Darstellungen des erscheinenden Wissens: Systematische Einleitung in Hegels Phänomenologie des Geistes 9783787329120, 9783787329229, 3787329129

Statt einer Einleitung ERSTER ABSCHNITT. Transzendentale Grundlegung. Erstes Kapitel. Der transzendentale Begründungszus

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German Pages 192 [191] Year 1981

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Darstellungen des erscheinenden Wissens: Systematische Einleitung in Hegels Phänomenologie des Geistes
 9783787329120, 9783787329229, 3787329129

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HEG EL-STUD IE N B EI H EF T 21

HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler Beiheft 21

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DARSTELLUNG DES ERSCHEINENDEN WISSENS SYSTEMATISCHE EINLEITUNG IN HEGELS PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES

von Ulrich Glaesges

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Auflage von 1987, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2912-0 ISBN eBook: 978-3-7873-2922-9 ISSN 0440-5927

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

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INHALTSVERZEICHNIS Statt einer Einleitung

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ERSTER ABSCHNITT Transzendentale Grundlegung Erstes Kapitel Der transzendentale Begründungszusammenhang § § § §

1 2 3 4

Erkenntnistheorie Transzendentalphilosophie Drei Aussageebenen Der Begründungszusammenhang

13 16 18 22

Zweites Kapitel Die Geschichte des Selbstbewußtseins § 5 § 6 § 7

Der genetische Gesichtspunkt 25 Zwei Typen des Begründungszusammenhanges .... 26 Zum Problem des Selbstbewußtseins 36

Drittes Kapitel Die Aporien des transzendentalen Begründungszusammenhanges § 8 § 9

Die Aporie der Propädeutik Die Aporie des Prinzips

39 42

ZWEITER ABSCHNITT Erster Begriff einer Darstellung des erscheinenden Wissens. Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins Viertes Kapitel Darstellung als Kritik. Die auftretende Wissenschaft § 10 § 11 § 12

Drei Positionen Der Begriff der Erscheinung Die Einheit von Kritik und Theorie

47 49 53

8

Fünftes Kapitel Die Darstellung als Weg § 13 § 14 § 15

Der Doppelcharakter des Weges Ein Vorbegriff des erscheinenden Wissens Vollständigkeit und Ziel des Weges

56 59 61

Sechstes Kapitel Die Methode der Darstellung § 16 § 17 § 18

Die Aporie des Maßstabes 68 Der Begriff des erscheinenden Wissens 70 Das Bewußtsein gibt seinen Maßstab an ihm selbst ... 74

Siebtes Kapitel Die Aporie der Selbstprüfung § 19 § 20 § 21 §22 § 23

Das Bewußtsein prüft sich selbst 77 Zwei Lösungsversuche 79 Die erste Phase der Selbstprüfung 83 Die zweite Phase der Selbstprüfung. Der neue Gegenstand 87 Der Doppelcharakter der Methode 90

DRITTER ABSCHNITT Zweiter Begriff einer Darstellung des erscheinenden Wissens. Die Phänomenologie des Geistes Achtes Kapitel Die Erweiterung der Beweisabsicht § 24 § 25 § 26

Die Modifikation des transzendentalen Begründungszusammenhanges Substanz und Subjekt Die Erweiterung der Beweisabsicht

97 102 104

Neuntes Kapitel Die Modifikation der Beweisstruktur § 27 § 28 § 29

Der Doppelcharakter der Phänomenologie des Geistes . Die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt Das Werden des Geistes

. 107 110 113

9

Zehntes Kapitel Probleme des Anfangs § 30 § 31 § 32

Der Anfang der Reihe der Darstellung Der Anfang der Reihe des Dargestellten Phänomenologie und Logik

119 127 134

VIERTER ABSCHNITT Die Dialektik des Bewußtseins Elftes Kapitel Die sinnliche Gewißheit § 33 §34

Der Gegenstand der sinnlichen Gewißheit Die Erfahrung der sinnlichen Gewißheit

141 147

Zwölftes Kapitel Die Wahrnehmung § 35 § 36 § 37

Der Übergang zur Wahrnehmung Der Gegenstand der Wahrnehmung Die Erfahrung der Wahrnehmung

151 153 157

Dreizehntes Kapitel Kraft und Verstand § 38 § 39 § 40

Das Resultat der Wahrnehmung Der Gegenstand des Verstandes Die Erfahrung des Verstandes

166 172 177

Vierzehntes Kapitel Die Erfahrung des Bewußtseins § 41 § 42

Zwei Erfahrungsbegriffe Die Umkehrung des Bewußtseins

183 186

11

STATT EINER EINLEITUNG Viele Priester der Minerva haben, außer mancher Ähnlichkeit mit der Göttin selbst, auch die mit dem berühmten Vogel derselben, daß sie zwar im Dunkeln Mäuse fangen, aber am Tageslicht den Kirchturm nicht eher sehen, als bis sie sich die Köpfe daran entzweistoßen. (Lichtenberg)

Hegel polemisiert am Anfang der Vorrede zu seiner Phänomenologie des Geistes gegen die Unsitte, wissenschaftlichen Abhandlungen lange Vorreden voranzuschicken. Sehr schnell aber scheint er die vorgebrachten Argumente vergessen zu haben, denn er läßt jener Polemik eine umfangreiche Vorrede folgen. Da ich meiner Abhandlung aus sachlichen Gründen den Untertitel „Systematische Einleitung" gegeben habe, da andererseits die Phänomenologie des Geistes als Einleitung in die Wissenschaft der Logik fungiert, hätte meine Einleitung den Charakter einer Einleitung zu einer Einleitung in eine Einleitung angenommen. Dies schien mir zu viel des Guten; ich habe daher Hegels Polemik beherzigt und möchte meiner Abhandlung nur ein paar Bemerkungen voranschicken. 1. Die hier vorgelegte Interpretation der Phänomenologie des Geistes basiert auf einer Idee von Transzendentalphilosophie, in der den Begriffen von Reflexion und Selbstbewußtsein eine zentrale begründende Funktion zukommt. Wie weit und in welcher Gestalt diese Idee von Transzendentalphilosophie unabhängig von der Funktion, die sie in dieser Abhandlung besitzt, etwa im Rahmen gegenwärtiger systematischer Auseinandersetzungen, verteidigt werden kann, ist eine Frage, der ich an anderer Stelle nachgehen möchte. 2. Die Untersuchung wird in vier Abschnitten durchgeführt. Der erste Abschnitt entwickelt die genannte Idee von Transzendentalphilosophie im Ausgang von Kants Kritik der reinen Vernunft und modifiziert sie schrittweise, bis die Frage sichtbar wird, deren Beantwortung die Phänomenologie des Geistes zu sein beanspruchen muß. Jene Frage hat -wenn man so sagen darf - die Gestalt von zwei Aporien, die im Hinblick auf ihre vielleicht mögliche Auflösung auch als Postulate formulierbar sind. Der zweite Abschnitt entwickelt mittels des gewonnenen Leitfadens Beweisabsicht und Beweisstruktur der Phänomenologie des Geistes durch eine Interpretation der Einleitung. Der dritte Abschnitt zeigt durch eine Interpretation der Vorrede, wie eine Erweiterung der Beweisabsicht eine Modifikation der Beweisstruktur notwendig macht. Der

FACHBEREICH PHiLOCORT. fr-O.,

Universität DantestraEe 4-6

D-6000 Frankfurt .arn ;,'a)n

12

Einleitung

vierte Abschnitt schließlich zeigt, wie die gewonnenen Ergebnisse für eine Interpretation des ersten Teils der Phänomenologie des Geistes („A. Bewußtsein") fruchtbar gemacht werden können. Diese Interpretation wird bewußt in enger Anlehnung an den Text durchgeführt, um zu zeigen, daß allen Formulierungen Hegels ein präziser Sinn abzugewinnen ist. 3. Einem Verständnis der hier vorgelegten Abhandlung können vielleicht noch folgende Hinweise dienen: (a) Deutliche Thesen zu vertreten, ist gefährlich; man liefert sich dadurch den Rezensenten ans Messer. Ich glaubte, dieses Risiko eingehen zu müssen. Auf den Titel „Rekonstruktion" habe ich verzichtet, weil es Mode geworden ist, ihn für Interpretationen aller Art und unterschiedlichsten Niveaus in Anspruch zu nehmen, (b) Wenn ich darauf verzichte, Hegel zu kritisieren -worüber man sich wundern könnte -, dann deshalb, weil für eine Kritik an der Phänomenologie des Geistes, die Aussicht auf Erfolg haben könnte, mindestens diejenige Ebene von Verständnis erreicht sein muß, die ich glaube gewonnen zu haben, (c) Ich habe viele Publikationen über Hegel und seine Phänomenologie des Geistes gelesen; aus allen habe ich gelernt, auch aus solchen, die nicht zitiert oder erwähnt werden. Ihren Autoren sei an dieser Stelle für die Hilfe, die ich dadurch für meine eigenen Überlegungen erfahren habe, gedankt. Die Auswahl der erwähnten Literatur impliziert keine Wertung; sie hat sich in den Jahren, in denen ich an dieser Abhandlung gearbeitet habe, ergeben. 4. Herrn Smail Rapic danke ich für wirksame Hilfe bei der Herstellung des Drucktextes und für das Lesen der Korrekturen.

Kants Werke werden nach der Paginierung der Originalausgaben, Hegels Phänomenologie des Geisles (Abk.: PhG) nach der Ausgabe von j. Hoffmeister {Hamburg 1952), seine Wissenschaft der Logik (Abk.; WdL) nach der Ausgabe von G. Lasson (Hamburg 1951) zitiert. Hervorhebungen in Zitaten werden grundsätzlich fortgelassen.

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Erster Abschnitt

TRANSZENDENTALE GRUNDLEGUNG

Erstes Kapitel DER TRANSZENDENTALE BEGRÜNDUNGSZUSAMMENHANG § 1 Erkenntnistheorie Die Entwicklung einer formalen Idee von Transzendantalphilosophie, ohne die ein zureichendes Verständnis von Beweisabsicht und Beweisstruktur der Phänomenologie des Geistes nicht gewonnen werden kann, hat auszugehen von Kants Definition in der Kritik der reinen Vernunft: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt"!. Sieht man zunächst von dem Zusatz „sofern diese a priori möglich sein soll" ab, so benennt die Definition zwei verschiedene Arten von Erkenntnis, deren Verhältnis zueinander zunächst fraglich ist und daher bestimmt werden muß: Erkenntnis von Gegenständen und Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen. Die erste Art der Erkenntnis ist durch eine Geradehin-Einstellung bestimmt, wie sie in der Regel das alltägliche, aber auch das wissenschaftliche Erkennen bestimmt. Diese Art von Erkenntnis sei hier als eine solche gekennzeichnet, die auf ihren Gegenstand gerichtet ist, ohne das Erkennen und den Erkennenden selbst in den Blick zu nehmen. Die zweite Art der Erkenntnis erwächst offenbar aus der ersten durch eine Umwendung der Blickrichtung; dadurch wird der Gegenstand aber nicht aus dem Blick verloren, sondern mit der Erkenntnis, d.h. mit dem Erkennen und dem Erkennenden zusammengenommen. Ist die erste Art der Erkenntnis durch eine Geradehin-Einstellung gekennzeichnet, so die zweite durch eine reflexive Einstellung. ^ Kritik der reinen Vernunft, B 25

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Erstes Kapitel

Die zweite Art der Erkenntnis sei für das folgende dadurch gekennzeichnet, daß sie die reflexive Einstellung aus Interesse an der Möglichkeit und Tragweite der Erkenntnis innehält. Sie nimmt in diesem Fall die in der Geradehin-Einstellung vollzogene Erkenntnis als solche und als ganze in den Blick. Die in reflexiver Einstellung vollzogene Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen realisiert sich als Erkenntnistheorie, indem sie Erkenntnisarten und ihnen zugehörige, zugeordnete Gegenstandsarten thematisiert und zu bestimmen sucht, was hier nicht im einzelnen belegt werden muß. Die Korrelation von Gegenstandsarten und Erkenntnisarten wird erweitert, indem die Erkenntnisarten auf bestimmte „Vermögen" des erkennenden „Subjekts", auf „Erkenntnisvermögen", zurückgeführt werden: Die Erkenntnisarten werden aufgefaßt als Realisierungen oder Aktualisierungen von Möglichkeiten, über die der Erkennende verfügt. Es ist nun leicht zu sehen, daß sich die Unterscheidung der beiden Arten von Erkenntnis bzw. die Unterscheidung zwischen GeradehinEinstellung und reflexiver Einstellung nicht deckt mit einer Unterscheidung, die bereits vollzogen ist, wenn, wie es hier geschieht, Arten von Erkenntnis unterschieden und bestimmt werden. Diese implizit von Anfang an vollzogene Unterscheidung ist die zwischen natürlichalltäglichem, außer- bzw. vorphilosophischem Erkennen einerseits und philosophischem Erkennen andererseits. Diese Unterscheidung, die in der Antike erstmalig von Heraklit und Parmenides vollzogen worden ist2, hat den Charakter der Selbstunterscheidung: Die Philosophie (das philosophische Erkennen) selber trifft diese Unterscheidung, in welcher sie zugleich das Unterscheidende und eines der Unterschiedenen ist. Dabei ist Philosophie als solche erst in und mit dieser Selbstunterscheidung da. Diese Selbstunterscheidung ist aber - was hier gleich angemerkt sei - nicht irgendwann ein für allemal vollzogen worden, vielmehr hat die Philosophie sie immer erneut dann zu vollziehen gehabt, wenn sie ihr eigenes Wesen, will sagen: ihre Aufgabe und ihren theoretischen Status, neu bestimmen wollte. Die neuzeitliche Unterscheidung zwischen der Philosophie und den Wissenschaften hat, sofern sie sinnvoll ist, genau diesen Charakter, da sich ja die Wissenschaften zunächst im Rahmen der Philosophie selbst entwickelten. Nun gibt es, da die beiden kurz explizierten Unterscheidungen nicht zusammenfallen, auch innerhalb einer durch Selbstunterscheidung konstituierten Philosophie den Unterschied von Geradehin-Einstellung und reflexiver Einstellung. Die reflexive Einstellung bestimmt 2 Vgl. K. Held, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft. Eine phänomenologische Besinnung. Berlin 1980, S. 127 ff.

§ 1 Erkenntnistheorie

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aber innerhalb der Philosophie eine besondere Disziplin neben anderen Disziplinen, die ihrerseits durch die Geradehin-Einstellung gekennzeichnet sind. Wie ein Blick in die Philosophiegeschichte lehrt, gibt es faktisch immer neben einer Reihe von solchen Disziplinen auch eine, die in meinem Sinne als Erkenntnistheorie zu kennzeichnen wäre. Die Unterscheidungshinsicht, die die Erkenntnistheorie von den übrigen Disziplinen abgrenzt, ist zur Unterscheidung dieser übrigen Disziplinen selbst untauglich; sie bestimmen sich von ihrem jeweiligen Gegenstand her^. Die Erkenntnis von Gegenständen, die sich in verschiedenen Disziplinen vollzieht, und die Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen (Erkenntnistheorie) bleiben durch einen leitenden Erkenntnisbegriff bzw. durch einen leitenden Wahrheitsbegriff verbunden. Da der hier entwickelte Begriff der Erkenntnistheorie auf die Philosophie bis Kant hin soll applizierbar sein, reicht zur Kennzeichnung des leitenden Wahrheits- bzw. Erkenntnisbegriffs eine Paraphrase der alten Definition der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus“* aus. Bezüglich des unmittelbar einleuchtenden Unterschiedes zwischen Irrtum als bloß vermeintlicher Erkenntnis und wirklicher Erkenntnis fungiert die wirkliche Erkenntnis als Maßstab. In der wirklichen Erkenntnis liegt die in der Definition von Wahrheit genannte Angleichung des Verstandes an die Sache vor, die in der vermeintlichen Erkenntnis gerade nicht besteht. Wirkliche Erkenntnis trifft die Sache, vermeintliche Erkenntnis trifft entweder eine andere Sache als sie meint, oder sie trifft überhaupt nichts. Der leitende Erkenntnisbegriff, das leitende Selbstverständnis von Erkenntnis, innerhalb der Geradehin-Einstellung ebenso wie in der reflexiven Einstellung kann für unsere Zwecke durch eine Formel gekennzeichnet werden, die Kant benutzt, um das Neue seiner Kritik der reinen Vernunft gegenüber der überkommenen Metaphysik anzudeuten. Danach ist der leitende Erkenntnisbegriff der bisher angedeuteten Idee von Philosophie gekennzeichnet durch die Annahme, daß sich die Erkenntnis nach den Gegenständen richtet^. Die Erkenntnistheorie ist als eine Disziplin der Philosophie von allen anderen per definitionem durch die reflexiA'e Einstellung unterschieden. Gleichwohl steht sie mit allen anderen Disziplinen unter dem gekennzeichneten leitenden Erkenntnisbegriff. Von daher ergibt sich eine weitere Präzisierung der Idee der Erkenntnistheorie. Sie bezieht sich auf die Erkenntnisarten und die zug'eordneten Erkenntnisvermögen des erkennenden Subjekts 3 Vgl. z.B. Aristoteles, Metaphysik. Buch 4, insbes. 1003a21 ff. und 1003bl9 ff. * Vgl. Thomas von Aquin, Quaest. Disp., De Veritate 1, 1, Resp. 5 Vgi. Kritik der reinen Vernunft, B XVI.

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Erstes Kapitel

als auf ihren Gegenstand unter der Maßgabe, daß sich auch ihre Erkenntnis, die erkenntnistheoretische Erkenntnis, nach diesem Gegenstand zu richten habe.

§ 2 Transzendentalphilosophie Die Interpretation der Kantischen Definition von „transzendental" führte zu einem formalen Begriff von Erkenntnistheorie. Nun ist aber Transzendentalphilosophie nicht einfachhin Erkenntnistheorie. Das scheint auf einen Fehler in der Interpretation der Kantischen Definition hinzudeuten. Man könnte ihn darin vermuten, daß der Zusatz „sofern diese a priori möglich sein soll" vernachlässigt wurde. Ohne weitere Bestimmungen führt dieser Zusatz aber nur dazu, daß die durch ihn zu definierende Transzendentalphilosophie ein Teil der Erkenntnistheorie ist, nämlich derjenige, der sich mit der Erkenntnis a priori befaßt. Wenn man nicht annimmt, daß Kants Auflösung der Frage nach der Möglichkeit apriorischer Gegenstandserkenntnis analytische Konsequenz des formalen Begriffs einer Erkenntnis a priori ist, dann muß man sagen, daß Kants Definition unzureichend ist. Sie benennt nicht diejenige Differenz, in die sich die als Kritik der reinen Vernunft zunächst durchgeführte Transzendentalphilosophie zu aller bisherigen Erkenntnistheorie, ja Philosophie überhaupt, setzt. Diese Differenz muß aber als das Resultat der Selbstunterscheidung der Transzendentalphilosophie von aller bisherigen Philosophie angesehen werden. Die Transzendentalphilosophie gibt sich in dieser Selbstunterscheidung -das liegt in deren Begriff - genau diejenige Bestimmung, die sie von aller anderen Philosophie unterscheidet, die daher in einer vollständigen Definition von „transzendental" enthalten sein muß. Die gesuchte Bestimmung ist durch eine Annahme zu kennzeichnen, die eine „Umänderung der Denkart"* bedeutet, die Annahme nämlich, daß sich die Gegenstände „nach unserem Erkenntnis"^ richten. Die Transzendentalphilosophie bestimmt sich durch jene Annahme und setzt sich damit von allen Positionen ab, die - wie jetzt erst eigentlich explizit wird - durch die entgegengesetzte Annahme gekennzeichnet sind, die freilich für diese Positionen selbst nicht den Charakter einer Ann'ahme oder einer Denkart hat. Bestimmungen, die sich eine Position in einer Selbstunterscheidung selber gibt, können zunächst nur zur * Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B XXII, Anm. Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B XVI.

§ 2 Transzendentalphilosophie

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Formulierung einer Aufgabe führen, deren gelingende Durchführung dann ihre nachträgliche Rechtfertigung darstellt. Das gilt allerdings für jede Position, nicht nur für die Transzendentalphilosophie, für sie höchstens in verstärktem Maße®. Die Kantische Definition von „transzendental" enthält die zu einem formalen Begriff von Erkenntnistheorie ausgearbeitete Unterscheidung von Geradehin-Einstellung und reflexiver Einstellung. Diese Unterscheidung ist mit derjenigen zu konfrontieren, die sich aus der Selbstunterscheidung der Transzendentalphilosophie ergibt. Sie sei terminologisch als die Unterscheidung von Ontologie und Transzendentalphilosophie fixiert. Für die Transzendentalphilosophie ist die Ontologie gekennzeichnet durch die ontologische Einstellung, d.h. durch die Annahme, daß sich die Erkenntnis nach den Gegenständen richtet; die transzendentale Einstellung ist demgegenüber durch die Umkehrung dieser Annahme gekennzeichnet. Die Unterscheidung von Geradehin-Einstellung und reflexiver Einstellung wurde entwickelt als eine solche innerhalb der ontologischen Einstellung. Beim Übergang in die transzendentale Einstellung bleibt die Geradehin-Einstellung, die „Erkenntnis der Gegenstände", unangetastet, da die Unterscheidung der Denkarten, ja die Rede von Denkarten als solchen, erst auf der reflexiven Ebene möglich ist. Die Thesen, in denen sich die Denkarten aussprechen, sind Thesen der reflexiven Einstellung, sofern sie das Vehältnis von Erkenntnis und Gegenstand betreffen. Somit ergibt sich hier eine Unterscheidung innerhalb der reflexiven Einstellung selbst. Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen unter der ausdrücklichen oder unausdrücklichen Annahme, die Erkenntnis richte sich nach den Gegenständen, ist Erkenntnistheorie im Rahmen der Ontologie. Die Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen unter der ausdrücklichen Annahme, daß sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten, ist Transzendentalphilosophie. Damit ist die oben geforderte Ergänzung der Kantischen Definition vollzogen. Die Annahme der Transzendentalphilosophie, daß sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten, bezieht sich bei Kant, so könnte man einwenden, nur auf die Erkenntnis a priori. Deshalb dürfe der Zusatz „sofern diese a priori möglich sein soll" in der Definition von „transzendental" nicht ignoriert werden. Eine solche Annahme sei nämlich für den Bereich der Erkenntnis a posteriori, der auf Wahrnehmung beruhenden Erfahrungserkenntnis, widersinnig. Dazu sei an dieser Stelle nur gesagt: Man kann in dieser Weise Erkenntnis a priori und * Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B XXII, Anm.

18

Erstes Kapitel

Erkenntnis a posteriori nicht auseinandernehmen, denn (1) ist Erkenntnis a priori bei Kant Erkenntnis von Gegenständen möglicher Erfahrung; (2) hat jeder Gegenstand einer empirischen Erkenntnis seinen Ursprung darin, daß das in den Anschauungsformen von Raum und Zeit gegebene Mannigfaltige der Empfindung mittels der Funktionen des Verstandes im Begriff des Objekts vereinigt wird’. Abstrahiert man von den Formen der Anschauung und den Funktionen des Verstandes, so hat man nichts als „bloße Modifikationen des Gemüts", von denen man nicht sagen kann, was sie sind. Dennoch ist es richtig, daß die Annahme der Transzendentalphilosophie bei Kant unter einer einschränkenden Bedingung steht, sofern nämlich die Gegenstände, die sich nach der Erkenntnis richten, „Erscheinungen" und nicht „Dinge an sich" sind. Diese Einschränkung wird zu gegebener Zeit bei der Weiterentwicklung der Idee der Transzendentalphilosophie zu berücksichtigen sein.

§ 3 Drei Aussageebenen Transzendentalphilosophie beruht auf einer reflexiven Position. Die in ihr vollzogene Reflexion sei transzendentale Reflexion genannt. Eine nähere Bestimmung dieser Reflexion hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Implikationen wird eine Präzisierung der Idee von Transzendentalphilosophie ergeben. In aller Reflexion muß ein Unterschied gemacht werden zwischen dem Reflektierenden, dem Subjekt der Reflexion, und dem, worauf reflektiert wird, dem Objekt der Reflexion, dem Reflektierten. Unter dem Subjekt, dem Reflektierenden der transzendentalen Reflexion -um die handelt es sich hier - ist dabei nicht irgendein „konkretes" Subjekt verstanden, das Akte der Reflexion vollzieht, sondern eine methodische Position; sie wird als solche weiter zu kennzeichnen sein. Das, worauf die transzendentale Reflexion reflektiert, ihr Reflektiertes, ist, unserer Formel gemäß, die Erkenntnis von Gegenständen. Diese Erkenntnis von Gegenständen ist der transzendentalen Reflexion vorgegeben zunächst als das, wovon sich die Transzendentalphilosophie in ihrer Selbstunterscheidung abhob. Die Gesamtheit dessen, was möglicher Gegenstand der transzendentalen Reflexion ist, sei natürliches Bewußtsein genannt. ’ Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 137.

§ 3 Drei Aussageebenen

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Die Reflexion auf die Erkenntnis von Gegenständen thematisiert die Korrelation von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt, von Erkenntnisarten und Gegenstandsarten. Dabei führt die Betrachtung von Erkenntnisarten auf Bestimmungen des erkennenden Subjekts („Erkenntnisvermögen") zurück. Diese Korrelation wird in der transzendentalen Reflexion thematisiert unter der ausdrücklichen Annahme, daß sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten. Das aber bedeutet, als Aufgabe formuliert: Die transzendentale Reflexion hat diejenigen Bestimmungen des erkennenden Subjekts zu entwickeln, die als solche die Bestimmtheit und Gegenständlichkeit^o der Gegenstände aufbringen. Diese Formulierung bedeutet zugleich eine erste Interpretation der Formel: Der Gegenstand richtet sich nach der Erkenntnis. Das Objekt der transzendentalen Reflexion ist also, genauer gesagt, das Subjekt der Erkenntnis von Gegenständen, sofern und so weit dieses durch ihm selbst zugehörige Bestimmungen die Bestimmtheit und Gegenständlichkeit des Gegenstandes aufbringt. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses dieser beiden „Subjekte", des reflektierenden Subjekts und des reflektierten Subjekts innerhalb der transzendentalen Reflexion, wird zur Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges führen. Das reflektierende Subjekt ist das Subjekt der Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen. Es ist dadurch bestimmt, daß es eine ausdrückliche Umkehr derjenigen Denkart vollzieht, durch die das reflektierte Subjekt bestimmt ist und bleibt. Sofern also das reflektierende Subjekt eine durch konkrete Subjekte einzunehmende methodische Position ist, gewinnt die Umkehr der Denkart - was noch zu zeigen sein wird - den Charakter eines analytischen Implikats aller Aussagen, die dieser methodischen Position zuzuordnen sind. Das reflektierte Subjekt hält sich und bewegt sich immer schon in seiner Denkart, gleichsam von Natur aus, aber ohne sie als Denkart zu durchschauen. Diese Denkart, es ist die des natürlichen Bewußtseins, ist durch die Formel gekennzeichnet: Die Erkenntnis richtet sich nach den Gegenständen. Diese Denkart wird vom reflektierenden Subjekt als eine Denkart durchschaut und ausdrücklich umgekehrt. Das reflektierende Subjekt kennt somit im Unterschied zum reflektierten Subjekt beide Denkarten, die des reflektierten Subjekts und seine eigene, und damit den Unterschied beider. Diese Überlegenheit des reflektierenden Subjekts verdankt sich einer Selbstunterscheidung, die nichts anderes ist. Die Rede von der ^Gegenständlichkeit" des Gegenstandes, von der ,Bestimmtheit" desselben unterschieden, deutet darauf hin, daß der Gegenstand als Gegenstand der Erkenntnis gemeint ist.

20

Erstes Kapitel

als die Selbstunterscheidung der Transzendentalphilosophie vom natürlichen Bewußtsein. Das reflektierende Subjekt ist als das Unterscheidende zugleich eines der Unterschiedenen. Das Unterscheidende bezieht sich, sofern es den Unterschied macht, zugleich auf sich selbst zurück: es ist „für sich selbst", „Selbstbewußtsein"”. Von daher bestimmt sich der Sinn der Frage danach, was dieses Subjekt ist, welche Bestimmungen ihm zukommen: Es ist, was es ist, für sich selbst; und es ist nur das, was es für sich selbst ist. Die Frage danach, was das reflektierte Subjekt ist, welche Bestimmungen ihm zukommen, scheint demgegenüber doppeldeutig zu sein: Was die Transzendentalphilosophie gemäß ihrer Aufgabe als die Bestimmungen dieses Subjekts entwickelt, könnte sich wesentlich von dem unterscheiden, was als Selbstverständnis dieses Subjekts artikulierbar ist, zumal es ja durch die, wenn auch unausdrückliche Annahme gekennzeichnet ist, die Erkenntnis richte sich nach den Gegenständen. Das reflektierte Subjekt wäre für die transzendentale Reflexion und deren Subjekt „anders" bestimmt als für sich selbst im Sinne seines Selbstverständnisses. Es ergäben sich somit drei Aussageebenen, die für die Transzendentalphilosophie charakteristisch wären; sie könnten durch drei Leitfragen gekennzeichnet werden: (l) Was ist das Subjekt der transzendentalen Reflexion (es versteht sich) für sich selbst? (2) Was ist das natürliche Bewußtsein als Objekt der transzendentalen Reflexion für diese Reflexion? (3) Was ist das natürliche Bewußtsein für sich selbst? Die Dreiteilung der Aussageebenen ergibt sich in der Tat als Konsequenz zweier Unterscheidungen, die in einem engen Zusammenhang stehen. Die erste Unterscheidung ist die zwischen dem reflektierenden Subjekt und dem reflektierten Subjekt; sie ist mit der Struktur der Reflexion gegeben und von daher explizierbar. Die zweite Unterscheidung hat ihren Grund in einer formalen Struktur des reflektierten Subjekts, des natürlichen Bewußtseins. Die erste Unterscheidung spiegelt sich in der Dreiteilung der Aussageebenen so wider, daß vom reflektierenden Subjekt nur in der ersten Ebene die Rede ist, während in der zweiten und dritten Ebene das reflektierte Subjekt thematisch ist. Aussagen, die der ersten und zweiten Ebene zuzuordnen sind, sind von der Position des reflektierenden Subjekts aus gesprochen, mit anderen Worten: sie bestimmen, wie etwas für das reflektierende Subjekt ist. Aussagen, die der dritten Ebene zuzuordnen sind, sind solche des reflektierten Subjekts, sind von der Position des natürlichen Bewußtseins aus gesprochen. Zum Problem des Selbstbewußtseins vgl. § 7, S. 36 fp

§ 3 Drei Aussageebenen

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Die zweite Unterscheidung ergibt sich auf folgende Weise; Bewußtsein ist als Bewußtsein von Etwas bestimmtes Bewußtsein. Als Bewußtsein ist es aber nicht bloß bestimmt, es ist für sich selbst bestimmt, sein Bestimmtsein ist für es. Die als Phänomen nicht zu leugnende, gleichwohl erklärungsbedürftige Rückbezogenheit des Bewußtseins von Etwas auf sich selbst^^ eröffnet die Möglichkeit, von einem Bestimmtsein des Bewußtseins „an sich" zu sprechen. Bewußtsein ist in diesem Sinne bestimmt, sofern es als Bewußtsein, evtl, als Erkenntnis, dieses oder jenes Gegenstandes explizierbar ist. Das, was das Bewußtsein so „an sich" ist, ist es zugleich „für sich" selbst. Diese Unterscheidung der beiden Hinsichten, unter denen Bewußtsein jeweils bestimmtes Bewußtsein ist, ist aber nicht von der Art, wie sie zur Konstitution der drei Aussageebenen erforderlich ist. Die Unterscheidung der zweiten und dritten Ebene ergibt sich nur, wenn es möglich und unter Umständen notwendig ist, in bezug auf ein und dasselbe Bewußtsein zugleich einander ausschließende Aussagen zu machen, die nur deshalb nicht zum Widerspruch führen, weil sie an zwei Aussageebenen verteilt werden. Das Bewußtsein ist als bestimmtes Bewußtsein zwar durch den Doppelaspekt des „an sich" und des „für sich" gekennzeichnet; die als Ermöglichungsgrund der Unterscheidung der zweiten und dritten Ebene geforderte Diskrepanz hinsichtlich seines Bestimmtseins ist damit aber nicht gegeben. Das Bewußtsein kann nicht „an sich" etwas anderes sein, als es „für sich" ist. Der Doppelaspekt betrifft das Bestimmtsein des Bewußtseins nicht inhaltlich; Das Bewußtsein ist genau das, was es an sich ist, auch für sich selbst und umgekehrt. Das Bewußtsein kann nämlich das, was es an sich ist, inhaltlich nicht von dem unterscheiden, was es für sich ist. Wenn es selber den Unterschied zwischen dem Ansich und dem Für-sich machen könnte, dann wäre dieser Unterschied für es, er wäre als der Unterschied zwischen dem Ansich und dem Für-sich gerade aufgehoben. Daß dennoch eine Diskrepanz zwischen dem Ansich und dem Fürsich möglich und in der Regel gegeben ist, ist eine grundlegende Einsicht, die durch die Umkehr der Denkart allererst möglich wird. Es ist die Leistung der Umkehr der Denkart und der mit ihr gegebenen Selbstunterscheidung der Transzendentalphilosophie, die Instanz zu setzen, für die der geforderte Unterschied besteht. Indem für diese Instanz ein Unterschied zwischen dem Ansich und dem Für-sich besteht, ergibt sich der Unterschied zwischen der zweiten und der dritten Damit ist auch für das natürliche Bewußtsein die Struktur der Selbstbezüglichkeit in Anspruch genommen. Hinsichtlich der Unterscheidung von Phänomen und „Erklärung" beim Selbstbewußtsein vgl. § 7, S. 37 f.

22

Erstes Kapitel

Ebene. Die zweite Ebene betrifft dasjenige, was das natürliche Bewußtsein, das reflektierte Subjekt, an sich ist; die dritte Ebene betrifft das, was das natürliche Bewußtsein für sich selbst ist. Die erste Ebene dagegen betrifft das in der transzendentalen Reflexion bzw. mit ihr gesetzte reflektierende Subjekt. Es ist klar, daß hinsichtlich seiner kein Unterschied zwischen dem Ansich und dem Für-sich gemacht werden kann; Dem reflektierenden Subjekt kommen nur solche Bestimmungen zu, die ihm aus seiner Selbstunterscheidung Zuwachsen und die es ausdrücklich als seine Bestimmungen setzt, indem es sich selbst bestimmt.

§ 4 Der Begründungszusammenhang Die zu entwickelnde Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges ist dadurch bestimmt, daß Transzendentalphilosophie drei Aussageebenen impliziert, die durch die Kombination von zwei Unterscheidungen entstehen. Transzendentalphilosophie ist die Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen unter der Annahme, daß sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten. Die Formel »Die Gegenstände richten sich nach der Erkenntnis" wurde vorläufig durch den Satz interpretiert: Das erkennende Subjekt hat durch ihm selbst zugehörige Bestimmungen die Bestimmtheit und Gegenständlichkeit des Gegenstandes aufzubringen. Die Rede vom erkennenden Subjekt ist aber durch die Unterscheidung der drei Aussageebenen mehrdeutig geworden. Zur Beantwortung der Frage, von welchem Subjekt in jener erweiterten Formel die Rede sei, bieten sich angesichts der entwickelten drei Aussageebenen rein formal drei Möglichkeiten an. Die gesuchten erkenntnisleistenden Bestimmungen können sein (1) Bestimmungen des reflektierenden Subjekts; (2) Bestimmungen des reflektierten Subjekts, aber solche, die ihm an sich zukommen (es wären Bestimmungen des reflektierten Subjekts, des natürlichen Bewußtseins, die als solche nur für das reflektierende Subjekt wären); (3) Bestimmungen des reflektierten Subjekts für sich selbst. Die letzte Möglichkeit fällt aus; das natürliche Bewußtsein weiß im Rahmen seines Selbstverständnisses nichts von erkenntnisleistenden Bestimmungen im Sinne der Transzendentalphilosophie. Das Subjekt, dem die erkenntnisleistenden Bestimmungen zugehören, kann demnach entweder das reflektierende Subjekt sein oder aber das reflektierte Subjekt, aber hinsichtlich solcher Bestimmungen, die ihm an sich zukommen.

§ 4 Der Begründungszusammenhang

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Damit steht die Transzendentalphilosophie erstmals vor einer entscheidenden Schwierigkeit. Das reflektierende Subjekt kann, soweit bisher zu sehen ist, jenes Subjekt nicht sein, sofern ihm nur solche Bestimmungen zukommen, die ihren Ursprung in der Selbstunterscheidung haben. Also müssen sie dem reflektierten Subjekt in irgendeiner Weise zukommen. Aber auch bezüglich des reflektierten Subjekts besteht die Schwierigkeit; Die Bestimmungen, die ihm an sich zukommen, sind ihm, so wie es von der transzendentalen Reflexion thematisiert wird, nicht einfach abzulesen. Es kommt offenbar alles darauf an, eine Methode zu entwickeln, die geeignet ist, diese Bestimmungen, sollten sie ihm zukommen, zu entdecken. Zur Entwicklung dieser Methode ist es notwendig, auf das Verhältnis der beiden Subjekte, die rein hypothetisch in Frage kommen, zueinander und auf den Charakter ihrer Unterscheidung zu reflektieren. Sind es eigentlich zwei Subjekte? Und in welchem Sinne sind es „zwei" Subjekte? Den beiden Subjekten sind Aussageebenen zugeordnet, die aber, solange sie nichts enthalten, zur näheren Charakterisierung der Subjekte untauglich sind. So ist von den Subjekten auszugehen: Sofern der Ursprung der Differenz eine Selbstunterscheidung ist, kann die Differenz zwischen den Subjekten keine reale, numerische sein, denn eine solche Differenz wäre gegeben, und es bedürfte keiner Selbstunterscheidung. Die Differenz zwischen dem reflektierten und dem reflektierenden Subjekt, die transzendentale Differenz genannt sei, ist gleichgültig gegen die numerische Identität oder Verschiedenheit realer Subjekte. Die mit jener Differenz anvisierten Strukturen bzw. Aussageebenen sind auch im Hinblick auf ein und dasselbe reale Subjekt als dessen Bestimmtheiten bzw. Möglichkeiten faßbar. Sie könnten als zwei Weisen des Selbstverständnisses angesehen werden: ein natürliches und ein durch die Umkehr der Denkart vermitteltes. Ist die transzendentale Differenz in einer Selbstunterscheidung gesetzt, so ist sie damit als prinzipiell aufhebbar gedacht. Wie, wenn die Aufhebung der transzendentalen Differenz der Weg wäre, die Bestimmungen zu entdecken, die dem reflektierten Subjekt an sich zukommen? Für die Unterscheidung der drei Aussageebenen der Transzendentalphilosophie würde das bedeuten, daß der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Ebene aufgehoben würde: Das, was das reflektierende Subjekt für sich selbst ist (erste Aussageebene) erwiese sich als identisch mit dem, was das reflektierte Subjekt an sich ist (zweite Aussageebene). Was für das Verhältnis der beiden Aussageebenen gilt, gilt in entsprechender Weise für das Verhältnis von reflektierendem und reflektier-

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Erstes Kapitel

tem Subjekt. Was das reflektierte Subjekt an sich ist, ist für das reflektierende Subjekt: Das Verhältnis des reflektierenden Subjekts zum reflektierten Subjekt (an sich) wäre das Verhältnis des reflektierenden Subjekts zu sich selber. Die Aufhebung der Differenz hätte den formalen Charakter von Selbsterkenntnis. Wie aber kann die Differenz aufgehoben werden? Man kann nicht einfach sagen, die Differenz bestehe ja gar nicht. Sie aufzuheben, bedeutet nicht, sie rückgängig zu machen. Die Differenz besteht sehr wohl, weil anfänglich - und damit kommt ein genetischer Gesichtspunkt ins Spiel - dem reflektierenden Subjekt nur die Bestimmungen zukommen, die ihm aufgrund der Selbstunterscheidung Zuwachsen. Das reflektierte Subjekt andererseits ist anfänglich wohl hinsichtlich seines Selbstverständnisses bestimmbar, weil daraufhin befragbar; es hat aber auch ohne Befragung sein Selbstverständnis mannigfach artikuliert. Inwiefern dies Subjekt an sich aber etwas anderes ist als für sich, ist nach wie vor nicht zu sehen.

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Zweites Kapitel DIE GESCHICHTE DES SELBSTBEWUSSTSEINS § 5 Der genetische Gesichtspunkt Der zuletzt ins Spiel gekommene genetische Gesichtspunkt erlaubt es nun, bezüglich der drei Aussageebenen zwei Situationen zu unterscheiden. Eine erste, anfängliche Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß das reflektierende Subjekt nur diejenigen Bestimmungen hat, die ihren Ursprung unmittelbar in der Selbstunterscheidung haben. Diesem Subjekt mit der formalen Struktur des Selbstbewußtseins und der mit diesem gegebenen ersten Aussageebene steht das natürliche Bewußtsein als mannigfach konkret bestimmtes gegenüber. Diese Bestimmungen sind aber nur im Medium seines Selbstverständnisses gegeben; sie bilden die dritte Aussageebene, wobei das Selbstverständnis den Gesamtkomplex „Erkenntnis von Gegenständen" betrifft. Die zweite Aussageebene aber ist anfänglich eine Leerstelle, jedoch im Sinne eines Vorgriffs, einer Antizipation. Die zweite Situation, sie wäre das Ziel der Bemühungen, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Unterschied zwischen dem reflektierenden Subjekt und dem reflektierten Subjekt (hinsichtlich seiner ihm an sich zukommenden Bestimmungen) aufgehoben ist. Aufgehoben wäre damit auch der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Ebene. Zwischen der Situation nach der Selbstunterscheidung und derjenigen, in der der gesetzte Unterschied zwischen reflektierendem und reflektiertem Subjekt in der gekennzeichneten Weise aufgehoben isth läge also ein Weg, der ineins die Ausarbeitung der zweiten Ebene wäre. Die Aufhebung der Differenz zwischen dem reflektierenden und dem reflektierten Subjekt wäre umgekehrt nur als Ausarbeitung der zweiten Aussageebene möglich. Der genetische Gesichtspunkt, der bezüglich der Aussageebenen zwei Situationen unterscheidet, zwischen denen ein Weg zurückzulegen ist, kam ins Spiel, weil die Frage nach den erkenntnisleistenden Bestimmungen doppeldeutig geworden war. Sie könnten rein formal ' Er ist aufgehoben, wenn beide die gleichen Bestimmungen haben, nicht aber, wenn beide als Bestimmungen desselben realen Subjekts angesehen werden.

