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German Pages 504 [490] Year 2007
FR A NCISCUS SA NCHEZ
QUOD NIHIL SCITUR DA SS NICHTS GEW USST W IR D
Einleitung und Anmerkungen von k aspar howald Übersetzung von damian caluori und k aspar howald Lateinischer Text von sergei mariev
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 586
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1815-5
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INHALT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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EI N LEIT U NG. Von Kaspar Howald . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Franciscus Sanchez: Leben und Werk . . . . . . . . .
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A. Sanchez’ Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sanchez’ philosophische Schriften . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Schrift ›Quod nihil scitur‹ . . . . . . . . . . . . . . . xxxix A. Form, Bereich und Funktion von Sanchez’ Zweifel 1. Die Form des Zweifels: Sanchez als undogmatischer Skeptiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bereich des Zweifels: Das wissenschaftliche Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Funktion des Zweifels: Methodischer oder skeptischer Zweifel ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
xl xl xlix lvii
B. Der historische Hintergrund von QNS . . . . . . . . . . . lxxii 1. Sanchez und die früh-neuzeitliche Wiederentdeckung der antiken Skepsis . . . . . . . . . . . . . . lxxii 2. Sanchez’ Skeptizismus und die humanistische Kritik am scholastischen Aristotelismus . . . . . . . . lxxxix a) Aristotelismus und Humanismus in Sanchez’ Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxxxix b) Der Einfluß des Humanismus in QNS . . . . . . . ci 3. Sanchez und die zeitgenössische Medizin . . . . . . . cix a) Aristotelismus und Humanismus in der frühneuzeitlichen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cix b) Die Rolle der Medizin in QNS . . . . . . . . . . . . . . cxvi
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inhalt
4. Sanchez’ Skeptizismus und die erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen unter den Scholastikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cxxiv a) Sanchez’ Auseinandersetzung mit dem Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cxxvi b) Sanchez und die scholastischen Diskussionen um die species-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cxxxvi c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cxlv C. Der argumentative Aufbau von QNS . . . . . . . . . . . . . cxlix 1. Die zwei Stufen von Sanchez’ Argumentation . . . cxlix 2. Synopsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . clviii III. Zur vorliegenden Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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FR ANCISCUS SANCHEZ
Quod nihil scitur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daß nichts gewußt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lateinischer Text von Sergei Mariev, Übersetzung von Damian Caluori und Kaspar Howald
Zur Zitationsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Moderne Ausgaben und Übersetzungen von QNS . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Von Sanchez explizit zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
Personenregister zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personen- und Sachregister zu QNS . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VO RWORT
Die vorliegende zweisprachige Ausgabe von Franciscus Sanchez’ Quod nihil scitur – Daß nichts gewußt wird ging zu wesentlichen Teilen aus einem Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds hervor, das mit dem Titel „Formen des Zweifels. Skeptizismus im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit“ unter der Leitung von Prof. Dr. Dominik Perler (damals Basel, heute Berlin) und Prof. Dr. Therese Fuhrer (damals Zürich, heute Freiburg i. Br.) vom Frühjahr bis ins Frühjahr an den Universitäten Basel und Zürich durchgeführt wurde. Im Rahmen des Zürcher Teilprojekts wurden die vorliegende Übersetzung erarbeitet (Damian Caluori und Kaspar Howald), der lateinische Text erstellt (Sergei Mariev) sowie die Grundlagen für die Einleitung gelegt (Kaspar Howald). Unser Dank gebührt daher zunächst den beiden Initiatoren und Leitern des Projekts, Prof. Dr. Dominik Perler und Prof. Dr. Therese Fuhrer, sowie den Basler Mitarbeitern, Dr. Markus Wild und Dr. Roland Wittwer. Ihnen allen danken wir für die bereichernden Diskussionen über das Aufkommen des Skeptizismus im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Weiter danken wir dem Schweizerischen Nationalfonds, der dieses Projekt ermöglichte. Danken möchten wir außerdem Dr. Ruth Harder und Eveline Goetschel für ihre Anmerkungen zur Übersetzung sowie Serena Zweimüller für die Durchsicht des gesamten Manuskripts. Dem Verleger Manfred Meiner danken wir für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Philosophische Bibliothek, bei Marion Lauschke und Jens-Sören Mann (beide Meiner Verlag) bedanken wir uns für das Lektorat bzw. für die Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage. Zürich, Athen, München im Januar
Kaspar Howald Damian Caluori Sergei Mariev
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vorwort
Zusammen mit meinem Anteil an den Übersetzungsarbeiten wurde die hier in überarbeiteter Form vorliegende Einleitung im Sommersemester auf Antrag von Prof. Dr. Therese Fuhrer und Prof. Dr. Christoph Riedweg von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich als Dissertation angenommen. Ich möchte mich daher an dieser Stelle herzlich bei Prof. Dr. Therese Fuhrer bedanken, die mich dazu ermutigte, meine Beschäftigung mit Sanchez zu einem Dissertationsprojekt auszuarbeiten, und die diese Arbeit unterstützend begleitete. Weiter danke ich Prof. Dr. Christoph Riedweg, der sich dazu bereit erklärte, das Korreferat zu übernehmen, und Dr. Ruth Harder für die Übernahme des Beisitzes an der Doktorprüfung. Dem Fonds für Altertumswissenschaft danke ich für die großzügige finanzielle Unterstützung beim Erwerb der Belegexemplare. Schließlich danke ich von Herzen meinen beiden Mitarbeitern und Mitherausgebern, die beide über ihren jeweiligen Anteil an der Projektmitarbeit hinaus wesentlich zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen haben. Sergei Mariev danke ich für die große Geduld, mit der er die Druckvorlage erstellte, und bei Damian Caluori bedanke ich mich für die Zeit, die er sich auch nach seinem Weggang nach Oxford immer wieder nahm, um die Ergebnisse meiner Auseinandersetzung mit Sanchez’ Skeptizismus mit mir zu diskutieren und um mir dabei wiederholt Auswege aus meinen Zweifeln zu zeigen. Zürich, im Januar
Kaspar Howald
EI N L EI T UN G
Der früh-neuzeitliche Arzt und Philosoph Franciscus Sanchez, genannt der Skeptiker, gilt heute als eine Randfigur in der Geschichte der Philosophie.1 Dies war keineswegs immer so. In seinem Advis pour dresser une bibliothèque () schrieb der französische Gelehrte und Spezialist für Bibliotheken Gabriel Naudé (–): „Weiter [benötigt man] alle, die am treffendsten gegen irgendeine Wissenschaft geschrieben haben oder die sich mit mehr Gelehrsamkeit und Leidenschaft (ohne jedoch etwas zu erneuern oder in den Prinzipien zu verändern) gegen die Bücher einiger äußerst bekannter und berühmter Autoren wandten. Daher darf man nicht auf Sextus Empiricus, Sanchez und Agrippa [von Nettesheim] verzichten, die sich zum Umsturz aller Wissenschaften bekannten [. . . ].“2 Eine hohe Meinung von Sanchez’ Skeptizismus hegte auch Pierre Bayle (–), der Sanchez in seinem Dictionnaire historique et critique als einen „grand Pyrrhonien“ bezeichnete.3 Sanchez’ Wirkung beschränkte sich jedoch nicht nur auf Frankreich, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte, sondern er erregte auch im holländischen und deutschen Sprachraum einiges Aufsehen, wobei er hier weniger Bewunderung als vielmehr Ab1
In Richard Popkins umfassender History of Scepticism (Popkin ) nimmt die Darstellung von Sanchez’ Skeptizismus bloß fünf Seiten ein (S. –), während Michel de Montaigne – Sanchez’ etwas älterem und ungleich berühmterem Zeitgenossen – ein ganzes Kapitel gewidmet ist (S. –). 2 „En suitte tous ceux qui ont escrit le plus heureusement contre quelque Science, ou qui se sont opposez avec plus de doctrine & d’animosité (sans toutesfois rien innover ou changer des principes) aux Livres de quelques Autheurs de plus celebres & renommez. C’es pourquoy on ne doit pas negliger Sextus Empiricus, Sanchez, & Agrippa, qui ont fait profession de renverser toutes les Sciences [. . . ].“ In der zweiten Auflage von Naudés Advis (erschienen ), die bei Jolly () vollständig abgedruckt und mit einer Einleitung versehen vorliegt, findet sich dieses Zitat auf S. f. 3 Bayle (, Bd. , ).
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lehnung erfuhr. Aufgrund seiner skeptischen Ansichten glaubte G.W. Leibniz (–) in Sanchez einen Atheisten zu erkennen, und einige deutsche Theologen hielten ihn für den „Anführer der heutigen Skeptiker“ und für einen der gefährlichsten Feinde der christlichen Lehre.4 So sah sich etwa Daniel Hartnack (–) noch – beinahe ein halbes Jahrhundert nach Sanchez’ Tod – dazu veranlaßt, einen umfassenden Widerlegungsversuch von Sanchez’ Skeptizismus unter dem Titel Sanchez aliquid sciens (Sanchez, etwas wissend) zu veröffentlichen.5 Diese Äußerungen zeugen sowohl im Positiven wie im Negativen von der Bedeutung, die Sanchez als Skeptiker bis ins . Jahrhundert genoß. Nach dieser Blüte verblaßte sein Ruhm jedoch nahezu gänzlich. Mit dem Hinschwinden des spätscholastischen Aristotelismus im Verlauf des . Jahrhunderts kam Sanchez sein wichtigster Gegner abhanden. Denker, deren Argumentation weniger spezifisch auf die komplexen Lehren der Scholastiker ausgerichtet waren, verdrängten ihn aus den philosophischen Diskussionen. Zu einer erneuten, nunmehr rein historisch motivierten Auseinandersetzung mit seinem Skeptizismus kam es erst wieder ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.6
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Diese Auffassung – die im übrigen nicht zutrifft, vgl. dazu unten S. Lff. – findet sich zum ersten Mal in der Schrift De Scepticismo pars prior, sive libri quattuor, Groningen , des holländischen Theologen und Philosophen Martin Schookius (–); vgl. dazu Iriarte (, –). Die Bezeichnung „Anführer der heutigen Skeptiker“ entstammt der ersten von vier Disputationen, die der deutsche Theologe M. Johann Ulrich Wild (Wildtius, geb. ) zur Erlangung des Magistertitels in Leipzig abhielt und die noch im selben Jahr unter dem Titel Quod aliquid scitur (Daß etwas gewußt wird) publiziert wurden (das Zitat findet sich darin auf S. ); vgl. dazu Iriarte (, –). 5 Zu Hartnacks Schrift Sanchez aliquid sciens vgl. Iriarte (, –); zu den verschiedenen Widerlegungsversuchen vgl. auch unten S. LVIII Anm. . 6 Die erste moderne Monographie zu Sanchez stammt von Gerkrath (). Zu den wichtigsten modernen Abhandlungen über Sanchez zählen außerdem Senchet (), Iriarte () Miccolis (), Mellizo (),
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Seinen Ruf als herausragender Skeptiker seiner Zeit verdankt Sanchez im wesentlichen seiner Schrift Quod nihil scitur (Daß nichts gewußt wird), die zum ersten Mal erschien, und die mit dieser zweisprachigen Ausgabe zum ersten Mal in deutscher Sprache vorliegt.7 Um den Zugang zu dieser voraussetzungsreichen und daher z.T. nur schwer verständlichen Schrift zu erleichtern, soll Sanchez’ Skeptizismus in einer Einleitung zunächst systematisch erschlossen und im Kontext der philosophischen Diskussionen seiner Zeit verortet werden. Sanchez’ wichtigste philosophische Schrift stammt nämlich aus einer Zeit, in der sich ein grundlegender Wandel in der Geistesgeschichte des Abendlandes bereits abzuzeichnen begann, jedoch noch keineswegs vollzogen war. Die universitäre Philosophie war nach wie vor in den Händen der spätscholastischen Aristoteliker, doch sah sich diese Weise, Philosophie zu betreiben, zusehends mit stärkeren Herausforderungen konfrontiert. Zu nennen sind in erster Linie die Humanisten, die die traditionellen Lehrgänge der Scholastiker durch ein neues Bildungsprogramm zu ersetzen suchten. Außerdem kam es auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft – allen voran der Medizin, der Geographie und der Astronomie – zu neuen Entdeckungen, die sich z.T. kaum oder nur mit Mühe mit den traditionellen Lehren der Scholastiker vereinbaren ließen. Zu einer tiefgreifenden Erschütterung des Vertrauens in die scholastische Einschätzung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit führte schließlich die früh-neuzeitliche Auseinandersetzung mit den Quellen der antiken Skepsis, die das z.T. bereits vorhandene Arsenal an skeptischen Argumenten beträchtlich erweiterten und in denen sich die skeptische Sichtweise zum ersten Mal in umfassenden Darstellungen präsentierte. Alle diese Herausforderungen des scholastischen Aristotelismus zeigen eine Wirkung auf Sanchez’ skeptische Argumentation. Zum einen verfügte er offensichtlich über Kenntnisse der antiken Skepsis Suárez Dobarrio () und v.a. die Einleitungen in de Carvalho () und Limbrick (). 7 Für eine Übersicht über andere neusprachliche Übersetzungen vgl. unten S. .
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und zum anderen war er aufgrund seiner humanistischen Grundausbildung und seines Medizinstudiums mit der humanistischen Kritik an den Scholastikern und mit den Errungenschaften auf dem Gebiet der Medizin bestens vertraut. Sanchez’ eigentliches Verdienst besteht jedoch v.a. darin, daß er den Aristotelismus nicht bloß mit den zeitgenössischen Herausforderungen konfrontierte, sondern daß er seine skeptische Sichtweise in erster Linie in einer kritischen Analyse der Lehren der spätscholastischen Aristoteliker entwickelte. Dabei gelingt es ihm immer wieder, den Blick auf Schwachstellen, Spannungen oder gar Widersprüche innerhalb der Position seiner dogmatischen Gegner zu richten. Sein in sich konsistentes Verständnis des skeptischen Denkens und der hohe Argumentationsgrad seiner Auseinandersetzung mit dem spätscholastischen Aristotelismus machen Sanchez zu einem der interessantesten Vertreter des früh-neuzeitlichen Skeptizismus.
I. Franciscus Sanchez: Leben und Werk A. Sanchez’ Leben Unsere Kenntnis von Sanchez’ Biographie stützt sich in erster Linie auf eine kurze Lebensbeschreibung von Raymundus Delassus, einem Schüler von Sanchez, die in der von Sanchez’ Söhnen posthum veröffentlichten Ausgabe seiner gesammelten Werke abgedruckt ist.1 Delassus’ Angaben lassen sich ergänzen durch die Einträge in den Kirchenbüchern von Braga bzw. Montpellier, die Sanchez’ Tauf- bzw. sein Begräbnisdatum angeben. Außerdem verfügen wir über einige Dokumente aus den Archiven der Universi-
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Der Titel dieser Ausgabe lautet Opera Medica. His iuncti sunt tractatus quidam philosophici non insubtiles (Medizinische Schriften. Diesen beigefügt sind einige sehr subtile philosophische Traktate). Sie erschien in Toulouse bei Petrus Bosc. Delassus’ Biographie umfaßt darin die Seiten êr –êv .
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täten von Montpellier und Toulouse, die Sanchez’ akademischen Werdegang an diesen Institutionen dokumentieren.2 Anhand dieser Zeugnisse läßt sich Sanchez’ Leben wie folgt skizzieren. Franciscus Sanchez wurde vielleicht bereits , sicher aber vor dem . Juli als Sohn des Arztes António Sanchez und der Filipa de Souza im spanisch-portugiesischen Grenzgebiet geboren.3 Als Herkunftsort kommen dabei entweder das auf der spanischen Seite des Grenzflusses Minho gelegene Tuy oder aber die in Portugal liegende Stadt Braga in Frage. Für Braga und damit für eine portugiesische Herkunft sprechen der Eintrag im Taufregister von Braga und ebenso Delassus, der Braga als Sanchez’ „Geburtsstätte“ bezeichnet.4 Als Portugiese erscheint Sanchez außerdem in den Dokumenten der Universität Toulouse. Für die Herkunft aus dem spanischen Tuy läßt sich dagegen das Immatrikulationsregister der Universität von Montpellier anführen, wo sich Sanchez als „Spanier, geboren in Tuy (Hispanus natus in civitate Tudensis)“ einschrieb.5 In Anbetracht dieser zumindest scheinbar widersprüchli2
Sanchez’ Taufeintrag ist bei Machado (, ) reproduziert und transkribiert; für den Begräbniseintrag vgl. Cazac (b, ); für die Dokumente aus Montpellier vgl. Veríssimo Serrão (, –), für Sanchez’ Werdegang in Toulouse vgl. Veríssimo Serrão (, –). 3 Das Jahr errechnet Cazac (b, ), indem er das im Kirchenregister von Toulouse vermerkte Alter von Jahren von Sanchez’ Todesjahr abzieht. Für das Jahr läßt sich mit Mellizo (, ) und Limbrick (, f.) anführen, daß Sanchez laut Kirchenbuch von Braga am . Juli getauft wurde. Da man im . Jahrhundert die Kinder bereits wenige Tage nach der Geburt taufen ließ, müßte Sanchez kurz vor diesem Datum geboren worden sein. Der scheinbare Widerspruch zwischen den Einträgen von Braga und Toulouse läßt sich möglicherweise dadurch auflösen, daß man die Altersangabe des Begräbniseintrags dahingehend versteht, daß Sanchez nicht mit Jahren, sondern im . Altersjahr verstarb. Dies würde bedeuten, daß er – wie durch die Datumsangabe der Taufurkunde nahegelegt – erst im Jahr geboren wurde. 4 Delassus in Opera medica, S. êr : „Braga, eine der berühmtesten Städte Portugals bot unserem Professor die Geburtsstätte [. . . ] (Bracara Lusitaniae urbs insignis natales nostro praebuit Professori [. . . ]).“ 5 Für dieses Dokument vgl. Veríssimo Serrão (, ). Vgl. dagegen Tavares (, ), der in dem von Sanchez erwähnten Tuy nicht die in
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chen Zeugnisse läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Sanchez als Portugiese oder als Spanier zu betrachten sei.6 Die Frage nach Sanchez’ nationaler Herkunft ist jedoch bloß von geringer Bedeutung, da er seine höhere Ausbildung in Frankreich und Italien absolvierte und den größten Teil seines Lebens in Frankreich verbrachte.7
Spanien liegende Gemeinde, sondern ein zweites Tuy zu erkennen glaubt, das nach seiner Aussage auf der portugiesischen Seite des Minho auf dem Gemeindegebiet von Valença do Minho zu verorten ist. 6 Nach Limbrick (, Anm. ) erklärt sich dieser verwirrende Befund dadurch, daß die Bezeichnungen ‚Hispanus‘ und ‚Lusitanus‘ im . Jahrhundert in Widerspiegelung der damaligen politischen Lage oft ohne Unterschied verwendet wurden. Dagegen läßt sich jedoch mit Cazac (b, ff.) einwenden, daß zumindest Sanchez selbst diese beiden Begriffe in seinen Schriften nie vermischte. Ein weiterer Erklärungsversuch bezieht sich auf die komplexe staats- und kirchenpolitische Situation der Grenzstadt Tuy, die, obschon sie staatspolitisch zu Spanien gehörte, lange der portugiesischen Diözese Braga unterstellt war. Dabei stellt sich jedoch das Problem, daß Tuy bereits um kirchenpolitisch dem spanischen Compostella zugesprochen wurde und im Verlauf des . Jahrhunderts jeglichen Kontakt zur portugiesischen Kirche verloren hatte; vgl. dazu Mellizo (, –). 7 Die Frage nach Sanchez’ Herkunft hat möglicherweise bereits zu seinen Lebzeiten zu Diskussionen geführt. Zumindest scheint dies der Eröffnungssatz von Delassus’ Sanchez-Biographie nahezulegen: „‚Nicht wo jemand geboren wurde, sondern wie sein Charakter beschaffen ist, darauf muß man schauen‘, sagte der äußerst beredte Apuleius [Apol. ,]. Durch die Preisung des Vaterlands wird unzureichend zufriedengestellt, wer nach dem Leben fragt (Non ubi prognatus, sed ut moratus quisque sit spectandum inquit disertissimus Apuleius: nam patriae commendatione inepte satisfit ei qui vitam requirit)“ (Opera medica, S. êr ). Die Diskussion um Sanchez’ Nationalität wirkt sich bisweilen auf die Schreibweise seines Namens aus. So verwenden die Befürworter einer portugiesischen Herkunft meist die Variante ‚Sanches‘ während die Anhänger einer spanischen Herkunft die Variante ‚Sanchez‘ bevorzugen. Ohne uns in der Frage nach der nationalen Herkunft festlegen zu wollen, entschieden wir uns für die Variante mit ‚-z‘, weil es sich dabei um die Schreibweise handelt, die Sanchez selbst verwendete; für eine Reproduktion zweier Unterschriften von Sanchez’ Hand vgl. Veríssimo Serrão (, ) und (, ).
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Nach einer biographischen Notiz von Guy Patin (–) waren Sanchez’ Eltern Juden.8 Diese Äußerung bedarf insofern einer gewissen Präzisierung, als sowohl auf der Iberischen Halbinsel als auch in Südfrankreich, dem späteren Niederlassungsgebiet der Familie Sanchez, das offene Praktizieren des jüdischen Glaubens seit dem Ende des . Jahrhunderts nicht mehr toleriert und sämtliche Juden, die sich nicht zum Christentum bekehren ließen, vertrieben wurden. Sanchez’ Eltern können somit keinesfalls offen praktizierende Juden gewesen sein – dagegen spricht schon der Umstand, daß sie ihren Sohn christlich taufen ließen –, doch gibt es einige Hinweise darauf, daß sie den sogenannten conversos oder NeuChristen zuzurechnen sind. Als solche bezeichnete man sowohl ursprüngliche Juden, die sich z.T. nur unter Androhung oder Anwendung massiver Gewalt der Taufe unterziehen ließen, als auch deren Nachkommen.9 Einen ersten Hinweis darauf, daß es sich bei Sanchez’ Eltern tatsächlich um Neu-Christen handelte, liefert der Beruf von Sanchez’ Vater. Bereits im frühen Mittelalter war ein großer Teil der Ärzte auf der Iberischen Halbinsel jüdischen Glaubens und nach der Vertreibung bzw. der Zwangskonvertierung der Juden rekrutierte sich die Mehrzahl der Mediziner aus den Familien der Neu-Christen.10 Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus einem Umstand, der sich direkt auf Sanchez’ Biographie auswirkte. Sanchez’ Familie verließ in den er Jahren des . Jahrhunderts ihre ehemalige iberische Hei8
Guy Patin in Naudé und Patin (, ): „Il [gemeint ist Franciscus Sanchez] étoit Chrêtien & né de parens Juifs [. . . ].“ 9 Zur Geschichte der Neu-Christen im allgemeinen vgl. Roth (), zur Situation in Spanien vgl. Beinart (a und b); zur Situation in Portugal, wo die conversos bis zu einem Zehntel der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben sollen, vgl. Révah (). 10 Zu den Neu-Christen unter den iberischen Ärzten vgl. Caro Baroja (, Bd. , –) und Friedenwald (, –). Einer ihrer bedeutendsten Vertreter war der Portugiese Amatus Lusitanus ( Juan Roderigo, –ca. ), auf dessen Curationum medicinalium centuriae Sanchez in Quod nihil scitur mehrmals verweist, vgl. dazu unten S. CXVIIIf. Zu Amatus Lusitanus’ Biographie vgl. Friedenwald (, –) und Feingold (, – ).
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mat, um sich in Bordeaux niederzulassen. Möglicherweise hatte dieser Umzug seinen Grund in dem Druck, dem die Neu-Christen auf der Iberischen Halbinsel zunehmend ausgesetzt waren.11 Die rechtliche Ungleichstellung und die berechtigte Furcht um Leib und Leben bewog im . Jahrhundert eine große Zahl der NeuChristen zur Abwanderung in Länder, in denen sie keiner Verfolgung ausgesetzt waren. Dabei stellte Frankreich im allgemeinen und Bordeaux im besonderen ein beliebtes Ziel dar, v.a. nachdem der französische König Henri II (–) die in Bordeaux niedergelassenen Neu-Christen unter seinen persönlichen Schutz gestellt hatte.12 Ein solches Emigrantenschicksal teilte auch die jüdisch-stämmige Familie von Michel de Montaignes (–) Mutter, Antoinette Louppes, die sich – ursprünglich ebenfalls von der Iberischen Halbinsel stammend – bereits um unter dem Namen Louppes de Villeneuve in Bordeaux niedergelassen hatte.13 Dies ist in unserem Zusammenhang insofern von Interesse, weil Sanchez’ Familie über Antonio Lopez, den Ehemann seiner Tante väterlicherseits, mit der Familie von Montaignes Mutter in Verbindung gebracht wird.14 Ob Sanchez und Montaigne sich gegenseitig 11
Delassus berichtet nur, daß Sanchez’ Familie aus „ungewisser Ursache (incerta ratione)“ nach Bordeaux emigrierte. Der genaue Zeitpunkt dieser Emigration bleibt im Dunkeln. Die meisten Interpreten folgen Cazac (a, ), nach dem sich Sanchez’ Familie in Bordeaux niedergelassen haben soll. 12 Zu den Neu-Christen in Frankreich vgl. Nahon (). 13 Zur jüdischen Herkunft von Montaignes Mutter vgl. Roth (, – ) und Frame (, –). 14 Vgl. dazu etwa Limbrick (, Anm. ). Die verwandtschaftliche Verbindung zwischen Sanchez und Montaigne ist jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben. Von Antonio Lopez, dem möglichen Bindeglied zwischen den beiden Familien, wissen wir nur, daß er in Valença do Minho gelebt hatte (so Sanchez in seinen Observationes in praxi [Opera medica, S. ]), d.h. in der Stadt, aus der möglicherweise Sanchez selbst stammte, vgl. dazu oben Anm. . Seine Abstammung von der Familie Lopez de Villanueva wurde jedoch noch nicht eindeutig etabliert. Sicher verfehlt ist die Aussage von Mellizo (, –), nach der Antonio Lopez ein Bruder von Montaignes Mutter war.
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zur Kenntnis genommen haben, läßt sich jedoch mangels eindeutiger Hinweise nicht mit Sicherheit sagen.15 Während Sanchez’ Eltern mit einiger Wahrscheinlichkeit NeuChristen waren, muß die Frage, ob sie, wie dies bei einigen NeuChristen der Fall war, im Geheimen am jüdischen Glauben festhielten oder ob sie überzeugt von der neuen Religion den jüdischen Glauben zugunsten der christlichen Lehre aufgaben, mangels weiterer Zeugnisse offen bleiben. Sanchez selbst dagegen erscheint in seinen Schriften eindeutig als gläubiger Anhänger der katholischen Kirche, was sich etwa darin zeigt, daß er einige seiner Traktate mit dem „Lob auf Gott und die Jungfrau Maria“ abschloß.16 An dieser Einschätzung ändert auch Sanchez’ Skeptizismus nichts, der keineswegs im Widerspruch zum christlichen Glauben steht.17 15
Ishigami-Iagolnitzer () versucht anhand einiger Stellen aus Montaignes Essai de l’experience zu zeigen, daß Montaigne zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Essais Sanchez’ Quod nihil scitur kannte. Die von ihr angeführten Anklänge bewegen sich aber im wesentlichen auf der Ebene der Metaphorik und sind daher nur wenig aussagekräftig. Rein spekulativ bleibt der Versuch von Cobos (), eine Passage aus Montaignes Essai de l’experience als Bericht eines Treffens von Montaigne und Sanchez in Rom zu verstehen. 16 Diese Formel findet sich am Ende von De longitudine et brevitate vitae, In librum Aristotelis physiognomicon commentarius und De divinatione per somnum. 17 Vgl. dazu unten S. Lff. Für die Ernsthaftigkeit von Sanchez’ Katholizismus spricht außerdem, daß er die zweite Hälfte seines Lebens in Toulouse, einem Bollwerk des konservativen Katholizismus verbrachte, wo nur Katholiken an der Universität zugelassen waren und wo die Orthodoxie der Bürger scharf kontrolliert wurde, vgl. dazu Veríssimo Serrão (, – ). Weiter gab Sanchez seinen Kindern keine alttestamentlichen Namen, die bei Neu-Christen, die im Geheimen am jüdischen Glauben festhielten, sehr beliebt waren, und schließlich wurden zwei seiner Söhne, Dionysius und Guillielmus (die Herausgeber seiner Opera medica) katholische Pfarrer und eine seiner Töchter, Bertrande, Nonne; vgl. dazu Senchet (, f.). Entsprechend sehen die meisten modernen Interpreten keinen Grund, an der Aufrichtigkeit von Sanchez’ katholischem Glauben zu zweifeln, vgl. dazu etwa de Carvalho (, ix) und Limbrick (, ). Vgl. dagegen Faur (, –), der zu zeigen versucht, daß Quod nihil scitur versteckte An-
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In Bordeaux, wo sich seine Familie niedergelassen hatte, besuchte Sanchez den Unterricht am Collège de Guyenne, den er sehr wahrscheinlich – im selben Jahr, in dem sein Vater starb – mit der Erlangung der maîtrise ès arts abschloß.18 Danach begab er sich nach Rom, wo er am Collegio de la Sapienza ein Medizinstudium aufnahm. kehrte er nach Frankreich zurück, um sein Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Montpellier weiterzuführen, deren Ruf in Frankreich nur von Paris überflügelt wurde. Sein Werdegang an dieser Universität ist gut dokumentiert: Nachdem sich Sanchez am . Oktober immatrikuliert hatte, erreichte er – wohl weil sein Medizinstudium in Italien bereits weit gediehen war – schon am . November desselben Jahres das Bakkalaureat. Zur selben Zeit soll Sanchez bereits die angehenden Chirurgen, die damals noch nicht als eigentliche Mediziner betrachtet wurden, Grundkenntnisse der Anatomie gelehrt haben. Am . April erhielt er das Lizentiat, am . Juli die Doktorwürde und noch im selben Jahr unterrichtete er zum ersten Mal an der medizinischen Fakultät.19 Ebenfalls noch in diesem Jahr bewarb sich Sanchez – wenn auch ohne Erfolg – für einen vakanten Lehrstuhl spielungen auf jüdisches Gedankengut enthält und daß sich Sanchez’ Skeptizismus im wesentlichen auf seinen jüdischen Glauben zurückführen läßt. Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen, da die Lehrmeinungen, die Sanchez nach Faur seinem jüdischen Hintergrund verdankt (etwa die Kritik am Universalien-Realismus, in der Faur eine Reverenz an den jüdischen Arzt und Philosophen Moses Maimonides [–] zu erkennen glaubt), zu Sanchez’ Zeit allgemein verbreitet waren und daher keineswegs als spezifisch jüdische Ansichten betrachtet werden können. 18 Vgl. dazu Limbrick (, ). Zum Lehrplan des Collège de Guyenne vgl. unten S. XCIV–CI. Zum Tod von Sanchez’ Vater vgl. Sanchez’ kurzen Bericht in den Observationes in praxi (Opera medica, S. ). 19 Vgl. dazu Dulieu (, und ) und Limbrick (, f.). Mit einer Zeitspanne von bloß neun Monaten zwischen Immatrikulation und Erlangung der Doktorwürde gehörte Sanchez zwar sicher zu den schnellsten Studenten, doch waren so kurze Ausbildungszeiten, die sich meist durch ein zuvor an einer anderen Universität bereits weit fortgeschrittenes Studium erklären, an der Universität von Montpellier im . Jahrhundert keineswegs selten, vgl. dazu Saulnier (, –).
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für Medizin.20 Im Anschluß an diesen Mißerfolg verließ Sanchez Montpellier, weil ihm – so Delassus – „die abscheulichen Konfessionskriege und die bürgerliche Zwietracht“ eine längere Ausübung seiner Lehrtätigkeit nicht erlaubten,21 und ließ sich für den Rest seines Lebens in Toulouse nieder, das im Gegensatz zu Montpellier fest in katholischer Hand war.22 publizierte er seine erste Schrift, das Carmen de cometa anni M.D.LXXVII, und drei Jahre später – – erschien Quod nihil scitur, sein philosophisches Hauptwerk (im folgenden kurz: QNS). Dabei weisen zwei Zeitangaben darauf hin, daß das Manuskript zu dieser Schrift bereits einige Jahre früher vorlag. Einerseits datiert Sanchez seine ‚Vorrede an den Leser‘ ins Jahr , was die Annahme nahelegt, daß die Arbeiten an QNS in diesem Jahr abgeschlossen waren.23 Eine etwas frühere Datierung ergibt sich andererseits, wenn man Sanchez’ Aussage aus dem ‚Widmungsschreiben‘ ernst nimmt, wonach er das Manuskript zu QNS bereits vor „sieben Jahren“ fertiggestellt habe.24 Geht man davon aus, daß dieses ‚Widmungsschreiben‘ anläßlich der Veröffentlichung von QNS, d.h. , verfaßt wurde, so hätte Sanchez das Manuskript dazu bereits fertiggestellt.25 Ab verdiente Sanchez sein Geld als Arzt am Hôtel-Dieu, dem städtischen Krankenhaus von Toulouse, doch scheint er mit dieser Anstellung, die er für Jahre innehaben sollte, nicht all20
Vgl. dazu ausführlich Dulieu (, f.) und Limbrick (, f.). Delassus in Opera medica, S. êv : „Sed ea Cathedra frui diutius infanda pro Religione bella, et civilis Erynnis illum non passa sunt.“ 22 Zur historischen Situation in Toulouse vgl. Wolff (, –). 23 So implizit Gerkrath (, ), Suárez Dobarrio (, ) und Besnier (, ). Comparot (, ) hält die Zeitangabe der ‚Vorrede‘ für fiktiv. 24 QNS i. 25 So implizit Limbrick (, f.). Mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, daß die im ‚Widmungsschreiben‘ erwähnten sieben Jahre von , dem Datum der ‚Vorrede‘, zu subtrahieren sind. Sanchez hätte die Arbeiten an QNS so bereits beendet – d.h. in dem Jahr, als er seine philosophische Grundausbildung am Collège de Guyenne abgeschlossen hatte. Diese Frühdatierung ist deshalb unplausibel, weil QNS zahlreiche Verweise auf medizinische Fachliteratur enthält, die ein zumindest weit fortgeschrittenes Medizinstudium voraussetzen, vgl. dazu unten S. CXVIII. 21
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zu glücklich gewesen zu sein, denn er ersuchte mehrmals erfolglos um einen Urlaub oder um eine Entlassung aus diesem Dienst.26 Sanchez’ eigentliches Ziel war eine feste Anstellung an der Universität. Einen Teilerfolg errang er , als er auf den Lehrstuhl für Philosophie berufen wurde. Dabei zeigt sich der Ruf, den Sanchez damals – vier Jahre nach der Publikation von Quod nihil scitur – genoß, daran, daß ihm dieser Lehrstuhl vom Universitätsrat angeboten wurde, ohne daß eine öffentliche Bewerbungsrunde abgehalten worden war.27 Ebenfalls für sein Ansehen spricht, daß er für drei Monate das Rektorat der Universität innehatte, ein Amt, das in Toulouse bis zu diesem Zeitpunkt den Professoren der JuristenFakultät vorbehalten war.28 Sanchez’ Bemühungen um eine medizinische Professur wurden jedoch erst belohnt, als er – inzwischen mindestens Jahre alt – seine Position am Hôtel-Dieu und seinen Lehrstuhl für Philosophie aufgeben und einen Lehrstuhl an der medizinischen Fakultät einnehmen konnte.29 Diesen bekleidete er bis zu seinem Tod, wohl am . November .30 26
Vgl. dazu Senchet (, viv-xv) und Veríssimo Serrão (, –). Vgl. dazu Veríssimo Serrão (, ). 28 Vgl. dazu Veríssimo Serrão (, Anm. und ). 29 Diesem späten Erfolg gingen drei gescheiterte Bewerbungen um die Nachfolge vakanter Lehrstühle in Toulouse voran, nämlich , und ; vgl. dazu ausführlich Veríssimo Serrão (, und ff.) und Limbrick (, ff.). Zur Organisation der medizinische Fakultät in Toulouse zu Sanchez’ Zeit vgl. Veríssimo Serrão (, ). Nach Delassus hatte Sanchez seinen Philosophielehrstuhl Jahre inne, d.h. er hätte ihn bereits aufgegeben, vgl. dagegen aber Veríssimo Serrão (, f.). 30 Das Todesdatum ergibt sich aus dem Eintrag in den Registern der Kirche Notre-Dame-la-Daurade in Toulouse, der Sanchez’ Begräbnis auf den . November datiert: „Du XVIe novembre . François Chance (Sanche), docteur et régent en médecine, aagé de soixante-trèze ans, a esté enselevy aux Cordeliers, demeurant à la Grand’rue“ [zitiert nach Cazac (b, )]. Das Todesjahr wird bestätigt durch eine Bildunterschrift eines Porträts von Sanchez, das im Hörsaal der medizinischen Fakultät in Toulouse aufgehängt war: „Franciscus Sanchez, Portugiese, Rektor an der hervorragenden medizinischen Fakultät, Professor an der Universität Tou27
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Sanchez war zweimal verheiratet. heiratete er Marie de Maran, mit der er mindestens neun Kinder hatte, darunter Dionysius (–) und Guillielmus (–), die seine gesammelten Werke herausgaben. Nach dem Tod von Marie de Maran ging er mit Marie de la Garrigue eine zweite Ehe ein.31
B. Sanchez’ philosophische Schriften Sanchez’ akademische Laufbahn widerspiegelt sich in seiner literarischen Hinterlassenschaft. Als philosophus et medicus doctor verfaßte Sanchez sowohl Schriften zur Medizin als auch zur Philosophie. Wir beschränken uns jedoch auf die Darstellung seiner philosophischen Werke.1 Neben QNS, Sanchez’ philosophischem Hauptwerk, sind uns fünf weitere philosophische Schriften bekannt. Dabei handelt es sich um das Carmen de cometa anni M.D.LXXVII (Gedicht über den Kometen aus dem Jahr ), um einen Brief an den Mathematiker und Astronomen Christoph Clavius (Epistula ad Clavium) und um drei naturphilosophische Schriften, nämlich De longitudine et brevitate vitae (Über die Länge bzw. Kürze des Lebens), In librum Aristotelis Physiognomicon commentarius (Kommentar zu Aristoteles’ Physiognomonica) und De divinatione per somnum (Über die Weissagung im Schlaf ). Von diesen insgesamt sechs Schriften veröffentlichte Sanchez selbst louse. Er starb im Alter von Jahren. – Was? – Zuvor hatte er einen Lehrstuhl an der Artes-Fakultät inne (Franciscus Sanchez, Lusitanus, antecessor regius saluberrimae Facultatis Medicinae, in alma Universitate Tolosana professor. Obiit anno M.D.C.XXIII, aetatis suae LXX [sic!]. – Quid? – Liberalium artium Cathedram prius occupaverat)“ [zitiert nach Cazac (b, )]. Zum ‚Was?‘, das als Sanchez’ Markenzeichen betrachtet werden kann, vgl. unten S. XLIIIf. 31 Zu Sanchez’ Ehen und seinen Nachkommen vgl. Senchet (, – ). 1 Sanchez’ medizinische Schriften, die die philosophischen an Umfang bei weiten übertreffen (in der Opera medica-Ausgabe von umfassen die medizinischen Schriften Seiten, die philosophischen ), haben weder zu seiner Zeit noch danach für größeres Aufsehen gesorgt. Einen Einblick in diese Schriften bieten Danckwardt () und Miccolis (, –).
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nur das Carmen de cometa und QNS. Die drei naturphilosophischen Schriften wurden erst – d.h. dreizehn Jahre nach Sanchez’ Tod – zusammen mit seinen medizinischen Werken und QNS von seinen Söhnen herausgegeben,2 während der Brief an Clavius, der noch bis zu Beginn des . Jahrhunderts einigermaßen bekannt war, von Joaquin Iriarte als Autograph wiederentdeckt und publiziert wurde.3 Bevor wir uns eingehender mit QNS beschäftigen, möchten wir uns zunächst Sanchez’ übrigen philosophischen Schriften zuwenden. Diese weisen zwei wichtige Übereinstimmungen untereinander auf. Erstens stehen die in ihnen behandelten Themen alle in einem gewissen Bezug zur Medizin des . Jahrhunderts. So ist die in De longitudine et brevitate vitae gestellte Frage nach der Ursache der Kurz- bzw. Langlebigkeit der verschiedenen Lebewesen offensichtlich von besonderem Interesse für die Medizin. Die Physiognomik – das Thema von In librum Aristotelis Physiognomicon commentarius – war ein Bestandteil der medizinischen Diagnostik, und Girolamo Cardano, mit dessen Lehren sich Sanchez in De divinatione per somnum auseinandersetzt, gehörte zu den bedeutendsten Ärzten seiner Zeit.4 Auch die prognostische Funktion der Kometen, gegen die sich Sanchez im Carmen de cometa wendet, spielte eine wichtige Rolle in der Medizin, da man diesen Himmelserscheinungen u.a. eine direkte Wirkung auf Ausbruch und Verlauf von Krankheiten zuschrieb.5 Daß sich Sanchez als ausgebildeter Arzt in seinem Brief an Clavius mit mathematischen Fragen beschäftigte, darf schließlich ebenfalls nicht erstaunen. An den Universitäten Italiens, wo San2
Zum vollständigen Titel dieser Ausgabe vgl. oben S. XII Anm. . Vgl. dazu Iriarte (). Eine moderne Edition sämtlicher philosophischer Schriften von Sanchez bietet de Carvalho (). Abgesehen von QNS beziehen sich unsere Verweise auf diese Schriften auf die Seitenzahlen und Zeilennumerierung Carvalhos. Für das Carmen verweisen wir auf Carvalhos Verszählung. 4 Für die Physiognomik in der Medizin der Renaissance vgl. Maclean (, –); zu Girolamo Cardanos Rolle in der Medizin vgl. Siraisi (). 5 Vgl. dazu Chapman () und Maclean (, ff.). 3
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chez den größten Teil seiner Medizinausbildung absolvierte, bildete die Mathematik einen – wenn auch eher untergeordneten – Bestandteil des Medizin-curriculum und entsprechend betätigte sich eine große Anzahl Mediziner zugleich auch als Mathematiker.6 Zweitens zeigt sich in diesen Schriften – mit Ausnahme von De longitudine et brevitate vitae – dieselbe skeptische Haltung, die Sanchez in QNS systematisch etablierte. Diese Einschätzung soll im folgenden anhand einer kurzen Darstellung der einzelnen Schriften belegt werden.7 Die erste Schrift, die Sanchez veröffentlichte, war das Carmen de cometa anni M.D.LXXVII, das – wie drei Jahre später QNS – bei Antonius Gryphius in Lyon erschien und das – ebenso wie QNS – Iacobus a Castro gewidmet ist.8 Sanchez reagiert mit diesem Hexameter umfassenden Gedicht auf eine Welle von astrologischen Schriften, in denen das Erscheinen eines Kometen im Jahr als 6
Vgl. dazu Schmitt (, ) und Gilbert (, ). Damit wenden wir uns gegen beinahe die gesamte moderne SanchezForschung, die in Sanchez’ Schriften keinen Skeptizismus, sondern vielmehr eine geradezu aufklärerische Gesinnung zu erkennen glaubt, vgl. dazu stellvertretend Miccolis (, ): „Tutti gli scritti sono pervasi da un’ansia di rinnovamento e non sono affatto espressione di scetticismo“ [unsere Hervorhebung]. Hinter dieser Sichtweise steht die heute nahezu unwidersprochene Auffassung, nach der Sanchez nicht als Skeptiker, sondern als ein früher Wegbereiter einer modernen Wissenschaftsauffassung zu betrachten sei. Für diese Auffassung vgl. etwa die Monographien von Gerkrath (), Senchet (), Iriarte (), Mellizo () und die Einleitung in Limbrick (). Da diese Einschätzung im wesentlichen auf einer in unseren Augen verfehlten Interpretation von QNS beruht, möchten wir uns erst im Zusammenhang unserer Ausführungen zu dieser Schrift eingehender mit ihr auseinandersetzen, vgl. dazu unten S. LVIIff. 8 Über Iacobus (oder Didacus, wie er im Widmungsschreiben zum Carmen genannt wird) a Castro weiß man nahezu nichts. Für einige Vermutungen hinsichtlich seiner Herkunft und Identität vgl. Cazac (). Anzumerken bleibt, daß es sich bei a Castro aufgrund des Familiennamens – ebenso wie möglicherweise bei Sanchez selbst (vgl. dazu oben S. XV) – um einen Abkömmling von iberischen Neu-Christen handeln könnte. 7
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ein schlimmes Vorzeichen kommender Übel gedeutet wurde.9 Gegen diese Auffassung richtet Sanchez eine Reihe von Argumenten, die die „althergebrachte und schwach fundierte Irrlehre ausmerzen“ sollen, wonach sich anhand der Beobachtung von Kometen sichere Voraussagen über die Zukunft anstellen lassen.10 Mit seiner hexametrischen Form und seinem naturphilosophischen Inhalt erinnert Sanchez’ Carmen stark an das Lehrgedicht De rerum natura von Lukrez (ca. – v. Chr.). Während aber Lukrez in De rerum natura den Menschen die Furcht vor außerordentlichen Naturereignissen nehmen wollte, indem er diese als natürliche Phänomene zu etablieren suchte, die sich wissenschaftlich erklären lassen und die daher nicht als Folge göttlichen Zorns zu betrachten sind, beschränkt sich Sanchez in seinem Carmen im wesentlichen darauf, die Lehren der Astrologie als unglaubwürdig und als in sich widersprüchlich zu erweisen. Die wissenschaftliche Erklärbarkeit der Kometen kommt dabei kaum zum Tragen.11 Daß die wissenschaftliche Erklärbarkeit der Kometen in Sanchez’ anti-astrologischer Argumentation keine große Rolle spielt, läßt sich einerseits mit Blick auf den wissenschaftshistorischen Hintergrund seines Carmen erklären. Bereits in der Antike und während des gesamten Mittelalters war die Auffassung, daß die Himmelskörper auf die Geschehnisse in unserer Welt wirken können und daß sich daher aufgrund ihrer Beobachtung Prognosen über künftige Ereignisse machen lassen, allgemein akzeptiert. Im . Jahrhundert läßt sich sogar ein verstärktes Interesse für astrologische Voraussagen feststellen. Dies zeigt etwa die wichtige Rolle, die 9
Für die wissenschafts- und die kulturgeschichtliche Bedeutung des Kometen von vgl. Hellman (), die im Appendix hundertelf Publikationen aufzählt, die als Reaktion auf diesen Kometen erschienen. 10 So Sanchez in seinem in Prosa verfaßten Widmungsschreiben an Castro, Carmen de cometa , –: „Volui [. . . ] antiquam hanc infirmamque eradicare haeresim.“ 11 Zwar referiert Sanchez in Carmen de cometa ff. die aristotelische Erklärung der Kometen, die die Kometentheorie bis ins . Jahrhundert prägte, doch macht er zugleich deutlich, daß er nicht unbedingt mit Aristoteles’ Erklärung übereinstimmt.
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die Astrologie als Teil der medizinischen Prognostik in der universitären Medizinausbildung spielte.12 Wenn sich Sanchez in seinem Carmen gegen die Astrologie ausspricht, wendet er sich somit nicht gegen die obskure Lehre irgendwelcher irrationaler Okkultisten, sondern gegen eine Disziplin, die als ein allgemein akzeptierter Bestandteil einer wissenschaftlichen Erklärung der Welt betrachtet wurde. Entsprechend bedeutete die wissenschaftliche Erklärbarkeit der Kometen in den Augen der meisten Philosophen und Gelehrten des . Jahrhunderts keinen Widerspruch zur Ansicht, daß deren Beobachtung verläßliche Voraussagen über die Zukunft ermöglicht. Im Gegenteil: Ausführungen über die voraussagende Kraft der Kometen bildeten vielmehr bis tief in die Frühe Neuzeit einen integralen Bestandteil beinahe jeder wissenschaftlichen Abhandlung über diese Himmelsphänomene.13 Zum anderen verweist das weitgehende Fehlen eigener positiver Aussagen in Sanchez’ anti-astrologischer Argumentation auf einen entscheidenden Unterschied in der Stoßrichtung seines Carmen und Lukrez’ De rerum natura. Während nämlich Lukrez mit De rerum natura darauf abzielt, einen falschen Aberglauben durch eine wahre wissenschaftliche Sicht der Dinge zu ersetzen, beruht Sanchez’ Ablehnung der Astrologie nicht auf dem Vertrauen in die erklärende Kraft der Wissenschaft, sondern auf einem grundsätzlichen Zweifel hinsichtlich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Dies zeigt sich zum Beispiel deutlich in folgenden Versen: Also können die Kometen weder mit Gewißheit etwas Schlechtes voraussagen noch etwas Gutes. Aber auch wenn sie es könnten – glaubst du etwa, du wüßtest, 12
Zur Bedeutung der Astrologie in der Renaissance im allgemeinen vgl. Copenhaver (a) und Garin (). Zur Astrologie in der Medizin vgl. die Literaturangaben oben S. XXII Anm. . Trotz dieser allgemeinen Akzeptanz der Astrologie war Sanchez mit seiner Kritik nicht allein. Zur Kritik an der Astrologie im . und . Jahrhundert, die einen deutlichen Einfluß auf Sanchez’ anti-astrologische Argumentation ausübt, vgl. Garin (, – ), Vickers () und Feldhay (). 13 Vgl. dazu Hellman ().
