongreß nahm der Chief Justice of New York dem Speaker sowie den Mitgliedern den Eid ab. Später wurde der Eid dann vom ältesten Abgeordneten abgenommen, bevor es zur heutigen Praxis kam. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 44; ferner Deschler's Precedents Ch. I §§ 6, 6.4; I Rinds' Precedents §§ 130-133; zu den Ausnahmen von der heutigen Praxis VI Cannon s Precedents §§ 6, 7. 239 Vgl. 2 D.S.C.A. § 25 (1982), Notes of Decisions. 240 Siehe hierzu Rärth, Parlamentspräsidenten und Amtseid, in: ZParill (1980), S. 497 ff. 241 Vgl. 5 D.S.C. § 3331 (2000). 242 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 44.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
eine weitere Abstufung von Eidesleistungen unangemessen. Denn der Zweck eines jeden Eides kann nur in der Bekräftigung der "paramount authority of the national government and recognized allegiance to the United States" bestehen 243 . 2. Die anderen Wahlämter des Repräsentantenhauses
a) Allgemeines Das Verständnis des Sprechers als Präsident und Verwaltungschef des Parlaments wird auch durch seine Stellung und seine funktionale Abgrenzung gegenüber den anderen offiziellen Amtsträgern des Repräsentantenhauses bestimmt244 . Hierzu gehören u. a. die vier weiteren Wahlbeamten (officers) des Hauses. Die Verfassung benennt sie weder noch regelt sie deren Wahl. Die eigentliche Rechtsgrundlage der Ämter des Clerk, des Sergeant-at-Arrns, des Chief Administrative Officer und des Chaplain findet sich in House Rule 11245 . Sie werden jeweils zu Beginn eines neuen Kongresses in ihre Ämter gewählt246 . Vergleichbar der Speaker-Wahl bestimmen beide Fraktionen auf ihrer Vollversammlung Kandidaten für die entsprechenden Ämter. In praxi läuft dies auf eine Ernennung durch den Speaker hinaus, der darauf bedacht sein wird, sich seine eigene Hausverwaltung zusammenzustellen 247 • Die Kandidaten werden dann von den Versammlungsvorsitzenden auf der konstituierenden Sitzung des Hauses im Anschluß an die Wahl des Speaker offiziell norniniert248 . Beide Fraktionen bringen ihre Kandidatenliste für die vier Ämter in Form einer simple resolution ein, über die dann insgesamt mit absoluter Mehrheit abgestimmt wird249 . Aufgrund der in Selbstorganisationsfragen vorherrschenden Fraktionsgeschlossenheit250 kann regelmäßig die Mehrheitsfraktion ihre Kandidatenliste durchbringen. Somit läßt sich - wie für den Speaker - so auch für die anderen Wahl ämter des Repräsentantenhauses feststellen, daß die Amtsträger Vgl. 5 U.S.C.A. § 3331 (1982), Notes ofDecisions. Siehe Anhang Ir. 245 Neben U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5. Siehe zu den verschiedenen Ämtern insgesamt Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 15 -22. Einen Überblick über die Funktionsträger des Repräsentantenhauses bietet Tong, House Administrative Officers and Officials, CRS Report, S. 1 ff.; zur Organisation und Steuerung der Repräsentantenhausverwaltung einschließlich der parlamentarischen Hilfsdienste siehe Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper/MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. 246 Siehe 4. Kap. A. I. 247 V gl. Polsby I Gallaher I Rundquist, The growth of the seniority system in the U .S. House ofRepresentatives, in: APSR 63 (1969), S. 787 ff. (788, dort Fn. 2). 248 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 3.9. 249 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 16, 16.1; VI Cannon's Precedents § 23. Frühere Geschäftsordnungen sahen noch eine mündliche Abstimmung vor, vgl. etwa House Rule 11 des 103. Kongresses. Zum Ursprung jener Vorschriften siehe I Hinds' Precedents § 187. 250 Vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 34. Siehe 4. Kap. A. 1.1. b) bb). 243 244
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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faktisch in der Vollversammlung der Mehrheitsfraktion gewählt werden und diese Wahl anschließend vom Plenum des Hauses nur noch ratifiziert wird251 . Einer präsidentiellen Zustimmung unterliegt die Wahl nicht. Trotz der Bestellung durch die Fraktionen handelt es sich bei den genannten vier Ämtern nicht um Partei- oder Fraktionsämter im engeren Sinne. Anders als der Speaker, dessen Amt parteipolitisch instrumentalisiert wird252 , sollen der Clerk, der Sergeant-at-Arms, der Chief Administrative Officer und der Chaplain ihre Ämter grundsätzlich unparteilich ausüben. Das Gebot der Unparteilichkeit folgt zum einen daraus, daß diese vier Amtsträger - anders als der Speaker - nicht zugleich Abgeordnete sind. Zum anderen ergibt es sich aus den jeweiligen Funktionen der vier Amtsträger, die lediglich besondere Aufgabenbereiche im Rahmen der allgemeinen Parlaments verwaltung abdecken. Ihnen kommt insoweit - gemeinsam mit einigen anderen Funktionsträgern im Repräsentantenhaus wie etwa dem Parliamentarian 253 - nur die Rolle von Hilfsdiensten für die Abgeordneten bzw. für den Speaker bei der Parlarnentsleitung ZU 254 . Die Pflichten der Amtsträger ergeben sich in erster Linie aus den standing rules des Repräsentantenhauses, daneben aber auch aus statutes und custom. Sie unterliegen insofern einem gewissen Wandel. Eine politische Tätigkeit üben die vier Wahlbeamten nicht aus. Nach House Rule II, cl. I steht den vier Amtsträgern zwar das alleinige Ernennungsrecht aller Mitarbeiter ihrer Abteilung ZU 255 . Doch darf der diesbezügliche Einfluß des Speaker nicht übersehen werden 256 . Er ist als Verwaltungschef des Repräsentantenhauses seit 1992257 neben der Kammer gemäß House Rule II, cl. 1 auch befugt, den Clerk, den Sergeant-at-Anus sowie den Chief Administrative Officer zu entlassen. Der Speaker ist ferner enuächtigt, kurzzeitige Vakanzen in den Ämtern durch Ernennungen zu überbrücken 258 . Der Amtseid dieser vier Funktionsträger ergibt sich ähnlich wie beim Speaker aus einer weiten Auslegung von U.S. Const. art. VI, § 3 i. Y.m. House Rule II, cl. 1, 5 U.S.c. § 3331 (2000)259.
Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 16. Vgl. 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2). 253 Siehe 4. Kap. A. H. 254 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 481. 255 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 15 sowie 2 U.S.C. § 60-1 (2000). 256 Vgl. Polsbyl Gallaherl Rundquist, The growth of the seniority system in the U.S. House of Representatives, in: APSR 63 (1969), S. 787 ff. (788, dort Fn. 2). 257 Siehe H. Res. 423, § 2, Congressional Record, 09. 04. 1992, S. 9040, die eine entsprechende Geschäftsordnungsänderung vorsah. Vgl. ferner House Rule H, cl. 1. 258 Vgl. 2 U.S.c. § 75a-l (2000) und House Manual, § 635 sowie Deschler's Precedents Ch. 6 § 22. 259 Vgl. auch House Manual, § 635. Ferner 2 U.S.c. § 25 (2000) und insgesamt Deschlers Precedents Ch. 6 § 17. Die Vereidigung der officers zum Zwecke der Geheimhaltung von Hausangelegenheiten ist obsolet, vgl. I Hinds' Precedents § 187. 251
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
b) Clerk of the House Der Clerk of the House ist eine Art Schriftführer des Repräsentantenhauses. Sein Amt besteht bereits seit dem ersten Kongreß des Jahres 1789. Obwohl sein Titel vom britischen Clerk of the House of Comrnons abgeleitet ist, ist sein Amt weniger diesem als vielmehr dem amerikanischen Secretary of the Continental Congress nachgebildet. Der Clerk of the House of Comrnons bekleidet gerade kein Legislativamt, sondern ist Beamter der Krone und wird als solcher in praxi vom Premierminister ernannt. Seine Ernennung erfolgt auf Lebenszeit. In seinen Aufgaben unterscheidet sich der britische Clerk vom amerikanischen insbesondere darin, daß ihm als hervorragendem Kenner des Parlamentsrechts auch die Beratung des Speaker und der Abgeordneten in parlamentsrechtlichen Fragen zufällt260 - eine Aufgabe, die im Repräsentantenhaus vornehmlich vom Parliamentarian wahrgenommen wird. Die Amtspflichten des Clerk ergeben sich im wesentlichen aus House Rule 11, cl. 2 (a)-(k) sowie aus gesetzlichen Vorschriften und Gewohnheitsrecht 261 • Dem Clerk obliegt die Leitung der konstituierenden Sitzung eines neuen Repräsentantenhauses und der Wahl des Speaker sowie die Sitzungsleitung des Hauses im Falle des Ausscheidens eines Sprechers aus dem Amt. Bei Ausübung des Sitzungsvorsitzes ist er zur Feststellung der Anwesenheit und Beschlußfähigkeit der Mitglieder, zur Ausübung der Ordnungsgewalt im Plenum sowie zur Entscheidung über Tagesordnungsanträge unter Einspruchsvorbehalt errnächtigt262 • Bei regulären Plenarsitzungen stehen ihm im Gegensatz zu den Schriftführern des Bundestags keine Einwirkungs befugnisse im Rahmen der Sitzungsleitung ZU 263 • Der Clerk ist zuständig für die Unterstützung des Hauses in legislativen und nicht-legislativen Geschäftsangelegenheiten 264 • Hierzu zählt vor allem das Führen des verfassungsrechtlich 260 V gl. zum Clerk of the House of Commons insgesamt Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 434 ff.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 381 ff.; Wilding I Laundy, An Encyclopaedia of Parliament, S. 134 ff. 261 Siehe insgesamt zu den Aufgaben und Kompetenzen des Clerk Tang, Clerk of the House: Fact Sheet on Legislative and Administrative Duties, CRS Report, S. 1 f.; Deschler's Precedents Ch. 6 § 18 sowie House Manual, §§ 641 ff. Seine ursprüngliche Aufgabe der Bezahlung der Amtsträger und anderer Beschäftigter des Repräsentantenhauses, vgl. 2 U.S.C. §§ 60d, 60e (2000) sowie Deschler's Precedents Ch. 6 § 18.10, wurde im 102. Kongreß (H. Res. 423, Congressional Record, 09. 04. 1992, S. 9040) zunächst dem Director of Non-Legislative and Financial Services und im 104. Kongreß dem Chief Administrative Officer übertragen. Vgl. Rundquist I Tang, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S. 3. 262 Vgl. 4. Kap. A. I. 2. b) sowie House Rule 11, cl. 2 (a); zu den Kompetenzen des Clerk bei der Sitzungsleitung auch House Manual, §§ 643, 644, 645; 2 U.S.C. § 26 (2000) sowie Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 18.1, 18.2. 263 Siehe 4. Kap. A. 11. 1.; allerdings obliegt ihm wie den deutschen Schriftführern der Namensaufruf vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 18.5; § 1 III 2 GOBT. 264 Vgl. Deschler 's Precedents Ch. 6 §§ 18.3 - 18.8. Der Clerk wird bei der Wahrnehmung seiner legislativen Aufgaben vom journal clerk, tally clerk, reading clerk, bill clerk, enrolling
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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vorgesehenen Verhandlungsprotokolls, des Journals of the House, sowie dessen Weiterleitung an die empfangsberechtigten Stellen265 . Ihm obliegt die Verwaltung und Archivierung der Dokumente des Hauses und er hat dafür Sorge zu tragen, daß die calendars, d. h. die Verzeichnisse aller zur Beratung oder Abstimmung vorliegenden Gesetzesentwürfe, an jedem Sitzungstag gedruckt und verteilt werden. Er ist außerdem für die Siegelung der offiziellen Schriftstücke des Hauses verantwortlich 266 . Er ist für den Empfang und die Verteilung von Dokumenten (House bills, resolutions, Mitteilungen vom Präsident oder dem Senat auch während einer Vertagung)267 und für die Veröffentlichung bestimmter Informationen, wie Ausgaben für Auslandsreisen, Lobbyistenverzeichnisse und Wahlkampfberichte, zuständig 268 . Zum Aufgabenbereich des Clerk gehört auch die kommissarische Leitung vakanter Abgeordnetenbüros 269 . Er kann ferner im Falle einer kurzzeitigen Verhinderung der Amtsausübung selbst einen Stellvertreter bestimmen 27o. Der Clerk ist schließlich sowohl gegenüber dem Speaker als auch gegenüber dem Committee on House Administration rechenschaftspflichtig 271 . c) Sergeant-at-Arms Der Sergeant-at-Arms ist als oberster Polizeibeamter des Repräsentantenhauses zuständig für polizeiliche, protokollarische und verwaltungstechnische Aufgaben. clerk, daily digest clerk und sowie den official reporters unterstützt, siehe hierzu Tong, Clerk of the House: Fact Sheet on Legislative and Administrative Duties, CRS Report, S. I f.; Kiel Jer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper I MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. (216 f.). 265 Vgl. U.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 und House Rule II, cl. 2 (e). 266 Vgl. House Rule II, cl. 2 (d), (e) und (f) (1) sowie House Rule VII. Die offizielle Bezeichnung für das die fünf calendars enthaltende Dokument ist "Calendars of the Uni ted States House of Representatives and History of Legislation", vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 422. 267 Vgl. House Rule II, cl. 2 (f) (2) und (h); Deschler's Precedents §§ 18.3, 18.4, 18.1318.16. 268 Diese Daten werden zusammen mit den offiziellen legislativen Dokumenten über das Legislative Resource Center zum größten Teil schon auf elektronischem Wege öffentlich zugänglich gemacht. Siehe Tong, Clerk of the House: Fact Sheet on Legislative and Administrative Duties, CRS Report, S. 2. 269 Zu diesem Zweck ist er sogar ermächtigt, Mitarbeitern zu kündigen und - mit Zustimmung des Committee on House Administration - NeueinsteIlungen vorzunehmen. V gl. House Rule II, cl. 2 (i) (1). 270 Vgl. House Rule II, cl. 2 (g); Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 18.17, 18.18; VI Cannon's Precedents § 26. 271 V gl. House Rule II, cl. 2 (j). Zur Steuerungs- und Kontrollfunktion des Committee on House Administration, die auch nach der Kompetenzbeschränkung im 104. Kongreß nach wie vor umfangreich ist, siehe Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper/MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. (212 ff.).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Gemeinsam mit dem Sergeant-at-Arms des Senats besitzt er die Polizeigewalt für den Bereich des Kongresses272 • Sein Amt besteht - wie das des Clerk und das des früheren Postmasters - seit dem ersten Kongreß des Jahres 1789273 . Es findet seinen Vorläufer und seine nahezu vollständige Entsprechung im Amt des Sergeantat-Arms of the House of Commons, das ebenso wie das des Clerk of the House of Commons bis in die Anfänge der englischen Parlaments geschichte zurückreicht 274 . Anders als der amerikanische Sergeant-at-Arms, der vom Repräsentantenhaus gewählt wird, wird der britische Sergeant-at-Arms allerdings von der Krone emannt275 . Die Amtspflichten des Sergeant-at-Arms ergeben sich aus House Rule 11, cl. 3 (a)-(f) sowie aus einer Reihe gesetzlicher Vorschriften und aus Gewohnheitsrecht276 . Als oberster Polizeibeamter des Repräsentantenhauses ist der Sergeant-atArms in erster Linie für die Sicherheit der Repräsentantenhausseite des CapitolGebäudes, die Abgeordnetengebäude und die zugehörigen Grundstücke verantwortlich. Unter der direkten Weisungsbefugnis des Sprechers oder eines anderen Kammervorsitzenden hat er für Ruhe und Ordnung im Plenarsaal sowie auf den Zuschauertribünen, Fluren und Zugangswegen des Hauses zu sorgen und den Zugang zum Plenum und den Tribünen zu überwachen 277 • Der Sergeant-at-Arms oder seine Mitarbeiter müssen in allen Sitzungen anwesend sein und auf Anweisung des Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 616. Vgl. Rundquist/Tong, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S. 2. 274 Vgl. zur Geschichte der bei den englischen Ämter Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 441. Die erste förmliche Ernennung eines Clerk ofthe House of Commons geht auf das Jahr 1363, die eines Sergeant-at-Arms auf die Regierungszeit Richards H. (1377 -1399) zurück, vgl. Wilding / Laundy, An Encyc10paedia of Parliament, S. 134,688. 275 Vgl. zum Sergeant-at-Arms of the House of Commons Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 437 ff.; Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 383 f.; Wilding / Laundy, An Encyc10paedia of Parliament, S. 687 ff. 276 Das Office ofthe Sergeant-at-Arms gliedert sich in sechs Abteilungen: Administration, Chamber Security, Special Events / Protocol, Police Services, Identification Services, House Garages and Parking Security. Siehe insgesamt zu den Aufgaben und Kompetenzen des Sergeant-at-Arms Tong, House Sergeant at Arms: Fact Sheet on Legislative and Administrative Duties, CRS Report, S. 1 f.; Deschler's Precedents Ch. 6 § 19; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 481; Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper/MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. (217 f.). 277 Eine entsprechende Funktion hat der Sergeant-at-Arms of the Senate. Bis zum 104. Kongreß war der Doorkeeper für den Zugang zum Plenarsaal und zu den Zuschauertribünen verantwortlich, und dem Sergeant-at-Arms fiel vorrangig die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Plenarsaal zu. Am Anfang des 104. Kongresses wurde dann das Amt des Doorkeeper abgeschafft, und seine Funktionen wurden mit denen des Sergeant-at-Arms vereint. Vgl. Rundquist / Tong, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S. 2. Vgl. ferner House Rule H, cl. 3 (c) und (d) mit House Manual (103. Kongreß), §§ 651, 653. Vgl. zum Doorkeeper insgesamt Deschler's Precedents Ch. 6 § 20 sowie House Manual, § 664. 272 273
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Speaker alle Anordnungen des Hauses vollziehen 278 . Zur Herstellung von Ruhe und Ordnung im Plenum ist er ermächtigt, die mace - Amtsstab und Symbol seiner Autorität - gegenüber störenden Abgeordneten zu erheben 279 . Gemäß House Rule XX, cl. 5 (b) kann der Sprecher den Sergeant-at-Arms anweisen, abwesende Abgeordnete zur Sitzungsteilnahme zu zwingen, um das erforderliche Quorum für die Feststellung der Beschlußfähigkeit zu erreichen 28o . Der Sergeant-at-Arms ist außerdem für die persönliche Sicherheit von Kongreßmitgliedern und -mitarbeitern, anderen politischen Würdenträgern und Besuchern verantwortlich. Zu diesem Zweck arbeitet er mit dem Senate Sergeant-at-Arms und dem Architect of the Capitol zusammen; diese drei Funktionsträger bilden das Capitol Police Board281 . Zu den protokollarisch-zeremoniellen Aufgaben des Sergeant-at-Arms zählen das Voranschreiten bei feierlichen Anlässen, wie Amtseinführungen von Präsidenten und gemeinsamen Sitzungen von Senat und Repräsentantenhaus, die Begrüßung und Eskortierung ausländischer Staatsgäste sowie die Aufsicht bei Beisetzungen von Mitgliedern des Kongresses. Im Falle der Abwesenheit des Clerk sitzt der Sergeant-at-Arms dem Repräsentantenhaus auf der Eröffnungssitzung vor, bis ein neuer Speaker gewählt ist282 . Zu seinen verwaltungstechnischen Aufgaben gehört es, als Mitglied des Capitol Guide Board283 neben dem Senate Sergeant-at-Arms und dem Architect of the Capitol für die Sicherheit und die Koordination von Besucherprogrammen im Capitol-Building zu sorgen. Der Sergeant-at-Arms ist dem Speaker und dem Committee on House Administration rechenschaftspflichtig 284 . d) Chief Administrative Officer Das Amt des Chief Administrative Officer (CAO), des Verwaltungsdirektors des Repräsentantenhauses, wurde erst mit der Geschäftsordnung des 104. Kongresses zur Zentralisierung von Verwaltungskompetenzen im Haus geschaffen285 . In funktioneller Hinsicht ist der CAO der Nachfolger des Director of Non-legislative and Financial Services, dessen Posten 1992 aufgrund der House Administrative ReVgl. House Rule 11, cl. 3 (a). Vgl. House Rule 11, cl. 3 (b); House Manual, § 657. Auch auf Anweisung des Sprechers vgl. VI Cannon s Precedents § 258; VIII Cannon s Precedents § 2530. 280 Die Erzwingung der Anwesenheit von Abgeordneten und die Herstellung von Ruhe und Ordnung mittels der mace sind freilich im 20. Jahrhundert selten vorgekommen; siehe 5. Kap. C. III. 1. 281 Zum Capitol Police Board siehe 40 U.S.C. § 206 (2000). Das Capitol Police Board ist schwerpunktmäßig für Fragen der Personalverwaltung zuständig. Siehe Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 616. 282 Vgl. Deschlers Precedents Ch. 6 § 19; 2 U.S.C. § 26 (2000); House Manual, § 656. 283 Siehe zum Capitol Guide Board 40 U.S.C. § 851 (2000). 284 Vgl. House Rule 11, cl. 3 (e); Deschlers Precedents Ch. 6 §§ 19, 19. 3. 285 H. Res. 6, Congressional Record, 04. 01. 1995, S. 463. Vgl. insgesamt House Manual, §§ 661 ff. 278 279
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
fonn Resolution des 102. Kongresses geschaffen worden war286 . Letzterer wurde anders als sein gewählter Nachfolger - auf gemeinsame Empfehlung des Mehrheits- und Minderheitsführers im Haus vom Speaker emannt287 . Nach House Rule 11, cl. 4 (a) obliegen dem CAO finanzielle und verwaltungstechnische Verantwortlichkeiten, die in sechs Abteilungen organisiert sind288 . Das Office of Finance ist die Haushaltsabteilung der Repräsentantenhausverwaltung, zu deren Aufgaben die Aufstellung des Haushalts, die Buchhaltung sowie die Kontenführung für das Repräsentantenhaus gehören. Die Abteilung House Infonnation Resources ist für die technische Betreuung und Ausstattung des Repräsentantenhauses mit Mitteln der Telekommunikation, Computeranlagen, Datenbanken und Internetzugang zuständig. Dem Office of Human Resources obliegen Aufgaben der Personal verwaltung. Der CAO ist auch in weitem Umfang für die Bereitstellung von Infrastruktur und Dienstleistungen für die Abgeordneten zuständig. So sorgt die Abteilung Media and Support Services für den Postdienst, Restaurants, Kindertagesstätten und die Unterstützung von Femseh- und Radioaufzeichnungen. Das Office of Procurement and Purchasing ist für die Büroausstattung der Abgeordneten zuständig und das Immediate Office of the CAO koordiniert die Vergabe der Pressetribünen. Der CAO untersteht gemäß House Rule 11, cl. 4 (a) der Leitung und Aufsicht des Committee on House Administration, gegenüber dem er nach House Rule 11, cl. 4 (b) auch rechenschaftspflichtig ist. Das Aufsichtsrecht des Sprechers über den CAO wurde im 105. Kongreß aus der Geschäftsordnung gestrichen 289 .
286 Die aus Anlaß von Mißmanagement in der Verwaltung des Repräsentantenhauses ergangene House Administrative Reform Resolution des 102. Kongresses (H. Res. 423, Congressional Record, 09. 04. 1992, S. 9040) war das vorläufige Ergebnis einer Reihe von bis in die 1970'er Jahre zurückreichenden Hausreformvorhaben. Sie geht in wesentlichen Teilen auf die 1977 gescheiterten Verwaltungsreformpläne der House Comrnission on Administrative Review des 95. Kongresses zurück (H. Res. 766, Congressional Record, 05. 10. 1977, S. 32537). Mit der Schaffung des Postens des Director of Non-legislative and Financial Services 1992, der mittlerweile vom CAO abgelöst worden ist, ging die Abschaffung des Amtes des Postmasters einher, dessen Funktionen dem CAO übertragen wurden. Zum Director of Non-legislative and Financial Services siehe House Manual, § 665; zum Postmaster siehe House Manual, § 668; Rundquist/Tang, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S. 5; zur Erforderlichkeit der Zentralisierung der Repräsentantenhausverwaltung Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper / MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. (bes. S. 231). 287 Nachdem man sich im 103. Kongreß während einer Vakanz des Postens des Director nicht auf einen Nachfolger hatte einigen können, wurde im folgenden Kongreß der CAO als Wahlamt geschaffen. Vgl. insgesamt Rundquist / Tang, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S. 1 f. 288 Siehe zu den Zuständigkeiten des CAO Dwyer, Chief Administrative Officer of the House: Fact Sheet on Financial and Administrative Duties, CRS Report, S. 1 f. 289 Vgl. House Manual, § 663.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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e) Chaplain Das Amt des Chaplain, des "Hauspredigers" des Repräsentantenhauses, ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Wahlamt nach U.S. Const. Art. I, § 2, cl. 5290. Auch dieses Amt hat seinen Vorläufer im House of Commons, in dem es 1659 als besonderes Amt eingeführt wurde. Anders als der Chaplain des Repräsentantenhauses, dessen Bestellungsmodus Ausdruck der strikten Trennung von Kirche und Staat in den USA ist291 , wird der Prediger des britischen Unterhauses seit 1835 vom Speaker ernannt292 . Die Aufgabe des Chaplain ist gemäß House Rule 11, cl. 5 - bereits seit dem ersten Kongreß - die Vornahme eines Gebetes zu Beginn eines jeden Sitzungstages des Repräsentantenhauses sowie die Seelsorge für alle Angehörigen des Hauses und deren Farnilien 293 . Das Gebet gehört nicht zum parlamentarischen Verfahren, die Beschlußfähigkeit ist daher nicht erforderlich. Demzufolge weist der Sprecher vor dem Gebet Geschäftsordnungsanträge auf Feststellung der Beschlußfähigkeit als unzulässig ab294 . Der Chaplain vertritt keine besondere Glaubensrichtung und soll daher auch nicht auf der Grundlage einer speziellen Denomination gewählt werden 295 . Der Vorschlag von seiten einiger Republikaner, das Amt des Chaplain abzuschaffen und stattdessen ausschließlich Gastprediger für die Eröffnungsgebete einzuladen, ist bisher nicht in die Tat umgesetzt worden, wenngleich gelegentlich Gastprediger die Gebete sprechen 296 .
290 Vgl. I Hinds' Precedents §§ 273-282. Siehe auch House Manual. § 666. Zu welch scharfen partei politischen Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund bestimmter Präferenzen im konfessionell segmentierten Repräsentantenhaus die Wahl des im Grunde politisch unbedeutenden Amtes des Chaplain führen kann, zeigt die Diskussion um die Nachfolge des lutherischen Chaplains Rev. James D. Ford im Februar 2000. Siehe hierzu wie zu der bestimmenden Rolle des Sprechers im Auswahlprozeß Eilperin, A House without a Prayer of Comity, in: Washington Post v. 12. 02. 2000, S. A 1 und A 4 sowie Broadway, Holy War in the House, in: Washington Post v. 19.02.2000, S. B 9. 291 Vgl. V.S. Const. amend. I; siehe Heun, Die Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Kästner / Nörr / Schlaich, FS Heckei, S. 341 ff. 292 Vgl. Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 442. 293 Vgl. im einzelnen Deschler's Precedents Ch. 6 § 21; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 481; sowie insgesamt Amer, House and Senate Chaplains, CRS Report, S. 1 ff.; Tong, House Administrative Officers and Officials, CRS Report, S. 2. 294 Vgl. VI Cannons Precedents § 663. Siehe auch House Rule XX, cl. 7 Ca). 295 Der Supreme Court hat in Marsh v. Chambers, 463 V.S. 783 (1983) entschieden, daß die Einrichtung des Amtes eines Chaplain in der Legislativversammlung von Nebraska nicht gegen die Establishment Clause des ersten Zusatzartikels der V.S.-Verfassung verstößt. In einem ähnlichen den Chaplain des Repräsentantenhauses betreffenden Fall hat der Court of Appeals sich dem angeschlossen, siehe Murray v. Buchanan, 729 F.2d 689 CD.C. Cir. 1983). 296 Vgl. Rundquist / Tong, House Administrative Reorganization: 104th Congress, CRS Report, S 3.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
11. Vom Speaker zu ernennende Beamte (officials)
Eine Reihe weiterer Amtsträger des Repräsentantenhauses zeichnen sich dadurch aus, daß sie vom Sprecher - teilweise in Absprache mit dem Minority Leader - ernannt werden. Wie die Wahl beamten unterstützen auch diese officials den Sprecher in seiner Funktion als Parlamentspräsident und Verwaltungschef des Repräsentantenhauses. Die Darstellung ihrer Funktionen verdeutlicht die Arbeitsteilung innerhalb der Parlamentsleitung 297 . 1. Speaker pro tempore
Der eigentliche Stellvertreter des Speaker in regulären 298 Sitzungen des Repräsentantenhauses ist der Speaker pro tempore. Anders als das Amt des DeputySpeaker in Großbritannien ist das des Speaker pro tempore kein ständiges Amt, sondern es wird nur im Falle der Abwesenheit des Speaker besetzt. Vor 1855 mußte sich das Unterhaus bei Abwesenheit des Speaker entweder vertagen oder aber - vergleichbar der Verfahrenspraxis in den USA - einen Speaker pro tempore, also "auf Zeit", wählen. Seit einer Regelung aus jenem Jahr fungiert der Vorsitzende des Committee on Ways and Means, der schon bei Parlamentseröffnung gewählt wird und der zugleich Vorsitzender des Committee of the Whole House ist, als ständiger Vertreter des britischen Speaker299 . Von zentraler Bedeutung für die Reichweite der Kompetenzen des amerikanischen Speaker pro tempore ist die Art seiner Bestellung 3OO • Die einschlägige House Rule I, cl. 8 nennt drei verschiedene Bestellungsmodi: die einfache Ernennung durch den Speaker, die Ernennung durch den Speaker mit Bestätigung des Hauses und die Wahl durch das Repräsentantenhaus. So ermächtigt House Rule I, cl. 8 (a) den Speaker, für den Zeitraum von höchstens drei Sitzungstagen ein Mitglied des Hauses zum Speaker pro tempore zu ernennen 30I . Im Falle der Krankheit des Speaker bestimmt cl. 8 (b) (1), daß dieser mit Zustimmung des Hauses einen Abgeordneten für die Dauer von höchstens zehn Sitzungstagen zum Speaker pro tempore ernennen dareo2 . Für den Fall der Abwesenheit des Speaker und der UnterlasSiehe Anhang H. Für den Fall, daß das Haus als Committee of the Whole House tagt, vgl. House Rule XVIII, cl. 1 sowie Deschler's Precedents Ch. 6 § 10. 299 Vgl. Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 380 f.; Wilding / Laundy, An Encyclopaedia of Parliament, S. 203 f. 300 Siehe insgesamt House Manual, §§ 632, 634. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 10. 301 Die Ernennung kann mündlich vor dem gesamten Haus oder auch informell erfolgen. Sie muß schriftlich erfolgen, wenn der Speaker bei der Eröffnung der entsprechenden Sitzung nicht anwesend ist. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 12.1, 12.2. 302 Diese Geschäftsordnungsregel, die die Zustimmung des Hauses vorsieht, ist durch precedents auch auf die Fälle erweitert worden, in denen der Speaker pro tempore länger als drei 297
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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sung einer Ernennung durch diesen sieht cl. 8 (b) (1) die Wahl des Speaker pro tempore durch das Haus für die Zeit der Abwesenheit des Speaker vor303 . Diese drei Bestellungsarten - von der alleinigen Ermessensentscheidung des Speaker, über ein Ernennungsrecht des Speaker mit Zustimmungsvorbehalt bis hin zur selbständigen Wahl durch das Plenum - sind Ausdruck einer von der Ernennung bis zur Wahl gestuften demokratischen Legitimation des Speaker pro tempore. Dem Ausmaß seiner demokratischen Legitimation entspricht der Umfang der Kompetenzen des Speaker pro tempore. Sinnfällig für diese Entsprechung ist, daß der gewählte Speaker pro tempore stets, der mit Zustimmung des Hauses ernannte meist und der allein vom Speaker ernannte Speaker pro tempore nie den Amtseid leisten muß 304 . Die autonomen Kompetenzen eines allein vom Speaker ernannten Speaker pro tempore sind im wesentlichen auf die rein formelle Sitzungsleitung, d. h. die Durchsetzung eines ordnungsgemäßen Sitzungs verlaufs, beschränkt305 . Zur Vornahme von darüber hinausgehenden Maßnahmen bedarf er - anders als der Speaker - der einstimmigen Zustimmung des Hauses im Einzelfall. Dies gilt etwa für die Vereidigung von Abgeordneten, die Ernennung von Abgeordneten zu Mitgliedern eines Vermittlungsausschusses (conference committee) und die Weiterleitung von Berichten der Exekutive an die Ausschüsse 306 . Ein mit Zustimmung des Hauses vom Speaker ernannter Speaker pro tempore ist - im Gegensatz zum einfach ernannten - zudem ermächtigt, Gesetze zu unterzeichnen 307 • Allerdings geht die Parlamentspraxis inzwischen in allen Fällen, in denen der Speaker pro tempore substanzielle Aufgaben wahrnehmen soll, zunehmend zur Wahl des Speaker pro tempore über, um ihm als gewähltem Amtsträger des Repräsentantenhauses umfassendere Kompetenzen zuweisen zu können 308 . Ein durch einfache Resolution gewählter Speaker pro tempore ist ohne besondere Zustimmung des Hauses befugt, Abgeordnete zu vereidigen, Mitglieder für einen Vermittlungsausschuß zu bestelTage amtieren sollte, ohne daß der Speaker krank war, und in denen dem ernannten Speaker pro tempore während der Zeit seiner Ernennung erlaubt werden sollte, Gesetze auszufertigen. Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 §§ 13.1, 13.2. Die letzte Fallgruppe ist mittlerweile als House Rule I, cl. 8 (b) (2) kodifiziert worden. 303 Wenngleich in aller Regel jedoch der zuvor vom Speaker designierte Speaker pro tempore vom Haus gewählt wird, so besitzt das Haus kraft seiner Parlamentsautonomie das Recht, von diesem "Vorschlag" abzuweichen. Wird der vom Speaker designierte Abgeordnete gewählt, so unterscheidet sich diese Bestellungsart der "Wahl" faktisch nicht von der der "Ernennung mit Zustimmung". Eine Wahl ist nicht nur auf den Fall der Abwesenheit des Speaker wegen Krankheit begrenzt. Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 §§ 14.5, 14.6, 14.7. 304 Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 §§ 11, 11.1, 11.2, 11.3. Der Amtseid bestimmt sich nach 5 U.S.c. § 3331 (2000). 305 Vgl. Deschlers Precedents eh. 6 §§ 12.15, 12.16. 306 Vgl. hierzu im einzelnen Deschlers Precedents eh. 6 §§ 12, 12.8-12.14. 307 Vgl. House Rule I, cl. 8 (b) (2); Deschler's Precedents eh. 6 § 13.2. 308 Die Wahl wird in praxi zumeist vom Speaker initiiert. Vgl. Deschlers Precedents eh. 6 §§ 13, 14.3, 14.4. 15 Selnnller
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
len oder der gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Kongresses vorzusitzen 309 . Zur Vornahme einzelner Amtshandlungen bedarf allerdings selbst der gewählte Speaker pro tempore einer besonderen Ermächtigung, so etwa zur Unterzeichnung von Gesetzen während einer Vertagung des Repräsentantenhauses 31O • Die Amtszeit des Speaker pro tempore beginnt frühestens mit der Annahme des Amtes durch den betreffenden Abgeordneten und endet in dem Moment, in dem der Speaker wieder den Vorsitz übernimmt 311 . Somit kann der Speaker den Speaker pro tempore jederzeit ablösen 312 • Aufgrund des dem Speaker eingeräumten Ermessens bei der Anwendung und Auslegung des Parlamentsrechts ist die Auswahl eines geeigneten Stellvertreters politisch bedeutsam, denn sie kann den Ausgang einer Gesetzesberatung bestimrnen 313 . Daher wird das Amt des Speaker pro tempore in der Regel von einem Abgeordneten aus der Führungsspitze der Mehrheitsfraktion ausgeübt 314 . Das Amt des Speaker pro tempore verdeutlicht somit zweierlei. Zum einen ist der Speaker pro tempore in keinem Fall dem Speaker kompetentiell gleichgestellt, sondern sein Amt ist stets ein kompetentielles Minus gegenüber dem SpeakerAmt. Der Speaker ist also immer - auch während seiner Abwesenheit - der Inhaber der summa potestas im Repräsentantenhaus. Zum anderen verdeutlicht die Tatsache, daß der Speaker seine gesamte Amtsgewalt nicht und Teile davon nur sehr beschränkt an seinen Stellvertreter delegieren kann (delegatus delegare non potest), daß der Speaker letztlich dem Willen des Repräsentantenhauses und damit der Geschäftsordnungsautonomie unterliegt. Die Bestellung eines Speaker pro tempore bei Verhinderung des Speaker verweist auf einen grundlegenden Unterschied zum deutschen Parlamentsrecht. Art. 40 I I GG i.Y.m. § 2 I GOBT sieht neben der Wahl des Bundestagspräsidenten Vgl. im einzelnen Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 14,14.1,14.8-14.12. Dies gilt allerdings selbst für den Speaker. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 4.37, 4.38. Zu weiteren Fällen spezieller Ermächtigung des Speaker pro tempore vgl. im einzelnen Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 14.13 -14.16. 3ll In den genannten Fällen beginnt die Amtszeit erst mit der Eidesleistung. Die Amtsdauer kann sehr unterschiedlich sein und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. V gl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 11, 11.7 -11.16. 312 Vgl. Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 68. 313 V gl. 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (3); ferner Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, 309
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S. 67 f. 314 Nur bei seltenen zeremoniellen Anlässen wird ein Mitglied der Minderheitsfraktion zum Speaker pro tempore bestellt. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 10, 12.7 sowie Ch. 3 §§ 17, 17.5. Den Maßstab für den Speaker bei der Auswahl des Speaker pro tempore bilden einerseits die Hierarchie der Führungsämter der Fraktion, andererseits die Wichtigkeit des Beratungsgegenstandes. Durch die Auswahl junger Congressmen für den Posten des Speaker pro tempore verleiht der Speaker ihnen eine gewisse Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit im Haus, wofür er bei anderer Gelegenheit möglicherweise eine Gegenleistung fordert. V gl. auch zu den politischen Motiven der Auswahl Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S.68.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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die Wahl von Stellvertretern (Vizepräsidenten) für die Dauer einer Legislaturperiode vor. Die von den Fraktionen gestellten Vizepräsidenten bilden gemeinsam mit dem Bundestagspräsidenten gemäß § 5 GOBT das Präsidium. Die Aufgabe des Präsidiums, das regelmäßig in den Sitzungswochen des Parlaments zusammentritt, besteht neben einigen die Bundestagsverwaltung betreffenden Mitwirkungsrechten vor allem in der Streitschlichtung, Komprornißfindung und Beratung des Präsidenten in Angelegenheiten des Parlaments, ohne daß ihm eine Entscheidungskompetenz zustünde 315 . Es stellt eine Art Clearing-Stelle 316 im Vorfeld von Vereinbarungen im Ältestenrae 17 , der vor allem gemäß § 20 I GOBT für die Aufstellung der Tagesordnung zuständig ist, dar. Die Aufgabe der Vizepräsidenten ist die Vertretung des Präsidenten in der Sitzungsleitung 318 . Der Sitzungsvorstand - das eigentliche Leitungsgremium - setzt sich gemäß § 8 I GOBT aus dem amtierenden Präsidenten und zwei gemäß Art. 40 I 1 i.Y.m. § 3 GOBT zu wählenden Schriftführern zusammen. Diese haben den Präsidenten gemäß § 9 GOBT in den Plenarsitzungen zu unterstützen und besitzen eine eigene Entscheidungskompetenz, soweit sie als Mitglieder des Sitzungsvorstandes an der Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses und des Abstimmungsergebnisses beteiligt sind und ihnen die Auszählung der Stimmen obliege 19. Während im Repräsentantenhaus sowohl der Parlamentsvorstand als auch die Sitzungsleitung als Individualorgan ausgestaltet ist - insbesondere verfügt der Clerk nicht über den Schriftführern vergleichbare Entscheidungskompetenzen im Rahmen der Plenarsitzungen - sieht die Geschäftsordnung des Bundestages jeweils ein Kollegialorgan, Präsidium und Sitzungsvorstand, vor320 . Im Repräsentantenhaus werden interfraktionelle Vereinbarungen nicht wie im Bundestag - in formellen Gremien (Präsidium, Ältestenrat), sondern in informellen Gesprächen zwischen den Fraktionsführungen, Speaker, Majority Leader und Minority Leader, getroffen.
315 Siehe § 7 III, IV 4, V GOBT. Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 116; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 128 f.; zu Einzelheiten BückeT, Präsident und Präsidium, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 19 ff. 316 Vgl. Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, in: HdbStR 11, § 42, Rn. 32 f. 317 Siehe § 6 GOBT sowie insgesamt Roll, Der Ältestenrat, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 28, Rn. 20 ff.; Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 6; Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, in: HdbStR 11, § 42, Rn. 36 ff. 318 Nach § 7 VI GOBT wird der Präsident im Fall seiner Verhinderung durch den einen Vizepräsidenten aus der zweitstärksten Fraktion vertreten. Nach § 8 II 1 GOBT hat der Präsident die Reihenfolge seiner Vertretung im Sitzungsdienst im Einvernehmen mit seinen Stellvertretern zu bestimmen, vgl. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 8, Rn. 3. 319 Vgl. §§ 45 11, 51 I, 52 Satz 4 GOBT sowie zu den Funktionen der Schriftführer im einzelnen Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 125. 320 Siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd).
15*
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
2. Parliamentarian
Der Parliamentarian of the House ist der Parlamentsjurist und Experte in geschäftsordnungsrechtlichen Fragen. Ihm kommt eine herausragende Bedeutung für das parlamentarische Verfahren ZU 321 . Das Repräsentantenhaus kennt den Posten eines Parliamentarian seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er hatte sich im Laufe der Zeit aufgrund stetig ansteigender Spezialisierung des amerikanischen Parlamentsrechts aus dem Clerk-System des Repräsentantenhauses zu einem eigenständigen Amt entwickelt. In seiner heutigen Form besteht das Amt seit 1927, wobei es im 95. Kongreß formell als ständiges Amt eingerichtet worden ise 22 . Die zentrale Rechtsgrundlage des Amtes, 2 U.S.c. § 287a (2000), bestimmt ausdrücklich, daß der Parliamentarian vom Speaker ohne Rücksicht auf seine politische Parteizugehörigkeit, allein auf der Grundlage seiner fachlichen Qualifikation zu ernennen ist und daß er unmittelbar dem Speaker zugeordnet ise 23 . Die hohen Anforderungen an die Kenntnisse des amerikanischen Parlamentsrechts sind in erster Linie der Grund dafür, daß der Parliamentarian aus dem unmittelbaren personellen Umfeld seines Vorgängers, d. h. aus dessen Assistants, ausgewählt wird 324 . Gerade die lange Einarbeitungszeit und Erfahrungssamrnlung 325 , die erforderlich sind, um dieses Amt mit hinreichender Professionalität auszuüben, haben dazu geführt, daß ein Parliamentarian bei einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Haus oder einem Wechsel des Speaker nicht automatisch ausgetauscht wird, sondern z.T. über Jahrzehnte im Amt bleibt. Daher hat es seit 1927 bisher auch nur vier Parliamentarians gegeben 326 . 321 Die politik- und staatswissenschaftliche Literatur in den USA und vor allem in Deutschland schenkt der zentralen Bedeutung des Parliamentarian für die Gesetzgebung erstaunlicherweise so gut wie keine Beachtung. In diesem Sinne auch Siffl Weil, Ruling Congress, S. 50. Zum Senate Parliamentarian und einem Vergleich beider Amter vgl. Siffl Weil, a. a. 0., S. 52 ff. (65) sowie Bach, The Office ofthe Parliamentarian in the House and Senate, CRS Report, S. 1 ff. 322 H. Res. 502, Congressional Record, 20. 04. 1977, S. 11415. Zur Rolle des Clerk im britischen Parlament vgl. 4. Kap. A. I. 2. b). Im Jahre 1857 wurde zum ersten Mal ein sog. "Messenger to the Speaker" bestellt, dessen Aufgabe die Beratung des Speaker in parlamentsrechtlichen Fragen war. Zwar änderte sich diese Bezeichnung im Laufe der Zeit von "Clerk to the Speaker" über "Clerk at the Speaker's Table" bis hin zu "Parliamentarian" im Jahre 1927, doch die Funktion blieb grundsätzlich dieselbe. Vgl. Smock, House Parliamentarian, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1522 f.; House Manual, § 1122; ferner Siffl Weil, Ruling Congress, S. 27 f. 323 Vgl. insgesamt zu den Rechtsgrundlagen des Amtes 2 U.S.c. §§ 287 -287d (2000). 324 Vgl. Siff I Weil, Ruling Congress, S. 27. Zum Office des House Parliamentarian zählen im 106. Kongreß neben dem Parliamentarian zwei Deputy Parliamentarians, drei Assistant Parliamentarians und zwei Clerks. Das Office des Senate Parliamentarian setzt sich zusammen aus dem Parliamentarian, dem Associate Parliamentarian, dem Assistant Parliamentarian und dem Parliamentary Assistant. Siehe hierzu Bach, The Office of the Parliamentarian in the House and Senate, CRS Report, S. 1 ff. 325 Vgl. Riddick, The U.S. Congress, S. 142.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Die beschränkte Rekrutierungsbasis und die lange Amtsdauer der Parliamentarians haben erheblich zu einer Kontinuität sowohl in der Amtsführung wie auch in der Auslegung und Anwendung des Parlamentsrechts beigetragen. Im Zusammenhang mit diesem Expertentum in parlamentsrechtlichen Fragen bildet der Informationsvorsprung des Parliamentarian, der sich daraus ergibt, daß allein er und seine Mitarbeiter Zugang zu der einzigen offiziellen und kompletten Präzedenzfallsammlung des Repräsentantenhauses besitzen, einen weiteren Grund für die besondere Bedeutung dieses Amtes 327 . Dies gilt um so mehr, als die Regelungen der Geschäftsordnung gerade nicht selbstvollziehend sind, sondern einer Anwendung und Interpretation bedürfen, um wirksam zu werden 328 . Die Funktion des Speaker als letztverbindliche Entscheidungsinstanz der Auslegung und Anwendung von Parlamentsrecht sowie das Amtsverständnis der Parliamentarians haben dazu geführt, daß das dem Gesetzeswortlaut nach parteipolitisch neutrale Amt des Parliamentarian in praxi zum "Hilfsorgan" des jeweiligen Speaker geworden ist, dessen bestimmendem Einfluß er sich praktisch nicht entziehen kann. Ein Handeln des Parliamentarian gegen den Willen des Speaker ist ausgeschlossen 329 . Der ungehinderte Zugriff auf die Fachkompetenz des Parliamentarian in Verfahrensfragen verschafft dem Speaker einen eminenten Vorteil bei der Verfolgung seiner politisch-gesetzgeberischen Ziele. Diese These wird um so plausibler, wenn die grundsätzliche Bedeutung des parlamentsrechtlichen Fachwissens für die Umsetzung politischer Ziele im Gesetzgebungsprozeß des Repräsentantenhauses ebenso bedacht wird wie die Tatsache, daß die ordnungsgemäße, an Präzedenzfällen orientierte, neutrale Anwendung des amerikanischen Parlamentsrechts der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus die politischen Kontrollmittel sichert33o . Der Parliamentarian ist also nicht nur der Garant für die Effizienz der parlamentarischen Arbeit, sondern vor al326 Lehr Fess (Amtszeit: 1927 - 28, zuvor Clerk at the Speaker's Table: 1919 - 1927), Lewis Deschler (1928-1974), William Holmes Brown (1974-1994), Charles W. Johnson III (1994-). Seit 1857 haben insgesamt 18 Personen die Funktion des Parlamentsjuristen ausgeübt. Bis 1927 war das Amt zeitweise ein Parteiamt, das dem Mehrheitswechsel unterlag. Seit 1927 wird das Amt grundsätzlich als permanentes unparteiisches "Expertenamt" betrachtet. Vgl. die Aufstellung bei Smock, House Parliamentarian, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 1522 sowie Riddick, The V.S. Congress, S. 142; Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 68. Das Amt des Senate Parliamentarian ist hingegen in stärkerem Maß von der politischen Mehrheit abhängig. Vgl. Hook, Parliamentarians: Procedure and Pyrotechnics, in: CQWR 45 (1987), S. 1951 ff. (1951). Der häufigere Wechsel in diesem Amt ist nicht zuletzt auch auf das weniger komplexe, überschaubarere Parlamentsrecht des Senats zurückzuführen. 327 Es handelt sich hierbei z.T. um handschriftliche Notizen auf der Grundlage des Congressional Record. Vgl. Siffl Weil, Ruling Congress, S. 26, 29 f., 38. 328 Vgl. SiffI Weil, Ruling Congress, S. 51. 329 Vgl. Siffl Weil, Ruling Congress, S. 46, 51; so auch dezidiert Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 68. Zur engen Verbindung zwischen Speaker und Parliamentarian sowie zum Vorwurf der Parteilichkeit des Parliamentarian vgl. ferner Hook, Parliamentarians: Procedure and Pyrotechnics, in: CQWR 45 (1987), S. 1951 ff. (1952). 330 Vgl. Hook, Parliamentarians: Procedure and Pyrotechnics, in: CQWR 45 (1987), S. 1951 ff. (1951); Tiefer, Congressional Practice, S. 200.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
lern für die Durchsetzung des Speakerwillens im Gesetzgebungsprozeß und er ist somit die zentrale Machtstütze des Speaker im Repräsentantenhaus 33 !. Die Aufgaben des Parliamentarian sind zum größten Teil nicht gesetzlich normiert, sondern werden grundsätzlich vom Speaker bestimmt. Dieser Umstand hat im Laufe der Zeit zu einer erheblichen Aufgabenerweiterung geführt. Heutzutage sind der Parliamentarian und die Assistant Parliamentarians vor allem zuständig für die Überweisung der Gesetzesvorschläge an die entsprechenden Ausschüsse eine Aufgabe, die formell dem Speaker obliegt - sowie für die Beratung des Speaker bzw. des jeweiligen Vorsitzenden in allen Geschäftsordnungsfragen. Zu diesem Zweck nimmt der Parliamentarian oder einer seiner Assistants an allen Sitzungen des Hauses teil und sitzt unmittelbar neben dem jeweiligen Vorsitzenden. Der Parliamentarian berät den Speaker speziell auch bei der Auswahl des Vorsitzenden des Committee of the Whole, dem der Speaker gewohnheitsrechtlich nicht vorsitzt. Dies gilt insbesondere, wenn Änderungen wichtiger Gesetzesvorhaben auf dem Plan stehen332 . Daneben ist er zuständig für die Aufnahme von committee reports in die calendars, für die Überpriifung des Journal und des Congressional Record sowie für die Durchsicht aller Gesetzesentwürfe und Beschlüsse im Hinblick auf Verfahrensprobleme. Ferner gehören zu seinen Aufgaben die Beratung des Geschäftsordnungsausschusses (Rules Committee) bei der Festlegung der zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen (special rules) für die Behandlung der Gesetzesvorlagen im Plenum des Repräsentantenhauses sowie die Unterstützung von Ausschüssen und einzelnen Abgeordneten beider Fraktionen bei der Vorbereitung von Anträgen und anderen legislativen Maßnahmen. In diesem Zusammenhang beraten der Parliamentarian und seine Mitarbeiter die Abgeordneten insbesondere bei der Formulierung von Gesetzesentwürfen im Hinblick auf eine bestimmte von den Abgeordneten bevorzugte Ausschußzuweisung. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben hat sich der Parliamentarian stets an den Präzedenzfällen zu orientieren 333 . Im Zuge der Kongreßreformen der 1970'er Jahre wurde der Parliamentarian gesetzlich verpflichtet, die Präzedenzfallsammlung des Repräsentantenhauses zu vervollständigen und diese periodisch zu überarbeiten und herauszugeben sowie ein Handbuch mit den wichtigsten Präzedenzfällen für alle Abgeordneten zusammenzustellen 334 . Außerdem ist er für die Überarbeitung des Geschäftsordnungskommentars, House Manual, zuständig. 331 So insbesondere wegen der Komplexität der Verfahrensregeln Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 68. 332 Vgl. hierzu Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 68. 333 Vgl. zu den Aufgaben insgesamt Smock, House Parliamentarian, in: Bacon/Davidsonl Keller, Encyclopedia, S. 1523; Riddick, The V.S. Congress, S. 142 f.; Sijfl Weil, Ruling Congress, S. 29; Oleszek, Congressional Procedures, S. 100; Hook, Parliamentarians: Procedure and Pyrotechnics, in: CQWR 45 (1987), S. 1951 ff. (1951 f.). 334 Vgl. 2 V.S.c. §§ 28, 29 (2000); ferner SijflWeil, Ruling Congress, S. xvi f. Siehe 2. Kap. C. V. 4. Deschler's Precedents sowie Deschler, Procedure in the V.S. House of Representatives, S. 1 ff.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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Die Veröffentlichung der wichtigsten Präzedenzfälle hat den Informationsvorsprung des vom Speaker ernannten Parliamentarian sowie seinen weitreichenden Einfluß auf den Gesetzgebungsprozeß, der sich aus seiner Monopolstellung als Geschäftsordnungsexperte ergibt, gegenüber den demokratisch gewählten Abgeordneten zwar verringert, aber keineswegs beseitigt. Der Parliamentarian ist als Funktionsträger des Repräsentantenhauses weder demokratisch legitimiert noch untersteht er demokratischer Kontrolle. Da seine Aufgaben und Kompetenzen nur unzureichend normiert sind und er nahezu keine Beachtung in der wissenschaftlichen Kongreßforschung oder gar in der Presse findet, ist sein beträchtlicher Einfluß auf das parlamentarische Verfahren im Repräsentantenhaus unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten problematisch 335 .
3. Inspector General
Die House Administrative Reform Resolution von 1992 336 bestimmte die Bestellung eines Inspector General (lG), eines unabhängigen Rechnungsprüfers des Repräsentantenhauses, der dann zuerst im 103. Kongreß eingesetzt wurde 337 . Die Rechtsgrundlage dieses Amtes findet sich in House Rule 11, cl. 6. Der IG wird gemäß House Rule 11, cl. 6 (b) jeweils für einen Kongreß gemeinsam vom Speaker sowie vom Mehrheits- und Minderheitsführer des Repräsentantenhauses ernannt. Gemäß House Rule 11, cl. 6 (c) untersteht er der Leitung und Aufsicht des Committee on House Administration und hat die Aufgabe, in regelmäßigen Abständen Buchprüfungen der finanziellen Transaktionen der einzelnen Verwaltungseinheiten des Hauses durchzuführen. In diesem Zusammenhang hat er die überprüften Amtsbereiche über die Resultate seiner Prüfung zu unterrichten und angemessene Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Desweiteren hat er dem Speaker, dem Mehrheits- und Minderheitsführer sowie dem Vorsitzenden und dem ranghöchsten Minderheitsmitglied des Committee on House Administration über jede Buchprüfung einen Bericht zu erstatten und sie über etwaige finanzielle Unregelmäßigkeiten in Kenntnis zu setzen sowie ihnen Empfehlungen zur Abhilfe von finanziellen Mißständen zu unterbreiten. Bei Anzeichen von Verletzungen gesetzlicher oder ge335 So auch Siffl Weil, Ruling Congress, S. 66 ff. Daher auch der Vorschlag von Siff I Weil, den Parliamentarian zu Beginn eines neuen Kongresses von der Fraktionsvollversarrunlung der Mehrheitspartei wählen zu lassen, um ihn so gegenüber der Mehrheit verantwortlich zu machen, dies., a. a. 0., S. 208. 336 H. Res. 423, Congressional Record, 09. 04. 1992, S. 9040. 337 Siehe zur Errichtung des Amtes House Manual, § 667. Ursprünglich wurden unabhängige Rechnungsprüfer im Jahre 1978 vom Kongreß zur Kontrolle größerer Bundesbehörden eingesetzt, wobei sie allerdings nur eines von mehreren Kontrollinstrumenten des Kongresses gegenüber der Verwaltung darstellen. Vgl. Davidson I Oleszek, Congress and it Members, S. 327. Der Inspector General des Repräsentantenhauses ist somit ein Instrument der Selbstkontrolle des Hauses. Vgl. insgesamt zu den Aufgaben der Inspectors General Light, Monitoring Govemment. Inspectors General and the Search for Accountability, S. 23 ff.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
schäftsordnungsrechtlicher Vorschriften hat der IG dem Sprecher und bestimmten Ausschüssen, darunter das Cornmittee on Standards of Official Conduct, mögliche Amtspflichtverletzungen jedes Angehörigen des Repräsentantenhauses mitzuteilen, die die Weiterleitung an bundes- oder einzelstaatliche Strafverfolgungsbehörden erforderlich machen. Der IG unterstützt damit den Sprecher bei der Wahrnehmung seiner Funktion als Verwaltungschef des Repräsentantenhauses. 4. Sonstige Officials House Rule 11, cl. 7 bestimmt die Errichtung eines Office of the Historian of the House of Representatives. Das Amt geht aus dem Office for the Bicentennial hervor, das im 97. Kongreß eigens für die Feierlichkeiten aus Anlaß des zweihundertsten Jahrestages des Repräsentantenhauses geschaffen worden war338 . Dem Speaker steht das Recht zu, einen unparteiischen, professionellen Historiker in das Amt zu berufen 339 sowie die Bezahlung der Mitarbeiter des Amtes zu bestimmen. Die Verwaltung, Leitung und Aufsicht des Amtes fällt in die Kompetenz des Sprechers 34o . Daneben sieht die Geschäftsordnung des lO6. Kongresses in House Rule 11, cl. 8 noch das im 103. Kongreß geschaffene Office of General Counsel vor341 . Der Sprecher ernennt die Mitarbeiter dieses Amtes und setzt die Höhe ihrer Bezahlung fest. Dem Speaker obliegt in Absprache mit einer Bipartisan Legal Advisory Group, die den Mehrheits- und Minderheitsführer einschließt, die Leitung des Amtes. Die Aufgabe des Office of General Counsel besteht darin, die Mitglieder, Ausschüsse, Amtsträger und sonstige Beschäftigte des Repräsentantenhauses ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit bei der Wahrnehmung ihrer Dienstpflichten rechtlich zu beraten und für sie die Prozeßführung in ihre Amtsführung betreffenden Rechtsstreitigkeiten zu übernehmen. Das Office of the Legislative Counsel hat die Aufgabe, das Repräsentantenhaus, seine Mitglieder, Ausschüsse und den Mitarbeiterstab hinsichtlich der Klarheit, Genauigkeit und Schlüssigkeit bei der Ausarbeitung und Formulierung legislativer Maßnahmen, wie Gesetzesentwürfe und Ausschußberichte, zu unterstützen und zu beraten 342 . Dem Sprecher steht in bestimmtem Umfang ein Weisungsrecht hinsichtlich der Tätigkeit des Legislative Counsel ZU343. Der Legislative Counsel soll H. Res. 621, Congressional Record, 17. 12. 1982, S. 31951. Ernennung und Entlassung des Historian stehen allein im Ermessen des Sprechers, siehe hierzu Hook, Gingrich seeks new Historian, in: CQWR 53 (1995), S. 138. 340 Vgl. House Manual, § 669. 341 Das Amt wurde ebenfalls auf der Grundlage von H. Res. 423, Congressional Record, 09.04.1992, S. 9040 geschaffen. Vgl. House Manual, § 670. 342 Zu Zweck und Funktion des Amtes des Legislative Counsel siehe 2 V.S.C.A. § 281a sowie § 281b (1982). Vgl. auch House Manual, § 1118. 343 Siehe 2 V.S.C.A. § 281b (5) (1982). 338
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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vom Sprecher unparteiisch, allein nach seiner fachlichen Qualifikation ernannt werden 344 • Dasselbe gilt auch für die Ernennung des Law Revision Counsel 345 , der mit der Kodifizierung der amerikanischen Gesetze, insbesondere mit der Überarbeitung und Herausgabe des United States Code betraut ist346 .
In die Zuständigkeit des Architect of the Capitol (AOC) fällt der Betrieb und die Instandhaltung des Capitol-Building sowie der dazugehörigen Gebäude und Grundstücke. Die personelle Auswahl des AOC obliegt einer aus beiden Kammern des Kongresses bestehenden Kommission unter Beteiligung des Sprechers und des President pro tempore des Senats. Der AOC wird daraufhin vom Präsidenten für eine Amtszeit von zehn Jahren ernannt. Die Ernennung bedarf der Bestätigung durch den Senat347 . III. Die Ämter der Fraktionsführung
Die Wahlbeamten (officers) und die vom Sprecher zu ernennenden Beamten (officials) des Repräsentantenhauses unterstützen den Speaker in seiner Funktion als Präsident und Verwaltungschef des Parlaments. Die Ämter der Fraktionsführung haben demgegenüber Anteil an der politischen Funktion des Sprechers als Mehrheitsführer348 . 1. Der Majority Leader
a) Die Stellung des Amtes Das Amt des Majority Leader ist kein offizielles Amt des Repräsentantenhauses, sondern ein reines Partei- bzw. Fraktionsamt. So werden beide Floor Leaders, der Majority und der Minority Leader, auch nicht vom Plenum des Repräsentantenhauses gewählt, sondern alle zwei Jahre durch geheime Wahl auf den vor Beginn eines neuen Kongresses stattfindenden party caucuses, den FraktionsvollversammlunSiehe 2 V.S.C.A. § 282 (1982). Siehe 2 V.S.C.A. § 285c (1982). 346 Siehe zu Zweck und Funktion des Amtes 2 V.S.C.A. § 285a und § 285b (1982). Vgl. auch House Manual, § 1120. 347 Vgl. Amer / Rundquist, Architect of the Capitol: Appointment, Duties, and Operations, CRS Report, S. I ff. Siehe zu den übrigen Hilfsdiensten des Repräsentantenhauses und des Kongresses insgesamt House Manual, §§ 1113 ff. sowie V.S.c.A., Title 2 (1982) und Tong, House Administrative Officers and Officials, CRS Report, S. 1 ff.; Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper / MacKenzie, The House at Work, S. 210 ff. (218 f., 224 f.). 348 Siehe Anhang 11. 344
345
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
gen, auf denen auch die Kandidaten für das Speaker-Amt bestellt werden 349 . Der Majority und der Minority Leader sind selbst die aussichtsreichsten Kandidaten ihrer Parteien für die Speakernachfolge im Falle einer Vakanz bzw. eines Mehrheitswechsels im Haus, und dieser Möglichkeit kommt daher bei der Besetzung beider Posten erhebliche Bedeutung ZU 350. Die Funktion der FloOf Leaders ist der Sache nach mit der der Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag vergleichbar. Der Majority Leader folgt dem Speaker unmittelbar in der Parteihierarchie als "zweiter Mann" der Mehrheitsfraktion und wird daher bei Abwesenheit des Speaker auch üblicherweise zum Speaker pro tempore ernannt351 . Stellung und Funktion der FloOf Leaders sind weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich ausdrücklich geregelt. Allerdings sind die Ämter durch precedents weitgehend parlamentsrechtlich konkretisiert, was die Bedeutung der FloOf Leaders als "integral, though to some extent, unofficial, part of the legislative machinery of the House" zum Ausdruck bringt352 . Wahrend die zuvor beschriebenen offiziellen Funktionsträger des Repräsentantenhauses den Speaker in erster Linie in seiner Rolle als Sitzungsleiter und Verwaltungschef des Hauses unterstützen, ist der Majority Leader das wichtigste Organ bei der Unterstützung des Speaker in seiner politischen Funktion als Mehrheitsbzw. Parteiführer, indem er nämlich den Speaker darin unterstützt, das gesetzgeberische Programm der Mehrheitsfraktion im Haus durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß der Speaker und nicht der Majority Leader der formelle Führer der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus ist. Entscheidend für das Verhältnis zwischen Speaker und Majority Leader ist in diesem Zusammenhang, daß trotz weitreichender funktionaler Doppelung beider Ämter, die sich in praxi durch Arbeitsteilung auflöst, dem Speaker, nicht zuletzt aufgrund seiner for349 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17.1, 17.2, insgesamt zu den Floor Leaders Ch. 3 §§ 17 - 22; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 132; Sachs, Leadership in the U.S. House of Representatives, CRS Report, S. 2; Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 172. 350 Nicht zuletzt die Rolle als potentiell zukünftiger Speaker verleiht dem Posten ein beträchtliches politisches Gewicht. Vgl. hier nur Tiefer, Congressional Practice S. 207 f.; Bacon, Floor Leader, in: Bacon / Davidson I Keller, Encyc1opedia, S. 848 sowie 4. Kap. A. I. 1. b) cc) (2). 351 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 26; Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 60, dort Anm. 35; Deschler's Precedents Ch. 3 § 17.5; Bacon, Floor Leader, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyc1opedia, S. 851. Siehe 4. Kap. A. H. 1. 352 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 206; Bacon, Floor Leader, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyc1opedia, S. 848; Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 175; Galloway, History of the House of Representatives, S. 138; Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17 - 22, der besondere Status der Floor Leaders spiegelt sich auch in deren Amtsausstattung und der offiziellen Trauerzeremonie im Todesfalle wieder, hierzu a. a. 0., § 22; VIII Cannon's Precedents § 3614. Die Erwähnung der Floor Leaders an verschiedenen Stellen in den House Rules - wenngleich zwar nicht als eigenständiger Regelungsgegenstand - bringt die vollständige parlamentsrechtliche Etablierung der Ämter zum Ausdruck (vgl. z. B. House Rule H, cl. 6 (b) und (c) (3), (4); IX, cl. 2 (a) (1) und (2».
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
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malen Position als vom Plenum gewählter House Officer, das Letztentscheidungsrecht verbleibt. Der Majority Leader muß seine politische Strategie letztlich den Vorstellungen und Wünschen des Speaker unterordnen. Er ist der verlängerte Arm des Speaker im Repräsentantenhaus, dessen "principal lieutenant,,353. b) Das Amt in seiner historischen Entwicklung Mangels gesetzlicher Rege1ungsgrundlage sind speziell die Parteiämter durch die politische Geschichte des Kongresses und seine parlamentarische Praxis geformt worden354 . Dies gilt auch für das Verhältnis des Majority Leader zum Speaker. Wahrend der ersten zwei Jahrzehnte des amerikanischen Kongresses gab es praktisch keine politische Führung im Repräsentantenhaus. Der Speaker war als bloße Galionsfigur auf die rein formale Rolle eines unparteiischen Schiedsrichters beschränkt. Die politische Kontrolle und Steuerung der Gesetzgebung erfolgte von außen durch die Exekutive, die sich ihrer Vertrauensleute im Haus bediente 355 . Sie waren Agenten des Präsidenten, die ihre Funktion weder als Ehrenamt vom Repräsentantenhaus übertragen erhalten noch dem Vorrecht der Seniorität zu verdanken hatten, sondern allein der Gunst des Präsidenten, der ihnen jederzeit das Vertrauen entziehen konnte. Ihre Aufgabe bestand primär in der Überwachung des Abstimmungsverhaltens der Parteianhänger im Haus. Diese Aufgabe räumte ihnen größeren politischen Einfluß ein als ihn der Speaker besaß 356 . Diese Machtverteilung änderte sich grundlegend unter Jeffersons ungleich schwächerem Nachfolger Madison und ist auf das engste mit dem Namen des 1811 zum Speaker gewählten Henry Clay verbunden. Clay gelang es, das Repräsentantenhaus auf der Grundlage des Parteiensystems neu zu organisieren, den Kongreß dem Einfluß des Präsidenten zu entziehen und eine kongreßinterne Führungsstruk353 Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (190); so auch: "The Speaker's principal deputy", Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 172; "trusted lieutenant", Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 63 sowie dies., Majority Leadership in the V.S. House, S. 41; "field marshai on the floor of the House", Galloway, History of the House of Representatives, S. 139, ähnlich auch Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398. Vgl. hierzu dezidiert Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 83 ff.; dies., Majority Leadership in the V.S. House, S. 41 und 44; Cohen, They Won't Take Jim Wright for Granted This Time, in: National Journall0 (1978), S. 712. 354 Vgl. Sachs, Leadership in the V.S. House of Representatives, CRS Report, S. 3. 355 Siehe 3. Kap. C. I. 356 Die Abhängigkeit dieser Vertrauensleute vom Präsidenten war so groß, daß einer von ihnen, William B. Giles, sogar als Premier Minister bezeichnet wurde. Vgl. insgesamt Harlow, The History of Legislative Methods in the Period Before 1825, S. 176 f.; ferner Galloway, History of the House of Representatives, S. 109 f.; Committee on House Administration, History of the Vnited States House of Representatives, 1789-1994, S. 130 f.; Bacon, Floor Leader, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyclopedia, S. 848, 850; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 386 ff.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
tur aufzubauen. Das Speaker-Amt gewann derart an Macht und Prestige, daß es zum zentralen Führungsarnt im Repräsentantenhaus wurde und den politischen Einfluß der Vertrauensleute des Präsidenten verdrängte. Während der Speaker zuvor nur unparteilicher Schiedsrichter und an politischem Einfluß den Vertrauensleuten der Exekutive weit unterlegen war, wurde er nun unter Clay zum ersten Mal zum unangefochtenen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses und zugleich zum politischen Führer der Mehrheitspartei 357 . Eine für die interne Struktur des Repräsentantenhauses bis in die Gegenwart folgenreiche Entwicklung setzte im Jahre 1816 mit der Einführung der ständigen Ausschüsse ein. Diese hatte im wesentlichen zwei Folgen. Zum einen bildeten die ständigen Ausschüsse das zentrale Instrument der organisatorischen und politischen Steuerung des Repräsentantenhauses durch den Speaker, da dieser bis zum Jahre 1910/11 das uneingeschränkte Recht der Ernennung der Ausschußmitglieder und vor allem der Ausschußvorsitzenden besaß. Zum anderen führte das Ausschußsystem zur Herausbildung einer Rekrutierungsbasis für die Führung der Kongreßfraktionen. Die Ausschußvorsitzenden erhielten in gewissem Umfang eigenständige Kompetenzen und gewannen zunehmend an Bedeutung. Die fähigsten unter ihnen wurden dann vom Speaker von weniger wichtigen auf bedeutendere Ausschußvorsitzendenposten befördert oder zum Floor Leader ernannt. Die erste offizielle Ernennung eines Majority Leader erfolgte im Jahre 1899358 . Die Tatsache, daß der Speaker seinen Floor Leader persönlich bestimmte, bestätigt seine Rolle als Führer der Mehrheitsfraktion 359 . Die Wahl des Speaker fiel während des gesamten 19. Jahrhunderts zumeist auf den Vorsitzenden des Ways and Means Committee36o • Dieser Ausschuß galt (und gilt) als der wichtigste, da hier alle Finanzgesetze und damit die übergroße Mehrheit aller Gesetzesentwürfe verhandelt werden und daher die Spitzen politiker und einflußreichsten Abgeordneten in ihm vertreten sind. Gelegentlich ernannte der Speaker aber auch seinen schärfsten innerparteilichen Rivalen oder einen ihm besonders vertrauten Abgeordneten zum Siehe 3. Kap. C. I. Sereno Payne, vgl. Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 63; Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 24. 359 Vgl. insgesamt Galloway, History of the House of Representatives, S. 110 f.; Bacon, Floor Leader, in: Bacon / Davidson / Keller, Encyclopedia, S. 848 ff. 360 Dies galt jedenfalls bis zum Jahr 1865, denn bis zu diesem Zeitpunkt behandelte das Ways and Means Committee sowohl die Steuergesetze als auch die Ausgabenbewilligungsgesetze. Durch die Arbeitsteilung des Ways and Means Committee mit dem Appropriations Committee im Jahre 1865 verlagerte sich die Behandlung des größten Teils der Gesetzesvorlagen vom Steuergesetzgebungsausschuß in den Bewilligungsausschuß, mit der Folge, daß dessen Vorsitzender an Bedeutung gewann und meistens zum Floor Leader bestimmt wurde. Im Jahre 1896 kehrte sich dieses Verhältnis wieder zugunsten des Ways and Means Committee um und dauerte bis 1910 an. Vgl. insgesamt Riddick, The U.S. Congress, S. 86, dort Fn. 1 sowie zur Verbindung der Ämter des Majority Leader und des Vorsitzenden des Ways and Means bzw. Appropriations Committee Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 131 f. 357 358
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
233
Floor Leader 361 . An der Vonnachtstellung des Speaker gegenüber seinem Floor Leader bestand jedenfalls bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kein Zweifel. Eine entscheidende Zäsur in der Entwicklung des Postens des Floor Leader markierten die von einer progressiven Republikanischen Minderheit in Abstimmung mit den Demokratischen Repräsentantenhausmitgliedern initiierte Revolte gegen das autokratische Regime des Speaker Cannon im Jahre 1910 sowie die im Gefolge der Revolution im Jahre 1911 vorgenommenen Kongreßrefonnen 362 . Die Revolte nahm dem Speaker neben einer Reihe anderer bedeutender Kompetenzen auch das Recht, den Majority Leader zu ernennen. Seit 1911 wurden dann die Demokratischen Majority Leaders in geheimer Wahl durch den party caucus bestimmt. Der erste gewählte Majority Leader, Oscar Underwood, war zugleich der einflußreichste in der Geschichte des Repräsentantenhauses. Es gelang ihm, das bisherige Kräfteverhältnis zwischen Speaker und Majority Leader umzukehren, so daß der Majority Leader zum unbestrittenen Führer der Repräsentantenhausmehrheit wurde und der Speaker wieder auf seine rein fonnale Rolle als Sitzungsleiter zurückgedrängt war363 . Einerseits war diese Entwicklung auf die Schwächung des Speaker durch die Entmachtung des Amtes im Zuge der Hausrevolution zurückzuführen und wurde überdies durch die restriktive Amtsauffassung des Speaker Clark, des Demokratischen Nachfolgers Cannons, noch verstärkt 364 . Andererseits führte die Entmachtung des Speaker zwar unmittelbar zur Stärkung des caucus als zentralem Entscheidungsorgan der Hausdemokraten, mittelbar aber zu einer ungleich deutlicheren Stärkung des Majority Leader. Als solcher kontrollierte Underwood die drei wichtigsten Entscheidungszentren im Haus. Er war der gewählte Vorsitzende des Democratic Caucus, der Fraktionsvollversammlung. Mit Hilfe des caucus übte er Einfluß auf das Rules Committee aus, denn dessen Mitglieder wurden jetzt von der Hausmehrheit gewählt. Schließlich kontrollierte er die übrigen Ausschüsse, denn die Demokratischen Mitglieder des Ways and Means Committee, dessen gewählter Vorsitzender Underwood ebenfalls war, vergaben die Ausschußposten der Demokraten365 . Als die Republikaner im Jahre 1919 wieder die
361 Vgl. Galloway, History of the House of Representatives, S. 135; Bacon, Floor Leader, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyciopedia, S. 850; Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 63. 362 Vgl. hier nur Borchert, Legitimation und partikulare Interessen, S. 49 ff. sowie 3. Kap. e. H. 363 Vgl. insgesamt Galloway, History of the House of Representatives, S. 136 f.; Fleming, Oscar W. Underwood: The First Modem House Leader, 1911-1915, in: Davidson/Hammond / Smock, Masters of the House, S. 91 ff. 364 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 92; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398. 365 Vgl. Galloway, History of the House of Representatives, S. 136 f.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398, 403. Die Demokratischen Mitglieder des Ways and Means Committee bildeten bis 1974 zugleich das Committee on Committees ihrer Fraktion, dessen Vorsitz Underwood ebenfalls innehatte. Vgl. hierzu Committee on House Administra-
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Mehrheit im Haus erlangten, wurde der Majority Leader zunächst von ihrem Committee on Committees und schließlich seit 1923 von der Republican Conference, der Fraktionsvollversammlung der Republikaner im Haus, bestimmt366 . Die erhebliche Zunahme des Arbeitspensums des Hauses und damit auch des Floor Leader infolge der durch den ersten Weltkrieg bedingten Gesetzesflut ließ eine Konzentration auf eine Aufgabe sinnvoll und notwendig erscheinen, so daß die Floor Leaders ihre Ausschußvorsitzendenposten aufgaben. Die Aufgabe der Ausschußvorsitzendenposten resultierte aus der Einsicht, daß die Steuerung des Gesetzgebungsprozesses im Haus zu einer Vollzeitaufgabe geworden war. Damit endete im Jahre 1919 die enge Verbindung der Ämter des Majority Leader und des Vorsitzenden des Ways and Means Committee. Es wurde dann seit Beginn der 1920'er Jahre zu parlamentarischem Gewohnheitsrecht, daß ein zum Floor Leader gewählter Abgeordneter - ebenso wie ein zum Speaker gewählter - seine Ausschußvorsitzendenposten und grundsätzlich sämtliche Ausschußsitze abgeben muß 367 . Eine Ausnahme gilt etwa für das Budget Committee, in dem der Majority Leader die Fraktionsführung vertritt 368 . Durch seine Trennung vom Ausschußsystem sowie durch seine Wahl in der Fraktionsvollversammlung wird die funktionale Selbständigkeit des modemen Majority Leader gewährleistee 69 , wobei allerdings im allgemeinen der erhebliche politische Einfluß des Speaker auf die personelle Besetzung der Majority Leader-Position nicht übersehen werden darf370 . Darüber hinaus bedeutet der Entzug der untion, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 133; siehe 3. Kap. C. 11. und III. 366 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398. 367 Der erste Majority Leader, der seinen Vorsitz im Appropriations Committee aufgab, war der Republikaner Franklin Mondell im Jahre 1919. Allerdings hatte James R. Mann insoweit für die Republikanische Fraktion schon einen Präzedenzfall geschaffen, als er schon während seiner Zeit als Minority Leader von 1911 - 1919 keinen Ausschußposten innehatte. Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 132, dort Fn. 54. Der erste Demokratische Majority Leader, der bei seiner Wahl im Jahre 1931 seinen Vorsitz im Ways and Means Committee aufgab, war Henry T. Rainey. Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398; Bacon, F100r Leader, in: Bacon / Davidson / Keller, Encyc1opedia, S. 850; Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 63; Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17, 17.18; Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 173 sowie 4. Kap. B. 11. 368 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17, 17.18; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 132; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398; Bacon, Floor Leader, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyclopedia, S. 851. Ferner sind der Speaker und der Minority Leader ex officio stimmrechtslose Mitglieder des Permanent Select Committee on Intelligence. Allerdings bestimmt der Speaker den Majority Leader zu seinem Vertreter in dieser Funktion. Vgl. House Rule X, cl. 11 (a) (2) und (3) sowie Sinclair; Legis1ators, Leaders, and Lawmaking, S. 84. 369 Vgl. Nelson, Leadership Position-Holding in the United States House of Representatives, in: Capitol Studies 4 (1976), S. 11 ff. (17).