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Zweites Kapitel

Bestimmungen des reflektierenden Subjekts oder aber des reflektierten Subjekts im Sinne seines Bestimmtseins an sich sein. Bezüglich der letzteren war überdies fraglich, wie sie zu entdecken und zu entwickeln seien, sofern sie ja an ihm nicht einfach ablesbar sind. Wie sie entwickelt werden könnten, ist nun sichtbar geworden: Das reflektierende Subjekt müßte die Bestimmungen, die dem reflektierten Subjekt an sich zukommen, als seine eigenen Bestimmungen entwickeln. Was der transzendentale Begründungszusammenhang zu leisten hat, kann von daher als Selbstbestimmung des reflektierenden Subjekts begriffen werden. Diese Bestimmungen müssen sich zugleich als diejenigen erweisen lassen, die die Bestimmtheit und Gegenständlichkeit von Gegenständen aufbringen^. Das zuletzt Entwickelte hat eine weitere wichtige Konsequenz: Wenn das reflektierende Subjekt sich selbst bestimmt, indem es die Bestimmungen entwickelt, die dem reflektierten Subjekt an sich zukommen, dann ist in diesem Augenblick die Darstellung als Darstellung für den Inhalt selbst wesentlich. Damit ist in einem ersten Durchgang die Aufgabe des transzendentalen Begründungszusammenhangs Umrissen. Seine Beweisabsicht besteht danach darin zu zeigen, daß und wie die Gegenstände, auf die sich das natürliche Bewußtsein in alltäglicher und wissenschaftlicher Erkenntnis bezieht, in Wahrheit durch es selbst, aber ihm selbst notwendig verborgen, „konstituiert", „gesetzt", „geleistet" sind.

§ 6 Zwei Typen des Begründungszusammenhangs Die Bestimmung des Verhältnisses der drei Aussageebenen zueinander machte die Einbeziehung eines genetischen Gesichtspunktes notwendig, sofern Anfang und Ende des transzendentalen Begründungszusammenhanges unterschieden werden müssen. Von daher ergibt sich die Möglichkeit einer weiteren Konkretisierung der Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges durch die Unterscheidung zweier Typen. Diese Unterscheidung dient jedoch allein der abgrenzenden Verdeutlichung desjenigen Typus, auf dessen Weiterentwicklung es ankommt. Gibt es unterschiedene Typen von transzendentalen ^ Das natürliche Bewußtsein hat diese Bestimmungen — wie man zu sagen pflegt — im Rücken. Die Transzendentalphilosophie hat natürlich die von ihr konstatierte und ausgearbeitete Differenz zwischen dem Ansich und dem Für-sich des natürlichen Bewußtseins zu erklären. Die Rechtfertigung des natürlichen Bewußtseins bedeutet aber zugleich eine Kritik desselben.

§ 6 Zwei Typen des Begründungszusammenhangs

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Begründungszusammenhängen, dann ist zugleich die Unterscheidung zwischen Beweisabsicht und Beweisstruktur des transzendentalen Begründungszusammenhanges auch insofern sinnvoll, als die Beweisabsicht durch Begründungszusammenhänge unterschiedlicher Struktur verfolgt werden kann. Daß zwischen Anfang und Ende des transzendentalen Begründungszusammenhanges ein Weg zurückzulegen ist, kann zunächst in dem Sinn verstanden werden, wie in bezug auf jeden Beweis eine von der Beweisabsicht und den Voraussetzungen diktierte Reihenfolge von Beweisschritten anzunehmen ist. Unter dieser Voraussetzung ist aber der genetische Gesichtspunkt dem Gegenstand des Beweises (dem Subjekt und den ihm zukommenden erkenntnisleistenden Bestimmungen) äußerlich^. Von diesem ersten Typus kann ein zweiter unterschieden werden. Für ihn ist kennzeichnend, daß der Weg, die Bewegung, d.h. eine geregelte Reihenfolge von Schritten oder Stufen den Gegenstand selber bestimmt, ihm also gerade nicht äußerlich ist. Dieser zweite Typus trägt seit Schelling den Namen „Geschichte des Selbstbewußtseins"''. Für beide Typen ist ein spekulativer Gedanke entscheidend, der, wie der Grundgedanke der Transzendentalphilosophie überhaupt, von Kant stammt. Der gemeinte, aus der „Transzendentalen Deduktion''^ stammende Gedanke besagt: Die gesuchten Bestimmungen, die Inhalt des Begründungszusammenhanges sind, müssen als notwendige Bedingungen des Selbstbewußtseins (als eines zweifellos Gewissen) aufgefaßt und dargestellt werden. Die unschätzbare Bedeutung dieses Gedankens besteht darin, daß er einen Zusammenhang zwischen dem, was Resultat der Selbstunterscheidung ist, einem formalen Selbstbewußtsein nämlich (erste Aussageebene), und dem, was das natürliche Bewußtsein an sich (zweite Aussageebene) herstellt. Dieser Ge-

^ Dieser Typus ist natürlich nicht einheitlich. Es wäre eine interessante Aufgabe, das Theorem der Aussageebenen zu einem umfassenden Strukturvergleich aller transzendentalen oder sich als transzendental verstehenden Theorien zu benutzen. Das kann hier natürlich nicht geleistet werden. — Vgl. dazu auch Hegels Kennzeichnung des mathematischen Beweises: »...die Bewegung des mathematischen Beweises gehört nicht dem an, was Gegenstand ist, sondern ist ein der Sache äußerliches Tun" (PhG 35). Vgl. U. Claesges, Geschichte lies Selhsthewußtseius. Der Ursprung des spekulativeu Problems iti Fichtes Wissenschaftslehrevon 1 794/95, Den Haag 1974. Das Buch ist, wie nicht anders zu erwarten war, von der Fichte-Orthodoxie abgelehnt worden (vgl. die Sammelrezension von Willi Lautemann, Philosophische Rufidschnu 23, S. 197 bis 263). Der Schein einer Widerlegung der in meinem Buch entwickelten Thesen entspringt dem esoterischen Jargon, zu dem der Rezensent an den entscheidenden Stellen übergeht. Vgl. Kritik der reinen Vernunft. B 129 ff.

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Zweites Kapitel

danke macht also dasjenige, was gleichsam mühelos im Akt der Selbstunterscheidung erreichbar ist, das Bewußtsein meiner selbst, und von dem als einem Ersten und zweifellos Gewissen der Begründungszusammenhang auszugehen hat, seinerseits zu einem Bedingten; bedingt durch das, was es als Strukturen des reflektierten Subjekts an sich allererst zu entwickeln gilt. So ist eine erste formale Kennzeichnung dessen gegeben, was auf der bis dato völlig leeren zweiten Aussageebene darzustellen ist: Was immer die Bestimmungen, die dem reflektierten Subjekt an sich zukommen, sein mögen, sie müssen sich als Bedingungen dessen begreifen lassen, wovon andererseits eine Erkenntnis eben dieser Bestimmungen auszugehen hat*. Als Unterscheidungsmerkmal der beiden Typen des transzendentalen Begründungszusammenhanges, die jenen spekulativen Gedanken gemeinsam haben, fungiert primär nicht, was als solche Bedingungen aufgestellt wird, sondern einzig die Art, wie der Nachweis erbracht wird, daß es sich um Bedingungen des Selbstbewußtseins handelt. Da Letzteres sich wohl auch auf die inhaltliche Ausgestaltung der Bedingungen auswirken dürfte, müßte natürlich eine Entscheidung darüber herbeigeführt werden, welcher von beiden Typen das zu leisten in der Lage ist, was er als transzendentaler Begründungszusammenhang zu leisten beanspruchen muß. Eine solche Entscheidung ist im Rahmen dieser Abhandlung nicht möglich. Sie setzt allerdings voraus, was im folgenden geleistet werden soll, nämlich zu zeigen, welcher Modifikationen der zweite Typus über das Gesagte hinaus fähig ist. Wenn auch im Hinblick auf die gestellte Aufgabe allein der zweite Typus des transzendentalen Begründungszusammenhanges ausführlich dargestellt und weiterentwickelt werden soll, so scheint es doch angebracht, auch kurz die Gestalt des ersten Typus, wie er bei Kant selbst vorliegt, zu kennzeichnen. Innerhalb des Argumentationsganges, der den Kern der Transzendentalphilosophie Kants bildet, geht der transzendentalen Deduktion eine „metaphysische Deduktion"^ voran, in der das entwickelt wird, dessen Gültigkeit die transzendentale Deduktion zu erweisen hat. Die metaphysische Deduktion oder Erörterung erhält aber ihre Direktion von einem Aussagenzusammenhang, in dem festgestellt wird, was als erklärungsbedürftig anzusehen ist. Die ophi>clu‘ Untersuchungen zu Zeit unä Cegensliimilichkeit iw Anschluß an Richard Honigswiild, Bonn 1*575. '' Daß der Anfang in einem Entschluß zu gewinnen ist, ist bekanntlich die gemeinsame Übei/.eugung des Deutschen Idealismus.

Drittes Kapitel

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gewonnen werden im Ausgang von dem, was nach der Selbstunterscheidung für die Reflexion zur Verfügung steht. Dies ist aber, neben dem in der Selbstunterscheidung gesetzten Selbstbewußtsein, das natürliche Bewußtsein in seiner zunächst nur vage antizipierbaren Gesamtheit. Es käme also darauf an, das natürliche Bewußtsein mit einer geeigneten Methode zu thematisieren, um so evtl, im Rückgang über eine Reihe von Bestimmungen den Anfang der Reihe des Dargestellten, etwa eine anfängliche Bestimmtheit des natürlichen Bewußtseins, aufzufinden. Nun ist das natürliche Bewußtsein von seiner Struktur her aber, wie dargelegt, in einer doppelten Hinsicht thematisierbar, hinsichtlich dessen, was es an sich (in Wahrheit), und dessen, was es für sich selbst ist, wobei die Möglichkeit einer Unwahrheit des Selbstverständnisses, und zwar vom transzendentalen Ansatz her, unterstellt ist. Von dem gesuchten Anfang der Reihe des Dargestellten hängt der transzendentale Begründungszusammenhang hinsichtlich seiner Struktur und seiner Geltung wesentlich ab. Das liegt natürlich an dem hier gegebenen Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem; das Dargestellte ist kein in beliebiger Reihenfolge zu durchlaufendes Feld der Beschreibung! Es ist deshalb nicht möglich, irgendein Selbstverständnis des natürlichen Bewußtseins ungeprüft aufzugreifen. Die Gewinnung des Anfangs scheint vielmehr selber im Rahmen einer Theorie, deren Ergebnisse ausgewiesen und begründet sind, sich vollziehen zu müssen. Nennt man den transzendentalen Begründungszusammenhang die Theorie im strengen Sinne, so scheint dieser für die Gewinnung des Anfangs der Reihe des Dargestellten eine andersgeartete Theorie vorangehen zu müssen. Eine Theorie, die vorbereitend einer anderen vorangeht, kann Propädeutik genannt werden. Bedarf die Geschichte des Selbstbewußtseins einer Propädeutik? Bei dem Versuch, den Charakter dieser Propädeutik zu bestimmen, ergibt sich eine Aporie, in die auch die frühe Wissenschaftslehre Fichtes geraten ist“. Daß der Geschichte des Selbstbewußtseins nicht irgendeine Propädeutik als Theorie vor der Theorie vorangehen kann, zeigt sich, wenn man das Theorem der drei Aussageebenen heranzieht. Aufgabe der Propädeutik wäre die Bestimmung von etwas, was dem natürlichen Bewußtsein an sich zukommt. Alle Aussagen darüber gehören aber der zweiten Aussageebene an, die erst mit der Setzung des Anfangs der Reihe des Dargestellten konstituiert ist. Was als Propädeutik dem transzendentalen Begründungszusammenhang vorangehen müßte, wäre in Wahrheit ein Teil dieses Begründungszusammenhanges selbst; dessen Anfang ist aber noch nicht gefunden. Vgl. Claesges, a.a.O., S. 178 f.

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§ 8 Die Aporie der Propädeutik

Der Transzendentalphilosophie ist zur Gewinnung des Anfangs der Reihe des Dargestellten allein das Selbstverständnis des natürlichen Bewußtseins im Sinne der dritten Ebene vorgegeben. Dieses Selbstverständnis könnte die Propädeutik im Hinblick auf eine Bestimmtheit, die dem natürlichen Bewußtsein an sich zukommen soll, überspringen bzw. ignorieren. Damit aber wäre sie in einen fehlerhaften Zirkel geraten, da sie voraussetzt, was erwiesen werden soll; die Wahrheit jener anfänglichen Bestimmung^. Es scheint aber noch ein anderes Verfahren möglich: Die Propädeutik überspringt oder ignoriert das vorgegebene Selbstverständnis des natürlichen Bewußtseins nicht, sondern nimmt es auf und verhält sich zu ihm als Kritik. Der Geschichte des Selbstbewußtseins hätte zur Gewinnung des Anfangs ihrer zweiten Reihe, der des Dargestellten, eine Kritik des natürlichen Bewußtseins voranzugehen. Kritik meint primär ein methodisches Verfahren, das an einem Gegebenen ausgeübt wird (z.B. Überprüfung des Wissens hinsichtlich seines Anspruchs, wahres Wissen zu sein). Das Gegebene ist so unabhängig von der Kritik (es wird nicht durch sie gesetzt) und muß daher aufgesucht werden und als theoretischer (oder quasi-theoretischer) Zusammenhang artikulierbar sein. Dergleichen liegt nun in der Tat in der dritten Aussageebene, in mannigfachen Artikulationen des Selbstverständnisses des natürlichen Bewußtseins, vor. Die Kritik kann sich diesem Selbst Verständnis gegenüber als absoluter Skeptizismus verhalten; dann wird der zu kritisierende theoretische Zusammenhang als unwahr, als leer und nichtig, verworfen. Auf diese Weise ist aber ein Anfang der Reihe des Dargestellten nicht zu gewinnen. Es kann aber sein, daß die Kritik ein Resultat hat, das, da es durch die Kritik hindurchgegangen ist, als gerechtfertigt und ausgewiesen angesehen werden müßte. Damit läge eine „Erkenntnis" vor, die laut Voraussetzung nicht in den Zusammenhang der Theorie gehört, also eine „Erkenntnis vor der Erkenntnis" ist. Sie würde als solche der zweiten Aussageebene zuzuordnen sein. Zur Verdeutlichung des Problems ist eine Kennzeichnung interessant, die Fichte dem transzendentalen Begründungszusammenhang gibt: *Ist die Voraussetzung des Idealismus richtig, und ist in der Ableitung richtig gefolgert worden, so muß als letztes Resultat, als Inbegriff aller Bedingungen des zuerst Aufgestellten, das System aller notwendigen Vorstellungen, oder die gesamte Erfahrung herauskommen; welche Vergleichung gar nicht in der Philosophie selbst, sondern erst hinterher angestellt wird". (Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre. WW I, S.446). Zu fragen ist hier; Welche Instanz führt den Vergleich der Philosophie mit der offenbar auch unabhängig von der Philosophie vorliegenden Erfahrung durch? Der Vergleich müßte in einer Theorie erfolgen, die mit dem in der Philosophie als Inbegriff von Bedingungen Entwickelten zugleich die Gesamtheit der Erfahrung thematisiert. Die dem transzendentalen Begründungszusammenhang gestellte Aufgabe wäre also erst mit der Entwicklung einer solchen Überphilosophie gelöst.

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Drittes Kapitel

Mit dieser Auffassung der Propädeutik als Kritik des Selbstverständnisses des natürlichen Bewußtseins sind die Schwierigkeiten aber nicht beseitigt, in die die Geschichte des Selbstbewußtseins gleich zu Anfang gerät. Die Kritik bedarf der verbindlichen Maßstäbe, da ihr Resultat die Struktur und die Geltung des transzendentalen Begründungszusammenhanges wesentlich bestimmen würde. Woher aber soll sie diese Maßstäbe nehmen, da der transzendentale Begründungszusammenhang, der allein sie an die Hand geben und rechtfertigen könnte, noch nicht entwickelt ist? Außerdem liegt das zu Kritisierende in einer Fülle von Gestalten vor. Von daher müßte entweder eine Auswahl getroffen und gerechtfertigt werden, oder aber eine gewisse Vollständigkeit des Kritisierten garantiert sein. Letztlich aber ist eine Kritik, die von der Theorie getrennt ihr vorangehen will, selber ein zu kritisierendes Unternehmen°. Die Kritik des Selbstverständnisses des natürlichen Bewußtseins ist andererseits aber die einzige Form, in der über die Rückwendung der sich im Selbstbewußtsein der Selbstunterscheidung festmachenden Methode auf das ihr Vorgegebene ein Anfang der Reihe des Dargestellten gefunden werden kann. Erst mit diesem Anfang kann die Geschichte des Selbstbewußtseins in Gang kommen. Die für die Gewinnung des Anfangs der Reihe des Dargestellten notwendige Kritik des natürlichen Bewußtseins ist offenbar unmöglich, weil verbindliche Maßstäbe fehlen: Diese Situation möchte ich die Aporie der Propädeutik nennen. Diese Schwierigkeit aber, mit der eine Kritik vor der Theorie belastet ist, führt zu dem Postulat: Die Geschichte des Selbstbewußtseins hat in irgendeinem Sinn sich als Einheit von Kritik und Theorie zu realisieren^. An der Möglichkeit dieser Einheit hängt die Realisierbarkeit des Programms einer Geschichte des Selbstbewußtseins. Sie ist Bedingung ihrer Durchführbarkeit.

§ 9 Die Aporie des Prinzips Stärker noch als durch die Aporie der Propädeutik scheint das entwickelte Programm hinsichtlich seiner Durchführbarkeit durch eine zweite Aporie gefährdet, die nun dargestellt werden soll. Von den Ergebnissen der Kritik hängt der transzendentale Begründungszusammenhang im Sinne einer Voraussetzung desselben ab. Damit ist die Kritik, wie die Propädeutik bei Fichte, in einen (fehlerhaften) Zirkel einbezogen, der nicht als zu den formalen Bestimmtheiten der Theorie gehörig gerechtfertigt werden kann. “ Vgl. dazu K. Cramer, Zur formalen Struktur einer Philosophie nach Hegel, die als Kritik soll auftreten können, in: HermetieuHk umi Dialektik, Bd. 2, Tübingen 1970, S. 147—179.

§ 9 Die Aporie des Prinzips

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Die Selbstunterscheidung des reflektierenden Subjekts führt zu einem formalen Selbstbewußtsein; sie ist zugleich die Konstitution einer Aussageebene, die von den Aussageebenen, die das reflektierte (immer schon vorgegebene) Subjekt betreffen, unterschieden ist. Das Selbstbewußtsein ist, sofern es als Anfang der Reihe der Darstellung diese allererst ermöglicht, zugleich Prinzip des transzendentalen Begründungszusammenhanges, Prinzip der Geschichte des Selbstbewußtseins. Bezüglich dieser Funktion des Selbstbewußtseins besteht nun aber ein schwieriges Problem. Frühere Erörterungen der drei Aussageebenen der Transzendentalphilosophie ließen unklar, welcher theoretische Status (sozusagen) dem Prinzip und dem Prozeß seiner Selbstbestimmung und damit der ersten Aussageebene insgesamt zukommt. Zwar ergab sich aus der Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges die Forderung, daß die Erkenntnis dessen, was das reflektierte Subjekt an sich ist, zugleich und ineins diesen Charakter der Selbstbestimmung des reflektierenden Subjekts haben müsse»; ob und wie dergleichen möglich ist, ist aber noch problematisch. Das Verhältnis der ersten und zweiten Aussageebene zueinander muß daher erneut reflektiert werden. Berücksichtigt man den Ursprung der ersten Aussageebene und abstrahiert man von dem postulierten Zusammenhang der ersten mit der zweiten Ebene, so scheint die Frage nach dem theoretischen Status der ersten Ebene leicht beantwortbar zu sein. Sofern hier Selbstbestimmung vorliegt, die sich als transzendentaler Begründungszusammenhang vollzieht, hätte das Selbstbewußtsein, d.h. dasjenige, was Selbstbestimmung vollzieht, keine von der Selbstbestimmung (vom transzendentalen Begründungszusammenhang) unabhängige Existenz. Die erste Aussageebene wäre ein zu Zwecken der Erklärung erstelltes Konstrukt. Das aber ist unmöglich. Woher weiß ich, welche Bestimmungen dies sind? Die Selbstbestimmung bedarf einer Direktion. Da diese nicht gegeben ist, ist die erste Aussageebene isoliert überhaupt nicht denkbar. Welche Bestimmungen das reflektierende Subjekt sich zu geben hat, kann nur von der Bestimmtheit des reflektierten Subjekts her entschieden werden. Da die Selbstbestimmung aber einzig umwillen einer Erkenntnis dessen, was das reflektierte Subjekt an sich ist, durchgeführt wird, ist sie nichts anderes als diese Erkenntnis: Die Selbstbestimmung ist die Erkenntnis eines Ansichseins. Die zweite Aussageebene betrifft das, was das reflektierte Subjekt (das natürliche Bewußtsein) an sich oder in Wahrheit ist. Dergleichen " Vgl. oben § 5, S. 26.

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Drittes Kapitel

scheint ein an sich bestehender Gegenstand als Inbegriff von Bestimmungen und einer Erkenntnis zugänglich zu sein, die in ontologischer Einstellung vollzogen werden kann. Aber das ist unmöglich. Die gesuchten Bestimmungen sind dem Subjekt nicht abzulesen. Auf dem Weg einer direkten Thematisierung ist niemals zu entdecken, was das Subjekt an sich im Unterschied zu seinem jeweiligen Selbstverständnis ist. Diese Bestimmungen können nur so gewonnen werden, daß das reflektierende Subjekt diese Bestimmungen setzt, d.h. als seine eigenen Bestimmungen auffaßt: Die Erkenntnis des Ansichseins ist die Selbstbestimmung. So ist die Selbstbestimmung des reflektierenden Subjekts nur als Erkenntnis dessen, was das reflektierte Subjekt an sich ist, und die Erkenntnis dessen, was das reflektierte Subjekt an sich ist, nur als Selbstbestimmung des reflektierenden Subjekts möglich. Diese Aporie ist unvermeidlich. Wird ein Unterschied zwischen dem Ansich und dem Für-es des Bewußtseins gemacht, dann ist auch die Unterscheidung der drei Aussageebenen notwendig. In der Unterscheidung zwischen dem Ansich und dem Für-es des reflektierten Subjekts ist die Instanz der ersten Aussageebene impliziert, die durch die Kopernikanische Wende gesetzt ist. Die erste und zweite Ebene lassen sich also nicht isoliert betrachten. Der transzendentale Begründungszusammenhang hat vielmehr die Aufhebung der Unterschiedenheit beider Ebenen zu leisten. Da aber nicht zu sehen ist, wie dergleichen möglich sein soll, entspringt hier jene zweite Aporie, die ich Aporie des Prinzips nennen möchte, weil sie den theoretischen Status des reflektierenden Subjekts, sofern es als Selbstbewußtsein Anfang der Reihe der Darstellung ist, betrifft. Im Hinblick auf das Prinzip des transzendentalen Begründungszusammenhanges hat die Aporie die Gestalt, daß nicht zu sehen ist, wie ein und dasselbe ein bloß gesetztes Prinzip und ein vorgegebenes Dasein sein kann*^. Auch diese Aporie führt zur Formulierung eines Postulates: Der transzendentale Begründungszusammenhang muß die Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden sein. Diese Einheit ist Bedingung der Durchführbarkeit der Geschichte des Selbstbewußtseins. Die Aporie des Prinzips hängt damit zusammen, daß das transzendentale Prinzip konsequent festgehalten und nicht aus Angst vor irgendeinem „Idealismus" vorschnell eingeschränkt oder zurückgenommen wird. Dem transzendentalen Prinzip: „Die Gegenstände richten ** In dieser Gestalt ist die Aporie des Prinzips vorgebildet in der Problematik des absoluten Ich in Fichtes Crunälage lier gesamten Wissenschaftslehre. Vgl. dazu Claesges, a.a.O., S. lol ff.

§ 9 Die Aporie des Prinzips

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sich nach der Erkenntnis" steht das ontologische Prinzip gegenüber: „Die Erkenntnis richtet sich nach den Gegenständen". Das ontologische Prinzip ist totalisierbar, d.h. die Annahme, daß es uneingeschränkt gilt, enthält keinen Widerspruch, keine Absurdität. Dennoch wäre es nicht schwer, seine Unwahrheit aufzuzeigen. Demgegenüber ist das transzendentale Prinzip nicht totalisierbar. Zumindest die erkennende Instanz selber muß von der Art sein, daß sie nicht nur hinsichtlich ihres Daseins, sondern auch hinsichtlich ihrer Bestimmtheit nicht eine durch ihre eigene Erkenntnis erst gesetzte Gegenständlichkeit ist. Diese Einsicht kann dazu verführen, den Geltungsbereich des transzendentalen Prinzips auf bestimmte Gegenstände einzuschränken und bezüglich anderer Gegenstände die Geltung des entgegengesetzten, des ontologischen Prinzips zu behaupten. Das ist in der transzendentalen Ontologie W. Cramers geschehen. Innerhalb ihrer tauchen aber bestimmte ontologische Aporien wieder auf'o. Es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten, die Absurdität einer totalen Geltung des transzendentalen Prinzips zu vermeiden, auch solche, die nicht zu einer Restauration der Ontologie führen. Kant selber ist hier das beste Beispiel. Die Aporie des Prinzips der Geschichte des Selbstbewußtseins, wie ich sie entwickelt habe, hängt damit zusammen, daß auch für die transzendentalphilosophische Erkenntnis selber das transzendentale Prinzip in Ansatz gebracht wird; denn nichts anderes bedeutet die Etablierung der ersten Aussageebene. Da dies Subjekt in der Selbstunterscheidung gesetzt wird, ist es nichts, was hinsichtlich seiner Struktur Gegenstand einer in ontologischer Einstellung vollziehbaren Erkenntnis wäre. Da es gleichwohl „Gegenstand" der Theorie ist, ergibt sich eben die Notwendigkeit, jene transzendentale Annahme auch für das reflektierende Subjekt als gültig anzusehen. Das bedeutet in gewisser Weise nun doch eine Totalisierung des transzendentalen Prinzips, sofern angenommen wird, daß dieses auch für diejenige Erkenntnis gilt, in der das erkennende Subjekt selber erkannt wird, d.h. sich selber erkennt, also gerade auch für die Erkenntnis, die nach Gramer Ontologie sein muß. Der von mir als Idee, als Programm, entwickelte transzendentale Begründungszusammenhang vermeidet die Absurdität einer totalen Geltung des transzendentalen Prinzips nicht dadurch, daß dieses auf bestimmte Gegenstände eingeschränkt wird, sondern dadurch, daß er, folgendes zeigt: Das im transzendentalen Begründungszusammenhang dargestellte Sich-Richten der Gegenstände nach der Erkenntnis ist zugleich die einzig mögliche Art, wie sich die Erkenntnis nach den Gegenständen Vgi. P. Reisinger, a.a.O., S. 50 ff. und oben § 6, S. 26 ff.

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Drittes Kapitel

richtet bzw. richten kann. Das total gesetzte transzendentale Prinzip wird durch das total gesetzte ontologische Prinzip relativiert, was als transzendentaler Begründungszusammenhang und in ihm geschieht und allein in ihm geschehen kann. Dies mag - so abstrakt formuliert ein unvollziehbarer Gedanke scheinen; dennoch ist es m.E. der Grundgedanke der Hegelschen Dialektik. Ich möchte im folgenden versuchen, den Beweis dafür zu erbringen. Durch die beiden Aporien und durch das, was zur Lösung dieser Aporien postuliert wird: die Einheit von Kritik und Theorie und die Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis des Ansichseienden, hat die Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges, der „Geschichte des Selbstbewußtseins", sich entscheidend gewandelt. Sie hat den reflexionsphilosophischen Rahmen, dem sie entstammt, bereits durchbrochen“. Damit müssen Beweisabsicht und Beweisstruktur neu formuliert werden. Die grundlegenden Unterscheidungen, die mit den entwickelten drei Aussageebenen Zusammenhängen, werden aber (evtl, modifiziert, was noch nicht zu übersehen ist) in Geltung bleiben. Mit den bisherigen Erörterungen ist nun der systematische Ausgangspunkt für eine Interpretation von Hegels Phänomenologie des Geistes hinsichtlich ihrer Beweisabsicht und ihrer Beweisstruktur gewonnen. Die Phänomenologie des Geistes - das ist meine These - läßt sich als ein Begründungszusammenhang verstehen und darstellen, der die Einheit von Kritik und Theorie ebenso realisiert, wie die Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis des Ansichseins. Daß die Phänomenologie des Geistes die Einheit von Kritik und Theorie darstellt, die Aporie der Propädeutik in ihr also gelöst ist, ist dabei verhältnismäßig leicht zu zeigen. Wesentlich schwieriger scheint dagegen zu sein, nachzuweisen, daß in ihr auch die Aporie des Prinzips gelöst ist.

** Nicht durchbrochen ist der reflexionsphilosophische Rahmen, wenn die Einheit von Prinzip und Faktum als „Gegenständlichkeit" gesetzt und das in dieser Setzung Implizierte entwickelt wird. Vgl. N. Meder, a.a.O., S. 14 ff.

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Zweiter Abschnitt

ERSTER BEGRIFF EINER DARSTELLUNG DES ERSCHEINENDEN WISSENS. DIE WISSENSCHAFT DER ERFAHRUNG DES BEWUSSTSEINS

V'iertes Kapitel DARSTELLUNG ALS KRITIK. DIE AUFTRETENDE WISSENSCHAFT § 10 Drei Positionen Hegel beginnt den Gedankengang in seiner Einleitung zur Phänomenologie des Geistes mit einer ironischen Kritik an der Reflexionsphilosophie und ihrer Erkenntnistheorie. Diese Kritik kann im Sinne meines systematischen Ansatzes als Kritik am Auseinanderfallen von Kritik und Theorie angesehen werden. Zugleich machen die ersten Absätze der Einleitung deutlich, daß es kein Zurück hinter den Standpunkt des reflexionsphilosophischen Skeptizismus gibt. Hegel nennt im 4. Absatz das von ihm bisher in polemischer Absicht Referierte „Vorstellungen und Redensarten, wodurch die Wissenschaft selbst abgewehrt werden soll" (PhG 66). Diese Vorstellungen werden insgesamt eine „leere Erscheinung des Wissens" (PhG 66) genannt und es wird von ihr behauptet, daß sie vor der „auftretenden Wissenschaft" „unmittelbar verschwindet" (PhG 66). Ganz so günstig, wie es zunächst den Anschein hat, ist die Position der auftretenden Wissenschaft gegenüber dem reflexionsphilosophischen Skeptizismus aber nicht: „Aber die Wissenschaft darin, daß sie auftritt, ist sie selbst eine Erscheinung; ihr Auftreten ist noch nicht sie in ihrer Wahrheit ausgeführt und ausgebreitet" (PhG 66). So sind mit einem Schlag drei Positionen oder Instanzen benannt, deren Verhältnis zueinander genau bestimmt werden muß: (1) eine leere Erscheinung des Wissens; (2) die auftretende Wissenschaft, die selber eine Erscheinung ist; (3) die Wissenschaft in ihrer Wahrheit ausgeführt und ausgearbeitet (als „Vollgestalt"). Gegenüber (3) sind (l)

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Viertes Kapitel

und (2) offenbar durch ein Modus von Unwahrheit definiert, der zugleich für ihren Erscheinungscharakter verantwortlich zu sein scheint. Es wird darauf ankommen, den hier zugrunde liegenden Wahrheitsbegriff zu bestimmen!. Werden die reflexionsphilosophischen Vorstellungen auf die Vollgestalt der Wissenschaft bezogen, so sind sie - das scheint einleuchtend - unmittelbar verschwunden, weil widerlegt, ihrer Unwahrheit überführt. Zwei Fragen drängen sich allerdings hier auf: Wie muß die Vollgestalt der Wissenschaft beschaffen sein, damit vor ihr die leere Erscheinung unmittelbar verschwindet? ln welchem Sinn von „Erscheinung" sind sie dennoch eine (leere) Erscheinung des Wissens, d.h. der Wissenschaft? Von der Wissenschaft in ihrer Vollgestalt wird die auftretende Wissenschaft unterschieden. Zwischen ihr und jenen „Vorstellungen und Redensarten" findet die Konfrontation statt. Daher wird die Behauptung, daß die leere Erscheinung des Wissens vor der auftretenden Wissenschaft unmittelbar verschwinde, sofort zurückgenommen. Die auftretende Wissenschaft, d.h. die Wissenschaft in ihrer anfänglichen Bestimmtheit^, in der Bestimmtheit, in der sie erstmalig als Wissenschaft da ist, wird offenbar im Hinblick auf die Vollgestalt selber eine Erscheinung genannt. Hegel selbst bietet zwei gleichwertige Möglichkeiten an, den Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft zu verstehen, ln bezug auf die auftretende Wissenschaft könne man sagen, sie sei die Erscheinung, weil sie neben anderem auftritt, oder jenes andere Wissen sei ihr Erscheinen, ihre Erscheinung. Die Frage nach dem genauen Sinn des Erscheinungscharakters der auftretenden Wissenschaft muß an dieser Stelle noch offen bleiben. Es gilt zunächst, die Situation zu reflektieren, in der sich die auftretende Wissenschaft als Erscheinung neben anderen Erscheinungen vorfindet. Mit dieser Situation kann sich die auftretende Wissenschaft nicht abfinden: „Die Wissenschaft muß sich aber von diesem Scheine befreien; und sie kann dies nur dadurch, daß sie sich gegen ihn wendet" (PhG 66). Hegel nennt das im Begriff der Erscheinung implizierte Moment von Unwahrheit „Schein". Der aufzuhebende Schein besteht darin, daß die auftretende Wissenschaft eine unter vielen Positionen mit gleichwertigem Anspruch ist, wahres Wissen zu sein. Die Aufhebung des Scheins besteht darin, daß sich die auftretende Wissenschaft als Kritik verhält; sie rechtfertigt ihren eigenen Anspruch ineins und in dem Maße, wie sie die anderen Positionen ihrer Unwahrheit ' Vgl. unten § 11, S. 50. ^ Vgl. auch'PhG 17.

§ 11 Der Begriff der Ersscheinung

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überführt. Dies geschieht als „Darstellung des erscheinenden Wissens" (PhG 66)3. Der für die Methode (Beweisstruktur) der PhG zentrale Begriff des erscheinenden Wissens ist hier gewonnen und eingeführt in einer Reflexion, welche die auftretende Wissenschaft mit den neben ihr vorhandenen Positionen einerseits, mit der Idee der ausgeführten Wissenschaft andererseits, konfrontiert. Das erscheinende Wissen ist noch nicht die Wissenschaft selber (in ihrer Vollgestalt), aber auf sie bezogen, wobei die auftretende Wissenschaft offenbar eine vermittelnde Rolle übernommen hat. Die mit dem Auftreten der Wissenschaft gegebene Situation ist durch die Diskrepanz zwischen ihr und der ausgeführten Wissenschaft gekennzeichnet. Da die ausgeführte Wissenschaft als solche noch nicht da ist, muß jene Diskrepanz als Bestimmtheit der auftretenden Wissenschaft gesetzt werden. Mit den bisherigen Ausführungen ist zwar die Aufgabe der PhG vorläufig benannt, zwei entscheidende Fragen stellen sich aber sofort: (l) Welches ist die Bestimmtheit, die der Wissenschaft in ihrem Auftreten zukommt? (2) Wieso kann die auftretende Wissenschaft aufgrund eben dieser ihrer Bestimmtheit „Erscheinung" genannt werden? Die Beantwortung der ersten Frage, die m. W. so bisher nie - auch von Hegel nicht - gestellt wurde, wird noch einige Überlegungen in Anspruch nehmen. Die zweite Frage setzt in der gegebenen Formulierung zwar die Beantwortung der ersten voraus, in einem allgemeineren Sinn läßt sich der Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft auch ohne die Beantwortung der ersten Frage genauer bestimmen. Man kann bestreiten, daß die erste Frage überhaupt eine sinnvolle ist. In der Tat setzt sie eine bestimmte Interpretation jener Stelle voraus, an der Hegel zwei gleichwertige Möglichkeiten, den Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft zu verstehen, anbietet. Worin also besteht der Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft? Ist sie wirklich ein Drittes gegenüber den beiden anderen Instanzen? § 11 Der Begriff der Erscheinung Die auftretende Wissenschaft hat Erscheinungscharakter. Um den hier zugrunde gelegten Erscheinungsbegriff zu klären, ist es notwendig, den in ihm als Moment implizierten Modus von Unwahrheit über den leitenden Wahrheitsbegriff zu bestimmen. Dieser Wahrheitsbegriff ^ Die auftretende Wissenschaft sieht sich zunächst offenbar der Reflexionsphilosophie gegenüber — so wird ihr Begriff erstnnalig eingeführt — ; es ist aber Idar, daß sie ihre Kritik allen neben ihr auftretenden Wahrheitsansprüchen zuzuwenden hat.

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Viertes Kapitel

liegt wohl auch der Rede von der in ihrer „Wahrheit" ausgeführten Wissenschaft zugrunde. Hegel verwendet einen „ontologischen" Wahrheitsbegriff'*, der bereits benutzt wird, um die These zu rechtfertigen: Das Absolute allein ist wahr und das Wahre allein ist absolut (PhG 65). Im Sinne dieses Wahrheitsbegriffs bedeutet die Unterscheidung wahr - falsch: Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung von Begriff und Realität (wahres Gold - falsches Gold). Diese Unterscheidung kann auch als die zwischen Erfüllung und Nichterfüllung eines im unmittelbaren Auftreten oder sich Darbieten von Etwas gelegenen Anspruchs verstanden werden. Falsches Gold ist Gold nur dem Anspruch nach: es stellt durch sein Aussehen den Anspruch, Gold zu sein, seine Farbe ist die des Goldes; so hat die irrtümliche Benennung „Dies ist Gold" ein fundamentum in re. Werden diese Verhältnisse aus dem dinglichen Bereich auf den des Wissens übertragen, so ergibt sich die Unterscheidung zwischen Wissen bloß dem (unerfüllten) Anspruch nach und einem Wissen, das den Anspruch (der als Anspruch eben auch das unwahre Wissen als solches definiert) tatsächlich erfüllt: wahres Wissen. Nennt man ein in diesem Sinne unwahres Wissen „erscheinend", „Erscheinung", dann kann auch die auftretende Wissenschaft „Erscheinung" genannt werden wegen der Unerfülltheit ihres Anspruchs, wahres Wissen, das wahre Wissen, zu sein. Das den Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft bestimrriende Moment von Unwahrheit ist also ihre Unausgeführtheit: ihr Anspruch ist (noch) nicht eingelöst. Bezüglich des Erscheinungscharakters der auftretenden Wissenschaft besteht eine interessante Kontroverse zwischen Fulda^ und Punteh. Die Kontroverse bezieht sich auf die schon herangezogene Stelle: „Es ist hiebei gleichgültig sich vorzustellen, daß sie die Erscheinung ist, weil sie neben anderem auftritt, oder jenes andere unwahre Wissen ihr Erscheinen zu nennen" (PhG 66). Fulda macht, was vom Thema seines Buches her verständlich ist, den Einleitungsgesichtspunkt stark: „Es ist daher eigentlich nicht die Unausgeführtheit der Wissenschaft, die die Darstellung des erscheinenden Wissens notwendig macht, sondern der unbedingte Wahrheitsanspruch, der jedem Wissen innewohnt und er* Zum Wahrheitsbegriff vgl. M. Theunissen, Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs in: Seminar: Dialektik in Aer Philosophie Hegels. Hrsg. v. R. P. Horstmann, Frankfurt 1978, S. 324—358. Vgl. ferner R. Aschenberg, Der Wahrheitsbegriff in Hegels «Phänomenologie des Geistes", in: Die ontologische Option. Hrsg. v. K. Hartmann, Berlin 1976, S. 211—312. 5 H. F. Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft Aer Logik. Frankfurt 1965. ® B. L. Puntel, Darstellung, MethoAe unA Struktur. Untersuchungen zur Einheit Aer systematischen Philosophie G. W. F. Hegels. Bonn 1973.