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was sie für dich bedeuten, und du könntest mit Gewißheit sagen, was sie dir ankündigten? Wir wissen nichts; weniger noch über Dinge in allzu großer Höhe.14 Dieser erkenntniskritische Einwand gegen die Astrologie macht deutlich, daß sich Sanchez in erster Linie deshalb gegen diese Lehre wendet, weil mit ihr Ansprüche auf ein Wissen verbunden sind, über das wir in seinen Augen nicht verfügen.15 Sanchez formuliert in seinem Carmen somit keine aufklärerische Argumentation gegen eine Pseudo-Wissenschaft,16 sondern eine skeptisch motivierte Kritik an der Astrologie, die als ein Spezialfall seiner in QNS verallgemeinerten Infragestellung aller Wissenschaften betrachtet werden kann. Deutlicher wird Sanchez’ Skeptizismus in seinem Brief an Clavius, in dem er sich kritisch mit den Wissensansprüchen der Mathematik auseinandersetzt.17 Bei diesem Brief, der sicher nach , d.h. 14
Carmen de cometa –: „Ergo nihil possunt praedicere sidera certi // Crinita infausti, nec quid praedicere fausti. // Sed quamvis possent, an tu tibi scire putares // Quid valeant, portendantque tibi quid dicere certo? // Nil scimus; nimis alta minus.“ Sämtliche Hervorhebungen in den Zitaten aus Sanchez’ Œuvre stammen von uns. 15 Vgl. dazu auch Carmen de cometa : „Nennst du das Wissen? Ich selbst würde das Nichtwissen nennen [. . . ] (Hoccine scire vocas? Nil scire hoc ipse vocarem [. . . ]).“ 16 So Mesnard (, ): „On pourrait considérer [. . . ] La Comète de , comme une poème didactique écrit contre la divinitation et son fondement astroloqique, à partir de l’actualité scientifique“ [unsere Hervorhebungen]. Vgl. auch Limbrick (, ): „Composed in the manner of Lucretius, the Carmen de cometa anni M.D.LXXVII attacks in the name of reason and scientific fact the false prophecies of Junctinus, Leopoldus [. . . ] and others mentioned in historical accounts of astrology“ [unsere Hervorhebungen]. 17 Christoph Clavius S.J. (–), der Adressat dieses Briefs, war einer der berühmtesten Mathematiker und Astronomen des . Jahrhunderts. Er war maßgeblich beteiligt an der gregorianischen Kalenderreform, und der hohe Stellenwert, den die Mathematik ab dem Ende des . Jahrhunderts in der Bildungs- und Wissenschaftsauffassung der Jesuiten genoß, verdankt
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mindestens acht Jahre nach der Veröffentlichung von QNS verfaßt wurde,18 und der G.W. Leibniz offenbar noch bekannt war,19 handelt es sich um den einzigen bekannten Teil eines mindestens drei Teile umfassenden Briefwechsels, der durch einen nicht erhaltenen Brief von Sanchez eingeleitet wurde. Darin kritisierte er (möglicherweise unter anderem) einen Beweis des Proklos (. Jh. n. Chr.), den Clavius in seine Euklid-Ausgabe aufgenommen hatte. Da Clavius’ Antwort ihn nicht befriedigte, kam Sanchez im uns vorliegenden Brief auf dieses Problem zurück.20 sich in erster Linie seinem Einfluß. Zu seinen wichtigsten Werken gehören ein Kommentar zu Johannes de Sacroboscos (ca. –) De Sphaera (In Sphaeram Ioannis de Sacro Bosco commentarius, ), einem der Grundtexte der damaligen Astronomie, und eine kommentierte Übersetzung der Elementa Euklids (Euclidis Elementorum libri XV, ), die beide bis ins . Jahrhundert als grundlegende Lehrbücher der Mathematik und der Astronomie dienten; zu Clavius und seiner Rolle in der Geschichte der Mathematik und der Astronomie vgl. Lattis (). Möglicherweise hat Sanchez Clavius, der ab bis zu seinem Tod am Collegio Romano in Rom Mathematik unterrichtete, während seines Studienaufenthalts in Rom gehört oder sogar persönlich kennengelernt; für diese Vermutung vgl. Iriarte (, Anm. d). 18 Sanchez bezieht sich an einigen Stellen eindeutig auf die zweite Auflage von Clavius’ Elementa Euclidis, die erst veröffentlicht wurde, vgl. dazu Iriarte (, ). 19 Leibniz erwähnt diesen Brief einmal in einem Fragment mit dem Titel Ad praefationem elementorum veritatis aeterna, das zwischen und verfaßt wurde, abgedruckt in: L. Couturat (Hg.), Opuscules et fragments inédits de Leibniz (Paris [Nachdruck: Hildesheim ]) S. . Eine zweite Erwähnung erscheint in einem Brief an Varignon vom . Februar , abgedruckt in: C.I. Gerhardt (Hg.), G.W. Leibniz. Mathematische Schriften (Berlin / Halle – [Nachdruck: Hildesheim / New York ]) Bd. , S. . An beiden Stellen geht Leibniz nicht weiter auf Sanchez’ Argumentation ein. 20 Vgl. dazu Epistula ad Clavium ,–,. Gemäß Delassus’ Biographie (Opera medica, S. êr ) handelt es sich bei Sanchez’ erstem Brief um die „erste Arbeit seines literarischen Schaffens (Primus in stadio litterario labor eiusdem)“. Sanchez hat den ersten Brief somit vermutlich vor dem Carmen de cometa und QNS verfaßt. Delassus lag offenbar noch der gesamte Briefwechsel vor, und er wäre in die Ausgabe von Sanchez’ Opera aufgenommen
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Obschon Sanchez im Brief an Clavius somit scheinbar nur ein geometrisches Spezialproblem erörtert, kann diese Schrift dennoch als klares Zeugnis seines Skeptizismus betrachtet werden.21 Dies zeigt sich zum einen darin, daß Sanchez in diesem Brief als Carneades philosophus auftritt und damit den Namen eines der bedeutendsten Skeptiker der Antike als sein Pseudonym wählt: Karneades von Kyrene (/ oder /–/ v. Chr.) leitete von /– / die skeptisch ausgerichtete Akademie in Athen.22 Skeptisch geprägt ist außerdem die lange Einleitung, die ein gutes Drittel des Briefs einnimmt. Nach einer Klage über zahlreiche erfolglose Versuche, die Wahrheit zu finden, erläutert Sanchez den Grund, der ihn zu einer Beschäftigung mit der Mathematik bewogen hatte, in folgenden Worten: „Einst also, nachdem ich die Physik und die Metaphysik durchgeackert und auch in diesen die Wahrheit nicht gefunden hatte, wurde mir, als ich nach ihr fragte, von einigen geantwortet, sie habe in der Mitte zwischen den natürlichen und den übernatürlichen Dingen ihren Wohnsitz, d.h. in der Mathematik.“23 worden, „wenn nicht die Anlage des Werks dagegen gesprochen hätte (nisi institutum operis repugnaret)“. 21 Vgl. dagegen Mellizo (, –) und Iriarte (, ff.). 22 Vgl. dazu Epistula ad Clavium : „Den weisesten und gottesfürchtigsten Mann Christoph Clavius grüßt der Philosoph Karneades (Sapientissimo, piissimoque viro D. Christophoro Clavio, Carneades philosophus S[alutem]).“ Vgl. auch das Ende dieses Briefs, S. ,: „Und frage nicht, wer ich bin. Ich bin nämlich ein zweiter Karneades, nicht Liebhaber leeren Ruhmes, sondern der Wahrheit und deiner Person. Lebe Wohl. Der Philosoph Karneades (Neque quaere quis sim. Sum enim alter Carneades, non gloriae inanis, sed veritatis, et tui amantissimus. Vale. Carneades philosophus).“ Zur Bedeutung der Wahl dieses Pseudonyms und zum Einfluß des antiken Skeptizismus auf QNS vgl. unten S. LXXII–LXXXVIII. 23 Epistula ad Clavium ,–: „Olim ergo post peragratam Physicam Metaphysicamque, neque in eis inventam veritatem, de ea percontanti responsum est a quibusdam, in medio eam loco inter naturalia, transnaturaliaque sedem posuisse, hoc est in Mathematicis.“ Clavius selbst weist in den Prolegomena zu seiner Euklid-Ausgabe (S. in der Mainzer Ausgabe von , Nachdruck OlmsWeidmann, hg. von E. Knobloch, Hildesheim et. al. ) der Mathematik diesen Platz zu: „[. . . ] es ist klar, daß diese [gemeint sind die mathemati-
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In Sanchez’ Augen bietet jedoch auch die Mathematik keine Grundlage für ein sicheres Wissen, was er durch die Anführung einiger grundsätzlicher Einwände gegen ihren Anspruch auf Gewißheit zu belegen versucht. Diese umfassen den Vorwurf, die mathematischen Gegenstände seien den Sinnen nicht zugänglich, weshalb die Mathematik kaum als Wissenschaft gelten könne.24 Ein zweiter Kritikpunkt betrifft den hohen Abstraktionsgrad der Mathematik, der einen mangelnden Realitätsbezug zur Folge habe.25 Weiter stehen einige zentrale Annahmen der Mathematiker im Widerspruch zu den Prinzipien der traditionellen Naturphilosophie aristotelischer Prägung.26 Mehrfach wiederholt wird schließlich der Vorwurf, daß zahlreiche Prinzipien und Axiome und ebenso die darauf aufbauenden Theoreme der Mathematik sogar unter den Mathematikern selbst umstritten und daher zweifelhaft seien.27 Diese Einwände machen deutlich, daß die Mathematik in Sanchez’ Augen – entgegen der bereits in der Antike verbreiteten Auffassung, wonach sie als Ideal der Wissenschaften zu betrachten sei schen Wissenschaften] die Mitte zwischen der Metaphysik und der Naturwissenschaft einnehmen [. . . ] ([. . . ] perspicuum est eas medium inter Metaphysicam, et naturalem scientiam obtinere locum [. . . ]).“ 24 Vgl. dazu Epistula ad Clavium ,–,: „Ich übergehe, daß ich die mathematischen Disziplinen kaum Wissenschaften zu nennen wage, da die Wissenschaften ja eher der Sinne als des Geistes bedürfen [. . . ] (Omitto quod vix Mathematicas disciplinas scientias vocare audeam, ut quae magis sensu quam mente egeant [. . . ]).“ Mit seiner Verneinung der Wissenschaftlichkeit der Mathematik stand Sanchez im . Jahrhundert nicht allein da. Die Mathematik, die an den mittelalterlichen Universitäten bloß ein Schattendasein gefristet hatte, begann sich erst ab Mitte des . Jahrhunderts als eigenständige Disziplin zu etablieren, wobei sie auf den Widerstand einiger scholastischer Aristoteliker stieß; zu den Diskussionen um den wissenschaftlichen Status der Mathematik und zu Clavius’ Rolle in diesen Auseinandersetzungen vgl. Lattis (, –) und Jardine (b, –). Der umstrittene Status der Mathematik im . Jahrhundert mag erklären, weshalb sie in Sanchez’ Auseinandersetzung mit der damaligen Wissenschaftsauffassung in QNS nicht zur Sprache kommt. 25 Vgl. dazu Epistula ad Clavium ,– 26 Vgl. dazu ebd. ,–. 27 Vgl. etwa ebd. ,–; ,–.
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– nicht als unbezweifelbare Grundlage eines sicheren Wissens dienen kann und daß sie daher keinen Ausweg aus dem Skeptizismus zu bieten hat. Die drei naturphilosophischen Schriften, die von Sanchez’ Söhnen posthum veröffentlicht wurden, stehen alle in einem gewissen Bezug zu drei Schriften aus dem corpus Aristotelicum, als Kommentar im eigentlichen Sinn läßt sich aber nur In librum Aristotelis Physiognomicon bezeichnen, da Sanchez nur in dieser Schrift einzelne Passagen aus dem zugrundeliegenden Text zitiert und diese anschließend auslegt. Bei De divinatione per somnum und De longitudine et brevitate vitae handelt es sich dagegen um mehr oder weniger eigenständige Abhandlungen zu den Themen, die durch die gleichnamigen Schriften des Aristoteles vorgegeben sind. Obschon Sanchez diese Schriften mit großer Wahrscheinlichkeit während seiner Professur für Philosophie in Toulouse verfaßte,28 handelt es sich dabei wohl kaum um eigentliche Manuskripte seiner regulären Philosophievorlesungen. Keiner der Bezugstexte aus dem corpus Aristotelicum erscheint nämlich als Grundlagentext des normalen Philosophie-Lehrgangs des . Jahrhunderts, den Sanchez als Professor abzudecken hatte.29 Sanchez’ Wahl der aristotelischen Refe28
Zumindest De divinatione per somnum und In librum Physiognomicon enthalten Aussagen, die dafür sprechen, daß Sanchez diese Schriften als Inhaber einer Professur verfaßte. So spricht er in De divinatione , von der „Rücksicht auf Amt und Aufgabe (officii et muneris [. . . ] ratio)“, die ihn dazu gebracht habe, seinen zu Beginn dieser Schrift geäußerten Vorsatz, sich nicht mehr in der Öffentlichkeit philosophisch zu betätigen, aufzugeben. Bei In librum Physiognomicon handelt es sich nach Sanchez’ Aussage (,f.) um einen Vortrag, der anläßlich eines feiertagbedingten Unterbruchs des regulären Studienbetriebs gehalten wurde. 29 Für die These, daß die naturphilosophischen Schriften als Vorlesungsmanuskripte gedient hätten, vgl. etwa Limbrick (, ). Gänzlich auszuschließen ist diese These im Hinblick auf De divinatione per somnum, da sich Sanchez darin (,) an den „lieben Leser (amice lector)“ wendet, woraus deutlich wird, daß sich diese Schrift an eine Leser- und nicht an eine Hörerschaft richtet. Zum Inhalt des Philosophie-curriculum im . Jahrhundert vgl. unten S. XC.
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renztexte widerspiegelt vielmehr das auf die Humanisten zurückgehende Bestreben, sich auch mit denjenigen Schriften des corpus Aristotelicum zu beschäftigen, die in der Tradition nur wenig Beachtung gefunden hatten. Von diesen drei Texten zeigt De divinatione per somnum die deutlichste skeptische Prägung. Nach einem Proömium, in dem Sanchez seinem grundsätzlichen Zweifel an der Erreichbarkeit eines sicheren Wissens Ausdruck gibt, wendet er sich der Behandlung des eigentlichen Themas zu. Dieses umfaßt – entgegen dem Titel der Schrift – nicht bloß eine kritische Auseinandersetzung mit der Weissagung im Schlaf, sondern auch die Behandlung der Weissagung mit Hilfe von Orakeln und Dämonen.30 Wie die im Carmen de cometa kritisierte Astrologie stießen auch der Glaube an die Möglichkeit und Verläßlichkeit solcher divinatorischer Praktiken und ebenso die Annahme der Existenz von Dämonen im . Jahrhundert auf großes Interesse und – auch unter den Philosophen und Gelehrten – auf breite Zustimmung.31 Obschon sich Sanchez gleich zu Beginn seiner Ausführungen auf die gleichnamige Schrift des Aristoteles bezieht, werden dessen Thesen zur Möglichkeit der Divination nur kurz gestreift und als unklar abgetan.32 Im Zentrum von Sanchez’ Kritik steht dagegen die obskure Divinations- und Dämonenlehre des italienischen Mathematikers, Philosophen, Naturforschers und Arztes Girolamo Cardano (Hieronimus Cardanus, –).33 30
Für die Kritik an der Weissagung durch Orakel vgl. De divinatione ,–,; für die Kritik an der Weissagung durch Träume: ,– ,; für die Kritik an der Weissagung mit Hilfe von Dämonen: ,–,. 31 Zu diesem Aspekt des geistigen Lebens in der Renaissance vgl. Copenhaver (a und ). Zum Dämonenglauben und zum wissenschaftlichen Status der Dämonologie im . Jahrhundert vgl. Clark (). 32 Vgl. dazu De divinatione ,f.: „Diese [gemeint ist die Divination durch Träume] hat Aristoteles, ein ansonsten begabter Philosoph, in einem kleinen Büchlein reichlich unklar behandelt (De qua Aristoteles ingeniosus alioqui Philosophus parvo libello tractavit satis obscure).“ 33 Girolamo Cardano war eine der schillerndsten Persönlichkeiten des . Jahrhunderts. Er gehört zu den Begründern der sogenannten Neuen
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In seiner stark polemischen Auseinandersetzung mit Cardanos Ansichten stützt sich Sanchez zum einen auf Ciceros De divinatione, in dem sich dieser gegen die Divinationspraktiken seiner Zeit wandte. Zum anderen versucht er Cardanos Auffassungen durch die Anführung zahlreicher, z.T. längerer Passagen aus dessen eigenen Schriften als in sich widersprüchlich zu erweisen. Dabei läßt sich seine Argumentation wie bereits im Carmen nicht als aufklärerisch charakterisieren. Erstens verneint Sanchez nämlich weder die Möglichkeit der Weissagung noch die Existenz von Dämonen. Soweit diese durch Zeugnisse der Heiligen Schrift belegt sind, akzeptiert er sie als gegeben. Verfehlt ist in seinen Augen bloß die Ansicht, daß sich solche Phänomene durch die menschliche Vernunft erklären lassen, und ebenso die Hoffnung, daß mit Hilfe von Divinationspraktiken, die sich nicht mit der christlichen Lehre vereinbaren lassen, ein sicheres Wissen erreicht werden könne.34 Zweitens Naturphilosophie, die sich als Gegenentwurf zur traditionellen aristotelischen Naturphilosophie verstand. Zu seinen wichtigsten Schriften gehören ein enzyklopädisches Werk mit dem Titel De subtilitate () und das als Ergänzung dazu konzipierte De rerum varietate (). In diesen umfangreichen Werken, aus denen Sanchez in De divinatione längere Passagen zitiert, verbinden sich wissenschaftliche Beobachtungen mit pseudowissenschaftlichen Spekulationen zu einer oft verwirrenden, stark okkultistischen Sicht der Natur; vgl. dazu Schütze () (zu Cardanos Naturphilosophie), Giglioni () (zur Bedeutung der Divination in dessen Philosophie) und Siraisi () (zu Cardanos medizinischen Ansichten). Da Cardano von bis zu seinem Tod in Rom lebte und bereits zu seinen Lebzeiten große Aufmerksamkeit erregte, ist es – wie bereits bei Clavius – denkbar, daß Sanchez Cardano während seines Aufenthalts in Rom persönlich kennengelernt hatte. 34 Zur Weissagung vgl. etwa De divinatione ,ff.: „Diese [gemeint ist die durch Gott verursachte Divination] ist die gewisseste und kann weder getäuscht werden noch täuschen. [. . . ] Dies kann durch die natürliche Vernunft nicht glaubhaft gemacht werden, aber es ist in unserer Religion gewiß und muß unzweifelhaft geglaubt werden, wie es aufgrund der aus der Heiligen Schrift angeführten Beispiele und zahlreicher weiterer sowohl aus dem Alten als auch aus dem Neuen Testament feststeht (Haec certissima est et nec falli, nec fallere potest; [. . . ] Id vero non naturali ratione probari potest, sed certum est in religione nostra, et indubitanter credendum; ut in allatis ex sacris libris
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wendet sich Sanchez in De divinatione nicht nur gegen die Verläßlichkeit verschiedener okkulter Divinationspraktiken, sondern er betont auch mehrfach die Ungewißheit von Prognosen, die wie etwa diejenigen der Seeleute, Bauern und Ärzte nicht auf obskuren Spekulationen beruhen. Entsprechend zieht er gegen Ende von De divinatione folgende Bilanz: „Man darf aber dennoch nicht glauben, daß das, was gemäß dieser Methode [gemeint ist die medizinische Prognostik] gewonnen wird, sich notwendigerweise einstellt – ebensowenig wie auch das, was ein Astrologe anhand der Sterne um einen Meteoriten voraussieht. Es gibt nämlich vieles, was beides behindern kann. Daher können wir in der Welt hienieden nichts mit Gewißheit über die Zukunft behaupten, sowohl wegen der vielfältigen und komplexen Kraft der überirdischen Ursachen als besonders auch wegen des mannigfaltigen Zusammentreffens und des Durcheinanders der irdischen Ursachen.“35 Sanchez’ Ablehnung der in De divinatione behandelten Divinationspraktiken ist somit vor dem Hintergrund seiner skeptischen Haltung zu verstehen, die die Möglichkeit eines sicheren Wissens constat exemplis, et multis aliis tum veteris, tum novae legis).“ Zu den Dämonen vgl. De divinatione ,– „Aber wir, die uns die Wahrheit durch das Evangelium unseres Herrn, Jesus Christus, erleuchtet hat, bezeugen, daß es sowohl gute als auch schlechte Dämonen gibt, so daß wir sie als solche anerkennen, als welche sie die Heilige Schrift darstellt, und dies durch kein Licht der Vernunft, die in diesem wie auch in anderen Wundern der Natur gänzlich im Dunkeln tappt, sondern allein durch den Glauben überzeugt [. . . ] (At nos quibus illuxit veritas per Evangelium Domini nostri Jesu Christi, et fatemur bonos et malos daemones esse, ut tales agnoscimus quales sacra scriptura depingit, idque nullo rationis lumine, quae in hoc ut et in aliis naturae miraculis caligat omnino, sed sola fide victi [. . . ]).“ Auch in QNS nimmt Sanchez die christliche Offenbarung explizit von seinem Zweifel aus, vgl. dazu unten S. Lf. 35 De divinatione ,–,: „Neque tamen necessario credendum est etiam quae iuxta hanc methodum habenbuntur, ventura; quemadmodum nec quae astrologus praevidet ex astris circa Metheora. Multa enim sunt quae utrumque impedire possunt: proindeque nihil certo asserere possumus de futuris in inferiori hoc mundo, tum propter multiplicem superiorum causarum vim, complexumque, cum ob variam inferiorum concursationem, confusionemque.“
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über die Zukunft – unabhängig davon, wie diese Prognosen begründet werden – grundsätzlich in Frage stellt. Weniger deutlich skeptisch ausgerichtet ist In librum Physiognomicon commentarius. Dies läßt sich zum einen durch die literarische Gattung erklären, der dieser Text zuzuordnen ist: Wie bereits gesagt, handelt es sich dabei um einen eigentlichen Kommentar zu den pseudo-aristotelischen Physiognomonica.36 Die Aufgabe eines Kommentars besteht darin, den Sinn des zugrundeliegenden Texts zu erläutern. Dabei müssen die Meinungen des Kommentators nicht unbedingt mit dem Inhalt des kommentierten Texts übereinstimmen. Entsprechend ist In librum Physiognomicon nicht als ein eigenständiger Traktat über die Physiognomik, sondern als eine Auslegung einer Schrift zur Physiognomik zu betrachten. Sanchez geht es daher in erster Linie um die Erklärung der „Gedanken des Autors [der Physiognomonica]“ und nicht um die Darstellung seiner eigenen Ansichten zu dieser Disziplin.37
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Die pseudo-aristotelischen Physiognomonica bildeten eine der wichtigsten antiken Quellen für die im . Jahrhundert mit zunehmendem Interesse betrachtete Physiognomik; vgl. dazu Reisser (). Sanchez’ Ausführungen betreffen bloß das erste Kapitel der Physiognomonica, da der Rest dieser Schrift „mehr auf das Partikuläre ausgerichtet und weniger schwierig“ sei und daher „dem Fassungsvermögen der Leser überlassen“ werden könne (In librum Physiognomicon ,f.: „Porro quia quae sequuntur in Aristotele, magis particularia sunt, minusque difficilia, propterea nos ea lectorum captui relinquimus.“). Wohl zu Recht erhebt Sanchez dabei den Anspruch, diesen Text als erster zu kommentieren (,–) und als erster seine Echtheit in Frage zu stellen. Da jedoch noch niemand Aristoteles’ Autorschaft bezweifelt habe, entscheidet sich Sanchez dazu, die Schrift so zu betrachten, als ob sie von Aristoteles stammen würde (,–). Heute geht man gemeinhin von der Unechtheit der Physiognomonica aus; vgl. dazu und zu Sanchez’ Beitrag zu dieser Diskussion Vogt (, –). 37 Vgl. dazu In librum Physiognomicon ,ff.: „Ich werde also versuchen, soweit dies meine Kräfte zulassen, bald durch naturphilosophische, bald durch medizinische Grundsätze unterstützt, die Gedanken des Autors zu erfassen und euch zu offenbaren (Conabimur ergo quantum vires ferre possint
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Eine zweite Erklärung für das weitgehende Fehlen skeptischer Bedenken ergibt sich aus dem erkenntnistheoretischen Status, der der Physiognomik in den Physiognomonica zukommt: Das Ziel des von Sanchez kommentierten Texts besteht nämlich darin, die Physiognomik als eine ars (dt.: Kunst) zu etablieren.38 Als ars (gr.: techne) bezeichnet man eine praxisorientierte Fachkompetenz, die auf Erfahrung beruht und die traditionellerweise durch die Kenntnisse von Fachleuten wie Schustern, Seefahrern usw. illustriert wird. Von den eigentlichen Wissenschaften (scientiae, gr. epistemai) unterscheiden sich die artes v.a. dadurch, daß mit ihnen kein Anspruch auf ein theoretisches Wissen verbunden ist. Wie sich in unseren Ausführungen zu QNS zeigen wird, sind solche an der Lebenspraxis orientierten Kenntnisse von Sanchez’ Zweifeln nicht betroffen.39 Da sich sein Skeptizismus nur gegen den Wissensanspruch der scientiae, nicht aber gegen den Kompetenzanspruch der artes richtet, stellt die Physiognomik als eine ars aus der Perspektive seines Skeptizismus keine Probleme. Verfehlt wäre in seinen Augen nur die Ansicht, daß die Physiognomik eine Wissenschaft sei und daß sie daher ein zweifelsfreies Wissen über die Charakterzüge eines Menschen erlaube.40 In diesem Zusammenhang von besonderem Interesse ist der Umstand, daß Sanchez der Medizin in De divinatione , und in QNS xiv ebenfalls den erkenntnistheoretischen Status einer ars zunostrae, tum Physicis, tum Medicis axiomatis adiuti, authoris sensa et concipere et vobis manifestare).“ 38 Vgl. dazu In librum Physiognomicon ,f.: „Zuerst zeigt er [gemeint ist der Autor der Physiognomonica] mittels dreier Argumente, daß es eine Kunst des Physiognomisierens gibt (primo ostendit tribus rationibus, Physiognomizandi aliquem esse artem).“ 39 Vgl. dazu unten S. LVff. 40 Vgl. dazu In librum Physiognomicon ,ff.: „Wir sagen also erstens, [. . . ] daß es eine bestimmte Kunst des Physiognomisierens gibt, daß sie aber nicht so gewiß ist, daß sich nie täuschen könnte, wer sie anwendet, vor allem aber, wenn er nicht sehr erfahren ist. Und das kommt allen Künsten zu (Dicimus ergo primum, [. . . ] aliquam esse Physiognomizandi artem, eam tamen non esse usque adeo certam, ut non falli possit qui ea utitur, maxime vero si sit non valde expertus: et id commune est omnibus artibus).“
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weist. Daraus wird deutlich, daß seine Tätigkeit als Arzt und Professor der Medizin keinen Widerspruch zu seinem Skeptizismus bedeutet. Solange sich die Mediziner bewußt sind, daß sie bloß eine ars ausführen und weitergeben, läßt sich aus Sanchez’ Sicht nichts gegen die Medizin einwenden. Nicht vereinbar mit seiner skeptischen Haltung ist die Medizin nur dann, wenn man in ihr eine scientia mit dem damit verbundenen Anspruch auf Gewißheit zu erkennen glaubt.41 In De longitudine et brevitate vitae schließlich behandelt Sanchez die Frage nach der Ursache der Langlebigkeit bzw. Kurzlebigkeit der verschiedenen Gattungen der Lebewesen. Mit dieser Frage hat sich – so Sanchez gleich zu Beginn seiner Ausführungen – zwar bereits Aristoteles in einer Schrift gleichen Titels beschäftigt, doch fiel dessen Abhandlung in seinen Augen unbefriedigend aus.42 Aristoteles’ Ausführungen seien absurd, oder zumindest unklar und unvollständig, wobei diese Schwächen auf dessen mangelnde Kenntnisse auf dem Gebiet der Medizin zurückzuführen seien.43 Damit macht Sanchez klar, daß die Beantwortung der Frage nach der Lang- bzw. Kurzlebigkeit der Lebewesen in seinen Augen in den eigentlichen 41
Zu den Auseinandersetzungen um den erkenntnistheoretischen Status der Medizin in der Renaissance vgl. Maclean (). Zur Vereinbarkeit von Sanchez’ Skeptizismus und seiner Tätigkeit als Arzt vgl. auch Caluori (). 42 De longitudine et brevitate vitae ,f.: „Die Länge und die Kürze des Lebens besprach Aristoteles so lang und so kurz, daß es verwundert, daß ein so großer Philosoph dieses Thema so unwürdig behandelt hat (De longitudine et brevitate vitae adeo longe, breviterque disseruit Aristoteles, ut mirum sit tantum philosophum tam indigne rem hanc tractasse).“ 43 Vgl. dazu etwa De longitudine ,–: „Er [Aristoteles] war nämlich kein Mediziner. Daher ist auch beinahe alles, was er sowohl über den Aufbau des menschlichen Körpers als auch über das, was die Medizin betrifft, berichtete, absurd oder wenigstens verstümmelt und unklar, und so unbekannt ihm diese Dinge selbst waren, so hat er sie uns zurückgelassen (Nec enim Medicus erat. Ob id etiam fere omnia quae et de corporis humani structura, et de his quae ad Medicinam spectant, memoriae prodidit, absurda aut saltem mutila, obscura, et sibi incognita, sic etiam nobis reliquit).“
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Bereich der Medizin fällt. Obschon seine Söhne De longitudine et brevitate vitae zu Sanchez’ philosophischen Werken zählten, handelt es sich bei dieser Schrift daher eher um eine medizinische als um eine philosophische Abhandlung. Sanchez’ Ausführungen über die Ursachen der unterschiedlichen Lebensdauer der Lebewesen bewegen sich im wesentlichen auf dem Gebiet der Medizin,44 und entsprechend kommen erkenntnistheoretische Fragestellungen – anders als in seinen eigentlich philosophischen Schriften – nicht zum Tragen.45 Ob die eben vorgestellten Schriften zusammen mit QNS Sanchez’ gesamtes philosophisches Œuvre ausmachen, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Gegen diese Annahme spricht, daß Sanchez in QNS und in De longitudine auf weitere Schriften verweist, die uns jedoch nur dem Titel nach bekannt sind. Diese Verweise betreffen ein Examen rerum (Untersuchung der Dinge), einige Libri naturae (Bücher über die Natur) und drei naturphilosophische Traktate über den Ort (Tractatus de loco), die Seele (Tractatus de anima) und das Leben (Tractatus de vita).46 Ein besonderes Problem stellen die Verweise auf eine Schrift mit dem Titel De methodo sciendi (Über die Methode des Wissens).47
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Vgl. dazu Sanchez’ praktische Anweisungen darüber, wie man ein möglichst langes Leben führen kann in De longitudine ,ff. 45 Sanchez’ Aussage zu Beginn von De longitudine (,–), daß seine Behandlung der Frage nach der Lang- bzw. Kurzlebigkeit der Lebewesen auf einer „klaren Methode (perspicuaque methodo)“ beruhe, bezieht sich in erster Linie auf den Aufbau der Schrift und nicht auf eine – wie auch immer geartete – Wissenschaftstheorie. 46 Für die Verweise auf das Examen rerum vgl. QNS , , , , und und De longitudine ,; ,; ,; ,; ,, , und ; für die Libri naturae vgl. QNS ; für die Verweise auf die drei naturphilosophischen Traktate vgl. QNS (für den Tractatus de loco), QNS , und De longitudine ,f. (Tractatus de anima) und De longitudine ,f. (Tractatus de vita). 47 Diese finden sich ausschließlich in QNS und werden unten S. LXIX– LXXII eingehend behandelt.
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Mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, daß diese Schriften je im Druck erschienen sind. Zumindest haben sich bis heute keine Spuren einer Veröffentlichung gefunden. Es ist jedoch nicht einmal klar, ob sie je als vollständige Manuskripte vorlagen oder ob es sich dabei bloß um Werke handelt, die Sanchez zwar geplant, aber nie zur Ausführung gebracht hat. Zwar finden sich einige Verweise, die in einem Vergangenheitstempus formuliert sind und die daher dafür zu sprechen scheinen, daß Sanchez zumindest einen Teil dieser Schriften tatsächlich abgeschlossen hat.48 Dagegen läßt sich jedoch einwenden, daß nicht einmal Sanchez’ Söhne und sein Schüler und Biograph Delassus, der nach eigenem Zeugnis Zugang zu Sanchez’ Manuskripten hatte,49 die entsprechenden Texte auch nur mit einem Wort erwähnen. Es ist jedoch nur schwer vorstellbar, daß Sanchez’ Söhne und Delassus in ihrer Ausgabe von Sanchez’ Werken, deren erklärtes Ziel darin bestand, seinem Schaffen ein Denkmal zu setzen,50 auf die Veröffentlichung oder zumindest auf die Erwähnung dieser den Titeln nach mögli-
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Diese Verweise finden sich ausschließlich in De longitudine. Sie betreffen das Examen rerum (De longitudine ,; ,; , und ), den Tractatus de vita (,f.) und den Tractatus de anima (,f.). Daß Sanchez diese Schriften abgeschlossen hat, vermutet etwa Iriarte (, ). Sämtliche Verweise in QNS sind dagegen im Futur formuliert und können daher höchstens als Ankündigungen, nicht aber als Verweise auf bereits bestehende Schriften betrachtet werden. 49 Vgl. Delassus in Opera medica, S. êr : „Diese [Schriften (gemeint ist wohl der Briefwechsel mit Clavius)] wurden unter seinen Papieren entdeckt, als seine medizinischen Schriften wie Teile vom Blatt der Sibylle zusammengetragen wurden [. . . ] (quae in mediis schedis repertae dum medica ipsius tamquam sparsa a Sybillae folia congererentur [. . . ]).“ 50 Vgl. dazu den Titel der Lobrede von Sanchez’ Söhnen: „Dem ewigen Gedächtnis des verstorbenen Vaters errichten Dionysius und Guillielmus Sanchez, den letzten und ewigen Dienst der Frömmigkeit verrichtend, dieses Denkmal den unvergänglichen Jahrhunderten zur Erinnerung (Aeternae defunctis parentis memoriae, ultimo et aeterno defungentes pietatis officio Dionysius et Guillielmus Sanchez memorandum ponunt saeculis immortalibus monumentum).“
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cherweise eigenständigen und umfassenden Abhandlungen naturphilosophischer Fragestellungen verzichtet hätten. Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob Sanchez diese Schriften je geschrieben oder nur geplant hat, bleibt festzuhalten, daß seine Verweise zu knapp sind, als daß sie verläßliche Schlüsse auf den Inhalt dieser Texte erlauben würden.51 Eine Einschätzung von Sanchez’ philosophischer Haltung muß sich daher auf die Interpretation derjenigen Schriften aus seinem Œuvre beschränken, die uns heute vorliegen.
II. Die Schrift ›Quod nihil scitur‹ Sowohl seinen Ruhm als auch seinen Beinamen ‚der Skeptiker‘ verdankt Sanchez in erster Linie seiner Schrift Quod nihil scitur, die bei Antonius Gryphius in Lyon zum ersten Mal erschienen ist. Wir wollen uns dieser Schrift in drei Schritten nähern. Zunächst gilt es, Sanchez’ Skeptizismus systematisch zu fassen, indem die Form, der Bereich und die Funktion seines Zweifels bestimmt werden (S. XL–LXXII). In einem zweiten Schritt soll QNS im Kontext seines philosophiegeschichtlichen Entstehungshintergrunds historisch verortet (S. LXXII–CXLVIII) und abschließend der argumentative Aufbau dieser Schrift erläutert werden (S. CXLIX–CLXI).
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Es ist beispielsweise nicht einmal klar, in welchem Verhältnis die genannten Titel zueinander stehen. So könnte mit Examen rerum und Libri naturae dieselbe Schrift gemeint sein, und bei den Traktaten über den Ort, die Seele und das Leben könnte es sich möglicherweise nicht um eigenständige Werke, sondern um Teile dieser vielleicht umfassenderen Abhandlung über die Natur handeln; für diese Vermutung vgl. bereits Gerkrath (, ).
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A. Form, Bereich und Funktion von Sanchez’ Zweifel . Die Form des Zweifels: Sanchez als undogmatischer Skeptiker Der Titel von Sanchez’ Schrift Daß nichts gewußt wird könnte Anlaß zu einem Mißverständnis geben. Dieses Mißverständnis betrifft die Form von Sanchez’ Zweifel. Beim Teilsatz „daß nichts gewußt wird“ handelt es sich nämlich scheinbar um eine dogmatische Absage an die Möglichkeit eines sicheren Wissens, so daß der Titel von QNS, zu einem ganzen Satz ergänzt, etwa lauten würde: „Ich, Franciscus Sanchez, behaupte, daß nichts gewußt wird.“ Daß diese Einschätzung nicht zutrifft, zeigt jedoch bereits der Eröffnungssatz von Sanchez’ eigentlicher Abhandlung über die Möglichkeit des Wissens: „Nicht einmal dieses eine weiß ich: daß ich nichts weiß.“1 Bei diesem Satz handelt es sich nicht um eine dogmatische Behauptung, daß nichts gewußt wird.2 Er muß vielmehr als ein Eingeständnis der eigenen Unwissenheit verstanden werden, das seinerseits wiederum dem Zweifel ausgesetzt wird. Mit diesem Satz zitiert Sanchez – ohne dies auszuweisen – den Vorsokratiker Metrodoros von Chios (./. Jh.v. Chr.), der mit diesen Worten seine Schrift Über die Natur begonnen haben soll.3 In Sanchez’ eigener Argumentation dient dieser Satz dazu, sich von einer bestimmten Form der Skepsis zu distanzieren, die die Gefahr eines Selbstwiderspruchs mit sich bringt. Dabei handelt es sich um den sogenannten dogmatischen Skeptizismus. Als dogmatisch bezeichnet man einen Skeptizismus, der sich auf die These 1
QNS . Anders Limbrick (, ): „The Quod nihil scitur begins with the dogmatic assertion that nothing is known [. . . ] “ [unsere Hervorhebung]. Für dieselbe Auffassung vgl. auch Miccolis (, ) und Popkin (, ). 3 Vgl. dazu Cic. Luc. und Diog. Laert. ,. Für eine ausführliche Besprechung der verschiedenen Belege dieses Satzes in der Antike vgl. Brunschwig (). Sanchez zitiert offenbar die Version aus Diogenes Laertios, da er das Eingeständnis der Unwissenheit im Singular formuliert und nicht in der verallgemeinerten Mehrzahl („. . . daß wir nichts wissen“), die bei Cicero belegt ist. 2
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verpflichtet, daß nichts gewußt wird. Eine solche Position ist insofern problematisch, als der Satz „Nichts wird gewußt“, der QNS wie ein Refrain durchzieht,4 nicht behauptet, d.h. nicht mit einem Anspruch auf Wahrheit geäußert werden kann, ohne daß dadurch ein Selbstwiderspruch begangen wird. Äußert man nämlich den Satz „Nichts wird gewußt“ mit einem Wahrheitsanspruch, so behauptet man damit, daß es sich in Wirklichkeit so verhält, daß nichts gewußt wird. Damit erhebt man jedoch zugleich den Anspruch, etwas über die Wirklichkeit zu wissen, nämlich, daß in Wirklichkeit nichts gewußt wird. Das ist aber aufgrund ebendieses Satzes ausgeschlossen. Vom dogmatischen Skeptizismus zu unterscheiden ist der undogmatische Skeptizismus. Im Gegensatz zu einem dogmatischen Skeptiker, der Behauptungen aufstellt und Positionen einnimmt, verzichtet ein undogmatischer Skeptiker auf Behauptungen in eigener Person und vertritt keine Position – nicht einmal hinsichtlich der Frage, ob ein sicheres Wissen möglich ist oder nicht.5 Daß der dogmatische Skeptizismus die Gefahr des Selbstwiderspruchs in sich birgt, war schon in der Antike bekannt. Entsprechend versuchten die Anhänger der dogmatischen Philosophenschulen, die Skeptiker als negative Dogmatiker zu entlarven, um sie so der Inkonsistenz zu überführen.6 Indem Sanchez QNS mit dem Satz des Metrodoros eröffnet, vermeidet er gleich von Beginn an den Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit, dem der dogmatische Skeptizismus ausgesetzt ist. Da er ein Eingeständnis der Unwissenheit erster Stufe („Ich weiß nichts“) mit einem Eingeständnis der Unwissenheit zweiter Stufe verbindet („Ich weiß nicht, daß. . . “), dessen Inhalt das Unwissenheits-Eingeständnis erster Stufe ist, ver-
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Er erscheint in dieser unpersönlichen Form Mal im Text und in der Wir-Form („Wir wissen nichts“) weitere mal. 5 Für die Unterscheidung zwischen dem dogmatischen und dem undogmatischen Skeptizismus vgl. Frede (). 6 Vgl. z.B. Cic. Luc. f. (der Vorwurf des Dogmatikers) und f. (Antwort des Skeptikers). Vgl. dazu Burnyeat (a).
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zichtet er nämlich auf den Anspruch zu wissen, daß nichts gewußt wird.7 Sanchez’ Bewußtsein für die Schwierigkeit eines dogmatischen Skeptizismus zeigt sich jedoch nicht erst zu Beginn seiner eigentlichen Abhandlung. Bereits in der ‚Vorrede an den Leser‘ erteilt er dem Anspruch auf ein Wissen der Wahrheit eine deutliche Absage: „Aber die Wahrheit verspreche ich Dir demnach ganz und gar nicht, da ich sie, wie alles andere, nicht kenne. Trotzdem suche ich sie mit aller Kraft, und Du wirst sie verfolgen, sooft sie sich zeigt und aus ihren Schlupfwinkeln vertrieben worden ist. Hoffe aber nicht, daß Du sie je ergreifen oder sie in vollem Wissen festhalten kannst. Es muß Dir – wie auch mir – genügen, daß wir sie jagen. Dies ist mein Streben, dies ist mein Ziel. Dieses mußt auch Du verfolgen.“8 Als Skeptiker kann Sanchez für seine Ausführungen keinen Anspruch auf ein Wissen der Wahrheit erheben, da er sich dadurch – wie gezeigt – eines Selbstwiderspruchs schuldig machen würde. Auch die Absage an einen Wahrheitsanspruch dient Sanchez somit dazu, sich vom dogmatischen Skeptizismus zu distanzieren. Denselben Zweck verfolgt Sanchez, wenn er am Ende von QNS verneint, bewiesen zu haben, daß nichts gewußt wird.9 Dies be7
Auch wenn Sanchez dieser These unmittelbar darauf den Status einer Vermutung gibt („ich vermute (coniecto) aber, daß weder ich noch andere etwas wissen“), hat dies keine Veränderung ihres epistemologischen Status zur Folge. Aus der Tatsache, daß ich vermute, daß p, folgt in Sanchez’ Augen nicht, daß p deswegen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zutrifft. Vermuten ist nach Sanchez nämlich nichts anderes als ein „Tasten, Zweifeln und Meinen“ (QNS ); vgl. dazu auch unten S. LXXX–LXXXIV. 8 QNS xiii. Für weitere Absagen an einen Wahrheitsanspruch vgl. QNS : „Was kann ich sagen, was nicht im Verdacht steht, falsch zu sein? Mir ist nämlich alles Menschliche verdächtig, selbst das, was ich gerade schreibe.“ QNS : „Was nämlich bis jetzt von den meisten akzeptiert wurde, scheint mir falsch zu sein, [. . . ] doch was ich gleich sagen werde, wahr. Du wirst vielleicht das gegenteilige Urteil fällen, und vielleicht wird das wahr sein.“ 9 QNS : „Du hast also die Schwierigkeiten gesehen, die uns der Wissenschaft berauben. Ich weiß, daß wohl vieles keine Zustimmung finden wird von dem, was ich hier gesagt habe, aber ich habe, wie du sagen wirst,
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deutet jedoch kein Eingeständnis eines Scheiterns. Als undogmatischer Skeptiker kann Sanchez gar nicht beweisen (demonstrare), daß nichts gewußt wird.10 In der aristotelischen Tradition wird der Beweis nämlich definiert als ein „Syllogismus, der Wissenschaft hervorbringt“.11 Das heißt, daß das, was bewiesen wird, gewußt wird. Wenn Sanchez also bewiese, daß nichts gewußt wird, würde er damit zugleich auch wissen, daß nichts gewußt wird, was einem Selbstwiderspruch gleich käme. Aus diesen Grund erhebt er nie den Anspruch, die zu Beginn der Schrift gemachte Aussage, daß nichts gewußt wird, zu beweisen.12 Daß QNS – trotz des Titels – nicht als ein Manifest eines dogmatischen Skeptizismus betrachtet werden darf, zeigt schließlich auch der Schlußsatz dieser Schrift: „Ob etwas gewußt wird und wie, werde ich in einem anderen Büchlein auseinandersetzen, in dem ich die Methode des Wissens, soweit es die Hinfälligkeit des Menschen zuläßt, darlegen werde.“13 Die Frage, ob Wissen möglich ist oder nicht, bleibt in QNS somit letztlich offen. Entsprechend beendet Sanchez seine Schrift mit seinem berühmten fragenden ‚Was?‘ (Quid?), in dem sich die undogmatische Form seines Zweifels widerspiegelt. Dieses ‚Was?‘, mit nicht bewiesen, daß nichts gewußt wird.“ Vgl. dazu auch QNS , wo Sanchez ebenfalls verneint, bewiesen zu haben, daß nichts gewußt wird. 10 Vgl. dazu QNS : „Auch ich weiß nichts. Trotzdem versuche ich, dich genau davon zu überzeugen. [. . . ] Und ich kann es dir, weil ich nichts weiß, auch nicht beweisen.“ 11 Vgl. dazu QNS und unten S. CLI. 12 Vgl. auch QNS : „Es beweist jedoch nicht, daß nichts gewußt wird. Aber ich habe auch nicht angekündigt, das zu beweisen (wobei ich ‚beweisen‘ in deiner Bedeutung verwende), und ich könnte das auch nicht. Denn nichts wird gewußt.“ Im Zusammenhang mit der These, daß nichts gewußt wird, verwendet Sanchez nie ‚demonstrare‘, sondern ausschließlich ‚probare‘, vgl. z.B. QNS : „Das alles spricht auch gegen mich, der ich mich bemühe glaubhaft zu machen (probare), daß nichts gewußt wird, obwohl jetzt alle anderen anderer Meinung sind.“ Zu Sanchez’ Verwendung von ‚probare‘ vgl. unten S. LXXX–LXXXIV. 13 QNS . Zum „anderen Büchlein“, das Sanchez hier erwähnt, vgl. unten S. LXIX–LXXII.
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dem Sanchez jedes seiner Werke wie „mit einem Obelisken“ signierte,14 wurde in der Forschung wiederholt in Zusammenhang gebracht mit dem „Que sais-je?“ von Montaigne bzw. dem „Je ne sais“ von Pierre Charron (–).15 Anders als bei diesen beiden Denkern verbirgt sich in Sanchez’ ‚Quid?‘ jedoch nicht nur die Frage nach der Möglichkeit des Wissens. Dagegen spricht der Umstand, daß Sanchez sein ‚Quid?‘ auch unter solche Werke stellte, die nicht in erster Linie der Frage nach der Möglichkeit eines sicheren Wissens gewidmet sind. Die Bedeutung seines ‚Quid?‘ muß daher weiter gefaßt werden. Ein Hinweis für diese erweiterte Bedeutung ergibt sich aus dem antiken Sprachgebrauch, z.B. aus den Schriften Ciceros, in denen ‚quid?‘ oft dazu dient, einen Gedankengang fortzuführen oder ein weiteres Argument einzuleiten.16 Sanchez’ ‚Quid?‘ scheint eine ähnliche Funktion zu übernehmen. Indem Sanchez ein ‚Quid?‘ unter seine Werke setzt, möchte er zeigen, daß die Diskussion nicht abgeschlossen ist. Weitere Argumente können folgen, da keine endgültigen Antworten gefunden wurden. Ein zentrales Problem des undogmatischen Skeptizismus besteht darin, wie sich diese Sicht vertreten läßt, ohne daß man sich dabei selbst widerspricht. Ein Satz wie „Nichts kann gewußt werden“ darf nicht denselben Status haben wie ein Satz einer dogmatischen Erkenntnistheorie. Bei den Sätzen einer dogmatischen Theorie handelt es sich nämlich um Behauptungen, d.h. um Äußerungen, die mit einem Anspruch auf Wahrheit oder sogar GeSo Delassus in seiner Sanchez-Biographie in Opera medica, S. êr : „Er verschonte die eigenen [Werke] nämlich nicht, denn er fügte ja allen seinen Abhandlungen am Schluß oder ganz am Ende jenes Zeichen ‚Was?‘ wie einen Obelisk bei ([. . . ] propriis enim non pepercit, omnibus siquidem tractatibus in umbilico vel extremo apice notam illam Quid? ceu obeliscum affixit).“ Als Obelisk (häufiger Obelos) bezeichnet man seit der Antike ein textkritisches Zeichen (†), das zur Markierung von Textstellen dient, die unlösbare Probleme stellen. 15 Für eine ausführliche Darstellung der einschlägigen Forschungsmeinungen vgl. Cobos (, –). 16 Zu dieser Verwendungsweise von ‚quid‘ vgl. Oxford Latin Dictionary s.v. ‚quid‘ b. 14
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wißheit verbunden sind. Auf solche Äußerungen muß ein Skeptiker verzichten, da er damit sogleich auch ein Wissen beanspruchen würde, womit er sich selbst widerspräche. Eine Möglichkeit, diesen Selbstwiderspruch zu vermeiden, besteht darin, daß man seine Ausführungen unter einen skeptischen Vorbehalt stellt und damit deutlich macht, daß für die eigenen Aussagen kein Anspruch auf Wahrheit und Gewißheit erhoben wird.17 Sanchez geht einen anderen Weg. Eine auffällige stilistische Eigenheit von QNS besteht darin, daß sich Sanchez in beinahe jedem Abschnitt an einen imaginären Gesprächspartner – einen sogenannten fictus interlocutor – wendet. Dabei beschränkt sich die Rolle dieses Gesprächspartners nicht auf die eines passiven Ja-Sagers, dem Argumente unterbreitet werden. Sanchez legt ihm vielmehr auch Entgegnungen und Einwürfe in den Mund, die er seinerseits wieder beantwortet.18
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Zu dieser Lösung greift Sextus Empiricus (Ende . Jh. n. Chr.), indem er zu Beginn seines Grundriß der pyrrhonischen Skepsis folgende Gebrauchsanweisung für diese Schrift formuliert: „Unsere Aufgabe ist es nun, die skeptische Lebensführung skizzenhaft darzustellen, wobei wir im Sinn eines Vorwortes vorausschicken, daß wir hinsichtlich keiner der Dinge, die wir besprechen werden, versichern, daß sie sich tatsächlich ganz und gar so verhalten, wie wir sagen. Wir legen nur Zeugnis darüber ab in Form eines Berichts, wie uns jedes einzelne im Moment erscheint“ [P.H. ,]. Zum Status der Äußerungen in Sextus’ Grundriß vgl. Barnes (, –). 18 Da nicht immer klar ist, welche Äußerung Sanchez zuzuordnen ist und welche dem fictus interlocutor, erschwert sich bisweilen das Textverständnis. Dieses Problem wird dadurch verschärft, daß Sprecherwechsel in der editio princeps von QNS auf der Ebene der Interpunktion nicht markiert werden. Wir haben uns in unserer Übersetzung daher an folgende Vorgehensweise gehalten: Äußerungen, die auf sprachlicher Ebene durch eine Einleitung wie: „du wirst aber sagen: . . . “ oder: „du definierst: . . . “ usw. eindeutig als Äußerungen des fictus interlocutor bestimmt sind, werden durch die Verwendung von Anführungs- und Schlußzeichen als solche ausgewiesen. Wo solche eindeutigen sprachlichen Markierungen fehlen, verzichten wir dagegen auf eine Kennzeichnung und überlassen es den Leserinnen und Lesern, jeweils zu entscheiden, wo der fictus interlocutor spricht und wo Sanchez.
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Meist erscheint dieser fictus interlocutor als Vertreter eines orthodoxen Aristotelismus scholastischer Prägung, doch nimmt er auch platonische Positionen ein.19 Oft ist er Sanchez’ Gegenpart und wird als solcher sogar beschimpft und verspottet.20 Bisweilen übernimmt er die Rolle eines Schülers, der Sanchez’ Ausführungen aufmerksam folgen soll,21 während er in anderen Passagen als gleichberechtigter Verbündeter auf der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit betrachtet wird, der die vorgebrachten Argumente prüfen und wenn nötig zurückweisen soll.22 Während der fictus interlocutor somit ganz verschiedene Rollen übernimmt, besteht seine eigentliche Funktion darin, QNS durch seine aktive Beteiligung am Argumentationsverlauf in die Nähe eines Dialogs zu rücken. Diese dialogisierende Funktion machte den fictus interlocutor bereits in der Antike zu einem beliebten Stilmittel der sogenannten Diatribe, einer literarischen Form, die meist durch eine didaktisch-moralisierende Absicht geprägt ist, wobei der fictus interlocutor dazu dient, die dialogische Atmosphäre des antiken Philosophieunterrichts (gr. diatribe) zu imitieren. Indem sich der Autor über den fictus interlocutor scheinbar direkt an sein Publikum wendet, kann er durch den dadurch erreichten Einbezug der Leserschaft die Wirkung seiner Botschaft verstärken.23 QNS weist über weite Strecken einen diatribischen Charakter auf, da diese Schrift neben dem für die Diatribe typischen dialogisierenden Stil über 19
So z.B. im Kontext der Widerlegung der platonischen These, daß Wissen nichts anderes sei als ein Sich-Erinnern, QNS –. 20 Vgl. z.B. QNS , wo Sanchez dem fictus interlocutor rät, seine Bemühungen um die Philosophie aufzugeben, da ihm jegliche Eignung dazu fehle, oder QNS , wo er als Esel bezeichnet wird. 21 So z.B. QNS : „Aber was ist ein Syllogismus? Etwas Wunderbares, spitze deine Ohren, spanne deine Vorstellungskraft an, denn vielleicht wird sie nicht so viele Wörter fassen können.“ 22 Vgl. etwa QNS : „Nimm die Erklärung des Namens ‚Wissenschaft‘, die ich vorgetragen habe, als Hypothese an, damit die Rede fortschreiten kann.“ 23 Vgl. z.B. den fictus interlocutor in Senecas Dialogi, der – ähnlich wie der fictus interlocutor bei Sanchez – diesen Schriften erst ihre dialogische Färbung verleiht.
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weitere Merkmale dieser Textgattung verfügt. Zu nennen sind etwa die Dichterzitate, die Aufzählungen zahlreicher anschaulicher Beispiele zur Untermauerung einer These und das Heranziehen von Fabeln, um abstraktere Inhalte zu veranschaulichen. Da die Diatribe unter den Humanisten des . Jahrhunderts eine neue Blüte erlebte, entspricht Sanchez mit der Wahl dieser Form dem literarischen Geschmack seiner Zeit.24 Sanchez’ Verwendung des fictus interlocutor läßt sich aber nicht allein mit einem Verweis auf die Textgattung von QNS erklären. Sein fictus interlocutor dient nämlich nicht nur der rhetorischen Gestaltung, sondern er übernimmt – wenn er als ebenbürtiger Gesprächspartner auftritt – eine wichtige Funktion in Sanchez’ Argumentation: Der Einbezug des fictus interlocutor ermöglicht es Sanchez, seine skeptische Sicht in einer Auseinandersetzung mit einem philosophisch gebildeten, dogmatisch geprägten Gesprächspartner dialektisch zu entwickeln. Zu diesem Zweck geht Sanchez von den Lehrmeinungen seines imaginären Gesprächspartners aus und versucht zu zeigen, daß dessen Überzeugungen in sich widersprüchlich sind oder daß sich aus ihnen skeptische Folgerungen ergeben. So führt beispielsweise die Lehrmeinung des fictus interlocutor, daß für die vollständige Erkenntnis eines Dinges die vollständige Erkenntnis seiner Ursachen notwendig sei, in Sanchez’ Augen zum Schluß, daß nichts gewußt wird.25 24
Die Beliebtheit der Diatribe verdankt sich v.a. Erasmus’ berühmter De libero arbitrio diatribe (Diatribe über den freien Willen, erschienen ), in der er sich gegen die Lehren Martin Luthers wandte. Die Charakterisierung von QNS als Diatribe impliziert im übrigen kein negatives Urteil über die argumentative Qualität dieser Schrift. Die v.a. im französischen und englischen Sprachraum verbreitete Bedeutung von ‚Diatribe‘ als rein polemisch ausgerichtete Schimpfrede kommt diesem Ausdruck erst im . und . Jahrhundert zu (zur Diatribe und ihrer Geschichte vgl. S.K. Stowers s.v. ‚Diatribe‘ im Historischen Wörterbuch der Rhetorik, ,–). 25 Vgl. dazu QNS : „Schließlich brauchst du für die vollständige Erkenntnis des Verursachten die vollständige Erkenntnis der Ursachen. Was folgt daraus? Daß nichts gewußt wird, wenn du eine vollständige Erkenntnis der Wirk- und der Zweckursache haben möchtest. Ich zeige es dir. Für
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Diese Argumentationsweise, die ausgehend von den Prämissen der Gegner zu zeigen versucht, daß deren Position Widersprüche aufweist oder daß sie zu Konsequenzen führt, die die Gegner selbst nicht zu tragen bereit sind, wird – da sie immer auf die Lehren eines bestimmten Gegners bezogen ist – ad hominemArgumentation genannt.26 Solcher ad hominem-Argumentationen bedienten sich bereits die antiken Skeptiker. Da man in einer ad hominem-Argumentation von den Lehrmeinungen seiner Gegner ausgehen und daher auf Behauptungen in eigener Position verzichten kann, erlaubt diese Argumentationsform den Skeptikern nämlich eine widerspruchsfreie Darstellung ihrer skeptischen Sichtweise. Um die These, daß nichts gewußt wird, gegenüber einem Dogmatiker zu etablieren, reicht es, wenn man zeigen kann, daß sich aus dessen eigenen Lehrsätzen und mittels dessen eigenen Schlußregeln ebendiese Folgerung herleiten läßt, wobei sich der Skeptiker weder auf die Prämissen noch auf die Schlußregeln noch schließlich auf die Schlußfolgerung festlegen muß.27 Daß Sanchez’ Argumentation in QNS im wesentlichen diesem Muster folgt, zeigt sich daran, daß er immer wieder darauf hinweist, daß sich seine Folgerungen aus den Lehrmeinungen seines imaginären Gesprächspartners ergeben.28 die vollständige Erkenntnis meiner selbst muß mein Vater vollständig erkannt werden. Um diesen zu erkennen, ist es notwendig, daß du vorher seinen Vater erkennst und nach diesem wieder einen anderen und so weiter bis ins Unendliche.“ 26 Eine ad hominem-Argumentation ist zu unterscheiden von einer Argumentation in personam (dt.: gegen eine Person). Als solche bezeichnet man eine unsachliche Überredungsstrategie, in der versucht wird, eine Behauptung eines Gegners durch einen Angriff auf dessen Charakter, Motivation oder Reputation zu untergraben. 27 Für eine Darstellung der ad hominem-Argumentation der akademischen Skeptiker vgl. Frede (, f.). 28 Vgl. z.B. QNS : Nachdem Sanchez ein Argument formuliert hat, aus dem folgt, daß „jede Wissenschaft eine Erdichtung“ ist, stellt er klar: „Dies beruht alles auf deinen Aussagen.“ Die Formulierung „gemäß deinem Standpunkt“ (ex te, secundum te oder per te) erscheint in QNS , , (x), , , , , (x), und .