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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abhängigen Machtbasis als Ausschußvorsitzender einen entscheidenden Machtverlust für den Majority Leader. Er ist wieder auf seine traditionelle Rolle als dem Speaker untergeordnetes Partei- und Fraktionsorgan zurückgedrängt worden, die er auch gegenwärtig noch einnimmt37 !. c) Die Funktionen des Majority Leader Die Pflichten und Kompetenzen des Majority Leader sind aus dem Funktionengeflecht des Speaker abgeleitet und daher stets ein Minus gegenüber dessen umfassenderer Machtfülle. Umfang und Reichweite der Kompetenzen, also der politische Handlungsspielraum des Majority Leader, sind dementsprechend entscheidend vom Ermessen des Speaker abhängig 372 . Insgesamt gilt, daß die vom Speaker zu bestimmende Arbeitsteilung in der Fraktionsführung dem Majority Leader die Verantwortung für das legislative Tagesgeschäft zuweist, während der Speaker selbst die Gesamtverantwortung für die Durchsetzung des Gesetzgebungsprogramms der Mehrheitsfraktion träge 73 . Der Majority Leader soll den Speaker bei der Fraktionsführungsarbeit als Assistent entlasten, indem er dem Speaker den betont fraktions bezogen-politischen Teil der Gesetzgebungsarbeit der Mehrheitsfraktion abnimmt. Die Rolle des Speaker als Sitzungsleiter und Repräsentant des Hauses sowie der Mehrheitsfraktion nach außen gegenüber den anderen institutionellen Hauptakteuren des Gesetzgebungsprozesses, dem Senat und dem Präsidenten, soll möglichst nicht in fraktionspolitische Streitigkeiten und damit in Mitleidenschaft hineingezogen werden 374 . Zu dieser Arbeitsteilung gehört auch, daß der Majority Leader die Rolle des Speaker als erstem Repräsentanten seiner Fraktion übernimmt, wenn es um Stellungnahmen zu bedeutenden politischen Entscheidungen geht, die der Speaker aus Rücksicht auf seinen Wahlkreis nicht öffentlich im Sinne der Parteilinie vertreten kann 375 . Eine 370 V gl. Ripley, Congress. Process and Policy, S. 230; ferner Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 172 ff. Im Fall von Speaker Hastert und Majority Leader Dick Armey war es freilich genau andersherum. 371 Vgl. Bacon, Floor Leader, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyc1opedia, S. 850. Zum besonderen Verhältnis zwischen Speaker Hastert und Majority Leader Dick Armey siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (3). 372 Vgl. Ripley, Party Leaders in the House of Representati ves, S. 27. 373 Vgl. Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 83 f.; Madison, Message Bearer, in: National Journal 22 (1990), S. 2904 ff. (2906); DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 172 ff.; Garrett, GOP's Field Commander, in: Washington Times v. 26. 06.1995, S. A 20. Zur der indes sehr weitgehenden Übertragung von Verantwortung für das "Contract with America"-Prograrnm durch Speaker Gingrich auf Majority Leader Dick Armey mit dem Ziel der Arbeitsentlastung des Sprechers im Hinblick auf die anstehende Ausarbeitung der Haushaltsgesetzgebung, vgl. Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR53 (1995), S. 331 ff. (332). 374 Vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 60, dort Anm. 35; Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 83.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
trennscharfe funktionelle Unterscheidung bei der Ämter läßt sich nur sehr schwer vornehmen, da die Ämter der Fraktionsführung in der parlamentarischen Praxis zwangsläufig eng ineinandergreifen und kooperieren müssen. Grundsätzlich hat der Majority Leader auch Anteil an den typischen Führungsfunktionen im Repräsentantenhaus. Hierzu zählen etwa die Organisation der Fraktion im Haus, speziell die Entscheidung über die Besetzung bestimmter Posten und die Vergabe von Ausschußsitzen 376 , die Steuerung des Gesetzgebungsprozesses mit dem Ziel der effektiven Durchsetzung des eigenen Gesetzgebungsprogramms 377 , die Mehrheitsbildung für bestimmte Gesetzesvorhaben 378 , die Sicherstellung der Anwesenheit der Fraktionsmitglieder vor allem bei wichtigen Abstimmungen, die Informationsbeschaffung und -weitergabe sowie die Kommunikation mit dem Präsidenten, insbesondere wenn die Fraktionsführung derselben Partei angehört wie dieser379 . Zu den Aufgaben des Majority Leader gehört es auch, dem Sprecher nach Absprache mit dem Minority Leader die Namen der Abgeordneten beider Fraktionen mitzuteilen, die an der Gesetzesdebatte teilnehmen wollen 38o . Zu den zentralen Führungsaufgaben des Majority Leader zählen die Leitung der Mehrheitsfraktion bei der Gesetzesberatung im Plenum ("guarding the floor"381) und die Mitwirkung beim sog. "scheduling,,382, d. h. der Festsetzung von Arbeitsplan und Tagesordnung des Parlaments, also der Entscheidung, wann bestimmte Gesetzesentwürfe im Plenum beraten werden. aa) Scheduling
Die von den Ausschüssen verabschiedeten Gesetzesentwürfe (reported bills) werden in zeitlicher Reihenfolge in die verschiedenen calendars des RepräsentanVgJ. hierzu Sinclair, Majority Leadership in the O.S. House, S. 49 f. So ernennen die Floor Leaders z. B. die beiden hinsichtlich des Aufrufs des Private und Consent Calendar offiziell einspruchsberechtigten Fraktionsabgeordneten. V gJ. Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 20.1, 19.4, 19.7, 19.9. 377 VgJ. Sinclair, Majority Leadership in the O.S. House, S. 42: "smooth flow of legislation"; Oleszek, Congressional Procedures, S. 35. 378 Dem Majority Leader stehen hier wie auch dem Speaker verschiedene Hilfsmittel zur Koalitionsbildung zur Verfügung. Sie können z. B. Gesetzesberatungen zu bestimmten, den Abgeordneten entgegenkommenden Terminen festsetzen, zugunsten des Gesetzesentwurfs eines Abgeordneten das Wort ergreifen oder den Abgeordneten bei der Wahlkreisarbeit unterstützen. VgJ. Sachs, Leadership in the O.S. House of Representatives, CRS Report, S. 3; Sinclair, Majority Leadership in the O.S. House, S. 50 ff. 379 VgJ. hierzu eingehender Ripley, Congress. Process and Policy, S. 230 ff. sowie Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17, 19, ferner zu den zeremoniellen Pflichten der Floor Leaders §21. 380 V gJ. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (190). 381 Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 84. 382 VgJ. Sinclair, Majority Leadership in the O.S. House, S. 42. 375
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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tenhauses aufgenommen 383 . Dies bedeutet nicht, daß die Gesetzesentwürfe auch in chronologischer Reihenfolge vom Plenum behandelt werden. Ob eine Vorlage vor das Plenum gelangt und wann das der Fall ist, bestimmt in erster Linie der Speaker in Absprache mit dem Majority Leader, dem Majority Whip und dem Vorsitzenden des Rules Committee (scheduling), wobei dem Majority Leader vor allem die tägliche "Feinsteuerung" der Agenda übertragen ise 84 . Wie ein Gesetzesentwurf verfahrenstechnisch vom Plenum verhandelt wird, hängt davon ab, ob es sich um noncontroversial, privileged oder major legislation handelt, die eine special rule des Lenkungsausschusses erfordert385 • Der Zeitpunkt der Gesetzesberatung im Plenum kann aus einer Reihe von Griinden über Erfolg oder Scheitern einer Vorlage entscheiden. Daher ist das scheduling, d. h. die zeitliche Planung und Festlegung der Beratungstermine für einzelne Gesetzesentwürfe auf der parlamentarischen Tagesordnung, das zentrale Instrument der Mehrheitsfraktionsführung zur Steuerung des Gesetzgebungsverfahrens 386. Das scheduling ist ein ebenso bedeutsamer wie komplexer Prozeß, der auf verschiedene Interessen und Rahmenbedingungen Rücksicht zu nehmen hae 87 . Ganz allgemein gilt, daß der Sprecher für die Gesamtkoordination der Gesetzgebungstätigkeit des Repräsentantenhauses die Verantwortung trägt. Er hat vor allem die Einhaltung der normativen Vorgaben des Gesetzgebungsverfahrens, das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure und Gremien sowie insgesamt die legislative Durchsetzung des Parteiprogramms zu gewährleisten388 . Dem Majority Leader kommt im Rahmen des scheduling eher die strategisch-taktische Funktion der Detailkoordination ZU 389 . SO muß er die Belange der Congressmen mit dem Zeitplan des Gesetzgebungsprozesses abstimmen. Denn die Terminierung von Gesetzesberatungen hat in erster Linie eine unmittelbare Auswirkung auf die Zeitplanung jedes einzelnen Kongreßabgeordneten. Jeder Congressman muß die Aufenthalte in seinem Wahlkreis nach dem parlamentarischen Zeitplan ausrichten, weil er ein Interesse daran haben wird, bei Abstimmungen über Gesetze, die für seine Wähler wichtig sind, im Haus anwesend zu sein. Dies gilt umso mehr als die Häufigkeit namentlicher Abstimmungen mittels sog. "recorded teller votes" seit ihrer Einführung im Repräsentantenhaus Siehe 1. Kap. G. IV. Vgl. Sinclair, Majority Leadership in the D.S. House, S. 43 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 209 f.; Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 235, 175; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 422; zu den diesbezüglichen Pflichten des Majority Leader eingehend Deschler's Precedents Ch. 3 § 18. 385 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 422; siehe 1. Kap. G. IV. und 5. Kap. B. 11. und III. 386 Siehe 5. Kap. B. 387 Vgl. Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 44. 388 Siehe 5. Kap. B. 389 Vgl. Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs J3 (1960), S. 185 ff. (190). 383
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Anfang der 1970'er Jahre stark zugenommen hat und damit das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten transparenter geworden ist39o . Daneben muß der Zeitpunkt der Gesetzesberatung auch mit dem jeweiligen Floor Manager koordiniert werden. Hierbei handelt es sich üblicherweise um den jeweiligen Vorsitzenden des für die Gesetzesvorlage zuständigen Ausschusses, dem die Aufgabe zukommt, für die Mehrheitsfraktion die Gesetzesdebatte im Plenum zu führen 391 . Da es tatsächlich schwer vorhersehbar ist, wieviel Zeit eine bestimmte Vorlage in Anspruch nehmen wird, ist nicht garantiert, daß eine für einen bestimmten Tag erst an dritter oder vierter Stelle zur Beratung angesetzte Vorlage auch tatsächlich im Plenum aufgerufen wird. Der Majority Leader hat insofern einen erheblichen Einfluß auf die "Feinsteuerung", als er für die Vergabe der "sicheren Plazierungen" zuständig ise 92 • Schließlich müssen noch die Einflüsse der Exekutive und vor allem der Lobbyisten ins politische Kalkül gezogen werden. So kann es in einem Fall günstig sein, ein Gesetz schnell zu verabschieden, um bestimmten Interessenvertretern keine Gelegenheit zu einer wirkungsvollen Gegenkampagne zu geben. In einem anderen Fall hingegen kann es nützlich sein, den Termin für eine umstrittene Gesetzesberatung hinauszuzögern, um gerade durch eine intensive Kampagne der Interessengruppen eine positivere Stimmung für die Annahme eines Entwurfs entstehen zu lassen 393 . Der unter Einbeziehung der verschiedenen Interessen und politischen Bedingungen ausgearbeitete schedule wird jeweils wochenweise und zwar an jedem Donnerstagnachmittag für die darauffolgende Woche vom Majority Leader im Plenum bekanntgegeben 394 . bb) Guarding the Floor
Als "field marshai on the floor of the House,,395 legt der Majority Leader die Politik der Mehrheitsfraktion sowohl in prozessual-taktischer als auch in inhaltli390 Vgl. Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 42; Tiefer, Congressional Practice, S. 214; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 430. Zu der verbesserten zeitlichen Vorausplanung des Arbeitspensums unter Speaker O'Neill vgl. Sinclair, a. a. 0., S. 46 f.; Tiefer, a. a. 0., S. 212. 391 Der für eine bestimmte Gesetzesvorlage zuständige Floor Manager der Minderheitsfraktion ist meist das ranghöchste (seniority) Mitglied der Minderheitsfraktion in dem jeweiligen Ausschuß. V gl. Davidson / Oleszek, Congress and its Members, S. 173; Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 43. 392 Vgl. auch zum "overscheduling" Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 43 f. 393 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 212 f., dort Fn. 50; Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 45, 158 ff. 394 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 18.6; Tiefer, Congressional Practice, S. 210; Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 47. Eine gesetzliche Pflicht zur Bekanntgabe des schedule existiert zwar nicht, doch hat sich seit 1920 eine entsprechende parlamentarische Praxis herausgebildet. Vgl. Hasbrouck, Party Govemment in the House of Representatives, S. 11 0 f. 395 Galloway, History of the House of Representatives, S. 139.
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eher Hinsicht fest und sorgt so für einen reibungslosen Ablauf der Gesetzesberatungen im Sinne seiner Fraktion. In enger Zusammenarbeit mit dem Speaker in dessen Funktion als Sitzungsleiter bestimmt der Majority Leader durch die von ihm gestellten Anträge, denen regelmäßig stattgegeben wird, maßgeblich den Ablauf des parlamentarischen Verfahrens im Plenum. Er hat das Recht, grundsätzlich das erste Wort zu erhalten, wann immer er den Speaker um das Rederecht ersucht. Im allgemeinen erwartet der Speaker sogar bestimmte Anträge vom Majority Leader, wie insbesondere Einstimmigkeitsanträge zur schnelleren Erledigung von Routineangelegenheiten 396 . Ein Einspruch von Abgeordneten gegen solche Einstimmigkeitsanträge hat von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg, weil dasselbe Beratungsergebnis nach entsprechend längerer Debatte auch mit einfacher Mehrheit erzielt werden kann und der Majority Leader sich bei seinen Anträgen grundsätzlich der Mehrheit der Abgeordneten seiner Fraktion sicher sein kann. Aus demselben Grund ist es für einzelne Abgeordnete in der Regel zwecklos, Anträge einzubringen, die nicht mit der Fraktionsführung abgesprochen sind. Denn gegen solche Anträge wird der Majority Leader als Vertreter der Hausmehrheit erfolgreich Einspruch einlegen, oder sie werden vom Speaker gar nicht erst zugelassen 397 . Daneben haben auch Anträge des Majority Leader auf Festlegung eines Endes der Debattenzeit oder Feststellung des fehlenden Sachzusammenhangs der Debatte (germaneness 398 ) aus eben diesem Grund im allgemeinen Erfolg. Desweiteren werden wichtige, die Organisation und Arbeitsweise des Hauses betreffende Anträge vom Majority Leader eingebracht399 . Schließlich kann er durch sein Auftreten den Ton der Beratung beeinflussen oder allein durch seine Stimmabgabe ein Zeichen setzen. Denn da der Speaker grundsätzlich von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch macht, ist die Stimme des Majority Leader die des höchsten abstimmenden Fraktionsabgeordneten4OO • Wie und wann er abstimmt, kann andere Abgeordnete in ihrem eigenen Abstimmungsverhalten beeinflussen401 •
Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 18.3, ferner §§ 18.4, 18.5. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 18.1, 18.2. 398 Vgl. House Rule XVI, cl. 7. 399 So etwa die Ausschußgröße betreffende Anträge, vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 17.8, 17.9, 19.9 oder gelegentlich auch der Antrag auf Übernahme der vorherigen Geschäftsordnung zu Beginn eines neuen Kongresses, vgl. a. a. 0., Ch. 3 § 17.7, ferner §§ 17.12 ff. 400 V gl. insgesamt Tiefer; Congressional Practice, S. 208 f.; Galloway, History of the House ofRepresentatives, S. 139 f., dort auch Congressional Record, 11. 05.1928, S. 8439 (Rep. Guy U. Hardy, R-Colo.); Bacon, Floor Leader, in: Bacon/Davidson/Keller, Encyclopedia, S. 851; Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 84. Siehe 5. Kap. E. 11. 401 Vgl. Sinclair; Majority Leadership in the U.S. House, S. 51. Schon die durch die WhipOrganisation vennittelte Information über das Abstimmungsverhalten der Fraktionsführung kann bei einzelnen Congressmen als Auslöser, "trigger", wirken, vgl. hierzu Bauer/ Pool! Dexter; American Business and Public Policy, S. 466. 396 397
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Der Majority Leader repräsentiert aber auch inhaltlich das Gesetzgebungsprogramm seiner Partei. Durch entsprechende Debattenbeiträge oder Änderungsanträge macht er den Standpunkt der Mehrheitsfraktion in einzelnen Fragen deutlich402 und vertritt diesen auch gegenüber der Öffentlichkeit. Als Mitglied der Fraktionsspitze kommt seiner Stimme besonderes Gewicht zu. Ähnlich wie der Speaker steht auch der Majority Leader als "Sprecher" seiner Partei und Fraktion im Mittelpunkt der Medienberichterstattung des Kongresses.
2. Der Minority Leader Der Minority Leader ist der nominelle Führer der Minderheitsfraktion im Repräsentantenhaus und insofern der Gegenpart zum Speaker403 . Wie beim Majority Leader so handelt es sich auch beim Minority Leader um ein reines Partei- bzw. Fraktionsamt, das jeweils zu Beginn eines neuen Kongresses durch Wahl der jeweiligen Fraktionsvollversammlung im Haus besetzt wird404 . Die Funktion eines Minderheitsführers hatte sich seit der Herausbildung des Zwei-Parteien-Systems nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs noch lange Zeit nicht eindeutig herauskristallisiert. Seit 1883 übt der Minority Leader ein klar etabliertes Amt aus. Seit diesem Jahr hat die Minderheitsfraktion traditionell ihren unterlegenen Kandidaten für die Speaker-Wahl zu ihrem Führer gemacht405 . Der Minority Leader ist als "shadow Speaker"406 der aussichtsreichste Kandidat seiner Fraktion für das Speaker-Amt im Falle eines Mehrheitswechsels. Die Funktion des Minority Leader als "innerparlamentarischer Oppositionsführer" ist insofern von Bedeutung für einen Speaker-Kandidaten, als er das während seiner Zeit als Minority Leader angesammelte Vertrauenskapital bei seiner späteren Speaker-Wahl für sich nutzen kann 407 .
Vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 19.3. Vgl. Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 175; Sachs, Leadership in the U.S. House of Representatives; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398. 404 V gl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 17.1; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398; Tiefer, Congressional Practice, S. 222; vgl. insgesamt zum Minority Leader iones, The Minority Party in Congress, S. 1 ff. sowie 4. Kap. A. III. 1. a). 405 Vgl. Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 28, dort Fn. 31; Tiefer, Congressional Practice, S. 222. 406 Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398; MacNeil, Forge of Democracy, S. 87; vgl. auch Democratic Caucus Rule 2. E. sowie 4. Kap. A. I. 1. b) cc) (2). 407 Dies gilt um so mehr, als der Minority Leader unter ungleich ungünstigeren Bedingungen operieren muß als der Majority Leader. Denn er muß mit den demoralisierenden Bedingungen des Minderheitsstatus fertig werden, die es ihm nicht ermöglichen, seinen Fraktionskollegen Informationsfluß, gesetzgeberischen Erfolg und Patronage im gleichen Umfang zu gewährleisten, wie es für die Mehrheitsfraktion der Fall ist. Vgl. Ripley, Party Leaders in the House ofRepresentatives, S. 29 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 399. 402 403
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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Die Funktionen des Minority Leader sind ebensowenig wie die des Majority Leader gesetzlich nonniert408 . Grundsätzlich korrespondieren die Aufgaben des Minority Leader mit denen des Majority Leader, das gilt insbesondere für die allgemeinen Führungsaufgaben der Fraktionsspitze409 . Allerdings besteht die wichtige Ausnahme, daß der Minority Leader im allgemeinen keinen Einfluß auf das scheduling der Gesetzgebung hat41O . Er ist der Sprecher seiner Fraktion und für die Darstellung ihres politischen Programms in der Öffentlichkeit verantwortlich. Wie der Speaker und der Majority Leader steht auch der Minority Leader im Zentrum der politischen Medienberichterstattung 411 . Für den Fall, daß der Präsident derselben Partei angehört wie der Minority Leader, ist dieser in der Regel der Vertreter der Politik des Präsidenten im Haus 412 . Gehört der Präsident der anderen Partei an, so gilt der Minority Leader zusammen mit dem entsprechenden Parteiführer im Senat als "principal national opposition figure,,413. Im Gesetzgebungsprozeß soll er vor allem die Verfahrensrechte der Minderheit verteidigen, Kritik am Gesetzgebungsprogramm der Mehrheitsfraktion üben und eine programmatische Alternative aufzeigen414 . Zur Durchsetzung der legislativen Pläne der Minderheitsfraktion bzw. zur Verhinderung der gesetzgeberischen Zielvorstellungen der Mehrheitsfraktion versucht der Minority Leader, Stimmen in den Reihen der Mehrheitsabgeordneten zu sammeln, um ad hoc-Koalitionen für einzelne Anträge zustandezubringen415 . Dazu bedient er sich bestimmter Geschäftsordnungsinstrumente und -taktiken, mittels derer die House Rules den Minderheitsschutz gewährleisten. Hierzu gehören das Einbringen von Änderungsanträgen in die Gesetzesdebatte (amendments), die Erzwingung der Weiterleitung einer in einem Ausschuß gescheiterten Vorlage an das Plenum im Wege der discharge petition sowie eine Reihe von Verzögerungsanträgen (dilatory motions), so z. B. die Forderung nach mehrfacher Abstimmung, das wiederholte Stellen von Geschäftsordnungsanträgen und die motion to recommit416 - ein gemäß House Rule XIX, cl.
408 Vgl. hier nur Galloway, History of the House of Representatives, S. 138; Oleszek, Congressional Procedures, S. 35. Siehe 4. Kap. A. III. 1. c). 409 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 222 f.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 35; siehe zu den allgemeinen leadership functions Ripley, Congress. Process and Policy, S. 230 ff. sowie 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2) und III. 1. c). 410 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 35; Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 46; 5. Kap. B. 411 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 224. 412 Vgl. Collins, Rep. Bob Michel on V.S. stage - and playing to Peoria, in: Chicago Tribune v. 16.08. 1982, Sec. 1, S. 11. 413 Hierzu insgesamt Tiefer, Congressional Practice, S. 224; Sachs, Leadership in the V.S. House of Representatives, S. 3; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 398; ferner DavidsonlOieszek, Congress and its Members, S. 175. 414 Vgl. Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 29. 415 Vgl. Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 175; Tiefer, Congressional Practice, S. 223.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
2 privilegiertes Minderheitsrecht. Es gewährleistet, daß im regulären Plenum nach dem Beschluß über eine previous question, die die endgültige Verabschiedung einer Maßnahme einleitet (House Rule XIX, cl. I (a)), grundsätzlich beantragt werden kann, eine Vorlage an den entsprechenden Fachausschuß zurückzuüberweisen (simple motion to recommit). Der Minority Leader ist der "field general on the floor,,417 für die Minderheitsfraktion. Er ist verantwortlich für die Verfahrensstrategie seiner Fraktion im Plenum, also etwa für eine klare Konfrontation oder für eine Erzwingung von Zugeständnissen seitens der Mehrheit durch Anwendung der genannten parlamentarischen Instrumentarien 418 . Ihm obliegt insoweit auch die Verhandlungsführung und Koordination mit der Mehrheitsfraktion in Fragen des parlamentarischen Verfahrens und der Hausorganisation 419 .
Schließlich steht ihm - wie dem Majority Leader - das Emennungsrecht der Einspruchsberechtigten seiner Fraktion für den Private Calendar zu, und er besitzt als Fraktionsführer maßgeblichen Einfluß auf die Ausschußpostenverteilung innerhalb der Minderheitsfraktion. Er selbst ist aber grundsätzlich kein Mitglied in einem Ausschuß42o. 3. Die Party Whips
Das letzte Amt der inneren Führungsspitze beider Fraktionen ist das des Party Whip, des "parlamentarischen Geschäftsführers" der Fraktionen421 . Bei der Mehrheitsfraktion steht der Majority Whip an dritter Stelle hinter dem Speaker und dem Majority Leader, wohingegen der Minority Whip bei der Minderheitsfraktion hinter dem Minority Leader die zweite Position einnimmt. Ebenso wie bei den Floor Leaders handelt es sich auch bei den Party Whips um ausschließliche Partei- bzw. 416 Vgl. House Rules XVI, cl. 6; XV, cl. 2; ferner Tiefer, Congressional Practice, S. 223; DavidsonlOleszek, Congress and its Members, 175. 417 Oleszek, Congressional Procedures, S. 35 f. 418 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 223 f.; ferner Deschler s Precedents Ch. 3 § 18.1. 419 Vgl. Deschlers Precedents Ch. 3 §§ 17.8, 17.15, 17.16, 18.6, 18.7, 19.9. 420 Vgl. Deschlers Precedents Ch. 3 §§ 19.4,20.1, 17.18; Tiefer, Congressional Practice, S. 223. Zu den zeremoniellen Funktionen und der Amtsausstattung des Minority Leader sowie der Zeremonie im Todesfalle vgl. Deschlers Precedents Ch. 3 §§ 21, 22 sowie 4. Kap. A. 1. I. b) dd) (2) und B. 11. 421 Die Bezeichnung "Whip" geht auf den Begriff des "whipper-in" zurück, der bei der britischen Fuchsjagd denjenigen bezeichnet, der die Hunde am Verlassen der Meute hindert. Sie wurde von Edmund Burke im Jahre 1769 erstmalig auf das britische Parlament angewandt. Im Deutschen übersetzt man "Whip" im politisch-parlamentarischen Kontext am treffendsten mit "Einpeitscher" und "Whip-Organisation" mit "Management der Kongreßfraktionen". Vgl. hierzu insgesamt Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (562, dort Fn. 8); Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 399; Patterson, Parteien und Ausschüsse im Kongreß, in: Thaysenl Davidson I Livingston, US-Kongreß und Deutscher Bundestag, S. 236 ff. (257, Anm. 1); Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 35.
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgem
243
Fraktionsämter, deren Rolle und Funktion nicht gesetzlich geregelt sind. Da sich die Ämter des Majority und Minority Whip sowie die hinter ihnen stehenden umfangreichen Whip-Organisationen beider Fraktionen nicht in ihren Funktionen unterscheiden, sondern nur geringfügige Unterschiede in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer internen Struktur aufweisen, werden sie hier zusammen behandelt. Die Whip-Systeme der Demokraten und Republikaner, die der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung von Parteiloyalität und Fraktionsdisziplin dienen, bilden das Rückgrat beider Fraktionen im Repräsentantenhaus 422 . Eine Reihe von Faktoren, die die Gestalt des Repräsentantenhauses im 20. Jahrhundert verändert haben, hat zu ihrer Ausdifferenzierung geführt. Zunächst sind sie die Folge der Herausbildung des Zwei-Parteien-Systems seit dem späten 19. Jahrhundert, in dem vor allem im Zusammenhang mit der New Deal-Gesetzgebung und den ihr vorausgehenden harten Partei kämpfen der späten 1920'er und 3D'er Jahre der Ruf nach Fraktionsdisziplin immer lauter wurde423 . Sie resultieren auch aus den Bemühungen um eine Verbreiterung der Führungsstruktur der Hausfraktionen sowie dem Koordinationsbedarf der Gesetzgebungstätigkeit, der sich aus der stark arbeitsteiligen Organisationsform des Repräsentantenhauses mit seinem weitverzweigten System von Ausschüssen und Unterausschüssen ergab. Die differenzierte Arbeitsteilung ist ihrerseits eine Folge der im 20. Jahrhundert stark gestiegenen Komplexität und des vergrößerten Umfangs der legislativen Aufgaben des Kongresses. Schließlich sind die Whip-Organisationen eine fraktionsorganisatorische Antwort auf die Unabhängigkeit der einzelnen Congressmen seit den Kongreßreformen der 1970'er Jahre und damit eine der wichtigsten Antworten auf die Dezentralisation von politischer Macht im Repräsentantenhaus 424 . Im Zuge seiner stetig wachsenden Bedeutung für die Organisation und Koordination der Fraktionen ist das Whip-Amt dann spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil des Systems der Führungsämter im Repräsentantenhaus geworden425 . Allerdings ist der von diesem Amt ausgehende Aufstieg kein Automatismus, für Republikaner noch weniger als für Demokraten 426 . Zwar gab es schon seit dem ersten Kongreß von 1789 einzelne Abgeordnete, die gelegentlich vergleichbare Aufgaben wahrgenommen haben. Doch wurde der erste 422 Vgl. Patterson, Parteien und Ausschüsse im Kongreß, in: Thaysen/Davidson/Livingston, US-Kongreß und Deutscher Bundestag, S. 236 ff. (238 ff.). 423 V gl. so Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (564 f.). 424 Vgl. Committee on Hause Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 136; Tiefer, Congressional Practice, S. 216 f. 425 Auch die Whip-Ämter verfügen über eine besondere Amtsausstattung, vgl. Deschler's Precedents Ch. 3 § 25; 2 U.S.c. § 333 (2000). 426 Vgl. Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (565 f., 576); Committee on HouseAdministration, History ofthe United States HouseofRepresentatives, 1789-1994, S. 136; 4. Kap. A. 1.1. b) cc) (2).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
offizielle Whip erst im Jahre 1897 vom Republikanischen Speaker Reed ernannt427 . Das Amt etablierte sich erst seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in beiden Fraktionen als ständiges Amt und damit als Fraktionsführungsamt. Seit den 1930'er Jahren folgte durch die Einführung der Ämter von Assistant Whips ein weitreichender Ausbau der Whip-Ämter zu komplizierten Whip-Systemen beider Fraktionen. Diese erfuhren in den 1970'er und 80'er Jahren eine weitere Größenund Funktionenerweiterung428 . Im Jahre 1919 wurde dem Republikanischen Speaker bzw. Minority Leader von der Republican Conference das Recht zur Ernennung des Whip genommen und dem Republican Committee on Committees unter Zustimmungsvorbehalt der Fraktionsvollversammlung übertragen. Seit einer Änderung der party rules im Jahre 1965 wird der Republikanische Whip allein von der Republican Conference gewählt429 . Die Republikanischen Assistant Whips, die spätestens seit ihrer dauerhaften Einführung im Jahre 1931 die Whip-Organisation der Republikaner bilden, werden bis heute vom Party Whip in Absprache mit der Fraktionsspitze ernannt430 . Der Democratic Caucus führte die Ämter des Whip und Assistant Whip im Jahre 1900 auf Antrag des späteren Majority Leader Oscar Underwood ein. Als ständiges, regelmäßig besetztes Amt etablierte sich der Democratic Whip allerdings erst seit 1921. Bis zum 100. Kongreß im Jahre 1987 wurde der Democratic Whip vom Floor Leader gegebenenfalls mit Zustimmung des Demokratischen Speaker ernannt. Seitdem wird er in geheimer Wahl vom Democratic Caucus gewählt, wodurch sich seine Aufstiegschancen für die beiden anderen durch Caucus-Wahl zu bestimmenden Ämter des Majority Leader und des Speaker erhöhten431 . Eine aus Assistant Whips zusammengesetzte feste Whip-Organisation
427 Vgl. Ripley, Party Leaders in the House of Representatives, S. 33. Der erste offizielle Whip war James A. Tawney. 428 Vgl. insgesamt Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (562 m. w. N.); ders., Party Leaders in the House of Representatives, S. 70 f.; Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 84 ff.; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 135; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 399; Patterson, Parteien und Ausschüsse im Kongreß, in: Thaysen I Davidson I Livingston, US-Kongreß und Deutscher Bundestag, S. 236 ff. (238 ff.); Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 55; Dodd, The Expanded Roles of the House Democratic Whip System: The 93 rd and 94th Congresses, in: Congressional Studies 7 (1979), S. 27 ff.; siehe 3. Kap. C. IV. 429 Vgl. Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (563); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 -1994, S. 135; Deschler 's Precedents Ch. 3 § 23.3. 430 Vgl. Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (565); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 -1994, S. 135. 431 Vgl. insgesamt Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (564); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, 135 f.; zur früheren Ernennung durch den Majority Leader Deschler's Precedents Ch. 3 § 23.1; ferner Tiefer,
A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
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besitzen die Demokraten im Repräsentantenhaus, die ihr regionales Whip-System erst im Jahre 1933 einführten, seit 1929432 . Beide Fraktionen im Repräsentantenhaus verfügen heute über eine komplexe, regional und sozial in starkem Maße ausdifferenzierte Whip-Organisation. Sie besteht aus dem jeweiligen Party Whip sowie einer erheblichen, sich zeitweilig ändernden Anzahl verschiedener Arten von Deputy und Assistant Whips bzw. Zone Whips und at large Whips. Diese dichten, die Demokratische und Republikanische Fraktion durchziehenden Whip-Netze gewährleisten einerseits die Interessenerfassung der wichtigsten Regionen des Landes und andererseits - speziell durch die at large Whips der Demokraten - die Erfassung politischer Gruppeninteressen wie der von Frauen, Schwarzen oder neuen Abgeordneten 433 . Mehr als ein Drittel der Demokratischen Abgeordneten des Repräsentantenhauses sind in die Whip-Organisation der Demokratischen Hausfraktion eingebunden 434 . Die unmittelbaren Stellvertreter des Demokratischen Whip werden gemeinsam von ihm und der Fraktionsführung, d. h. Speaker und Majority Leader, ernannt. Die Demokratischen Zone Whips werden von den einzelnen regionalen Delegationen des Democratic Caucus gewählt, und die at large Whips werden von der Demokratischen Fraktionsführung bestimmt435 . Dieses Whip-System der Demokraten, das gerade auch wegen seiner unterschiedlichen, teilweise dezentralisierten Bestellungsmodi gegenüber der Republikanischen Whip-Organisation komplexer ist, hat allerdings zur Konsequenz, daß der Demokratische Party Whip seine Assistenten anders als der Republikanische Whip nicht selbst bestimmen kann436 . Der frühere Speaker des Repräsentantenhauses, Champ Clark (1911-1919), nannte die Whips "the right hands of the two leaders", deren Hauptaufgabe darin bestehe, "to have [their] fellow political members in the House when needed,,437. Congressional Practice, S. 217, 224 sowie Calmes, The Hili Leaders: Their Places on the Ladder, in: CQWR 45 (1987), S. 5 ff. 432 Vgl. Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (566); Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 136. 433 Vgl. hierzu insgesamt Patterson, Parteien und Ausschüsse im Kongreß, in: Thaysenl Davidson/Livingston, US-Kongreß und Deutscher Bundestag, S. 236 ff. (239 ff.); Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 400 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 217; zum Whip-System des 104. Kongresses Sachs, Leadership in the U.S. House of Representatives, CRS Report, S. 3 f.; sowie speziell zur Entwicklung des komplexen Demokratischen WhipSystems Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 55 f.; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789 - 1994, S. 135 f.; ferner Doddl Sullivan, Majority Party Leadership and Partisan Vote Gathering: The House Democratic Whip System, in: Mackaman, Understanding Congressional Leadership, S. 227 ff. 434 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 401. 435 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 217; Sachs, Leadership in the U.S. House of Representatives, CRS Report, S. 3 f. 436 V gl. Ripley, The Party Whip Organizations in the Uni ted States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (576).
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Dies ist zwar heute noch genauso zutreffend wie es damals war, doch haben sich die Funktionen der Whips im Laufe dieses Jahrhunderts stärker ausdifferenziert. Mit Ripley lassen sich im wesentlichen vier Funktionen unterscheiden 438 . Die Whips haben dafür zu sorgen, daß die jeweiligen Fraktionsmitglieder bei Abstimmungen im Plenum anwesend sind. Diese Aufgabe hat allerdings seit der Einführung der recorded teller votes auch bei Abstimmungen im Committee of the Whole in den frühen 1970'er Jahren an Bedeutung verloren, da die Abgeordneten wegen der Rücksichtnahme auf ihre Wahler allein durch die namentliche Publizität ihrer Anwesenheit im Plenum zur Teilnahme an den Abstimmungen diszipliniert werden 439 . Daneben tragen sie die Verantwortung für einen möglichst umfassenden Informationsaustausch zwischen der Führung und den einzelnen Mitgliedern der Fraktion. Zentrales Forum dieses Informationsaustausches ist das wöchentlich stattfindende Whip meeting, in dem die gesamte Whip-Organisation mit dem Speaker und dem Floor Leader sowie einzelnen Ausschußvorsitzenden zusammenkommt, um umstrittene Gesetzesvorlagen und allgemeine Fraktionsangelegenheiten zu diskutieren 44o • Hier treten die Whips, speziell die vom Caucus gewählten Demokratischen Zone Whips, als Fürsprecher ihrer jeweiligen Abgeordneten gegenüber der Fraktionsführung auf, indem sie deren Beschwerden und Kritik vorbringen441 . Das Clark, My Quarter Century of American Politics, vol. 11, S. 337. Vgl. insgesamt Ripley, The Party Whip Organizations in the United States House of Representatives, in: APSR 58 (1964), S. 561 ff. (562 und 565): "attendance, information, polling, and pressure"; ferner Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 176 f. sowie Deschler's Precedents Ch. 3 §§ 23, 24 auch zu seinen zeremoniellen Pflichten. 439 Vgl. Dodd, The Expanded Roles of the House Democratic Whip System: The 93 Td and 94th Congresses, in: Congressional Studies 7 (1979), S. 27 ff. (36). Früher mußte der Whip alle Gewohnheiten der Abgeordneten kennen, um sie erreichen und zur Anwesenheit veranlassen zu können, so Clark, My Quarter Century of American Politics, vol. 11, S. 337. 440 Vgl. insgesamt zu den Whip meetings Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 58 ff.; ferner Tiefer, Congressional Practice, S. 217 f. Der Bedeutungszuwachs speziell der Demokratischen Whip-Organisation in den 1970'er Jahren geht wesentlich auf diese Whip meetings zurück, die - nicht zuletzt auf Initiative des damaligen Majority Whip Tip O'Neill - dadurch an Attraktivität gewannen, daß nunmehr auch der Speaker, der Majority Leader und die Ausschußvorsitzenden zu diesen Treffen hinzugezogen wurden. Der Speaker und der Majority Leader nahmen hingegen bei Einführung der Treffen in den I 960'er Jahren nicht an ihnen teil. Vgl. Clancy I Eider, Tip, a biography ofThomas P. O'Neill, S. 124. In diesen Whip meetings nur eine - wenn auch formalisierte - Fortsetzung des von Speaker Longworth initiierten und von Speaker Gamer und Rayburn fortgeführten "Board of Education" zu sehen, so Tiefer, Congressional Practice, S. 218, erscheint aus zwei Gründen verfehlt. Zum einen haben die Whip meetings nicht den Charakter privater "drinking hideaways", sondern sind eher als offizielle Strategie- und Koordinationstreffen der Fraktion im Kleinen anzusehen. Zum anderen diente das "Board of Education" eher der Koordination zwischen den beiden Fraktionsspitzen, war also nicht in erster Linie ein fraktions internes Forum. Vgl. hierzu ausführlich MacNeil, Forge of Democracy, S. 81 ff. sowie Peters, The American Speakership, S. 105 und 345, dort Anm. 37 m. w. N. 441 Das Whip-Amt wurde in einen vom Demokratischen Caucus zu wählenden Posten umgewandelt, weil die Fraktion sich die Einflußnahme auf die Auswahl des Whip als mög437
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A. Stellung des Speaker im Vergleich zu anderen Amts- und Funktionsträgern
247
Treffen dient daneben der Fraktionsführung, um die Unterstützungsbereitschaft für bestimmte Gesetzesvorhaben zu testen und um ihre eigenen Standpunkte deutlich zu machen sowie ihr eigenes Abstimmungsverhalten bekanntzugeben - eine Information, die wiederum Einfluß auf einzelne Congressmen gewinnen kann442 . In jedem Fall handelt es sich um einen in zwei Richtungen zielenden Informationsfluß, in dem den Whips eine Mitt1errolle zukommt. Ferner wird den Whips vom Majority Leader der schedule für die nächste Sitzungswoche mitgeteilt, die Fraktionsführung beantwortet den Zeitplan betreffende Fragen und berichtet von ihren Treffen mit dem Präsidenten, anderen Mitgliedern der Exekutive oder des Senats443 . Der Whip-Organisation kommt dann die Aufgabe zu, all diese Informationen zu kanalisieren und an Abgeordnete bzw. Ausschüsse weiterzuleiten. Wichtige Informationsinstrumente sind in diesem Zusammenhang das wöchentliche sog. "Whip pakket", das den schedule für die anstehende Sitzungswoche sowie Kopien von zu beratenden Gesetzesvorlagen und dazugehörigen Ausschußberichten enthält, sowie die sog. "Whip advisories". Dies sind einseitige Zusammenfassungen der erwarteten Verfahrens schritte und Änderungsanträge jeder zur Beratung anstehenden Vorlage verbunden mit kurzfristigen Zeitplanänderungen, die allen Abgeordneten täglich zur Kenntnisnahme durch das Büro des Party Whip zugesandt werden. Insbesondere die "Whip advisories" stellen für die Congressmen unentbehrliche Leitfäden für das umfangreiche parlamentarische Tagesgeschäft dar444 • Die Whips haben desweiteren die Aufgabe, das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten bei bestimmten Gesetzgebungsgegenständen im voraus auszuloten. Dies geschieht in aller Regel mittels sog. "Whip polIs", einer Art Meinungsumfrage innerhalb der Fraktion. Aufgrund der starken Fragmentierung des Repräsentantenhauses mit seinen 435 Mitgliedern und des daraus resultierenden Mangels an Fraktionsdisziplin sowie der Tendenz zur Bildung von ad hoc-Mehrheiten bei bestimmten Gesetzesvorlagen ist diese Aufgabe für die strategische Planung der Fraktionsführung von unschätzbarem Wert, zumal die Umfrageergebnisse eine hohe Genauigkeit aufweisen. Die Whip polIs schaffen die notwendige Informationsgrundlage für den effektiven und gezielten Einsatz von Überzeugungsarlicherweise zukünftigem Speaker sichern wollte und weil vor allem seit den 1970'er Jahren junge Congressmen die Forderung erhoben, den Whip an statt eines bloßen "Geheimagenten" der Fraktionsführung eher zu einem "Verbindungsoffizier" zwischen den einfachen Abgeordneten und der Fraktionsführung zu machen. Vgl. Calmes, The HilI Leaders: Their Places on the Ladder, in: CQWR 45 (1987), S. 5 ff. (6). 442 Vgl. hierzu Bauer/ Pool! Dexter, American Business and Public Policy, S. 466 sowie 4. Kap. A. III. 1. c) aa). 443 Vgl. insgesamt Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 57 f. 444 Gelegentlich werden auch sog. "Whip-grams" verschickt, die kürzer und parteibezogener sind als die "Whip advisories". Es handelt sich insoweit um Bezeichnungen der Demokratischen Fraktion. Bei den Republikanern werden die wöchentlichen "Whip packets" als "Whip notices" und die täglichen "Whip advisories" als "Whipping post" bezeichnet. Vgl. Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 176 f.; Sinclair, Majority Leadership in the U.S. House, S. 58, 65 f.; Tiefer, Congressional Practice, S. 220 f.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
beit, da schwankende Abgeordnete noch frühzeitig ausgemacht und möglicherweise umgestimmt werden können. Ein solcher Whip poIl erfolgt nur auf Anweisung des Speaker, der seinerseits üblicherweise von einem Ausschußvorsitzenden darum ersucht worden ist, weil dieser sich nicht sicher ist, ob er selbst die erforderliche Mehrheit für die Verabschiedung einer Vorlage aufbringen kann oder ob er noch Überzeugungshilfe der Fraktionsführung bedarf. Whip polIs finden in praxi bei fast jedem wichtigen Beratungsgegenstand statt. Die betreffende Frage wird von den Zone Whips mit den jeweils zu ihrer Region gehörenden Abgeordneten erörtert, und die Ergebnisse werden dann an den Party Whip weitergeleitet445 . Hieran schließt sich die partei politische Überzeugungsarbeit der Whips an, die darin besteht, von der Parteilinie abweichende oder schwankende Abgeordnete zur Einhaltung der Fraktionsdisziplin zu bewegen 446 . In der Fraktion der Demokraten wird diese Überzeugungsarbeit in erster Linie von den durch die Fraktionsführung ernannten Whips geleistet. Denn sie fühlen sich der Fraktionsführung besonders verantwortlich und können daher in einem engeren Sinne als deren verlängerter Arm angesehen werden, wohingegen die vom Caucus gewählten, für die Whip polIs zuständigen Zone Whips sich besonders den sie wählenden Abgeordneten ihrer jeweiligen Region verpflichtet fühlen. Diese Arbeitsteilung zwischen den gewählten, für die Meinungsumfragen zuständigen Whips und den ernannten, für die Überzeugungsarbeit zuständigen Whips ist ein wesentlicher Grund für die Objektivität und Solidität der Umfrageergebnisse. Denn es wäre schwierig, genaue, objektive Umfrageergebnisse zu erzielen, wenn die Zähler selbst Instrumente der Überzeugungsarbeit sind447 . Gelegentlich wird diese Überzeugungsarbeit noch in letzter Sekunde geleistet. Dies ist der Fall, wenn die Whips den Abgeordneten, die teilweise ohne genaue Sachkenntnis der zur Abstimmung anstehenden Gesetzesvorlagen in den Plenarsaal eilen, an den Eingängen letzte Instruktionen für die Stimmabgabe erteilen (working the door), die nicht selten entscheidenden Einfluß haben 448 . Der Majority Whip hat schließlich neben dem Speaker und dem Majority Leader Anteil an der strategischen Planung des Gesetzgebungsprogramms seiner Fraktion449 . Der Majority Whip, auf dessen Wahl der Speaker starken Einfluß nimmt, sowie die gesamte hinter ihm stehende Whip-Organisation sind das Bindeglied 445 Vgl. Vgl. Sinclair; Majority Leadership in the V.S. House, S. 62 ff.; TIefer; Congressional Practice, S. 218 ff. 446 Die Mittel hierzu können vielfältig sein: "legislative logrolling, policy persuasion, party loyalty and esprit de corps, and use of concrete incentives", vgl. Doddl Sullivan, Majority Party Leadership and Partisan Vote Gathering: The House Democratic Whip System, in: Mackaman, Vnderstanding Congressional Leadership, S. 227 ff. (241). 447 Vgl. insgesamt Sinclair; Majority Leadership in the V.S. House, S. 56 ff. 448 Vgl. insgesamt Sinclair; Majority Leadership in the V.S. House, S. 64 f.; Tiefer; Congressional Practice, S. 221. 449 Vgl. Sachs, Leadership in the V.S. House of Representatives, CRS Report, S. 3; 4. Kap. A. III. 1. c) aa).
B. Der politische Einfluß der Speaker auf die Organisation
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zwischen dem Speaker und den einzelnen Abgeordneten in konkret-individueller Hinsicht. Der Majority Leader wird demgegenüber im Rahmen der Unterstützung des Speaker in der strategischen Planung der Gesetzgebung funktionell eher auf der abstrakt-generellen Ebene tätig.
B. Der politische Einfluß des Speaker auf die Organisationen der Repräsentantenhausfraktionen I. Allgemeines
Die politische Rolle des Sprechers als Mehrheitsführer wird maßgeblich durch seine organisatorische und funktionelle Einbindung in die Republikanische oder Demokratische Kongreßfraktion bestimmt. Die höchsten Gremien beider Parteien im Repräsentantenhaus sind ihre jeweiligen Fraktionsvollversammlungen, die Republican Conference und der Democratic Caucus. Sie sind die Institutionalisierung der "party in congress". Sie bestehen jeweils aus allen Republikanischen und Demokratischen Abgeordneten im Haus 45o • Ihre wichtigsten Aufgaben sind, am Beginn eines neuen Kongresses als Organisationsforum für die Wahl der Fraktionsführer zu dienen451 und die Zustimmung zu den Ausschußbesetzungen zu geben, die von den zuständigen Gremien empfohlen worden sind. Darüber hinaus dienen ihre wöchentlichen Sitzungen als politisches Informations- und Diskussionsforum für die jeweiligen Congressmen mit dem Ziel einer geschlossenen parteipolitischen Willensbildung. Die Fraktionsvollversammlungen beider Parteien bilden ihrerseits Unterorganisationen mit bestimmten Aufgaben, so z. B. die Steering Committees zur Besetzung der der jeweiligen Fraktion zustehenden Ausschußposten, die als Koordinations- und Beratungsgremien fungierenden Policy Comrnittees sowie die für die Wahlkampfvorbereitung zuständigen Campaign Comrnittees. Die Funktionen und Zusammensetzungen dieser Gremien, die Wahl der Fraktionsführer, die Richtlinien für die Ausschußbesetzung und bestimmte Anträge im Plenum sowie die Organisation und das Verfahren der Fraktionsvollversammlungen werden in den jeweils zu Beginn eines neuen Kongresses verabschiedeten party ruIes der Republican Conference und des Democratic Caucus geregelt, die somit auch Auswirkungen auf den offiziellen Geschäftsgang des Hauses haben und als Ergänzung der House Rules zu verstehen sind452 • Diese party rules, die mit den Fraktionssatzungen des deutschen Bundestags vergleichbar sind, weisen dem Speaker als Fraktionsführer innerhalb der Conference oder des Caucus bestimmte Funktionen und Befugnisse zu. Die Einbindung des V gl. Republican Conference Rule 1; Democratic Caucus Rule 1. A. Siehe 4. Kap. A. I. 1. b) bb). 452 Vgl. Sachs, Leadership in the V.S. House ofRepresentatives, CRS Report, S. 4 f.; siehe 2. Kap. C. VII. 450 451
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Sprechers in die jeweilige Fraktionsorganisation der Republikaner und Demokraten im Haus und damit der politische Einfluß des Sprechers auf die und mittels der Fraktionsvollversammlungen haben sich im Laufe der Zeit geändert. Außerdem unterscheiden sich die Stellung und der politische Einfluß Republikanischer und Demokratischer Sprecher in ihren Fraktionen. Die zentralisierte Fraktionsführung ist ein typisches Merkmal der Republikanischen Sprecher453 • Die party rules, die Ausdruck der jeweiligen zentralisierten oder dezentralisierten Führungsstruktur beider Fraktionen im Kongreß sind, sind also neben den offiziellen House Rules die wichtigste Rechtsgrundlage für die Kompetenzen eines Sprechers. Denn der Einfluß, den der Sprecher auf den offiziellen Geschäftsgang des Repräsentantenhauses nehmen kann, hängt auch von ihnen ab. Ein politisch ambitionierter Speaker, wie etwa Newt Gingrich, wird daher stets darauf hinwirken, die party rules in seinem Sinne auszugestalten. 11. Die Einbindung des Speaker in die Fraktionsorganisation der Republikaner im Repräsentantenhaus
Der Speaker steht an der Spitze der insgesamt 16 Personen454 umfassenden Fraktionsführung der Republikaner im Repräsentantenhaus. Jedes Mitglied der Fraktionsführung ist verpflichtet, nach bestem Wissen und Gewissen die von der Republican Conference verabschiedeten Standpunkte zu unterstützen und seine Kompetenzen und Ressourcen dafür einzusetzen. Dem Sprecher steht das Recht zu, bestimmte Angelegenheiten zu sog. "Leadership Issues" zu erklären, die Gegenstand einer frühzeitigen und intensiven Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Ausschüssen und der Fraktionsführung werden 455 . Der Sprecher hat das Organisationstreffen einer Republican Conference zwischen dem 01. und 20.12. jedes geraden Jahres einzuberufen und in Abstimmung mit der gewählten Fraktionsführung des vorangegangenen Kongresses bis zur Wahl des Chairman of the Republican Conference einen Interimsvorsitzenden zu benennen 456 . Die regulären Sitzungen der Fraktionsvollversammlung (meist wöchentlich) können von ihrem Vorsitzenden jederzeit nach Abstimmung mit dem Sprecher einberufen werden. Daneben beruft der Sprecher zu Beginn jeder session eines Kongresses das sog. "Speaker's Annual Meeting" der Conference ein, auf dem die Fraktionsführung den Mitgliedern ihre Siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (3). Nach Republican Conference Rule 2 sind dies im einzelnen: elected leadership: 1. Speaker, 2. Republican (Majority) Leader, 3. Republican (Majority) Whip, 4. Chair of the Republican Conference, 5. Chair of the Committee on Policy, 6. Vice Chair of the Republican Conference, 7. Secretary of the Republican Conference, 8. Chairman of the National Republican Congressional Committee, jeweils ein Mitglied der 9. Junior dass, 10. Sophomore dass, 11. Freshman dass; designated leadership: jeweils die Ausschußvorsitzenden von 1. Rules, 2. Ways and Means, 3. Appropriations, 4. Budget, 5. Commerce. 455 Vgl. Republican Conference Rule 2, ferner Rule 14. 456 Vgl. Republican Conference Rule 3. 453 454
B. Der politische Einfluß der Speaker auf die Organisation
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Pläne für die anstehende session darlegt457 • Dem Speaker oder einem von ihm bestimmten Mitglied der Conference steht das Recht zu, Resolutionen zur sofortigen Beratung in die Fraktionsvollversammlung einzubringen 458 • Eines der wichtigsten politischen Machtmittel des Speaker ist der ihm von seiner Fraktion eingeräumte Einfluß auf die Besetzung der ständigen Ausschüsse. Der Speaker selbst soll allerdings, wie u. a. der Majority Leader und der Majority Whip, keinen Sitz in mehr als einem ständigen Ausschuß oder Unterausschuß haben; auf keinen Fall darf er den Vorsitz in einem ständigen Ausschuß führen459 • Auf Empfehlung des Steering Committee und mit Zustimmung der Republican Conference kann von dieser Bestimmung abgesehen werden46o . Schon im Vorfeld der eigentlichen Ausschußbesetzung, zwischen den Kongreßwahlen und den Organisationstreffen der Fraktionen, kommt dem Sprecher als Mehrheitsfraktionsführer eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über die Festlegung der einzelnen - im allgemeinen relativ konstanten - Ausschußgrößen und der Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen zu. Die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen und Unterausschüssen entsprechen grundsätzlich den Mehrheitsverhältnissen im Haus. Es besteht ein generelles Einverständnis darüber, das politische Kräfteverhältnis in allen Ausschüssen einzuhalten und nicht für einzelne Ausschüsse gesondert festzusetzen, um auf diese Weise eine funktionsfähige Mehrheit vor allem in den wichtigen Ausschüssen sicherzustellen46 !. Die Mehrheitsfraktion stellt damit auch alle Ausschuß- und Unterausschußvorsitzenden. Die Entscheidung über die Einsetzung bestimmter Ausschüsse liegt faktisch ebenfalls bei der Mehrheitsfraktion und ihrer Führung, da sie über eine Änderung der Geschäftsordnung entscheiden. Im wesentlichen bleibt der Katalog der Fachausschüsse in House Rule X aber stets unverändert. Während insoweit die Bestimmung der Größen und Mehrheitsverhältnisse der Ausschüsse im Repräsentantenhaus mit seinen nur zwei Fraktionen relativ unproVgl. Republican Conference Rule 5. Vgl. Republican Conference Rule 7. 459 Der deutsche Bundestagspräsident hat gemäß § 7 I 3 GOBT beratende Stimme in allen Ausschüssen des Bundestages einschließlich der sog. "geschlossenen Ausschüsse" (§ 69 GOBT), ein Recht, von dem er im Bundestag praktisch nie Gebrauch macht. Seine Mitgliedschaft in einem Fachausschuß ist wegen der politisch neutralen Stellung des Amtes unüblich. Siehe insgesamt zur Teilnahmebefugnis und Mitgliedschaft des Präsidenten in anderen Organen Ritzel! Bücker/ Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 5 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 108 ff. 460 Vgl. Republican Conference Rule 2. Es ist parlamentarische Gewohnheit, daß ein zum Speaker gewählter Abgeordneter auf seine Ausschußsitze und -vorsitze verzichtet, siehe 4. Kap. A. III. 1. b). 461 Abweichend von dieser grundsätzlichen Regelung besteht das Committee on Standards of Official Conduct aus einer gleich großen Anzahl von Congressmen der Mehrheits- und der Minderheitsfraktion und im Committee on Rules ist das Verhältnis 2: 1 zugunsten der Mehrheitsfraktion. Vgl. insges. Schneider, House Committee: Assignment Process, CRS Report, S. 1 ff. sowie Deering / Smith, Committees in Congress, S. 97. 457 458
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
blematisch ist, gestaltet sich die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen in den Ausschüssen, die Einsetzung und Größe der Ausschüsse sowie die Verteilung der Ausschußvorsitzendenposten im deutschen Mehrfraktionenparlament weitaus schwieriger. Die Lösung dieser Fragen liegt im deutschen Bundestag nicht allein in den Händen der Parlamentsmehrheit, sondern der (Vor-)Ältestenrat ist als zentrales Koordinationsgremium für die diesbezügliche Verständigung zwischen den Fraktionen zuständig462 . Die personelle Auswahl der Ausschußmitglieder ist im Repräsentantenhaus wie im deutschen Bundestag allein Sache der entsendungsberechtigten Fraktionen. Grundsätzlich beschließt das Republican Steering Committee über die Vergabe aller den Republikanern zustehenden Sitze und Vorsitzendenposten in den ständigen Ausschüssen463 . Dieser Beschluß wird dann der Fraktionsvollversammlung als Empfehlung zugeleitet und bedarf ihrer Ratifikation. Danach müssen die so ratifizierten Empfehlungen noch vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden, das somit offiziell die Ausschußbesetzungen vornimmt464 . Der Sprecher führt den Vorsitz des Steering Committee. Dieses besteht seit 1998/99 aus 28 Mitgliedern. Neben dem Sprecher gehören dem Republican Steering Committee seit dem 106. Kongreß an: ein vom Speaker ernanntes Mitglied (Speaker's designee), der Majority Leader, der Majority Whip, der Chief Deputy Whip, der Vorsitzende, der Vize-Vorsitzende und der Sekretär der Republican Conference, der Vorsitzende des Policy Committee, die Vorsitzenden des National Republican Congressional Comrnittee des aktuellen und des Vorgängerkongresses, die vier Vorsitzenden des Appropriations-, Budget-, Rules- und Ways and MeansAusschusses, jeweils ein von den Republikanischen Abgeordneten aus neun geographischen Regionen gewähltes Mitglied, ein Vertreter der kleinen Staaten sowie jeweils ein Vertreter der erstmals im 104., 105. und 106. Kongreß465 gewählten Abgeordneten. Die Gesamtzahl der Stimmen beträgt 32, wobei dem Sprecher vier (bzw. unter Einschluß der Stimme des vom Speaker ernannten Mitglieds fünf) und dem Majority Leader zwei Stimmen zustehen, die übrigen Mitglieder haben je eine Stimme466 . Für die Besetzung eines Ausschußsitzes ist die absolute Mehrheit der 462 V gl. § 6 11 2 GOBT. Siehe hierzu im einzelnen Roll, Der Ältestenrat, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 28, Rn. 31 ff. 463 Siehe zur Vergabe der Ausschußsitze insgesamt Deering / Smith, Committees in Congress, S. 100 ff. 464 Da die einzige Aufgabe der Steering Committees beider Fraktionen in der Vergabe der Ausschußsitze besteht, treten die Steering Comrnittees lediglich zu Beginn eines neuen Kongresses zusammen und werden danach - wenngleich ohne formelle Auflösung - im allgemeinen nicht mehr tätig. Zur Besetzung von vakanten Ausschußsitzen während eines Kongresses wie insgesamt zur Ausschußbesetzung durch das Republican Steering Comrnittee, vgl. Republican Conference Rule 12 A.; ferner Schneider, House Committees: Assignment Process, CRS Report, S. 1 ff. 465 Die Mitgliedschaft ändert sich diesbezüglich entsprechend der aktuellen Kongreßzahl. 466 Diese Regionen [Staaten und Abgeordnetenzahl] sind: California [(23)], Cotton South [AL (5), FL (15), GA (8), (insgesamt 28 Abgeordnete)], East North Central [IN (6), MI (6), IL (10), (22)], Great Plains [lA (4), KS (3), MN (2), NE (3), WI (4), MO (4), SD (1), (21)],
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abgegebenen Stimmen bei einem Quorum von 17 Mitgliedern des Steering Committee erforderlich. Die Wahl ist geheim und wird fortgesetzt, bis ein Kandidat die erforderliche Stimmenmehrheit erhält467 . In seiner heutigen Form geht das Republican Steering Comrnittee maßgeblich auf die einschneidenden organisatorischen Reformen Sprecher Newt Gingrichs für den 104. Kongreß zurück. Unter diesen Reformen war die Einführung des neuen Systems zur Ausschußbesetzung eines der bedeutendsten Mittel zur Stärkung des politischen Einflusses der Fraktionsführung und vor allem des Sprechers 468 . Nachdem dem Sprecher seit 1911 die ausschließliche Kompetenz zur Ausschußbesetzung genommen worden war, die er zuvor willkürlich als Druckmittel zur Kontrolle des parlamentarischen Verfahrens eingesetzt hatte, wurde die Aufgabe der Ausschußbesetzung in beiden Fraktionen besonderen Gremien übertragen 469 . Anders als die Demokraten, bei denen die Demokratischen Mitglieder des House Ways and Means Committee seit 1911 das für die Ausschußbesetzung zuständige Committee on Committees bildeten, gründeten die Republikaner ein völlig neues Committee on Committees, dessen Vorschläge zur Ausschußbesetzung unter dem Ratifikationsvorbehalt der Fraktionsvollversammlung standen47o . Auf Betreiben James R. Manns, des eigentlichen Fraktionsführers der Republikaner bei ihrem Mehrheitsgewinn im Jahre 1919, wurde die ursprüngliche Konzeption eines kleinen von der Fraktionsführung ausgewählten und von der Conference bestätigten Mitgliederkreises aufgegeben und stattdessen ein größeres und vor allem dezentralisierteres Committee on Committees gebildet471 . Dieses behielt von den 1950'er bis in die späten 1980'er Jahre seine grundlegende Struktur bei 472 •
Mid-Atlantic [OH (11), PA (10), MD (4), OE (I), (26)], Atlantic Coast [NY (13), CT (2), NH (2), NI (6), (23)], Tidewater South [NC (7), SC (4), VA (5), KY (5), TN (5), (26)], West South Central [AR (2), LA (4), OK (6), TX (13), MS (2), (27)], The West [AK (1), AZ (5), CO (4), ID (2), MT (1), NM (2), NV (1), OR (1), UT (3), WA (4), WY (1), (25)]. Quelle: Republican Conference of the House of Representatives, 106th Congress, Structure establishing the Republican Steering Committee 106th Congress, dort auch zur small state option sowie Office of the Speaker, U.S. House of Representatives, Übersicht der Zusammensetzung des House Republican Steering Comrnittee 106th Congress, vom 20.07. 1999. 467 V gl. Republican Conference of the House of Representatives, 106,h Congress, Republican Steering Committee Procedural Guidelines 106th Congress. 468 V gl. insgesamt Evans / Oleszek, Congress under Fire, S. 88 f.; Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (553). 469 Siehe 3. Kap. C. 11. und III. 470 V gl. Masters, Comrnittee Assignments in the House of Representatives, in: APSR 55 (1961), S. 345 ff. (346, 348); siehe auch Chiu, The Speakers of the House of Representatives since 1896, S. 75 ff. 471 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 99. 472 V gl. Masters, Committee Assignments in the House of Representatives, in: APSR 55 (1961), S. 345 ff. (348 ff.). 17 Semmler
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
Jeder Staat, der einen Republikanischen Abgeordneten in seiner House delegation hatte, war mit einem Sitz im Committee on Committees vertreten, wobei dieser Vertreter von den Republikanischen Abgeordneten in der Delegation gewählt wurde. Das so gewählte Mitglied des Committee verfügte über so viele Stimmen, wie Republikaner in seiner Delegation vertreten waren473 • Dieses System sicherte den größeren Staaten mit den stärksten Republikanischen Delegationen, wie New York und Kalifornien, und innerhalb dieser Delegationen wegen der Seniorität den dienstältesten Abgeordneten den beherrschenden Einfluß auf das Committee on Committees und damit auf die Verteilung der Ausschußsitze474 . 1986 und 1988 nahm die Republican Conference dann auf der Grundlage von Vorschlägen zweier Arbeitsgruppen mehrere Änderungen der party rules vor475 . Im Zuge dieser Reformen wurde auch ein neues Committee on Committees geschaffen, das jetzt nur noch aus 21 Mitgliedern bestand. Wie zuvor hatten seine Mitglieder noch so viele Stimmen wie Republikanische Congressmen in ihrer state delegation waren. Die eigentliche Neuerung bestand darin, daß das Stimmengewicht der bei den höchsten Fraktionsführer erheblich vergrößert wurde. Der Minority Leader erhielt 12, der Minority Whip erhielt 6 Stimmen. Damit wurde der Einfluß der Fraktionsführung auf die Ausschußbesetzung gegenüber einzelnen größeren Staatendelegationen bzw. Zusammenschlüssen einzelner Delegationen deutlich gestärkt476 . Mit dem Wahlsieg der Republikaner im Jahre 1994 wurde unter der Führung Newt Gingrichs die Entwicklung zu einer starken Zentralisierung von politischer Macht in der Fraktionsführung und hier vor allem in den Händen des Speaker massiv vorangetrieben 477 . Auf Betreiben Gingrichs verabschiedete die Republican Conference im Dezember 1994 eine völlig neue Stimmenverteilung im Committee on Committees478 . Das Stimmengewicht der Fraktionsführung, insbesondere des Sprechers, wurde in dem neuen, jetzt als Steering Committee bezeichneten, Gre473 Vgl. Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories ofCongressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (553 f.). 474 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 99. 475 Vgl. hierzu Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 136 f. 476 Der zu diesem Zeitpunkt noch keine besondere Fraktionsfunktion ausübende, über lediglich mittlere Seniorität verfügende Abgeordnete Gingrich kommentierte dies mit den Worten: "It makes the leadership the balancing weight. ... It's part of aseries of steps House Republicans have been taking to increase Michel's capacity to lead." Siehe hierzu insgesamt Mills, GOP Selects Leaders: Michel, Cheney, Lewis, in: CQWR 46 (1988), S. 3474 ff. (3475). 477 Nach Newt Gingrich hatte sich die Republikanische Partei geändert "from a party focused on opposition to a majority party with responsibilities for governing. That requires greater assets in the leader's office." Zitiert nach Cloud, Gingrich Clears the Path for Republican Advance, in: CQWR 52 (1994), S. 3319 ff. (3319). 478 Vgl. AldrichlRohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (554); Cloud, Speaker Wants His Platform To Rival the Presidency, in: CQWR 53 (1995), S. 331 ff. (333).
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mium noch einmal drastisch erhöht. Im vorherigen, aus 23 Mitgliedern bestehenden Committee on Committees des 103. Kongresses verfügte der Republikanische Minority Leader über 12 von insgesamt 196 Stimmen, von denen allein 22 auf die Staatsdelegation von Kalifornien entfielen. Die Mitgliederzahl des neuen Steering Committee betrug 25 bei einer Gesamtstimmenzahl von 30 Stimmen, wobei Newt Gingrich über fünf Stimmen und der Majority Leader über zwei Stimmen verfügten. Die übrigen Mitglieder des Committee hatten je eine Stimme. Die Zusammensetzung des Steering Committee des 104. Kongresses und des 106. Kongresses waren nahezu identisch 479 • Somit konnte Gingrich 17 Prozent der Stimmen in seiner Hand vereinen. Mit den Stimmen der Vorsitzenden des Budget- und Rules-Committee sowie des Vorsitzenden des National Republican Congressional Committee, d. h. des Campaign Committee, die alle drei im 104. Kongreß vom Sprecher ernannt wurden, hatte Gingrich eine direkte Kontrolle über acht der 30 Stimmen bzw. über 27 Prozent der Stimmen480 . Die neue Stimmenverteilung bedeutete einen enormen Stimmengewichtsverlust der Republikanischen Abgeordneten aus großen Staaten wie Kalifornien und Florida481 und führte zu einem bestimmenden Einfluß des Sprechers auf die Ausschußbesetzung. Der Speaker verfügte nunmehr über nahezu ein Drittel der Gesamtstimmen des Steering Committee. Speaker Hasterts Stimmengewicht im Steering Committee ist dagegen stark zurückgegangen. Er verfügt mit den ihm selbst zustehenden vier Stimmen über 13 Prozent. Mit den beiden Stimmen der von ihm ernannten Mitglieder des Steering Committee (Speaker's designee und Vorsitzender des Rules Committee) stehen 19 Prozent der Stimmen unter seiner direkten Kontrolle. Damit verfügt er indes noch immer über das größte einzelne Stimmengewicht. Die Stimmenverteilung im Steering Committee ist in den ebenfalls Republikanisch beherrschten Repräsentantenhäusern des 105. und 106. Kongresses grundsätzlich unverändert geblieben. Das Maß der politischen Macht Newt Gingrichs innerhalb der eigenen Partei und Fraktion wurde besonders deutlich, als Gingrich bereits Mitte November 479 Im Steering Committee des 104. Kongresses waren der Chief Oeputy Whip, der VizeVorsitzende und der Sekretär der Republican Conference sowie der Vorsitzende des National Republican Congressional Committee bzw. Campaign Committee des vorherigen Kongresses nicht vertreten. Hingegen gehörten drei Mitglieder der Freshman cJass und zwei Mitglieder der Sophomore cJass (im Vorgängerkongreß erstmals gewählte Abgeordnete) dem Steering Committee an. Seit dem 106. Kongreß hat indes nur jeweils ein Vertreter der erstmals im 104., 105. und 106. Kongreß gewählten Abgeordneten einen Sitz im Steering Committee. Außerdem ernannte der Sprecher im 104. Kongreß kein weiteres Mitglied und hielt selbst fünf Stimmen, wohingegen der Sprecher seit dem 106. Kongreß selbst nur vier Stimmen hält, dafür aber ein weiteres Mitglied des Steering Committee ernennt. 480 Vgl. Burger; Ax to Fall on Three House Panels: OC, Post Office, Merchant Marine, in: Roll Call v. 17. 11. 1994, S. I und (45). Ferner Aldrichl Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (554). 481 Vgl. Jacoby, Big States Big Losers in Gingrich's Plan for Committee on Committees, in: Roll Call v. 01. 12. 1994, S. 3; dies., Conference Adopts Gingrich's Steering Panel Setup, in: Roll Call v. 08. 12. 1994, S. 22.
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
1994, also noch vor Gründung des neuen Steering Committee, eine Reihe von Ausschuß vorsitzenden bestimmte und dabei sogar in drei wichtigen Ausschüssen (Appropriations, Energy and Commerce, Judiciary) das Senioritätsprinzip überging, um die Posten mit entschieden konservativen Politikern zu besetzen. Speaker Gingrich ersetzte also das Senioritätsprinzip als Maßstab für die Ausschußbesetzung durch persönliche Machtentscheidungen und nahm der Seniorität damit nachhaltig ihre entscheidende Bedeutung für den Verlauf von Abgeordnetenkarrieren. Seit der Amtszeit von Speaker Cannon hat sich das Repräsentantenhaus von keinem anderen Sprecher die Wahl der Ausschußvorsitzenden derart diktieren lassen wie von Speaker Gingrich482 . Der Vorsitzende des Energy and Commerce Committee, Thomas J. Bliley, kommentierte die Vorgänge mit den Worten: "He [Gingrich] totally dominated the process,,483. Durch die von ihm initiierten Reformen der House Rules und party rules für den 104. Kongreß schuf Gingrich die institutionelle Grundlage für ein persönliches Regime des Sprechers im Repräsentantenhaus 484 .
Neben seinem Einfluß auf die Ausschußbesetzung im Rahmen des Steering Committee hat der Speaker seit dem 106. Kongreß besondere Benennungsrechte. Der Sprecher benennt der Republican Conference - ohne Zwischenschaltung des Steering Committee - alle Republikanischen Mitglieder des Rules Committee sowie dessen Vorsitzenden. Lehnt die Conference den Kandidaten des Sprechers für den Vorsitzendenposten des Rules Committee ab, so hat der Sprecher ein erneutes Vorschlagsrecht485 . Der Speaker darf der Conference ein Mitglied des Budget Committee486 zur direkten Abstimmung benennen, das automatisch als zweithöchstes Republikanisches Ausschußmitglied fungiert487 . Der Sprecher hat - ebenso wie im Fall des Rules Committee - das direkte Vorschlagsrecht für alle Republikanischen Mitglieder sowie den Vorsitzenden des Committee on House Administra482 Vgl. Foerstel, House Chairmen: Gingrich Flexes His Power In Picking Panel Chiefs, in: CQWR 52 (1994), S. 3326. Die strikte Bindung des Steering Comrnittee an das Senioritätsprinzip bei der Ernennung der Ausschußvorsitzenden ist daraufhin aufgehoben worden, vgl. Republican Conference Rule 14; ferner Aldrich/Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (550). 483 Zitiert nach Wolf, Speaker's Team Concept Has Put his House in Order, in: USA Today v. 08. 03. 1995,S.5A. 484 Siehe 3. Kap. D. 485 Vgl. Republican Conference Rule 12 B. 486 Nach dem Budget Act von 1974 besteht in jeder Kammer ein Budget Comrnittee zur Ausarbeitung des Haushaltsentwurfs. Das Budget Committee des Repräsentantenhauses besteht aus 23 Mitgliedern. Neben jeweils fünf Vetretern des Ways and Means und Appropriations Comrnittee sowie Vertretern 11 weiterer Ausschüsse ernennen die Führungen der Mehrheits- und Minderheitsfraktion jeweils ein Ausschußmitglied. Der von der Mehrheitsführung entsandte Abgeordnete fungiert als direkter Vertreter der Haushaltspolitik des Sprechers im Budget Comrnittee. Vgl. Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 37,40 ff. 487 Vgl. Republican Conference Rule 12 C.
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tion. Im Falle der Ablehnung des Vorschlags für den Vorsitzendenposten kann der Speaker einen neuen Kandidaten benennen488 . Der Sprecher hat auch das Benennungsrecht für alle Republikanischen Mitglieder in den vom Repräsentantenhaus eingesetzten joint, se1ect und ad hoc-committees 489 . Daneben stehen dem Speaker Benennungsrechte bezüglich einzelner Fraktionsgremien zu. Neben seiner eigenen Mitgliedschaft im Republican Committee on Policy kann der Speaker bis zu zehn Mitglieder dieses im allgemeinen aus 39 Mitgliedern bestehenden Fraktionsausschusses benennen. Das Republican Committee on Policy hat die Aufgabe der Koordination von Gesetzesvorschlägen zwischen den Republikanischen Mitgliedern einzelner Ausschüsse und soll als Beratungs- und Informationsgremium für die Republikanischen Abgeordneten fungieren. Dem Sprecher steht auch ein Einberufungsrecht sowie ein Konsultationsrecht bei der Einsetzung von Unterausschüssen durch den Vorsitzenden des Committee on Policy zu490 . Der Speaker ist ferner Mitglied des aus 38 Personen bestehenden Executive Committee des National Republican Congressional Committee, das als Beratungs-, Unterstützungs- und Aufsichtsorgan bei Repräsentantenhaus-Wahlkämpfen dient491 . Neben seinen Einflußmöglichkeiten über die in den party rules ausdrücklich vorgesehenen Gremien bediente sich bisher jeder Republikanische Sprecher seit dem Regime Speaker Longworths in den 1920'er Jahren eines im allgemeinen aus den gewählten Mitgliedern der Fraktionsführung bestehenden informellen "leadership steering commiuee,,492. Die von diesem Gremium ausgehende Koordination der Mitarbeiterstäbe innerhalb der Fraktionsführung sowie zwischen dieser und den Ausschüssen, die von einer entsprechenden Koordination der Medientätigkeit aller Republikanischen Kongreßbüros unter der Führung des Sprechers begleitet wird, vermindert die Gefahr der Gruppenbildung innerhalb der Fraktion. Die Republican Conference räumt dem Sprecher ferner die Oberaufsicht über alle Mitarbeiter der Republikanischen Partei des Repräsentantenhauses sowie die direkte Aufsicht über alle Floor Assistants der Republikaner ein. Auf Anweisung des Sprechers können die Mitarbeiter einzelner Führungsämter zur Tätigkeit für die gesamte Fraktionsführung eingesetzt werden. Der Speaker ist ermächtigt, der Republican Conference Empfehlungen zur bestmöglichen Verwendung ihrer gesamten Personal- und Sachmittel zu geben. Das Budget der Führungsämter der Republikanischen Partei im Haus muß unter Mitwirkung des Sprechers aufgestellt Vgl. Republican Conference Rule 12 D. Vgl. Republican Conference Rule 13. 490 V gl. Republican Conference Rule 22. 491 V gl. Republican Conference Rule 23. 492 Unter Gingrich bildete dieses leadership steering committee den Kern der sog. "Speaker's Advisory Group" (SAG). Vgl. hierzu insgesamt Peters, The American Speakership, S. 294 sowie Cohen, Team Gingrich, in: National Journal 27 (1995), S. 66 ff. Siehe 3. Kap. C. III. 488
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4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
werden. Dem Sprecher stehen schließlich besondere Möglichkeiten der Personalund Sachmittelversorgung einzelner Abgeordneter zur Verfügung493 . Die party rules enthalten indes auch Kompetenzbeschränkungen des Sprechers. So hat der Speaker sein Amt niederzulegen, wenn er wegen eines mit zwei- oder mehrjähriger Gefängnisstrafe bewährten Verbrechens angeklagt wird494 . Ferner unterliegt der Sprecher, wenn er die Beratung von Gesetzesvorschlägen im vereinfachten Verfahren (suspension of the rules: keine Änderungsanträge, 40minütige Debattenzeit)495 zuläßt, bestimmten von der Republican Conference aufgestellten Richtlinien. Hiernach darf der Sprecher einen Gesetzesentwurf zur Beratung unter der suspension of the rules nicht zulassen, wenn nicht ein schriftlicher Antrag des entsprechenden Ausschußvorsitzenden gestellt worden ist. Ein solcher Antrag muß enthalten die von einer dazu autorisierten Institution geschätzten Kosten des Gesetzes, eine Bestätigung der Freigabe des Gesetzesentwurfs durch die Minderheitsfraktion sowie eine Bestätigung, daß der Entwurf nicht von mehr als einem Drittel der Mitglieder des reporting committee abgelehnt wurde. Ein Gesetzesentwurf darf außerdem nicht unter der suspension of the rules zugelassen werden, wenn er die absolute Ausgabengrenze von 100.000.000 $ übersteigt. Allerdings können diese Richtlinien von einer absoluten Mehrheit der Mitglieder des elected leadership, zu dem auch der Sprecher gehört, aufgehoben werden496 . Alle Republican Conference Rules können schließlich mit einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder der Conference, bei einem Quorum der absoluten Mehrheit der Mitglieder, außer Kraft gesetzt werden 497 . III. Die Einbindung des Speaker in die Fraktionsorganisation der Demokraten im Repräsentantenhaus
Der Demokratische Sprecher ist der Führer seiner Fraktion im Repräsentantenhaus. Neben ihm zählen der Democratic (Majority) Leader und der Democratic (Majority) Whip zur formellen Fraktionsführung498 . Stellen die Demokraten - wie seit 1995 - als Minderheitsfraktion nicht den Speaker, so ist ihr Fraktionsvorsitzender Minority Leader im Haus499 . Der Sprecher hat das Recht, dem Caucus einen Abgeordneten zur Wahl als Assistent des Sprechers vorzuschlagen, dem die KoorVgl. Republican Conference Rule 24. Vgl. Republican Conference Rule 26. 495 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 129 ff. (130). 496 Vgl. Republican Conference Rule 28. 497 V gl. Republican Conference Rules 6 und 8. 498 V gl. Democratic Caucus Rule 2. A. Die am 17. 11. 1998 verabschiedeten und am 04. 01. 2000 in überarbeiteter Fassung angenommenen Democratic Caucus Rules für den 106. Kongreß beziehen den Speaker ausdrücklich mit ein, obwohl er in diesem Kongreß nicht von den Demokraten gestellt wird, vgl. auch Democratic Caucus Rule 2. E. 499 Siehe 4. Kap. A. I. 1. b) ce) (2) und III. 2. 493
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dination der Arbeit des Democratic Policy Committee obliegt5OO • Der Sprecher darf daneben unter Berücksichtigung möglichst breiter Repräsentation aller Mitglieder des Democratic Caucus die fünf Mitglieder des Democratic Leadership Council ernennen, die den Sprecher in den Caucus betreffenden Angelegenheiten beraten sollen50I . Er kann den Caucus-Vorsitzenden veranlassen, eine Fraktionsvollversammlung einzuberufen. Dem Speaker steht auch das Recht zu, zusätzliche Angelegenheiten auf deren Tagesordnung zu setzen502 . Wie bei den Republikanern werden auch bei den Demokraten die Ausschußmitglieder und -vorsitzenden durch das Steering Committee bestimmt503 . Für eine Besetzung ist die absolute Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder des Democratic Steering Committee erforderlich504 . Jedes Mitglied verfügt über eine Stimme. Für den Fall, daß die Demokratische Fraktion die Mehrheitsfraktion im Haus ist, gehören dem Steering Committee des Democratic Caucus nach den Caucus Rules des 106. Kongresses 47 Mitglieder an: der Sprecher, der Majority Leader, der Vorsitzende und Vize-Vorsitzende des Democratic Caucus, der Majority Whip, der Vorsitzende des Committee on Organization, Study and Review 505 , der Vorsitzende des Democratic Congressional Campaign Committee, ein vom Speaker ernannter Mit-Vorsitzender und zwei von ihm ernannte Vize-Vorsitzende des Steering Committee, vier Chief Deputy Whips, ein Mitglied der Freshman dass, jeweils ein aus 12 geographischen Regionen mit annähernd gleicher Demokratischer Abgeordnetenzahl gewähltes Mitglied, 15 vom Sprecher ernannte Mitglieder sowie die Vorsitzenden der Ausschüsse Appropriations, Budget, Rules, Commerce und Ways and Means 506 . Der Sprecher ist der Vorsitzende des Steering Committee. Er ernennt einen Mit-Vorsitzenden und zwei Vize-Vorsitzende und beruft die Sitzungen des Committee ein. Daneben kann das Committee den Speaker ermächtigen, Fraktionsarbeitsgruppen einzusetzen507 . Über die von ihm ernannten Mitglieder des Steering Committee (den Vorsitzenden des Democratic Congressional Campaign Committee, den Mit-Vorsitzenden und die zwei Vize-Vorsitzenden des Steering Committee, die 15 ernannten Mitglieder und den Vorsitzenden des Rules Committee) hat der Sprecher eine Kontrolle über insgesamt 21 der 47 Stimmen, also ein Stimmengewicht von 45 Prozent.