§ 11 Der Begriff der Erscheinung

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fordert, daß es in ihm selbst seiner Unwahrheit überführt wird. Die Wissenschaft hat für ein unwahres Wissen den Anschein, nur eine Erscheinung zu sein. Sie muß sich davon befreien und kann es nur, indem sie sich gegen ihn wendet"^. Der Erscheinungscharakter der (auftretenden) Wissenschaft ist nach Fulda also ein bloßer Anschein, der für ein unwahres Wissen sich darbietet, sie als sie selbst aber nicht betrifft. Dann aber könnte die Darstellung des erscheinenden Wissens in keinem Sinn zugleich das Werden der Wissenschaft selber sein®. Diese Interpretation wird von Puntel angegriffen: Der Erscheinungscharakter der (auftretenden) Wissenschaft könne nicht allein in der Ansicht liegen, die das unwahre Wissen von der Wissenschaft hat. Puntel schreibt: „Als Erscheinung ist die Wissenschaft unausgeführt, und dies bedeutet: sie ist noch unwahres Wissen. Sagt man aber, daß die Wissenschaft selbst als Erscheinung neben dem unwahren Wissen auftritt, so ist diese Ausdrucksweise inadäquat, denn hier wird die Wissenschaft nur antizipierend angesprochen, d.h. sie wird als noch nicht ausgeführt und damit als noch nicht wirkliche Wissenschaft vorgestellt; wird sie aber ausgeführt, so bedeutet dies gerade, daß sie das Moment des unwahren Wissens als ihr eigenes Moment erweist und es damit in seiner Unwahrheit aufhebt"’. Und nachdem er die genannte Stelle der Einleitung noch einmal zitiert hat, erklärt Puntel: „Wenn also gesagt wird, daß die Wissenschaft eine Erscheinung ist, weil und indem sie noch nicht ausgeführt ist, so bedeutet dies, daß sie das unwahre Wissen selbst ist. Die Ausführung der Wissenschaft besteht darin, daß das unwahre Wissen oder Bewußtsein seiner Unwahrheit überführt wird"i°. Aber auch Puntels Interpretation der Stelle ist nicht korrekt. Vergleicht man seine Auffassung mit der Fuldas, so zeigt sich: Er hat sich für die andere Seite einer bloß scheinbar bestehenden Alternative entschieden. Entweder die Wissenschaft ist von Anfang an da; dann betrifft ihr Erscheinungscharakter allein den Anschein, den sie für anderes, das unwahre Wissen, hat (Fulda); oder die Wissenschaft ist erst am Ende da; dann ist das unwahre Wissen selber die Erscheinug der Wissenschaft (Puntel). „Auftretende Wissenschaft" ist im zweiten Fall nur ein Name, der den gegebenen Positionen des unwahren Wissens im Fiinblick auf die nicht daseiende (auch nicht „auftretende"), sondern nur „antizipierte" (Puntel) Wissenschaft zukommt. Mit dieser Auffassung gerät man aber sofort in große Schwierigkeiten. Es bleibt dann nämlich ^ Fulda, a.a.O., S. 298 f. * Vgl. unten § 28, S. 110 ff. ’ Puntel, a.a.O., S. 311, Puntel, a.a.O., S. 311.

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Viertes Kapitel

nichts anderes übrig, als eine Reihe von zentralen Äußerungen Hegels bezüglich der Aufgabe der PhG bestenfalls rein metaphorisch zu nehmen. Das betrifft zunächst einmal das „Auftreten" der Wissenschaft selbst „neben" anderen Positionen: Puntel nennt diese Ausdrucksweise „inadäquat"''. Aber auch folgenden Satz muß Puntel rein metaphorisch nehmen: „Die Wissenschaft muß sich aber von diesem Scheine befreien; und sie kann dies nur dadurch, daß sie sich gegen ihn wendet" (PhG 66). Auch diese Ausdrucksweise wäre „inadäquat": Da die Wissenschaft gar nicht da ist, auch nicht als auftretende, kann sie sich auch nicht gegen irgendetwas wenden. Aus dem, was jener Satz ausdrückt, ergibt sich aber unmittelbar die Bestimmung der Aufgabe der PhG als Darstellung des erscheinenden Wissens. Sollte auch dies eine inadäquate Ausdrucksweise sein? Die hier entstehende Frage ist - und das wird uns noch öfter begegnen - nicht allein philologisch, sondern nur sachlich zu entscheiden: In der Gleichsetzung der unausgeführten Wissenschaft als Erscheinung mit dem unwahren Wissen selbst beseitigt Puntel genau die Differenz, die die Darstellung des erscheinenden Wissens allererst ermöglicht: die Differenz zwischen der auftretenden Wissenschaft (als Erscheinung) - eine Instanz, die darstellt - und dem unwahren Wissen (als Erscheinung) - ein Gegenstand, der dargestellt wird. Die zwischen Fulda und Puntel verhandelte Alternative ist falsch; es gibt nämlich ein Drittes: die auftretende Wissenschaft selbst, als eine Position neben anderen Positionen bestimmbar, aber so, daß sie aufgrund ihrer Bestimmtheit, unangesehen ihres Erscheinungscharakters, in der Eage ist, die Darstellung des erscheinenden Wissens zumindest zu beginnen'2. Mit diesen Überlegungen ist die früher aufgestellte These, die auftretende Wissenschaft sei eine selbständige Instanz gegenüber der Wissenschaft in ihrer Vollgestalt einerseits und dem unwahren Wissen andererseits, noch nicht endgültig gerechtfertigt. Denn dazu muß man angeben, worin die Bestimmtheit der auftretenden Wissenschaft im Unterschied zu den anderen Postitionen des unwahren Wissens besteht. Die Antwort auf diese Frage kann hier noch nicht gegeben

" Puntel, a.a.O., S. 311. Zu der Kontroverse zwischen Fulda und Puntel vgl. auch J. Heinrichs, Die Logik der Phänomenologie des Cßeistes. Bonn 1974. Heinrichs versteht die entsprechenden Aussagen Hegels so, daß die bereits fertige Wissenschaft sich auf den Bereich der Erscheinungen einläßt um ihrer „Ausführung" und „Ausbreitung" im intersubjektiven Sinne „willen" (S. 10). Auch nach Heinrichs ist der Erscheinungscharakter, d.h. die Unausgeführtheit der Wissenschaft, nichts, was diese selbst betrifft. Er verbleibt damit innerhalb der Alternative und steht dort auf der von Fulda vertretenen Seite.

§ 12 Die Einheit von Kritik und Theorie

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werdeni^. Hier sei nur noch dies gesagt: Die Unausgeführtheit der Wissenschaft ist ein ebenso uneingelöster Wahrheitsanspruch, wie er bezüglich des unwahren Wissens neben der auftretenden Wissenschaft behauptet werden muß. So ergibt sich ein einheitlicher Sinn von Erscheinung: Wahrsein nur dem (unerfüllten) Anspruch nach.

§ 12 Die Einheit von Kritik und Theorie Die auftretende Wissenschaft verhält sich als Kritik zu den neben ihr vorfindlichen Positionen des erscheinenden Wissens; sie befreit sich von dem Schein, eine Position unter vielen anderen zu sein, indem sie sich gegen ihn wendet: dies geschieht als Dastellung des erscheinenden Wissens. Im 6. Abschnitt der Einleitung (PhG 67 f.) wird nun das Resultat einer solchen Kritik bestimmt. Sofern eine solche Kritik nacheinander an mehreren Positionen ausgeübt wird, ergibt sich eine (begründete) Reihenfolge: ein Weg (PhG 67). Bevor jedoch auf den Gedanken des Weges eingegangen werden kann, muß vorläufig geklärt sein, zu welchem Resultat die Kritik einer Position des erscheinenden Wissens führt. „Das natürliche Bewußtsein wird sich erweisen, nur Begriff des Wissens oder nicht reales Wissen zu sein" (PhG 67)Hegel bestimmt das Resultat der Kritik mit der zunächst merkwürdigen Entgegensetzung: Begriff - Realität. Etwas kann offenbar dem Begriff nach Wissen sein, ohne es auch der Realität nach zu sein: es ist nur Begriff des Wissens. Der Gebrauch des Begriffspaares Begriff - Realität entspricht dem früher eingeführten ontologischen Wahrheitsbegriff. Reales Wissen ist wahres Wissen; dann ist etwas, was nur dem Begriff nach Wissen ist, unwahres Wissen. In irgendeiner Weise entspricht aber auch das unwahre Wissen - umgekehrt formuliert - dem Begriff des Wissens: es ist aber nur Begriff des Wissens. Das natürliche Bewußtsein ist nur Begriff des Wissens. Aber es ist noch mehr: „Indem es aber unmittelbar Zur Frage nach der anfänglichen Bestimmtheit der auftretenden Wissenschaft hat sich —wenn ein Vorgriff erlaubt ist — die Frage nach dem Prinzip der Geschichte des Selbstbewußtseins gewandelt. Zur Notwendigkeit einer Unterscheidung des schon im vorigen Abschnitt als Begriff eingeführten natürlichen Bewußtseins von dem Begriff des erscheinenden Wissens vgl. W. Marx, Hegels Phänomenologie äes Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede" und „Einteilung“, Frankfurt 1971. Die genannte Unterscheidung — von Hegel nicht immer beachtet — ist von der Art, daß sie zunächst vernachlässigt werden kann; zur endgültigen Klärung des Verhältnisses der beiden Begriffe vgl. unten § 17, S. 70 ff.

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Viertes Kapitel

sich vielmehr für das reale Wissen hält, so hat dieser Weg [der Kritik -U.C.] für es negative Bedeutung, und ihm gilt vielmehr für Verlust seiner selbst, was die Realisierung des Begriffs ist; denn es verliert auf diesem Wege seine Wahrheit" (PhG 67). Indem das natürliche Bewußtsein sich selber für das reale Wissen hält, ist bereits eine doppelte Hinsicht gegeben, unter der das Resultat der Kritik betrachtet werden muß. Es gibt zwei verschiedene Standpunkte in bezug auf das natürliche Bewußtsein. Ein erster Standpunkt kann durch zwei Aussagen gekennzeichnet werden: (a) Das natürliche Bewußtsein ist nur Begriff des Wissens; (b) das natürliche Bewußtsein hält sich selbst für das reale Wissen. Die Aussage (b) dieses Standpunktes ist aber nur möglich, wenn es einen zweiten, unterschiedenen Standpunkt gibt, der durch die Aussage gekennzeichnet ist: Ich bin das reale Wissen. So ergibt sich schon an dieser Stelle die Doppelung der Standpunkte in bezug auf das natürliche Bewußtsein. Der erste Standpunkt ist der der Darstellung; für ihn gilt: Das natürliche Bewußtsein ist nur Begriff des Wissens. Der zweite Standpunkt ist der des natürlichen Bewußtseins selber: Das natürliche Bewußtsein ist für es selber reales Wissenis. Von dem entsprechenden doppelten Standpunkt aus wird nun angesehen, was auf dem Weg der Kritik geschieht: Der Weg als Kritik ist (l) für das natürliche Bewußtsein selbst der Verlust seiner selbst: es verliert seine Wahrheit; (2) für die Darstellung aber die Realisierung des Begriffs. Realisierung des Begriffs kann in bezug auf das natürliche Bewußtsein nur heißen: es wird in seine Wahrheit gebracht, die aber eine andere ist, als es meinte. Der Weg wird dann ein „Weg der Verzweiflung" genannt und von ihm gesagt: „Sondern er ist die bewußte Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens, dem dasjenige das Reellste ist, was in Wahrheit vielmehr nur der nicht realisierte Begriff ist" (PhG 67). Auch bezüglich des Resultates der Kritik ist der doppelte Standpunkt zu beachten. Der Weg, d.h. die Darstellung des erscheinenden Wissens, ist die bewußte Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens; das bedeutet: Ein bestimmter Inhalt ist (1) für das natürliche Bewußtes Die Doppelung der Standpunkte, von Hegel an dieser Stelle eingeführt, ist für die PhG entscheidend. Diese Doppelung, die sich für uns bereits bei der Ausarbeitung des transzendentalen Begründungszusammenhanges ergeben hatte, ist aber bisher von keinem Interpreten konsequent beachtet worden. Vgl. dazu auch WdL I, 16. Heinrichs (a.a.O.) glaubt, in der PhG drei Standpunkte unterscheiden zu müssen: „1. der Standpunkt des Autors (Standpunkt der Wissenschaft) — 2. der Standpunkt des Lesers (des zeitgenössischen Bewußseins) — 3. der Standpunkt des jeweiligen natürlichen Bewußtseins' (S. 13). Diese Dreiteilung, die am Text der PhG keinen Anhalt hat, steht im Dienst des Vorhabens, die „Logik der Phänomenologie des Geistes" zu entdecken. Deshalb soll an anderer Stelle darauf eingegangen werden. Vgl. unten § 32, S. 134 ff.

§12 Die Einheit von Kritik und Theorie

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sein als das erscheinende Wissen das Reellste; (2) in Wahrheit aber, d.h. für die Darstellung, nur der nicht realisierte Begriff. Folgende Fragen stellen sich angesichts des bisher Dargelegten: (1) Welche Bestimmung wird von Fdegel „Begriff des Wissens" genannt so, daß das unwahre, „erscheinende" Wissen „nur" Begriff des Wissens, wahres Wissen aber die Realisierung dieses Begriffs ist? (2) Wieso kann für das natürliche Bewußtsein der Verlust seiner Wahrheit (= Realisierung des Begriffs) der Verlust seiner selbst sein? Ist das natürliche Bewußtsein identisch mit dieser Wahrheit? (3) Sind natürliches Bewußtsein und erscheinendes Wissen dasselbe oder sind sie unterschieden? Was ist dann aber ihr Unterschied? Ich bin in den einleitenden Überlegungen zur Feststellung der Beweisabsicht der PhG davon ausgegangen, daß die PhG die Einheit von Theorie und Kritik realisieren soll. Überlegungen, die K. Gramer in seiner Abhandlung*® anstellt, sind durchaus geeignet, den Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft nun noch genauer zu bestimmen. Alle Erscheinung zu nennenden Positionen des unwahren Wissens haben sich einer Kritik zu unterziehen. Nun ist aber auch die auftretende Wissenschaft eine Erscheinung, d.h. in gleichem Sinne unwahr. Von daher hat auch sie selbst, so kann man folgern, sich einer Kritik zu unterziehen. Wer kritisiert hier und wie sieht diese Kritik aus? Während durchaus gesagt werden kann, daß die auftretende Wissenschaft es selber ist, die die anderen Gestalten des erscheinenden Wissens prüft und kritisiert, wobei noch offen bleiben muß, wie dies geschieht, bedeutet die Forderung der Kritik für die auftretende Wissenschaft die Forderung nach einer kritischen Selbstprüfung, nach Selbstkritik. Sofern für die auftretende Wissenschaft die Ausführung ihrer selbst die Realisierung der Wissenschaft als Einheit von Theorie und Kritik (Darstellung des erscheinenden Wissens) ist, ist diese Ausführung identisch mit ihrer Selbstprüfung; „Da jedes Moment ihres Inhalts nur unter der Bedingung Moment ist, kritisch überprüft zu sein, ist einzig ihre genetische Selbstbestimmung das, was hier kritische Selbstprüfung heißen kann"'^. Der Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft ist also dadurch bestimmt, daß die Kritik ihrer Unwahrheit (die für ihren Erscheinungscharakter verantwortlich ist) identisch ist mit ihrer „Ausführung", während für alle anderen Positionen des erscheinenden Wissens die Kritik ihrer Unwahrheit identisch ist mit dem Verlust ihrer selbst.

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Vgl. K. Gramer, Zur formalen Struktur..., a.a.O. K. Gramer, Zur formalen Struktur..., a.a.O., S. 149

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Fünftes Kapitel DARSTELLUNG ALS WEG § 13 Der Doppelcharakter des Weges Darstellung des erscheinenden Wissens ist ein präziser Titel für die Aufgabe der PhG. Aber er scheint eine Einschränkung ihres Wissenschaftscharakters zu bedeuten; die Darstellung des erscheinenden Wissens scheint „nicht die freie, in ihrer eigentümlichen Gestalt sich bewegende Wissenschaft zu sein" (PhG 66 f.)- Im Gegensatz zu einer solchen Wissenschaft wird die Darstellung des erscheinenden Wissens „der Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt" (PhG 67) genannt. Genauer: er kann von „diesem Standpunkt" so genommen werden. Über den genauen Charakter der PhG als Wissenschaft wird, abgesehen von den einleitenden Bemerkungen, später entschieden. An dieser Stelle sei nur die Bestimmung aufgenommen, die besagt; Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist der Weg des natürlichen Bewußtseins zur Wissenschaft. Daß die Darstellung des erscheinenden Wissens, sofern es mehrere Gestalten desselben gibt, unter ihnen eine Reihenfolge zu bestimmen hat, die ein Weg genannt werden kann, ist bereits klargestellt. Angesichts der aufgenommenen Bestimmung ergeben sich nun aber zwei schwierige Fragen: (l) In welchem Verhältnis steht das natürliche Bewußtsein, das hier den Weg geht oder zu gehen scheint^, zu dem erscheinenden Wissen, das dargestellt wird? (2) Ist der Weg die Darstellung und die Darstellung der Weg? Oder ist vielleicht der Weg der Gegenstand der Darstellung, also nicht die Darstellung selbst, sondern das Dargestellte? Zunächst kann eine Antwort auf die zweite Frage gegeben werden. Wenn man annimmt, der Weg sei Gegenstand der Darstellung, so folgt, daß es den Weg unabhängig von der Darstellung gibt, das natürliche Bewußtsein den Weg unabhängig von der Darstellung „geht". In dieser Annahme ist nun zweierlei impliziert: (l) Das natürliche Bewußtsein I Man kann versuchen, den Begriff des natürlichen Bewußtseins über eine Paraphrase der Begriffe ,Natur" und „natürlich" zu bestimmen (vgl. W. Marx, a.a.O., S. 21 f.). Ich muß hier an meine Bestimmung des natürlichen Bewußtseins im Rahmen der Ausarbeitung der Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges erinnern; Das natürliche Bewußtsein ist dasjenige Bewußtsein (im weitesten Sinn), das nicht auf dem Standpunkt der Theorie steht. Vgl. oben § 3, S. 18.

§ 13 Der Doppelcharakter des Weges

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verändert sich von Stufe zu Stufe oder von Gestalt zu Gestalt; diese Veränderung ist es, was Weg genannt wird. (2) Das natürliche Bewußtsein bleibt mit sich identisch, denn sonst könnte von ihm nicht gesagt werden, daß es selbst den Weg geht oder - wie Hegel sagt - zum wahren Wissen dringt. Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet; Wie muß das natürliche Bewußtsein bestimmt sein, damit es unbeschadet seiner Identität sich von Wegabschnitt zu Wegabschnitt verändern kann und zugleich unbeschadet seiner mehrfachen Veränderung identisch bleiben kann? Ein Blick auf die Reihenfolge der Gestalten innerhalb der PhG selbst aber zeigt, daß es unmöglich sein dürfte, ein in aller Veränderung identisches natürliches Bewußtsein anzunehmen und interpretativ durchzuhalten, das als dieses Identische den Weg von der sinnlichen Gewißheit über Vernunft und Geist zum absoluten Wissen geht^. Wenn die angezogene Stelle aber nicht so zu verstehen ist, in welchem Sinn ist dann die Darstellung des erscheinenden Wissens ein Weg des natürlichen Bewußtseins? Die Bestimmung, ein Weg zu sein, ist für die PhG offenbar wesentlich. Deshalb hängt ein Verständnis der PhG von einer befriedigenden Antwort auf diese Frage ab. Die Feststellung: „Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist der Weg des natürlichen Bewußtseins" wird im nächsten Absatz der Einleitung durch eine weitere Bestimmung ergänzt, wodurch die Sachlage noch unübersichtlicher wird: „Die Reihe seiner Gestaltungen, welche das natürliche Bewußtsein auf diesem Wege durchläuft, ist vielmehr die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft" (PhG 67). „Die Reihe seiner Gestaltungen, welche das Bewußtsein auf diesem Wege durchläuft" ist offenbar eine Kennzeichnung, eine andere Benennung, für das schon Entwickelte, für die Darstellung des erscheinenden Wissens qua Weg des natürlichen Bewußtseins. Hereingenommen in diese Kennzeichnung ist das, was im vorangehenden Kapitel schon entwickelt wurde: der Doppelaspekt der Kritik und ihres Resultates^. Das schon Bekannte erhält also die neue Bestimmung: „ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft". Diese Bestimmung wird eingeführt in Entgegensetzung zu einer Position, welche glaubt, den Standpunkt der Wissenschaft ein für allemal durch einen Vorsatz bzw. dessen Realisierung erreichen zu können (Schelling). Was besagt nun jene neue Bestimmung? Der Terminus Geschichte ist doppeldeutig, worauf geachtet 2 Wenn man immer wieder Bruchstellen in der PhG zu entdecken glaubt, gar annimmt, sie gehe auf kein einheitliches Konzept zurück, dann scheint man implizit von der These auszugehen, die PhG müsse die Darstellung eines solchen .einheitlichen" Weges sein. ^ Vgl. oben § 12, S. 54 f.

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Fünftes Kapitel

werden muß, wenn er im Umkreis der Transzendentalphilosophie seit Kant auftaucht. „Geschichte" kann meinen die res gestae, aber auch die historia rerum gestarum. Das Attribut „ausführlich" zeigt nun, daß „Geschichte" historia rerum gestarum meint: die Erzählung der Taten und Leiden des Bewußtseins kann ausführlich genannt werden, nicht aber können es jene Taten und Leiden selbst. Die Geschichte der Bildung (historia) muß von der Bildung selbst als einem geschichtlichen Prozeß (res gestae) unterschieden werden. Auch die Bildung selbst ist ein Weg, aber nicht der Weg, der „Geschichte der Bildung" genannt werden kann; die res gestae sind unabhängig von der historia rerum gestarum vorhanden“*. Die Darstellung des erscheinenden Wissens wäre demnach die Darstellung (historia) eines unabhängig von ihr vorhandenen Bildungsprozesses des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft. Die neben der auftretenden Wissenschaft vorhandenen und zu kritisierenden Positionen des unwahren Wissens gehören offenbar von ihnen selbst her in einen Zusammenhang, dessen Eigengesetzlichkeit die Darstellung möglicherweise zu beachten hat. Aber, so könnte ein Einwand lauten, tauchen bezüglich der Geschichte der Bildung des Bewußtseins nicht dieselben Schwierigkeiten auf wie oben bezüglich des Weges des natürlichen Bewußtseins? Der Einwand könnte noch weitergehen und behaupten, diese Schwierigkeiten bestünden gar nicht: Der „Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt" ist eben die „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft"; beides ist dasselbe und als solches Gegenstand der Darstellung. Gegen diese Gleichsetzung spricht zunächst der Wortlaut des Textes selbst. Die Reihe der Gestaltungen wird Geschichte der Bildung genannt. Die Reihe der Gestaltungen ist aber genau das, was zuvor Weg des Bewußtseins (als Kennzeichnung der PhG bezüglich ihres Wissenschaftscharakters) genannt wurde. Also ist der Weg des Bewußtseins die Geschichte der Bildung des Bewußtseins. Andernfalls müßte man sagen können: Die Geschichte des Weges des Bewußtseins ist die Geschichte der Bildung des Bewußtseins bzw. der Weg des Bewußtseins ist die Bildung des Bewußtseins. Daß der Wortlaut des Textes den Sachverhalt präzis wiedergibt, werden die folgenden Untersuchungen zeigen. Auch die Schwierigkeiten bezüglich der Annahme eines identischen Subjekts der Geschichte (res gestae) bestehen bei der Geschichte (historia) der Bildung des Bewußtseins nicht. Der Historiker ist gegenüber Unter dem Titel „Bildungsgeschichte", der als solcher aber die entwickelte Differenz gerade nicht beachtet, gehört diese Frage zu den viel diskutierten Problemen der Einleifung. Vgl. Fulda, a.a.O., S. 217 ff.

§ 14 Ein Vorbegriff des erscheinenden Wissens

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dem, was er darstellt, in bestimmten Hinsichten frei; er kann auswählen, Aspekte hervorheben, andere unterdrücken; er ist dann allerdings wohl verpflichtet, die Prinzipien einer solchen Behandlung seines Stoffes zu nennen. So kann er eine Bildungsgeschichte schreiben wie eine Wirtschafts- oder Kulturgeschichte. Die Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft ist demnach wohl ein Aspekt der wirklichen Geschichte. Der Weg des Bewußtseins qua Darstellung des erscheinenden Wissens ist die unter bestimmten methodischen Prinzipien vorgenommene Darstellung dieser Bildung. Die ungelöste Frage ist natürlich nach wie vor dieselbe: Wie kann eine Darstellung der Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft ein Weg des natürlichen Bewußtseins zur Wissenschaft sein? Diese Frage muß beantwortet werden, will man ein zureichendes Verständnis dessen gewinnen, was die PhG ist.

§ 14 Ein Vorbegriff des erscheinenden Wissens

Die erste der beiden aufgestellten Fragen lautete: ln welchem Verhältnis steht das natürliche Bewußtsein, das hier den Weg geht, zu dem erscheinenden Wissen, das dargestellt wird? Hegel selbst scheidet nicht streng terminologisch zwischen natürlichem Bewußtsein und erscheinendem Wissen. Dennoch ist für die PhG eine Differenz wesentlich, die am besten als die Differenz zwischen erscheinendem Wissen und natürlichem Bewußtsein aufgefaßt und fixiert wird. W. Marx® hat meines Wissens zuerst auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Er hat richtig gesehen, daß sich die Reihenfolge der Gestalten, die sich in der PhG darbietet, oder der Weg des natürlichen Bewußtseins nur ergibt bzw. verständlich gemacht werden kann unter einer Bedingung: Dasjenige, was Hegel offenbar unterschiedslos einmal „natürliches Bewußtsein", dann wieder „erscheinendes Wissen" nennt (andere Termini sind: „unwahres Wissen", „nicht reales Wissen"), wird innerhalb der PhG in einer ganz bestimmten Hinsicht betrachtet. Diese Hinsicht konstituiert den genannten Unterschied. Was sich unter dieser Hinsicht darbietet, soll so schlägt Marx vor - „erscheinendes Wissen" genannt werden. Im Unterschied dazu kann das, was „natürliches Bewußtsein" genannt wird, Aspekte bieten, von denen unter der genannten Hinsicht gerade abstrahiert wird. Das erscheinende Wissen ist so nach Marx eine „qualifizierte Form" des natürlichen Bewußtseins^. Die von Marx vorge5 W. Marx, a.a.O., besonders S. 26 ff. 6 W. Marx, a.a.O., S. 30, 33.

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Fünftes Kapitel

schlagene Unterscheidung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem zureichenden Verständnis der PhG. Gerade deshalb darf bezüglich dieser Unterscheidung nichts im unklaren bleiben. Ich möchte deshalb hier auch auf die Erläuterungen eingehen, die Marx an jene Unterscheidung anschließt. In ihr scheinen mir zunächst Grund und Begründetes vertauscht zu sein, wenn gesagt wird; „Eben dies, daß die Formen des erscheinenden Wissens, die als Gestalten des Bewußtseins im Verlaufe seiner Darstellung auftreten, sich in dieser vollständig versammeln lassen, begründet einen wesentlichen Unterschied des natürlichen Bewußtseins vom erscheinenden Wissen"". Die Möglichkeit, versammelt zu werden, hat doch ihren Grund in der besonderen Qualifizierung des erscheinenden Wissens. Was aber ist diese besondere Qualifizierung? Woran liegt es, daß sich die Gestalten des erscheinenden Wissens versammeln lassen. Gestalten des natürlichen Bewußtseins als solche aber nicht? Natürliches Bewußtsein und erscheinendes Wissen unterscheiden sich auch durch ihren Bezug zur Geschichte. Zunächst gilt: „Wie das natürliche Bewußtsein, so tritt auch das erscheinende Wissen in geschichtlichen Gestalten auf"*. Der Unterschied ist auch hier eine Folge der bisher unbekannten besonderen Qualifizierung des erscheinenden Wissens. „Die Geschichtlichkeit jedoch, die dem natürlichen Bewußtsein, insofern es Gegenstand der Darstellung und somit erscheinendes Wissen ist, eignet, ist eine andere als die, die ihm außerhalb einer solchen Darstellung zukommt. Außerhalb der Darstellung wäre ihr Sinn weder durch die Kategorie der Notwendigkeit noch durch die der Vollständigkeit verständlich zu machen"^. Wenn das erscheinende Wissen eine qualifizierte Form des natürlichen Bewußtseins ist, gleichwohl aber in geschichtlichen Gestalten auftritt, so ist auch seine Darstellung eine „qualifizierte Weise geschichtlicher Darstellung...; qualifiziert durch ein Bewegungsgesetz, das für die Notwendigkeit des Fortgangs zum absoluten Wissen und die Vollständigkeit der dargestellten Situationen auf dem Wege dahin einsteht"i°. Allerdings ist auch für Marx damit das genaue Wesen des erscheinenden Wissens noch nicht geklärt“. Aber auch die spätere Auskunft, das erscheinende Wissen sei „dadurch qualifiziert, daß es von der Darstellung auf dem Weg 'mitge^ W. Marx, a.a.O., S. 32. “ W. Marx, a.a.O., S. 32. " W. Marx, a.a.O., S. 32. Zu den Kategorien Notwendigkeit und Vollständigkeit vgl. unten § 15, S. XXX. 10 W. Marx, a.a.O., S. 33. " Vgl. W. Marx, a.a.O., S. 33.

§ 15 Vollständigkeit und Ziel des Weges

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nommen' wird, der zu dem bestimmten 'Ziel' hinführt, das ihm 'gesteckt' ist"i2 hilft nicht weiter. Auch sie nennt nur eine Konsequenz jener rätselhaften Qualifizierung. Die auch später noch'^ verwendete Metapher des „Mitnehmens", des „von der Darstellung mitgenommen Werdens", ist m.E. nicht geeignet, den Begriff des erscheinenden Wissens präzis zu bestimmen. Die Beantwortung der oben gestellten ersten Frage, inwiefern die Darstellung des erscheinenden Wissens der Weg des natürlichen Bewußtseins sein kann, wird weiterer Anstrengungen bedürfen.

§ 15 Vollständigkeit und Ziel des Weges Die in der Darstellung des erscheinenden Wissens herzustellende Reihenfolge von Gestalten des „nicht realen Bewußtseins" (PhG 68) wird von Hegel unter zwei formalen Aspekten reflektiert: Vollständigkeit und Ziel der Folge. Unter der Voraussetzung, daß die auftretende Wissenschaft eine Mehrheit von Positionen des erscheinenden Wissens vorfindet und deshalb die Kritik wiederholt vorgenommen werden muß, habe ich Hegels Kennzeichnung der Darstellung des erscheinenden Wissens als Weg und Geschichte referierend übernommen. Die Gesetzlichkeit aber, unter der aus einem bloßen Nacheinander im Rahmen einer Darstellung ein Weg im strengen Sinn wird, ist bisher nicht erörtert. Von den beiden genannten Aspekten wird von Hegel zuerst der der Vollständigkeit behandelt: „Die Vollständigkeit der Formen des nicht realen Bewußtseins wird sich durch die Notwendigkeit des Fortganges und Zusammenhanges selbst ergeben" (PhG 68). Das Nacheinander der Gestalten des nicht realen Bewußtseins hat den Charakter eines Fortganges, eines Weges im strengen Sinne, weil zwischen den Gestalten ein notwendiger Zusammenhang besteht. Dieser ist so, daß er zugleich die Vollständigkeit der Gestalten garantiert. Der Zusammenhang der Gestalten ergibt sich durch den schon genannten Umstand, daß das Resultat der Kritik einer Position des erscheinenden Wissens doppeldeutig ist, unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden muß. Für das natürliche Bewußtsein selbst haben die Kritik und ihr Resultat „negative Bedeutung", sie gelten ihm für „Verlust seiner selbst" (PhG 67). Von dem anderen Gesichtspunkt aus.

'2

W. Marx, a.a.O., S. 67. Vgl. W. Marx, a.a.O., S. 92.

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dem der Darstellung, ist eben dies Resultat etwas ganz anderes: „die Realisierung des Begriffs" (PhG 67). Hegel erinnert im Grunde an diesen Gedanken, indem er „bemerkt", „daß die Darstellung des nicht wahrhaften Bewußtseins in seiner Unwahrheit nicht eine bloße negative Bewegung ist", obwohl das natürliche Bewußtsein „eine solche einseitige Ansicht" von ihr hat (PhG 68). Die negative Bewegung hat nicht das reine Nichts zu ihrem Resultat, sondern das Nichts bestimmt als „Nichts dessen, woraus es resultiert": „Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkommt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Inhalt" (PhG 68). Durch das zentrale methodische Prinzip der bestimmten Negation wird also erläutert, was zuvor Realisierung des Begriffs genannt wurde. Das Prinzip der bestimmten Negation und seine Funktion innerhalb der Darstellung des erscheinenden Wissens werfen schwierige Probleme auf’"*. Die Funktion dieses Prinzips allerdings scheint klar: „Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen, und in der Negation der Übergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt" (PhG 68 f.). Dies ist nicht viel mehr als die lapidare Formulierung eines „nackten Resultats". Ich möchte mich an dieser Stelle auf die Formulierung einer Frage beschränken. Die bisherigen Erörterungen gingen davon aus, daß die auftretende Wissenschaft eine ganze Reihe von Positionen des unwahren Wissens vorfindet und als Darstellung des erscheinenden Wissens einer Kritik unterzieht. Das Problem, das gelöst werden muß, damit die Darstellung ein Weg genannt werden kann, schien dies zu sein: ein Prinzip zu finden, demgemäß eine begründete Reihenfolge unter den zu kritisierenden bzw. kritisierten Gestalten hergestellt werden kann. Mit einer solchen Interpretation schien die Möglichkeit gegeben, die PhG als Einheit von Theorie und Kritik zu verstehen. Nun wird aber durch den letzten Satz Hegels eine ganz andere Auffassung nahegelegt: Die Darstellung selber erzeugt mittels des Prinzips der bestimmten Negation die zu kritisierenden Gestalten. Sie gehen mittels dieses Prinzips auseinander hervor, so daß sich in der Tat die vollständige Reihe der Gestalten von selbst zu ergeben scheint. Findet die auftretende Wissenschaft die Positionen des erscheinenden Wissens vor als unabhängig von ihr vorhan-

Vgl. dazu H. Röttges, Der Begriff der Methode iti der Philosophie Hegels, Meisenheim 1976. Ich verdanke dieser glänzenden Abhandlung wesentliche Einsichten. Zum Begriff der bestimmten Negation vgl. dort S. 54 ff.

§15 Vollständigkeit und Ziel des Weges

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den; oder konstruiert sie diese Positionen durch das methodische Prinzip der bestimmten Negation? Während die Frage der Vollständigkeit der Formen eine Frage der Darstellung und ihrer Methode zu sein scheint, wird die Frage des Zieles so erörtert, daß sie eine Angelegenheit des Dargestellten, wie es unabhängig von Darstellung vorhanden ist, sein könnte: „Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nötig hat, wo es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstände, der Gegenstand dem Begriffe entspricht" (PhG 69). Bei der Bestimmung des Zieles, zu dem die Reihe der Gestalten fortgeht, kommt nun ein Wahrheitsbegriff ins Spiel, der nicht identisch ist mit dem früher eingeführten ontologischen Wahrheitsbegriff. Wahrheit ist hier nicht die Übereinstimmung von Begriff und Realität des Wissens, sondern von Begriff und Gegenstand innerhalb des Wissens selber. Das Verhältnis der beiden Wahrheitsbegriffe ist klar; man kann den ersten Wahrheitsbegriff durch den zweiten erläutern, was implizit auch geschehen ist. Reales Wissen (wahres Wissen im Sinne des ontologischen Wahrheitsbegriffs) liegt da nn vor, wenn der Anspruch auf Übereinstimmung von Begriff und Realität tatsächlich erfüllt ist (d.h. wahres Wissen im Sinne des zweiten Wahrheitsbegriffs ist). Nicht reales Wissen („nur Begriff des Wissens") im Sinne des ontologischen Wahrheitsbegriffs liegt dann vor, wenn das Wissen (eine Gestalt des Bewußtseins) zwar den Anspruch erhebt, Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand zu sein, diese Übereinstimmung aber nicht gegeben ist. Nur der ontologische Wahrheitsbegriff gestattet die grundlegende Unterscheidung der beiden F^insichten: für sich selbst ist eine Gestalt des Bewußtseins wahres Wissen, für die Darstellung aber nicht. Der ontologische Wahrheitsbegriff kann also nicht entbehrt oder durch den anderen ersetzt werden; anders nennen könnte man ihn allerdings. Das Ziel des Fortgangs ist also das reale Wissen als vollkommene Entsprechung von Begriff und Gegenstand. Wie aber läßt sich - vorläufig - zeigen, daß dieser Fortgang ein solches Ziel hat, ein solches Ziel erreicht? Ist nicht die Notwendigkeit eines solchen Zieles mit der These von der Vollständigkeit der Formen des nicht realen Bewußtseins schon gegeben? Nicht notwendigerweise; Vollständigkeit der Formen müßte auch dann behauptet werden können, wenn der aufgrund des Prinzips der bestimmten Negation konstruierte Fortgang zu seinem Anfang zurückführte. Die Darstellung des erscheinenden Wissens würde in diesem Fall also den transzendentalen Zirkel durchlaufen’®. In ihm '5 Vgl. Claesges, a.a.O., S. 41.

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brauchte die vollkommene Entsprechung von Begriff und Gegenstand nicht analytischerweise vorzukommen. Die Notwendigkeit eines solchen Zieles läßt sich daher nicht allein durch das methodische Prinzip, das den Fortgang und seine Vollständigkeit garantiert, dartun. Deshalb ordnet Hegel dem Fortgang aufgrund des methodischen Prinzips ein Über-sich-selbst-Hinausgehen des Wissens zu. Dem Wissen wird hier, mit anderen Worten, eine ihm eigene Dynamik zugesprochen, die sich nicht der Darstellung und ihres methodischen Prinzips verdankt. Als Grund für dieses Über-sich-Hinausgehen wird die Nichtentsprechung von Begriff und Gegenstand angegeben. Die nähere Begründung dieses Sachverhalts liegt in einer Bestimmung des Bewußtseins, die bisher noch nie richtig verstanden wurde: „Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff". Ich gebe die Stelle im Zusammenhang: „Der Fortgang zu diesem Ziele ist daher auch unaufhaltsam und auf keiner früheren Station Befriedigung zu finden. Was auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst nicht über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen; aber es wird durch ein anderes darüber hinaus getrieben, und dies Hinausgerissen werden ist sein Tod. Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst; mit dem Einzelnen ist ihm zugleich das Jenseits gesetzt, wäre es auch nur, wie im räumlichen Anschauen, neben dem Beschränkten" (PhG 69). Das Bewußtsein und seine Dynamik werden abgesetzt von solchem, was auf ein natürliches Leben beschränkt ist; dieses vermag nicht durch sich selbst über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen. Dennoch hat es in seiner Beschränktheit keinen Bestand; es wird durch ein anderes über sein unmittelbares Dasein hinausgetrieben. Das Bewußtsein aber, sofern es nicht auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst über sich hinauszugehen. Was ist nun das wahrhaft Unterscheidende zwischen dem bloß Lebendigen und dem Bewußtsein? Und was ist das Gemeinsame, das den von Hegel vorgelegten Vergleich möglich macht? Beides liegt in der Aussage: Das Bewußtsein ist für sich selbst sein Begriff. Rein vom Wortlaut her gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Satz zu verstehen. Von der Sache her muß man wohl sagen: Gemeinsam ist dem Lebendigen und dem Bewußtsein, daß jedes sein Begriff ist'*; aber nur das Bewußtsein ist sein Begriff für sich selbst. Das Lebendige ist bloß, was es ist: sein Begriff; das Bewußtsein ist auch, was es ist (sein Begriff), aber es ist.

> So auch K. Cramer, Bemerkungen..., a.a.O., S. 89. 2 Vgl. oben § 17, S, 70.

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mit der angegebenen Struktur - so lautet die These - unmittelbar gegeben. Damit ist die Möglichkeit der Selbstprüfung aber noch keineswegs einsichtig gemacht. Daß die beiden Seiten „in das Bewußtsein fallen" ist eine notwendige Bedingung; dies ist aber nicht hinreichend - um es so zu formulieren. Denn unter den bisherigen Bedingungen kann die Vergleichung nichts anderes als absolute Übereinstimmung ergeben. Zwar wissen „wir", daß die Übereinstimmung nicht besteht, das aber ist hier irrelevant: es geht ja um die Selbstprüfung des Bewußtseins. Ich hatte früher den zentralen Satz aus dem ersten Teil der Einleitung „Das Bewußtsein ist für sich selbst sein Begriff" so interpretiert: Das Bewußtsein ist für sich selbst die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand.’ Aber sofern und solange es nur Begriff des Wissens ist, ist es diese Übereinstimmung nur dem Anspruch nach. Die Unerfülltheit dieses Anspruchs tritt ihm dabei zwar in der Beschränktheit seines Inhaltes entgegen; die Unerfülltheit dieses Anspruchs als solche aber besteht nur für uns, für es besteht vielmehr die Übereinstimmung beider Seiten. Hegel selbst macht auf diese Schwierigkeit aufmerksam: „Der Gegenstand scheint zwar für dasselbe nur so zu sein, wie es ihn weiß; es scheint gleichsam nicht dahinter kommen zu können, wie er, nicht für dasselbe, sondern wie er an sich ist, und also auch sein Wissen nicht an ihm prüfen zu können" (PhG 72). Dieser Einwand, obwohl er in der Formulierung schon zurückgenommen ist, muß ernst genommen und entwickelt werden. Er besagt, daß die Selbstprüfung deshalb nicht stattfinden kann, weil das als Maßstab fungierende Ansich immer nur in einem zugehörigen Wissen gegeben sein kann. Das Bewußtsein ist so niemals in der Lage, eine Diskrepanz zwischen dem Ansich und seinem Wissen von ihm festzustellen, es sei denn, das Bewußtsein hätte das Ansich doppelt, einmal in einem Wissen von ihm und einmal gleichsam vorbei an allem Wissen in einer „unmittelbaren" Weise, die nicht Wissen sein dürfte. Letzteres aber ist unmöglich. Die These von der Selbstprüfung des Bewußtseins löst also die Aporie des Maßstabes nicht, im Gegenteil: sie macht sie perfekt. Was Hegel an dieser Stelle als Lösung anbietet, ist außerordentlich schwer zu verstehen: „Allein gerade darin, daß es überhaupt von einem Gegenstände weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, daß ihm etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein ist. Auf dieser Unterscheidung, welche vorhanden ist, beruht die Prüfung" (PhG 72). Wiederholt Hegel hier nicht, was schon längst bekannt ist: Alles Wissen ist Wissen eines Gegenstandes, d.h. es sind in ihm notwendig die beiden Seiten zu

§ 20 Zwei Lösungsversuche

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unterscheiden: Für-es-sein und Ansich-sein? Oder ist der „Unterschied", der im Wissen eines Gegenstandes „vorhanden" ist, ein anderer Unterschied, ein neuer, bisher nicht erwähnter Unterschied?