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Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine wichtige Konsequenz für die Interpretation von QNS. Es entfällt damit nämlich ein vermeintlicher Widerspruch in Sanchez’ Argumentation: Obschon es sich bei QNS um eine skeptische Schrift handelt, finden sich darin zahlreiche scheinbar positive, d.h. dogmatische Thesen wie z.B. die ontologische These von der kausalen Verkettung der Dinge29 oder die erkenntnistheoretische These, daß unsere Seele sich mit einem unbeschriebenen Blatt Papier vergleichen lasse.30 Das Behaupten solcher positiver Thesen läßt sich aber nicht mit einer skeptischen Grundhaltung vereinbaren. Wie kann Sanchez als Skeptiker wissen, daß alle Dinge kausal miteinander verknüpft sind oder daß die Seele einem unbeschriebenen Blatt Papier gleicht? Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man den argumentativen Status dieser Thesen betrachtet. Da Sanchez in QNS im wesentlichen ad hominem argumentiert, dürfen Lehrmeinungen, die Sanchez scheinbar in eigener Person äußert, nicht ohne weiteres als positive Bestandteile seiner eigenen Position betrachtet werden. So entstammen beispielsweise die zuvor genannten Thesen der aristotelischen Orthodoxie des . Jahrhunderts, und es gibt daher keinen Grund, sie Sanchez selbst zuzuschreiben. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß Sanchez solche Thesen aus argumentationstaktischen Gründen vertritt, um sein Ziel zu erreichen, eine Kritik an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zu formulieren.31
. Der Bereich des Zweifels: Das wissenschaftliche Wissen Obschon der Titel Daß nichts gewußt wird dies nahezulegen scheint, formuliert Sanchez in QNS keinen umfassenden Zweifel. Einige Be29
QNS : „Eine solche Verkettung ist aber in allen Dingen, daß es kein Ding gibt, das untätig ist und nicht einem anderen nützte oder schadete.“ 30 Vgl. dazu QNS . 31 Dieser Umstand hat die große Mehrheit der modernen SanchezInterpreten in die Irre geführt; vgl. dazu stellvertretend Gerkrath (, ff.), der solche Thesen unter dem Titel „Uebersicht der positiven Anschauungen des Sanchez“ abhandelt.
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reiche menschlicher Kenntnis werden gar nicht thematisiert, während andere sogar explizit von der Kritik ausgenommen werden. Gar nicht thematisiert wird die Frage nach der Möglichkeit eines ethischen Wissens.1 Die Abwesenheit von ethischen Fragestellungen unterscheidet Sanchez’ Skeptizismus von dem seiner Vorgänger sowohl in der Antike als auch in der Renaissance. Die Kritik an der Möglichkeit eines ethischen Wissens ist ein zentraler Bestandteil des antiken Skeptizismus.2 Aber auch in den Schriften der Skeptiker des . Jahrhunderts wie etwa bei Gianfrancesco Pico della Mirandola (–), Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim (–) und schließlich in den Essais von Michel de Montaigne spielen ethisch-moralische Fragestellungen eine bedeutende Rolle. Durch die Ausblendung des ethisch-moralischen Bereichs nimmt Sanchez eine singuläre Stellung im Skeptizismus der Renaissance ein.3 Explizit ausgenommen von jedem Zweifel ist das ganze Gebiet der christlichen Offenbarung und des Glaubens. Was in der Heiligen Schrift steht, ist von Gott inspiriert und daher unzweifelhaft wahr. Diese Auffassung zeigt sich deutlich in Sanchez’ Gegenüberstellung zweier entgegengesetzter Thesen zur Frage, ob die Welt endlich oder unendlich sei. Zwar spreche die menschliche Vernunft dafür, daß die Welt unendlich sei, die Bibel zeige jedoch, „daß ganz und gar das Gegenteil vollkommen wahr ist“. Während die verfehlte These von der Unendlichkeit der Welt bloß auf „menschlichen 1
Zwar verweist Sanchez in QNS auf die Verschiedenheit der Sitten der Menschen, doch schließt er daraus nicht auf die Unmöglichkeit eines ethischen Wissens oder auf die Relativität ethischer Werte. Die Aufzählung der unterschiedlichen Sitten dient nur dazu, anhand der verschiedenen Lebensformen der Menschen die unerfaßbare Mannigfaltigkeit der Einzeldinge zu veranschaulichen; vgl. dazu QNS . Zur Funktion der Mannigfaltigkeit in Sanchez’ Argumentation vgl. unten S. CXXII und S. CXXXV Anm. . 2 Für die akademische Skepsis vgl. Ciceros Kritik an der epikureischen und der stoischen Lehre vom höchsten Gut in den Büchern und von De finibus bonorum et malorum. Für die pyrrhonische Skepsis vgl. z.B. Sextus Empiricus P.H. ,–, wo gegen die Möglichkeit eines ethischen Wissens argumentiert wird. 3 Vgl. dazu de Carvalho (, xxv) und Limbrick (, ).
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Erwägungen“ beruhe, handelt es sich bei der zweiten Lehre in Sanchez’ Augen um „Wissen, aber aus göttlicher Offenbarung“.4 Sanchez’ Beschränkung des Zweifels auf den Bereich des menschlichen Wissens und seine Gegenüberstellung von falschen Meinungen der Philosophen und der sicheren Wahrheit der christlichen Offenbarung erinnert an den Fideismus, der für das erneute Interesse am Skeptizismus in der Renaissance eine bedeutende Rolle spielte. Als Fideismus bezeichnet man eine apologetische Tradition, deren Ziel darin besteht, die Fruchtlosigkeit einer rationalen Bemühung um die Wahrheit vor Augen zu führen, um so den Weg freizumachen für eine Hinwendung zu einem einfachen Glauben in Gottes Offenbarung. In diesem Zusammenhang kamen immer wieder auch skeptische Argumente zum Einsatz, die die Lehren der heidnischen Philosophen der Antike als zweifelhaft erweisen sollten, damit sich die Menschen von diesen abwenden und erkennen, daß die christliche Offenbarung die einzige Quelle der Wahrheit darstellt. Eine solche fideistische Absicht prägt etwa das Examen vanitatis () von Gianfrancesco Pico della Mirandola sowie Agrippa von Nettesheims De incertitudine et vanitate scientiarum declamatio invectiva (), und sie findet sich ebenfalls in Montaignes Apologie de Raimond Sebond ().5 Eine wichtige Rolle spielte der Fideismus außerdem im Streit der Konfessionen um das Kriterium zur Entscheidung von Glaubensfragen. So versuchte z.B. Erasmus (ca. –) in seiner Schrift De libero arbitrio diatribe () zu zeigen, daß die menschliche Vernunft kein taugliches 4
Für diese Gegenüberstellung vgl. QNS f. Der vollständige Titel von Gianfrancesco Pico della Mirandolas Schrift lautet: Untersuchung der Eitelkeit der Lehrmeinung der Heiden und der Wahrheit der christlichen Lehre eingeteilt in sechs Bücher, von denen drei alle Schulen der Philosophen im allgemeinen, die übrigen die aristotelische mit aristotelischen Waffen im speziellen angreifen, wobei aber überall die christliche Lehre bestätigt und erhöht wird (Examen vanitatis doctrinae gentium, et veritatis christianae disciplinae, distinctum in libros sex, quorum tres omnem philosophorum sectam universim, reliqui Aristoteleam et Aristotelis armis particulatim impugnant ubicunque autem Christiana et asseritur et celebratur disciplina); zu Gianfrancesco Pico della Mirandola vgl. Schmitt (). 5
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Kriterium zur Entscheidung von Glaubensfragen sei und daß man sich daher besser nicht auf die rationalistische Theologie der Protestanten einlassen, sondern sich voll und ganz auf die traditionelle Lehre der katholischen Kirche verlassen soll.6 In Anbetracht der Bedeutung des Fideismus in der Frühen Neuzeit liegt der Gedanke nahe, daß sich auch Sanchez dieser Tradition verpflichtet fühlte, v.a. wenn man bedenkt, daß er in einer Umgebung lebte, die stark von den konfessionellen Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten geprägt war. Tatsächlich glaubt Suárez Dobarrio in Sanchez einen „praktischen Fideisten“ zu erkennen, während Comparot ihn als Vertreter eines „anti-aristotélisme chrétien“ betrachtet.7 Diese Einschätzung trifft jedoch nicht zu. Weder dient Sanchez’ Zweifel als Waffe in der konfessionellen Auseinandersetzung um das richtige Glaubenskriterium,8 noch läßt sich in seiner Kritik an den Ansichten der Philosophen eine apologetische Absicht feststellen. Zwar zweifelt Sanchez nicht an der Wahrheit und Gewißheit der christlichen Offenbarung, und die Gegenüberstellung dieser offenbarten Wahrheit und der falschen Meinung der Philosophen dient auch ihm dazu, die Unzuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit vor Augen zu führen,9 doch behauptet Sanchez damit nicht, daß eine Hinwendung zu einem einfachen Glauben in Gott unsere epistemischen Probleme lösen würde.10 Zwar enthält 6
Zur Bedeutung des Fideismus in der Geschichte des RenaissanceSkeptizismus im allgemeinen vgl. Popkin (, passim). Zu Erasmus vgl. dort S. –; zu Gianfrancesco Pico della Mirandola und Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim vgl. v.a. S. –. 7 Vgl. dazu Suárez Dobarrio (, –) und Comparot (). 8 Besnier (, ) weist darauf hin, daß sich in QNS keine Spur der konfessionellen Auseinandersetzungen jener Zeit feststellen läßt. 9 Vgl. QNS . 10 In QNS bezweifelt Sanchez sogar explizit die Möglichkeit einer göttlichen Erleuchtung: „Denn nichts wird gewußt. Es genügt, daß ich dir die Schwierigkeiten vorgelegt habe. Solltest du diese überwinden können, wirst du etwas wissen. Aber du wirst das nicht können, außer wenn ein anderer Geist von neuem heimlich auf dich herabgesandt wird. Es kann sein, daß das geschieht, aber ich habe so etwas noch nie gesehen.“
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die Heilige Schrift in seinen Augen unbezweifelbar wahres Wissen, doch ist dies nicht das Wissen, um das es Sanchez in QNS geht.11 Der eigentliche Bereich von Sanchez’ Zweifel läßt sich anhand des Beispiels eines Blatts Papier klarer umreißen. So sagt Sanchez in QNS : „Ich bin mir viel gewisser, daß das Papier, auf dem ich schreibe, existiert und daß es weiß ist, als daß es aus vier Elementen zusammengesetzt ist, daß diese in ihm aktual sind und daß es eine andere Form als diese hat.“ Was Sanchez bezweifelt, ist nicht die Existenz des Papiers. Überhaupt wird die Existenz der Dinge und damit auch die Existenz der Welt in QNS keinem grundsätzlichen Zweifel unterzogen, sondern vielmehr als gegeben vorausgesetzt.12 Mag diese Einschränkung des Zweifels aus einer nachcartesischen Perspektive erstaunen, so scheint sie jedoch für die Zeit vor Descartes’ (–) Meditationen (erschienen ) geradezu selbstverständlich zu sein: War Descartes doch der erste, der einen umfassenden Zweifel an der Existenz der Welt systematisch entwickelte.13 Obschon sich das Fehlen eines grundsätzlichen Zweifels an der Existenz der Welt in Sanchez’ Argumentation somit allein der historischen Tatsache zu verdanken scheint, daß Sanchez vor Descartes gewirkt hat und daß ein solcher Zweifel daher schlicht noch kein Thema war, verweist diese Abwesenheit dennoch auf einen wichtigen Unterschied zwischen der Einschätzung des Zweifels bei Sanchez einerseits und bei Descartes andererseits.14 Descartes’ Zweifel verfügt nach dessen eigenen Aussagen nämlich bloß über eine theoretische Tragweite. Seine Funk11
Gegen eine fideistische Ausrichtung von Sanchez’ Argumentation in QNS sprechen sich auch Limbrick (, f.) und Popkin (, ) aus. 12 Vgl. dazu QNS , wo Sanchez einen Zweifel an der Existenz der sinnlich wahrnehmbaren Dinge explizit verneint. 13 Vgl. dazu Burnyeat (). 14 Möglicherweise greift diese historische Erklärung außerdem zu kurz, vgl. dazu Perler (), der dafür argumentiert, daß die systematischen Grundlagen für Descartes’ globalen Außenwelt-Skeptizismus bereits in den erkenntnistheoretischen Diskussionen der Scholastiker des . Jahrhunderts gelegt wurden.
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tion beschränkt sich daher darauf, die Wissensansprüche seiner Vorgänger als verfehlt zu erweisen, ohne daß dadurch die alltägliche Lebensführung in Mitleidenschaft gezogen wird.15 Sanchez dagegen betrachtet seinen Zweifel nicht bloß als ein theoretisches Unterfangen, das keine Wirkung auf das Leben zeitigt. Dies machen seine wiederholten Klagen über das „elende Los“ der Menschen in ihrer epistemischen Beschränktheit deutlich, die zeigen, daß Sanchez die Unerreichbarkeit eines sicheren Wissens nicht nur als theoretisch denkbar betrachtet, sondern daß er darin – soweit dies aus skeptischer Sicht überhaupt möglich ist – eine zutreffende Einschätzung unserer epistemischen Situation in dieser Welt zu erkennen glaubt.16 Daraus ergeben sich Konsequenzen für unsere Lebenspraxis: Wir sind nämlich gezwungen, ohne ein solches Wissen zu leben. Es ist jedoch zumindest fragwürdig, ob sich eine solche realistische, lebenspraktische Auffassung des Skeptizismus überhaupt mit einem Außenwelt-Skeptizismus vereinbaren läßt. Scheint doch die Annahme der Realität der skeptischen Einschätzung unserer epistemischen Situation zugleich auch die Annahme einer Welt vorauszusetzen, in der diese Einschätzung Realität sein kann.17 Wenden wir uns wieder Sanchez’ Beispiel mit dem Blatt Papier zu, so zeigt sich, daß Sanchez nicht nur die Existenz des Papiers, sondern auch seine Erscheinungsweise wie etwa seine Farbe keinem grundsätzlichen Zweifel aussetzt. Bestritten wird bloß, daß wir etwas über die wesentlichen Eigenschaften des Blattes wissen 15
Vgl. dazu Burnyeat (). Vgl. QNS , und . Falls diese Klagen tatsächlich als Ausdruck einer persönlichen psychischen Not gedeutet werden können, trifft Popkins These einer „skeptischen Krise“ in der Frühen Neuzeit zumindest auf Sanchez zu. Für eine Kritik an der allgemeinen Gültigkeit dieser These vgl. Larmore (, ): „Indeed, the thesis that there was a sceptical crisis in the early seventeenth century seems generally an exaggeration. Sceptics such as Charron lived their scepticism without any sense of crisis at all.“ Vgl. auch Perler (, Anm. ). 17 Zu dieser Frage vgl. Burnyeat (), der die Abwesenheit eines globalen Außenwelt-Skeptizismus bei den antiken Skeptikern mit der lebenspraktischen Ausrichtung ihres Skeptizismus in Zusammenhang bringt. 16
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können. Diese Einschränkung von Sanchez’ Zweifel läßt sich anhand seiner Unterscheidung zwischen zwei Arten der Erkenntnis – der „vollkommenen“ und der „unvollkommenen“ – verdeutlichen: „Unterteile schließlich die ganze Erkenntnis in zwei. Die eine ist vollkommen, durch sie wird ein Ding in jeder Hinsicht, innen und außen, durchdrungen und erkannt. Das ist Wissenschaft, die wir hier dem Menschen eigentlich verschaffen wollten; sie selbst will aber nicht. Die andere ist unvollkommen, und durch sie wird ein Ding auf irgendeine Weise, wie auch immer, erfaßt. Diese ist uns vertraut. Sie ist aber größer oder kleiner, klarer oder dunkler, sie ist schließlich in verschiedene Grade eingeteilt, je nach den verschiedenen natürlichen Denkvermögen der Menschen.“18 Die Unterscheidung zwischen der „vollkommenen“ und der „unvollkommenen“ Erkenntnis läßt sich anhand des Beispiels eines Magneten illustrieren: Wir kennen den Magneten und seine Eigenschaft, sich immer nach Norden auszurichten, und diese Kenntnis ermöglicht es uns, „in einem kleinen Schiffchen die ganze Erde zu umfahren, mit ganz sicherem Erfolg mitten in den Fluten zu erkennen, wo wir uns aufhalten, und einen Hafen mit unfehlbarer Nützlichkeit und nützlicher Unfehlbarkeit anzusteuern“.19 Gewisse Kenntnisse des täglichen Lebens gesteht Sanchez den Menschen somit zu. Der Bauer kann – trotz der Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung – seinen Esel problemlos vom Ochsen seines Nachbarn unterscheiden.20 Älteren Menschen kann wegen ihrer reichen Erfahrung die Verwaltung der Staaten „mit gutem Grund übertragen werden“.21 In vielen Bereichen, „zum Beispiel in der Landwirtschaft, in der Schiffahrt und im Handel“, spricht nichts dagegen, den Handwerkern und Fachleuten zu glauben.22 Bei den zugestandenen Kenntnissen handelt es sich jedoch nur um unvollkommene Kenntnisse, da wir den Magneten nur „auf irgendeine Weise, wie auch immer“ erfassen. Der Magnet wird 18 19 20 21 22
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durch diese Kenntnis nicht „in jeder Hinsicht, innen und außen, durchdrungen und erkannt“. Wir wissen nämlich nicht, was die Natur des Magneten und was die Ursache seiner Eigenschaften ist. Erst wenn wir diese Fragen beantworten könnten, hätten wir eine „vollkommene Erkenntnis“.23 Um Wissen dieser Art geht es in QNS. Es handelt sich dabei um ein theoretisches Wissen – ein Wissen, daß sich in den Augen der aristotelischen Scholastiker, gegen die sich QNS in erster Linie wendet, durch die Erkenntnis des Wesens der Dinge und ihrer Ursachen auszeichnet. Die Erreichbarkeit dieser Art des Wissens versucht Sanchez in QNS in Zweifel zu ziehen. Wenn Sanchez also seinem Werk den Titel gibt Daß nichts gewußt wird, so meint er mit ‚Wissen‘ ein wissenschaftliches Wissen (lat. scientia).24 Sanchez’ Kritik an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit ist somit bestimmt durch die streng wissenschaftliche Ausrichtung seines Interesses. Was er in QNS zeigen möchte, ist, daß die Erreichbarkeit eines wissenschaftlichen Wissens der Natur fragwürdig ist. Entsprechend richtet sich seine Argumentation in QNS in erster Linie gegen die scholastischen Gelehrten seiner Zeit, die von sich behaupteten, im Besitz eines solchen wissenschaftlichen Wissens zu sein.
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Es kann nicht verwundern, daß Sanchez die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit gerade anhand des Magneten illustriert. Die Ursache der magnetischen Anziehungskraft wurde bereits in der Antike rege diskutiert und sie diente noch bis weit in die Frühe Neuzeit als Paradigma der Undurchschaubarkeit der Welt; zur Frage nach der Ursache der magnetischen Anziehungskraft vgl. auch QNS mit Anm. , QNS mit Anm. und QNS . 24 Wir übersetzen daher ‚scientia‘ immer mit ‚Wissenschaft‘, auch wenn dies bisweilen zu gewissen Härten in der Formulierung führt.
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. Die Funktion des Zweifels: Methodischer oder skeptischer Zweifel? Daß sich Sanchez in QNS in erster Linie gegen die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Wissens richtet, hat viele Interpreten dazu gebracht, in dieser Schrift – trotz ihres Titels – kein Manifest eines eigentlichen Skeptizismus zu sehen. Sanchez wolle nur zeigen, daß ein wissenschaftliches Wissen im Sinn der scholastischen Aristoteliker nicht zu erreichen sei. Das bedeute aber nicht, daß es gar kein Wissen gebe, sondern nur, daß der aristotelische Wissensbegriff der Scholastiker verfehlt sei. Die Möglichkeit eines bestimmten, wenn auch nicht vollkommenen Wissens bestehe durchaus, wenn man nur die richtige Methode befolge. Sanchez’ Intention in QNS ist nach dieser Interpretation somit nicht rein destruktiv. Da diese Interpretationsrichtung in QNS einen konstruktiven Beitrag zur früh-neuzeitlichen Methodendiskussion zu erkennen glaubt, nennen wir sie die konstruktive Interpretation und stellen sie der skeptischen Interpretation gegenüber, die QNS als rein skeptische Schrift betrachtet. Anhand des Vorherrschens einer dieser beiden Interpretationsrichtungen läßt sich die Rezeption von QNS in zwei Phasen unterteilen. Dabei prägte die skeptische Interpretation die erste Phase der Auseinandersetzung mit Sanchez’ philosophischem Hauptwerk. So wurde QNS im . Jahrhundert einerseits Gegenstand mehrerer anti-skeptischer Widerlegungsversuche.1 Andererseits 1
Dabei handelt es sich um die Magister-Disputation von M. Johann Ulrich Wild mit dem Titel Quod aliquid scitur (Daß etwas gewußt wird), verteidigt in Leipzig am . August , und Daniel Hartnacks Schrift Sanchez aliquid sciens (Sanchez, etwas wissend), verfaßt , erschienen in Stettin. Kurze kritische Auseinandersetzungen mit QNS finden sich außerdem in der Dissertation von Gabriel Wedderkopf mit dem Titel De Scepticismo profano et sacro praecipue remonstrantium, verteidigt in Straßburg am . September , und in der Magisterarbeit des damals erst -jährigen G.W. Leibniz mit dem Titel Specimen quaestionum philosophicarum ex iure collectarum, vorgetragen am . Dezember an derselben Fakultät, an der Wild seine Disputation präsentiert hatte (abgedruckt in: G.W. Leibniz. Sämtliche
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brachte die skeptische Interpretation Sanchez nicht nur Kritik, sondern auch Lob ein. So schrieb etwa Pierre Bayle (–) in seinem Dictionnaire historique et critique über QNS: „Le Traité Quod nihil scitur représente ingénieusement & subtilement la vanité de ce qu’on appelle Sciences, Etude, composition de Livres &c.“2 Gegen die skeptische Auffassung von QNS regte sich jedoch schon früh Widerstand. Bereits wies Philippe-Louis Joly (– ) in seinen Remarques Critiques sur le Dictionnaire de Bayle diese Einschätzung von Sanchez’ philosophischem Hauptwerk zurück: „Cet Ecrit [QNS], à proprement parler, est une espèce de méthode, à peu près semblable à celle que Descartes a suivie dans la suite, dont le fondement est un doute, sur tout ce que l’on veut examiner; doute par lequel on veut se mettre en état de rechercher la vérité sans aucun préjugé.“3 Mit dieser Annäherung von Sanchez’ Zweifel an denjenigen von Descartes schaffte Joly die Voraussetzung für die konstruktive Interpretation von QNS und läutete damit die zweite Phase der Sanchez-Rezeption ein.4 Nach der konstruktiven Interpretation handelt es sich bei Sanchez’ Zweifel in QNS nicht um den Ausdruck einer skeptischen Haltung, sondern um die Vorwegnahme eines methodischen Zweifels, den Descartes ein halbes Jahrhun-
Schriften und Briefe. Herausgegeben von der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Darmstadt ff.; Leipzig ff.; Berlin ff.; Nachdruck: Berlin ] . Reihe, Bd. [Sanchez wird darin in quaestio XI S. und quaestio XIII S. f. erwähnt]). Für eine ausführliche Besprechung dieser Widerlegungen vgl. Iriarte (, –). Der Umstand, daß alle diese Widerlegungen an deutschen Universitäten verfaßt wurden und aus demselben Jahr stammten, weist möglicherweise darauf hin, daß es sich bei der Widerlegung von Sanchez’ Skeptizismus um eine Aufgabenstellung einer Preisfrage gehandelt haben könnte. Für diesen Hinweis sei Christoph Riedweg herzlich gedankt. 2 Bayle (, Bd. , f.). Zur positiven Einschätzung von Sanchez’ Skeptizismus durch Gabriel Naudé vgl. oben S. IX. 3 Joly (, ), unsere Hervorhebungen. 4 Nach Iriarte (, ) beginnt daher mit Joly „Sanchez’ Rehabilitierung und Ehrenrettung“.
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dert später im vierten Teil seines Discours de la Méthode () und in der Ersten Meditation () systematisch entwickelte. Die Funktion eines solchen methodischen Zweifels besteht darin, hergebrachte Ansichten ihres Fundaments zu berauben, um so eine vorurteilsfreie Suche nach einer neuen Methode des Wissens zu ermöglichen, die gegen diesen Zweifel resistent ist. Sobald diese neue Methode gefunden ist, ist der Zweifel überwunden. Der methodische Zweifel ist somit ein provisorischer Zweifel, der nur eine Übergangsphase darstellt in der Überwindung einer herkömmlichen Theorie des Wissens zugunsten einer neuen, besseren Methode. Insofern der methodische Zweifel letztlich überwunden wird, unterscheidet er sich wesentlich vom eigentlich skeptischen Zweifel, aus dem es keinen Ausweg gibt, und insofern ein Vertreter eines methodischen Zweifels seinen Zweifel letztlich überwindet, kann er nicht als eigentlicher Skeptiker betrachtet werden.5 Da die Befürworter der konstruktiven Interpretation in Sanchez’ Zweifel einen methodischen und keinen skeptischen Zweifel zu erkennen glauben, betrachten sie QNS nicht als skeptische, sondern als methodologische Schrift. Das Ziel von QNS sei nicht die Etablierung eines Skeptizismus, sondern die Ersetzung der scholastischen Wissenskonzeption durch eine neue Methode. Diese bestehe in einem probabilistischen Empirismus, der die Wissenschaftskonzeption in ihrer modernen Form vorwegnehme, da Sanchez den Essentialismus der Aristoteliker aufgebe und nicht mehr nach einer vollkommenen Erkenntnis des Wesens der Dinge strebe.6 In der skizzierten Form beherrscht die konstruktive Interpretation die historische Auseinandersetzung mit Sanchez ab der zwei-
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Zu dieser Funktion des Zweifels bei Descartes vgl. Williams (), Garber () und Perler (, –). 6 Vgl. z.B. Popkin (, ): „In advancing this limited or constructive view of science, Sanches was the first Renaissance sceptic to conceive of science in its modern form, as the fruitful activity about the study of nature that remained after one had given up the search for absolutely certain knowledge of the nature of things“ [unsere Hervorhebung].
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ten Hälfte des . und dann v.a. im . Jahrhundert.7 Dabei betrachten ihre Anhänger Sanchez, insofern sie in seinem Zweifel einen methodischen Zweifel sehen, als einen Vorläufer Descartes’,8 insofern sie in seiner Methode des Wissens einen Empirismus zu erkennen glauben, als einen Vorläufer Francis Bacons (–)9 und insofern er die Frage nach den Bedingungen der Erkenntnis in den Vordergrund stelle, gar als „ersten kritischen Philosophen der Moderne“ und als Vorläufer Kants (–).10 Für ihre Sichtweise führen die Vertreter der konstruktiven Interpretation im wesentlichen die folgenden drei Argumente ins Feld: Erstens bestehe zwischen Sanchez’ ‚Vorrede an den Leser‘ und dem Beginn von Descartes’ Discours de la Méthode eine frappante Ähnlichkeit, die die Vermutung nahe lege, daß diesen beiden Werken eine vergleichbare Intention zugrunde liege. Wie Descartes’ Discours sei daher auch Sanchez’ QNS als eine methodologische Schrift zu verstehen.11 Zweitens sprächen die mehrfache Nennung der Sin7
Vgl. dazu Mellizo (, , Fn. ): „Así [im Sinn der konstruktiven Interpretation] lo entienden casi todos los que se han ocupado de estudiar la obra de Sánchez en nuestro siglo [. . . ].“ Sie prägte bereits Gerkrath (), die erste moderne Monographie über Sanchez, und findet sich außerdem bei Senchet (), Iriarte (), Moreau ( und ), Miccolis (), Crescini (), Ishigami-Iagolnitzer ( und ), Limbrick ( und ), Craveiro da Silva (), Cobos ( und ) und Popkin (, f.). Eine etwas andere Ausformung erhält die konstruktive Interpretation bei Comparot, die Sanchez’ Zweifel zwar ebenfalls als methodischen Zweifel betrachtet, doch liegt die Überwindung dieses Zweifels nicht in einem Empirismus, sondern in einer Hinwendung zu einem christlichen Platonismus und der göttlichen Offenbarung, vgl. z.B. Comparot (, ). Comparot betrachtet Sanchez somit als Fideisten. Daß wir diese Einschätzung nicht teilen, wurde bereits oben S. LII gezeigt. Die skeptische Auffassung vertreten dagegen Coralnik (), de Carvalho (), Suárez Dobarrio () und Besnier (). 8 So v.a. Iriarte (), vgl. aber auch Moreau () und Limbrick (). 9 So z.B. Senchet (, –), Cribini Spruzzola (, ), Mellizo (, ff.) und Ishigami-Iagolnitzer (, Anm. ). 10 So Senchet (, – und ). 11 So Moreau (, –) und v.a. Iriarte, der in seiner Dissertation mit dem Titel Kartesischer oder Sanchezischer Zweifel? zu zeigen versucht, daß
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ne als einziger Quelle der Erkenntnis und ebenso Sanchez’ Ausführungen zu „Erfahrung (experimentum) und Urteil (iudicium)“ in QNS – dafür, daß Sanchez in einem Empirismus ein sicheres Fundament für die Wissenschaften zu erkennen glaubte. Drittens zeigten einige Äußerungen in QNS, daß Sanchez die Absicht hegte, eine bessere Methode für die Wissenschaften zu finden.12 Unterstützt würden diese Absichtserklärungen zudem durch seine Ankündigung einer Schrift mit dem Titel Über die Methode des Wissens.13 Vor allem die letzten beiden Punkte, d.h. Sanchez’ scheinbarer Positionsbezug zugunsten eines Empirismus und sein Versprechen einer neuen Methode des Wissens, zeigen in den Augen der Befürworter der konstruktiven Interpretation, daß Sanchez’ Zweifel bloß provisorisch und nicht eigentlich skeptisch motiviert sei. Im folgenden soll gezeigt werden, daß diese drei Argumente nicht stichhaltig sind und daß daher kein Grund besteht, die skeptische Interpretation von QNS zugunsten der konstruktiven Interpretation aufzugeben. Zunächst zur Ähnlichkeit zwischen Sanchez’ ‚Vorrede an den Leser‘ und dem ersten Teil von Descartes’ Discours. Diese betrifft die Darstellung der intellektuellen Entwicklung dieser beiden Autoren, die tatsächlich in mehreren Punkten erstaunliche Parallelen aufweist. So beschreibt Sanchez seinen Werdegang mit folgenden Worten: „Von Jugend an habe ich mich der Untersuchung der Natur verschrieben und alles im Detail erforscht. Obschon anfangs mein Geist, begierig nach Wissen, zufrieden war mit jeder erdenklichen Speise, die ihm angeboten wurde, begann er nach kurzer Zeit, von Verdauungsschwierigkeiten geplagt, alles wieder von sich zu geben. Ich suchte schon damals nach etwas, was ich ihm geben könnte, das er sowohl vollkommen aufnehmen als auch vollständig genießen könnte. Es gab aber niemanden, der mein Verlangen Descartes für seinen Discours de la Méthode sogar auf der Ebene der Formulierungen von Sanchez abhängig gewesen sei. Gegen die Aussagekraft der von Iriarte angeführten Parallelstellen vgl. de Carvalho (, xxxii) und Suárez Dobarrio (, f.). 12 Die einschlägigen Äußerungen finden sich in QNS und . 13 Für Verweise und die Titelvarianten vgl. unten S. LXX Anm. .
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befriedigen konnte. [v] Ich wälzte die Lehren der Alten und prüfte die Einsichten der Zeitgenossen: Sie gaben dieselbe Antwort. Diese konnte mich aber überhaupt nicht befriedigen. Ich gebe zu, daß einige gewissermaßen Schatten der Wahrheit wiedergaben. Ich habe aber keinen gefunden, der das Urteil, das man über die Dinge fällen soll, ehrlich und vollständig vorgetragen hätte. [vi] Infolgedessen zog ich mich in mich selbst zurück. Indem ich alles in Zweifel zog, begann ich die Dinge selbst zu untersuchen, als ob nie von jemandem etwas gesagt worden wäre: dies ist die richtige Methode des Wissens.“14 Die entsprechende Passage bei Descartes lautet: „Von Kindheit an habe ich wissenschaftliche Bildung genossen, und da man mir einredete, daß man sich mit der Hilfe der Wissenschaften eine klare und gesicherte Kenntnis alles für das Leben Nützlichen aneignen könne, so wünschte ich sehnlich, sie zu erlernen. Doch sobald ich den ganzen Studiengang durchlaufen hatte, an dessen Ende man für gewöhnlich unter die Gelehrten aufgenommen wird, änderte ich völlig meine Meinung. Denn ich fand mich verstrickt in soviel Zweifel und Irrtümer, daß es mir schien, als hätte ich aus dem Bemühen, mich zu unterrichten, keinen anderen Nutzen gezogen, als mehr und mehr meine Unwissenheit zu entdecken.“15 „Unbefriedigt von den Wissenschaften“ – so läßt sich Descartes’ weitere Schilderung zusammenfassen – entzog er sich, sobald es sein Alter erlaubte, der Abhängigkeit von seinen Lehrern und suchte sein Wissen „im großen Buch der Welt“. Auch dieser Versuch schlug fehl, und so entschloß er sich schließlich, „bei mir selbst zu studieren und alle Geisteskräfte aufzubieten, um den Weg zu wählen, dem ich folgen wollte.“16 Beide Autoren berichten somit übereinstimmend von einer frühreifen Neugier, die mit einem großen Lerneifer verbunden ist. Darauf folgen die Enttäuschung durch den zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb und der Zweifel am Wahrheitsgehalt des Gelernten. 14 15 16
QNS ivf. Discours de la Méthode, Teil , § [Übersetzung: L. Gäbe]. Ebd. §.
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Auf diese Erfahrung reagieren beide mit einem Rückzug auf sich selbst, um so – unabhängig von den falschen Lehren, die sie umgeben – nach einer verläßlichen Methode des Wissens zu suchen. Diese Parallelen bedeuten jedoch noch nicht, daß die beiden Autoren mit ihren Schriften dieselbe Intention verfolgt hätten. Die starke Ähnlichkeit dieser Passagen läßt sich nämlich vielmehr durch deren Zugehörigkeit zu demselben literarischen Genre erklären. Es handelt sich dabei um die intellektuelle Autobiographie, die sich als Strategie der Selbstdarstellung auf den griechischen Arzt Galen (–ca. n. Chr.) zurückführen läßt, und die in Augustins (– n. Chr.) Confessiones eine eindrückliche Ausformung erlebte. Sie weist meistens etwa folgende Elemente auf: Ein schon früh ausgebildetes Streben nach Wissen, Enttäuschung über die institutionalisierte Bildung bzw. über die Lehren der Vorgänger, skeptische Krise, Suche nach einem neuen Weg zur Wahrheit, Finden dieses Wegs und Vorstellen desselben. Das rhetorische Ziel dieser Selbstdarstellung besteht darin, die eigenen Lehren von den Versuchen und Theorien der Vorgänger und Zeitgenossen abzugrenzen und diese als untauglich darzustellen, um sich selbst als unabhängigen Denker und als Autorität auf seinem Gebiet zu etablieren und um so den eigenen Thesen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.17 Die Tatsache, daß die ‚Vorrede an den Leser‘ und der Beginn des Discours demselben literarischen Genre angehören, spricht jedoch nicht für eine Übereinstimmung der Gesamtintention dieser beiden Schriften. Liest man nämlich Sanchez’ intellektuelle Autobiographie zu Ende, so zeigt sich, daß diese in einem entscheidenden Punkt von derjenigen von Descartes abweicht. Anders als bei Descartes, bei dem die Rückwendung auf sich selbst die Überwindung des Zweifels zur Folge hat, verharrt Sanchez im Zweifel. Er beendet die Schilderung seiner wachsenden Enttäuschung daher mit folgenden Worten: „Ich hob alle Prinzipien auf bis auf die letzten. Von da her beginne ich meine Untersuchungen und je mehr ich 17
Zum literarischen Genre der intellektuellen Autobiographie in der Renaissance und seinen Wurzeln bei Galen vgl. Menn ().
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denke, um so mehr zweifle ich. Nichts kann ich vollkommen erfassen. Ich lasse die Hoffnung fahren.18“ Während das Denken bei Descartes im ‚cogito ergo sum‘ die Voraussetzung für die Überwindung des Zweifels findet, kommt Sanchez geradezu zum gegenteiligen Ergebnis: „[. . . ] je mehr ich denke, um so mehr zweifle ich (quo magis cogito magis dubito).“ Obschon Sanchez’ ‚Vorrede‘ und der Beginn von Descartes’ Discours deutliche Ähnlichkeiten aufweisen, verfolgen diese beiden Passagen somit dennoch eine sehr verschiedene Absicht. Im Gegensatz zu Descartes’ Selbstbeschreibung besteht das rhetorische Ziel von Sanchez’ intellektueller Autobiographie nämlich nicht darin, einer bestimmten Methode besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen, sondern seiner skeptischen Haltung. Das zweite Argument der Anhänger der konstruktiven Interpretation betrifft Sanchez’ mehrfache Äußerung der These, wonach alle Erkenntnis von den Sinnen stamme. Dies spreche dafür, daß er die aristotelisch-scholastische Wissenschaftstheorie, in der die Syllogistik im Zentrum stand, durch einen Empirismus ersetzen wollte. Dieser Empirismus werde in QNS – skizziert, wo Sanchez „Erfahrung und Urteil“ als die zwei einzigen Mittel behandelt, über die die „armen Menschen“ verfügen, „um die Wahrheit zu finden“.19 Dabei werden jedoch sowohl der argumentative Status von Sanchez’ scheinbaren empiristischen Positionsbezügen als auch die
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QNS vi. Der Text schließt unmittelbar an das vorherige Zitat an. Bezeichnenderweise verzichten Moreau (, ) und Limbrick (, ) in ihrem Vergleich der ‚Vorrede‘ mit dem Beginn des Discours auf die Anführung dieser Sätze. 19 Ishigami-Iagolnitzer (, und , ) spricht daher von einem dreiteiligen Aufbau von QNS: Im ersten Teil erkennt sie eine Kritik an der aristotelischen Logik und Metaphysik, im zweiten Teil eine Erkenntniskritik und im dritten Teil (gemeint ist wohl QNS ff.) die Wahl einer neuen „méthode empirique et rationelle de recherche“. Entsprechend betrachtet sie QNS als Manuskript einer Vorlesung, in der die Medizinstudenten in die empirische Forschungsmethode eingeführt wurden.
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argumentative Absicht seiner Ausführungen in QNS – außer Acht gelassen. Zunächst zu Sanchez’ scheinbaren Positionsbezügen zugunsten eines Empirismus. Es ist zwar durchaus auffällig, wie oft die Sinne in QNS als wichtigste Erkenntnisquelle bezeichnet werden.20 Die Erklärung für diesen Sachverhalt liegt jedoch nicht darin, daß Sanchez im Empirismus einen Ausweg aus dem Skeptizismus zu erkennen glaubte, sondern sie ergibt sich aus seiner Argumentationsweise. Wie gezeigt, argumentiert Sanchez in QNS im wesentlichen ad hominem, weshalb positive Aussagen nicht ohne Grund ihm selbst zugeschrieben werden dürfen. Dies gilt auch für die These, wonach alle Erkenntnis von den Sinnen stammt. Dabei handelt es sich nämlich um eine Kernthese der aristotelisch-scholastischen Erkenntnistheorie, die von Thomas von Aquin (–) auf folgende Formel gebracht wurde: „Nichts ist im Intellekt, was vorher nicht in den Sinnen war.“21 Obschon sich die scholastische Wissenschaftstheorie durch eine starke Ausrichtung auf logische Fragen auszeichnet, darf die Bedeutung der Sinne im Aristotelismus – auch in seiner scholastischen Ausprägung – nicht unterschätzt werden.22 Wenn Sanchez also wiederholt die These äußert, daß alle Erkenntnis von den Sinnen komme, so handelt es sich dabei nicht um eine Behauptung, die er in eigener Person vertritt, sondern er übernimmt damit vielmehr eine zentrale These seiner Gegner als Grundlage für seine skeptische Argumentation. Diese empiristische Zuspitzung ermöglicht es San20
Vgl. z.B. QNS : „Kommen wir also zum Schluß: Jede Erkenntnis wird von den Sinnen empfangen.“ Vgl. auch QNS , und die Gegenüberstellung von verschiedenen Weisen der Erkenntnis in QNS –, die mit dem Fazit endet, daß die Erkenntnis, die durch die Sinne erlangt wird, die gewisseste von allen sei. 21 Quaestiones disputatae de veritate quaest. , art. , arg. : „Nihil est in intellectu quod non sit prius in sensu.“ Diese These beruht auf einer Auslegung von Aristot. an. , a ff. und an. post. , a–b. 22 Zu Aristoteles’ Empirismus im allgemeinen vgl. Barnes (, –). Zur Bedeutung der Sinneswahrnehmung in der scholastischen Wissenschaftstheorie des . Jahrhunderts vgl. Schmitt (a) sowie Lindberg und Steneck ().
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chez zum einen, die klassischen skeptischen Argumente gegen die Verläßlichkeit der Sinneswahrnehmung auf die aristotelische Wissenschaftstheorie anzuwenden. Zum anderen erlaubt sie ihm, auf Spannungen innerhalb der Position seiner Gegner hinzuweisen.23 Der radikale Empirismus, der in der These, wonach alle Erkenntnis von den Sinnen stamme, scheinbar ausgedrückt wird, läßt sich nämlich mit anderen Bestandteilen der aristotelischen Lehre nur schwer vereinbaren. Im Zentrum steht dabei das bereits von den Scholastikern diskutierte Problem, daß wissenschaftliches Wissen im aristotelischen Sinn die Erkenntnis des Wesens der Dinge voraussetzt. Dieses Wesen ist jedoch – ebenfalls gemäß Aristoteles – nicht sinnlich wahrnehmbar. Kombiniert man diese beiden Thesen mit der These, daß die Erkenntnis ausschließlich von den Sinnen stamme, so scheint ein Wissen im Rahmen der aristotelischen Lehre unmöglich zu sein.24 Betrachten wir nun die argumentative Absicht von Sanchez’ Ausführungen zu Erfahrung (experimentum) und Urteil (iudicium) in QNS –. Dabei gilt es zunächst zwei Bemerkungen vorauszuschicken. Erstens verwendet Sanchez ‚experimentum‘ in der Regel nicht im Sinn des modernen Experiment-Begriffs. Seine Verwendung von ‚experimentum‘ bedeutet daher nicht, daß in dieser Passage von einer experimentellen Methode im modernen Sinn die Rede ist. In Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch seiner Zeit heißt ‚experimentum‘ und ebenso das synonym verwendete ‚experientia‘ bei Sanchez soviel wie ‚Erfahrung‘ in einem sehr allgemeinen Sinn.25 Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Erfahrung 23
Dieselbe starke Betonung der Bedeutung der Sinneswahrnehmung in der aristotelischen Wissenschaftstheorie läßt sich auch in Gianfrancesco Pico della Mirandolas skeptischer Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus feststellen, vgl. dazu Schmitt (, – und –). 24 Für dieses Argument vgl. QNS , , und ; zu einer scholastischen Lösung für dieses Problem vgl. unten S. CXXXVI–CXXXVIII. 25 Zur Bedeutung von ‚experientia‘ bzw. ‚experimentum‘ bei den Aristotelikern des . und . Jahrhunderts vgl. Des Chene (, –). Im Sinn des modernen Experiment-Begriffs erscheint ‚experimentum‘ erst bei Galileo Galilei (–) und Francis Bacon. Bei Sanchez findet er sich nur in
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aus einer gezielten Beobachtung einer Fachperson resultiert (diese Art der Erfahrung zeigt etwa, daß die Wirkung eines Giftes bisweilen durch die Wirkung eines anderen Giftes aufgehoben werden kann26) oder ob es sich dabei um die praktische Lebenserfahrung handelt, durch die „die alten Männer gelehrter sind [. . . ] und daher besser geeignet, sich um die menschlichen Angelegenheiten zu kümmern, als die Jungen“.27 Zweitens erhebt Sanchez mit seiner Nennung von Erfahrung und Urteil als einzige Mittel der Erkenntnis keinen Anspruch auf Originalität. Die Verbindung von Empirismus (Erfahrung) und Rationalismus (Urteil) findet sich schon als zentrale Forderung in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie Galens, der Erfahrung und Vernunft als einzige, aber auch hinreichende Quellen des Wissens betrachtete und der im . Jahrhundert weit über sein Fachgebiet der Medizin hinaus wirkte.28 Entsprechend wurden die Möglichkei-
der Marginalie zu QNS , wo tatsächlich ein Experiment mit Versuchsanleitung und zu erwartendem Resultat beschrieben wird. 26 Für dieses kontraintuitive Phänomen zitiert Sanchez in QNS zahlreiche Beispiele aus der antiken medizinischen Literatur. Es mag überraschen, daß Sanchez in QNS kaum ein experimentum referiert, das auf seiner eigenen Beobachtung beruht, sondern beinahe alle experimenta der Literatur entnimmt (explizit als eigene Erfahrungen eingeführt wird nur der Bericht von der Begegnung mit einem kläffenden Hund [QNS ] und vom Gespräch zwischen dem „sophistischen Schwätzer“ und dem „Unwissenden“ [QNS ]). Dies erklärt sich einerseits durch die übliche Praxis der Wissenschaftler der Frühen Neuzeit, die sich für ihre experientia ebenfalls zum größten Teil auf Texte stützten, vgl. dazu Des Chene (, ). Andererseits entspricht dieses Vorgehen Sanchez’ ad hominem-Argumentation: Indem er sich in seiner Argumentation in erster Linie auf experimenta aus Texten stützt, die von seinen Gegnern als verbindlich akzeptiert wurden, konfrontiert er sie mit einer größeren Herausforderung, als wenn er eigene Erfahrungen referieren würde. Im Gegensatz zu seinen persönlichen Erfahrungen können experimenta aus Texten, die autoritativen Status genießen, von seinen Gegnern nämlich nur schwer in Abrede gestellt werden. 27 QNS . 28 Vgl. dazu Gilbert (, –). Zur Erkenntnistheorie Galens vgl. Frede (a).
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ten und Grenzen von Erfahrung und Urteil als Mittel der Erkenntnis zu Sanchez’ Zeit rege diskutiert.29 Kommen wir nun zur argumentativen Funktion, die Sanchez’ Behandlung von Erfahrung und Urteil in QNS – zu erfüllen hat. Eine Berücksichtigung des weiteren argumentativen Kontexts dieser Passage zeigt, daß Sanchez damit keinen empiristischen Gegenentwurf zum scholastischen Aristotelismus beabsichtigt. Anlaß für seine Ausführungen bietet nämlich die Aufzählung von Schwierigkeiten, die sich der Möglichkeit des Wissens auf der Seite des Erkenntnissubjekts entgegenstellen.30 Wir erwarten in diesem Kontext somit eher die Darstellung von Erkenntnisproblemen als deren Lösung. Tatsächlich macht Sanchez gleich zu Beginn seiner Ausführungen deutlich, daß Erkenntnis und Urteil in seinen Augen keinen Ausweg aus dem Skeptizismus weisen: „Zwei Mittel haben die armen Menschen, um die Wahrheit zu finden, da sie ja über die Dinge an sich kein Wissen erlangen können. Wenn sie diese erkennen könnten, wie sie müßten, bedürften sie keines weiteren Mittels. Aber da sie dazu nicht fähig sind, haben sie Mittel gefunden, um ihrer Unwissenheit abzuhelfen. Deswegen verfügen sie durch diese nicht über mehr Wissen, zumindest nicht über vollkommenes, aber sie erfassen und lernen etwas. [. . . ] Inzwischen gib acht, daß sich aus den folgenden Überlegungen ergibt, daß nichts gewußt wird.“31 Zwar „lernen und erfahren“ die Menschen durch Erfahrung und Urteil etwas – entscheidend ist jedoch, daß diese Mittel in Sanchez’ Augen den Menschen kein Wissen verschaffen können. Entsprechend folgt auf diese einleitenden Worte auch nicht die Darle29
So spielen experimentum und iudicium beispielsweise in der Erkenntnistheorie des einflußreichen spanischen Humanisten Juan Luis Vives (– ) eine zentrale Rolle; vgl. dazu Noreña (, –), der darauf hinweist, daß Vives’ Verwendung des Wortes ‚experimentum‘ – wie bei Sanchez – nicht auf eine „theory of experimentation“ verweist, „not even in its most primitive form“ (S. ). Sanchez erwähnt Vives in QNS . Zu Sanchez’ Kenntnis von Vives vgl. Limbrick (, ff.). 30 Zum Aufbau von QNS vgl. unten S. CXLIX–CLXI. 31 QNS .
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gung einer empiristischen Methode, sondern eine Auflistung von Schwierigkeiten, die mit der Gewinnung von Erfahrung bzw. dem Fällen von richtigen Urteilen verbunden sind.32 Der Zweck von Sanchez’ Ausführungen zu experimentum und iudicium besteht somit gerade nicht darin, diese als verläßliche oder auch nur als hinreichende Mittel der Erkenntnis zu etablieren. Sanchez möchte vielmehr zeigen, daß sich auf Erfahrung und Urteil keine Wissenschaft aufbauen läßt. Entsprechend kann diese Passage auch nicht als Beleg für eine empiristische Ausrichtung einer sanchezischen Wissenschaftstheorie herangezogen werden. Damit bleiben den Anhängern der konstruktiven Interpretation nur noch Sanchez’ Absichtserklärungen, ein neues, besseres Fundament für die Wissenschaften finden zu wollen, und seine Ankündigung einer Schrift Über die Methode des Wissens, um ihre These zu stützen, daß sein Zweifel methodischer und nicht skeptischer Natur sei. Tatsächlich sagt Sanchez gegen Ende von QNS: „Denn ich habe im Sinn, eine möglichst feste und einfache Wissenschaft zu begründen, nicht aber eine, die voll Chimären und Fiktionen ist, die mit der Wahrheit der Sache unvereinbar sind und die nur als Beweis für das scharfsinnige Denkvermögen des Schreibenden und nicht zur Belehrung über die Dinge aufgeboten werden.“33 In den Augen der Vertreter der konstruktiven Interpretation läßt sich diese Aussage nicht mit einer skeptischen Haltung vereinbaren.34 Diese Ansicht beruht jedoch auf einem falschen Verständnis von Sanchez’ Skeptizismus. Das Festhalten an der Hoffnung, ein 32
Für die Probleme mit der Erfahrung vgl. QNS –; für die Probleme mit dem Urteil QNS –. 33 QNS . 34 Vgl. dazu bereits Joly (, ): „J’ajoute seulement qu’il [Sanchez] finit son Traité [QNS] par une promesse qui est un témoignage positif de son Anti-Pyrrhonisme.“ Vgl. auch Moreau (, ): „[. . . ] il n’en demeure pas moins que le projet ainsi formulé [gemeint ist De methodo sciendi] dans les dernières lignes du ‚Quod nihil scitur‘ atteste que ce traité n’est pas, en dépit de son titre, une profession de scepticisme [. . . ]“ und Crescini (, ): „Alla fine del suo trattato, quasi per confutare ante litteram tutti quei lettori e commentatori che numerosi vedranno in lui un corifeo del moderno
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sicheres Fundament für das Wissen zu finden, steht zwar im Widerspruch zum dogmatischen Skeptizismus, der behauptet, daß ein sicheres Wissen unmöglich sei. Wie bereits gezeigt vertritt Sanchez in QNS jedoch keinen dogmatischen, sondern einen undogmatischen Skeptizismus. Da er aber als undogmatischer Skeptiker nicht von sich behauptet zu wissen, daß nichts gewußt wird, kann er durchaus die Hoffnung hegen, irgendwann über ein sicheres Wissen zu verfügen. Sein Ziel, eine „feste und einfache Wissenschaft“ zu finden, bedeutet damit keineswegs einen Widerspruch zu derjenigen Form des Skeptizismus, die in QNS etabliert werden soll. Vor diesem Hintergrund zu verstehen ist auch Sanchez’ Ankündigung der Schrift Über die Methode des Wissens (De methodo sciendi bzw. De modo sciendi).35 Dabei gilt es zunächst festzuhalten, daß es sich dabei mit aller Wahrscheinlichkeit um ein bloßes Versprechen handelt, das nie eingelöst wurde.36 Weder Sanchez’ Söhne noch Delassus erwähnen eine Schrift dieses Namens und abgesehen von einer kurzen Notiz von Guy Patin zu Beginn des . Jahrhunderts, wonach Sanchez tatsächlich ein Buch Über die allgemeine Methode des Wissens verfaßt haben soll,37 fehlt davon bis heute jede Spur. Die
scetticismo, egli dichiara quale è il suo reale intendimento: ‚Ho in animo di fondare una scienza stabile [. . . ].‘“ 35 Für den Titel De methodo sciendi, vgl. QNS ; für die synonyme Variante De modo sciendi vgl. die Marginalien zu QNS und ; ein Verweis ohne Titelangabe findet sich in QNS . 36 Offenbar stand nicht einmal der Titel dieser Schrift fest, wie das Schwanken in Sanchez’ Verweisen zeigt. 37 Guy Patin in Naudé und Patin (, ): „Il a fait aussi un livre Espagnol de la Méthode universelle des Sciences qui est fort docte.“ Diese Information wurde von Louis Moréri (–) in seinen Grand Dictionnaire historique, ou le Mélange curieux de l’histoire sacrée et profane übernommen; vgl. dazu Moréri (, Bd. , S. ). Popkins These, wonach Sanchez den Begriff der ‚scientific method‘ eingeführt und damit die Suche nach der richtigen Methode von einem humanistischen Projekt in ein epistemologisches transformiert hätte, beruht zur Gänze auf den Aussagen von Patin und Moréri, vgl. dazu Popkin (, und Anm. ).