V gl. Democratic Caucus Rule 2. F. Vgl. Democratic Caucus Rule 44. 502 Vgl. Democratic Caucus Rules 5. A. und 6. C. 503 Vgl. ferner 4. Kap. B. 11. 504 Vgl. Democratic Caucus Rules 4. A. 4.,13,14 sowie 42. C. und D. 505 V gl. Democratic Caucus Rules 49 und 50. 506 V gl. Democratic Caucus Rule 42. A. sowie ferner E. und F. 507 V gl. Democratic Caucus Rule 42. B. Jeder Gesetzesvorschlag, der von einer vom Sprecher eingesetzten Arbeitsgruppe entworfen wird, unterliegt indes nach Rule 37 einem Überprüfungs- und Berichterstattungsrecht des entsprechenden ständigen Ausschusses. 500
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Das Steering Committee der Demokraten geht in seiner heutigen Gestalt und Funktion auf die Kongreßreformen der Demokratischen Fraktion in der Mitte der 1970'er Jahre zurück508 . Seit 1911 hatten die Demokratischen Mitglieder des House Ways and Means Committee das für die Ausschußbesetzung zuständige Committee on Committees der Demokraten gebildet, dessen Personalvorschläge unter dem Zustimmungsvorbehalt des Caucus standen. Die Übertragung der Entscheidung über die Vergabe von Ausschußsitzen auf Mitglieder eines ständigen Ausschusses, wie des Ways and Means Committee, hatte ein starkes Einflußgefälle der einzelnen Mitglieder des Committee on Committees zur Folge, da der Senioritätsstatus und der Rang jedes Mitglieds des Ways and Means Committee in das Committee on Committees übernommen wurde. Da die Mitglieder eines so wichtigen Ausschusses wie des Ways and Means Committee ohnehin über eine hohe Seniorität verfügen mußten, um überhaupt in diesen Ausschuß zu gelangen509 , hatten die Abgeordneten, die über keine oder nur eine geringe Seniorität verfügten, keinerlei Einfluß auf die Ausschußbesetzung, wohingegen der Vorsitzende des Ways and Means Committee über einen erheblichen Einfluß verfügte. Im Januar 1975 übertrug der Democratic Caucus die Kompetenz der Ausschußbesetzung dem Democratic Steering and Policy Committee, dessen Entscheidungen indes unter den Zustimmungsvorbehalt des Caucus gestellt wurden51O • Damit war den Mitgliedern des Ways and Means Committee und ihrem Vorsitzenden die Kompetenz der Ausschußbesetzung genommen. Das vierundzwanzigköpfige Steering and Policy Committee setzte sich zur Hälfte aus von den Demokratischen Congressmen gewählten Vertretern von 12 annähernd die gleiche Anzahl Demokraten umfassender geographischer Zonen zusammen, die zudem einer Amtszeitbeschränkung unterlagen und zum Wechsel zwischen senior und junior Members verpflichtet waren. Die andere Hälfte wurde durch den Sprecher als Vorsitzenden des Ausschusses, den Majority Leader, den Vorsitzenden des Democratic Caucus, den Majority Whip, den Chief Deputy Whip, drei Deputy Whips und vier vom Sprecher zu ernennende Mitglieder gebildet. Der bestimmende Einfluß des Sprechers auf die Zusammensetzung des Gremiums war aber nicht nur durch die vier direkt von ihm zu ernennenden Mitglieder sichergestellt, sondern auch durch die fünf Whips, die ihre Whip-Posten der gemeinsamen Ernennung durch den Sprecher und den Majority Leader verdankten511 . Mit der Kompetenz zur AusschußbeSiehe 3. Kap. C. IV. Vgl. Masters, Committee Assignments in the House of Representatives, in: APSR 55 (1961), S. 345 ff. (346, 348). 510 Vgl. Boinville, Origins and Deve10pment of Congress, S. 181; Peters, The American Speakership, S. 192. 511 Vgl. Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 143; Palazzolo, The Speaker and the Budget, S. 27 f.; Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 24; de Boinville, Origins and Develpment of Congress, S. 181; Peters, The American Speakership, S. 177; zur Zusammensetzung siehe auch 4. Kap. A. 111. 3. sowie Democratic Caucus Rule 42. E. und F. Nach dem deutlichen Sieg der Demokraten in der 1976'er Wahl wurde der 508
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B. Der politische Einfluß der Speaker auf die Organisation
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setzung sollte das Steering and Policy Committee eine Statusaufwertung erfahren. Die Verteilung des wertvollsten "Handelsguts" im Repräsentantenhaus, der Ausschußsitze, sollte nicht länger von einem ausschließlich auf Seniorität gestützten Gremium vorgenommen werden, sondern von einem Gremium, in dem die Hälfte der Stimmen von der Fraktionsführung kontrolliert wurde 512 . Im Januar 1975 erhielt der Sprecher damit ermals seit 1911 wieder einen direkten und - wenngleich nur auf der Ebene der Fraktionssatzung - institutionalisierten Einfluß auf die Ausschußbesetzung513 . Neben seinem Einfluß auf die Ausschußbesetzung über das Steering Committee stehen dem Demokratischen Sprecher ebenfalls einige besondere Benennungsrechte zu. So hat er gegenüber dem Caucus das Vorschlagsrecht der Mitglieder und Vorsitzenden des Rules Committee sowie des Committee on House Administration; wird sein Vorschlag vom Caucus abgelehnt, so hat er ein erneutes Benennungsrecht514 . Der Speaker benennt außerdem das im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern keiner Amtszeitbeschränkung unterliegende sog. "leadership member" des Budget Committee 515 . Der Sprecher ernennt alle Demokratischen Mitglieder der joint und select committees sowie sonstiger boards und commissions. Insofern ist er gehalten, Eignung und Interesse der einzelnen Abgeordneten für die Arbeit in diesen Gremien bei der Ernennung angemessen zu berücksichtigen516 . Darüber hinaus stehen alle Ernennungen von Ausschußmitarbeitern durch die jeweiligen Ausschußvorsitzenden unter dem Zustimmungsvorbehalt des Speaker517 • Der Speaker ist Vorsitzender des Democratic Policy Committee, dessen Sitzungen er nach eigenem Ermessen anberaumen kann. Das Committee besteht aus 38 Mitgliedern, von denen der Sprecher insgesamt 28 ernennt. Unter diesen sind die sechs Vize-Vorsitzenden des Policy Committee, von denen der Sprecher jeweils zwei zu Vorsitzenden eines der drei Unterausschüsse des Policy Committee (Research Committee, Communications Comrnittee und Committee on Legislation) ernennt. Das Policy Committee der Demokraten ist wie das der Republikaner ein Hilfsorgan zur Koordination politischer Maßnahmen zwischen der Parteiführung erhebliche Einfluß des Sprechers auf die Besetzung des Steering and Policy Committee indes gemindert, vgl. Uslaner, Policy Entrepreneurs and Amateur Democrats in the House of Representatives: Toward a More Party-Oriented Congress?, in: Rieselbach, Legislative Reform, S. 105 ff. (l09). 512 Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 24; Peters, The American Speakership, S. 177. 513 Streng genommen erhielt der Sprecher einen solchen Einfluß bereits im Jahre 1973 mit der Übertragung des Vorsitzes des Committee on Committees. Doch diese Entwicklung wurde durch die Übertragung der Kompetenz zur Ausschußbesetzung auf das Steering and Policy Committee im Dezember 1974 überholt. 514 Vgl. Democratic Caucus Rules 15 und 22. 515 Vgl. Democratic Caucus Rule 16. A. und D. 1. 516 Vgl. Democratic Caucus Rule 20. 517 Vgl. Democratic Caucus Rule 34.
262
4. Kap.: Der Speaker im System des Repräsentantenhauses
und den Abgeordneten 518 . Der Sprecher ist Mitglied des Wahlkampfausschusses, des Democratic Congressional Campaign Committee, das neben dem Speaker aus je einem Vertreter einer Demokratischen state delegation sowie zusätzlich acht vom Sprecher zu ernennenden Mitgliedern besteht. Daneben hat der Speaker gegenüber dem Caucus das Vorschlagsrecht für den Vorsitzendenposten des Committee 519 . Hinsichtlich der Zulassung von Gesetzesentwürfen zur Beratung im vereinfachten Verfahren (suspension of the rules) unterliegt der Demokratische Sprecher ähnlichen Richtlinien wie ein Republikanischer52o . Alle Caucus Rules können mit Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Caucus aufgehoben werden521 • Insgesamt läßt sich feststellen, daß beide Fraktionsvollversammlungen grundsätzlich eine parallele Organisationsstruktur aufweisen und daß die einem Sprecher durch die jeweiligen party ruIes eingeräumten Kompetenzen und Befugnisse sich nur unwesentlich unterscheiden. Die Tatsache, daß der Grad der Zentralisation von politischer Führung bei den Republikanern dennoch seit jeher größer war als bei den Demokraten, zeigt u. a. wie sehr es darauf ankommt, daß ein Sprecher die ihm eingeräumte strukturelle Macht auch zu nutzen versteht und beabsichtigt.
518 Vgl. insgesamt Democratic Caucus Rule 43; ferner Sachs, Leadership in the U.S. House of Representatives, CRS Report, S. 5. 519 Vgl. insgesamt Democratic Caucus Rule 46. 520 Vgl. insgesamt Democratic Caucus Rule 38; siehe IV. Kap. B. H. 521 Vgl. Democratic Caucus Rule 9. B.
5. Kapitel
Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident A. Allgemeines Das Speaker-Amt wird zwar durch die Verfassung konstituiert, jedoch enthält sie keinerlei Aussagen hinsichtlich der Amtsgewalt und der Kompetenzen des Speaker. Die sonst um die Zuerkennung fest umrissener Kompetenzbereiche für jedes Staatsorgan in Verfolgung ihrer Prinzipien der Gewaltentrennung und der checks and balances bemühte U.S.-Verfassung bestimmt in U.S. Const. art. I, § 2, cl. 5 hinsichtlich des Sprechers nur knapp, daß das Repräsentantenhaus seinen Speaker wählen soll I. Es kann daher als ein Hauptcharakteristikum des amerikanischen Sprecher-Amtes angesehen werden, daß es sich außerhalb der geschriebenen Verfassung der USA entwickelt hat. Die Funktionen und Kompetenzen des Speaker haben sich im Laufe der mehr als zweihundertjährigen amerikanischen Parlamentspraxis als Traditionen herausgebildet, sind wesentlich durch die Persönlichkeiten einzelner Amtsinhaber geprägt und durch eine Reihe offizieller und inoffizieller Amtspflichten ergänzt worden2 . Abgesehen von gesetzlichen Einzelvorschriften finden sich die kompetentiellen Rechtsgrundlagen vor allem in den geschriebenen Geschäftsordnungsregeln des Repräsentantenhauses, den House Rules, sowie den Präzedenzfällen des Hauses 3 . Ziel und Zweck der Kompetenzausübung des Speaker bestehen allgemein darin, die parlamentsrechtlichen Regelungen zum Wohle aller Mitglieder des Repräsentantenhauses, also sowohl im Sinne der an einem reibungslosen Geschäftsgang interessierten Mehrheit als auch zum Schutz der Minderheit, durchzusetzen und die Würde und die besonderen Rechte des Repräsentantenhauses als Legislativorgan zu wahren 4 . 1 Daneben erwähnt die Verfassung den Speaker lediglich noch einmal in V.S. Const. amend. XXV als Adressat der dort vorgesehenen Erklärungen des Präsidenten und Vizepräsidenten bezüglich der Amtsunfähigkeit des Präsidenten. Vgl. insgesamt Leierseder, Der Bayerische Landtagspräsident im Vergleich mit dem Speaker des House of Commons und des House of Representatives, S. 38 f. 2 Vgl. hierzu wie für einen Kurzüberblick über die einzelnen Kompetenzen Committee on House Administration, History of the Vnited States House of Representatives, 1789-1994, S. 92 ff.; Albert, The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, S. 5 ff.; Satumo, The Speaker of the House, CRS Report, S. I ff. 3 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 3; Galloway, History of the House of Representatives, S. 131.
264
5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
B. Power of Scheduling "The power of the Speaker of the House is the power of scheduling",
erklärte Speaker O'Neill während einer Debatte im Jahre 1983 5 • Tatsächlich handelt es sich bei der Festlegung des Arbeits- und Zeitplans sowie der Tagesordnung des Repräsentantenhauses, also der Entscheidung darüber, ob, wann, wie und in welcher Reihenfolge Gesetzesvorlagen vom Plenum beraten werden, um das bedeutendste Vorrecht des Sprechers. Die Minderheitsfraktion ist an diesem Entscheidungsprozeß so gut wie gar nicht beteiligt6 . Demgegenüber werden der Zeitplan und die Tagesordnung im deutschen Bundestag grundsätzlich im Ältestenrat, dem Koordinationsgremium der Fraktionen, im Konsens vereinbart und nur in Ausnahmefällen vom Bundestagspräsidenten festgesetzC. In der power of scheduling laufen die parteipolitische und die präsidiale Funktion des Speaker zusammen. Als Mehrheitsführer trägt der Sprecher bei der Bestimmung des Arbeits- und Zeitplans des Repräsentantenhauses den strategischen Interessen seiner Partei ebenso wie den politischen Bedürfnissen und Forderungen der einzelnen Fraktionsmitglieder im Haus Rechnung. In der parlamentarischen Praxis delegiert der Sprecher diesen Teil des scheduling, vor allem die tägliche "Fein steuerung", in aller Regel an den Majority Leader, behält aber dennoch ein mit der Gesamtverantwortung einhergehendes Letztentscheidungsrecht 8 . In seiner Funktion als Präsident des Repräsentantenhauses obliegt es dem Speaker im Rahmen seiner Pflicht zur Gesamtkoordination sicherzustellen, daß das Haus seine legislativen Aufgaben effizient erfüllt. Insofern hat er eine Reihe äußerer Faktoren bzw. politischer Rahmenbedingungen bei der Festlegung des Zeitplans des Repräsentantenhauses zu berücksichtigen. Hierzu gehören etwa der Zeitplan des Senats, die politischen Besonderheiten eines Wahljahres, die außenpolitischen Zeitvorgaben und die gesetzgeberischen Pläne des Präsidenten. Daneben ist der Speaker verantwortlich für die Einhaltung bestimmter normativer Vorgaben des parlamentarischen Prozesses, wie der Geschäftsordnungsregeln, der Vorgaben des Rules Committee und der gesetzlichen Fristen. So muß das Repräsentantenhaus spätestens bis zum 15. Mai eines jeden Jahres die erste Budgetresolution verVgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.1; Deschlerl Brown, Procedure, Ch. 6 A § 1.2. Congressional Record, 15. 11. 1983, S. H9856. 6 Gelegentlich geht der Speaker auf bestimmte Wünsche des Minority Leader bspw. hinsichtlich Tagungszeiten ein. Vgl. Sinclair, Majority Leadership in the D.S. House, S. 46; ferner Deschler's Precedents Ch. 3 § 18.7. 7 Vgl. §§ 20 I, 21 I GOBT. Siehe zur Festsetzung der Tagesordnung durch den Bundestagspräsidenten im einzelnen Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 25, Rn. 5 ff.; zur Vereinbarung des Arbeitsplans und der Tagesordnung durch den Ältestenrat vgl. Roll, Der Ältestenrat, in: Schneider I Zeh, Parlamentsrecht, § 28, Rn. 21 ff. 8 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 125; 4. Kap. A. 111.1. c). 4
5
B. Power of Scheduling
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abschiedet haben, woran sich dann bis September die Verabschiedung der Haushaltsgesetze (authorization und appropriation) anzuschließen hat9 . Durch die gesetzlichen Fristen sind der zeitlichen Planung und Steuerung des parlamentarischen Verfahrens Grenzen gesetzt, so daß um die frei zu verplanende Sitzungszeit um so heftiger gerungen wird. Der Speaker hat daher durch eine vorausschauende langund kurzfristige Planung von Vertagungen und Sitzungspausen, die Koordination von Ausschuß- und Plenartätigkeit, die Aufstellung einer steten und zuverlässigen wöchentlichen Agenda sowie eine effektive Steuerung der in Hochzeiten, etwa gegen Ende einer Legislaturperiode, in das Plenum gelangenden Vielzahl von Gesetzesentwürfen einen effizienten Ablauf des parlamentarischen Verfahrens zu gewährleisten. \0 Das zentrale Problem bei der Festlegung des langfristigen Arbeitsplans und der jeweiligen Tagesordnung des Repräsentantenhauses ist die nur begrenzt zur Verfügung stehende Zeit innerhalb einer Legislaturperiode. Speaker Wright hat dies mit folgenden Worten treffend beschrieben: "My two biggest competitors are the dock and the calendar. There are so many things I would like to do ... The trouble is you have only so many weeks in the legislative year, and so many days in the legislative week, so many hours in the legislative day"ll. Der Sprecher kann die begrenzte Zeit einer Legislaturperiode indes auch zur Förderung seiner politischen Ziele nutzen, wobei er natürlich stets zur politischen Rücksichtnahme auf seine Fraktion verpflichtet ist. So kann er einerseits die Aufnahme bestimmter mißliebiger Vorlagen in die Tagesordnung bis zum Ende der Legislaturperiode hinauszögern. Sie können dann aufgrund des typischen "Gesetzesstaus" häufig nicht mehr behandelt werden und müßten wegen der sachlichen Diskontinuität des Repräsentantenhauses im Folgekongreß unter Einhaltung des gesamten Gesetzgebungsverfahrens neu eingebracht werden. Andererseits kann der Speaker unter dem Druck des Gesetzesstaus am Ende einer Legislaturperiode bestimmte Gesetzesvorlagen gerade als vorrangig behandeln und so Einfluß auf die Auswahl der zu verabschiedenden Vorlagen nehmen. So ist es ihm möglich, die Anfangsphase eines neuen Kongresses, in der noch wenige Gegenstände zur Beratung im Plenum anstehen, gezielt zu nutzen, um das Gesetzgebungsprogramm, mit dem seine Partei im Wahlkampf angetreten ist, beschleunigt umzusetzen 12. Speziell in diesen Phasen kommt der Steue9 Eine zweite Budgetresolution ist nur noch fakultativ vorgesehen. Vgl. insgesamt die ausführliche Darstellung des Haushaltsprozesses im Kongreß bei Heun, Das Budgetrecht im Regierungssystem der USA, S. 33 ff.; eine Übersicht zu Zeitplan und Struktur des Haushaltsprozesses findet sich bei Oleszek, Congressional Procedures, S. 53. 10 Vgl. insgesamt zum scheduling Oleszek, Congressional Procedures, S. 125 f. sowie Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 24 ff. und O'Donnell, Controlling Legislative Time, in: Cooper/Mackenzie, The House at Work, S. 127 ff. (142 ff.). 11 Zitiert nach Coxl McCubbins, Legislative Leviathan, Party Govemment in the House, S. 234, die dieses Zeitproblem als "collective scheduling problem" der gesamten Fraktionsführung im Haus im Gegensatz zum "personal scheduling problem" jedes einzelnen Congressman verstehen.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
rung der Gesetzgebung durch die Führung der Mehrheitsfraktion erhebliche Bedeutung zu!3. Das scheduling, d. h. die Terminierung von Gesetzesvorlagen, spielt allerdings nicht nur im Hinblick auf den Zeitrahmen eines ganzen Kongresses (term) oder einer Sitzungsperiode (session) eine Rolle l4 . Vielmehr ist das taktische Terminieren von Gesetzesberatungen und Abstimmungen innerhalb eines Sitzungstages gerade auch wegen der häufigen Inkongruenz von Fraktion und Hausmehrheit und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Bildung von ad hoc-Mehrheiten im Repräsentantenhaus von besonderer Bedeutung l5 . Da der Terminierung von Gesetzesvorlagen entscheidender Einfluß auf deren Schicksal zukommt, stellt die power of scheduling zugleich das politisch wichtigste Machtinstrument des Sprechers dar l6 . Bei der power of scheduling handelt es sich indes nicht um eine formale, verfassungs- oder parlamentsrechtlich abschließend geregelte Kompetenz des Sprechers 17. Die scheduling-Entscheidungen ergehen vielmehr aufgrund politischer Erwägungen, sind Ausdruck politischer Macht und entziehen sich insofern grundsätzlich einer rechtlich-normativen Betrachtung. Der Speaker verfügt jedoch über formale Kompetenzen, mit denen er vor allem auf den legislativen Zeitplan des Repräsentantenhauses Einfluß nehmen kann. In ihrer Summe bilden diese Kompetenzen die rechtliche Grundlage für die scheduling power des Sprechers. Diese Kompetenzen lassen sich in drei größere Handlungsbereiche unterteilen, die Überweisung von Gesetzesentwürfen an die Ausschüsse (bill referral), die vereinfachten Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung sog. "minor and noncontroversial bills" sowie schließlich die Zusammenarbeit des Sprechers mit dem Geschäftsordnungs- bzw. Lenkungsausschuß, dem Rules Committee, in Bezug auf den größten Teil der sog. "major legislation".
12 So etwa im Fall der Sprecher Wright und Gingrich. Vgl. Cohen, Quick-Starting Speaker, in: National Journal 19 (1987), S. 1409 ff. (1413) und Cloud, Gingrich Clears the Path for Republican Advance, in: CQWR 52 (1994), S. 3319 ff. 13 Vgl. Hasbrouck, Party Government in the House of Representatives, S. 117; Galloway, History of the House of Representatives, S. 140; Sinclair, Majority Leadership in the V.S. House, S. 42. 14 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 211. 15 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 26. 16 Speaker O'Neill: "Everything in politics is timing", zitiert nach DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 231; vgl. auch Oleszek, Congressional Procedures, S. 35 f. 17 Die power of scheduling ist auch nicht in House Rule XIII, cl. 2 (a) (I) geregelt. Denn diese Vorschrift betrifft nur die Aufsicht des Speaker über die calendar-Zuweisung einer Vorlage, bestimmt aber nicht, wie der Zeitplan für ihre Behandlung im Plenum festzulegen ist.
B. Power of Scheduling
267
I. Überweisung von Gesetzesentwürfen an die Ausschüsse (bill referral) 1. Der Regelungstatbestand von House Rule XlI, cl. 2
Seit der im wesentlichen auf die Geschäftsordnungsänderungen des 94. Kongresses (1975 -76) zurückgehenden House Rule XII, cl. 2 18 kann der Sprecher Gesetzesentwürfe und Resolutionen an mehrere Ausschüsse unter Berücksichtigung ihrer in House Rule X, cl. 1 festgelegten Zuständigkeitsbereiche verweisen. Im Bundestag erfolgt die Ausschußüberweisung im allgemeinen durch Abstimmung des Parlaments auf der Grundlage von Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats l9 . Der Bundestagspräsident verfügt praktisch über kein selbständiges Überweisungsrecht 2o . Während der Sprecher bis zum Jahr 1975 durch Präzedenzfälle gebunden war, Gesetzesvorlagen nur an einen Ausschuß zur Beratung zu überweisen 21 , hat er seit dieser Zeit neben einer Überweisung an nur einen Ausschuß die Möglichkeit der Mehrfachüberweisung (multiple referral), die er grundsätzlich auf drei Arten vornehmen kann. Erstens kann der Sprecher den Ausschüssen eine Gesetzesvorlage in Form des im Jahre 1995 eingeführten sog. "additional initial referral" gemäß House Rule XII, cl. 2 (c) (2), 1. Alt. i.Vm. (1) zukommen lassen 22 . Er kann also eine Vorlage von Anfang an an mehrere Ausschüsse zugleich verweisen. Diese Form der Mehrfachüberweisung wurde bis zum 104. Kongreß als joint referral bezeichnet. Sie wurde dann im Jahre 1995 insofern modifiziert, als die entsprechenden Ausschüsse hinsichtlich der Gesetzesberatung nicht mehr insgesamt gleichgestellt sein sollen, sondern der Sprecher vielmehr von nun an formell gemäß House Rule XII, cl. 2 (c) (1) unter mehreren Ausschüssen stets einen federführenden Ausschuß (committee of primary jurisdiction) zu benennen hat23 . Unter additional initial referral ist somit Vgl. H. Res. 988, Congressional Record, 08. 10. 1974, S. 34470. Siehe § 80 I GOBT. Die Mehrfachüberweisung ist indes in praxi die Regel. Vgl. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 79, Rn. 3, 4, 8.1. 20 Siehe aber §§ 80 III 1, 107 I, 109 I I GOBT. 21 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4361 sowie § 4372, hier geht es speziell um die Frage einer geteilten Überweisung an zwei oder mehr Ausschüsse. Der Vorsitzende lehnte diese Möglichkeit der Mehrfachüberweisung ab: "It has been uniformly held that a biII can not be divided among two or more committees, although it contains subject-matter which legitimately belongs ... to several committees; but must be referred to one committee as an entirety." 22 Vgl. zum Begriff des "additional initial referral" sowie insgesamt Oleszek, Congressional Procedures, S. 102; ferner Evans / Oleszek, Procedural Features of House Republican Rule, in: Rae/Campbell, New Majority or OId Minority?, S. 117 ff. (125 ff.). 23 Vgl. H. Res. 6, § 205, Congressional Record, 04. 01. 1995, S. 467 sowie S. 36. Vgl. insgesamt zur Entstehungsgeschichte von House Rule XII, cl. 2 House Manual, § 816 m. w. N. Speaker O'NeiII hatte allerdings im 98. Kongreß 1983 schon seine Absicht deutlich gemacht, in bestimmten Fällen federführende Ausschüsse im Rahmen des joint referral einzusetzen und den übrigen Ausschüssen Fristen für ihre Berichte zu setzen. Vgl. Congressional Record, 03.01. 1983,S. 54. 18
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
die anfängliche Mehrfach- bzw. Parallelüberweisung zu verstehen, bei der ein federführender Ausschuß benannt wird. Die zweite Form der Mehrfachüberweisung ist das sequential referral gemäß House Rule XII, cl. 2 (c) (2), 2. Alt., bei dem die Überweisung eines Gesetzesentwurfs nach der Verabschiedung durch den federführenden Ausschuß an weitere Ausschüsse erfolgt. Die dritte Art des multiple referral ist das split referral gemäß House Rule XII, cl. 2 (c) (3), wonach Teile einer Gesetzesvorlage nach der Verabschiedung durch den federführenden Ausschuß an weitere Ausschüsse weitergeleitet werden können. Gemäß House Rule XII, cl. 2 (c) (5), die auf den 95. Kongreß im Jahre 1977 zurückgeht24 , kann der Sprecher den Ausschüssen für die Beratung der ihnen zugewiesenen Vorlagen Fristen setzen. Nach der aus dem Jahre 1975 stammenden Regelung in House Rule XII, cl. 2 (c) (4) ist der Sprecher unter Einspruchsvorbehalt des Hauses ermächtigt, ad hoc-committees (special committees) aus Mitgliedern mehrerer zuständiger Ausschüsse einzusetzen, um ausschußübergreifende Fragen zu beraten 25 • Schließlich hat der Sprecher nach House Rule XII, cl. 2 (b) bei der Überweisung von Vorlagen an die Ausschüsse sicherzustellen, daß jeder nach House Rule X, cl. 1 für eine Materie zuständige Ausschuß in größtmöglichem Umfang an der Ausschußbearbeitung teilhat. 2. Die Bedeutung der Ausschußüberweisung
Die im Jahre 1975 eingeführte Möglichkeit der Mehrfachüberweisung in Verbindung mit der 1977 eingeführten Ermächtigung des Sprechers, den Ausschüssen eine Bearbeitungsfrist setzen zu können, hat ein erhebliches Maß an Flexibilität in das Verfahren der Ausschußüberweisung gebracht26 . Beide Geschäftsordnungsänderungen stellen insofern eine Kompetenzerweiterung für den Sprecher dar, als ihm Instrumente an die Hand gegeben worden sind, mit denen er das Gesetzgebungsverfahren etwa durch Vorlage an mehrere Ausschüsse verzögern oder durch Fristsetzung zur Behandlung der Vorlagen in den Ausschüssen beschleunigen kann. Die Zielsetzung der Geschäftsordnungsänderung des 104. Kongresses, nach welcher der Sprecher bei der Mehrfachüberweisung stets einen federführenden Ausschuß zu benennen hat und die die früheren joint referrals abgeschafft hat, war nicht etwa eine Beschneidung der Kompetenzen des Sprechers. Vielmehr sollte die Ausschußverantwortlichkeit für die Gesetzgebung erweitert werden, insbesondere auf Seiten des federführenden Ausschusses, bei gleichzeitigem Erhalt einer flexiblen Entscheidungsfreiheit des Sprechers darüber, ob, wann und wie lange bestimmten Ausschüssen Vorlagen zur Beratung zugeleitet werden.
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Vgl. H. Res. 5, Congressional Record, 04. 01. 1977, S. 53-70. Vgl. im einzelnen House Manual, § 816. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 101.
B. Power of Scheduling
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Diese Entscheidungen stehen im Ennessen des Sprechers, das zwar durch House Rule XII, cl. 2 LV.m. Rule X, cl. 1 begrenzt wird, das dem Speaker aber dennoch Spielraum für ein taktisches Vorgehen zugunsten seiner Fraktion bei der Ausschußverweisung läßt27 • In jedem Fall verfügt der Sprecher mit dem Instrument der Fristsetzung über ein wirkungsvolles Druckmittel gegen Obstruktionen28 • Er kann vor allem die nachträgliche Änderungsmöglichkeit und die Kombination der drei Grundfonnen der Mehrfachverweisung (additional initial, sequential und split referral) strategisch nutzen. So kann der Sprecher einem Ausschuß den gesamten Gesetzesentwurf überweisen und gleichzeitig einem anderen nur bestimmte Teile eines Gesetzes, von denen er meint, daß gerade sie von dem betreffenden Ausschuß wohlwollend behandelt werden. Er kann den Ausschüssen auch nachträgliche Fristverlängerungen für ihre Bearbeitung gewähren, wenn er dies für erforderlich hält, weil etwa noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muß. Ferner hat er die Möglichkeit, eine Vorlage nach der Beratung durch einen oder mehrere bestimmte Ausschüsse noch an einen weiteren Ausschuß zu leiten, der in seinen Augen gewährleistet, daß die Vorlage mit Änderungsanträgen im Sinne der Mehrheitsfraktion verabschiedet wird. Schließlich hat der Sprecher das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen auch die Rückverweisung einer Vorlage an einen bereits zuvor mit der Sache befaßten Ausschuß zu verfügen, wenn er dies politisch für sachdienlich hält29 . Bisweilen kann eine bestimmte Ausschußüberweisung durch den Sprecher aber auch dazu führen, daß die Vorlage einen Ausschuß nicht passiert und damit grundsätzlich gescheitert ist - was insoweit freilich auch beabsichtigt sein kann. In der parlamentarischen Praxis wird die Überweisung von Gesetzesvorlagen zwar grundsätzlich vom Parliamentarian im Namen des Sprechers vorgenommen, insbesondere sofern es sich um routinemäßige Überweisungsfragen von lediglich rechtstechnischem Gehalt handelt3o . Doch da die fonnelle Kompetenz zur Ausschußüberweisung beim Speaker liegt, trifft er auch die wichtigen politischen Überweisungsentscheidungen und vennag so, den Gesetzgebungsprozeß zu steuern. Denn unterhalb der rein parlamentsrechtlichen Ebene vollzieht sich in einer juristischen Grauzone ein Machtkampf der Ausschüsse um möglichst großen Einfluß auf bestimmte Gesetze, der häufig nur politisch durch den Sprecher gelöst werden kann 31 . Die Kompetenz zur Mehrfachüberweisung stellt schließlich deshalb ein wichtiges Steuerungsinstrument der Gesetzgebung dar, weil es gerade die wichtigen, umfangreichen, komplexen und konfliktreichen Gesetzesvorlagen sind, Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 94. Vgl. Young / Cooper; Multiple Referral and the Transformation of House Decision Making, in: Dodd/Oppenheimer, Congress Reconsidered (1993), S. 211 ff. (213). 29 Vgl. Congressional Record, 03. 03.1982, S. 3155; 01. 06.1976, S. 16588; 04. 10. 1988, S. 28242. Vgl. zu den verschiedenen Kombinationsformen der Ausschußüberweisung insgesamt House Manual, § 816 und § 825 m. w. N.; ferner Tiefer, Congressional Practice, S. 243. 30 Siehe 4. Kap. A. 11. 2. 31 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 110 f. 27 28
18 Semmler
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
die dem multiple referral unterfallen 32 . Insgesamt haben die Entscheidungen des Sprechers bezüglich der Ausschußüberweisung von Gesetzesvorlagen eine unmittelbare Auswirkung auf den Zeitplan des Kongresses, weil es von ihnen abhängig ist, wann ein Gesetzesentwurf als von den Ausschüssen verabschiedet (reported) auf einen der House Calendars gesetzt werden und damit für die Plenarverhandlung bereit gestellt werden kann. Die Verweisung von Gesetzesvorlagen an die Ausschüsse durch den Speaker unterliegt grundsätzlich keinem Einspruchsvorbehalt. Lediglich in seltenen Fällen von irrtümlichen Ausschußüberweisungen ist ein Einspruch nach House Rule XII, cl. 7 (a) möglich, worauf die fehlerhafte Überweisung in aller Regel im Wege eines Einstimmigkeitsbeschlusses (unanimous consent) korrigiert wird 33 . 11. Die vereinfachten Gesetzgebnngsverfahren
1. Allgemeines
Mit der zunehmenden Flut von Gesetzesvorlagen haben im Laufe der Zeit bestimmte vereinfachte, d. h. beschleunigte parlamentarische Verfahren zur Verabschiedung weniger bedeutsamer und unkontroverser Gesetze Eingang in die Geschäftsordnung bzw. das Parlamentsrecht des Repräsentantenhauses gefunden. Diese Verfahren verschaffen den weniger umstrittenen Vorlagen an bestimmten Sitzungstagen einen privilegierten Zugang zur Plenarberatung. Dies geschieht teilweise, indem solche Gesetzesvorlagen in die Corrections und Private Calendars aufgenommen werden oder indem weniger konfliktträchtige Entwürfe auch der Union und House Calendars mittels Einstimmigkeitsbeschlüssen (unanimous consent) bzw. mittels der Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension of the rules) ins Plenum gelangen 34 . Daneben hat die sog. "District of Columbia Legislation", eine für die meisten Congressmen weniger wichtige und daher im allgemeinen unumstrittene Materie, gemäß House Rule XV, cl. 4 an jedem zweiten und vierten Montag eines Monats privilegierten Zugang zur Beratung. Ähnliches gilt für in den Private Calendar aufgenommene Gesetzesvorlagen, die der Sprecher gemäß House Rule XV, cl. 5 (a) an jedem ersten Dienstag eines Monats aufzurufen verpflichtet ist und die er zusätzlich gemäß House Rule XV, cl. 5 (b) (I) nach seinem Ermessen auch am dritten Dienstag eines Monats aufrufen kann. Wegen ihres begrenzten Adressatenkreises sind die private bills für die Mehrzahl der Abgeordneten ebenfalls von untergeordnetem Interesse und somit im allgemeinen unkontrovers. Sie werden wie die District of Columbia Legislation in vereinfachten Verfahren routinemäßig verabschie32 33 34
Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 94. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 99; Tiefer, Congressional Practice, S. 243. Siehe 1. Kap. G. IV.
B. Power of Scheduling
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dee 5 . Darüber hinaus ermächtigt House Rule XII, cl. 3 den Sprecher, der die Würde des Hauses zu wahren hat, zu einer Moralitätsprüfung von Vorlagen zu private bills und Gedenktagsgesetzen sowie von Petitionen Privater, deren Weiterleitung er im Falle eines obszönen oder beleidigenden Charakters dieser Eingaben versagen kann. Da sowohl die District of Columbia Legislation als auch die private bills im Committee of the Whole beraten werden, dem der Sprecher gewohnheitsmäßig nicht vorsitzt, nimmt er auf den eigentlichen Debattenverlauf keinen weiteren Einfluß 36 . Schließlich gelten gemäß House Rule XIII, cl. 5 (a) bestimmte von den fünf Ausschüssen Appropriations, Budget, House Administration, Rules und Standards of Official Conduct verabschiedete Vorlagen als sog. "privileged legislation", die grundsätzlich jederzeit zur Beratung aufgerufen werden können 37 . Es handelt sich um wichtige Materien, die entweder das Verfahren und die Integrität des Repräsentantenhauses selbst oder die Wahrnehmung der power of the purse des Kongresses betreffen. Da die Geschäftsordnung nicht zwischen allen privilegierten Materien, zu denen neben den genannten etwa auch die Beschlüsse der conference committees sowie die mit einem präsidentiellen Veto versehenen Gesetze zählen, eine feste Reihenfolge festsetzt, liegt es im Ermessen des Sprechers, diese für gleichrangig privilegierte Anträge im Einzelfall festzulegen 38 . Der Sprecher kann also durch sein Worterteilungsrecht die Zulässigkeit von Anträgen auf unanimous consent oder suspension of the rules sowie die Beratungsreihenfolge gleichprivilegierter Vorlagen bestimmen. Diese Steuerungsmöglichkeit ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die Mehrzahl der ins Repräsentantenhaus eingebrachten Vorlagen im Wege dieser shortcuts beraten und verabschiedet wird39 .
2. Einstimmigkeitsanträge (unanimous consent) Ein Abgeordneter kann während einer Sitzung im allgemeinen jederzeit40 einen Einstimmigkeitsantrag zur Verabschiedung einer Vorlage steHen. Bei einem solchen Antrag auf unanimous consent handelt es sich im Grunde um einen Antrag auf zeitweilige Unterbrechung des ordentlichen Geschäftsgangs bzw. auf Nichtanwendung einer special rule des Rules Committee41 zur Vornahme einer parlamen-
35 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 16, 18; Oleszek, Congressional Procedures, S. 132 ff. 36 Vgl. House Manual, §§ 894, 896 f. sowie House Rule XV, cl. 5 (e). 37 Vgl. insgesamt Oleszek, Congressional Procedures, S. 126 ff. 38 Vgl. insgesamt Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 13 f. 39 Vgl. DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 235; Oleszek, Congressional Procedures, S. 132. 40 Zu den Ausnahmen vgl. Brown, House Practice, S. 863.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
tarischen Handlung, die andernfalls nach der Geschäftsordnung nicht zulässig wäre und der kein Abgeordneter widerspricht. Der Widerspruch nur eines Mitglieds des Repräsentantenhauses läßt einen Einstimmigkeitsantrag scheitern 42 • Dieses Antragsrecht verfügt nicht über eine ausdrückliche formelle Grundlage in der Geschäftsordnung, sondern muß als Ausfluß der Geschäftsordnungsautonomie des Repräsentantenhauses verstanden werden. Die parlamentarische Praxis der Zulässigkeit von Einstimmigkeitsanträgen zur Änderung, Erleichterung und Beschleunigung des Geschäftsgangs geht auf die 1830'er Jahre zurück und stellt eine Antwort des Hauses auf den steigenden Druck des Gesetzgebungsvolumens dar43 . Die Worterteilung für einen Antrag auf unanimous consent zur Beschließung einer bestimmten Maßnahme steht vollständig im Ermessen des Sprechers44 . Aufgrund seiner aus House Rule XVII, cl. 2 folgenden power of recognition kann der Sprecher die Worterteilung für einen Einstimmigkeitsantrag ablehnen, wenn der damit verfolgte Zweck nicht in seinem bzw. nicht im Interesse der Mehrheitsfraktion steht. In der Sache handelt es sich bei einer solchen Ablehnung nur um das dem Sprecher wie jedem anderen Abgeordneten zustehende Recht, einen Einstimmigkeitsantrag durch Widerspruch scheitern zu lassen 45 . Seit Anfang der 1980'er Jahre verfahren die Sprecher nach dem Grundsatz, das Wort für Einstimmigkeitsanträge zur Beratung und Verabschiedung von Gesetzen nur zu erteilen, wenn zuvor die Einwilligung seitens des Majority und Minority Leader sowie der jeweiligen Ausschußführungen eingeholt worden ist46 • Damit wird sichergestellt, daß das beschleunigte Verfahren mittels Einstimmigkeitsanträgen nur zur Anwendung kommt, wenn ein fraktionsübergreifender Konsens in den entsprechenden Sachfragen besteht. Indem der Sprecher es regelmäßig ablehnt, Abgeordneten das Wort für Einstimmigkeitsanträge zu erteilen, die diesen Grundsatz unbeachtet lassen, spart er dem Haus wertvolle Sitzungszeit47 . Die Durchsetzung dieses Grundsatzes durch den Speaker unterliegt keinem Einspruchsvorbehalt48 .
41 Es sei denn, die special rule bestimmt ausdrücklich, daß sie nicht durch einen unanimous consent-Beschluß aufgehoben werden kann, vgl. im einzelnen Brown, House Practice, S. 866 f. m. w. N. 42 Vgl. IV Hinds' Precedents § 3058; VIII Cannon's Precedents § 2794; Deschler's Precedents Ch. 23 § 45.6. 43 Vgl. IV Hinds' Precedents § 3155; Brown, House Practice, S. 861. 44 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 23 § 45.4. 45 V gl. House Manual, § 956. Der Sprecher kann aber auch wie jedes andere Mitglied dem Einstimmigkeitsantrag widersprechen, vgl. VIII Cannon 's Precedents § 3383. 46 V gl. Congressional Record, 05. 01. 1993, S. H59; 04. 01. 1995, S. H111; ferner m. w. N. House Manual, § 956 sowie Brown, House Practice, S. 862. 47 Zu anderen Ablehnungsgründen vgl. Brown, House Practice, S. 867 f. m. w. N. 48 Vgl. Congressional Record, 04. 04.1995, S. 10298.
B. Power of Scheduling
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3. Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension ofthe rules)
Neben dem jederzeit möglichen unanimous consent-Antrag auf Unterbrechung des ordentlichen Geschäftsgangs sieht die Geschäftsordnung in House Rule XV, cl. 1 (a) noch ein weiteres Verfahren zur Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension of the rules) vor, das jeweils montags und dienstags sowie während der letzten sechs Tage einer Sitzungshalbzeit (session) zulässig ist. Mit der Annahme eines Antrags auf suspension of the rules werden im allgemeinen gleichzeitig die Geschäftsordnungsregeln außer Kraft gesetzt und die in Frage stehende Vorlage mit allen vom Antrag umfassten Änderungen verabschiedet49 . Andere Änderungsanträge sind unzulässigSo. Für die Debatte über die Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung und die Debatte über die eigentliche Sachfrage stehen insgesamt 40 Minuten zur Verfügung. Jeweils die Hälfte der Zeit entfällt auf Befürworter und Gegner der Maßnahme. Eine vorherige Verabschiedung der Vorlage durch einen Ausschuß ist nicht erforderlich, und das suspension-Verfahren macht Geschäftsordnungsanträge gegen die Vorlage oder ihre Beratung unzulässig. Nach den 40 Minuten wird mit einer Abstimmung gleichzeitig über die Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung und die Annahme des Gesetzes entschieden. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden MitgliedersI. House Rule XV, cl. 1 (a) geht auf das Jahr 1794 zurück. Die Regelung wurde in den 1820'er Jahren um das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit ergänzt. Nachdem ein entsprechender Antrag ursprünglich an jedem Sitzungstag zulässig gewesen war, wurde die suspension of the rules dann 1880 für fast ein Jahrhundert auf den ersten und dritten Montag eines Monats beschränkt. Im Zuge der Kongreßreforrnen der 1970' er Jahre wurde die Zulässigkeit eines Antrags auf suspension of the rules dann im 93. Kongreß auf den ersten und dritten Dienstag eines Monats und schließlich im 95. Kongreß auf jeden Montag und Dienstag ausgedehnt52 . Zwar war die zeitliche Zulässigkeitserweiterung der Anträge auf Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung in erster Linie Ausdruck des Bemühens der damaligen Demokratischen Mehrheit, das steigende Arbeitspensum des Repräsentantenhauses zu bewältigen. Doch bedeutet die stetige Zunahme der suspension-Anträge 53 zu49 Ursprünglich diente ein Antrag auf suspension of the rules nur dazu, die Geschäftsordnungsregeln aufzuheben, um eine andernfalls nicht zulässige Vorlage zu beraten, vgl. V Hinds' Precedents §§ 6852 f., später wurde es dann üblich, auch die Verabschiedung einer Vorlage unter der suspension ofthe rules zu beantragen, vgl. V Hinds' Precedents §§ 6846 f. 50 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5322, 5405, 6858. 51 Siehe zu den Wesensmerkmalen des suspension ofthe rules-Verfahrens insgesamt Bach, Suspension of the Rules in the House: Principal Features, CRS Report, S. I ff. sowie Oleszek, Congressional Procedures, S. 129 ff. und House Rule XV, cl. 1 (c). 52 Die Zulässigkeitsfrist der suspension ofthe rules am Ende einer session wurde im Jahre 1874 von zehn auf sechs Tage reduziert. Vgl. insgesamt zur Entwicklung der Regelung House Manual, § 885.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
gIeich auch einen Einfluß- bzw. Machtgewinn für den Sprecher. Denn - abgesehen von der zeitlichen Zulässigkeitsbeschränkung auf bestimmte Tage - steht die Zulässigkeit von Anträgen auf suspension of the rules vollständig im Ermessen des Speaker, der über sein Worterteilungsrecht steuern kann, welchen Anträgen er stattgibt54 • Gegen die Ablehnung der Worterteilung durch den Speaker ist kein Einspruch zulässig 55 . Da die Geschäftsordnung nicht bestimmt, welche Arten von Gesetzen im Wege der suspension of the rules verabschiedet werden können, steht es dem Sprecher frei, jedes Gesetz für dieses Verfahren zuzulassen. Der Sprecher kann das suspension of the rules-Verfahren insbesondere dazu einsetzen, um Gesetze im beschleunigten Verfahren durchzubringen, die im Interesse der jeweiligen Ausschußvorsitzenden und der Mehrheitsführung keinen Änderungs- und Geschäftsordnungsanträgen aus dem Plenum ausgesetzt werden sollen56. Etwaige Änderungsanträge sind nur in Verbindung mit dem Antrag auf Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung zulässig. Sie unterliegen damit neben dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit einem Zustimmungsvorbehalt des Sprechers, den dieser aufgrund seines Worterteilungsrechts auszuüben vermag. Daneben kann der Speaker, wenn er bestimmte Vorlagen in den letzten sechs Tagen einer Kongreßhalbzeit im Verfahren der suspension of the rules zuläßt, erreichen, daß Congressmen, die zuvor in einem solchen Verfahren gegen das Gesetz gestimmt hätten, weil sie keine Änderungsanträge hätten einbringen können, unter dem Druck der Stunde eher der Vorlage zustimmen, als daß sie gänzlich auf eine gesetzliche Regelung verzichten 57 . Das Ermessen des Sprechers bei der Zulassung von suspension of the ruIes-Anträgen ist allerdings in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Er wird grundsätzlich nur solche Anträge zulassen, die zuvor mit der Fraktionsführung abgestimmt worden sind58 . Darüber hinaus haben mittlerweile beide Fraktionen, die Demokraten seit 1979 und die Republikaner seit 1995, bindende Richtlinien für die Zulassung von Gesetzesvorlagen im Verfahren der suspension of the rules in ihre party rules 59 aufgenommen. Diese untersagen es dem Sprecher insbesondere, Gesetze im suspension of the rules-Verfahren zuzulassen, die eine Kostengrenze von 100.000.000 $ Vgl. Smith, Call to Order, S. 37 f.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 129 ff. Vgl. V Hinds' Precedents §§ 6791-6794; VIII Cannon's Precedents §§ 3402-3404; Deschler's Precedents Ch. 21 §§ 11.4-11.6; vgl. auch Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 24. 55 Vgl. 11 Hinds' Precedents § 1425. 56 Wegen der insbesondere in Bezug auf Debattenzeit und das Einbringen von Änderungsanträgen erheblich beschränkten Partizipationsmöglichkeiten der Minderheit unter den Bedingungen der suspension of the rules wurde die häufige Anwendung dieses Verfahrens von den Republikanern scharf kritisiert. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 130 f.; Smith, Call to Order, S. 37; siehe auch Drew, A Tendency to "Legislate", in: New Yorker v. 26.06.1978,S.80. 57 V gl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 132. 58 V gl. Brown, House Practice, S. 856. 59 Siehe 4. Kap. B. 11. und III. 53
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übersteigen 6o . Als weitere Beschränkung des suspension of the rules-Verfahrens ist der nur hier zulässige und gemäß Rouse Rule XVI, cl. 4 (a) (1) höchst privilegierte Antrag auf Vertagung (motion to adjourn) gemäß Rouse RuIe XV, cl. 1 (b) anzusehen, der zu einer Beendigung des laufenden suspension-Verfahrens führen kann. Festzuhalten bleibt schließlich, daß der Sprecher über die Zulassung von unanimous consent- und suspension of the ruIes-Anträgen aufgrund seines Worterteilungsrechts auf den Zeitplan des Repräsentantenhauses einwirken und das parlamentarische Verfahren steuern kann. 4. Der Corrections Calendar
Ein drittes beschleunigtes Verfahren, das dem Sprecher ein besonderes Maß an Ermessen einräumt, ist gemäß Rouse Rule XIII, cl. 1 (b) i.V.m. Rouse Ru1e XV, cl. 6 für die Gesetzesvorlagen des Corrections Calendar vorgesehen. Dieser auf Betreiben Sprecher Gingrichs 1995 im 104. Kongreß eingeführte Corrections Calendar, der anstelle des im Jahre 1909 geschaffenen Consent Calendar6J in die Geschäftsordnung aufgenommen wurde, sieht vereinfachte Verfahrensvoraussetzungen für die Berichtigung von überflüssigen, veralteten und kostspieligen gesetzlichen Regelungen vor62 . Der Zweck des Corrections Calendar ist ähnlich wie der des vormaligen Consent Calendar die Bereitstellung eines beschleunigten Verfahrens zur Verabschiedung unumstrittener Gesetzesvorlagen. Die Gesetzesentwürfe des Corrections Calendar können an jedem zweiten und vierten Dienstag eines Monats abgerufen werden. Sie müssen zuvor von einem Ausschuß verabschiedet und in den Union oder Rouse Calendar aufgenommen worden sein, bevor sie auf den Corrections CaIendar gesetzt werden. Dort müssen sie vor ihrer Beratung drei Sitzungstage plaziert gewesen sein. Die Debattenzeit für Vorlagen des Corrections Calendar beträgt insgesamt eine Stunde, jeweils zur Rälfte aufgeteilt auf Befürworter und Gegner des Entwurfs. Änderungsanträge können nur während dieser Zeit und auch nur von seiten des federführenden Ausschusses bzw. von dessen Vorsitzendem eingebracht werden. Für die Verabschiedung einer Vorlage des Corrections Calendar ist eine Dreifünftelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Abgeordneten erforderlich 63. Siehe Democratic Caucus Rule 38; Republican Conference Rule 28. Vgl. zum Consent Calendar House Manual, § 899. Spätestens seit dem 102. Kongreß griff das Haus anstelle des Consent Calendar auf unanimous consent-Anträge und das suspension of the rules-Verfahren zuriick, um unkontroverse, routinemäßige Vorlagen zu verabschieden, so daß der Consent Calendar überflüssig wurde. 62 Vgl. H. Res. 168, Congressional Record, 20. 06. 1995, S. 16574; insgesamt Oleszek, The House's Corrections Calendar, CRS Report, S. 1 ff.; ders., Congressional Procedures, S. 127; Nagle, Corrections Day, in: UCLA Law Review, April 1996, S. 1267 -1319; Babson, Rules Panel Reaches Agreement On Corrections Calendar, in: CQWR 53 (1995), S. l712; ferner Congressional Record, 20. 06. 1995, S. H6104. 63 Vgl. insgesamt House Rule XV, cl. 6. 60 61
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
House Rule XV, cl. 6 (a) sieht vor, daß dem Speaker nach Absprache mit dem Minority Leader die Entscheidung über die in den Corrections Calendar aufzunehmenden Gesetzesvorlagen obliegt. Der Forderung der Demokraten, dem Minority Leader ein Vetorecht hinsichtlich der in den Corrections Calendar aufzunehmenden Vorlagen einzuräumen, kamen die Republikaner unter Hinweis auf die Schwächung ihrer Führungsrolle nicht nach 64 . Eine formelle Definition der für den Corrections Calendar in Betracht kommenden Gesetzesentwürfe ist nicht vorhanden 65 . Allerdings hat die Corrections Day Advisory Group, die aus sieben vom Sprecher zu ernennenden Republikanern und fünf vom Minority Leader zu ernennenden Demokraten besteht und den Sprecher hinsichtlich der Aufnahme von Vorlagen in den Corrections Calendar berät, informelle Kriterien für ihre Empfehlungen an den Speaker entwickelt: "The guidelines we developed for the Corrections Day Advisory Committee say that a corrections bill should address laws and regulations that are ambiguous, arbitrary, or ludicrous. The bill should be noncontroversial and have broad bipartisan support,,66. Mangels eines verbindlichen Katalogs von Gesetzesmaterien, die für eine Aufnahme in den Corrections Calendar in Betracht kommen, entscheidet letztlich der Speaker nach seinem Ermessen, ob und welche Gesetzesvorlagen auf dem calendar plaziert werden67 . Wahrend im 104. Kongreß die damalige House Rule XIII, cl. 4 noch bestimmte, den Corrections Calendar unmittelbar nach dem Fahnengelöbnis (Pledge of Allegiance to the Flag)68 aufzurufen, und die Beratung der correctionsVorlagen nach der numerischen Reihenfolge ihrer Plazierung auf dem calendar zu erfolgen hatte, wurde im Jahre 1997 der Ermessensspielraum des Sprechers bei der Handhabung des Corrections Calendar nicht unerheblich erweitert. Seit der entsprechenden Geschäftsordnungsergänzung zu House Rule XV, cl. 6 (a) im 105. Kongreß steht es im freien Ermessen des Speaker, ob, wann und in welcher Reihenfolge er Vorlagen des calendar an einem Corrections day zur Beratung im Plenum abruft. Somit entscheidet allein der Sprecher darüber, welche der auf dem calendar plazierten Vorlagen an einem Corrections day verhandelt werden69 - wenngleich er in der Praxis dem jeweiligen Fraktionswillen Rechnung tragen wird. Der Zweck dieser Geschäftsordnungsänderungen bestand vor allem darin, "to permit 64 Babson, Rules Pane! Reaches Agreement On Corrections Calendar, in: CQWR 53 (1995), S. 1712. 65 Insbesondere enthält auch H. Res. 168, Congressional Record, 20. 06. 1995, S. 16574, die den Corrections Calendar eingeführt hat, keine Definition der unter den Bedingungen des Calendars zu beratenden Gesetze. 66 Congressional Record, 28. 11. 1995, S. H13675; vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 129. 67 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 17,24. 68 Gemäß House Rule XIV, cl. 1 handelt es sich beim Fahnengelöbnis um den - nach Gebet und Protokollgenehmigung - dritten Tagesordnungspunkt im regulären Geschäftsgang. 69 Vgl. House Manual, § 898; Oleszek, The House's Corrections Calendar, CRS Report, S.4.
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the Leadership, in working with committee chairmen, to have the maximum flexibility possible in scheduling both Corrections bills and Suspension bills on [Tuesday]"7o. Daneben wurde im 105. Kongreß eigens zur Unterstützung des Sprechers bei der Organisation des Corrections Calendar das Corrections Calendar Office eingerichtet. Es besteht aus fünf Mitarbeitern, die vom Speaker in Absprache mit dem Minority Leader ernannt werden 71. Wie sehr der 1995 eingeführte Corrections Calendar ein Instrument des damaligen Sprechers Gingrich war, wird daran deutlich, daß sein Nachfolger, Speaker Hastert, auf das beschleunigte parlamentarische Verfahren dieses calendar kaum mehr zurückgreift. IH. Der Speaker und das Rules Committee Scheduling Major Legislation 1. Das Verhältnis des Speaker zum Rules Committee
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat das Verhältnis zwischen dem Speaker und dem Rules Committee entscheidende Bedeutung für die institutionelle Machtverteilung im Repräsentantenhaus. Dem Geschäftsordnungsausschuß kommt eine um so mächtigere und unabhängigere Rolle zu, je geringer die Machtzentralisation in den Händen des Sprechers istn . Wenngleich das Verhältnis heute als kooperativ zu bezeichnen ist, so war dies nicht immer der Fall. Die Veränderungen des Verhältnisses zwischen Sprecher und Rules Committee im 20. Jahrhundert stehen im Zentrum der wichtigsten strukturellen Entwicklungen innerhalb des Repräsentantenhauses und haben bedeutende Auswirkungen auf die Gestaltung amerikanischer Politik erlangt73. Bereits seit dem ersten Kongreß 1789 jeweils vom Sprecher eingesetzt, fungierte das Rules Committee74 fast ein Jahrhundert lang lediglich als ad hoc-Ausschuß zur 70 71
1183.
Congressional Record, 07. 01. 1997, S. H14. Vgl. H. Res. 7, Congressional Record, 07. 01. 1997, S. H27; P.L. 105-55, 111 Stat.
72 V gl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 124; siehe Anhang H. 73 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 20 f. 74 Für eine eingehende Beschäftigung mit der Geschichte und der strategischen Rolle des Rules Committee sind die folgenden Arbeiten besonders hervorzuheben: House Committee on Rules, A History of the Committee on Rules, S. 1 ff. mit umfassender Bibliographie; Matsunaga! Chen, Rulemakers of the House, S. 1 ff.; Bach! Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 1 ff.; Oppenheimer, The Rules Committee: New Ann of Leadership in a Decentralized House, in: Dodd!Oppenheimer, Congress Reconsidered (1977), S. 96 ff.; Robinson, The House Rules Committee, S. 1 ff.; Atkinson, The Committee on Rules and the Overthrow of Speaker Cannon, S. 1 ff.; Bolling, The House Rules Committee, in: University of Missouri Business and Govemment Review 2 (1961), S. 37 ff.; ders., House out of Order, Kap. X, S. 195 ff.; Lapham, Party Leadership and the House Committee on
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Erarbeitung der Geschäftsordnungsregeln eines neuen Kongresses75 . Da bis 1841 die Geschäftsordnung des ersten Kongresses gewohnheitsmäßig von jedem neuen Kongreß übernommen wurde, war der Ausschuß bis zu diesem Zeitpunkt praktisch bedeutungslos76. Mit der Komplexität der Verfahrensregeln stieg auch die Bedeutung des Rules Committee. Im Jahre 1853 wurde dem Ausschuß für eine volle Sitzungsperiode (session) das Recht eingeräumt, seine Beschlüsse jederzeit vor das Haus bringen zu können77 . Diese Privilegierung der Ausschußberichte stellt bis heute eine der tragenden Säulen der herausgehobenen Stellung des Geschäftsordnungsausschusses dar. Im Jahre 1858 wurde der Sprecher Mitglied und Vorsitzender des Rules Committee78 , und 1880 wurde der Geschäftsordnungsausschuß dann als fünfköpfiger ständiger Ausschuß eingerichtet79 . Im Jahre 1883 unterstrich Speaker Cariisle (1883 - 1889) die besondere Bedeutung des Lenkungsausschusses als "masterful steering committee" der Mehrheitsfraktion durch die Ernennung der Vorsitzenden des Ways and Means und des Appropriations Committee, der zwei mächtigsten Ausschüsse des Repräsentantenhauses, zu Mitgliedern des Rules Committee. Unter Carlisle wurde der Lenkungsausschuß auch erstmals zur Ausarbeitung sog. "special orders" bzw. "special rules" eingesetzt8o . Hierbei handelt es sich um von der Geschäftsordnung abweichende Sonderverfahren zur VerabschieRules, S. I ff.; Dierenfield, Keeper of the Rules: Congressman Howard W. Smith of Virginia, S. 1 ff.; MacKaye, A New Coalition takes Control: The House Rules Committee Fight of 1961, S. 1 ff.; Cummingsl Peabody, The Decision to enlarge the Committee on Rules: An Analysis of the 1961 Vote, in: Peabody I Polsby, New Perspectives on the House of Representatives, S. 167 ff.; Peabody, The Enlarged Rules Committee, in: Peabody/Polsby, a. a. 0., S. 129 ff.; MacNeil, Forge of Democracy, S. 413 ff.; Price, Race, Religion and the Rules Committee: The Kennedy Aid-to-Education Bills, in: Westin, The Uses of Power: 7 Cases in American Politics, S. I ff.; Van Hollen, The House Committee on Rules (1933 -1951): Agent of Party and Agent of Opposition, S. 1 ff.; eine gute Übersicht der Entwicklung des Rules Committee findet sich in Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 456 f. sowie in Deschler's Precedents Ch. 17 § 52. 75 Vgl. House Manual, § 733; ferner Oleszek, Congressional Procedures, S. 135 ff.; Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 236. Seine Mitgliederzahl schwankte in der Frühphase des Kongresses zwischen drei und neun, vgl. auch insgesamt Deschler's Precedents Ch. 17 § 52. 76 Vgl. Robinson, The House Rules Committee, S. 59. Vom 15. bis zum 20. Kongreß (1817 -1828) - mit Ausnahme des 17. Kongresses (1821-1823) - ist der Ausschuß noch nicht einmal eingesetzt worden, vgl. Alexander; History and Procedure of the House of Representatives, S. 182; Deschler's Precedents Ch. 17 § 52. 77 Vgl. IV Hinds' Precedents 4650; ferner House Manual, § 857. 78 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4321. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte des Rules Committee auch den Überblick bei Tiefer; Congressional Practice, S. 253 ff., besonders S. 255, dort Fn.8. 79 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4321; VII Cannon's Precedents § 2047. 80 V gl. Congressional Quarterly, The Speaker of the House of Representatives, in: CQWR 19 (1961), S. 1847 ff. (1849 f.); House Committee on Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 103 f. Ferner Keller; Affairs of State, S. 301 f.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 389; Bryce, The American Commonwealth, vol. I, Kap. 13 -15, S. 124 ff.
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dung bestimmter Gesetzesvorlagen, die die zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen für eine Gesetzesberatung festlegen. Die special rules sind das bis heute wichtigste Instrument des Rules Committee zur Einwirkung auf das parlamentarische Verfahren 8 !. Schließlich wurde mit House Rule XI, cl. 45 aus dem Jahre 1890, die die Grundlage für die heutige Kompetenznorm des Rules Committee, House Rule X, cl. 1 (m), darstellte, formell festgesetzt, daß "all proposed action touching the rules, joint rules, and order of business shall be referred to the Committee on Rules,,82. Danach fällt die Ausarbeitung von Geschäftsordnungsänderungen bis heute in die Zuständigkeit des Rules Committee 83 . Von 1858 bis 1910 bestimmte der Sprecher unter Instrumentalisierung des Rules Committee den gesamten Geschäftsgang des Repräsentantenhauses und entschied aufgrund seines Worterteilungsrechts, welche Gesetzesvorlagen zur Beratung und Abstimmung im Plenum zugelassen wurden. Der Ausschuß hatte neben der periodischen Erarbeitung und Überarbeitung der Geschäftsordnung die Aufgabe, den alltäglichen Geschäftsgang des Hauses in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht festzulegen, d. h. er legte die Reihenfolge bzw. Priorität der einzelnen Beratungsgegenstände fest. Er bestand bis 1910 aus fünf vom Sprecher ernannten Mitgliedern, wobei der Sprecher mit den beiden Mitgliedern der Mehrheitsfraktion alle Entscheidungen fällte. Überdies sicherte sich der Sprecher über sein Ernennungsrecht eine seiner Politik zustimmende Haltung der anderen Ausschußmitglieder 84 . Die herausragende Machtstellung des Rules Committee hinsichtlich der Bestimmung des Gesetzgebungsprogramms wie des Geschäftsgangs des Repräsentantenhauses veranlaßte Woodrow Wilson zu einem Vergleich des Geschäftsordnungsausschusses mit einem "steering ministry, - without a ministry's public responsibility, and without a ministry's right to speak for both houses. It [the Rules Committee] is a private piece of party machinery within the single chamber for which it acts ... its action is allowed to govem the House ... it determines what shall, and what shall not, be undertaken,,85.
Nachdem bereits die Sprecher Reed (1889-1891, 1895-1899) und Crisp (1891-1895) die Machtstellung des Speaker nicht zuletzt durch ihre Position im Rules Committee ausgebaut hatten, war es schließlich Speaker Joseph G. Cannon (1903 - 1911), der die ihm und dem Rules Committee zustehenden Kompetenzen 81 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 3152, 3160; V Hinds' Precedents § 6870; Deschler's Precedents Ch. 17 § 52; siehe 5. Kap. B. IlI. 2. und 3. 82 Congressional Record, 06. 02. 1890, S. 1106 (proposal) und 14.02. 1890, S. 1347 (passage). 83 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 6770, 6776; VII Cannon's Precedents § 2047; Deschler's Precedents Ch. 17 § 52. Siehe zur weiteren Zuständigkeit des Rules Committee House Rule X, cl. 1 (m). 84 Vgl. Wilson, Congressional Govemment, Vorwort zur 15. Aufl., S. 21 sowie Oleszek, Congressional Procedures, S. 136; Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 21. 85 Wilson, Congressional Govemment, Vorwort zur 15. Aufl., S. 21.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
zugunsten eines autokratischen Regimes im Repräsentantenhaus mißbrauchte und geradezu willkürlich entschied, welche Gesetze zur Beratung im Plenum zugelassen wurden 86 . Nachdem die Einführung des Calendar Wednesday und des Consent Calendar im März 1909 keine weitreichende Beschränkung der Macht des Sprechers gebracht hatte, kam es ein Jahr später zur Revolte gegen die Amtsführung Speaker Cannons. Mit der Verabschiedung der Norris-Resolution am 19. 03. 1910 zerschlug das Repräsentantenhaus die organisatorische wie funktionelle Einheit zwischen dem Sprecher und dem Rules Committee 87 . Die Folgen dieser Veränderungen waren weitreichend. Da seit der Revolte im Jahre 1910 weder der Sprecher noch der Majority oder Minority Leader noch die Whips, also die gesamte politische Kongreßführung, nicht mehr im Rules Committee vertreten sind, verlor der Ausschuß für über ein halbes Jahrhundert seine Eigenschaft als primäres politisches Instrument des Sprechers und seiner Fraktion. Das Rules Committee wandelte sich in der Folgezeit zu einer unabhängigen politischen "Machtbastion" im Repräsentantenhaus 88 . Die funktionalen Beziehungen zwischen dem Rules Committee und der Mehrheitsfraktion wurden für lange Zeit, wie Steffani zutreffend ausführt, nicht mehr durch das Prinzip der Integration, sondern allenfalls durch das der Kooperation bestimmt. Diese Kooperation wird nicht zuletzt durch die Kompetenzverteilung der Geschäftsordnung erzwungen. Sie sieht vor, daß das Rules Committee zumindest für die major legislation durch die nur von ihm zu verabschiedenden special rules darüber entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen eine Vorlage im Plenum zur Beratung zugelassen wird. Die Entscheidung darüber, wann diese Vorlage tatsächlich auf der Tagesordnung des Repräsentantenhauses erscheint, verbleibt allein in der Kompetenz des Speaker, der sich in praxi mit der Fraktionsführung abspricht89 . Neben diese Unabhängigkeit, die sich unmittelbar aus der organisatorischen Trennung zwischen Sprecher und Rules Committee ergab, trat nach 1910 zusätzlich noch eine unterschiedliche politische Repräsentationsfunktion beider Institutionen. Denn seit der Revolte gegen Speaker Cannon repräsentierten Sprecher und Rules Committee de facto die zwei, keineswegs stets identischen Mehrheiten im Repräsentantenhaus: die Mehrheitsfraktion und die - fraktionsübergreifende Mehrheit im Haus. Bis 1910 war das Rules Committee, insbesondere unter "Czar" Cannon, ein Instrument der Mehrheitsfraktion, als deren Führer der Sprecher noch heute in erster Linie wahrgenommen wird. Danach entwickelte es sich - insbesondere unter dem Druck der conservative coalition - zu einem Instrument der jewei86 Vgl. Matsunaga/Chen, Rulemakers of the House, S. 37, die Speaker Cannon als "oneman Rules Committee" bezeichnen. 87 Siehe 3. Kap. C. H. 88 Vgl. zu den funktionalen Folgen der Revolte von 1910 insgesamt Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (595). 89 Siehe 4. Kap. A. III. 1. c) aa) sowie 5. Kap. B.
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ligen in ihrer Zusammensetzung wechselnden, fraktionsübergreifenden Mehrheit im Repräsentantenhaus 9o . Neben dem durch die Norris-Resolution sanktionierten Verlust der Einflußmöglichkeiten des Sprechers über das Rules Committee wurde dem Speaker schließlich im Demokratisch beherrschten Repräsentantenhaus des 62. Kongresses im Jahre 1911 die Kompetenz zur Ernennung der Ausschußmitglieder und -vorsitzenden der ständigen Ausschüsse entzogen und den vom Democratic Caucus gewählten Mitgliedern des Ways and Means Committee übertragen. Dies ist die bis heute einschneidendste Organisationsrefonn des Hauses91 • Die Entmachtung des Sprechers führte zu einer Verlagerung der Macht im Repräsentantenhaus vom Sprecher auf die ständigen Ausschüsse und ihre Vorsitzenden. Die Machtgrundlage der Ausschüsse und ihrer Vorsitzenden war von nun an das Senioritätsprinzip, das eine stabile Alternative zur vormaligen Ernennungspraxis durch den Sprecher darstellte 92 • Seine Auswirkungen kamen nirgends so deutlich zum Tragen wie im Rules Committee, wo es vor allem die Position des langjährigen Vorsitzenden, Howard W. Smith (1955-67), D-Va., stützte 93 . Dieser saß dem Ausschuß mit eiserner Hand vor, wobei er über eine Reihe von Steuerungsinstrumenten verfügte, wie etwa die Anberaumung von Ausschußsitzungen, die Kontrolle über die Tagesordnung, die Worterteilung im Ausschuß sowie das Zulassen von ausgedehnten Zeugenanhörungen während der committee hearings 94 . Smith betrachtete es als Aufgabe des Rules Committee, nicht lediglich die Beratungsreihenfolge der Gesetze im Plenum zu steuern, sondern auch den Inhalt und die Vorzüge der Gesetzesvorlagen zu überprüfen. Die Folge war, daß er häufig Maßnahmen nach seinem Dafürhalten blockierte oder begünstigte und damit bisweilen dem Mehrheitswillen des Hauses zuwider handelte 95 . Seine Macht wurde zeitweilig für größer als die des Sprechers gehalten 96 • Politisch gestützt wurde Smith von der conservative coalition aus Südstaatendemokraten und Republikanern, die seit Mitte der 1930'er Jahre das Rules Committee kontrollierte und zu deren Führern Smith zählte97 .
90 Vgl. Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (595). 91 Vgl. Brown, The Leadership of Congress, S. 175, der diesbzgl. von "the most radical reform that had yet been attempted in that body" spricht. 92 Siehe 3. Kap. C. 111. 93 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the Rouse of Representatives, CRS Report, S. 2l. 94 Vgl. Tiefer; Congressional Practice, S. 257. 95 Vgl. auch eingehend zum Führungsstil von Judge Srnith Jones, Joseph G. Cannon and Roward W. Smith: an essay on the limits of leaders hip in the Rouse of Representatives, in: McCubbinsl Sullivan, Congress: Structure and Policy, S. 273 ff. (274); Oleszek, Congressional Procedures, S. 136; ferner Peters, The American Speakership, S. ll7. 96 Vgl. Matsunaga/Chen, Rulemakers ofthe Rouse, S. 107.
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" ... [E]ffective agenda control rested in the hands of this coalition, when it chose to exereise it, over which the leaders of the majority party had no real control and only uncertain influence,,98.
Um die Obstruktionspolitik des Rules Committee und damit die Macht der conservative coalition zu brechen, setzten die liberalen Kräfte im Haus seit Ende der 1940'er Jahre eine Reihe von Geschäftsordnungsänderungen durch, die den Sprecher und die Mehrheitsfraktion stärkten. Zunächst wurde im Legislative Reorganization Act von 194699 das Verbot der Mitgliedschaft des Sprechers im Rules Committee aufgehoben. Allerdings hat seitdem kein Sprecher von der Mitgliedschaft in diesem Ausschuß Gebrauch gemacht lOO • Die folgemeichste Änderung wurde 1961 nach dramatischen Auseinandersetzungen im Repräsentantenhaus zwischen den liberalen Reformern um Speaker Rayburn und den Reformgegnern der conservative coalition unter Führung des Demokraten Howard W. Smith und des Republikaners Charles Halleck mit der Vergrößerung des Rules Committee verabschiedet lOl • Nachdem im Jahre 1911 ein 11. Mitglied ernannt worden war, umfaßte der Ausschuß mit Ausnahme der Jahre 1937 bis 1945 (14 Mitglieder) von 1917 bis 1961 12 Mitglieder 102 , von denen der Mehrheitsfraktion formell acht und der Minderheitsfraktion vier Sitze zustanden. Aufgrund der durch die parteiübergreifende conservative coalition bedingten Konstellation entsprachen die realen Mehrheitsverhältnisse im Rules Committee indes nicht der formellen Verteilung. "The consequence of this line-up was that the committee members split six to six on most major issues. It was a straight liberal-conservative split, with Smith and Colmer, Democrats, joining the four Republicans to create a deadlock,,103. Diese Pattsituation im Rules Committee hatte während des
97 Vgl. hierzu Steffani, Das "Rules Cornrnittee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (596 f.); Peters, The American Speakership, S. 136 ff. Siehe auch 3. Kap. C. III. 98 Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 21. 99 P.L. 79-610, 60 Stat. 812. 100 Vgl. Robinson, The House Rules Cornrnittee, S. 58. 101 V gl. zum Machtkampf zwischen dem liberalen Flügel und den Anhägern der konservativen Koalition sowie zum gesamten Prozeß der Ausschußerweiterung im einzelnen die Darstellungen bei Bolling, House out of Order, S. 203 - 220; Cummings/ Peabody, The Decision to enlarge the Cornmittee on Rules: An Analysis of the 1961 Vote, in: Peabody / Polsby, New Perspectives on the House of Representatives, S. 167 ff.; Robinson, The House Rules Comrnittee, S. 71 ff.; MacNeil, Forge of Democracy, S. 410 ff.; Matsunaga/Chen, Rulemakers of the House, S. 37 f.; Steffani, Das "Rules Cornmittee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (601 ff.) und Peters, The American Speakership, S. 137 f. 102 Vgl. Congressional Record, 04. 04.1911, S. 12 (proposal) und 05.04.1911, S. 80 (passage); Congressional Record, 02. 04. 1917, S. 111; ferner Übersicht bei Galloway, History of the House of Representatives, S. 180.
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84., 85. und 86. Kongresses dazu geführt, daß wichtige liberale Refonngesetze, darunter vor allem die Bürgerrechtsgesetzgebung, nicht zur Beschlußfassung ins Plenum gelangten 104. Um schließlich das sozialpolitische New Frontier-Gesetzgebungsprogramm Präsident Kennedys im 87. Kongreß nicht von der "konservativen Vetobastion"I05 des Rules Committee verhindert zu sehen, entschied sich die Repräsentantenhausführung, hier vor allem Speaker Rayburn, der hierin von Kennedy unterstützt wurde, zu einer geschäftsordnungsändernden Vergrößerung des Ausschusses von 12 auf 15 Mitglieder. Auf diese Weise sollte die strategisch-ideologische Mehrheit der conservative coalition im Ausschuß neutralisiert werden 106 • Im neuen Rules Committee mit nominell zehn Demokraten und fünf Republikanern stand einer Mehrheit von acht Liberalen eine Minderheit von sieben Konservativen gegenüber l07 . Am 31. 01. 1961 wurde diese zunächst auf den 87. Kongreß beschränkte Ausschußerweiterung mit knapper Mehrheit von 217 zu 212 Stimmen beschlossen, und am 09. 01. 1963 verabschiedete das Repräsentantenhaus die Erweiterung als Bestandteil der ständigen Geschäftsordnung mit weitaus deutlicherer Mehrheit von 235 zu 196 Stimmen 108 . Die Erweiterung des Rules Committee im Jahre 1961 weist in machtstruktureller Hinsicht Parallelen zur Hausrevolte gegen Speaker Cannon im Jahre 1910 auf. In 103 Bolling, House out of Order, S. 204. Vgl. auch iones, Joseph G. Cannon and Howard W. Smith: an essay on the limits of leadership in the House of Representatives, in: McCubbins / Sullivan, Congress: Structure and Policy, S. 273 ff. (277). 104 Der 86. Kongreß stellte in diesem Zusammenhang lediglich den Höhepunkt einer auf die späten 1930'er Jahren zurückgehenden Entwicklung dar. Lediglich in den beiden Republikanisch beherrschten Repräsentantenhäusem des 80. und 83. Kongresses unterstützte das Rules Committee die politischen Zielsetzungen der Mehrheitsfraktion. Im übrigen stellte sich der Ausschuß der liberalen Demokratischen Reformgesetzgebung der Präsidenten Roosevelt ("New Deal") und Truman ("Fair Deal") massiv entgegen. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 257 f., dort besonders Fn. 16 und 17. 105 Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (602). 106 Die besondere Bedeutung dieser scheinbar nebensächlichen Frage einer Ausschußerweiterung für das Verhältnis der beiden großen politischen Blöcke der Konservativen und der Liberalen und damit für die Politik der Vereinigten Staaten insgesamt unterstreichend MacNeil, The Forge ofDemocracy, S. 41l. 107 Mit Wirkung vom 03. Ol. 1975 waren alle Angaben über die Ausschußgröße aus der Geschäftsordnung gestrichen, vgl. H. Res. 988, Congressional Record, 08. 10. 1974, S. 34470. Vom 94. bis zum 98. Kongreß wählte das Haus auf der Grundlage der Nominierungen der Fraktionsvollversammlungen 16 Mitglieder in den Ausschuß, vgl. H. Res. 76, Congressional Record, 20. Ol. 1975, S. 803; H. Res. 101, Congressional Record, 28. Ol. 1975, S. 161l. Seit dem 99. Kongreß besteht der Ausschuß aus 13 Mitgliedern, davon sind seit dem 106. Kongreß neun Republikaner und vier Demokraten. Die Parteizusammensetzung des Rules Committee begünstigt die Mehrheitsfraktion traditionell überproportional, um die Mehrheitsherrschaft zu sichern. Vgl. House Manual, § 733. 108 Vgl. H. Res. 127, Congressional Record, 3l. Ol. 1961, S. 1589. Die Aufnahme der Ausschußerweiterung in die Geschäftsordnung erfolgte im 88. Kongreß. Vgl. H. Res. 5, Congressional Record, 09. Ol. 1963, S. 22.