§ 20 Zwei Lösungsversuche Die Annahme, daß bei dieser These von der Selbstprüfung ein bisher nicht erwähnter Unterschied im Spiel ist, ist naheliegend. Denn die Aporie, die durch diesen neuen Unterschied gelöst werden soll, setzt die Unterscheidung von Für-es-sein und Ansich-sein schon voraus. Wegen der Schwierigkeit des Problems soll auf einige bisher vorgelegte Lösungsvorschläge eingegangen werden. Was dabei auf dem Spiel steht, ist klar: das Verständnis derjenigen Gesetzlichkeit, durch die die Reihenfolge der Gestalten des Bewußtseins im Sinne der Darstellung des erscheinenden Wissens in ihrer Notwendigkeit zustandekommt. Die Auflösung der Aporie der Selbstprüfung ist daher auch das eigentliche Kriterium für das Gelingen einer Interpretation der Einleitung. Puntel versucht eine Lösung der Aporie durch die Unterscheidung zweier Arten des Wissens des Bewußtseins, eines thematischen und eines unthematischen Wissens im Sinne zweier Ebenen^, Er stützt seine Interpretation im wesentlichen auf den Umstand, daß Hegel an der fraglichen Stelle (PhG 72) sagt, „ihm" sei „etwas das Ansich" und dies vom „Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein" unterscheidet. Die beiden Momente „Ansich" und „Für anderes" gehören der Ebene des thematischen Wissens an; auf dieser Ebene wird das Ansich als „außerhalb der Beziehung" stehend aufgefaßt. Die Formulierung „außerhalb der Beziehung" weist auf die von mir früher ausführlich interpretierte Stelle (PhG 70) zurück. „Außerhalb der Beziehung" soll sagen: das thematische Wissen hat das Ansich als seinen „Gegenpol". „Indem aber beide in dem Bewußtsein sind, sind beide auch dem Bewußtsein, nicht aber beide für das Bewußtsein"^. Dies ist der entscheidende Satz. Puntel scheint das Sein-im-Bewußtsein als Ausdruck für Wissen überhaupt zu nehmen und zwei Arten des Wissens zu unterscheiden: thematisches Wissen als „Sein-für-das-Bewußtsein" und unthematisches Wissen als „Sein-dem-Bewußtsein". Ein Durchdenken dieser These führt aber zu unüberwindlichen Schwierigkeiten. Auf der Ebene des thematischen Wissens ist das eine ^ Vgl. Puntel, a.a.O., S. 288 ff. < Puntel, a.a.O., S. 289.

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Moment, nämlich das Wissen, für das Bewußtsein; das andere Moment, das Ansich, ist hier nicht für das Bewußtsein, sondern außerhalb der Beziehung, an sich. Sofern ein Bewußtsein mit dem Wahrheitsanspruch auftritt, behauptet es die Übereinstimmung der zugleich unterschiedenen Seiten Wissen und Ansich; anders könnte es sein Verständnis von Wahrheit gar nicht artikulieren. Dieses Ansich ist aber nach Puntel gleichwohl Gegenstand oder Thema eines selbst unthematischen Wissens: das Ansich ist dem Bewußtsein, ohne für das Bewußtsein zu sein. Damit haben wir nicht nur zwei Arten des Wissens: „dem Bewußtsein" und „für das Bewußtsein"; wir haben auch das Ansich in einer doppelten Gestalt: auf der Ebene des thematischen Wissens vom Wissen ausgeschlossen, auf der Ebene des unthematischen Wissens dennoch in das Wissen einbezogen. Auf der Ebene des thematischen Wissens liegt, da sich Wissen für wahres Wissen hält, die Übereinstimmug von Wissen und Ansich vor. Gäbe es, so muß man Puntel verstehen, nur diese Ebene, dann käme das Bewußtsein nie dahinter, wie der Gegenstand nicht für es, sondern an sich ist: Gäbe es nur diese Ebene, so könnte eine Selbstprüfung nicht stattfinden, da das als Maßstab fungierende Ansich nie anders sein könnte, als es in dem Wissen ist, das geprüft werden soll. Aber, so lautet offenbar die These, da es ein unthematisches Wissen von dem Ansich gibt, besteht auch die Möglichkeit, daß dies unthematische Wissen des Ansich anders ist als das thematische Wissen. Damit wäre die entscheidende Voraussetzung dafür erfüllt, daß das Ansich als Maßstab fungieren kann. Das Bewußtsein brauchte nur sein unthematisches Wissen zu thematisieren, um zu sehen, daß sein Wissen (des Ansich) mit dem Ansich (wie es im unthematischen Wissen ist) nicht übereinstimmt^. Angenommen also, das Bewußtsein oder das erscheinende Wissen sei durch so ein unthematisches Wissen bestimmt, dann bliebe immer noch die Frage, wieso das Bewußtsein dazu kommt, sein unthematisches Wissen zu thematisieren und wie es dergleichen überhaupt kann. Daß Puntel keine Antwort auf diese Frage hat und daß daher sein Interpretationsversuch der zentralen Methodenfrage der PhG gescheitert ist, zeigen m.E. folgende Passagen: „Das so aufgefaßte Bewußtsein - also das in die beiden Momente des Für-ein-anderes-seins und des Ansichseins unterschiedene Bewußtsein - gerät [sic! - U.C.] in Bewegung. Wie und wodurch? Einfach dadurch, daß beide Momente der Wissensbeziehung thematisiert werden, d.h., daß beide Momente sich als für-dasBewußtsein-seiend erweisen, kurz: dadurch, daß die Beziehung selbst 5 Ist ein unthematisches Wissen schon deshalb wahr, weil es unthematisch ist?

§ 20 Zwei Lösungsversuche

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begriffen wird"*. Das erklärt aber gar nichts, weshalb Puntel einige Zeilen später fragt: „Warum findet aber überhaupt eine Bewegung, eine Änderung statt? Was treibt das Bewußtsein dazu, sein „höheres" Wissen zu thematisieren?"^. Nach dieser Frage zitiert Puntel zwei Stellen bei Hegel, PhG 72 und PhG 69, wo Hegel sagt, das Bewußtsein sei für sich selbst sein Begriff - hier nähert sich Puntel vorübergehend der Lösung -, um dann zu erklären: „Es gehört also zur „Natur des Gegenstandes", der hier untersucht wird, daß in ihm die Nichtentsprechung von Wissen und Wahrheit und damit die weitere Bewegung der Vergleichung auftritt. Die Natur dieses Gegenstandes, d.h. des Bewußtseins, ist nichts anderes als die Erfahrung, d.h. die dialektische Bewegung des Bewußtseins"®. Wird hier nicht das, was zu explizieren wäre, als qualitas occulta behandelt und damit die Frage beseitigt? Wahrscheinlich ist es die Nichtbeachtung der grundlegenden Differenz der beiden Positionen „für uns" und „für es", die zur Annahme eines unthematischen Wissens führt. Das unthematische Wissen könnte „unser" Wissen sein, das als solches dem betrachteten Bewußtsein nicht zugehört. Aber unser Wissen hilft nichts für die Selbstprüfung. Die Verwendung des Dativs „ihm" an einigen Stellen der Einleitung ist, zumal andere Deutungen möglich sind, als Basis für diesen Interpretationsversuch zu schmal. Ähnlich wie Puntel versucht auch Theunissen’ die Aporie der Selbstprüfung durch die Einführung einer Unterscheidung von Thema und Horizont zu lösen. Aber auch er kann die (unter dieser Voraussetzung) entscheidende Frage nicht beantworten, wie nämlich das Bewußtsein dazu komme, seinen Horizont zu thematisieren. Theunissen meint, das Bewußtsein müsse eine „Ahnung des Abstandes zwischen dem, was ihm das Wahre ist, und der wirklichen Wahrheit"'° haben. Auch ein zweiter Interpretationsversuch soll kurz berücksichtigt werden. W. Marx versucht, ähnlich wie Puntel und Theunissen, die Aporie dadurch zu lösen, daß er einen Unterschied einführt, den Hegel selber nicht gemacht hat; Marx unterscheidet zwischen „Gegenstand" und „Gegenständlichkeit", wobei er sich auf eine Stelle in der Vorrede (PhG 32) beruft. Unter „Gegenständlichkeit" versteht Marx die „Form", Puntel, a.a.O., S. 289. ' Puntel, a.a.O., S. 289. * Puntel, a.a.O., S. 290. ■’ M. Theunissen, Begriff und Realität..., a.a.O., S.238 ff. Theunissen, a.a.O., S. 329. Beide, Puntel wie Theunissen, stützen ihre Interpretationen auf eine Deutung des Dativs „ihm“. Aber während Puntel die entscheidende Differenz darin sieht, daß dasjenige, was „ihm' ist, nicht „für es' ist, identifiziert Theunissen gerade beides: „Für das Bewußtsein ist das Wahre nur so, daß es ihm das Wahre ist oder als solches gilt' (S. 237). 0

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„die den gewußten Gegenstand und das Wissen von ihm zu einem wahren macht"”. Der Unterschied von Gegenstand und Gegenständlichkeit gehört nach Marx zur Struktur des erscheinenden Wissens: „Das Bewußtsein, wenn es einen Gegenstand als gewußten Inhalt vorstellt, kann ihn nur dann als einen 'wahren' wissen, wenn ihm zugleich dessen Gegenständlichkeit, d.h. also dessen Form oder Wahrheit,vor dem Blick steht"”. Marx steht so aber u.a. vor der (unangenehmen) Aufgabe zu erklären, warum Hegel den Unterschied zwischen Gegenstand und Gegenständlichkeit in der Einleitung nicht gemacht hat. „Daß Hegel in der Einleitung in dieser Weise zwischen Gegenständlichkeit und Gegenstand nicht unterschieden hat, sollte vielleicht sichtbar machen, wie in der Phänomenologie die Momente [die Gedankenbestimmungen, die insgesamt das „Reich der Wahrheit" ausmachen - U.C.; vgl. Marx, S. 84] als „Gestalten des Bewußtseins" auftreten. Sie treten eben nicht so auf, daß das Bewußtsein selbst eine Trennung zwischen dem vorgestellten Gegenstand (Inhalt) und der Gesamtstruktur einer Gegenständlichkeit - der Wahrheit - zu machen vermag"”. Das Bewußtsein selbst müßte aber doch die Trennung machen; Unterschiede, die nur für uns bestehen, sind nicht in der Lage, die Selbstprüfung des Bewußtseins zu erklären. Jene „Gegenständlichkeit" übernimmt dann bei Marx die Funktion des Maßstabes, den das Bewußtsein an ihm selbst gibt: „So enthält der Maßstab, den das Bewußtsein anlegt, „Vorschriften" sowohl für das Wissen wie für den Gegenstand. Zusammengefaßt bedeutet dies für die Struktur des Bewußtseins: Bewußtsein ist einerseits Vergleichung von Form und Wissen (Vorstellen), andererseits Vergleichung von Form mit vorgestelltem Gegenstand (Inhalt). Das Bewußtsein ist in dieser Weise als der Vollzug einer Selbstprüfung"”. Wie aber kann eine Selbstprüfung stattfinden aufgrund eines Unterschiedes (von Gegenstand und Gegenständlichkeit), dessen sich das Bewußtsein „überhaupt nicht bewußt"” ist? Außerdem ist so der Maßstab ein Drittes gegenüber den beiden Seiten Wissen und Gegenstand, und die Selbstprüfung besteht in der Vergleichung dieses Dritten mit dem Wissen einerseits und dem Gegenstand andererseits. Hegel dagegen sagt klar und deutlich, das Ansich, die eine Seite, sei der Maßstab. Marx' Interpretation hat am Text der Einleitung keinen Rückhalt; sie bedient sich einer der ganzen PhG fremden reflexionsphiloso" W. W. W. W. '5 W.

Marx, Marx, Marx, Marx, Marx,

a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O.,

S. S. S. S. S.

85. 84. 85. 87. 85.

§ 21 Die erste Phase der Selbstprüfung

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phischen Unterscheidung von Gegenstand und Gegenständlichkeit. Es wird sich herausstellen, und das weiß auch Marx sehr genau^*, daß die Selbstprüfung nicht ohne ein Verhalten der Methode zu dem erscheinenden Wissen stattfinden kann. Wie dies Verhalten aussieht, ist aber noch völlig ungeklärt.

§ 21 Die erste Phase der Selbstprüfung Die Aporie des Maßstabes schien dadurch gelöst, daß das Bewußtsein den Maßstab an ihm selbst gibt: „An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen" (PhG 71). Nun soll das Bewußtsein diese Prüfung auch selber vornehmen. Die beiden zu vergleichenden Seiten fallen in das Bewußtsein selbst; „Indem beide für dasselbe sind, ist es ihre Vergleichung" (PhG 72). Aufgrund der Korrelation von Wissen und Ansich - das Wissen ist Wissen dieses Ansich und das Ansich ist Ansich dieses Wissens - kann die Prüfung, wenn sie stattfindet, nie etwas anderes als absolute Übereinstimmung ergeben. Versuche, dieser Konsequenz durch die Einführung von zusätzlichen Unterscheidungen zu entgehen, müssen als gescheitert angesehen werden. Dem Wortlaut nach beansprucht Hegels Antwort auf den Einwand, den er sich an der betreffenden Stelle selber macht^^, die Auflösung der Aporie der Selbstprüfung zu sein: „Allein gerade darin, daß es überhaupt von einem Gegenstände weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, daß ihm etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein ist. Auf dieser Unterscheidung, welche vorhanden ist, beruht die Prüfung" (PhG 72). Wie kann, so fragt man sich, die bloße Erinnerung an zuvor schon Gesagtes als Auflösung der Aporie fungieren? Daß Hegel das Problem als gelöst ansieht, zeigt die folgende Beschreibung des Prüfungsvorganges, die genau von jener Korrelativität von Wissen und Ansich Gebrauch macht, die eine Selbstprüfung unmöglich erscheinen läßt: „Entspricht sich in dieser Vergleichung beides nicht, so scheint das Bewußtsein sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstände gemäß zu machen" (PhG 72). Man weiß aber noch gar nicht, wie diese Nichtentsprechung soll überhaupt feststellbar sein. Dagegen leuchtet ic Vergl. W. Marx, a.a.O., S. 94 ff. '' .Der Gegenstand scheint zwar für dasselbe nur so zu sein, wie es ihn weiß;..." (PhG 72).

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ein: Wenn eine Nichtentsprechung festgestellt wird, muß das Wissen geändert werden, da der Gegenstand als Maßstab fungiert, die Wahrheit des Wissens aber in seiner Übereinstimmung mit dem Gegenstand besteht. Der folgende Satz negiert nun aber die Voraussetzung - daher das „scheint" -, unter der die Forderung nach Angleichung des geprüften Wissens an den Gegenstand verständlich war, die Voraussetzung nämlich, daß der Gegenstand ein Festes und Bleibendes ist gegenüber dem veränderlichen Wissen: aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst, denn das vorhandene Wissen war wesentlich ein Wissen von dem Gegenstände: mit dem Wissen wird auch er ein anderer, denn er gehörte wesentlich diesem Wissen an" (PhG 72). Die Frage nach der Feststeilbarkeit einer Nichtübereinstimmung hat sich damit noch verschärft. Wie ist, wenn jede Änderung des Wissens unmittelbar eine Änderung des Änsich mit sich bringt, eine Nichtübereinstimmung feststellbar? Ist damit die Frage, wie das Bewußtsein die Nichtübereinstimmung von Wissen und Änsich feststellen könne, noch eine richtig gestellte Frage? Nun scheint gar die Änderung des Änsich als des Maßstabes der eigentliche Kern der Selbstprüfung zu sein: „Es wird hiemit dem Bewußtsein, das dasjenige, was ihm vorher das Änsich war, nicht an sich ist, oder daß es nur für es an sich war. Indem es also an seinem Gegenstände sein Wissen diesem nicht entsprechend findet, hält auch der Gegenstand selbst nicht aus; oder der Maßstab der Prüfung ändert sich, wenn dasjenige, dessen Maßstab er sein sollte, in der Prüfung nicht besteht; und die Prüfung ist nicht nur eine Prüfung des Wissens, sondern auch ihres Maßstabes" (PhG 72 f.). Diese merkwürdige Prüfungsbewegung, die mit dem Prüfling zugleich den Maßstab verändert, wird von Hegel „Erfahrung" genannt: „Diese dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstände ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird" (PhG 73). Die Selbstprüfung des Bewußtseins ist also nicht die Ängleichung des Wissens an seinen Gegenstand als dem fixen Maßstab, wodurch das Wissen wahres Wissen jenes Gegenstandes würde, sondern sie ist eine Veränderung dieses Gegenstandes selbst, ja das Entspringen des neuen, wahren Gegenstandes. Damit hat die (nach wie vor unverständliche) Bewegung der Selbstprüfung zwei Aspekte, die zunächst als zwei Phasen beschrieben werden können. Die erste Phase besteht darin, daß das Änsich zu einem „Für-es-sein" dieses Änsich wird. Oder anders ausgedrückt: Was zunächst als Gegenstand erscheint, sinkt dem Bewußtsein zu einem Wis-

§ 21 Die erste Phase der Selbstprüfung

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sen von ihm herab, und das Ansich wird zu einem „Für-das-BewußtseinSein des Ansich" (PhG 74). Die erste Phase wird auch durch den Begriff der bestimmten Negation gekennzeichnet (PhG 69, 74). Die zweite Phase ist dann das Entspringen des neuen Gegenstandes. Das Für-essein des Ansich wird wieder zu einem Ansich, dem ein entsprechendes Wissen zugeordnet ist, wodurch eine neue Gestalt des erscheinenden Wissens definiert ist. Um die „wissenschaftliche Seite der folgenden Darstellung" zu erläutern, stellt Hegel noch einmal dar, was ich vorläufig die erste Phase der Selbstprüfung nennen möchte: „Das Bewußtsein weiß etwas, dieser Gegenstand ist das Wesen oder das Ansich; er ist aber auch für das Bewußtsein das Ansich; damit tritt die Zweideutigkeit dieses Wahren ein" (PhG 73). Was hat es mit dieser Zweideutigkeit auf sich? Für uns gehört eine solche Zweideutigkeit zur Struktur des erscheinenden Wissens, sofern wir sehen, daß immer beide Seiten in das Bewußtsein fallen. So wahr jedes Bewußtsein von Etwas sein Wissen von dem Ansich unterscheidet und so wahr beide Seiten, Wissen und Ansich, in das Bewußtsein fallen, so wahr ist dies Ansich für es das Ansich. Wenn Hegel nun sagt, damit trete die Zweideutigkeit des Wahren ein, so könnte ein Implikat der Struktur „Bewußtsein von Etwas" gemeint sein. Es könnte aber auch ein Vorgang gemeint sein, das Eintreten einer Zweideutigkeit, die vorher nicht gegeben war, welcher Vorgang dann Moment der Bewegung des Bewußtseins in seiner Selbstprüfung sein müßte. Wird das Bewußtsein seiner strukturellen Zweideutigkeit inne? Das könnte die erste Phase der Selbstprüfung sein. Das scheint der folgende Satz zu bestätigen, der nun einen Zustand nach dem Eintreten der Zweideutigkeit beschreibt: „Wir sehen, daß das Bewußtsein jetzt zwei Gegenstände hat, den einen das erste Ansich, den zweiten das Für-es-sein dieses Ansich" (PhG 73). Sind beide Gegenstände für das Bewußtsein selbst? Nur dann wäre etwas Neues gesagt. Da der Vorgang der Selbstprüfung beschrieben werden soll, müßte der Übergang vom Ansich zum Für-es-sein des Ansich etwas sein, was für das Bewußtsein selbst sich abspielt, und als dessen Resultat es jetzt zwei Gegenstände hat. An dieser Stelle macht sich Hegel erneut einen Einwand: „Der letztere scheint zunächst nur die Reflexion des Bewußtseins in sich selbst zu sein, ein Vorstellen, nicht eines Gegenstandes, sondern nur seines Wissens von jenem ersten" (PhG 73). Der Einwand besagt: Indem das Bewußtsein das Für-es-sein des Ansich zum Gegenstand hat, stellt es nur sein Wissen von dem Ansich vor, denn Wissen ist ja die Seite des Beziehens, Wissen ist das Für-es-sein von Etwas im Unterschied zu seinem Ansichsein. Das Für-es-sein des Ansich sollte

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gegenüber dem Ansich ein zweiter Gegenstand sein. Es ist aber, so lautet Hegels Einwand, gar kein neuer (zweiter) Gegenstand, sondern nur das Wissen des ersten (und einzigen) Gegenstandes, des Ansich: Das Bewußtsein stellt jetzt sein Wissen vor. Besteht dieser Einwand zu Recht? Jetzt kommt alles darauf an zu verstehen, wie dieser Einwand zurückgewiesen wird: „Allein wie vorhin gezeigt worden, ändert sich ihm dabei der erste Gegenstand; er hört auf, das Ansich zu sein, und wird ihm zu einem solchen, der nur für es das Ansich ist; somit aber ist dann dies: das Für-es-sein dieses Ansich, das Wahre, d.h. aber, dies ist das Wesen, oder sein Gegenstand. Dieser neue Gegenstand enthält die Nichtigkeit des ersten, er ist die über ihn gemachte Erfahrung" (PhG 73). Zurückgewiesen wird also nicht die Auffassung, das Bewußtsein vollziehe eine Reflexion in sich. Was zurückgewiesen wird, ist die Meinung, daß diese Reflexion des Bewußtseins in sich das Ansich so beläßt, wie es war. Ist aber nicht dies, daß der Gegenstand bleibt, wie er war, die Voraussetzung dafür, daß von zwei Gegenständen die Rede sein kann? Die beiden Gegenstände sollten sein (l) das Ansich, (2) das Für-das-Bewußtsein-Sein des Ansich. Würde das Bewußtsein nur sein Wissen vorstellen, dann müßte in beiden Fällen das Ansich identisch sein. Der erste Gegenstand hört aber auf, dies Ansich zu sein, wenn das Bewußtsein diese Reflexion in sich vollzieht: er wird zu einem Für-es-sein dieses Ansich. Die Reflexion verwandelt den Gegenstand der ersten Art in einen Gegenstand der zweiten Art. Das aber bedeutet, daß die Rede von den zwei Gegenständen, wenn sie überhaupt sinnvoll ist, ein übergängiges Moment in dieser Bewegung meinen muß. Ein Verständnis der ersten Phase der Selbstprüfung ist über Hegels Rede von den zwei Gegenständen nicht zu gewinnen. Die Frage nach der Möglichkeit der Selbstprüfung hat sich verschoben: Wie kommt das Bewußtsein dazu, die genannte Reflexion in sich zu vollziehen? Die Lösung dieses Problems kann natürlich nicht darin bestehen, den Vollzug dieser Reflexion-in-sich als zur Natur des Bewußtseins gehörig einfach zu konstatieren. Die Frage nach der Möglichkeit der Selbstprüfung ist noch nicht beantwortet. Vielleicht ist es gut, zunächst auch die Problematik der zweiten Phase in entsprechender Weise zu entwickeln.

§ 22 Die zweite Phase der Selbstprüfung. Der neue Gegenstand

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§ 22 Die zweite Phase der Selbstprüfung. Der neue Gegenstand Angenommen, es sei verständlich gemacht, warum das Bewußtsein, das sich doch für wahres Wissen hält - eine Voraussetzung, unter der es allein Gegenstand der Darstellung des erscheinenden Wissens sein kann -, jene Reflexion vollzieht, die zur Zerstörung seiner Wahrheit führt, so wäre damit nur die eine Hälfte des Problems gelöst. Die Veränderung des Ansich zu einem Für-es-sein des Ansich ist, wie gesagt, nur die erste Phase der Selbstprüfung. Hegel beschreibt eine zweite Phase in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten: „Dies bietet sich so dar, daß, indem das, was zuerst als Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt und das Ansich zu einem Für-das-Bewußtsein-Sein des Ansich wird, dies der neue Gegenstand ist, womit auch eine neue Gestalt des Bewußtseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist als der vorhergehenden" (PhG 74). Zwei Fragen sind also zu beantworten, wenn die Aporie des Maßstabes, die zu einer Aporie der Selbstprüfung geworden ist, soll aufgelöst werden können. Sie seien noch einmal formuliert: (1) Warum „gerät" das Bewußtsein „in Bewegung"; warum vollzieht es jene Reflexion in sich? Wie kann das Bewußtsein überhaupt die Nichtübereinstimmung von Wissen und Wahrheit, von Begriff und Gegenstand, feststellen? (2) Angenommen das Bewußtsein vollzieht diese Reflexion in sich: Warum wird das Wissen des Bewußtseins zu einem neuen Gegenstand? Warum entsteht so eine neue Gestalt des Bewußtseins, „der etwas anderes das Wesen ist als der vorhergehenden" (PhG 74)? Es ist eine naheliegende Vermutung, daß die beiden Fragen nur im Zusammenhang beantwortet werden können. Deshalb soll zunächst versucht werden, die zweite Frage so weit wie möglich auszuarbeiten. Die zweite Phase der Selbstprüfung, das „Entspringen" des neuen Gegenstandes, wird von Hegel bestimmt im Zusammenhang des Begriffs der Erfahrung des Bewußtseins. Hegel konfrontiert seinen dialektischen Begriff der Erfahrung!» mit dem , was gewöhnlich Erfahrung genannt wird. Nach diesem Verständnis von Erfahrung ist ein Überprüfen und ist eine Veränderung unseres Wissens möglich dann, wenn wir die Erfahrung von der Unwahrheit unseres ersten Begriffs an einem anderen Gegenstände machen, den wir irgendwo „zufälliger Weise und äußerlich etwa finden" (PhG 73). Der durch das „reine '* Vgl. Röttges, a.a.O., S. 90 ff.

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Auffassen" dieses Gegenstandes gewonnene Begriff zeigt die Unwahrheit unseres ersten Begriffs, sofern beide nicht übereinstimmen. Auch in dem, was gewöhnlich Erfahrung genannt wird, findet eine Prüfung des Wissens statt, bei der der Gegenstand, das Ansich, als Maßstab fungiert. Aber - das ist entscheidend - dieser Maßstab ist als unveränderlich aufgefaßt. Dem Bewußtsein bietet sich ein Gegenstand dar, den es rein aufzufassen hat und dem es sein Wissen anzumessen hat. Die als Selbstprüfung sich vollziehende „dialektische" Erfahrung ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß in ihr sich auch der Maßstab verändert: „... der Maßstab der Prüfung ändert sich, wenn dasjenige, dessen Maßstab er sein sollte, in der Prüfung nicht besteht; und die Prüfung ist nicht nur eine Prüfung des Wissens, sondern auch ihres Maßstabes" (PhG 72 f.). In der dialektischen Erfahrung erfolgt die Korrektur des Wissens nicht an einem zufällig aufgefundenen Gegenstand, sondern sie ist das Werden des neuen Gegenstandes selbst: „In jener Ansicht aber zeigt sich der neue Gegenstand als geworden durch eine Umkehrung des Bewußtseins selbst. Diese Betrachtung der Sache ist unsere Zutat, wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des Bewußtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt, und welche nicht für das Bewußtsein ist, das wir betrachten" (PhG 73 f.). Der neue Gegenstand zeigt sich als geworden durch eine Umkehrung des Bewußtseins selbst: in einer Betrachtung der Sache, die unsere Zutat ist. Diese Stelle ist viel diskutiert worden. Man hat sie so verstanden, daß nicht die Umkehrung des Bewußtseins, sondern nur die entsprechende Betrachtung unsere Zutat sei*’. Aber diese Unterscheidung ist Unsinn: Etwas zeigt sich als dies oder jenes nur in einer entsprechenden Betrachtungsweise. Die Umkehrung als Umkehrung zeigt sich nur in unserer Betrachtung der Sache, sie ist ebenso unsere Zutat wie die Betrachtung selber, ja beide sind ein und dasselbe. Die Umkehrung als solche ist nur für uns, nicht für das Bewußtsein selbst. Diese Zutat aber ist genau das, was die „Reihe der Erfahrungen des Bewußtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt" (PhG 74). In den Erörterungen des Problems der Selbstprüfung wurde bisher der dem ersten Teil der Einleitung zu entnehmende Doppelcharakter der Methode^o, das Involviertsein der Darstellung in den darzustellenden Weg des Bewußtseins, nicht berücksichtigt. Mit Recht, wie es scheint. Besteht nicht die zentrale These des zweiten Teiles der Einleitung darin, daß das Bewußtsein nicht nur seinen Maßstab an ihm selbst gibt, sondern auch sich selbst prüft, womit „uns auch von dieser Seite nur das So Heinrichs (a.a.O., S. 33) gegen Heidegger (Hegels Begriff der Erfahrung, Holzwe^f) u.a. 20 Vgl. unten § 15, S. 61 ff.

§ 22 Die zweite Phase der Selbstprüfung. Der neue Gegenstand

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reine Zusehen bleibt" (PhG 72)? Heinrichs ist der Auffassung, daß die Zutat nur in jenem reinen Zusehen besteht^i. Wenn sich der Übergang von Bewußtseinsstufe zu Bewußtseinsstufe in einer Selbstprüfung ergibt, dann geht das Bewußtsein - das könnte analytisch sein - diesen Weg eben selbst, ohne Hilfe der Darstellung. Mit dem Begriff der Umkehrung des Bewußtseins, die unsere Zutat ist, taucht aber die Frage des Doppelcharakters der Methode explizit wieder auf, sofern der Weg des Bewußtseins durch unsere, d.h. der Darstellung, Zutat Zustandekommen soll, durch etwas, was das Bewußtsein selber nicht zu leisten vermag. So stellt sich die Frage, welchen Anteil die Darstellung, die Methode in diesem Sinn, an der Bewegung der Selbstprüfung hat. Hegel formuliert noch einmal den Zusammenhang der beiden Phasen; „Dies bietet sich hier so dar, daß, indem das, was zuerst als der Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt und das Ansich zu einem Für-das-Bewußtsein-Sein des Ansich wird, dies der neue Gegenstand ist, womit auch eine neue Gestalt des Bewußtseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist, als der vorhergehenden" (PhG 74). Man ist versucht, den Anteil der Darstellung an der Bewegung der Selbstprüfung, der zweifellos besteht, so zu sehen, daß er mit der zweiten Phase der Selbstprüfung identisch ist: Das Bewußtsein prüft sich selbst, indem es eine Reflexion in sich vollzieht, wodurch ihm das Ansich zu einem Für-esSein des Ansich „herabsinkt". Dieser ersten Phase, die das Bewußtsein ohne fremde Hilfe vollzöge, folgte die zweite Phase: Die Darstellung vollzieht eine Umkehrung des Bewußtseins in dem Sinne, daß sie das Für-es-Sein des Ansich als neuen Gegenstand setzt, womit dann eine neue Bewußtseinsstufe gegeben wäre. Dies ist aber keine Lösung des Problems. Bezüglich der zweiten Phase der Selbstprüfung darf nämlich eine Differenzierung nicht übersehen werden. Die zweite Phase enthält ein Moment, von dem ausdrücklich gesagt wird, es sei für das Bewußtsein selbst: „Nur diese Notwendigkeit selbst oder die Entstehung des neuen Gegenstandes, der dem Bewußtsein, ohne zu wissen, wie ihm geschieht, sich darbietet, ist es, was für uns gleichsam hinter seinem Rücken vorgeht... der Inhalt aber dessen, was uns entsteht, ist für es, und wir begreifen nur das Formelle desselben oder sein reines Entstehen; für es ist dies Entstandene nur als Gegenstand, für uns zugleich als Bewegung und Werden" (PhG 74). Was also ist für das Bewußtsein selbst? Das Bewußtsein - auf einer beliebigen Stufe - hat einen Gegenstand; er bietet sich ihm dar, „ohne zu wissen, wie ihm Vgl. Heinrichs, a.a.O., S. 22 ff.

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geschieht". Dies Bewußtsein läßt sich als erscheinendes Wissen, d.h. bezüglich seines Wahrheitsanspruches, als Korrelation von Wissen und Gegenstand beschreiben. Für uns gilt dagegen bzw. darüber hinaus folgendes; Der Gegenstand ist entstanden, wir sehen seine Entstehung durch eine Umkehrung des Bewußtseins, durch einen Vorgang, der sich „gleichsam" hinter dem Rücken des Bewußtseins abspielt. Wir sehen den Zusammenhang des Gegenstandes des Bewußtseins mit der Zerstörung eines anderen Gegenstandes, dessen nämlich, der eine (für uns) vorangehende Bewußtseinsgestalt definiert. So gesehen, besteht eine Überlegenheit der Darstellung gegenüber dem dargestellten Bewußtsein. Aber noch in anderer Hinsicht ist hier zu differenzieren. Bezüglich des Gegenstandes müssen dessen Inhalt und sein Formelles unterschieden werden. Das Formelle, so erläutert Hegel, ist die Form des Gegenstandes, sofern sie sich dem für uns allein gegebenen Entstehen verdankt. Zunächst könnte man diese Stelle so verstehen: Während uns aufgrund unserer überlegenen Position der Gegenstand hinsichtlich beider Momente, Form und Inhalt, gegeben ist, hat das Bewußtsein selbst den Gegenstand nur als Inhalt. Dies ist m.E. falsch. Daß der Inhalt dessen, was uns entsteht, für es ist, bedeutet eine Überlegenheit - um bei dieser Formulierung zu bleiben - des Bewußtseins selbst gegenüber der Darstellung, die „nur" das Formelle des Gegenstandes begreift. Verbirgt sich hinter diesem Umstand der Anteil des Bewußtseins selbst an der zweiten Phase der Selbstprüfung? Dieser Umstand wäre ebenso notwendig für eine Darstellung des erscheinenden Wissens, wie der, von dem Hegel sagt, er sei es, „welcher die ganze Folge der Gestalten des Bewußtseins in ihrer Notwendigkeit leitet" (PhG 74). Mehr als ein Hinweis kann dies an dieser Stelle nicht sein; es wird sich zeigen, daß er in die richtige Richtung deutet.

§ 23 Der Doppelcharakter der Methode Die Selbstprüfung, eine „dialektische Bewegung", ist der Vorgang, durch den der Übergang von einer Bewußtseinsstufe zu einer anderen sich vollzieht. Ein solcher Übergang, durch dessen geregelte Wiederholung der Weg des Bewußtseins in der Darstellung des erscheinenden Wissens zustandekommt, mußte früher anhand des ersten Teiles der Einleitung auf eine doppelte Weise bestimmt werden. Er hatte einmal seinen Ursprung in einem Verhalten der Methode, seinerzeit vorläufig gegeben im Konstruktionsprinzip der bestimmten Negation; zum an-

§ 23 Der Doppelcharakter der Methode

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deren mußte eine von der Darstellung und ihrer Methode unabhängige Dynamik des Bewußtseins angenommen werden. Welchen Gewinn hat nun die ausführliche Interpretation des zweiten Teiles der Einleitung für das Verständnis der Methode der Darstellung des erscheinenden Wissens erbracht? Konnte die These vom Doppelcharakter der Methode bestätigt und präzisiert werden? Zunächst ist an folgendes zu erinnern: Die Darstellung des erscheinenden Wissens als Einheit von Kritik und Theorie ist nur zu leisten, wenn nicht wir, also die Theorie, sondern das zu Kritisierende selbst die Maßstäbe zur Überprüfung seiner Ansichten über das Wahre mitbringt, Maßstäbe, die es aus eben diesem Grund nicht abweisen kann. Jene unabdingbare Forderung aber führte zur Aporie des Maßstabes, als deren Auflösung die These von der Selbstprüfung entwickelt wurde. Diese These von der Selbstprüfung ist aber noch nicht voll verständlich gemacht. Es wurden zwei Phasen der Selbstprüfung unterschieden. Bezüglich der ersten Phase ist die Frage nach wie vor unbeantwortet, wie das Bewußtsein dazu komme, jene Reflexion in sich zu vollziehen. Bezüglich der zweiten Phase konnte festgestellt werden, daß in ihr der Doppelcharakter der Methode zum Vorschein kommt; die zweite Phase impliziert ein Moment, das dem dargestellten Bewußtsein zukommt, und ein Moment, das Zutat der Darstellung ist. Insofern bestätigt die zweite Phase der Selbstprüfung das früher Entwickelte. Wie aber steht es mit der ersten Phase? Angesichts dieser Problemlage scheint es sinnvoll, von der Bestimmung der Methode als dem „reinen Zusehen" her den Doppelcharakter der Methode noch einmal zu problematisieren. Wenn die Darstellung des erscheinenden Wissens (als Einheit von Kritik und Theorie) nur aufgrund einer Selbstprüfung möglich ist, könnte dann nicht trotz gegenteiliger Anzeichen der Doppelcharakter der Methode Schein sein? Muß nicht daran festgehalten werden: Die Selbstprüfung ist eine Eigendynamik des Bewußtseins, eine Bewegung, der die Darstellung nur zuzusehen hat? Der Anteil der Methode ist auf das reine Zusehen beschränkt. Hat Hegel nicht ausdrücklich erklärt, daß wegen der Selbstprüfung „uns auch von dieser Seite nur das reine Zusehen bleibt" (PhG 72)? Nun hat sich aber doch gezeigt, daß der Versuch, den zweiten Teil der Einleitung allein im Sinne der Eigenbewegung des Bewußtseins zu verstehen, zum Scheitern verurteilt ist; zu deutlich sind die Aussagen Hegels über die Zutat der Darstellung. Der Vorgang der Selbstprüfung

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kann auch nach den Ausführungen Hegels im zweiten Teil der Einleitung nicht so verstanden werden, daß er sich unabhängig von der Darstellung vollziehen kann. Die Zutat der Darstellung könnte aber immer noch die zweite Phase der Selbstprüfung allein betreffen. Um nachzuweisen, daß dies nicht der Fall ist, soll von den nun gewonnenen Erkenntnissen aus die erste Phase noch einmal betrachtet werden. Zunächst ist es nötig, endgültig von der Vorstellung loszukommen, das Bewußtsein vergleiche in der Selbstprüfung sein Wissen mit dem Ansich als einem fixen Maßstab, um sein Wissen ihm anzugleichen^z. Hegel selbst kommt im zweiten Teil der Einleitung bei der Beschreibung des fraglichen Vorgangs ohne die Vorstellung des Maßstabes aus. Vielleicht gehört sie einer überholten Stufe der Betrachtung an. Wenn sich aber die Selbstprüfung gar nicht als ein ausdrücklicher Vergleich des Wissens mit seinem Gegenstand vollzieht, muß dann nicht auch die Unwahrheit des Bewußtseins, das die Selbstprüfung vollzieht, anders bestimmt werden, als bisher geschehen? Kann man aber die Unwahrheit des zu prüfenden Wissens anders kennzeichnen als so, daß man sagt, das Wissen stimme mit dem Gegenstand nicht überein, wiewohl es nach einer Änderung mit ihm übereinstimmen könne? Kann der Gegenstand, das als Maßstab fungierende Ansich, überhaupt ein Gegenstand eines möglichen wahren Wissens sein, wenn die Prüfung zugleich eine solche des Maßstabes ist, und zwar so, daß auch dieser nicht standhält? Worin besteht dann aber die Unwahrheit des erscheinenden Wissens? Das Bewußtsein ist Wissen nur dem Anspruch nach: Es hält sich für wahres Wissen. Es behauptet die Übereinstimmung von Wissen und Gegenstand (Wahrheit), von Für-es und Ansich. Wie, wenn die Unwahrheit des erscheinenden Wissens darin läge, daß überhaupt eine Trennung gemacht wird zwischen dem Für-es und dem Ansich, zwischen Wissen und Wahrheit? Dies hätte die angedeutete Konsequenz, daß der von einer Gestalt des erscheinenden Wissens als das Wahre behauptete Gegenstand gar nicht Gegenstand eines möglichen wahren Wissens wäre. Die Unwahrheit beträfe den Gegenstand ebenso wie das Wissen dieses Gegenstandes. Daß diese Vermutungen richtig sind, könnte sich darin zeigen, daß nur so die Frage nach der ersten Phase der Selbstprüfung zu beantworten ist. Ich möchte das Folgende zunächst als Hypothese formulieren: Die Unwahrheit des erscheinenden Wissens liegt darin, daß es überhaupt seinen Inhalt in einer doppelten Gestalt hat, als Wissen und als Wahrheit. Solange das Wissen unwahr Vgl. oben § 16, S. 68 f.