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herrschende Meinung in der aktuellen Sanchez-Forschung lautet daher, daß Sanchez eine solche Schrift nie geschrieben hat.38 Daß sich Sanchez’ Versprechen von De methodo sciendi durchaus mit seiner skeptischen Haltung vereinbaren läßt, zeigt eine nähere Betrachtung der ausführlichsten Schilderung dieses Vorhabens ganz am Ende von QNS: „Inzwischen mache ich mich daran, die Dinge zu untersuchen. Ob etwas gewußt wird und wie, werde ich in einem anderen Büchlein auseinandersetzen, in dem ich die Methode des Wissens, soweit es die Hinfälligkeit des Menschen zuläßt, darlegen werde. LEBE WOHL.“39 Nach diesen Worten plant Sanchez, sich im angekündigten Büchlein mit den Fragen auseinanderzusetzen, ob und wie etwas gewußt wird. Die Frage nach dem wie? setzt jedoch offensichtlich eine vorangehende Klärung der Frage nach dem ob? voraus, so daß Sanchez sein Vorhaben, eine Methode des Wissens vorzulegen, nur dann verwirklichen kann, wenn er zuvor eine positive Antwort auf die Frage, ob etwas gewußt wird, findet. Da diese Frage am Ende von QNS nach wie vor unbeantwortet ist, verfügt Sanchez zu diesem Zeitpunkt noch über keine Methode des Wissens. Seine Ankündigung einer solchen Methode kann daher bloß als ein verkürzt ausgesprochenes bedingtes Versprechen verstanden werden, das sich problemlos mit seiner skeptischen Haltung vereinbaren läßt. Sanchez stellt nämlich nur in Aussicht, eine Methode des Wissens darzulegen, falls er im Lauf seiner angekündigten Untersuchung der Dinge herausfindet, daß ein Wissen tatsächlich möglich ist. Ob er dieses Ziel erreicht, bleibt offen.40 Somit bedeutet auch Sanchez’ Ankündigung einer Schrift Über die Methode des Wissens keinen Widerspruch zur skeptischen Interpretation von QNS. Solange QNS aber keine Aussagen enthält, die 38
An die Existenz dieser Schrift – sei es als gedruckte Edition oder in Manuskriptform – glauben nur Senchet (, xxxi), Iriarte (, f.), Mellizo (, ) und Ishigami-Iagolnitzer (, ), wobei Senchet die nicht weiter begründete Vermutung anstellt, Sanchez habe das Manuskript dieses Werks, „qu’il ne jugeait pas digne de la postérité [. . . ]“, dem Feuer übergeben. 39 QNS . 40 Für dieses Verständnis der Schlußworte von QNS vgl. Caluori ().
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sich nicht mit einer skeptischen Haltung vereinbaren lassen, gibt es keinen eindeutigen Hinweis darauf, daß Sanchez’ Zweifel bloß dazu diente, die Wissenschaftstheorie der Scholastiker zu widerlegen, um so den Weg frei zu machen für eine eigene neue Theorie des Wissens. Entsprechend gibt es keinen Grund, die skeptische Interpretation zugunsten der konstruktiven aufzugeben und in Sanchez’ Zweifel etwas anderes zu sehen als den Ausdruck einer skeptischen Haltung, die in QNS anhand einer umfassenden Kritik der menschlichen Erkenntnisfähigkeit etabliert werden soll.
B. Der historische Hintergrund von ›Quod nihil scitur‹ . Sanchez und die früh-neuzeitliche Wiederentdeckung der antiken Skepsis Im Verlauf des . Jahrhunderts läßt sich im lateinischen Westen ein verstärktes Interesse für die antike Skepsis feststellen. Eine herausragende Rolle spielte dabei die Wiederentdeckung bzw. die erste wichtige früh-neuzeitliche Auseinandersetzung mit den umfassendsten und daher bedeutendsten Darstellungen der beiden Formen der antiken Skepsis: Ciceros Academica für die akademische Skepsis und Sextus Empiricus’ Grundriß der pyrrhonischen Skepsis und Adversus mathematicos für die pyrrhonische Skepsis. Zwar gehörte Cicero bereits im Mittelalter zu den bekanntesten und meistgelesenen antiken Autoren, doch fanden seine Academica in dieser Epoche nur sehr wenig Beachtung. Auch nach der ersten Drucklegung zusammen mit anderen philosophischen Werken Ciceros im Jahr verging mehr als ein halbes Jahrhundert, bis Pier Vettori (–) die ersten Scholien zu den Academica veröffentlichte. Zu einem eigentlichen „Revival of Academic scepticism“ kam es jedoch erst in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts im Kreis um den anti-aristotelischen Reformer Petrus Ramus (–). So verfaßte Omer Talon (–), ein Freund und Anhänger von Ramus, in den Jahren – einen einführenden Essay mit dem Titel Academica sowie einen umfangreichen Kommen-
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tar zum zweiten Buch von Ciceros Academica und trug damit wesentlich zum Wiedererwachen des Interesses an der akademischen Skepsis in der Frühen Neuzeit bei.1 Anders als Cicero war Sextus’ Werk im lateinischen Westen im Mittelalter nahezu unbekannt. Zwar existierte bereits zu Beginn des . Jahrhunderts eine lateinische Übersetzung, die heute in drei Manuskripten vorliegt, doch scheint von ihr keine große Wirkung ausgegangen zu sein.2 Eine erste Auseinandersetzung mit Sextus findet sich erst in Gianfrancesco Pico della Mirandolas’ Examen vanitatis ().3 Entscheidend für die Verbreitung der pyrrhonischen Skepsis ab dem späten . Jahrhundert war jedoch erst die Veröffentlichung der lateinischen Übersetzungen von Sextus’ Schriften: veröffentlichte Henri Estienne (Henricus Stephanus, –) seine Übersetzung des Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, und sieben Jahre später, , erschien Gentian Hervets (Gentianus Hervetus, –) Übersetzung von Adversus mathematicos. Diese Übersetzungen fanden schnell weite Verbreitung, und ihre Wirkung zeigt sich besonders deutlich in den Schriften von Michel de Montaigne, dessen Essais , d.h. nur gerade ein Jahr vor Sanchez’ QNS, zum ersten Mal erschienen sind.4 Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, daß auch Sanchez’ Skeptizismus in Zusammenhang mit der früh-neuzeitlichen 1
Schmitt (b, ) spricht von einem ‚Revival of Academic scepticism‘ in der Frühen Neuzeit. Eine ausführliche Studie zum Schicksal von Ciceros Academica und v.a. zu ihrer Wiederentdeckung in der Frühen Neuzeit bietet Schmitt (). Zu Petrus Ramus vgl. Ong (). 2 Für eine kritische Edition dieser Übersetzung vgl. Wittwer (in Vorbereitung); zur mittelalterlichen Überlieferung und zu den Voraussetzungen der früh-neuzeitlichen Wiederentdeckung von Sextus’ Schriften vgl. Floridi (). 3 Für den vollständigen Titel dieser Schrift vgl. oben S. LI Anm. . 4 Das Standardwerk zur Wirkung von Sextus’ Schriften in der Frühen Neuzeit ist Popkin (), dessen These, wonach das Aufkommen der modernen Philosophie im wesentlichen als Reaktion auf eine durch die Entdeckung dieser Texte hervorgerufene „crise pyrrhonienne“ zu erklären sei, bei Ayers (, –) und Perler () auf Widerspruch trifft.
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Wiederentdeckung des antiken Skeptizismus zu verstehen ist. Allein schon der Umstand, daß Sanchez in der Unerreichbarkeit eines sicheren Wissens eine denkbare Einschätzung unserer epistemischen Situation in dieser Welt zu erkennen glaubte, läßt sich nur schwer ohne Rückgriff auf antike Vorbilder erklären. Zwar bedienten sich bereits die mittelalterlichen Scholastiker in ihren erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen einzelner skeptischer Argumente, doch blieben die antiken Darstellungen bis tief ins . Jahrhundert die einzigen umfassenden Versuche, die skeptische Sichtweise als eine in sich konsistente Sichtweise der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zu etablieren.5 Erstaunlicherweise werden jedoch weder Ciceros Academica noch die Schriften von Sextus Empiricus in Sanchez’ gesamten Œuvre an irgendeiner Stelle erwähnt. Da Sanchez mit der Angabe seiner antiken Quellen normalerweise nicht geizt, läßt dieser Umstand darauf schließen, daß er diese Schriften nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies ist um so überraschender, wenn man bedenkt, daß sowohl Ramus und Talon, die maßgeblich für das erneute Interesse an Ciceros Academica verantwortlich waren, als auch die beiden Sextus-Übersetzer Estienne und Hervet sowie Montaigne, für dessen Skeptizismus Sextus’ Schriften von großer Bedeutung waren, in Frankreich wirkten. Man kann daher davon ausgehen, daß sowohl Ciceros Academica als auch Sextus’ Schriften zu der Zeit, als Sanchez QNS verfaßte, in seiner näheren Umgebung zugänglich gewesen wären.6 Die Abwesenheit von Ciceros Academica und den Schriften von Sextus Empiricus bedeutet jedoch keineswegs, daß der antike Skep5
Vgl. dazu auch unten S. CXLVff. Während das Fehlen von Verweisen auf Ciceros Academica in Sanchez’ Œuvre in der Literatur kaum für Aufsehen sorgte, rief die Abwesenheit von Sextus’ Schriften einige Diskussionen hervor. So halten Senchet (, ), de Carvalho (, xl), Comparot ( und ) und Ishigami-Iagolnitzer ( und ) Sextus trotz des Fehlens von eindeutigen Belegen für eine wichtige oder gar die wichtigste Quelle von Sanchez’ Skeptizismus. Gegen Sanchez’ Kenntnis der Schriften von Sextus äußern sich auf der anderen Seite Limbrick (, ) und Besnier (, f.). 6
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tizismus keinen Einfluß auf Sanchez’ eigenen Skeptizismus ausgeübt hätte. Zwar handelt es sind bei diesen Schriften um die vollständigsten Darstellungen des antiken Skeptizismus, doch enthalten auch weitere antike Texte, die zu Sanchez’ Zeit im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung der antiken Skepsis ebenfalls vermehrt Beachtung fanden, einige Informationen über diese Richtung der antiken Philosophie. Zu nennen ist etwa Diogenes Laertios’ (. Jh. n. Chr.) Schrift Vitae philosophorum, die in den dreißiger Jahren des . Jahrhunderts zum ersten Mal auf lateinisch übersetzt wurde und bald einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte. Auseinandersetzungen mit dem antiken Skeptizismus finden sich auch bei Plutarch (ca. –vor n. Chr.), dessen Werk im Lauf des . und . Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt wurde, sowie bei Galen, dessen eher praktisch ausgerichteten Schriften zwar bereits im Mittelalter in lateinischen Übersetzungen vorlagen, dessen philosophische Bedeutung jedoch erst nach erhellte, als sein Gesamtwerk zum ersten Mal in griechischer Sprache gedruckt und im Anschluß daran ins Lateinische übersetzt wurde. Weitere Informationen enthalten Aulus Gellius’ (. Jh. n. Chr.) Noctes Atticae und die Schriften einiger Kirchenväter, v.a. Augustins Contra Academicos, Laktanz’ (ca. –ca. ) Divinae institutiones und Eusebios’ (ca. –ca. n. Chr.) Praeparatio evangelica.7 Daß sich Sanchez mit einigen dieser Texte auseinandergesetzt hat, zeigen zahlreiche Verweise in QNS. Explizit als Quellen seiner Kenntnisse über die antiken Skeptiker nennt er – meist zugleich – das neunte Buch von Diogenes Laertios’ Vitae philosophorum und Plutarchs Adversus Colotem. An je einer Stelle erwähnt er außerdem Plutarchs Lucullus und Galens De optima doctrina.8 Auch wenn Sanchez’ Kenntnis des antiken Quellenmaterials damit als einigerma7
Detaillierte Einzelstudien zur Wirkung dieser Schriften in der Renaissance liegen leider nicht vor, vgl. aber Schmitt (b) und Grafton (). 8 Für die Verweise auf Diogenes Laertios und Plutarchs Adversus Colotem vgl. die Marginalien zu QNS (zusammen mit dem Verweis auf Galens De optima doctrina), (zusammen mit dem Verweis auf Plutarchs Lucullus), und . Auf Adversus Colotem allein verweist Sanchez in der Marginalie zu QNS .
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ßen beschränkt erscheinen mag,9 erlauben diese Schriften zusammengenommen dennoch einen gewissen Überblick über die antike Skepsis sowohl in ihrer pyrrhonischen als auch in ihrer akademischen Ausformung. So enthält das neunte Buch von Diogenes Laertios’ Vitae philosophorum eine ausführliche Darstellung der pyrrhonischen Skepsis.10 Substantielle Informationen über die akademische Skepsis enthalten Plutarchs Adversus Colotem und Galens De optima doctrina. Plutarchs Adversus Colotem ist eine späte Antwort auf eine Schrift eines Epikureers namens Kolotes von Lampsakos (geb. ca. v. Chr.), in welcher dieser zeigen wollte, daß nur der Epikureismus eine konsistente Lebensführung erlaube, während die Lehren der übrigen Philosophen eine solche gänzlich verhinderten. In seinem Versuch, Arkesilaos (/–/ v. Chr.), den Begründer der skeptischen Akademie, gegen diesen Vorwurf zu verteidigen, gibt Plutarch einen Einblick in die akademische Skepsis.11 In De optima doctrina richtet sich Galen gegen Favorinus von Arelate (/–ca. n. Chr.), einen späten Anhänger der skeptischen Akademie, der die These vertrat, daß die akademische Skepsis über die beste Lehrmethode verfüge.12 Nur ganz kurz erwähnt wird die akademische Skepsis schließlich auch in Plutarchs Lucullus, einer Biographie des Lucius Licinius Lucullus (– v. Chr.), dem Cicero in den Academica die Rolle des Gegners der akademischen Skepsis übertrug.13 Neben den Informationen, die Sanchez diesen Texten entnehmen konnte, ist außerdem damit zu rechnen, daß er auch über seine Zeitgenossen mit den Ansichten der antiken Skeptiker in Kontakt kam, so daß er seine Kenntnisse auf diesem indirekten Weg noch vertiefen konnte. Entsprechend ist sich die Forschung darin einig, daß das Wiederaufleben des antiken Skeptizismus in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle für Sanchez’ eigenen Skeptizismus 9
So Limbrick (, ): „Compared to his predecessors his knowlegde of ancient sceptical sources was very limited.“ 10 Vgl. Diog. Laert. ,–. 11 Adversus Colotem c ff. 12 Sanchez erwähnt Favorinus in QNS . 13 Vgl. dazu Plut. Luc. .
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spielte. Umstritten ist jedoch die Frage, welche der beiden Varianten dabei eher zum Tragen kommt. Ist Sanchez’ Skeptizismus eher akademisch oder eher pyrrhonisch ausgerichtet?14 Sanchez selbst äußert sich in QNS nicht zu dieser Frage, doch glaubt Limbrick, gestützt auf zwei Äußerungen aus seinem übrigen Werk, daß er sich eindeutig als Anhänger der akademischen Skepsis betrachtete.15 Erstens gibt sich Sanchez – wie bereits gezeigt – in seinem Brief an Clavius als Carneades philosophus aus und wählt damit den Namen eines Vorstehers der skeptischen Akademie als sein Pseudonym.16 Zweitens beruft er sich in einer seiner medizinischen Schriften für seinen Verzicht auf eigene Behauptungen auf die „Art der Akademiker (Academicorum more)“.17 Zwar scheint aus diesen beiden Äußerungen tatsächlich eindeutig hervorzugehen, daß sich Sanchez der akademischen Skepsis verpflichtet fühlte. Es gilt jedoch zu bedenken, daß die Ausdrücke ‚pyrrhonisch‘, ‚akademisch‘ und ‚skeptisch‘ in der Frühen Neuzeit meist synonym verwendet wurden.18 Dies scheint auch bei Sanchez der Fall zu sein. Zumindest lassen seine Aussagen über die Pyrrho14
Einen pyrrhonischen Einfluß sehen Senchet (, v.a –), de Carvalho (, xxvi), Comparot (, und , ), Suárez Dobarrio (, ff.) und Ishigami-Iagolnitzer ( und ). Eine akademische Prägung meinen zu erkennen: Moreau ( und ), Limbrick ( und ), Besnier () und Popkin (, ). 15 Limbrick (, ): „From the few direct references he makes to sceptical doctrine in his other works we can only conclude that he considered himself to be a follower of the New Academy.“ 16 Vgl. dazu oben S. XXVIII. 17 In librum Galeni de pulsibus ad tyrones commentarii, Opera medica, S. : „Darüber zu urteilen überlassen wir jedoch den anderen und – indem wir nach Art der Akademiker nichts behaupten – gestehen wir jedem seine freie Wahlmöglichkeit zu (Quae tamen iudicanda aliis relinquimus, et Academicorum more nihil affirmantes, cuique liberam eligendi potestatem concedimus).“ 18 Vgl. dazu Schmitt (, und ) und Limbrick (, f.). Ein Hauptgrund für diese terminologische Unschärfe liegt wohl darin, daß der eigentliche Unterschied zwischen den beiden Formen der Skepsis bereits in der Antike umstritten war; vgl. dazu Sextus Empiricus P.H. ,– und – und Aulus Gellius ,,; für einen modernen Versuch einer Unterscheidung vgl. Striker ().
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neer und die Akademiker in QNS den Schluß nicht zu, daß sich diese beiden Richtungen in seinen Augen in relevanter Weise voneinander unterschieden hätten.19 Damit verlieren jedoch die von Limbrick angeführten Belege die nötige Eindeutigkeit. Wenn sich Sanchez als Karneades ausgab und sich für den Verzicht auf Behauptungen in eigener Person auf die „Art der Akademiker“ berief, so wollte er damit zwar zweifellos einen Bezug herstellen zwischen seiner Weise des Philosophierens und derjenigen der antiken Skeptiker. Ob er sich dabei zugleich auch auf die Seite der Akademiker stellen wollte, muß dagegen aufgrund seiner terminologischen Unschärfe offen bleiben.20 Daß Sanchez die Pyrrhoneer und die Akademiker offenbar nicht voneinander unterschieden hat, bedeutet jedoch keineswegs, daß sich sein Skeptizismus nicht dennoch eher mit der einen als mit der anderen der beiden Varianten der antiken Skepsis in Verbindung bringen läßt. Entsprechend wurde verschiedentlich versucht, Sanchez’ Skeptizismus aufgrund von impliziten Übereinstimmungen als spezifisch akademisch bzw. pyrrhonisch zu erweisen. So wurde auf der einen Seite Sanchez’ Verwendung der sogenannten skeptischen Tropen (von gr. tropos, Art, Weise) als Argu19
Sanchez erwähnt die Pyrrhoneer in QNS nur gerade vier Mal und die Akademiker sogar nur zwei Mal. Dabei erwähnt er die Akademiker und die Pyrrhoneer zwei Mal zusammen, und zwar einmal mit den „sogenannten Skeptikern zusammen mit Favorinus“ (QNS , dies ist der einzige Beleg des Wortes ‚Skeptiker‘ in QNS) und einmal zusammen mit Xenophanes (Marg. zu QNS ). In den zwei weiteren Erwähnungen kommen die Akademiker nicht vor, dagegen werden hier die Pyrrhoneer – erstaunlicherweise – zusammen mit den Dogmatikern Demokrit (. H. . Jh.v. Chr.) und Epikur genannt (Marg. zu QNS und ). 20 Die synonyme Verwendung der Namen der beiden antiken Richtungen der Skepsis relativiert auch eine Aussage von Sanchez’ Biograph Delassus, wonach Sanchez „von der pyrrhonischen Urteilsenthaltung Gebrauch machte (ad ἐποχήν Pyrrhoniam recurrisse)“ (Opera medica, S. êr ), und ebenso Bayles Einschätzung von Sanchez als „grand Pyrrhonien“ (vgl. dazu oben S. IX). Sowohl Delassus als auch Bayle wollten damit wohl ebenfalls nicht mehr sagen, als daß sie Sanchez als Skeptiker betrachteten.
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ment für eine pyrrhonische Ausrichtung seines Skeptizismus ins Feld geführt.21 Dabei handelt es sich um bestimmte Argumentationsformen, die in den Darstellungen der pyrrhonischen Skepsis einigen Raum einnehmen.22 Am bekanntesten sind die Zehn Tropen des Ainesidemos, die v.a. auf die Verschiedenheit von Erscheinungen abzielen, und die Fünf Tropen des Agrippa, die die Annahme von Letztbegründungen problematisieren.23 Als Tropen des Ainesidemos lassen sich Sanchez’ Verweise auf die Mannigfaltigkeit der einzelnen Menschen,24 auf die Verschiedenheit ihrer Sitten25 und auf die Folgen der Veränderungen von Mischungsverhältnissen,26 Distanz und Position27 sowie auf die Veränderlichkeit unserer psychischen und physischen Konstitution28 interpretieren. Als Beispiele für die Tropen des Agrippa können Sanchez’ Verwendung des Diaphonie-Arguments und des Regreß-Arguments dienen.29 21
So Senchet (, Anm. ) und Ishigami-Iagolnitzer (, f.). Die ausführlichste antike Darstellung der skeptischen Tropen bietet Sextus Empiricus P.H. ,–. Da aber auch Diogenes Laertios ,– einen vollständigen Überblick über diese Argumentationsformen bietet, kann ihr Erscheinen in QNS entgegen de Carvalho (, xl) nicht als Beweis für Sanchez’ Kenntnis von Sextus’ Schriften dienen. 23 Zu den Zehn Tropen des Ainesidemos vgl. Annas und Barnes (, –); zu den Fünf Tropen des Agrippa vgl. Barnes (). 24 QNS ; vgl. Diog. Laert. ,: nach Diogenes’ Zählung der zweite Tropos des Ainesidemos. 25 QNS ; vgl. Diog. Laert. ,: Fünfter Tropos. 26 QNS (Mischungsverhältnis der Luft), (Mischungsverhältnis der Farben), und (Mischungsverhältnis des menschlichen Körpers); vgl. Diog. Laert. ,: Sechster Tropos. 27 Z.B. QNS ; vgl. Diog. Laert. ,: Siebter Tropos. 28 Z.B. – (Veränderung aufgrund Krankheit, Alter und Gemütsbewegungen); vgl. Diog. Laert. ,: Vierter Tropos. 29 Dabei handelt es sich um den ersten und den zweiten Tropos des Agrippa, vgl. Diog. Laert. ,. Für ein Diaphonie-Argument vgl. z.B. QNS . Für ein Regreß-Argument vgl. QNS –. Möglicherweise ließe sich die Liste der skeptischen Tropen in QNS noch verlängern, doch ist ein eindeutiger Nachweis eines bestimmten Tropos an einer bestimmten Stelle nicht immer möglich. So ist beispielsweise nicht klar, ob Sanchez’ Argument, daß „jede Wissenschaft eine Erdichtung“ sei, da sie auf unbeweisbaren Hypo22
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Auf der anderen Seite sah man in der Gesamtanlage von Sanchez’ Argumentation einen Hinweis auf eine akademische Ausrichtung seines Skeptizismus: Ebenso wie die Akademiker entwickle Sanchez seinen Skeptizismus in einer dialektischen Auseinandersetzung mit einer konkreten dogmatischen Gegenposition. Bei den Akademikern war dies die Lehre der Stoiker, bei Sanchez der Aristotelismus der Scholastiker.30 Das uneindeutige Ergebnis dieser Versuche zeigt jedoch, daß sich Sanchez’ Skeptizismus weder aufgrund einzelner Argumente noch aufgrund seiner Argumentationsweise insgesamt eindeutig eher mit der einen als mit der anderen der beiden Formen des antiken Skeptizismus in Verbindung bringen läßt. Zum einen macht die bloße Verwendung einiger skeptischer Tropen aus Sanchez noch keinen Pyrrhoneer. Sanchez bedient sich dieser Tropen nämlich mit dem Ziel, die Wissensansprüche seiner dogmatischen Gegner zu untergraben, und dieses Ziel läßt sich sowohl mit der pyrrhonischen als auch mit der akademischen Skepsis vereinbaren. Zum anderen unterscheidet sich die Argumentationsweise der Akademiker nicht grundsätzlich von derjenigen der Pyrrhoneer, die ihre skeptische Sichtweise durchaus auch in Auseinandersetzung mit einer konkreten gegnerischen Position etablieren konnten. Wenn sich die Frage nach einer spezifisch akademischen bzw. pyrrhonischen Ausrichtung von Sanchez’ Skeptizismus auf der Ebene seiner Argumentation kaum eindeutig beantworten läßt, bleibt immer noch die Möglichkeit, daß er im Hinblick auf gewisse grundlegendere Züge eher mit der einen als mit der anderen der beiden Formen der antiken Skepsis übereinstimmt.31 Für eine solche grundlegendere Übereinstimmung mit der akademischen Skepsis argumentiert Limbrick, wiederum gestützt auf eine Stelle aus Santhesen beruhe (vgl. dazu QNS –), eher als eine Verwendung des vierten Tropos des Agrippa zu erklären ist, oder ob es sich dabei um eine Bezugnahme auf Aristoteles’ Auseinandersetzung mit diesem Problem in an. post. , b– handelt. 30 Für diese Parallele vgl. Suárez Dobarrio (, f.). 31 Für das folgende vgl. auch Caluori ().
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chez’ medizinischen Schriften, an der Sanchez eine Diskussion verschiedener Theorien mit folgenden Worten abschließt: „Indem wir jedoch dem folgen, was glaubwürdiger erscheint, werden wir sagen [. . . ]“32 Tatsächlich erinnert diese Aussage in ihrem Wortlaut stark an Ciceros Darstellung der akademischen Skepsis, in der sich die Akademiker gerade dadurch von ihren dogmatischen Gegnern unterscheiden, daß sie keinen Anspruch auf Gewißheit erheben, sondern in ihren Entscheidungen dem folgen, was ihnen glaubwürdig erscheint. Entsprechend kann der Ausdruck ‚dem Glaubwürdigen folgen (probabilia sequi)‘ Cicero geradezu als implizites Kennzeichen der akademischen Skepsis dienen.33 Dabei bezeichnet ‚probabile‘ – Ciceros Übersetzung für gr. ‚pithanon‘ – in Ciceros Terminologie nicht nur die Glaubwürdigkeit als subjektive Eigenschaft einer Überzeugung, sondern zugleich auch deren objektive Wahrscheinlichkeit.34 In diesem Sinn dient das probabile in Ciceros Darstellung den Akademikern als „Kriterium sowohl in der Lebensführung als auch beim Untersuchen und Erörtern“.35 Dieses Kriterium garantiert zwar nicht die Wahrheit einer Überzeugung, doch gilt immerhin, daß Überzeugungen, die dieses Kriterium erfüllen, d.h. daß Überzeugungen, die ‚glaubwürdig‘ sind, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zutreffen.
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In librum Galeni de differentiis morborum commentarii, Opera medica, S. : „Nos tamen quod probabilius videtur sectantes, dicemus [. . . ]“ 33 Vgl. z.B. Cic. Tusc. ,: „Solche [Widerlegungen] verärgern nur jene, die sich einigen gewissen und festgesetzten Thesen geradezu verschrieben und verschworen haben [. . . ]. Wir aber [d.h. die Akademiker], die dem Glaubwürdigen folgen (qui sequimur probabilia) und nicht über das, was wahrscheinlich erscheint, hinausgelangen können, sind bereit, ohne Starrsinn zu widerlegen und ohne Zorn widerlegt zu werden.“ Vgl. auch off. ,; für die zahlreichen weiteren Belege des Ausdrucks ‚probabilia sequi‘ bei Cicero vgl. H. Merguet, Lexikon zu den philosophischen Schriften Cicero’s (Hildesheim ) s.v. ‚probabilis‘ Bd. , S. . 34 Vgl. dazu Fuhrer (). 35 Cic. Luc. . Zwar spricht hier der dogmatische Gegner der skeptischen Akademie, doch gibt diese Schilderung Ciceros Ansicht treffend wieder.
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In Ciceros Augen vertreten die akademischen Skeptiker somit eine Art Probabilismus: Zwar verfügten die Menschen nicht über ein absolutes Kriterium zur Unterscheidung von Wahr und Falsch, eine gewisse Annäherung an die Wahrheit sei jedoch trotzdem möglich, solange man sich an Erscheinungen oder Thesen halte, die sich nach eingehender Prüfung als glaubwürdig und daher auch als objektiv wahrscheinlich, d.h. als eher wahr denn falsch, erweisen.36 Einen Hinweis auf einen solchen Probabilismus glaubt Limbrick in der eben zitierten Äußerung von Sanchez zu erkennen.37 Dabei ist jedoch vorausgesetzt, daß Sanchez mit seiner Verwendung von ‚probabile‘ dem ciceronischen Sprachgebrauch folgte und daher ebenfalls davon ausging, daß die Glaubwürdigkeit einer Überzeugung als Gradmesser ihrer objektiven Wahrscheinlichkeit dienen kann. Ob dies tatsächlich der Fall war, läßt sich jedoch an der vor-
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Diese probabilistische Auffassung der akademischen Skepsis, die in der Literatur bisweilen als konstruktiver oder gemilderter Skeptizismus bezeichnet wird, verdankt Cicero seinem Lehrer Philon von Larissa (/– / v. Chr.), dem Vorsteher der Akademie von /– v. Chr. Mit dieser Auffassung wandte sich Philon gegen den radikaleren Skeptizismus seines Vorgängers Kleitomachos (/–/ v. Chr.). Im Gegensatz zu Philon betrachtete Kleitomachos die Glaubwürdigkeit nämlich bloß als eine subjektive Eigenschaft von Überzeugungen, die keinen Schluß auf deren objektiven Wahrscheinlichkeitsgrad rechtfertigt. Philons probabilistische Auffassung setzte sich – wohl vor allem dank des Einflusses von Ciceros Schriften – zumindest im lateinischen Westen bereits in der Antike durch und bestimmte die Rezeption des akademischen Skeptizismus für die kommenden Jahrhunderte. Zum Unterschied zwischen der philonischen und der kleitomacheischen Interpretation der akademischen Skepsis vgl. Frede () und Brittain (, –). Wenn im folgenden vom akademischen Skeptizismus die Rede ist, so meinen wir damit ausschließlich die philonische Richtung. 37 Vgl. dazu z.B. Limbrick (, ): „Sanches’s refusal to recognise the authority of ancient philosophers [. . . ] explains the attraction that the New Academy under Carneades held for him. It was the only school of sceptical thought that proposed a constructive form of scepticism by allowing assent to a concurrence of credible impressions that are consistent and have been tested, and thus laid down the criteria for a doctrine of empirical evidence.“
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liegenden Stelle mangels eindeutigem Kontext nicht mit Sicherheit sagen. Prüft man Limbricks These anhand von QNS, in dem Sanchez seinen Skeptizismus am ausführlichsten begründet, so stellt man zunächst fest, daß der Ausdruck ‚probabile‘, der in Ciceros Darstellung der akademischen Skepsis eine so prominente Rolle spielt, in QNS nur gerade dreimal vorkommt. An zwei Stellen wird er außerdem bloß zur Verunglimpfung der Meinungen seiner Gegner verwendet, weshalb diese beiden Belege kaum zur Klärung seiner Bedeutung beitragen können.38 Aufschlußreicher ist dagegen die dritte Belegstelle, in der sich Sanchez mit der Frage beschäftigt, wie der Geist auf einen Fehler in der Sinneswahrnehmung reagieren könne: „Wenn er [der Geist] den Fehler sieht [. . . ], schreitet er zurück und sucht den Ort, wo die Ursache des Mangels liegt. Er findet ihn nicht. Er verdächtigt dieses oder jenes Medium. In bezug darauf fragt er sich dann, ob es wahr oder falsch sei. Er kann es nicht wissen, da er über den Sinnen ist. Er handelt aufgrund der Glaubwürdigkeit (probabiliter agitat). So geht es weiter bis ins Unendliche. Es gibt keinen Schluß, nur ständigen Zweifel.“39 Aus dieser Stelle geht deutlich hervor, daß Sanchez keinen inneren Zusammenhang sieht zwischen der subjektiven Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrheit bzw. Wahrscheinlichkeit einer Überzeugung. Zwar kann der Geist Mutmaßungen darüber anstellen, welches Medium für die Sinnestäuschung verantwortlich war, und er kann dabei sogar auf ein Ergebnis kommen, das ihm glaubwürdig erscheint. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß dieses Ergebnis deshalb wahr oder auch nur wahrscheinlich ist. Der Geist kommt trotz allen Abwägungen der Wahrheit nicht näher, sondern er bleibt im „ständigen Zweifel“. Anders als bei Cicero dient die Glaubwürdigkeit bei Sanchez somit nicht als Wegweiser zu einer Annäherung an die Wahrheit. Wenn Sanchez aber nicht davon ausging, daß die Glaubwürdigkeit einen Weg zu einer Annäherung 38 39
Diese beiden Belege finden sich in QNS und . QNS .
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an die Wahrheit weise, so kann er im akademischen Probabilismus keine gangbare Alternative zur kritisierten aristotelischen Erkenntnistheorie mit ihrem Anspruch auf Gewißheit gesehen haben. Die nicht-probabilistische Auffassung des probabile unterscheidet Sanchez’ Skeptizismus jedoch nicht nur wesentlich vom akademischen Skeptizismus Ciceros, sondern sie rückt ihn zugleich auf die Seite der Pyrrhoneer. Gemäß Sextus Empiricus weichen nämlich die Akademiker u.a. dadurch von den Pyrrhoneern ab, daß sie zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Erscheinungen unterschieden und die glaubwürdigeren den weniger glaubwürdigen vorzögen, in der Meinung, was über mehr Glaubwürdigkeit verfüge, treffe eher zu als sein Gegenteil. Wer aber ein Ding dem anderen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit vorziehe, der „verliert den Charakter des [pyrrhonischen] Skeptizismus“.40 Da Sanchez die Glaubwürdigkeit offenbar nicht als Gradmesser der objektiven Wahrscheinlichkeit betrachtete, gibt es für ihn keinen Grund, Glaubwürdigeres dem weniger Glaubwürdigen vorzuziehen. Im Hinblick auf seine Einschätzung der Glaubwürdigkeit stimmt Sanchez somit mit den Pyrrhoneern, nicht aber mit den Akademikern überein. Auch im Hinblick auf einen weiteren wesentlichen Unterschied zwischen den Akademikern Ciceros und den Pyrrhoneern läßt sich Sanchez eindeutig auf der Seite der Pyrrhoneer positionieren. Dieser Unterschied betrifft die Haltung gegenüber der Aussage, daß nichts gewußt wird. In Sextus’ Augen unterscheiden sich die Akademiker in dieser Hinsicht dadurch wesentlich von den Pyrrhoneern, daß sie „versichern, daß dies der Fall sei, während der [pyrrhonische] Skeptiker es auch für möglich hält, daß einiges erfaßt werden könne“.41 Tatsächlich betrachteten die Akademiker der philonischen Richtung die These, daß nichts gewußt werden kann, als glaubwürdiger und daher auch als objektiv wahrscheinlicher als die entgegengesetzte These. Entsprechend sahen sie sich darin gerechtfertigt, die Frage nach der Möglichkeit des Wissens negativ 40 41
Vgl. dazu Sextus Empiricus P.H. ,–; das Zitat steht in ,. Sextus Empiricus P.H. ,.
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zu beantworten.42 Auch wenn diese Antwort bloß provisorischen Charakter hat und explizit auf einen Anspruch auf Gewißheit verzichtet, unterscheiden sich die Akademiker durch diesen Positionsbezug dennoch wesentlich von den Pyrrhoneern, die sich auch in dieser Frage des Urteils enthalten. Obschon Sanchez diesen Unterschied zwischen der pyrrhonischen und der akademischen Skepsis nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheint,43 läßt sich seine Haltung gegenüber der These, daß nichts gewußt wird, eher mit derjenigen der Pyrrhoneer als mit derjenigen der Akademiker vergleichen. Dies wird bereits am Beginn von QNS deutlich, wo Sanchez – wie gezeigt – von sich selbst sagt, daß er nicht einmal wisse, daß er nichts wisse.44 Ebenso wie die Pyrrhoneer sah sich Sanchez somit nicht in der Lage, die Frage nach der Möglichkeit des Wissens – auch nur provisorisch – zu beantworten. Obschon Sanchez hinsichtlich zweier wesentlicher Punkte mit den Pyrrhoneern übereinstimmt und sein Skeptizismus somit eher pyrrhonisch als akademisch ausgerichtet ist, weicht er zumindest in einer Hinsicht auch vom Skeptizismus der Pyrrhoneer ab. Nach Sextus Empiricus besteht das ursprüngliche Ziel des Skeptikers in der Erlangung der Seelenruhe (gr. ataraxia). Verwirrt durch die „Anomalie in den Dingen“ begann er seine philosophischen Untersuchungen mit dem Ziel herauszufinden, was wahr und was falsch sei, um durch die Entscheidung dieser Frage zur Seelenruhe zu gelangen. Dabei sah er sich jedoch mit entgegengesetzten Erscheinungen und Theorien zu diesen Anomalien konfrontiert, die jeweils über dieselbe Überzeugungskraft verfügten. In Anbetracht des Kräftegleichgewichts (gr. isostheneia) zwischen den widerstreitenden Erscheinungen bzw. Theorien sah er sich nicht in der Lage, ein Urteil zu fällen, und auf diese Urteilsenthaltung (gr. epoche) 42
Vgl. etwa Cic. Luc. – und . Vgl. dazu QNS , wo Sanchez die Verneinung der Erreichbarkeit des Wissens unterschiedslos sowohl den Akademikern als auch den Pyrrhoneern zuschreibt. 44 Vgl. dazu oben S. XL–XLIV. 43
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folgte unerwarteterweise die ursprünglich angestrebte Seelenruhe „wie ein Schatten einem Körper“.45 Sextus beschreibt die pyrrhonische Skepsis somit als ein Verfahren, das mit einer Verwirrung beginnt und an dessen Ende sich die Seelenruhe einstellt.46 Von dieser Seelenruhe, die gleichsam das Ziel der pyrrhonischen Argumentationspraxis darstellt, ist in QNS an keiner Stelle die Rede – im Gegenteil. So beschreibt Sanchez z.B. die Wirkung der Vielfalt der Dinge auf den menschlichen Geist mit folgenden Worten: „Die Vielfalt der Dinge, die vielfache Form, Gestalt, Quantität, das Bewirken und die zahlreichen und so verschiedenen Verwendungsweisen umkreisen unseren Geist – oder besser: lenken ihn in dem Maß ab, daß er weder etwas mit Sicherheit hervorbringen noch empfinden könnte, ohne daß er von einer anderen Seite her bedrängt würde und sich gezwungen sähe, einer Meinung nachzugeben, und so kommt er, indem er hierhin und dahin schwankt, nie zur Ruhe.“47 Im Gegensatz zum Skeptizismus der Pyrrhoneer resultiert Sanchez’ Zweifel somit nicht in der Erlangung der Seelenruhe. Sein Geist schwankt vielmehr zwischen den verschiedenen Meinungen hin und her und kommt dabei „nie zur Ruhe“. Diese Abweichung vom Pyrrhonismus verweist auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Sanchez’ Skeptizismus und dem antiken Skeptizismus überhaupt. Ein charakteristisches Merkmal der antiken Philosophie ist ihre Ausrichtung auf das gute Leben. In der Antike wurde die Beschäftigung mit philosophischen Fragen nicht als Selbstzweck betrieben. Das letzte Ziel des Philosophierens bestand darin, das Glück eines gelingenden Lebens (gr.: eudaimonia) zu erreichen. Die antike Philosophie läßt sich daher insgesamt als eine rationale Anleitung zu einer gelingenden Lebensführung verstehen.48 Dies gilt auch für die beiden Ausformungen des antiken Skeptizismus, der sich daher nicht auf die Formulierung einer 45
Vgl. dazu Sextus Empiricus P.H. ,. . –; Diog. Laert. ,. Vgl. dazu Striker (). 47 QNS . 48 Für die lebenspraktische Ausrichtung der antiken Philosophie vgl. Horn (). 46
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epistemologischen These reduzieren läßt. Er präsentiert sich vielmehr als eine vielversprechende „philosophy to live by“,49 die – ebenso wie die Lehren der dogmatischen Schulen – den Anspruch erhebt, den Menschen ein glückliches Leben zu verschaffen. Entsprechend sahen sowohl die Akademiker als auch die Pyrrhoneer in der Abwesenheit eines sicheren Wahrheitskriteriums und damit in der Abwesenheit eines sicheren Wissens kein grundsätzliches Hindernis für eine glückliche Lebensführung. Sanchez scheint diese Einschätzung nicht zu teilen. Anders als Ciceros Academica oder Sextus’ Grundriß präsentiert sich Sanchez’ QNS nicht als Werbeschrift für eine skeptische Sicht- und eine entsprechende Lebensweise. Sanchez beschränkt sich darauf zu zeigen, daß die Wissensansprüche seiner Gegner verfehlt sind. Allfällige positive Aspekte einer skeptischen Sichtweise kommen dagegen an keiner Stelle zur Sprache. Statt dessen beklagt Sanchez das „elende Los“ der Menschen in ihrer epistemischen Beschränktheit.50 In diesen Klagen, die in den Schriften der antiken Skeptiker keine Entsprechung finden,51 zeigt sich eine grundlegende Änderung der Bewertung der Situation des Skeptikers. Im Gegensatz zu den antiken Skeptikern betrachtet Sanchez die NichtErreichbarkeit eines sicheren Wissens nämlich als ein schwerwiegendes Problem, das er zwar zu überwinden hofft, für das aber keine Lösung in Sicht ist. Entsprechend präsentiert er die skepti49
So Burnyeat (b) über den pyrrhonischen Skeptizismus. Zu diesen Klagen vgl. auch oben S. LIV. 51 Daß die Menschen in Abwesenheit eines sicheren Wissens eine traurige Existenz führten, ist vielmehr ein Bestandteil der anti-skeptischen Argumentation der antiken Dogmatiker. Vgl. z.B. Cic. Luc. , wo der Dogmatiker Lucullus sich mit folgenden Worten an Cicero, den Vertreter der akademischen Skepsis, wendet: „Willst du etwa [. . . ] jener philosophischen Richtung folgen, die das Wahre mit dem Falschen vermischt, die uns unseres Urteils beraubt, die uns die Zustimmung entzieht und die uns unsere Sinne wegnimmt? [. . . ] diese da [gemeint sind die Akademiker] aber, die du gutheißt, haben so tiefe Finsternis verbreitet, daß sie uns nicht einmal mehr einen Funken zurückließen, der eine Untersuchung ermöglichte. Wenn wir uns diesen anschließen sollten, so wären wir mit solchen Fesseln gebunden, daß wir uns nicht mehr bewegen könnten.“ 50
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sche Einschätzung unserer epistemischen Situation nicht als eine vielversprechende Anleitung zu einem gelingenden Leben, sondern als eine unangenehme Tatsache, die den Menschen das Leben erschwert.52 Diese Abweichung vom antiken Skeptizismus macht deutlich, daß Sanchez’ Erkenntniskritik – trotz einer gewissen Abhängigkeit – nicht in einer bloßen Wiederholung der antiken Vorbilder besteht.53 Zwar profitierte sein Verständnis des skeptischen Denkens zweifellos von den antiken Vorgängern, doch reicht ein Verweis auf die früh-neuzeitliche Wiederentdeckung des antiken Skeptizismus nicht, um der spezifischen Form seines Skeptizismus Genüge zu tun. Um zu einem vertieften Verständnis von Sanchez’ Erkenntniskritik in QNS zu gelangen, bedarf es daher einer eingehenden Betrachtung des philosophie- und geistesgeschichtlichen Hintergrunds, vor dem seine skeptische Argumentation entstanden ist und auf den sie sich in erster Linie bezieht.
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Sanchez’ negative Bewertung der Situation des Skeptikers trug wohl wesentlich bei zur weiten Verbreitung der These, wonach er eigentlich kein Skeptiker und sein Zweifel nur methodischer Art sei, vgl. z.B. Moreau (, f.): „Le doute n’est point pour lui [gemeint ist Sanchez], comme pour Montaigne, ‚un mol oreiller‘ où il se complaît; il est épris de connaissances solides, de savoir positif [. . . ] Son doute est, comme celui de Descartes, la première démarche d’une méthode pour parvenir au savoir, autant qu’il nous est accessible.“ Daß die skeptische Einschätzung unserer epistemischen Situation in Sanchez’ Augen nicht attraktiv war, heißt jedoch nicht, daß er kein Skeptiker war. Sanchez’ Beispiel zeigt vielmehr, daß eine positive Bewertung der skeptischen Sichtweise in der Frühen Neuzeit nicht entscheidend ist für das Vertreten einer entsprechenden Position. Sanchez verkörpert somit gewissermaßen den „sceptique malgré lui“ den Popkin (, –) in Descartes zu erkennen glaubt. 53 So auch Limbrick () und Popkin ().
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. Sanchez’ Skeptizismus und die humanistische Kritik am scholastischen Aristotelismus a) Aristotelismus und Humanismus in Sanchez’ Ausbildung Hauptgegner aber zugleich auch Referenzrahmen von Sanchez skeptischer Argumentation in QNS ist der Aristotelismus der Scholastiker.1 In dieser Ausrichtung auf die aristotelische Philosophie widerspiegelt sich die beherrschende Stellung, die der scholastische Aristotelismus an den Universitäten im . Jahrhundert noch immer innehatte.2 Diese Vormachtstellung geht zurück auf das . und . Jahrhundert, als die ersten Universitäten in Europa gegründet und zugleich die Schriften des Aristoteles, das sogenannte corpus Aristotelicum, nach und nach aus dem Griechischen aber auch aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt wurden. Bereits zu Beginn des . Jahrhunderts hatte sich ein fester Philosophie-Lehrgang herausgebildet, der auf einer Auswahl dieser Schriften beruhte und der Form und Inhalt der philosophischen Ausbildung für die kommenden Jahrhunderte bestimmte.3 Philosophie war identisch mit aristotelischer Philosophie, und Aristoteles wurde schlicht und einfach „der Philosoph“ genannt. Seine Schriften genossen autoritativen Status. Sie enthielten in den Augen der Scholastiker die Wahrheit, die es durch eine korrekte Auslegung herauszuarbeiten und im universi1
Vgl. dazu Popkin (, ): „Sanches develops his scepticism by means of an intellectual critique of Aristotelianism rather than by an appeal to the history of human stupidity and the variety and contrariety of previous theories.“ Vgl. auch Limbrick (, –). 2 Vgl. dazu Schmitt (d, ): „Aristotelianism did not end with Copernicus, nor even with Galileo and Bacon. In fact, it thrived throughout the sixteenth century, as it has never had before, and was still in full bloom for most of the seventeenth century.“ Einen sehr guten Überblick über die Philosophie im . Jahrhundert im allgemeinen verschafft Copenhaver und Schmitt (). 3 Zur Übersetzung des corpus Aristotelicum ins Lateinische und zur Entstehung des aristotelischen curriculum an den mittelalterlichen Universitäten vgl. Dod ().
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tären Unterricht den Studenten zu vermitteln galt. Entsprechend wurde der Kommentar zur bevorzugten Gattung philosophischer Literatur.4 Inhaltlich bestimmt war der scholastische Aristotelismus durch eine z.T. historisch bedingte Auswahl aus dem corpus Aristotelicum. Im Zentrum standen dabei die logischen Schriften, das sogenannte Organon (dt.: Werkzeug). Dieses umfaßt die Kategorien, De interpretatione, die beiden Analytiken, die Topik und die Sophistischen Widerlegungen. Diesen Schriften vorangestellt war Porphyrs (ca. – / n. Chr.) Isagoge, eine Einführung in die aristotelische Logik. Daneben erscheinen einige naturphilosophische Schriften des Aristoteles, v.a. die Physica, De caelo und De anima, und schließlich, eher am Rande, die Metaphysik. Die übrigen aristotelischen Schriften – z.B. die Ethiken, die Rhetorik und die Poetik, denen außerhalb des scholastischen Rahmens im . und . Jahrhundert große Bedeutung zukam und ebenso die biologischen Schriften – fanden dagegen keinen Eingang in die ursprünglichen scholastischen Lehrgänge. In der skizzierten Form beherrschte der scholastische Aristotelismus die universitäre Philosophie bis zum Beginn des . Jh. Obschon sich z.B. die Aufmerksamkeit der Scholastiker mit der Zeit auf nahezu das gesamte corpus Aristotelicum ausdehnte, beruhte der Grundstock der philosophischen Ausbildung noch zu Sanchez’ Zeit auf denselben Schriften wie im . Jahrhundert.5 Auch blieb der Kommentar eine der wichtigsten Gattungen der philosophischen Literatur: Während die mittelalterlichen Kommentare z.T. weiterhin in Gebrauch waren, wurden zwischen und mehr Aristoteles-Kommentare verfaßt als während des gesamten
4
Zu den mittelalterlichen Aristoteles-Kommentaren vgl. Pinborg (, –). 5 Zur Kontinuität der Philosophie-curricula im . Jahrhundert vgl. Schmitt (d, und c, ). Zum curriculum des Collège de Guyenne, an dem Sanchez seine philosophische Grundausbildung absolvierte, vgl. unten S. XCVI.
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Mittelalters.6 Die Kontinuität äußert sich schließlich auch in den Lehrinhalten. Obschon im Lauf der Zeit einige Elemente der mittelalterlichen Form des scholastischen Aristotelismus stark modifiziert oder sogar ganz aufgegeben wurden, diskutierten die Spätscholastiker des . und . Jahrhunderts über weite Strecken dieselben Probleme und argumentierten auf ähnliche Weise für dieselben Lösungen wie ihre Vorgänger im . Jahrhundert.7 Das Ende des Aristotelismus scholastischer Prägung kam erst in den Jahrzehnten um , als die Schriften des Aristoteles in den Lehrgängen der Universitäten nach und nach durch Werke moderner Denker wie Descartes, John Locke (–) und Isaac Newton (– ) ersetzt wurden. In Anbetracht der damaligen Bedeutung des Aristotelismus kann es daher nicht verwundern, daß es in Sanchez’ Augen „genügen mag“, Aristoteles „anstelle von allen anderen zu prüfen“,8 und daß er seinen Skeptizismus in QNS in erster Linie in der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Lehre zu etablieren suchte. Da der scholastische Aristotelismus nach wie vor das Referenzsystem für nahezu die gesamte philosophische Diskussion jener Zeit darstellte, mußte sich ein skeptischer Angriff auf die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Wissens in erster Linie mit der aristotelischen Theorie der Wissenschaft auseinandersetzen.9 Dies gilt ganz besonders in Sanchez’ Fall. Anders als Montaigne, der seine Essais in der Volkssprache verfaßte und sich damit an eine zwar gebildete, nicht aber unbedingt an eine universitäre Leserschaft richtete, 6
So Lohr (, ): „It is an astonishing fact that the number of Latin Aristotle commentaries composed within this brief space (that is, – ) exceeds that of the entire millenium from Boethius to Pomponazzi.“ Zu den aristotelischen Kommentaren in der Renaissance und in der Frühen Neuzeit vgl. Schmitt (a, –). 7 Zum spätscholastischen Aristotelismus vgl. v.a Schmitt (d, c, und a); vgl. auch Mercer (). Zu seiner Bedeutung im . Jahrhundert vgl. Trentman (), Ariew () und Des Chene (). 8 So QNS . 9 Vgl. dazu Kessler (b, ): „[. . . ] Aristotle served as the point of reference in relation to which every new position had to prove its tenability [. . . ].“
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verfaßte Sanchez seine Schriften auf lateinisch und macht damit deutlich, daß QNS für ein Publikum bestimmt ist, das sich in einem universitären – d.h. in einem vom scholastischen Aristotelismus dominierten – Kontext bewegt. Sanchez war keineswegs der erste, der den Lehren der Scholastiker mit Ablehnung begegnete. Seit dem Beginn seiner Blütezeit sah sich der scholastische Aristotelismus nämlich mit verschiedenen kritischen Tendenzen konfrontiert. Zu seinen wichtigsten Herausforderungen im . und . Jahrhundert gehörte dabei die zunehmende Verbreitung des Humanismus an sämtlichen höheren Schulen Europas, die zu einigen tiefgreifenden Veränderungen in zahlreichen Bereichen des geistigen Lebens führte. Unter dem Begriff ‚Humanismus‘ versteht man ein Kultur-, Bildungs- und Erziehungsprogramm, das sich in Italien im . Jahrhundert um Francesco Petrarca (–) und in den Niederlanden im . Jahrhundert im Umfeld von Erasmus von Rotterdam (–) herausbildete.10 Anders als die Scholastik kann der Humanismus nicht mit einer bestimmten philosophischen Richtung in Verbindung gebracht werden, da man unter den Humanisten Anhänger ganz verschiedener philosophischer Schulen findet. Überhaupt läßt sich der Humanismus inhaltlich nur schwer näher bestimmen, da die Humanisten z.T. sehr verschiedene Ansichten vertraten. Gemeinsam war ihnen jedoch das Interesse für die antike Literatur und die Überzeugung, daß die klassische Antike, so wie sie sich in den antiken Texten präsentiert, als Vorbild in allen Bereichen des kulturellen und geistigen Lebens dienen soll. Entsprechend waren die Humanisten in erster Linie philologisch tätig und bemühten sich um eine bessere Kenntnis der antiken Quellen. Auf Seiten der lateinischen Sprache erhielten Cicero, Quintilian, Seneca, Livius sowie Horaz, Ovid und Vergil besondere Aufmerksamkeit, auf Seiten des Griechischen Homer, Pindar, Sophokles, Thukydides und Demosthenes. Die Schriften dieser Autoren bildeten die Grundlage der sogenannten studia humanitatis, denen die Humani10
Zum Humanismus vgl. v.a. Kristeller (, und ).