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beiden Fällen war es über einen langen Zeitraum von nahezu einem halben Jahrhundert zu einer in ihren Auswirkungen auf die Steuerung des parlamentarischen Verfahrens vergleichbaren Machtzentralisation in einzelnen Institutionen des Repräsentantenhauses, dem Sprecher-Amt und dem Rules Committee bzw. dessen Vorsitzendem, gekommen. In bei den Fällen konnten die politischen Führer zunächst mit der Unterstützung entsprechender Mehrheiten \09 ihre jeweiligen Kompetenzen bis zur äußersten Grenze des demokratisch Vertretbaren ausschöpfen. In dem Moment jedoch, als diese Grenze überschritten wurde und die Akteure praktisch unabhängig von ihren strategischen Mehrheiten handelten und insoweit zuviel Macht besaßen, änderten sich die strategischen Mehrheiten. Das Repräsentantenhaus beschnitt im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie den jeweiligen Machtauswuchs und leitete damit eine Machtverlagerung ein. Vor allem aber beendete das Haus durch entsprechende Geschäftsordnungsänderungen den undemokratischen Dezisionismus und sicherte das freie Aushandeln von Kompromissen mit den politischen Führern. Insoweit stellen die Revolte von 1910 und die Erweiterung des Rules Committee von 1961 die wichtigsten Zäsuren der machtstrukturellen Entwicklung des Repräsentantenhauses im 20. Jahrhundert dar. Neben der Erweiterung des Rules Committee führte das Repräsentantenhaus im Jahre 1965 zum zweiten Mal in seiner Geschichte die sog. ,,21-Tage-Regel" ein. Hiernach konnten die Ausschüsse aus eigener Initiative den Aufruf ihrer Vorlagen im Plenum zur Abstimmung stellen, wenn das Rules Committee sie nicht innerhalb einer Frist von 21 Tagen mit einer den Zugang zum Plenum ermöglichenden special rule versehen hatte. Die erste, 1949 im 81. Kongreß eingeführte 21-Tage-Regel llO verpflichtete den Speaker, dem jeweiligen Ausschußvorsitzenden zum Zweck einer solchen AntragsteIlung das Wort zu erteilen. Sie wurde im Folgekongreß nicht übernommen. Die im 89. Kongreß des Jahres 1965 in die Geschäftsordnung aufgenommene 21-Tage-Regel 111 stellte es in das vollständige Ermessen des Sprechers, einem Mitglied des jeweiligen Ausschusses - und nicht etwa nur dem Vorsitzenden - für einen entsprechenden Antrag das Wort zu erteilen. Das Letztentscheidungsrecht darüber, ob, wann und welche Vorlagen auf diesem Wege unter Umgehung des Rules Committee zur Diskussion und Abstimmung ins Plenum gelangten, lag also beim Speaker, dessen Einfluß gegenüber dem Rules Committee wirksam gestärkt worden war. Allerdings wurde auch die 2l-Tage-Regel des 89. Kongresses 1967 nicht in die Geschäftsordnung übernommen 112 . 109 Vgl. insgesamt die Gegenüberstellung der politischen Führungen Cannons und Smiths bei Iones, Joseph G. Cannon and Howard W. Smith: an essay on the limits of leadership in the House of Representatives, in: McCubbinsl Sullivan, Congress: Structure and Policy, S. 273 ff. (278), der insoweit von "procedural majority" spricht, sowie a. a. 0., S. 281 f., zu den funktionellen Grenzen politischer Führung im Repräsentantenhaus. 110 H. Res. 5, Congressional Record, 03. 01. 1949, S. 10. 111 H. Res. 9, Congressional Record, 04. 01. 1965, S. 25. 112 Vgl. insgesamt zur ersten (1949) und zweiten (1965) 21-Tage-Regel Deschler's Precedents Ch. 17 § 52. Ferner Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentan-
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Im Jahre 1965 wurde schließlich eine weitere bedeutsame Geschäftsordnungsänderung vom Haus verabschiedet, die die Macht des Sprechers auf Kosten des Rules Comrnittee wesentlich stärkte. Bisher war es nur bei unanimous consent, unter suspension of the ruIes oder bei Vorhandensein einer special rule des Rules Comrnittee möglich gewesen, eine Gesetzesvorlage an einen Vermittlungsausschuß (conference comrnittee) zu überweisen. Auf der Grundlage der im 89. Kongreß angenommenen Geschäftsordnungsregel, die heute in House Rule XXII, cl. 1 verankert ist ll3 , kann der Speaker einem Abgeordneten das Wort für einen Antrag auf eine solche Überweisung erteilen, über den dann nur noch mit einfacher Mehrheit entschieden werden muß 1l4. Die dargestellten Geschäftsordnungsänderungen sowie das Ausscheiden seines langjährigen Vorsitzenden Smith aus dem Repräsentantenhaus im Jahre 1967 führten zu einer Schwächung der strategischen Machtstellung und zu einer Änderung der vormaligen konservativen "anti-administration nature"1l5 des Rules Committee. Gegen Ende der 1960'er und zu Beginn der 1970'er Jahre nahm der Ausschuß gegenüber der Repräsentantenhausführung eine betont kooperativere Haltung ein. Dieser Trend zunehmender Annäherung zwischen Rules Committee und Mehrheitsführung, der zugleich einen zunehmenden Verlust an Unabhängigkeit für den Ausschuß bedeutete, wurde im 93. Kongreß institutionell abgesichert. Neben den Abstimrnungsanweisungen des Democratic Caucus gegenüber den Demokratischen Mitgliedern des Rules Comrnittee, die erstmalig im Jahre 1974 von der Fraktionsvollversammlung beschlossen wurden, änderte der Democratic Caucus in diesem Jahr auch seine Fraktionssatzung hinsichtlich der Bestellung der Demokratischen Mitglieder und des Vorsitzenden des Rules Comrnittee 1l6. Seit Januar 1975 tenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (597 ff.), der darauf hinweist, daß der Sprecher auch bereits unter der ersten 21-Tage-Regel in praxi über einen Ennessenspielraum verfügt hat, vgl. hierzu a. a. 0., S. 600, dort Fn. 41. Im 92. Kongreß 1971 gelang es Speaker Albert, im Democratic Caucus eine der 1965'er Regelung vergleichbare 31-Tage-Regelung durchzusetzen, die dann aber vom Haus nicht angenommen wurde. Vgl. hierzu Matsunaga/Chen, Rulemakers of the House, S. 38 ff. sowie ferner Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 457. 113 Zu Einzelheiten der heutigen Regelung vgl. House Manual, §§ 1069, 1070. 114 Vgl. Steffani, Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (600) sowie Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 457. Siehe 5. Kap. D. I. 3. 1I5 Iones, Joseph G. Cannon and Howard W. Smith: an essay on the limits of leadership in the House of Representatives, in: McCubbins / Sullivan, Congress: Structure and Policy, S. 273 ff. (273); ferner Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 457, hier auch zu den die Stellung des Ausschußvorsitzenden schwächenden Änderungen der Ausschußregeln: Vorsitzender verliert Kompetenz zur Festlegung der Ausschußsitzungen, Scheitern einer Vorlage an Beschluß der Ausschußmehrheit gebunden, Begrenzungen der stellvertretenden Stimmabgabe (proxy voting). 1I6 Vgl. hierzu im einzelnen Matsunaga/Chen, Rulemakers of the House, S. 41 ff.; zur Refonnbewegung der 1970'er Jahre allgemein Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 455 ff. 19 Semmler
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ist ein Demokratischer Sprecher unter Zustimmungsvorbehalt des Caucus ermächtigt, alle Demokratischen Mitglieder des Rules Committee sowie dessen Vorsitzenden zu ernennen - und dementsprechend auch aus dem Ausschuß zu entlassen 117. Eine entsprechende Regelung nahmen die Republikaner im Jahre 1988 in ihre Fraktionssatzung auf lJ8 . Zwar kam das Democratie Committee on Committees, das vor dem 94. Kongreß formal für die Ernennung der Mitglieder und des Vorsitzenden des Rules Committee zuständig gewesen war, üblicherweise den informellen Empfehlungen des Speaker und des Majority Leader nach. Aber abgesehen von der Formalisierung des Ernennungsrechts des Sprechers liegt die Bedeutung der neuen Regelung darin, daß der Sprecher sein Ernennungsrecht bzw. seinen Einfluß auf die Ernennung nicht länger mit dem Majority Leader teilen muß l19 . Der Sprecher kann also sicherstellen, "that a working majority of the committee will be responsive to the party leadership's priorities and to its short-term agenda preferences and strategie interests" 120. Zwar kann er dem Rules Committee formell keine Entscheidungen vorschreiben, aber er kann bei der Besetzung des Ausschusses darauf hinwirken, daß die Mitglieder seine politischen Vorstellungen teilen und die Kompetenzen des Ausschusses darauf ausrichten. Spätestens seitdem dem Sprecher das Ernennungsrecht der seiner Fraktion angehörigen Mitglieder des Rules Committee im Jahre 1975 wiedereingeräumt worden ist, nimmt das Rules Committee wieder die von der Repräsentantenhausführung abhängige und in die Mehrheitsfraktion integrierte Rolle ein, die es bis 1910 innehatte: Das Rules Committee ist institutionell wieder der "arm of the majority party leadership" bzw. der "arm of the Speaker", "arranging the timing and design of special rules in ways that respond to the prevailing interests of the majority party as articulated by the Speaker"l21. "It [the Rules Committee] is the Speaker's own committee. Because the Speaker must represent his party and his political philosophy, the members of that committee more than any other committee of the Congress must subvert their own personal feelings in their approach to legislation,,122. 117 Vgl. Democratic Caucus Rules 15 und 22. A. 118 Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 137; Republican Conference Rule 12 B. 119 Vgl. Oppenheimer; Policy Implications of Rules Committee Reforms, in: Rieselbach, Legislative Reform, S. 91 ff. (92). 120 Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 22. 121 Bach/ Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 120, mit Betonung der untergeordneten Rolle des Rules Committee im Verhältnis zum Sprecher. V gl. ebenso Oppenheimer; The Rules Committee: New Arm of Leadership in a Decentralized House, in: Dodd/Oppenheimer, Congress Reconsidered (1977), S. 96 ff.; ders., The Changing Relationship Between House Leadership and the Committee on Rules, in: Mackaman, Understanding Congressional Leadership, S. 207 ff.; Sinclair; Majority Leadership in the U.S. House, S. 77 ff. 122 John Saylor, R-Pa., zitiert nach Matsunaga/Chen, Rulemakers of the House, S. 4. Der frühere Speaker John McCormack beschrieb die Rolle des Rules Committee mit den Worten:
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Heute wird das Rules Committee also weitgehend von den Regelungsempfehlungen des Speaker bestimmt 123 . Die Geschichte des Rules Committee zeichnet sich durch einen Wechsel von Phasen der Nähe und der Unabhängigkeit gegenüber dem Sprecher und der Mehrheitsführung aus. Es darf indes nicht übersehen werden, daß das Verhältnis zwischen Sprecher und Ausschuß auch vom persönlichen Führungsstil eines Speaker sowie vom persönlichen Verhältnis des Sprechers zu den Mitgliedern des Rules Committee, insbesondere zu seinem Vorsitzenden, abhängt I 24. So nahm etwa Speaker Albert im Gegensatz zu seinem Vorgänger McCormack einen aktiveren Einfluß auf die Entscheidungen des Rules Committee, wohingegen Speaker O'Neill die strategische Ausgestaltung der special rules an seinen Vertrauten, den Vorsitzenden des Rules Committee, Richard Bolling, delegierte und nur im Falle von fraktionsinternen Interessengegensätzen intervenierte. Durch eine vergleichbare Zurückhaltung gegenüber dem Rules Committee war auch Speaker Foleys Verhältnis zu diesem Ausschuß gekennzeichnet, während dessen Vorgänger, Speaker Wright, eine betont aktive Rolle bei der Formulierung von special rules einnahm 125. Eine besonders ausgeprägte Instrumentalisierung erfuhr das Rules Committee schließlich unter Speaker Gingrich. Auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Ausschuß und Speaker Gingrich antwortete ein Republikanisches Ausschußmitglied: "How much is the Rules Committee the handmaiden of the Speaker? The answer is, totally .. I26. Das Verhältnis Speaker Hasterts zum Rules Committee ist hingegen durch gleichberechtigte Zusammenarbeit gekennzeichnet. 2. Die strategische Rolle des Rules Committee
Bei den meisten Vorlagen der major legislation, also der wichtigen und gewöhnlich umstrittenen Gesetzgebung, führt der Weg nicht direkt von einem Ausschuß zu einem der calendars und von dort ins Plenum. Anders als die minor and noncon"The Rules Comrnittee is the political ann of the Speaker in enabling the House to consider and enact legislation reported by other comrnittees of the House." Speaker Carl Albert vertrat eine ähnliche Auffassung: "The Rules Committee is the Speaker's comrnittee, not merely a traffic-cop or staff function. It is the manifestation of division of labor." Zitiert nach Matsunaga/Chen, a. a. 0., S. 3. 123 Vgl. Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 190. 124 Vgl. Bach/ Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 123. 125 Vgl. zu aB dem Bach/Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 121 ff. m. w. N. sowie Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 457; ferner zu den Sprechern O'Neill und Wright vgl. Smith, CaB to Order, S. 78 f. 126 Congressman Porter Goss, R-Fla., zitiert nach Rosenbaum, Big Hurdle for the Tax Bill: the "Rule", in: New York Times v. 02. 04. 1995, S. 20; vgl. ferner Aldrich/Rohde, The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Pol. Sc. Quart. 112 (1997), S. 541 ff. (555 f.). 19*
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troversial 1egislation können sie wegen ihrer besonderen Bedeutung und Komplexität grundsätzlich nicht im Wege der vereinfachten parlamentarischen Verfahren (unanimous consent, suspension of the rules, Corrections Calendar) im Plenum behandelt werden. Vielmehr unterliegen diese Gesetzesentwürfe einer besonderen Prüfung durch das Rules Committee 127 . Den größten Teil dieser major legislation bilden die public bills. Sie werden in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Verabschiedung in den Ausschüssen auf den Union und den House Calendar gesetzt. In den Union Calendar, dessen förmliche Bezeichnung "Calendar of the Comrnittee of the Whole House on the state of the Union" ist, werden alle Steuergesetze sowie Ausgabenermächtigungs- (authorization bills) und Ausgabenbewilligungsgesetze (appropriation bills), d. h. grundsätzlich alle direkt oder indirekt Geld und Eigentum betreffenden Gesetzesvorlagen, aufgenommen 128. Die übrigen, Verwaltungs- und Verfahrensfragen betreffenden public bills finden Eingang in den House Calendar 129 . Wenn diese Vorlagen in der Reihenfolge ihrer zeitlichen Aufnahme in die beiden calendars zur Beratung im Plenum aufgerufen werden würden, wie es im frühen 19. Jahrhundert der Fall war, könnten viele wichtige Vorlagen nicht innerhalb einer Legislaturperiode beraten und verabschiedet werden 130. Die Aufgabe des Rules Committee ist es, den einzelnen Vorlagen nach inhaltlicher Durchsicht einen bestimmten Prioritätsrang in Form der special rules bzw. special orders zuzuweisen. Aufgrund des großen Arbeitspensums des Repräsentantenhauses ist die Privilegierung einer Vorlage praktisch zwingende Voraussetzung für ihre Behandlung im Plenum 13l . Denn mit Ausnahme der mit der Sitzungseröffnung einhergehenden Tagesordnungspunkte stellt sich nahezu der gesamte Geschäftsgang des Hauses als Unterbrechung bzw. Abweichung von dem in House Rule XIV, cl. I statuierten regulären parlamentarischen Geschäftsgang dar 132 . Die einzelnen Vorlagen können auf drei Arten für die Behandlung im Plenum privilegiert werden: durch die Geschäftsordnung des Hauses 133 , durch unanimous consent sowie durch die Verabschiedung einer special rule des Rules Committee durch das Repräsentantenhaus. Neben der Bestimmung des Prioritätsranges einer Vorlage kommt den special rules noch eine zweite wesentliche Funktion zu. Sie legen den zeitlichen Umfang Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 135. Vgl. House Rule XIII, cl. I (a) (1). 129 Vgl. House Rule XIII, cl. I (a) (2). Siehe 1. Kap. G. IV. 130 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 138. 131 Mit Plenum ist an dieser Stelle das Committee of the Whole gemeint, in dem sich der amending und debating process der major 1egislation vollzieht. 132 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 13. 133 Hierunter fallen die Privilegierungen nach House Rule XIII, cl. 5 (a) sowie die an bestimmten Tagen privilegierten Sonderverfahrensarten des Calendar Wednesday, Discharge Calendar, Corrections Calendar, Private Calendar und der Distriet of Columbia Legislation sowie das suspension of the rules-Verfahren. Siehe I. Kap. G. IV. 127 128
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der Beratungszeit sowie die Bedingungen der inhaltlichen Abänderbarkeit bzw. Ergänzbarkeit einer Vorlage im Plenum fest. Sie bestimmen also konkret, ob und welche Änderungsvorschläge (amendments) zugelassen werden 134. Ohne diese Festlegung der zeitlichen und inhaltlichen Beratungsbedingungen für die Gesetzesvorlagen seitens des Rules Committee müßten die äußerst komplizierten Verfahrensweisen der Geschäftsordnung angewandt werden, die einzelnen Congressmen wie Minderheitsgruppen eine Fülle dilatorischer Einwirkungsmöglichkeiten auf den parlamentarischen Prozeß einräumen 135. Bei der Komplexität der heutigen Gesetzgebung würde dies in den allermeisten Fällen zum Scheitern der Vorlagen führen. Die special rules des Rules Committee sind grundsätzlich die notwendige Voraussetzung für die Behandlung der major legislation im Plenum. Aufgrund seiner Befugnis, die Gesetzesvorlagen mittels der special rules durch den Gesetzgebungsprozeß im Plenum zu lenken, wird das Rules Committee auch als Lenkungsausschuß bezeichnet, und insofern kommt ihm unter den ständigen Ausschüssen des Repräsentantenhauses eine Schlüsselstellung zu. Nach Rouse Rule X, cl. 1 (m) fällt die Ausgestaltung und das Vorschlagsrecht der special rules allein in die Zuständigkeit des Lenkungsausschusses. Das Ausschußverfahren des Rules Committee zur Erarbeitung einer special rule unterscheidet sich nicht von dem anderer Ausschüsse. Auf schriftliches Ersuchen des Vorsitzenden eines anderen Fachausschusses an den Vorsitzenden des Rules Committee, eine den Zugang zum Plenum eröffnende special rule für den jeweiligen Entwurf vorzuschlagen, hält das Rules Committee ein hearing zu der betreffenden Vorlage ab, in dem die mit der Erarbeitung der Vorlage befaßten Abgeordneten angehört werden. Diese Anhörung dient den Mitgliedern des Rules Committee dazu, sich ein Bild von dem Inhalt, dem Umfang und der Wichtigkeit der Vorlage zu machen. Da den jeweiligen Bill Managers der die Vorlage bearbeitenden Ausschüsse im Rahmen der Anhörung im Rules Committee zum ersten Mal die Gelegenheit gegeben wird, ihr Gesetz außerhalb der engen Grenzen des eigenen (Unter-)Ausschusses und vor der Behandlung im Plenum anderen Abgeordneten zu präsentieren, spricht Oppenheimer in diesem Zusammenhang auch von der "dress rehearsal"Rolle des Rules Committee. Daneben nehmen einzelne Mitglieder dieses Ausschusses nach Oppenheimer eine "fie1d commander"-Rolle ein: Sie informieren die Mehrheitsführung mit Blick auf die anstehenden Gesetzesvorhaben darüber, welche Probleme sich bei bestimmten Gesetzesvorlagen abzeichnen, ob ein zeitlicher Aufschub oder eine Neufassung des Entwurfs erforderlich ist und ob noch Koordinationsbedarf mit anderen Fachausschüssen besteht 136 • Im Anschluß an die Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 139. Steffani spricht in diesem Zusammenhang von den special rules wenig konkret als "Spezialbehandlung", ders., Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (591). 136 Vgl. Oppenheimer, The Changing Relationship Between House Leadership and the Committee on Rules, in: Mackaman, Understanding Congressional Leadership, S. 207 ff. (216 ff.); ferner die Übersicht der Funktionen des Rules Committee bei Tiefer, Congressional 134 135
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Anhörungen konzipieren die Mitglieder des Rules Committee die special rule und verabschieden sie in Gestalt eines Ausschußberichts. Diese special rule wird dann im allgemeinen als gemäß House Rule XIII, cl. 5 (a) (4) privilegierte simple resolution J37 ins Repräsentantenhaus eingebracht, kann dort bis zu einer Stunde Beratungszeit einnehmen und auch abgeändert werden und muß letztlich mit Mehrheitsentscheid 138 verabschiedet werden, um Geltungskraft zu erlangen. Die in das Repräsentantenhaus eingebrachten public bills stellen nach Bach zunächst eine "possible agenda" und nach Verabschiedung durch die Ausschüsse und Aufnahme in den Union und House Calendar eine immer noch umfangreiche "potential agenda" des Repräsentantenhauses dar. Aufgabe des Rules Committee ist es, die zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen (special rules) für die Umwandlung dieser Vorlagen in eine kleinere "prospective agenda" auszuarbeiten. Nach der Annahme dieser Bedingungen durch das Repräsentantenhaus obliegt es dem Sprecher, diese "prospective agenda" durch entsprechende Terminierung der eigentlichen Tagesordnung in eine "actual agenda" umzuwandeln l39 . Während der Sprecher in den Fällen der minor and noncontroversial legislation im Wege der vereinfachten Gesetzgebungsverfahren (unanimous consent, suspension of the rules, Corrections Calendar) die Umwandlung der umfangreichen potential agenda in die kleinere prospective agenda und schließlich in die actual agenda selbst, unmittelbar und abschließend vornimmt, ist sein Einfluß bei den unter einer special rule im Plenum zu behandelnden wichtigen Gesetzen nur mittelbar. In diesen Fällen stehen ihm zwei Instrumente zur Verfügung. Zum einen kann er über seine Kompetenz zur Festlegung der Tagesordnung die Beratung der in Form einer simple resolution zu verabschiedenden special rule im Plenum sowie die Behandlung der eigentlichen Vorlage, für die das Haus mit Mehrheit eine special rule angenommen hat, terminieren. Sehr groß ist sein Gestaltungsraum hier nicht. Denn es handelt sich bei den als special rules ergehenden Ausschußberichten des Rules Committee um grundsätzlich gemäß House Rule XIII, cl. 5 (a) (4) für die Plenarberatung privilegierte Gegenstände. Ihre Behandlung durch das Haus kann von einem Mitglied des Lenkungsausschusses gemäß House Rule XIII, cl. 6 (d) innerhalb von sieben Sitzungstagen nach Verabschiedung durch das Rules Committee und Aufnahme in den jeweiligen Practice, S. 263, nach dem die Mitglieder des Rules Comrnittee als "important intelligence network" fungieren, a. a. 0., S. 281. 137 Vgl. auch House Rule XIII, cl. 6, wonach sie indes grundsätzlich nicht noch am Tag ihrer Einbringung vom Haus verabschiedet werden darf. Die special rules werden vorn regulären Plenum des Hauses verabschiedet, nicht vorn Committee of the Whole. Vgl. zu den Grenzen der Privilegierung Deschler's Precedents Ch. 17 § 55; ferner House Manual, § 857 sowie die Darstellung des Verfahrens der Entstehung einer special rule bei Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 150 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 276 ff.; Bach/ Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 6 ff. sowie bei Oleszek, Congressional Procedures, S. 138, zur Annahme durch das Haus, S. 150 f. 138 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 17 §§ 57.4, 57.5. 139 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 12.
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calendar erzwungen werden. Der Sprecher muß in diesem Fall dem Abgeordneten das Wort für einen entsprechenden Antrag erteilen. Zum anderen kann der Sprecher seinen politischen Einfluß über die von ihm ernannten, der Mehrheitsfraktion angehörenden Mitglieder des Rules Committee geltend machen 140. Insgesamt gilt, daß der Sprecher mit Blick auf die major legislation nicht über eine uneingeschränkte power of scheduling verfügt. Er muß sie vielmehr mit dem Rules Committee teilen. Diese Machtteilung findet ihren sinnfälligsten Ausdruck in der unabhängigen Vetogewalt beider Akteure in Bezug auf die Steuerung der vor das Plenum gelangenden Vorlagen 141. Die funktionale Besonderheit des Rules Committee im Vergleich zu anderen Ausschüssen gründet in seinem ausschließlichen Recht, dem Haus special rules, also "Sonderbedingungen", für die parlamentarische Behandlung von Gesetzesentwürfen vorzuschlagen. Dies bedeutet nicht, daß das Rules Committee in jedem Fall verpflichtet ist, umgehend eine special rule zu gewähren. Es kann vielmehr die für eine Behandlung im Plenum erforderliche special rule verzögern oder gar verweigern und einer Vorlage insoweit den Zugang zum Plenum verwehren l42 . Weigert sich der Ausschuß, eine erbetene special rule zu gewähren, kann eine Vorlage im allgemeinen nur im Wege der aufgrund ihrer Anwendungsvoraussetzungen wenig erfolgversprechenden Verfahren suspension of the rules (Zweidrittelmehrheit), Corrections Calendar (grundsätzlich nur minor and noncontroversial legislation), Calendar Wednesday (zeitliche Begrenzung der Vorlagenbehandlung auf denselben Tag) und discharge petition (Mehrheitsentscheid für eine aus der Mitte des Plenums einzubringende special rule) in das Plenum gelangen l43 . Vor diesem Hintergrund hinkt der in der amerikanischen politikwissenschaftlichen Literatur immer wieder auftretende Vergleich des Rules Committee mit einem "traffic cop" 144 des Repräsentantenhauses, der den Fluß von Gesetzesvorlagen 140 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 24 f.; Smith, Call to Order, S. 78; Bach/Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 124. 141 Vgl. Cox/McCubbins, Legislative Leviathan, Party Government in the House, S. 240: "independent power to veto"; Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 20: "negative agenda control". 142 Seit Mitte der 1970'er Jahre läßt das Rules Committee aufgrund seiner verstärkten Anbindung an den Sprecher und die Mehrheitsfraktion Gesetzesvorlagen indes nur in seltenen Fällen durch Verweigerung einer special rule scheitern. In diesen Fällen handelt es sich üblicherweise um Gesetze, die innerhalb der Mehrheitsfraktion heftig umstritten sind. Vgl. auch zu Beispielen Tiefer, Congressional Practice, S. 264 ff.; Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 20. 143 Vgl. House Rule XV, cl. 1,2,6,7. 144 Vgl. etwa Oppenheimer, The Changing Relationship Between House Leadership and the Committee on Rules, in: Mackaman, Understanding Congressional Leadership, S. 207 ff. (216 ff.); Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 99; Oleszek, Congressional Procedures, S. 138; insgesamt Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 20.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
zum Plenum steuert. Denn ein Verkehrspolizist kann zwar entscheiden, wann ein Fahrzeug eine Straße passieren kann, aber nicht, ob es überhaupt passieren darf, solange sein Fahrer die Verkehrsregeln einhält. Das Rules Committee hingegen kann neben einer inhaltlichen und zeitlichen Steuerung des Gesetzgebungsverfahrens im Plenum einer bestimmten Vorlage den Weg dorthin auch blockieren, wenn es der Ansicht ist, daß sie keine weitergehende Behandlung verdient 145 . Das Rules Committee verfügt aber auch über eine Kompetenz zur Bewirkung des Gegenteils. Seit einem Präzedenzfall aus dem Jahre 1895 ermächtigt die sog. "power of extraction" das Rules Committee, selbst Gesetzesvorlagen, die nicht vom entsprechenden Fachausschuß verabschiedet wurden und damit grundsätzlich gescheitert sind, über eine special rule den Weg ins Plenum zu öffnen, damit sie dort verabschiedet werden können 146 . Allerdings liegt es nicht in der Kompetenz des Rules Comrnittee, die von ihm verabschiedeten zeitlichen und inhaltlichen Verhandlungsbedingungen letztverbindlich durchzusetzen. Denn bei den special rules handelt es sich lediglich um Empfehlungen des Ausschusses, deren parlamentsrechtliche Geltungskraft von einem Mehrheitsentscheid des Hauses abhängig ist, dem insoweit ebenfalls eine "negative agenda control" zukommt 147 . Allerdings kommt es nur sehr selten zur Ablehnung einer special rule durch die Hausmehrheit. Dies ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Erstens sind die alternativen Verfahrensarten wie bereits erwähnt in den Fällen der major legislation nicht erfolgversprechend. Zweitens erfolgt die Ausgestaltung der special rules durch das Rules Comrnittee mit Rücksicht auf die Belange der Hausmehrheit hinsichtlich der Debattenzeit und der Zulässigkeit von Änderungsanträgen. Drittens herrscht innerhalb der Mehrheitsfraktion die Erwartung, daß die Abgeordneten die "Sonderbedingungen" des Lenkungsausschusses unterstützen. Denn ein abweichendes Verhalten kann Auswirkungen auf kommende Ausschußnominierungen der Abgeordneten haben. Das Scheitern einer special rule im Plenum wird schließlich - viertens - auch als Affront gegenüber dem Sprecher und dem Rules Comrnittee gewertet 148. Damit liegt zwar in normativer Hinsicht die Sanktionierung von special rules in der Kompetenz des Repräsentantenhauses. Die politische Macht über die Gegenstände dieser Sanktionierung, also Vergabe und inhaltliche Ausgestaltung der special rules, liegt hingegen beim Lenkungsausschuß, der seinerseits dem Einfluß des Sprechers untersteht. Daraus folgt,
145 In diesem Zusammenhang spricht Steffani vom Rules Committee als dem "machtvollen Zerberus vor dem Tore des Hauses", ders., Das "Rules Committee" des amerikanischen Repräsentantenhauses: Eine Machtbastion, in: PVS 8 (1967), S. 585 ff. (593). 146 Vgl. VIII Cannon's Precedents § 3389; ferner Oleszek, Congressional Procedures, S. 153 f. 147 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 20. 148 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 151; Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 23.
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daß die strukturelle Macht des Rules Committee in erster Linie auf seiner negative agenda control gegenüber Gesetzesvorlagen der major legislation basiert. Die Vetogewalt des Speaker ist demgegenüber in diesen Fällen eine nur mittelbare. Er kann lediglich im Rahmen seiner Kompetenz zur Überführung der potential agenda in die prospective und actual agenda durch die Aufstellung der Tagesordnung Einfluß auf die Terminierung der Vorlagen nehmen. Ebensowenig wie er wegen House Rule XIII, cl. 6 (d) eine Gesetzesvorlage dadurch zum Scheitern bringen kann, daß er die vom Rules Committee hierfür beschlossene special rule nicht zur Verhandlung im Plenum terminiert 149 , kann er die Aufnahme der eigentlichen Gesetzesvorlage in die Tagesordnung verweigern, wenn das Haus hierfür eine special rule verabschiedet hat. Denn insoweit untersteht der Sprecher dem Mehrheitswillen des Hauses. Allerdings kann das Verzögern der Aufnahme einer Vorlage in die Tagesordnung bzw. eine strategische Plazierung einer Vorlage an das Ende einer Legislaturperiode dazu führen, daß das Gesetz wegen veränderter politischer Umstände oder aus ZeitgTÜnden gar nicht mehr verabschiedet werden kann 150. Dies führt zu dem Ergebnis, daß der Sprecher im vereinfachten parlamentarischen Verfahren (unanimous consent, suspension of the rules, Corrections Calendar) zur Behandlung von minor and noncontroversial legislation mittels seiner power of recognition eine unmittelbare, einheitliche, in seinem Ermessen stehende agenda control ausüben kann. Seiner power of scheduling sind in diesem Fall nahezu keine Grenzen gesetzt. Bei der major legislation teilt sich die power of scheduling auf den Speaker und das Rules Committee auf. Der Sprecher verfügt hier nur über eine mittelbare Veto gewalt. Folglich ist seine power of scheduling bei der minor and noncontroversial legislation weitreichender als bei der major legislation. Bestätigung findet diese These in einer Äußerung des Abgeordneten Clement W. Miller, D-Calif.: "Particularly for lesser legislation (which may be the life-blood of individual congressmen) the chasm between the standing committee and the House floor is bridged with the unchaJlenged power of the Speaker,,151.
Diese Darstellung der strukturellen Machtverteilung zwischen dem Sprecher und dem Rules Committee darf indes nicht isoliert von den politischen Machtmechanismen betrachtet werden. In politischer Hinsicht liegt die Letztentscheidung über das scheduling beim Speaker 152 . Zwar kann das Rules Committee einerseits im Gegensatz zur gewählten Fraktionsführung als weniger zuverlässiger Agent der 149 V gl. Tiefer, Congressional Practice, S. 283. 150 V gl. Matsunaga/ ehen, Rulemakers of the House, S. 49. Siehe 5. Kap. B. 151 Miller, Member of the House, S. 44. Ebenso Peabody, Leadership in Congress: Stability, Succession, and Change, S. 44: "The ability to help members overcome the gap between the standing committees and the floor is one of the most important resources of power available to the majority leadership. " 152 Vgl. Peabody, Leadership in Congress: Stability, Succession, and Change, S. 44.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
politischen Interessen der Mehrheitsfraktion betrachtet werden, weil es aus Abgeordneten beider Fraktionen zusammengesetzt ist. Doch sichert andererseits die überproportionale Sitzmehrheit der Mehrheitsfraktion im Ausschuß verbunden mit dem Einfluß des Sprechers über die Vergabe der Ausschußposten die Instrumentalisierung des Rules Committee als"arm ofthe leadership .. 153. Aufgrund dieser engen politischen Anbindung des Ausschusses an den Sprecher kommt es nicht selten zu regelrechten Anweisungen an das Rules Committee durch den Speaker, bestimmten partei politisch unliebsamen Gesetzesvorlagen oder Änderungsanträgen den Zugang zum Plenum zu versagen 154 oder die Verabschiedung parteipolitisch gewünschter Gesetze zu beschleunigen 155. Als Mittel zur Durchsetzung dieser "politischen Rückendeckung" des gesetzgeberischen Programms der Mehrheitsfraktion stehen dem Rules Committee die verschiedenen Arten der special rules zur Verfügung l56 . 3. Die Funktion und Arten der Special Rules Die vom Rules Committee unter politischer Einflußnahme der Mehrheitsfraktionsführung, besonders des Speaker, ausgestalteten special rules sind das strategische Instrument zur parteipolitischen Agenda-Steuerung I57 . Special rules sind nach einer funktionalen Definition "powerful devices that can be used to focus attention and debate on the critical choices, to save time and prevent obstruction and delay, and sometimes to structure the choices members confront on the floor so as to advantage some outcomes over others,,158.
Von besonderer Bedeutung ist die Vorgabe klarer Entscheidungsaltemativen. Diese dienen sowohl der Erreichung kollektiver Ziele der Mehrheitsfraktion als auch den individuellen Interessen der einzelnen Congressmen. In kollektiver Hinsicht kann der spezielle inhaltliche Zuschnitt von Abstimmungsgegenständen durch das Verbot bestimmter Änderungsanträge dazu führen, daß Abgeordnete um 153 Vgl. Cox/ McCubbins. Legislative Leviathan, Party Govemment in the House, S. 240 f.; siehe 5. Kap. B. III. l. 154 So hat etwa Speaker Gingrich das Rules Committee angewiesen, keine Änderungsanträge auf Aufnahme von Abtreibungsvorschriften in ein Sozialhilfereformgesetz zuzulassen, vgl. Rosenbaum. Big Hurdle for the Tax Bill: the "Rule", in: New York Times v. 02. 04. 1995, S.20. 155 Vgl. Loewenstein. Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S.192. 156 Vgl. insgesamt Oleszek. Congressional Procedures, S. 139. 157 Vgl. Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 158 ff.; Bach/Smith. Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 11. Zur strategischen Ausgestaltung der special rules siehe Sinclair; House Special Rules and the Institutional Design Controversy, in: LSQ 19 (1994), S. 477 ff. 158 Sinclair; Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 144.
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der Durchsetzung eines Gesetzesziels willen unter Verzicht auf inhaltliche Änderungen die von der Fraktionsführung vorgegebene, im kollektiven Interesse der Mehrheitsfraktion stehende Entscheidungsalternative zu stimmen gezwungen sind. In individueller Hinsicht dienen special rules vor allem der Reduzierung von Verfahrensunsicherheit l59 . ledwede Beschränkung von Änderungsanträgen dient insofern der Reduzierung von Verfahrensunsicherheit, als sich Befürworter einer Vorlage auf diese konzentrieren und ihre Strategie gezielt darauf ausrichten können, ohne durch bestimmte Änderungsanträge überrascht zu werden. Die dem Rules Committee in Kooperation mit dem Sprecher obliegende politische Ausgestaltung der special rules zielt also auf Durchsetzung des legislativen Programms der Mehrheitsfraktion unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Interessen der einzelnen Abgeordneten 160.
fü.r
Bei der Ausgestaltung der special rules werden traditionell drei Grundformen unterschieden: open rules, c10sed rules und modified rules. Allen drei Typen ist die genaue Begrenzung der Debattenzeit sowie die Festlegung der Redner gemein. Sie unterscheiden sich lediglich im Hinblick auf die Zulässigkeit von Änderungsanträgen. Zu diesen drei Grundformen tritt noch ein vierter Typ der special rules hinzu, die waiver rule. Sie steht nicht selbständig neben einer open, c10sed oder modified rule, sondern bildet einen Bestandteil einer der drei Grundformen. Bei einer mit einer open rule versehenen Gesetzesvorlage ist jeder mit der Vorlage sachlich verbundene (germane) Änderungsantrag im Plenum zulässig. Es spielt keine Rolle, ob ein solcher Antrag lediglich marginale Änderungen einer Vorlage zum Gegenstand hat oder ganze Abschnitte eines Gesetzesentwurfs neu schreibt. Eine open rule setzt der inhaltlichen Abänderbarkeit einer Vorlage zwar unmittelbar keine Grenzen. Da sie aber wie die c10sed und modified rules den Zeitrahmen für die Behandlung einer Vorlage im Plenum festlegt, beschränkt sie mittelbar auch deren inhaltliche Abänderbarkeit. Den Gegensatz zu den open rules bilden die c10sed rules. Eine c10sed rule, auch als sog. "gag" rule bezeichnet, verbietet grundsätzlich jeden Änderungsantrag im Plenum. Allerdings werden solche absoluten c10sed rules nur äußerst selten vom Rules Committee verabschiedet. Vielmehr verbieten c10sed rules nur solche Änderungsanträge, die nicht von einem der für die Vorlage zuständigen Fachausschüsse eingebracht werden.
159 Es ist eine der Hauptthesen der von Bach und Smith 1988 vorgelegten eingehenden Untersuchung zu Einsatz und Funktion der special rules, daß diese nicht nur parteistrategischen Zielen, sondern insgesamt der Reduzierung von Verfahrensunsicherheit im Post-Reform-Repräsentantenhaus seit den 1970'er Jahren mit seiner dezentralisierten Machtstruktur dienen, vgl. Bach / Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. I ff. 160 Vgl. zum Ganzen Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 145, 162; ferner Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 29 f.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Eine dritte, gewissermaßen die anderen beiden Grundformen verbindende Kategorie bilden die modified rules, von denen es zwei Unterarten gibt. Eine. modified open rule bestimmt, daß eine Vorlage mit Ausnahme eines bestimmten Abschnitts insgesamt offen für Änderungsanträge ist. Eine modified closed rule legt hingegen die gesamte Vorlage als grundsätzlich unabänderbar fest und läßt Änderungsanträge nur für einen bestimmten Teil des Gesetzes zu. Sie kann darüber hinaus die zulässigen Änderungsanträge im voraus festlegen sowie die Abgeordneten bestimmen, die sie stellen dürfen. Eine modified rule ist also dadurch gekennzeichnet, daß nur bestimmte Teile einer Vorlage offen für Änderungsanträge sind. Die als Bestandteil einer der drei Grundformen auftretenden waiver rules schließen Geschäftsordnungsanträge (points of order) gegen eine Vorlage grundsätzlich aus. Waiver rules dienen der beschleunigten Verhandlung von Vorlagen im Plenum unter voriibergehender Aufhebung bestimmter Verfahrensvorschriften des Repräsentantenhauses. Ohne diese Ausnahmeregelungen könnten bestimmte Vorlagen wegen ihrer technischen Verletzung von Verfahrensregelungen nicht zügig verabschiedet werden, weil die Geschäftsordnungsanträge, mit denen diese Verletzungen geriigt werden würden, zu erheblichen Verzögerungen des Verfahrens führen würden. Auch bei den waiver rules sind zwei Typen zu unterscheiden: die specific waiver rules, die Geschäftsordnungsanträge hinsichtlich bestimmter Verfahrensregeln ausschließen, und die blanket waiver rules, die sämtliche Geschäftsordnungsanträge gegen die zu verhandelnde Vorlage für unzulässig erklären 161. Mit Ausnahme der Steuergesetzgebung des Ways and Means Committee, die aufgrund ihrer erheblichen technischen Komplexität seit Jahrzehnten unter closed rules im Plenum beraten wird l62 , wurde seit dem Ende der 1960'er Jahre bis in die späten 1980'er Jahre der größte Teil der Gesetzgebung unter open rules vom Repräsentantenhaus behandelt. Allerdings ist das deutliche Übergewicht der open rules seit Ende der 1970'er und Beginn der 1980'er Jahre zunächst graduell und ab Mitte der 1980'er Jahre bis in die friihen 1990'er Jahre dann erheblich zuriickgegangen 163. Die Republikaner, die im Rahmen ihres Gesetzgebungsprogramms "Contract with America" u. a. auch für ein demokratischeres und transparenteres parlamentarisches Verfahren eingetreten waren, versuchten im 104. Kongreß zunächst, die von ihnen beabsichtigten Gesetzesvorhaben verstärkt unter open rules zu beraten. Als die darauf einsetzende Flut Demokratischer Änderungsanträge es unwahrscheinlich erscheinen ließ, das legislative Gesamtprogramm wie vorgesehen in den ersten 100 Tagen zu verabschieden, sahen sie sich jedoch gezwungen, die Zulässigkeit von Änderungsanträgen zu beschränken 164. Dem verminderten 161 Vgl. insgesamt Oleszek, Congressional Procedures, S. 140 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 284 ff.; Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 141 ff. 162 Closed rules sollen verhindern, daß die Steuergesetzgebung über Änderungsanträge vollends dem bestimmenden Einfluß von Interessengruppen ausgesetzt ist. 163 Vgl. die Übersicht in Congressional Record, 07. 10. 1994, S. H1l278. 164 Vgl. Salant, Under open rules, discord rules, in: CQWR 53 (1995), S. 277.
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Gebrauch von open rules entsprach kein vergleichbarer Anstieg der strikten closed rules. Vielmehr ist eine starke Zunahme von sog. "complex, restrictive rules", "the typical rule ofthe 1990s"165, zu verzeichnen. Unter dem Oberbegriff der complex, restrictive rules werden eine ganze Reihe von zum Teil höchst komplizierten, taktischen, auf einzelne Gesetzesvorlagen zugeschnittene special rules zusammengefasst, die eine Mischform der drei Grundarten darstellen 166. "Instead of choosing from among a few patterns the Rules Committee has demonstrated a willingness to create unique designs by recombining an increasingly wide array of elements, or by creating new ones as the need arises, to help leaders, committees, and members manage the heightened uncertainties of decision making on the House floor,,167.
Die complex rules beinhalten je nach Einzelfall mehr oder weniger starke Beschränkungen von Änderungsanträgen (restrictive rules). Ihre Ausgestaltung zielt im Sinne einer legislativen Filterung darauf ab, bestimmten Anträgen die Zulässigkeit zu versagen und andere im voraus festgelegte Änderungsanträge zu erlauben. So kann das Rules Committee sogar empfehlen, ausnahmsweise Anträge zuzulassen, obwohl sie eine Verletzung der Geschäftsordnung etwa wegen Verstoßes gegen den in House Rule XVI, cl. 7 normierten gerrnaneness-Grundsatz darstellen l68 . Bis zur Einführung von House Rule XI, cl. 4 (b)169, der heutigen House Rule XIII, cl. 6 (c) (2), in der Geschäftsordnungsreform des 104. Kongresses verabschiedete der bis dahin Demokratisch kontrollierte Lenkungsausschuß häufig special rules, die die recommittal motion with instructions entweder völlig ausschloß oder doch zumindest erheblich beschränkte 17o. Mit Hilfe einer recommittal motion with instructions können Änderungsanträge, die zuvor im Committee of the Whole gescheitert sind und deshalb eigentlich nicht zur Beratung und Abstimmung ins reguläre Plenum gelangen können, dennoch in die Plenardebatte eingebracht werden, wo die Abstimmung über die Änderungsanträge anders ausfallen kann. Die recommittal motion with instructions stellt für die Minderheit somit den einzigen Weg dar, bereits im Committee of the Whole gescheiterte Gesetzesänderungen zur Abstimmung vor das gesamte Haus zu bringen. Seit der Geschäftsord165 Vgl. zur gesamten Entwicklung Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 139 ff.; "creative rules"; Oleszek, Congressional Procedures, S. 144 ff. 166 Zu diesen sog. "creative rules" zählen etwa; structured rule, self-executing rule, kingof-the-hill rule, multiple-stage rule, queen-of-the-hill rule, time-structured rule, anticipatory rule. Vgl. dazu im einzelnen Oleszek, Congressional Procedures, S. 144 ff.; Davidson/Oleszek, Congress and its Members, S. 241; Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 103; TIefer, Congressional Practice, S. 291 ff.; Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 141 ff. 167 Bach/ Smith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 87. 168 Vgl. Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 28. 169 Siehe H. Res. 6, Congressional Record, 04. 01. 1995, S. 468. 170 Siehe 4. Kap. A. III. 2.
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nungsänderung von 1995 ist eine Beschneidung dieses Minderheitsrechts durch eine special rule des Lenkungsausschusses indes nicht mehr möglich. Die complex, restrictive mIes sind als Antwort auf eine Reihe von institutionellen und politischen Veränderungen zu verstehen, die seit den Kongreßreformen Mitte der 1970'er Jahre eingetreten sind. Zu den wichtigsten Veränderungen zählen der starke Anstieg der Zahl der Änderungsanträge, der mit der Machtdezentralisation im Haus, vor allem im Verhältnis von senioritätsgestützten Ausschußvorsitzenden zu einzelnen Abgeordneten, einherging, die Einführung des multiple referral, die erhebliche Zunahme sog. "omnibus bills" sowie der hohe Komplexitätsgrad der Geschäftsordnungsregeln selbst l71 . Die Mehrheitsfraktionsführung und der Sprecher haben erkannt, daß complex, restrictive rules ein geeignetes Mittel zu einer stärkeren parteipolitischen Steuerung und Kontrolle des komplizierten Gesetzgebungsprozesses sind. Bezeichnenderweise fiel ihr Aufkommen in die Mitte der 1970'er Jahre, als die Mehrheitsfraktionsführung über das Rules Committee als "arm of the 1eadership" wieder stärkeren Einfluß auf die Gesetzgebung zu nehmen begann. Zusätzlich verstärkt wird die steigende Verwendung der complex mIes durch die zunehmende Verschärfung des partei politischen Gegensatzes zwischen Demokraten und Republikanern, die mit der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981-1989) einsetzte und bis heute andauert. Die gesteigerte Instrumentalisierung von complex, restrictive und c10sed mIes zur Förderung des Gesetzgebungsprogramms der Mehrheitsfraktion setzt diese special rules erheblicher Kritik seitens der Minderheitsfraktion aus. Sie werden als undemokratische Instrumente einer rigiden Mehrheitsherrschaft bezeichnet, die aufgrund der Beschränkung bzw. des Ausschlusses von Änderungsanträgen einen massiven Eingriff in Minderheitsrechte darstellen 172. Auf der anderen Seite sind diese neuen Formen komplexer Verfahrensregelungen mit ausschlaggebend für eine steigende Machtzentralisation in der Mehrheitsfraktionsführung und damit letztlich beim Speaker im Hinblick auf die Agenda-Steuerung 173 . Diese These wird gestützt von einer Äußerung des Abgeordneten Gerald B. H. Solomon, R-N.Y.: Das Rules Committee " ... is governed by the King - I call hirn a King instead of a Speaker - because in the last session of Congress two-thirds of every rule that came on this floor was shut down, was gagged, and Members of this House could not offer amendments on the floor" 174.
Die Macht des Rules Committee hat demnach prozedurale und politische Aspekte. Verfahrensrechtlich bestimmen die special rules des Ausschusses den Gel7l Vgl. Sinclair, Legislators, Leaders, and Lawmaking, S. 141 f.; Oleszek, Congressional Procedures, S. 144 f.; DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 239; BachlSmith, Managing Uncertainty in the House of Representatives, S. 12 ff. 172 Vgl. zur Kritik SifflWeil, Ruling Congress, S. 125; Tiefer, Congressional Practice, S. 292; Oleszek, Congressional Procedures, S. 142, 148. 173 Vgl. Rohde, Parties and Leaders in the Postreform House, S. 105. 174 Congressional Record, 24.03. 1993, S. H1560.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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setzgebungsprozeß in doppelter Hinsicht. Zum einen legt das Rules Committee faktisch fest, welche Gesetzesvorlagen ins Plenum gelangen. Zum anderen bestimmt es, welche Änderungsanträge für diese Vorlagen zulässig sind und wie lange über sie verhandelt werden darf. Die erste Entscheidung betrifft die Festlegung der Gesetzgebungsaufgaben, mit denen sich das Haus zu beschäftigen hat. Die zweite Entscheidung betrifft die Vorgabe der Entscheidungsalternativen zur Erfüllung dieser Aufgaben. Die politische Macht des Rules Committee besteht in seiner Funktion als Lenkungsausschuß und "arm of the leadership", der die Regelungsempfehlungen des Sprechers ausführt 175 . Unter allen am Gesetzgebungsprozeß beteiligten Akteuren kommt dem Speaker damit die - wenngleich nicht ungeteilte politische Hauptverantwortlichkeit für die Festlegung der legislativen Agenda des Repräsentantenhauses sowie deren Umsetzung in eine ordnungsgemäße Tagesordnung zu. Die Mittel hierzu sind seine sitzungsleitenden Kompetenzen, allen voran die power of recognition, aufgrund deren Ermessensgewährungen er die power of scheduling im partei politischen Interesse der Mehrheitsfraktion anwenden kann.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen I. SitzungserötTnung und Approval of the Journal 1. Der Regefungstatbestand von Hause Rufe 1, cl. 1
Nach House Rule I, cl. 1, die bereits auf den ersten Kongreß von 1789 zurückgeht, hat der Speaker die Sitzung pünktlich zu der bei der Vertagung festgesetzten Zeit zu eröffnen und das Repräsentantenhaus zur Ruhe zu rufen l76 . Hiernach folgt das Gebet des Chaplain of the House l77 . Der nächste Tagesordnungspunkt ist stets die Genehmigung des Sitzungsprotokolls (Journal of the House)178 des vorhergehenden Verhandlungstages durch den Speaker 179 . Ein Übergang zur Tagesordnung ohne die Genehmigung des Journals ist grundsätzlich ausgeschlossen 180. House 175 Vgl. insgesamt Bach, Legislative Procedures and the Legislative Agenda in the House of Representatives, CRS Report, S. 29. 176 Die Entscheidung über die Vertagung liegt beim Haus, vgl. House Manual, § 584. Sitzungsbeginn ist traditionell um 12.00 Uhr mittags, vgl. I Hinds' Precedents §§ 104-109, 116, 117 sowie IV Hinds' Precedents § 4325. Seit dem 95. Kongreß hat das Haus jedoch eine flexiblere Verfahrensweise formalisiert, um Ausschußsitzungen und Plenardebatten zeitlich besser aufeinander abzustimmen, zu Einzelheiten vgl. insgesamt House Manual, § 621. Zur Sitzungsleitung des Bundestagspräsidenten vgl. § 22 GOBT. 177 Vgl. IV Hinds' Precedents § 3056. Siehe 4. Kap. A. I. 2. e). 178 Zum Journal of the House und seiner Abgrenzung zum Congressional Record 2. Kap. C. V. 4. 179 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 5 §§ 12, 14; IV Hinds' Precedents § 2731. Das Protokoll des letzten Verhandlungstages einer Sitzungsperiode (session) bedarf indes am ersten
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Rule I, cl. 1 räumt dem Speaker das Recht ein, das Protokoll zum Zwecke der Genehmigung vorher zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Diese Aufgabe wird in der Praxis vom Parliamentarian übernommen 181. Dem Bundestagspräsident steht demgegenüber gemäß § 118 I 2 GOBT nur das Entscheidungsrecht im Fall von Konflikten zwischen Redner und Leiter des Stenographischen Dienstes über Korrekturen am stenographischen Protokoll zu. Die Genehmigung des Sitzungsprotokolls durch den Speaker gilt als anerkannt, wenn kein Mitglied des Hauses eine Abstimmung über die Genehmigung des Protokolls beantragt. Wenn das Haus aber auf einen solchen Antrag hin mit seiner Mehrheit die Protokollgenehmigung durch den Speaker bestätigt, gilt die Angelegenheit als abgeschlossen und kann nicht wieder aufgenommen werden. Im Falle der mehrheitlichen Ablehnung der Genehmigung kann ohne Aussprache ein Antrag auf Verlesung des Protokolls gestellt werden, der ebenfalls nicht revidiert werden kann 182. In diesem Fall ist das Protokoll auf Antrag eines Mitglieds des Hauses sogar in voller Länge zu verlesen 183. Unterbrechungen der Verlesung sind grundsätzlich unzulässig l84 . Tag einer neuen Sitzungsperiode keiner Genehmigung, vgl. IV Hinds' Precedents § 2742. Anders bei Vertagung auf einen bestimmten Tennin, vgl. Deschler s Precedents Ch. 5 § 11.2. 180 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2751-2756; VI Cannons Precedents §§ 629, 630, 637; Deschlers Precedents Ch. 5 § 12.1. Die wichtigsten Angelegenheiten, die Priorität gegenüber der Protokollgenehmigung beanspruchen können, sind: der Antrag auf Vertagung, die Vereidigung eines Abgeordneten, der Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren, Geschäftsordnungsfragen, besonders privilegierte Angelegenheiten des Hauses als Gesamtorgan sowie alle Angelegenheiten, die mit Einstimmigkeit als zeitlich vorrangig anerkannt wurden, vgl. im einzelnen Deschler's Precedents Ch. 5 §§ 12, 12.3, 12.5, 12.15, 12.17, 14; VI Cannon's Precedents § 469. Seitdem das Repräsentantenhaus im 96. Kongreß das Erfordernis der Beschlußfähigkeit des Hauses bei Genehmigung des Protokolls durch den Speaker abgeschafft hat, ist auch ein Antrag auf Beschlußunfähigkeit vor der Genehmigung nicht mehr zulässig, vgl. H. Res. 5, Congressional Record, 15.01. 1979, S. 7, 16 sowie insgesamt House Manual, § 621; Deschlerl Brown, Procedure, Ch. 5 § 8.7. Anders noch Deschler's Precedents Ch. 5 § 12.6. 181 Vgl. Riddick, The O.S. Congress, S. 77. Zum Inhalt des Journal im einzelnen vgl. Deschlers Precedents Ch. 5 §§ 10, 13. Siehe 4. Kap. A. 11. 2. 182 Bis zum 92. Kongreß war die Verlesung des Protokolls grundsätzlich obligatorisch, vgl. Deschler s Precedents eh. 5 § 11. Vom 92. bis zum 95. Kongreß konnte jedes Mitglied vor der Genehmigung einen Antrag auf Verlesung des Protokolls stellen. House Rule I, cl. I des 106. Kongresses geht in seiner Fassung - von redaktionellen Änderungen abgesehen auf den 96. Kongreß zurück, vgl. House Manual, § 621; Deschlerl Brown, Procedure, eh. 5 § 8.1. Seit dieser Zeit kann der Antrag auf Verlesung des Protokolls lediglich nach einer Ablehnung der Protokollgenehmigung des Speaker durch das Haus gestellt werden. 183 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 5 § 11.3; IV Hinds' Precedents §§ 2739-2741; VI Cannons Precedents §§ 627, 628. 184 Vgl. Deschlers Precedents eh. 5 §§ 12, 12.2. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind etwa Fragen zur Geschäftsordnung, besonders privilegierte Angelegenheiten des Hauses als Gesamtorgan, einstimmig zugelassene Angelegenheiten und ein Antrag auf Amtsenthebung, vgl. im einzelnen Deschlers Precedents eh. 5 §§ 12, 12.14 ff.; House Manual, § 621.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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2. Die Bedeutung der Protokollgenehmigung durch den Sprecher
Zwar ist durch die Neuregelung von House Rule I, cl. 1 im 96. Kongreß der Antrag auf eine zeitraubende Verlesung und Änderung des Protokolls als Verzögerungs- und Obstruktionsmittel der Minderheit l85 weitgehend entschärft worden, indem die mehrheitliche Ablehnung der Protokollgenehmigung des Speaker durch das Haus zur Voraussetzung eines solchen Antrags gemacht wurde l86 . Im Falle der erfolgreichen Zurückweisung der Genehmigung des Speaker verbleibt der Minderheit aber - abgesehen von der dann stattfindenden Verlesung - ein beträchtlicher Handlungsspielraum für eine obstruktive Verfahrenstaktik. Denn ein Antrag eines Abgeordneten auf Änderung bzw. Ergänzung des Protokolls ist unter den Bedingungen der "one-hour" rule zulässig l87 und kann entsprechend lange begründet werden. Um die "one-hour" rule zu umgehen, tagt das Haus bei Gesetzesberatungen regelmäßig in der Form des Committee of the Whole, weil unter dessen verfahrensvereinfachenden Bedingungen jedem Congressman nur eine Antragsbegründungszeit von fünf Minuten zusteht (,Jive-minute" rule)188. Im Zeitpunkt der Protokoll genehmigung zu Beginn einer Sitzung tagt das Haus allerdings noch als Gesamtparlament und nicht als Committee of the Whole, so daß die "five-minute" rule keine Anwendung findet. Dies hat zur Folge, daß eine Minderheit die Uneinigkeit über das Protokoll zum Anlaß nehmen kann, durch weitschweifige Ausführungen zu Änderungsanträgen hinsichtlich des Protokolls den Geschäftsgang des Hauses schon an dieser Stelle zu verzögern. Durch die dem Speaker seit 1971 formell eingeräumte Kompetenz, das Journal vor der Genehmigung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren l89 , hat er die Möglichkeit, etwaige Auslassungen oder Fehler im Protokoll bereits im Vorfeld zu beheben, so daß es entweder nicht zur Abstimmung über seine Genehmigungsentscheidung kommt oder aber die Mehrheit des Hauses seine Genehmigung bestätigt und mithin die zeitraubende Verlesung des Protokolls sowie eine Debatte über die Protokolländerung entfallen. Der Speaker kann also aufgrund seiner Prüfungsund Korrekturkompetenz die Effizienz des Geschäftsgangs schon zu Beginn eines Sitzungstages beeinflussen, indem er - wenngleich mit Unterstützung des Parlia185 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 171 f.; Riddick, The V.S. Congress, S. 326; Congressional Record, 05. 06. 1934, S. 10535 -10541. 186 Die in House Rule I, cl. 1 vorgesehene Möglichkeit der Abstimmung des Hauses über die Protokollgenehmigung des Speaker ist Ausdruck der Parlamentsautonomie des Repräsentantenhauses, die von dessen Mehrheitswillen getragen wird und der der Speaker letztlich untergeordnet ist. 187 Vgl. insgesamt House Manual, § 621. Ein Antrag auf Änderung bzw. Ergänzung des Protokolls geht überdies einem Antrag auf Zustimmung vor, vgl. IV Hinds' Precedents § 2760; VI Cannon's Precedents § 633. Zur "one-hour" rule vgl. House Rule XVII, cl. 2 sowie 1. Kap. E. III. 188 Siehe 1. Kap. G. IV.; House Rule XVIII, cl. 5 (a); ferner Oleszek, Congressional Procedures, S. 128 ff. 189 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 132. 20 Semmler
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
mentarian - Verzögerungen im Verfahrensablauf zuvorkommt und damit im Interesse seiner Mehrheitsfraktion und ihres Gesetzgebungsprogramms wichtige Sitzungszeit für die eigentliche Gesetzesberatung einspart. Dem Presiding Officer des Senats steht ein solches Recht zur Überprüfung und Korrektur des Journal nicht ZU 190 . Kommt es doch zu einer Abstimmung über die Protokollgenehmigung, so kann der Sprecher diese gemäß House Rule XX, cl. 8 (a) (1) auf einen späteren Zeitpunkt innerhalb desselben Sitzungstages zurückstellen, wodurch er sicherstellen kann, daß nicht schon zu Beginn der Sitzung wertvolle Beratungszeit wegen bloß formeller Abstimmungen verlorengeht.
11. Power of Recognition 1. Der Regelungstatbestand von Hause Rule XVll, cl. 2
Gemäß House Rule XVII, cl. 2 bestimmt der Speaker, wer von mehreren sich zeitgleich zu Wort meldenden Hausmitgliedern das Rederecht erhält. Sie ist die Grundlage seines Worterteilungsrechts (power of recognition) 191. Wie im Bundestag bedarf jede Äußerung bzw. Antragstellung von Mitgliedern des Hauses der vorhergehenden Worterteilung durch den Parlamentspräsidenten, um parlamentarisch wirksam zu werden 192 . In formeller Hinsicht setzt die Worterteilung durch den Speaker gemäß House Rule XVII, cl. 1 (a) voraus, daß sich der um das Rederecht ersuchende Congressman von seinem Platz erhebt und dem Sprecher unter der Anrede "Mr. Speaker" sein Wortbegehren zu erkennen gibt 193 . Der Abgeordnete wird daraufhin zunächst vom Sprecher nach dem Zweck seiner Wortmeldung bzw. seines Antrags gefragt, um festzustellen, ob der Antrag nach der Tagesordnung zulässig ist und ob ihm Vorrang gegenüber anderen Wortmeldungen zukommt. Nachdem der Abgeordnete zu dieser Frage mit gebührendem Respekt 194 Stellung genommen hat, entscheidet der Sprecher, ob und unter welchen Bedingungen er das Rederecht erteilt. Wenn keiner der Antragszwecke unter dem entsprechenden Punkt der Tagesordnung zulässig ist, kann der Sprecher die Worterteilung gänzlich versagen 195. Eine Worterteilung ist erst erfolgt, wenn der Sprecher sagt: "The Vgl. Senate Rule IV, cl. 1 (a). Dem Sprecher steht naturgemäß auch das Recht der Worterteilung zu, wenn sich nur ein Mitglied zu Wort meldet. 192 Vgl. VI Cannon's Precedents § 283; Tiefer, Congressional Practice, S. 495. Zur Worterteilung durch den Bundestagspräsidenten vgl. § 27 I 1 GOBT; zu Eröffnung und Schluß der Aussprache durch diesen §§ 23, 25 I GOBT. 193 VgL VI Cannon's Precedents §§ 285, 286; insgesamt Brown, House Practice, S. 749 f. Wenn eine Frau den Vorsitz führt, lautet die Amede "Madam Speaker", vgl. VI Cannon's Precedents, § 284. 194 Siehe auch 5. Kap. C. IV. 195 Vgl. Deschlerl Brown, Procedure, Ch. 29 § 4.1, wonach ein Mitglied den Speaker auch nur in einem passenden Zeitpunkt um das Rederecht ersuchen darf. 190 191
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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Chair recognizes the Gentleman [Gentlewoman] from [State]." Nach diesem Ausspruch und noch bevor der entsprechende Abgeordnete zu sprechen beginnt, hat der Sprecher das Ermessen, einem anderen Abgeordneten das Wort für einen vorrangigen Antrag zu erteilen. Abgeordnete dürfen sich nur unter Adressierung des Sprechers an das Plenum wenden, selbst wenn sie einen Dialog bzw. Schlagabtausch zu führen beabsichtigen 196. Ist das Rederecht erteilt worden, so darf der Abgeordnete von jedem Platz des Plenums aus sprechen; auf Aufforderung des Speaker darf er auch vom Pult des Clerk aus sprechen 197. Diese von den Mitgliedern einzuhaltenden Verhaltensregeln unterstreichen die eigentliche Bedeutung der power of recognition, die schon in der lateinischen Bedeutung des Wortes recognitio, nämlich Besichtigung, Musterung, angelegt ist. So soll nach amerikanischem parlamentarischen Verständnis grundsätzlich nur das Wort erhalten, wer die Würde des Repräsentantenhauses respektiert, indem er den Speaker als dessen höchsten Repräsentanten anerkennt und dessen "Musterung" besteht. Die formelle Funktion des Speaker als die Würde des Hauses wahrende Instanz kommt an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck. Die Verhaltensanforderungen an die Mitglieder des Hauses stellen damit die grundsätzliche - wenngleich keineswegs alleinentscheidende - Hürde bei der Worterteilung dar. 2. Die Bedeutung der Power of Recognition durch den Sprecher
Die power of recognition legt die für den jeweiligen aktuellen Geschäftsgang des Hauses wichtige Entscheidung dariiber, was als nächstes passiert, in die Kompetenz des Speaker. Sie ist das wichtigste Instrument des Sprechers zur Steuerung des Debattenverlaufs 198. House Rule XVII, cl. 2 geht auf den ersten Kongreß von 1789 zurück und ist seit ihrer Einführung in ihrem Wortlaut nicht geändert worden. Gleichwohl hat sich ihr Bedeutungsgehalt gewandelt l99 . In der Frühphase des amerikanischen Kongresses, als die individuellen Abgeordneten noch im Mittelpunkt des Geschäftsgangs im Repräsentantenhaus standen, hatte der Speaker - wie heute noch der Presiding Officer des Senats - demjenigen Abgeordneten das Rederecht zu erteilen, der sich als erster erhoben hatte 2OO • In Zweifelsfällen war ein Einspruch gegen die Entschei196 Vgl. V Hinds' Precedents § 4980; insgesamt House Manual, § 945 sowie Gold/ Hugo, The Book on Congress, S. 157 f. 197 Vgl. House Rule XVII, cl. 1 (a); V Hinds' Precedents § 4981. 198 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 200 f., 229. 199 Vgl. im einzelnen V Hinds' Precedents § 4978; vgl. auch leffersons Manual, §§ 353 ff.; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 249. Zur historischen Entwicklung der power of recognition siehe insgesamt Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 165 ff. 200 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1419, 1420, 1422; vgl. ferner lefferson s Manual, §§ 355 f. Siehe auch Stevens, The Rules of the House of Representatives: A Defense., in: American Review ofReviews 39 (1909), S. 470 ff. (471). Siehe 6. Kap. B. III. 2. a).
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
dung des Sprechers zulässig 201 • Mit der Zunahme der Abgeordnetenzahl und des Gesetzesvolumens im Haus wurde es erforderlich, das Rederecht nicht mehr nach den Belangen einzelner Abgeordneter zu erteilen, sondern es vielmehr an die jeweiligen Beratungsgegenstände zu knüpfen, d. h. etwa den Abgeordneten das Rederecht im Verhältnis der Wichtigkeit ihrer Anträge für die laufende Gesetzesberatung zuzuerkennen 202 . Den ersten Schritt zur formellen Ausgestaltung der power of recognition machte das Haus am 09.04. 1879 mit der Annahme eines Berichts des Rules Committee, der sich mit der Frage befaßte, ob der Speaker bei der Worterteilung an vorgefertigte Rednerlisten gebunden see03 . In dem Bericht hieß es: " ... In the nature of the case discretion must be lodged with the presiding officer, and no fixed and arbitrary order of recognition can be wisely provided for in advance ... The practice of making a list of those who desire to speak on measures before the House... is a proper one to enable the presiding officer to know and remember the wishes of Members. As to the order of recognition, he should not be bound to follow the list, but should be free to exercise a wise and just discretion in the interest of full and fair debate,,204.
Ein zweiter Schritt folgte am 28. 02. 1881 als Speaker Randall es für unzulässig erklärte, Einspruch gegen die Entscheidung eines Sprechers über die Worterteilung einzulegen. Zur Begriindung führte er an: "There is really no power in the House itself to appeal from a recognition of the Chair. The right of recognition is just as absolute in the Chair as the judgment of the Supreme Court of the United States is absolute as to the interpretation of the law,,205.
Speaker Randall begriindete damit einen Präzedenzfall, der bis heute Gültigkeit hat206 . Eine dritte wesentliche Erweiterung der power of recognition stellte die bereits im 19. Jahrhundert übliche und am 14. 04. 1913 schließlich formell anerkannte Konditionierungsbefugnis des Sprechers dar. Hiernach ist es bis heute zulässig, daß der Speaker einem Abgeordneten, nachdem dieser die Aufmerksamkeit des Sprechers auf sich gezogen hat, vor der Worterteilung die Frage stellt: "For what 201 Vgl. 11 Rinds' Precedents §§ 1429-1434. 202 Vgl. 11 Rinds' Precedents § 1423; House Manual, § 949. Die Abgeordnetenzahl ist zwischen 1830 und 1890 von 242 auf 357 gestiegen. Im selben Zeitraum hat sich das Gesetzesvolumen von ca. 1.000 eingebrachten Entwürfen im 24. Kongreß (1835 -1837) auf mehr als 19.000 Gesetzesentwürfe im 51. Kongreß (1889-1891) nahezu verzwanzigfacht. Vgl. United States Congress, Joint Committee on Printing, Official Congressional Directory, 106. Kongreß, 1999 - 2000, S. 552 sowie de Boinville, Origins and Development of Congress, S. 122. 203 Vgl. 11 Rinds's Precedents § 1424. 204 Congressional Record, 09. 04. 1879, S. 340; vgl. ferner Deschler's Precedents Ch. 29 § 9.1. 205 Vgl. 11 Rinds' Precedents § 1425 sowie §§ 1426-1428. 206 Vgl. VI Cannon's Precedents § 292; VIII Cannon's Precedents §§ 2429, 2646, 2762; Deschler's Precedents Ch. 29 § 9.6.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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purpose does the Gentleman rise?,,207. Der Sprecher ist seither also erstens ermächtigt, die hinter dem Antrag stehende Motivation zu erfragen, und zweitens, einem Congressman daraufbin nach seinem Ermessen für einen bestimmten Antrag das Wort erteilen oder versagen zu können ("the gentleman is recognized for the purpose of... ,,)208. Die wichtigste Konsequenz dieser Konditionierungsbefugnis des Sprechers liegt darin, daß er auf diese Weise sog. "dilatory motions", also Anträge, die lediglich auf die zeitliche Verzögerung des Debattenverlaufs zielen, nach seinem Ermessen herausfiltern kann. Zusammen mit den im 51. Kongreß verabschiedeten sog. "Reed-Rules" eröffnete die Konditionierungsbefugnis schließlich die Möglichkeit für einen vom Sprecher und seiner Mehrheitsfraktion ausgehenden legislati ven Despotismus209 . Mit dem Erstarken des Zwei-Parteien-Systems nach dem Bürgerkrieg hatten Republikanische wie Demokratische Minderheiten in immer stärkerem Maße die Arbeit des Repräsentantenhauses durch Obstruktionstaktiken blockiert21o . Nachdem die Republikanische Partei in den Wahlen zum 51. Kongreß eine hauchdünne Mehrheit von nur sieben Stimmen zurückgewonnen hatte, wählte sie Thomas B. Reed 1889 zum Sprecher. Reed war im Gegensatz zu seinen Vorgängern fest entschlossen, dem seit Anfang der 1880'er Jahre zu verzeichnenden Obstruktionismus der Minderheit, der zur völligen Lähmung der Gesetzgebung geführt hatte, ein Ende zu bereiten und zu verhindern, daß das Programm seiner Partei im 51. Kongreß einer solchen Obstruktion zum Opfer fie1 211 . Von seinen Vorgängern war die Legitimität der Obstruktions mittel noch als Ausdruck des verfahrensrechtlichen Minderheitsschutzes akzeptiert worden. Im Fall des Republikaners Blaine (1869-1875) geschah dies aus der Überzeugung, daß wenn die Mehrheitsfraktion aufgrund mangelnder Geschlossenheit nicht politisch handeln könne, sie die Politik der Minderheit aussitzen müsse. Im Fall der Demokraten Randall (1876-1881) und Carlisle (1883 -1889) resultierte die Akzeptanz der Obstruktionsmittel aus der für die heterogene Partei der Demokraten begründeten Furcht, daß Maßnahmen zur Einschränkung der Obstruktionstaktik der Min207 Vgl. VI Cannon's Precedents §§ 289 ff.; zum bereits im 19. Jahrhundert bestehenden Recht des Speaker, die hinter einem Antrag stehende Motivation eines Abgeordneten vor der Worterteilung zu erfragen, vgl. Damon, The Standing Rules of the Uni ted States House of Representatives, S. 106. 208 Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S.106. 209 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 69. 210 "In the early days such prostitutions of legitimate motions caused by anger, willfulness, and party zeal was not so much as named among legislators. Today the abu se has grown to such proportions that the parliamentary law which governs American assemblies has found it necessary to keep pace with the evil, ... " V Hinds' Precedents § 5706. 211 Vgl. Reed, Obstruction in the National House, in: North American Review 149 (1889), S. 421 ff. (426); Maxey, The Powers of the Speaker, in: The Forum 41 (1909), S. 344 ff. (347 f.); Peters, The American Speakership, S. 53 ff., 62.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
derheit immer auch gegen einen politischen Flügel der eigenen Fraktion gerichtet seien212 . Die beiden damals am häufigsten eingesetzten Obstruktionsmittel waren das sog. "disappearing quorum" und verschiedene dilatory motions, wie z. B. überflüssige Anträge für namentliche Abstimmungen, Anträge auf vollständige Verlesung von umfangreichen Gesetzen vor Weiterleitung an die entsprechenden Ausschüsse sowie sinnlose Anträge auf Vertagung213 . Die gemeinsame Besonderheit aller Obstruktionstaktiken beschrieb Reed mit den Worten: " ... the member is simply availing himself of the forms of rules intended to facilitate business, for the sole purpose of obstructing business,,214.
Am 31. 01. 1890 ereignete sich dann der folgende Präzedenzfall. Speaker Reed hatte zu Beginn der Sitzung im Anschluß an die Protokollgenehmigung einem Abgeordneten das Wort erteilt, mußte dieses jedoch aufgrund eines privilegierten Antrags 215 eines anderen Abgeordneten weitergeben. Als unmittelbar nach Beendigung dieser Einlassung von einem dritten Abgeordneten ein ebenfalls privilegierter Antrag auf Vertagung gestellt wurde, entschied Speaker Reed, daß der Antrag auf Vertagung nicht zulässig sei. Der gegen die Entscheidung des Sprechers eingelegte Einspruch wurde vom Haus zuriickgewiesen216 . Zur Begriindung seiner Entscheidung führte Reed sein Obstruktionsverständnis aus: " ... There is no possible way by which the orderly methods of parliamentary procedure can be used to stop legislation. The object of a parliamentary body is action, and not stoppage of action. Hence, if any Member or set of Members undertakes to oppose the orderly progress of business, even by the use of the ordinarily recognized parliamentary motions, it is the right of the majority to refuse to have those motions entertained, and to cause the public business to proceed. Primarily the organ of the House is the man elected to the Speakership. It is his duty in a clear case, recognizing the situation, to endeavor to carry out the wishes and desires of the majority of the body which he represents. Whenever it becomes apparent that the ordinary and proper parliamentary motions are being used solely for purposes of delay and obstruction; when Members break over in an unprecedented way the rule in regard of the reading of the journal; when agentIeman steps down to the front, amid the applause of his associates on the floor, and announces that it is his intention to make opposition in every direction, it then becomes apparent to the House and to the 212 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 57, 61, 63. 213 Siehe zum "disappearing quorum" 5. Kap. C. III. 2. Vgl. Reed, Obstruction in the National House, in: North American Review 149 (1889), S. 421 ff. (422 f.); Peters, The American Speakership, S. 63. 214 Reed, Obstruction in the National House, in: North American Review 149 (1889), S. 421 ff. (422). Siehe auch McClellan, Leadership in the House of Representatives, in: Scribner's Magazine 49 (1911), S. 594 ff. (596 f.). 215 Es handelte sich um eine question of personal privilege, die die Rechte eines Abgeordneten, seinen Ruf und sein Verhalten betrifft, der besondere Priorität zukommt und die eine Debattenzeit von einer Stunde nach sich zieht. Vgl. House Rule IX; Gold/ Hugo, The Book on Congress, S. 125. 216 Vgl. V Hinds' Precedents § 5713.
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community what the purpose iso It is then the duty of the occupant of the Speaker's chair to take, under parliamentary law, the proper course with regard to such matters; and in order that there might not be any misunderstanding as to whether or not it is the wish or desire of the majority of the House - apparent as it seems to be - the question of the appeal from the refusal of the Chair to entertain the motion will be put to the House for its judgment and determination,,2I7.
Dieser Präzedenzfall, nach dem der Sprecher als Organ der Mehrheit und des Repräsentantenhauses insgesamt218 offensichtliche Obstruktionstaktiken unter Einspruchsvorbehalt des Hauses für unzulässig erklären konnte, bildete die Grundlage219 für die schließlich vom Rules Committee unter Reeds Vorsitz erarbeitete neue House Rule XVI, § 10. Sie lautete: "No dilatory motion shall be entertained by the Speaker." Es handelte sich um eine von mehreren Geschäftsordnungsänderungen (Reed-Rules) des 51. Kongresses, die 1890 vom Haus verabschiedet wurden. Sie wurde vom Demokratisch kontrollierten 52. und 53. Kongreß nicht übernommen, ist dann aber im 54. Kongreß unter Reed abermals eingeführt worden und gilt seitdem bis heute fort 22o . Den Reed-Rules lag die Auffassung zugrunde, daß der Zweck von Geschäftsordnungsregeln nicht wie der von Verfassungsbestimmungen in der Beschränkung von Macht und der Gewährleistung von Minderheitsrechten, sondern in der Sicherstellung eines reibungslosen und effektiven parlamentarischen Geschäftsgangs liege: "Rules should not be barriers: they should be guides." Dies bedeutete für Reed letztlich, daß die parlamentarischen Verfahrensregeln allein die Durchsetzung des Mehrheitswillens zu gewährleisten hatten22I . V Hinds' Precedents § 5713. 218 " ... to enable the majority, by the intervention of the Presiding Officer, to meet by extraordinary means the extraordinary abuse of power on the part sometimes of a very few Members .... So that in the end it is apower exercised by the House through its properly constituted officer." V Hinds' Precedents § 5706. 219 Bereits vor 1890 hatte es drei Ansätze zur Beschränkung von Obstruktionstaktiken im Repräsentantenhaus gegeben. Im Februar 1868 hatte das Haus bereits eine Geschäftsordnungsregel verabschiedet, die bestimmte, daß der Speaker außer einem Vertagungsantrag keine weiteren dilatory motions zulassen dürfe. Diese Regel galt indes lediglich für den Fall, daß das Haus über einen Antrag zur suspension of the rules entschied, und hatte insofern keine allgemeine Anwendbarkeit. Vgl. Congressional Globe, 40th Cong., 2nd Sess., S. 1424 f.; V Hinds' Precedents § 5743. Im Januar 1875 war ein Antrag auf Verhinderung von dilatory motions für den Rest der session an der für die Änderung von Geschäftsordnungsregelungen erforderlichen Zweidrittelmehrheit gescheitert. Vgl. Congressional Record, 25. 01. 1875, S. 700; V Hinds' Precedents § 5706, S. 353, dort Fn. 2. Schließlich hatte das Haus bereits im Februar 1875 eine Regel verabschiedet, nach welcher der Sprecher während zur Entscheidung anstehender Fragen lediglich einen Vertagungsantrag und einen Antrag auf Festlegung eines bestimmten Vertagungstages zulassen durfte. Speziell diese Regelung wurde aber vom Demokratisch kontrollierten Folgekongreß, dem 44. Kongreß, nicht übernommen. Vgl. Congressional Record, 07. 12. 1875, S. 174; V Hinds' Precedents § 5706. 220 Vgl. V Hinds' Precedents § 5706; House Rule XVI, cl. 1. Diese wird ergänzt durch House Rule XIII, cl. 6 (b). 221 Reed, Obstruction in the National House, in: North American Review 149 (1889), S. 421 ff. (425); ebenso ders., Rules of the House of Representatives, in: Century 37 (1889), 217
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Die wichtigste Wirkung dieser neuen Geschäftsordnungsregel lag darin, daß sie in Verbindung mit der power of recognition dem Sprecher ein außergewöhnliches Maß an Ermessen einräumte, das er beliebig einsetzen konnte. Denn mangels formeller Definition konnte eine dilatory motion fortan definiert werden als "any motion submitted by the opposition, or any motion by a member of the Speaker's party not immediately in furtherance of the Speaker's programme,,222.
Die Entscheidung, was zukünftig als Obstruktion angesehen werden konnte und was nicht, war damit völlig in das Ermessen des Sprechers gestellt. Da ein Congressman, wenn er um das Rederecht ersuchte, zuvor den Zweck seines Antrags nennen mußte, konnte der Sprecher gewissermaßen willkürlich das Rederecht verweigern, wenn er den Antragszweck als obstruktiv beurteilte223 . Ein Einspruch gegen die Entscheidung des Sprechers hatte wenig Aussicht auf Erfolg, da der Speaker gerade zugunsten der Mehrheitsfraktion entschied. House Rule XVI, § 10 aus dem Jahre 1890 markierte eine Zäsur in der Entwicklung der formellen Kompetenzen des Speaker-Amtes, denn sie ermächtigte den Sprecher erstmalig, Ermessensentscheidungen über den Inhalt von Anträgen zu fällen 224 . Mit dem Erstarken der Mehrheitsherrschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begann der Sprecher also, die power of recognition, die sich im 19. J ahrhundert von einem rein formellen Recht zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Debattenverlaufs zu einem zu politischen Zwecken einsetzbaren Instrument der Steuerung desselben verwandelt hatte, nach seinem Ermessen einzusetzen 225 . Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung unter Speaker Cannon (19031911). Dieser nutzte die Worterteilung willkürlich als Kontrollinstrument der Mehrheitsherrschaft und machte damit die willkürliche Worterteilung zu einem bedeutsamen Element des "Czarism,,226. Nach der Revolte gegen Speaker Cannon wurde die weitgehende power of recognition des Sprechers Beschränkungen unterworfen, die heute noch Geltung haben227 .