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ist, muß das Bewußtsein eine solche Trennung machen, und solange das Wissen eine solche Trennung macht, ist es unwahres Wissen. Einzig aufgrund dieses Umstandes vollzieht sich die Selbstprüfung. Ihr movens ist also nichts anderes als der Widerspruch, der im traditionellen Verständnis von Wahrheit als Übereinstimmung liegt, daß nämlich das Wissen ein Ansich als Gegenstand von sich unterscheidet. Dem entspricht genau Hegels These: „Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst" (PhG 69). Die Selbstprüfung ist so in der Tat Implikat der Struktur des erscheinenden Wissens, d.h. des vom natürlichen Bewußtsein erhobenen Wahrheitsanspruches. Und deshalb kann Hegel nach den Einwänden, die die Selbstprüfung als unmöglich erscheinen lassen, einfach an zuvor Gesagtes erinnern^s. Was ich erste Phase der Selbstprüfung genannt habe, ist das Zugrundegehen des Wissens an dem Widerspruch, der allein darin besteht, den Inhalt an zwei Seiten, nämlich Wissen (Gewißheit) und Wahrheit zu verteilen: „Das Bewußtsein als die sich widersprechende Einheit von Einheit und Unterschiedenheit des Gegenstandes und seines Wissens von ihm ist das treibende Prinzip der Phänomenologie des Geistes als Erfahrung des Bewußtseins;..."2-*. In der Struktur des Bewußtseins als erscheinenden Wissens liegt also der Grund des Fortgangs. Diese Struktur ist aber keine qualitas occulta, auch nichts, was ausführlich in einer Theorie des Bewußtseins zu rechtfertigen wäre, sondern einzig der im Begriff „Wissen eines Ansich" gelegene Widerspruch. Und so wird noch einmal der Sinn der Unterscheidung von natürlichem Bewußtsein und erscheinendem Wissen deutlich. Das natürliche Bewußtsein hat als konkrete Totalität genügend Mittel, den Widerspruch im Wissen des Ansich hintanzuhalten. Erst wenn das Bewußtsein als erscheinendes Wissen genommen wird, d.h. wenn es auf seinen Wahrheitsanspruch festgelegt wird, zerstört es sich im Widerspruch. Soweit die Hypothese. Damit aber, so wird man einwenden, ist die Aporie der Selbstprüfung noch nicht aufgelöst. Wenn das Bewußtsein nicht von sich aus (ohne Hilfe der Methode) dahinter kommt, daß Wissen und Ansich sich nicht entsprechen, dann wird es erst recht nicht den Widerspruch bemerken, der darin bestehen soll. Wissen eines Ansich zu sein. Dieser Einwand besteht zu Recht. Auch nach der zuletzt entwickelten Präzisierung der Problematik der Selbstprüfung kann, was deren erste Phase anbelangt, „Allein gerade darin..." {PhG 72) oder „Das Bewußtsein weiß etwas..." (PhG 73). Röttges, a.a.O., S. 106.

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ein Weg des Bewußtseins als ein ständiger Übergang von Stufe zu Stufe nicht ohne Eingriff der Methode Zustandekommen. Der Eingriff der Methode, der Darstellung also, besteht allerdings - und das ist entscheidend - schon darin, das natürliche Bewußtsein als erscheinendes Wissen zu betrachten, d.h. es auf seinen Wahrheitsanspruch zu fixieren. Dies allein kann das „reine Zusehen" sein, von dem Hegel spricht. Der Vorgang der Selbstprüfung hängt schon in seiner ersten Phase wesentlich davon ab, daß das natürliche Bewußtsein als erscheinendes Wissen genommen wird; nur so kann - wie gefordertes . Jig Zerstörung des Gegenstandes und des zugehörigen Wissens den Untergang des Bewußtseins selbst bedeuten. Der Vorgang der Selbstprüfung kann nicht verständlch gemacht werden ohne Rückgriff auf Unterscheidungen, die als solche nicht für das Bewußtsein selbst sind und es daher auch nicht zu irgendetwas veranlassen können. Wenn so, mit anderen Worten, die Unterscheidung „für uns - für es" in die Bestimmung der Selbstprüfung eingeht, kann sie nicht ohne ein Verhalten der Darstellung zum Dargestellten sich vollziehen. Das Involviertsein der Darstellung, also der Methode in diesem Sinn, in beide Phasen der Selbstprüfung macht nun aber die Rede von „zwei Phasen" der Selbstprüfung selber unangemessen. Es hat sich gezeigt, daß es unmöglich ist, den Doppelaspekt der Methode so zu verstehen, daß seine beiden Momente den beiden Phasen der Selbstprüfung zugeordnet werden, das Bewußtsein also selber die erste Phase vollzieht, während die zweite Phase eine Zutat der Darstellung ist: „Nach dieser Interpretation entsteht bzw. entstand das methodologische Dilemma, das uns so viel Kopfzerbrechen bereitet, also aus der Spaltung der Erfahrung des Bewußtseins in erstens die Erfahrung der Unwahrheit des ersten Gegenstandes und zweitens die Genese des neuen Gegenstandes aus der Erfahrung der Unwahrheit des ersten"^*. Wenn aber die beiden Phasen der Selbstprüfung als ein und derselbe Vorgang aufgefaßt werden, gerät dann die Interpretation nicht ins andere Extrem? Die Methode der Darstellung des erscheinenden Wissens, anstatt das bloße Zusehen zu sein, wäre nun für den Fortgang des Bewußtseins allein verantwortlich. Worin besteht, wenn die Selbstprüfung so sehr der Hilfe der Darstellung bedarf, eigentlich noch die andererseits unerläßliche Eigendynamik des Bewußtseins? Ist die Darstellung des erscheinenden Wissens so nicht eine bloß „nachträgliche Systematisierung der Erfahrungen des Bewußtseins"?^^ Und, so kann man weiter25 Vgl. PhG, S. 69. 25 Vgl. Röttges, a.a.O., S. 135; vgl. auch S. 117. 22 Röttges, a.a.O., S. 115.

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fragen, was heißt dann noch Erfahrung? Könnte eine solche Systematisierung erklären, „wie das Bewußtsein selbst zu immer höheren Stufen gelangt der Art, daß die höheren Gestalten des Bewußtseins die Erfahrungen in den niedrigeren Stufen als Gegenstände vor sich haben"?^» Der Beweis für die Eigendynamik des Bewußtseins, für ein vom Zugriff der Darstellung unabhängiges Moment der Selbstprüfung, könnte nach dem Bisherigen nur noch im Auftreten der entsprechenden höheren Bewußtseinsstufe bestehen. Der Beweis für die Selbstprüfung der „Wahrnehmung" läge so im Auftreten des „Verstandes". Die Darstellung hätte dann, wenn das richtig ist, eine solche unabhängig von ihr vorhandene Gestalt des Bewußtseins (als eine Ansicht darüber, was das Wahre ist, also als erscheinendes Wissen) aufzunehmen und darzustellen. So könnte auch der Hinweis zu verstehen sein, der in der Unterscheidung zwischen Inhalt und Form des neuen Gegenstandes liegt. „Unsere" Kenntnis des neuen Gegenstandes aus der Umkehrung hat einen entscheidenden Mangel; Was wir auf diese Weise erreichen, ist rein „formell", ein „reinen Entstehen". Müßte die Darstellung des erscheinenden Wissens bei dieser Form stehen bleiben, so bliebe sie leer und die Darstellung wäre am Ende. Dieser Mangel wird ausgeglichen durch das natürliche Bewußtsein; es besitzt, als unabhängig von der Darstellung gegeben, den Inhalt, dessen Form uns entsteht. Die Darstellung des erscheinenden Wissens wäre dann möglich deshalb, weil die in der Selbstprüfung für uns entstandene Form die Anweisung enthielte, bestimmte Inhalte, die die Darstellung selber nicht ableiten kann, aus dem natürlichen Bewußtsein aufzunehmen. Wäre das richtig, dann verdankte sich der Fortschritt der PhG nicht allein der bestimmten Negation, auch nicht der Negation der Negation^’, sondern zugleich dem Aufnehmen von jeweiligen Inhalten als Gegenständen des natürlichen Bewußtseins, deren Form sich an sich oder für uns schon ergeben hat^o. Die Seite dessen, was nicht nur für uns ist, reduzierte sich so in der Tat auf den Umstand, daß es unterschiedene Gestalten des Bewußtseins gibt. Diese wären die von der auftretenden Wissenschaft Vorgefundene Ansichten darüber, was das Wahre ist. Diese würden kritisiert und ihrer Unwahrheit überführt, indem sie als Weg der Erfahrung des Bewußtseins organisiert würden. Dazu würden sie als erscheinendes Wissen genommen, d.h. auf ihren Wahrheitsanspruch und das darin analytisch enthaltene Verhältnis der beiden Seiten Für-es und Röttges, a.a.O., S. 115. So z.B. Heinrichs, a.a.O., S. 35. Von hier aus wäre auch jene wichtige Stelle am Ende der PhG zu verstehen, wo Hegel noch einmal auf unsere Zutat zu sprechen kommt: ,Was wir hinzugetan..." {PhG 556).

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Siebtes Kapitel

Ansich fixiert. Aber darin geschähe zugleich das Begreifen und Aussprechen der Erfahrung, die diese Bewußtseinsstufen definieren: in einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins^i. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Röttges, der das „methodologische Dilemma"^^, in das die Interpretation der Begriffe „Umkehrung des Bewußtseins" und „unsere Zutat" zunächst gerät, ausführlich darlegt. Vielleicht hat Röttges Recht, wenn er seine Überlegungen wie folgt zusammenfaßt: „Die Erfahrung des Bewußtseins als solche ist nur in ihrer Darstellung durch Hegel, sonst ist nur die jeweilige Gestalt des Bewußtseins. Die Darstellung der Erfahrung des Bewußtseins ist also ... nicht das bloße verbale Wiedergeben eines längst Vorhandenen, sondern das Werden dessen, was dargestellt wird. Die Erfahrung des Bewußtseins als solche ist nur in der Darstellung, die sie begreift"^^. Die letzten Überlegungen wurden im Konjunktiv vorgetragen, weil sich gegen sie noch ein schwerwiegendes Bedenken erhebt: Ist nicht doch unter der Hand das Moment der Eigendynamik des Bewußtseins, der Selbstbewegung, der wir nur zuzusehen haben, beseitigt? Ist nicht zumindest das Gleichgewicht der beiden methodischen Momente, das aufgrund der Interpretation des ersten Teils der Einleitung angenommen werden mußte, stark zugunsten einer durch „uns" vorgenommenen Organisation vorhandenen Materials verschoben? Die Methode der PhG ist die Einheit zweier Momente. Diese Einheit ist aber noch nicht begriffen34.

■>> Es sei darauf hingewiesen, daß der Weg des Bewußtseins vom Geistkapitel der PhG her noch einmal eine vertiefende Deutung erfahren wird, sofern die Gestalten des Bewußtseins „Abstraktionen des Geistes" (PhG 314) sind. Vgl. Röttges, a.a.O., S. 135. Röttges, a.a.O., S. 135 f. Nur aus systematischen Gründen (die zugleich solche der Darstellung sind) wird im folgenden das, was ich die Erweiterung der Beweisabsicht nenne, im Zusammenhang der Interpretation der Vorrede erörtert. Ich will damit also nicht behaupten, daß diese (erweiterte) Beweisabsicht nicht auch schon der Einleitung entnommen werden kann. Mein Vorgehen impliziert natürlich — darauf kann an dieser Stelle hingewiesen werden — die Annahme, daß die PhG trotz einer komplizierten Entstehungsgeschichte ein einheitliches Konzept realisiert. Dieses Konzept kann aber gerade durch entstehungsgeschichtliche Untersuchungen allein nicht aufgeklärt werden. — Zur Diskussion damit zusammenhängender Fragen vgl. z.B. J. H. Trede, Phänomenologie und Logik, in: Hegel-Studien Bd. 10, 1975, S. 173—209 und W. Bonsiepen. Zur Datierung und Interpretation des Fragments „C. Die Wissenschaft", in : Hegel-Studien Bd. 12, 1977, S. 179—190 sowie die in beiden Abhandlungen angegebene Literatur.

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Dritter Abschnitt

ZWEITER BEGRIFF EINER DARSTELLUNG DES ERSCHEINENDEN WISSENS. DIE PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES

Achtes Kapitel DIE ERWEITERUNG DER BEWEISABSICHT § 24 Die Modifikation des transzendentalen Begründungszusammenhanges

Die formalen Erörterungen des transzendentalen Begründungszusammenhanges hatten zu zwei Aporien geführt, deren womögliche Auflösung in Gestalt von Postulaten formuliert werden konnte. Der Grund für jene Aporien liegt in der, von Hegel her gesehen, reflexionsphilosophischen Gestalt, die der transzendentale Begründungszusammenhang als Geschichte des Selbstbewußtseins zunächst besitzt. Dem entspricht die Kennzeichnung seiner Beweisabsicht durch die Formel: Die Gegenstände richten sich nach der Erkenntnis. Die Realisierung der Postulate bedeutet eine entscheidende Modifikation des Begründungszusammenhanges, nämlich die Überwindung seiner reflexionsphilosophischen Gestalt. Die Beweisabsicht des so modifizierten Begründungszusammenhanges kann dann nicht mehr durch die genannte Formel allein gekennzeichnet werden. Hegels Philosophie stellt den Anspruch, den Ausgleich zwischen der Reflexionsphilosophie und der vortranszendentalen Metaphysik herbeizuführenE In diesem Sinn kann man die Beweisabsicht der Hegelschen Philosophie, zunächst der PhG, dadurch zu bestimmen versuchen, daß man jener Formel der Transzendentalphilosophie als die Formel der vorkritischen Metaphysik den Satz entgegensetzt: Die Er' Vgl. WdL I, S. 25 ff. u. Röttges, a.a.O., S. 29 f.

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Achtes Kapitel

kenntnis richtet sich nach den Gegenständen^. Hegels Philosophie ist die Synthese von Reflexionsphilosophie und Metaphysik aber nur dann, wenn sie zeigen kann, daß beides dasselbe ist, daß, mit anderen Worten, sich die Erkenntnis nach den Gegenständen richtet, sofern und indem sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten. Dies möglicherweise nach wie vor mit dem Anschein der Absurdität behaftete Programm hat aber in meinen Überlegungen schon eine präzise Gestalt angenommen: Die Einheit von Reflexionsphilosophie und Metaphysik ist prinzipiell realisiert, wenn es gelingt, den Begründungszusammenhang im Sinne der Postulate zu modifizieren; er müßte als solcher die Einheit von Kritik und Theorie ebenso sein wie die Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis des Ansichseienden. Unter diesem Vorblick wurde die Einleitung einer ausführlichen Interpretation unterzogen, wobei zunächst die Aporie der Propädeutik und ihre Auflösung im Blick standen. Es hat sich gezeigt, daß die PhG als Darstellung des erscheinenden Wissens die Einheit von Kritik und Theorie ist. Die Aporie der Propädeutik ist in der Darstellung des erscheinenden Wissens gelöst. Wie aber steht es mit der Aporie des Prinzips? Sie ist gelöst, wenn der Begründungszusammenhang zugleich den Charakter der Selbstbestimmung und den der Erkenntnis eines Ansichseienden hat. Nun hatte ich am Ende des 1. Abschnitts die These aufgestellt, die Methode der PhG lasse sich in diesem Sinne als Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden begreifen. Die Interpretation der Einleitung hat gewichtige Gründe zur Stützung auch dieser These erbracht. Auf die entscheidende methodologische Frage, wie die Reihenfolge der Gestalten des erscheinenden Wissens zustande komme, gibt die Einleitung nämlich eine in sich gedoppelte Antwort, die auf die Momente Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden hindeutet^. Wie der Doppelcharakter des Weges im ersten Teil der Einleitung, so impliziert auch die Selbstprüfung im zweiten Teil zwei Momente, die als einander widersprechende Aussagen formuliert und denen wichtige Stellen der Einleitung zugeordnet werden können; (1) Die Reihenfolge der Gestalten ist vorgegeben in einer Entwicklung, die das Darzustellende von sich aus vollzieht und die in der Darstellung, die den Charakter des „reinen Zusehens" hat, beschrieben wird. (2) Die Reihenfolge der Gestalten kommt allererst in und mit der Darstellung zustande. 2 Vgl. dazu oben, § 9, S. 42 ff. ' Die Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden ist der Sache nach ausgesprochen, wenn Puntel bezüglich der Methode der PhG ausführt: „Noologisch formuliert besagt dieser Sachverhalt, daß das Aufnehmen des Inhalts zugleich das Sichentwickeln des Denkens aus sich selbst ist" (Puntel, a.a.O., S. 296).

§ 24 Die Modifikation

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und zwar so, daß jene gemäß einem methodischen Prinzip auseinander erzeugt werden. Der ersten Aussage entsprechend verhält sich die Darstellung des erscheinenden Wissens als Erkenntnis eines Ansichseienden. Der zweiten Aussage entsprechend verhält sich die Darstellung als Selbstbestimmug: Die auftretende Wissenschaft setzt sich mögliche Positionen darüber, was das Wahre ist, entgegen, um sie zu kritisieren und in dieser Kritik sich selber zunehmend als die wahre Wissenschaft zu erweisen, d.h. sich selbst zu bestimmen. Die Selbstbestimung der auftretenden Wissenschaft geschieht so durch Organisation und Kritik möglicher Gegenpositionen**. Es muß nicht noch einmal gezeigt werden, daß keine der beiden Aussagen allein Grundlage eines Verständnisses der PhG bilden kann, beide vielmehr Aspekte einer einheitlichen Methode sind, die noch weiter bestimmt werden muß. Es gilt, jenes Bedenken auszuräumen, von dem am Ende des vergangenen Abschnitts die Rede war, daß nämlich das Gleichgewicht der methodischen Momente nicht gewährleistet sei. Bevor ich den Beitrag der Vorrede zur Lösung des Methodenproblems untersuche, möchte ich ergänzend zeigen, wie sich grundlegende formale Strukturen des transzendentalen Begründungszusammenhanges in der PhG wiederfinden lassen. (1) Für den transzendentalen Begründungszusammenhang sind drei Aussageebenen konstitutiv. Die erste Ebene betrifft das reflektierende Subjekt selbst, das anfangs nur diejenigen Bestimmungen besitzt, die ihm in seiner Selbstunterscheidung Zuwachsen. Innerhalb der PhG betrifft die erste Ebene die auftretende Wissenschaft selber, die sich in der Darstellung des erscheinenden Wissens von dem Schein befreit, nur eine Ansicht unter vielen zu sein. Die zweite Ebene betrifft das reflektierte Subjekt, aber bezüglich dessen, was es für uns, d.h. für das reflektierende Subjekt ist. Dem entspricht innerhalb der PhG dasjenige, was das natürliche Bewußtsein (als erscheinendes Wissen genommen) an sich oder für uns ist. Die dritte Ebene betrifft das reflektierte Subjekt hinsichtlich seines Selbstverständnisses. Das Selbstverständnis des natürlichen Bewußtseins ist innerhalb der PhG unter dem Titel „für es" thematisch. (2) Innerhalb des transzendentalen Begründungszusammenhanges als Geschichte des Selbstbewußtseins sind notwendig zwei Reihen, die Reihe der Darstellung und die Reihe des Dargestellten, zu unterscheiden. J In diesem Zusammenhang einer Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft soll später die viel diskutierte Frage nach der „Logik" der PhG erörtert werden. Vgl. unten § 32, S. 134 ff..

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Achtes Kapitel

(a) Die Reihe der Darstellung betrifft das Verhältnis der ersten zur zweiten Aussageebene. Ihre Aufgabe ist es, die anfängliche Diskrepanz zwischen dem reflektierenden Subjekt und dem, was das reflektierte Subjekt an sich ist, hinweg zu arbeiten, und zwar so, daß in ihr, dieser Reihe, diejenigen Bestimmungen, die dem reflektierten Subjekt an sich zukommen, als Bestimmungen des reflektierenden Subjekts gesetzt werden^. Bezüglich der PhG ist so viel schon zu sehen, daß am Ende die Aussagen, die die erste Ebene betreffen, und jene, die die zweite Ebene betreffen, vollkommen übereinstimmen: Die auftretende Wissenschaft hat sich zum absoluten Wissen, welches zugleich die Wahrheit aller Gestalten des Bewußtseins ist, fortentwickelt. Die auftretende Wissenschaft hat die Bestimmungen, die dem dargestellten Bewußtsein an sich (in Wahrheit) zukommen, als ihre eigenen Bestimmungen entwickelt und so die Einheit von Kritik und Theorie realisiert. (b) Die Reihe des Dargestellten betrifft das Verhältnis der zweiten zur dritten Aussageebene. Hier ergibt sich eine Reihenfolge aus dem, was das reflektierte Subjekt für sich selbst ist im Unterschied zu dem, was es an sich ist. Das als Wahrheitsanspruch zu kennzeichnende Selbstverständnis einer Gestalt des natürlichen Bewußtseins wird, als erscheinendes Wissen genommen, einer Prüfung unterzogen. Das Resultat dieser Prüfung ist die Zerstörung des Selbstverständnisses und des in ihm gelegenen Wahrheitsanspruches einer Gestalt des Bewußtseins, was jedoch nur für es selbst rein negativ ist. An sich oder für uns ist aber ein Inhalt* entstanden, der den Fortschritt innerhalb der Reihe des Dargestellten bewirkt, indem er die Anweisung enthält, eine ganz bestimmte Gestalt des natürlichen Bewußtseins in der gekennzeichneten Weise aufzunehmen; „Es kommt dadurch in seine Bewegung ein Moment des Ansich- oder Fürunsseins, welches nicht für das Bewußtsein, das in der Erfahrung selbst begriffen ist, sich darstellt; der Inhalt aber dessen, was uns entsteht, ist für es, und wir begreifen nur das Formelle desselben oder sein reines Entstehen" (PhG 74). Innerhalb der PhG betrifft die Reihe des Dargestellten das Verhälnis der zweiten zur dritten Aussageebene insofern, als dasjenige, was eine Gestalt an sich oder für uns ist (zweite Ebene), darüber entscheidet, welche Gestalt aufgenommen wird (dritte Ebene). So ist natürlich klar, daß die Ebenen nicht starr nebeneinander stehen bleiben; das Nebeneinander der drei Ebenen partizipiert an der Unwahrheit, die allem Anfang zukommt. ® Mein Gebrauch des Terminus „Inhalt" in diesem Zusammenhang weicht von dem Hegels, wie aus dem folgenden Zitat deutlich wird, ab. Was ich Inhalt nenne, heißt bei Hegel in diesen speziellen Zusammenhang „Form". Ist diese Abweichung einmal bekannt, dann ist sie ungefährlich.

§ 24 Die Modifikation

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(3) Bezüglich des transzendentalen Begründungszusammenhanges stellt sich das Problem des Anfangs gleich doppelt, sofern der Anfang der Reihe der Darstellung und der Anfang der Reihe des Dargestellten nicht zusammenfallen, also unterschieden werden müssen. (a) Der Anfang der Reihe der Darstellung innerhalb des transzendentalen Begründungszusammenhanges ist, wie früher ausführlich dargelegt, der Akt der Selbstunterscheidung des reflektierenden Subjekts vom natürlichen Bewußtsein. In diesem Akt der Selbstunterscheidung geht die Reflexion mit sich zusammen: Das Resultat der Selbstunterscheidung ist ein formales Selbstbewußtsein. Was aber ist der Anfang der Reihe der Darstellung innerhalb der PhG? Der Anfang der Reihe der Darstellung ist derjenige Anfang, der die Darstellung ermöglicht, indem diese mit ihm beginnt. Wenn die Darstellung ein „Verhalten der Wissenschaft zu dem erscheinenden Wissen" (PhG 70) ist, dann müßte das Auftreten der Wissenschaft bzw. diejenige Bestimmtheit, die sie in ihrem Auftreten hat oder sich gibt, der Anfang der Reihe der Darstellung sein. Das werden die folgenden Untersuchungen zu klären haben. (b) Das Problem des Anfangs der Reihe des Dargestellten erwies sich unter reflexionsphilosophischen Bedingungen als unlösbar. Das Durchdenken dieser Problematik führte zur Aporie der Propädeutik. Der Anfang der Reihe des Dargestellten innerhalb der PhG ist bekanntlich die „sinnliche Gewißheit": „Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist" (PhG 79). Was es mit diesem Anfang auf sich hat, ist aber erst dann verständlich, wenn man wirklich weiß, was diese sinnliche Gewißheit ist. Bisherige Interpretationsversuche ebenso wie die vielen „Widerlegungen" sind meines Erachtens deshalb gescheitert, weil man sich nicht die Mühe machte, die Frage zu verstehen und zu entwickeln, auf die die sinnliche Gewißheit die, wie sie zeigen wird, einzig mögliche Antwort ist. In die Ausarbeitung dieser Frage geht nämlich mindestens dreierlei ein: (1) Eine Reflexion auf die Natur des Anfangs; ihr entstammt die Bestimmung der Unmittelbarkeit; (2) die Unterscheidung von erscheinendem Wissen und natürlichem Bewußtsein (als natürliches Bewußtsein ist die sinnliche Gewißheit Unsinn; alle Kritiker haben aber genau dies unterstellt, und sie haben nichts anderes als die Unsinnigkeit ihrer eigenen Unterstellung bewiesen); (3) das Verhalten der auftretenden Wissenschaft zum natürlichen Bewußtsein, genauer: das Verhältnis des Anfangs der Reihe der Darstellung zum Anfang der Reihe des Dargestellten. Im Sinne dieser Überlegungen soll später die Frage nach dem Anfang der beiden Reihen gestellt werden.

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Achtes Kapitel

Beweisabsicht und Beweisstruktur der Darstellung des erscheinenden Wissens wurden durch eine Modifikation des transzendentalen Begründungszusammenhanges gewonnen. Dieser Leitfaden hat sich bewährt. In der Vorrede wird nun eine Erweiterung der Beweisabsicht vorgenommen; damit wird sich erneut die Frage nach den Bedingungen stellen, unter denen sie als realisierbar angenommen werden kann.

§ 25 Substanz und Subjekt Die Vorrede bestimmt Beweisabsicht und Beweisstruktur der PhG mit dem für die Hegelsche Philosophie zentralen Begriff des Geistes. Um bezüglich dieses Begriffs nicht gängigen Mißverständnissen zu erliegen, ist es notwendig, die bisher erzielten Ergebnisse voll im Blick zu halten und ihnen einen Leitfaden für die Interpretation der Vorrede zu entnehmen. Dieser besteht in der Frage danach, wie die Vorrede die Beweisabsicht und die Beweisstruktur, speziell den Doppelcharakter der Methode, bestätigt bzw. erweitert oder modifiziert. Dabei ist unterstellt, daß die Ausführungen der Vorrede in Verbindung mit den bisher erzielten Ergebnissen genügen werden, einen zureichenden (Vor-)Begriff des Geistes zu gewinnen, der dann allerdings durch die PhG seine Konkretisierung erfahren müßtet. Das Ziel der Darstellung des erscheinenden Wissens ist die Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft zum „absoluten Wissen". Dies Beweisziel wird in der Vorrede „die Wissenschaft" genannt und durch den Begriff des Geistes bestimmt: „Der Geist, der sich so entwickelt als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbaut" (PhG 24). Mit diesem Begriff der Wissenschaft ist auch die Aufgabe der Darstellung des erscheinenden Wissens bestimmbar: „Dies Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens ist es, was diese Phänomenologie des Geistes darstellt" (PhG 26). Was für das Resultat gilt, muß hier in gleicher Weise auch für das zugehörige Werden und seinen Anfang gelten. Wie das Resultat, die Wissenschaft, eine Gestalt des Geistes ist, nämlich die, in der er sich „so entwickelt als Geist weiß", so müssen auch die auftretende Wissenschaft und ihr Kontrahent, das natürliche Be^ Zur Entwicklung des Geistbegriffs bei Hegel vor 1807 vgl. z.B. U. Claesges, Legalität und Moralität in Hegels Naturrechtsschrift. Zur Problematik der praktischen Philosophie im Deutschen Idealismus, in: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx, Hamburg 1976, S. 53—74.

§ 25 Substanz und Subjekt

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wußtsein, durch den Begriff des Geistes bzw. durch ihm wesentlich zugehörige Momente bestimmbar sein. Der Titel „Phänomenologie des Geistes" deutet an, daß bei jenen Bestimmungen der aus der Einleitung bekannte Begriff der Erscheinung eine zentrale Rolle spielt. Die auftretende Wissenschaft war ebenso wie das natürliche Bewußtsein eine Erscheinung der Wissenschaft genannt worden. So müßten auch beide in einem speziellen Sinn Erscheinungen des Geistes genannt werden können, ln diesem Sinne nennt Hegel das Bewußtsein, das Gegenstand der Darstellung ist, das „unmittelbare Dasein" des Geistes; „Das unmittelbare Dasein des Geistes, das Bewußtsein hat die zwei Momente, des Wissens und der dem Wissen negativen Gegenständlichkeit. Indem in diesem Elemente sich der Geist entwickelt und seine Momente auslegt, so kommt ihnen dieser Gegensatz zu und sie treten alle als Gestalten des Bewußtseins auf" (PhG 32). Diese Verwendung des Geistbegriffs zur Kennzeichnung der PhG besagt aber solange recht wenig, wie nicht der Begriff des Geistes auch unabhängig von dem soeben angedeuteten Kontext bestimmt wird. Dies aber geschieht in der Vorrede bekanntlich durch das Begriffspaar Substanz und Subjekt: „Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht [nur - U.C.] als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken" (PhG 19). Entsprechend heißt es etwas später: „Daß das Wahre nur als System wirklich, oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht, - der erhabenste Begriff, und der der neueren Zeit und ihrer Religion angehört" (PhG 24). Die Forderung, die Substanz als Subjekt aufzufassen, verbindet Hegel mit einer Anspielung auf Spinoza, in dessen Substanz (Deus sive Natura) das Selbstbewußtsein untergegangen sei. Man würde Hegel aber mißverstehen, wenn man die Forderung, das Wahre auch als Subjekt aufzufassen, schon dadurch erfüllt sähe, daß man ihm neben der Bestimmtheit der Substantialität auch die Bestimmtheit der Subjektivität, des Selbstbewußtseins, zuspricht. Um zu wissen, daß das Absolute nicht nur ein Seiendes, sondern auch ein Sich-selbst-Bestimmendes ist, hätte es der Anstrengung der Hegelschen Philosophie nicht bedurft. Wie ist dann aber die Einheit von Substanz und Subjekt zu verstehen? Röttges hat dieses Problem einer genauen Analyse unterzogen; ich möchte ihm hier folgen. Zur „Einheit" von Substanz und Subjekt führt er aus; „Diese Einheit muß begriffen werden, nicht als seiende, dann wäre sie vorkantisch dogmatisch, sondern als Resultat,

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also zusammen mit seinem Gesetztwerden; der Resultatcharakter jedoch dieser Einheit verdankt sich, und das unterscheidet Hegel von aller Metaphysik qua Ursprungsphilosophie, der Reflexion; das Absolute muß als Resultat begriffen werden, weil die Reflexion zum Absoluten selbst gehört, nämlich das Absolute - als Subjekt - erst zu dem sich machen läßt, was es an sich - als Substanz - ist"®. Zur Bestätigung verweist Röttges u.a. auf zwei Stellen der Vorrede, die auch hier herangezogen seien: „Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und eben hierin besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt, oder Sichselbstwerden zu sein" (PhG 21). „Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird. Sie ist es, die das Wahre zum Resultate macht" (PhG 21)’. Damit die Einheit von Substanz und Subjekt nicht „vorkantischdogmatisch" als seiende aufgefaßt wird, ist es notwendig zu sehen, daß in der Bestimmung des Wahren als Subjekt das transzendentalphilosophische Prinzip des Sich-Richtens der Gegenstände nach der Erkenntnis aufbewahrt ist. Es ist also zu betonen, „daß das Erkanntwerden der zugrundeliegenden Substanz durch das erkennende Subjekt zum Begriff des Absoluten selbst gehört"'“. Welche Konsequenzen dies für das Verständnis der Methode der PhG hat, werden die folgenden Überlegungen zeigen.

§ 26 Die Erweiterung der Beweisabsicht Hegel kennzeichnet die Beweisabsicht der PhG in der Vorrede - im Zusammenhang mit dem projektierten System - als die „Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft" (PhG 12). Die Absicht, der Philosophie die Gestalt eines wissenschaftlichen Systems zu geben, bedarf angesichts des reflexionsphilosophischen Skeptizismus einer ausdrücklichen Rechtfertigung, ln einer Reflexion auf den Charakter einer solchen möglichen Rechtfertigung erfolgt nun eine Erweiterung der Beweisabsicht gegenüber dem, was zunächst der Einleitung entnommen werden konnte: „Daß die Erhebung der Philosophie zur Wis® Röttges, a.a.O., S. 31. ‘‘Vergleiche auch PhG 20: „Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt, oder was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens, oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst ist". Röttges, a.a.O., S. 29.

§ 26 Die Erweiterung der Beweisabsicht

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senschaft an der Zeit ist, dies aufzuzeigen, würde daher die einzig wahre Rechtfertigung der Versuche sein, die diesen Zweck haben, weil sie dessen Notwendigkeit dartun, ja ihn zugleich ausführen würde" (PhG 12)”. Die Erweiterung der Beweisabsicht besteht darin, daß eigens gezeigt werden muß: Die Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft ist an der Zeit. Es muß mit anderen Worten bewiesen werden, daß in der gegenwärtigen geschichtlichen Situation, daß mit der „Stufe", „worauf der selbstbewußte Geist gegenwärtig steht" (PhG 13), alle Bedingungen nicht nur für das Auftreten der Wissenschaft, sondern auch für deren Ausgeführtwerden gegeben sind. Dieser Nachweis kann aber in nichts anderem als in der Ausführung selbst bestehen. Man kann ermessen, was diese Erweiterung der Beweisabsicht für die PhG im Ganzen besagt, wenn man sie mit der Beweisabsicht einer Darstellung des erscheinenden Wissens, wie sie anhand der Einleitung entwickelt wurde, vergleicht. Aus der Einleitung ist zu entnehmen, daß die Beweisabsicht der Darstellung des erscheinenden Wissens dann erfüllt ist, wenn folgendes gilt: (1) Alle der auftretenden Wissenschaft gegenübertretenden (von ihr unterschiedenen) möglichen Positionen (Auffassungen darüber, was das Wahre ist) sind ihrer Unwahrheit überführt. (2) Die auftretende Wissenschaft hat als ausgeführte ihren Inhalt aus den widerlegten Positionen gewonnen. (3) Die Vollständigkeit der so berücksichtigten Positionen ist gewährleistet. Zu diesen Bedingungen ist nun eine weitere hinzugekommen: Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist in der Lage, die gegenwärtige geschichtliche Situation als eine zu begreifen, die die Wissenschaft als solche möglich (und notwendig) macht. Das besagt aber nichts anderes, als daß das Verhältnis der Darstellung des erscheinenden Wissens zur Geschichte in die Beweisabsicht und Beweisstruktur der PhG eingeht. Das Werden der Wissenschaft, das die PhG darzustellen hat, ist offenbar zugleich in irgendeinem Sinn ein geschichtlicher Prozeß, an dessen Ende diese Darstellung selber steht. So gesehen, könnte das Werden der Wissenschaft, bis auf den letzten Schritt, den die PhG vollzieht, ein Vergangenes sein und die PhG wäre die Geschichte, die dies Werden erzählt (vgl. PhG 557). Da dies Konsequenzen für die Beweisstruktur haben könnte, muß die angedeutete Möglichkeit noch diskutiert werden. Jedenfalls muß man von dieser Erweiterung der Beweisabsicht her die Rolle verstehen, die der Begriff des Geistes in der Bestimmung der Aufgabe der Darstellung des erscheinenden Wissens spielt. '' Damit reflektiert auch die Vorrede die Situation der auftretenden Wissenschaft. Vgl. auch PhG 16 f.

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Das Werden der Wissenschaft, das die PhG darstellt, ist in einem gewissen Sinn zugleich das Werden des Geistes, sofern er am Ende eine ausgezeichnete Gestalt besitzt (vgl. PhG 24). Wie sich aus der Erweiterung der Beweisabsicht ergibt, hat die Wissenschaft zugleich eine bestimmte geschichtliche Situation, eine „Gestalt des Geistes", zur Voraussetzung. Um den damit gegebenen Problembestand zu verstehen, ist es notwendig, die in bezug auf das Ganze der PhG entscheidende Kennzeichnung des Geistes vom Anfang des Geist-Kapitels heranzuziehen. Ich gebe die ganze Stelle: „Der Geist ist hiemit das sich selbst tragende absolute reale Wesen. Alle bisherigen Gestalten des Bewußtseins sind Abstraktionen desselben; sie sind dies, daß er sich analysiert, seine Momente unterscheidet und bei einzelnen verweilt. Dies Isolieren solcher Momente hat ihn selbst zur Voraussetzung und zum Bestehen, oder es existiert nur in ihm, der die Existenz ist. Sie haben so isoliert den Schein, als ob sie als solche wären; aber wie sie nur Momente und verschwindende Größen sind, zeigt ihre Fortwälzung und Rückgang in ihren Grund und Wesen; und dies Wesen eben ist diese Bewegung und Auflösung dieser Momente. Hier wo der Geist oder die Reflexion derselben in sich selbst gesetzt ist, kann unsere Reflexion an sie nach dieser Seite kurz erinnern; sie waren Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft" (PhG 314 f.). Das Werden der Wissenschaft realisiert sich in mehreren, wesentlich unterschiedenen Phasen. Die erste Phase hat den Geist als das „sich selbst tragende absolute reale Wissen" zum Resultat. Es wird zu untersuchen sein, in welchem Sinn diese erste Phase als „Werden des Geistes" (PhG 313) begriffen werden muß. Die zweite Phase stellt die Entwicklung des Geistes von der griechischen Sittlichkeit bis hin zur Moralität dar. In ihr, im „seiner selbst gewissen Geist" (PhG 423), ist die Stufe erreicht, die im Sinne der erweiterten Beweisabsicht die Voraussetzung für die Wissenschaft ist dergestalt, daß von ihr aus die Wahrheit der Religion begriffen werden kann. Die Darstellung der Religion ist eine dritte Phase, ihr Begriffenwerden im absoluten Wissen ist dann die vierte und letzte Phase. Wenn es erlaubt ist, die Realisierung der Beweisabsicht „Deduktion" (rechtfertigende Darstellung) zu nennen, so kann man sagen, daß die PhG im wesentlichen zwei solche Deduktionen enthält, nämlich (l) eine Deduktion des Geistes, die mit der sinnlichen Gewißheit beginnt und mit der gesetzprüfenden Vernunft schließt (Werden des Geistes) und (2) eine Deduktion des absoluten Wissens. In ihr wird gezeigt, wie der seiner selbst gewisse Geist den Inhalt der Religion zu begreifen in der Lage ist (Werden der Wissenschaft im engeren Sinn).

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Neuntes Kapitel DIE MODIFIKATION DER BEWEISSTRUKTUR § 27 Der Doppelcharakter der Phänomenologie des Geistes Die mit der Erweiterung der Beweisabsicht zusammenhängende Gliederung der PhG in vier Phasen ist nun keineswegs so unproblematisch, wie es den Anschein haben könnte. Das betrifft vor allem den Übergang von der ersten zur zweiten Phase bzw. das Auftreten der Gestalten des Geistes als Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern der Welti. Es steht zu vermuten, daß die Erweiterung der Beweisabsicht zu einer Modifikation der Beweisstruktur, soweit letztere im Ausgang vom transzendentalen Begründungszusammenhang entwickelt werden konnte, führt. So scheint es sinnvoll, zunächst die Bedingungen zu benennen, die erfüllt sein müssen, damit die erweiterte Beweisabsicht realisiert werden kann. In die Formulierung dieser Bedingungen - und das betrifft speziell den Übergang zum Geist-Kapitel - darf die Erweiterung der Beweisabsicht nicht einbezogen werden; denn es könnte ja sein, daß gerade sie das Unternehmen „Phänomenologie des Geistes" letztlich unmöglich macht. Die grundlegende Bedingung besteht in der Einheit der Methode. Die anhand der Einleitung entwickelte Methode muß auf die zweite und die weiteren Phasen übertragbar sein. Dies muß allerdings nicht direkt oder unmodifiziert geschehen. Zu fragen ist hier nach dem Zusammenhang der Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden mit der Einheit von Substanz und Subjekt. Eine damit zusammenhängende speziellere Bedingung betrifft die Möglichkeit des Auftretens des Geistes als des „absolut realen Wesens" innerhalb einer Darstellung des erscheinenden Wissens, deren Beweisabsicht - auch nach der Erweiterung - die Gewinnung der Wissenschaft bleibt. Der Geist kann als Dargestelltes in einer Darstellung des erscheinenden Wissens nur auftreten, sofern er derjenigen Gesetzmäßigkeit gehorcht, dergemäß innerhalb der Darstellung des erscheinenden Wissens die Stufen aufeinander folgen, wenn er also Resultat der voraufgegangenen Stufe oder Stufen ist. Daraus ergibt sich, wenn man die Vgl. die ausführliche Diskussion dieses Problems bei Röttges, a.a.O., S. 137 ff.