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sten ihre Bezeichnung verdankten11 und die die Fächer grammatica (Grammatik), rhetorica (Rhetorik), poetica (Literatur,) historia (Geschichte) und philosophia moralis (Ethik) umfaßten. Diese Fächer machten den Kern des humanistischen Bildungsprogramms aus, das schon bald die voruniversitäre Ausbildung beherrschte und das auf der universitären Stufe an die Seite der traditionellen Fachrichtungen der Philosophie, Medizin, Theologie und des Rechts trat. Obschon ihr ursprünglicher Wirkungsbereich somit auf einige wenige Fächer beschränkt war, machten sich die Humanisten bald auf den meisten Gebieten der Kultur und des Denkens der Renaissance bemerkbar. Aufgrund der Ausbreitung ihres Bildungsprogramms durchliefen einerseits spätestens ab dem . Jahrhundert beinahe alle Schüler eine humanistische Grundausbildung, auch wenn sie danach – wie Sanchez – an den Universitäten ein Fach belegten, das nicht zum ursprünglichen Programm der Humanisten gehörte. Andererseits beschränkten sich die Humanisten schon bald nicht mehr auf ihre angestammten Gebiete, sondern sie beschäftigten sich zunehmend auch mit den traditionellen Fachrichtungen der mittelalterlichen Universitäten, d.h. mit Philosophie, Medizin, Theologie und Recht. Somit bewegten sich die Humanisten und die Vertreter der traditionellen Bildung zum großen Teil im selben institutionellen Rahmen. Dieser gemeinsame institutionelle Hintergrund und der ständige Kontakt zwischen den Anhängern der verschiedenen Lager führten zu komplexen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen dem Humanismus und dem spätscholastischen Aristotelismus, so daß das Nebeneinander von humanistischen Neuerungen und mittelalterlicher Tradition als ein spezifischer Zug des geistigen Lebens des . Jahrhunderts bezeichnet werden kann.12 11
Die Bezeichnung ‚Humanist‘ leitet sich her von ital. ‚umanista‘, der Bezeichnung der Professoren der studia humanitatis, vgl. dazu Kristeller (, ). 12 So Schmitt (d, ): „This admixture of ‚medieval‘ and ‚humanistic‘ elements, often juxtaposed in a most unexpected way, was a constant feature of sixteenth-century philosophical life.“ Zum komplexen Verhältnis von Humanismus und Scholastik im . Jahrhundert vgl. auch Schmitt
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Ein entsprechendes Nebeneinander von Humanismus und scholastischem Aristotelismus charakterisiert auch den Lehrplan des Collège de Guyenne, an dem Sanchez neben seiner voruniversitären Grundausbildung aller Wahrscheinlichkeit nach auch sein philosophisches Grundstudium absolvierte.13 Dieses Collège gehörte zu den bedeutendsten Schulen Frankreichs im . Jahrhundert und Sanchez’ Aufenthalt an dieser Institution (–) fiel in die erfolgreichste Phase ihres Bestehens.14 Zu seinen herausragendsten Schülern gehörten – neben Sanchez – drei Söhne des bedeutenden Humanisten und Aristotelikers Julius Caesar Scaliger (–), den Sanchez in QNS mehrfach attackiert,15 und Michel de Mon(c und a) sowie Kristeller (, v.a. Kap. , und ), Kessler (b), Mercer () und Rummel (). 13 Vgl. dazu oben S. XVIII. 14 Woodward (, ) bezeichnet die Jahre – als „the high water mark of its prosperity“. Während dieser Periode stand das Collège unter der Leitung von Elie Vinet (–), der mit seiner Schrift Schola Aquitanica () einen detaillierten Einblick in das curriculum, den Stundenplan und die Organisation des Collège im . Jahrhundert erlaubte. Damit legte er eine wichtige Grundlage für die zahlreichen späteren Studien zum Collège de Guyenne. Für die Geschichte des Collège von seinen Anfängen bis zu seinem Ende im Jahr vgl. Gaullieur (). Woodward (, –) konzentriert sich auf das Collège im . Jahrhundert. Trinquet (, – ), Traverso (, –) und Schiffman () behandeln das Collège v.a. im Hinblick auf seine Wirkung auf Montaigne. 15 Julius Caesar Scaliger gehört zu den ganz wenigen nicht-klassischen Autoren, die Sanchez in QNS namentlich erwähnt, und seine Schrift Exotericarum exercitationum liber XV de subtilitate ad Hieronymum Cardanum () ist eines der wenigen zeitgenössischen Werke, auf das Sanchez explizit verweist. Mit dieser Schrift wandte sich Scaliger gegen die Lehren Girolamo Cardanos, den Sanchez in De divinatione heftig kritisiert, vgl. dazu oben S. XXXIf.; zur Auseinandersetzung zwischen Scaliger und Cardano vgl. Maclean (). Explizite Bezugnahmen auf Scaliger und Kritik an seinen Positionen finden sich in QNS x (übertriebene Autoritätsgläubigkeit gegenüber Aristoteles), (zur Verschiedenheit der Materie der Sterne und des Himmels), (über verschiedene Weisen des Entstehens) und (zur Schwierigkeit der Untersuchung der Seele). Comparot () und Limbrick () zeigen, daß Sanchez auch an Stellen von Scaliger abhängt, wo er dies
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taigne, der das Collège –, d.h. Jahre vor Sanchez, besucht hatte.16 Gegründet wurde das Collège im Geist der humanistischen Bildungsreform, die Frankreich im . Jahrhundert von Italien her erreichte. Sein erster bedeutender Rektor war der Portugiese André de Gouveia († ),17 und sein Lehrkörper umfaßte zahlreiche namhafte Humanisten wie etwa den späteren Sextus-Übersetzer Gentian Hervet, den schottischen Humanisten und Dichter George Buchanan (–) und Marc-Antoine Muret (Muretus, – ), den Herausgeber von Horaz, Catull, Properz und Tibull.18 Das Lehrangebot des Collège de Guyenne umfaßte zwei Stufen, wobei sich seine humanistische Ausrichtung besonders deutlich auf der ersten Stufe zeigt. Diese bestand in einer zehnjährigen Grundausbildung, die eine vertiefte Kenntnis der lateinischen Sprache vermitteln sollte. Die Schüler traten diesen Ausbildungsgang im Alter von sieben Jahren an, wobei sie zuerst einen zweijährigen lateinischen Elementarunterricht besuchten. Im dritten Jahr setzte die Lektüre von ciceronischen Briefen ein, und vom vierten Jahr nicht explizit ausweist. So beruht z.B. seine Darstellung des Entstehens und Vergehens aufgrund der Wärme der Sonne in QNS f. auf Ausführungen von Scaliger. Scaligers Söhne verließen das Collège de Guyenne bereits , d.h. sieben Jahre vor dem Beginn von Sanchez’ Ausbildung, vgl. dazu Gaullieur (, –). 16 Zu den Spekulationen über allfällige Bezüge zwischen diesen beiden früh-neuzeitlichen Skeptikern vgl. oben S. XVI Anm. . 17 André de Gouveia war zuvor Leiter des Collège de Sainte-Barbe in Paris. Montaigne nennt ihn „le plus grand principal de France“ (Essais ,), und João III., der König von Portugal, beauftragte ihn damit, die Universität in Coïmbra nach dem Vorbild des Collège de France von Grund auf zu reformieren. 18 Comparot (, ) sieht in Hervets Lehrtätigkeit am Collège de Guyenne einen Grund für die pyrrhonische Prägung von Sanchez’ Skeptizismus. Es gilt jedoch zu bedenken, daß Hervets Lehrtätigkeit am Collège auf ein einziges Jahr, nämlich , beschränkt war, vgl. dazu Gaullieur (, –; –). Damit geht sie der Publikation seiner Sextus-Übersetzung mehr als und Sanchez’ Aufenthalt an diesem Collège immerhin Jahre voraus. Dies schließt einen indirekten Einfluß von Hervets Lehrtätigkeit auf Sanchez’ Skeptizismus aller Wahrscheinlichkeit nach aus.
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an kamen Terenz und Ovid dazu. Im siebten Jahr begann der Unterricht in Rhetorik ausgehend von Reden Ciceros. Dazu las man ab dem neunten Jahr theoretische Schriften, z.B. Ciceros Partitiones oratoriae, und ab dem zehnten Jahr Quintilians De institutione oratoria. Ergänzt wurde der Unterricht ab dem achten Jahr durch die Lektüre weiterer klassischer Autoren wie Vergil, Livius, Lucan, Seneca und Horaz. Außerdem besuchten alle Schüler ab dem siebten Jahr Griechisch- und ab dem achten Jahr Mathematikunterricht. Dieser Unterricht blieb jedoch rudimentär und führte kaum zu vertieften Kenntnissen auf den entsprechenden Gebieten. Man muß daher davon ausgehen, daß Sanchez Aristoteles nur in lateinischer Übersetzung lesen konnte.19 Die zweite Stufe des Lehrangebots bestand in einem zweijährigen philosophischen Grundstudium, das mit dem Erlangen der maîtrise ès arts abgeschlossen wurde und das die Voraussetzung bildete für das Studium an einer der höheren Fakultäten der Universität, d.h. der Theologie, der Medizin oder des Rechts. Im ersten Jahr beschäftigten sich die Studenten mit der aristotelischen Logik und wurden entsprechend logici oder dialectici genannt. Die Textgrundlage bildete dabei Porphyrs Isagoge und das Organon des Aristoteles. Daneben kam auch ein Logik-Lehrbuch mit dem Titel Praeceptiones dialecticae () zum Einsatz, das von Nicolas de Grouchy (Nicolaus Gruchius, –) verfaßt wurde und das noch zu Sanchez’ Zeit auf dem Lehrplan stand.20 Im zweiten Jahr setzten sich die Studenten – nunmehr physici genannt – anhand von Aristoteles’
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Für das curriculum vgl. Woodward (, –). Zur schlechten Qualität und den mageren Resultaten des Griechischunterrichts vgl. Trinquet (, –). 20 In Vinets Darstellung erscheinen die Praeceptiones dialecticae gleich nach Porphyrs Isagoge und vor dem eigentlichen Organon des Aristoteles. Nicolas de Grouchy unterrichtete von / bis als Logiklehrer am Collège de Guyenne; vgl. dazu Trinquet (, f.). Neben den Praeceptiones dialecticae verfaßte de Grouchy auch noch eine Aristotelis logica (), die mehrere Auflagen erlebte.
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De caelo und der Physik mit der aristotelischen Naturphilosophie auseinander.21 In seinem curriculum entspricht dieses philosophische Grundstudium somit dem üblichen Bildungsgang der scholastischen Universitäten des Mittelalters. Man kann daher das Collège de Guyenne kaum mit Comparot als eine „bastion de l’antiaristotélisme chrétien“ bezeichnen.22 Auf der anderen Seite war das Collège aber auch kein Bollwerk des „traditional Aristotelianism“.23 Obschon sich die philosophische Grundausbildung stark an der scholastischen Tradition orientierte, macht sich nämlich der Einfluß des Humanismus auch auf dieser Stufe des Unterrichts deutlich bemerkbar. Dies zeigt ein Blick in de Grouchys Praeceptiones dialecticae.24 Bereits auf sprachlicher Ebene unterscheidet sich dieses Lehrbuch deutlich von den traditionellen Logik-Traktaten des . und . Jahrhunderts, die – wie etwa Petrus Hispanus’ († ) Summulae logicales oder Paulus Venetus’ (–) Logica parva – noch zu Beginn des . Jahrhunderts weit verbreitet waren. Die Praeceptiones dialecticae sind nämlich weitgehend frei von der oft nur schwer verständlichen scholastischen Spezialterminologie und folgen statt dessen dem humanistischen Ideal eines ciceronischen Lateins. De Grouchy vermeidet konsequent die in der scholastischen Logik gebräuchlichen griechischen Fremdwörter und lateinischen Neo21
Für das curriculum der philosophischen Grundausbildung vgl. Woodward (, ). 22 Vgl. dazu Comparot (, ); für eine Kritik an Comparots Sichtweise vgl. Besnier (, Anm. ). 23 So Limbrick (, ). 24 Überhaupt kann de Grouchy entgegen Limbrick (, und ) trotz seiner Teilnahme am Widerstand gegen die Logik-Reform des Petrus Ramus, einem der bedeutendsten Anti-Aristoteliker des . Jahrhunderts, kaum als ein Verteidiger des „traditional Aristotelianism“ betrachtet werden. Gemäß Ong () ist die Auseinandersetzung um Ramus’ Reformen nämlich nicht in erster Linie als eine Auseinandersetzung zwischen traditionalistischen Scholastikern und reformorientierten Humanisten zu verstehen. Gerade die erste Welle der Kritik an Ramus’ Dialektik ging von den Humanisten aus, und in diese Phase gehört auch de Grouchys Engagement.
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logismen. So verwendet er z.B. anstelle der traditionellen Bezeichnungen ‚syllogismus‘ bzw. ‚propositio‘ ausschließlich die bei Cicero belegten Ausrücke ‚ratiocinatio‘ bzw. ‚enunciatio‘.25 Auch in Inhalt und Aufbau weichen die Praeceptiones dialecticae stark von den traditionellen Logiklehrbüchern ab und orientieren sich statt dessen an den neuen Dialektiktraktaten der humanistischen Gegner der Scholastik. Schon seit Petrarca äußerten die Humanisten heftige Kritik an der Logik der Scholastiker. verfaßte Lorenzo Valla (–) mit seiner Repastinatio dialecticae et philosophiae (Umpflügen [oder: Rückschnitt] der Dialektik und Philosophie) den ersten humanistischen Gegenentwurf zur scholastischen Logik, und ein halbes Jahrhundert später folgte Rudolph Agricolas (/–) De dialectica inventione ().26 Nach ihrer posthumen Veröffentlichung im Jahr wurde diese Schrift zu einer der 25
Demselben humanistischen Sprachideal sind auch de Grouchys Aristoteles-Übersetzungen verpflichtet. Mit diesen beteiligte er sich am humanistischen Unternehmen, die mittelalterlichen Übersetzungen, die den stilistischen Ansprüchen der Humanisten nicht genügten, durch Neuübersetzungen in klassischem Latein zu ersetzen. Seine Übersetzungen von Porphyrs Isagoge und dem aristotelischen Organon fanden Eingang in die zweisprachige Aristoteles-Gesamtausgabe von Casaubonus von ; zu de Grouchys Übersetzungstätigkeit vgl. Stegmann (, v.a. ff.) und Schmitt (a, –). Die humanistischen Neuübersetzungen stießen nicht überall auf Zustimmung, da ihre Forderung, die in den mittelalterlichen Übersetzungen gebräuchlichen griechischen Fremdwörter und die lateinischen Neologismen durch klassisch belegte Ausdrücke zu ersetzen, die Kontinuität der philosophischen Fachterminologie aufs Spiel setzte. Die Frage nach der korrekten Wiedergabe philosophischer Fachtermini griechischer Sprache im Lateinischen berührt Sanchez in QNS . Zu den mittelalterlichen Aristoteles-Übersetzungen vgl. Dod (, v.a. –); zu den humanistischen Neu-Übersetzungen vgl. Schmitt (a, –) und Copenhaver (b). 26 Vallas Repastinatio war später unter dem Titel Dialecticae disputationes verbreitet. Zur Bedeutung des ursprünglichen Titels vgl. Kessler (, ) und Rummel (, ). Eine deutsche Übersetzung von Agricolas De dialectica inventione bietet Mundt (). Zu Valla und Agricola im allgemeinen vgl. Mack (). Das Verhältnis dieser beiden Autoren zueinander ist umstritten, vgl. dazu Monfasani ().
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einflußreichsten Darstellungen der humanistischen Dialektik und trug wesentlich dazu bei, daß die humanistische Auffassung der Dialektik sich im Verlauf der ersten Hälfte des . Jahrhunderts an den Universitäten durchsetzte und die traditionellen Logiktraktate nach und nach aus dem Unterricht verdrängte.27 Daß de Grouchy in seinem Lehrbuch die humanistische Dialektik-Auffassung vertritt, zeigt sich bereits in der Eröffnungspassage: „Die Dialektik, die Cicero ‚sorgfältige Methode des Erörterns‘ nennt, können wir gemäß dem ersten Buch der Topik und ebenso dem ersten Buch der Rhetorik des Aristoteles definieren als ‚die Fähigkeit, über jede beliebige vorgelegte Sache glaubwürdig zu diskutieren‘. Auch die Stoiker und die Akademiker, denen Cicero in diesem Bereich folgt, erkannten jene äußerst gewisse Lehre des Beweisens [gemeint ist die Syllogistik], die von Aristoteles in den Analytica behandelt wird, nicht an [. . . ].“28 Mit der Nennung Ciceros (vor Aristoteles) als Autorität auf dem Gebiet der Dialektik, der Definition der Dialektik als „Fähigkeit, über jede beliebige vorgelegte Sache glaubwürdig zu diskutieren“, und der Absage an Aristoteles’ Syllogistik positioniert sich de Grouchy als Anhänger der neuen Dialektik der Humanisten. Diese interessierten sich im Gegensatz zu den Scholastikern nicht mehr in erster Linie für die formale Gültigkeit von Argumenten, sondern sie richteten ihren Blick auf deren reale Überzeugungskraft in tatsächlichen Gesprächssituationen. Daher spielen Elemente, die traditionellerweise der Rhetorik zugerechnet wurden, in der humanistischen Dialektik eine wichtige Rolle, während die Syllogistik, die 27
Zur Verbreitung des Dialektikverständnisses von Agricola um vgl. Ong (, –), Ashworth (, ) und Mack (, –). Zum Erlahmen des Interesses an der traditionellen Logik im . Jahrhundert vgl. Ashworth (v.a. , –, , a und b). 28 Praeceptiones dialecticae S. r : „Dialecticam, quam Cicero diligentem disserendi rationem appellat [vgl. Cic. Top. ], ex Aristotele libro primo Topicorum et primo item Rhetorices, definire possumus Facultatem de quacunque re proposita probabiliter disputandi. Neque enim Stoici et Academici, quos fere in hoc genere sequitur Cicero, certissimam illam demonstrandi rationem, quae ab Aristotele in Analyticis traditur, agnoverunt [. . . ].“
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im Zentrum der scholastischen Logikauffassung stand, ihre Vorrangstellung verlor. An ihre Stelle trat eine Lehre der Topik, wie sie Aristoteles in seinen Topica entwickelte. Große Aufmerksamkeit erhielten außerdem Ciceros Topica, Boethius’ De differentiis topicis und schließlich Quintilians De institutione oratoria.29 Diese Umgewichtung der Bestandteile läßt sich auch in de Grouchys Praeceptiones dialecticae feststellen. Zentrale Themen der mittelalterlichen Logik wie die consequentiae, die insolubilia, die exponibilia und die Suppositionslehre kommen bei de Grouchy gar nicht zur Sprache, und die Syllogistik wird auf ein paar wenigen Seiten abgehandelt. Dagegen widmet de Grouchy fast zwei Drittel seines Lehrbuchs den Ausführungen zur Topik.30 Daß de Grouchys Praeceptiones dialecticae klar humanistisch ausgerichtet waren, bedeutet jedoch keineswegs, daß Sanchez während seiner Ausbildung am Collège de Guyenne nicht auch mit der traditionellen Logik der Scholastiker in Kontakt kam. Der Logikunterricht im . Jahrhundert beruhte nur selten auf einer direkten Lektüre der aristotelischen Schriften. Zum Einsatz kamen statt dessen ganz verschiedene Literaturgattungen, die den Schülern das Verständnis der aristotelischen Logik erleichtern sollten, wie z.B. eigentliche Lehrbücher, Kommentare (zu einzelnen Schriften des Aristoteles, zum gesamten Organon, aber auch zu Lehrbüchern wie den Summulae logicales des Petrus Hispanus), Zusammenfassungen, Paraphrasen und Tafeln, auf denen gewisse Bereiche der Logik graphisch dargestellt waren.31 Im Bereich dieser Literatur überlebte die 29
Für eine Einführung in die humanistische Auffassung der Dialektik vgl. die Aufsätze von Jardine (, und a); vgl. auch Mack () und Rummel (, –). Zum komplexen Verhältnis zwischen humanistischer und scholastischer Logik vgl. Kessler () und Seifert (). 30 De Grouchys Ausführungen zur Topik finden sich in Praeceptiones dialecticae S. r –r ; für die Behandlung der Syllogistik vgl. S. r –v . 31 Sanchez mokiert sich über die Vielfalt und die Nutzlosigkeit dieser Textgattungen in QNS . Zur Funktion der Kommentare im PhilosophieUnterricht des . Jahrhunderts vgl. Reulos (). Zu den verschiedenen Literaturgattungen, die spezifisch für den Unterricht konzipiert waren, vgl. Schmitt (a, –).
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mittelalterliche Logik – wenn auch oft in stark vereinfachter Form – die humanistische Reform der Logikausbildung. Es ist daher damit zu rechnen, daß Sanchez die traditionelle Logik auf diesem Weg kennenlernte. Daß er über gewisse Kenntnisse der scholastischen Logik verfügte und daß sich seine Kritik in erster Linie gegen diese Form der Logik richtet, macht die Lektüre von QNS deutlich.
b) Der Einfluß des Humanismus in ›Quod nihil scitur‹ Die humanistische Grundausbildung des Collège de Guyenne, in der die Lektüre der Klassiker der lateinischen Literatur und die Rhetorik in Theorie und Praxis eine zentrale Rolle einnahmen, zeigt eine deutliche Wirkung auf Sprache und Stil von QNS. Sanchez schreibt ein zwar schlichtes, aber eindeutig klassizistisches Latein. Klassisch nicht belegte Ausdrücke finden sich nur da, wo Sanchez die mittelalterliche Terminologie seiner scholastischen Gegner referiert. Auch die häufigen Anspielungen auf den antiken Bildungsschatz, d.h. die zahlreichen Zitate klassischer Dichter, die Verweise auf Fabeln Aesops und das Heranziehen von Vergleichen aus der Mythologie, zeugen von Sanchez’ humanistischer Bildung.32 Schließlich finden sich auch die bei den Humanisten beliebten Sprichwörter, Redensarten und Wortspiele, wobei letztere meist in polemischer Absicht eingesetzt werden.33 Der Einfluß des Humanismus beschränkt sich jedoch nicht bloß auf die oberflächliche Gestaltung von QNS, sondern er macht sich auch auf der inhaltlichen Ebene bemerkbar. Das Nebeneinander von humanistischen Neuerungen und traditionalistischem Aristotelismus an den höheren Schulen und Universitäten des . Jahr32
Am häufigsten zitiert wird Horaz. Daneben erscheinen Zitate von Vergil, Ovid und Ennius. Verweise auf Fabeln finden sich in QNS viii, xii, , , und . Zu den mythologischen Vergleichen in QNS vgl. unten S. CV Anm. . 33 Vgl. z.B. die Gegenüberstellung von ‚legere‘ (‚lesen‘) und ‚intelligere‘ (‚verstehen‘) in QNS viii oder die Wortspiele um die Namen der verschiedenen Figuren der Syllogismen in QNS und .
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hunderts war keineswegs frei von Kontroversen. Da der Humanismus in Konkurrenz zum Bildungsmonopol der mittelalterlichen Scholastiker trat, kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der verschiedenen Lager, wobei die Humanisten die Scholastiker bisweilen scharf kritisierten. Im Zentrum stand dabei die scholastische Logik, doch kam es kaum zu einer argumentativen Auseinandersetzung mit der gegnerischen Position, und Versuche, einzelne Lehren der scholastischen Logik Punkt für Punkt zu widerlegen, blieben selten. Meist begnügten sich die Humanisten damit, die scholastische Logik in ihrer Gesamtheit zu verspotten und der Lächerlichkeit preiszugeben, wobei die rhetorische Wirkung der Attacken im Vordergrund stand. In ihren wesentlichen Zügen läßt sich diese Kritik bis zu den Anfängen des Humanismus im . Jahrhundert zurückverfolgen. Schon Petrarca gab seiner Abneigung gegen die Scholastiker und ihre Logik in verschiedenen Schriften Ausdruck und begründete damit eine Form der Polemik, deren Elemente die humanistische Kritik an der Scholastik für die kommenden Jahrhunderte prägten und die sich – abgesehen von einer gewissen Zuspitzung und Verschärfung des Tones – während der gesamten Zeit kaum veränderten.34 So finden sich dieselben Vorwürfe und Motive in nur leicht variierter Form z.B. in den Schriften von Lorenzo Valla, Rudolph Agricola, Erasmus von Rotterdam, Marius Nizolius (Mario Nizzoli –), Juan Luis Vives (–) und Petrus Ramus.35 34
Vgl. v.a. Petrarcas De sui ipsius et multorum ignorantia (), das bei Buck () in einer deutschen Übersetzung vorliegt. 35 Zur humanistischen Kritik am scholastischen Aristotelismus vgl. Guerlac (), Perreiah (), Rummel () und Mercer (), die deren Gleichförmigkeit betont (S. ): „It is fair to say, then, that from the fourteenth century until the end of the seveteenth a long line of intellectuals [. . . ] offered a common set of grievances against the Aristotelian philosophy.“ Ein besonders anschauliches Beispiel für diese Kritik bieten Juan Luis Vives’ kurze Jugendschrift In pseudodialecticos () und das dritte Buch seiner Schrift De causis corruptarum artium (). Diese Schriften liegen in mehreren modernen Übersetzungen vor, vgl. etwa Guerlac () für eine englische Übersetzung von In pseudodialecticos und dem dritten Buch von
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Zu Sanchez’ Zeit blickte diese Kritik somit bereits auf eine reichhaltige, beinahe zwei Jahrhunderte umfassende Tradition zurück, und es kann kaum verwundern, daß einige ihrer Motive Eingang fanden in seine kritische Auseinandersetzung mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie. Entsprechend wurde QNS wiederholt mit der anti-scholastischen Polemik der Humanisten in Verbindung gebracht, wobei v.a. der spanische Humanist Juan Luis Vives, der zusammen mit Erasmus zu den bedeutendsten Reformern des Bildungswesens im . Jahrhundert zählt, als ein direktes Vorbild genannt wurde.36 Zwar gehört Vives tatsächlich zu den ganz wenigen Zeitgenossen, die in QNS namentlich erwähnt werden.37 Ob er jedoch als Sanchez’ wichtigste Quelle genannt werden kann, läßt sich in Anbetracht der weiten Verbreitung und der Gleichförmigkeit der humanistischen Kritik an der scholastischen Logik kaum mit Sicherheit sagen. Mit seiner Aufnahme von Motiven aus der humanistischen Polemik folgte Sanchez wohl vielmehr einer allgemeinen Strömung seiner Zeit. Zu den Motiven dieser polemischen Tradition, die in QNS erscheinen, gehört beispielsweise die Beschimpfung der scholastischen Logik und insbesondere der Syllogistik als nutzlos und als wissenschaftlich unfruchtbar.38 Ebenfalls zum Arsenal der HumaDe causis corruptarum artium und Hidalgo-Serna () für eine deutsche Übersetzung der gesamten Schrift De causis corruptarum artium. Zu Juan Luis Vives im allgemeinen vgl. Noreña (). Für Erasmus vgl. v.a. sein Moriae encomium oder Laus stultitiae (), das ebenfalls in zahlreichen modernen Übersetzungen vorliegt. Für eine lateinisch-deutsche Ausgabe von Marius Nizolius’ De veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos () vgl. Thieme (). Für Übersetzungen bzw. Ausgaben der Schriften von Valla und Agricola vgl. oben S. XCVIII Anm. . 36 Den Einfluß des Humanismus auf Sanchez’ QNS betonen Coralnik (), Craveiro da Silva () und v.a. Comparot und Limbrick. Während Comparot (, und ) und Limbrick (, –) für eine Abhängigkeit von Juan Luis Vives argumentieren, betrachtet Coralnik (, –) Marius Nizolius als Sanchez’ maßgebliches Vorbild. 37 Vgl. dazu QNS . 38 Vgl. dazu QNS : „In der Tat aber ist sie [die Syllogistik] unnütz, langwierig, schwierig, und es gibt keine Wissenschaft der Syllogismen.“ Die
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nisten gehören die langen Aufzählungen von scholastischen Fachausdrücken, die die Unverständlichkeit und die Weltfremdheit der scholastischen Logik vor Augen führen sollen. Die schwerverständliche Terminologie – so die Humanisten – diene den Scholastikern allein dazu, ihre Unwissenheit zu verbergen.39 Zu demselben Zweck, so lautet ein weiterer Vorwurf, den Sanchez von den Humanisten übernimmt, hätten die Scholastiker die lateinische Sprache pervertiert oder gar eine neue Sprache erfunden, „die zwar von der Muttersprache völlig verschieden, aber dennoch dieselbe ist“, und die nur von ihnen verstanden werde.40 Die Aufgabe dieser Kunstsprache sei es, der Logik der Aristoteliker den Anschein einer großen Schwierigkeit zu verleihen, damit sie „nicht in Verachtung“ gerate, „sollte sie sich als einfach erweisen“.41 Ebenfalls in der Tradition der Humanisten steht die Veranschaulichung dieser Vorwürfe durch mythologische Vergleiche. Besonders beliebt war Nutzlosigkeit der Syllogistik ist auch Thema in QNS f. Zu ihrer wissenschaftlichen Sterilität vgl. QNS : „Keine Wissenschaft ist je durch sie [die Syllogismen] entstanden, vielmehr sind viele Wissenschaften wegen ihnen zugrunde gerichtet oder durcheinandergebracht worden.“ Vgl. zu diesem Vorwurf die Kapitelüberschrift des . Kapitels im dritten Buch De veris principiis von Marius Nizolius: „Die Dialektik kann unter den Wissenschaften und Künsten weder als universale noch als partikuläre Disziplin einen Platz beanspruchen. Sie ist nicht nur als falsch, sondern als nutzlos und überflüssig aus der Reihe der Künste und Wissenschaften zu entfernen“ [Übersetzung: K. Thieme, unsere Hervorhebung]. 39 Solche Aufzählungen finden sich in QNS , und . Vgl. dazu z.B. Erasmus in Moriae encomium (Opera omnia ed. Amsterdam Bd. IV-, ): „Während sie [die Scholastiker] sich hinter einer solchen Schar von schulmeisterlichen Definitionen, Schlußfolgerungen, Korollarien und expliziten sowie impliziten Propositionen verschanzen [. . . ].“ 40 Zu diesem Vorwurf vgl. QNS . 41 So QNS . Vgl. dazu z.B. Juan Luis Vives’ Klage in In pseudodialecticos in Guerlac (, ): „Daher haben sie [die Scholastiker] sich irgendwelche Wortbedeutungen erfunden, die jeder Gewohnheit und jedem Gebrauch der Menschen entgegenstehen, damit sie dann den Eindruck erwecken, gesiegt zu haben, wenn sie nicht verstanden wurden. Denn wenn sie verstanden werden, können alle sehen, das nichts schauriger, nichts wahnsinniger sein kann.“
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dabei das Bild des Labyrinths, das die übertriebene Komplexität der scholastischen Logik veranschaulichen sollte.42 Weiter finden sich bei Sanchez auch die Angriffe auf den Charakter der Scholastiker, die etwa den Vorwurf der Streitsucht, der Schwatzhaftigkeit und der Verlogenheit umfaßten und die in den humanistischen Pamphleten breiten Raum einnahmen.43 Im Zentrum steht dabei bei Sanchez ebenso wie bei seinen humanistischen Vorbildern der Vorwurf der Autoritätshörigkeit. So unterstellt Sanchez den Scholastikern, daß sie im „ipse dixit ([Aristoteles] selbst hat gesagt)“ das einzige Wahrheitskriterium sähen44 und daß sie 42
Das Labyrinth erscheint in QNS vii, , und . Vgl. dazu z.B. Erasmus in Moriae encomium (Opera omnia ed. Amsterdam Bd. IV-, f.): „Schon machen die zahlreichen Richtungen der Scholastiker diese äußerst subtilen Subtilitäten noch subtiler, so daß du dich schneller aus dem Labyrinth befreien könntest als aus den Unklarheiten der Realisten, Nominalisten, Thomisten, Albertisten, Ockhamisten und Scotisten.“ Für weitere mythologische Vergleiche vgl. QNS (die scholastische Philosophie als Hydra), (Dialektik als Kirke) und (Schüler der Dialektik als Aeneas). 43 Für den Vorwurf der Streitsucht vgl. QNS : „Indem sich die entgegengesetzten Parteien einen immerwährenden Streit liefern, zerreißen und zerfleischen sie elend das arme Denkvermögen des Anfängers.“ Für die Schwatzhaftigkeit vgl. QNS : „Schließlich gilt unter diesen Syllogistikern jener als gelehrter, der besser schwatzt.“ Für die Verlogenheit QNS : „Außerdem lügen sie wohl sehr oft, meist um des Ruhmes willen oder um ihre Ansichten zu stützen.“ Ein eindrückliches Beispiel für eine Aufzählung solcher Vorwürfe bietet Erasmus in Moriae encomium (Opera omnia ed. Amsterdam Bd. IV-, f.): „Fügen wir [. . . ] die Dialektiker und Sophisten hinzu, einen Menschenschlag, der geschwätziger ist als das Erz von Dodona, so daß jeder einzelne von ihnen sich in Schwatzhaftigkeit mit zwanzig ausgewählten Frauen messen könnte. Sie wären jedoch besser dran, wenn sie nur schwatzhaft wären und nicht auch noch so zänkisch, daß sie stur um den Bart einer Ziege streiten und wegen des allzu heftigen Streits die Wahrheit sehr oft aus den Augen verlieren. Ihre Selbstliebe macht sie glücklich, während sie es wagen, ausgerüstet mit drei Syllogismen, über jede beliebige Sache sich mit jedem beliebigen Gegner auf einen Kampf einzulassen. Außerdem macht ihre Sturheit sie unbesiegbar, auch wenn du sie dem Stentor gegenüber stelltest.“ 44 Den Vorwurf des „ipse dixit“ erhebt Sanchez in QNS , vgl. auch QNS . Dieser Vorwurf richtete sich ursprünglich gegen die Pythagoreer, vgl.
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sich durch einen Schwur in sklavischer Weise an ihre Lehrmeinung bänden und diese unabhängig von ihrer Wahrheit um jeden Preis verteidigten.45 Obschon Sanchez’ skeptische Auseinandersetzung mit dem Aristotelismus auf motivischer Ebene somit einen deutlichen humanistischen Einfluß zeigt, läßt sich QNS jedoch nicht einfach in die Reihe der humanistischen Streitschriften gegen die Scholastiker und ihre Logik einreihen. Erstens kann Sanchez selbst kaum dem humanistischen Lager zugeordnet werden. Er scheint nämlich trotz seiner Kritik an den Scholastikern keine besonderen Sympathien für die Bestrebungen der Humanisten gehegt zu haben. So verwahrt er sich z.B. in seiner ‚Vorrede an den Leser‘ gegen einen übermäßigen rhetorischen Schmuck in philosophischen Texten: „Erwarte von mir also keine gepflegte und geschliffene Rede. Ich könnte eine solche freilich halten, wenn ich wollte. Aber die Wahrheit kommt ins Straucheln, während wir ein Wort durch ein anderes ersetzen und Umschreibungen verwenden – dies heißt nämlich bloß, mit Worten zu spielen. Wenn Du das willst, suche es bei Cicero, denn das ist seine Sache. Ich habe dann schön genug gesprochen, wenn ich wahr genug gesprochen habe. Schöne Wörter ziemen sich für Redner, Dichter, Hofschranzen, Liebhaber, Huren, Zuhälter, Schmeichler, Parasiten und dergleichen, deren Ziel dazu Cic. nat. deor. ,. Umgemünzt auf die scholastischen Aristoteliker erscheint er bereits in Petrarcas De sui ipsius et multorum ignorantia in Buck (, ): „[. . . ] man hätte den Eindruck gewinnen können, wir wären schon aus Philosophen und eifrigen Liebhabern der Weisheit überzeugte Aristoteliker oder vielmehr Pythagoreer geworden und jene lächerliche Sitte wäre wiederbelebt worden, nach der es nicht gestattet war, nach etwas anderem zu fragen als danach, ob ‚er‘ es gesagt habe. ‚Er‘ war aber, wie Cicero sagt, Pythagoras“ [Übersetzung: Kubusch]. 45 Gegen die Autoritätshörigkeit der Scholastiker richten sich QNS ff. Vgl. dazu z.B. auch Lorenzo Valla, Retractatio in Zippel (, ): „Es ist beschämend zu berichten, daß bei einigen die Sitte herrscht, die Schüler einzuführen und den Treueeid schwören zu lassen, daß sie Aristoteles nie widersprächen – ein abergläubischer und verrückter Menschenschlag, der sich um sich selbst schlecht verdient macht, da er sich der Möglichkeit beraubt, die Wahrheit zu suchen.“
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im Schönreden besteht. Für die Wissenschaft reicht es, treffend zu sprechen, ja es ist sogar unerläßlich. Das kann aber nicht mit dem vorherigen verbunden werden.“46 Zwar entbehrt auch Sanchez’ Argumentation trotz dieser Warnung nicht der rhetorischen Gestaltung, doch distanziert er sich mit diesen Worten von dem Projekt der Verbindung von Rhetorik und Philosophie, das geradezu als ein Hauptanliegen der Humanisten bezeichnet werden kann. Weiter beschränkt sich Sanchez in seiner Kritik an der Logik der Scholastiker im Unterschied zu den meisten Humanisten nicht bloß darauf, diese durch rhetorische Mittel lächerlich zu machen. Zwar nimmt die Polemik auch bei Sanchez einigen Raum ein, doch wäre es falsch, QNS auf diesen Aspekt zu reduzieren. Sanchez’ Kritik an der scholastischen Syllogistik bewegt sich nämlich zum größten Teil auf der Ebene einer argumentativen Auseinandersetzung mit der gegnerischen Position. Schließlich unterscheidet sich Sanchez’ Logikkritik von derjenigen der Humanisten sowohl in der Motivation als auch in der Zielsetzung. Die Kritik der Humanisten muß nämlich vor dem Hintergrund ihrer bildungsreformatorischen Bestrebungen verstanden werden. Entsprechend war sie in erster Linie durch didaktische Überlegungen motiviert. Die Ausbildung in scholastischer Logik, die im traditionellen curriculum so breiten Raum einnahm, brachte in den Augen der Humanisten nur einen beschränkten oder sogar überhaupt keinen Nutzen. Daher richtete sich ihre Kritik entweder – wie etwa bei Petrarca – v.a. gegen den hohen Stellenwert, den die Logik in den Ausbildungsgängen der Scholastiker genoß,47 oder sie erscheint – wie etwa bei Lorenzo Valla und Rudolph Agricola – als Teil der Bestrebungen, die scholastische Logik durch eine neue, mehr oder weniger eigenständige Dialektik zu ersetzen, die jene im Hinblick auf Einfachheit und v.a. auf praktische Anwendbarkeit
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QNS xv. Vgl. dazu Perreiah (, ).
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übertreffen sollte. Erkenntnistheoretische Überlegungen spielten bei den Humanisten dagegen kaum eine Rolle.48 Ganz anders bei Sanchez. Zwar finden sich auch in seinen Ausführungen didaktische Überlegungen. So beschäftigt er sich z.B. eingehend mit der „Mühsal des Unterrichts“ und kommt dabei auch auf die von den Humanisten häufig diskutierte Frage nach der richtigen „Lehrmethode (methodus docendi)“ zu sprechen.49 Mit seiner Logikkritik verfolgt er jedoch keine bildungsreformatorische Absicht. Im Gegensatz zu den Humanisten zielt Sanchez nämlich nicht darauf ab, die Stellung der Logik innerhalb des universitären curriculum zu revidieren oder die Logik der Scholastiker durch eine anders geartete Argumentationstheorie zu ersetzen. Seine Logikkritik ist vielmehr erkenntniskritisch motiviert. Die Syllogistik bildet nämlich das Fundament der aristotelischen Theorie der Wissenschaft. Wenn es Sanchez gelingt zu zeigen, daß die aristotelische Syllogistik keinen Weg zu einem sicheren Wissen weist, so trifft er damit die aristotelische Theorie der Wissenschaft in ihrem Kern. Entsprechend steht die Kritik an der aristotelischen Logik bei Sanchez – anders als bei den Humanisten – im Dienst seiner grundsätzlichen Kritik an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.50
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So Monfasani () gegen Jardine (). Die Behandlung der „Mühsal des Unterrichts“ umfaßt QNS –. Für die Frage nach der richtigen Lehrmethode vgl. QNS f. Zur didaktischen Ausrichtung der humanistischen Methodendiskussion im allgemeinen vgl. Gilbert (, v.a. –). 50 Anders Coralnik (, ): „Er [gemeint ist Sanchez] wollte nicht so sehr die Kritik des Erkenntnisvermögens als die des aristotelischen Systems geben, und zwar der aristotelischen Logik [. . . ].“ 49
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. Sanchez und die zeitgenössische Medizin a) Aristotelismus und Humanismus in der frühneuzeitlichen Medizin In seiner ‚Vorrede an den Leser‘ äußert Sanchez die Ansicht, daß sämtliche Prinzipien der Medizin „in den Bereich der philosophischen Untersuchung fallen“.1 Diese Einschätzung entspricht der zu seiner Zeit gängigen Auffassung des Verhältnisses dieser beiden Disziplinen. Medizin und Philosophie waren im . Jahrhundert nämlich sowohl inhaltlich als auch institutionell eng miteinander verbunden. Entsprechend stellt Sanchez’ akademische Karriere, die sowohl einen Lehrstuhl für Philosophie als auch einen Lehrstuhl für Medizin umfaßte, keine Ausnahme dar.2 Der Titel ‚philosophus et medicus doctor‘ war im . Jahrhundert verbreitet, und die sukzessive Einnahme eines Lehrstuhls für Logik, für Naturphilosophie und schließlich für Medizin stellte einen typischen akademischen Werdegang dar.3 Die enge Verbindung von Medizin und Philosophie läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Das Ideal des Philosophen und Arztes in einer Person findet sich bereits in den hippokratischen Schriften und auch Galen ( – ca. ), der die Medizin bis ins . Jahrhundert prägte, maß der Philosophie einen zentralen Stellenwert bei. So vertrat er etwa in seiner kurzen Schrift Quod optimus medicus sit quoque philosophus die These, daß ein guter Arzt für die rich-
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QNS xiv. Zu Sanchez’ akademischer Karriere vgl. oben S. XIXf. 3 Vgl. dazu Schmitt (, ), der darauf hinweist, daß die medizinischen Lehrstühle weit mehr Prestige genossen als diejenigen für Philosophie. Dies zeigt sich u.a. darin, daß der bestbezahlte Philosophieprofessor meist weniger verdiente als ein Nachwuchsprofessor der Medizin; vgl. dazu auch Bylebyl (, ). Zu den Verhältnissen in Montpellier vgl. Dulieu (, ). 2
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tige Ausübung seiner medizinischen Tätigkeit über Kenntnisse der Ethik, der Logik und der Naturphilosophie verfügen müsse.4 Während sich Galen auf keine bestimmte philosophische Schule festlegen wollte, glaubten bereits die Araber, die neben der medizinischen Tradition auch die aristotelischen Schriften von den Griechen übernahmen, im Aristotelismus den philosophischen Unterbau für die Medizin Galens zu erkennen. Von da an bildeten Medizin und Aristotelismus eine Einheit.5 Als sich im Westen gegen Ende des . Jahrhunderts das Interesse für die Medizin intensivierte, spielten Übersetzungen der medizinischen Literatur aus dem Arabischen eine ebenso wichtige Rolle wie die Übersetzungen der griechischen Quellen, und so etablierte sich die enge Verbindung, die die aristotelische Philosophie und die Medizin im arabischen Raum eingegangen waren, auch an den Universitäten des Westens.6 Bereits im . Jahrhundert war die Auffassung, die aristotelische Philosophie bilde das Fundament der Medizin, in ganz Europa verbreitet. Ein abgeschlossenes Grundstudium der aristotelischen Philosophie galt daher als unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme eines Medizinstudiums, und an den italienischen Universitäten wurden Philosophie und Medizin sogar an derselben Fakultät unterrichtet.7 Die Engführung von Medizin und aristotelischer Philosophie wirkte sich jedoch nicht nur auf der Ebene der Organisation des Medizinstudiums aus, sondern sie zeigte sich auch auf der Ebene des Inhalts. Wichtige Diskussionen auf dem eigentlichen Gebiet 4
Zu Hippokrates vgl. z.B. De decente habitu : „Ein Arzt nämlich, der Philosoph ist, ist gottgleich.“ Zur Verbindung von Medizin und Philosophie in der Antike im allgemeinen vgl. Frede (b). 5 Vgl. dazu Temkin (, ): „[. . . ] medicine meant, above all, Galenic medicine and was accompanied by Aristotelian philosophy.“ 6 Nach Birkenmajer () verdankt sich die beherrschende Stellung des Aristotelismus an den westlichen Universitäten zu einem großen Teil dem Interesse der Mediziner. 7 Die italienischen Universitäten orientierten sich an der Universität von Bologna und waren daher nach dem Modell der zwei Fakultäten organisiert, der Juristenfakultät und der Artistenfakultät, wobei letztere von der Philosophie und der Medizin dominiert wurde, vgl. dazu Kristeller (, f.).
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der Medizin – sowohl im Bereich der Methodologie als auch der Naturlehre – bewegten sich innerhalb eines durch die aristotelische Lehre vorgegebenen Rahmens.8 In dieser Weise prägte der Aristotelismus die Medizin auch noch zur Zeit von Sanchez’ Ausbildung am Collegio della Sapienzia in Rom und an der Universität in Montpellier.9 Nach wie vor verlangte man von den angehenden Medizinstudenten, daß sie vor dem Antritt ihres eigentlichen Studiums eine philosophische Grundausbildung absolvierten, die sowohl die aristotelische Logik als auch die aristotelische Naturphilosophie umfaßte. Zu einer Abwendung vom Aristotelismus an den medizinischen Fakultäten kam es erst im Verlauf des . Jahrhunderts, als die Spätscholastiker auch in der universitären Philosophie an Bedeutung verloren. Noch William Harvey (–), der mit der Entdeckung des Blutkreislaufs die moderne Physiologie begründete, war erklärtermaßen Anhänger des Aristoteles.10 Obschon der Aristotelismus zu Sanchez’ Zeit an den medizinischen Fakultäten somit fest verankert war, kam es auch in der Medizin – ebenso wie in der universitären Philosophie – im . Jahrhundert zu einigen anti-aristotelischen Tendenzen. Wie in der universitären Philosophie hat diese Entwicklung ihre Ursache zu einem großen Teil in der Verbreitung des Humanismus, der sich – wie in den übrigen Bereichen des geistigen Lebens – auch auf dem Gebiet der Medizin als sogenannter medizinischer Humanismus bemerkbar zu machen begann. Als medizinischen Humanismus bezeich8
Zur engen Verbindung von aristotelischer Philosophie und Medizin im Mittelalter und in der Renaissance vgl. Kristeller (), Ottosson (), Schmitt (), Siraisi () und Maclean (). 9 Zur Medizinausbildung am Collegio della Sapienzia liegt neben Renazzi (–) keine neuere Studie vor, vgl. jedoch dort Bd. , – und – , zur Bedeutung des Aristotelismus an dieser Institution vgl. Bd. , f. Zur Geschichte des Collegio della Sapienzia im allgemeinen vgl. Grendler (, –). Zur medizinischen Fakultät in Montpellier vgl. Saulnier (), Antonioli () und Dulieu (). 10 Vgl. dazu Schmitt ().
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net man eine Bewegung, die zu Beginn des . Jahrhunderts an den Universitäten Norditaliens, v.a. in Ferrara und Padua, unter der Führung von Niccolò Leoniceno (Nicolaus Leonicenus, –) in Erscheinung trat. Ihr Ziel bestand darin, die medizinische Tradition von ihren arabischen und mittelalterlichen „Verunreinigungen“ zu befreien und zu den antiken Quellen dieser Kunst, d.h. zu Hippokrates und Galen, zurückzukehren. Wie der Humanismus überhaupt war auch der medizinische Humanismus stark philologisch ausgerichtet. So bestand eine seiner wichtigsten Leistungen in der Auffindung, Übersetzung und Herausgabe wichtiger antiker Schriften zur Medizin – v.a. der Werke Galens und der Schriften des sogenannten corpus Hippocraticum –, die während des Mittelalters nur zum Teil Beachtung gefunden hatten. Dabei führte die Auseinandersetzung mit diesen Texten zu einer Beschäftigung mit Bereichen der Medizin, die im Mittelalter kaum oder gar nicht gepflegt wurden. Gerade im Fall von medizinischen Schriften kommt dem richtigen Textverständnis eine besondere Relevanz zu, da allfällige Mißverständnisse fatale Folgen für die Patienten haben können. Die wichtigsten Quellen solcher Mißverständnisse sah Leoniceno in der mangelnden Kenntnis auf den Gebieten der Heilpflanzen, der Symptome und Behandlungsmethoden spezifischer Krankheiten sowie der menschlichen Anatomie. Entsprechend propagierten die humanistischen Ärzte eine intensivierte Beschäftigung mit den Fächern Botanik, klinischer Unterricht und Anatomie und bemühten sich um deren Aufnahme in den universitären Lehrgang der Medizin. Diese Bestrebungen hatten bald Erfolg. Bereits in den er Jahren des . Jahrhunderts errang der medizinische Humanismus eine gewisse Vorherrschaft an den medizinischen Fakultäten Italiens, und bald begann sich seine Wirkung in den Medizin-curricula in ganz Europa – und damit auch in Sanchez’ Ausbildung zum medicus doctor – niederzuschlagen.11
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Zum medizinischen Humanismus vgl. Nutton (), Bylebyl () und die Aufsätze in Schmitz und Keil (); zur Verbreitung der Schriften Galens in der Renaissance vgl. Durling (); zum sogenannten Gale-
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Schon wurde am Collegio della Sapienzia in Rom, wo Sanchez später studieren sollte, der erste Lehrstuhl für Botanik eingerichtet, und wurden in Pisa und Padua die ersten botanische Gärten angelegt, in denen die Studenten die Heilpflanzen kennenlernen und untersuchen konnten. Der Botanik-Unterricht beschränkte sich dabei jedoch nicht nur auf die Vermittlung von Kenntnissen über Pflanzen, sondern er umfaßte bald beinahe das gesamte Gebiet der Naturkunde. Die textliche Grundlage dieses Unterrichts bildeten Pedanios Dioskurides’ (. Jh. n. Chr.) De materia medica, Galens De simplicium medicamentorum facultatibus und die Naturalis historia von Plinius (/– n. Chr.).12 Der klinische Unterricht, d.h. der praktische Unterricht am Krankenbett eines Patienten, wurde ab der Mitte des . Jahrhunderts zu einem wichtigen Bestandteil der medizinischen Ausbildung, wobei die Universitäten Italiens auch in diesem Bereich lange führend blieben. Die Qualität und der gute Ruf dieses Unterrichts trug wesentlich zu ihrer Anziehungskraft auf zahlreiche Studenten aus ganz Europa bei. Möglicherweise war dies auch der Grund dafür, daß Sanchez einen großen Teil seiner Ausbildung in Italien absolvierte.13 Die bedeutendste Erweiterung der medizinischen Ausbildung durch die humanistischen Ärzte verdankt sich jedoch ihrem Interesse für die Anatomie. Dieses mündete in der Einführung eines regelmäßigen Anatomie-Unterrichts, in dem anhand von Leichensezierungen die Funktionen des menschlichen Körpers erklärt wurden. Eine Pionierrolle spielte dabei der Belgier Andreas Vesalius (–), der mit De humani corporis fabrica () das erste komplette moderne Anatomie-Lehrbuch veröffentlichte. Vesalius strebte dabei nicht danach, die Medizin zu revolutionieren. Das erklärte Ziel seiner Forschungen bestand vielmehr darin, die während lannismus in der Renaissance vgl. Temkin (, –); zur anti-arabischen Polemik der humanistischen Mediziner vgl. Hasse (). 12 Zur Einrichtung des Botanik-Lehrstuhls am Collegio della Sapienzia in Rom vgl. Renazzi (–, Bd. , ). Zum Botanik-Unterricht im . Jahrhundert vgl. Meier Reeds () und Bylebyl (, f.). 13 Zum klinischen Unterricht vgl. Bylebyl (, –).