S. 792 ff. (795) sowie Cannon, The Power of the Speaker, in: The Century 78 (1909), S. 306 ff. (307). 222 Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 112. 223 Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 112; ferner Swanson, The Rules of the House of Representatives: A Criticism., in: American Review of Reviews 39 (1909), S. 465 ff. (466 0; Reed I Carlisle, The Limitations of the Speakership, in: North American Review 150 (1890), S. 382 ff. (395); Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 250. 224 Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 106 f. 225 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 229; Luce, Legislative Procedure, S. 456 ff. 226 Vgl. McClellan, Leadership in the House of Representatives, in: Scribner's Magazine 49 (1911), S. 594 ff. (598); MacNeil, Forge ofDemocracy, S. 78; Peters, The American Speakership, S. 82 f. 227 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 231. Siehe 3. Kap. C. H.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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Zwar ist weder gegen eine Entscheidung des Sprechers zur Worterteilung im allgemeinen noch gegen seine Entscheidung über den verzögernden Charakter eines Antrags im besonderen ein Einspruch zulässig. Letzteres würde House Rule XVI, cl. 1 leerlaufen lassen228 , die gerade darauf zielt, Entscheidungen des Sprechers bei der Worterteilung im Interesse eines verzögerungsfreien Debattenverlaufs unangreifbar zu machen. Doch dies bedeutet nicht, daß der Speaker in seiner Entscheidung über die Worterteilung völlig frei ist. Abgesehen davon, daß der Sprecher bei jeder Ermessensentscheidung politisch an den Willen seiner Fraktion gebunden ist, haben sich in der parlamentarischen Praxis Regeln herausgebildet, die ihn bei dieser Entscheidung leiten sollen und von denen er praktisch nicht abweichen darf229 • Ähnliches gilt auch für den Bundestagspräsidenten, der zwar gemäß §§ 27 I 1,28 I 1 GOBT das Recht zur Worterteilung und zur Bestimmung der Rednerreihenfolge hat, der aber durch § 28 I, II GOBT an bestimmte Grundsätze gebunden wird23o • Erstens kann der Sprecher einem Abgeordneten das Wort nur erteilen, wenn nicht schon ein anderer Congressman im Haus spricht. Er kann einem Abgeordneten das Wort auch nicht aufgrund eines höher privilegierten Antrags nehmen 231 . Zweitens muß der Antrag auf Erteilung des Rederechts bzw. der damit verfolgte Zweck nach der feststehenden Tagesordnung (order of business) zulässig sein und von gleichem oder höherem Rang sein als jeder andere zeitgleich gestellte Rederechtsantrag 232 . Drittens ist der Sprecher bei der Debatte über ein Gesetz gehalten, zunächst dem Vertreter des Ausschusses, der das Gesetz behandelt hat, das Wort zu erteilen und diesem Majority Manager damit die eigentliche Debattenführung im Namen der Mehrheitsfraktion zu übertragen 233 . Daraus folgt, daß vor allem die 228 V gl. zur power of recognition VI Cannon s Precedents § 292 und zur dilatoriness of a motion V Hinds' Precedents § 5731. 229 Vgl. Deschlers Precedents Ch. 29 § 9; insgesamt House Manual, § 953. 230 Zur Bestimmung der Rednerreihenfolge vgl. im einzelnen Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 33, Rn. I ff. Siehe zur Worterteilung durch den Bundestagspräsidenten auch §§ 29, 30, 31 GOBT. 231 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1460-1463; VI Cannon s Precedents §§ 290, 297 -299; VIII Cannons Precedents §§ 2454, 3193, 3197, 3259; vgl. auch Sullivan, Procedural Structure. Success and Influence in Congress, S. 38. 232 Grundsätzlich geht das Haus nach der in House Rule XIV, cl. I festgelegten Tagesordnung vor. Durch Einstimrnigkeitsbeschlüsse (unanimous consent), die Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension of the rules) oder eine durch Resolution verabschiedete Sonderregelung (special rule) des Rules Committee kann indes zur Verfahrensbeschleunigung eine besondere Tagesordnung (special order of business) festgesetzt werden. Darüber hinaus gehen bestimmte aus der Verfassung (z. B. vetoed bills, impeachment resolutions), aus den House Rules und precedents (z. B. questions of the privileges of the House, questions relating to personal privilege) oder aus sonstigen Gesetzen fließende besonders privilegierte Angelegenheiten allen anderen Beratungsgegenständen vor. Vgl. hierzu insgesamt Gold! Hugo, The Book on Congress, S. 89 ff., 155 f. Die Rangfolge der in allgemeiner Gesetzesberatung zulässigen Anträge ist in House Rule XVI, cl. 4 festgelegt; vgl. ferner House Rule IX; vgl. auch Tiefer, Congressional Practice, S. 231.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Entscheidung darüber, ob und wann ein Antrag auf die previous question gemäß House Rule XIX gestellt wird, allein beim Majority Manager liegt 234 • Die Annahme eines solchen Antrags bewirkt, daß die Debatte grundsätzlich sofort beendet und die anstehende Frage zur unmittelbaren Abstimmung gestellt wird. Die "previous question" ist daher eines der wichtigsten Verfahrensinstrumente zur Beendigung von zeitverzögernden Debatten235 • Der power of recognition des Sprechers kommt insofern nur geringe Bedeutung zu. Denn die previous question ist gemäß House Rule XVI, cl. 4 (a) (3) privilegiert, so daß der Speaker einen entsprechenden Antrag seitens des Majority Manager in der Regel zuzulassen hat, was zumeist auch im Interesse der gesamten Mehrheitsführung liegen wird. Erzielt ein solcher Antrag keine Mehrheit, so hat dies Auswirkungen auf das Redeerteilungsrecht des Sprechers. Denn beim Scheitern einer "essential motion", wie des Antrags auf previous question, fällt dem führenden Antragsgegner, der offensichtlich eine zeitweilige Mehrheit hinter sich hat, die Priorität bei der Worterteilung ZU 236 • In diesem Fall verliert die Mehrheitsfraktion vorübergehend die Verfahrenskontrolle. Daneben gelten einige allgemeinere Grundsätze. Wird ein Gesetzesvorschlag von einem Abgeordneten direkt, d. h. ohne Zwischenschaltung der Ausschüsse, ins Repräsentantenhaus zur Beratung eingebracht, so steht ihm ein vorrangiges Antrags- und Rederecht ZU 237 . Darüber hinaus hat der Sprecher die Mitglieder der mit dem zur Beratung anstehenden Gesetz befaßten ständigen Ausschüsse vorrangig bei der Worterteilung zu berücksichtigen, wobei er zwischen Befürwortern und Gegnern einer in Frage stehenden Angelegenheit zu wechseln hat23s • Ferner macht der Sprecher von seiner in House Rule XVI, cl. I verankerten Kompetenz, einen Antrag als obstruktiv zu beurteilen, nur Gebrauch, wenn der obstruktive Gehalt des Antrags für alle Abgeordneten offensichtlich geworden ist 239 • Dies hat Speaker Rayburn am 25. 07. 1949 in einer Stellungnahme dem Haus gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht: 233 Vgl. 11 Hinds' Precedents § 1447; VI Cannon's Precedents §§ 306, 514. Vgl. auch House Rule XVII, cl. 3 (a). Bei diesem sog. "Majority Manager" muß es sich indes nicht zwangsläufig um den Ausschußvorsitzenden handeln, vgl. 11 Hinds' Precedents § 1449. Vgl. zur Vorrangstellung des Ausschußvorsitzenden bzgl. der Worterteilung aber insgesamt House Manual, § 953. 234 Vgl. House Manual, § 997; Tiefer, Congressional Practice, S. 231. 235 Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 200. Zur Geschichte des Antrags aufprevious question siehe V Hinds' Precedents §§ 5443, 5446; VIII Cannon's Precedents § 2661. 236 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 29 §§ 5.14 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 232, 371 f. 237 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1446, 1454; VI Cannon's Precedents §§ 302-305, 417; VIII Cannon's Precedents §§ 2454, 3231. 238 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1438-1444, 1448; VI Cannon's Precedents §§ 306, 307; vgl. insgesamt House Manual, § 955. Hierbei kann der Speaker insoweit taktisch vorgehen, als er auf einen Änderungsantrag eines Abgeordneten der Minderheit einen Ersatzantrag eines Mehrheitsabgeordneten zuläßt. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 231, dort Fn. 94. 239 V Hinds' Precedents §§ 5713, 5714. Vgl. hierzu insgesamt House Manual, § 903.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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"Since the present Speaker has occupied the Chair he has yet to hold a motion to be dilatory, and will not until it becomes obvious to everybody that dilatory tactics are being indulged in and that a filibuster is being conducted,,240.
Trotz dieser Beschränkungen handelt es sich bei der power of recognition um eine grundsätzlich eigenmächtige, einer Revision durch Einspruchserhebung unzugängliche Kompetenz des Speaker. Eine freie Ermessensausübung der power of recognition durch den Sprecher findet gegenwärtig insbesondere in vier Fällen statt. Es steht im freien Ermessen des Sprechers, Anträge auf Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung (suspension of the rules) , die jeweils montags und dienstags gestellt werden können, zuzulassen und dadurch für bestimmte Gesetzesvorlagen ein beschleunigtes Verfahren zu ermöglichen241 . Da Zeit im Repräsentantenhaus - wie in jeder gesetzgebenden Versammlung - ein knappes Gut ist, wird der Sprecher Anträge auf suspension of the rules nur für solche Gesetzesvorlagen zulassen, die im Interesse der Mehrheitsfraktion liegen. In praxi handelt es sich ausschließlich um Anträge, die zuvor mit den Führern der Mehrheitsfraktion abgestimmt worden sind. Gleiches gilt für Anträge auf Einstimmigkeitsbeschlüsse (unanimous consent) zur Außerkraftsetzung der Geschäftsordnung für die Beratung andernfalls nicht zulässiger Gesetzesentwürfe. Das Recht des Sprechers zur Abweisung der Worterteilung im Fall eines Antrags auf unanimous consent ist zwar nur das Äquivalent zu dem Recht jedes einzelnen Congressman, gegen einen Einstimrnigkeitsbeschluß zu stimmen. Der Unterschied besteht darin, daß der Sprecher seine Ablehnung gegenüber solchen Anträgen zum Ausdruck bringt, indem er die Worterteilung verweigert und nicht indem er seine Ablehnung im Plenum äußert. Zudem hat der Speaker - anders als andere Abgeordnete - über sein Worterteilungsrecht als Sitzungsleiter die Möglichkeit, von vornherein eine Auswahl der unanimous consent-Anträge zu treffen, über die dann überhaupt nur abgestimmt werden kann. Hierbei wird er diejenigen begünstigen, die seinen eigenen legislativen Zielen bzw. denen der Mehrheitsfraktion entsprechen242 . Ferner steht die Worterteilung zu sog. "one-minute speeches" und "special-order speeches" im freien Ermessen des Speaker, und zwar sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Zulassung solcher Reden und des für sie zugelassenen Zeitraums als auch hinsichtlich der Reihenfolge der Redner243 . Die zu Beginn einer Sitzung 240 Congressional Record, 25. 07. 1949, S. 10300. 241 Vgl. V Rinds' Precedents §§ 6791-6794, 6845; VIII Cannon's Precedents §§ 34023404. Siehe 5. Kap. B. 11. 3. 242 Vgl. hierzu im einzelnen House Manual, § 956; ferner Galloway, The Legislative Process in Congress, S. 348. 243 Vgl. hierzu im einzelnen House Manual, § 950. Es ist hierbei nicht möglich, eine Resolution aufgrund eines Antrags in Form der question of the privileges of the House vorzubringen, die den Sprecher verpflichtet, den Abgeordneten das Wort für one-minute oder specialorder speeches zu erteilen, da eine question of privilege keine Geschäftsordnungsregeln ändern oder auslegen kann. Zum deutschen Bundestagspräsidenten vgl. § 32 GOBT.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
im Anschluß an die Protokollgenehmigung stattfindenden one-minute speeches und die am Ende eines Sitzungstages stattfindenden special-order speeches sind für die Congressmen von besonderer Bedeutung, da sie ihnen Gelegenheit geben, zu Themen ihrer Wahl im Plenum Stellung zu nehmen (von Glückwünschen für erfolgreiche Sportmannschaften in ihren Wahlbezirken bis hin zu außenpolitischen Themen). Nicht zuletzt wegen ihrer Fernsehübertragung sind diese Reden unter den Abgeordneten daher ein begehrtes Mittel, sich gegenüber ihren Wählern bekannt zu machen und sich politisches Profil zu verschaffen. Die power of recognition stellt diese Profilierungsmöglichkeit der Congressmen in das freie Ermessen des Speaker. III. Counting a Quorum 1. Der Regelungstatbestand von Hause Rule XX
Nach House Rule XX, cl. 1 (b) hat der Sprecher die Anwesenheit eines Quorums festzustellen. Die Feststellung eines Quorums ist verfassungs- und parlamentsrechtlich in doppelter Hinsicht von Belang. Erstens dient sie gemäß D.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 der Feststellung der Beschlußfähigkeit des Repräsentantenhauses. Nach der D.S.-Verfassung besteht das für die Beschlußfähigkeit erforderliche Quorum aus der absoluten Mehrheit aller gewählten, vereidigten und lebenden Repräsentantenhausmitglieder, deren Mandat weder durch Rücktritt noch durch einen Ausschluß seitens des Hauses beendet worden ist244. Ausgehend von der Gesamtmitgliederzahl des Repräsentantenhauses von 435 Congressmen beträgt das für die Beschlußfähigkeit des Hauses erforderliche Quorum somit 218 Abgeordnete. Wenn das Repräsentantenhaus in der Form des Committee of the Whole tagt, erfordert das Quorum nur 100 Abgeordnete 245 • Auch im Repräsentantenhaus gilt der tradierte Grundsatz des Parlamentarismus, wonach die Beschlußfähigkeit solange unterstellt wird, bis sie durch einen Geschäftsordnungsantrag (point of order of no quorum) eines Abgeordneten in Frage gestellt wird246 . Der Speaker selbst kann nicht die Initiative zur Überprüfung bzw. Feststellung der Anwesenheit eines Quo244 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2889, 2890; VI Cannon's Precedents § 638; Deschler's Precedents Ch. 20 § 1; ferner House Manual, § 53 sowie Deschler, Rules of Order, S. 188. 245 Vgl. House Rule XVIII, cl. 6 (a); House Manual, § 982. Wobei es sich hierbei indes nicht um ein Quorum des Committee of the Whole, sondern um ein Quorum des Repräsentantenhauses als Committee of the Whole handelt. Vgl. VI Cannon's Precedents § 639. 246 Dies gilt insbesondere für den Fall, daß eine Abstimmung erfolgt, obwohl kein Quorum anwesend ist. Daher zieht ein Antrag gemäß House Rule XX, cl. 6 (a) automatisch einen roll call nach sich. Dies ist im übrigen die einzige Möglichkeit eines einzelnen Abgeordneten, - unabhängig von einem Fünftel des Quorums oder der Anwesenden (s. recorded votes und yea and nay votes) - eine zeitaufwendige Beschlußfähigkeitsfeststellung zu erzwingen. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 358 f. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 20 § 1; Brown, House Practice, S. 709.
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rums ergreifen 247 . Gleiches gilt auch für den Bundestagspräsidenten, dessen Zweifel an der Beschlußfähigkeit gemäß § 45 11 1 GOBT für eine Beschlußfähigkeitsfeststellung nicht ausreichen. Auf entsprechenden Antrag eines Congressman hat der Sprecher die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Abgeordneten (quorum call) festzustellen. Dies geschieht grundsätzlich durch eine elektronische Zählung, bei der die Namen der anwesenden und abwesenden Congressmen auf der Anzeigetafel im Plenarsaal bekanntgegeben werden248 . Wenn das erforderliche Anwesenheits-Quorum nicht erfüllt wird, ist das Haus beschlußunfähig und jeglicher Geschäftsgang wird eingestellt. Das Repräsentantenhaus hat jetzt nur zwei Möglichkeiten: entweder Vertagung (adjoumment) oder Sicherstellung eines Quorums (call of the House)249. Eine Mehrheit von mindestens 15 anwesenden Abgeordneten, unter ihnen der Speaker, kann den Sprecher zu diesem Zweck ermächtigen, den Sergeant-at-Arms anzuweisen, abwesende Congressmen in den Plenarsaal zu holen 25o . Zweitens ist die Feststellung eines Quorums des Hauses die Grundlage für die Zulässigkeit einer namentlichen Abstimmung gemäß House Rule XX, cl. 1 (b) (recorded vote). Eine solche ist nur möglich, wenn der entsprechende Antrag von mindestens einem Fünftel dieses Quorums, also von mindestens 44 Abgeordneten, unterstützt wird 251 . Wahrend dem Speaker im Fall der namentlichen Abstimmung nach House Rule XX, cl. 1 (b) die Feststellung eines Quorums der gesetzlichen Mitgliederzahl obliegt, hat er im Falle der namentlichen Abstimmung nach D.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 (yea and nay votes) hingegen das hierfür erforderliche Quorum von einem Fünftel der anwesenden Abgeordneten festzustellen 252 . 247 Vgl. auch insgesamt zum Abstimmungs- und Beschlußfähigkeitsfeststellungsverfahren Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 2. 248 Vgl. House Rule XX, cl. 2 (a); vgl. auch Brown, House Practice, S. 722. Das am 03.01. 1973 (H. Res. 6, Congressional Record, 03. 01. 1973, S. 26) eingeführte elektronische Abstimmungssystem des Hauses, bei dem die Stirnmabgabe der Abgeordneten mittels einer Magnetkarte kontrolliert wird, sieht zu diesem Zweck neben den Optionen "yea" und "nay" zusätzlich die Option "present" vor. Ein namentliche Verlesung der Abgeordneten (roll call), House Rule XX, cl. 3, sowie die Feststellung des Quorums durch Zählpersonen (tellers), House Rule XX, cl. 4 (a), wird hingegen kaum noch praktiziert. 249 In beiden Fällen läßt die Verfassung in U.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 eine kleinere Anwesendenzahl als die sonst erforderliche absolute Mehrheit von Abgeordneten für die Beschlußfähigkeit ausreichen. Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2934,2952,2953; VI Cannon's Precedents §§ 624, 660, 662; Deschler's Precedents Ch. 20 §§ 10.10-10.12; ferner insgesamt Brown, House Practice, S. 710 f.; Galloway, The Legislative Process in Congress, S. 528. 250 Vgl. U.S. Const. art. I, § 5, cl. 1; House Rule XX, cl. 5 (a) und 6 (a) (2); House Manual, § 1025. 251 Im Comrnittee of the Whole erfordert ein Antrag auf namentliche Abstimmung die Unterstützung von mindestens 25 Abgeordneten. Vgl. House Rule XVIII, cl. 6 (e). 252 Beide Arten von namentlichen Abstimmungen (recorded votes und yea and nay votes) werden über das elektronische Abstimmungssystem des Hauses vorgenommen, so daß im Ergebnis heute kein Unterschied mehr in der Abwicklung besteht. Der Unterschied besteht lediglich in den Anforderungen für die beiden namentlichen Abstimmungsarten. Der entspre-
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlaments präsident
2. Die Bedeutung des Counting a Quorum durch den Sprecher
Die Feststellung des Quorums ist zeitaufwendig. Denn sie unterbricht den Geschäftsgang und führt zu Verzögerungen, da die größtenteils nicht im Plenum anwesenden Abgeordneten Zeit benötigen, um in den Plenarsaal zu gelangen und dort ihre Eingabe in das elektronische Abstimmungssystem zu vollziehen. Die entsprechenden Anträge werden daher in der Mehrzahl der Fälle aus politisch-taktischen Gründen gestellt und nicht etwa aus begründeten Zweifeln an der Beschlußfähigkeit des Repräsentantenhauses. Als maßgebliche taktische Beweggründe für die Stellung eines Antrags auf Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses (point of no quorum) sind die drei folgenden zu nennen. Erstens dienen diese Anträge im Fall von kurzfristig anstehenden Abstimmungen der Zeitgewinnung für strategische Überlegungen und dem Herbeiholen von Abgeordneten zur Unterstützung der eigenen Position. Zweitens verfolgen diese Anträge insbesondere für die Minderheitsfraktion den Zweck, sich einen Überblick zu verschaffen, welche Abgeordnete der eigenen und der Mehrheitsfraktion sich überhaupt in Washington aufhalten, um daraus Schlüsse für ihre weitere strategische Vorgehensweise ziehen zu können. Schließlich - drittens - bezwecken die Anträge häufig lediglich die Bloßstellung nicht anwesender Congressmen gegenüber der Öffentlichkeit, die mittels der Anzeigetafel im Plenarsaal Kenntnis davon nehmen kann, welche Volksvertreter sich zum Zeitpunkt des quorum calls dort befinden 253 • Um den übennäßigen Mißbrauch von Geschäftsordnungsanträgen auf Feststellung des Quorums einzuschränken, hat das Repräsentantenhaus seit dem 93. Kongreß im Jahre 1973 eine Reihe von Geschäftsordnungsänderungen eingeführt254 . Am weitesten gingen die Refonn von 1977, die als House Rule XV, cl. 6 (e) angenommen wurde, und die Refonn im 106. Kongreß 1999, die als House Rule XX, cl. 7 (a) verabschiedet wurde, nach der ein point of no quorum an eine Abstimmungsfrage gebunden ist. Während ein point of no quorum zuvor jederzeit zulässig war255 , kann der Sprecher nunmehr nach House Rule XX, cl. 7 (a) einen solchen chende Antrag auf namentliche Abstimmung wird sich also danach richten, ob mehr oder weniger als 218 Abgeordnete (Haus-Quorum) anwesend sind. Vor Einführung des elektronischen Abstimmungssystems wurden die einzelnen Abgeordneten bei namentlichen Abstimmungen nach der Mitgliederliste aufgerufen (roll call). Vgl. hierzu Tiefer, Congressional Practice, S. 357 f., 361 sowie zu den einzelnen Abstimmungsarten allgemein Brown, House Practice, S. 882 f. 253 Vgl. Galloway, The Legislative Process in Congress, S. 528. Dariiber hinaus kann das auf der Anzeigetafel sichtbare Abstimmungsverhalten bestimmter Abgeordneter, etwa der Fraktionsführer, Einfluß auf das anderer Abgeordneter haben. Im 19. Jahrhundert führten die langen Anreisezeiten für Abgeordnete aus entfernteren Wahlbezirken indes häufig dazu, daß kein Quorum zustandekam, vgl. hierzu insgesamt Tiefer, Congressional Practice, S. 355, 361 f. 254 Vgl. hierzu insgesamt House Manual, § 55, § 1029; sowie Brown, House Practice, S. 708 f., 713 f. 255 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 20 § 13.8 sowie insgesamt Brown, House Practice, S. 713; House Manual, § 55.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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Antrag solange für unzulässig erklären, bis er die anstehende Angelegenheit zur Abstimmung gestellt hat. Diese Regelung ist deshalb systemkonsistent, weil erst in diesem Moment ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Beschlußfähigkeitserfordernis aus U.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 drohen und ein Abgeordneter nur in diesem Fall die Erfüllung dieses Quorumerfordernisses einfordern kann. Eine solche Unzulässigkeitserklärung unterliegt auch keinem Einspruchsvorbehalt256 . Daneben kann der Sprecher nach seinem Ermessen einen point of no quorum als dilatory motion werten und ihn insofern für unzulässig erklären 257 . Dem Sprecher wird allerdings auch durch House Rule XX, cl. 7 (b) die Kompetenz eingeräumt, jederzeit - unabhängig von der Stellung der Abstimmungsfrage - nach seinem freien Ermessen, einem Abgeordneten das Wort für einen Antrag auf Beschlußfähigkeitsfeststellung erteilen zu können 258 . Ein Abgeordneter hat nur im Falle von House Rule XX, cl. 6 (a), d. h. nur im Falle einer Abstimmung, das Recht, unabhängig von einer im Ermessen des Sprechers stehenden Worterteilung einen point of no quorum zu stellen. In diesem Fall hat der Sprecher dann die Anwesenheit eines Quorums festzustellen, da insofern unmittelbar ein Verfassungsverstoß im Hinblick auf D.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 gerügt wird 259 . House Rule XX, cl. 6 (a) und cl. 7 (a) machen deutlich, daß sich das Ermessen des Speaker lediglich auf den Geschäftsgang betreffende geschäftsordnungsrechtliche Fragen erstreckt. Es findet dort seine Grenzen, wo die Verfassung betroffen ist. Die präsidiale Funktion des Sprechers wird demnach durch die Verfassung begrenzt. Seit der Beschränkung der Zulässigkeit von points of no quorum durch House Rule XV, cl. 6 (e) von 1977 bzw. House Rule XX, cl. 7 (a) von 1999 hat der Einsatz dieser Anträge als Verzögerungsinstrument an Wirksamkeit verloren. Damit ist auch die Ermessensentscheidung des Sprechers hinsichtlich der Bewertung solcher Anträge als dilatory insoweit überflüssig geworden 26o . Insgesamt folgt daher aus House Rule XX, cl. 7, daß der Speaker keine Anträge auf Feststellung der Beschlußfähigkeit zuzulassen braucht, wenn er eine Angelegenheit nicht zur Abstimmung gestellt hat. Er kann sie aber zulassen, wenn er sie für angemessen hält. Dies wird im Zweifel der Fall sein, wenn die mit ihnen einhergehende Zeitverzögerung der Mehrheitsfraktion von Nutzen ist. Somit beschränkt House Rule XX, cl. 7 die Zulässigkeit von points of no quorum der Minderheitsfraktion im Ergebnis nur auf Vgl. Congressional Record, 16.09.1977, S. 29562, 29594; House Manual, § 1029. Wegen des verfassungsrechtlichen Erfordernisses der Beschlußfähigkeit des Hauses (V.S. Const. art. I, § 5, cl. 1) hat der Sprecher points of no quorum allerdings gelegentlich nur zurückhaltend als Verzögerungstaktik gewertet, vgl. Deschler's Precedents Ch. 20 § 14.3. Ferner muß für eine Abweisung eines point of order als dilatory die Anwesenheit eines Quorums offensichtlich sein. Vgl. insgesamt V Hinds' Precedents §§ 5724, 5725; VIII Cannon's Precedents §§ 2804, 2808; Deschler's Precedents Ch. 20 § 14. 258 Vgl. Congressional Record, 19.01. 1977, S. 1719; 31. 01. 1977, S. 2640; 06. 08. 1986, S. 19370; House Manual, § 1029; Brown, House Practice, S. 720. 259 V gl. Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 5 ff., 13 f. 260 Vgl. Brown, House Practice, S. 717. 256 257
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Abstimmungssituationen und erklärt demgegenüber entsprechende Geschäftsordnungsanträge der Mehrheitsfraktion faktisch für generell zulässig, indem sie deren Zulässigkeit in das Ermessen des Sprechers stellt. Dies hat zur Konsequenz, daß der Speaker seine Kompetenz zur Feststellung der Beschlußfähigkeit parteipolitisch instrumentalisieren kann, jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Mehrheitsverhältnisse. Neben der Entscheidung über die Zulässigkeit von Anträgen auf Feststellung der Beschlußfähigkeit liegt auch die Entscheidung über die Art und Weise der Feststellung des Quorums im Ermessen des Sprechers. Bis 1890 sah das Repräsentantenhaus für die Konstituierung des verfassungsmäßigen Quorums als erforderlich an, daß eine absolute Mehrheit der Volksvertreter an Abstimmungen teilnahm, so daß das Quorum nur aus abstimmenden Abgeordneten bestehen konnte261 . Da ein Abgeordneter nicht zur Teilnahme an einer Abstimmung gezwungen werden kann, wurde der Minderheitsfraktion die Möglichkeit eröffnet, durch bloße Nichtteilnahme an Abstimmungen das für die Beschlußfähigkeit erforderliche Quorum zu brechen und den Geschäftsgang des Repräsentantenhauses zu blockieren 262 . Dieses sog. "disappearing quorum" war das wirksamste Obstruktionsmittel der Repräsentantenhausminderheit in der Entstehungszeit des Zwei-Parteien-Systems nach dem Bürgerkrieg263 . Dies änderte sich mit der historischen Entscheidung Speaker Reeds, nach welcher im Plenarsaal anwesende, wenngleich nicht an der Abstimmung teilnehmende Abgeordnete bei der Feststellung der Anwesenheit eines Quorums mitgezählt wurden 264 . Am 29. 01. 1890 stand im Repräsentantenhaus die umstrittene Wahlentscheidung zwischen den Abgeordneten-Kandidaten Smith und Jackson aus West Virginia zur Debatte. Auf Anweisung Speaker Reeds hatte das Rules Committee seine Vorschläge zu den Geschäftsordnungsreformen des 51. Kongresses sowie zu einer allgemeinen Regelung aller umstrittenen Kongreßwahlentscheidungen zurückgehalten. Da die Geschäftsordnung für den 51. Kongreß aus diesem Grund insgesamt noch nicht angenommen worden war, tagte das Haus unter der Geltung der allgemeinen Prinzipien des Parlamentsrechts, die dem Sprecher ein um so unbeschränkteres Ermessen bei der Sitzungsleitung einräumen. Die Demokraten, die davon ausgingen, daß die im 51. Kongreß die Mehrheit stellenden Republikaner eine umstrittene Wahlentscheidung zu Gunsten ihres Kandidaten entscheiden würden, beabsichtigten, die Wahl entscheidung so lange zu blockieren, bis das Rules Committee einen für die Minderheit akzeptablen Geschäftsordnungsentwurf vorschla261 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2896, 2897; insgesamt Brown, House Practice, S. 712; House Manual, § 54. 262 Vgl. 11 Hinds' Precedents § 1034; IV Hinds' Precedents §§ 2977, 2895; V Hinds' Precedents § 5744. 263 Vgl. hierzu im einzelnen Peters, The American Speakership, S. 52 ff., 62 ff.; siehe 5. Kap. C. 11. 2. 264 Vgl. im einzelnen IV Hinds' Precedents § 2895; Deschler's Precedents eh. 20 § 3; Damon, The Standing Rules of the Uni ted States House of Representatives, S. 111.
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gen würde 265 . Daher beantragten sie eine namentliche Abstimmung über einen Antrag auf Nichtverhandlung der umstrittenen Wahlentscheidung. Im Ergebnis stimmten 161 Abgeordnete für die Verhandlung der Angelegenheit, zwei stimmten dagegen und 165 Congressmen nahmen nicht an der Abstimmung teil. Dies bedeutete, daß sich die absolute Mehrheit der Volksvertreter - obwohl im Plenarsaal anwesend - nicht an der Abstimmung beteiligt hatte, das verfassungsmäßige Quorum demnach nicht erreicht und somit die anstehende Frage nicht entschieden worden war. Daraufhin wies Speaker Reed den Clerk unter vehementem Protest der Demokratischen Abgeordneten an, die Namen aller anwesenden und die Abstimmung verweigernden Congressmen in das Protokoll aufzunehmen, und stellte daraufhin die Anwesenheit eines Quorums im Sinne der Verfassung fest 266 . Zur Begründung seiner Entscheidung verwies Reed neben zwei Präzedenzfällen des Senats von New York, 1883, und des Abgeordnetenhauses von Tennessee, 1885, auf die parlamentarische Praxis in Großbritannien, wo für die allein dem Sprecher obliegende Feststellung des Quorums ebenfalls nur die tatsächliche Anwesenheit der Abgeordneten ausschlaggebend ist. Darüber hinaus stützte Speaker Reed seine Begründung auf zwei Argumente, die er aus der amerikanischen Verfassung selbst ableitete: das Mehrheitsprinzip, das häufig bei Gesetzesbeschlüssen nur konkludent zum Ausdruck komme, sowie die in der U.S.-Verfassung vorgesehene Möglichkeit zur Erzwingung der Anwesenheit der Abgeordneten: " ... It has been almost an everyday occurence at certain stages of the session for votes to be announced by the Chair containing obviously and mathematically no quorum; yet, if the point was not made of no quorum, the bill has always been declared to be passed. That can only be upon a very distinct basis, and that is that everybody present silently agreed to the fact that there was a quorum present, while the figures demonstrated no quorum voting. There is no ground by which under any possibility such a bill could be passed constitutionally, unless the presence of a quorum is inferred. It is inferred from the fact that no one raised the question, and the presence was deemed enough .... there is a provision in the Constitution which declares that the House may establish rules for compelling the attendance of Members. If Members can be present and refuse to exercise their functions and can not be counted as a quorum, that provision would seem to be entirely nugatory. Inasmuch as the Constitution provides for their attendance only, that attendance is enough. If more was needed the Constitution would have provided for more,,267. Der von den Demokraten gegen die Entscheidung Speaker Reeds eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg, da auch in diesem Fall anwesende, aber nicht abstimmende Abgeordnete bei der Feststellung des Quorums mitgezählt wurden und weil die Demokraten nicht über die erforderliche Mehrheit zur Verwerfung der Entscheidung des Sprechers verfügten 268 . Diese Entscheidung Speaker Reeds fand 265 266 267 268
Vgl. Peters, The American Speakership, S. 63. Vgl. Congressional Record, 29. 01. 1890, S. 949-960 und 30. 01. 1890,979-993. Vgl. V.S. Const. art. I, § 7, cl. 2 sowie art. I, § 5, cl. I. Vgl. insgesamt IV Hinds' Precedents § 2895.
21 Semm1er
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Eingang in die Geschäftsordnung. Die am 14.02. 1890 als Teil der Reed-Rules angenommene House Rule XV, § 3 lautete: " ... the names of Members sufficient to make a quorum in the Hall of the House who do not vote shall be noted by the Clerk... and be counted and announced in determining the presence of a quorum to do business." Die Regelung wurde im 52. Kongreß nicht und im 53. Kongreß lediglich in modifizierter Form übernommen. Sie gilt indes seit dem 54. Kongreß in ihrer ursprünglichen Form bis heute fort 269 . Die Bedeutung dieser Entscheidung geht allerdings weit über die beabsichtigte Verhinderung einer Obstruktions taktik hinaus. Da sie das Verhältnis der konfligierenden Prinzipien der Mehrheitsherrschaft und der Minderheitsrechte innerhalb des Repräsentantenhauses zum Gegenstand hatte, handelte es sich nicht allein um eine die Durchsetzung von Parteiinteressen sichernde Entscheidung des Sprechers, sondern um eine Entscheidung von verfassungsrechtlicher Tragweite, die die zukünftige Gestalt amerikanischer Politik bestimmte. "The Reed Reforms represented more than the triumph of a great speaker or the victory of a political party; they also represented a metamorphosis in American democracy,mo. Die die power of recognition und die Feststellung des Quorums durch den Speaker betreffenden Geschäftsordnungsreformen des 51. Kongresses bedeuteten vor allem eine Sanktionierung der Mehrheitsherrschaft. Denn künftig sollte allein die Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus die Organisation des Parlaments bestimmen und den Geschäftsgang und das Gesetzgebungsverfahren regeln können. Speaker Reed hat diese Mehrheitsherrschaft wie folgt beschrieben: "Our govemment is founded on the doctrine that if 100 citizens think one way and 101 think the other, the 101 are right. It is the old doctrine that the majority must govem. Indeed, you have no choice. If the majority do not govem, the minority will; and if the tyranny of the majority is hard, the tyranny of the minority is simply unendurable. The rules, then, ought to be so arranged as to facilitate the action of the majority,,271. Die Entscheidung Sprecher Reeds zur Feststellung des Quorums, d. h. die Zementierung der Mehrheitsherrschaft im Haus, ist schließlich im Jahre 1892 auch vom U.S. Supreme Court in United States v. Ballin bestätigt worden. Hier ging es um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, das nur mit einem auf der Grundlage der damaligen House Rule XV, § 3 festgestellten Quorum zustandegekommen war, bei dem der Sprecher die anwesenden, aber nicht abstimmenden Abgeordneten mitgezählt hatte. Das Gericht, das damit über die Verfassungsmäßigkeit eines der269 Vgl. House Rule XX, cl. 4 (b); IV Hinds' Precedents § 2905; Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 114 f. 270 Vgl. auch zu einer eingehenden Diskussion dieses Verfassungskonfliktes insgesamt Peters, The American Speakership, S. 65 ff. 271 Reed bezeichnet dies als "the first principles of democracy and republicanism alike". Reed, Rules of the House of Representatives, in: Century 37 (1889), S. 792 ff. (794 f.).
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artigen Verfahrens zur Feststellung des Quorums und damit letztlich über die Verfassungsmäßigkeit von House Rule XV, § 3 zu entscheiden hatte, erkannte zunächst die Autonomie des Repräsentantenhauses zur Festlegung seiner Geschäftsordnung an 272 und führte im Anschluß daran aus: "Its [House of Representatives] capacity to transact business iso .. created by the mere presence of a majority... The Constitution has prescribed no method of making this detennination, and it is therefore within the competency of the house to prescribe any method which shall be reasonably certain to ascertain the fact. ... As appears from the journal, at the time this bill passed the house there was present a majority, a quorum, and the house was authorized to transact any and all business. It was in a condition to act on the bill if it desired. The other branch of the question is, whether, a quorum being present, the bill received a sufficient number of votes; and here the general rule of all parliamentary bodies is that, when a quorum is present, the act of a majority of the quorum is the act of the body,,273.
Damit stand fest, daß zur Konstituierung des verfassungsmäßigen Quorums und mithin für die Beschlußfähigkeit gemäß D.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 die Anwesenheit der Mehrheit der Abgeordneten und nicht die Abstimmungsteilnahme der Mehrheit der Congressmen erforderlich ist 274 . Darüber hinaus entschied Speaker Reed am 17. 02. 1890 die Frage, auf welche Weise die Anwesenheit eines Quorums festgestellt werden solle. Es sei allein Aufgabe des Sprechers, die angemessene Art und Weise der Zählung zu bestimmen: "By what method shall the presence of a quorum be ascertained? I think an examination of all the books of parliamentary practice will show that it has been the custom from time immemorial for the presiding officer to detennine, in such manner as he deerns accurate and suitable, the presence of a quorum .... He can do it by a count which satisfies hirn, or, if it is seriously questioned, ... , the fact can be ascertained by other methods·.275.
Der Speaker hat zwar gelegentlich die Überprüfung seiner Zählung zugelassen. Er hat aber stets darauf hingewiesen, daß es sich insofern nicht um ein Recht des Hauses handele 276 ; die Bestimmung des verbindlichen Zählungsverfahrens liege allein im Ermessen des Sprechers. Folglich bestimmt der Sprecher, welche Abgeordnete er als anwesend zählt. So zählt er grundsätzlich alle Congressmen als anwesend, Siehe 2. Kap. B. 273 United States V. Ballin, 144 U.S. 1,5 f. (1892); IV Hinds' Precedents § 2904. 274 Vgl. IV Hinds' Precedents § 2932. Seit der Entscheidung United States v. Ballin muß der das Quorum betreffende Geschäftsordnungsantrag demzufolge darauf lauten, daß kein Quorum anwesend ist und nicht daß kein Quorum an der Abstimmung teilgenommen hat, vgl. IV Hinds' Precedents § 2917. 275 IV Hinds' Precedents § 2932. Zu den verschiedenen Arten der Feststellung eines Quorums (elektronisches Abstimmungssystem, call of the roll, tellers) vgl. House Rule XX, cl. 1-4 sowie House Manual, §§ 1012-1019. Zur tatsächlichen Zählung der Abgeordneten durch den Sprecher selbst vgl. IV Hinds' Precedents § 2909. 276 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2888, 2916; VI Cannon's Precedents §§ 647-651; VIII Cannon s Precedents §§ 2369, 2436. 272
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
die sich in seinem Blickfeld befinden, unabhängig davon, ob sie sich im Plenarsaal oder in der Lobby der Kammer aufhalten 277 . Darüber hinaus räumt House Rule XX, cl. 2 (a) dem Sprecher ein weitgehendes Ermessen bei der Festlegung der Zeitdauer für die FesteIlung des Quorums sowie für namentliche Abstimmungen mittels des elektronischen Abstimmungssystems ein. Die Vorschrift bestimmt: " ... the minimum time for arecord vote or quorum call by electronic device shall be 15 minutes." Dies bedeutet, daß Abgeordnete im Fall der Beschlußfähigkeitsfeststellung (quorum call) durch das elektronische Abstimmungssystem üblicherweise mindestens 15 Minuten haben, um den Plenarsaal zu erreichen und dort ihre Anwesenheit nachzuweisen. Es handelt sich allerdings nur um eine Mindestzeitvorgabe, d. h. es steht im Ermessen des Sprechers, ob er die Zählung nach 15 Minuten beendet oder den Abgeordneten zusätzliche Zeit gewährt, um ihre Anwesenheit zu dokumentieren bzw. ihre Stimme abzugeben 278 . Dieses Ermessen kann der Sprecher zugunsten der Mehrheitsfraktion einsetzen. So kann er etwa die Zählung der Congressmen für die Beschlußfähigkeit nach 15 Minuten beenden, sobald die Mehrheit der Abgeordneten anwesend ist, um nicht noch mehr wertvolle Sitzungs zeit zu verlieren. Für den Fall, daß das Nichtzustandekommen eines Quorums im Interesse der Mehrheitsfraktion liegt, was indes nur selten der Fall sein wird, kann der Speaker die Zählung nach 15 Minuten abbrechen, wenn bis dahin noch nicht die erforderliche Mehrheit anwesend ist und er verhindern will, daß ein späteres Eintreffen von Abgeordneten zur Konstituierung des Quorums führt. Er kann die Zählung auch über die 15 Minuten-Grenze ausdehnen, wenn es im Interesse seiner Fraktion liegt, daß noch mehr Abgeordnete zur Beschlußfähigkeitsfeststellung in den Plenarsaal kommen 279 • In jedem Fall gilt die Feststellung des Quorums durch den Sprecher als abschließend und unterliegt daher auch keinem Einspruchsvorbehalt: " ... all that the Members can rely on for the count of the Chair is the integrity of the Chair and the capacity of the Chair to make a correct count,,280.
Dies bedeutet, daß bei Meinungsverschiedenheiten über die Anwesenheit eines Quorums stets dem Sprecher die letztverbindliche Entscheidung über die Beschlußfähigkeit des Hauses zufällt und daß er dieses Recht im Zweifel zugunsten der Mehrheitsfraktion einsetzen wird.
Vgl. IV Hinds' Precedents § 2970; VIII Cannon's Precedents § 3120. 278 Vgl. House Manual. § 1014; Congressional Record, 06. 06. 1973, S. 18403. Vgl. zum Bundestagspräsidenten § 45 11 2 GOBT. 279 Vgl. Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 9 f. 280 Congressional Record, 03. 08. 1977, S. 26532; vgl. ferner Congressional Record, 24.07. 1974, S. 25012. 277
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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IV. Order and Decorum
1. Der Regelungstatbestand von House Rule 1, cl. 2 und House Rule XVll, cl. 4
Dem Sprecher obliegt als Sitzungsleiter die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (order and decorum) im Plenarsaal sowie in den Besuchergalerien und Fluren des Repräsentantenhauses. Zur Durchsetzung eines ordentlichen Sitzungsverlaufs wird der Sprecher in House Rule I, cl. 2 und House Rule XVII, cl. 4 ermächtigt, Abgeordnete zur Einhaltung der parlamentarischen Verhaltensregeln und damit zur Achtung der Würde des Repräsentantenhauses zu ermahnen. Außerdem ist er nach diesen beiden bereits auf den ersten Kongreß im Jahre 1789 zurückgehenden Geschäftsordnungsregeln befugt, die Congressmen zur Ordnung zu rufen. Insbesondere ist der Sprecher gemäß House Rule XVII, cl. 4 (b) berechtigt, die Verletzung der Geschäftsordnung durch ungebührliche Äußerungen von Abgeordneten festzustellen, die zur Entziehung des Rederechts führen kann. Gemäß House Rule I, cl. 2 kann er die Besuchergalerien und Flure im Falle von Störungen und Unruhe räumen lassen. Desweiteren kann der Sprecher gemäß House Rule I, cl. 2 Anschauungsmaterial (z. B. Fotos und Zeitungen) im Plenarsaal für unzulässig erklären, wenn dies zur Aufrechterhaltung eines ordentlichen Sitzungsverlaufs erforderlich iseS1 . Gemäß House Rules I, cl. 2, II, cl. 3, XVII, cl. 5 kann der Sprecher den Sergeant-at-Arms anweisen, für Ruhe und Ordnung in der Kammer zu sorgen. Insgesamt verleihen House Rule I, cl. 2 und House Rule XVII, cl. 4 dem Speaker die Ordnungs- und Disziplinargewalt gegenüber den Abgeordneten und das Hausrecht gegenüber sonstigen Anwesenden 282 . Die Verhaltensregeln für die Abgeordneten, über deren Einhaltung der Sprecher zu wachen hat, ergeben sich grundsätzlich aus House Rule XVII, cl. 1 und cl. 5. House Rule XVII, cl. 1 (a) regelt die Form, in der ein Congressman seine Worte an den Sprecher zu adressieren hat283 . Jeder Abgeordnete hat sich zu erheben und den Speaker anzusprechen, bevor er seinen Wortbeitrag vor dem Haus halten darf. Es ist unzulässig für einen Abgeordneten, seine Worte an den U.S.-Präsidenten, das Femsehpublikum, Personen in den Besuchergalerien oder Personen bzw. Organisationen außerhalb des Plenarsaals zu richten. Vielmehr haben alle Congressmen ihre Worte stets unter der Anrede "Mr. (oder Madam) Speaker" bzw. "the Chair" an den Sprecher zu richten. Untereinander haben sich Abgeordnete in der dritten Per281 Vgl. House Manual, §§ 622, 960 f. Der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den Sitzungen kam besondere Bedeutung zu, solange das Repräsentantenhaus noch nicht an einem festen Tagungsort zusammenkam, vgl. Damon, The Standing Rules of the Uni ted States House ofRepresentatives, S. 100 f.; II Hinds' Precedents §§ 1343, 1354; vgl. ferner insgesamt Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 13 ff. 282 Vgl. zu den Befugnissen des Bundestagspräsidenten aufgrund seines Haus- und Ordnungsrechts §§ 35 III, 36, 37, 38, 40, 41, 11911 GOBT. 283 Siehe 5. Kap. C. II. 1.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
son unter Hinzufügung des jeweiligen Einzelstaates des Volksvertreters anzusprechen (z. B. "the Gentleman from California"). Der parlamentarische Brauch verbietet es den Abgeordneten, sich in Debatten untereinander mit Namen oder in der zweiten Person anzusprechen. Die formelle Distanz zwischen den Congressmen soll eine zu große Vertraulichkeit ebenso verhindern wie ungezügelte Äußerungen284 . Daneben gebietet House Rule XVII, cl. 1 (b) (1) den Abgeordneten Sachbezogenheit in ihren Wortbeiträgen und verbietet ihnen jegliche Art von persönlicher Kritik und vulgärer Ausdrucksweise. So ist es unzulässig, einzelne Mitglieder des Hauses oder bestimmbare Abgeordnetengruppen, den Sprecher, den Präsidenten oder Vizepräsidenten sowie Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten, selbst wenn sie nicht Mitglieder des Kongresses sind, zu diffamieren 285 . In ähnlicher Weise sind auch die Bemerkungen über Senatoren sowie über den Senat und sein Vorgehen beschränkt286 . Darüber hinaus sind in House Rule XVII, cl. 5 einige besondere Verhaltensregeln normiert. So ist es Abgeordneten verboten, zwischen dem Sprecher und einem das Wort führenden Congressman hindurchzulaufen oder den Plenarsaal zu verlassen, wenn der Speaker sich an das Haus wendet.
2. Die Bedeutung der Preservation of Order and Decorum durch den Sprecher
Der Speaker macht das Haus grundsätzlich nicht von Amts wegen auf Verletzungen der Geschäftsordnung durch Abgeordnete aufmerksam. Das Verfahren gilt solange als zulässig, bis ein Congressman eine Verletzung durch einen Geschäftsordnungsantrag (point of order) rügt. Bei der Aufrechterhaltung eines ordentlichen Sitzungsverlaufs ergreift der Sprecher jedoch häufig die Initiative zur Durchsetzung der Geschäftsordnungsregeln und sonstiger Bestimmungen des Parlamentsrechts 287 . So ruft er Abgeordnete zur Ordnung, wenn sie ihre Redezeit überziehen, wenn sie einen anderen Redner unterbrechen, wenn sie sich einer vulgären Ausdrucksweise bedienen, nicht angemessen gekleidet sind oder seine wiederholten Ermahnungen zu ordnungsgemäßem Verhalten unbeachtet lassen. Denn in all diesen Fällen handelt es sich um Verletzungen von parlamentarischen Verhaltensregeln 288 . Das Verhalten eines Congressman kann demnach eine Verletzung der Ge284 Vgl. insgesamt House Manual, § 945; Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 9; V Hinds' Precedents § 5144; VIII Cannon's Precedents §§ 2526, 2529, 2536. Ferner untersagt House Rule XVII, cl. 7 den Abgeordneten, die Aufmerksamkeit des Hauses auf einen anwesenden Zuschauer zu lenken. 285 Vgl. House Manual, § 945; Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 3. 286 House Rule XVII, cl. 1 (b) (2) (A) bestimmt dabei die hinsichtlich des Senats unzulässigen Debattenbezüge und cl. 1 (b) (2) (B) die zulässigen. 287 Vgl. Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 13. 288 Vgl. Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 10, 13; House Manual, §§ 622, 945 ff.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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schäftsordnung darstellen, obwohl der Inhalt seiner Äußerungen für sich genommen zulässig ist289 . Beim Einschreiten gegen persönliche Diffamierungen gemäß House Rule XVII, cl. 1 (b) Cl) hat der Sprecher darauf zu achten, daß Abgeordnete mit ihren Äußerungen nicht das Speaker-Amt selbst beschädigen. So hat er sie zur Ordnung zu rufen, wenn sie sich respektlos oder beleidigend über den Sprecher oder seine Amtsführung äußern 290 . Die Unzulässigkeit solcher Äußerungen hat bereits Speaker Reed am 13. 05. 1897 auf die Kritik eines Abgeordneten an seiner bisherigen Amtsführung hin festgestellt und wie folgt begriindet: " ... allusions or criticisms of what the Chair did at some past time is certainly not in order. Not because the Chair is above criticism or above attack, but for two reasons: First, because the Speaker is the Speaker of the House, and such attacks are not conducive to the good order of the House; and, second, because the Speaker can not reply to them except in a very fragmentary fashion, and it is not desirable that he should reply to them,,291.
Diese Freistellung des Sprechers - ebenso wie des Bundestagspräsidenten292 - von jeglicher Kritik an seiner Amtsführung während der Sitzungen des Hauses unterstreicht die präsidiale Rolle des Sprechers als Verkörperung der Würde des Parlaments. Die weitreichendste Konsequenz eines auf die Verletzung einer Verhaltensregel folgenden Ordnungsrufes (call to order), der sowohl vom Sprecher als auch von einzelnen Congressmen ausgehen kann 293 , ist der Verlust des Rederechts seitens des wortführenden Abgeordneten. Ruft der Speaker einen Congressman zur Ordnung, so ermahnt er ihn gewöhnlich nur zur Einhaltung der Verhaltensregeln und beläßt ihm darauf das Wort. Nach parlamentarischem Gewohnheitsrecht kann der Speaker aber auch entscheiden, ihm das Rederecht zu entziehen, insbesondere wenn es sich um eine Verletzung von Verhaltensstandards von einigem Gewicht handelt, so etwa wenn der Abgeordnete die wiederholten Ordnungsrufe des Sprechers mißachtet 294 . Macht ein Congressman von seinem Recht, ein anderes Mitglied zur Ordnung zu rufen Gebrauch, so stellt er meist einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag und verlangt zusätzlich, daß die umstrittenen Äußerungen zu Protokoll genommen und vom Clerk verlesen werden (words taken 289 Vgl. auch Congressional Record, 29. 07. 1994, S. 18609. 290 Vgl. Cannon, Procedure in the House of Representatives, S. 160. 291 V Rinds' Precedents § 5188; vgl. auch Congressional Record, 19.01. 1995, S. 330 f. 292 Der Ältestenrat ist der Ort, wo Beanstandungen gegen die Amtsführung des Präsidenten vorgebracht werden können, die in der Plenarsitzung öffentlich zu kritisieren eine schwere Ordnungswidrigkeit darstellen würde, vgl. Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, in: HdbStR II, § 42, Rn. 38. 293 Vgl. House Rule XVII, cl. 4 (a); VIII Cannon's Precedents §§ 2481, 2521, 3479; 11 Hinds' Precedents §§ 1295, 1344; V Hinds' Precedents §§ 5154, 5161-5163, 5175, 5192. 294 Vgl. Congressional Record, 18. 09. 1996, S. 10529; 29. 07. 1994, S. 18609;
16.06. 1982,S. 13843.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
down)295. Hierauf hat der Speaker zu entscheiden, ob die Äußerungen zulässig sind296 . Unabhängig davon, ob der Ordnungsruf von ihm selbst oder von einem Abgeordneten ausgeht, ist nur der Sprecher zur Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der betreffenden Äußerungen oder des sonstigen Verhaltens befugt. Es liegt in seinem Ermessen, eine Aussprache zu seiner Entscheidung zuzulassen; in diesem Fall genießt er das Erstredereche97 . Der Sprecher hat bei seiner Entscheidung die Bedeutung der Redefreiheit gegen die Aufrechterhaltung von Ordnung und Würde im Repräsentantenhaus abzuwägen298 . Wenn zu Protokoll genommene Äußerungen vom Speaker für unzulässig erklärt werden, verliert der betreffende Abgeordnete das Rederecht für den Rest des Sitzungstages 299 . Dies kann im Einzelfall von besonderer Bedeutung sein, wenn dadurch in einer wichtigen Debatte der Hauptredner einer Fraktion ausfällt. Die Entscheidung des Sprechers über eine Frage der Verletzung der Verhaltensregeln steht unter Einspruchsvorbehalt des Hauses 3OO . Da seine Entscheidungen jedoch von der Mehrheitsfraktion in aller Regel gestützt werden 30I , sind sie in praxi letztverbindlich. Bei Verstössen gegen die parlamentarischen Verhaltensstandards kann der Speaker die Äußerungen bzw. das Verhalten für unzulässig erklären und den betreffenden Abgeordneten namentlich nennen 302 . Die Entscheidung über weitergehende Disziplinarmaßnahmen liegt gemäß House Rule XVII, cl. 4 (b) beim Repräsentantenhaus und ist Ausdruck seines parliamentary privilege303 . Die im Einzelfall wichtige Entscheidung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Abgeordneten eine Verletzung der Geschäftsordnung des Hauses darstellt und ob ihm das ReVgl. House Manual, § 960; Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 14. Vgl. House Rule XVII, cl. 4 (b). 297 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1249, 1367; V Rinds' Precedents §§ 5163-5169; vgl. ferner Brown, House Practice, S. 387 f. Der Sprecher kann dem betreffenden Abgeordneten die Möglichkeit zur Erklärung seiner Äußerung geben, und diesem kann über einen Einstimmigkeitsantrag die Rücknahme der Äußerung ermöglicht werden, vgl. Mulvihill, Decorum in House Debate, CRS Report, S. 15. 298 Vgl. V Rinds' Precedents § 5163. 299 Vgl. V Rinds' Precedents § 5196-5199. Das Haus kann dem Abgeordneten allerdings die Erlaubnis - häufig durch Einstimmigkeitsbeschluß - erteilen, später wieder zu sprechen, vgl. insgesamt House Manual, § 961. 300 Vgl. House Rule XVII, cl. 4 (b). 301 Im allgemeinen werden die Entscheidungen des Sprechers zu Verhaltensverietzungen im Falle eines Einspruchs aufrechterhalten. Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5157, 5173, 5178, 5194,5196,5198,5199. 302 Vgl. 11 Rinds' Precedents § 1345; VI Cannon's Precedents § 237. 303 Vgl. V.S. Const. art. I, § 5, cl. 2; siehe 2. Kap. B. I.; Brown, House Practice, S. 388; House Manual, § 961. Neben der Entscheidung über die Verletzung von Verhaltensregeln auf einen Ordnungsruf hin entscheidet der Sprecher unter Einspruchsvorbehalt auch über die Zulässigkeit von questions of the privileges of the House oder von questions of personal privilege (vgl. House Rule IX), die ebenfalls von Abgeordneten zur Durchsetzung von Verhaltensstandards des Hauses eingesetzt werden können, vgl. hierzu im einzelnen Mulvihill, Decorum in Hause Debate, CRS Report, S. 16 ff. 295
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C. Sitzungs leitende Kompetenzen
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derecht entzogen wird, liegt jedenfalls im Ermessen des Sprechers. Diesen Ermessensspielraum kann der Speaker im Zweifel zugunsten seiner Fraktion ausnutzen. Allerdings gebietet seine präsidiale Rolle dem Sprecher eine objektive Amtsführung und setzt einer solchen Ermessensausübung folglich enge Grenzen.
v. Deciding Points of Order and Answering Parliamentary Inquiries 1. Der Regelungstatbestand von House Rule 1, cl. 5
House Rule I, cl. 5, deren Regelung auf den ersten Kongreß von 1789 zurückgeht, statuiert: "The Speaker shall decide all questions of order, subject to appeal by a Member... " Die Norm weist dem Sprecher das alleinige Entscheidungsrecht über Geschäftsordnungsanträge (points of order) zu 304 • Ein solcher Geschäftsordnungsantrag ist der Sache nach ein Einspruch, mit dem gerügt wird, daß die anstehende Frage oder Verfahrensweise eine Verletzung der Geschäftsordnung oder eines Präzedenzfalles darstellt. Ein Geschäftsordnungsantrag kann von jedem Mitglied des Repräsentantenhauses gestellt werden 305 . Der Geschäftsordnungsantrag wird gewöhnlich mündlich vorgetragen, in Ausnahmefällen kann der Sprecher aber auf einer schriftlichen Eingabe bestehen 306 . Ein Einspruch gegen eine Maßnahme muß grundsätzlich zu dem Zeitpunkt eingelegt werden, in dem die Maßnahme zur Beratung aufgerufen worden ist. Nach Beginn der Beratung ist er unzulässig 307 • Der Sprecher kann von einem Abgeordneten verlangen, daß er die verletzte Geschäftsordnungsregel oder den verletzten Präzedenzfall genau bezeichnet308 . Denn nur ein Einspruch gegen eine tatsächliche Verletzung der Geschäftsordnung oder eines Präzedenzfalls fällt unter House Rule I, cl. 5 und kann vom Speaker entschieden werden. Der Kompetenz des Sprechers zur Entscheidung über Geschäftsordnungsanträge sind durch die Grenze zwischen dem Bereich des Parlamentsrechts und dem Bereich der Politik, durch die Geschäftsordnungsautonomie sowie durch die Gewaltenteilung funktionelle Schranken gesetzt. Nur innerhalb dieser Schranken fällt ihm in seiner präsidialen Rolle allein die Aufgabe zu, über die Einhaltung des geltenden Parlamentsrechts zu wachen 309 . So entscheidet der Speaker weder hypotheSiehe 2. Kap. C. V. So der ausdrückliche Wortlaut von House Rule I, cl. 5 sowie VI Cannon s Precedents § 240. Vgl. insgesamt Brown, House Practice, S. 633 f. 306 Vgl. V Hinds' Precedents § 6865. 307 Vgl. V Hinds' Precedents § 6888. Allgemein sowie auch zur Aufschiebbarkeit eines Geschäftsordnungsantrags Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 1 ff. sowie Brown, House Practice, S. 636 f. Zu den points of order, die nach der Geschäftsordnung jederzeit zulässig sind, vgl. Brown, a. a. 0., S. 637. 308 Congressional Record, 02. 10. 1984, S. 28522; ferner Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 1. 304
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
tische Fragen zur Geschäftsordnung oder zu zukünftigen Auswirkungen von Geschäftsordnungsänderungen31O noch entscheidet er Fragen zur Rechtmäßigkeit oder Zweckdienlichkeit eines vorgeschlagenen Verfahrensverlaufs oder eines Gesetzes- bzw. Änderungsantrags. Es obliegt ihm ebensowenig, die legislativen Auswirkungen einer zur Beratung anstehenden Maßnahme zu interpretieren 311 • Er ist ferner nicht ermächtigt, über Geschäftsordnungsanträge zu entscheiden, die nur das Haus als Gesamtorgan entscheiden kann, wie etwa zur Inkompatibilität und zur Tadelung von Abgeordneten 3l2 . Er entscheidet keine Fragen zu den verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Hauses, zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzesantrags oder zur Verfassungsmäßigkeit von Geschäftsordnungsrege1n, da diese allein in die Zuständigkeit des Supreme Court fallen 3l3 . Neben der Entscheidungsgewalt über Geschäftsordnungsanträge folgt aus House Rule I, cl. 5 die Zuständigkeit des Sprechers zur Beantwortung parlamentsrechtlicher Fragen (parliamentary inquiries). Im Gegensatz zu den als point of order ergehenden Verfahrensrügen handelt es sich hier um den gegenwärtigen Geschäftsgang betreffende Verfahrensfragen, etwa nach der Anwendbarkeit der Geschäftsordnungsregeln des Hauses auf die ständigen Ausschüsse3l4. Eine zulässige parliamentary inquiry muß sich auf die Interpretation einer Geschäftsordnungsrege1 des Hauses beziehen und darf nicht die Auslegung eines Gesetzes oder der Verfassung zum Gegenstand haben. Der Sprecher beantwortet keine als parliamentary inquiry getarnten hypothetischen Fragen. Wenngleich den parlamentarischen Anfragen eine hohe Privilegierung zukommt, sind sie nur zulässig, wenn ihr Gegenstand tatsächlich zuvor eingebracht worden ise lS .
309 V gJ. insgesamt die Übersichten der Präzedenzfälle als Ausfonnung dieser funktionellen Schranken bei Deschler's Precedents Ch. 6 § 4; Brown, House Practice, S. 619, 640 sowie House Manual, § 628. 310 VgJ. VI Cannon's Precedents §§ 249, 253; Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 4.8, 4.13 ff.; Congressional Record, 20.11. 1989, S. 30225. 311 VgJ. II Hinds' Precedents §§ 1275, 1325, 1326, 1337; IV Hinds' Precedents §§ 30913093,3127; Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 4.19, 4.20, 4.21. 312 VgJ. II Hinds' Precedents § 1275; VI Cannon's Precedents § 253; Deschler's Precedents Ch. 6 § 4.10. 313 VgJ. II Hinds' Precedents §§ 1255, 1318-1320, 1490; IV Hinds' Precedents § 3507; VI Cannon's Precedents §§ 250, 251; VIII Cannon's Precedents §§ 2225, 3031, 3071, 3427; Congressional Record, 13.05. 1948, S. 5817; Congressional Record, 12.09.1977, S. 28801; Deschler's Precedents Ch. 6 § 4.18. Siehe 2. Kap. B. 11. 314 VgJ. Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.33. 315 VgJ. hierzu insgesamt Brown, House Practice, S. 644 f.; zu weiteren Ausnahmen House Manual, § 628; Tiefer, Congressional Practice, S. 198 f.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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2. Die Bedeutung des Deciding Points of Order und des Answering Parliamentary Inquiries durch den Sprecher
Mit Ausnahme der Durchsetzung von Order and Decorum obliegt es grundsätzlich den Abgeordneten selbst, mittels eines point of order die Einhaltung und Durchsetzung der ordnungsgemäßen Verfahrensregeln anzumahnen, wenn sie der Auffassung sind, daß eine Verletzung parlamentarischen Verfahrensrechts vorliegt oder unmittelbar droht 316 ; etwa wegen Verstoßes gegen den germaneness-Grundsatz oder wegen der Unzulässigkeit eines bestimmten Antrags mangels erforderlicher Privilegierung. Gleichwohl kann der Speaker einen eingebrachten Änderungsantrag wegen formeller Fehler für unzulässig erklären, auch wenn kein entsprechender Geschäftsordnungsantrag gestellt worden ist31 ? Er kann darüber hinaus selbst, als Mitglied des Hauses, einen Geschäftsordnungsantrag stellen, was indes nur sehr selten vorkomme 18 . Außer während der Durchführung von Abstimmungen können Abgeordnete jederzeit Geschäftsordnungsanträge stellen, selbst wenn sie anderen Congressmen dadurch ins Wort fallen 319 . Einer formellen Worterteilung durch den Sprecher bedarf es insoweit nicht, so daß Geschäftsordnungsanträge nicht von der power of recognition des Sprechers abhängig sind. Vielmehr ist davon auszugehen, daß dieses uneingeschränkte Rügerecht der einzelnen Abgeordneten, das im Namen des Repräsentantenhauses als Gesamtorgan geltend gemacht wird, in der Geschäftsordnungsautonomie begründet ist und insofern keiner gesonderten Zustimmung des Speaker bedarf320 . Die Worterteilung zu einer Aussprache hinsichtlich eines point of order, die inhaltlich strikt auf die Verfahrensrüge begrenzt ist, sowie die für die Aussprache zur Verfügung stehende Zeit liegen hingegen im Ermessen des Speaker. Die Aussprache dient seiner Unterrichtung, etwa über die Rechtsauffassung des Antragstellers 321 . Der Sprecher hat grundsätzlich jeden point of order zu entscheiden. Er muß seine Entscheidung in schwierigen Fällen nicht unmittelbar fällen, sondern kann sich Zeit für eine eingehende Prüfung nehmen 322 • Er muß seine Entscheidungen 316 Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 1. 317 Vgl. Congressional Record, 08. 05. 1980, S. 10421. 318 Vgl. 11 Hinds' Precedents §§ 1277, 1315, 1316; VIII Cannon's Precedents § 3405. 319 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 198. 320 Denn die Aufrechterhaltung der Geltungskraft und Bindungswirkung des Parlamentsrechts ist ebenso eine Pflicht der einzelnen Mitglieder des Hauses wie des Sprechers, so VII Cannon s Precedents § 1479. 321 Vgl. V Rinds' Precedents §§ 6919, 6920; VIII Cannons Precedents §§ 3446-3449; Deschler's Precedents Ch. 29 § 67.3; Congressional Record, 24. 01. 1996, S. 1248. 322 Vgl. III Hinds' Precedents §§ 2725; VI Cannons Precedents § 432; VII Cannons Precedents § 2106; VIII Cannon s Precedents §§ 2174,2396,3475.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
nicht begründen, wird dies aber immer dann tun, wenn die Entscheidung ein komplexes und kontroverses Verfahrensproblem zum Gegenstand hatte 323 . In seltenen Fällen hat der Speaker an seiner Stelle das Repräsentantenhaus über einen Geschäftsordnungsantrag entscheiden lassen 324 . Bei der Ausübung seiner präsidialen Interpretationsbefugnis stellen die standing rules und Präzedenzfälle nicht nur Richtschnur und Maßstab, sondern auch Schranken für die Amtsgewalt des Speaker dar. Dies gilt vor allem für die formellen Geschäftsordnungsregeln des Hauses, die der Sprecher als Ausdruck der durch Mehrheitsentscheid ausgeübten Geschäftsordnungsautonomie bei seinen Entscheidungen stets zu befolgen hat. Die Präzedenzfälle lassen dem Sprecher einen größeren Spielraum, speziell wenn sie nicht auf Entscheidungen des Hauses beruhen 325 . Die Entscheidungen des Sprechers (rulings) gründen sich auf den sachverständigen Rat des House Parliamentarian sowie die umfangreichen Präzedenzfall sammlungen des Hauses und bilden ihrerseits Präzedenzfälle für spätere Entscheidungen 326 . Der Sprecher ist gehalten, den Präzedenzfällen unter Anwendung der stare decisis-Doktrin eine entsprechende Bindungswirkung zu geben 327 • Wenngleich der Speaker eine frühere Entscheidung zum gleichen Sachverhalt nicht mißachten wird, kann er einen solchen precedent dennoch erneut prüfen, d. h. einer differenzierenden Sachverhaltsanalyse unterziehen. Er kann ihn insoweit aufheben, als er sich als fehlerhaft erweist. Dies gilt auch für seine eigenen Entscheidungen328 . Die Frage, ob und inwieweit zwei Sachverhalte verschieden sind, eröffnet dem Speaker einen durch precedents eng begrenzten Ermessensspielraum, der ein Einfallstor für parteipolitisch motivierte Entscheidungen des Sprechers sein kann. Insofern stellt auch die Kompetenz zur Entscheidung über points of order ein Steuerungsmittel des Sprechers im Hinblick auf das parlamentarische Verfahren dar. Denn Entscheidungen von points of order durch den Sprecher können weitreichende Konsequenzen haben. Wird einem Geschäftsordnungsantrag gegen die Beratung einer bestimmten Vorlage stattgegeben, so wird diese z. B. an den jeweiligen Fachausschuß zurücküberwiesen oder auf den richtigen calendar gesetze 29 . In beiden Fällen kommt es zur Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens. Ferner kann ein point of order gegen einen Teil einer Gesetzesänderung oder gegen einen Teil eines Gesetzesabschnitts zur Folge haben, daß der gesamte Änderungsantrag bzw. der 323 Vgl. Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 2. 324 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 3173, 3282, 4930; V Hinds' Precedents §§ 5014, 5323, 6701; VI Cannon's Precedents § 49. 325 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 4. 326 Siehe insgesamt 2. Kap. C. V. I. 327 Vgl. 11 Hinds' Precedents 1317; VI Cannon's Precedents § 248: " ... the Chair is, of course, bound by the last precedent upon the question. " 328 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4637; VI Cannon's Precedents § 639; VII Cannon's Precedents § 849; VIII Cannon's Precedents §§ 2794, 3435; Deschler's Precedents Ch. 6 § 4.5. 329 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4382; VII Cannon's Precedents § 869.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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gesamte Gesetzesabschnitt für unzulässig erklärt wird 33o. Bis zur Einführung der House Rule XIII, cl. 6 (c) (2) im Jahre 1995 haben Demokratische Sprecher unter Berufung auf einen Präzedenzfall aus dem Jahre 1934 jeden Geschäftsordnungsantrag der Republikaner gegen special rules, die den Ausschluß von recommittal motions with instructions vorsahen, abgewiesen 331 . Gemäß House Rule I, cl. 5 stehen die rulings des Sprechers unter Einspruchsvorbehalt. Bei Zweifeln an einer Entscheidung des Sprechers kann jeder Congressman einen Mehrheitsentscheid des Hauses initiieren, um feststellen zu lassen, ob die Entscheidung Bestand haben soll, d. h. ob sich das Haus dadurch binden lassen will 332 . Über den Einspruch kann grundsätzlich eine Aussprache unter den Bedingungen der one-hour rule stattfinden 333 . Wird die Entscheidung des Sprechers mehrheitlich verworfen 334, so entfaltet sie keine Bindungswirkung. Wird sie angenommen, so wird sie zu einer Entscheidung des Hauses, der ebenfalls Präzedenzfallcharakter zukommt 335 . Bei dieser Abstimmung handelt es sich um durch Mehrheitsentscheid manifestierte Geschäftsordnungsautonomie, d. h. das verfassungsmäßige Recht des Repräsentantenhauses zur Setzung seiner eigenen Verfahrensregeln. Die Abstimmung macht ferner deutlich, daß der Sprecher dieser Ausübung der Geschäftsordnungsautonomie untergeordnet ist. Da der einsprucherhebende Abgeordnete somit eine autonome Rechtsausübung des Repräsentantenhauses als Gesamtorgan initiiert, bedarf er auch zur Einspruchserhebung keiner vorherigen Worterteilung durch den Sprecher. Das Einspruchsrecht ist ein unveräußerliches Recht des Repräsentantenhauses. Es dient dem Schutz vor einer willkürlichen Machtausübung durch den Speaker336 .
330 Vgl. V Hinds' Precedents § 5784; Congressional Record, 16. 06. 1970, S. 19841; 04.11. 1971, S. 39281,39286. 331 Congressional Record, 11. 01. 1934, S. 479-483. Vgl. im einzelnen House Manual, § 859. Siehe 5. Kap. B. III. 3. 332 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 6938, 6939. Der Sprecher kann in der Abstimmung für seine Entscheidung stimmen, vgl. IV Hinds' Precedents § 4569; V Hinds' Precedents §§ 5686, 6956, 6957. 333 Vgl. V Hinds' Precedents § 4978; VII Cannon's Precedents § 1608; VIII Cannon's Precedents § 2347, 2375, 3453-3455; im einzelnen House Manual, § 629; siehe 1. Kap. E. III. 334 Einsprüche gegen Entscheidungen des Sprechers sind indes äußerst selten, da sie nur geringe Erfolgsaussichten haben. Zum einen basieren die rulings auf dem Rechtsrat des Parliamentarian, zum anderen kann der Sprecher im allgemeinen auf die Unterstützung der Hausmehrheit vertrauen. Siehe 2. Kap. C. V. 2. 335 Dies ergibt sich aus der durch den Sprecher zu stellenden Abstimmungsfrage: "The question is, shall the decision of the Chair stand as the judgment of the House?" Vgl. zum Ganzen Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 2. 336 Vgl. V Hinds' Precedents § 6002. Bereits in Jefferson's Manual findet sich der Grundsatz, daß alle Entscheidungen des Sprechers vom Parlament überprüft und somit verworfen werden können, vgl. Jejferson's Manual, § 379.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Entscheidungen von Geschäftsordnungsanträgen, die von vornherein in das Ermessen des Sprechers fallen, stehen hingegen nicht unter Einspruchsvorbehalt des Parlaments. Hierzu zählen etwa Entscheidungen bezüglich der Worterteilung, der Stimmen- bzw. Quorenzählung und des Verzögerungscharakters von Anträgen 337 . Anders als dem Presiding Officer des Senats verbleibt dem Sprecher bei der Ausübung der ihm übertragenen Kompetenzen ein nicht überprüfbarer Ermessenskernbereich, der ihm in erster Linie Instrumente zur Steuerung des Verhandlungsablaufs im Plenum sichert. Von den points of order sind die parliamentary inquiries nicht nur in funktionaler, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu unterscheiden. Zwar kommt den Antworten des Sprechers auf parliamentary inquiries ebenso wie seinen Entscheidungen von Geschäftsordnungsanträgen präzedenzfallbegründende Wirkung zu, und der Sprecher hat sie an Präzedenzfällen auszurichten 338 . Doch weisen sie in viel stärkerem Maße einen explikativen als einen konstitutiven Charakter auf339 . Diese Präzedenzfälle haben im Verhältnis zu den auf einem ruling des Sprechers zu einem point of order oder den auf einen Mehrheitsentscheid des Hauses zurückgehenden precedents ein geringeres parlamentsrechtliches Gewicht34o . Demzufolge genießt ein point of order Vorrang vor einer parliamentary inquiry341. Anders als im Fall eines point of order kann ein Abgeordneter nicht gegen seinen Willen durch eine Verfahrensfrage unterbrochen werden 342 . Während die Entscheidungen des Sprechers über Geschäftsordnungsanträge in das Journal aufgenommen werden, finden die Antworten des Sprechers auf parliamentary inquiries nur Eingang in den Congressional Record 343 . Die bedeutendsten Unterschiede sind jedoch, daß anders als im Falle der points of order die Worterteilung für eine parliamentary inquiry vollständig im Ermessen des Sprechers steht344 und daß seine Antwort hierauf keinem Einspruchsvorbehalt des Hauses unterliegt 345 . Mit einem point of order macht ein Congressman das Recht des Repräsentantenhauses auf Einhaltung seiner 337 V gl. recognition: 11 Hinds' Precedents §§ 1425 - 1428; VI Cannon:S Precedents § 292; VIII Cannon's Precedents §§ 2429, 2646, 2762; Congressional Record, 04. 04. 1995, S. 10297; vote and quorum counts: VIII Cannon's Precedents § 3105; Congressional Record, 24.06. 1976, S. 20390; 12.09. 1978, S. 28984; 24. 07. 1974, S. 25012; dilatoriness of motions: V Hinds' Precedents § 5731. Im einzelnen House Manual, § 629. Siehe 5. Kap. C. 11. und III. 338 Vgl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sources: House of Representatives, CRS Report, S. 4 sowie VIII Cannon:S Precedents § 2174. 339 Vgl. Bach, Points of Order, Rulings, and Appeals in the House of Representatives, CRS Report, S. 2. 340 Vgl. Mulvihill, Parliamentary Reference Sourees: House of Representatives, CRS Report, S. 4. 34\ Vgl. Congressional Record, 07. 06. 1977, S. 17714. 342 Vgl. Congressional Record, 08. 07. 1975, S. 21628. 343 Vgl. IV Hinds' Precedents §§ 2840-2842. 344 Vgl. VI Cannon's Precedents § 541; Congressional Record, 07. 04.1992, S. 8273. 345 Vgl. V Hinds' Precedents § 6955; VIII Cannon:S Precedents § 3457.
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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selbstgesetzten Geschäftsordnung geltend. Daher steht die Worterteilung für einen solchen Geschäftsordnungsantrag nicht im Ermessen des Speaker, und in Zweifelsfällen kann nur das Haus selbst verbindlich über das Vorliegen einer Parlamentsrechtsverletzung entscheiden. Eine parliamentary inquiry hingegen bezweckt nicht die Geltendmachung eines kollektiven Rechts des Hauses, sondern dient der Klärung einer individuellen geschäftsordnungsrechtlichen Auslegungsfrage. Die Worterteilung ist eine autonome Entscheidung des Sprechers. Da sie nicht unter den Einspruchsvorbehalt des Hauses fällt, kommt seiner Antwort ein gegenüber den rulings und den Mehrheitsentscheiden des Hauses minderer Rang zu. Im übrigen sind auch die Antworten des Sprechers auf die parliamentary inquiries der Ausübung der Geschäftsordnungsautonomie des Hauses untergeordnet.
VI. Putting Questions and Conducting Votes 1. Der Regelungstatbestand von House Rufe I, cl. 6 und House Rufe XX
Mit Ausnahme der drei verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlichen Sonderregelungen, U.S. Const. art. I, § 7, cl. 2, House Rule XX, cl. 10 und House Rule XXII, cl. 12 (a) (2), die in bestimmten Fällen namentliche Abstimmungen (recorded votes) vorschreiben, ist das Abstimmungsverfahren grundsätzlich in den beiden bereits auf das Jahr 1789 zurückgehenden House Rules I, cl. 6 und XX geregelt. House Rule I, cl. 6 legt die Form der vom Speaker zu stellenden Abstimmungsfrage fest: "Those in favor (of the question), say , Aye.' "; and after the affirmative voice is expressed, "Those opposed, say 'No. ".346. Die vorgesehene mündliche Abstimmung (voice vote), bei der die Abgeordneten ihre jeweiligen Antworten ausrufen, ist die einfachste, schnellste und daher zuerst angewandte Abstimmungsmethode 347 . Der Sprecher muß auf der Grundlage der Rufe das Abstimmungsergebnis festlegen. Dazu erklärt er, daß nach seiner Meinung, "the ayes [the noes] appear to have it." Darauf zögert er einen Moment, bevor er dann mit dem Sitzungshammer verkündet, daß "the ayes [the noes] do have it and the bill is [is not] passed/the motion is [is not] agreed to." Wenn kein Abgeordneter das vom Sprecher verkündete Ergebnis vor dem Schlag mit dem Sitzungshammer in Frage stellt, gilt dieses als abschließend und die Frage als entschieden 348 .
346 Zur Stellung der Abstimmungsfrage durch den deutschen Bundestagspräsidenten vgl. § 46 GOBT. 347 Vgl. insgesamt zu den Abstimmungsmethoden die ausführliche Darstellung bei Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 3 ff. sowie Gold/ Hugo, The Book on Congress, S. 267 ff. und Tiefer, Congressional Practice, S. 349 ff. 348 Siehe 5. Kap. C. III.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Gemäß House Rule XX, cl. 1 (a) hat indes jedes Mitglied des Repräsentantenhauses das Recht, zwischen dem Hammerschlag und der Verkündung des vom Sprecher für richtig gehaltenen Ergebnisses der mündlichen Abstimmung eine sog. "division vote" (auch standing vote) zu verlangen. Darüber hinaus kann auch der Sprecher selbst - wenngleich dies nur selten vorkommt - nach House Rule XX, cl. 1 (a) eine division vote verlangen, wenn er Zweifel an der Eindeutigkeit der voice vote hat. Bei der division vote handelt es sich um ein gegenüber der voice vote aufwendigeres Abstimmungsverfahren. Der Sprecher fordert zunächst die Befürworter und darauf die Gegner des Antrags auf, sich zu erheben und zählt dann nach Köpfen aus. Darauf verkündet er das Ergebnis, und die Frage gilt als entschieden. Bei der division vote wird ebensowenig wie bei der voice vote das individuelle Abstimmungsverhalten der Congressmen erfaßt349 . Naturgemäß können nur diejenigen Abgeordneten an voice votes und division votes teilnehmen, die sich zum jeweiligen Zeitpunkt im Sitzungs saal oder in unmittelbarer Nähe desselben befinden. Abgeordneten, die sich in ihren Büros oder Ausschußräumen aufhalten, verbleibt bei beiden Abstimmungsmethoden keine Zeit, rechtzeitig zur Stimmabgabe in den Sitzungssaal zu gelangen. Folglich kann bei der voice vote wie bei der division vote eine kleine Zahl von Abgeordneten das Abstimmungsergebnis bestimmen. Daher ermöglicht House Rule XX, cl. 1 (b) jedem Abgeordneten vor der abschließenden Verkündung des Abstimmungsergebnisses einer voice vote oder division vote, eine namentliche Abstimmung (recorded vote) zu beantragen 35o. Dieser Antrag erfordert die Unterstützung von mindestens einem Fünftel des Quorums (44 Abgeordnete im regulären Plenum, 25 Abgeordnete im Committee of the Whole gemäß House Rule XVIII, cl. 6 (e))351. Namentliche Abstimmungen sind die aufwendigsten Abstimmungen und werden daher in praxi nahezu nur noch mittels des electronic voting system durchgeführt, das im Jahre 1973 zur Ausführung des Legislative Reorganization Act von 1970 eingeführt wurde 352 . Hierbei führen die Congressmen ihre speziellen voting cards in eine der zehn voting stations im Plenarsaal ein und drücken darauf den "Ja"- oder "Nein"-Knopf. Eine elektronische Anzeigetafel, auf der die Namen aller Abgeordneten verzeichnet sind, zeigt daraufhin automatisch an, wie die einzelnen Abgeordneten gestimmt haben. Bei einer recorded vote haben die Abgeordneten gemäß House Rule XX, cl. 2 (a) grundsätzlich 15 Minuten Zeit, um in den Sitzungssaal zu gelangen und dort ihre Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 430. Wenn sich ein Congressman bereits vor der abschließenden Verkündung des Ergebnisses erhoben hat und versucht hat, die Aufmerksamkeit des Sprechers für eine Beantragung gemäß House Rule XX, cl. I (b) zu erlangen, wird der Sprecher dem Antrag in aller Regel stattgeben, selbst wenn bei AntragsteIlung das Abstimmungsergebnis schon verkündet war. 351 Eine recorded vote mittels des elektronischen Abstimmungssystems kann außer über House Rule XX, cl. 1 (b) noch über House Rule XX, cl. 6 sowie über U.S. Const. art. I, § 5, cl. 3 von den Abgeordneten herbeigeführt werden. 352 Vgl. P.L. 91-510, 84 Stat. 1140; H. Res. 6, Congressional Record, 03. 01. 1973, S.26. 349
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C. Sitzungsleitende Kompetenzen
333
Stimme abzugeben. Die Stimmen werden individuell erfaßt und im Congressional Record abgedruckt. Daher nehmen an den recorded votes ungleich mehr Congressmen Teil als an den voice votes und division votes. Inzwischen werden alle Abstimmungsarten, bei denen das individuelle Abstimmungsverhalten der Abgeordneten erfaßt wird, so v.a. auch die älteren Formen der roll call votes und der recorded teller votes, insgesamt als recorded votes verstanden, die - wie auch die quorum calls - gemäß House Rule XX, cl. 2 (a) grundsätzlich mit dem elektronischen Abstimmungssystem durchgeführt werden 353 • Es sei denn, der Sprecher ordnet nach seinem Ermessen roll call votes gemäß House Rule XX, cl. 3 oder teller votes gemäß House Rule XX, cl. 4 (a) an oder das elektronische Abstimmungssystem ist funktionsunfähig (House Rule XX, cl. 2 (b». Das electronic voting system ist zum Standard-Abstimmungsverfahren für alle Arten von namentlichen, d. h. das individuelle Abstimmungsverhalten der Congressmen erfassenden, Abstimmungen avanciert. Die Unterscheidung der einzelnen älteren namentlichen Abstimmungsarten ist hinfällig geworden 354 . 2. Die Bedeutung des Putting Questions und des Conducting Votes durch den Sprecher
Gemäß House Rule I, cl. 6 ist der Sprecher befugt, die Abstimmungsfrage zu formulieren. Diese Formulierung und nicht die ursprüngliche AntragsteIlung wird Gegenstand der Abstimmung 355 . Demgegenüber ist House Rule XX im Hinblick auf die Durchführung von Abstimmungen die kompetentiell bedeutendere Vorschrift. Hiernach gilt jede vom Speaker vorgenommene Auszählung - bei einer division vote ebenso wie bei der Feststellung eines Quorums - stets als korrekt, abschließend und damit unanfechtbar. "One of the suppositions on which parliamentary law is founded is that the Speaker will not betray his duty to make an honest count on a division and the integrity of the Chair in counting a vote should not be questioned in the Rouse, and the Chair's count of Members demanding a recorded vote is not appealable,,356.