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herangezogenen Stellen aus dem Anfang des Geist-Kapitels (PhG 314 ff.) berücksichtigt, die Frage; Wie kann die Darstellung einer Entwicklung durch Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft das Werden des Geistes sein, wenn der Geist das „sich selbst tragende absolute reale Wesen" ist, jene Gestalten aber bloße „Abstraktionen" des Geistes sind? Wie kann er Resultat dessen sein, was andererseits ihn als Grund der Existenz voraussetzt? Die Deduktion des absoluten Wissens, die mit der Darstellung des Geistes beginnt, ist - das kann darüber hinaus gesagt werden - nur dann möglich, wenn der Geist die Bedingungen erfüllt, die die systematische Beweisabsicht der Darstellung des erscheinenden Wissens definieren, d.h. wenn er die Wahrheit aller Gestalten des natürlichen Bewußtseins ist. Dieser Nachweis wäre die oben genannte Deduktion des Geistes. Auszugehen ist bei den folgenden Überlegungen von dem Umstand, daß auch die Vorrede der PhG einen Doppelcharakter zuspricht, der für die Bestimmung der Methode von Bedeutung sein könnte. Die auftretende Wissenschaft hat sich gegenüber dem zeitgenössischen Bewußtsein zu rechtfertigen. Gegenüber dem, was in der Einleitung ausgeführt wurde, übernimmt diese Rechtfertigung in der Vorrede eine zusätzliche Aufgabe: die Hinführung des Individuums von seinem ungebildeten Standpunkt aus zur Wissenschaft (PhG 26). Dies Verhältnis wird von Hegel so dargestellt, daß das Individuum die Vergangenheit zu durchlaufen habe; „Der einzelne muß auch dem Inhalte nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist" (PhG 27). Jenes Durchlaufen ist nun aber in einer merkwürdigen Weise doppeldeutig: „ Dies vergangene Dasein ist bereits erworbenes Eigentum des allgemeinen Geistes, der die Substanz des Individuums und so ihm äußerlich erscheinend seine unorganische Natur ausmacht - die Bildung in dieser Rücksicht besteht, von der Seite des Individuums aus betrachtet, darin, daß es dies Vorhandne erwerbe, seine unorganische Natur in sich zehre und für sich in Besitz nehme. Dies ist aber von der Seite des allgemeinen Geistes als der Substanz nichts anders, als daß diese sich ihr Selbstbewußtsein gibt, ihr Werden und ihre Reflexion in sich hervorbringt" (PhG 27). Ein und derselbe Vorgang also, als Prozeß oder Weg, wird auf eine doppelte Weise bestimmt, indem er einmal von der Seite des Individuums aus, sodann von der Seite des allgemeinen Geistes, der „Substanz", aus betrachtet wird. Von der ersten Seite aus betrachtet, ist dieser Weg der Erwerb eines Vorhandenen, ein „In-sich-Zehren" und für sich in Besitz

§ 27 Die Doppelcharakter der Phänomenologie

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Nehmen. Genau dies aber ist von der anderen Seite aus betrachtet, der Prozeß, in dem sich der Geist qua Substanz ein Selbstbewußtsein gibt, sich als Subjekt bestimmt. Die folgenden Passagen, die den Gegenstand der PhG und deren Ziel benennen, sprechen dem, was als Phänomenologie des Geistes geschieht, ebenfalls eine solchen Doppelcharakter zu: „Das unmittelbare Dasein des Geistes, das Bewußtsein, hat die zwei Momente, des Wissens und der dem Wissen negativen Gegenständlichkeit. Indem in diesem Elemente sich der Geist entwickelt und seine Momente auslegt, so kommt ihnen dieser Gegensatz zu, und sie treten alle als Gestalten des Bewußtseins auf. Die Wissenschaft dieses Wegs ist Wissenschaft der Erfahrung, die das Bewußtsein macht; die Substanz wird betrachtet, wie sie und ihre Bewegung sein Gegenstand ist. Das Bewußtsein weiß und begreift nichts, als was in seiner Erfahrung ist; denn was in dieser ist, ist nur die geistige Substanz, und zwar als Gegenstand ihres Selbsts. Der Geist wird aber Gegenstand, denn er ist diese Bewegung, sich ein anderes, d.h. Gegenstand seines Selbsts zu werden, und dies Anderssein aufzuheben" (PhG 32). Nachdem Hegel kurz den Charakter der Bewegung benannt hat, fährt er fort: „Die Ungleichheit, die im Bewußtsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist der Unterschied, das Negative überhaupt" (PhG 32). Und von diesem Negativen, das das movens der Bewegung ist^, sagt Hegel, wobei der Doppelcharakter der Methode deutlich wird: „Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstände erscheint, so ist es ebensosehr die Ungleichheit der Substanz zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun, und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein. Indem sie dies vollkommen gezeigt, hat der Geist sein Dasein seinem Wesen gleich gemacht" (PhG 32). Erneut ist also von einem Weg die Rede, der einen doppelten Charakter hat. Er ist (1) die Aufhebung des Unterschiedes zwischen dem Ich und seinem Gegenstand und als das eine Tätigkeit gegen die Substanz, d.h. eine solche, die ihr äußerlich ist; (2) aber eine Tätigkeit der Substanz selbst, die gerade darin sich wesentlich als Subjekt zeigte. “ Vgi. oben § 21 ff., S. 83 ff. Was hier an zwei Stellen der Vorrede gezeigt ist, drückt Hegel in der Wissenschaft der Logik, wo er auf die PhG als Voraussetzung derselben eingeht, folgendermaßen aus: »Die Logik ist die reine Wissenschaft, das ist das reine Wissen in dem ganzen Umfang seiner Entwicklung. Diese Idee aber hat sich in jenem Resultate dahin bestimmt, die zur Wahrheit gewordene Gewißheit zu sein, die Gewißheit, die nach der einen Seite dem Gegenstände nicht mehr gegenüber ist, sondern ihn innerlich gemacht hat, ihn als sich selbst weiß, — und die auf der anderen Seite das Wissen von sich als von einem, das dem Gegenständlichen gegenüber und nur dessen Vernichtung sei, aufgegeben |hat], dieser Subjektivität entäußert und Einheit mit seiner Entäußerung ist" (WdL I, 53).

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Nachdem so deutlich geworden ist, daß auch die Vorrede der PhG einen Doppelcharakter zuschreibt, ist nun zu sehen, wie dieser mit den Begriffen Substanz und Subjekt bestimmt werden kann; beide Begriffe treten in den herangezogenen Formulierungen ja auf. In beiden Fällen wird von einer Entgegensetzung zwischen Subjekt und Substanz ausgegangen: Das Individuum wird Subjekt, der allgemeine Geist Substanz genannt; ebenso wird das Ich Subjekt, der Gegenstand aber Substanz genannt. Bestimmt wird nun zunächst ein Vorgang, bei dem das tätige Subjekt das ihm als Ansichsein Gegenüberstehende erkennt. Dieser selbe Vorgang wird dann in beiden Fällen als eine Tätigkeit der Substanz selbst aufgefaßt, und zwar so, daß sie sich selbst zum Subjekt bestimmt, sich ein Selbstbewußtsein gibt. Die Einheit von Substanz und Subjekt ist so Resultat eines Werdens, in welchem das Subjekt zur Substanz wird, indem es den ihm zunächst gegenüberstehenden substantiellen Inhalt als seinen eigenen setzt, ihn sich aneignet, welcher Vorgang aber zugleich bedeutet, daß die Substanz zum Subjekt wird, indem jener Vorgang ihr eigenes Tun ist.

§ 28 Die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt Die Bestimmung der Methode durch das aus der Erörterung des transzendentalen Begründungszusammenhanges stammende Doppelprinzip Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseienden gilt für die PhG als ganze. Es ist nicht möglich, obwohl es auf den ersten Blick so scheinen könnte, dies Prinzip auf die erste Phase der PhG zu beschränken, denn dann müßte die Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft vor dem Übergang zum Geist-Kapitel abgeschlossen sein. Dies ist aber durch die Erweiterung der Beweisabsicht ausgeschlossen. Es fragt sich nun, was der in der Vorrede konstatierte und mit den Begriffen Substanz und Subjekt bestimmte Doppelcharakter der PhG für deren Methode besagt. Zunächst ist festzuhalten, daß auch dieser Doppelcharakter die PhG im Ganzen betrifft und nicht etwa nur den zweiten Teil, der mit dem Geist-Kapitel beginnt. Ist das zugestanden, so bestehen zwei Möglichkeiten, die entsprechenden Aussagen der Einleitung und der Vorrede in einen Zusammenhang zu bringen: Entweder die referierten Bestimmungen der PhG durch das Begriffspaar Substanz und Subjekt sind eine Aussage über die Methode der PhG, dann müßten die beiden methodischen Prinzipien sich wechselseitig interpretieren bzw. als zwei Aspekte derselben Methode ausweisbar sein; oder sie

§ 28 Die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt

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sind es nicht, dann benennen die entsprechenden Aussagen der Vorrede den Gegenstand der PhG, das Darzustellende, mit einem Wort: dasjenige Ansichseiende, dessen Erkenntnis das eine Moment der Methode (gemäß Einleitung) ausmacht. Diese zweite Möglichkeit sei zunächst untersucht. Ihr gemäß wäre das Darzustellende die Bildung des Geistes von seinem unmittelbaren Dasein als Bewußtsein bis hin zur Wissenschaft, in der sich der Geist als Geist weiß. Dieser Prozeß hätte wegen des Bewußtseinsgegensatzes einen Doppelcharakter: Das Tun des Ich, das als solches die Substanz erkennt, ist zugleich das Tun dieser Substanz, die sich selbst bestimmt zum Subjekt. Beides ineins wäre aber etwas, was in der PhG hinsichtlich dessen, was es an sich, d.h. in Wahrheit ist, erkannt würde; es wäre dann als solches von der Darstellung unabhängig, weil ihr vorgegeben. Diese Auffassung führt aber zu unhaltbaren Konsequenzen. Sie setzt nämlich ein - wie sich zeigt -unhaltbares Verhältnis der PhG zur realen Geschichte voraus. Sie setzt voraus, daß es ein identisches Zugrundeliegendes (ein Subjekt) gibt, das nacheinander die Gestaltungen durchläuft, von denen die PhG berichtet. Für dieses Subjekt scheinen Namen zur Verfügung zu stehen; in der Vorrede ist es der „Geist", in der Einleitung das „natürliche Bewußtsein". Von der Entwicklung dieses Subjekts müßte dann auch gelten, daß die erste Gestalt auch zeitlich historisch die früheste Bestimmtheit jenes Zugrundeliegenden ist, die anderen müßten in entsprechender Weise folgen. Daß die zuletzt genannte Bedingung nicht erfüllt ist, lehrte schon ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis der PhG. Aber auch die andere Bestimmung ist nicht erfüllt: Es gibt kein zugrundeliegendes Subjekt, das von sich aus und von selbst den Weg von der sinnlichen Gewißheit bis zum absoluten Wissen durchläuft. Es bedarf vielmehr, damit dieser Weg zustandekommt, der Mithilfe der Darstellung, desjenigen also, was als Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft bestimmt worden ist. Aber vielleicht muß man berücksichtigen, daß die Gestalten des Bewußtseins Abstraktionen des Geistes sind, während er selber gerade als das Zugrundeliegende bestimmt ist: „Alle bisherigen Gestalten des Bewußtseins sind Abstraktionen desselben; sie sind dies, daß er sich analysiert, seine Momente unterscheidet und bei einzelnen verweilt. Dies Isolieren solcher Momente hat ihn selbst zur Voraussetzung und zum Bestehen, oder es existiert nur in ihm, der die Existenz ist" (PhG 314). Diese Selbstanalyse des Geistes, die mit den Begriffen Substanz und Subjekt bestimmmt wird, ist - so könnte man einwenden - das Darzustellende. Aber wo und wie vollzieht sich diese Selbstanalyse? Ist sie etwas, was ohne Mithilfe der Darstellung sich vollziehend gedacht

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werden kann? Genau dies ist aufgrund früherer Überlegungen zur Methode der Darstellung des erscheinenden Wissens ausgeschlossen. Ich darf an die ausführliche Erörterung der Unterscheidung von natürlichem Bewußtsein und erscheinendem Wissen erinnern. Die PhG stellt das erscheinende Wissen dar, nicht das natürliche Bewußtsein als solches. Das erscheinende Wissen hat als die Korrelation von Wissen und Gegenstand gar keinen substantiellen Charakter^. Er wäre aber notwendig, um die Reihenfolge der Gestalten des Bewußtseins als eine von der Darstellung unabhängige Reihe des Dargestellten auffassen zu können. Wenn man also sagt, das Bewußtsein selber gehe den Weg von Stufe zu Stufe, so ist das falsch; falsch zumindest, solange diese Aussage nicht durch die entgegengesetze ergänzt wird, die besagt, daß das Bewußtsein trotz der an ihm geübten Kritik bleibt, was es ist®. Außerdem muß gesagt werden, daß das natürliche Bewußtsein sich gleichzeitig auf verschiedenen Stufen aufhält: „Im gemeinen Leben hat das Bewußtsein Kenntnisse, Erfahrungen, sinnliche Konkretionen, auch Gedanken, Grundsätze, überhaupt solches zu seinem Inhalte, das als ein Vorhandenes oder als ein festes, ruhendes Sein oder Wesen gilt" (PhG 40 f.). Wenn also der Bezug der PhG zur Geschichte nicht darin besteht und die Reihenfolge der Gestalten nicht darin ihren Grund haben kann, daß die PhG eine historisch vorliegende Abfolge schildert, dann bleibt nur die erste Möglichkeit der Alternative, dann kann der in der Vorrede durch die Begriffe Substanz und Subjekt gekennzeichnete Doppelcharakter der PhG nicht das Dargestellte als solches betreffen, sondern kennzeichnet das Verhältnis der Darstellung zu ihrem Gegenstand, und damit die Methode. In der Bestimmung des Doppelcharakters der Methode gemäß der Einleitung ist es die auftretende Wissenschaft, die sich selbst bestimmt, indem sie das natürliche Bewußtsein hinsichtlich seines Ansichseins erkennt; die Selbstbestimmung ist so eine Sache der Darstellung, nicht des Dargestellten. Wie diese Selbstbestimmung aber nicht möglich ist ohne die Erkenntnis eines Ansichseienden, so ist auch die Erkenntnis des Ansichseienden nicht möglich ohne jene Selbstbestimmung. Nach Aussage der Vorrede ist das Werden der Wissenschaft, das die PhG darstellt, zugleich die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt. Ein solcher Vorgang scheint aber mit der Selbstbestimmung der auftre■* Vgl. Röttges, a.a.O., S. 102: „...das Bewußtsein ist keine zugrundeliegende, unveränderliche Substanz, die in ihrer Erfahrung noch obendrein zu einer vielleicht überflüssigen Selbsterkenntnis kommt, sondern es bestimmt sich als Subjekt, d.h. es erzeugt sich erst auf dem Weg seiner Erfahrung. Mit Bildern ist hier nichts mehr darzustellen...". 5 Vgl. Gramer: Zur formalen Struktur..., a.a.O., S. 157, Anm.

§ 29 Das Werden des Geistes

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tenden Wissenschaft nicht identisch zu sein, vielmehr die genau entgegengesetzte Richtung zu nehmen. Die Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft nimmt bei einem leeren Selbstbewußtsein ihren Ausgang, um sich Schritt für Schritt den Inhalt, der als Substanz bezeichnet werden muß, anzueignen. Aber gerade diese Aneignung des substantiellen Inhalts durch das erkennende Subjekt - das ist Hegels These - ist die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt. So ist die Phänomenologie des Geistes die Selbstbestimmung des Geistes (als der Substanz) zum Subjekt, weit entfernt davon, bloß deren Darstellung zu sein. Die Phänomenologie des Geistes ist das Werden der Wissenschaft. Diese Bestimmung des Verhältnisses der beiden Methodenaussagen zueinander ist aber noch zu allgemein und hinsichtlich ihrer Konsequenzen noch nicht voll durchsichtig. Sie berücksichtigt nämlich nicht die notwendige Gliederung der PhG, d.h. des Werdens der Wissenschaft, in mehrere Phasen. Unter Voraussetzung der nun weitgehend gesicherten Einheit der Methode soll auf diese Gliederung, vor allem auf den Übergang zum Geist-Kapitel, erneut eingegangen werden.

§ 29 Das Werden des Geistes Die Einheit der Methode als die oberste Bedingung der Realisierbarkeit der erweiterten Beweisabsicht ist erst dann endgültig gesichert, wenn es gelingt, den gerade in methodischer Hinsicht höchst problematischen Übergang von der ersten zur zweiten Phase der PhG voll verständlich zu machen. Wie läßt sich der von der erweiterten Beweisabsicht her notwendige Übergang zum Geist, wie läßt sich das Auftreten des Geistes als einer Gestalt der Welt (abgekürzt gesprochen) innerhalb der Darstellung des erscheinenden Wissens verstehen? Der Geist müßte der Gesetzlichkeit gehorchen, die für den Übergang von Stufe zu Stufe verantwortlich ist. Genau das ist der Fall. Die Reihenfolge der Gestalten des erscheinenden Wissens kommt dadurch zustande, daß die Darstellung genau die Gestalt des natürlichen Bewußtseins aufnimmt, die dadurch bestimmt ist, den identischen Inhalt, der Resultat der voraufgegangenen Stufe ist, an zwei Seiten zu verteilen und diese in eine Engegensetzung zu bringen. Das Resultat, das den Übergang zum Geist in diesem Sinne ermöglicht, ist die Aufhebung der Entgegensetzung zwischen dem „geistigen Wesen" (z.B. PhG 313) und dem ihm gegenüberstehenden Einzelnen«’. Das Werden des Geistes ist die Aufhebung dieses Unterschiedes. Hegel kennzeichnet das Resul® Zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen »geistigem Wesen" und »Geist" vgl. Röttges, a.a.O., S.137 ff.

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tat der Dialektik der praktischen Vernunft^ folgendermaßen; Der Geist „ist das Selbst des wirklichen Bewußtseins, dem er, oder vielmehr das sich als gegenständliche, wirkliche Welt gegenübertritt, welche aber ebenso für das Selbst alle Bedeutung eines Fremden, sowie das Selbst alle Bedeutung eines von ihr getrennten, abhängigen oder unabhängigen Fürsichseins verloren hat" (PhG 314). Aufgenommen werden kann der Geist als unmittelbare Sittlichkeit in der historischen Konkretion einer Weltgestalt deshalb, weil diese die den Geist definierende Einheit des geistigen Wesens und der Individualität als zwei einander entgegengesetzte Gestalten enthält: „Der Geist ist in seiner einfachen Wahrheit Bewußtsein und schlägt seine Momente auseinander" (PhG 317). Diese Entgegensetzung hat nun aber, was nicht übersehen werden darf, eine andere Form als bisher. Bisher war es so, daß ein und derselbe Inhalt, an sich oder für uns Resultat der vorangehenden Stufe, in der gedoppelten Form des Gegenstandes und des Wissens von ihm auftrat. Nun sind die Entgegengesetzten nicht Momente einer Gestalt, sondern selber Gestalten, die jene Einheit von geistigem Wesen und Selbst auf unterschiedene Weise realisieren. Wie aber das Bewußtsein bisher nicht wußte, daß Gegenstand und Wissen dasselbe waren, so wissen nun auch jene einander gegenüberstehenden, sich absolut setzenden Gestalten nicht, daß sie ein und dasselbe sind. Röttges kennzeichnet den hier angedeuteten Sachverhalt folgendermaßen: „... der alle Gestalten der Phä.d.G. überhaupt als solche definierende Unterschied zwischen dem Ansich und dem für das Bewußtsein Sein des Gegenstandes tritt innerhalb der Weltgestalten zugleich als Antagonismus zweier sich selbst zu Gestalten verdichtender Momente der jeweiligen Bewußtseins- und Weltgestalt hervor, so daß der Fortgang der Erfahrung des Bewußtseins in Gestalt eines polemischen Dialogs zwischen diesen -um es so zu nennen - sekundären Gestalten vor sich geht"®. Die Deduktion des Geistes, die jene Aufhebung der Entgegensetzung zwischen dem geistigen Wesen und der Individualität zum Resultat hat, wird von Hegel zu Beginn des Kapitels „Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst" (PhG 255 ff.) antizipierend beschrieben. Diese Beschreibung ist auf den ersten Blick in höchstem Maße verwirrend. Hegel nimmt das Resultat der nun darzustellenden Entwicklung in einer Bestimmung des Geistes vorweg: „In einem freien Volke ist darum in Wahrheit die Vernunft verwirk" Als eine solche kann man die Kapitel der PhG »Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst" und »Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist" ansehen. Röttges, a.a.O., S. 161.

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licht; sie ist gegenwärtiger lebendiger Geist, worin das Individuum seine Bestimmung, d.h. sein allgemeines und einzelnes Wesen, nicht nur ausgesprochen und als Dingheit vorhanden findet, sondern selbst dieses Wesen ist und seine Bestimmung auch erreicht hat" (PhG 258). Von diesem Geist ist das Selbstbewußtsein, das „nur unmittelbar und dem Begriffe nach Geist" ist und das nun Gegenstand der Darstellung sein soll, zu unterscheidet. Diese Gestalt des vernünftigen Selbstbewußtseins, mit der die Darstellung der Dialektik der praktischen Vernunft - um bei diesem Ausdruck zu bleiben - nun beginnt, hat eine merkwürdig doppeldeutige Stellung zum Geist als dem Resultat dieser Entwicklung: „Aus diesem Glücke aber, seine Bestimmung erreicht zu haben und in ihr zu leben, ist das Selbstbewußtsein, welches zunächst nur unmittelbar und dem Begriffe nach Geist ist, herausgetreten, oder auch - es hat es noch nicht erreicht; denn beides kann auf gleiche Weise gesagt werden" (PhG 258). Diese Doppeldeutigkeit der Bewegung wird von Hegel weiter erläutert: „Wenn also die Wahrheit dieses vernünftigen Selbstbewußtseins für uns die sittliche Substanz ist, so ist hier für es der Anfang seiner sittlichen Welterfahrung. Von der Seite, daß es noch nicht zu jener geworden, dringt diese Bewegung auf sie; und das, was in ihr sich aufhebt, sind die einzelnen Momente, die ihm isoliert gelten." (PhG 260). Dies ist die Bewegung, die man Werden des Geistes nennen kann: „In jener Bedeutung also sind jene Gestalten das Werden der sittlichen Substanz" (PhG 260). Wird aber die Ausgangssituation der darzustellenden Bewegung dadurch gekennzeichnet, daß man sagt, das Selbstbewußtsein habe das Glück, in der Substanz zu sein, verloren, so ist damit die sittliche Substanz „zum selbstlosen Prädikat herabgesunken", nicht Geist, sondern geistiges Wesen. So gesehen, folgen die darzustellenden Gestalten der sittlichen Substanz und „lösen es für das Selbstbewußtsein auf, was seine Bestimmung sei" (PhG 260). Eine solche Auflösung vollzieht sich aber später auch in der Entwicklung des eigentlichen Geist-Kapitels, im Weg von der unmittelbaren Sittlichkeit zur Moralität. Es heißt vom Geist: „Er muß zum Bewußtsein über das, was er unmittelbar ist, fortgehen, das schöne sittliche Leben aufheben und durch eine Reihe von Gestalten zum Wissen seiner selbst gelangen" (PhG 315). Das Werden des Geistes antizipiert also im gewissen Sinn das Werden der Moralität: „Nach jener ist das Ziel, das sie erreichen, die unmittelbare sittliche Substanz, nach dieser aber das Bewußtsein derselben, und zwar ein solches, das sie als sein eignes Wesen weiß; und insofern wäre diese Bewegung das Werden der Moralität, einer höheren Gestalt als jene" (PhG 260). Es sind nicht nur didaktische Gründe, die dazu geführt haben, dem Weg, den das „Selbstbewußtsein, welches

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nur erst der Begriff des Geistes ist" (PhG 261) nun anzutreten hat, in dieser Weise eine Doppelgestalt zu geben, wie es einer Formulierung Hegels zufolge den Anschein haben könnte’. Es ist vielmehr so, daß der Übergang zum Geist methodisch nur dann gerechtfertigt ist, wenn die „Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins" ineins das Werden der unmittelbaren Sittlichkeit und das der Moralität, des seiner selbst gewissen Geistes, ist. Bezüglich der Gestalt, mit der die darzustellende Entwicklung zu beginnen hat, ist natürlich der Unterschied zu machen zwischen dem, was sie für uns, d.h. die auftretende Wissenschaft, ist, und dem, was sie für sich selbst ist: „Wenn also die Wahrheit dieses vernünftigen Selbstbewußtseins für uns die sittliche Substanz ist, so ist hier für es der Anfang seiner sittlichen Selbsterfahrung" (PhG 260). Entsprechend ist die darzustellende Bewegung nur für uns die Analyse der sittlichen Substanz hinsichtlich ihrer Momente, eine Bewegung, die „Werden der Moralität" (PhG 260) genannt werden kann. Für das Bewußtsein selbst aber ist diese seine „sittliche Selbsterfahrung" weder das Werden der Sittlichkeit noch das Werden der Moralität. Entsprechend doppeldeutig ist auch das Ergebnis dieser Entwicklung. Die Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft hat in der Erkenntnis dessen, was der Geist ist, die Stufe des seiner selbst gewissen Geistes bereits erreicht. Die auftretende Wissenschaft bestimmt sich zum seiner selbst gewissen Geist; indem sie erkennt, was der Geist ist, hat sie das als ihre eigene Bestimmtheit gesetzt, was die bisherigen Gestalten Wahres an ihnen hatten. Nachdem „wir" wissen, was der Geist ist, kann er als Weltgestalt auftreten, kann er als diese aufgenommen werden. Aber warum muß er auftreten oder aufgenommen werden? Man hat immer wieder gerätselt, warum der Geist in einer Darstellung des erscheinenden Wissens auftaucht und die Meinung vertreten, die mit dem Geist beginnende Entwicklung, die der realen Geschichte folgt, sei überflüssig; und man hat versucht, diesen ärgerlichen Umstand historisch zu erklären. Die hier vertretene These aber besagt, daß das Auftreten des Geistes notwendig ist, weil die PhG nur so ihre Beweisabsicht realisieren kann. Der Geist muß auftreten, weil die auftretende Wissenschaft im Sinne der erweiterten Beweisabsicht ihre eigene geschichtliche Bedingung einholen muß. Mit anderen Worten: Die Bestimmtheit, die die auftretende Wissenschaft gewonnen hat, wird (im Sinne der erweiterten Beweisabsicht) zugleich als Resultat „Aber indem unsern Zeiten jene Form derselben näher liegt, in welcher sie erscheinen, nachdem das Bewußtsein sein sittliches Leben verloren und es suchen jene Formen wiederholt, so mögen sie mehr in dem Ausdrucke dieser Weise vorgestellt werden" {PhG 261).

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einer geschichtlichen Entwicklung erwiesen. Dabei gründet die auftretende Wissenschaft das bisher dargestellte natürliche Bewußtsein in den Geist, d.h. in die reale Geschichte, zurück. Die bisherigen Gestalten erweisen sich so als Abstraktionen des Geistes, indem sie in ihn als in ihren Grund zurückgehen. Dies ist die einzige Möglichkeit, die Doppeldeutigkeit der „Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins" zu verstehen. Die Entwicklung des Geistes selbst bis hin zur Moralität dient dann primär dem Nachweis, daß jene zusätzliche Bedingung gegeben ist, um die (sozusagen) die Beweisabsicht erweitert wurde: daß mit dem Auftreten der Wissenschaft zugleich alle Bedingungen für deren Ausführung erfüllt sind. In diesem Sinne sagt Hegel: „Was aber das Dasein dieses Begriffs [der Wissenschaft - U.C.] betrifft, so erscheint in der Zeit und Wirklichkeit die Wissenschaft nicht eher, als bis der Geist zu diesem Bewußtsein über sich gekommen ist" (PhG 557). Auch die Frage, wie der Geist Resultat seiner Abstraktionen sein kann, ist nunmehr zu beantworten. Die als Selbstanalyse zu kennzeichnende Bewegung, die den Geist zum Resultat hat, ist, wie bereits angedeutet, nichts, was unabhängig von der Darstellung sich vollzöge. Das Werden des Geistes hat vielmehr genau die Struktur, die vom Doppelcharakter der Methode gefordert ist. Nur indem der Geist Resultat der Erfahrung des Bewußtseins bzw. der Darstellung des erscheinenden Wissens ist, d.h. eines Prozesses, der zugleich den Charakter der Selbstbestimmung hat, ist er in dem erkannt, was er an sich ist: das absolute reale Wesen. Die Erkenntnis des Geistes ist das Werden des Geistes. Der Geist wird, indem er erkannt wird. Andernfalls wäre die Erkenntnis des Absoluten vorkantisch-dogmatisch. Das aus dem transzendentalen Begründungszusammenhang stammende und durch die Interpretation der Einleitung erhärtete methodische Prinzip erfährt hier also angesichts des schwierigsten methodischen Problems der PhG seine Bestätigung. Hier ist nun auch die Stelle, das Bedenken bezüglich des Gleichgewichts der methodischen Momente endgültig auszuräumeni®. Dies Bedenken galt - genauer gesprochen - der scheinbaren Beseitigung jeder Eigendynamik des Bewußtseins. Nun hat sich gezeigt: Das natürliche Bewußtsein besitzt eine Eigendynamik nur als Abstraktion des Geistes”. Indem aber die Einheit von Selbstbestimmung und ErkenntVgl. oben § 23, S. 96. '' Vgl. dazu Röttges, a.a.O., S. 115: „Nur unter der Voraussetzung, daß die Erfahrung des Bewußtseins schon immer die Phänomenologie des Geistes ist, daß also Hegel nur ausspricht, was das wahre, dem Bewußtsein aber noch verborgene und zwar notwendig verborgene Subjekt der Erfahrung des Bewußtseins ist, der Geist nämlich, also die existierende Einheit

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nis eines Ansichseienden (als Substantiell-Werden des abstrakten Selbstbewußtseins) zugleich die Selbstbestimmung der Substanz zum Subjekt ist, zeigt sich jene Fragestellung nach einer vom Zugriff der Methode (der „Zutat") unabhängigen Eigendynamik als unangemessen. Es zeigt sich aber auch, daß das „methodologische Dilemma" (Röttges) nur über eine Erweiterung der Beweisabsicht und der Beweisstruktur gelöst werden kann. Das Auftreten des Geistes in seiner weltgeschichtlichen Konkretion ist eben nicht ein Lapsus, nicht nur historisch zu erklären, sondern notwendig. Der Versuch, den Geist aus der Phänomenologie des Geistes zu entfernen, bedeutet eine gravierende Veränderung der Beweisstruktur dergestalt, daß das Beweisziel nicht mehr realisierbar ist^^. Wer auch noch das Beweisziel verändert, sollte zugeben, daß er gar nicht mehr über Hegels Phänomenologie des Geistes redet.

Substanz und Subjekt, um es abgekürzt zu sagen, läßt sich die Notwendigkeit in der Reihe der Bewußtseinsgestalten begründen, ohne das grundsätzliche Dilemma heraufzubeschwören, das in der Hegelschen ,Zutat' steckt". '2 Die verkürzte Form der Phänomenologie innerhalb der Enzyklopädie ist nicht Darstellung des erscheinenden Wissens, sondern ein Teil der Philosophie des Geistes.

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Zehntes Kapitel PROBLEME DES ANFANGS § 30 Der Anfang der Reihe der Darstellung Nachdem ich in den weit ausholenden Erörterungen der Kapitel 7 und 8 gezeigt habe, daß unter der Berücksichtigung der Vorrede und im Blick auf das Ganze der PhG die Bestimmung der Methode als Einheit von Selbstbestimmung und Erkenntnis eines Ansichseins zwar erweitert und modifiziert wird, grundsätzlich aber in Geltung bleibt, möchte ich den Blick wieder einschränken auf die speziellere Fassung des Methodenbegriffs. Dabei knüpfe ich erneut an die Erörterungen des transzendentalen Begründungszusammenhanges an. Das Ziel der folgenden Überlegungen ist die Gewinnung eines Ausgangspunktes für einen ersten Nachvollzug der Erfahrung des Bewußtseins in den ersten drei Kapiteln der PhG. Wenn man, zunächst unabhängig von den Differenzierungen, die der Erörterung des transzendentalen Begründungszusammenhanges entstammen, die Frage nach dem Anfang der PhG stellt, gerät man schnell in Verlegenheit. Während Hegel das Problem des Anfangs der Wissenschaft der Logik ausführlich behandelt^, begnügt sich die PhG mit der Auskunft, das erste Wissen, das unser Gegenstand sei, sei das unmittelbare Wissen, das Wissen des Unmittelbaren oder Seienden (PhG 79). Daß das Wissen ebenso wie sein Gegenstand unmittelbar sein muß, ergibt sich aus der Natur des Anfangs. Wenn es Aufgabe der Darstellung des erscheinenden Wissens ist, über ein Notwendigkeit verbürgendes Prinzip (abgekürzt gesprochen) eine Reihenfolge von Gestalten aufzuzeigen oder herzustellen, dann ergibt sich daraus eine wichtige Konsequenz für diejenige Gestalt des erscheinenden Wissens, mit der der Anfang gemacht, die zuerst dargestellt werden muß. Sie darf, im Unterschied zu allen anderen, nicht über das geforderte Prinzip auf eine ihr vorangehende Stufe beziehbar sein. Es könnte sich herausstellen, daß die sinnliche Gewißheit allein in dieser Hinsicht unmittelbar sein muß, in einer anderen Hinsicht aber gar nicht unmittelbar ist bzw. sein ' Zur Bedeutung der Frage nach dem Anfang für das Methodenproblem der PhG vgl. Röttges, a.a.O., S. 61. - .Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?" WdL 1, S. 51 ff.

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kann. Auch der Anfang der Logik ist in einer Hinsicht unmittelbar, in einer anderen aber durchaus vermittelt: durch die Phänomenologie des Geistes. Die PhG beginnt mit einer solchen ersten Gestalt des erscheinenden Wissens. Damit ist aber zugleich auch die Wissenschaft als solche da, jedoch in ihrem ersten Auftreten, d.h. noch nicht als das wahre Wissen, sondern als Erscheinung dieses wahren Wissens^. Die Wissenschaft des erscheinenden Wissens kann nicht allein mit einer ersten Gestalt des erscheinenden Wissens, sondern muß auch mit sich selber beginnen, mit sich selber, aber als Erscheinung. Dies nun ist der Ursprung des viel diskutierten „Wir" der PhG, das u.a. in der Wendung „an sich oder für uns" auftritt'*. Dies „Wir" steht für eine Position, von welcher aus die Darstellung des erscheinenden Wissens begonnen und durchgeführt wird und auf die wir uns begeben müssen, wenn wir die Darstellung des erscheinenden Wissens nachvollziehen wollen. Das „Wir" steht für die Position der auftretenden Wissenschaft. Von dieser Position wissen wir bisher nur, daß sie die Bestimmtheit der Erscheinung hat wie die Positionen auch, die sie darstellen soll. Ich habe früher den Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft diskutiert. Das Resultat sei hier wiederholt: Die Unausgeführtheit der Wissenschaft ist, wenn sie auftritt, ein ebenso uneingelöster Wahrheitsanspruch wie er bezüglich des unwahren Wissens neben der auftretenden Wissenschaft behauptet werden muß. So ergibt sich ein durchaus einheitlicher Sinn von Erscheinung: Wahrsein nur dem Anspruch nach, der als solcher unerfüllt ist. Nun besteht aber zwischen dem Erscheinungscharakter der auftretenden Wissenschaft und dem des unwahren, erscheinenden Wissens noch eine wesentliche Differenz. Das zeigt schon der Umstand, daß die Erfüllung ihres Anspruchs für die auftretende Wissenschaft etwas ganz anderes bedeutet als für das unwahre Wissen die Erfüllung des seinen. Während die auftretende Wissenschaft sich im Vollzug der Darstellung von ihrem Schein befreit, wie Hegel sagt, und (in einer Reihe von Schritten) wahre Wissenschaft wird, geht das unwahre, das „erscheinende" Wissen genau dadurch jedes Mal zugrunde. So ergeben sich bezüglich der Frage nach dem Anfang der PhG folgende Forderungen: Die auftretende Wissenschaft muß in ihrem 5 Vgl. oben § 11, S. 49 ff. ^ Unter dem Titel „Die Rolle des Phänomenologen" versucht W. Marx eine Aufklärung damit zusammenhängender Probleme. Mit der Bestimmung des Doppelcharakters der Methode der PhG ist die Frage nach der Rolle des Phänomenologen beantwortet bzw. sie erweist sich in dieser Form als unangemessen. Vgl. Marx, a.a.O., S. 94 ff.

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Auftreten als Erscheinung des wahren Wissens, der Wissenschaft in diesem Sinn also, bestimmbar sein. Das bedeutet zugleich: Es muß angebbar sein, worauf sich ihr Wahrheitsanspruch stützt, und es muß angebbar sein, worin die Unerfülltheit dieses Anspruchs besteht. Als Erscheinung hat sie ein Moment von Wahrheit und ein Moment von Unwahrheit an sich. Sie muß ferner unangesehen ihres Erscheinungscharakters die Darstellung des erscheinenden Wissens zumindest begannen können. Die Frage nach dem Anfang der PhG verlangt als Antwort also nicht nur die Angabe derjenigen Gestalt, mit der der Anfang der Reihe des Dargestellten gemacht werden muß, sie verlangt auch zu wissen, wie die auftretende Wissenschaft bestimmt ist und wer „Wir" sind, wenn wir die Darstellung des erscheinenden Wissens beginnen. Die Frage nach dem Anfang der PhG kann also im Sinne meines Ansatzes präzisiert werden: sie betrifft den Anfang der Reihe der Darstellung (die auftretende Wissenschaft), den Anfang der Reihe des Dargestellten (die sinnliche Gewißheit) und das Verhältnis der beiden Anfänge zueinander. Bei der Entwicklung der Idee des transzendentalen Begründungszusammenhanges waren bereits einige Bestimmungen des Anfangs der Reihe der Darstellung gewonnen worden. Gelten diese Bestimmungen auch für den Anfang der PhG in diesem Sinn? Was hat die auftretende Wissenschaft mit dem aus der Selbstunterscheidung herstammenden formalen Selbstbewußtsein der Reflexion zu tun? Vor einem Blick in die Vorrede - die Einleitung enthält in dieser Hinsicht keine Information - ist zu prüfen, ob und in welchem Sinn das aus der Selbstunterscheidung resultierende Selbstbewußtsein als Anfang der Reihe der Darstellung eine Erscheinung des wahren Wissens genannt werden kann. Das Selbstbewußtsein hat, wie früher dargelegt, solche Bestimmungen, die sich der Selbstunterscheidung verdanken. Im Selbstbewußtsein sind Reflektierendes und Reflektiertes dasselbe, es ist, wie Fichte und Schelling es ausdrückten, die Identität von Subjekt und Objekt. Als diese Identität aber ist es Wissen. Aber dies Wissen hat sich durch den Akt der Selbstunterscheidung von allem Wißbaren abgesondert: es ist die leere Form des Wissens ohne jeden Inhalt. Das formale Selbstbewußtsein hat durch den Vollzug, der es selbst konstituiert, die Totalität möglicher Inhalte des Wissens aus sich ausgeschlossen und sich damit entgegengesetzt^. Diese Inhalte sind aber nur als Inhalte von Wissen: 5 Vgl. dazu die Ausführungen Hegels über den „Anfang mit Ich' zu Beginn der Wissenschaft der Logik (I, S. 60 ff.). Hegel zeigt von diesem Anfang, daß er nicht Anfang der Logik sein kann. Andererseits wird er von ihm so charakterisiert, daß er durchaus als Anfang der PhG infrage kommt. Das Ich als „Anfang und Grund der Philosophie" wird gewonnen in einem „absoluten

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dem formalen Selbstbewußtsein steht mannigfach bestimmtes Bewußtsein gegenüber. Dieses ist inhaltlich bestimmtes, aber (möglicherweise) unwahres Wissen. Ist damit nicht genau die Situation beschrieben, die in der Einleitung als das Auftreten der Wissenschaft bestimmt wurde? Die auftretende Wissenschaft ist Erscheinung des wahren Wissens, weil sie den Anspruch, wahres Wissen zu sein, nicht erfüllt. Sie erfüllt ihn deshalb nicht, weil das Wissen des Selbstbewußtseins vollkommen leer ist. Das Selbstbewußtsein ist Erscheinung des wahren Wissens, weil es als Form dem Inhalt, oder - was dasselbe ist - als Gewißheit der Wahrheit* noch gegenübersteht. Was Erscheinung des wahren Wissens, der Wissenschaft in diesem Sinn, genannt wird, ist (gleichsam) die Verbindung des wahren Wissens, aber als Moment, mit einem Moment der Unwahrheit. Das Selbstbewußtsein ist hinsichtlich seiner Form Moment des wahren Wissens. Seine Leere aber ist das damit verbundene Moment von Unwahrheit; denn das wahre Wissen ist das inhaltlich erfüllte Wissen. Das Selbstbewußtsein wird dieser seiner Unwahrheit inne, wenn es sich selbst mit dem vergleicht, wovon es sich abgesetzt hat. Es gewann die absolute Form, mußte aber den gesamten Inhalt opfern. Das von der auftretenden Wissenschaft unterschiedene unwahre Wissen kann Erscheinung genannt werden, weil sein Inhalt notwendig Inhalt des wahren Wissens ist; das Moment der Unwahrheit, das ihm zukommt, ist die Form, in der es seinen Inhalt hat: die Form der NichtIdentität, des Bewußtseinsgegensatzes. Aus dem Verhältnis dieser beiden Erscheinungen der Wissenschaft - die Form der Wissenschaft ohne ihren Inhalt und der Inhalt der Wissenschaft ohne ihre Form, letzterer an mannigfaches Bewußtsein zerstreut - ergibt sich die Idee der Darstellung des erscheinenden Wissens: Wir, die wir auf dem Standpunkt der Form stehen, d.h. der auftretenden Wissenschaft, lassen uns im erscheinenden Wissen Inhalte in inadäquaten Formen vorgeben. Dabei liest das formale Selbstbewußtsein der Reflexion an sich selber die mögliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität ab, auf die hin es die Gestalten des natürlichen Bewußtseins betrachtet, wodurch sie Akt": Akt wäre eigentlich nichts anderes als die Erhebung auf den Standpunkt des reinen Wissens, auf welchem der Unterschied des Subjektiven und Objektiven verschwunden ist. Aber wie diese Erhebung so unmittelbar gefordert ist, ist sie ein subjektives Postulat; um als wahrhafte Forderung sich zu erweisen, müßte die Fortbewegung des konkreten Ichs vom unmittelbaren Bewußtsein zum reinen Wissen an ihm selbst, durch seine eigene Notwendigkeit, aufgezeigt und dargestellt worden sein." Ist das letztere nicht ein präzise Bestimmung der Aufgabe der PhC, die mit dem Ich des Selbstbewußtseins als einem «subjektiven Postulat" beginnt, um die Fortbewegung desselben zum reinen Wissen darzustellen? Vgl. WdL I, S. 24.