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ger Zeit vergessenen anatomischen Kenntnisse der antiken Ärzte wiederherzustellen.14 Ebenfalls im Zusammenhang mit der Exegese der Schriften Galens steht schließlich der humanistische Beitrag zur medizinischen Methoden-Diskussion. Im Zentrum dieser Debatte stand die Frage, wie der Anfang von Galens Ars parva – einer der wichtigsten Texte des damaligen Medizinstudiums – zu verstehen sei.15 Galen spricht in dieser Passage von den „drei Arten der ordentlichen Unterweisung (didaskaliai taxeos echomenai)“, die auf lateinisch als tres doctrinae ordinatae bekannt wurden, wobei die erste doctrina resolutiva, die zweite doctrina compositiva und die dritte doctrina definitiva genannt wurde.16 Bereits die arabischen Kommentatoren des . Jahrhunderts brachten diese doctrinae in direkte Beziehung mit den zwei Formen des aristotelischen Beweises, dem Beweis des Bewirkten durch die Ursache (gr.: to dioti, lat.: demonstratio propter quid) und dem Beweis der Ursache durch das Bewirkte (gr.: to hoti, lat.: demonstratio quia), womit sie den Interpretationsrahmen für die nächsten Jahrhunderte festlegten.17 In ihrer Folge betrachteten 14
Vgl. dazu Nutton (, ): „The cult of Galen brought with it the cult of anatomy.“ Zur Einführung des Anatomie-Unterrichts vgl. Bylebyl (, –). 15 Der lat. Titel Ars parva ist eine Übersetzung der griechischen Bezeichnung Mikrotechne, durch die diese Schrift der viel umfangreicheren Makrotechne (von Thomas Linacre als Methodus medendi ins Lateinische übersetzt) gegenübergestellt wurde. Eine alternative Bezeichnung der Ars parva lautete Techne iatrike oder lat. Ars medica, was oft als Techne abgekürzt und im Italienischen zu Tegni korrumpiert wurde. Nicht zu verwechseln ist Galens Ars parva oder Ars medica mit der sogenannten Ars medicinae oder Articella, einer Sammlung griechischer, byzantinischer und arabischer Schriften zur Medizin, die über arabische Vermittlung ins Lateinische übersetzt wurde und die zusammen mit Avicennas Kanon den Kern des mittelalterlichen Medizin-curriculum bildete. Diese Sammlung umfaßte in bisweilen unterschiedlicher Zusammensetzung u.a. Galens Ars parva und die Aphorismen und das Prognostikon aus dem corpus Hippocraticum. 16 Vgl. dazu Galen Ars parva I,,– K. 17 Gilbert (, ) sieht darin eine „complete confusion of the original sense of the passage“.
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die lateinischen Kommentatoren des . und . Jahrhunderts die ersten beiden galenischen doctrinae, d.h. die doctrina resolutiva und die doctrina compositiva (die doctrina definitiva fand meist keine weitere Beachtung) als Formen des aristotelischen Beweises. Umstritten war nur noch die Frage, welche der beiden doctrinae welcher der beiden Formen des aristotelischen Beweises am ehesten entspreche.18 Gegen diese Interpretation wandte sich Niccolò Leoniceno in seiner Schrift De tribus doctrinis ordinatis secundum Galenum sententiam (), in der er sich gegen eine Gleichsetzung von Galens doctrinae ordinatae und den aristotelischen Beweisen aussprach: Die doctrinae ordinatae seien keine Arten des Beweises, sondern Formen der Unterweisung und daher könne Aristoteles’ Beweistheorie nichts zur Erhellung von Galens Ars parva beitragen.19 Vor allem die Beschäftigung mit der Anatomie und der humanistische Beitrag zur medizinischen Methodendiskussion stellten eine Herausforderung dar für die traditionelle Verbindung von Medizin und aristotelischer Philosophie. Neue Befunde auf dem Gebiet der Anatomie machten deutlich, daß Aristoteles sich in einigen wichtigen Fragen des Aufbaus des menschlichen Körpers geirrt hatte. Entsprechend sparten die Anatomen um Vesalius nicht mit Kritik an der aristotelischen Physiologie.20 Auf dem Gebiet der Methodologie drohte Leonicenos Zurückweisung der Gleichsetzung von Galens doctrinae ordinatae mit den aristotelischen Beweisformen die traditionelle Engführung von Galens Methodologie mit derjenigen von Aristoteles aufzulösen und damit die Verbindung
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Vgl. dazu Randall Jr. (, –), Edwards (, ff.) und Ottosson (, –). 19 Vgl. dazu Gilbert (, –), Wightman (), Edwards (), Wear (, –) und Mugnai Carrara ( und ). 20 Vgl. dazu Roger (, –). Zu Sanchez’ Kritik an Aristoteles’ mangelhaften medizinischen Kenntnissen in De longitudine et brevitate vitae vgl. oben S. XXXVI. Zur Kritik an der Anatomie seitens der Aristoteliker vgl. Bylebyl (, –).
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von aristotelischer Philosophie und Medizin grundsätzlich in Frage zu stellen.21 Als im Umfeld des medizinischen Humanismus ausgebildeter medicus doctor war Sanchez mit diesen Spannungen bestens vertraut. Es stellt sich daher – gerade auch in Anbetracht der engen Verbindung zwischen der Philosophie und der Medizin seiner Zeit – die Frage, wie sich die humanistischen Neuerungen und v.a. die Aristoteles-kritischen Tendenzen in der zeitgenössischen Medizin auf Sanchez’ skeptische Argumentation in QNS auswirkten.
b) Die Rolle der Medizin in ›Quod nihil scitur‹ Die Frage nach der Bedeutung der zeitgenössischen Medizin für Sanchez’ Skeptizismus läßt sich auf verschiedene Weise auffassen. Versteht man sie in einem biographistischen Sinn, so müßte man 21
Vgl. dazu Edwards (, ): „After Leoniceno, the methodological ménage à trois of Galen, Aristotle and Averroes [...] disintegrated.“ Die wissenschaftshistorische Bedeutung von Leonicenos Beitrag zur Methodendiskussion in der Medizin ist jedoch umstritten und seine Bewertung hängt im wesentlichen an der Frage, was Leoniceno unter den drei doctrinae ordinatae verstand. Nach Edwards (, ) bedeutet ‚doctrina ordinata‘ für Leoniceno soviel wie „scientific knowledge“. Entsprechend sieht er in Leoniceno den Begründer einer spezifisch humanistisch-medizinischen Wissenschaftstheorie (): „Leoniceno wrenched the prologue of the Ars [gemeint ist die Ars parva Galens] out of the hands of the AverroistAristotelians [. . . ] and converted it (so to speak) into a platform on method for medical humanists who followed him.“ Nach Gilbert (, ) dagegen sieht Leoniceno in den doctrinae ordinatae schlicht „ways of teaching“. In seinen Augen reduzierten die Humanisten daher die Bedeutung Galens von einem „theoretician of science“ auf einen „theoretician of medical education“. Für eine ausgewogene Einschätzung der Kontroverse vgl. Mugnai Carrara (, v.a. f. und ), die zeigt, daß es im . Jahrhundert abgesehen von vereinzelten Stimmen zu keiner allgemeinen Opposition gegen die institutionelle Engführung von Medizin und aristotelischer Philosophie kam und daß das Aufkommen des medizinischen Humanismus trotz einiger Spannungen nicht zu einer endgültigen Abkehr vom Aristotelismus in der Medizin führte.
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zu ihrer Beantwortung untersuchen, welche Rolle Sanchez’ Ausbildung unter den medizinischen Humanisten in seiner geistigen Entwicklung hin zum Skeptiker gespielt haben mag. Da Sanchez selbst auf diese Frage keine Auskunft gibt, können wir über die biographische Rolle der Medizin in Sanchez’ intellektuellem Werdegang bloß spekulieren.22 Wir wollen die Frage nach den Auswirkungen der zeitgenössischen Medizin auf Sanchez’ Skeptizismus daher nicht in einem biographistischen Sinn verstehen, sondern wir beschränken uns darauf zu untersuchen, auf welche Weise die Umwälzungen auf dem Gebiet der Medizin in Sanchez’ skeptischer Argumentation in QNS zum Tragen kommen. Bereits ein Blick auf die in QNS zitierte Literatur zeigt, daß die zeitgenössische Medizin in Sanchez’ Argumentation durchaus eine gewisse Rolle spielt.23 Ein gutes Drittel der Schriften, auf die Sanchez in QNS explizit verweist, steht nämlich in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen des medizinischen Humanismus im . Jahrhundert. Dabei handelt es sich einerseits um antike Werke, die entweder – durch die humanistische Rückwendung auf die antiken Quellen der Medizin wiederentdeckt – erst im Verlauf des . Jahrhunderts in die curricula der Medizin-Ausbildung aufgenommen wurden oder die unter den Humanisten zumindest eine gegenüber dem Mittelalter verstärkte Aufmerksamkeit erhielten. In diese Kategorie gehören neben den zahlreichen Schriften Galens24 die Aphorismoi und die Epidemiai aus dem corpus Hippocraticum25 und schließlich Plinius’ Naturalis historia.26 22
Limbrick (, ) mißt Sanchez’ Ausbildung unter den medizinischen Humanisten eine große biographische Bedeutung zu und bezeichnet seinen Aufenthalt in Rom daher als einen „intellectual turning point in his life“. Eine ähnliche Sichtweise vertritt Miccolis (, ). 23 Vgl. dazu die Übersicht unten S. –. 24 Sämtliche Schriften Galens, auf die Sanchez in QNS verweist, waren im Mittelalter kaum bekannt und verdanken ihre Verbreitung den philologischen Bemühungen der medizinischen Humanisten. 25 Vgl. dazu die Marg. zu QNS (für die Epidemiai) und zu QNS und (für die Aphorismoi). 26 Vgl. dazu die Marg. zu QNS , , und . Plinius’ Naturalis historia war zwar bereits im Mittelalter verbreitet und genoß als umfassend-
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Andererseits zählen dazu aber auch Werke aus Sanchez’ eigener Epoche, die erst in den Jahrzehnten vor der Veröffentlichung von QNS erschienen sind und die den zeitgenössischen Stand der Forschung auf verschiedenen Gebieten repräsentieren.27 In diese Kategorie gehören Amatus Lusitanus’ (auch bekannt als Juan Roderigo, –ca. ) Curationum medicinalium centuriae, Pier Andrea Mattiolis (–) Commentarius in VI libros Pedacii Dioscoridis Anazarbei De medica materia und Realdo Colombos (Realdus Colombus, –) De re anatomica ().28 Alle diese drei Schriften entstammen einem der drei Bereiche, um die der medizinische Humanismus die Medizin-curricula erweitert hat. Amatus Lusitanus’ siebenbändige Curationum medicinalium centuriae (zum ersten Mal vollständig erschienen ) sind eine Sammlung von sieben mal hundert medizinischen Fallbeschreibungen aus Amatus’ Erfahrung als praktizierender Arzt. Diese Schrift war zu Sanchez’ Zeit weit verbreitet und ist als Teil der praktisch ausgerichteten Literatur zu verstehen, die das Aufkommen des klinischen Unterrichts begleitete.29 Die Botanik vertritt Pier Andrea Mattiolis Kommentar zu Dioskuriste Enzyklopädie des antiken Wissens über die Natur im weitesten Sinn einige Aufmerksamkeit. Das Interesse für diese Schrift verstärkte sich jedoch deutlich ab dem späteren . Jahrhundert (die editio princeps datiert ins Jahr ), als sie als Textgrundlage des Botanikunterrichts zum Gegenstand zahlreicher Kommentare wurde und man sie – bis ins . Jahrhundert – als Standardwerk der Naturkunde betrachtete, vgl. dazu Grafton (, ). 27 Mit Ausnahme von Scaligers Exercitationes (vgl. dazu oben S. XCIV Anm. ) stammen alle mehr oder weniger zeitgenössischen Werke, auf die Sanchez in QNS verweist, aus dem Bereich der Medizin. 28 Zur letzten Schrift vgl. Sanchez’ verwirrenden Verweis in der Marginalie zu QNS , der lautet: „Vgl. das letzte Buch De re anatomica des Falloppio.“ Von Falloppio existiert aber kein Werk dieses Namens. Die Unstimmigkeit in Sanchez’ Verweis läßt sich am ehesten dadurch erklären, daß sich Sanchez im Autor irrte und eigentlich eine Schrift von Realdo Colombo meinte, die den Titel De re anatomica libri XV trug und erschien. Vgl. dazu auch die Anm. zu QNS . 29 Zu Amatus Lusitanus’ Leben und Werk vgl. die Literaturangaben oben S. XV Anm. . Sanchez’ Verweise beziehen sich ausschließlich auf die zweite Centuria, die zum ersten Mal erschienen ist.
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des’ De medica materia, der – auf italienisch und aufgrund seines Erfolgs in einer lateinischen Fassung erschienen – sehr schnell zum Standardlehrbuch des universitären Botanikunterrichts avancierte.30 Die Anatomie wird durch einen Verweis auf De re anatomica von Realdo Colombo vertreten, der zusammen mit Vesalius zu den neuzeitlichen Pionieren der anatomischen Forschung gehörte.31 Wendet man sich nun der Frage nach der konkreten Rolle der Medizin in Sanchez’ Argumentation zu, so fällt zunächst auf, daß der humanistische Beitrag zur Methodendiskussion in der Medizin in QNS keinerlei Spuren hinterlassen hat.32 Das ist um so überraschender, als sich diese Diskussion um erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fragen drehte, so daß man erwarten könnte, daß sie eine gewisse Wirkung auf Sanchez’ Kritik an der aristotelischen Theorie der Wissenschaft zeigte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar beschäftigt sich Sanchez in QNS durchaus mit der Frage nach der richtigen Methode, doch ist sein Interesse dabei offensichtlich rein didaktisch-pädagogisch und nicht medizinischwissenschaftstheoretisch motiviert. Seine Auseinandersetzung mit der Methodenfrage steht somit nicht im Kontext der medizinischen Methodendiskussion, sondern sie muß vielmehr vor dem Hinter30
Findlen () bezeichnet Mattiolis Kommentar als das „probably most well-read scientific book in the sixteenth century“. 31 Mit den Ergebnissen der anatomischen Forschungen dieses Gelehrten setzte sich Sanchez in einer eigenen Schrift auseinander, deren Titel lautet: Anatomischer Überblick in vier Büchern, der kurz zusammengefaßt Lage, Anzahl, Substanz, Gebrauch und Gestalt aller Körperteile enthält, gesammelt aus Galen und Andreas Vesalius. Beigefügt sind zudem Anmerkungen, die Unstimmigkeiten zwischen Colombo und Falloppio einerseits und Galen und Vesalius andererseits und diejenigen zwischen ihnen enthalten (Summa anatomica libris quatuor, in qua breviter omnium corporis partium situs, numerus, substantia, usus, et figura continetur; ex Galeno et Andrea Vesalio collecta. Additae sunt etiam annotationes quibus Columbi et Fallopii repugnantia cum Galeno et Vesalio continetur, et inter se = Opera medica, S. –). 32 So auch Limbrick (, ), die vermutet, daß sich Sanchez im verlorenen oder nie geschriebenen De methodo sciendi mit der Frage nach der richtigen Methode in der Medizin beschäftigen wollte. Zu dieser umstrittenen Schrift von Sanchez vgl. oben S. LXIXff.
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grund der allgemeinen Bemühung der Humanisten um die richtige Methode in der Erziehung und Bildung verstanden werden.33 Weiter fällt auf, daß kein Verweis auf die modernen Werke Sanchez dazu dient, einzelne Ansichten des Aristoteles anhand neuer Entdeckungen oder Theorien der zeitgenössischen Medizin zu widerlegen oder auch nur in Frage zu stellen. Das mag einerseits daran liegen, daß Sanchez in QNS im wesentlichen ad hominem argumentiert und daher in erster Linie auf Theorien rekurriert, die von seinen Hauptgegnern, den aristotelischen Scholastikern, anerkannt und als wahr akzeptiert wurden. Zum anderen gilt es zu bedenken, daß es Sanchez in QNS trotz seiner Kritik an Aristoteles nicht darum ging, dessen Ansichten durch neue Theorien zu ersetzen. Sanchez beschränkt seine Zweifel nicht auf die Lehren der Vergangenheit. Als Skeptiker gibt es für ihn keinen Grund, den Theorien und Ansichten seiner Zeitgenossen eher Glauben zu schenken als denjenigen des Aristoteles.34 Entsprechend wendet er sich auch gegen die Ansicht, „daß wir immer gelehrter werden“.35 Damit spricht er sich explizit gegen den Glauben an einen wissenschaftlichen Fortschritt aus, der sich – gerade auf dem Gebiet der Medizin – im Verlauf des . Jahrhunderts allmählich bemerkbar zu machen begann.36 33
Sanchez’ ausführlichste Behandlung der Methodenfrage findet sich in QNS f.; zu ihrer didaktisch-pädagogischen Ausrichtung vgl. oben S. CVIII. 34 Vgl. dazu QNS v: „Ich wälzte die Lehren der Alten und prüfte die Einsichten der Zeitgenossen: Sie gaben dieselbe Antwort. Diese konnte mich aber überhaupt nicht befriedigen.“ Sanchez’ kritische Haltung gegenüber den neueren Tendenzen der zeitgenössischen Wissenschaft zeigt sich auch in QNS , wo er die erklärende Funktion der sogenannten verborgenen Eigenschaften (proprietates bzw. qualitates obscurae) in Frage stellt, die in den neuen naturphilosophischen Theorien einiger früh-neuzeitlicher Kritiker des Aristotelismus eine wichtige Rolle spielten; vgl. dazu die Anm. zu QNS . 35 Vgl. QNS . 36 Ein prominenter Verfechter des Fortschrittsglaubens in der frühneuzeitlichen Medizin war Jean Fernel (–), der im Widmungsschreiben zu De abditis rerum causis (), S. , zu folgender Einschätzung des Verhältnisses seiner eigenen Zeit zur Antike gelangt: „Wohin Du Dich
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Daß den Entwicklungen in der zeitgenössischen Medizin in Sanchez’ skeptischer Argumentation dennoch eine gewisse Bedeutung zukommt, zeigt eine Untersuchung der Kontexte, in denen Sanchez auf die medizinischen Schriften verweist. Dabei stellt sich heraus, daß dies v.a. in drei Zusammenhängen der Fall ist: Erstens erscheinen solche Verweise im Kontext der „Mannigfaltigkeit in den Dingen“ (varietas rerum).37 Um diese zu veranschaulichen, verweist Sanchez auf die Verschiedenheit unter den einzelnen Menschen, die er anhand zahlreicher Beispiele aus der medizinischen Literatur zu illustrieren sucht.38 Der zweite Kontext, in dem Sanchez auf die medizinische Literatur zurückgreift, betrifft die Veränderlichkeit der Dinge.39 Hier dient u.a. das Beispiel eines Mädchens, das sein Geschlecht ändert und zum Mann wird, dazu, diese Veränderlichkeit besonders drastisch vor Augen zu führen.40 Beispiele aus der medizinischen Literatur dienen Sanchez schließlich dazu zu zeigen, daß man der Erfahrung nicht immer trauen darf.41 Zu diesem Zweck referiert er u.a. eine Geschichte aus Galens Subfiguratio empirica, in der eine Magd einem an Elephantiasis leidenden Verehrer mit Viperngift versetzten Wein anbot, da sie davon ausging, in Deinen Gedanken auch wendest, wirst du einsehen, daß wir das Vermögen der Früheren nicht ruiniert haben. Vielmehr haben wir mit einem auf die Untersuchung hin ausgerichteten und aufmerksamen Geist das Erbe der alten Künste gemehrt und neue dazugefügt.“ Zum Aufkommen des Fortschrittsglaubens im . Jahrhundert vgl. Rossi (, –) und Grafton (, –). 37 Sanchez führt die „Mannigfaltigkeit in den Dingen“ in QNS f. ein. Nach einem Exkurs über die Sprache kommt er in QNS auf dieses Thema zurück. Weitere Erwähnungen der „Mannigfaltigkeit in den Dingen“ finden sich in QNS , und . 38 Die Verweise erscheinen in den Marginalien zu QNS . Sie umfassen die Schrift De re anatomica von Realdo Colombo, Amatus’ cura , Pier Andrea Mattiolis Kommentar zu Dioskurides und Galens De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus. 39 Die Veränderlichkeit der Dinge wird in QNS – thematisiert. 40 Für die Verweise auf die hippokratischen Epidemiai, Plinius’ Naturalis historia und Amatus’ cura vgl. die Marginalien zu QNS . 41 Zu den Schwierigkeiten mit der Erfahrung vgl. QNS –.
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diese Mischung sei tödlich. Entgegen ihrer Annahme hatte dieser Trunk jedoch eine heilende Wirkung auf den Verehrer.42 Zur Illustration der in diesen drei Zusammenhängen behandelten Themen – d.h. der Mannigfaltigkeit der Dinge, ihrer Veränderlichkeit und der Unzuverlässigkeit der Erfahrung – eignet sich die medizinische Literatur aus Sanchez’ Zeit ganz besonders. In der Medizin des . Jahrhunderts läßt sich nämlich einerseits ein zunehmendes Interesse für das Partikuläre und Individuelle feststellen. Dies manifestiert sich z.B. im Aufkommen der zahlreichen Sammlungen von Fallbeschreibungen im Zusammenhang mit dem klinischen Unterricht, in denen die Beschreibung von Behandlungen einzelner Patienten im Zentrum stand. Zugleich und in engem Zusammenhang mit diesem Interesse für das Partikuläre zeigt sich dabei eine starke Faszination für Wunderliches, Abnormes und Monströses. Vor diesem Hintergrund sind etwa die Geschichten über Geschlechtsveränderungen von Menschen oder über überraschende und ans Wunderbare grenzende Erfolge in der Behandlung von Patienten zu verstehen.43 Diese beiden Tendenzen in der zeitgenössischen Medizin machen die medizinischen Schriften zu reichhaltigen Materialsammlungen, denen Sanchez zahlreiche Beispiele verdankt, um ein Bild einer Welt zu zeichnen, deren Vielfalt und Wandelbarkeit sich jeder Ordnung entzieht und deren Paradoxie die menschliche Erfahrung als ein untaugliches Werkzeug erweisen soll. So stellt sich zum einen angesichts der scheinbar unüberschaubaren Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit der Dinge die Frage, ob sich die Einzeldinge überhaupt sinnvoll kategorisieren lassen. Die Zuordnung der Einzeldinge zu bestimmten Gattungen und Arten stellt aber eine 42
Vgl. dazu die Marginalien zu QNS , in denen Sanchez neben der Subfiguratio auch Galens De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus erwähnt. 43 Zu diesen beiden Tendenzen vgl. Park () und Siraisi (a und b). Einen umfassenden Überblick über die in beinahe allen Bereichen des kulturellen Lebens des . und . Jahrhunderts verbreitete Faszination für Wunderbares und Monströses bieten Daston und Park (, v.a. Kap. ).
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wesentliche Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Tätigkeit dar. Wenn die Dinge unter sich zu verschieden sind und sich zu sehr verändern, so ist eine solche Zuordnung – und damit ein wissenschaftliches Wissen – nicht möglich. Zum anderen zeigen paradoxe Erscheinungen, daß die Erfahrung nicht als sicheres Fundament für Prognosen dienen kann. Die Verweise auf die medizinische Fachliteratur dienen Sanchez dabei dazu, dieses Bild der Welt nicht bloß als ein Produkt seiner Phantasie, sondern als eine in Fachkreisen allgemein akzeptierte Tatsache zu präsentieren, die seine dogmatischen Gegner in ihren Theorien des Wissens und der Erkenntnis zu berücksichtigen haben. Dabei gilt es zu bedenken, daß das aufkommende Interesse für das Partikuläre und das Abnorme in der früh-neuzeitlichen Medizin eine schwierige Herausforderung für den traditionellen Wissenschaftsbegriff der aristotelischen Scholastiker darstellte. Gemäß der aristotelischen Wissenschaftstheorie gibt es wissenschaftliches Wissen im strikten Sinn nämlich nur vom Allgemeinen. Einzeldinge oder singuläre Sachverhalte dagegen sind aufgrund ihrer Partikularität, ihrer Kontingenz und ihrer Wandelbarkeit keine geeigneten Objekte der Wissenschaft.44 Dies gilt im besonderen Maß auch für Außergewöhnliches und Abnormes. Wissenschaftliches Wissen hat nach Aristoteles nämlich nur das zum Gegenstand, „was immer oder meistens der Fall ist“,45 so daß es vom Außergewöhnlichen und Abnormen kein wissenschaftliches Wissen geben kann. Mit seinen Verweisen auf die medizinische Literatur lenkt Sanchez somit die Aufmerksamkeit auf einen Bereich, von dem es auch in den Augen seiner dogmatischen Gegner kein wissenschaftliches Wissen geben kann.46
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Vgl. dazu Aristot. an. post. , bff.; , b; , bff. Zur aristotelischen Theorie der Wissenschaft im allgemeinen vgl. Barnes (, –). 45 Aristoteles Metaph. , a–. 46 Zu den wissenschaftstheoretischen Problemen, die das Interesse der früh-neuzeitlichen Medizin für Partikuläres und Wunderliches mit sich brachte, vgl. Daston () und Park ().
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. Sanchez’ Skeptizismus und die erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen unter den Scholastikern Obschon sowohl die humanistische Kritik an der scholastischen Logik als auch die Entwicklungen auf dem Gebiet der Medizin in QNS ihre Spuren hinterlassen haben, bewegt sich Sanchez’ skeptische Argumentation im wesentlichen innerhalb des Rahmens, den die aristotelische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie seiner scholastischen Gegner vorgibt. Dies läßt sich zum einen – wie bereits gezeigt1 – durch die beherrschende Stellung des scholastischen Aristotelismus erklären, der im . Jahrhundert nach wie vor das philosophische Referenzsystem schlechthin darstellte. Zum anderen ergibt sich diese Ausrichtung auf den Aristotelismus aus Sanchez’ Argumentationsweise. Sowohl die Kritik der Humanisten als auch einige früh-neuzeitliche Neuerungen in der Medizin können als externe Herausforderungen des Aristotelismus bezeichnet werden, da sie von Gelehrten formuliert und vertreten wurden, die sich zumindest nicht als Anhänger oder sogar als erklärte Gegner des Aristotelismus betrachteten. In einer ad hominem-Argumentation sind jedoch Argumente und Theorien, die von außen her an die zu kritisierende Lehre herangetragen werden, nur von beschränktem Nutzen. Eine solche Argumentation erreicht ihr Ziel nämlich nur dann, wenn die jeweiligen Gegner die Voraussetzungen teilen, aus denen die Schlüsse gezogen werden. Für Sanchez’ skeptische Argumentation in QNS bedeutet das, daß er gegenüber seinen dogmatischen Gegnern, den scholastischen Aristotelikern, nur dann wirkungsvoll zeigen kann, „daß nichts gewußt wird“, wenn es ihm gelingt, diesen Satz als Schlußfolgerung eines – oder besser: mehrerer Argumente zu erweisen, deren Prämissen aus Lehrsätzen ebendieser Gegner bestehen. Im folgenden soll dieser Aspekt von Sanchez’ skeptischer Argumentation anhand zweier zentraler Argumente veranschaulicht werden. Dabei gilt es vorauszuschicken, daß der scholastische Aristotelismus zu keinem Zeitpunkt seiner Blüte eine einheitliche Lehre 1
Vgl. dazu oben S. LXXXIX–XCII.
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darstellte.2 Bereits seit Beginn der Verbreitung der aristotelischen Schriften im lateinischen Westen lassen sich verschiedene Interpretationen der aristotelischen Philosophie unterscheiden, die in der Auslegung zentraler Lehren z.T. stark voneinander abwichen und die nach ihren bedeutendsten Vertretern z.B. als Averroismus, Thomismus, Scotismus oder Ockhamismus bezeichnet werden. Diese Etikettierungen werden jedoch der Vielfalt innerhalb des aristotelischen Lagers kaum gerecht, da sich die Auseinandersetzungen unter den Scholastikern nicht immer entlang der Grenzen dieser Richtungen abspielten. So lassen sich oft einige Scholastiker im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung zu einer Gruppe zusammenfassen, die in bezug auf ein anderes Problem deutlich voneinander abwichen. In dieser fragmentierten Form präsentierte sich der scholastische Aristotelismus auch noch zu Sanchez’ Zeit, wobei die Kontroversen unter den Anhängern der verschiedenen Interpretationen den Auseinandersetzungen zwischen den Scholastikern und ihren erklärten Gegnern an Schärfe in nichts nachstanden.3 Spätestens seit dem Ende des . Jahrhunderts drehten sich diese Debatten vermehrt auch um Fragen der Erkenntnistheorie. Da in diesem Zusammenhang auch skeptische Argumente zum Einsatz kamen, kann sich Sanchez in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der scholastischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie bisweilen auf skeptische Bedenken stützen, die direkt von seinen dogmatischen Gegnern selbst stammen.4
2
Vgl. dazu Kristeller (, ff.): „[Der scholastische Aristotelismus] war weniger durch ein gemeinsames System von Gedanken charakterisiert als vielmehr durch gemeinsames Quellenmaterial, gemeinsame Terminologie, Definitionen und Probleme und durch die gemeinsame Methode, über diese Probleme zu diskutieren.“ 3 Vgl. dazu Mercer (, v.a. ff.) und Schmitt (a, –). 4 Die Verwendung skeptischer Argumente in den scholastischen Diskussionen des Mittelalters ist noch nicht hinreichend erforscht, hilfreich sind jedoch Frede (), Zupko (), Pasnau (), Thijssen () und Perler ().
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a) Sanchez’ Auseinandersetzung mit dem Nominalismus Bereits in seiner ‚Vorrede an den Leser‘ nennt Sanchez die Universalien als ein Beispiel für „Dinge, [. . . ] die nicht sind“.5 Hinter dieser Aussage steht der sogenannte Nominalismus. Als Nominalismus bezeichnet man eine Position, die die reale Existenz von Universalien, d.h. von allgemeinen Entitäten wie Gattungen oder Arten, verneint. Mit einer realen Existenz ist dabei eine Existenz in den Dingen (res) gemeint, die nicht vom menschlichen Geist und seinen Tätigkeiten abhängt. Die einzigen Entitäten, die gemäß einer nominalistischen Position über eine solche extramentale Existenz verfügen, sind die konkreten Einzeldinge, die sogenannten particularia oder singularia.6 Begründet wurde die wirkungsvollste Ausformung des scholastischen Nominalismus von Wilhelm von Ockham (ca. –), der die Annahme einer realen Existenz der Universalien als den „schlimmsten Fehler in der Philosophie“ betrachtete.7 Damit trat 5
Vgl. dazu QNS vii. Zu dieser Begriffsbestimmung des Nominalismus aber auch zu den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. das Historische Wörterbuch der Philosophie s.v. ‚Nominalismus‘, Bd. , Sp. ff. 7 Vgl. dazu Wilhelm von Ockham Expositio in librum Perihermeneias Aristotelis , – (= Guilelmi de Ockham opera philosophica [Saint Bonaventure, New York –]) II,): „Aber diese Ansicht, insofern sie annimmt, daß es neben den Einzeldingen extramentale Dinge gibt, die in diesen existieren, betrachte ich als gänzlich absurd und als schädlich für die gesamte Philosophie des Aristoteles, für die gesamte Wissenschaft und für die gesamte Wahrheit und Vernunft, und ich bin der Meinung, daß sie den schlimmsten Fehler in der Philosophie darstellt, daß sie von Aristoteles im . Buch der Metaphysik zurückgewiesen wurde [gemeint ist Metaph. , b–a] und daß diejenigen, die ihr anhängen, zur Wissenschaft nicht befähigt sind (Sed istam opinionem, quantum ad hoc quod ponit esse aliquas res extra praeter singulares exsistentes in eis, reputo omnino absurdam et destruentem totam philosophiam Aristotelis et omnem scientiam et omnem veritatem et rationem, et quod est pessimus error in philosophia et reprobatus ab Aristotele in VII Metaphysicae, et quod tenentes eam sunt inhabiles ad scientiam).“ Zu Ockhams Nominalismus vgl. Boehner (), McCord Adams (, v.a Bd. , –), Loux (, –) und Spade (). 6
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Ockham in Opposition zur bis dahin gängigen Auffassung der Scholastiker, die – wie etwa Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus (ca. –) – einen Universalien-Realismus vertraten, indem sie den Universalien eine Existenz in den Dingen zuschrieben. Zwar bedeutete Ockhams Kritik an dieser Auffassung keineswegs das Ende des Universalien-Realismus, doch fand sein Nominalismus unter dem Namen schola nominalium (Schule der Nominalisten) bald zahlreiche Anhänger, und so kam es hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Status der Universalien im Verlauf des . Jahrhunderts zu einer Spaltung des scholastischen Lagers: Auf der einen Seite standen die Vertreter einer universalienrealistischen Ontologie und auf der anderen Seite die Vertreter der nominalistischen Gegenposition.8 Daran sollte sich bis ins . Jahrhundert kaum etwas ändern, und so gehörte der Nominalismus als Alternative zum Universalien-Realismus auch zu Sanchez’ Zeit zu einer bedeutenden Richtung unter den Spätscholastikern.9 Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, daß Sanchez in QNS bisweilen von einer nominalistischen Position aus argumentiert.10 Dies hat einige Interpreten dazu gebracht, in Sanchez einen Nominalisten und im Nominalismus eine der Haupt-
8
Zum mittelalterlichen Universalien-Streit vgl. McCord Adams (), Normore () und Spade (). 9 Eine umfassende Studie zum Nominalismus unter den Spätscholastikern des . Jahrhunderts liegt leider nicht vor, vgl. aber Ashworth (, f.). Einer der bedeutendsten spätscholastischen Nominalisten war der einflußreiche schottische Logiker und Theologe John Major (–), der u.a. in Paris unterrichtete. Daß der Nominalismus in der Frühen Neuzeit sogar auf der Seite der humanistischen Kritiker der Scholastik zahlreiche Anhänger fand, zeigen die Aufsätze von Kessler (, a und ). Gegen eine Überschätzung der Bedeutung des Nominalismus unter den Spätscholastikern wendet sich jedoch Hübener (). 10 Vgl. dazu etwa QNS , wo die Universalien als eine „Erdichtung des Aristoteles“ bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit dem Nominalismus zu verstehen ist wohl auch Sanchez’ Ablehnung des aktiven Intellekts (z.B. in QNS ) und der Realdefinition (QNS –); vgl. dazu Kessler (, ).
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ursachen seines Skeptizismus zu sehen.11 Dazu besteht in unseren Augen jedoch kein Anlaß. Wenn Sanchez die Existenz der Universalien an einigen Stellen in QNS verneint, so bedeutet das nicht, daß er den Nominalismus in eigener Person vertreten hätte. Ein solcher nominalistischer Positionsbezug ließe sich nämlich nicht mit seinem Skeptizismus vereinbaren: Wie kann Sanchez als Skeptiker wissen, daß es tatsächlich keine Universalien gibt? Seine nominalistischen Aussagen lassen sich daher besser als Bestandteile einiger seiner skeptischen Argumente erklären, deren Funktion darin besteht, zu zeigen, daß der Nominalismus – und damit eine der beiden Positionen, die von den zeitgenössischen Scholastikern im Hinblick auf die Frage nach dem ontologischen Status der Universalien vertreten wurde – zu grundsätzlichen Zweifeln an der Möglichkeit eines sicheren Wissens Anlaß gibt. Dabei kommt Sanchez der Umstand entgegen, daß sich die Nominalisten vor dem Hintergrund der aristotelischen Wissenschaftstheorie tatsächlich mit einigen erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten konfrontiert sahen.12 Ein zentrales Problem dieser Art ergibt sich aus dem aristotelischen Grundsatz, wonach wissenschaftliches 11
Auf die Bedeutung des Nominalismus für Sanchez’ Skeptizismus machte bereits Gerkrath (, f.) aufmerksam. Vgl. auch Miccolis (, f.), Craveiro da Silva (, ), Suárez Dobarrio (, ) und Kessler (). Wenig informativ ist Gonzalez Fernandez (), dessen Darstellung an der Unschärfe seines Nominalismus-Begriffs leidet. 12 Zumindest scheint der Nominalismus eine kompliziertere Erkenntnistheorie zu verlangen als die universalien-realistische Gegenposition, vgl. dazu Spade (, viii): „Nominalists have no special difficulty with metaphysics; their ontology is lean and trim. Their problem is in explaining how we can know the world is the way they say it is. By contrast, realists have no special difficulty with epistemology; [. . . ] their problem is in explaining how the world can be the way they say it is“ [seine Hervorhebungen]. Zu einigen erkenntnistheoretischen Implikationen des Universalien-Streits im . Jahrhundert vgl. Spade (). Aufgrund solcher erkenntnistheoretischer Schwierigkeiten wurde Ockhams Nominalismus in der Forschung oft in die Nähe eines Skeptizismus gebracht. Daß diese Interpretation Ockhams erkenntnistheoretischer Position jedoch nicht gerecht wird, zeigen z.B. McCord Adams (, Bd. , –) und Lee ().
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Wissen nur vom Allgemeinen, d.h. von Universalien, nicht aber von Einzeldingen möglich ist.13 Verneint man daher mit den Nominalisten die reale Existenz der Universalien, so scheint man damit die aristotelische Wissenschaft ihrer eigentlichen Objekte zu berauben. Ebendieses Problem ist Gegenstand von Sanchez’ erstem Argument, dem wir uns nun zuwenden wollen. Im Anschluß an die Behandlung einiger erkenntnistheoretischer Schwierigkeiten, die die kausale Verkettung der Dinge mit sich bringt, sagt Sanchez: „Erwartest du etwa noch einen gewichtigeren Nachweis unserer Unwissenheit? Ich werde ihn dir geben. Du hast schon die Schwierigkeiten gesehen, die die Arten bereiten. Du wirst aber zugestehen, daß es von den Individuen keine Wissenschaft gibt, da sie unendlich sind. Arten jedoch gibt es nicht, oder sie sind zumindest nur eine Vorstellung.“14 In dieser Passage formuliert Sanchez ein Argument, das aus zwei Prämissen besteht, und das zu einer skeptischen Schlußfolgerung führt, die jedoch unausgesprochen bleibt. Dieses Argument, das wir wegen seiner nominalistischen Grundlage das NominalismusArgument nennen wollen, läßt sich auf folgende Weise in eine explizite Form bringen:
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Vgl. dazu oben S. CXXIII. QNS . Bereits Aristoteles selbst hat in Metaph. , a–b auf diese Schwierigkeit hingewiesen: „Wenn es nämlich nichts gibt neben den Einzeldingen und diese unendlich viele sind, wie ist es dann möglich, von diesen unendlich vielen Wissenschaft zu erlangen?“ Vgl. auch Metaph. , aff. Es ist durchaus denkbar, daß Sanchez in der Formulierung der eben zitierten Passage direkt von Aristoteles abhängt. Dies wäre nicht das einzige Mal, daß er ein skeptisches Argument unmittelbar Aristoteles selbst verdankt. So nennt er z.B. im Zusammenhang seiner Behandlung des Problems der Prinzipien-Erkenntnis in QNS Aristoteles explizit als Quelle seines skeptischen Einwands. Indem Sanchez somit einzelne Problemstellungen direkt den aristotelischen Schriften entnimmt, macht er diejenigen Texte zu einer Quelle seiner skeptischen Argumentation, auf die sich die optimistische Erkenntnistheorie seiner dogmatischen Gegner stützt. 14
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P: Wissenschaft gibt es nur von Universalien. P: Universalien existieren nicht. C: Es gibt keine Wissenschaft. Um der skeptischen Konsequenz des Nominalismus-Arguments zu entgehen, müssen die Vertreter einer nominalistischen Position zeigen, daß sie mindestens eine der beiden Prämissen nicht teilen und daß sie daher nicht gezwungen sind, der Schlußfolgerung zuzustimmen. Als Nominalist stehen einem somit folgende zwei Wege offen: Entweder man verneint, daß P die nominalistische Position korrekt wiedergibt, oder man unterzieht den traditionellen Wissenschaftsbegriff in P einer Revision, die den Schluß auf C verhindert. Für den ersten Weg läßt sich auf folgende Weise argumentieren: Wenn Ockham die Annahme von Universalien als den „schlimmsten Fehler in der Philosophie“ bezeichnet, so leugnet er damit nicht die Existenz der Universalien schlechthin. Was Ockham ablehnt, ist bloß die reale, d.h. die extramentale Existenz der Universalien. Das bedeutet aber nicht, daß es gar nichts Allgemeines gäbe. Gemäß Ockham existieren Universalien durchaus, wenn auch nicht in den Dingen, so doch im menschlichen Geist als universelle Terme (conceptus) der mentalen Sprache. P gibt somit die nominalistische Position nicht wahrheitsgetreu wieder und muß umformuliert werden zu: P’: Universalien existieren nicht real, aber sie existieren im Geist. Wenn Ockham den Universalien somit durchaus eine bestimmte Existenzweise zuschreibt, kann er an der traditionellen Auffassung der Wissenschaft als ein Wissen vom Allgemeinen festhalten, ohne die skeptische Konsequenz des Nominalismus-Arguments akzeptieren zu müssen. In Sanchez’ Augen bedeutet diese Revision von P zu P’ jedoch keine Lösung des erkenntnistheoretischen Problems der Nominalisten. Seine eigene Formulierung von P („Arten jedoch gibt es nicht, oder sie sind zumindest nur eine Vorstellung“) macht deut-
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lich, daß sein Argument seiner Meinung nach auch dann zu einer skeptischen Schlußfolgerung führt, wenn man die Universalien nicht schlechthin verneint, sondern ihnen eine mentale Existenz zuschreibt. Zwar verhindert die Umformulierung von P zu P’ den direkten Schluß auf C, doch stellt sich ein neues Problem: Gemäß Ockhams Auffassung sind die eigentlichen Objekte der Wissenschaft nämlich nicht mehr die Dinge, sondern die universellen Terme der mentalen Sprache, die für diese Dinge stehen, bzw. die Sätze über diese Dinge, die aus solchen Termen zusammengesetzt sind.15 Damit stellt sich aber die Frage nach dem Realitätsbezug einer solchen Wissenschaft: Wenn Wissenschaft nur von Universalien möglich ist (P), Universalien aber nicht real, sondern bloß mental existieren (P’) und somit keine direkte Entsprechung in der Realität haben, so scheint die Wissenschaft keine Basis in der Welt zu haben. Sanchez formuliert diesen Einwand, den bereits Johannes Duns Scotus, einer der einflußreichsten Gegner des ockhamschen Nominalismus, vorgebracht hatte,16 in folgenden Worten: „Du wirst sagen, daß du nicht Einzeldinge untersuchst, da diese nicht in den Bereich der Wissenschaft fallen, sondern Universalien wie den Menschen, das Pferd und so weiter. So ist es tatsächlich, und das habe ich vorher schon gesagt: Deine Wissenschaft ist keine Wissenschaft vom wirklichen Menschen, sondern von dem, den du dir erdichtest. Daher weißt du nichts.“17 15
Ein wichtiger Text für Ockhams Theorie der Wissenschaft ist sein Prolog zum Physikkommentar, der bei Imbach (, –) in deutscher und bei Boehner (, –) in englischer Übersetzung vorliegt. Für einen Überblick über diese Theorie vgl. Imbach (, v.a. –) und Boehner (, xxiii–xxix). 16 Vgl. Johannes Duns Scotus Kommentar zu Aristoteles’ Metaphysik, lib. , quaest. (= B. Ioannis Duns Scoti opera philosophica ed. G.J. Etzkorn [Saint Bonaventure, New York] IV,,f.): Geht man – so Duns Scotus – mit den Nominalisten davon aus, daß die Universalien bloß mental existieren, so erfaßt der Intellekt, wenn er ein solches Universale begreift, „eine Fiktion und nichts in den Dingen (fictionem [. . . ] et nihil rei)“; vgl. dazu Schulthess (, f.). 17 QNS .
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Wenn Sanchez seinem fictus interlocutor vorwirft, dessen Wissenschaft handle nicht vom wirklichen Menschen (de vero homine), sondern vom dem, den er sich erdichte (quem tu tibi fingis), so meint er mit dem wirklichen Menschen das Einzelding Mensch, das real existiert, und mit dem erdichteten Menschen, das Universale Mensch, das bloß mental existiert und das nach Meinung der Nominalisten das eigentliche Objekt der Wissenschaft darstellt. Da dieses Universale aber „erdichtet“ ist, ist auch die Wissenschaft, die von diesem handelt, eine bloße Erdichtung und damit keine eigentliche Wissenschaft: ihr fehlt der Bezug zur Realität.18 Da die Umformulierung von P zu P’ in Sanchez’ Augen somit keinen Ausweg aus dem Skeptizismus bietet, bleibt den Nominalisten nur noch der zweite Weg: die Revision des traditionellen Wissenschaftsbegriffs in P. Wenn man mit den Nominalisten davon ausgeht, daß nur Einzeldinge real existieren, so muß man, um weiterhin an der Möglichkeit eines wissenschaftlichen Wissens festhalten zu können, die traditionelle Wissenschaftskonzeption dahingehend revidieren, daß diese Einzeldinge Gegenstand eines sol18
Hinter Sanchez’ Redeweise vom „erdichteten Menschen“ – und hinter seinen Aussagen, wonach das Universale eine „Erdichtung des Aristoteles (Aristotelis fictio)“ (QNS ) oder eine bloße „Vorstellung (imaginatio)“ (QNS ) sei – steht die Terminologie der sogenannten fictum-Theorie Ockhams. In seinen früheren Schriften bezeichnete Ockham die Universalien als ficta – nicht jedoch, weil er sie als etwas Erdichtetes oder Fiktives betrachtete (so die übliche Bedeutung von ‚fictum‘, das soviel heißt wie ‚erdichtet, ersonnen, fingiert‘). Er wollte damit vielmehr zum Ausdruck bringen, daß die Universalien nicht als reale, sondern als mentale Entitäten aufzufassen sind. In den späteren Schriften gab Ockham die fictum-Theorie auf und identifizierte die Universalien mit mentalen Akten, als deren Objekt er sie zuvor betrachtete; zu diesen beiden Theorien vgl. McCord Adams (, Bd. , –) und Schulthess (, –). Daß Sanchez in QNS die Terminologie der fictum-Theorie und nicht die der späteren Theorie verwendet, läßt sich wohl in erster Linie durch die rhetorische Wirkung erklären, die damit erzielt wird. Wenn nämlich sogar die Nominalisten selbst – wenn auch nur dem Wort nach – zugestehen, daß die Universalien bloße Fiktionen sind, erscheint der Schluß um so plausibler, daß die Wissenschaft, die von diesen Universalien handelt, ebenfalls bloß fiktiv ist.
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chen Wissens sein können. Wendet man sich der ockhamschen Erkenntnistheorie zu, so stellt man fest, daß Ockham tatsächlich eine entsprechende Erweiterung des Wissensbegriffs vorgenommen hat. Zwar gab er das aristotelische Wissenschaftsideal, das Wissenschaft nur vom Allgemeinen zuließ, nicht auf, doch sprach er sich zugleich auch für die Möglichkeit eines Wissens von den Einzeldingen aus.19 Eine unabdingbare Voraussetzung dieser Erweiterung des Wissensbegriffs besteht jedoch darin, daß der menschliche Intellekt als eigentlicher Träger dieses Wissens die Einzeldinge überhaupt erkennen kann. Dies war unter den Scholastikern jedoch umstritten. Indem sich Ockham für die Möglichkeit einer intellektuellen Erkenntnis der Einzeldinge aussprach,20 stellte er sich nämlich gegen die scholastische Tradition, die eine solche Erkenntnis als unmöglich ausschloß. Einer der prominentesten Vertreter dieser Tradition war Thomas von Aquin, der – gestützt auf die aristotelische These, wonach das eigentliche Objekt des Intellekts das Allgemeine und das eigentliche Objekt der Sinne das Einzelding sei – der Meinung war, daß die Einzeldinge zwar sinnlich wahrgenommen, nicht aber vom Intellekt erkannt werden können. Eine eigentliche intellektuelle Erkenntnis und damit ein wissenschaftliches Wissen gibt es in Thomas’ Augen daher nur von Universalien.21 Obschon Ockham keineswegs der einzige Scholastiker war, der die Möglichkeit einer intellektuellen Erkenntnis der Einzeldinge 19
Vgl. dazu etwa Ockhams Ausführungen in seinem Prolog zum Physikkommentar (wie oben S. CXXXI Anm. ). 20 Vgl. dazu Wilhelm von Ockham Sentenzenkommentar lib. , dist. , quaest. – (= Guilelmi de Ockham opera theologica [Saint Bonaventure, New York –] II,–); für eine deutsche Übersetzung von quaest. vgl. Imbach (, –); vgl. außerdem McCord Adams (, Bd. , – ) und Schulthess (, –). 21 Vgl. dazu Thomas von Aquin Summa Theologiae, pars , quaest. , art. : „Der Intellekt bezieht sich auf die Universalien, die Sinne aber auf die partikulären Dinge (Intellectus est universalium, sensus autem est particularium).“ Bei diesem Satz handelt es sich um die wörtliche Übersetzung von Aristot. Phys. a. Für eine ausführlichere Darstellung von Thomas’ Theorie der Erkenntnis vgl. unten S. CXXXVIf.
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befürwortete, und obschon die damit verbundene Erweiterung des Wissenschaftsbegriffs in einem gewissen Spannungsverhältnis zur traditionellen Wissenschaftskonzeption stand,22 bedeutete dies keineswegs das Ende der Wirkung des aristotelischen Wissenschaftsideals. Noch zu Sanchez’ Zeit standen den Befürwortern der Möglichkeit einer intellektuellen Erkenntnis der Einzeldinge eine große Zahl von Gegnern gegenüber, die eine solche Erkenntnis ablehnten, und die These, daß wissenschaftliches Wissen im strikten Sinn ausschließlich vom Allgemeinen möglich sei, wurde während der gesamten Zeit der Scholastik hochgehalten.23 Es kann daher kaum verwundern, daß Sanchez seinen fictus interlocutor in den eben zitierten Passagen die traditionelle Auffassung der Wissenschaft vertreten läßt.24 Sanchez selbst dagegen scheint sich auf die Seite der Befürworter der Möglichkeit eines wissenschaftlichen Wissens der Einzeldinge zu stellen und für eine entsprechende Revision des traditionellen Wissenschaftsbegriffs in P zu plädieren. Zumindest legt dies seine Aussage im Anschluß an das Nominalismus-Argument in QNS nahe: „Es gibt nur Individuen, nur diese werden wahrgenommen, nur von ihnen ist es möglich, Wissenschaft zu haben, von ihnen her muß sie erlangt werden.“ Der unmittelbare Kontext dieser Aussage macht jedoch deutlich, daß dieser Eindruck nicht zutrifft. Die Forderung nach einer Wissenschaft, die die Einzeldinge zum Gegenstand hat, ergibt sich nämlich bloß als scheinbarer Ausweg aus dem Nominalismus-Ar22
Vgl. dazu Boler (, f.): „One might expect the emerging concern with the problem of intellectual cognition of singulars to have generated explicit dissatisfaction with the Aristotelian concept of science [. . . ].“ Zur Befürwortung der intellektuellen Erkenntnis von Einzeldingen bei Ockham aber auch bei Duns Scotus und Jean Buridan (ca. –nach ) vgl. Serene (). 23 Zur unbestrittenen Gültigkeit des aristotelischen Wissenschaftsideals bei den Spätscholastikern des . Jahrhunderts vgl. Gilbert (, v.a. – ). 24 Vgl. außerdem QNS : „Du wirst aber zugestehen, daß es von den Individuen keine Wissenschaft gibt, da sie unendlich sind.“
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gument. Wenn Sanchez sich daher an dieser Stelle für eine entsprechende Revision des traditionellen Wissenschaftsbegriffs ausspricht, so bezieht er damit keine Position in eigener Person. Vielmehr handelt es sich dabei um eine These, die die Nominalisten in seinen Augen vertreten müssen, wenn sie der skeptischen Schlußfolgerung seines Nominalismus-Arguments entgehen wollen. Daß die Forderung nach einer Wissenschaft der Einzeldinge in Sanchez’ Augen jedoch keinen Ausweg aus dem Skeptizismus bietet, zeigt der weitere Verlauf seiner Argumentation. Im Anschluß an das Nominalismus-Argument argumentiert Sanchez nämlich keineswegs für die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Wissens von den Einzeldingen. Statt dessen beginnt er mit einer Aneinanderreihung zahlreicher Schwierigkeiten, die sich einem Wissen der Einzeldinge in den Weg stellen und die die Möglichkeit eines solchen Wissens daher als fragwürdig erscheinen lassen.25 Mit dieser Aufzählung von Problemen, die die Erreichbarkeit eines sicheren Wissens der Einzeldinge grundsätzlich in Frage stellen, macht Sanchez deutlich, daß in seinen Augen auch die Revision des traditionellen Wissenschaftsbegriffs in P den Nominalisten keinen Ausweg aus dem Skeptizismus zu bieten hat und daß ihnen daher nichts anderes übrig bleibt, als ihren Anspruch auf ein wissenschaftliches Wissen aufzugeben: Wenn nämlich we25
Angeführt wird diese Aufzählung von der „Mannigfaltigkeit unter den Einzeldingen (varietas rerum)“, vgl. dazu QNS ff. und QNS –. Wie diese Mannigfaltigkeit in Sanchez’ Augen die Möglichkeit eines sicheren Wissens in Frage stellt, haben wir oben S. CXXIIf. gezeigt. Gerade für die Nominalisten stellt diese Mannigfaltigkeit ein schwieriges Problem dar, da sie aufgrund ihrer Verneinung der realen Existenz der Universalien gezwungen sind, die Gattungs- und Artzugehörigkeit der Einzeldinge und ebenso die Gattungs- und Artbegriffe allein durch Ähnlichkeitsrelationen unter den einzelnen Angehörigen einer Gattung bzw. Art zu erklären. Sanchez referiert diese Lehre in QNS ; zur Funktion der Ähnlichkeit in Ockhams Theorie der Gattungs- und Artzugehörigkeit vgl. McCord Adams (, Bd. , ). Wenn jedoch die Mannigfaltigkeit unter den Einzeldingen offensichtlich so groß ist, daß sie untereinander keine hinreichende Ähnlichkeit aufweisen, so ist die Zuordnung der Einzeldinge zu einzelnen Gattungen und Arten nicht möglich.