353 Siehe 5. Kap. C. III. 1. und 2. 354 Zum Ganzen Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 430 sowie Bach, Voting and Quorum Procedures in the Rouse of Representatives, CRS Report, S. 6. Zu den Abstimmungsregeln im Bundestag und der Feststellung der erforderlichen Mehrheit sowie der Verkündung des Abstimmungsergebnisses vgl. §§ 48, 51, 52 GOBT. 355 Vgl. VI Cannon's Precedents § 247. 356 Rouse Manual, § 1012; vgl. ferner V Hinds' Precedents § 6002; VIII Cannon's Precedents § 3115; Congressional Record, 11. 07. 1985, S. 18550; Congressional Record, 24.06. 1976,S. 20390. 22 Semmler
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Überpriifungen der Ergebnisse von Abstimmungen, die nicht mittels des electronic voting system durchgeführt worden sind, stehen demgemäß im Ermessen des Sprechers 357 . Daneben steht dem Speaker ein weiter Ermessensspielraum im Hinblick auf die Durchführung von elektronischen Abstimmungen zu. Gemäß House Rule XX, cl. 2 (a) haben die Abgeordneten bei einer recorded vote und einem quorum ca1l 358 grundsätzlich 15 Minuten Zeit, um ihre Stimme abzugeben bzw. ihre Anwesenheit nachzuweisen. Bei den 15 Minuten handelt es sich um eine Mindestzeit für die Offenhaltung der Zählung. Es steht im Ermessen des Sprechers, den Abgeordneten nach Ablauf dieser Zeit zusätzliche Zeit für ihre Stimmabgabe bzw. für den Nachweis ihrer Anwesenheit zu gewähren 359 . Aufgrund dieses Ermessensspielraumes kann der Sprecher die Entscheidung, wie lange eine elektronische Abstimmung nach Ablauf der 15 Minuten offengehalten wird, zum Vorteil seiner Fraktion einsetzen. Zeichnet sich etwa ein knappes Abstimmungsergebnis ab, so kann er die Abstimmung nach 15 Minuten beenden, sobald seine Fraktion über eine Ein-Stimmen-Mehrheit verfügt. Dies gilt insbesondere, wenn das Ergebnis sich ändern könnte, falls die Abstimmung noch länger offengehalten würde und damit weiteren Abgeordneten der Gegenfraktion die Möglichkeit gegeben würde, ihre Stimme abzugeben. Andererseits kann der Speaker eine Abstimmung erheblich über die Mindestzeit von 15 Minuten hinaus offenhalten, wenn seine Fraktion eine Abstimmung zu verlieren droht und deshalb noch Zeit benötigt wird, um Abgeordnete zur Änderung ihrer Stimmabgabe zu überreden oder um noch mehr Congressmen die Möglichkeit zu geben, ins Plenum zu gelangen und ihre Stimme abzugeben 36o . Im allgemeinen geben die Sprecher ihre Verfahrensweise bezüglich der Durchführung elektronischer Abstimmungen im voraus bekannt361 . Für den 104. und 105. Kongreß erklärte Speaker Gingrich z. B., daß er, um Zeit zu sparen und den Gesetzgebungsprozeß zu beschleunigen, beabsichtige, elektronische Abstimmungen so schnell wie möglich nach der 15minütigen Mindestzeit zu schließen, und daß sich Abgeordnete nicht auf Anzeichen von außerhalb des Hauses verlassen sollten, die vermuten ließen, daß Abstimmungen so lange offengehalten würden, bis sie in den Plenarsaal gelangten 362 . Allerdings wird der Sprecher eine Abstimmung so lange nicht schließen, wie bereits im Plenarsaal anwesende Congressmen dabei sind, ihre Stimme abzugeben 363 . Die Abstimmung schließt mit der Verkündung des ErgebVgl. Deschler/Brown, Procedure, Ch. 30 § 19.2. Siehe 5. Kap. C. III. 1. 359 Vgl. zu diesem Regelungszusarnrnenhang sowie zum Ermessen des Sprechers insgesamt die Ausführungen zur Beschlußfähigkeitsfeststellung, die in gleicher Weise wie die Durchführung von recorded votes durch den Sprecher partei politisch instrumentalisiert werden kann. Vgl. House Manual, § 1040; Congressional Record, 06. 06. 1973, S. 18403. 360 Vgl. Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 9 f.; vgl. auch mit Beispielen Oleszek, Congressional Procedures, S. 187. 361 Vgl. insgesamt House Manual, § 1014. 362 Congressional Record, 04. 01. 1995, S. 552. 357 358
C. Sitzungsleitende Kompetenzen
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nisses durch den Speaker. Er entscheidet auch darüber, unter welchen Bedingungen Abgeordnete bis zu diesem Zeitpunkt ihre Stimme ändern können 364 • Den Ermessensentscheidungen des Sprechers hinsichtlich der Durchführung elektronischer Abstimmungen sind durch die Verpflichtung zu einer fairen, unparteiischen Amtsführung enge Grenzen gezogen. Eine Abstimmungszeit von 15 Minuten ist nicht erforderlich, wenn mehrere Abstimmungen unmittelbar nacheinander stattfinden bzw. wenn eine recorded vote unmittelbar auf einen ebenfalls elektronisch durchgeführten quorum call folgt. Denn die Abgeordneten sind in diesen Fällen bei der zweiten und den darauffolgenden Abstimmungen bereits im Plenarsaal anwesend und benötigen keine 15 Minuten mehr, um an der Abstimmung teilzunehmen 365 . Vor diesem Hintergrund ermächtigt House Rule XX, cl. 9 den Sprecher in bestimmten Fällen, nach seinem Ermessen die Zeit der auf eine reguläre mindestens l5minütige Abstimmung folgenden elektronischen Abstimmungen von 15 auf bis zu fünf Minuten zu verkürzen. Er teilt den Abgeordneten im voraus mit, wie er sein Ermessen auszuüben gedenkt, so daß diese, wenn sie sich zur ersten Abstimmung im Plenarsaal einfinden, gewarnt sind, dort die weiteren Abstimmungen abzuwarten. Eine weitere, praktisch bedeutsame Möglichkeit zur Verkürzung der Abstimmungszeit findet sich in House Rule XX, cl. 9 (d), die auf House Rule XX, cl. 8 verweist 366 . Hiernach wird der Sprecher ermächtigt, nach seinem Ermessen Abstimmungen zu bestimmten Fragen auf einen späteren, genau festgesetzten Zeitpunkt innerhalb von grundsätzlich zwei Sitzungstagen zu verschieben (House Rule XX, cl. 8 (a) (I)) und sie dann unter Verkürzung der Abstimmungszeit auf bis zu fünf Minuten in unmittelbarer Folge entscheiden zu lassen (House Rule XX, cl. 8 (c)). Diese Kompetenz wird als sog. "postponing and clustering votes" bezeichnet367 . Voraussetzung ist, daß für eine der entsprechenden Abstimmungen entweder eine recorded vote beantragt oder ein point of no quorum gemäß House Rule XX, cl. 6 gestellt worden ist und daß die erste einer Serie von Abstimmungen eine mindestens l5minütige Dauer hat. Wenn das Haus den vorgesehenen Tagesordnungspunkt erreicht hat, stimmen die Abgeordneten über die zurückgestellten Fragen in der vom Sprecher festgelegten Reihenfolge (House Rule XX, cl. 8 (b) und (d)) und Zeit ab. Der Speaker ist zu nachträglichen zeitlichen Änderungen berechtigt, solange die Abstimmungen in der insgesamt vorgesehenen Zeit abgehalten Congressional Record, 10.02.1995, S. 4385; 22. 06. 1995, S. 16814. VgI. insgesamt auch Gold/Hugo, The Book on Congress, S. 270; Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 10; House Manual, § 1014. 365 VgI. Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 10 f. 366 VgI. die Übersicht der Fälle, für die eine Abstimrnungszeitverkürzung vorgesehen ist, in House Manual, § 1032. 367 V gl. hierzu insgesamt Bach, Voting and Quorum Procedures in the House of Representatives, CRS Report, S. 12 f. 363
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
werden 368 . Im allgemeinen gibt der Sprecher die Dauer der Abstimmungen im voraus bekannt. Besondere Bedeutung erlangt House Rule XX, cl. 8 bei der Behandlung von suspension of the rules-Anträgen an Montagen. Ohne die Kompetenz des Sprechers, Abstimmungen über diese Anträge zurückstellen und zeitlich zusammenziehen zu können (House Rule XX, cl. 8 (a) (2) (H», wäre das Haus gezwungen, an suspension days, montags und dienstags, in 40minütigen Abständen über eine Reihe von suspension-Anträgen zu entscheiden. Dies würde sich gerade montags für die Mehrheitsfraktion unvorteilhaft auswirken, weil die meisten Congressmen erst im Laufe dieses Tages aus ihren Wahlkreisen nach Washington zurückkehren. Die Führung der Mehrheitsfraktion hätte daher Schwierigkeiten, die erforderliche Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Abgeordneten für die Verabschiedung einer Vorlage in dem von der Fraktionsführung vorgesehenen beschleunigten suspension-Verfahren zusammenzubringen. House Rule XX, cl. 8 ermächtigt den Sprecher, solche Abstimmungen entweder auf einen späteren Zeitpunkt am Montag oder auf Dienstag oder Mittwoch zu verschieben 369 . So kann sichergestellt werden, daß die Abstimmungen unter ausreichender Beteiligung von Abgeordneten stattfinden. Darüber hinaus gewährt diese Kompetenz dem Sprecher noch einen weiteren strategischen Vorteil, der sich ebenfalls insbesondere bei der Abstimmung über suspension-Anträge, aber auch bei den Abstimmungen über die meisten anderen der in House Rule XX, cl. 8 (a) (2) aufgeführten Fragen auswirkt. Die aufgrund von House Rule XX, cl. 8 mögliche zeitliche Trennung zwischen Debatte und Abstimmung von mehreren Stunden bis zu zwei Tagen hat zur Folge, daß die Abgeordneten in diesen Fällen häufig nicht ausreichend über die Gegenstände informiert sind, über die sie zu entscheiden haben. Oft verlassen sich die Congressmen bei ihrer Stimmabgabe stärker auf die Empfehlungen der Fraktionsführungen. Diese Abhängigkeit wirkt sich besonders für die vom Sprecher und der Mehrheitsfraktionsführung favorisierten Vorlagen vorteilhaft aus und stärkt zugleich die Stellung der Fraktionsführung37o . Insgesamt gibt die Kompetenz zum Zurückstellen, Häufen und zeitlichen Verkürzen von Abstimmungen dem Sprecher ein wichtiges Instrument für eine straffe und zeiteffiziente Sitzungsleitung an die Hand. Zugleich bildet das postponing und c1ustering von Abstimmungen einen weiteren wichtigen Bestandteil der scheduling power des Sprechers zur Festlegung der Tagesordnung 37l .
Vgl. Congressional Record, 06. 06. 1984, S. 15080; 03. 10. 1988, S. 27782, 27878. Vgl. Bach, Voting and Quorum Procedures in the Rouse of Representatives, CRS Report, S. 12 f. 370 Vgl. Smith, Call to Order, S. 38. 371 Siehe 5. Kap. B. 368 369
D. Fonnale Kompetenzen
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D. Formale Kompetenzen I. Appointment Power 1. Allgemeines
In Anknüpfung an seine fonnale Funktion als Parlamentspräsident und höchster Repräsentant des Abgeordnetenhauses des Kongresses stehen dem Sprecher eine Vielzahl von Ernennungsrechten für offizielle Ämter und Funktionen ZU 372 . Diese lassen sich grundsätzlich in drei Gruppen unterteilen: politisch-außerparlamentarische, parlamentarisch-administrative und politisch-innerparlamentarische Ernennungsrechte 373 . Zu der ersten, politisch-außerparlamentarischen Gruppe zählen spezialgesetzlich normierte Ernennungsrechte für eine nahezu unübersehbare Anzahl von Posten in den unterschiedlichsten Verwaltungsräten, Beratergremien und Arbeitsgruppen. Als prominente Beispiele seien hier die Ernennungsrechte des Sprechers für bis zu 12 Mitglieder der Nordatlantischen Versammlung sowie 3 Mitglieder des Verwaltungsrats der Smithsonian Institution genannt374 . Die Gruppe der parlamentarisch-administrativen Ernennungsrechte bezieht sich in erster Linie auf die Beamten (officials), die auf der Grundlage der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses vom Sprecher zu bestimmen sind. So ernennt der Sprecher gemäß House Rule 11, cl. 6 den Inspector General, gemäß House Rule 11, cl. 7 den Historian of the House und gemäß House Rule 11, cl. 8 den General CounseI. Darüber hinaus wird auch der House Parliamentarian vom Sprecher bestimmt und der Speaker ist spezialgesetzlich ennächtigt, Vakanzen in den Ämtern des Clerk, Sergeant-at-Anns und Chaplain durch zeitweilige Ernennungen zu überbriicken375 . Zu dieser Gruppe gehört auch der vom Sprecher und dem President pro tempore des Senats gemeinsam zu ernennende Direktor des Congressional Budget Office376 . 372 Im Gegensatz zu den Ernennungsrechten, die dem Sprecher nach den jeweiligen Fraktionsstatuten zustehen, siehe 4. Kap. B. H. und III. 373 Vgl. insgesamt die Übersicht bei Deschler's Precedents Ch. 6 § 6. 374 Vgl. 22 u.s.c. § 1928a (2000); 20 U.S.C. §§ 42, 43 (2000). Eine umfassende Zusammenstellung der einzelnen Ernennungsrechte dieser Gruppe findet sich bei Deschler's Precedents Ch. 6 § 6. Bei der Nordatlantischen Versammlung handelt es sich um das nichtoffizielle Bindeglied zwischen dem NATO-Bündnis und Parlamentariern aus den Mitgliedsländern. Die Smithsonian Institution ist die Trägerin der amerikanischen Nationalmuseen in Washington, D.C. 375 Vgl. 2 U.S.c. § 75a-l (2000); Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.25. Nicht außer Acht zu lassen ist ferner der politisch-faktische Einfluß des Sprechers auf die Ernennungen der Amtsund Funktionsträger des Hauses. Vgl. insgesamt zu den einzelnen officers, officials und Funktionsträgern des Repräsentantenhauses 4. Kap. A. 376 Vgl. Doddl Schott, Congress and the Administrative State, S. 145.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Unter die politisch-innerparlamentarischen Ernennungsrechte des Sprechers fallen die Ernennungen für solche Funktionen, denen im Gegensatz zu den anderen beiden Gruppen im Hinblick auf Verfahren oder Inhalt der Gesetzgebung ein politischer Einfluß zukommt. Diese Ernennungsrechte sind für den Sprecher von besonderem Gewicht, weil er durch die Ausübung dieser Rechte seinen politischen Einfluß sichern kann. Zunächst sind die Ernennungsrechte des Sprechers hinsichtlich der Funktionen des Speaker pro tempore gemäß House Rule I, cl. 8377 sowie des Chairman of the Committee of the Whole 378 gemäß House Rule XVIII, cl. 1 anzuführen. Da der Speaker pro tempore und der Chairman of the Committee of the Whole den verlängerten Arm des Sprechers bei der Sitzungsleitung bilden, besetzt der Speaker diese Positionen ausschließlich mit Abgeordneten seines Vertrauens, mit denen er zuvor die Verfahrensstrategie abgesprochen hae 79 . Die für den Sprecher politisch bedeutendste Ernennungskompetenz folgt aus House Rule I, cl. 11; danach obliegt ihm die Ernennung sämtlicher Mitglieder der select, joint und conference committees. Im amerikanischen Kongreß gibt es grundsätzlich vier Arten von Ausschüssen, die standing, conference, joint und select committees. In allen Ausschußarten sind Abgeordnete beider Fraktionen vertreten. Die formelle Bezeichnung vermittelt keinen zutreffenden Eindruck von der Bedeutung des Ausschusses. Die Abgrenzung der Grundtypen kann sich an zwei Wesensmerkmalen orientieren. Zum einen ist zu fragen, ob ein Ausschuß über gesetzgeberische Zuständigkeiten verfügt, d. h. ob ihm Gesetzesvorlagen zur Bearbeitung zugeleitet werden und er diese dann mit einem Ausschußbericht versieht und verabschiedet. Zum anderen ist danach zu unterscheiden, ob es sich bei einem Ausschuß um ein permanentes Gremium handelt, das über mehrere Legislaturperioden hinaus bestehen bleibt 38o • Demzufolge sind die standing committees, die ständigen oder Fachausschüsse mit ihren Unterausschüssen, die bedeutendsten Ausschüsse. Ihnen wird durch die Geschäftsordnung ein bestimmter legislativer Zuständigkeitsbereich zugeschrieben, und sie sind im allgemeinen so fest institutionalisiert, daß sie in jedem Kongreß eingerichtet werden 381 • Die conference committees, die Vermittlungsausschüsse, dienen der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Repräsentantenhaus und Senat in Bezug auf bestimmte Gesetzesvorlagen. Sie verfügen zwar ebenfalls über legislative Kompetenzen, werden aber nicht auf Dauer, sondern nur bei Bedarf eingesetzt. Bei den joint committees, die man weitgehend als EnqUl!tekommissionen bezeichnen kann, handelt es sich um Gremien, die zwar über einen perSiehe 4. Kap. A. 11. 1. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 6.1, 6.2. Siehe 1. Kap. G. IV. 379 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 305; siehe 4. Kap. A. 11. 2. und III. 1. a). 380 V gl. insgesamt zu den verschiedenen Ausschußarten Deering I Smith, Committees in Congress, S. 11 ff. sowie Ripley, Congress: Process and Policy, S. 160 ff. 381 Vgl. zu den standing cornrnittees des 106. Kongresses House Rule X; zum Einfluß des Speaker auf die Besetzung dieser Ausschüsse siehe 4. Kap. B. 11. und III. 377
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D. Fonnale Kompetenzen
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manenten Status, aber nicht über gesetzgeberische Zuständigkeiten verfügen. Sie bestehen aus Abgeordneten und Senatoren und werden zur Klärung gesetzgebungspolitischer Fragenkomplexe eingesetzt, nehmen also vorwiegend eine beratende Rolle wahr382 . Select oder special committees schließlich verfügen im allgemeinen weder über legislative Zuständigkeiten noch handelt es sich bei ihnen um dauerhafte Einrichtungen. Sie werden hausintern zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt, etwa als Untersuchungsausschüsse oder zur Erarbeitung organisatorischer Reformen für beide Häuser sowie um die Bedeutung bestimmter politischer Themen zu unterstreichen 383.
2. Die historische Entwicklung der formellen Ernennungsrechte des Sprechers
Das Ernennungsrecht des Sprechers hinsichtlich der select, joint und conference committees gemäß House Rule I, cl. 11 ist ein Restbestand der bis 1911 umfassenden Kompetenz des Sprechers zur Besetzung sämtlicher Ausschüsse und Vorsitzendenposten, insbesondere der standing comrnittees. Schon die Geschäftsordnung des ersten Kongresses vom 07. 04. 1789384 räumte dem Sprecher das Recht ein, alle Ausschüsse von bis zu drei Mitgliedern nach freiem Ermessen zu besetzen. Es betraf zunächst nur die jeweils zu bestimmten Zwecken eingesetzten select committees. Am 13.01. 1790 wurde der Speaker dann ermächtigt, grundsätzlich alle Ausschüsse unabhängig von ihrer Größe zu besetzen, "unless otherwise specially directed by the House, in which case they shall be appointed by ballot,,385. Seit dem friihen 19. Jahrhundert ernannte der Sprecher dann auch die Ausschußvorsitzenden 386 . Dieses Ernennungsrecht bezog sich auch auf die im Laufe des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnenden standing committees, ohne daß die zentrale politische Bedeutung, die diese Ausschüsse zukünftig erlangen sollten, vorausgesehen wurde 387 . In dem Maße wie diese für die Funktionsfähigkeit des Hauses immer unverzichtbarer wurden, ihre Zahl anstieg und sie aufgrund ihrer festgelegten Zuständigkeitsbereiche integrale Bestandteile der Hausorganisation wurden, wuchs auch ihr politischer Einfluß auf die Gesetzgebung. Folglich wurden die Ausschußsitze in V gl. zu den joint committees des 106. Kongresses House Manual, §§ 1108 ff. Vgl. zu den select committees des 106. Kongresses House Manual, §§ 1112a ff. 384 V gl. Annals of Congress, 1SI Cong., 1st Sess., S. 98 ff. Die Mitglieder größerer Ausschüsse wurden gewählt. 385 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4448. 386 Vgl. Keefe, Congress and the American People, S. 144. Im Jahre 1890 wurde dem Speaker das Recht zugestanden, bei Tod eines Ausschußvorsitzenden dessen Nachfolger zu bestimmen. Diese Kompetenz half ihm zusätzlich, sich die Loyalität der Ausschußmitglieder zu sichern. Vgl. IV Hinds' Precedents 4513. 387 Vgl. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 239 f. 382 383
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
den standing comrnittees für Abgeordnete immer begehrenswerter. Da mit Ernennungsrechten immer auch eine Steuerungsmacht verbunden ist, ermöglichte diese Entwicklung dem Sprecher, die Gesetzgebung über die Ausschüsse in zunehmendem Maße zu steuern388 . Diese enge funktionale Verbindung zwischen dem Sprecher und den ständigen Ausschüssen währte bis zu ihrer Zerschlagung im Zuge der Hausrevolte von 1910/11, in deren Folge sich die Ausschüsse dann als vom Sprecher unabhängige Machtbastionen herauszubilden begannen 389 . Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß während des gesamten 19. Jahrhunderts immer wieder Versuche unternommen worden waren, dem Sprecher die Kompetenz zur Besetzung der ständigen Ausschüsse zu entziehen. Bis 1910/ 11 wurden sie indes nie von einer ausreichenden Mehrheit unterstützt 390 . Die Mehrheit des Repräsentantenhauses war bis dahin der Auffassung, daß die Wahl der Ausschüsse durch das gesamte Parlament schon aus zeitlichen Gründen unmöglich sei; und wenn schon eine Einzelperson diese Entscheidungen treffen sollte, dann sei der Speaker als höchster Repräsentant des Hauses der geeignetste Funktionsträger. Auch das Senatsmodell, wonach die Ausschußbesetzung in der Verantwortung kleinerer Fraktionsgremien lag, lehnte das Haus ab 391 . Erst 1910 / 11 erkannte die Mehrheit des Repräsentantenhauses, daß das Recht des Speaker zur Ernennung der Mitglieder und Vorsitzenden aller Ausschüsse den autokratischen Regimen der Sprecher des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts entscheidend Vorschub geleistet hatte 392 • "It was from this germ of power [appointment power) that the Speakers of the House developed their domination under a rigid system of party govemment,,393.
Die Entziehung des Ernennungsrechts im Jahre 1910/11 bedeutete das Ende dieser Machtentwicklung des Speaker-Amtes. Nach einer Reihe gescheiterter Versuche stellte die Entziehung der Ernennungskompetenz den letztlich erfolgreichen Schritt der Abgeordneten zur Beschränkung der Macht des Sprechers dar394 . Allerdings verlor der Speaker seine formelle Kompetenz zur Ausschußbesetzung im Zuge der Hausrevolte von 1910 /11 nicht vollständig. Zwar wurde ihm die bedeutendste Ernennungskompetenz zur Bestimmung der Mitglieder und Vorsitzenden der ständigen Ausschüsse genommen. Es bleibt aber festzuhalten, daß dieser Kompetenzverlust von dem starken Einfluß des Sprechers auf die Ausschuß-
388 S. 97 389 390 391 392
Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, ff.; Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 241 ff. Siehe 3. Kap. C. 11. und III. Vgl. Follett, The Speaker ofthe House of Representatives, S. 235 ff. Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 239. Vgl. Borchert. Legitimation und partikulare Interessen, S. 49. 393 Brown. The Leadership of Congress, S. 27. 394 Siehe 3. Kap. C. 11.
D. Formale Kompetenzen
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besetzung über das Steering Cornrnittee seiner Fraktion weitgehend aufgefangen wird395 . In jedem Fall behielt der Sprecher das Recht zur Besetzung der select, joint und conference committees 396 . Die Geschäftsordnungsänderung von 1880 räumte dem Sprecher explizit das Recht zur Besetzung aller vom Haus eingerichteten select committees ein. Anders als seine Kompetenz zur Besetzung der standing committees stand die Kompetenz zur Besetzung der select committees von nun an nicht länger unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, wonach das Haus eine Ausschußbesetzung durch Wahl anordnen konnte. Das Fehlen dieses Vorbehalts in Bezug auf die select committees verdeutlicht, daß diese am Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber den standing committees an Bedeutung verloren hatten 397 . Zehn Jahre später, 1890, erhielt der Sprecher in den Reed-Rules ausdriicklich die Kompetenz zur Besetzung aller conference committees des Hauses 398 • Allerdings handelte es sich nicht um die Einräumung einer neuen Kompetenz, sondern um die Klarstellung und Bestätigung einer parlamentarischen Praxis, die bis in die friiheste Geschichte des Repräsentantenhauses zuriickreicht 399 . Besonders im Fall der conference committees, die eine Schnittstelle zwischen dem Repräsentantenhaus und seinem verfassungsrechtlichen Partner und Rivalen, dem Senat, bilden, erschien es geboten, daß der Sprecher als "symbolic leader of the House, heading all relations with the outside world, and as coordinator of legislative activity" die Ausschußbesetzung vornimmt4OO • Aufgrund ihrer vergleichsweise geringeren Bedeutung blieben die Kompetenzen des Sprechers zur Besetzung der select und conference committees von der Hausrevolte 1910/11 verschont. Beide Kompetenzen lagen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute ununterbrochen in den Händen des Sprechers. 3. Der Sprecher und die Besetzung der conference committees
Unter den in House Rule I, cl. 11 genannten drei Ernennungsrechten kommt dem Ernennungsrecht des Sprechers hinsichtlich der conference cornrnittees kompetentiell die größte Bedeutung zu. Anders als die joint und select committees nehmen die conference cornrnittees unmittelbar Einfluß auf die Gesetzgebung. Außerdem hat der Sprecher die Möglichkeit, statt der vom Haus eingesetzten, aus VertreSiehe 4. Kap. B. 11. und III. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 792. 397 Vgl. Congressional Record, 06. 01. 1880, S. 200 ff.; IV Hinds' Precedents §§ 4448, 4470. Ferner insgesamt Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 108. 398 Vgl. Congressional Record, 06. 02. 1890, S. 1106 und 14.02. 1890, S. 1347; IV Hinds' Precedents 4470. 399 Vgl. IV Hinds' Precedents § 4470; VIII Cannon s Precedents § 2192. Ferner insgesamt Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 109. 400 V gl. insgesamt Damon, The Standing Rules of the House of Representatives, S. 109 f. 395
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
tern beider Fraktionen bestehenden select committees task forces zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für bestimmte politische Probleme einzusetzen, die sich ausschließlich aus Abgeordneten seiner Fraktion zusammensetzen 401 . Die select committees haben daher als Instrumente zur Steuerung der Gesetzgebung für den Sprecher an Bedeutung verloren. Den joint committees kommt aufgrund ihrer langfristigen Aufgabensetzung und ihrer Konzentration auf eher grundsätzliche Fragen nur geringe Bedeutung für die Tagespolitik zu. Die conference committees spielen demgegenüber im Gesetzgebungsprozeß eine entscheidende Rolle. Da ein Gesetz nur dann verfassungsmäßig zustandekommt, wenn es von Repräsentantenhaus und Senat in identischer Form verabschiedet wird402 , werden die conference committees immer benötigt, wenn sich Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Häusern des Kongresses in Bezug auf bestimmte Gesetze nicht auf andere Weise ausräumen lassen. Dies ist bei etwa zehn Prozent der Gesetze der Fa1l403 . Da es üblicherweise gerade die wichtigen, komplexen und daher konfliktträchtigen Gesetze, d. h. die major and controversial legislation, sind, die solche Meinungsverschiedenheiten hervorrufen, wird die Bedeutung der conference committees zusätzlich erhöht404 . Darüber hinaus eröffnen sie dem einzelnen Congressman die Möglichkeit, individuellen und unmittelbaren Einfluß auf die Ausgestaltung wichtiger Gesetze zu nehmen 405 . Denn die Ausschußmitglieder (Conferees oder Managers406 ) verfügen über ein beträchtliches Ermessen bei der Lösung der zwischen beiden Häusern bestehenden Meinungsverschiedenheiten. Insbesondere haben die Instruktionen des Repräsentantenhauses gegenüber den Conferees nur beratenden Charakter. Eine rechtliche Bindungswirkung geht von ihnen nicht aus407 . Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß die beiden Kammern ein Gesetz in der von den Conferees ausgehandelten Form verabschieden.
Vgl. Brenner; The Limits and Possibilities of Congress, S. 150. Siehe 3. Kap. C. IV. Vgl. IV Rinds' Precedents § 3386; ferner lefferson's Manual, § 530. 403 Vgl. allgemein zu den conference committees: McCown, The Congressional Conference Committee, S. 1 ff.; Steiner; The Congressional Conference Committee, Seventieth to Eightieth Congresses, S. 1 ff.; Vogler, The Third House, Conference Committees in the United States Congress, S. 1 ff.; Longley I Oleszek, Bicameral Politics: Conference Committees in Congress, S. 1 ff. 404 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 271. 405 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 791. 406 Vgl. V Hinds' Precedents § 6335. 407 Vgl. Congressional Record, 29. 05. 1968, S. 15499. Der Speaker kann daher einen Vermittlungsvorschlag des conference committee nicht wegen Verstoßes gegen die den Conferees auferlegten Instruktionen für unzulässig erklären. Zu den instructions des Hauses gegenüber den Conferees im einzelnen vgl. Brown, House Practice, S. 319 ff. (323). Vgl. insgesamt zum Ermessen der Conferees Gold/Hugo, The Book on Congress, S. 341; Smith, Call to Order, S. 202; Brown, House Practice, S. 316 ff. sowie Deschler / Brown, Procedure, Ch. 33 § 6. 401
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D. Fonnale Kompetenzen
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Ist eine Einigung zwischen Repräsentantenhaus und Senat nicht auf anderem Wege möglich, so wird die Einsetzung eines Vermittlungsausschusses in beiden Häusern beantragt (request a conference). Während die Einsetzung im Senat grundsätzlich über einen unanimous consent-Antrag erfolgt, wird sie im Haus auf vier Weisen beantragt408 . Grundsätzlich erfolgt die Ablehnung der Senatsvorlagen und die Einsetzung eines conference committee ebenfalls über einen unanimous consent-Antrag. Der Sprecher erteilt üblicherweise einem Abgeordneten aus einem der für die entsprechende Vorlage zuständigen Ausschüsse das Wort. Wenn ein Congressman diesem Antrag seine Zustimmung verweigert, besteht daneben die Möglichkeit, einen Vermittlungsausschuß im Wege der suspension of the rules zu beantragen. Bei umstrittenen Gesetzesvorlagen ist dieses Verfahren wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit allerdings wenig erfolgversprechend und wird daher kaum angewandt. In manchen Fällen sieht das Rules Committee die Einsetzung eines conference committee in einer special rule vor, die mit Mehrheitsbeschluß des Hauses angenommen werden muß. Häufig erfolgt die Einsetzung eines Vermittlungsausschusses auch über den in House Rule XXII, cl. I vorgesehenen Weg409 . Hiernach kann das Haus mit Mehrheitsentscheid auf Antrag eines Mitglieds des federführenden Ausschusses, meist des Vorsitzenden, und mit Zustimmung der anderen Ausschüsse, denen die Vorlage anfänglich zugewiesen worden ist, die Einsetzung beschließen. Die Worterteilung für einen solchen Antrag steht im Ermessen des Speaker4IO • Dieses Verfahren ist deshalb von besonderer Bedeutung für die Mehrheitsfraktionsfübrung, weil es der sicherste Weg ist, die Einsetzung eines Vermittlungsausschusses zu erreichen. Denn diese kann weder durch die Ablehnung eines einzelnen Abgeordneten noch das Nichtzustandekommen einer Zweidrittelmehrheit und auch nicht durch die Nichtgewährung einer entsprechenden special rule verhindert werden. In der Praxis wird der Vorsitzende eines federführenden Ausschusses den Sprecher von seiner Ausschuß-Ermächtigung zur Beantragung eines conference committee in Kenntnis setzen, so daß der Speaker bei Scheitern des unanimous consent-Antrags dem Vorsitzenden umgehend das Wort für einen Antrag nach House Rule XXII, cl. I erteilt. Die Geschäftsordnung stellt auf diese Weise sicher, daß die von einer Hausmehrheit unterstützten Vorlagen nicht an der Nichteinsetzung eines Vermittlungsausschusses scheitern. Gemäß House Rule I, cl. 11 liegt die Besetzung der conference committees im freien Ermessen des Sprechers411 • Dieser kann daher auch nicht vom Haus zu einer 408 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 276 f.; Brown, House Practice, S. 309 f.; Siff/Weil, Ruling Congress, S. 170 f. 409 Diese 1965 eingeführte Geschäftsordnungsänderung, vgl. H. Res. 8, Congressional Record, 04. 01. 1965, S. 21, sollte in erster Linie die Macht des Rules Comrnittee, die Einsetzung eines conference comrnittee verhindern zu können, durch Mehrheitsbeschluß neutralisieren. 410 Vgl. House Manual, § 1070. 411 Congressional Record, 24. 06.1932, S. 13876; 08. 07.1947, S. 8469; Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.14; Deschler/Brown, Procedure, Ch. 33 § 5.1; House Manual, § 637. Im
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
bestimmten Besetzung der Vennittlungsausschußdelegation angewiesen werden 412 . Der Speaker unterliegt bei der Ernennung der Conference Managers auch keiner Selbstbindung, da früheren committee appointments keine Präzedenzfallwirkung zukommt413 • Die drei in House Rule I, cl. 11 enthaltenen Richtlinien, wonach der Sprecher "shall appoint no less than a majority who generally supported the House position as detennined by the Speaker, shall name those who are primarily responsible for the legislation, and shall, to the fullest extent feasible, include the principal proponents of the major provisions of the bill or resolution passed or adopted by the House", entfalten abgesehen von ihrem ohnehin weiten Wortlaut keine rechtliche Bindungswirkung für den Sprecher. Daher kann auch auf ihrer Grundlage gegen seine Entscheidungen kein Einspruch eingelegt werden 414. Die Ernennungen des Sprechers stehen deshalb nicht unter Genehmigungsvorbehalt des Repräsentantenhauses. Vielmehr ermöglichen die Richtlinien in House Rule I, cl. 11 dem Sprecher eine weite Ermessensausübung bei der Personenauswahl. Denn er allein trifft die Entscheidung darüber, welche Abgeordnete die Hausposition vollständig unterstützen und welche Congressmen vorrangig für die jeweilige Vorlage zuständig sind415 • Die Richtlinien wurden 1975 und 1977 zur Stärkung des formellen Ernennungsrechts des Sprechers gegenüber dem starken Einfluß der Ausschußvorsitzenden auf die conference-Ernennungen eingeführt, nachdem das Vertrauen der Abgeordneten in eine an der Karnmerposition ausgerichtete Verhandlungsführung der vornehmlich aufgrund ihrer Seniorität in die conference committees berufenen Kollegen zurückgegangen war416 • In der parlamentarischen Praxis vertraut der Sprecher bei der Auswahl und Berufung von Abgeordneten in die Vennittlungsausschüsse in erster Linie auf die Empfehlungen des Vorsitzenden des für die Gesetzesvorlage federführenden Ausschusses bzw. der Vorsitzenden anderer sachlich maßgeblich involvierter Ausschüsse. Die Namenslisten der Ausschußvorsitzenden enthalten die Abgeordneten ihrer Ausschüsse, die die Hausposition am stärksten unterstützen, ein besonderes Interesse am Zustandekommen des Gesetzes haben und über ausreichenden Sachverstand verfügen. Wenngleich der Sprecher in seiner Ernennungsentscheidung frei ist417 , werden im allgemeinen ausschließlich Congressmen aus den für die Gegensatz dazu ist sein Ermessen bei der Ernennung von select committees erheblich beschränkt. Im allgemeinen legt die das select committee konstituierende House Resolution sowohl die Art und Weise der Ernennung der Mitglieder als auch deren Zahl fest. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 6, 6.6, 6.8. 412 Vgl. VIII Cannon's Precedents §§ 2193, 3221. 413 So Speaker Foley, vgl. Congressional Record, 03. 06. 1992, S. 13288. 414 Vgl. VIII Cannon's Precedents §§ 2193, 3221; Deschler/Brown, Procedure, Ch. 33 § 5.1; House Manual, § 637; Congressional Record, 12. 10. 1977, S. 33434. 415 Vgl. Gold/ Hugo, The Book on Congress, S. 339. 416 Vgl. H. Res. 988, Congressional Record, 08. 10. 1974, S. 34470; H. Res. 5, Congressional Record, 04. 01. 1977, S. 53 ff.; Smith, Call to Order, S. 200. 417 Allerdings benennt sich der Sprecher grundsätzlich nicht selbst zum Mitglied eines conference committee. Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.15.
D. Formale Kompetenzen
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jeweilige Gesetzesvorlage zuständigen Fachausschüssen in die conference committees berufen. Abgeordnete aus nicht berichterstattenden Fachausschüssen werden benannt, wenn etwa Teile einer Senatsvorlage in die Zuständigkeit dieser Hausausschüsse fallen oder diese Abgeordneten besondere Sachkenntnis oder besondere Interessen an dem jeweiligen Gesetz haben418 . Die Ausschußseniorität der Conferees muß bei ihrer Ernennung nicht berücksichtigt werden419 . Mangels vorgegebener Ausschußgrößen richtet sich auch die Mitgliederzahl der jeweiligen Vermittlungsausschußdelegation nach den Empfehlungen der Vorsitzenden der Fachausschüsse. Das Verhältnis von Abgeordneten der Mehrheits- und Minderheitsfraktion innerhalb der Vermittlungsausschußdelegation spiegelt im allgemeinen das Stärkeverhältnis der Fraktionen in den jeweiligen Fachausschüssen wider42o . Die Abgeordneten der Minderheitsfraktion werden auf Empfehlung des ranghöchsten Minderheitsmitglieds im Ausschuß (ranking minority member) sowie des Minority Leader benannt. Das vorrangige Ziel bei der Benennung von Conferees ist die Sicherstellung ihrer Loyalität gegenüber der Mehrheitsfraktionsführung. Dies kann dazu führen, daß hochrangige Abgeordnete der Mehrheitsfraktion nicht als Conferees berufen werden, wenn sie eine vorbehaltlose Unterstützung der Position der Fraktionsführung nicht garantieren können. Wie weit der politische Einfluß des Sprechers auf die von ihm ernannten Conferees reicht, wird daran deutlich, daß der Speaker z. B. 1998 zwei Conference Managers im nachhinein zur Änderung ihrer im Vermittlungsausschuß bereits abgegebenen Stimmen veranlaßt hat421 . Den Ausschußvorsitzenden kommt insgesamt ein erheblicher Einfluß auf die personelle wie zahlenmäßige Zusammensetzung der conference comrnittees zu. Die Mitte der 1970'er Jahre eingeführten, das formelle Ernennungsrecht des Sprechers stärkenden Richtlinien dienen vor allem dazu, den mit den Empfehlungen der Ausschußvorsitzenden unzufriedenen Abgeordneten eine Grundlage für ihre informellen Beschwerden an die Mehrheitsfraktionsführung zu geben422 • Da sich der Sprecher in vielen Fällen auf die Empfehlungen der Ausschußvorsitzenden, die über größere Sachnähe und bessere Personenkenntnisse in ihrem Bereich verfügen, verläßt, kommt dem Ernennungsrecht des Speaker häufig nur eine formale Bedeutung zu. Die enorme Komplexität vor allem mancher Haushaltsgesetze, für die 418 Vgl. insgesamt Tiefer, Congressional Practice, S. 792 ff.; Smith, Call to Order, S. 200 f.; Oleszek. Congressional Procedures, S. 279; Gold/ Hugo. The Book on Congress, S. 339; Sijf/Weil. Ruling Congress, S. 171 ff.; Brown. House Practice, S. 314; Deschler/Brown. Procedure, Ch. 33 § 5.1; House Manual. § 637; auch Deering/Smith. Comrnittees in Congress, S.219. 419 Vgl. Congressional Record, 16.07.1986, S. 16705. 420 V gl. die einen Demokratischen Sprecher insoweit bindende Democratic Caucus Rule 41. 421 Gespräch des Verfassers mit dem Senior Floor Assistant Danie1 Keniry am 13.03.2000 im V.S.-Repräsentantenhaus. 422 V gl. Smith. Call to Order, S. 200 f.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
Vermittlungsausschüsse mit bis zu 250 Senatoren und Abgeordneten mit jeweils fest umrissenen Aufgabenbereichen eingesetzt werden423 , erfordert eine enge Zusammenarbeit des Sprechers mit den führenden Ausschußpolitikern und macht eine Besetzung der conference committees allein durch den Speaker unmöglich. Dies bedeutet aber nicht, daß der Sprecher grundsätzlich keinen direkten Einfluß auf die Personenauswahl nimmt. Insbesondere bei wichtigen politischen Fragen ist zu beobachten, daß der Sprecher, bei dem das Letztentscheidungsrecht über die Zusammensetzung der conference committees liegt, sich über die - meist auf der Grundlage der Seniorität getroffenen - Empfehlungen der Ausschußvorsitzenden bzw. ranking minority members hinwegsetzt. Zwar hat es seit Mitte der 1940' er Jahre für nahezu vier Jahrzehnte keinen solchen Fall gegeben 424 , was sicherlich nicht zuletzt als Ausdruck der starken Stellung der Ausschußvorsitzenden gegenüber dem Sprecher während dieser Zeit gewertet werden muß. Doch sind Sprecherpersönlichkeiten wie O'Neill und Gingrich weniger zurückhaltend gewesen. So hat etwa Speaker O'Neill 1986 den über eine nur geringe Seniorität im Ways and Means-Ausschuß verfügenden Richard A. Gephardt, D-Mo., als Conference Manager für den Grarnm-Rudman-Hollings Act durchgesetzt425 . Speaker Gingrich hat in zwei Fällen Mitglieder der konservativen Demokratischen Gruppe "The Coalition", Gary Condit, D-Calif., und Mike Parker, D-Miss., in Vermittlungsausschüsse berufen und in einigen Fällen sogar freshmen, die über entsprechende Sachkenntnisse verfügten, als Conferees benannt426 . Neben dem Recht zur personellen Zusammensetzung stehen dem Sprecher im Zusammenhang mit der Ernennung der Conference Managers noch weitere Kompetenzen zu. In der Frühphase des Kongresses hatte der Sprecher eine Vermittlungsausschußdelegation üblicherweise aus drei Abgeordneten zu bilden427 . Heute steht die Zahl der Conference Managers des Repräsentantenhauses vollständig im Ermessen des Sprechers. Die Zusammensetzung erfolgt im allgemeinen im Hinblick auf die Komplexität des Beratungsgegenstandes, die größtmögliche Repräsentanz der divergierenden Auffassungen zu der jeweiligen Vorlage sowie die Zahl der für den Gesetzesentwurf zuständigen Fachausschüsse428 . 423 Vgl. etwa die Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses für den Omnibus Budget Reconciliation Act von 1990 (P.L. 101-508, 104 Stat. 1388), Congressional Record, 19. 10. 1990, S. H10666. Ferner Oleszek, Congressional Procedures, S. 280. 424 Am 08.07. 1947 setzte sich Speaker Martin über die Empfehlung eines Ausschußvorsitzenden hinweg, vgl. SijJIWeil, Ruling Congress, S. 172. 425 Vgl. Birnbaum! Murray, Showdown at Gucci Gu1ch, S. 257. 426 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 279 f. 427 Vgl. V Hinds' Precedents § 6336. 428 Vgl. V Hinds' Precedents § 6336; VIII Cannon's Precedents § 2193; insgesamt House Manual, § 536. Ein Antrag auf Anweisung des Sprechers zur Benennung einer bestimmten Anzahl von Conferees ist daher unzulässig, vgl. VIII Cannon's Precedents § 3221; Deschlerl Brown, Procedure, Ch. 33 § 5.2; Congressional Record, 06. 02. 1986, S. 1943. Zur zahlenmäßigen Zunahme der conference committees, vgl. Deering I Smith, Committees in Congress, S. 219 f. Die Anzahl der Delegationsmitglieder einer Kammer hat auch keinen Einfluß auf
D. Fonnale Kompetenzen
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Desweiteren kann der Sprecher die Zuständigkeit der einzelnen Abgeordneten im Vermittlungsausschuß auf bestimmte Sachfragen begrenzen. Dies gilt insbesondere für Conferees aus verschiedenen für die streitige Vorlage zuständigen Fachausschüssen429 • Diese Kompetenz ermöglicht es dem Sprecher, den Einfluß der verschiedenen beteiligten standing committees im conference committee zu steuern bzw. unterschiedlich zu gewichten. So kann er etwa Vertretern des federführenden Ausschusses eine umfassende Zuständigkeit im Vermittlungsausschuß und Abgeordneten anderer Ausschüsse nur einen auf ihre Fachzuständigkeit beschränkten Aufgabenbereich zuweisen. Seit einer Geschäftsordnungsänderung im 103. Kongreß43o ermächtigt House Rule I, cl. 11 den Speaker, Abgeordnete aus dem conference committee zurückzuziehen oder zusätzliche Abgeordnete zu benennen. Auch Vakanzen in der Vermittlungsausschußdelegation des Hauses werden durch Ernennungen des Sprechers ausgefüllt431 • Allerdings darf der Speaker - im Gegensatz zu seinem Entlassungsrecht - ein Rücktrittsgesuch eines Conference Manager nur nach einem den Rücktritt genehmigenden Einstimmigkeitsbeschluß des Hauses entgegennehmen 432 • Anders als im Senat, wo ein Mehrheitsbeschluß zur Änderung der Ernennungen des Presiding Officer ausreicht, kann das Repräsentantenhaus die Ernennungen des Sprechers nur durch Einstimmigkeitsbeschluß abändern bzw. ergänzen433 . Abgesehen von dieser verfahrenstechnischen Hürde sind Änderungen der Besetzung von Vermittlungsausschußdelegationen im Haus politisch deshalb schwer durchsetzbar, weil sie sich gegen den Sprecher als Mehrheitsführer richten. Aufgrund seiner Kompetenz aus House Rule I, cl. 11 kann der Speaker also über die Zusammensetzung des conference committee sowie über die Verteilung der Sachzuständigkeiten unter den einzelnen Fachausschußvertretern die Verhandlungen des Vermittlungsausschusses im Interesse seiner Mehrheitsfraktion erheblich beeinflussen.
die Anzahl der von der anderen Kammer zu bestimmenden Conferees, da die House Managers und die Senate Managers über die Annahme einer Kompromißlösung im Vermittlungsausschuß getrennt abstimmen. Ein Vennittlungsvorschlag ist angenommen, wenn die Mehrheit der House Conferees mit der Mehrheit der Senate Conferees übereinstimmt. Vgl. V Hinds' Precedents §§ 6328-6330, 6334. 429 Vgl. House Manual, § 536. Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.20; DeschlerlBrown, Procedure, Ch. 33 § 5.4; Brown, House Practice, S. 314; vgl. Congressional Record, 03. 03.1970, S. 5713; 30. 11. 1971, S. 43422; 14.09. 1979, S. 24554. Vgl. im einzelnen zu den additional, exc1usive und general Conferees Deering/Smith, Committees in Congress, S. 221. 430 Vgl. H. Res. 5, Congressional Record, 05. 01. 1993, S. 49. 431 Vgl. V Hinds' Precedents § 6372; VIII Cannon's Precedents § 3228; Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.16. Sowie im einzelnen Brown, House Practice, S. 315. 432 Vgl. Congressional Record, 04. 11. 1987, S. 30808; Deschler's Precedents Ch. 6 § 6.17; vgl. insgesamt Brown, House Practice, S. 315. 433 Dies ist praktisch nahezu unmöglich. Vgl. Smith, Call to Order, S. 200; Oleszek, Congressional Procedures, S. 284; Deschler / Brown, Procedure, Ch. 33 § 5.6. Siehe 6. Kap. B. III. 3. a).
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
11. Administration of Oath
In seiner Funktion als Parlamentspräsident obliegt dem Speaker die Vereidigung aller Abgeordneten, der gewählten officers und ernannten officials des Repräsentantenhauses sowie von Zeugen. D.S. Const. art. VI, cl. 3 i.Y.m. 2 D.S.C. § 25 (2000) verpflichtet alle Mitglieder des Repräsentantenhauses, zu Beginn ihrer Amtszeit einen Verfassungseid gemäß 5 D.S.C. § 3331 (2000)434 zu leisten. Diesen Eid nimmt der Speaker den gewählten anwesenden Repräsentantenhausmitgliedern grundsätzlich in der Eröffnungssitzung eines neuen Kongresses ab435 . Bis zum 7l. Kongreß im Jahre 1929 war es üblich, die Vereidigung der Congressmen nach Staatendelegationen vorzunehmen. Seit dieser Zeit werden alle Abgeordneten zusammen vereidigt, solange nicht gegen die Vereidigung einzelner Abgeordneter Einspruch wegen Zweifel an ihrer Wählbarkeit eingelegt wird436. In diesem Fall fordert der Sprecher das betreffende Mitglied auf, zeitweilig beiseite zu treten437 . Über einen solchen Einspruch entscheidet das Repräsentantenhaus als Ganzes und nicht der Sprecher. Er darf in einem solchen Fall die Vereidigung nicht vornehmen, bis er vom Raus dazu angewiesen wird 438 . Die Vereidigung der Abgeordneten steht somit nicht im Ermessen des Sprechers439 , sondern er nimmt den Eid nur im Namen des gesamten Parlaments als dessen höchster Repräsentant ab. Das in D.S. Const. art. I, § 5, cl. 1 verankerte Recht der Kammer zur Entscheidung über die Wählbarkeit ihrer Mitglieder ist Ausfluß der Parlamentsautonomie, deren Ausübung durch das Repräsentantenhaus als Gesamtorgan der Sprecher untergeordnet ist. Daneben sind sämtliche Amtsträger der Vereinigten Staaten gemäß D.S. Const. art. VI, cl. 3 i.Y.m. 5 D.S.C. § 3331 (2000) zum Verfassungseid verpflichtet. Diese Eidesverpflichtung gilt sowohl für die gewählten officers des Repräsentantenhauses, den Clerk44o, den Sergeant-at-Arms, den Chief Administrative Officer und den Chaplain, für die sie in Rouse Rule 11, cl. 1 nochmals ausdrücklich wiederholt wird441 , als auch für die vom Sprecher zu ernennenden officials, den Parliamenta434 5 U.S.C. § 3331 (2000) gilt auch für Mitglieder des Congresses, vgl. 5 U.S.C.A. § 3331 (1982), Notes of Decisions, Nr. 3. 435 Vgl. I Hinds' Precedents § 130; Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.2; DeschlerlBrown, Procedure, Ch. 2 §§ 1.2, 1.3; House Manual, § 198. 436 Vgl. VI Cannon's Precedents § 8 sowie House Manual, §§ 199,202,203; Deschlerl Brown, Procedure, Ch. 2 §§ 1.1, 1.2. 437 Vgl. VI Cannon 's Precedents §§ 9 -11, 174; VIII Cannon 's Precedents § 3386. 438 Vgl. I Rinds' Precedents §§ 135 -138, 519, 520. Der Sprecher hat häufig die Vereidigung verweigert, wenn das Haus ihm dies durch entsprechende Maßnahmen zu verstehen gegeben hat, vgl. I Hinds' Precedents §§ 139, 140. Auch in Zweifelsfällen wartet der Sprecher die Anweisung des Hauses ab, vgl. I Hinds' Precedents § 396; VI Cannon's Precedents § 11. 439 Vgl. I Rinds' Precedents § 134. 440 Vgl. auch 2 U.S.C.A. § 25 (1982). 441 Vgl. I Hinds' Precedents § 81; Deschler's Precedents Ch. 6 § 17; ferner Brown, House Practice, S. 617.
D. Formale Kompetenzen
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rian, den Inspector General, den Historian und den General Counsel. All diese Amtsträger werden beim Amtsantritt vom Speaker vereidigt. Mit Ausnahme des ausschließlich vom Sprecher ernannten Speaker pro tempore gilt dasselbe auch für einen vom Haus gewählten Speaker pro tempore sowie für einen vom Sprecher ernannten und vom Haus bestätigten Speaker pro tempore. Denn beide erhalten mit ihrem neuen Amt auch neue Kompetenzen, wie etwa die Unterzeichnung von Gesetzen anstelle des Sprechers442 . Sie werden vom Speaker vereidigt, sofern er bei ihrer Bestellung anwesend ist, andernfalls von einem Repräsentantenhausmitglied ihrer Wahl443 . Desweiteren steht dem Sprecher gemäß 2 U.S.c. § 191 (2000) das Recht zu, Zeugen zu vereidigen, die im Rahmen des Untersuchungsrechts des Repräsentantenhauses vor diesem aussagen444 . Schließlich ist der Speaker als höchster Repräsentant des Kongresses als Gesamtorgan gewohnheitsrechtlich auch ermächtigt, den Vizepräsidenten zu vereidigen445 . 111. Signature of Documents
Zur Betonung seiner Symbolfunktion als höchster Amtsträger des Repräsentantenhauses wurde der Sprecher im Jahre 1794 ermächtigt, seine Unterschrift unter alle vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Akte zu setzen446 . Diese Kompetenz ist in House Rule I, cl. 4 normiert und wurde im 97. Kongreß um das Recht des Sprechers erweitert, Gesetze auch außerhalb der Sitzungszeit des Hauses durch seine Unterschrift ausfertigen zu können447 . Gemäß House Rule I, cl. 4 bedürfen alle von beiden Häusern des Kongresses beschlossenen Gesetze (acts und joint resolutions) sowie alle im Namen des Repräsentantenhauses ergehenden Urkunden, Vorladungen und besondere Ermächtigungen des Hauses erfordernde Arrestbefehle zur Herbeiholung abwesender Congressmen der Unterschrift des Sprechers448 . Gesetze werden zuerst vom Speaker und anschließend vom Vizepräsidenten bzw. Pre442 Ein lediglich vorn Sprecher ernannter Speaker pro tempore wird abgesehen von Effizienzgründen auch deshalb nicht vereidigt, weil er anders als ein gewählter und ein ernannter und bestätigter Speaker pro tempore keine so weitreichenden Kompetenzen hat, wie z. B. die Unterzeichnung von Gesetzen. Vgl. House Rule I, cl. 8 (b) (2) sowie insgesamt House Manual, § 634 sowie Deschler's Precedents Ch. 6 § 11, dort Fn. 13, S. 552. 443 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 11, 11.1, 11.2, 11.4, 11.5, 11.6; ferner Brown, House Practice, S. 621. 444 Vgl. House Manual, §§ 343, 346. 445 Z. B. Vereidigung von Vizepräsident Lyndon B. Johnson durch Speaker Rayburn am 20.01. 1961 und Vereidigung von Vizepräsident Hubert H. Humphrey durch Speaker McCormack am 20. 01. 1965, vgl. insgesamt Riddick, Senate Procedure, S. 1392 f. 446 Vgl. 11 Hinds' Precedents § 1313; ferner Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 100 sowie House Manual, § 624. 447 Vgl. H. Res. 5, Congressional Record, 05. 01. 1981, S. 98 ff. 448 Vgl. im einzelnen House Manual, §§ 625,626.
23 Semmler
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
siding Officer des Senats ausgefertigt und dann dem Präsidenten zur Unterschrift zugeleitet449 • Wenngleich es in der Geschichte des Hauses Fälle gegeben hat, in denen der Sprecher die Ausfertigung von Gesetzen abgelehnt hat450 , ist eine Verweigerung der Unterschrift praktisch nicht möglich, da er den Entscheidungsprozeß des Kongresses nicht in Abrede stellen und sich nicht über den mit Mehrheit geäußerten Willen des Repräsentantenhauses hinwegsetzen kann. Denkbar ist eine zeitliche Verzögerung der Unterzeichnung, die durch den Mehrheitswillen des Hauses leicht zu verhindern, politisch also bedeutungslos ist.
E. Parlamentarische Teilnahmerechte I. Debate
Der Sprecher ist zwar der gewählte Parlamentspräsident des Repräsentantenhauses und als solcher zur Unparteilichkeit verpflichtet. Er ist aber auch ein Mitglied des Hauses mit grundsätzlich den gleichen parlamentarischen Teilnahmerechten wie jeder andere Abgeordnete auch. Die Befugnis zur Wahrnehmung dieser Rechte, insbesondere die Teilnahme an Gesetzesdebatten und Abstimmungen, ist allerdings umstritten451 . Die Problematik, die sich aus den Debattenbeiträgen des Sprechers ergibt, wurde schon im 19. Jahrhundert offenbar. Es geht um die Frage, ob es gerecht sei, "by the power of party to place a man in the Speaker's chair, and then compel hirn to use the influence of the chair when he had defined his position ... It was utterly impossible that the Speaker, after having taken his side upon the floor, could go back to the chair, and award the floor with the same impartiality as ifhe had never spoken,,452.
Wenngleich Jefferson's Manual in Sec. XVII davon ausgeht, daß der Sprecher, während er den Sitzungsvorsitz innehat, lediglich zu Fragen der Geschäftsordnung Stellung nehmen darf, sich aber im übrigen grundsätzlich anderer Äußerungen zu enthalten hat, so hat das Haus dem Sprecher doch in verschiedenen Fällen Stellungnahmen von seinem Platz auf dem Rostrum aus erlaubt453 . Hier ging es aber nicht um politische Inhalte, sondern eher um allgemein verfahrensrechtliche oder um das Sprecher-Amt betreffende Fragen, so etwa Entgegnungen auf Kritik an der Vgl. IV Hinds' Precedents § 3429. 450 So etwa bei Abwesenheit eines Quorums, vgl. IV Hinds' Precedents § 3458, sowie bei einer schwebenden motion to reconsider gemäß House Rule XIX, cl. 3, die die zeitweilige Außerkraftsetzung der vorhergehenden Maßnahme zur Folge hat, vgl. House Manual, § 1007; vgl. V Hinds' Precedents § 5705. 451 Vgl. Satumo, The Speaker ofthe House, CRS Report, S. 7. 452 Abgeordneter Chauncy Cleveland, D-CT, am 14. 01. 1850, Congressional Globe, 31 st Cong., 1st Sess., S. 144. 453 Vgl. House Manual, § 358. 449
E. Parlamentarische Teilnahmerechte
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Amtsführung des Speaker454 . Für parteipolitische Äußerungen in einer Gesetzesdebatte, zu denen der Sprecher als Abgeordneter gleichermaßen berechtigt ist, verläßt er - ebenso wie der deutsche Bundestagspräsident455 - seinen Platz auf dem Rostrum und spricht im allgemeinen ohne vorherige Zustimmungseinforderung vom Rednerpult aus. In diesem Fall betraut er üblicherweise ein anderes Mitglied seiner Fraktion als Speaker pro tempore mit dem Sitzungsvorsitz456 . Der Sprecher ist gewohnheitsrechtlich berechtigt, sowohl an Debatten des regulären Plenums als auch an solchen des Committee of the Whole teilzunehmen 457 . Wenngleich es sich insoweit um Ausnahmen handelt, gibt es Präzedenzfälle, in denen Sprecher Anträge gestellt und sich an der Debatte über Geschäftsordnungsanträge beteiligt haben458 . Speaker Dayton hat im vierten Kongreß als erster Sprecher bei den Verhandlungen im Committee of the Whole an einer Gesetzgebungsdebatte teilgenommen. Allgemein anerkannt wurde die Wahrnehmung dieses Abgeordnetenrechts durch den Sprecher erst seit der Amtszeit Speaker Clays (zwischen 1811 und 1825)459. Da die Sprecher ihr Rederecht - außer vom Ende des partisan speakership bis zum Beginn des feudal speakership zwischen 1896 und 1931 460 - über lange Perioden der Geschichte des Repräsentantenhauses nur sehr selten ausgeübt haben461 , stellt die Debattenbeteiligung des Speaker bis heute eine Ausnahme dar. Nichtsdestoweniger kann der Sprecher, dessen Äußerungen aufgrund seiner Stellung als gewählter Mehrheitsführer des Hauses politisch besonderes Gewicht zukommt, sein Rederecht gezielt zur Förderung und Verteidigung des legislativen Programms seiner Fraktion einsetzen. So hat sich etwa Speaker Gingrich 1997 im Repräsentantenhaus gegen eine Zuriicküberweisung des Tax Relief Act an die Ausschüsse und damit gegen eine Änderung des Gesetzes ausgesprochen462 . Ebenso kann der Sprecher, wie Speaker Foley im Jahr 1991 bei einer Debatte im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz im Persischen Golf, sein Rederecht auch im Sinne eines überparteilichen Amtsverständnisses einsetzen, um die Vorbildhaftigkeit der Debattenführung des Hauses über Fragen von Krieg und Frie-
454 Vgl. 11 Rinds' Precedents §§ 1360, 1369, 1372. In seltenen Fällen hat der Sprecher auch ohne Zustimmung des Hauses von seinem Platz aus kurze Ausführungen gemacht, vgl. 11 Rinds' Precedents §§ 1373, 1374. 455 Vgl. § 27 I 2 GOBT. 456 Vgl. 11 Rinds' Precedents § 1360; Deschler's Precedents Ch. 6 § 5; insgesamt Deschler / Brown, Procedure, Ch. 6 § 3 sowie Brown, House Practice, S. 620. 457 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 5.1, 5.2, 5.3. 458 Vgl. 11 Rinds' Precedents § 1367 mit Fn.; V Rinds' Precedents §§ 1607,6097. 459 Vgl. Committee on Rouse Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 93 f.; siehe Anhang I. 460 V gl. zum Debattenverhalten v.a. der Sprecher Reed, Cannon, Clark und Longworth die Ausführungen bei Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 44 ff. 461 V gl. 11 Rinds' Precedents § 1367 mit Fn. 462 Vgl. Congressional Record, 26. 06.1997, S. H4814.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
den hervorzuheben 463 . Ob und wie ein Speaker von seinem Rederecht Gebrauch macht, hängt nicht zuletzt von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers ab. 11. Voting Das verfassungsmäßige Stimmrecht eines zum Sprecher gewählten Abgeordneten ist seit dem ersten Kongreß durch die Geschäftsordnung unter besondere Bedingungen gestellt worden. Die ersten Geschäftsordnungsregeln aus dem Jahre 1789 sahen vor, daß der Speaker an allen geheimen Abstimmungen (ballot votes) teilzunehmen hatte. Darüber hinaus sollte er aber nur dann zur Stimmabgabe berechtigt sein, wenn er durch sein Votum ein vorhandenes Stimmenpatt auflösen oder ein Stimmenpatt überhaupt erst herbeiführen konnte. Denn im Fall eines Stimmenpatts war ein Antrag gescheitert464 • Da das Repräsentantenhaus geheime Abstimmungen üblicherweise nur bei den Wahlen seiner Amtsträger anwandte, war es dem Sprecher praktisch verwehrt, an Abstimmungen im Gesetzgebungsprozeß teilzunehmen 465 . Die Präzedenzfälle des Hauses enthalten indes einige Belege für eine von diesem Grundsatz abweichende Abstimmungsteilnahme des Speaker auch in legislativen Angelegenheiten 466 . Nachdem in den Jahren 1833 und 1837 Reformversuche mit dem Ziel, den Sprecher zur Teilnahme an sämtlichen Abstimmungen zu verpflichten, gescheitert waren, wurde im Jahre 1850 eine Regelung angenommen, wonach der Speaker außer im Fall geheimer Abstimmungen nicht zur Stimmabgabe verpflichtet war. Diese Regelung, die die Teilnahme an sämtlichen Abstimmungen (und zwar auch solchen, bei denen seinem Votum eine ein Abstimmungspatt auflösende oder begründende Wirkung zukam,) in das Ermessen des Sprechers stellte, bildete die Grundlage für die heutige Geschäftsordnungsregel House Rule I, cl. 7. Diese wurde in ihrer aktuellen Fassung im Jahre 1880 vom Repräsentantenhaus eingeführt467 . House Rule I, cl. 7 bestimmt: "The Speaker is not required to vote in ordinary legislative proceedings, except when his vote would be decisive or when the House is engaged in voting by ballot."
Hiernach hat der Sprecher ebenso wie der deutsche Bundestagspräsident468 und jedes andere Mitglied des Repräsentantenhauses das Recht, an allen Abstimmungen Vgl. Congressional Record, 12.01. 1991, S. 1085. V gl. Annals of Congress, 1SI Cong., 1sI Sess., S. 99. 465 Vgl. Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 94, dort Fn. 30; ebenso Satumo, The Speaker of the House, CRS Report, S. 8, dort Fn. 26. 466 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5966, 5967. 467 Vgl. V Hinds' Precedents § 5964; ferner Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 105. 468 V gl. Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 94. 463
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E. Parlamentarische Teilnahmerechte
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der Kammer, im regulären Plenum und im Comrnittee of the Whole, teilzunehmen. Dieses Recht nimmt er indes nur selten wahr469 . Ein relativer Anstieg der Abstimmungsteilnahme von Sprechern war lediglich seit der Hochphase des partisan speakership bis in die Anfangsphase des feudal speakership zwischen 1896-1919 zu verzeichnen 47o • Abgesehen von dem heute nahezu ausgeschlossenen Fall einer geheimen Abstimmung471 ist der Sprecher zur Stimmabgabe verpflichtet, wenn seine Stimme entscheidend ist. Die erste Geschäftsordnungsregel aus dem Jahre 1789 nannte ausdrücklich nur das Auflösen oder Herbeiführen eines Abstimmungspatts. In der parlamentarischen Praxis des Hauses wurden später jedoch auch andere Situationen, wie etwa die Schaffung einer für eine Verfassungsänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit472 , als Fälle angesehen, in denen der Stimme des Speaker entscheidendes Gewicht zukommen und er sich folglich an der Abstimmung beteiligen konnte. Demzufolge bezieht sich die in der gegenwärtigen Fassung weitere Formulierung "decisive" insgesamt auf vier Fälle, in denen die Stimmabgabe des Sprechers zu einem Unterschied im Abstimmungsergebnis führt: Der Speaker ist erstens zur Stimmabgabe verpflichtet, wenn sein Votum ein Stimmenpatt auflösen (to break a tie) oder zweitens herbeiführen (to make a tie) kann, drittens wenn das Zustandekommen einer Zweidrittelmehrheit von seiner Stimme abhängt und viertens wenn seine Stimme für das Zustandekommen eines Quorums erforderlich ist473 • Dem britischen Speaker steht ein Stimmrecht nur dann zu, wenn seine Stimme ein Patt auflösen, nicht aber herbeiführen kann. Nach dem Verlust seines Stimmrechts als Abgeordneter wird ihm dieses Recht gerade als eine besondere Amtspflicht des Sprechers zur Erleichterung des Entscheidungsverfahrens im House of Commons eingeräumt474 • Der amerikanische Sprecher kann hingegen eine Frage durch Auflösung eines Abstimmungspatts nicht nur affirmativ, sondern durch Herbeiführung eines Abstimmungspatts auch negativ entscheiden 475 , denn bei einem Abstimmungspatt gilt der jeweilige Antrag als abgelehnt476 • Ein negatives Votum 469 Vgl. House Manual, § 631; Brown, House Practice, S. 620; Deschler/Brown, Procedure, Ch. 30 § 11.1; Committee on House Administration, History of the United States House of Representatives, 1789-1994, S. 94; siehe auch die Übersicht bei Oleszek, Congressional Procedures, S. 34. 470 Vgl. Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 50, 52 ff. mit detaillierten Übersichten zum Abstimmungsverhalten der Sprecher Reed, Henderson, Cannon und Clark. 471 Vgl. House Rule XX, cl. 11. Die letzte geheime Abstimmung (ballot vote), die besonderen Verfahrensrege1n unterliegt, hat wohl im Jahre 1868 stattgefunden, vgl. V Hinds' Precedents § 6003 sowie insgesamt House Manual, § 1034 und Deschler's Precedents Ch. 6 § 5. 472 Annals of Congress, 8th Cong., 1st Sess., S. 775 f. 473 Vgl. insgesamt Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 149 f.; ferner Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 5.4, 5.6, 5.7, 5.8. 474 Siehe 4. Kap. A. I. 1. a) dd) (2) (a). 475 Vgl. VIII Cannon's Precedents § 3100; Congressional Record, 14.08. 1957, S. 14783. 476 Vgl. House Rule XX, cl. 1 (c); Deschler's Precedents Ch. 6 § 5, 5.6, 5.8, 5.9.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
des Sprechers im Fall des Stimmengleichstands hat daher keine Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis477 , sondern allenfalls deklaratorische Bedeutung. Darüber hinaus ist das Abstimmungsrecht des amerikanischen Speaker keine bloße Amtspflicht, sondern ein Abgeordnetenrecht, das er im Interesse seiner Wähler wahrzunehmen hat478 . Der Speaker darf seine Stimme allerdings nicht zweimal abgeben479 • Er wird bei namentlicher Abstimmung nur auf seine Aufforderung hin und in diesem Fall am Ende des Durchgangs der Namensliste aufgerufen48o . Bei einer elektronischen Abstimmung wird der Sprecher ebenfalls nach entsprechender Anweisung und Übergabe seiner Abstimmungskarte an den Clerk auf die Anzeigetafel aufgenommen481 . Der Sprecher kann seine für den Ausgang einer Abstimmung entscheidende Stimme auch noch nach Abstimmungsende abgeben, wenn eine Überpriifung der Abstimmung ergibt, daß seine Stimme entscheidend wäre. Ebenso kann er seine Stimme zuriickziehen, wenn sich im nachhinein ergibt, daß sie nicht erforderlich gewesen ist482 . Die Bedeutung der Stimmabgabe als politisches Führungsmittel des Sprechers ist eher gering. Dies ist für den Fall einer geheimen Abstimmung offensichtlich. In sonstigen Fällen wird der Sprecher im allgemeinen sein Votum als letzter abgeben, so daß seine Stimmabgabe keine beeinflussende Wirkung auf andere Congressmen haben kann. Andererseits kann der Speaker insbesondere bei knappen Abstimmungsentscheidungen gerade durch seine friihzeitige Stimmabgabe das Abstimmungsverhalten seiner Fraktionsmitglieder lenken 483 . Abgesehen davon kommt der Stimmabgabe des Sprechers selbst in den vier genannten entscheidenden Fällen keine über die Bedeutung der Stimmen der anderen Abgeordneten hinausgehende Wirkung zu, wenngleich sie dramatischer ist484 . Nichtsdestoweniger erscheint die gegenwärtige Regelung aus der Sicht des Speaker als gelungener Kompromiß zwischen seiner präsidialen und partei politischen Rolle. Denn da er nicht verpflichtet 477 Vgl. Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 150: "unnecessary vote". Ebenso wird die Stimrnabgabe des Sprechers im Falle der Feststellung eines Quorums für nicht erforderlich gehalten, denn hier reicht seine Anwesenheit aus, dies., a. a. 0., S. 150, dort Fn. 12. 478 Vgl. insgesamt Follet, The Speaker ofthe House of Representatives, S. 151 f. 479 Vgl. V Hinds' Precedents 5964. 480 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5970, 5965; VIII Cannon's Precedents § 3075. Vgl. Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 50. 481 Vgl. Congressional Record, 17. 10. 1990, S. 30229. 482 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5969, 5971, 6061-6063; VIII Cannon's Precedents § 3075. Ferner Chiu, The Speaker of the House of Representatives since 1896, S. 51 sowie Deschler/Brown, Procedure, Ch. 30 § 11.2. 483 So scheiterte die Hausresolution zur Unterstützung der NATO-Luftangriffe im KosovoKonflikt im April 1999 nicht zuletzt daran, daß Speaker Hastert seiner Fraktion durch seine späte Stimrnabgabe nicht rechtzeitig ein Abstimrnungsverhalten vorgab. Vgl. Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 172. 484 Vgl. insgesamt Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 106.
F. Sonstige Kompetenzen des Sprechers
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ist, an jeder Abstimmung teilzunehmen, ist er der Notwendigkeit enthoben, sich im Haus als Parteipolitiker mit bestimmten Interessen stets in Gegensatz zur Minderheit zu setzen. Es dürfte ihm insofern leichter fallen, die Würde und Unparteilichkeit eines Parlamentspräsidenten zu wahren. Bei wichtigen Abstimmungen, insbesondere bei Stimmengleichstand, hat der Sprecher hingegen die Möglichkeit, eine wegen ihrer Seltenheit um so aufsehenerregendere Stimmabgabe vorzunehmen und auf besondere Weise politische Akzente zu setzen485 . III. Gesetzeseinbringung
Das dritte parlamentarische Teilnahmerecht, das dem Speaker wie jedem anderen Abgeordneten des Repräsentantenhauses zusteht, ist das Recht zur Einbringung von Gesetzesvorschlägen. Wenngleich der Sprecher üblicherweise davon absieht, der Kammer public bills von allgemeiner Bedeutung vorzuschlagen, so bringt er doch gelegentlich Vorlagen zu public bills ein, die in ihrer Bedeutung auf den Wahlkreis des Sprechers begrenzt sind486 . Die Wahrnehmung des Gesetzesinitiativrechts durch den Sprecher ist eine auf die unmittelbare Vertretung seines Wahlkreises beschränkte Ausnahme. Denn im allgemeinen nimmt der Speaker in seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender politischen Einfluß auf die Einbringung von Gesetzesvorlagen seitens der Mehrheitsfraktion.
F. Sonstige Kompetenzen des Sprechers Neben den dargestellten Kompetenzen stehen dem Sprecher noch eine Anzahl weniger bedeutende Kompetenzen und Amtspflichten zu. So besitzt er als Parlamentspräsident das Recht, Sitzungen des Hauses entweder gemäß House Rule I, cl. 12 oder aufgrund der seinem Amt inhärenten Notstandsgewalt487 zu unterbrechen. Ferner erklärt er die Sitzungsvertagung des Repräsentantenhauses 488 . Der Sprecher ist gemäß House Rule XIV, cl. 2 für die Weiterleitung, Verlesung oder sonstige Erledigung aller auf dem Platz des Sprechers eingegangenen routinemäßigen Geschäftsvorgänge (business on the Speaker's table)489 sowie unter House RuIe XII, cl. 1 (a) grundsätzlich für die Korrektur fehlerhafter caIendar-Zuweisungen von Gesetzesvorlagen zuständig49o . Schließlich weist die erst im 105. Kongreß eingeSo auch Follett, The Speaker of the House of Representatives, S. 156. Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 § 2.2; ferner Deschler/Brown, Procedure, eh. 16 § 1.5. 487 Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 § 3.44. 488 Vgl. V Hinds' Precedents § 6735. 489 Vgl. House Manual, §§ 874, 875. 490 Es sei denn, das Repräsentantenhaus hat eine calendar-Zuweisung vorgenommen, vgl. VI Cannon's Precedents § 749; VII Cannon's Precedents § 859; insgesamt House Manual § 828. 485
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
führte House Rule I, cl. 13 dem Sprecher im Verbund mit dem Minority Leader die Zuständigkeit für die Entwicklung und Einführung eines Drogen-Überpriifungssysterns zu. Das Hausrecht des Sprechers erstreckt sich - vergleichbar dem des deutschen Bundestagspräsidenten491 - nicht nur gemäß House Rule I, cl. 2 und Rule IV, cl. 6 auf den Plenarsaal mitsamt den Zuschauergalerien und die unmittelbar anschließenden Räume, sondern gemäß House Rule I, cl. 3 und Ru1e IV, cl. 1 - 5 auch auf die gesamte Repräsentantenhausseite des Capitol-Gebäudes. Hier ist er auch für die Zuteilung der Räumlichkeiten verantwortlich 492 . Unter das Hausrecht des Sprechers fallen desweiteren seine Verantwortlichkeit für die gesamte Organisation der Rundfunk- und Fernsehberichterstattung über die Sitzungen des Repräsentantenhauses gemäß House Rule V sowie seine Aufsicht über die Platzvergabe auf der Galerie an Medienberichterstatter sowie vor allem Pressevertreter gemäß House Rule VI, cl. 2 und 3. Zum Hausrecht gehört ferner der Vorsitz in der House Office Building Commission493 , der neben dem Sprecher noch der Majority und Minority Leader angehören und die u. a. für die Vergabe der Räume in den Abgeordnetengebäuden zuständig ist. Dem Sprecher obliegt neben dem Presiding Officer des Senats die Auswahl des für die Außenanlagen des Kongresses zuständigen Architect of the Capitol und gemeinsam mit dem Majority Leader des Senats die Ernennung des Kongreßarztes494 • Wahrend der deutsche Bundestagspräsident nach Art. 4011 1 GG die Polizeigewalt495 für den Bereich des Bundestags besitzt, liegt diese für den Kongreß bei den Sergeants-at-Anns des Repräsentantenhauses und des Senats, nicht aber beim Sprecher, der sich lediglich im Rahmen seiner Ordnungsgewalt der Unterstützung des Sergeant-at-Anns bedienen kann496 .
In seiner Funktion als oberster Verwaltungschef des Repräsentantenhauses hat der Sprecher gemäß House Rule VI, cl. 1 die Dienstaufsicht über die Parlaments491 V gl. Art. 40 11 I GG und § 7 11 GOBT. Siehe hierzu Ritzel / Bücker / Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 6 f. 492 Die dem Sprecher im Jahre 1824 eingeräumte und 1911 bestätigte Zuständigkeit für die Zuteilung der wenigen im Capitol-Gebäude zur Verfügung stehenden Räume an die Congressmen war für lange Zeit während des 19. Jahrhunderts, als die Abgeordneten noch über keine Büros verfügten, sondern sämtliche Geschäfte von ihrem Schreibtisch im Sitzungssaal aus führten, ein wichtiges Belohnungsmittel für Abgeordnete, deren Kooperation der Sprecher bedurfte. Vgl. Damon, The Standing Rules of the United States House of Representatives, S. 102. 493 Siehe zur House Office Building Cornmission House Manual, § 1114 sowie Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper / MacKenzie, The House at Work, S. 214 f. 494 Vgl. Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper/ MacKenzie, The House at Work, S. 225. 495 V gl. auch § 7 11 1 GOBT. Hierzu Ritzel! Bücker / Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 6.1 f. 496 Siehe Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 616 sowie House Rule I, cl. 2 i.V.m. House Rule 11, cl. 3 (a). Siehe 4. Kap. A. I. 2. c) und 5. Kap. C. IV. 1.