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erscheinendes Wissen werden. Das Selbstbewußtsein nimmt so auch sich selbst als erscheinendes Wissen. Die vorgegebenen Inhalte erlangen durch die an ihnen ausgeübte Kritik die ihnen angemessene Form. Das bedeutet umgekehrt für die Position der auftretenden Wissenschaft (auf der „wir" stehen, sofern wir die Darstellung durchführen), daß sie sich fortlaufend verändert, indem sie zunehmend Inhalte in sich aufnimmt. So kann, wie gefordert, die Darstellung des erscheinenden Wissens zugleich das Werden der Wissenschaft selbst sein: „Dies Werden der Wissenschaft überhaupt oder des Wissens ist es, was die Phänomenologie des Geistes darstellt" (PhG 16)'’. Wenn die Unwahrheit der auftretenden Wissenschaft allein in ihrem Mangel an Inhalt besteht, ihre Form aber als solche die Form der Wissenschaft, des Wissens überhaupt, ist, dann ist die auftretende Wissenschaft die formale Antizipation des absoluten Wissens, desjenigen Wissens, das Ziel der Darstellung ist. Das formale Selbstbewußtsein antizipiert das absolute Wissen in seiner ihm selbst zugehörigen Form®. Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist zugleich das Werden der Wissenschaft (als Selbstbestimmung), weil die sich wiederholende Selbstprüfung des erscheinenden Wissens an sich oder für uns zugleich das sich Entwickeln eines Inhalts ist, der, indem er sich mit der antizipierten Form vermittelt, deren Unwahrheit ebenso wie seine eigene aufhebt und so die Antizipation erfüllt. Genau in diesem Sinn kennzeichnet Hegel das Resultat dieser Entwicklung: „Das Sein ist absolut vermittelt; - es ist substantieller Inhalt, der ebenso unmittelbar Eigentum des Ichs, selbstisch oder der Begriff ist. Hiemit beschließt sich die Phänomenologie des Geistes" (PhG 32 f.)‘’. " Vgl. unten § 28, S. 110 ff. '* Zum Problem des Selbstbewußtseins bei Hegel vgl. K. Gramer, „Erlebnis". Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbewußtseins... a.a.O. Gramer ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Der systematische Ort von Hegels Theorie des Selbstbewußtseins ist nicht die ,Phänomenologie des Geistes'"(601). Für den Ansatz der Hegelschen Philosophie hat der Begriff des Selbstbewußtseins aber eine entscheidende Bedeutung; „Sein Konzept in dieser Bezugnahme läuft darauf hinaus, die im Phänomen des Selbstbewußtseins unmittelbar fraglose, aber abgründig opake Selbstgewißheit zum Ausgangspunkt einer Theorie des Wissens zu machen, in der eben diese Selbstgewißheit in ein Wissen von ihrer Bestimmtheit aufgelöst werden kann" (600). Genau dies geschieht in der PhG; ob und inwieweit sich dieser Prozeß erst in der Wissenschaft iler Logik vollendet, kann hier nicht untersucht werden. Vgl. auch unten § 7, S. 36 ff. " Hegel selbst verwendet das Begriffspaar Form — Inhalt in diesem Sinn, z.B. wenn er den Übergang von der Religion zum absoluten Wissen beschreibt: „Die Vereinigung beider Seiten ist noch nicht aufgezeigt; sie ist es, welche diese Reihe der Gestaltungen des Geistes beschließt; denn in ihr kommt der Geist dazu, sich zu wissen nicht nur, wie er an sich, oder nach seinem absoluten Inhalte, noch nur, wie er für sich nach seiner inhaltslosen Form [Hervorhebung von mir — U.G.l oder nach der Seite des Selhstbewußtseins [Hervorhebung von mir, U.G.[, sondern wie er an und für sich ist" (PhG 553); vgl. auch PhG 554 ff. und Röttges, a.a.O., S. 166 ff., bes. S.176.

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Die Vorrede selber bringt den Anfang der Phänomenologie des Geistes mit dem Prinzip der Reflexionsphilosophie in Zusammenhang. In einer Art äußerer Reflexion wird aufgezeigt, daß in der Bildung des Zeitalters; daß mit der Stufe, „worauf der selbstbewußte Geist gegenwärtig steht" (PhG 13): alle Bedingungen für die Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft gegeben sind. Damit thematisiert die Vorrede die Situation der auftretenden Wissenschaft. So spricht Hegel vom Anfang des neuen Geistes, von seinem ersten Auftreten. Er spricht von der Wissenschaft, die erst beginne und es also noch weder zur Vollständigkeit des Details noch zur Vollkommenheit der Form gebracht habe, usw.Das Auftreten der Wissenschaft hat von daher gesehen den Charakter eines Entschlusses, eines ausdrücklichen Ergreifens einer in der Bildung des Zeitalters gegebenen Möglichkeit. Das Selbstbewußtsein, nach dem Bisherigen die Position der auftretenden Wissenschaft, ist ja zugleich das Prinzip der Reflexionsphilosophie'k Dies Prinzip wird aber nicht unmodifiziert übernommen: „Der Anfang, das Prinzip oder das Absolute, wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist nur das Allgemeine. ... Was mehr ist als ein solches Wort, der Übergang auch nur zu einem Satze, enthält ein Anderswerden, das zurückgenommen werden muß, ist eine Vermittlung" (PhG 21). Gegen diese Vermittlung wehren sich diejenigen, die das Absolute in einer unmittelbaren Anschauung zu haben meinen (Schelling). Dies habe seinen Grund aber, so Hegel, in der „Unbekanntschaft mit der Natur der Vermittlung und des absoluten Erkennens selbst. Denn die Vermittlung ist nichts anderes als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst, das Moment des fürsichseienden Ich, die reine Negativität oder, auf ihre reine Abstraktion herabgesetzt, das einfache Werden. Das Ich oder das Werden überhaupt, dieses Vermitteln ist um seiner Einfachheit willen eben die werdende Unmittelbarkeit oder das Unmittelbare selbst" (PhG 21). Damit ist eine - sit venia verbo - „dialektische" Interpretation des Prinzips des Selbstbewußtseins vollzogen'^. Die Modifikation, die das Prinzip des Selbstbewußtseins erfahren muß, um Prinzip der PhG zu werden, wird von Hegel auch als Verflüssigung fixer Gedanken beschrieben: „Es ist aber weit schwerer, die festen ln diesem Zusammenhang gibt es einen charakteristischen Gebrauch des Begriffs „Begriff": „Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein Begriff". Dies ist derselbe Gebrauch wie in der Wendung der Einleitung, der gemäß das natürliche Bewußtsein „nur Begriff des Wissens oder nicht reales Wissen" ist {PhG 16 u. 67). ■' Vgl. dazu W. Marx, a.a.O., S. 59 ff. Diese Interpretation wird sich am Ende der Dialektik des Bewußtseins in der Bestimmung des Selbstbewußtseins als des absoluten Unterschiedes bestätigen. Vgl. PhG 126 f. und unten § 40, S. 177 ff.

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Gedanken in Flüssigkeit zu bringen, als das sinnliche Dasein. Der Grund ist das vorhin Angegebene; jene Bestimmungen haben das Ich, die Macht des Negativen oder die reine Wirklichkeit zur Substanz und zum Element ihres Daseins; die sinnlichen Bestimmungen dagegen nur die unmächtige abstrakte Unmittelbarkeit oder das Sein als solches. Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere Unmittelbarkeit, sich als Moment erkennt, oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahiert; - nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Konkreten, welches Ich selbst im Gegensatz gegen unterschiedenen Inhalt ist, als das Fixe von Unterschiedenen, die im Elemente des reinen Denkens gesetzt, an jener Unbedingtheit des Ich Anteil haben" (PhG 30 f.). Das Selbstbewußtsein gibt aber das Fixe seines Selbstsetzens auf, indem es sich, seiner eigenen Unwahrheit eingedenk, in einer Darstellung des erscheinenden Wissens auf den zunächst ausgeschlossenen Inhalt einläßt. Wenn aber das Selbstbewußtsein sich nicht als Moment erkennt, wenn die reine Gewißheit seiner selbst nicht auch von sich abstrahiert, dann bleibt es formeller Verstand, und die von Hegel in seiner Kritik der Reflexionsphilosophie aufgezeigten Konsequenzen sind unvermeidlich. Über den Unterschied zwischen dem formellen Verstand, der bei der „Reflexion in das leere Ich", der „Eitelkeit seines Wissens" (PhG 49) stehen bleibt, und dem wissenschaftlichen Erkennen, das auch schon die Phänomenologie des Geistes realisiert (vgl. PhG 74) sagt Hegel: „Statt in den immanenten Inhalt der Sache einzugehen, übersieht er [der formelle Verstand -U.C.] immer das Ganze und steht über dem einzelnen Dasein, von dem er spricht, d.h. er sieht es gar nicht. Das wissenschaftliche Erkennen erfordert aber vielmehr, sich dem Leben des Gegenstandes zu übergeben oder, was dasselbe ist, die innere Notwendigkeit desselben vor sich zu haben und auszusprechen. Sich so in seinem Gegenstand vertiefend, vergißt es jener Übersicht, welche nur die Reflexion des Wissens aus dem Inhalte in sich selbst ist. Aber in die Materie versenkt und in deren Bewegung fortgehend, kommt es in sich selbst zurück, aber nicht eher als darin, daß die Erfüllung oder der Inhalt sich in sich zurücknimmt, zur Bestimmtheit vereinfacht, sich selbst zu einer Seite seines Daseins herabsetzt und in seine höhere Wahrheit übergeht. Dadurch emergiert das einfache sich übersehende Ganze selbst aus dem Reichtume, worin seine Reflexion verloren schien" (PhG 45). Auch ohne ausführliche Interpretation der herangezogenen Stellen dürfte deutlich geworden sein, daß der Anfang der Reihe der Darstellung, genannt „auftretende Wissenschaft", im Selbstbewußtsein der

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Zehntes Kapitel

Reflexion besteht, das sich aus dem Inhalt in sich selbst reflektiert, dann aber nicht bei sich bleibt, um sich als Skeptizismus zu verfestigen, sondern sich in der Weise der Darstellung des erscheinenden Wissens auf diesen Inhalt einläßt, „sich vollbringender Skeptizismus" (PhG 67) wird. Das Selbstbewußtsein muß seine Momenthaftigkeit erkennen, es muß erkennen, daß es trotz der absoluten Wahrheit seiner Form in der absoluten Unwahrheit einer totalen Inhaltslosigkeit steht. Und es muß erkennen, daß es gerade in der absoluten Form der Widerspruch ist, der absolute Unterschied, der über sich hinaustreibt^^. Auch Fulda sieht hinsichtlich der „Forderung eines wissenschaftlichen Einleitungsverfahrens" den Zusammenhang zwischen dem Skeptizismus und dem Prinzip der PhG. Er kennzeichnet das skeptische Bewußtsein, dem der „spekulative Begriffszusammenhang" noch verborgen sei, wie folgt: „Darum kann dieses die Erkenntnisformen nur aufnehmen. Es verhält sich zu seinem Inhalt als zu einem Fremden, Objektiven, aus dessen Verwirrung es sich in die abstrakte Identität seiner mit sich selbst zurückzieht. Es ist in diesem Verhältnis also wesentlich Bewußtsein, näher Selbstbewußtsein. Seine formelle Einheit mit sich ist die einzige, die an ihm und für es selbst die verschiedenen Formen, in denen es sich zu schaffen macht, miteinander verbindet"i'‘. Das skeptische Selbstbewußtsein kann aber seine einseitige Fixierung aufgeben und so zum Prinzip einer wissenschaftlichen Darstellung dessen werden, was es vordem nur aus sich ausgeschlossen hatte: Ihm „wird die Anstrengung zugemutet, diese Freiheit aufzugeben, und statt das willkürlich bewegende Prinzip des Inhalts zu sein, diese Freiheit in ihm zu versenken, ihm durch seine eigne Natur, d.h. durch das Selbst als das seinige sich bewegen zu lassen und diese Bewegung zu betrachten" (PhG 48). Röttges schreibt dazu: Es gehe „um eine affirmative Aufhebung des Skeptizismus, die zugleich die reine Subjektivität, die als skeptische Reflexion die sich auf sich beziehende Negativität aller Bestimmtheiten ist, zum Prinzip der Selbstbewegung des Inhalts transformiert"!-'’. Über den nun herausgestellten „reflexionsphilosophischen" Anfang der PhG schreibt Röttges: „...der mögliche Entschluß des räsonnierenden Denkens, von der Reflexion ins leere Ich abzulassen, hat diesen untheoretischen Aspekt, weil es eben kein Erkennen vor dem Erkennen geben kann, d.h. dieser Entschluß als Anfang des begreifenden Denkens kann sich selbst nicht völlig durchsichtig sein, weil das anfangende begreifende Denken als anfangendes notwendig abstrakt ist. Es ist ja nicht so, daß zuerst die völlige theoretische Durchsichtigkeit der Unwahrheit des Reflexionsstandpunktes zuwege gebracht werden könnte und dann das eigentliche Erkennen seinen Weg nehmen könnte". A.a.O., S. 61. '•> Fulda, a.a.O., S. 38 f. Röttges, a.a.O., S. 60.

§ 31 Der Anfang der Reihe des Dargestellten

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Der reflexionsphilosophische Skeptizismus, wie er hier zum „Prinzip" der PhG wird, hat aber die Weltgestalt der Moralität zur Voraussetzung. Insofern besteht Übereinstimmung mit dem, was über die Erweiterung der Beweisabsicht gesagt wurdet*.

§ 31 Der Anfang der Reihe des Dargestellten Auf die Frage nach dem Anfang der Reihe des Dargestellten scheint die PhG eine klare Antwort zu geben: Der Anfang ist die sinnliche Gewißheit als die erste Gestalt des erscheinenden Wissens. Deutlich zu machen, womit die PhG da anfängt, ist aber meines Erachtens bisher noch nicht gelungen. Der Grund dafür mag in Folgendem liegen. Gerade bei der sinnlichen Gewißheit als der ersten Gestalt des erscheinenden Wissens muß es Kriterium einer zureichenden Interpretation sein, daß sich diese in Übereinstimmung mit der allgemeinen Aufgabe und dem allgemeinen Programm einer Darstellung des erscheinenden Wissens befindet. Nur so besteht Hoffnung, den Sinn der sinnlichen Gewißheit zu fassen. Hegels Antwort auf die Frage; Womit muß der Anfang der Darstellung des erscheinenden Wissens gemacht werden? ist die zunächst undeutliche Kombination aus Bestimmungen, die drei verschiedenen Reflexionshinsichten entstammen. Die Zuordnung der Bestimmungen zu diesen drei Reflexionshinsichten ist die Voraussetzung für das Verständnis des ersten Kapitels der PhG. Die erste Reflexionshinsicht betrifft das Problem des Anfangs überhaupt. Es sind hier Überlegungen erforderlich, wie sie auch bezüglich des Anfangs der Wissenschaft der Logik gemacht werden müssen. Die zweite Reflexionshinsicht ist mit dem in der Einleitung entwickelten Begriff des erscheinenden Wissens gegeben. Beide Reflexionshinsichten erlauben die Formulierung von Bedingungen, denen die erste Gestalt des erscheinenden Wissens genügen muß. Die dritte Reflexionshinsicht betrifft die an alle Gestalten des erscheinenden Wissens zu stellende Forderung ihres Gegebenseins, ihres Vorliegens, unabhängig von der Darstellung. Hegel entwickelt, indem er die erste und zweite Hinsicht zusammennimmt, zunächst nichts anderes als analytische Konsequenzen des Begriffs „unmittelbares erscheinendes Wissen". Das erscheinende Wissen hat dabei hinsichtlich seiner beiden Seiten unmittelbar zu sein; ein unmittelbares Wissen eines unmittelbaren Gegenstandes. Danach erst Vgl. oben § 29, S. 116.

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wird darauf reflektiert, wo und wie ein solches Wissen vorliegt und welche Erfahrung das Bewußtsein mit diesem seinem Wissen macht. Die PhG beginnt mit einer äußerst merkwürdigen Kennzeichnung der ersten Bewußtseinsstufe: „Der konkrete Inhalt der sinnlichen Gewißheit läßt sie unmittelbar als die reichste Erkenntnis, ja als eine Erkenntnis von unendlichem Reichtum erscheinen, für welchen ebensowohl, wenn wir im Raume und in der Zeit, als worin er sich ausbreitet, hinaus-, als wenn wir uns ein Stück aus dieser Fülle nehmen und durch Teilung in dasselbe hineingehen, keine Grenze zu finden ist. Sie erscheint außerdem als die wahrhafteste; denn sie hat von dem Gegenstände noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich" (PhG 79). Warum zeigt sich die erste Gestalt des erscheinenden Wissens als reichste und zugleich ärmste Erkenntnis? Die sinnliche Gewißheit ist nicht die reichste und wahrhafteste Erkenntnis, sie erscheint nur so. Aber auch das ist befremdlich genug. Was sollen die Superlative? Ist nicht das Ziel der PhG, das absolute Wissen, die reichste und wahrhaftigste Erkenntnis? Zwei Fragen müssen also beantwortet werden: (l) Welche Gründe sprechen (zunächst) dafür, daß die sinnliche Gewißheit die reichste Erkenntnis ist? (2) Welche Gründe sind dafür verantwortlich, daß sie es in Wahrheit doch nicht ist, sondern nur so erscheint? (1) Die sinnliche Gewißheit ist die reichste Erkenntnis aufgrund ihres Inhaltes. Dieser Inhalt ist offenbar das Seiende im Ganzen, die Totalität dessen, wovon gesagt werden kann: es ist. Sie hat ihren Gegenstand (das Seiende) „in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich"; so ist sie die reichste Erkenntnis. (2) Bei dieser Auffassung wurde aber etwas übersehen: „Diese Gewißheit aber gibt in der Tat sich selbst für die abstrakteste und ärmste Wahrheit aus. Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist; und ihre Wahrheit enthält allein das Sein der Sache" (PhG 79). Der Grund für die Annahme, daß die sinnliche Gewißheit die reichste und wahrhafteste Erkenntnis ist, liegt in ihrem Inhalt; der Grund dafür, daß sie es dennoch nicht ist, liegt in der Form, in der sie diesen Inhalt hat: sie hat ihren Inhalt als Gegenstand eines unmittelbaren Wissens. Ein unmittelbares Wissen ist aber notwendig einfach, ohne innere Differenzen, daher arm; denn Reichtum des Wissens ist Reichtum an Differenzierungen. Der Schein des Reichtums konnte entstehen, weil auf den Inhalt gesehen wurde, ohne zu berücksichtigen, daß der Inhalt Gegenstand eines Wissens sein muß. Der Gegenstand eines unmittelbaren Wissens aber ist selber notwendig unmittelbar. Der Gegenstand der sinnlichen Gewißheit ist daher nicht der unendliche Reichtum, sondern

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ein Einfaches, Unmittelbares, das „Sein" der Sache. Reichtum und Armut sind zwei Aspekte, die die von der Aufgabenstellung der PhG her notwendig anzusetzende erste, unmittelbare Gestalt des erscheinenden Wissens bietet, und zwar für uns, also für den Standpunkt der auftretenden Wissenschaft. Wer an dieser Stelle schon das Selbstverständnis der „wirklichen" sinnlichen Gewißheit einmengt, hat alles verdorbeni^. Zur Beurteilung dieses Ergebnisses und zur systematischen Erörterung der Frage nach dem Anfang der Reihe des Dargestellten bietet sich eine bestehende Analogie zur Frage nach dem Anfang der Reihe der Darstellung an. Der Anfang der Reihe der Darstellung konnte in bezug auf das Beweisziel, das absolute Wissen nämlich, als dessen formale Antizipation gekennzeichnet werden. Das absolute Wissen ist, sofern dergleichen möglich ist, die Totalität des Inhalts in der absoluten Form. Ist der Anfang der Reihe der Darstellung die absolute Form ohne Inhalt, so legt sich die Vermutung nahe, daß der Anfang der Reihe des Dargestellten die Totalität des Inhalts ohne die absolute Form ist und von daher materiale Antizipation des absoluten Wissens genannt werden kann. Gegen diese Auffassung erhebt sich aber ein gewichtiges Bedenken. Wenn, wie soeben entwickelt, der unendliche Reichtum an Inhalt Schein ist, wieso kann dann die sinnliche Gewißheit materiale Antizipation des absoluten Wissens sein? Sie hat den Inhalt eben nicht in Gestalt einer entwickelten, entfalteten, ausgebreiteten Totalität, sondern nur als einfache, unterschiedslose; diese aber ist das reine Sein. Daß die sinnliche Gewißheit so die reichste Erkenntnis nur zu sein scheint, in Wahrheit aber nicht ist, widerspricht ihrer Funktion, die materiale Antizipation des absoluten Wissens zu sein, jedoch in keiner Weise; im Gegenteil: wie bei der formalen Antizipation des absoluten Wissens muß auch hier angegeben werden, worin das Moment von Unwahrheit besteht. Es besteht genau darin, die Totalität des Inhalts in Form eines unmittelbaren Wissens zu haben, nicht wie die Erfüllung dieser Antizipation als System, sondern unmittelbar als reines Sein. Die Form der Unmittelbarkeit ist der Grund der Unwahrheit der sinnlichen Gewißheit. Die Form des Selbstbewußtseins ist demgegenüber die absolute Selbstvermittlung, die aber, unmittelbar genommen, selber auch nur reines Sein ist. Auch in der Vorrede gilt das Sein als dasjenige, was anfänglich dem Selbstbewußtsein gegenübersteht. Das Sein ist die Substantialität als solche; „Zugleich ist zu vermerken, daß die Substantialität so sehr das So z.B. W. Wieland, Hegels Dialektik der sinnlichen Gewißheit, in: Materialien zu Hegels „ritänomenologie lies Geistes". Frankfurt 1973, S. 67—82.

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Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens selbst, auch dasjenige, welches Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt" (PhG 19). Die Substanz als Subjekt aufzufassen und auszudrücken bedeutet von daher gesehen ganz abstrakt: die Substanz, die zunächst in ihrer Unmittelbarkeit das Sein ist, mit dem Selbstbewußtsein als der absoluten Form zu „vermitteln". Dem entspricht der Anfang der PhG mit der sinnlichen Gewißheit. Am Anfang stehen sich das Subjekt als leeres Selbstbewußtsein und die Substanz als das reine Sein gegenüber. Nachdem diese beiden Aspekte herausgestellt worden sind, denen gemäß das reine Sein die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit ist, werden von Hegel nun die beiden Seiten des unmittelbaren erscheinenden Wissens bestimmt. Die Seite des Wissens heißt „reines Ich", ein „reiner Dieser"; die Seite der Wahrheit heißt ein „reines Dieses". Der Gebrauch des deiktischen „Dies" entstammt allerdings bereits der dritten Reflexionshinsicht: unmittelbares Wissen liegt vor als „sinnliches" Wissen. Unabhängig davon müßte man hier sagen: beide Seiten sind ein „unbezüglich Eines", d.h. ein „Einzelnes". Beide Seiten müssen rein unmittelbar genommen werden: „Weder Ich noch die Sache hat darin die Bedeutung einer mannigfaltigen Vermittlung, Ich nicht die Bedeutung eines mannigfaltigen Vorstellens oder Denkens, noch die Sache die Bedeutung mannigfaltiger Beschaffenheiten" (PhG 80). Jede Begründung wird, weil sie Vermittlung wäre, abgewiesen: die Sache ist, weil sie ist. Die Sache ist einfach und beziehungslos, ohne jeden inneren Unterschied und ohne Beziehung auf anderes. Insofern ist das „reine Sein", „diese einfache Unmittelbarkeit" die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit. Wie die Seite der Wahrheit, so ist auch die Seite der Gewißheit in ihrer Unmittelbarkeit festzuhalten: „Ebenso ist die Gewißheit als Beziehung unmittelbare reine Beziehung: das Bewußtsein ist Ich, weiter nichts, ein reiner Dieser; der Einzelne weiß reines Dieses, oder das Einzelne" (PhG 80). Warum aber - diese Frage drängt sich auf - ist eine Gestalt des Bewußtseins, deren Wahrheit aufgrund der Unmittelbarkeit nur das reine Sein sein kann, so beschaffen, daß beide Seiten, Wissen wie Gegenstand, den Charakter von Einzelnen, von reinen Diesen, haben? Auf diese Frage antwortet Hegel mit einer Unterscheidung von Wesen und Beispiel der sinnlichen Gewißheit. Mit dieser Unterscheidung von Wesen und Beispiel der reinen Unmittelbarkeit kommt die dritte Reflexionshinsicht ins Spiel. Ihr verdankt sich die Auskunft, daß ein solches unmittelbares Wissen in einer „wirklichen" sinnlichen Gewißheit vorliege: „An dem reinen Sein aber.

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welches das Wesen dieser Gewißheit ausmacht und welches sie als ihre Wahrheit aussagt, spielt, wenn wir Zusehen, noch vieles andere beiher. Eine wirkliche sinnliche Gewißheit ist nicht nur diese reine Unmittelbarkeit, sondern ein Beispiel derselben. Unter den unzähligen dabei vorkommenden Unterschieden finden wir allenthalben die Hauptverschiedenheit, daß nämlich in ihr sogleich aus dem reinen Sein die beiden schon genannten Diesen, ein Dieser als Ich, und ein Dieses als Gegenstand herausfallen" (PhG 80). Es ist von größter Wichtigkeit, die dritte Reflexionshinsicht nicht zu unterschlagen. Daß die erste, unmittelbare Gestalt des erscheinenden Wissens ein „sinnliches" Wissen ist, „sinnliche" Gewißheit, folgt keineswegs analytisch aus dem Begriff der Unmittelbarkeit, sondern ergibt sich erst im Rahmen dieser dritten Reflexionshinsicht. Ohne sie käme die Darstellung des erscheinenden Wissens überhaupt nicht in Gang, was übrigens den früher erzielten Ergebnissen vollkommen entspricht. Nicht also folgt die Sinnlichkeit aus der Unmittelbarkeit, sondern es kommt umgekehrt darauf an zu beweisen, daß sinnliches Wissen (in einer speziellen Gestalt) den Bedingungen genügt, die im Rahmen der ersten beiden Reflexionshinsichten entwickelt wurden. Daß dies bezüglich einer wirklichen sinnlichen Gewißheit der Fall ist, ist leicht zu zeigen. Diese wirkliche sinnliche Gewißheit gibt es, tritt auf, liegt vor, als Moment der Wahrnehmung. Es gibt im sinnlichen Wissen (Wahrnehmung), das in der Regel in Vermittlungszusammenhängen steht, die Situation, wo auf ein unmittelbar vorliegendes Unmittelbares verwiesen wird (verbal oder deiktisch) mit dem Anspruch, damit eine für die Wahrnehmung selbst grundlegende Wahrheit zu treffen: Gäbe es nicht solches, worauf in dieser Weise unter Absehung von allen Vermittlungen verwiesen werden könnte, hätte die Wahrnehmung gar keinen Gegenstand. Sofern das Bewußtsein der Wahrnehmung (explizit und implizit) auf dem Bewußtsein des Vorliegens von vielen einzelnen Diesen als möglichen Gegenständen der Wahrnehmung wie des bloßen Zeigens beruht, ist es legitim, diese Überzeugung, diesen Wahrheitsanspruch als solchen, zu isolieren. Nichts anderes ist die Gestalt der sinnlichen Gewißheit. Wenn sich dabei zeigt, daß sie nicht zu isolieren ist, so entspricht dies durchaus der Beweisabsicht, um derentwillen die Isolation vorgenommen wird. Daß die sinnliche Gewißheit nur als Moment der Wahrnehmung existiert, ist auch bei Hegel, wenn ein Vorgriff erlaubt ist, klar ausgesprochen: „Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung, und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anders als nur

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diese Geschichte ist. Das natürliche Bewußtsein geht deswegen auch zu diesem Resultate, was an ihr das Wahre ist, immer selbst fort und macht die Erfahrung darüber; aber vergißt es nur ebenso immer wieder und fängt die Bewegung von vorne an" (PhG 86). Das sinnliche Bewußtsein befindet sich ständig in diesem Kreislauf des Übergangs von der sinnlichen Gewißheit zur Wahrnehmung und des Rückfalls in erstere. Der Rückfall in das Meinen der sinnlichen Gewißheit ergibt sich auch als Resultat des ersten Durchgangs der Wahrnehmung. Indem die Eigenschaft ihre Beziehung auf anderes verliert, geht sie zugrunde: „Sie bleibt als dies reine Sichaufsichselbstbeziehen nur sinnliches Sein überhaupt, da sie den Charakter der Negativität nicht mehr an ihr hat; und das Bewußtsein, für welches jetzt ein sinnliches Sein ist, ist nur ein Meinen, d.h. es ist aus dem Wahrnehmen ganz heraus und in sich zurückgegangen. Allein das sinnliche Sein und Meinen geht selbst in das Wahrnehmen über; ich bin zu dem Anfang zurückgeworfen und wieder in denselben, sich in jedem Momente und als Ganzes aufhebenden Kreislauf hineingerissen" (PhG 94)’®. Die erste Gestalt des erscheinenden Wissens wird von Hegel also dadurch gewonnen, daß er zeigt, wie ein ausgezeichnetes Moment der Wahrnehmung den Bedingungen genügt, die sich aus dem Begriff „unmittelbares erscheinendes Wissen" ergeben. Die Unterscheidung von Wesen und Beispiel erläutert auch den Begriff des Einzelnen, das als solches Gegenstand der sinnlichen Gewißheit ist. Das Einzelne ist nicht das Einzige; daher gibt es viele Einzelne. Vielheit aber setzt Vermittlung voraus (unsere Reflexion behauptet nicht, unmittelbar zu sein, daher ist dieser Gedanke legitim); also ist nicht Vieles, sondern Eines: das Einzelne Gegenstand der sinnlichen Gewißheit. Das Einzelne als Gegenstand eines Wissens ist für uns ein Beispiel einer solchen Unmittelbarkeit. Für unsere Reflexion ergibt sich an dieser Stelle aber noch mehr: „Reflektieren wir über diesen Unterschied, so ergibt sich, daß weder das eine noch das andere nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewißheit ist, sondern zugleich als vermittelt; Ich habe die Gewißheit durch ein anderes, nämlich die Sache; und diese ist ebenso in der Gewißheit.durch ein anderes, nämlich durch Ich" (PhG 80). Damit ist ein Resultat der Dialektik der sinnlichen Gewißheit zum Teil bereits vorweggenommen. Das Resultat ist aber noch nicht als Erfahrung des Bewußtseins dargestellt und ausgesprochen.

Von unseren Reflexionen über die erste Gestalt des erscheinenden Wissens und von den Unterschieden, die wir aufgrund gegebener PräZum Verhältnis der sinnlichen Gewißheit zur Wahrnehmung vgl. M. Westphal, Hegels Phänomenologie der Wahrnehmung, in; a.a.O., S. 83—105.

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missen als notwendig feststellen, ist die Form zu unterscheiden, in der die sinnliche Gewißheit auftritt: „Diesen Unterschied des Wesens und des Beispiels, der Unmittelbarkeit und der Vermittlung, machen nicht nur wir, sondern wir finden ihn an der sinnlichen Gewißheit selbst; und in der Form, wie er an ihr ist, nicht wie wir ihn soeben bestimmten, ist er aufzunehmen" (PhG 80). Der von Ffegel angesprochene Unterschied der Form beruht darauf, daß jede Gestalt des erscheinenden Wissens den Unterschied zwischen dem, was sie für sich selbst ist, und dem, was sie für uns ist, enthält. Diese Differenz ist früher ausführlich entwickelt worden. Wenn so bestimmt wird, was die sinnliche Gewißheit für sich selber ist, was sie ihrem Selbstverständnis nach ist, so impliziert das nicht die Behauptung, die sinnliche Gewißheit sei ein Selbstbewußtsein. Das natürliche Bewußtsein aber, an dem die sinnliche Gewißheit als eines der es bestimmende Momente nachweisbar ist, kann sehr wohl über ein Bewußtsein seiner selbst verfügen und ist durchaus in der Lage, die Funktion und die Bedeutung, die ein rein unmittelbares Wissen in seinem Gegenstandsverständnis hat, anzugeben^^. Wie bekannt, vollzieht sich die Dialektik der sinnlichen Gewißheit in drei Phasen. In der ersten Phase ist der Gegenstand das Wesentliche, d.h. ein sich selbst Gleiches, Unveränderliches. Das Wissen dagegen ist unwesentlich, es kann sich verändern. Eine Veränderung des Wissens tangiert aber auch den Gegenstand: er verändert sich, womit die Meinung, die ihn als unveränderlichen festhalten will, sich zerstört. In der zweiten Phase ist das Wissen das Wesentliche, sich selbst Gleiche. Der Gegenstand ist dagegen unwesentlich und veränderlich. Hier aber wiederholt sich der Vorgang: die Veränderung des einen zieht auch die Veränderung des änderen nach sich. In der dritten Phase ist der Unterschied des Wesentlichen und Unwesentlichen nicht mehr auf die beiden Seiten verteilt. Wesentlich ist nun die Beziehung der beiden Seiten als solche. Sie selbst ist das sich selbst Gleiche, Unveränderliche. Aber auch in diese Beziehung dringt Veränderung ein. Damit sind alle Versuche der sinnlichen Gewißheit gescheitert, ein unmittelbares Einzelnes als das Wahre festzuhalten. Diese durch drei Phasen verlaufende Bewegung wird von Hegel als Erfahrung des Bewußtseins dargestellt. Bevor die Erörterungen nun in der Interpretation des Abschnitts „A. Bewußtsein" der PhG eine neue Stufe der Konkretion erreichen, soll auf einen mehrfach unternommenen Versuch eingegangen werden, Beweisabsicht und Beweisstruktur der Phänomenologie des Geistes von ihrem Verhältnis zur Wissenschaft der Logik her zu verstehen. Man sieht, daß der Unterschied zwischen natürlichem Bewußtsein und erscheinendem Wissen entscheidend ist. So „antwortet" z.B. nicht die sinnliche Gewißheit als erscheinendes Wissen auf unsere Fragen, sondern das natürliche Bewußtsein der Wahrnehmung, das sich zur Sicherung seines Wahrheitsanspruchs auf die Unmittelbarkeit des Zeigens zurückzieht.

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§ 32 Phänomenologie und Logik Meine These, die Phänomenologie des Geistes sei wesentlich Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft, stellt eine Entscheidung in einer vieldiskutierten Frage dar, der Frage nämlich nach dem Verhältnis von Phänomenologie des Geistes und Wissenschaft der Logik und damit nach dem Einleitungscharakter der ersteren. Fulda hat diese Frage einer ausführlichen Analyse unterzogen. Danach besteht bezüglich des Einleitungscharakters der PhG eine grundsätzliche Alternative: Entweder die PhG ist sachlich-systematisch hinsichtlich ihres Inhaltes oder ihres Ergebnisses in irgendeinem Sinn Wahrheitsvoraussetzung dessen, wofür sie Einleitung ist, oder sie ist dies nicht. Im zweiten Fall ist sie bloße Vorübung, Verständnishilfe, Fiinführung, die an einen bestimmten Adressaten gerichtet ist. Eine kurze Kennzeichnung der Alternative genügt bereits, um einzusehen, inwiefern sie für das Verständnis der Methode der PhG von Bedeutung ist. Da Hegel am Wissenschaftscharakter der PhG nicht den geringsten Zweifel läßt, kommt es in beiden Fällen darauf an, diesen Wissenschaftscharakter zu bestimmen. Während aber im ersten Fall gerade dieser Wissenschaftscharakter ein schwieriges Problem darstellt, ist er im zweiten Falle gar kein Problem. Die Auffassung der PhG als Hinführung^o impliziert nämlich die Annahme, daß dasjenige, worin eingeleitet werden soll, die Logik, bereits existiert. Sie kann daher die Wissenschaftlichkeit der PhG garantieren. Letztere wäre dann die Darstellung der Logik in einer der Logik selbst unangemessenen Form, welche Unangemessenheit aber in Kauf genommen werden könnte, sofern das Dargestellte so für einen bestimmten Adressaten verständlicher erschiene. Mit der These, die PhG sei in der Lage, die in der Ausarbeitung des transzendentalen Begründungszusammenhanges sich ergebenden Aporien zu lösen, ist präjudiziert, in welchem Sinn die PhG als Einleitung zu verstehen ist. Als Einheit von Kritik und Theorie ist sie die Rechtfertigung der Wissenschaft in einer doppelten, von Fulda herausgestellten Bedeutung: „Es ist also hier die Rechtfertigung des Standpunkts der Wissenschaft vor dem unwissenschaftlichen Bewußtsein zugleich eine notwendige Rechtfertigung der Wissenschaft vor sich selbst. Die Einleitung ist ein Beweis des Spekulativen, indem dieses sich für sich selbst beweist - eine Selbstvermittlung der Wissenschaft in ihrem Anderen"^L Diese Selbstvermittlung ist Einheit von Kritik und Theorie und realisiert sich als Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft. Sie ist 2° Unter diesem Titel wird diese Auffassung im folgenden verhandelt. Fulda, a.a.O., S. 80.

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als solche bereits die Entwicklung logischer Bestimmtheiten, die aber immer wieder als nach Wissen und Gegenstand verteilte Inhalte des erscheinenden Wissens auftreten. Die logische Bestimmtheit wird gleichsam von einer Gestalt des erscheinenden Wissens als ihre Wahrheit reklamiert. Im Prozeß der Selbstbestimmung der Wissenschaft ist bis zur Aufhebung des Bewußtseinsgegensatzes, welche Aufhebung den Standpunkt der Logik definiert^^, der Begriff als das Element der Wissenschaft durch jenen Gegensatz als „durch ein in ihm^nicht aufgelöstes Dasein gleichsam getrübt"^^. Die logischen Momente treten im Medium des Bewußtseins, des erscheinenden Wissens, auf als das in Wissen und Gegenstand Identische. Wollte die auftretende Wissenschaft sich an irgendeiner Stelle (am Anfang oder sonstwo) als Logik gebärden, so könnte ihr ein Bewußtsein gegenübertreten und behaupten, was die Logik dort als ihre Bestimmung ansehe, sei aus seinem Wahren nur abstrahiert. Von daher ist Hegels Äußerung am Ende der PhG zu verstehen, wo er den phänomenologischen vom spekulativen Fortschritt unterscheidet (vgl. PhG 562). ln der Logik hängt die Fortbewegung des Inhalts (und deshalb ist er reiner Begriff) „allein an seiner reinen Bestimmtheit". Demgegenüber hängt die Fortbewegung des Inhalts der PhG daran, daß jedes Moment den „Unterschied des Wissens und der Wahrheit" besitzt. Die PhG beginnt mit einem reflexionsphilosophischen Prinzip, das aber bereits „dialektisch" aufgefaßt wird. Die auftretende Wissenschaft arbeitet die Unwahrheit ihres Anfangs hinweg, indem sie sich selbst bestimmt. Der Anfang der PhG hat mit dem Anfang der Logik den Entschluß-Charakter^“* gemeinsam; bei der Logik garantiert die voraufgegangene PhG, daß das reine Denken nicht in den Bewußtseinsgegensatz zurückfällt. Dagegen setzt sich der Entschluß, der den Anfang der PhG ausmacht, unmittelbar in einen Gegensatz zur Totalität des natürlichen Bewußtseins. Erst wenn dieser Gegensatz hinweggearbeitet ist, ist aus dem Standpunkt der auftretenden Wissenschaft endgültig der spekulative Standpunkt gewordenes. Die These, die PhG sei die Selbstbestimmung der auftretenden Wissenschaft, stellt so die einzige Möglichkeit dar, das Verhältnis von PhG und Logik zureichend zu verstehen. Sie nimmt die Äußerungen Hegels in der Einleitung der Wissenschaft der Logik ernst. Sie vermeidet aber den Zirkel, der darin bestünde anzunehmen, die PhG sei zwar die VorausVgl. WdL I, 29 f. 2-’ Fulda, a.a.O., S. 98. 22 Vgl. WdL I, 54 u. unten § 30, S. 124. 2-’ Eine andere Interpretation der Logikstelle I, 29 f. ist meines Erachtens nicht möglich.

FACHBEREICH PHILOSOPHIE Johann Wolfgang GoetheUniversität Danteotra^ e 4-6

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Setzung der Logik (gemäß WdL I, 29 f.), setze andererseits aber die Logik voraus, da sie allein ihr ihren Wissenschaftscharakter verdanken könne. Die hier vorgelegte Auffassung ist auch solchen überlegen, die, um den vermeintlich drohenden Zirkel zu vermeiden, die Äußerungen in der Einleitung zur Wissenschaft der Logik nicht ernst nehmen und in der PhG eine bloße Hinführung sehen, die zwar nützlich, für die Logik aber in keinem Sinne sachlich relevant sei. Die Auffassung, die PhG setze, um durchführbar zu sein, eine bereits entwickelte Logik voraus, ist in differenzierter Form von J. Heinrichs vertreten worden^». Seine Ausführungen beruhen auf einer für die Interpretation der PhG im ganzen grundlegenden These. Er nimmt den mit der Formel „an sich oder für uns" gekennzeichneten Standpunkt, den ich als den Standpunkt der auftretenden Wissenschaft verstehe, in zwei Standpunkte auseinander, in den „spekulativen" Standpunkt des Autors und in den „phänomenologischen" Standpunkt des Lesers. Heinrichs selbst allerdings identifiziert den mit jener Formel gekennzeichneten Standpunkt mit dem des Lesers. Dem liegt die an sich richtige Einsicht zugrunde, daß der Standpunkt „an sich oder für uns" noch nicht der spekulative Standpunkt ist, sondern innerhalb der PhG eine Entwicklung durchmacht. Aus dieser Einsicht zieht Heinrichs jedoch den falschen Schluß, daß es einen dritten Standpunkt, eben den des Autors, den spekulativen Standpunkt, geben müsse. Heinrichs hat dann auch Mühe, die mit der Einführung des spekulativen Standpunktes gegebene Dreiteilung^^ zu rechtfertigen, da sich innerhalb der PhG keine Aussagen finden, aus denen sich jene Dreiteilung - mit der sein Unternehmen steht und fällt - stringent ableiten ließe. Heinrichs nimmt daher seine Zuflucht zur Reflexionstheorie H. Wagners, die eine Dreiteilung von Reflexionsebenen kennte». Diese Dreiteilung darf aber nicht - was hier betont sei - mit der Dreiteilung der Aussageebenen, die den transzendentalen Begründungszusammenhang als solchen kennzeichnet, verwechselt werden. Die Dreiteilung der semantischen Ebenen ergibt sich, wie ausführlich dargelegt^'’, aus einer Unterscheidung zweier Standpunkte: des reflektierenden Subjekts und des reflektierten Subjekts. Was Heinrichs als vermeintliche Grundlage einer Dreiteilung Heinrichs, Die Logik der .Phäitometiologie des Geistes, Bonn 1974. (Vgl. auch die Rezension von ]. H. Trede in Hegel-Studien 11, Bonn 1976, S. 228—234). Die Dreiteilung ergibt sich dadurch, daß vom Standpunkt des Lesers, „des zeitgenössischen philosophischen Bewußtseins" der Standpunkt des natürlichen Bewußtseins unterschieden werden muß (Heinrichs, a.a.O., S. 13). — Formal ergibt sich eine Dreiteilung der Standpunkte schon aus der Auffassung der PhG als „Hinführung", was nicht gezeigt werden muß. H. Wagner, Philosophie und Reflexion, München 19t>7 , S. 35 ff. 2° Vgl. oben § 3, S. 18 ff.