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der die Umformulierung von P noch die Revision des traditionellen Wissenschaftsbegriffs in P dazu dienen können, die im Nominalismus-Argument formulierte erkenntnistheoretische Problemstellung zu lösen, dann sind die Nominalisten gezwungen, die skeptische Schlußfolgerung dieses Arguments zu akzeptieren.
b) Sanchez und die scholastischen Diskussionen um die species-Theorie Anders als im Nominalismus-Argument geht Sanchez im zweiten Argument, das wir näher betrachten wollen, nicht mehr von einer Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie ockhamscher Prägung aus. Grundlage und Referenzrahmen bildet im folgenden vielmehr die sogenannte species-Theorie, die sich in ihrer einflußreichsten Ausformung auf Thomas von Aquin zurückführen läßt und die dank der Rückwendung auf die thomistischen Lehren im . Jahrhundert unter Sanchez’ Zeitgenossen zahlreiche Anhänger fand.26 Gestützt auf Aristoteles erklärte Thomas die Erkenntnis als ein Aufnehmen von Formen (gr. eidos, lat. forma) im Intellekt.27 Bei diesen Formen handelt es sich um die immateriellen, sinnlich nicht wahrnehmbaren, allgemeinen Wesenheiten der materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Einzeldinge. Da Thomas – wie gezeigt28 – zugleich davon ausging, daß alle Erkenntnis von den Sinnen kom26
Zu den frühen Vertretern der species-Theorie gehören neben Thomas von Aquin auch Albertus Magnus (ca. –), Roger Bacon (ca. – /) und Johannes Duns Scotus, vgl. dazu Spruit (). Einer der bedeutendsten Vertreter der species-Theorie im . Jahrhundert war der spanische Jesuit Francisco Suárez (–), ein Zeitgenosse von Sanchez. Zu seiner Auffassung der species-Theorie vgl. Spruit (, –). Zur Bedeutung des Thomismus in den erkenntnistheoretischen Diskussionen des . Jahrhunderts vgl. Spruit (, v.a. –). 27 Vgl. dazu Aristot. an. , a–; , af. und , b. Gegen diese Auffassung der Erkenntnis argumentiert Sanchez in QNS , wo er zu zeigen versucht, daß eine solche Aufnahme von Formen keine hinreichende Bedingung für Erkenntnis ist. 28 Vgl. oben S. LXV.
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me, stellt sich die Frage, wie der Intellekt, ausgehend von der ausschließlich auf die Einzeldinge gerichteten Sinneswahrnehmung, zu den allgemeinen Formen und damit zur Erkenntnis gelangen kann. Thomas versuchte diese Frage mit Hilfe der species-Theorie zu beantworten. Diese Theorie postuliert die Existenz sogenannter species,29 deren Funktion darin besteht, zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Intellekt zu vermitteln.30 Damit übernehmen die species eine zentrale Rolle in Thomas’ Erklärung des Erkenntnisvorgangs. Der Ausgangspunkt dieses Vorgangs ist die sinnliche Wahrnehmung eines konkreten Einzeldings. Über einen physischen Eindruck in den Sinnesorganen verursacht dieses Ding in dem Teil der Seele, der für die Sinneswahrnehmung zuständig ist, eine körperliche species sensibilis, die als Vorstellungsbild (phantasma) aufbewahrt wird. Solche phantasmata vergegenwärtigen ein Ding in seiner Partikularität und können – aufgrund ihrer körperlichen Natur – vom unkörperlichen Intellekt nicht direkt aufgenommen werden. Sie bilden jedoch das Rohmaterial, aus dem der Intellekt – oder genauer: dessen aktives Vermögen, der sogenannte intellectus agens – die allgemeine Form (forma) des wahrgenommenen Dinges abstrahiert, indem er von allem absieht, was diese species zu einer species eines Einzeldings macht. Dieser Abstraktionsprozeß resultiert in der Bildung einer species intelligibilis, die nur noch die allgemeine Form, d.h. das Wesen, des wahrgenommenen Dinges beinhaltet. Als immaterielle, kognitive Entität kann diese species intelligibilis vom passiven Vermögen des Intellekts – dem so29
‚Species‘ heißt im klassischen Latein so viel wie ‚Aussehen, Gestalt, Abbild‘. Als scholastischen terminus technicus verwendet Sanchez diesen Ausdruck in QNS , , , und . 30 Vgl. dazu Thomas von Aquin Quaestio disputata de anima art. co.: „Da aber die Distanz zwischen dem Intelligiblen und dem materiellen und sinnlich wahrnehmbaren Sein so enorm ist, wird die Form eines materiellen Dinges nicht sogleich vom Intellekt aufgenommen, sondern sie wird durch zahlreiche Vermittler zu ihm geführt (Cum enim maxima sit distantia inter intelligibile et esse materiale et sensibile, non statim forma rei materialis ab intellectu accipitur, sed per multa media ad eum deducitur).“
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genannten intellectus possibilis – aufgenommen werden, womit der Erkenntnisvorgang sein Ziel erreicht.31 Eine wesentliche Voraussetzung der species-Theorie besteht darin, daß die allgemeinen Formen, die vom Intellekt vermittels der species aufgenommen werden, tatsächlich in den Dingen existieren. Existierten die allgemeinen Formen nämlich bloß im Intellekt, so nähme der Intellekt mit den species nur eine mentale Entität auf, die keine extramentale Entsprechung in den Dingen hätte. Indem die species-Theorie den allgemeinen Formen somit nicht bloß eine mentale Existenz im Intellekt, sondern auch eine reale Existenz in den Dingen zuschreibt, setzt sie eine universalien-realistische Ontologie voraus.32 Wenn Sanchez daher in dem nun zu betrachtenden Argument von einer thomistischen species-Theorie ausgeht, so ändert er damit gegenüber dem Nominalismus-Argument nicht nur die erkenntnistheoretische Perspektive, sondern implizit auch die ontologischen Voraussetzungen: Nicht mehr der Nominalismus, sondern 31
Für eine ausführliche Darstellung von Thomas’ Theorie der Erkenntnis vgl. seine Summa Theologiae, pars , v.a. quaest. ff. Hilfreich für das Verständnis dieser Theorie sind Kretzmann (, v.a. –) und Schulthess (, v.a. –). Spezifisch zu Thomas’ Theorie der species intelligibilis vgl. Pasnau (, v.a. –). Sanchez referiert die thomistische Erklärung des Erkenntnisvorgangs in QNS und den Abstraktionsprozeß in QNS , wobei er in beiden Passagen keine terminologische Unterscheidung zwischen species sensibilis und species intelligibilis vornimmt. Sein Referat wird Thomas’ Theorie außerdem insofern nicht ganz gerecht, als daß er die species intelligibiles nicht wie Thomas als Produkte des intellectus agens betrachtet. Statt dessen sieht er in ihnen sogenannte species impressae (dt.: eingeprägte Abbilder), die nicht vom Intellekt gebildet werden, sondern sich diesem von selbst darbieten. Sanchez folgt damit einer Interpretation der species-Theorie, die Thomas’ Lehre mit Ansichten von Roger Bacon vermischt und die sowohl unter den Gegnern als auch unter den Befürwortern dieser Theorie weite Verbreitung fand; vgl. dazu Spruit (, –; ff.; f.). 32 Vgl. dazu Schulthess (, f.): „Diese Art ‚universalienrealistischer‘ Annahme [gemeint ist die Annahme der realen Existenz allgemeiner Formen] schlägt sich in der Erkenntnismetaphysik als species-intelligibilisTheorie nieder.“ Vgl. dazu auch Perler (, ).
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der Universalien-Realismus bildet die ontologische Grundlage seiner Argumentation. Daraus wird deutlich, daß für Sanchez nicht nur die nominalistische Auffassung des Aristotelismus zu erkenntnistheoretischen Problemen führt, sondern daß sich in seinen Augen auch aus der universalien-realistischen Gegenposition unüberwindbare Hindernisse für die Möglichkeit eines Wissens ergeben. Da sich sämtliche Scholastiker – wie gezeigt33 – entweder dem nominalistischen oder dem universalien-realistischen Lager zuordnen lassen, richtet sich Sanchez’ skeptische Argumentation somit gegen den scholastischen Aristotelismus überhaupt. Wie auch immer man Aristoteles auslegt – so ließe sich Sanchez’ Argumentation daher auf den Punkt bringen –: seine Lehre bietet auf keinen Fall eine zweifelsfreie Grundlage für ein wissenschaftliches Wissen. Kommen wir nun zu Sanchez’ eigentlicher Auseinandersetzung mit der species-Theorie. Ausgehend von der thomistischen Erklärung des Erkenntnisvorgangs formuliert Sanchez in QNS – ein Argument, das drei Problemstellungen umfaßt und das zeigen soll, daß die species-Theorie keine Basis für ein Wissen der Dinge bieten kann.34 Dabei betrifft die erste Problemstellung eine Schwierigkeit, die die species-Theorie mit allen empiristischen Erkenntnistheorien teilt. Sanchez formuliert diese Schwierigkeit in folgenden Worten: „Kommen wir also zum Schluß: Jede Erkenntnis wird von den Sinnen empfangen. Was über diese Erkenntnis hinausgeht, ist alles Verwirrung, Zweifel, Unverständlichkeit, Wahrsagerei: nichts Gewisses. Die Sinne nehmen die äußeren Dinge nur wahr, sie erkennen sie nicht. Für den Moment nenne ich das Auge einen Sinn. Der Geist studiert, was er von diesem Sinn empfangen hat. Wurde der Sinn getäuscht, dann auch der Geist.“35
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Vgl. oben S. CXXVII. Auf der Ebene der Terminologie bleibt Sanchez wenig spezifisch und spricht bloß von Bildern (imagines bzw. simulacra), nicht aber von species. Daß die species-Theorie die eigentliche Grundlage der Argumentation bildet, zeigt sich jedoch deutlich am Inhalt. 35 QNS . 34
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Sanchez’ erste Problemstellung zielt somit darauf ab, daß der Intellekt gemäß der thomistischen Auffassung in seiner Erkenntnistätigkeit entscheidend von der Leistung der Sinne abhängt. Wenn diese nicht richtig funktionieren und falsche Informationen über die Welt vermitteln, kann der Intellekt die Dinge nicht erkennen. Er verfügt nämlich über keine Möglichkeit, sich der einwandfreien Funktion der Sinne zu vergewissern. Aus thomistischer Sicht könnte man diesem Problem begegnen, indem man sich auf die grundsätzliche Verläßlichkeit der Sinne beruft. So behauptet Thomas von Aquin in seiner Summa Theologiae, daß die Sinne unter normalen Umständen einwandfrei funktionieren und daß sie daher ein solides Fundament für die Erkenntnistätigkeit des Intellekts bilden. Damit sind vereinzelte Fehlfunktionen zwar nicht ausgeschlossen, doch handelt es sich dabei um Spezialfälle, die bei der Formulierung einer Erkenntnistheorie vernachlässigt werden können.36 Diesen Einwand nimmt Sanchez mit seiner zweiten Problemstellung vorweg, mit der er zu zeigen versucht, daß die speciesTheorie auch dann zu erkenntnistheoretischen Problemen führt, wenn man eine Täuschung der Sinne von vornherein ausschließt: „Wenn aber nicht [d.h. wenn die Sinne nicht täuschen], was erreicht er [der Geist]? Er bedenkt nur Bilder von Dingen, die das Auge aufgenommen hat.“37 Vor dem Hintergrund der species-Theorie kann der Intellekt nach Sanchez’ Auffassung somit auch dann kein Wissen erlangen, wenn die Sinne richtig funktionieren. Gemäß seiner Auffassung 36
Vgl. dazu Thomas von Aquin Summa Theologiae, pars , quaest. , art. : „Und im Hinblick auf ihre eigentlichen Objekte, die sinnlich wahrnehmbaren Dinge, hat die Sinneswahrnehmung keine falsche Erkenntnis, außer durch Zufall und das sehr selten [. . . ] (Et circa propria sensibilia sensus non habet falsam cognitionem, nisi per accidens, et ut in paucioribus [. . . ]).“ Zur Bedeutung der Verläßlichkeit der Sinne in Thomas’ Erkenntnistheorie vgl. Kretzmann () und Stump (). 37 QNS ; es folgen zahlreiche Beispiele aus der antiken Literatur, die zeigen sollen, daß Bilder keine geeignete Basis für ein Urteil über die Dinge darstellen.
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der species-Theorie ist der Intellekt nämlich gezwungen, allein auf der Basis von „Bildern“ – gemeint sind die species – über die Dinge zu urteilen, ohne prüfen zu können, ob diese Bilder die Dinge so wiedergeben, wie sie in Wirklichkeit sind. Wenn aber der Intellekt nicht dazu in der Lage ist, sich Gewißheit über die Verläßlichkeit seiner Bilder zu verschaffen, kann er auch kein sicheres Urteil über die Dinge fällen, die durch diese Bilder repräsentiert werden. Dagegen ließe sich aus thomistischer Sicht einwenden, daß sich dieses Problem nur dann stellt, wenn man die species – wie Sanchez – als die eigentlichen Objekte des Intellekts und als Abbilder der Dinge versteht. Beides trifft jedoch aus thomistischer Perspektive nicht zu. Erstens betrachtet Thomas von Aquin die species nämlich nicht als die eigentlichen Objekte des Intellekts, sondern als kognitive Hilfsmittel, die bloß eine vermittelnde Funktion im Erkenntnisvorgang zu erfüllen haben. In seiner Terminologie sind sie „das, wodurch etwas erkannt wird (id quo intelligitur)“. „Das, was erkannt wird (id quod intelligitur)“ – und damit das eigentliche Objekt des Intellekts –, ist die allgemeine Form der extramentalen Dinge.38 Zweitens besteht zwischen species und Ding nach Thomas kein Abbild-, sondern ein eigentliches Identitätsverhältnis. Die species ist nämlich das Wesen des durch sie vergegenwärtigten Dinges, und zwar insofern, als species und Ding über ein und dieselbe Form verfügen. Species und Ding sind somit formal identisch. Mit der species erfaßt der intellectus possibilis daher nicht ein mentales Abbild, sondern unmittelbar die allgemeine Form des extramentalen Dinges.39 Ein naheliegender Einwand gegen diesen thomistischen Rettungsversuch bestünde darin, die ontologischen Voraussetzungen der species-Theorie in Frage zu stellen. Wie gezeigt, setzt die species-Theorie einen Universalien-Realismus voraus.40 Die These von 38
Vgl. dazu Thomas von Aquin Summa Theologiae, pars , quaest. , art. . 39 Diese Auffassung der thomistischen species-Theorie wird von der Mehrheit der modernen Interpreten vertreten, vgl. etwa Kretzmann (, – ) und Perler (). Für eine Kritik an dieser Auslegung vgl. Pasnau (, v.a. – und –). 40 Vgl. dazu oben S. CXXXVIII.
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der formalen Identität zwischen species und Ding läßt sich nämlich nur dann aufrecht erhalten, wenn man davon ausgeht, daß die allgemeinen Formen über verschiedene Existenzweisen verfügen, so daß ein und dieselbe Form sowohl im immateriellen Intellekt als auch real im materiellen Ding verwirklicht sein kann. Da die Nominalisten die reale Existenz allgemeiner Entitäten verneinen, ist in ihren Augen die These von der formalen Identität zwischen species und Ding nicht zulässig. Dies bedeutet, daß der Intellekt die Dinge vermittels der species nicht erfassen kann und daß er so den direkten Zugang zur Außenwelt verliert. Eine solche ontologisch motivierte Kritik an der species-Theorie findet sich bereits bei Petrus Johannis Olivi (–) und bei Wilhelm von Ockham.41 Bezeichnenderweise wählt Sanchez nicht diesen Weg. Mit einer Infragestellung der ontologischen Voraussetzungen der speciesTheorie verließe er nämlich den allgemeinen Rahmen, den diese Theorie vorgibt, was sich nicht mit seiner Strategie der ad hominemArgumentation vereinbaren ließe.42 Anstatt auf die ontologischen Voraussetzungen der species-Theorie bezieht sich seine dritte Problemstellung daher auf eine Schwierigkeit, die sich unmittelbar aus der thomistischen Auffassung der species selbst ergibt. Sanchez versucht nämlich zu zeigen, daß die species aus theorie-immanenten Überlegungen ihre Vermittlerfunktion zwischen den sinnlich wahrnehmbaren Dingen und dem Intellekt nicht wahrnehmen können. Zu diesem Zweck formuliert er folgende Schwierigkeit: „Das Ganze wäre erträglich, wenn wir von allen Dingen, die wir zu wissen begehren, Abbilder von den Sinnen her hätten. Jetzt ist aber das Gegenteil der Fall; von den wichtigsten Dingen haben wir keine Abbilder, sondern nur von den Akzidentien, die zum Wesen eines Dinges, wie sie sagen, nichts beitragen. Das Wesen ist aber die Quelle der wahren Wissenschaft, und die Akzidentien sind die wertlosesten von 41
Zu Petrus Johannis Olivis Kritik vgl. Perler (); zu Wilhelm von Ockhams Kritik vgl. Perler (). 42 Daß Sanchez die universalien-realistische Voraussetzung der speciesTheorie nicht in Frage stellt, kann als weiteres Argument dafür angeführt werden, daß er sich nicht dem Nominalismus verpflichtet fühlte, vgl. dazu oben S. CXXVIII.
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allen Seienden. Von ihnen ausgehend müssen wir über alles andere mutmaßen.“43 Sanchez’ dritte Problemstellung zielt damit darauf ab, daß die species sensibiles ausschließlich Akzidentien vergegenwärtigen können. Der Grund dafür ist, daß die species sensibiles gemäß Thomas die Dinge so repräsentieren, wie sie in der konkreten Erkenntnissituation von den Sinnen wahrgenommen werden. Da aber die Sinne nur akzidentelle Qualitäten wahrnehmen,44 können auch die vermittels Sinneswahrnehmung aufgenommenen species sensibiles nur die akzidentellen Eigenschaften der Dinge vergegenwärtigen. Trifft dies zu, so bilden die species sensibiles keine geeignete Basis für den Abstraktionsprozeß. Es ist nämlich keineswegs klar, wie der Intellekt ausgehend von diesen Akzidentien zum Wesen der Dinge gelangen kann, da er zu diesem Zweck ja gerade von den akzidentellen Eigenschaften eines Dinges absehen muß.45 In Sanchez’ Augen führt die species-Theorie somit unweigerlich zu skeptischen Konsequenzen: Wenn nämlich die species dem Intellekt die Aufnahme des Wesens der Dinge nicht ermöglichen, so gibt es auch keine Wissenschaft, denn „das Wesen ist [. . . ] die Quelle der wahren Wissenschaft“. Die Schwierigkeiten, mit denen Sanchez die species-Theorie im vorliegenden Argument konfrontiert, waren zur Zeit der Verfassung von QNS keineswegs neu. So bildete die erste Problemstellung, der Verweis auf die Möglichkeit von Sinnestäuschungen, bereits in der 43
QNS . Vgl. dazu Thomas von Aquin Summa Theologiae pars , quaest. , art. . 45 Für Thomas von Aquins Darstellung des Abstraktionsprozesses vgl. Summa Theologiae pars . quaest. art. co.; quaest. art. und quaest. art. . Sanchez problematisiert den Abstraktionsprozeß auf ähnliche Weise in QNS . Mit dieser Problemstellung berührt Sanchez eine grundsätzliche Schwierigkeit der thomistischen Abstraktionstheorie. Diese besteht darin, die Überführung physischer Sinneseindrücke in mentale Konzepte zu erklären. Nach King () waren die Scholastiker nicht dazu in der Lage, eine befriedigende Lösung für dieses Problem zu finden, was wesentlich zur Aufgabe der scholastischen Abstraktionstheorie im Verlauf der Frühen Neuzeit beitrug. 44
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Antike einen zentralen Einwand der Skeptiker gegen die dogmatischen Erkenntnistheorien ihrer Zeit. Auch der zweite und dritte Einwand können auf eine längere Tradition zurückblicken, doch entstammen sie einem anderen philosophiehistorischen Kontext. Sie erscheinen zum ersten Mal in den erkenntnistheoretischen Diskussionen unter den Scholastikern des späten . Jahrhunderts. Die Lehre von den species traf nämlich nicht auf ungeteilte Zustimmung, und schon bald äußerten einige Scholastiker heftige Kritik an Thomas’ Ansichten. Dabei spielten die von Sanchez angeführten Schwierigkeiten von Beginn an eine wichtige Rolle. So finden sich sowohl das Problem, daß der Intellekt unter der Annahme der species über keinen direkten Zugang zur Welt verfüge, als auch der Einwand, daß die species bloß ein Wissen von Akzidentien, nicht aber vom Wesen der Dinge erlaubten, bereits bei den frühesten Kritikern der thomistischen Erkenntnistheorie wie etwa bei Heinrich von Ghent (ca. –), Petrus Johannis Olivi, William Crathorn (fl. ca. ) und Wilhelm von Ockham. Diese Vorwürfe wurden in den darauffolgenden Jahrhunderten von zahlreichen Scholastikern nur leicht variiert immer wieder aufgenommen und bildeten so den Kern der erkenntnistheoretischen Bedenken gegenüber der species-Theorie bis in die Zeit von Sanchez und darüber hinaus.46 Wie bereits im Zusammenhang mit den erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten des Nominalismus kann sich Sanchez somit auch in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der species-Theorie auf eine reichhaltige Tradition von skeptischen Argumenten stützen, die ihren Ursprung innerhalb des Lagers der Scholastiker haben.47 46
Für eine umfassende Darstellung der Diskussionen über die speciesTheorie vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit vgl. Spruit ( und ) mit Literaturangaben; spezifisch zu den Diskussionen zur Zeit von Sanchez vgl. Spruit (, –). Für detaillierte Analysen der frühen Kritik an der species-Theorie vgl. Perler ( und ) und Pasnau (, v.a. –). 47 Perler () zeigt, daß die scholastischen Kritiker in ihren skeptischen Einwänden gegen die species-Theorie sogar noch weiter gingen als Sanchez. Während Sanchez nämlich bloß darauf abzielt zu zeigen, daß vor dem Hintergrund der species-Theorie ein Wissen vom Wesen der Dinge unmöglich ist, schufen einige Scholastiker in ihrer Kritik an der species-Theorie die
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c) Fazit Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, daß Sanchez in zentralen Passagen seiner skeptischen Argumentation direkt an die erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen unter den Scholastikern anknüpft. Hinter einem großen Teil der Fragestellungen, die im Verlauf seiner Diskussion der Möglichkeit eines sicheren Wissens aufgeworfen werden, stehen scholastische Debatten, und der Sinn zahlreicher Argumente läßt sich nur hinreichend entschlüsseln, wenn man diesen scholastischen Hintergrund zur Kenntnis nimmt.48 Obschon Sanchez’ skeptische Argumentation in QNS somit gewissermaßen als eine Weiterführung der scholastischen Diskussionen über die Erkenntnis betrachtet werden kann, läßt sich dennoch ein wesentlicher Unterschied in der Funktion der skeptischen Argumente in Sanchez’ Argumentation auf der einen Seite und in den erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen der Scholastiker auf der anderen Seite feststellen. Auf den ersten Blick scheint sich zwar die Verwendungsweise dieser Argumente bei Sanchez und bei den Scholastikern nicht zu unterscheiden. Sie dienen sowohl Sanchez als auch den Scholastikern dazu zu zeigen, daß eine bestimmte Theorie oder eine bestimmte Auffassung einer Theorie zu skeptischen Konsequenzen führt. Der wesentliche Unterschied zeigt sich erst in der Bewertung dieser skeptischen Konsequenzen. In den Augen der Scholastiker stellte der Skeptizismus nämlich in erster Linie eine verfehlte Einschätzung unserer kognitiven Fähigkeiten dar. Zwar teilten die meisten Scholastiker unter dem Einfluß von Augustin die Auffassung, daß die Erkenntnisfähigkeit der Menschen v.a. aufgrund des Sündenfalls engen Beschränkungen untertheoretischen Grundlagen für einen grundsätzlichen Zweifel hinsichtlich der Existenz der Außenwelt. Daß sich in QNS kein solcher globaler Außenweltskeptizismus findet, haben wir oben S. LIIIf. gezeigt. 48 Vgl. dazu auch Yrjönsuuri (, v.a. –), der zeigt, daß Sanchez’ Diskussion der Frage nach der Möglichkeit eines Wissens von der eigenen Seele (QNS –) stark von den scholastischen Auseinandersetzungen zu diesem Thema geprägt ist.
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liegt, doch stimmten sie dennoch darin überein, daß die Menschen zumindest grundsätzlich über Wissen verfügen können. Eine wichtige Stütze dieses Vertrauens in die Hinlänglichkeit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit bildete dabei der Eröffnungssatz der aristotelischen Metaphysik, der besagt, daß alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben. Wenn es sich bei diesem Streben aber um ein natürliches Verlangen handelt, dann muß die Natur die Menschen auch mit den nötigen Mitteln ausgestattet haben, um es erfüllen zu können. Andernfalls wäre dieses Verlangen nutzlos. Die Annahme, daß die Natur in den Menschen ein nutzloses Verlangen geweckt hätte, ist aus scholastischer Sicht aber absurd.49 Vor diesem Hintergrund kann es kaum erstaunen, daß Sanchez seine ‚Vorrede an den Leser‘ gerade mit einer Problematisierung dieses für die Scholastiker so bedeutungsvollen Satzes beginnt. Das scholastische Vertrauen in die menschliche Erkenntnisfähigkeit hat zur Folge, daß der Skeptizismus aus der Sicht der Scholastiker als eine absurde Ansicht zu betrachten ist, d.h. als eine Ansicht, die kein vernünftiger Mensch ernsthaft vertreten kann. Damit wird klar, daß skeptische Argumente den Scholastikern keineswegs dazu dienten, eine skeptische Sichtweise zu etablieren, sondern daß sie bloß die Funktion einer reductio ad absurdum zu erfüllen hatten. Ihr Zweck bestand allein darin, eine bestimmte Erkenntnistheorie entweder als mangelhaft oder als gänzlich verfehlt und unhaltbar zu erweisen, um so den Weg frei zu machen für eine alternative Theorie. Die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, auf die ihre skeptischen Argumente abzielten, betrachteten die Scholastiker daher als bloße Scheinprobleme, die sich nur stellen, wenn man an einer verfehlten Erkenntnistheorie festhält. Gibt man diese Theorie zugunsten einer anderen auf oder ergänzt man sie durch nötige Zusatzannahmen, besteht kein Grund mehr, die Erreichbarkeit eines sicheren Wissens zu bezweifeln. Solange sich aber die 49
Diese Überlegung spielt eine wichtige Rolle in Augustins antiskeptischer Argumentation in Contra Academicos, die von den Scholastikern stark rezipiert wurde. Später findet sie sich z.B. in Thomas von Aquins Sententia libri Metaphysicae lib. , lect. , n. und .
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erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten überwinden lassen, führt die Verwendung von skeptischen Argumenten noch nicht zu einem eigentlichen Skeptizismus.50 Aus Sanchez’ Perspektive handelt es sich bei den durch die skeptischen Argumente aufgeworfenen Schwierigkeiten dagegen nicht um Scheinprobleme. Für ihn widerspiegeln diese Schwierigkeiten vielmehr echte Hindernisse für unsere Erkenntnisfähigkeit, für die zumindest im Moment keine Lösung zur Hand ist und für die es möglicherweise gar keine Lösung gibt. Entsprechend stellt eine skeptische Einschätzung unserer Erkenntnisfähigkeit in Sanchez’ Augen keine Absurdität dar – im Gegenteil: aus seiner Sicht zwingt uns die Vernunft sogar geradezu, die Möglichkeit eines sicheren Wissens zu bezweifeln. Das Ziel seiner Argumentation in QNS besteht daher darin zu zeigen, daß eine Reflexion über die Beschaffenheit der Dinge und über unser Erkenntnisvermögen die skeptische Sichtweise, daß wir tatsächlich nichts wissen können, alles andere als absurd erscheinen läßt. Indem Sanchez in QNS nirgends einen Hinweis dafür gibt, daß sich die durch die skeptischen Argumente gestellten Schwierigkeiten überwinden lassen, enthebt er sie der rein elenktischen Funktion, die sie bei den Scholastikern zu erfüllen hatten, und verleiht ihnen dadurch erst eine eigentlich skeptische Stoßrichtung, über die sie in den scholastischen Diskussionen nicht verfügten. Aus scholastischen Argumenten gegen eine bestimmte Erkenntnistheorie werden bei Sanchez somit Argumente für eine skeptische Einschätzung unserer Erkenntnisfähigkeit. Die konsequente Ausrichtung von Sanchez’ skeptischer Argumentation auf die spätscholastische Wissenschaftstheorie zeigt deutliche Auswirkungen auf die Rezeption von QNS. Eine ad hominemArgumentation ist für ihre Wirkung nämlich auf eine oder mehrere bestimmte Gegenpositionen angewiesen. Dies hat zur Folge, 50
Zwar kannte man im Mittelalter eine reiche Tradition skeptischer Argumente, doch vertrat – zumindest soweit wir heute wissen – kein einziger Philosoph dieser Zeit ernsthaft eine skeptische Sicht der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, vgl. dazu etwa Zupko (), Thijssen () und Lee (). Anders Kennedy ( und ).
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daß ein Verständnis und eine Bewertung ihrer skeptischen Stoßkraft nicht ohne detaillierte Kenntnisse der jeweiligen Gegenposition auskommen. Sobald sich daher die philosophischen Diskussionen in einem neuen Referenzrahmen bewegen, verliert eine ad hominem-Argumentation ihre Wirkung, und die Skeptiker müssen neue Argumente finden, die auf die neuen Gegner hin formuliert sind. Dieses Phänomen läßt sich anhand des Schicksals von QNS bestätigen: Während diese Schrift von bis vier Auflagen erlebte und Ziel zweier ausführlicher Widerlegungsversuche wurde,51 verblaßte ihre Wirkung gegen Ende des . Jahrhunderts. Diese Entwicklung läßt sich mit einem Blick auf das Schicksal des scholastischen Aristotelismus im . Jahrhundert erklären: Dieses Jahrhundert erlebte – wie gesagt – das allmähliche Hinschwinden der Vorherrschaft des Aristotelismus und das Aufkommen neuer Lehren von Denkern und Gelehrten wie René Descartes, John Locke und Isaac Newton, die in der Folge die philosophischen Auseinandersetzungen prägen sollten. QNS kam damit sein eigentlicher Gegner abhanden, und damit verlor sich auch das Interesse an dieser Schrift. Im Zusammenhang mit dem in den letzten Jahrzehnten aufgekommenen Interesse an der Spätscholastik auf der einen Seite und am Auftreten des Skeptizismus in der Frühen Neuzeit auf der anderen Seite lohnt sich jedoch eine Lektüre von QNS von neuem. Handelt es sich dabei doch um eine eigenständige und sicher um eine der interessantesten skeptischen Auseinandersetzungen mit der Wissenschaftstheorie der spätscholastischen Aristoteliker.
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Zu den verschiedenen Auflagen von QNS vgl. unten S. CLXII; zu den Widerlegungsversuchen vgl. oben S. LVIII Anm. .
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C. Der argumentative Aufbau von ›Quod nihil scitur‹ . Die zwei Stufen von Sanchez’ Argumentation Sanchez’ Argumentation gegen die Möglichkeit eines sicheren Wissens in QNS läßt sich in zwei Teile unterteilen, denen zwei verschiedene Stufen der Argumentation entsprechen. Sie werden durch eine gliedernde Bemerkung in QNS voneinander getrennt: „Soweit habe ich nämlich wiederholt die Unwissenheit der anderen in bezug auf die Definition der Wissenschaft und in bezug auf die Erkenntnis dargelegt. Nun werde ich meine eigene Unwissenheit ans Licht bringen, damit ich nicht den Eindruck erwecke, ich sei der einzige, der etwas wisse. Daraus wirst du ersehen können, wie sehr wir unwissend sind!“ Aus diesen Worten wird die unterschiedliche Zielsetzung der beiden Stufen der Argumentation deutlich. Die erste Stufe (QNS – ) zielt darauf ab, „die Unwissenheit der anderen“ darzulegen: ausgehend von drei Definitionen von Wissenschaft bzw. Wissen unterzieht Sanchez dazu die wichtigsten Wissenschaftskonzeptionen seiner Zeit einer umfassenden Kritik. Die erste Stufe seiner Argumentation ist somit in erster Linie elenktisch ausgerichtet. Ihr Ziel besteht darin, die angeführten Definitionen als falsch und die darauf aufbauenden Theorien als verfehlt zu erweisen. Ein eigentlicher Skeptizismus wird jedoch noch nicht erreicht. Sanchez zeigt nur, daß die zu seiner Zeit gängigen Wissenskonzeptionen in seinen Augen falsch sind. Damit ist aber die Möglichkeit, ein sicheres Wissen zu erlangen, noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die eigentlich skeptische Tragweite von QNS entfaltet sich erst auf der zweiten Stufe der Argumentation, der Sanchez den weitaus größeren Teil seiner Schrift widmet (QNS –). Ziel der Argumentation auf dieser Stufe ist es, die „eigene Unwissenheit ans Licht [zu] bringen“. Damit macht Sanchez deutlich, daß es ihm nicht darum geht, die auf der ersten Stufe kritisierten Wissenskonzeptionen „der anderen“ durch eine eigene, richtige zu ersetzen. Vielmehr soll gezeigt werden, daß die Erreichbarkeit eines wissenschaftlichen Wissens grundsätzlich bezweifelt werden muß. Erst auf der
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zweiten Argumentationsstufe zeigt sich somit der systematische Anspruch von QNS, der über eine bloße Kritik an den zeitgenössischen Wissenschaftsauffassungen hinausgeht und auf die Etablierung einer skeptischen Sicht der Dinge abzielt.1 Nach dieser grundlegenden Bemerkung wollen wir näher auf die beiden Stufen von Sanchez’ Argumentation eingehen, um den argumentativen Aufbau von QNS feiner zu gliedern. Die erste Stufe von Sanchez’ Argumentation besteht im wesentlichen in einer kritischen Analyse zentraler Bestandteile der aristotelischen Wissenschaftstheorie scholastischer Prägung.2 Den Beginn macht dabei eine Infragestellung der aristotelischen Definitionslehre (QNS –). Die aristotelische Tradition unterscheidet zwei Formen der Definition, die Nominaldefinition (definitio nominalis) und die Realdefinition (definitio realis). Die Realdefinition ist eine Aussage über ein Ding: in ihr wird das Wesen eines Dinges ausgedrückt. Die Nominaldefinition dagegen ist eine Aussage über ein Wort: in ihr wird die Bedeutung eines Wortes festgelegt.3 Da wir jedoch – so Sanchez – das Wesen der Dinge nicht erkennen können, können wir es auch nicht in einer Realdefinition zum Ausdruck bringen. Das einzige, was unsere Definitionen vermögen, ist, die Bedeutung eines Wortes anzugeben. Entsprechend ist für Sanchez „jede Definition eine Nominaldefinition und beinahe jede Frage dreht sich um Namen“.4 Ausgangspunkt für die kritische Auseinandersetzung mit weiteren Kernbegriffen der aristotelischen Wissenschaftstheorie bilden zwei scholastische Definitionen von ‚Wissenschaft‘, nämlich ‚Wissenschaft‘ als „Haltung, die durch Beweis erworben wird“ (gr. hexis apodeiktike, lat. habitus demonstrativus oder habitus per demonstrationem acquisitus) und ‚Wissenschaft‘ als „ein Ding durch seine Ursa1
Zu dieser Zweistufigkeit des argumentativen Aufbaus von QNS vgl. Besnier (, ). 2 Zu der scholastischen Wissenschaftsauffassung vgl. Serene (). 3 Diese Unterscheidung fußt auf Aristoteles’ Ausführungen zu den verschiedenen Arten der Definition in an. post. , b–a. Zu Aristoteles’ Definitionstheorie vgl. LeBlond () und Deslauriers (). 4 QNS , vgl. auch QNS .
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chen erkennen“.5 In Sanchez’ Augen sind diese beiden Definitionen „unklar“ (obscurus), weshalb er sie in ihre Bestandteile zerlegt, um diese im folgenden einzeln einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen.6 Die Zerlegung der ersten Definition von ‚Wissenschaft‘ als einer „Haltung, die durch Beweis erworben wird“ gibt Anlaß zu einer Kritik am aristotelischen Beweis. Mit Aristoteles definierten die Scholastiker den Beweis (gr. apodeixis, lat. demonstratio) als einen „Syllogismus, der Wissen hervorbringt“ (gr. syllogismos epistemonikos, lat. syllogismus qui scire facit oder syllogismus faciens scire).7 Entsprechend besteht Sanchez’ Auseinandersetzung mit der aristotelischen Beweislehre im wesentlichen in einer Kritik an der aristotelischen Syllogistik (QNS –). Im Anschluß daran widmet sich Sanchez dem zweiten Bestandteil der ersten Definition: der Bestimmung der Wissenschaft als Haltung (habitus: QNS –). Sanchez’ Haupteinwand gegen diese Bestimmung lautet, daß Wissen nicht als ein passiver Zustand aufzufassen sei, sondern als eine „einfache Tätigkeit des Geistes“, die in einer „Betrachtung oder Erkenntnis“ (contemplatio bzw. cognitio) bestehe. Als Haltung lasse sich dagegen das Gedächtnis beschreiben, doch gelte es zu unterscheiden zwischen Erinnern und 5
Die erste Definition stammt aus Aristot. eth. Nic. , b; zu ihrer Rolle in der scholastischen Wissenschaftstheorie vgl. z.B. Wilhelm von Ockham Prolog zum Physikkommentar § (= Guilelmi de Ockham opera philosophica [Saint Bonaventure, New York –]) IV,). Für die zweite Definition vgl. Thomas von Aquin Expositio libri Posteriorum Analyticorum lib. , lect. : „Wissen ist die Ursache eines Dinges erkennen (scire est causam rei cognoscere).“ Dabei handelt es sich um eine verkürzte Wiedergabe von Aristoteles’ Definition von Wissenschaft (gr. episteme) in an. post. , b–: „Wir meinen dann ein jedes schlechthin zu wissen, und nicht auf sophistische Weise zufällig, wenn wir glauben, die Ursache zu kennen, durch welche das Ding ist [und wissen], daß sie dessen Ursache ist und daß es nicht anders sein kann.“ 6 Vgl. QNS und . Dasselbe Vorgehen befolgt Sanchez auf der zweiten Stufe seiner Argumentation, vgl. dazu unten S. CLVII Anm. . 7 Vgl. dazu Aristot. an. post. , b und Thomas von Aquin Expositio libri Posteriorum Analyticorum lib. , lect. n. .
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Erkennen. Hinter Sanchez’ Ausführungen steht dabei die scholastische Diskussion darüber, ob sich der Intellekt beim Erkennen rein passiv verhalte oder ob der Erkenntnisvorgang eine aktive Mitwirkung des Intellekts verlange.8 Sein scheinbarer Positionsbezug zugunsten einer aktiven Auffassung des Erkenntnisvorgangs läßt sich somit auch hier als ein Rückgriff auf eine These erklären, die von einem Teil seiner scholastischen Gegner vertreten wurde. Die Unterscheidung von Erkennen und Erinnern in QNS bietet den Anlaß zu einer Kritik an der platonischen Anamnesis-Lehre, die das Wissen als ein Sich-Erinnern erklärt (QNS –). In dieser Lehre sahen einige Humanisten eine vielversprechende Alternative zum herrschenden Aristotelismus.9 Zwar hat Sanchez’ Kritik an der platonischen Anamnesis-Lehre bloßen Exkurscharakter innerhalb der Kritik an der aristotelischen Wissenschaftstheorie, doch widerspiegelt sie dennoch den umfassenden Anspruch seiner Argumentation: QNS ist nicht bloß ein anti-aristotelisches Pamphlet. Indem Sanchez seine Kritik nicht auf die aristotelische Lehre beschränkt, macht er deutlich, daß auch die Lehren, die zu seiner Zeit als Alternativen zum scholastischen Aristotelismus an Bedeutung gewannen, in seinen Augen nichts zur Lösung der menschlichen Erkenntnisprobleme beizutragen haben. Mit seiner Kritik am aristotelischen Beweis und der Beschreibung der Wissenschaft als Haltung glaubt Sanchez die erste aristotelische Definition widerlegt zu haben,10 und er wendet sich der Behandlung der zweiten Definition zu, die ‚Wissenschaft‘ als „ein Ding durch seine Ursachen erkennen“ bestimmt. Ausgehend von dieser Definition wird die Forderung nach der Ursachenerkenntnis
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Zu dieser Diskussion vgl. Pasnau (, –). Zur Bedeutung des Platonismus unter den früh-neuzeitlichen Humanisten vgl. Copenhaver und Schmitt (). 10 Vgl. dazu QNS : „Wenn es aber keinen Beweis gibt, gibt es also keine Wissenschaft. Damit ist auch der Satz falsch, daß der Beweis die wissenschaftliche Haltung hervorbringt“ und QNS : „Daher schließe ich nun auch, daß es ganz verkehrt ist, Wissenschaft eine Haltung zu nennen.“ 9
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problematisiert (QNS –).11 In diesem Zusammenhang kommt Sanchez auch auf grundsätzliche Schwierigkeiten der Prinzipienerkenntnis zu sprechen, die sich aus der axiomatischen Struktur der scholastischen Wissenschaftsauffassung ergeben (QNS –). Mit der Problematisierung von Definition, Beweis, Ursachenerkenntnis und der axiomatischen Struktur der aristotelischen Wissenschaft sind die scholastischen Wissenschaftsdefinitionen in Sanchez’ Augen widerlegt und die „Unwissenheit der anderen in bezug auf die Definition der Wissenschaft und in bezug auf die Erkenntnis“ hinreichend erwiesen. Damit ist der Weg frei für die zweite Stufe der Argumentation, auf der Sanchez eine umfassende Erkenntniskritik formuliert und damit seine „eigene Unwissenheit ans Licht“ bringt. Anders als auf der ersten Stufe seiner Argumentation geht es Sanchez auf der zweiten Stufe nicht mehr darum, eine weitere Wissenskonzeption als falsch zu erweisen. Sein Ziel besteht vielmehr darin, die Bedingungen zu untersuchen, die erfüllt sein müssen, damit ein zweifelsfreies Wissen erreicht werden kann, und zugleich zu zeigen, daß diese Bedingungen kaum zu erfüllen und daß die Erreichbarkeit eines solchen Wissens somit zweifelhaft ist. Ausgangspunkt und Grundlage dieser Untersuchung bildet – wie bereits auf der ersten Stufe der Argumentation – eine Definition von ‚Wissenschaft‘. Diese lautet: „Wissenschaft ist die vollkommene Erkenntnis eines Dinges.“12 Diese Definition bestimmt ‚Wissenschaft‘ als eine Erkenntnis (cognitio), die auf ein Ding (res) gerichtet ist und die sich durch Vollkommenheit auszeichnet. Im Gegensatz zu den zuvor kritisierten Definitionen betrachtet Sanchez die vorliegende Definition als „leicht verständlich“ (facilis). In seinen Augen enthält sie
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Zur aristotelischen Ursachenlehre und zur Funktion der Ursache in Aristoteles’ Wissenschaftstheorie vgl. Patzig (). 12 QNS . In der Erstausgabe von QNS erscheint diese Definition in Großbuchstaben.
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nämlich ausschließlich Terme, die sich nicht weiter analysieren lassen und die als selbsterklärend betrachtet werden können.13 Damit diese Definition ihre Funktion erfüllen und als Grundlage der weiteren Argumentation dienen kann, muß sie bei Sanchez’ dogmatischen Gegnern auf Zustimmung treffen. Akzeptieren seine Gegner diese Definition nicht, so läuft die darauf aufbauende Argumentation ins Leere. Da sich Sanchez auch auf der zweiten Stufe seiner Argumentation in einem aristotelischen Referenzrahmen bewegt, kann es nicht überraschen, daß er als Grundlage seiner weiteren Ausführungen eine Definition wählt, die der scholastischen Tradition nicht fremd ist. So findet sich beispielsweise bei Thomas von Aquin eine Definition von Wissen, die mit derjenigen von Sanchez in den wesentlichen Zügen übereinstimmt. Sie lautet: „Etwas zu wissen ist es vollkommen zu erkennen.“14 Wie Sanchez definiert auch Thomas Wissen als ein Erkennen, das auf ein Objekt (bei Sanchez: ‚res‘, bei Thomas: ‚aliquid‘ bzw.: ‚ipsum‘) gerichtet ist und das sich durch Vollkommenheit auszeichnet. Wenn Sanchez die vorliegende Definition mehrfach als seine eigene bezeichnet,15 erhebt er somit keinen eigentlichen Anspruch auf Urheberschaft. Er möchte damit bloß sagen, daß er sich die vorliegende Definition insofern zu eigen macht, als sie ihm – anstelle der im ersten Teil kritisierten Definitionen – als Grundlage seiner weiteren Ausführungen dienen soll. 13
Dies zeigt sich besonders deutlich im Fall von ‚Erkenntnis‘: Sanchez betont zweimal (QNS und ), daß dieser Begriff sich nicht weiter definieren, sondern nur durch die Angabe von Synonymen umschreiben lasse. 14 Expositio libri Posteriorum Analyticorum lib. lect. n. : „Scire aliquid est perfecte cognoscere ipsum.“ Auf die Ähnlichkeit dieser Definition wies bereits Iriarte (, Anm. ) hin. Bei der Definition von Wissen als einer vollkommenen Erkenntnis eines Dinges handelt es sich somit entgegen Suárez Dobarrio (, ) kaum um eine „nueva concepción del conocimiento científico“ [unsere Hervorhebung]. 15 Vgl. z.B. QNS : „In der Wissenschaft gibt es also, wenn du meine Definition (definitionem [. . . ] meam) zuläßt, dreierlei [. . . ]“; QNS : „Aber bis zu diesem Punkt scheinen zwei Teile meiner Definition (definitionis nostrae) erklärt zu sein [. . . ]“
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Außerdem unternimmt Sanchez eine zweifache Klärung des Status dieser Definition. So bezeichnet er sie erstens als eine „Erklärung des Namens [Wissenschaft]“.16 Bei der vorgebrachten Definition handelt es sich somit um eine Nominaldefinition. Im Unterschied zu einer Realdefinition setzt eine Nominaldefinition die Existenz ihres definiendum nicht voraus. So gibt es beispielsweise eine Nominaldefinition von ‚Einhorn‘, obschon keine Einhörner existieren. Wenn Sanchez daher mit der vorliegenden Definition eine Nominaldefinition von ‚Wissenschaft‘ angibt, so erklärt er dadurch zwar die Bedeutung des Wortes ‚Wissenschaft‘, doch verpflichtet er sich damit nicht darauf, die Wissenschaft als in Wirklichkeit existierend anzunehmen. Zweitens gibt Sanchez seiner Definition den Status einer Hypothese (suppositum).17 Damit macht er deutlich, daß sie keinen Fall von Wissen darstellt. Hypothesen haben nämlich nie den Status von Wissen, da sie zumindest noch nicht bewiesen wurden oder sogar gänzlich unbeweisbar sind.18 Da das Ziel der zweiten Stufe von Sanchez’ Argumentation nicht darin besteht, eine weitere Definition der Wissenschaft zu widerlegen, darf sich die Fragwürdigkeit eines wissenschaftlichen Wissens nicht unmittelbar aus der Definition selbst ergeben. Dies gäbe nämlich eher Anlaß zu Zweifeln hinsichtlich der vorgebrachten Definition als hinsichtlich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.19 Tatsächlich spricht grundsätzlich nichts dagegen, daß Wissenschaft eine vollkommene Erkenntnis eines Dinges ist. Zweifel an der Möglichkeit eines solchen Wissens stellen sich erst ein, wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, die sich dabei ergeben. Bei Sanchez’ skeptischer Argumentation im zweiten Teil von QNS handelt es sich daher im wesentlichen um eine Aneinanderreihung zahlreicher Hindernisse, die sich der Erreichbarkeit eines sicheren Wissens in den 16
QNS . Vgl. dazu QNS : „Nimm die Erklärung des Namens ‚Wissenschaft‘, die ich vorgetragen habe, als Hypothese an, damit die Rede fortschreiten kann.“ 18 Vgl. dazu QNS –. 19 Vgl. dazu Besnier (, ). 17
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Weg stellen. Diese Hindernisse nennt Sanchez „Ursachen“ (causa ignorantiae, causa inscitiae, causa ignorandi) bzw. „Möglichkeiten unserer Unwissenheit“ (occasio ignorandi, occasio inscitiae).20 In der kumulativen Wirkung dieser Aufzählung besteht die eigentliche skeptische Stoßkraft der zweiten Stufe von Sanchez’ Argumentation.21 Wie bereits auf der ersten Stufe bestimmt auch auf der zweiten Stufe der Argumentation die Zerlegung der eingangs angeführten 20
Für occasio ignorandi vgl. QNS , , sowie die Marg. zu QNS und ; für occasio inscitiae vgl. die Marg. zu QNS ; für causa ignorantiae vgl. QNS und die Marg. zu QNS ; für causa inscitiae vgl. QNS und die Marg. zu QNS ; für causa ignorandi vgl. die Marg. zu QNS . 21 Zu Sanchez’ Aufzählung von „Ursachen der Unwissenheit“ existiert ein interessantes Gegenstück, das ungefähr zeitgleich mit QNS entstanden sein muß. Es handelt sich dabei um eine kurze Schrift (vier moderne Druckseiten) mit dem Titel Multae sunt nostrarum ignorationum causae (Zahlreich sind die Ursachen unserer Unwissenheit) von Girolamo Borro (–), einem konservativen Scholastiker und Lehrer Galileo Galileis. Sie liegt bei Schmitt (b) vollständig abgedruckt und mit einer kurzen Einleitung versehen vor. In dieser Schrift zählt Borro zehn „Ursachen der Unwissenheit“ auf, die z.T. in auffälliger Weise mit denjenigen von Sanchez übereinstimmen. Diese Übereinstimmungen betreffen die „Subtilität der Sophisten“ (Borros vierte Ursache; vgl. dazu etwa QNS ), gewisse „Fehler der Natur“ (Borros fünfte Ursache; vgl. dazu etwa QNS ), „mangelnde Erfahrung“ (Borros neunte Ursache; vgl. dazu etwa QNS ) und schließlich die erkenntnishindernde Wirkung der Emotionen (Borros zehnte Ursache; vgl. dazu QNS ). In ihrer Gesamtintention stehen sich die beiden Schriften jedoch diametral entgegen. Im Gegensatz zu Sanchez bezweckt Borro nicht eine Infragestellung, sondern vielmehr eine Verteidigung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Entsprechend beschränkt er sich nicht auf die Aufzählung von Erkenntnisproblemen, sondern er zeigt in einem zweiten Schritt, wie sich diese überwinden lassen. Dabei stützt er sich ausschließlich auf aristotelische Lehren, womit er deutlich macht, daß die aristotelische Philosophie in seinen Augen ein taugliches Mittel gegen allfällige Zweifel hinsichtlich der Möglichkeit des Wissens darstellt. Ob die beiden Autoren ihre Schriften gegenseitig zur Kenntnis genommen haben (und ob die eine sogar als eine Erwiderung auf die andere zu betrachten ist), muß offen bleiben. Dagegen spricht jedoch, daß sich weder bei Sanchez noch bei Borro Hinweise auf eine allfällige Kenntnisnahme der jeweils anderen Abhandlung finden.
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Definition den Verlauf der weiteren Ausführungen. So gliedern ihre konstitutiven Elemente – d.h. Ding, Erkenntnis und Vollkommen – Sanchez’ Aufzählung der verschiedenen Erkenntnishindernisse.22 In einem ersten Schritt werden Schwierigkeiten präsentiert, die sich dem Wissen seitens der Dinge entgegenstellen (QNS – ). Im Zentrum stehen dabei ihre möglicherweise unendliche Anzahl, die kausale Verknüpfung unter ihnen und ihre Mannigfaltigkeit. In einem zweiten Schritt wendet sich Sanchez den Problemen seitens der Erkenntnis zu (QNS –), wobei er unterscheidet zwischen dem Erkenntnisakt und dem Erkenntnissubjekt. Im Hinblick auf den Erkenntnisakt konzentriert sich Sanchez auf die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung (QNS –). Im Hinblick auf das Erkenntnissubjekt behandelt er Erkenntnishindernisse physiologischer, sozialer und pädagogischer Natur, so z.B. die erkenntnishindernde Wirkung von Krankheiten, von Armut bzw. Reichtum und die Folgen von verfehlten Lehrmethoden. Außerdem thematisiert er einige Probleme, die sich beim Gewinnen von Erfahrung und beim Fällen von Urteilen stellen (QNS –). Nur noch einige wenige Bemerkungen widmet Sanchez schließlich dem letzten Element der Definition, dem Vollkommenen (QNS ). Zum Schluß wendet sich Sanchez noch einmal an seine Leserschaft und unterstreicht abschließend die undogmatische Form seines Skeptizismus (QNS –). So betont er erstens, nicht bewiesen zu haben, daß nichts gewußt wird (QNS ). Damit macht er 22
Vgl. dazu QNS : „In der Wissenschaft gibt es also, wenn du meine Definition zuläßt, dreierlei: das Ding, von dem man Wissen haben will, die Erkenntnis und das Vollkommene. Von diesen werden wir jedes einzelne im Detail erwägen müssen, damit wir daraus schließen können, daß nichts gewußt wird.“ Damit besteht eine auffällige Parallele im Aufbau der ersten und der zweiten Stufe von Sanchez’ Argumentation. Nach Suárez Dobarrio (, ) orientiert sich Sanchez mit diesem Aufbau an der sogenannten doctrina definitiva, die zu Beginn von Galens Ars parva (I,,– K) vorgestellt wird und die in der Zerlegung einer Definition in ihre Bestandteile besteht, die danach nacheinander je einzeln eingehend behandelt werden. Zu Galens Ars parva und ihrer Rolle in der Methodendiskussion in der Medizin der Renaissance vgl. oben S. CXIV.