F. Sonstige Kompetenzen des Sprechers
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stenographen. Er ist nach House Rule I, cl. 10 zuständig für die Bewilligung von Dienstreisen und Reisekosten aller Abgeordneten, Amtsträger und sonstigen Mitarbeiter des Repräsentantenhauses. Im Gegensatz zum deutschen Bundestagspräsidenten, der gemäß § 7 IV 1 GOBT i.Y.m. § 176 I 3 BBG oberste Dienstbehörde der Bundestagsbeamten ist497 , ist die Kompetenz des Sprechers zur Steuerung und Kontrolle der Parlamentsverwaltung normativ nur sehr schwach ausgestaltet. Insbesondere ist seine Stellung als Verwaltungschef nicht gesetzlich nonniert. Seine Steuerungskompetenz und sein Entlassungsrecht in Bezug auf den Clerk, Sergeant-at-Arms und CA0498 ergeben sich vielmehr aus der mit seiner Funktion als Parlamentspräsident einhergehenden Gesamtverantwortlichkeit für das Repräsentantenhaus sowie aus seinem parteipolitischen Einfluß auf Personalentscheidungen499 . Dies gilt besonders für die Ernennung von Abgeordneten seiner Fraktion zu Mitgliedern und zum Vorsitzenden des House Comrnittee on Administration 5OO, dem zentralen Steuerungsorgan der Repräsentantenhausverwaltung. Abgesehen von einer Reihe von Rechenschaftspflichten 50I , die ihm gegenüber bestehen und seinen verwaltungskompetentiellen Status aufgewertet haben, verfügt der Sprecher kaum über institutionalisierte Kontroll- und Eingriffsbefugnisse innerhalb des Verwaltungssystems. Da er als Mehrheitsführer und oberster Amtsträger des Repräsentantenhauses aber von der Öffentlichkeit und dem politischen Gegner für Schwächen im Verwaltungsapparat verantwortlich gemacht wird, ist er gezwungen, informell Lösungen aufgrund seiner politischen Schlüsselposition im Haus zu finden 502 . In seiner symbolischen Funktion als höchster Amtsträger des Repräsentantenhauses hat der Speaker gemeinsam mit dem Vizepräsidenten den Vorsitz in den joint sessions beider Häuser des Kongresses inne und wacht über die Einhaltung der parlamentarischen Umgangsformen zwischen Repräsentantenhaus und Senat503 . Der Sprecher ist von Amts wegen Mitglied des Presidential Election Campaign Fund Advisory Board504 sowie gemäß House Rule X, cl. 11 (a) (2) neben dem Minority Leader von Amts wegen stimmrechtsloses Mitglied des für geheim497 Seine Vorgesetzteneigenschaft gegenüber nicht beamteten Bediensteten des Bundestages folgt aus § 7 IV 3 GOBT. Siehe hierzu insgesamt Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 40, Rn. 107; Ritzel! Bückerl Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 7 GOBT, S. 8 ff. 498 V gl. House Rule 11, cl. 1. 499 Vgl. Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper I MacKenzie, The House at Work, S. 214,229 f.; siehe 4. Kap. A. I. 2. a). 500 Vgl. Democratic Caucus Rule 15; Republican Conference Rule 12 D. 501 Vgl. Z. B. House Rule 11, cl. 2 (j); House Rule 11, cl. 3 (e); House Rule 11, cl. 6 (c) (3) und (4); siehe auch House Rule 11, cl. 8. 502 V gl. Kieffer, Providing Administrative Support Services to the House, in: Cooper I MacKenzie, The House at Work, S. 229 f. 503 Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.45. 504 Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 § 2.
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5. Kap.: Amtsgewalt und Kompetenzen des Speaker als Parlamentspräsident
dienstliche Angelegenheiten zuständigen Permanent Select Committee on Intelligence. Der Sprecher hat ferner nach entsprechender Ermächtigung durch das Haus gegenüber dem zuständigen Staatsanwalt die Namen derjenigen Personen zu bestätigen, gegen die wegen Mißachtung des Repräsentantenhauses (contempt of the House) ermittelt werden so11 505 . Im Falle der Überstimmung eines präsidentiellen Vetos mit Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern ist der Speaker für die Weiterleitung des angenommenen Gesetzes an die General Services Administration zum Zwecke der Promulgation zuständig, wenn das Repräsentantenhaus nach dem Senat über das Gesetz abgestimmt hat506 •
505 506
Vgl. 2 U.S.C. § 194 (2000); Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 3,3.40,3.43. Vgl. I U.S.C. § 106a (2000); Deschler's Precedents Ch. 6 § 3.
6. Kapitel
Die Stellung des Speaker im Vergleich zu den Führungspositionen des Senats A. Allgemeines Im Rahmen der institutionellen Organisation des Kongresses 1 konturiert der Vergleich mit den Führungspositionen des Senats die Stellung des Sprecher-Amtes als höchstes Legislativamt. Der Senat weist im Verhältnis zum Repräsentantenhaus grundsätzlich eine parallele Binnenorganisation auf. Dies gilt sowohl für die Parteiämter als auch für die offiziellen Amtsträger des Senats. Die Majority und Minority Floor Leaders des Senats, die Party Whips mit den ihnen untergeordneten Assistant Whips sowie der Secretary of the Senate, dessen Funktionen weitgehend denen des Clerk of the House entsprechen, der Sergeant-at-Arms of the Senate, der Chaplain und der Senate Parliamentarian haben grundsätzlich dieselbe Stellung und Funktion wie ihr jeweiliger Gegenpart im Repräsentantenhaus 2 . Allerdings gibt es im Senat kein dem Speaker des Repräsentantenhauses an Amtsgewalt, politischem Einfluß und Sichtbarkeit vergleichbares zentrales Führungsamt, das insbesondere den Parlamentsvorsitz mit dem Vorsitz der Mehrheitsfraktion verbindet3 . Vielmehr verteilt sich die Führung des Senats im wesentlichen auf drei verschiedene Ämter: auf den V.S. Vizepräsidenten, den President pro tempore of the Senate und den Majority Leader. Während im Speaker-Amt gerade die präsidial-sitzungsleitende mit der politischen Führungsfunktion verknüpft ist4 , sind beide Funktionen bei den Führungsämtern des Senats getrennt. Der Vizepräsident und der President pro tempore füllen lediglich die sitzungs leitende Komponente, Siehe Anhang 11. Dies gilt auch für die übrigen Ämter. Siehe zu den Funktionsträgem des Senats die Übersicht von Tong, Senate Administrative Officers and Officials, CRS Report, S. 1 f. sowie speziell zum Secretary of the Senate, dem wichtigsten administrativen Amtsträger des Senats Dwyer, Secretary of the Senate: Fact Sheet on Legislative and Administrative Duties, CRS Report, S. 1 f. Vgl. auch Riddick, The U.S. Congress, S. 58 ff., 86 ff., 127 ff.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 404 ff., 481. Speziell zu den Parteiämtem Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 37; Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 177 ff. 3 Vgl. Freund, Das öffentliche Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 1l0; Shell, Kongreß und Präsident, in: Adams I Lösche, Länderbericht USA, S. 207 ff. (211); Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 177; Oleszek, Congressional Procedure, S. 33 ff.; Tiefer, Congressional Practice, S. 490; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23. 4 Vgl. 4. Kap. A. I. 1. a) dd). 1
2
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
der Majority Leader allein die parteipolitische Komponente der Sentatsführung aus. Aber auch hinsichtlich dieser speziellen Funktionen verfügen die drei Ämter nicht über einen vergleichbaren politischen Einfluß. Zudem steht der Sprecher der Kongreßkammer mit der größeren Repräsentationsdichte und der stärkeren demokratischen Kontrolle vor. Die Gründe für das bereits auf die Verfassungsgebung zurückgehende Fehlen und die seither unterbliebene Herausbildung eines institutionalisierten zentralen Führungsamtes des Senats ergeben sich aus der besonderen Gestalt dieser Legislativkammer5 . Aufgrund der kleineren Mitgliederzahl des Senats ist eine starke zentrale parlamentarische wie parteipolitische Führung nicht im gleichen Maße erforderlich wie im zahlenmäßig mehr als vierfach größeren Repräsentantenhaus. Hinzu kommen das Prestige des Senatorenamtes mit seinem ausgeprägten traditionell-individualistischen Selbstverständnis sowie die durch die Größe ihres Wahlkreises bedingte stärkere interessenpolitische Unabhängigkeit der Senatoren, die einer zentralen politischen Senatsführung - zumal der eines Außenseiters wie des Vizepräsidenten - entgegenstehen. Schließlich hindert auch der besondere Charakter der Geschäftsordnungsregeln des Senats die Effektivität parlamentarischer Führung. So ist die parlamentsrechtliche Regelungsdichte viel geringer als im Repräsentantenhaus. Daraus folgt, daß den Senatoren größere Freiräume verbleiben und die drei Führungsämter des Senats gerade nicht mit einem normativen Instrumentarium ausgestattet werden, das es ihnen ermöglicht, einen vergleichbaren verfahrensrechtlichen Einfluß auf den parlamentarischen Prozeß im Senat zu gewinnen, wie ihn der Speaker im Repräsentantenhaus besitzt. Dies gilt um so mehr, da der Vizepräsident als Senatsvorsitzender nicht notwendigerweise der Mehrheitsfraktion des Senats angehören muß, jedenfalls aber nicht von ihr kontrolliert werden kann. Der Senatsmehrheit kann nicht daran gelegen sein, einem solchen Vorsitzenden parlamentarische Machtmittel an die Hand zu geben, die er gegen sie selbst einsetzen könnte 6 . Im übrigen legt die Geschäftsordnung des Senats einen größeren Wert auf den Minderheitsschutz als die Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses, die in erster Linie ein Instrument in den Händen der Mehrheitsfraktion, genauer des Speaker, zur Umsetzung ihres legislativen Programms ist. Angesichts des Mangels an institutionalisierter Führung im Senat bedingen hier in noch stärkerem Maße als im Repräsentantenhaus Persönlichkeit und Überzeugungsfähigkeit die Effektivität politischer Führung?
Siehe 1. Kap. E. Vgl. Hinds, The Speaker and the House, in: McClure's Magazine 35 (1910), S. 195 ff. (198). 7 Vgl. Haynes, The Senate of the United States, vol. 11, S. 1003; Ripley, Power in the Senate, S. 24; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 404; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23; DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 177; Tiefer, Congressional Practice, S. 490 f., 495 f. Siehe 1. Kap. E. 5
6
B. Der Vizepräsident
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B. Der Vizepräsident I. Die verfassungsrechtliche Stellung des Amtes Wie kein anderes Amt im Regierungssystem der Vereinigten Staaten zeichnet sich das Verfassungsamt des U.S. Vizepräsidenten nicht in erster Linie durch sein Gewicht als politischer Akteur, sondern durch seine innere Widersprüchlichkeit und die funktionelle Passivität seines Trägers aus. Diese Widersprüchlichkeit besteht in zweifacher Weise. Zum einen ist bei keinem anderen staatlichen Funktionsträger die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der demokratischen Legitimation und den rechtlichen Befugnissen, also zwischen dem formellen Rang als protokollarisch zweitem Mann im Staat und dem materiellen Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß, so gravierend wie im Fall des Vizepräsidenten. Zum anderen stellt das Vizepräsidentenamt eine eindeutige formelle Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips dar, da es schon verfassungskonzeptionell sowohl in der Legislative als auch in der Exekutive verankert ist 8 . Der Vizepräsident wird gemäß U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 1 i.Y.m. amend. XII zusammen mit dem U.S. Präsidenten für vier Jahre gewählt. Er ist der einzige staatliche Amtsträger neben dem Präsidenten, der - wenn auch indirekt über Wahlmänner - von der gesamten amerikanischen Nation gewählt wird9 . Der Vizepräsident ist daher in gleichem Maße demokratisch legitimiert wie der Präsident, und das Vizepräsidentenamt ist das zweithöchste Wahlamt im amerikanischen Regierungssystem lO • Aufgrund der strikten Fraktionsdisziplin bei der Wahl des Speaker im Repräsentantenhaus gibt es zwar faktische Parallelen zwischen den Bestellungsverfahren beider Amtsträger, der Umfang ihrer demokratischen Legitimation unterscheidet sich aber erheblich 11. Angesichts der ausgesprochen hohen demokra8 Dies wurde in den Beratungen des Verfassungskonvents vom 07. 09. 1787 auch von Gerry und Mason kritisiert, siehe Elliot. Debates on the Adoption of the Federal Constitution, vol. V, S. 522. Vgl. Pika. A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (467); Natoli. American Prince, American Pauper, S. 11; Light. VicePresidential Power, S. 7 f.; Bonafede. Tbe Last American Viceroyalty: Dan Quayle and the Vice Presidency, in: Congress & Tbe Presidency 16 (1989), S. 57 ff. (57). 9 Vgl. Congressional Quarterly. Powers of the Presidency, S. 203. Eingehend zu den Rechtsgrundlagen der Vizepräsidentenwahl Durbin. Nomination and Election of the President and Vice President of the Vnited States, S. 1 ff. Die Wahl des Vizepräsidenten durch das amerikanische Volk gilt allerdings nicht bei vorzeitiger Vakanz des Vizepräsidentenamtes. Für diesen Fall bestimmt V.S. Const. amend. XXV, § 2, daß der Präsident einen Vizepräsidenten ernennt und dieser der Bestätigung beider Häuser des Kongresses bedarf. IO Vgl. Shafritz. The Dorsey dictionary of American government and politics, S. 572. Bonafede weist indes zu Recht darauf hin, daß die Wahl des Vizepräsidenten ins zweithöchste Wahlamt des Regierungssystems aufgrund der faktischen Ernennung durch den Präsidentschaftskandidaten eine bloße Formalität ist, bei der der Vizepräsidentschaftskandidat nur eine untergeordnete Rolle spielt, vgl. Bonafede. The Last American Viceroyalty: Dan Quayle and the Vice Presidency, in: Congress & The Presidency 16 (1989), S. 57 ff. (57).
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Vgl. 4. Kap. A. I. 1. a) aa).
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
tischen Legitimation des Vizepräsidenten ist es erstaunlich, daß ihm weder durch die Verfassung noch durch einfachgesetzliche Regelungen oder Gewohnheitsrecht substanzielle Kompetenzen zuerkannt werden l2 . Der Vizepräsident leistet gemäß D.S. Const. art. VI, § 3 i.Y.m. 5 D.S.C. § 3331 (2000) den für alle D.S.-Amtsträger außer dem Präsidenten geltenden Amtseid, wobei auch der Speaker of the House zur Eidesabnahme berechtigt ist l3 • Die Verfassung weist dem Vizepräsidenten zwei Hauptfunktionen zu: erstens gemäß D.S. Const. art. I, § 3, cl. 4 den Vorsitz im Senat 14 mit einem allerdings nur auf den Fall der Stimmengleichheit beschränkten Stimmrecht und zweitens gemäß D.S. Const. art. 11, § 1, cl. 5 LV.m. amend. XXV, § 1 und §§ 3,4 die Nachfolge im Falle der Amtsenthebung, des Todes oder des Rücktritts des Präsidenten bzw. die Stellvertretung im Falle seiner Amtsunfähigkeit l5 . Neben den Funktionen der Präsidentennachfolge und -stellvertretung sprechen noch D.S. Const. art. 11, § 1, cl. 1 i.Y.m. amend. XII sowie D.S. Const. art. 11, § 4 für eine exekutive Verankerung des Vizepräsidentenamtes im Verfassungsgefüge. D.S. Const. art. 11, § 1, cl. 1 i.Y.m. amend. XII betrifft die gemeinsame Wahl des Präsidenten- und Vizepräsidenten für eine Amtszeit von vier Jahren. D.S. Const. art. 11, § 4 unterwirft den Vizepräsidenten dem Impeachment-Verfahren, das nur auf Mitglieder der Exekutive und der Judikative Anwendung findet l6 . Diese singuläre Einbindung des Vizepräsidenten in die legislative und exekutive Gewalt zugleich legt die Vermutung nahe, daß gerade hierin eine besondere Machtposition des Vizepräsidenten begründet sei 17. Das Gegenteil ist der Fall. Der Vizepräsident ist zwar qua constitutione Vorsitzender des Senats, aber er ist in dreifacher Hinsicht ein Außenseiter im Senat. Er ist weder ein Senator 18 noch wird er durch den Senat gewählt l9 , so daß er dessen Mehrheit gegenüber zumindest poli12 Vgl. Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (466). 13 Vgl. im einzelnen Riddick, Senate Procedure, S. 1392 f.; ferner 2 D.S.C. § 22 (2000). 14 Nur im Falle eines Amtsenthebungsverfahrens gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten sieht D.S. Const. art. I, § 3, cl. 6 vor, daß der Oberste Bundesrichter den Vorsitz im Senat führt. 15 Siehe 4. Kap. A. I. 1. a) bb); vgl. eingehend zur Präsidentennachfolge Schlesinger, On the Presidential Succession, in: Pol. Sc. Quart. 89 (1974), S. 475 ff.; Wilson, American Government: Institutions and Policies, S. 351 ff. 16 Vgl. Kruschke, An Introduction to the Constitution of the Dnited States, S. 54; 4. Kap. A.1. I. a) aa). 17 Vgl. Light, Vice-Presidential Power, S. 7. 18 Mangels Mitgliedschaft im Senat steht das Vizepräsidentenamt nicht im Widerspruch zur Inkompatibilitätsregelung in D.S. Const. art. I, § 6, cl. 2. Siehe hierzu 1. Kap. A. I. 19 Von der Ausnahme gern. D.S. Const. amend. XII abgesehen, wonach im zweiten Wahlgang der Präsidenten- und Vizepräsidenten-Wahl der Senat den Vizepräsidenten unter den zwei höchstplazierten Kandidaten wählen muß, wenn kein Vizepräsidentschaftskandidat die Mehrheit der gesamten Wahlmänner erhalten hat. Dieser Fall ist aber bisher nur ein einziges Mal eingetreten. Im Jahre 1836 wählte der Senat Richard M. Johnson zum Vizepräsidenten
B. Der Vizepräsident
363
tisch verantwortlich wäre 20 . Aufgrund seiner besonderen, sich vom Senatorenamt unterscheidenden Wahl ist verfassungsrechtlich gerade nicht gewährleistet, daß er der Mehrheitsfraktion im Senat angehört. Darüber hinaus ist es dem Senat gemäß U.S. Const. art. 11, § 4 verwehrt, aus eigener Initiative über die Amtsenthebung des Vizepräsidenten in seiner Eigenschaft als Senatsvorsitzender zu entscheiden. Folglich untersteht der Vizepräsident als Nicht-Mitglied nicht der sich aus dem parliamentary privilege ergebenden Selbstorganisationsfähigkeit des Senats21 . Als verfassungsmäßiger Präsidentennachfolger ist er zwar in die Exekutive eingebunden. Umfang und Reichweite seiner exekutiven Befugnisse stehen aber im Ermessen des Präsidenten, gegenüber dem er eine politisch untergeordnete Rolle zu spielen gezwungen ist22 , wenngleich eine Entlassung des Vizepräsidenten durch den Präsidenten nicht möglich ist. Das Vizepräsidenten-Amt ist "wholly derivative in character,m. Der ehemalige Vizepräsident und Nachfolger Präsident Nixons, Gerald Ford, brachte das grundsätzliche Dilemma des U.S. Vizepräsidenten wie folgt auf den Punkt: "He [the Vice Presidentl belongs to both the President and to the Congress, ... , yet he shares power with neither,,24.
Dieses Dilemma ist in erster Linie verfassungsrechtlich-institutioneller Natur. In politischer Hinsicht scheint die Entwicklung der sog. "modem vice presidency" seit dem Ende der Roosevelt-Ära einen Ausweg aus diesem Dilemma aufzuzeigen, da das Amt des Vizepräsidenten als sog. "institutional vice presidency" durch präsidentielle Aufgabenzuweisung immer stärker in den exekutiven Bereich eingebunden wird25 . Im Unterschied zum Vizepräsidenten ist das Speaker-Amt verfassungsrechtlich eindeutig der Legislative zugeordnet, und der Speaker ist als vom Repräsentantenhaus zum Vorsitzenden gewählter Abgeordneter unmittelbar in die Binnenorganisation des Hauses integriert und der Ausübung seiner Geschäftsordnungsautonounter Präsident Van Buren. Vgl. Ferguson/ McHenry, The American System of Government, S.238. 20 Vgl. Hateh, History of the Vice-Presidency of the United States, S. 419; Natoli, American Prince, American Pauper, S. 8; Riddick, The U.S. Congress, S. 58, 65. 21 Siehe 2. Kap. B. 22 Vgl. Jäger, Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 162; Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 306; Natoli, Perspectives on the Vice Presidency, in: Presidential Studies Quarterly 12 (1982), S. 598 ff. (602); dies., American Prince, American Pauper, S. 4. 23 Bonafede, The Last American Viceroyalty: Dan Quayle and the Vice Presidency, in: Congress & The Presidency 16 (1989), S. 57 ff. (57). 24 Ford, On the Threshold ofthe White House, in: Atlantic Monthly 234 (1974), S. 63 ff. (63). 25 Vgl. David, The Vice Presidency: its institutional evolution and contemporary status, in: Journal of Politics 29 (1967), S. 721 ff. (721); Goldstein, Vice Presidency, in: Kurian u. a., A Historical Guide to the U.S. Government, S. 613 ff. (614).
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
mie unterworfen. Darüber hinaus ist das Speaker-Amt parlamentsrechtlich mit substanziellen Kompetenzen ausgestattet, die der Sprecher unter Rücksichtnahme auf den Fraktionswillen in beträchtlichem Umfang zur Umsetzung seines politischen Programms nutzen kann 26 . In diesem Zusammenhang ist entscheidend, daß die Position des Mehrheitsführers funktionell untrennbar mit dem Speaker-Amt verbunden ist, wohingegen der Vizepräsident im Senat nur zufällig - unter den Bedingungen eines unified govemment - der Mehrheitsfraktion angehört. Die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Nichtmitgliedschaft im Senat spricht ohnehin gegen eine effektive Mehrheitsführung durch den Vizepräsidenten. Insgesamt gilt, daß der Speaker stärker als der Vizepräsident in den Kongreß integriert ist und aufgrund dieses institutionellen Vorteils als Repräsentant des Kongresses und damit der gesamten legislativen Gewalt angesehen werden kann. Vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips entspricht der festen Einbindung des Speaker-Amtes in die Legislative - anders als beim Vizepräsidenten eine klare funktionale Trennung gegenüber der Exekutive. Zwar wird ein Speaker, der derselben Partei wie der Präsident angehört, vor allem als politischer Vermittler präsidentieller Gesetzesvorhaben im Kongreß fungieren. Doch seine starke institutionelle Stellung im Kongreß verleiht ihm gerade im Falle eines divided govemment eine unabhängige Machtposition, von der aus er sich als Oppositionsführer gegenüber dem Weißen Haus profilieren und eigenständige nationale Politik betreiben kann. Dies wurde unlängst an der Politik Newt Gingrichs und seines "Contract with America"-Gesetzgebungsprogramms gegenüber der Clinton-Administration deutlich 27 . Das Speaker-Amt unterliegt im Gegensatz zum Vizepräsidentenamt nicht dem bestimmenden Einfluß der Exekutive und wird von dieser nicht instrumentalisiert. Es ist vielmehr die institutionelle Basis für eine eigenständige, aktive politische Einflußnahme.
11. Das Amt in seiner historischen Entwicklung Die Motive der Verfassungsväter zur Schaffung des Vizepräsidentenamtes sind nicht abschließend geklärt. Das Schrifttum sowie die im Federalist-Artikel Nr. 68 niedergelegte Verfassungskonzeption Alexander Hamiltons heben insgesamt drei Gründe hervor. Sie machen deutlich, daß das Amt des Vizepräsidenten ein verfassungsrechtlich konstruiertes und nicht ein historisch tradiertes Amt ist wie das Speaker-Amt28 . Erstens wollten die Founding Fathers sicherstellen, daß im Senat mit seiner stets geraden Anzahl von Senatoren jederzeit die Möglichkeit einer Abstimmungsentscheidung gegeben ist. Folglich war es notwendig, dem Vorsitzenden im Falle eines Patts die entscheidende Stimme zu geben. Wenn der Vorsitzende 26 27 28
Siehe 5. Kap. V gl. hier nur Davidson / Oleszek, Congress and its Members, S. 165. 169. Siehe 3. Kap. A.
B. Der Vizepräsident
365
aber aus den Reihen der Senatoren stammte, so würde entweder einer der Senatoren bevorteiligt, indem man ihm zwei Stimmen zuerkannte, bzw. benachteiligt, indem man seine permanente Senatorenstimmen in eine nur bedingte Stimme umwandelte 29 . Daher beabsichtigten die Verfassungsväter, dem Amt des Vizepräsidenten die Funktion eines von außen kommenden, neutralen, nur mit beschränktem Stimmrecht ausgestatteten Senatsvorsitzenden zu geben 3o . Die Frage, ob der Vizepräsident von Amts wegen President of the Senate sein sollte, war am 07. 09. 1787 in der Beratung der Federal Convention heftig umstritten. Von Gerry wurde eingewandt, man hätte ebenso gut den Präsidenten selbst an die Spitze der Legislative setzen können. Die enge Vertrautheit zwischen beiden exekutiven Amtsträgern, Präsident und Vizepräsident, lasse eine derartige Lösung völlig unangemessen erscheinen. Ähnlich argumentierte auch Mason, der im Vize präsidenten als Senatspräsident einen Eingriff in die Rechte des Senats und eine zu starke Vermischung der so streng wie möglich zu trennenden Gewalten sah. Letztlich entschied sich die Federal Convention für die verfassungsrechtliche Personalunion der bei den Ämter des Vizepräsidenten und des Senatspräsidenten wohl nicht zuletzt deshalb, weil der Vizepräsident andernfalls - wie Sherman feststellte - "would be without employment,,31. Zweitens beabsichtigten die Verfassungsväter, mit dem Vizepräsidenten einen Präsidentennachfolger in das Verfassungssystem einzuführen, der, weil er gelegentlich die Stellung des Präsidenten als oberstem Amtsträger der Exekutive einnehmen müsse, über die gleiche demokratische Legitimation wie dieser verfügen sollte 32 . Drittens wird die Verhinderung dezentraler Tendenzen bei der Wahl eines nationalen Präsidenten als weiterer Grund für die Einrichtung des Vizepräsidentenamtes angeführt. Nach der ursprünglichen Regelung in D.S. Const. art. 11, § 1, cl. 3, nach der der Präsidentschaftskandidat mit der zweithöchsten Wahlmännerstimmenzahl Vizepräsident wurde, durften die Wahlmänner nur eine ihrer beiden Stimmen einem Kandidaten aus ihrem jeweiligen Staat geben. Die Verfassungsväter haben insofern den Wahlmännern mit der Schaffung des Vizepräsidenten als Senatspräsident und Präsidentennachfolger einen Anreiz geben wollen, ihre zweite Stimme mit Bedacht zu vergeben, weil auch der Zweitplazierte der Präsidentschaftswahlen in eine verfassungsrechtlich herausragende Position gewählt wurde 33 . 29 So Sherrnan in der Beratung der Federal Convention am 07. 09. l787, siehe Elliot, Debates on the Adoption ofthe Federal Constitution, vol. V, S. 522. 30 Vgl. Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. 68, S. 457 ff. (461). 31 Vgl. insgesamt die Beratung der Federal Convention vom 07. 09. l787, siehe Elliot, Debates on the Adoption of the Federal Constitution, vol. V, S. 522. 32 Vgl. Hamilton, in: Cooke, The Federalist No. 68, S. 457 ff. (461 f.). Ähnlich auch Williamson in der Federal Convention am 07. 09. 1787, siehe Elliot, Debates on the Adoption of the Federal Constitution, vol. V, S. 522. 33 Vgl. insgesamt Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 614 sowie Natoli, American Prince, American Pauper, S. 4 f.
24 Semmler
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
Die historische Entwicklung des Vizepräsidentenamtes läßt sich in drei Phasen unterteilen. Beginnend mit der Verfassungsgebung im Jahre 1787 endet die erste Phase mit der die Präsidenten- und Vizepräsidentenwahlregelung betreffenden Verfassungsänderung durch Annahme des 12. Zusatzartikels im Jahre 1804. Die zweite Phase umfaßt die darauf folgende Zeitspanne bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die aktuelle Phase ist die der modem vice presidency, die sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts herauszubilden begann, ihre formelle Anerkennung jedoch erst im Jahre 1967 mit der Aufnahme des 25. Zusatzartikels in die U.S.-Verfassung fand. Die ursprüngliche Regelung der Präsidentenwahl gemäß U.S. Const. art. II, § 1, cl. 3, die den Wahlmännern der Einzelstaaten je zwei Stimmen für die Wahl eines Präsidenten, aber keine explizite Stimme für die Wahl eines Vizepräsidenten einräumte, sah die Vizepräsidentschaft automatisch für den jeweils Zweitplazierten der Präsidenten wahlen vor. Dieser Bestellungsmodus des Vizepräsidenten führte in den Anfangsjahren der amerikanischen Republik dazu, daß angesehene sowie politisch und persönlich qualifizierte Männer, wie John Adams (1789-1797) und Thomas Jefferson (1797 -1801)34, das Vizepräsidentenamt bekleideten. Indem die Wahlregelung bestimmte, daß der stärkste Konkurrent des gewählten Präsidenten Vizepräsident wurde, konservierte sie aber gewissermaßen die Wahlkampfrivalität zwischen Präsident und Vizepräsident und legte somit die verfassungsrechtliche Grundlage dafür, daß der Vizepräsident zeitweise zum stärksten "Oppositionsführer" gegen den Präsidenten werden konnte. Diese Rolle der aufgrund von U.S. Const. art. II, § 1, cl. 3 ins Amt gelangten Vizepräsidenten ermöglichte es ihnen, eine verglichen mit ihren Nachfolgern beträchtliche Unabhängigkeit und selbstbewußtere Stellung gegenüber dem Präsidenten zu erlangen 35 . In der Anfangszeit der amerikanischen Republik war das Vizepräsidentenamt im Vergleich zum Speaker-Amt, das auf seine sitzungsleitende, präsidiale Rolle beschränkt war36 , das politisch bedeutendere Amt. Dies änderte sich mit der Neuregelung der Vizepräsidentenwahl durch Einführung des 12. Zusatzartikels der U.S.-Verfassung im Jahre 180437 . Dieser sieht für das Präsidenten- und das Vizepräsidentenamt jeweils gesonderte Wahlen vor, so daß nicht mehr der in der Präsidentenwahl Zweitplazierte automatisch Vizepräsident wird. Die beiden für das Präsidenten- und das Vizepräsidentenamt von einer Partei nominierten Kandidaten treten seither auf demselben "ticket" an, das nur 34 Eine Übersicht aller U.S. Vizepräsidenten findet sich bei Sha/ritz, The Dorsey dictionary of American government and politics, S. 573. 35 Vgl. insgesamt Natoli, American Prince, American Pauper, S. 3 ff. 36 Siehe 3. Kap. C. I. 37 Der Grund für diese Verfassungsänderung liegt in der Verhinderung einer Stichwahl durch das Repräsentantenhaus, wie sie bei der unentschiedenen Präsidentenwahl des Jahres 1800 zwischen Thomas Jefferson und Aaron Burr zur Abwendung einer Verfassungskrise nötig war. Vgl. Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (467 f.); Heideking, Revolution, Verfassung und Nationalstaatsgriindung, 1763-1815, in: Adams/Lösche, Länderbericht USA, S. 18 ff. (37).
B. Der Vizepräsident
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insgesamt in seiner Kombination gewählt werden kann. Diese Verfassungsänderung war insofern folgenschwer, als sie die Vizepräsidentenwahl auf von vornherein nur für das politisch weniger bedeutsame Amt bestellte Kandidaten beschränkte38 . Dies führte zu einer Degradierung 39 der Vizepräsidentschaft, da bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts - von einigen Ausnahmen abgesehen, allen voran Theodore Roosevelt (1901-1905) - nur politische Mediokritäten in das Vizepräsidentenamt gewählt wurden 40. In diese Phase des Bedeutungsverlustes des Vizepräsidentenamtes fällt zugleich die Entwicklung des Sprecher-Amtes zum politischen Führungsamt der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus 41 . Die Parteiführer, die die Nominierung der Vizepräsidentschaftskandidaten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmten, instrumentalisierten das Vizepräsidentenamt, indem sie die Kandidaten dazu gebrauchten, "to add balance to a ticket, to placate a faction of the party, or to carry a swing state"42. Die Vizepräsidentschaftskandidaten wurden so zu buchstäblichen Mitläufern und von der Partei bestimmten Anhängseln des Präsidentenamtes. Sie waren nicht mehr die mutmaßlich am zweitbesten qualifizierten Kandidaten für das Präsidentenamt, wie dies bei ihren Vorgängern der ersten Phase der Fall gewesen war43 . Diese Entwicklung änderte sich erst mit dem Bedeutungswandel des Vizepräsidentenamtes nach dem Zweiten Weltkrieg. Die politische Aufwertung des Amtes seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in deren Folge sich ein deutlicher Attraktivitätszuwachs des Amtes einzustellen begann, hat ihre tiefere Ursache in einer Reihe politischer, sozialer und rechtlicher Faktoren, in deren Mittelpunkt der politische Machtzuwachs des U.S.-Präsidentenamtes steht. Die modern vice presidency 44 hat sich im Aufwind der Entwicklung zur modern presidency herausgebildet45 . Während der Machtzuwachs des Präsidentenamtes den allgemeinen HinterVgl. Natoli, American Prince, American Pauper, S. 3. Vgl. Hateh, History of the Vice-Presidency of the United States, S. 47. 40 Vgl. Young, American Roulette: The History and Dilemma of the Vice Presidency, S. 21; Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 615. 41 Siehe 3. Kap. C. 11. 42 Goldstein, Modem American Vice Presidency, S. 48. Vgl. ferner Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (468) sowie insgesamt zur Bedeutung des Vizepräsidentschaftskandidaten für die Präsidentenwahl Adkison, The Electoral Significance of the Vice Presidency, in: Presidential Studies Quarterly 12 (1982), S. 330 ff. Adkison weist hier nach, daß der Vizepräsidentschaftskandidat die Wahlchancen des Präsidentschaftskandidaten tendenziell eher nachteilig beeinflußt. 43 Vgl. Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (468). 44 Vgl. insgesamt zur Entwicklung des modemen Vizepräsidentenamtes Williams, The Rise of the Vice Presidency, S. 1 ff.; Natoli, American Prince, American Pauper, S. 1 ff.; Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff.; Light, Vice-Presidential Power, S. 1 ff.; Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 1 ff. 45 Vgl. Natoli, American Prince, American Pauper, S. ix; Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 614, 616. Siehe 3. Kap. C. IIl. 38
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
grund für den Bedeutungswandel des Vizepräsidentenamtes darstellte, vollzog sich die Entwicklung dieses Amtes zur modern vice presidency anhand einzelner konkreter Schritte. Den eigentlichen Beginn dieser Entwicklung und zugleich eine einschneidende Veränderung für das Vizepräsidentenamt stellte das Jahr 1940 dar, in dem F. D. Roosevelt als Präsidentschaftskandidat zum ersten Mal das Recht reklamierte, "seinen" Vizepräsidentschaftskandidaten selbst zu bestimmen. Diese sich zunehmend verfestigende Verfahrenspraxis drängte den Einfluß der jeweiligen Parteiführung auf die Kandidatenauswahl immer mehr zurück. Im Gegensatz zur Vergangenheit gewährleistete sie vor allem eine gute Zusammenarbeit zwischen Präsident und Vizepräsident, da ersterer ausschließlich Vertrauenspersonen auswählte, die er im weitesten Sinne als "administration lieutenants" einzusetzen beabsichtigte46 . Die somit gesicherte Verbundenheit zwischen Präsident und Vizepräsident verstärkte zwar die politische Abhängigkeit des Vizepräsidenten vom Präsidenten, da sich ein auf diese Weise bestimmter Vizepräsident in erster Linie dem Präsidenten gegenüber zur Loyalität verpflichtet fühlt, schuf aber die Voraussetzung für eine in der Folgezeit zunehmende Zuweisung exekutiver Aufgaben an den Vizepräsidenten. Nachdem die Vizepräsidenten bereits seit F. D. Roosevelts erster Amtszeit (1933 - 1937) regelmäßig zu den Kabinettssitzungen hinzugezogen worden waren, war es ebenfalls Roosevelt, der seinen ersten Vizepräsidenten, John N. Gamer (1933-1940), als Verbindungsmann zur Legislative47 an den Gesprächen mit Kongreßführern teilnehmen ließ und ihn erstmalig in offizieller Mission zu Repräsentationszwecken ins Ausland schickte. Einen weiteren Präzedenzfall setzte Roosevelt, indem er seinen zweiten Vizepräsidenten, Henry A. Wallace (1941-1945), zum Vorsitzenden des für die Kriegsvorbereitung wichtigen Economic Defense Board, des späteren Board of Economic Warfare, machte. Roosevelt begründete so eine Praxis, die von seinen Nachfolgern weitergeführt und ausgeweitet wurde48 . Im Jahre 1949 bestimmte der Kongreß den Vizepräsidenten zum gesetzlichen Mitglied des National Security Council. Damit wurde ihm auch formal eine Position innerhalb der Exekutive zugewiesen49 . Der potentiell beträchtliche Einfluß, den dieser Posten dem Vizepräsidenten einbringt, wird allerdings insofern relativiert, als die Hinzuziehung des Nationalen Sicherheitsrates für den Präsidenten nicht verpflichtend ist und er demzufolge in der Vergangenheit nur allzu oft um46 Im Jahre 1948 wurden die Vizepräsidentschaftskandidaten von den Nominierungskonventen beider Parteien und 1952 und 1956 noch von dem der Demokraten ausgewählt. Vgl. insgesamt Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (470); ferner David, The Vice Presidency: its institutional evolution and contemporary status, in: Journal of Politics 29 (1967), S. 721 ff. (724); Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 618. 47 Gamer war zuvor im 72. Kongreß (1931 - 1933) Speaker of the House gewesen. 48 Vgl. Goldstein, The Modem American Vice Presidency, S. 616; Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (469). 49 Vgl. Jäger, Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 161.
B. Der Vizepräsident
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gangen worden ist5o . Darüber hinaus sind die Vizepräsidenten im Laufe der Zeit immer häufiger zu Vorsitzenden exekutiver Kommissionen berufen worden und haben in zunehmendem Maße repräsentative und zeremonielle Funktionen sowie die Rolle eines in Einzelfragen sachkompetenten Regierungsexperten und eines Parteiführers übernommen 51 . Einen weiteren wichtigen Impuls erhielt die modem vice presidency durch einen anderen Entwicklungsstrang. Aus dem ursprünglichen Fehlen einer Nachfolgeregelung 52 bei Vakanz des Vizepräsidentenamtes läßt sich schließen, daß die Verfassungsväter, der Kongreß und das amerikanische Volk dem Vizepräsidenten zunächst nur eine untergeordnete Bedeutung zumaßen 53 . Vor dem Hintergrund der gestiegenen politischen Bedeutung des Präsidentenamtes schärften der plötzliche Tod Präsident F. D. Roosevelts, die schwere Krankheit Präsident Eisenhowers, die Ermordung Präsident Kennedys und später die drohende Amtsenthebung Präsident Nixons in der amerikanischen Öffentlichkeit das Bewußtsein für die Probleme der Nachfolge der Präsidentschaft wie auch der Vizepräsidentschaft. Der amerikanischen Bevölkerung wurde die besondere Bedeutung der Reservefunktion des Vizepräsidentenamtes vor Augen geführt54 . Die verfassungsrechtliche Konsequenz dieser Bewußtseinsschärfung war die Einführung des 25. Zusatzartikels in die U.S.Verfassung im Jahre 1967. Dieser enthält neben der tatbestandlichen Fixierung der Präsidentennachfolge bei Amtsenthebung, Tod oder Rücktritt (U.S. Const. amend. XXV, § 1) und speziell der Präsidentenstellvertretung im Falle der Amtsunfahigkeit (U.S. amend. XXV, §§ 3, 4) zwei Neuregelungen des Vizepräsidentenamtes: zum einen die Normierung der Vizepräsidentennachfolge (U.S. Const. amend. XXV, § 2) und zum anderen die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Vizepräsidenten, den Präsidenten mit Mehrheit des Kabinetts (U.S. Const. amend. XXV, 50 Vgl. hierzu im einzelnen Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (468). 51 Vgl. hierzu im einzelnen Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 616 ff. Die Rolle eines Parteiführers im Senat wird der Vizepräsident typischerweise immer dann einnehmen, wenn er der Minderheit im Senat angehört. Dann ergibt sich für ihn ein - wenn auch erheblich eingeschränkter (siehe 6. Kap. B. III.) - Profilierungsspielraum aufgrund seiner Funktion als Senatsvorsitzender. Gehört er der Senatsmehrheit an, wird er im allgemeinen lediglich der verlängerte Arm des Präsidenten im Senat sein. V gl. Tiefer, Congressional Practice, S. 490 f. 52 Eine entsprechende (verfassungs-)rechtliche Regelung fehlte bis zu diesem Zeitpunkt. Die aufgrund der Ermächtigung in V.S. Const. art. II, § 1, cl. 5 i.Y.m. amend. XX, § 3 ergangene Regelung des Presidential Succession Act von 1947 regelt lediglich die Präsidentennachfolge, indem sie den Speaker als nach dem Vizepräsidenten Nächsten in der Präsidentennachfolge bestimmt. Sie regelt aber nicht die Nachfolge im Falle einer Vakanz des Vizepräsidentenamtes, z. B. für den Fall, daß der Vizepräsident zum Präsident wird. Vgl. 4. Kap. A. I. 1. a) bb).
Vgl. Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 614. V gl. Natoli, Perspectives on the Vice Presidency, in: Presidential Studies Quarterly 12 (1982), S. 598 ff. (600); Jäger, Der Präsident, in: Jäger I Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 161; Plano, The American Political Dictionary, S. 209. 53
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
§ 4) für amtsunfähig zu erklären. U.S. Const. amend. XXV, § 2 ermächtigt den Präsidenten, bei Vakanz des Vizepräsidentenamtes einen Vizepräsidenten mit Bestätigung durch Mehrheitsbeschluß in beiden Häusern des Kongresses zu benennen. Bei einem auf diese Weise ins Amt berufenen Vizepräsidenten ist die politische Abhängigkeit vom Präsidenten gegenüber einem gemäß U.S. Const. art. 11, § 1, cl. 1 i.V.m. amend. XII gewählten Vizepräsidenten insofern erheblich größer, als U.S. Const. amend. XXV, § 2 gerade keine demokratische Legitimation des Vizepräsidenten mehr voraussetzt, sondern dessen Benennung im wesentlichen vom Vertrauen des Präsidenten abhängig macht 55 . Die Ermächtigung des Vizepräsidenten zur Amtsunfähigkeitserklärung des Präsidenten gemäß U.S. Const. amend. XXV, § 4 darf in ihrer Tragweite indes nicht überschätzt werden, da die Entscheidung des Vizepräsidenten von der Kabinettsmehrheit abhängig bleibt56 •
Die Einflußnahme der Präsidenten auf die Auswahl ihrer Vizepräsidentschaftskandidaten seit 1940 steigerte das Interesse der Präsidenten an der Person des jeweiligen Kandidaten und führte zu einer Aufwertung des Vizepräsidentenamtes, da nunmehr Persönlichkeiten mit besserer Qualifikation berufen wurden. Diese Entwicklung hatte im Zusammenhang 57 mit der Verfassungsregelung in U.S. Const. amend. XXII, § 1, wonach die Amtsdauer des Präsidenten auf eine zweimalige Amtszeit beschränkt wurde 58 , zur Folge, daß die Präsidenten den Vizepräsidenten als ihren Wunschnachfolger nach Ablauf der Amtsdauer zu sehen begannen 59 • Verbunden mit der gesteigerten Zuweisung exekutiver Aufgaben ließ dieser Umstand das Vizepräsidentenamt im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Sprungbrett für die Präsidentschaftsnominierung der Parteien werden 6o . Diese Bedeutung kommt dem Sprecher-Amt bis heute nicht ZU61 • 55 V.S. Const. amend. XXV, § 2 ist bisher zweimal zur Anwendung gekommen. Nach dem Rücktritt von Vizepräsident Spiro Agnew im Jahre 1973 ernannte Präsident Nixon Gerald Ford mit Bestätigung des Kongresses zum Vizepräsidenten. Als Ford nach Nixons Rücktritt im Jahre 1974 die Präsidentschaft antrat, wurde Nelson A. RockefeIler auf der Grundlage von V.S. Const. amend. XXV, § 2 Vizepräsident. Dies führte bisher erstmalig in der amerikanischen Geschichte zu der verfassungsrechtlich bemerkenswerten Situation, daß die Inhaber der bei den höchsten Staatsämter der USA nicht durch Volkswahl legitimiert waren. Vgl. Lowi, American Government: Freedom and Power, S. 279; Plano, The American Political Dictionary, S. 209; Pika, A New Vice Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (463); Wilson, American Government: Institutions and Policies, S.355. 56 Bisher ist diese Verfassungsvorschrift noch nicht zur Anwendung gekommen. 57 Auf die Bedeutung des 22. Zusatzartikels in diesem Zusammenhang hinweisend David, The Vice Presidency: its institutionaI evolution and contemporary status, in: Journal of Polities 29 (1967), S. 721 ff. (721 f.). 58 Siehe 1. Kap. A. I. 59 Vgl. Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 618. 60 So zuletzt bei der Nominierung Vizepräsident Gores zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten im Jahre 2000. Vgl. im einzelnen Pika, A New Viee Presidency?, in: Nelson, The Presidency and the Political System, S. 463 ff. (471). Seit 1945 sind fünf Vizepräsidenten zu Präsidenten gewählt worden (Truman, Johnson, Nixon, Ford und Bush), vgl. dazu auch
B. Der Vizepräsident
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Schließlich ist es seit den 1960'er Jahren zu einem beträchtlichen Ausbau der institutional vice presidency gekommen 62 . Das Vizepräsidialamt verfügt heute über 70 feste Mitarbeiter und eine dem Präsidialamt vergleichbare spezialisierte Behördenstruktur. Zudem kommt dem Vizepräsidialamt ein eigenständiger Haushaltsposten innerhalb des executive budget des Präsidenten zu. Daraus folgt, daß das Vizepräsidialamt auch strukturell dem Executive Office of the President (EOP)63 eingegliedert ist, worin letztlich sogar die formelle Einbindung des Amtes des Vizepräsidenten in die Exekutive zum Ausdruck kommt64 . Bei aller Zunahme an Sichtbarkeit und Anziehungskraft weist diese new vice presidency jedoch keine neuen "constitutional guarantees of access and influence,,65 auf. Die Entwicklung des Vizepräsidentenamtes seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigt, daß das Amt immer stärker in das Gravitationsfeld der präsidentiellen Exekutive gerückt ist, so daß der Vizepräsident heute als Teil der Administration und nicht des Kongresses angesehen werden muß66 . Die Erweiterung der vizepräsidentiellen Aufgaben hat zwar zu einem Bedeutungszuwachs des Amtes, nicht aber zu einem Zuwachs originärer politischer Macht geführt. Die Grenzen der institutional vice presidency scheinen erreicht zu sein; mehr läßt weder die Verfassung noch die Interessenlage des Präsidenten zu67 . In der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Amtes und der politischen Abhängigkeit des Vizepräsidenten vom Präsidenten Bonafede, The Last American Viceroyalty: Dan Quayle and the Vice Presidency, in: Congress & The Presidency 16 (1989), S. 57 ff. (58). Die Vizepräsidentschaft als eine begünstigende Vorbereitungsphase für eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur allerdings in Frage steilend Schlesinger; The Imperial Presidency, S. 479 f. und Adkison, The Vice Presidency as Apprenticeship, in: Presidential Studies Quarterly 13 (1983), S. 212 ff. (217); so auch Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 162. 61 Siehe 1. Kap. A. II. 62 Vgl. Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 162; zur institutional vice presidency eingehend Light, Vice-Presidential Power, S. 63 ff. 63 Das Executive Office of the President ist die Organisation aller dem Präsidenten unterstehenden Behörden. Es besteht im wesentlichen aus dem White House Office, dessen Stellen der Präsident frei besetzen kann und verschiedenen Beraterstäben bzw. Korrunissionen, wie dem National Security Council oder dem Office of Management and Budget, zu deren Besetzung der Präsident der Zustimmung des Senats bedarf. V gl. im einzelnen Hübner; Das politische System der USA, S. 128 f.; Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 146 ff. 64 Der Vizepräsident hat zudem seinen Amtssitz auch im Weißen Haus. Vgl. insgesamt Light, Vice-Presidential Power, S. 63 ff. 65 V gl. Light, Making the Most of the New Vice Presidency, in: The Brookings Review 1984, S. 17 ff. (19). 66 V gl. David, The Vice Presidency: its institutional evolution and contemporary status, in: Journal ofPolitics 29 (1967), S. 721 ff. (721); Goldstein, The Modern American Vice Presidency, S. 614; Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 162; nach Williams, The Rise of the Vice Presidency, S. 14, ist das Vizepräsidentenamt seiner Natur nach ein exekutives Amt. 67 Vgl. Jäger; Der Präsident, in: Jäger/Welz, Regierungssystem der USA, § 7, S. 162; Schlesinger; The Cyc1es of American History, S. 359, 361.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
liegen die grundsätzlichen Unterschiede gegenüber dem Speaker68 , da sie dem Vizepräsidenten gerade keine substanzielle politische Gestaltungsfreiheit einräumen. Speaker Gamer brachte dies nach der Nominierung zum Vizepräsidentschaftskandidaten seiner Partei im Jahre 1932 wie folgt zum Ausdruck: ,,1 hold the most powerful position in this government excepting that of the President of the United States. 1 accepted the proposed vice-presidential nomination with much hesitancy,,69.
IH. Die Kompetenzen des Vizepräsidenten und der anderen Senatsvorsitzenden 1. Allgemeines
Von den beiden Funktionen der Präsidentennachfolge bzw. -stellvertretung und des Senatsvorsitzes, die dem Vizepräsidenten in der Verfassung zugewiesen werden, verleiht ihm nur die zweite ein Minimum an eigenständigen Kompetenzen. Die Rolle als Präsidentennachfolger oder -stellvertreter hat zwar die Bedeutung des Vizepräsidentenamtes - wie dargestellt - erhöht, doch gehen damit keine originär vizepräsidentiellen Kompetenzen einher70 , da der Vizepräsident in jener Funktion gerade präsidentielle Amtsgewalt ausübt. Aber selbst die ihm durch die Verfassung und die Geschäftsordnung des Senats eingeräumten parlamentspräsidialen Kompetenzen nimmt der Vizepräsident nur sehr selten wahr, da er an den meisten Senatssitzungen - anders als der Speaker im Repräsentantenhaus - wegen seiner exekutiven Verpflichtungen nicht teilnimmt. Nach der parlamentarischen Praxis des Senats führt er lediglich in zwei Fällen den Kammervorsitz: zum einen bei einem sich abzeichnenden Abstimmungspatt bei wichtigen Gesetzesvorlagen und zum anderen bei zeremoniellen Anlässen, etwa der Eröffnungssitzung eines neuen Kongresses oder gemeinsamer Sitzungen beider Häuser7l . Während der Abwesenheit des Vizepräsidenten hat einer der beiden anderen von der Verfassung bzw. der Geschäftsordnung vorgesehenen Presiding Officers den Vorsitz im Senat. Es handelt sich um den President pro tempore, der gemäß U.S. Const. art. I, § 3, cl. 5 68 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 20 f.; Bonafede, The Last American Viceroyalty: Dan Quayle and the Vice Presidency, in: Congress & The Presidency 16 (1989), S. 57 ff. (58). 69 Zitiert nach Hitchner, The Speaker of the House of Representatives, in: Parliamentary Affairs 13 (1960), S. 185 ff. (196). 70 Von der in U.S. Const. amend. XXv, § 4 normierten Beteiligung an der Entscheidung über die Amtsunfahigkeitserklärung des U.S.-Präsidenten abgesehen. 71 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 491; DavidsonI Oleszek, Congress and its Members, S. 177; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 24. Ferner Natoli, American Prince, American Pauper, S. 13, die hier auf den Zusammenhang zwischen der administrativen Aufgabenerweiterung des Vizepräsidenten einerseits und seiner seltener werdenden Anwesenheit in Senatssitzungen andererseits hinweist.
B. Der Vizepräsident
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i. Y.m. Senate Rule I, cl. 1 vom Senat gewählt wird, und den Acting President pro tempore, der seinerseits gemäß Senate Rule I, cl. 3 vom President pro tempore ernannt wird72 . Die jeweiligen Presiding Officers des Senats haben grundsätzlich dieselben Kompetenzen bzw. Amtspflichten 73. Schon die Vielzahl von Personen, die dem Senat als Tagungspräsidenten vorstehen können, läßt den Schluß zu, daß keine besonderen Anforderungen an den jeweiligen Amtsinhaber gestellt werden und daß das Amt des Senatsvorsitzenden letztlich nicht von weitreichender verfassungsrechtlicher oder politischer Bedeutung ist. Käme dem Senatsvorsitz eine politische Schlüsselposition zu, so hätte die Verfassung, jedenfalls aber die politische Praxis dafür gesorgt, daß das Amt durch ein und dieselbe Person auszuüben sei. 2. Sitzungsleitende Kompetenzen
a) Power of Recognition aa) Gegenstand und Umfang der Kompetenzgewährleistung
Die Worterteilung (power of recognition) obliegt ausschließlich dem jeweiligen Kammervorsitzenden des Senats und des Repräsentantenhauses 74. Sie ist ein Mittel 72 Zur Terminologie: Es gibt drei Arten von verfassungsmäßigen Senatsvorsitzenden (Presiding Officers): erstens den Vizepräsidenten, der in dieser Funktion die offizielle Bezeichnung President of the Senate trägt, zweitens den President pro tempore, der als Interimspräsident des Senats Stellvertreter des Vizepräsidenten ist, und drittens den Acting President pro tempore, den Stellvertreter des President pro tempore. Beim Deputy President pro tempore handelt es sich lediglich um ein besonderes Ehrenamt, das der Senat gelegentlich durch simple resolution vergibt. Es wurde für jeden Senator geschaffen, der einmal das Amt des Präsidenten oder Vizepräsidenten der USA innegehabt hat. Siehe Congressional Record, 10. O\. 1977, S. 457. Die Demokraten haben das Amt 1977 zu Ehren Senator Hubert H. Humphreys Jr., des ehemaligen Vizepräsidenten, eingeführt. Siehe auch Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 7. Verfassungsrechtlich ist der Deputy President pro tempore als ständiger Stellvertreter des President pro tempore Acting President pro tempore. Im parlamentarischen Alltag fungieren in aller Regel die neugewählten Senatoren der Mehrheitsfraktion im halbstündigen Wechsel als Acting President pro tempore, um sie mit der Geschäftsordnung des Senats vertraut zu machen. Vgl. Riddick, The U.S. Congress, S. 65; DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 177; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23. Unter den Voraussetzungen von Senate Rule I, cl. 2 können auch der Secretary of the Senate oder der Assistant Secretary als Senatsvorsitzende fungieren. Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1232. 73 Diese Kompetenzen lassen sich - ähnlich wie beim Sprecher (siehe 5. Kap.) - in drei Gruppen unterteilen: sitzungsleitende und formale Kompetenzen sowie parlamentarische Teilnahmerechte. Vgl. Riddick, The U.S. Congress, S. 65; Tiefer, Congressional Practice, S. 495; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23. Siehe auch die ausführlichen Zusammenstellungen der Amtspflichten der Presiding Officers bei Riddick, Senate Procedure, Vice President- S. 1390 ff., President pro tempore- S. 1019 ff., Presiding Officer- S. 1025 ff. 74 Vgl. House Rule XVII, cl. 2; Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 3.16 ff.; Senate Rule XIX, cl. I (a); Riddick, Senate Procedure, S. 1091 ff.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrens und wegen des umfangreichen Arbeitspensums und des dadurch bedingten Zeitdrucks, unter dem parlamentarische Debatten im Kongreß stehen, ein besonders wichtiges Steuerungsinstrument des Sitzungsablaufs. Allerdings gilt dies aufgrund des größeren Ermessensspielraums des Speaker bei der Anwendung der power of recognition in ungleich stärkerem Maße für das Repräsentantenhaus als für den Senat75. Senate Rule XIX, cl. 1 (a) bestimmt: "When a Senator desires to speak, he shall rise and address the Presiding Officer, and shall not proceed until he is recognized, and the Presiding Officer shall recognize the Senator who shall first address hirn. No Senator shall interrupt another Senator in debate without his consent, and to obtain such consent he shall first address the Presiding Officer, and no Senator shall speak more than twice upon any one question in debate on the same legislative day without leave ofthe Senate, which shall be determined without debate."
Demgegenüber lautet die die power of recognition regelnde House Rule XVII, cl. 2: "When two or more Members ... rise at once the Speaker shall name the Member who is first to speak.... "
Die Worterteilung durch den jeweiligen Presiding Officer ist sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die Voraussetzung für eine parlamentarische Äußerung - für ausführliche Stellungnahmen ebenso wie für kurze Antragstellungen - eines Senators bzw. Abgeordneten 76. Die Entscheidung des Presiding Officer über die Worterteilung ist in beiden Häusern endgültig, gegen sie ist kein Einspruch zulässig77. bb) Ermessensspielräume der Presiding Officers
Wenngleich sich die power of recognition des Senatspräsidenten in formeller Hinsicht nicht VOn der des Speaker unterscheidet - beiden steht die formelle Worterteilung während der Sitzung zu, und sie sind die formellen Adressaten aller Äußerungen der Senatoren und Abgeordneten 78 -, so differieren die Kompetenzen materiell, d. h. im Hinblick auf den Umfang des jeweiligen Ermessensspielraumes, beträchtlich. Der Senatspräsident ist gemäß Senate Rule XIX, cl. 1 (a) verpflichtet, dem Senator das Wort zu erteilen, der ihn als erster um das Rederecht ersucht. House Rule Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 495. Siehe 5. Kap. C. H. 2. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 495; Riddick, Senate Procedure, S. 1094. 77 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1093; Rouse Manual, §§ 753, 754; ferner Tiefer, Congressional Practice, S. 501. 78 Die Äußerungen der Senatoren und Abgeordneten beginnen daher stets mit der Anrede "Mr. President" bzw. "Mr. Speaker". Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 490. 75
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B. Der Vizepräsident
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XVII, cl. 2 geht nicht von einer solchen Prioritätsregel aus, sondern räumt dem Speaker die grundsätzlich freie Entscheidung darüber ein, welchem von mehreren sich um das Rederecht bewerbenden Abgeordneten er das Wort erteilt. Im Gegensatz zum Speaker steht dem Senatspräsidenten auch kein Verweigerungsrecht gegenüber einem allein um die Worterteilung ersuchenden Senator ZU?9. Der Senatspräsident hat im Gegensatz zum Speaker auch nicht das Recht, die Worterteilung durch Beschränkung auf eine bestimmte Angelegenheit zu konditionieren 8o . Damit reduziert sich der Ermessensspielraum des Senatspräsidenten auf den Fall des gleichzeitigen Ersuchens mehrerer Senatoren um die Worterteilung bzw. auf eine Situation, in der nicht eindeutig ist, welcher von mehreren Senatoren zuerst das Rederecht beantragt hat81 . Solche Situationen sind in der parlamentarischen Praxis, speziell bei hitzig geführten Gesetzesdebatten, nicht selten, entsprechende Ermessensentscheidungen des Senatspräsidenten trotz ihrer weitgehenden normativen Beschränkungen im parlamentarischen Alltag ebensowenig 82 . Für diese Fälle hat das parlamentarische Gewohnheitsrecht des Senats Richtlinien für die Worterteilung durch den Senatspräsidenten hervorgebracht, die seinen engen normativen Ermessensspielraum zusätzlich beschränken83 . An dieser Stelle seien nur die vier elementarsten Grundsätze erwähnt84 . Diese Grundsätze, die den Presiding Officer des Senats bei der Worterteilung leiten, orientieren sich am System der Führungsämter im Senat, das im wesentlichen mit dem des Repräsentantenhauses vergleichbar ist85 . So hat der Senatspräsident unter mehreren gleichzeitig um das Wort ersuchenden Senatoren zuerst dem Majority Leader, dann dem Majority Whip und schließlich dem Minority Leader vor anderen Senatoren das Wort zu erteilen 86. Ersuchen die jeweiligen Führer der Senatsfraktionen nicht um das Wort, so genießt der Majority Floor Manager vor dem Minority Floor Manager der zu beratenden Gesetzesvorlage Priorität bei der Worterteilung 8 ? Eine weitere Anleitung sind die von den Floor Managers vorbereiteten Rednerlisten, die der Senatspräsident gewohnheitsrechtlich abzuarbeiten verpflichtet ist88 . Schließlich kann der Senat mit einer einstimmigen Entscheidung die Re79 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 496; Riddick, Senate Procedure, S. 1091 f.; ders., The V.S. Congress, S. 80. 80 V gl. Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 7 f.; Tiefer, Congressional Practice, S. 496; Riddick, The V.S. Congress, S. 80; House Manual, § 754; vgl. ferner zu der entsprechenden Berechtigung des Speaker Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 3.18, 3.19. Siehe 5. Kap. C. II. 2. 81 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1091, 1094. 82 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 497. 83 Vgl. zu den Prinzipien insgesamt Tiefer, Congressional Practice, S. 497 ff. 84 V gl. insgesamt zu den Prinzipien der bevorzugten Worterteilung Riddick, Senate Procedure, S. 1098 f. 85 Vgl. 4. Kap. A. I. 1. b) cc) (2). 86 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1094, 1098. 87 V gl. Riddick, Senate Procedure, S. 1093, 1098.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
gelungen der power of recognition suspendieren und einem Senator das Wort zu einem bestimmten Zeitpunkt zuweisen89 . Aufgrund der grundsätzlichen Verpflichtung gemäß Senate Rule XIX, cl. I (a), dem sich jeweils zuerst um das Rederecht bewerbenden Senator das Rederecht zu erteilen, besteht somit lediglich ein Ermessensspielraum des Senatsvorsitzenden bei der tatsächlichen Bestimmung des zeitlich ersten Bewerbers. Im engen Rahmen dieser Entscheidung ist eine willkürliche Ausübung der power of recognition zwar möglich, weil der Vorsitzende etwa einen Senator, der als erster um die Worterteilung ersucht, "übersehen" kann 90 . Doch ist selbst dieser Ermessensspielraum durch das parlamentarische Gewohnheitsrecht des Senats auf ein Minimum beschränkt worden. Die Senatoren wollten dem Vizepräsidenten, der nicht notwendigerweise der Senatsmehrheit angehört, auf diese Weise eine substanzielle Einflußnahme auf den Sitzungsablauf verwehren91 . Zwar unterliegt die power of recognition des Speaker ebenfalls bestimmten gewohnheitsrechtlichen Beschränkungen. Doch richten sich diese weniger an der formellen Hierarchie der Führungsämter im Repräsentantenhaus aus als an sachlichen Gesichtspunkten, wie z. B. die bevorzugte Worterteilung an ein Mitglied des berichterstattenden Ausschusses für eine bestimmte Gesetzesvorlage 92 • Hier wirkt sich der strukturelle Unterschied zwischen Repräsentantenhaus und Senat aus. Der Speaker gewährleistet als Sitzungsleiter und Mehrheitsführer selbst die Steuerung des Verhandlungsablaufs im Sinne der Mehrheitsfraktion. Die parlamentarische Steuerung des Sitzungsverlaufs durch die Mehrheitsfraktion im Senat ist hingegen nur möglich, wenn den Mehrheitsführern (Majority Leader, Majority Whip) ein Vorrecht bei der Worterteilung eingeräumt wird, um sicherzustellen, daß sie die verfahrensleitenden Impulse setzen können. Im Gegensatz dazu kommt der Speaker bei der bevorzugten Worterteilung an den Majority Leader im Haus gerade nicht einer gewohnheitsrechtlichen Verpflichtung nach. Diese Vorgehensweise ist vielmehr die politische Konsequenz des verfahrensbestimmenden Einflusses der Mehrheitsfraktion, der durch den Speaker verkörpert wird. Schließlich wird in Senate Rule XIX, cl. I (a) die Ermessensentscheidung des Senatspräsidenten, durch wiederholte Zulassung von Zwischenfragen einem Senator das Rederecht zu entziehen, begrenzt. Zwar verliert ein Senator sein Rederecht jedesmal, wenn einem anderen Senator für eine Zwischenfrage das Wort erteilt wird. Der vorherige Redner muß danach erneut um das Rederecht ersuchen. Er darf aber grundsätzlich nur zweimal pro Sitzungstag zum selben Beratungsgegen-
Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 499. Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1102. 90 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 500. 91 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 496; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23; 6. Kap. A. 92 Vgl. House Manual, § 754. Siehe 5. Kap. C. 11. 2. 88
89
B. Der Vizepräsident
377
stand Stellung nehmen 93 . Doch kann der Senat durch Beschluß ohne Aussprache diese Beschränkung aufheben, so daß dem Worterteilungsrecht des Vorsitzenden auch insoweit nur begrenzte Bedeutung zukommt. b) Putting Questions, Answering Parliamentary Inquiries and Deciding Points of Order aa) Gegenstand und Umfang der Kompetenzgewährleistung
Ebenso wie der Speaker stellt der jeweilige Senatspräsident im Senat die Abstimmungsfragen (putting questions), beantwortet mit Hilfe des Senate Parliamentarian Anfragen zur Geschäftsordnung (answering parliamentary inquiries) und entscheidet mit dessen Hilfe über Geschäftsordnungsanträge (deciding points of order, rulings)94. Beiden kommt als Kammervorsitzenden die Aufgabe der Implementierung der jeweiligen Geschäftsordnungsregeln mittels ihrer verbindlichen Entscheidungen in Geschäftsordnungsfragen ZU95. Beide besitzen die präsidiale Interpretationsbefugnis der Geschäftsordnungsregeln, die sich in beiden Häusern an den parlamentarischen Präzedenzfällen zu orientieren hat96 . Die rulings der Kammervorsitzenden ergehen im allgemeinen ohne vorherige Aussprache. Sie unterliegen aber - anders als die Beantwortung von parliamentary inquiries 97 - einem Einspruchsvorbehalt (appeal) und können mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Senats bzw. des Repräsentantenhauses zuriickgewiesen werden 98 . Die Entscheidungsgewalt des Senatsvorsitzenden wie auch des Speaker erstreckt sich grundsätzlich auf jede Art von Geschäftsordnungsanträgen99 . Sie findet ihre äußerste Grenze in Anträgen, die auf die Verfassungswidrigkeitserklärung einer parlamentarischen Maßnahme zielen. In diesen Fällen ist sowohl der Senatsvorsitzende als auch der Speaker verpflichtet, die Frage vom Plenum entscheiden zu lassen 100. Diese Verpflichtung demonstriert einmal mehr die Unterordnung der beiden Kammervorsitzenden unter den Willen des pouvoir constitue lOl . Die parlamentsrechtlichen Präzedenzfälle und der politische Wille der jeweiligen Mehrheit beschränken also in beiden Häusern die Entscheidungsgewalt über GeschäftsordVgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1092 ff. Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 495; siehe 5. Kap. C. V. 95 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 503. 96 Siehe 2. Kap. C. V. 97 Vgl. 5. Kap. C. V. 2.; Riddick, Senate Procedure, S. 979. 98 Vgl. die insoweit gleichen Regelungen Senate Rule XX, cl. 1 und House Rule I, cl. 5; sowie Riddick, Senate Procedure, S. 1030 und House Rule I, cl. 6; ferner Riddick, The U.S. Congress, S. 83; Tiefer, Congressional Practice, S. 506; Siffl Weil, Ruling Congress, S. 55. 99 Zu den Ausnahmen der Entscheidungsgewalt des Speaker vgl. House Manual, § 627, des Vizepräsidenten vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 989. 100 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 506; Deschler's Precedents Ch. 6 § 4.18. 101 Siehe 2. Kap. B. 93 94
378
6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
nungsanträge, so daß der Umfang der normativen Kompetenzgewährung beider Vorsitzender gleich groß ist. bb) Bedeutung der präsidialen Interpretationsbefugnis für den Verfahrensablauf in Senat und Repräsentantenhaus
Die praktische Auswirkung und die politische Relevanz der präsidialen Interpretationsbefugnis des Senatspräsidenten sind geringer als beim Speaker, weil die verfahrensbezogenen Geschäftsordnungsregeln im Senat wegen der kleineren Mitgliederzahl und besonderen Zusammensetzung sowie der ausgeprägten parlamentarischen Rechte der Senatoren, wie z. B. des Rechts des filibustering, eine untergeordnetere Rolle spielen als im Repräsentantenhaus 102. Die Verfahrensstruktur wird im Gegensatz zum Haus in starkem Maße von persönlichen und informellen Mechanismen sowie durch einstimmige Beschlüsse (unanimous consent) zur Suspendierung der Verfahrensregeln bestimmt lO3 • Diese Strukturelemente des Verfahrensablaufs bedürfen zu ihrer Durchsetzung nicht der präsidialen Entscheidungsgewalt. Folgerichtig kommt es im Senat zu einer vergleichsweise weitaus geringeren Zahl von Präzedenzfällen zur Geschäftsordnung. Verdeutlichen läßt sich dieser Zusammenhang am Beispiel des Grundsatzes der germaneness of debate. Gemäß House Rule XVI, cl. 7 dürfen sich Debatten im Haus nur auf solche Gegenstände beziehen, die mit der Gesetzesvorlage in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Wahrend dieses Prinzip den gesamten Gesetzgebungsprozeß im Repräsentantenhaus bestimmt, ist es der Geschäftsordnung des Senats in dieser Grundsätzlichkeit unbekannt 104 . Die Geschäftsordnungsregeln des Senats statuieren das Zusammenhangserfordemis (germaneness) lediglich in fünf eng begrenzten Fällen: bei der Beratung von alIgemeinen Ausgabenbewilligungsgesetzen, bei Verfahren zur Beendigung oder Verkürzung einer Senatsdebatte unter der cloture-rule, bei Gesetzesberatungen unter einstimmig gesetzter Zeitbegrenzung, bei der Beratung gemeinsamer Budgetresolutionen sowie während der ersten drei Stunden eines jeden Sitzungstages lO5 . Im Rahmen seiner Befugnis zur Interpretation der Geschäftsordnung ermöglicht der Filter des germaneness of debate-Grundsatzes dem Speaker die Steuerung des Debattenverlaufs durch die Ermessensentscheidung über die Zulässigkeit von nicht im Sachzusammenhang stehenden Anträgen 106. Der Interpretationsbefugnis des Senatspräsidenten kommt Siehe 1. Kap. E. Vgl. Senate Rule V, cl. 1; ferner Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415 sowie Tiefer, Congressional Practice, S. 503. 104 Vgl. Steffani, Der Gesetzgebungsprozeß, in: Jäger/WeIz, Regierungssystem der USA, § 9, S. 190; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 415; Oleszek, Congressional Procedures, S. 193; Tiefer, Congressional Practice, S. 199. Siehe 1. Kap. E. 111. lOS Vgl. Senate Rule XVI, cl. 4; Senate Rule XIX, cl. 1 (b); Senate Rule XXII, cl. 2; Balanced Budget and Emergency Deficit Control Act, § 258A (b) (3) (C) (i); Oleszek, Congressional Procedures, S. 193. 102 103
B. Der Vizepräsident
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hingegen mangels durchsetzungsbedürftiger Verfahrens grundsätze, wie dem der germaneness of debate, keine derartige Steuerungsfunktion zu. Die unterschiedliche Bedeutung der Geschäftsordnungsregeln und der einschlägigen Entscheidungen der Kammervorsitzenden in Senat und Repräsentantenhaus zeigt sich auch daran, daß gegen die Entscheidungen des Senatsvorsitzenden zunehmend und erfolgreich Einspruch eingelegt wird, mit der Folge, daß die Entscheidungen keine künftige Präzedenzfallwirksarnkeit entfalten 107. Demgegenüber stellt ein Einspruch gegen rulings des Speaker eine seltene Ausnahme dar, und von den eingelegten Einsprüchen hat überdies nahezu kein einziger ErfolglOS. Die größere Zahl an Einsprüchen im Senat hat ihren Grund zum einen in dem beschriebenen Geschäftsordnungsverständnis des Senats. Hiernach wird die Bindungswirkung bestimmter Regelungen von den Senatoren in der parlamentarischen Praxis nicht in gleicher Weise als verbindlich angesehen wie vom Senatspräsidenten bei seiner systemgerechten Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnungsvorschriften unter Mitwirkung des Parliamentarian 109. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die meisten Einsprüche gegen Entscheidungen des Speaker schon deshalb zum Scheitern verurteilt sind, weil dieser seinen Spielraum bei der Interpretation der Geschäftsordnung stets im Interesse der Mehrheitsfraktion im Haus nutzen und die Mehrheit ihn daher grundsätzlich unterstützen wird. Im Gegensatz dazu besteht jedenfalls zwischen dem Vizepräsidenten als Sitzungsleiter und der Senatsmehrheit gerade keine vergleichbare Verbundenheit. Wenngleich also dem Speaker wie dem Senatsvorsitzenden die präsidiale Interpretationsbefugnis normativ in gleichem Umfang zugewiesen wird, so unterscheidet sie sich doch in ihrer Auswirkung und politischen Bedeutung aufgrund der jeweiligen Einbindung in die verschiedenen parlamentsrechtlichen Kontexte des Senats und des Repräsentantenhauses erheblich. c) Order and Decorum Die Sitzungsgewalt des Tagungspräsidenten im Senat, d. h. die Kompetenz zur Aufrechterhaltung eines ordentlichen Sitzungsablaufs, unterscheidet sich weder im normativen Ausgangspunkt noch in ihrer Bedeutung und Tragweite von der des Speaker im Repräsentantenhaus. Beiden steht das Recht zu, einen Senator bzw. Abgeordneten bei einem Verstoß gegen die Verhaltensregeln der jeweiligen Kammer llO aus eigener Initiative oder auf Aufforderung zur Ordnung zu rufen und ihm Vgl. Deschler's Precedents Ch. 6 § 4.20; Tiefer; Congressional Practice, S. 199. Vgl. Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 8; Riddick, Senate Procedure, S. 145. Gemäß Senate Rule XX, cl. 2 kann der Senatsvorsitzende die Kammer auch unmittelbar über jede Geschäftsordnungsfrage entscheiden lassen. 108 Vgl. Siffl Weil, Ruling Congress, S. 47, 55; Tiefer; Congressional Practice, S. 24 f., 198,513. Siehe 2. Kap. C. V. 2. 109 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 513. liD Vgl. Senate Rule XIX, cl. 1 (a), cl. 2, 3; House Rule XVII, cl. 1,5. 106
107
380
6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
das Rederecht zu entziehen, welches ihm nur durch Kammerbeschluß wieder eingeräumt werden kann 111. Die betreffenden Geschäftsordnungsregelungen des Senats und des Repräsentantenhauses unterscheiden sich allerdings in der Schärfe der Sanktionsmöglichkeiten im Falle eines Verstosses gegen die Verhaltensregeln der Kammer wegen ungebührlicher Äußerungen. Senate Rule XIX, cl. 5 sieht lediglich vor, daß " ... the exceptionable words shall be taken down in writing, and read at the table for the information of the Senate." Demgegenüber enthält die Geschäftsordnung des Hauses neben einer gleichlautenden Sanktionsmöglichkeit in House Rule XVII, cl. 4 (a) eine noch strengere Regelung in House Rule XVII, cl. 4 (b): " ... If the case requires it, an offending Member... shall be liable to censure or such other punishment as the House may consider proper." Eine derartige Bestrafung eines Mitglieds steht allerdings nicht im Ermessen des Speaker, sondern kann nur durch Beschluß des Repräsentantenhauses ergehen, bedeutet also keine Kompetenzerweiterung des Speaker im Verhältnis zum Senatspräsidenten 112 . Die strengere Regelung des Repräsentantenhauses hängt mit der großen Mitgliederzahl von 435 Abgeordneten zusammen, die es notwendig macht, dem Haus weitergehende Sanktionsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung eines ordentlichen Verfahrensablaufs emzuraumen als dem nur aus 100 Mitgliedern bestehenden Senat 113 • 3. Formale Kompetenzen a) Appointment Power Die Mitglieder der ständigen Ausschüsse (standing committees) werden weder im Haus noch im Senat vom Kammervorsitzenden bestellt, sondern vom jeweiligen Plenum gewählt l14 . Wahrend House Rule I, cl. 11 dem Speaker aber einen weiten Ermessensspielraum bei der Ernennung von Mitgliedern der se1ect, joint und conference committees einräumt 115, liegt auch die Besetzung dieser Ausschüsse 111
C. IV.
Vgl. Senate Rule XIX, cl. 4; House Rule XVII, cl. 4 (a), (b). Siehe insgesamt 5. Kap.
Vgl. House Manual, § 760; ferner V.S. Const. art. I, § 5, cl. 2. Vgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 72. 114 Vgl. 4. Kap. B. II. sowie House Rule X, cl. 5 (a) (1); zum Senat Senate Rule XXIV, cl. 1. Für lediglich kurze Zeit im 19. Jh. experimentierte der Senat damit, dem Senatsvorsitzenden eine dem damaligen Speaker-Amt vergleichbare Ernennungskompetenz zuzuweisen. Er beschloß 1823, alle Ausschüsse "shall be appointed by the presiding officer of this House, unless otherwise ordered by the Senate." Aufgrund der voreingenommenen Ernennungspraxis des Vizepräsidenten John C. Calhoun im 19. Kongreß (1825 -1827) wurde dem Vizepräsidenten sowie dem President pro tempore 1826 diese Kompetenz jedoch alsbald wieder entzogen und die Ausschußbesetzung wieder dem Senat insgesamt übertragen. Vgl. Haynes, The Senate of the Vnited States, vol. I, S. 273 f. 115 Vgl. 5. Kap. D. 1.; zur Beschränkung des Ernennungsrechts des Speaker auf Abgeordnete, die Mitglieder des party caucus oder der conference sind, vgl. House Rule X, cl. 10 (a). 112 113
B. Der Vizepräsident
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gemäß Senate Rule XXIV, cl. 3 grundsätzlich beim Senat als Ganzem. Dem Vizepräsidenten bzw. einem anderen Presiding Officer steht die Ernennung entsprechender Ausschußmitglieder nur aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung durch den Senat zu. Diese wird allerdings im Falle der conference committees üblicherweise erteilt, ersetzt aber nicht die abschließende Genehmigung der Ernennungen durch den Senat l16 . Dem Senatsvorsitzenden steht in jedem Fall nur das rein formale Ernennungsrecht zu. Denn dem Vizepräsidenten als Nicht-Mitglied des Senats und darüber hinaus als nicht notwendigerweise der Mehrheitsfraktion angehörendem Akteur soll grundsätzlich kein politischer Einfluß auf die Auswahl der Ausschußmitglieder zukommen. Die Auswahl wird vielmehr - wie auch im Haus - von den Fraktionsführungen und besonders für die conference committees von den Vorsitzenden derjenigen Ausschüsse vorgenommen, die für den dem Vermittlungsausschuß vorzulegenden umstrittenen Entwurf zuständig sind 117. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Speaker. Dessen Ernennungsrecht nach House Rule I, cl. 11 hat in der Praxis zwar häufig auch nur formalen Charakter, weil er grundsätzlich die Empfehlungen der Ausschußvorsitzenden bestätigt. Aber als Mehrheitsführer seiner Fraktion kann er erheblichen Einfluß auf die Auswahl der Mitglieder der standing committees nehmen l18 , und überdies stehen seine Ernennungen nicht unter einem Genehmigungsvorbehalt des Hauses l19 . Desweiteren ist der Vizepräsident bzw. ein anderer Presiding Officer im individualistisch geprägten Senat anders als der Sprecher nicht ermächtigt, die Mitgliederzahl einer Vermittlungsausschußde1egation zu bestimmen oder die Zuständigkeit von Senatoren in einem conference committee auf bestimmte Sachfragen zu beschränken 120. Im Repräsentantenhaus ist schließlich die Änderung einer vom Speaker vorgenommenen conference committee-Ernennung nur im Wege eines Einstimmigkeitsbeschlusses möglich und damit praktisch ausgeschlossen. Im Senat hingegen kann die formale Ernennung von Ausschußmitgliedern durch den Senatspräsidenten durch einfachen Mehrheitsbeschluß geändert werden, oder die Senatoren können durch die Androhung, die Abstimmung über die Annahme der Ernennungsvorschläge des Senatsvorsitzenden durch filibuster zu verzögern, auf eine Änderung der Ausschußbesetzung hinwirken 121.
116 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 427, 456; ferner ders., The V.S. Congress, S. 81; Tiefer; Congressional Practice, S. 792. ll7 Vgl. Tiefer; Congressional Practice, S. 792; Oleszek, Congressional Procedures, S. 284. Falls der Vizepräsident der Mehrheitsfraktion des Senats angehört, kann ihm indes ein gewisser Einfluß auf die Auswahl zukommen. Der President pro tempore nimmt als von der Senatsmehrheit bestellter Interimspräsident allerdings im allgemeinen durchaus Einfluß auf die Auswahl der Ausschußmitglieder. Vgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 81 f. 118 Zum Einfluß des Speaker auf die Besetzung der standing committees siehe 4. Kap. B. 119 Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 279, 284. 120 Vgl. insgesamt 5. Kap. D. I. 3.