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von Standpunkten im Auge hat, liest sich bei Wagner so: „Nur drei verschiedene Reflexionsakte können eben inhaltlich sinnvoll und theoretisch relevant, weil in Struktur und Gesetzlichkeit unterscheidbar, sein: die Reflexion auf einen gegenstandsbezogenen Akt; die Reflexion auf einen Akt, der selbst Reflexionsakt auf einen gegenstandsbezogenen Akt ist; die Reflexion auf einen Akt, der selbst Reflexionsakt ist, sich aber bloß mehr auf einen Reflexionsakt richtet. Vom vierten Reflexionsschritt ab kann kein neuer Typus von Reflexionsakt mehr auftreten"3o. Aus drei formal-abstrakten Stufen der „noetischen Reflexion" (Wagner) werden bei Heinrichs drei Standpunkte, die in ihrem Verhältnis zueinander die Methode der PhG bestimmen: „Das ,reine Zusehen' verdankt sich bereits der zu Ende geführten Reflexion, dem spekulativen Standpunkt. An ihm hat aber das phänomenologische Bewußtsein des Lesers nicht in seiner Reinheit Anteil, bevor der Weg des Bewußtseins, d.h. seine Reflexion bis zu Ende mitgegangen ist. Der Phänomenologe ist immerhin ebenfalls schon einer betrachtenden, zusehenden Einstellung gegenüber dem reflektierten, ,natürlichen' Bewußtsein fähig"3>. Heinrichs versucht, seine Dreiteilung der methodisch relevanten Standpunkte anhand einer Stelle aus der Vorrede zu erhärten^^ Heinrichs kommentiert diese Stelle wie folgt: „Hegel thematisiert selbst den ,Zirkel': durchsichtig und vollendet wird das gemeinte Element selbst erst „durch die Bewegung seines Werdens", also durch die PhdG. Das ist uns bekannt. Aber das gerade darin Implizierte, daß jenes Element schon von Anfang an, auch für die Philosophie als PhdG, vorausgesetzt Wagner a.a.O., S. 41. Heinrichs zitiert diese Stelle S. 52. '' Heinrichs, a.a.O., S. 25. — Die Rede von der zu Ende geführten Reflexion reizt zu einer (allerdings vorgreifenden) Anmerkung. Was heißt: eine Reflexion ist zu Ende gelangt? Hat sie bis zu ihrem Ende einen Weg zurücklegt? Was ist dieser Weg? Ist es der Weg, den der Leser noch zurückzulegen hat? Dann aber ist die PhG die Beschreibung des Weges, auf dem die Reflexion zu ihrem Ende gelangt, und die Überlegenheit des Autors reduziert sich auf den trivialen Umstand, daß jeder Autor mehr weiß als der Leser, der zu lesen beginnt. Oder ist der Weg, auf dem die Reflexion zu ihrem Ende gelangt, von der PhG verschieden? Warum wird dieser Weg nicht mitgeteilt und vorgeführt? Oder gelangt die Reflexion, ohne einen mühsamen Weg zurückzulegen, an ihr Ende, auf einen Schlag gleichsam? Dann ist aber der so erreichte Standpunkt wegen seiner abstrakten Unmittelbarkeit auf keinen Fall ein spekulativer, es sei denn, man hält eine unmittelbare Erhebung zum Absoluten, etwa im Sinne Schellings, für möglich. Ein so erreichter Standpunkt ist vielmehr als ein formales Selbstbewußtsein, richtig verstanden, identisch mit dem Standpunkt der auftretenden Wissenschaft. Dieser Standpunkt ist aber zugleich der des kompetenten Lesers, so daß auch so die Überlegenheit des Autors sich auf jenen trivialen Umstand reduziert. '2 Hegel schreibt: „Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein, dieser Äther als solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung oder Forderung, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente befinde. Aber dieses Element erhält seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewegung seines Werdens" (PhG 24).

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sei, dies ist die wesentliche und ebenso deutliche Aussage. Das gemeinte Element ist nicht nur vorausgesetzt als der Standpunkt des Autors (wie wir aus der Einleitung bereits wissen), sondern quodam modo auch als der des Lesers. Es käme darauf an, dieses,quodam modo' zu klären"^^. Diese „Klärung" erfolgt aber einzig anhand der von Wagner vorgenommenen Dreiteilung der Standpunkte, setzt also schon voraus, was bewiesen werden müßte. Die Reflexionstheorie Wagners läßt sich nicht auf die PhG und deren Methode übertragen. Bei der PhG geht es nicht um Arten aufeinander gestufter, jeweils aktueller Aktvollzüge, sondern um methodische Positionen, die nur in Verbindung mit zugeordneten Aussagezusammenhängen definierbar sind. Daß eine solche Dreiteilung von Aussageebenen für die PhG konstitutiv ist, hat Heinrichs offenbar gesehen; es ist ihm aber nicht gelungen, sie richtig zu erfassen. Bezüglich der Annahme eines „spekulativen Standpunktes" besteht also eine Alternative: Entweder ist dieser Standpunkt unmittelbar eingenommen - dies entspräche der Wagnerschen Reflexionstheorie -, dann ist er mit dem Standpunkt der auftretenden Wissenschaft identisch; oder er ist nicht der Standpunkt der auftretenden Wissenschaft, dann ist er als solcher nur als die Verfügung über eine ausgearbeitete, d.h. ausgeführte Logik definierbar^“*. Wie aber ist diese Logik bestimmt, sofern sie ja die PhG nicht zur Voraussetzung haben kann?^® Zunächst ist zu sagen, daß eine solche Logik nicht dem Begriff von Logik entspräche, den Hegel in der PhG^* entwickelt hat. Entscheidend für die Logik ist, allen relevanten Stellen zufolge, die Aufhebung des Bewußtseinsgegensatzes; erst sie konstituiert den spekulativen Standpunkte^. Von dieser Aufhebung des Bewußtseinsgegensatzes, die das Beweisziel der PhG ist, ist jene „Aufhebung" zu unterscheiden, die bereits im Ich = Ich Heinrichs, a.a.O., S. 52. Daß nicht ein formal-abstrakter, „spekulativer" Standpunkt Voraussetzung der PhG ist, sondern eine ausgeführte Logik, sagt Heinrichs ausdrücklich, wo er den Wissenschaftscharakter der PhG bestimmt. (a.a.O., S. 72). Die Annahme eines Zirkel wird von Heinrichs strikt abgeiehnt; vgl. a.a.O., S. 72. 3o Hegel entwickelt diesen Begriff von Logik in der Einleitung, Vorrede, aber auch im Schlußkapitel (S. 562!). 37 Die Jenaer Logik freilich entspricht noch nicht dem Begriff der Logik, wie Hegel ihn 1807 besitzt. Ihr „spekulativer Standpunkt" ist mit Unklarheiten behaftet, zu deren Beseitigung gerade die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins als Einleitung in die Wissenschaft der Logik konzipiert wurde. Daß Bestimmungen und Gedankenentwicklungen aus der Jenaer Logik sich in der PhG wiederfinden, vor allem im 1. Teil bis zum Selbstbewußtseinskapitel, ist nicht zu bestreiten. Die Jenaer Logik ist aber untauglich, den von Heinrichs angenommenen spekulativen Standpunkt zu definieren. Über den Unterschied des Standpunktes der Jenaer Logik gegenüber der Nürnberger Logik vgl. auch Heinrichs selbst, S. 166 f. Ob die „Logik der Phänomenologie" den Andeutungen entspricht, die sich am Ende der Jenaer Philosophie des Geistes von 1805/06 finden, ist bisher nicht bewiesen. Zur Entwicklung der Hegelschen Logik vgl. K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn 1976.

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des Selbstbewußtseins (im Akt der Selbstunterscheidung) vorliegt. Eine solche „Aufhebung" ist abstrakt (und daher noch unwahr); sie hat die Totalität des im Bewußtseinsgegensatz befangenen natürlichen Bewußtseins aus sich ausgeschlossen. Es ist ein Standpunkt konstituiert, der andere Standpunkte mit gleichberechtigtem Wahrheitsanspruch neben sich hat; die Situation der auftretenden Wissenschaft. Die PhG kann die Logik, deren Einleitung sie im Sinne einer Existenzund Wahrheitsvoraussetzung ist, nicht ihrerseits voraussetzen. Da sie das Werden und die Rechtfertigung des logischen („spekulativen") Standpunktes ineins ist, gibt es den Standpunkt nicht, von dem aus bzw. auf dem die Logik möglich wäre, bevor nicht die PhG zu Ende geführt ist^s. Es muß eine Theorie geben, die zugleich und ineins die Entwicklung „ihrer" Logik ist, sonst entsteht die Frage nach der Logik der Logik ... etc.3’. Der transzendentale Begründungszusammenhang leistet dies als Einheit von Theorie und Kritik. Die von Heinrichs vorgeschlagene Dreiteilung der Standpunkte, wobei dem spekulativen Standpunkt die Rolle des „reinen Zusehens" (PhG 72) zugesprochen wird, führt notwendig zu einer Unterbelichtung des transzendentalphilosophischen Aspektes und damit zu einer unzulässigen Ontologisierung der PhG. Das Moment der Selbstbestimmung, dessen Notwendigkeit die bisherigen Ausführungen bewiesen haben, wird zugunsten einer bloßen Erkenntnis eines Ansichseienden ignoriert. Entsprechend wird die Eigenart der Erfahrungsbewegung des natürlichen Bewußtseins verfälscht. Es entspricht der Kennzeichnung des spekulativen Standpunktes bei Heinrichs als „reines Zusehen", wenn dem natürlichen Bewußtsein die ganze Last der Fortbewegung in der Erfahrung auferlegt wird. Dabei wird dem natürlichen Bewußtsein letztlich eine qualitas occulta zugesprochen: „Das Bewußtsein vergißt den formellen Entstehungszusammenhang und macht den reflektierten, d.h. negierten Inhalt zu einem neuen Ansich. Diese Schwäche des Vergessens aber ist seine Stärke, die es hoch über ein bloß formelles Reflektieren stellt. Das natürliche Bewußtsein ist so ,spekulativ', die bestimmte Negation als doppelt zu setzen, indem es die erste Negation vergißt. Es leistet dadurch die Umkehrung des Negativen in ein neues Positives, des Reflektierten in neue Unmittelbarkeit''^^. Das gibt Heinrichs indirekt zu. Auch für seinen spekulativen Standpunkt ist die Aufhebung des Bewußtseinsgegensatzes Voraussetzung: »Auf dem spekulativen Standpunkt als dem der zu Ende gekommenen, wieder einfach gewordenen Reflexion gibt es nicht mehr das Gegenüber von Bewußtsein und Gegenstand, sondern nur noch die Momente der sich selbst reflektierenden Reflexion" (a.a.O., S. 60). Fichte hat seine Wissenschaftslehre so verstanden, daß diese keine Logik voraussetzt, sondern ihrerseits allererst begründet. ^0 Heinrichs, a.a.O., S. 36.

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Zehntes Kapitel

Ähnlich wie das Buch von Heinrichs ist auch die interessante Abhandlung von R. Aschenberg“'! von der Reflexionsontologie H. Wagners beeinflußt. Aschenberg versucht, Beweisabsicht und Beweisstruktur der PhG - über eine Erörterung des Wahrheitsbegriffs - ganz in der Terminologie von Philosophie und Reflexion darzustellen. So hilfreich das im Einzelnen sein mag, letztlich führt es zu einer Verharmlosung und Verfälschung der Methodenproblematik der PhG. Aschenberg behauptet die „Übersetzbarkeit der Hegelschen Gedanken in die moderne, aus einer Auseinandersetzung mit Phänomenologie und Neukantianismus erwachsene Terminologie Wagners"^^ Daß ihm dies aber nicht gelungen ist, beweist schon der Umstand, daß er nicht in der Lage ist, die Prüfungsbewegung des Bewußtseins verständlich zu machen“^. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der von Wagner inspirierten Hegel-Interpretation kann hier nicht geleistet werden; sie hätte tiefer anzusetzen, nämlich bei der Entwicklung des transzendentalen Begründungszusammenhanges. Hier muß es genügen, Gegenthesen entwickelt zu haben. In diesem Sinne möchte ich nun versuchen, meinen inzwischen sattsam verdeutlichten Ansatz in einem Nachvollzug der Erfahrung des Bewußtseins in den ersten drei Kapiteln der PhG, im Abschnitt „A. Bewußtsein" also, fruchtbar zu machen. -

■" Aschenberg, a.a.O. Aschenberg, a.a.O., S. 235, Anm. ■>-’ Vgl. Aschenbergs Interpretation der Abschnitte 12—16 der Einleitung. Zu der Unterscheidung von thematischem und unthematischem Wissen, die Aschenberg von Puntel übernimmt, vgl. oben § 20, S. 79 ff.

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Vierter Abschnitt

DIE DIALEKTIK DES BEWUSSTSEINS

Elftes Kapitel DIE SINNLICHE GEWISSHEIT § 33 Der Gegenstand der sinnlichen Gewißheit Grundsätzliche Überlegungen, die den Anfang der PhG mit der sinnlichen Gewißheit betreffen - an sie möchte ich unmittelbar anknüpfen wurden schon im Rahmen des 10. Kapitels angestellt. Dabei wurden die beiden Seiten, die die sinnliche Gewißheit als erscheinendes Wissen bestimmen, entwickelt^. Wird nun darauf Rücksicht genommen, in welcher Form die sinnliche Gewißheit auftritt, so zeigt sich, daß sie von ungleichem Wert sind: „Es ist in ihr eines als das einfache unmittelbar Seiende oder als das Wesen gesetzt, der Gegenstand, das andere aber, als das Unwesentliche und Vermittelte, welches darin nicht an sich, sondern durch ein anderes ist. Ich, ein Wissen, das den Gegenstand nur darum weiß, weil er ist, und das sein oder auch nicht sein kann" (PhG 80). Der Gegenstand ist als das Wesen, das Wesentliche, bestimmt, d.h. als das einfache unmittelbar Seiende, das ist, weil es ist. Er ist damit das sich selbst Gleiche, Unveränderliche. Das Wissen, das Ich, ist demgegenüber das Unwesentliche und Vermittelte, das Veränderliche, das ist, weil anderes, der Gegenstand, ist. Das Wissen richtet sich nach dem Gegenstand. Diese unterschiedliche Wertung entspricht dem Selbstverständnis des wahrnehmenden Bewußtseins, auf das hier rekurriert und als dessen Moment die sinnliche Gewißheit aufgenommen wird. In dieser Form ist die sinnliche Gewißheit als eine These darüber, was das Wahre ist, anzusehen. Das Wahre, das Ansich, ist ein einfaches unmittelbares Einzelnes: „Dies". Bezüglich einer solchen Position ist der Unterschied zu machen zwischen dem, was sie für sich selbst, ihrem ' Vgl. s 31, S. 127 ff.

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Elftes Kapitel

Selbstverständnis nach, und dem, was sie für uns ist. Für uns ist der Gegenstand genau so vermittelt wie das Wissen^. Das dürfen wir aber nicht als Maßstab an das Bewußtsein herantragen, es brauchte ihn nicht anzuerkennen; vielmehr muß das Bewußtsein den Maßstab an ihm selbst geben: „An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen" (PhG 71). Um feststellen zu können, wie das veränderliche, unwesentliche Wissen seinen wesentlichen, beständigen Gegenstand hat, soll die sinnliche Gewißheit gefragt werden: „Was ist das Diese?" Diese Frage ist so aber zu allgemein gestellt. Das Dies hat nämlich die doppelte Gestalt des Jetzt und des Hier^. Die Frage an die sinnliche Gewißheit muß also lauten: Was ist das Jetzt? Aber nicht die sinnliche Gewißheit gibt die Antwort, sondern wir antworten, und zwar mit einem Beispiel: „...das Jetzt ist die Nacht" (PhG 81)“*. Die Antwort ist Ausdruck eines Wissens, das selber unwesentlich ist, aber Wissen eines Wesentlichen, eines unmittelbaren einfachen Einzelnen. Die Antwort ist nicht ein Urteil, ein Aussagesatz, sondern hat die Funktion einer unmittelbaren Benennung. Das Jetzt hat einen Namen: Nacht (die herrschende Dunkelheit). Die Benennung ist so beschaffen, daß Name und Benanntes eine unmittelbare Einheit bilden: Das Jetzt ist die Nacht = Die Nacht ist das Jetzt. Wir sehen freilich, daß das Jetzt, als eine Gestalt des Dies, und die Nacht wie Wesen und Beispiel zueinander stehen. Wir betrachten aber eine wirkliche sinnliche Gewißheit; ihr Gegenstand ist nicht das Dies überhaupt, sondern ein „bestimmtes" Dies. Die einzige Möglichkeit aber, ein bestimmtes Dies, ein Beispiel eines Dies zu haben, besteht darin, ihm einen Namen zu geben, in einer Benennung. Die Prüfung der Wahrheit dieses Wissens wird von Fiegel so dargestellt, daß die Wahrheit aufgeschrieben und aufbewahrt wird: „Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist" (PhG 81). Man kann bezweifeln. 2 „Reflektieren wir über diesen Unterschied, so ergibt sich, daß weder das eine noch das andere nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewißheit ist, sondern zugleich als vermittelt; Ich habe die Gewißheit durch ein anderes, nämlich die Sache; und diese ist ebenso in der Gewißheit durch ein anderes, nämlich durch Ich' (PhG 80). 3 Es entspricht dem Selbstverständnis des sinnlichen Bewußtseins, daß es mit Raum und Zeit zu tun hat und daß Raum- und Zeitstelle dasjenige sind, was ein Einzelnes kennzeichnet. Es werden hier nicht bestimmte Begriffe von Raum und Zeit vorausgesetzt, die als solche begründet werden müßten, sondern Raum und Zeit werden so genommen, wie sie auftreten, als Formen des Dies. “ Daß wir anstelle der sinnlichen Gewißheit antworten, ist systematisch belanglos. Entscheidend ist, ob die Antwort das Selbstverständnis oder die Funktion der sinnlichen Gewißheit trifft.

§ 33 Der Gegenstand der sinnlichen Gewißheit

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daß dies an dieser Stelle eine glückliche Ausdrucksweise ist; was gemeint ist, ist aber ganz klar: Es liegt im Sinn des unmittelbaren Wissens, daß der Gegenstand ein sich selbst gleicher, unveränderlicher ist. Verändert er sich, ganz gleich wie; läßt er sich als solcher nicht festhalten: dann ist die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit schon zerstört. Das Wissen der sinnlichen Gewißheit wird an dem (als dem Maßstab) geprüft, was diese innerhalb ihrer als das Wahre aufstellt; Das Jetzt, das Nacht ist, ist ein Sichselbstgleiches, Unveränderliches: „Das Jetzt, welches Nacht ist, wird aufbewahrt, d.h. es wird behandelt als das, für was es ausgegeben wird, als ein Seiendes; es erweist sich aber vielmehr als ein Nichtseiendes" (PhG 81). Das Wissen entspricht seinem Maßstab nicht. Es hat das Jetzt nicht als ein Unmittelbares, sondern nur als Vermitteltes: „Das Jetzt selbst erhält sich wohl, aber als ein solches, das nicht Nacht ist; ebenso erhält es sich gegen den Tag, der es jetzt ist, als ein solches, das auch nicht Tag ist, oder als ein Negatives überhaupt. Dieses sich erhaltende Jetzt ist daher nicht ein unmittelbares, sondern ein vermitteltes; denn es ist als ein bleibendes und sich erhaltendes dadurch bestimmt, daß anderes, nämlich der Tag und die Nacht, nicht ist" (PhG 81). Das Ergebnis kommt dadurch zustande, daß die unwesentliche Seite, die Seite des Wissens, sich verändert. Diese Veränderung hat hier die Gestalt, daß ein anderer Ich (= derselbe Ich zu einer anderen Zeit) auf tritt und etwas anderes als das Jetzt behauptet: Das Jetzt ist der Tag. Mit der, weil irrelevant, zugestandenen Veränderung des Unwesentlichen (des Wissens = Ich) ändert sich auch das Wesentliche. Wir haben also das Wissen geprüft, indem wir uns auf das Selbstverständnis der sinnlichen Gewißheit einließen, welches besagt; Was unwesentlich ist, kann sich verändern. Es kommt für diese Prüfung allein darauf an, das als unwesentlich und daher als veränderlich Zugestandene sich variieren zu lassen. Wie dies geschieht, ob durch den Ablauf der Zeit oder durch ein Umdrehen, wie beim Hier, ist völlig gleichgültig. Entscheidend für die Dialektik von Hier und Jetzt in der ersten Phase ist also, daß, solange beides in seiner Unmittelbarkeit festgehalten wird (Das Jetzt ist der Tag; das Hier ist der Baum) - und dies Festhalten definiert die sinnliche Gewißheit - jene Gewißheit sofort durch das Auftreten einer entgegengesetzten zerstört wird. Nun gibt es natürlich eine Bedingung, unter der sich beides nicht zerstört; aber sie ist genau das, was als Resultat sich ergibt, nämlich daß Hier und Jetzt Allgemeine sind. Wer also einwendet, die beiden Ausdrücke oder Sätze „Das Hier ist der Baum" und „Das Hier ist das Haus" widersprächen sich nicht, hat damit das Hier schon als Allgemeines, d.h. als etwas genommen, das

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Elftes Kapitel

gerade nicht identisch ist mit dem Baum oder dem Haus. Halte ich aber an der Identität fest, und das tut die sinnliche Gewißheit als solche, dann widersprechen sich die Ausdrücke. Sie widersprechen sich, wie gesagt, nur dann nicht, wenn Hier ein Allgemeines ist. In dem Moment also - das ist hier entscheidend -, wo das Bewußtsein die unmittelbare Identität von Jetzt und Nacht, von Hier und Baum, verläßt, hat sich ihr Wahres zerstört. Das Bewußtsein gibt diese unmittelbare Identität auf und muß sie aufgeben, aber dann ist es nicht mehr sinnliche Gewißheit. Sein Wahres ist dann nicht mehr ein unmittelbares Einzelnes, sondern ein vermitteltes Allgemeines®. Nachdem das Ergebnis der ersten Phase ausgesprochen ist, stellt Hegel die Beziehung zu den allgemeinen Reflexionen über das Wesen der sinnlichen Gewißheit her. Es hatte geheißen: „An dem reinen Sein aber, welches das Wesen dieser Gewißheit ausmacht und welches sie als ihre Wahrheit aussagt, spielt, wenn wir Zusehen, noch vieles andere beiher. Eine wirkliche sinnliche Gewißheit ist nicht nur diese reine Unmittelbarkeit, sondern ein Beispiel derselben" (PhG 80). Die wirkliche sinnliche Gewißheit gab ihrem Gegenstand, dem Jetzt oder Hier, einen Namen, sie meinte ihn als einen unmittelbar Einzelnen. Indem die Jetzt und die Hier aber dadurch bestimmt sind, daß sie das Gemeinte nicht sind (d.h. daß sie Allgemeines sind), fällt die vermeintliche Einzelheit und individuelle Bestimmtheit fort. Es fällt damit dasjenige fort, was die Beispiele unterschied; damit aber ist das reine Sein das Wesen: „Dieser sinnlichen Gewißheit, indem sie an ihr selbst das Allgemeine als die Wahrheit ihres Gegenstandes erweist, bleibt also das reine Sein als ihr Wesen, aber nicht als Unmittelbares, sondern als ein solches, dem die Negation und Vermittlung wesentlich ist"*’ (PhG 82). Was Hegel zu ^ Für das Zustandekommen dieses Resultats ist der Rekurs auf die Sprache nicht wesentlich. Daher ist der Gedankengang mit den Mitteln der Sprachanalyse weder zu kritisieren noch zu verteidigen. Hegel benutzt allerdings die alte Überzeugung „Individuum est ineffabile" dazu, das Ergebnis zu erläutern. Während man die Unaussprechbarkeit des Individuums als solchen bisher als ein Versagen der Sprache vor der grundlegenden „Wahrheit" der Existenz von Individuellem, Einzelnen, ansah, gibt Hegel hier der Sprache recht. Vgl. PhG 82. Hegel fährt fort: „...hiemit nicht als das, was wir unter dem Sein meinen, sondern das Sein mit der Bestimmung, daß es die Abstraktion oder das rein Allgemeine ist; und unsere Meinung, für welche das Wahre der sinnlichen Gewißheit nicht das Allgemeine ist, bleibt allein diesem leeren oder gleichgültigen jetzt und Hier noch übrig". Dieser Passus (es gibt noch andere Stellen) ist sehr verwirrend dadurch, daß er ein „Wir" verwendet, das nicht, wie sonst üblich, den Standpunkt der auftretenden Wissenschaft (der Darstellung) indiziert, sondern eine andere Bedeutung hat. Es meint hier, daß wir uns auf den Standpunkt der sinnlichen Gewißheit gestellt haben. Gleich zu Beginn des nächsten Absatzes wird das „Wir" aber wieder in der üblichen Weise verwendet; „Vergleichen wir das Verhältnis, in welchem das Wissen und der Gegenstand zuerst auf trat, mit dem Verhältnisse derselben, wie sie in diesem Resultate zu stehen kommen, so hat es sich umgekehrt" (PhG 82 f.). Die beiden „Wir" sind also auseinanderzuhalten!

§ 33 Der Gegenstand der sinnlichen Gewißheit

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Beginn über die sinnliche Gewißheit sagte: „Diese Gewißheit aber gibt in der Tat sich selbst für die abstrakteste und ärmste Wahrheit aus. Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist; und ihre Wahrheit enthält allein das Sein der Sache" (PhG 79) war ein Vorgriff und ist allein von hier aus zu verstehen. Die sinnliche Gewißheit meint natürlich etwas ganz anderes. Daß sie allein das Sein der Sache als ihre Wahrheit enthält, ist etwas, das nur wir sehen. So kann das Resultat der ersten Phase ausgesprochen werden: „Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder Dieses noch Jenes, ein Nichtdieses, und ebenso gleichgültig, auch Dieses wie Jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; das Allgemeine ist also in der Tat das Wahre der sinnlichen Gewißheit" (PhG 82). Die zweite Phase der sinnlichen Gewißheit bietet gegenüber der ersten keine Besonderheit; das Ergebnis kommt auf die gleiche Weise zustande. Das Verhältnis von Wissen und Gegenstand hat sich gegenüber der ersten Phase allerdings umgekehrt: „Der Gegenstand, der das Wesentliche sein sollte, ist nun das Unwesentliche der sinnlichen Gewißheit, denn das Allgemeine, zu dem er geworden ist, ist nicht mehr ein solches, wie er für sie wesentlich sein sollte, sondern sie ist jetzt in dem Entgegengesetzten, nämlich in dem Wissen, das vorher das Unwesentliche war, vorhanden" (PhG 83). Die beiden, das erscheinende Wissen konstituierenden Seiten sind nun folgendermaßen bestimmt: Der Gegenstand ist ein Allgemeines, ein allgemeines Hier oder Jetzt. Er ist veränderlich, d.h. gleichgültig gegen unterschiedene Benennungen. Das Wissen aber ist nun das Sichselbstgleiche, Unveränderliche. Das Wissen ist das Ich, das hier nur Sehen, Hören etc. ist, und zwar deshalb, weil die sinnliche Gewißheit als erscheinendes Wissen genommen, keine Bestimmtheit sonst hat. Dieses Wissen verleiht nun aber dem Gegenstand ebenfalls eine Unmittelbarkeit: „Ihre Wahrheit ist in dem Gegenstände als meinem Gegenstände, oder im Meinen; er ist, weil ich von ihm weiß" (PhG 83). Es ist hier also umgekehrt wie in der ersten Phase: Das Wissen (Sehen, Hören) ist wesentlich, es garantiert die Unmittelbarkeit; der Gegenstand ist unwesentlich. Dem Selbstverständnis der sinnlichen Gewißheit gemäß darf eine Veränderung des Unwesentlichen die Unmittelbarkeit des Sehens und Hörens nicht tangieren. Wenn nun neben dem Ich, das ein Haus sieht, ein Ich auftritt, das einen Baum sieht, dann hat auch das Sehen des Baumes die gleiche Beglaubigung: „Beide Wahrheiten haben dieselbe Beglaubigung, nämlich die Unmittelbarkeit des Sehens und die Sicherheit und Versicherung beider über ihr Wissen; die eine verschwindet aber in der andern" (PhG 83). So zeigt sich, daß auch das

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Wissen nicht ein unmittelbar Einzelnes, die Unmittelbarkeit des an sich allgemeinen Gegenstandes garantierendes Wissen ist, sondern allgemeines Wissen: „Was darin nicht verschwindet, ist Ich, als allgemeines, dessen Sehen weder Sehen des Baums noch dieses Hauses, sondern ein einfaches Sehen ist, das durch die Negation dieses Hauses usf. vermittelt, darin ebenso einfach und gleichgültig gegen das Haus, den Baum ist. Ich ist nur allgemeines wie jetzt. Hier oder Dieses überhaupt" (PhG 83). (Das Ich - dies folgt aus dem Begriff des erscheinenden Wissens - ist nur die Seite des Wissens, nicht etwa eine Person, irgendein Seiendes, das zu sich Ich sagt, ein Selbstbewußtsein hat.) Die ersten beiden Phasen der sinnlichen Gewißheit sind dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Seiten, die das erscheinende Wissen ausmachen, durch den Unterschied des Wesentlichen und Unwesentlichen bestimmt sind. In der ersten Phase ist der Gegenstand das Wesentliche, was dem Selbstverständnis des „realistischen" Bewußtseins entspricht: die Erkenntnis richtet sich nach dem Gegenstand. Die Umkehrung dieses Verhältnisses in der zweiten Phase wird von Hegel als Resultat einer Erfahrung dargestellt: „Die sinnliche Gewißheit ist also zwar aus dem Gegenstände vertrieben, aber dadurch noch nicht aufgehoben, sondern nur in das Ich zurückgedrängt" (PhG 83). Nun ist das Wissen qua Ich das Wesentliche. In beiden Phasen zerstört sich die Gewißheit dadurch, daß durch eine Veränderung des jeweils als unwesentlich Angesehenen zugleich eine Veränderung des Wesentlichen herbeigeführt wird. Dabei besteht die Veränderung im Auftreten einer entgegengesetzten Gewißheit, was z.B. dazu führt, daßdie Benennung „Das jetzt ist der Tag" durch die Benennung „Das jetzt ist die Nacht" ergänzt werden muß. Die unmittelbare Einheit des jetzt mit Tag oder Nacht ist dadurch aufgebrochen. Um diese Einheit aber war es der sinnlichen Gewißheit zu tun. Dabei macht es, wie angedeutet, keinen Unterschied, wie die Veränderung der einen Seite, die zur Zerstörung der ganzen Gewißheit führt, vor sich geht, ob durch den Ablauf der Zeit oder durch willkürliches Sich-Umdrehen. Letzteres setzt natürlich aber darauf kommt es nicht an - den Ablauf der Zeit voraus. Behält man den systematischen Ansatz und damit die Beweisabsicht der PhG im Auge, dürften hier eigentlich keine Mißverständnisse entstehen. Wie Zeit und Raum als solche hier thematisch sind, bestimmt sich allein von daher.

§ 34 Die Erfahrung der sinnlichen Gewißheit

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§ 34 Die Erfahrung der sinnlichen Gewißheit Hegel formuliert das als Erfahrung des Bewußtseins ausgesprochene Resultat der beiden vorangegangenen Phasen zunächst rein negativ: „Die sinnliche Gewißheit erfährt also, daß ihr Wesen weder in dem Gegenstände noch in dem Ich, und die Unmittelbarkeit weder eine Unmittelbarkeit des einen noch des anderen ist, denn an beiden ist das, was Ich meine, vielmehr Unwesentliches, und der Gegenstand und Ich sind Allgemeine, in welchem dasjenige Jetzt und Hier und Ich, das ich meine, nicht bestehen bleibt oder ist" (PhG 84). Bei der positiven Bestimmung des Resultats und beim Übergang zur dritten Phase hat aber die auftretende Wissenschaft ihre Hand im Spiel: „Wir kommen hiedurch dahin, das Ganze der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr Wesen zu setzen, nicht mehr nur ein Moment derselben wie in den beiden Fällen geschehen ist, worin zuerst der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand, dann Ich ihre Realität sein sollte" (PhG 84). Auch in der dritten Phase behauptet die sinnliche Gewißheit das unmittelbar einzelne, das Dies, als das Wahre. Sie hat dieses Wahre aber nur, wenn beide Seiten in ihrer Beziehung aufeinander festgehalten werden: „Es ist also nur die ganze sinnliche Gewißheit selbst, welche an ihr als Unmittelbarkeit festhält und hiedurch alle Entgegensetzung, die im vorherigen stattfand, aus sich ausschließt" (PhG 84). Die Entgegensetzung, an der das Wahre der sinnlichen Gewißheit zugrunde ging, tauchte auf der Seite des Wesentlichen dann immer auf, wenn sich die Seite des Unwesentlichen verändert. Diese Veränderung auf der Seite des Unwesentlichen muß also vermieden werden, indem die Beziehung fixiert wird: „Ihre Wahrheit erhält sich als sich selbst gleichbleibende Beziehung, die zwischen dem Ich und dem Gegenstände keinen Unterschied der Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit macht und in die daher auch überhaupt kein Unterschied eindringen kann" (PhG 84). Keine Seite der als unmittelbar behaupteten Beziehung ist mehr variabel. Unter dieser Voraussetzung läßt sich der Inhalt der dritten Phase der sinnlichen Gewißheit wieder in einer Benennung ausdrücken: „...ich halte an einer unmittelbaren Beziehung fest: das Jetzt ist Tag" (PhG 85). So ist die Wahrheit dieser unmittelbaren Beziehung „die Wahrheit dieses Ich, der sich auf ein Jetzt oder ein Hier einschränkt" (PhG 85). Für uns ist natürlich das Resultat einer Einschränkung durch eben diese vermittelt; wir finden hier dasselbe Verhältnis von Wesen und Beispiel wie in den vorangegangenen Phasen. Dies muß sich aber auch an der als unmittelbar behaupteten Beziehung selber zeigen.

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Elftes Kapitel

Die so bestimmte Struktur der sinnlichen Gewißheit in ihrer dritten Phase macht nun ein anderes Prüfungsverfahren notwendig als bisher. Bisher bestand es darin, die sinnliche Gewißheit auf eine entgegengesetzte Gewißheit aufmerksam zu machen, was durch eine Veränderung dessen geschah, was dem Selbstverständnis der sinnlichen Gewißheit zufolge veränderlich, weil unwesentlich, war. Deshalb trat sie bereitwillig herzu. Diese Bereitwilligkeit war auch eine solche, sich auszusprechen. Nun aber ist die sinnliche Gewißheit stumm (in der dritten Phase spielt die Sprache also gar keine Rolle mehr). Unsere Prüfung, die durch die Darstellung zu einer Selbstprüfung des Bewußtseins wird, hat also ein anderes Verfahren einzuschlagen: „Da hiemit diese Gewißheit nicht mehr herzutreten will, wenn wir sie auf ein Jetzt, das Nacht ist, oder auf einen Ich, dem es Nacht ist, aufmerksam machen, so treten wir zu ihr hinzu, und lassen uns das Jetzt zeigen, das behauptet wird. Zeigen müssen wir es uns lassen; denn die Wahrheit dieser umittelbaren Beziehung ist die Wahrheit dieses Ich, der sich auf ein Jetzt oder ein Hier einschränkt" (PhG 85). Der Sinn dieses Sich-zeigen-Lassens ist klar: wir müssen uns selbst auf ein Jetzt oder ein Hier einschränken. Zeigen und Einschränken sind dasselbe: „Wir müssen daher in denselben Punkt der Zeit und des Raumes eintreten, sie uns zeigen, d.h. uns zu demselben diesen Ich, welches das gewiß Wissende ist, machen lassen" (PhG 85). Das Jetzt, das ich meine, soll dadurch, daß ich mich einschränke, zu einem Sichselbstgleichen, Unmittelbaren werden. Als solches soll es dann auch aufzeigbar sein. Das Aufzeigen soll, mit anderen Worten, von dem Sich-Einschränken unterschieden sein und so das Jetzt als das Gemeinte erreichen und festhalten können. Das ist ja der Sinn des Sich-Einschränkens angesichts der Erfahrungen der vergangenen Phasen der sinnlichen Gewißheit. Das Aufzeigen des Jetzt, auf das ich mich eingeschränkt habe, erreicht aber das gemeinte Jetzt nur als vergangenes, wobei, wie Hegel zeigt, verschiedene Phasen unterschieden werden müssen. Wenn das Auf zeigen aber nicht das gemeinte Jetzt, auf das ich mich eingeschränkt habe, sondern ein anderes Jetzt bzw. das gemeinte nur als vergangenes erreicht, dann hat das Sich-Einschränken nicht den erhofften Erfolg gehabt. Wenn das Jetzt nicht als unmittelbares aufzeigbar ist, dann hat schon das Einschränken in Wahrheit sein Ziel nicht erreicht. Es ist keineswegs so, daß das gemeinte Dies zunächst (im Sich-Einschränken) ein wahrhaft unmittelbares wäre, daß nur nicht aufgezeigt werden könnte oder im Aufzeigen seine Unmittelbarkeit verlöre. Vielmehr ist es so, das durch das Aufzeigen herauskommt: schon das Sich-Einschränken verfehlt die Unmittelbarkeit.

§ 34 Die Erfahrung der sinnlichen Gewißheit

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Sich-Einschränken und Zeigen sind nämlich der Struktur nach dasselbe. Beide sind eine Bewegung, die unterschiedene Momente an ihr hat. Das allein genügt, um der Beziehung selber den Charakter der Unmittelbarkeit zu nehmen. Die Bewegung des Aufzeigens durchläuft nun die drei Momente, die wir auch schon in der ersten und zweiten Phase fanden. Das Aufzeigen des Jetzt ist die ständige Rückkehr vom gewesenen zum seienden Jetzt: „Das Jetzt und das Aufzeigen des Jetzt ist also so beschaffen, daß weder das Jetzt noch das Aufzeigen des Jetzt ein unmittelbares Einfaches ist, sondern eine Bewegung, welche verschiedene Momente an ihr hat; es wird Dieses gesetzt, es wird aber vielmehr ein anderes gesetzt, oder das Diese wird aufgehoben: Und dieses Anderssein oder Aufheben des ersten wird selbst wieder aufgehoben und so zu dem ersten zurückgekehrt" (PhG 85 f.). Die Bewegung des Zeigens kann nicht die gemeinte Unmittelbarkeit des Jetzt (und des Hier) festhalten. Was als letzte Rettung der unmittelbaren Gewißheit erschien, erweist sich als deren endgültige Zerstörung. Die sinnliche Gewißheit vollzieht, indem sie im Zeigen die Unmittelbarkeit zu retten meint, die Zerstörung der Unmittelbarkeit, d.h. ihrer Meinung, ausdrücklich. In der ersten und zweiten Phase war die sinnliche Gewißheit durch diese Bewegung bestimmt. Wir konnten sehen, daß sich genau durch diese Bewegung das vermeintlich Einzelne, Unmittelbare, als das vermittelte Allgemeine erwies. In der dritten Phase vollzieht die sinnliche Gewißheit im Aufzeigen des Gemeinten diese Bewegung, der sie in der ersten und zweiten Phase unterworfen war: „Das Aufzeigen ist also selbst die Bewegung, welche es ausspricht, was das Jetzt in Wahrheit ist, nämlich ein Resultat oder eine Vielheit von Jetzt zusammengefaßt; und das Aufzeigen ist das Erfahren, das Jetzt Allgemeines ist" (PhG 86). Die Diskrepanz, die in der ersten und zweiten Phase durch ein anderes Jetzt oder ein anderes Ich, durch ein Sich-Verändern des Unwesentlichen, entstand, ist in der dritten Phase in der Bewegung des Sich-Einschränkens bzw. des Aufzeigens selbst enthalten. Die Bewegung des Aufzeigens erreicht ein Jetzt und ein Hier. Diese sind aber nicht die gemeinten, nicht unmittelbar Einzelne, sondern Allgemeine. Die Bewegung des Aufzeigens ist, wie gesagt, die ständige Rückkehr vom gewesenen zum seienden Jetzt: „Aber dieses in sich reflektierte erste ist nicht ganz genau dasselbe, was es zuerst, nämlich ein Unmittelbares, war; sondern es ist eben ein in sich Reflektiertes oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist: ein Jetzt, welches absolut viele Jetzt ist" (PhG 86). Jetzt erst wird die Struktur der Allgemeinheit deutlich: sie ist sinnliche Allgemeinheit und als solche einfache Vielheit. Vielheit impliziert

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