25 Semmler
382
6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
Weiterhin steht dem Vizepräsidenten im Gegensatz zum Speaker nicht das Recht zu, einen Stellvertreter für die Sitzungsleitung zu ernennen, sondern dieser wird vom Senat gewählt J22 . Die übrigen Amtsträger (officers) des Senats, wie der Secretary of the Senate und der Sergeant-at-Arms, werden mit absoluter Mehrheit vom Senat gewählt, ohne daß dem Vizepräsidenten insoweit ein dem Speaker vergleichbarer Einfluß auf die Auswahl der Kandidaten zukommt 123 . Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus der Unterschied bei der Bestellung der Parliamentarians beider Kammern. Der Senate Parliamentarian wird anders als sein Gegenpart im Repräsentantenhaus nicht vom Senatsvorsitzenden bestimmt, sondern vom Secretary of the Senate in Abstimmung mit dem Majority Leader. Dieser Bestellungsmodus zusammen mit der Vielzahl unterschiedlicher Senatsvorsitzender hat zur Konsequenz, daß sich zwischen dem Senate Parliamentarian und dem jeweiligen Senatsvorsitzenden kein so enges Vertrauensverhältnis entwickelt wie es im Repräsentantenhaus der Fall ist 124. Der Vizepräsident verfügt über das Ernennungsrecht für bestimmte Ehrenposten, dessen Ausübung aber an eine gesetzliche Ermächtigung gekoppelt ist 125 . Der President pro tempore verfügt ebenfalls über eine Reihe formaler Ernennungs- und Vorschlagsrechte, etwa bezüglich des Director of the Congressional Budget Office und der Kandidaten für das Amt des U.S. Comptroller General 126 . b) Referral of Bills Beiden Kammerpräsidenten obliegt die Verweisung von public bills an die entsprechenden Ausschüsse, wenngleich diese Aufgabe in der parlamentarischen Praxis fast ausschließlich von dem jeweiligen Parliamentarian wahrgenommen wird 127 . Die Verweisung der Gesetzesvorlagen hat sich grundsätzlich an den in Se-
121 Allerdings sind Änderungen von Ausschußbesetzungen, die durch den Speaker oder den Senatsvorsitzenden vorgenommen worden sind, in beiden Häusern die Ausnahme. Vgl. Oleszek, Congressional Procedures, S. 284. 122 Vgl. zum Speaker House Rule I, cl. 8 sowie 4. Kap. A. 11. 1.; zum Vizepräsidenten Senate Rule I, cl. 1. Im einzelnen ferner Senate Rule I, cl. 2, 3. Hiernach hat lediglich der President pro tempore das Recht, einen Stellvertreter zu ernennen. 123 Vgl. zum Speaker 4. Kap. A. I. 2. a); Riddick, Senate Procedure, S 955; speziell zum Secretary ofthe Senate a. a. 0., S. 1229 (1231); vgl. fernerders., The V.S. Congress, S. 81. 124 Vgl. Hook, Parliamentarians: Procedure and Pyrotechnics, in: CQWR 45 (1987), S. 1951 ff. (1951); Siffl Weil, Ruling Congress, S. 27, dort auch zum Secretary of the Senate. Siehe 4. Kap. A. 11. 2. 125 Vgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 81; ders., Senate Procedure, S. 1390. 126 Vgl. im einzelnen Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 10. 127 Vgl. Senate Rule XVII und House Rule XII, cl. 2; Riddick, The V.S. Congress, S. 77, 85; 4. Kap. A. 11. 2.
B. Der Vizepräsident
383
nate Rule XXV und House Rule X festgelegten Zuständigkeitsbereichen der ständigen Ausschüsse zu orientieren 128. Senate Rule XVII, cl. 1 setzt dem Ermessen des Senatsvorsitzenden enge Grenzen: Er hat die Vorlage an denjenigen Ausschuß zu überweisen, in dessen Zuständigkeitsbereich die Vorlage schwerpunktmäßig fällt 129. Bei Zuständigkeitskonflikten zwischen den Ausschüssen kann Einspruch gegen die Entscheidung des Vorsitzenden erhoben werden, über den der Senat letztverbindlich befindet. Die Ermessensentscheidungen des Speaker über die Verweisung von Vorlagen an die Ausschüsse gemäß House Rule XII, cl. 2 (b) unterliegen hingegen grundsätzlich keinem Einspruchsvorbehalt l3D • Desweiteren räumt die Geschäftsordnung des Hauses dem Speaker eine ganze Reihe von Einwirkungsrechten ein, mit deren Hilfe er die Verweisung der Gesetzesvorlagen an die Ausschüsse modifizieren kann. So hat der Speaker etwa einen federführenden Ausschuß zu bestimmen, kann Mehrfachverweisungen vornehmen, den Ausschüssen Beratungsfristen setzen und weitere Bestimmungen treffen, die auf eine zügige und effektive Ausschußberatung zielen 131. Im Gegensatz dazu sind die Modifikationsmöglichkeiten der Vorlagenverweisung im Senat weniger umfangreich und stehen zudem nicht im Ermessen des Senatspräsidenten. So kann dieser nicht aus eigener Initiative Mehrfachverweisungen und Beratungsfristen festsetzen; dafür bedarf es eines gemeinsamen Antrags der beiden Floor Leaders. In der Praxis erfolgt eine Mehrfachverweisung im Senat nur aufgrund einstimmigen Beschlusses I32 . Die divergierenden Kompetenzen von Speaker und Vizepräsident im Rahmen des Verweisungsrechts resultieren wiederum aus dem funktionellen Unterschied beider Ämter: Wahrend der Speaker aufgrund seiner Funktion als Mehrheitsführer im Haus im Interesse der Mehrheitsfraktion handelt, ist dies beim Vizepräsidenten nicht gewährleistet, so daß dessen parlamentsrechtliche Kompetenzen einer stärkeren Kontrolle und Rückbindung an die Senatsmehrheit unterworfen sind. c) Sonstige formale Kompetenzen Die sonstigen formalen Kompetenzen des Senatsvorsitzenden und des Speaker als Präsidenten ihrer jeweiligen Legislativkammem unterscheiden sich grundsätz128 Die Festlegung der Zuständigkeitsbereiche der Ausschüsse im Senat und im Repräsentantenhaus geht auf den Legislative Reorganization Act von 1946 zurück. Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1150; House Manual, § 669. 129 Siehe auch Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 2. 130 Siehe 5. Kap. B. I. 2. 131 Vgl. im einzelnen House Rule XII, cl. 2 (c) (1)-(6). Siehe 5. Kap. B. 1. 132 Vgl. insgesamt Senate Rule XVII, cl. 3. Diese Regel ist seit ihrer Einführung im Jahre 1977 indes nie angewandt worden, vgl. Mulvihill, House and Senate Rules of Procedure: A Comparison, CRS Report, S. 2.
25*
384
6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
lich nicht voneinander 133 • Beiden steht das Recht der Vereidigung (administration of oath) von Mitgliedern und Amtsträgem ihrer Kammern sowie vorgeladenen Zeugen zu J34 . Speaker und President pro tempore teilen sich das Hausrecht über die jeweils zu ihrer Kammer gehörende Seite des Capitol-Building sowie die dazugehörigen Gebäude und Grundstücke 135. Ferner steht beiden Kammerpräsidenten das Recht der Gesetzesunterzeichnung zu (signing of bills), wobei der Speaker seine Unterschrift vor dem Senatspräsidenten zu leisten hat l36 . Anders als der Speaker ist der Senatspräsident nicht berechtigt, das Journal vor seiner Verlesung in der Kammer zu überpriifen und zu korrigieren (approval ofthe Journal) 137. 4. Parlamentarische Teilnahmerechte
a) Debate Dem Speaker steht wie jedem anderen Mitglied des Repräsentantenhauses das Rede- und Antragsrecht im Plenum wie im Committee of the Whole zu. Im Falle seiner Teilnahme an der Debatte bestimmt er im allgemeinen einen Speaker pro tempore zum Stellvertreter, um seinen Platz auf dem Rostrum verlassen und wie jeder andere Congressman vom Rednerpult des Plenums aus sprechen zu können. Vom Platz des Vorsitzenden, von dem aus der Speaker seine präsidialen Befugnisse als Sitzungsleiter wahrnimmt, darf er grundsätzlich nur zu Geschäftsordnungsfragen Stellung nehmen. Zu anderen Gegenständen darf der Speaker von seinem Platz aus nur mit ausdriicklicher Genehmigung der Abgeordneten sprechen 138. Demgegenüber hat der Vizepräsident als Nicht-Mitglied des Senats nicht das Recht, an Gesetzesdebatten teilzunehmen. Zu Ansprachen vor dem Senat muß der Vizepräsident grundsätzlich durch einstimmigen Kammerbeschluß ermächtigt werden. Dies gilt sogar für Erläuterungen zu den kraft seiner präsidialen Interpretationsbefugnis getroffenen Entscheidungen über Geschäftsordnungsanträge l39 . Die 133 Vgl. insgesamt Riddick, The U.S. Congress, zum Speaker S. 66 ff., zum Vizepräsidenten S. 78. 134 Siehe 5. Kap. D. 11. Vgl. zum Speaker House Manual, §§ 198,343 sowie Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 3.2, 3.3; zum Vizepräsidenten bzw. Presiding Officer des Senats Riddick, Senate Procedure, S. 699 sowie 2 U.S.c. § 23 (2000). 135 Siehe 5. Kap. F. Vgl. zum Speaker House Rule I, cl. 2, 3 und Rule XVII, cl. 5 sowie Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 7, 8; zum Senatspräsidenten Senate Rule XIX, cl. 6 und Rule XXXIII sowie Riddick, Senate Procedure, S. 1391. 136 Siehe 5. Kap. D. III. Vgl. zum Speaker House Rule I, cl. 4; zum Senatspräsidenten Senate Rule I, cl. 3 sowie Riddick, Senate Procedure, S. 823. Siehe 1. Kap. G. V. 137 Siehe 5. Kap. C. I. Vgl. zum Speaker House Rule I, cl. 1; zum Senatspräsidenten Senate Rule IV, cl. 1 (a). 138 Vgl. 5. Kap. E. 1.; Riddick, The U.S. Congress, S. 75; Deschler's Precedents Ch. 6 §§ 5, 5.1,5.3. 139 In der parlamentarischen Praxis kommt es indes gelegentlich vor, daß der jeweilige Senats vorsitzende sich an der Debatte beteiligt, ohne daß ein point of order dagegen
B. Der Vizepräsident
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anderen Presiding Officers sind nur während ihres Sitzungsvorsitzes nicht berechtigt, an den Plenardebatten teilzunehmen 140; im übrigen haben sie als Senatoren ein gleichberechtigtes Rederecht. b) Voting Wenngleich der Speaker als Mitglied des Hauses ein volles Stimmrecht besitzt, nimmt er es in aller Regel nur sehr selten wahr I4 !. Dem trägt die Geschäftsordnung in House Rule I, cl. 7 Rechnung, die seine Stimmabgabe nicht im alltäglichen parlamentarischen Geschäftsgang, sondern lediglich in zwei Ausnahmesituationen für erforderlich erklärt!42. Außer bei einer geheimen Wahl hat der Speaker danach seine Stimme abzugeben, wenn sie eine Entscheidung herbeiführt. Dies gilt einerseits im Falle der Entscheidung einer Pattsituation durch die Stimme des Speaker und andererseits für den Fall, daß dessen Stimmabgabe gerade eine Pattsituation herbeiführen kann, da ein parlamentarischer Antrag bei Gleichheit der Stimmen gescheitert ist l43 . Der Speaker ist damit in der Lage, durch seine Stimmabgabe sowohl eine positive als auch eine negative Abstimmungsentscheidung herbeizuführen!44. D.S. Const. art. I, § 3, cl. 4 bestimmt hinsichtlich des Stimmrechts des Vizepräsidenten: "The Vice President. .. shall have no vote, unless they be equally divided."
Als Nicht-Mitglied des Senats ist der Vizepräsident grundsätzlich nicht stimmberechtigt, sondern die Verfassung räumt ihm lediglich für den Fall der Stimmengleichheit ein Stimmrecht ein l45 . Doch die Bedeutung dieses Stimmrechts muß sowohl in parlamentsrechtlicher als auch in politischer Hinsicht relativiert werden. Da auch im Senat ein Antrag bei Stimmengleichheit gescheitert ist und der Vizepräsident nur in einer solchen Pattsituation stimmberechtigt ist, hat dies zur Folge, daß seine Stimme nur für die Zustimmung zu einem Antrag, nicht aber für dessen Ablehnung von Bedeutung ist. Anders als der Speaker 146 kann der Vizepräsident einen Antrag nicht durch Herbeiführung eines Abstimmungspatts zum Scheitern bringen. Seiner Ablehnung eines Antrags im Falle eines Abstimmungspatts kommt erhoben wird. Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 730, 766, 1390 ff.; ferner ders., The V.S. Congress, S. 84. 140 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 730. 141 Vgl. V Hinds' Precedents §§ 5964 (dort Fn.), 5966, 5967; House Manual, § 632. 142 Siehe im einzelnen 5. Kap. E. 11. 143 Vgl. Deschler's Precedents eh. 6 §§ 5, 5.6, 5.8, 5.9. 144 Vgl. VIII Cannon's Precedents § 3100; House Manual, § 632. 145 Siehe 6. Kap. B. 11. 146 Siehe 5. Kap. E. 11.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
allenfalls deklaratorische Bedeutung zu, mit der er etwa seiner eigenen Opposition gegen ein Gesetzesvorhaben Ausdruck verleihen kann l47 . Desweiteren kann das verfassungsrechtliche Stimmrecht des Vizepräsidenten zwar im Einzelfall von entscheidender Bedeutung sein, so etwa bei der Abstimmung über administrative Vorlagen. Empirisch betrachtet, bilden die Abstimmungspatts im Senat und mithin die Stimmabgaben der Vizepräsidenten in der Geschichte der VSA aber eher eine Seltenheit. Von 1789 bis 1999 haben die Vizepräsidenten insgesamt in 223 Fällen von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Da in dieser Zählung auch Abstimmungen inbegriffen sind, bei denen die Stimme des Vizepräsidenten überflüssig war, weil er gegen den Antrag gestimmt hat, die tatsächliche Zahl der das Abstimmungsergebnis entscheidenden vizepräsidentiellen Stimmen also noch geringer ist als 223, so ist diese Zahl gemessen an der Gesamtzahl der Abstimmungen im Senat verschwindend gering 148. Demgegenüber haben die anderen Presiding Officers als Mitglieder des Senats volles Stimmrecht l49 •
C. Der President pro tempore des Senats Das Amt des President pro tempore des Senats ist das dritte, ausdrücklich in der Verfassung genannte Legislativamt der Vereinigten Staaten. V.S. Const. art. I, § 3, cl. 5 bestimmt die Wahl des President pro tempore als Interimspräsidenten und parlamentarischen Stellvertreter des Vizepräsidenten in seiner Funktion als President of the Senate für den Fall der Abwesenheit des Vizepräsidenten oder der Wahrnehmung der V.S.-Präsidentschaft durch diesen. Im Hinblick auf seine formale Stellung und funktionelle Einbindung in den Senat ist das Amt des President pro tempore, der Mitglied des Senats sein muß und von dessen Mehrheit gewählt wird l50 , mit dem des Speaker des Repräsentantenhauses zumindest vergleichbar. In der Präsidentennachfolge steht der President pro tempore an dritter Stelle hinter dem Vizepräsidenten und dem Speaker l51 .
147 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1394 ff.; ders., The V.S. Congress, S. 84; ferner insgesamt Congressional Quarterly, Congress A to Z, S. 437. 148 Vgl. insgesamt Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 114; ders., How Congress works, S. 24; ders., Congress A to Z, S. 437. 149 Vgl. V.S. Congress, Senate Journal, 2nd Cong., 1sI Sess., S. 429. 150 Vgl. zur Mitgliedschaft im Senat als Voraussetzung der Wahl zum President pro tempore Senate Rule I, cl. 1 a.E.: " ... or his tenn of office as a senator expires." 151 Die Berücksichtigung des President pro tempore bereits im ersten Presidential Succession Act von 1792, in dem er in der Präsidentennachfolge noch vor dem Speaker rangierte, unterstreicht die dem Amt vom Anfang der amerikanischen Verfassungspraxis an zugemessene hohe Bedeutung. Vgl. 4. Kap. A. I. 1. a) bb) Byrd, President pro tempore of the Senate, in: Bacon / Davidson / Keller, EncycIopedia, S. 1604 f.; Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 405.
C. Der President pro tempore des Senats
387
Während der Senat ein Jahrhundert lang nach dem Grundsatz verfuhr, in jedem Fall der Abwesenheit eines Vizepräsidenten einen neuen President pro tempore zu wählen, dessen Amtszeit automatisch mit der Rückkehr des Vizepräsidenten endete, wird der President pro tempore seit 1890 als ständiger Vertreter des Vizepräsidenten gewählt l52 . Die im Jahre 1890 verabschiedete Resolution, die die Grundlage für Senate Rule I, cl. 1 bildete, bestimmt: ". .. it is competent for the Senate to elect a President pro tempore, who shall hold the office during the pleasure of the Senate and until another is elected, and shall execute the duties thereof during all future absences of the Vice-President until the Senate otherwise orders,,153.
Der President pro tempore wird also auch bei Anwesenheit des Vizepräsidenten gewählt, ist indes nur zur Sitzungsleitung ermächtigt, wenn der Vizepräsident nicht den Vorsitz führt. Er bleibt gemäß Senate Rule I, cl. I so lange im Amt, bis der Senat einen Nachfolger gewählt hat, er seinen Senatorensitz verliert oder zurücktritt. Damit ist die Wahl eines President pro tempore - anders als die Speaker-Wahl - nicht bei jedem Zusammentritt eines neuen Kongresses notwendig 154 . In aller Regel wird der President pro tempore durch einfachen Beschluß (simple resolution) des Senats gewählt, für den - wie für jede Wahl von Amtsträgem des Senats die absolute Mehrheit der Senatoren erforderlich ist 155 . Als parlamentsinterner Organisationsakt erfolgt die Wahl unter strenger Einhaltung der Fraktionsdisziplin, und der Gewählte bleibt üblicherweise so lange im Amt, wie seine Partei die Mehrheit stelIt i56 • Seit 1945 wird traditionell der dienstälteste Senator der Mehrheitsfraktion in das Amt gewählt 157 . Die Höhe seines Gehaltes entspricht der der Majority und Minority Leaders beider Karnmem 158 . Der President pro tempore leistet 152 Siehe zum President pro tempore Haynes, The Senate of the United States, vol. I, S. 249 ff.; Byrd, The Senate, 1789 -1989, vol. 11, S. 167 ff.; Sachs, The President Pro Tempore ofthe Senate: History and Authority ofthe Office, CRS Report, S. 1 ff. 153 U.S. Congress, Senate Journal, 50th Cong., 2nd Sess., S. 165; Congressional Record, 12.03. 1890, S. 2144-2150. 154 Siehe 4. Kap. A. I. Anders als heutzutage führten die Vizepräsidenten im 19. Jh. indes regelmäßig den Vorsitz im Senat. Vgl. Congressional Quarterly, How Congress works, S. 24 f.; Byrd, President pro tempore of the Senate, in: Bacon I Davidsonl Keller, Encyclopedia, S. 1604; Riddick, Senate Procedure, S. 1024. 155 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1021 f. 156 Vgl. Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 4 f. 157 Vgl. 4. Kap. A. I. 1. b) ce) (1); Riddick, Senate Procedure, S. 1021 f.; Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64; Byrd, President pro tempore of the Senate, in: Bacon I Davidsonl Keller, Encyclopedia, S. 1604; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 25; ders., Guide to Congress, S. 405; Tiefer, Congressional Practice, S. 492 f. m. w. N.; zu den früheren Ausnahmen Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 5, mit einer Übersicht der Amtsinhaber, S. 13 ff. Seit 1995 hat Senator Strom Thurmond, R-SC, das Amt inne, der bereits von 1981-1987 President pro tempore des Senats war.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
seinen Amtseid vor dem Vizepräsidenten oder bei dessen Abwesenheit vor einem anderen Senator l59 . Inhalt und Reichweite der Kompetenzen des President pro tempore unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen des Vizepräsidenten als Senatsvorsitzendem l60 . Allerdings steht dem President pro tempore seit 1820 im Gegensatz zum Vizepräsidenten das dem Speaker vergleichbare Recht zu, gemäß Senate Rule I, cl. 3 seinen Stellvertreter (Acting President pro tempore) zu ernennen 161. Der President pro tempore nimmt dieses Recht routinemäßig in Anspruch und delegiert den Senatsvorsitz entweder an den Deputy President pro tempore oder - weitaus häufiger - an neu gewählte Senatoren der Mehrheitsfraktion, die jeweils für etwa eine halbe Stunde als Senatsvorsitzende fungieren, um sich auf diese Weise mit der Geschäftsordnung des Senats vertraut zu machen 162 . Auch die Kompetenzen dieser Senatoren als Acting Presidents pro tempore unterscheiden sich dem Grunde nach nicht von denen des Vizepräsidenten als Senatsvorsitzendem. Allerdings können auch sie gemäß Senate Rule I, cl. 3 ihrerseits wiederum Stellvertreter ernennen. Der überwiegende Teil der Sitzungszeit findet also weder unter Vorsitz des Vizepräsidenten noch des President pro tempore statt, sondern unter der Leitung einer ganzen Anzahl von Acting Presidents pro tempore. Der Vizepräsident kann allerdings die Amtsgewalt des President pro tempore oder eines seiner Stellvertreter zu jeder Zeit durch Einnahme des Vorsitzes neutralisieren, was speziell dann von Bedeutung ist, wenn er nicht der Mehrheitsfraktion angehört. Die parlamentsrechtliche Abhängigkeit der Amtsgewalt des President pro tempore und der anderen Stellvertreter vom Vizepräsidenten ist ein Grund dafür, daß den Floor Leaders des Senats die maßgebliche politische Führungsrolle zufällt 163. Viele der Kompetenzen, die dem Amt des President pro tempore im Laufe der Zeit zugewachsen sind, 158 Vgl. 2 D.S.C. § 32 (2000) i.Y.m. P.L. 91-67, 83 Stat. 107. Solange das Vizepräsidentenamt vakant ist, erhält der President pro tempore indes ein Gehalt in Höhe des Gehalts des Vizepräsidenten. Siehe 4. Kap. A. I. 1. a) cc). 159 Siehe 5 D.S.C. § 3331 (2000); vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1023. 160 Vgl. Riddick, Senate Procedure, S. 1019 ff.; Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23 f.; ders., Guide to Congress, S. 405; Tiefer; Congressional Practice, S. 495. Wahrend der Vizepräsident im Jahre 1823 einmalig ermächtigt wurde, die Mitglieder der ständigen Ausschüsse des Senats zu ernennen (vgl. Fn. 114), wurde dem President pro tempore dieses Recht im 19. Jahrhundert des öfteren eingeräumt, so in den Jahren 1823-33,1838,1841, 1843 und 1863. Vgl. Kravitz, Congressional Quarterly's American Congressional Dictionary, S. 192; Sachs, President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 7 f. m. w. N. 161 Vgl. House Rule I, cl. 8. 162 Siehe insgesamt 6. Kap. B. III. 1. Vgl. Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23; DavidsonI Oleszek, Congress and its Members, S. 177; Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64. Das Rotationsprinzip hat sich etwa seit 1950 entwickelt. Die Beschränkung der Acting Presidents pro tempore auf Mitglieder der Mehrheitsfraktion geht auf die 1970'er Jahre zurück. Vgl. Tiefer; Congressional Practice, S. 494 m. w. N.; Nickels, Presiding Officer, in: Bacon I Davidson I Keller, Encyc1opedia, S. 1610 f. 163 Vgl. Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23 .
C. Der President pro tempore des Senats
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sind rein formaler Natur und dienen nur dem Vollzug zuvor von der Fraktionsführung getroffener Entscheidungen 164. Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Vizepräsidenten und dem President pro tempore - wie auch allen anderen stellvertretenden Senatsvorsitzenden betrifft das Abstimmungsrecht und das Rederecht im Senat. Als Mitglieder des Senats besitzen der President pro tempore und die Acting Presidents pro tempore im Gegensatz zum Vizepräsidenten volles Stimm- und Rederecht im Senat 165 . Die Stimme des President pro tempore sowie die seiner Stellvertreter gibt im Gegensatz zu der des Vizepräsidenten bei Stimmengleichheit nicht den Ausschlag. An den Senatsdebatten beteiligen sich der President pro tempore und die Acting Presidents pro tempore grundsätzlich nicht vom Platz des Vorsitzenden aus, sondern sie delegieren den Vorsitz an einen Stellvertreter und sprechen vom Rednerpult des Plenums aus 166 . Zwar hängt die Bedeutung des Amtes des President pro tempore auch von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers ab, doch letztlich ist sie funktionell auf die sitzungsleitende Rolle eines Tagungspräsidenten reduziert 167 . Durch die Präzedenzfälle und den Willen der Senatsmehrheit in seinen Kompetenzen ebenso beschränkt wie der Vizepräsident und an substanzieller politischer Macht vom Senate Majority Leader weit übertroffen, hat der President pro tempore eher eine symbolische Funktion. Die im Vergleich zum Speaker in kompetentieller 168 und politischer Hinsicht erheblich schwächere innerparlamentarische Machtstellung des President pro tempore sowie das Interesse an seiner Arbeit als Vorsitzender eines wichtigen Fachausschusses, der er - im Gegensatz zum Speaker l69 - als dienstältester Senator in der Regel sein wird, begründen zudem das geringe Interesse des President pro tempore, den Senatsvorsitz so häufig wie möglich selbst zu übernehmen 17o. Allerdings ist es für den President pro tempore aufgrund seiner funktionellen Einbindung in den Senat sogar leichter als für den von außen kommenden Vizepräsidenten, einen dem Speaker vergleichbaren Einfluß über die Kammer zu
164 Hierzu zählen etwa die besonderen Ernennungsrechte des President pro tempore, z. B. im Fall des Director of the Congressional Budget Office, oder das Empfehlungsrecht für die Besetzung des Amtes des D.S. Comptroller General, vgl. Sachs, The President pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 10. Zu den besonderen Mitgliedschaften des President pro tempore, a. a. 0., S. 11. 165 Zur Bekräftigung des Stimmrechts des President Pro Tempore siehe D.S. Congress, Senate Journal, 2nd Cong., Ist Sess., S. 429. 166 Vgl. Riddick, The D.S. Congress, S. 84. 167 V gl. Congressional Quarterly, How Congress works, S. 23. 168 Vgl. Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. i. 169 Siehe 4. Kap. A. III. 1. b). 170 Vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64; Tiefer, Congressional Practice, S.493.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
gewinnen 171. Auch setzt der President pro tempore als Mitglied der Senatsmehrheit stets die ihm zu Gebote stehenden parlamentsrechtlichen Mittel zur Umsetzung des Gesetzgebungsprogramms seiner Fraktion ein!72. Es ist letztlich aber die Verbindung aus Seniorität, Ehrenamt!73 und Vorsitz eines bedeutenden Ausschusses, die dem President pro tempore unter den Senatoren eine bisweilen auch politisch und nicht nur formal herausgehobene Position verschafft!74. ,,[B]ecause of his position as a senior member of the party and often [as] the chairman of a key committee, the leadership regularly consults the President Pro Tempore as to his views on policies and actions of the party" 175 .
Bei den Republikanern wie bei den Demokraten gehört der President pro tempore von Amts wegen der Fraktionsführung und den entsprechenden Fraktionsgremien an, so daß eine enge Zusammenarbeit mit dem Majority Leader gewährleistet ist 176 . Als ständigem Amtsträger kommt ihm im Senat jedenfalls eine größere Bedeutung zu als dem Speaker pro tempore im Repräsentantenhaus. Die Frage der Zugehörigkeit zur Partei des Präsidenten ist für das Rollenverständnis des President pro tempore unerheblich!77.
D. Der Majority Leader des Senats Das politische Führungsamt des Senats und damit das eigentliche Pendant zum Speaker im Repräsentantenhaus ist das Amt des Majority Leader. Er ist der Führer der Mehrheitsfraktion im Senat und damit der wichtigste politische Repräsentant des Senats als Gesamtorgan, führt allerdings grundsätzlich nicht den Vorsitz im Senat 178 . Das Amt des Senate Majority Leader ist kein Verfassungsamt und wird auch nicht durch die Geschäftsordnung des Senats konstituiert. Es ist ein reines Parteibzw. Fraktionsamt. Der Senate Majority Leader wird wie der Minority Leader alle zwei Jahre zu Beginn eines neuen Kongresses von der jeweiligen FraktionsvollverVgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 78, 82. Vgl. Riddick, The V.S. Congress, S. 79. 173 Robert C. Byrd: ,,[T]he election of a senator to the office of the president pro tempore has always been considered one of the highest honors offered to a senator by the Senate as a body." Zitiert nach Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. i. 174 Vgl. Sachs, The President pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 11 f. 175 Bemerkung von Robert C. Byrd, Congressional Record, 21. 05. 1980, S. S5674. 176 Vgl. Sachs, The President Pro Tempore of the Senate: History and Authority of the Office, CRS Report, S. 12. 177 Vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64. 178 Vgl. Davidsonl Oleszek, Congress and its Members, S. 177 ff.; Senator Byrd, in: Congressional Record, 02. 05.1980, S. S4495; siehe 6. Kap. A. 171
172
D. Der Majority Leader des Senats
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sammlung der Demokraten und Republikaner im Senat geheim gewählt l79 . Wenngleich die Seniorität im strengen Sinne nicht das ausschlaggebende Kriterium ist, so werden in aller Regel nur besonders amtserfahrene Senatoren zum Floor Leader gewählt l8o . Ein Demokratischer Floor Leader fungiert ex officio zugleich als Vorsitzender der Fraktionsvollversammlung (Democratic Conference), des Democratic Policy Committee und des Democratic Steering Committee. Eine derartige Personalunion kennen die Republikaner nicht l81 . Zwar gab es im Senat zu jeder Zeit einzelne inoffizielle politische Führer, doch kannte der Senat während des 18. und 19. Jahrhunderts kein offizielles, zentrales politisches Führungsamt. Die Parteiführung im Senat war fragmentiert und dezentralisiert und wurde nur vereinzelt ausgeübt l82 . Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich die Vorsitzendenposten der Fraktionsvollversammlungen und der ständigen Ausschüsse als Kristallisationspunkte politischer Führung im Senat heraus l83 . Die jeweiligen Senatoren waren jedenfalls ihrem politischen Einfluß nach in der Sache bereits die "Floor Leaders" ihrer Fraktionen, wenngleich dies noch nicht ihre offizielle Bezeichnung war 184 . Über den Zeitpunkt der Einführung des Amtes des Floor Leader als formelles Fraktionsamt herrscht Uneinigkeit l85 . Zum Teil wird angenommen, der Demokratische Senator John W. Kern, Vertrauter Präsident Wilsons und Vorsitzender der Fraktionsvollversammlung der Demokraten im Senat, sei bereits im Jahre 1913 offiziell zum Mehrheitsführer gewählt worden 186. Von anderer Seite wird vertreten, die formelle Bezeichnung "Leader" sei in den Protokollen der Fraktionsvollversammlungen nicht vor 1920 zu finden. Die Protokolle der Demokraten aus jenem Jahr bezeichnen zuerst Oscar Underwood als "Minority Leader". Nach den Protokollen der Republikaner war Charles Curtis 179 DavidsonlOleszek, Congress and its Members, S. 179; Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64. 180 V gl. Munk, Origin and Development of the Party Floor Leadership in the United States Senate, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 23 ff. (24 f.); Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 64 f. 181 Vgl. Patterson, Party Leadership in the U.S. Senate, in: Kornacki, Leading Congress, S. 35 ff. (40); Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 65. 182 Vgl. Peabody, Leadership in Congress: Stability, Succession, and Change, S. 327; DavidsonI Oleszek, Congress and its Members, S. 179. Noch 1885 schrieb Woodrow Wilson: "No one is the Senator... No one exercises the special trust of acknowledged leadership. The Senate is merely a body of individual critics ... " Wilson, Congressional Government, S. 147. 183 Vgl. Munk, Origin and Development ofthe Party Floor Leadership in the United States Senate, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 23 ff. (22, 25, 27); Tiefer, Congressional Practice, S. 472 m. w. N. 184 Vgl. Ripley, Power in the Senate, S. 15. 185 Vgl. insgesamt Oleszek, John Worth Kern, in: Baker I Davidson, First among Equals: Outstanding Senate Leaders of the Twentieth Century, S. 7 ff. (9 f.).
186 So Munk, Origin and Development of the Party Floor Leadership in the United States Senate, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 23 ff. (28); Tiefer, Congressional Practice, S. 473; auch Ripley, Power in the Senate, S. 26. V gl. auch Davidson I Oleszek, Congress and its Members, S. 179.
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6. Kap.: Stellung des Speaker im Vergleich zu Führungspositionen des Senats
im Jahre 1925 der erste offizielle Majority Floor Leader seiner Fraktion 187. Als vom Vorsitz der Fraktionsvollversammlung unabhängiges und funktionell eigenständiges Amt hatte sich der Posten des Floor Leader dann vollends gegen Ende der 1930'er Jahre etabliert l88 . Zu der besonderen Stellung, die der Majority Leader im 20. Jahrhundert erlangt hat, haben sowohl parlamentsrechtliche wie politische Entwicklungen beigetragen. Parlamentsrechtlichen Einfluß gewann der Majority Leader vor allem durch das ihm 1937 formal zugestandene Erstrederecht im Plenum und die immer häufigere Anwendung der complex unanimous consent agreements im Senat. Diese Beschlüsse müssen vom Majority Leader beantragt werden. Sie ermöglichen die Außerkraftsetzung der Geschäftsordnungsregeln und legen den Verfahrensablauf für die Beratung wichtiger Gesetzesvorlagen zeitlich und inhaltlich fest l89 . Der Majority Leader trägt einerseits die Verantwortung für das politische Zustandekommen dieser Einstimmigkeitsbeschlüsse, andererseits sind sie für ihn ein Instrument zur Steuerung des Beratungsverlaufs l90 . Die funktionale Erweiterung der Exekutive seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts, speziell der wachsende Einfluß des Präsidenten auf den Gesetzgebungsprozeß, hatte eine engere Beziehung zwischen Exekutive und Legislative zur Folge l91 . Diese bildete den Ausgangspunkt für ein neues Verständnis auf seiten des Senats von einer exekutiv-legislativen Zusammenarbeit im Sinne einer Partnerschaft zwischen Präsident und Kongreßführem zum Zwecke der Formulierung und Umsetzung von Gesetzgebungsprogrammen. Die Beziehung des Majority Leader zum Präsidenten, die abhängig ist von den jeweiligen Persönlichkeiten und den politischen Mehrheitsverhältnissen (divided I unified govemment), wurde so zu einem zentralen Aspekt für die Bedeutung des Majority Leader, der sich zur wichtigsten Stütze präsidentieller Politik im Kongreß entwickelte 192. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung des Amtes lassen sich grundsätzlich fünf Funktionen des Senate Majority Leader herausstellen. Es sind dies die politischen Funktionen der Führung der Mehrheitsfraktion im Senat, der legislativen 187 Vgl. Congressional Quarterly, Guide to Congress, S. 406; vgl. auch Huitt, Congress: Retrospect and Prospect, in: The Journal ofPolitics 38 (1976), S. 209 ff. (215). 188 Vgl. Munk, Origin and DeveJopment ofthe Party Floor Leadership in the United States Senate, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 23 ff. (24); siehe zur Entwicklung der Führungspositionen im Senat insgesamt auch Riddick, Majority and minority leaders of the Senate, S. I ff. 189 Siehe 1. Kap. E. III. 190 Vgl. Tiefer, Congressional Practice, S. 474; zum Erstrederecht Riddick, Senate Procedure, S. 1094, 1098; zu den sog. "complex unanimous consent agreements" Riddick, a. a. 0., S. 680 f., 1311 ff.; ferner Oleszek, Congressional Procedures, S. 157, 161 ff. Die genannten Vorrechte haben zwar keine Aufnahme in die Senate Rules gefunden, sind aber durch Präzedenzfälle im Parlamentsrecht des Senats verankert. 191 Siehe 3. Kap. C. III. 192 V gl. zum Ganzen Munk, Origin and Developrnent of the Party Floor Leadership in the United States Senate, in: Capitol Studies 2 (1974), S. 23 ff. (24 ff.).
D. Der Majority Leader des Senats
393
Koordination von Senat, Repräsentantenhaus und Weißem Haus sowie der Repräsentation seiner Senatsfraktion sowie des Senats als Gesamtorgan gegenüber den Medien. Hinzu treten die parlamentarischen Funktionen der Steuerung des Gesetzgebungsprozesses (scheduling), insbesondere unter Berücksichtigung des individualistischen Selbstverständnisses der Senatoren, sowie das aufmerksame Verfolgen von Gesetzesberatungen (guarding the floor), um gegebenenfalls Einstimmigkeitsbeschlüsse mit dem Ziel einer effektiveren Gesetzgebungsarbeit zustandezubringen 193. Insgesamt unterscheiden sich die Aufgaben des Senate Majority Leader im wesentlichen nicht von denen des Majority Leader im Repräsentantenhaus l94 . Zwar ist der Senate Majority Leader ebenso wie der Speaker der gewählte Mehrheitsführer seiner Kammer und kann wegen der funktionellen Stellung der anderen verfassungsmäßigen Senatsvorsitzenden 195 ebenso wie jener als der eigentliche politische Führer seiner Kammer bezeichnet werden. Jedoch hat er kein Verfassungsamt inne, und es stehen ihm keine präsidialen Kompetenzen zu Gebote, um in gleicher Weise wie der Speaker das parlamentarische Verfahren zu steuern. Hinzu kommt, daß es dem Senat, der in stärkerem Maße als das Repräsentantenhaus ein "Gremium von Gleichen" ist, generell schwerer fällt, politische Führung anzuerkennen 196. Für den Fall, daß der Speaker und der Senate Majority Leader derselben Partei angehören, ist darüber hinaus festzuhalten, daß der Speaker wegen des stärker dezentralisierten Charakters des Senats im allgemeinen einen größeren Einfluß auf die Ausgestaltung des Gesetzgebungsprogramms der Partei haben wird l97 . So ist der Majority Leader also politischer Führer und Repräsentant des Senats als Gesamtorgan. Doch er hat eine nicht nur parlamentsrechtlich-formell weniger gefestigte 198 , sondern auch in der Hierarchie des Senats weniger eminente Stellung inne als der Speaker des Repräsentantenhauses.
193 Vgl. insgesamt Davidson, Senate Leaders: Janitors for an Untidy Chamber?, in: Dodd/ Oppenheimer, Congress Reconsidered (1985), S. 225 ff. (236). 194 Siehe 4. Kap. A. III. 1. c). 195 Siehe 6. Kap. B. 1. und C. 196 Vgl. Klumpjan, Die amerikanischen Parteien, S. 65; siehe 1. Kap. E. 197 Vgl. Sinclair, The Speaker as Party Leader, in: Peters, The Speaker, S. 40 ff. (56). 198 Vgl. Peters, The American Speakership, S. 309.
7. Kapitel
Abschließende Bemerkungen Die Untersuchung hat gezeigt, daß die rechtliche Stellung und die politische Bedeutung des Speaker-Amtes im amerikanischen Regierungssystem durch verschiedene Faktoren bestimmt werden: Das Wesensmerkmal des Speaker of the House of Representatives besteht im Gegensatz zu Parlaments präsidenten in parlamentarischen Regierungssystemen in seiner Doppelfunktion als formeller Parlamentspräsident und politischer Führer der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus. Die unabhängige Stellung des Kongresses im Gewaltenteilungssystem der USA sowie dessen starke kompetentielle Ausstattung durch die Verfassung bilden die Grundlage für das Sprecher-Amt als politisches Führungsamt. Die politische Führungsfunktion des Sprechers als Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses kann insbesondere in der Konstellation des divided govemment bedeutsam werden, wenn der Speaker zum eigentlichen Oppositionsführer gegenüber dem Präsidenten wird. Der Sprecher ist der einzige Amts- und Funktionsträger des Kongresses, der sowohl über weitreichende geschäftsordnungsrechtliche Kompetenzen als auch über umfangreiche innerfraktionelle Befugnisse zur Steuerung des parlamentarischen und politischen Prozesses in seiner Kammer verfügt. Unter seinen formellen Kompetenzen sind insbesondere drei hervorzuheben, die dem Sprecher eine politische Einflußnahme auf das parlamentarische Verfahren ermöglichen. Im Rahmen seiner präsidialen Interpretationsbefugnis kann er das Ermessen, das ihm bei der Auslegung des Parlamentsrechts zufällt, im politischen Interesse seiner Fraktion einsetzen. Die power of scheduling stellt den parlamentarischen Arbeitsplan und die Tagesordnung bei den vereinfachten Gesetzgebungsverfahren in das nahezu unbeschränkte Ermessen des Sprechers. Hinsichtlich der major legislation muß sich der Speaker die power of scheduling mit dem Rules Committee teilen, das er indes über seine Ernennungsrechte kontrollieren kann. Die power of recognition ist die zentrale Kompetenz zur Steuerung der Plenardebatte. Sie verleiht dem Sprecher das Ermessen über die Worterteilung und entzieht seine Entscheidung dem Einspruchsvorbehalt des Hauses. Auf der Ebene der Fraktionssatzungen der Republikaner und Demokraten werden dem Sprecher vor allem durch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Ausschußbesetzung Instrumente zur Steuerung des politischen Prozesses im Repräsentantenhaus eingeräumt.
Abschließende Bemerkungen
395
Die historische Entwicklung des Sprecher-Amtes während der vier Phasen des parliamentary, partisan, feudal und democratic speakership hat gezeigt, daß der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers bei der Nutzung des Machtpotentials des Amtes zur politischen Führung entscheidende Bedeutung zukommt. Das Amt des Speaker of the House of Representatives unterlag während der mehr als 200jährigen amerikanischen Verfassungs geschichte einem ständigen Wandel. Zu zahlreich und unbeständig sind die das Amt formenden Einflüsse, als daß in der Zukunft mit einer Erstarrung der Entwicklung des Amtes gerechnet werden müßte. Das Sprecher-Amt bildet im Regierungssystem der USA einen Kristallisationspunkt der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in der Geschichte des Landes. Denn sein Wandel reflektiert die jeweiligen externen Einflüsse, vor allem das Verhältnis zum Präsidenten, die internen Strukturbedingungen des Repräsentantenhauses, insbesondere den Grad seiner Institutionalisierung, die Rolle des Sprechers als Parteiführer und nicht zuletzt die jeweilige Persönlichkeit des Sprechers 1• Der Entwicklung des Amtes, seiner Ausformung und Anpassung an die jeweiligen historischen Bedingungen, sind indes Grenzen gesetzt. Die Verfassung begründet durch ihre Gewaltenteilungskonzeption ein präsidentielles Regierungssystem und spricht sich in normativer wie funktioneller Hinsicht gegen eine Parlamentarisierung aus. Sie weist dem Kongreß gegenüber dem Präsidenten eine grundsätzlich gleichgeordnete Stellung zu. Zugleich schafft sie aber durch die breite demokratische Legitimation des Präsidenten, der von der ganzen Nation gewählt wird, die Voraussetzung für die einmalige Symbolkraft des Präsidenten als nationale Identitäts- und politische Führungsfigur. Als Präsident des Repräsentantenhauses übt der Speaker lediglich Kompetenzen aus, die ihm im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments übertragen worden sind. Er bleibt insoweit stets der Manifestation der Parlamentsautonomie durch den Mehrheitswillen des Repräsentantenhauses untergeordnet. Als Politiker hat der Speaker den Interessen zweier "Wahlkreise" gerecht zu werden. Zum einen ist er als Abgeordneter vom Vertrauen seines örtlichen Wahlkreises abhängig. Zum anderen muß er als Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus sein politisches Handeln am Willen seiner Fraktion ausrichten. Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens ist das Speaker-Amt, "not only an institution, it is an opportunity, in which men of strong character have shown their leadership,,2.
Starke politische Persönlichkeiten, wie Clay, Reed und Gingrich, haben es verstanden, das Machtpotential des Sprecher-Amtes, das vor allem in seinen umfangreichen rechtlichen Gestaltungsfreiräumen liegt, zu nutzen, um sich die Bedingungen ihrer politischen Führung selbst zu schaffen. Sie haben sich dafür in unter1 2
Vgl. hierzu Peters, The Speakership Today, in: ders., The Speaker, S. 247 ff. Foltett, The Speaker of the House of Representatives, S. 64.
396
Abschließende Bemerkungen
schiedlicher Weise ihrer geschäftsordnungsrechtlichen und innerfraktionellen Kompetenzen sowie ihres Einflusses als nationale Parteiführer bedient. So hat zuletzt Newt Gingrich mit seinen Reformen der parlamentarischen Geschäftsordnung und der Republikanischen Fraktionssatzung im Jahre 1995 die rechtliche Grundlage für eine neue Machtzentralisation im Speaker-Amt geschaffen und intensiv von ihr Gebrauch gemacht, indem er vor allem das Senioritätsprinzip bei der Ausschußbesetzung durch persönliche Machtentscheidungen ersetzte. Die institutionelle Grundlage dieser Machtzentralisation ist unter seinem Amtsnachfolger Hastert unverändert geblieben, wird indes nicht mit gleicher Intensität genutzt. Ein machtpolitisch ambitionierter Sprecher könnte das gegenwärtige institutionelle Potential des Amtes erneut im Sinne einer extrem parteipolitischen Führung instrumentalisieren. Die politische und institutionelle Macht Speaker Gingrichs ist allein mit der Speaker Cannons vergleichbar. Ein Vergleich dieser beiden Republikanischen Sprecher sollte aber folgendes nicht außer acht lassen: Die Macht Cannons beruhte in erster Linie auf den formellen, geschäftsordnungsrechtlichen Kompetenzen des Sprechers und nicht wie im Fall Gingrichs auf einer ihm aus Dankbarkeit über den 1994'er Wahlsieg zunächst treu ergebenen Mehrheitsfraktion und den von ihrer Satzung ausgehenden Befugnissen. Cannon war im Zeitpunkt seines Machtverlustes 73 Jahre alt und stand am Ende seiner persönlichen Karriere sowie am Ende einer 15jährigen ununterbrochenen Republikanischen Herrschaft und einer noch weiter zuriickreichenden Tradition zentralisierter Republikanischer Führung im Repräsentantenhaus. Gingrich, 55jährig, hatte die Republikaner nach vier Jahrzehnten Minderheitsstatus wieder zur Mehrheit geführt, mußte eine zentralisierte Republikanische Fraktionsführung neu aufbauen und stand am Anfang einer neuen konservativen Entwicklung. Noch kann man nicht beurteilen, ob die von Newt Gingrich geschaffene institutionelle Machtzentralisation der Entwicklung des Speaker-Amtes ein nachhaltiges Gepräge gegeben hat. In jedem Fall hat sie die Basis für ein neues Republican Speakership gelegt.
Anhang I
Die Sprecher des Repräsentantenhauses Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
Frederik A. C. Muh\enberg (01. 01. 1750) Federalist / 1. Kongreß Democratic-Republican / 3. Kongreß Pennsylvania
04.03.1789-03.03.1797
Jonathan Trumbull (26. 03. 1740) Federalist Connecticut
04.03. 1789-03.03.1795
24.10.1791-03.03.1793
1. - 3. Kongreß
2. Kongreß
Jonathan Dayton (16. 10. 1660) Federalist New Jersey
04.03. 1791-03.03.1799
07.12.1795-03.03.1799
2. - 5. Kongreß
4. und 5. Kongreß
Theodore Sedgwick (09. 05. 1746) Federalist Massachusetts
04. 03. 1789 - Juni 1796 04.03.1799-03.03.1801
02.12. 1799-03.03.1801
Nathanie1 Macon (17.12.1757) Democratic-Republican North Carolina
1. - 4. Kongreß
1. - 4. und 6. Kongreß 04.03. 1791-13. 12. 1815
01. 04.1789-03.03.1791 02.12.1793-03.03.1795 1. und 3. Kongreß
6. Kongreß 07.12.1801-03.03.1807
2. - 14. Kongreß
7. - 9. Kongreß
Joseph B. Vamum (29.01. 1750) Democratic-Republican Massachusetts
04.03.1795-29.06.1811
26.10.1807-03.03.1811
4. - 12. Kongreß
10. und 11. Kongreß
Henry Clay (12.04. 1777) Democratic-Republican Kentucky
04.03.1811-19.01. 1814 04.03.1815-03.03.1821 03.03. 1823 -06.03. 1825 12. - 16. und 18. und 19. Kongreß 31. 12. 1810-03.03.1815
04. 11. 1811-19.01. 1814 04.12.1815-28.10.1820 01. 12. 1823-03.03. 1825
11. - 13. Kongreß
13. Kongreß
Langdon Cheves (17.09.1776) Democratic-Republican South Carolina 26 Sernrnler
12. - 16. und 18. Kongreß 19.01. 1814-03.03. 1815
398
Anhang I Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
John W. Taylor (26.03. 1784) Democratic-Republican I 16. Kongreß National-Republican I 19. Kongreß NewYork
04.03. 1813 -03.03. 1833
Philip P. Barbour (25.05. 1783) Democratic-Republican Virginia
19.09.1814-03.03.1825 04.03. 1827 -15. 10. 1830 13. - 18. und 20. und 21. Kongreß
04. 12. 1821-03.03. 1823
Andrew Stevenson (21.01.1784) Democrat Virginia
04.03. 1821-02.06. 1834
03. 12. 1827 -02.06. 1834
17. -23. Kongreß
20. - 23. Kongreß
John Bell (15.02. 1797) Whig Tennessee
04.03. 1827 -03.03. 1841
02.06. 1834-03.03. 1835
20. - 26. Kongreß
23. Kongreß
James K. Polk (02. 11. 1795) Democrat Tennessee
04.03. 1825 -03.03. 1839
07. 12. 1835 -03.03. 1839
19. - 25. Kongreß
24. - 25. Kongreß
Robert M. T. Hunter (21. 04. 1809) Democrat Virginia
04.03. 1837 -03.03. 1843 04.03. 1845 -03.03. 1847
16.12.1839-03.03.1841
John White (14.02. 1802) Whig Kentucky
04.03.1835-03.03.1845
31. 05.1841-03.03.1843
24. - 28. Kongreß
27. Kongreß
John W. Jones (22. 11. 1791) Democrat Virginia
04.03. 1835 -03.03. 1845
04. 12. 1843 -03.03. 1845
24. - 28. Kongreß
28. Kongreß
John W. Davis (16.04. 1799) Democrat Indiana
04.03. 1835 -03.03. 1837 01. 12. 1845 -03.03. 1847 04.03. 1839-03.03. 1841 04.03.1843-03.03.1847 29. Kongreß 24.,26.,28. und 29. Kongreß
Robert C. Winthrop (12.05. 1809) Whig Massachusetts
09. 11. 1840-25.05. 1842 06. 12. 1847 - 03. 03. 1849 29. 11. 1842-30.07. 1850 26., 27. und 28. - 31. Kon- 30. Kongreß greß
13. - 22. Kongreß
25. - 27. und 29. Kongreß
15.11. 1820-03.03.1821 05. 12. 1825 -03.03. 1827 16. und 19. Kongreß
17. Kongreß
26. Kongreß
399
Anhang I
Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat Howell Cobb
(07.09. 1815) Democrat Georgia
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
04.03.1843-03.03.1851 04.03.1855-03.03.1857
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
22. 12. 1849-03.03. 1851 31. Kongreß
28. - 31. und 34. Kongreß 04.03. 1835 -03.03. 1837 04.03.1839-03.03.1855
01. 12. 1851-03.03. 1855
Democrat South Carolina
31. - 35. Kongreß
35. Kongreß
William Pennington
04.03. 1859-03.03. 1861
01. 02. 1860-03.03. 1861
Whig New Jersey Galusha A. Grow
36. Kongreß
36. Kongreß
Linn Boyd
(22. 11. 1800)
Democrat Kentucky Nathaniel P. Banks
(30.01. 1816)
American Party (Coalition with Democrats) Massachusetts
James Orr
(12.05. 1822)
(04.05. 1796)
32. - 33. Kongreß 24. und 26. - 33. Kongreß 04.03.1853-24.12.1857 02.02. 1856-03.03. 1857 04. 12. 1865 -03.03. 1873 04.03. 1875 -03.03. 1879 34. Kongreß 04.03. 1889-03.03. 1891 33. - 35., 39. - 42., 44. 45. und 51. Kongreß 04.03. 1849-03.03.1859 07. 12. 1857 -03.03. 1859
(31. 08. 1823)
04.03. 1851-03.03. 1863 04.07. 1861-03.03. 1863 26.02.1894-03.03.1903 32. - 37. und 54. - 57. Kon- 37. Kongreß
Schuyler Colfax
04.03.1855-03.03.1869
07. 12. 1863 -03.03. 1869
Republican Indiana Theodore M. Pomeroy
34. - 40. Kongreß
38. - 40. Kongreß
04.03. 1861-03.03. 1869
04.03.1869
37. - 40. Kongreß
40. Kongreß
04.03. 1863-10.07.1876
04.03. 1869-03.03. 1875
38. - 44. Kongreß
41. -43. Kongreß
(15.03. 1827)
04.03.1865-03.03.1873 04.03.1875-19.08.1876
06. 12. 1875 -15. 08. 1876
Samuel J. Randall
39. - 42. und 44. Kongreß 04.03. 1863 -13.04. 1890
Republican Pennsylvania
(23.03. 1823)
(31. 12. 1824)
Republican New York James G. Blaine
(31. 01. 1830)
Republican Maine Michael C. Kerr Democrat Indiana
(10. 10. 1828)
Democrat Pennsylvania 26*
greß
38. - 51. Kongreß
44. Kongreß
04.12. 1876-03.03.1881 44. - 46. Kongreß
400
Anhang I Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
J. Warren Keifer (30.01. 1836) Republican Ohio
04.03. 1877 -03.03. 1885 05.12.1881-03.03.1883 04.03.1905-03.03.1911 45. - 48. und 59. - 61. Kon- 47. Kongreß greß
John G. Carlisle (05. 09. 1835) Democrat Kentucky
04.03.1877 -26.05.1890
03. 12. 1883 -03.03. 1889
45. - 51. Kongreß
48. - 50. Kongreß
Thomas B. Reed (18. 10. 1839) Republican Maine
04.03. 1877 -04.09. 1899
02.12.1889-03.03. 1891 02. 12. 1895 -03.03. 1899
Charles F. Crisp (29.01. 1845) Democrat Georgia
04.03.1883-23.10.1896
08. 12. 1891-03.03. 1895
48. - 54. Kongreß
52. - 53. Kongreß
David Henderson (14. 03. 1840) Republican Iowa
04.03. 1883-03.03.1903
04. 12. 1899-03.03.1903
48. - 57. Kongreß
56. - 57. Kongreß
Joseph G. Cannon (07.05. 1836) Republican Illinois
04.03. 1873 -03.03. 1891 09.11. 1903-03.03.1911 04.03. 1893 -03.03. 1913 04.03. 1915 -03.03. 1923 58. - 61. Kongreß 43. - 51., 53. - 62. und 64. 67. Kongreß
James B. (Champ) Clark (07.03. 1850) Democrat Missouri
04.03. 1893 -03.03. 1895 04.03. 1897 -02.03. 1921
45. - 56. Kongreß
53. und 55. - 66. Kongreß
51. und 54. - 55. Kongreß
05.04.1911-03.03.1919 62. - 65. Kongreß
Frederik H. Gillett (16.10. 1851) Republican Massachusetts
04.03.1893-03.03.1923
19.05.1919-03.03.1925
53. - 68. Kongreß
66. - 68. Kongreß
Nicholas Longworth (05. 11. 1869) Republican Ohio
04.03. 1903-03.03.1913 07.12.1925-03.03.1931 04.03.1915-09.04.1931 58. - 62. und 64.- 72. Kon- 69. -71. Kongreß greß
John N. Gamer (22. 11. 1868) Democrat Texas
04.03.1903-03.03.1933
07.12.1931-03.03.1933
58. - 73. Kongreß
72. Kongreß
401
Anhang I Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
Henry T. Rainey (20. 08. 1860) Democrat Illinois
04.03. 1903 -03.03. 1921 09.03.1933-19.08.1934 04.03.1923-19.08.1934 58. - 66. und 68. - 73. Kon- 73. Kongreß greß
Joseph W. Byms (20.07.1869) Democrat Tennessee
04.03. 1909-04.06. 1936
03.01. 1935-04.06.1936
61. - 74. Kongreß
74. Kongreß
04.03. 1917 -15.09. 1940
04.06.1936-15.09. 1940
65. - 76. Kongreß
74. - 76. Kongreß
04.03.1913-16.11.1961
16.09. 1940-03.01. 1947 03.01. 1949-03.01. 1953 05.01. 1955-16. 11. 1961 76. -79., 81. - 82. und 84.87. Kongreß
William B. Bankhead (12.04. 1874) Democrat Alabama Samuel T. Raybum (06.01. 1882) Democrat Texas Joseph W. Martin, Jr. (03. 11. 1884) Republican Massachusetts
63. - 87. Kongreß
04.03.1925-03.01. 1967 69. - 89. Kongreß
03.01.1947-03.01.1949 03.01. 1953-03.01. 1955 80. und 83. Kongreß
John W. McCormack (21. 12. 1891) Democrat Massachusetts
06.11. 1928-03.01. 1971
10.01. 1962-03.01. 1971
70. - 91. Kongreß
87. - 91. Kongreß
Carl B. Albert (10.05. 1908) Democrat Oklahoma
03.01. 1947 -03.01. 1977
21. 01. 1971-03.01.1977
80. - 94. Kongreß
92. - 94. Kongreß
Thomas P. O'Neill, Jr. (09. 12. 1912) Democrat Massachusetts
03.01.1953-03.01.1987
04.01. 1977-03.01. 1987
83. - 99. Kongreß
95. - 99. Kongreß
James C. Wright, Jr. (22. 12. 1922) Democrat Texas
03.01. 1955-30.06. 1989
06. 01. 1987 - 06. 06. 1989
84. - 101. Kongreß
100. - 101. Kongreß
Thomas S. Foley (06.03. 1929) Democrat Washington
03.01. 1965-20. 12. 1994
06.06. 1989-20. 12. 1994
89. - 103. Kongreß
101. - 103. Kongreß
402
Anhang I Speaker (Geburtsdatum) Partei Einzelstaat
Newton L. Gingrich (17.06. 1943) Republican Georgia J. Dennis Hastert (02.01. 1942) Republican Illinois
Abgeordnetenzeit Daten Kongresse
Amtszeit als Speaker Daten Kongresse
03.01. 1979-03.01. 1999
03.01. 1995 -03.01. 1999
96. - 105. Kongreß
104. - 105. Kongreß
03.01. 1987-
06.01. 1999-
100. Kongreß -
106. Kongreß-
Quelle: Peters, The American Speakership, Appendix, S. 323 ff. und http://www.c\erkweb.house.gov/ histrecslbiolbiotoc.htm; zum aktuellen Amtsinhaber siehe http://www.speaker.govnibrary/denny/ 000322bio.asp
D
*
o
= auf der Grundlage des 106. Kongresses (1999-2001)
= Funktionslräger der Fraktionen
= Funktionsträger des Senatsi Repräsentantenhauses
the Senate) 2. President pro tempore 3. Deputy President pro tempore 4. Acting President pro tempore
1. Vice President (President of
U.S. Congress
Hause of Representatives
Die institutionelle Organisation des Kongresses*
Anhang II
~ W
...... ......
!
»-
Verzeichnis der Quellen und Literatur I. Gedruckte Quellen Cannon, Clarence: Precedents of the House of Representatives of the United States, 11 Bände, (vol. I-V tragen den Titel: Hinds' Precedents of the House of Representatives of the United States), Washington, D.C. 1936/1941. Congressional Information Service: Annual 1998, Abstracts of Congressional Publications and Legislative Histories and Index to Congressional Publications and Public Laws, Bethesda 1999.
Constitution, Jefferson's Manual and Rules of the House of Representatives of the United States, 106th Cong., House Document No. 105 - 358, 105 th Cong., 2nd Sess., Washington, D.C. 1999 (zitiert: Jefferson's Manual, House Manual). Democratic Caucus, U.S. House of Representatives: Rules of the Democratic Caucus, 106th Congress, 04. 01. 2000. Deschler, Lewis: Precedents of the United States House of Representatives, 15 Bände, (vol. X-XV tragen den Titel: Deschler-Brown Precedents of the United States House of Representatives), House Document No. 94-661, 94 th Cong., 2nd Sess., Washington, D.C. 1977-. Hinds, Asher c.: Precedents of the House of Representatives of the United States, 8 Bände, Washington, D.C. 1907/08; Registerbände vol. VI-VIII, House Document No. 59-355, 59 th Cong., 2nd Sess., Washington, D.C. 1907/08. House of Representatives: Documents. Illustrative of the Formation of the Union of the American States, House Document No. 398, 69 th Cong., 1st Sess., Washington, D.C. 1927. Journals of the Continental Congress, 1774-1789: insgesamt 36 Bände; Bde. 1-15 hrsg. von Ford, Worthington C.; Bde. 16-27, Hunt, Gaillard; Bde. 28-31, Fitzpatrick, John C.; Bde. 32- 36, Hili, Roscoe R., Washington, D.C. 1904-1937. Office of the Speaker, U.S. House of Representatives: Übersicht der Zusammensetzung des House Republican Steering Committee 106th Congress, vom 20.07. 1999. Republican Conference, U.S. House of Representatives: Republican Steering Committee Procedural Guidelines 106th Congress.
- Rules of the Republican Conference, 106th Congress. - Structure establishing the Republican Steering Committee, 106th Congress. Schindler, Peter: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages: 1949 bis 1999, Eine Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Bd. I und 11, Baden-Baden 1999. Senate, U.S. Congress: Journal of the Senate of the United States of America, 04. 03. 1789(1 st Cong.-), Washington, D.C.
Verzeichnis der Quellen und Literatur U.S. Congress: Congressional Globe, 07.12.1833-17.01. 1873 (23 rd shington, D.C. 1834-1873.
405 -
42 nd Cong.), Wa-
- Congressional Record, daily edition und permanent edition, 04. 03. 1873- (43 rd Cong.-), Washington, D.C. - The debates and proceedings in the Congress of the United States (Annals of Congress), 03.03. 1789-27.05. 1824 (l SI - 18th Cong.), Washington, D.C.
11. Literatur und sonstiges Schrifttum Aberbach, loe! D.: Keeping a Watchful Eye. The Politics of Congressional Oversight, Washington, D.C. 1990. Abram, Michael/ Cooper; loseph: The Rise of Seniority in the House of Representatives, in: Polity, vol. I, 1968, S. 52 ff. Achterberg, Norbert: Parlamentsrecht, Tübingen 1984. Adams, lohn: The Works of lohn Adams, in: Adams, Charles F. (Rrsg.), vol. I, Boston 1850. Adkison, Danny M.: The Electoral Significance of the Vice Presidency, in: Presidential Studies Quarterly 12, 1982, S. 330 ff.
- The Vice Presidency as Apprenticeship, in: Presidential Studies Quarterly 13, 1983, S. 212 ff. Ainsworth, Scott/ Flathman, Marcus: Unanimous Consent Agreements as Leadership Tools, in: Legislative Studies Quarterly 20, 1995, S. 177 ff. Aitchison, lames H.: The Speakership of the Canadian Rouse of Commons, in: Clark, Robert M. (Hrsg.), Canadian Issues: essays in honour of Henry F. Angus, Toronto 1961, S. 23 ff. Albert, Carl: Little Giant: The Life and Times of Speaker Carl Albert, Norman 1990.
- The Office and the Duties of the Speaker of the House of Representatives, House Document No. 94-582, 94th Cong., 2nd Sess., Washington, D.C. 1976. Aldrich, lohn H.: Why Parties? The Origin and Transformation of Party Politics in America, Chicago 1995. Aldrich, lohn H. / Rohde, David W: The Transition to Republican Rule in the House: Implications for Theories of Congressional Politics, in: Political Science Quarterly 112, 1997, S. 541 ff. Alexander; De Alva S.: History and Procedure of the House of Representatives, New York 1916. Amer; Mildred: Rouse and Senate Chaplains, CRS Report for Congress, RS 20427, 24. 03. 2000. Amer; Mildred / Rundquist, Paul S.: Architect of the Capitol: Appointment, Duties, and Operations, CRS Report for Congress, RS 20189, 05. 05. 1999. Anson, William R.: The Law and Custom ofthe Constitution, vol. I, 5. Aufl., Oxford 1922.
406
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Eisenhower, Dwight D. 18,369 Fess, Lehr 225 Foley, Thomas S. 180, 190,208,287,351 Ford, Gerald 18,363,370 Ford, James D. 219 Frumin, Allan S. 90 Garner, John N. 90,142,183,190,246,368, 372 George 11. 102 George 111. 102 Gephardt, Richard A. 346 Gerry, Elbridge 365 Giles, William B. 231 Gillett, Frederick H. 189, 205 Gingrich, Newt 26,28, 157, 178, 179, 180, 181, 183, 189, 193, 196, 202, 205, 235, 250, 253, 254, 266, 275, 277, 287, 294, 334,346,351,364,395,396 Gore, AI 370 Goss, Porter 287 Grant, Ulysses S. 183 Halleck, CharIes 189,282 Hamilton, Alexander 117, 121, 364 Hancock, John 111, 114 Hansen, Judith B. 149 Harley, Robert 102 Hastert, J. Dennis 169, 179, 181, 189,205, 235,255,277,287,354,396 HatseI!, John 78 Henderson, David B. 189 Hinds, Asher C. 90, 144 Humphrey, Hubert H. 349, 373 Hungerford, Thomas 99 Jackson, Andrew 125 Jay, John 111
Personenverzeichnis lefferson, Thomas 63, 78, 108, 188, 231, 366 Johnson, Andrew 21 lohnson, Charles W. 91, 225 lohnson,LyndonB. 18, 140, 153,349,370 Johnson, Richard M. 362 Jones, lohn W. 196 Iones, Noble W. 106 Keiffer, J. Warren 189 Kennedy, John F. 18,25,283,369 Kern, John W. 391 Kitchen, Claude 189 Laurens, Henry 114 Lee, Richard H. 111 Livingston, Robert 181 Locke, John 34 Longworth, Nicholas 141, 144, 188, 189, 202,246,257 Madison, James 35,116,117,125,231 Mann, James R. 234, 253 Mare, Peter de la 99 Martin, Joseph W. 189,346 Mason, George 365 McCormack, John W. 190, 202, 286, 287, 349 McKinley, William 25 Miller, Clement W. 293 MondelI, FrankIin 189,234 Monroe, lames 125 Montesquieu, Charles de 34 Montfort, Peter de 99 Muhlenberg, Frederik A. 202 Nixon, Richard 18, 21, 140, 153, 363, 369, 370 Norris, George 136 O'Neill, Thomas P. (Tip) 25, 26, 145, 156, 174, 177, 178, 189, 190, 191, 196,202, 203,238,264,266,267,287,346 Onslow, Arthur 102 Otis, James 106 Parker, Mike 346 Payne, Sereno 232
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Pennington, William 126, 202 Polk, James K. 26, 125, 183 Rainey, Henry T. 190, 234 Raleigh, Walter 103 RandalI, Samue1 I. 129, 190,304,305 Randolph, John 123 Randolph, Payton 106, 111 Rayburn, Sam 25, 139, 142, 143, 144, 181, 183, 190, 191, 202, 203, 205, 282,283,310,349 Reagan, Ronald 18,29, 156,298 Reed, Thomas B. 25, 27, 130, 133, 154, 183, 189, 193, 194, 205, 244, 305,307,316,319,323,395 Riddick, FJoyd M. 90 Robinson, John 107 RockefeIler, Nelson A. 370 Romilly, Samuel 79 Rooseve1t, Franklin D. 25, 27, 139, 143,145,183,283,368,369 Roosevelt, Theodore 27, 367
179, 246,
134, 279,
140,
Saylor, lohn 286 Shaw-Lefevre, Charles 102 Sherman, Roger 365 Smith, Howard W. 281, 282, 285 Solomon, Gerald B. 298 Stevenson, Andrew 125 Tawney, James A. 244 Thiers, Adolphe 22 Thurmond, Strom 387 Truman, Harry 18,25,283,370 Underwood, Oscar W. 138, 141, 189, 233, 244,391 Van Buren, Martin 363 Wallace, Henry A. 368 Walpole, Robert 102 Washington, George 98, 108, 115, 121 Watkins, Charles 90 Wilson, Woodrow 23,25,27, 128, 140,279, 391 Wright, James C. 29, 156, 174, 180, 189, 190,208,265,266,287
Sachwortverzeichnis Abgeordnete 43 Abstimmungsfragen 377 Act56 Ad hoc-Mehrheiten 20 Administration 19 Allowance 40 Amendments 51 Amtsanklage 21 Amtsausstattung 168 Amtsenthebungsverfahren 21, 54 Amtsgewalt 263 Amtsträger 163 Amtszeit 196 Anhörung 23 Anti-Federa1ist 121 Antike 95 Appea184 Appointment power 337,380 Appropriationsgesetze 56 Approval of the Journal 299 Architect of the Capitol 229 Articles of Confederation 108 Assembly 24 Ausschüsse 58, 232, 251, 338, 339, 380 - Besetzung 138 - ständige 92 - System 123, 143 - Verweisung 267, 383 - Vorsitzende 139 Autorisierungsgesetze 56 Beschlußfähigkeit 312 Bill 56 Bill referral 267 Bills, private 56 Bills, public 56 Board of Education 142 Budget and Accounting Act 23 Budget Committee 256 Budgetentwurf 23
Bundestagspräsident 82, 166, 167, 173, 196, 209,211,222,251,264,267,300,313, 323,351,352,356,357 Bureau ofthe Budget 27 Bürgerkrieg 126 Calendar Wednesday 135 Calendar 59 Cannonism 132, 134 Case law 78,80,81,85 Chaplain 219 Checks and balances 36 Chief Administrative Officer 217 Clark-Resolution 135 Clerk ofthe House 214 Cloture motion 50 Committee barons 139 Committee ofthe Whole 51, 60 Committee on Committees 138, 150, 260 Committees - Conference 61,338,341 - Joint 338, 342 - Select, Special 339, 342 - Standing 338 Common law 80, 81 Conducting votes 331 Conferees 342, 345 Conference Manager 345 Congressional oversight 55 Congressional Record 92 Congressional rules and procedures 65 Congressmen 41, 43 Congresswomen 41 Consent Calendar 135,275 Conservative coalition 139 Constitutional Convention 96 Contempt of Congress 70 Contextualist theory 191 Continental Congress 108 Contract with America 28, 158, 296
Sachwortverzeichnis Corrections Calendar 275 Counting a quorum 312 Czarism 131, 133,308 Debate 350, 384 Deinstitutionalisierung 138 Democratic Caucus 141, 148, 153, 197,259 Democratic Study Group 148 Demokraten 258 Demokratische Partei 139 Dezentralisierung 138 Dilatory motion 308 Disappearing quorum 306, 316 Discharge Calendar 137 Discharge petition 58 Diskontinuität 77,89, 163,205,265 Distributing clauses 32 Eid 210 Einerwahlkreis 41 Einspruch 304, 306, 379 Einspruchsrecht 84 Einspruchsvorbehalt 329 Einstimmigkeitsanträge 271 Electoral college 20 Entgelt 40 Ermessen 82, 88, 272, 274, 276, 284, 293, 299, 305, 308, 311, 315, 316, 320, 324, 325, 327, 328, 330, 333, 334, 343, 346, 348,374,378,380,383 Ernennungsrecht 337, 381 Executive branch 19 Executive Office of the President 27 Exekutive 19, 33, 117 - monistische 22 Fair Deal 283 Federalist 121 Filibuster 50 Finanzgesetzgebung 107 Five-minute rule 49 Floor Leader 138,232 Floor/Bill Manager 49,68,238 Fragmentierung 20, 45 Fraktionalisierung 139 Fraktionen 45,249 Fraktionsdisziplin 208, 387
437
Fraktionssatzung 151, 154 Fraktionsvollversammlung 141, 197,249 Fraktionszwang 24 Frankreich 33 Führer, politische 127 Führungsämter 203 Führungsstil 191 Führungstheorie 117 Funktion(en) (Speaker) 171 - Doppel- 119 - Öffentlichkeits- 178 - parlamentarisch-präsidiale 172 - partei politische 175 General Counsel 228 Germaneness 51, 378 Gerrymandering 42 Geschäftsordnung 137 ;- Antrag 81, 84, 325, 327, 377 - Außerkraftsetzung 273 - Autonomie 70, 71, 73, 76, 88, 138,329 - Fragen 85 - Reformen 137, 157 Gesetzeseinbringung 355 Gesetzesinitiativrecht 23, 53, 57 Gesetzgebungskompetenzen 53 Gesetzgebungsverfahren 55 Gesetzgebungsverfahren, vereinfachte 270 Gewaltenteilung 32 Gewohnheitsrecht 94 Gouverneur 104 Government 19 - Congressional39, 128 - Divided 17,26,31,106,156 - Limited 53 - Party 127, 153 - Presidential 39 - Unified 18,25 Gridlock 20 Großbritannien 33 Guarding the floor 238 Gubernative 19 Haushaltsgesetzgebung 152 Haushaltskompetenz 54 Hausrecht 321,356 Historian 228 Hold 48
438
Sachwortverzeichnis
House Manual 91 House of Commons 98 Immunität 40, 42 Impeachment 21, 54 Implied powers-Lehre 54 Indemnität 40, 42 Inkompatibilität 22 Inspector General 227 Institutionalisierung 46, 120, 203 Interpellationsrecht 23 Interpretationsbefugnis, präsidiale 82, 328, 378 Jefferson's Manual 78 Journal of the House 85, 91, 299 Kabinett 22 Koalitionspolitik 25 Kolonialparlamente 103 Kompetenzen 263, 372 Konditionierungsbefugnis 300 Kongreß 17, 139, 153, 180 Kongreßreformen 138, 148, 153 Kontinentalkongreß 108 Lancaster, Haus 100 Law Revision Counsel 229 Law 56 Leadership 42 - Congressional 175 - Party 175 Legislative branch 19 Legislative Counse1 228 Legislative Reorganization Act 148 Legislative Service Organizations 161 Legislative supremacy 34 Legislative 19, 33, 117 Legitimation 164,361 Lenkungsausschuß 135 Major legislation 287 Majoritarian theory 192 Majority Leader (Repräsentantenhaus) 138, 229 Majority Leader (Senat) 390 Majority Manager 309
Medien 178 Mehrheitsherrschaft 47, 318 Member of Congress 39 Minderheitsrechte 47 Minderheitsregierung 31 Minderheitsschutz 63 Minister 21 Minor and noncontroversial legislation 287, 288 Minority Leader 240 Mißtrauensvotum 24 Mitarbeiterstab 169 Moderator 121 Monarchie, konstitutionelle 22 Motion to recomrnit 241 Nationalstaat 115, 126 Necessary and proper c\ause 54 Neutralität 30 New Deal 27, 139,283 New Freedom 27 New Frontier 283 Norris-Resolution 136 Oath, administration of 348 Obstruktion 50, 130, 134, 305 Office 22 Officers 163,212 Officials 220, 228 One-hour rule 49 Oppositionsführer 26, 106 Order and decorum 321,379 Ordnungs-, Disziplinargewalt 321 Parlamentsauflösung 24 Parlamentsautonomie 69 Parlamentspräsident 263 Parlamentsrecht - allgemeines 89 - amerikanisches 63, 66 - deutsches 65, 66 Parlamentssouveränität 34 Parliament 24 Parliamentarian 58, 84, 90, 224, 269, 300, 328,382 Parliamentary inquiry 81, 84, 326, 330, 377 Parliamentary law 64
Sachwortverzeichnis Parliamentary privilege 69, 103, 166, 324, 363 Parteien 25, 67 Parteien system 120 Parteiführer 26 Parteigeschlossenheit 139 Partisan theory 191 Personalisierung 46 Plantagenet, Haus 99 Plenum 59,88 Plurality vote 40 Point of no quorum 314 Point of order 81, 84, 327, 330, 377 Polarisierung 139 Power of recognition 302, 373 Power of scheduling 264 Power of the law 53 Power of the purse 37, 54 Präsident des Kontinentalkongresses 108 Präsident des Verfassungskonvents 115 Präsident 17, 27, 61,128,139,180 Präsidentenamt 29 Präsidentennachfolge 166 Präsidentensystem 170 Präsidentschaftsnominierung 26 Präsidiensystem 170 Präsidium 223 Präzedenzfälle 81 Präzedenzfallsammlung 90 Precedent 80, 83, 91 Presidency - Institutionalized 140 - Modem 139,367 - Personal 140 President of the Constitutional Convention 115 President of the Continental Congress 109 President of the Senate 365 President pro tempore des Senats 386 President pro tempore, Acting 373 President pro tempore, Deputy 373 Presiding Officers 373 Previous question 242, 310 Privileged legislation 271 Prüfungsrecht, richterliches 37, 73 Putting questions 331, 377 Questions of order 81
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Rechtsquellen 76 Recommittal motion with instructions 297 Reconciliation 152 Recorded vote 313 Rederecht 351 Reed-Rules 130,305,307,318,341 Referral of bills 382 - Additional Initial 267 - Joint 267 - Multiple 267 - Sequential 268 - Split 268 Reformbewegung 137, 147 Regierungschef 22 Regierungsgewalt 19,24 Regierungssystem - amerikanisches 28 - parlamentarisches 17,22,23,24,29 - präsidentielles 17, 29 Repräsentantenhaus 41 Representatives 41 Republican Conference 157, 197,250 Republikaner 250 Republikanische Fraktion 158 Republikanische Partei 126 Resolutions - Concurrent 56 - Joint 56 - Simple 56 Revolution 135 Roll ca1l52 Rules - Closed 295 - Complex, Restrictive 297 - Gag 295. - Modified 296 - Open 295 - Party 93 - Special 278, 288, 294 - Standing 77 - Statutory 79 - Waiver 296 Rules Committee 130, 135, 143,283,294 Scheduling 59, 236, 336 Secretaries 21 Segmentierung 45 Senat 39, 359
440
Sachwortverzeichnis
Senatoren 39, 43 Senatoren wahl 40 Senatsvorsitzende 372 Seniorität 142, 200 Separation of powers 32 Sergeant-at-Anns 215 Session 91, 266 Signature of documents 349 Sitzungseröffnung 299 Sitzungsperiode 91 Sitzverteilung 41 Speaker pro tempore 220 Speaker (Großbritannien) 30,98,181 Speakership - Democratic 146 - Feudal 139 - Parliamentary 120 - Partisan 126 Spezialisierung 45 Staatsgewalt 33 Staatsoberhaupt 22 Staatssekretäre 21 Stare Decisis - Doktrin 85 - Horizontal 87 - Vertical 87 State of the union address 23 Statute law 78 Statutory law 81 Steering and Policy Committee 150 Steering Committee 141, 252, 254, 259 Steuergesetze 53 Stimmrecht 352, 385 Stuarts 101 Subcommittee Bill of Rights 149 Supreme Court 71 Supreme law of the land 33 Suspension of the rules 273 Task force 151, 160 Teilnahmerechte, parlamentarische 350, 384 Tenn 77, 163,266 Theory of agency and leadership 192 Tudorherrschaft 100 Unanimous consent 48, 271, 378 Unparteilichkeit 30
Vereidigung 348 Verfahren, parlamentarisches 47 Verfassung 33 - amerikanische 33, 76 - Bundes- 109, 115 - Misch- 38 - Staatenbunds- 108 - Vorrang 33, 71 Verfassungskonvent 115 Vergütung 168 Vennittlungsausschuß 61 Vertrauensfrage 24 Verwaltungschef 356 Veto - Legislative 37 - Line Item 62 - suspensives 23,37,62 Vice Presidency - Institutional 371 - Modern 363, 367 Vizepräsident 361,372 Volkssouveränität 33, 106 Volkstribun 106 Volonte generale 34 Vote - Division 332 - Recorded 332 - Voice 331 Voting system, electronic 332 Voting 352, 385 Wahl (Speaker) 194 Wahlakt 205 Wahlämter 163 Wahlbearnte 212 Wahlmännergremium 20, 54 Wahlperiode 77, 163 Wahlrecht 40, 42 Wahl verfahren 208 War Powers Act 174 Ways and Means Committee 232 Whip 242 - Advisories 247 - -grams 247 - Meeting 246 - Notices 247
Sachwortverzeichnis -
Packet 247 -ping Post 247 Polis 247 System 151
Winner-takes-all-Prinzip 41 Worterteilung 135
York, Haus 100 Zar 133 Zeugen 23 Zwei-Kammer-System 37, 53 Zwei-Parteien-System 127 Zweiter Weltkrieg 140
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