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noch einmal deutlich, daß das Ziel seiner Argumentation nicht darin bestand, die These, daß nichts gewußt wird, zu beweisen und damit als eine unbezweifelbare Wahrheit über die Welt zu etablieren. Als undogmatischer Skeptiker beschränkt er sich darauf, die Wissensansprüche seiner dogmatischen Gegner als fragwürdig zu erweisen.23 Zweitens kündigt er an, nach einer „möglichst festen und einfachen Wissenschaft“ zu suchen. Damit stellt er klar, daß ihn sein Skeptizismus keineswegs am Forschen hindert, sondern daß er seinen Zweifel vielmehr als Antrieb versteht, sich weiterhin der Untersuchung der Dinge zu widmen. Gerade diesem Weiterführen der Untersuchungen, durch das sich der Skeptizismus gemäß Sextus Empiricus vor den anderen Formen des Philosophierens auszeichnet,24 verdanken die Skeptiker ihren Namen. Das griechische Wort ‚skeptikos‘, von dem unser Wort ‚Skeptiker‘ stammt, heißt nämlich soviel wie ‚Forscher‘.25 Indem Sanchez am Ende seiner Schrift ankündigt, seine Forschungen weiterzuführen, erweist er sich somit als Skeptiker im ursprünglichen Sinn des Wortes.
. Synopsis Widmung und Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i–xvii Widmungsschreiben an Iacobus de Castro . . . . . . . . . . . . . . . . . . i–ii Vorrede an den Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iii–xvii A. Einleitung „Nicht einmal das weiß ich: daß ich nichts weiß“ . B. Stufe I: Widerlegung der aristotelischen Definitionen der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – I Präliminarien: Jede Frage dreht sich um Namen . . . . . – II Die erste aristotelische Definition der Wissenschaft: „Wissenschaft ist eine Haltung, die durch Beweis erlangt wird.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – 23 24 25
Vgl. dazu oben S. XL–XLIV. So Sextus Empiricus P.H. ,–. Vgl. dazu Diog. Laert. ,.
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. Was heißt ‚Haltung‘, Teil I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – . Was ist ein Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Kritik an der Syllogistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Exkurs: Verfehlte Ansprüche auf Wissen . . . . . . . – . Widerlegung der ersten aristotelischen Definition Teil I: Es gibt keinen Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – . Was heißt ‚Haltung‘, Teil II: Reformulierungen der ersten Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – a) „Wissenschaft als Anhäufung zahlreicher Schlußfolgerungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Wissenschaft als Anhäufung von vielen Dingen im Geist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Exkurs: Erklärung und Widerlegung der These „Alles ist in allem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerlegung der ersten aristotelischen Definition Teil II: Wissenschaft ist keine Haltung, sondern eine einfache Handlung des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Widerlegung der platonische Definition des Wissens als ein Sich-Erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . – III Die zweite aristotelische Definition der Wissenschaft: „Wissenschaft als ein Ding durch seine Ursachen erkennen.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – .) Problematisierung der Ursachenerkenntnis . . . . . – .) Das Problem des Prinzipienwissens . . . . . . . . . . . . – Scharnierstück: Nachdem auf Stufe I die Unwissenheit der anderen gezeigt wurde, soll auf Stufe II die eigene Unwissenheit ans Licht gebracht werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Stufe II: Sanchez’ systematische Erkenntniskritik:. . .– .) „Wissenschaft ist die vollkommene Erkenntnis eines Dinges“
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Formulierung der Definition und Ausführungen zu ihrem Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Exkurs: Das Problem der Hypothesen in einem axiomatischen Wissenschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – .) Zur Gliederung des restlichen Traktats: Ding, Erkenntnis, Vollkommenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I DING (res) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – .) Anzahl der Dinge: Endlich oder unendlich? . . . . . – .) Die kausale Verkettung der Dinge . . . . . . . . . . . . – .) Mannigfaltigkeit der Einzeldinge . . . . . . . . . . . . . . – Exkurs: Reflexion über die Sprache . . . . . . . . . . . – Exkurs: Neue Entdeckungen widersprechen alten Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – .) Weitere Ursachen unserer Unwissenheit . . . . . . – a) Dinge, die außerhalb der Reichweite der sinnlichen Wahrnehmung liegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – b) Dinge, die aufgrund zu großer bzw. zu kleiner Substanz nicht erkannt werden können . . . . . . . – c) Beständige Dauer und beständiges Entstehen und Vergehen der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – d) Schwierigkeiten mit Ursache und Wirkung . – Exkurs: Kritik an den Rahmenbedingungen der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – .) Schlußbetrachtungen: Der Intellekt hat keinen direkten Zugang zu den Dingen . . . . . . . . . . . . . . . . . – II ERKENNTNIS (cognitio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Die drei Aspekte der Erkenntnis: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .) Das erkannte Ding (wurde unter C I behandelt) .) Das Erkennende
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.) Die Erkenntnis (= Der Akt des Erkennenden in bezug auf das Ding) ) Die Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – a) Präliminarien: Schwierigkeit der Untersuchung der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – b) Nähere Bestimmung der Erkenntnis, einige Abgrenzungen und Einteilungen . . . . . . . . . . . . – c) Epistemologische Einteilung der Dinge; unterschiedliche Weisen ihrer Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . – d) Die Erkenntnis der äußeren Dinge . . . . . . . . – – Erkenntnishindernisse aufgrund des äußeren Mediums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – – Erkenntnishindernisse aufgrund des inneren Mediums (Sinnesorgan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – e) Schlußbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – ) Das Erkennende (cognoscens) . . . . . . . . . . . . . . – a) Äußere Hindernisse der Erkenntnis . . . . . . . – – Physiologische Hindernisse . . . . . . . . . . . . – Exkurs: Zur Lehre vom Tätigen und Erleidenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – – Sozio-ökonomische Hindernisse . . . . . . . – – Schwierigkeiten des Unterrichts . . . . . . . . – Exkurs: Syllogismuskritik aufgrund didaktischer Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – b) Innere Hindernisse der Erkenntnis . . . . . . . . – – Probleme mit der Erfahrung . . . . . . . . . . . – – Probleme mit dem Urteil . . . . . . . . . . . . . . – c) Schlußbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III VOLLKOMMENES (perfectum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schluß und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . –
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III. Zur vorliegenden Ausgabe Nach der Erstausgabe in Lyon erlebte QNS bis ins . Jahrhundert noch vier weitere Auflagen, nämlich in Frankfurt, in Toulouse als Teil der Gesamtausgabe von Sanchez’ Schriften, die von seinen Söhnen besorgt wurde, in Rotterdam zusammen mit Sanchez’ übrigen philosophischen Schriften und schließlich in Stetin zusammen mit dem Widerlegungsversuch von Daniel Hartnack.1 Als Textgrundlage der vorliegenden Edition diente die Erstausgabe von , da es sich dabei um die einzige Ausgabe von QNS handelt, die unter Sanchez’ Mitwirkung entstand. Einigen Exemplaren dieser Ausgabe ist eine Seite mit Errata beigefügt, die wir für unseren Text mitberücksichtigt haben.2 Beigezogen wurde außerdem der Text der Toulouser Ausgabe von Sanchez’ Söhnen, da diese möglicherweise noch Einblick in Sanchez’ Manuskripte hatten. Zwei wichtige Merkmale der äußeren Textgestalt der Erstausgabe wurden in unserer Edition beibehalten. Erstens wurde der kontinuierliche Verlauf des Textes übernommen, der im Original keine Unterteilung in einzelne Absätze aufweist. Um den Argumentati1
Die Frankfurter Ausgabe, die sehr wahrscheinlich ohne Sanchez’ Wissen erschien, trägt den erweiterten Titel De multum nobili et prima universali scientia Quod nihil scitur; vgl. dazu Limbrick (, ) und de Carvalho (, xxii Anm. ); zur Toulouser Edition von Sanchez’ Werken durch seine Söhne, vgl. oben S. XII Anm. ; zu Hartnacks Widerlegungsversuch vgl. oben S. LVII. 2 Exemplare mit Errata-Seite finden sich in Oxford (All Souls College ASC Gallery k..), Paris (Bibliothèque Nationale Rz. ) und in Göttingen (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, RMAG o Phil. I, ). Exemplare ohne Errata-Seite finden sich in Paris (Bibliothèque Nationale R. ), München (Bayer. Staatsbibliothek Res/Ph.sp), Augsburg (Staats- und Stadtbibliothek Phil ), Jena (ThULB Jena Ph.III,/) und Wolfenbüttel (Herzog August Bibliothek H: O .o Helmst). An dieser Stelle sei D.F.S. Thomson für seine Angaben hinsichtlich der Exemplare mit Errata-Seite und B. Mund von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek für die Beschaffung einer Kopie des dortigen Exemplars herzlich gedankt.
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onsverlauf dennoch zu strukturieren und um den Bezug auf einzelne Stellen zu erleichtern, wurden der lateinische Text und die deutsche Übersetzung durch durchnumerierte Sinneinheiten gegliedert. Die Seitenumbrüche der Originalausgabe wurden durch einen Strich (|) im lateinischen Text markiert, wobei die Seitenzahlen der Originalpaginierung in der Kopfzeile angegeben werden. In ihrer ursprünglichen Gestalt am Textrand übernommen wurden zweitens die zahlreichen Marginalien. Diese gliedern zum einen den sonst unstrukturierten Text und erleichtern so sowohl die Lektüre als auch das Finden einzelner Passagen und Argumente. Zum anderen enthalten sie bisweilen Quellenangaben, die in der deutschen Übersetzung – soweit genau identifizierbar – gemäß den modernen Konventionen der Zitierweise präzisiert wurden.3 Die Textgestalt der Originalausgabe wurde außerdem insofern leicht modernisiert, als zwischen u und v differenziert und auslautendes -ij als -ii gedruckt wurde (z.B. ‚contrarii‘ statt ‚contrarij‘). Auch Ligaturen (wie &), Suspensionskürzel (betreffen v.a. auslautendes m und n) und Abkürzungen (wie ‚Aristot.‘ für ‚Aristoteles‘) wurden aufgelöst, und auf die Wiedergabe von Akzentzeichen (meist ein Gravis auf der letzen Silbe, z.B. ‚adeò‘, ‚praeproperè‘) wurde verzichtet. Beibehalten wurden dagegen die Orthographie, die Interpunktion (wobei offensichtliche Fehler stillschweigend korrigiert wurden) und die Groß-/Kleinschreibung, da sich letztere bisweilen auf den Textsinn auswirkt.
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So wurde z.B. der Verweis auf „Arist. . Phys.“ durch „Aristot. phys. , a ff.“ ersetzt.
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sergei mariev
Folgende Abkürzungen finden sich im kritischen Apparat: L L(e) F F(e) T R
Ausgabe von , Lyon Errata der Ausgabe von Ausgabe von , Frankfurt Errata der Ausgabe von Ausgabe von , Toulouse (Opera medica) Ausgabe von , Rotterdam
FR A N C IS C US SA N CH EZ QU O D N I HI L SC I TUR DAS S N I C HT S GE W USST WI RD
QUOD NIHIL SCITUR
Franciscus Sanchez Philosophus et Medicus Doctor integerrimo, disertissimoqve viro iacobo a castro, franciscvs sanchez s. p.
i Cum nuper librorum scrinium evolverem, amicissime Iaco-
be, incidi forte in opusculum hoc, quod ante septennium edideram, condideramque usque in nonum annum illius consilio: reperique id adeo tineis et blattis laceratum, ut si biennium adhuc distulissem in lucem proferre, timendum erat, ne tunc potius in ignem, quam in lucem mittere necesse fuisset. Id me coegit illud praepropere abortare. Sed quemadmodum humani partus non solum qui nonum attigere mensem, verum et septimestres etiam vitales sunt, sic septenne hoc insectum superstes esse poterit. Est et alia ratio. Parturimus propediem nonnulla alia, quibus hoc praevium esse oportet. Quod si tandiu expectandum foret donec nil corrigi, nil mutari posset, Sisyphi saxum volveremus, nunquam finis lambendi ursi, nil daremus in vulgum unquam. Adde quod usu saepe venire videmus, ut qui multoties opus idem repetunt ut forment, tandem deformant. ii Exeat | igitur bonis avibus in campum, falsitatem expugnaturus miles. Quod si ab hostibus premi contingat, moneo in castra, a Castro amantissime, se recipiat tua: nullibi enim tutior esse possit. Sed ne forsan fores illi praecludas, non antea cognito, eum tibi
– insectum L(e) : infectum L
nunquam L(e) : nusquam L
DASS NICHTS GEWUSST WIRD
Franciscus Sanchez Philosoph und Doktor der Medizin dem ehrenwerten und beredten iacobus a castro entbietet franciscus sanchez viele grüsse. i Als ich neulich eine Bücherkiste durchstöberte, lieber Iaco-
bus, stieß ich zufällig auf dieses kleine Werk, das ich vor sieben Jahren verfaßt und neun Jahre hatte aufbewahren wollen, gemäß dem Rat jenes berühmten Mannes. Ich fand es so sehr von Würmern und Motten zerfressen, daß, hätte ich noch zwei Jahre damit gewartet, es ans Licht zu bringen, zu fürchten gewesen wäre, daß man es dann eher dem Feuer als dem Tageslicht hätte übergeben müssen. Dies hat mich gezwungen, es voreilig zu gebären. Aber gleich wie die Menschen nicht erst, wenn sie den neunten Monat erreicht haben, sondern bereits nach sieben Monaten lebensfähig sind, so wird auch dieses Buch, das sieben Jahre nahezu erreicht hat, überleben können. Es gibt auch einen weiteren Grund. Ich gehe gerade schwanger mit einigen anderen Werken, denen dieses vorausgehen soll. Wenn man aber so lange warten müßte, bis nichts mehr korrigiert und nichts mehr geändert werden kann, dann würde ich den Stein des Sisyphus wälzen, dann wäre ich nie damit zu Ende, den Bären in die Form zu lecken, dann könnte ich nichts je veröffentlichen. Dazu kommt, daß wir im täglichen Leben oft beobachten können, daß diejenigen, die dasselbe Werk wiederholt in Angriff nehmen, um es zu gestalten, es schließlich verunstalten. ii Möge es also mit guten Vorzeichen ins Feld ziehen als Soldat, der die Unwahrheit bezwingen soll. Wenn es aber von Feinden bedrängt wird, so soll es sich nach meinem Rat in Dein Lager zurückziehen, lieber a Castro, denn nirgends kann es sicherer sein. Aber damit Du nicht vielleicht die Tore vor ihm verschließt, ohne es vorher zur Kenntnis genommen
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quod nihil scitur
ii | iii
mitto cum mandatis, ut quamprimum te ex nobis salutet, amicitiam nostram confirmet, insignique tuo instructus in militiam prodeat. Excipe ergo eum laeta fronte, et in numerum tuorum ascribe, nosque cum illo. Vale, Tolosae. |
franciscvs sanchez lectori s. iii Innatum homini velle scire: paucis concessum scire velle: paucioribus scire. iv Nec mihi ab aliis diversa fortuna successit. A prima vita, Naturae contemplationi addictus minutim omnia inquirebam. Et quamvis initio avidus animus sciendi quocumque oblato cibo contentus esset utcumque: post modicum tamen tempus indigestione praehensus revomere coepit omnia. Quaerebamque iam tunc quid illi darem quod et perfecte amplecteretur, et frueretur absolute: nec erat qui desiderium expleret meum. v Evolvebam praeteritorum dicta, tentabam praesentium corda: idem respondebant: quod tamen mihi satisfaceret, omnino nihil. Umbras quasdam fateor veritatis referebant aliqui: nullum tamen inveni, qui quid de rebus iudicandum sincere, absoluteque proferret. vi Ad me proinde memetipsum retuli; omniaque in dubium revocans, ac si a quopiam nil unquam dictum, res ipsas examinare coepi: qui verus est sciendi modus. Resolvebam usque ad extrema principia. Inde initium contemplationis faciens, quo magis cogito magis dubito: nil perfecte complecti possum. Despero. vii Persisto tamen. Magis. Accedo ad Doctores avide ab eis veritatem expetiturus. Quid
Tolosae L(e) : Tolosa L
dass nichts gewusst wird
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zu haben, sende ich es Dir mit Anweisungen, daß es Dich sobald als möglich von mir grüße, unsere Freundschaft bekräftige und unter Deiner Fahne ins Feld ziehe. Empfange es also mit heiterer Miene und nimm mich zusammen mit ihm in den Kreis der Deinen auf. Sei gegrüßt. Zu Toulouse.
franciscus sanchez entbietet dem leser seinen gruss iii Es ist dem Menschen eingeboren, wissen zu wollen: wenigen ist es gegeben zu wissen, was es heißt zu wollen, noch wenigeren ist es gegeben zu wissen. iv Und mir ist kein anderes Geschick als den anderen widerfahren. Von Jugend an habe ich mich der Untersuchung der Natur verschrieben und alles im Detail erforscht. Obschon anfangs mein Geist, begierig nach Wissen, zufrieden war mit jeder erdenklichen Speise, die ihm angeboten wurde, begann er nach kurzer Zeit, von Verdauungsschwierigkeiten geplagt, alles wieder von sich zu geben. Ich suchte schon damals nach etwas, was ich ihm geben könnte, das er sowohl vollkommen aufnehmen als auch vollständig genießen könnte. Es gab aber niemanden, der mein Verlangen befriedigen konnte. v Ich wälzte die Lehren der Alten und prüfte die Einsichten der Zeitgenossen: Sie gaben dieselbe Antwort. Diese konnte mich aber überhaupt nicht befriedigen. Ich gebe zu, daß einige gewissermaßen Schatten der Wahrheit wiedergaben. Ich habe aber keinen gefunden, der das Urteil, das man über die Dinge fällen soll, ehrlich und vollständig vorgetragen hätte. vi Infolgedessen zog ich mich in mich selbst zurück. Indem ich alles in Zweifel zog, begann ich, die Dinge selbst zu untersuchen, als ob nie von jemandem etwas gesagt worden wäre: dies ist die richtige Methode des Wissens. Ich hob alle Prinzipien auf bis auf die letzten. Von da her beginne ich meine Untersuchungen, und je mehr ich denke, um so mehr zweifle ich. Nichts kann ich vollkommen erfassen. Ich lasse die Hoffnung fahren. vii Trotzdem bleibe ich beharrlich. Mehr noch. Ich gehe zu den Gelehrten, um begierig von ih-
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quod nihil scitur
iii | iv
ipsi? Quisque sibi scientiam construit ex imaginationibus tum alterius, tum propriis: ex his alias inferunt: et ex his iterum alias; nil in rebus perpendentes, quousque labyrinthum verborum absque aliquo fundamento veritatis produxere: ex quo tandem non res intelligas naturales; sed novarum rerum, fictionumque texturam discas: quibus intelligendis nulla sufficiat mens. Quis enim quae non | sunt intelligat? Hinc Democriti Atomi, Platonis Ideae, Numeri Pythagorae, Aristotelis Universalia, agens intellectus, et intelligentiae. His ignaros expiscantur, se incognita, Naturaeque recondita invenisse prodentes. Credunt hi, facileque ad Aristotelem convolant, volvunt, evolvunt, memoriae mandant: isque doctior est, qui plura ex Aristotele novit recitare. Quibus si vel minimum neges, muti fiunt: te tamen blasphemum clamant. Si contra arguas, sophistam. Quid his facias? Miserum. viii Decipiantur qui decipi volunt. Non his scribo: nec proinde scripta legant mea. Non deerit tamen inter eos aliquis, qui lectis, nec intellectis, (quid enim asino cum lyra?) dente ferire tentet. Ast rumpitur impactus adamanto malleus: Aesopicaque serpens, limam dum rodere putat, dentes frangit proprios. ix Cum iis igitur mihi res sit, qui nullius addicti iurare in verba magistri, proprio marte res expendunt, sensu, rationeque ducti. Tu igitur quisquis es eiusdem mecum conditionis, temperamentique: quique de rerum naturis saepissime tecum dubitasti, dubita modo me-
dass nichts gewusst wird
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nen die Wahrheit zu verlangen. Was tun diese? Jeder errichtet sich seine eigene Wissenschaft, bald aus Einbildungen eines anderen, bald aus eigenen. Aus diesen deduzieren sie andere und aus diesen wieder andere, wobei sie den Dingen kein Gewicht geben, bis sie ein Labyrinth aus Wörtern ohne irgendein Fundament in der Wahrheit hervorgebracht haben. Zuletzt erkennst Du daher die natürlichen Dinge nicht, sondern lernst ein Gewebe von neuen Dingen und Erdichtungen, die zu erkennen kein Geist ausreicht. Denn wer kann Dinge erkennen, die nicht sind? Daher kommen Demokrits Atome, Platons Ideen, die Zahlen des Pythagoras, die Universalien, der aktive Intellekt und die reinen Erkenntnisakte des Aristoteles. Damit angeln sie die Laien, wobei sie sich rühmen, unbekannte Dinge und Geheimnisse der Natur entdeckt zu haben. Diese glauben es und versammeln sich gern um Aristoteles, den sie wälzen, wieder wälzen und in ihr Gedächtnis aufnehmen: Der ist um so gelehrter, der mehr aus Aristoteles rezitieren kann. Solltest Du ihnen auch nur in einem Detail widersprechen, verstummen sie, außer daß sie Dich einen Gotteslästerer schimpfen. Solltest Du gegen sie argumentieren, schimpfen sie Dich einen Sophisten. Wie sollst Du also mit ihnen umgehen? Das ist doch jämmerlich. viii Sollen sich täuschen lassen, die sich täuschen lassen wollen. Ich schreibe nicht für solche, und demnach werden sie meine Schriften wohl kaum lesen. Es wird dennoch unter ihnen solche geben, die mich aufgrund dessen, was sie gelesen, nicht aufgrund dessen, was sie verstanden haben (was nämlich hat der Esel mit der Leier zu tun?), wohl zu zerfleischen versuchen. Aber ein Schlag auf einen Diamanten zerbricht den Hammer, und die Schlange des Aesop bricht, während sie glaubt, sie zernage die Feile, ihre eigenen Zähne. ix Ich will mich also an solche wenden, die „nicht durch einen Schwur an die Worte irgendeines Lehrers gebunden sind“ und die Dinge selbständig erwägen, geleitet von den Sinnen und der Vernunft. Wer immer Du also bist, der Du meine Lage und mein Temperament teilst, der Du sehr oft bei Dir Zweifel gehegt hast an der Natur der Dinge,
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Scaliger.
quod nihil scitur
iv | v
cum: ingenia nostra, naturamque simul exerceamus. Sit mihi liberum iudicium, non irrationabile tamen. Tibi tale et concedo, et precor. x At dices forsan, quid post tot, tantosque viros tu nobis adferre potes novi? Tene expectabat Veritas? Minime quidem. Sed nec illos expectaverat antea. Nil igitur novi. Si sic, cur scripsit Aristoteles? Aut cur tacebimus nos? An ille Naturae potestatem determinavit totam, ambitumque universum complexus est? Non crediderim. Licet doctissimi quidam ex recentioribus ei nimis addicti sic praedicent: eum insuper vocantes Veritatis Dictatorem, Veritatis tribunal, Veritatis rempublicam dignis sane tanto laudato, et tanto laudante epithetis: sed quae magis laudem ex alterius laudatione, et verborum ornatu affectare videantur, et mereantur; quam Veritatis rempublicam. In hac enim, ut et in eiusdem tribunali, nil nisi Veritas. In illo autem quot ab hac aliena? Sane plurima, ut suo quoque loco videbimus. Et acutissimi isti eius alumni et laudatores, in pluribus ei repu| gnarunt; ab eodem, credo, Veritatis tribunali compulsi: nisi malint ab ambitione, et livore. xi Hercule Aristotelem inter acutissimos Naturae scrutatores plurimum valere iudico; unumque esse praecipuum ex mirabilibus humanae infirmitatis ingeniis. Nullibi tamen errasse, non assererem: plurima ignorasse affirmo; in multis haesitasse; non pauca confuse tradidisse; alia succincte perstrinxisse; quaedam ta-
In hac . . . Veritas deest in T
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teile doch Deine Zweifel mit mir. Laß uns unser Denkvermögen und unsere Natur gemeinsam üben. Gestatte mir ein freies Urteil, nicht aber ein unvernünftiges. Dasselbe gestehe ich Dir zu und wünsche es Dir. x Vielleicht wirst Du aber sagen: „Was kannst du uns nach so vielen bedeutenden Männern Neues bringen? Hat die Wahrheit etwa auf dich gewartet?“ Natürlich nicht. Aber sie hatte vorher auch nicht auf jene anderen gewartet. Es gibt also nichts Neues. Aber wenn dies so ist, weshalb hat dann Aristoteles geschrieben? Oder weshalb sollen wir schweigen? Hat jener die ganze Macht der Natur genau bestimmt, hat er den Kreislauf des Universums begriffen? Ich kann das nicht glauben, mögen auch einige herausragende Gelehrte der jüngsten Zeit, die ihm allzu sehr ergeben sind, dies predigen, wobei sie ihn darüber hinaus obersten Magistrat der Wahrheit, Tribunal der Wahrheit oder Staat der Wahrheit nennen – Epitheta, die in gleicher Weise dem Gelobten wie dem Lobenden Würde verleihen, die aber eher Lob für die Lobrede auf einen anderen und für den Schmuck der Wörter anzustreben scheinen (und dies auch verdienen) als den Staat der Wahrheit. In diesem Staat gibt es nämlich – wie auch im Tribunal der Wahrheit – nichts außer der Wahrheit. Wieviel aber, was der Wahrheit fremd ist, gibt es bei Aristoteles? Selbstverständlich sehr viel, wie wir an der jeweiligen Stelle sehen werden. Zudem widersprechen ihm seine äußerst scharfsinnigen Jünger und Lobredner in sehr vielen Punkten, wobei sie von ebendem Tribunal der Wahrheit angetrieben werden, wie ich glaube. Es sei denn, sie wollten den Grund dafür eher im Ehrgeiz und im blassen Neid sehen. xi Beim Herkules, meiner Meinung nach ist Aristoteles der beste unter den scharfsinnigsten Erforschern der Natur; allein zeichnet er sich aus vor den Denkvermögen, die schon erstaunlich sind angesichts der menschlichen Schwäche. Daß er sich aber an keiner Stelle getäuscht hat, würde ich nicht sagen. Ich behaupte, daß er sehr vieles nicht gewußt hat, daß er oft unsicher war, daß er nicht weniges undeutlich hinterlassen und anderes nur am Rande berührt hat; daß er gewisse Gebiete schweigend übergangen oder gemieden hat,
Scaliger
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cite praeteriisse, aut fugisse, video. Homo erat, ut et nos: quique coactus saepe humanae mentis torporem, infirmitatemque detegit. xii Nos eandem dolentes hic et manifestamus, et exercemus, et exhaurimus; dum plurima cogitando elicimus, quae ut a veterum decretis abscedunt, sic ad Veritatis accedere videntur. Tale est iudicium nostrum. Succedunt temporibus tempora, sic hominum diversae opiniones: quorum quisque se verum invenisse credit: cum ex mille varia opinantibus solus unus invenisse potest. Liceat igitur et mihi cum reliquis, aut etiam absque illis, idem inquirere: forsan attingam. Plures enim canes facilius praedam venantur uno. Nil itaque mirum tibi videatur, si post tot, ut arguis, tantosque viros tantillus ego lapidem hunc moveam: solvit enim quandoque a vinculis mus leonem. xiii Nec proinde tamen Veritatem tibi omnino polliceor, ut qui eam, ut alia omnia, ignorem: inquiram tamen in quantum potero: tuque utcumque apertam, et e latebris excussam persequeris. Nec tamen eam arripere speres unquam, aut sciens tenere: sufficiat tibi quod et mihi, eandem agitare. Hic mihi scopus, hic finis est: hunc tu quaerere etiam debes. xiv Quo posito, a principiis rerum exordium sumentes, graviora Philosophiae capita examinabimus, ex quibus facilius reliqua colligi possint. Nec enim in his inmorari in votis est omnino: ad Medicam quippe artem viam affectamus, cuius professores sumus: cuiusque principia omnia Philosophicae contemplationis sunt: ut eadem manu duos simul moveamus lapides: nec enim aliter vita sufficeret. xv Excusandus subinde venio, si dum Verita-
ut a L(e) : ut L
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sehe ich. Ein Mensch war er – wie auch wir –, der oft gezwungen war, die Stumpfheit und die Schwäche des menschlichen Geistes zu entblößen. xii Mit Bedauern führe ich dieselbe Schwäche hier vor Augen, übe sie aus und ertrage sie, während ich durch meine Überlegungen sehr vieles herauslocke, das in dem Maß, in dem es von den Lehrsätzen der Alten abweicht, sich jenen der Wahrheit anzunähern scheint. Meine Ansicht lautet folgendermaßen: Wie auf Zeiten andere Zeiten folgen, so folgen die verschiedenen Meinungen der Menschen einander. Jeder von ihnen glaubt, er habe das Wahre gefunden, obschon nur ein einziger von tausend, die verschiedene Meinungen hegen, es gefunden haben kann. Es sei also auch mir erlaubt, zusammen mit den übrigen oder auch ohne sie das Wahre zu suchen. Vielleicht stoße ich darauf. Viele Hunde erjagen die Beute nämlich leichter als einer allein. Wundere Dich daher nicht, wenn nach so vielen und, wie Du sagst, bedeutenden Männern ich, unbedeutend wie ich bin, diesen Stein ins Rollen bringe: Es kommt nämlich vor, daß der Löwe von der Maus aus seinen Fesseln befreit wird. xiii Aber die Wahrheit verspreche ich Dir demnach ganz und gar nicht, da ich sie – wie alles andere – nicht kenne. Trotzdem suche ich sie mit aller Kraft, und Du wirst sie verfolgen, sooft sie sich zeigt und aus ihren Schlupfwinkeln vertrieben worden ist. Hoffe aber nicht, daß Du sie je ergreifen oder sie in vollem Wissen festhalten kannst. Es muß Dir – wie auch mir – genügen, daß wir sie jagen. Dies ist mein Streben, dies ist mein Ziel. Dieses mußt auch Du verfolgen. xiv Nachdem diese Grundlagen gelegt sind, werde ich, indem ich bei den Prinzipien der Dinge den Anfang mache, die wichtigsten Hauptpunkte der Philosophie untersuchen, aus denen das übrige leichter abgeleitet werden kann. Es ist aber keineswegs mein Wunsch, bei diesen zu verweilen: Ich lenke meinen Weg freilich zur Kunst der Medizin hin, die ich lehre und deren sämtliche Prinzipien in den Bereich der philosophischen Untersuchungen fallen, so daß wir mit derselben Hand zwei Steine zugleich ins Rollen bringen. Andernfalls würde das Leben dazu nämlich nicht ausreichen. xv Ich bitte
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ti inquirendae studeo, minutiora quaedam con- | tempsero. Non igitur a me comptam et politam expectes orationem. Darem quidem si vellem: sed labitur interea veritas, dum verbum pro verbo supponimus, ambagibusque utimur: hoc namque est verba dare. Si id vis, pete a Cicerone, cuius hoc munus est: sat enim pulchre dixero, si sat vere. Decent bella verba Rhetores, Poetas, aulicos, amatores, meretrices, lenones, adulatores, parasitos, et his similes quibus belle loqui finis est. Scientiae sufficit proprie, imo necessarium est: quod tamen cum illo stare non potest. xvi Nec a me postules multorum autoritates, aut in autores reverentiam, quae potius servilis et indocti animi est, quam liberi, et veritatem inquirentis. Solam sequar ratione Naturam. Autoritas credere iubet; ratio demonstrat: Illa fidei; haec scientiis aptior. Proinde quae ab aliis recte dicta videbuntur, ratione confirmabo: quae falso, eadem infirmabo. xvii Faxitque Deus, ut quo ego animo haec tibi vigilans elaboro, eodem tu elaborata excipias vigilans, sanaque mente iudices: et quae falsa videbuntur, firmis rationibus, (quod ut Philosophi est, sic mihi valde gratum) non infirmis iniuriis, (quod ut foeminarum, sic Philosopho indignum, et mihi omnino ingratum) quod cum lividi, tum ignari quidam faciunt, lacessas: quae vero sana, approbes et confirmes. Quod ut fiet spero, sic tu maio-
politam L(e) : positam L
dass nichts gewusst wird
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Dich wiederholt zu verzeihen, daß ich mich, während ich mich um die Suche nach der Wahrheit bemühe, um gewisse Kleinigkeiten nicht kümmere. Erwarte von mir also keine gekämmte und geschliffene Rede. Ich könnte eine solche freilich halten, wenn ich wollte. Aber die Wahrheit kommt ins Straucheln, während wir ein Wort durch ein anderes ersetzen und Umschreibungen verwenden – dies heißt nämlich bloß, mit Wörtern zu spielen. Wenn Du das willst, suche es bei Cicero, denn das ist seine Sache. Ich habe dann schön genug gesprochen, wenn ich wahr genug gesprochen habe. Schöne Wörter ziemen sich für Rhetoren, Dichter, Hofschranzen, Liebhaber, Huren, Zuhälter, Schmeichler, Parasiten und dergleichen, deren Ziel im Schönreden besteht. Für die Wissenschaft reicht es, treffend zu sprechen, ja es ist sogar unerläßlich. Das kann aber nicht mit dem Vorherigen verbunden werden. xvi Verlange von mir auch nicht, daß ich viele Ansichten von Autoritäten zitiere oder daß ich den Autoren die Reverenz erweise, denn dies paßt eher zu einem sklavischen und ungebildeten Geist als zu einem freien, der auf der Suche nach der Wahrheit ist. Ich folge unter der Führung der Vernunft einzig der Natur. Die Autorität befiehlt zu glauben, die Vernunft beweist. Jene paßt besser zum Glauben, diese besser zu den Wissenschaften. Daher werde ich das, was, wie mir scheint, andere richtig gesagt haben, durch die Vernunft bestärken, was falsch, entkräften. xvii Und gebe Gott, daß Du mit demselben Geist, mit dem ich Dir dies unermüdlich erarbeite, das Erarbeitete unermüdlich aufnimmst und mit nüchternem Verstand urteilst. Was Dir aber falsch zu sein scheint, dem setzte mit starken Argumenten heftig zu (wie es ebenso die Art des Philosophen, als auch mir sehr willkommen ist), nicht aber mit schwachen Beschimpfungen (wie es ebenso die Art der Frauen, als es für den Philosophen unziemlich und mir gänzlich unwillkommen ist), was gewisse Leute aus Neid und vor allem aus Unwissenheit tun. Was Dir aber wirklich vernünftig erscheint, dem stimme zu und bestätige es. Daß dies der Fall sein wird, hoffe ich. So erwarte Du in nächster Zeit Größe-
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vi |
ra prope diem expecta. Vale. Ex Tolosa, Kal. Ianu. Anno redemptionis. M.D. LXXVI. quid? |
Franciscus Sanchez Philosophus et Medicus Doctor
QUOD NIHIL SCITUR Nec unum hoc scio, me nihil scire: Coniecto tamen Ambigua consequentia.
nec me, nec alios. Haec mihi vexillum propositio sit, haec sequenda venit, Nihil scitur. Hanc si probare scivero, merito concludam, nil sciri: si nescivero, hoc ipso melius: id enim asserebam. At dices: si probare scias, contrarium sequetur, aliquid enim scis iam. At ego contra prius conclusi, quam tu argueres. Iam incipio turbare rem: Ex hoc ipso iam sequitur, nil sciri. Forsan non intellexisti, meque ignarum aut cavillatorem vocas. Verum dixisti. Melius ego te, quia non intellexisti. Ignari igitur ambo. Iam ergo nesciens conclusisti quod quaerebam. Si intellexisti ambiguitatem consequentiae, aperte vidisti, nil sciri: Sin minus, cogita, distingue, et mihi solve nodum. Acue ingenium. Persequor. A nomine rem ducamus. Mihi enim om-
Ex. . . LXXVI deest in T T ita habet: Francisci Sanchez, Doctoris Medici, et in Academia Tolosana, Professoris Regii Quod Nihil Scitur, Liber Coniecto L(e) : Coniector L
res. Sei gegrüßt. Aus Toulouse, am . Januar, im Jahre der Erlösung .
was?
Franciscus Sanchez Philosoph und Doktor der Medizin DASS NICHTS GEWUSST WIRD Nicht einmal dieses eine weiß ich: daß ich nichts
weiß. Ich vermute aber, daß weder ich noch andere etwas wissen. Dieser Satz „Nichts wird gewußt“ sei mein Feldzeichen, ihm muß ich folgen. Wenn ich weiß, wie das nachzuweisen ist, kann ich mit Recht schließen, daß nichts gewußt wird. Wenn ich nicht weiß, wie das nachzuweisen ist, um so mehr. Denn das war der Inhalt meiner Behauptung. Aber du wirst sagen: „Wenn du weißt, wie es nachzuweisen ist, folgt das Gegenteil, dann weißt du nämlich schon etwas.“ Aber ich habe bereits auf das Gegenteil geschlossen, bevor du das behauptet hast. Ich beginne schon, die Sache zu verwirren. Aus dieser Tatsache selbst folgt bereits, daß nichts gewußt wird. Vielleicht hast du es nicht verstanden und nennst mich unwissend oder einen Haarspalter. Du hast recht. Aber mir steht es eher zu, dich so zu nennen, da du es nicht verstanden hast. Unwissend sind wir also beide. Schon hast du also als Unwissender auf das geschlossen, was ich lange suchte. Wenn du die Ambiguität des Schlusses verstanden hast, hast du klar gesehen, daß nichts gewußt wird. Wenn nicht, denke nach, mache Unterscheidungen und löse mir den Knoten. Schärfe dein Denkvermögen. Ich fahre fort. Beginnen wir die Sa-
Ambiger Schluß.
16 Omnis definitio nominalis est et fere omnis quaestio.
Fuga Dialecticorum. Alia fuga.
quod nihil scitur
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nis nominalis definitio est, et fere omnis quaestio. Explico. Rerum naturas cognoscere non possumus, ego saltem: Si dicas, te bene, non contendam, falsum tamen est: Cur enim tu potius? Et hinc nil scimus. Quod si non cognoscamus, | quo pacto demonstrabimus? Nullo. Tu tamen diffinitionem dicis esse quae rei naturam demonstrat. Da mihi unam. Non habes. Concludo ergo. Amplius, rei quam non cognoscimus quomodo nomina imponemus? Non video. Sunt tamen. Hinc circa nomina dubitatio perpetua, et multa in verbis confusio et fallacia: quin et in his omnibus quae modo protuli forsan. Conclude tu. Dices definire te rem quae est homo hac definitione, Animal rationale mortale, non verbum. Nego. Dubito enim rursus de verbo animal, et de rationale, et alio. Definies adhuc haec per superiora genera et differentias, ut vocas, usque ad Ens. Idem de singulis nominibus quaeram. Tandem de ultimo Ente: nec enim scis quid significet. Non definies, quia non habet superius genus, dices. Non intelligo hoc. Nec tu. Nescis quid sit Ens. Minus ego. Dices tamen in quaestionibus tandem quiescendum. Hoc non solvit dubium, nec explet mentem. Prodis coactus ignorantiam. Gaudeo. Et ego. Procedo. Una res homo est, eam tamen pluribus insignis nominibus, Ente, substantia, corpore,
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che mit dem Namen. Denn für mich ist jede Definition eine Nominaldefinition, und beinahe jede Frage dreht sich um Namen. Ich erkläre, was ich meine: Wir können die Natur der Dinge nicht erkennen, ich wenigstens nicht. Solltest du sagen, du könnest das sehr wohl, mag ich nicht mit dir streiten. Gleichwohl ist es falsch. Warum nämlich solltest du das eher können als ich? Daher wissen wir nichts. Wenn wir sie aber nicht erkennen, auf welche Weise werden wir sie beweisen? Auf gar keine. Du aber sagst, es sei die Definition, die die Natur eines Dinges aufweise. Gib mir eine an. Du hast keine. Also ziehe ich den Schluß. Weiter: Wie sollen wir einem Ding, das wir nicht erkennen, Namen zuschreiben? Ich sehe nicht wie. Es gibt aber Namen. Daher gibt es bei Namen unaufhörlichen Zweifel und viel Verwirrung und Täuschung in den Wörtern, ja vielleicht sogar auch in all den Namen, die ich soeben vorgebracht habe. Ziehe du den Schluß. Du wirst sagen, daß du das Ding Mensch durch die Definition als vernünftiges, sterbliches Lebewesen definierst, nicht das Wort ‚Mensch‘. Ich bestreite das. Ich hege nämlich Zweifel bezüglich des Wortes ‚Lebewesen‘, des Wortes ‚vernünftig‘ und des anderen Wortes. Du definierst diese weiterhin durch höhere Gattungen und Differenzen, wie du sie nennst, bis zum Seienden selbst. Dasselbe werde ich zu jedem einzelnen Namen fragen. Schließlich zum letzten, dem Namen ‚Seiend‘: du weißt nicht, was er bezeichnet. Du wirst das Seiende nicht definieren, da es keine höhere Gattung hat, so wirst du sagen. Ich verstehe das nicht. Du auch nicht. Du weißt nicht, was das Seiende selbst ist. Ich noch weniger. Du wirst sagen, daß man den Fragen schließlich ein Ende setzen muß. Weder löst das meinen Zweifel auf, noch befriedigt es meinen Geist. Unter Zwang legst du deine Unwissenheit bloß. Das freut mich. Ich teile sie. Ich fahre fort: Der Mensch ist ein Ding, du zeichnest ihn aber mit vielen Namen aus, mit ‚Seien-
Jede Definition ist eine Nominaldefinition, und beinahe jede Frage dreht sich um Namen.
Ausflucht der Dialektiker.
Zweite Ausflucht.
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Nulla in verbis constantia, certitudo, nec stabilitas.
quod nihil scitur
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viventi, animali, homine, et tandem Socrate. An non haec verba sunt? Sane. Si idem significant, superflua: Si diversa, non eadem res et una homo. Plura dicis in eodem considero homine, quibus singulis propria attribuo nomina. Rem magis dubiam facis. Nec hominem intelligis totum, qui magnum quid est, crassum, et sensu perceptibile: et in tam minima dividis, quae sensum effugiunt certissimum omnium iudicem, ratione indaganda fallaci et obscura! Male agis, et decipis me, et magis te. Quaero, quid in homine vocas animal, vivens, corpus, substantia, Ens? Nescis ut antea. Nec ego. Et id | volebam. Dicam tamen inferius. Dein peto, quid hoc nomen qualitas, significat? quid Natura? anima? vita? Dices, hoc. Negabo facile: aliud enim. Proba. Recurris ad Aristotelem. Ego ad Ciceronem, cuius munus est verborum significationes ostendere. Dices non tam proprie loquutum Ciceronem, nec tam exquisite. Ego contra contendam: hanc enim Cicero exercebat artem, non Aristoteles. Si amplius quaeras, alios adferam Latinae linguae excultores, vel Graecae: idem enim est. Nulla inter eos concordia, nulla certitudo, nulla stabilitas, nulli limites. Quisque ad libitum verba dilacerat, hinc inde distorquet, et proposito suo accommodat. Hinc tot tropi, tot figurae, tot regulae,
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dem‘, ‚Substanz‘, ‚Körper‘, ‚Lebendigem‘, ‚Lebewesen‘, ‚Mensch‘ und schließlich mit ‚Sokrates‘. Sind das etwa keine Wörter? Doch. Wenn sie dasselbe bezeichnen, ist die Vielzahl überflüssig. Wenn sie verschiedene Dinge bezeichnen, dann ist der Mensch nicht ein und dasselbe Ding. Du sagst: „Ich betrachte im selben Menschen vieles, dem ich je den treffenden Namen zuschreibe.“ Du machst die Sache noch zweifelhafter. Du erkennst nicht den Menschen als ganzen, der etwas Großes, Festes und sinnlich Wahrnehmbares ist. Du teilst ihn in so kleine Stücke, daß sie dem Sinn entfliehen, dem sichersten Richter von allen, und von der Vernunft aufgespürt werden müssen, die trügerisch und dunkel ist! Du machst das schlecht und täuschst mich und noch mehr dich selbst. Ich frage: Was im Menschen nennst du Lebewesen, Lebendiges, Körper, Substanz, Seiendes? Wie zuvor weißt du es nicht. Ich auch nicht. Und das ist es, was ich zeigen wollte. Darüber werde ich aber später sprechen. Hierauf möchte ich wissen, was der Name ‚Qualität‘ bezeichnet, was ‚Natur‘, was ‚Seele‘, was ‚Leben‘. Du wirst sagen: „Das und das“, und ich werde problemlos widersprechen und sagen: „Nein, etwas anderes.“ Weise es nach! Du wendest dich an Aristoteles, ich an Cicero, dessen Aufgabe es ist zu zeigen, was die Wörter bedeuten. Du wirst sagen, daß Cicero nicht so treffend gesprochen hat und auch nicht so sorgfältig. Ich werde dagegen halten: In dieser Kunst hat sich freilich Cicero geübt, nicht Aristoteles. Wenn du weiter fragen solltest, werde ich andere anführen, die die lateinische Sprache kultivierten oder auch die griechische: Es kommt nämlich auf dasselbe heraus. Unter ihnen gibt es keine Einigkeit, keine Gewißheit, keine Festigkeit und keine klaren Grenzen. Jeder zerfleischt die Wörter nach Belieben, er verdreht sie und paßt sie seinem eigenen Vorhaben an. Daher kommen all die Tropen, all die Figuren, all die Regeln und all die Vermischungen, aus
In den Wörtern gibt es keine Beständigkeit, keine Gewißheit und keine Festigkeit.
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Convenientia differentiaque Rhetorices, et Poetices cum Logica.
Verborum significatio a vulgo pendet.
Arist. . Phys. et alibi passim. Gal. . de Different. morborum. .
In verbis nulla quies.
quod nihil scitur
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tot mixtiones, quibus omnibus Grammatica constat. Quid autem Rhetorica et Poetica non pervertunt? Quibus non abutuntur modis? Atque hi omnes loquacitatem tantum exercent inutilem, sed ad libitum, soluteque, ut dicunt. At Dialectica seu Logica eandem etiam, sed non eodem modo: verba enim in ordinem disponit, in aciem parat, prohibetque disparata pugnare, sed coniunctim: dat leges, coercet, permittit, cogit. Denique illae similes sunt eis qui turmas et castra effingunt in publicis ludis et spectaculis, in quibus plus decoris quam roboris desideratur: Hae contra eis qui ad Martem serio se comparant, quibus plus virium quam pulchritudinis inesse convenit. Omnibus autem verba milites sunt et obiectum. Cui horum credes magis? Dubium est. Quisque sibi credi vult. Nec hoc sufficit. Verborum significationes magis aut omnino a vulgo pendere videntur, ab eoque proinde petendas esse: Quis enim nos loqui docuit nisi vulgus? Nam et hac ratione fere omnes qui hactenus scri- |pserunt, ea quae frequentius in hominum ore sunt pro fundamento disputationis sumpsere: ut ille, Tunc nos aliquid scire dicimur, cum eius causas principiaque cognoscimus: Et alter, Sumendum vero et hic omnium consensu approbatum principium, quod omnes homines tunc se sanos existimant, cum etc. In vulgo autem an aliqua certitudo et stabilitas? Nequicquam. Quomodo ergo in verbis quies unquam erit? Iam non est quo fugias. Dices for-
dat leges, coercet T : dat leges: coercet L
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denen allen zusammen die Grammatik besteht. Was stellen ferner die Rhetorik und die Poetik nicht alles auf den Kopf ? Welche Modi haben sie nicht mißbraucht? Und diese alle haben sich nur in nutzloser Geschwätzigkeit geübt, nach Belieben und ungebunden, wie sie sagen. Die Dialektik jedoch oder Logik tut dasselbe, aber nicht auf dieselbe Weise. Sie ordnet die Wörter nämlich der Reihe nach an, stellt sie in einer Schlachtordnung auf und befiehlt ihnen, nie getrennt zu kämpfen, sondern immer im Verbund. Sie gibt Gesetze, sie züchtigt, sie erlaubt, sie zwingt. Kurz und gut, Rhetorik und Poetik gleichen jenen, die Schwadrone und Heerlager in öffentlichen Spielen und Aufführungen inszenieren, in denen eher Schmuck als Stärke angestrebt wird. Jene dagegen gleicht denen, die sich ernsthaft zum Krieg rüsten, denen Kraft eher ansteht als Schönheit. Alle haben aber Wörter als Soldaten und als Gegenstand. Wem von ihnen wirst du eher glauben? Da ergeben sich Zweifel. Jeder will, daß ihm geglaubt wird. Doch damit nicht genug. Die Bedeutung der Wörter scheint zum großen Teil oder vollständig vom Volksmund abzuhängen, und dort muß man deshalb nach ihr suchen. Wer nämlich hat uns gelehrt zu sprechen, wenn nicht das Volk? Denn aufgrund genau dieser Überlegung nahmen fast alle, die bis zu diesem Zeitpunkt geschrieben haben, das, was die Menschen häufig im Munde führen, als Grundlage der Diskussion. Wie zum Beispiel: „Dann sagt man, daß wir etwas wissen, wenn wir dessen Ursachen und Prinzipien erkennen.“ Oder: „In der Tat muß auch hier das von allen übereinstimmend gutgeheißene Prinzip akzeptiert werden, daß alle Menschen sich dann für gesund erachten, wenn usw.“ Gibt es in der Umgangssprache etwa irgendeine Gewißheit und Festigkeit? Ganz und gar nicht. Wie wird also in den Wörtern je Ruhe einkehren? Du hast schon nichts mehr, wo du Zuflucht nehmen kannst. Du wirst vielleicht sagen, man müs-
Gemeinsamkeit und Unterschied zwischen der Rhetorik und der Poetik einerseits und der Logik andererseits.
Die Bedeutung der Wörter hängt am Volksmund.
Aristot. phys. , aff. und andernorts überall. Gal. morb. diff. VI, K.
In den Wörtern gibt es keine Ruhe.
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Aristo. acutissiumus Naturae scrutator.
Definitio scientiae ex Aristot. Confutatio eiusdem definitionis. Quo plura verba maior confusio.
Praedicamentum series verborum longa. Verborum divisio.
quod nihil scitur
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san quaerendum esse, qua significatione qui primum imposuit usus fuerit. Quaere igitur: non invenies. Sed iam satis. An non plane de nomine omnis quaestio? Mihi sane probasse videor. Si neges, praecipuae quaestionis probationem confirmabis. Sed mox probabitur melius. Ergo quid scientiae nomine intelligendum sit videamus. Nam si haec nulla sit, nullus subinde ab ea denominabitur sciens. Quid Aristoteles? Hunc enim (ut qui acutissimus fuit Naturae scrutator, quemque ut plurimum sequitur Philosophorum maior turba) pro omnibus aliis examinasse sufficiat: ne, si contra omnes pugnandum esset, in infinitum abiret opus, Naturamque item aliorum more dimitteremus. Quid igitur ille? Scientia habitus per demonstrationem acquisitus. Non intelligo. Et hoc pessimum. Obscurum per obscurius. Sic homines decipiunt. Quid habitus? Minus scio quam quid scientia. Minus tu. Dic, firma qualitas. Adhuc minus. Quo plus procedis minus promoves, quo plura verba maior confusio. Detrudis me in lineam praedicamentalem, et inde semper ad Ens, quod nescis quid sit. At nonne ad praedicamenta reducenda omnia? Sane. Quid inde? In labyrinthum omnia ducenda. Quid Praedicamenta? Series verborum longa. Mirum, quid dixi? Dico. | Verborum alia communissima, Ens, verum, bonum, si velis: Alia minus communia, sub-
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se fragen, was derjenige mit einem Wort bezeichnet hat, der es als erster eingesetzt hat. Frage also, du wirst es nicht herausfinden. Aber das genügt schon. Geht es etwa nicht bei jeder Frage nur um Namen? Ich meine, das nachgewiesen zu haben. Falls du das verneinen solltest, wirst du den Nachweis dieser bedeutenden Fragestellung bekräftigen. Bald aber wird das noch besser nachgewiesen werden. Schauen wir also, was unter dem Wort ‚Wissenschaft‘ zu verstehen ist. Denn falls es keine Wissenschaft gibt, wird niemand von ihr her als Wissender bezeichnet. Was ist mit Aristoteles? Diesen nämlich (da er ja der scharfsinnigste Erforscher der Natur war und sich ihm eine gewaltige Menge von Philosophen angeschlossen hat in der Meinung, er sei der bedeutendste) mag es genügen, anstelle von allen anderen zu prüfen. Sonst drohte mein Werk, falls ich gegen alle zu kämpfen hätte, bis ins Unendliche abzuschweifen, und es drohte, daß ich die Natur, ebenso wie es den anderen geschieht, aus den Augen verlöre. Was sagt also jener? „Wissenschaft ist eine Haltung, die durch Beweis erworben wird.“ Ich verstehe nicht und, was das Schlimmste ist: Unklares wird durch Unklareres erklärt. So täuschen sie die Menschen. Was heißt ‚Haltung‘? Das weiß ich noch weniger, als was ‚Wissenschaft‘ heißt. Noch weniger weißt es du. Sag: „Eine feste Qualität.“ Ich verstehe noch weniger. Je weiter du vorrückst, desto weniger kommst du voran, je mehr Wörter, desto größer die Verwirrung. Du drängst mich in die Hierarchie der Kategorien und von da immer weiter bis zum Seienden, von dem du nicht weißt, was es ist. Muß jedoch nicht alles auf die Kategorien zurückgeführt werden? Freilich. Und dann? In ein Labyrinth muß alles geführt werden. Was sind Kategorien? Eine lange Reihe von Wörtern. Wunderbar, aber was habe ich gesagt? Ich sage es noch einmal. Einige Wörter sind ganz allgemein, ‚Seiendes‘, ‚Wahres‘ und ‚Gutes‘ zum Beispiel, andere sind weniger allge-
Aristoteles, der scharfsinnigste Erforscher der Natur.
Definition der Wissenschaft nach Aristoteles. Zurückweisung dieser Definition.
Je mehr Wörter, desto größer die Verwirrung.
Kategorien sind eine lange Reihe von Wörtern. Einteilung der Wörter.
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Definitio difficilior definito, et quid illa.
Frivolae Logicorum quaestiones.
quod nihil scitur
stantia, corpus: Alia propria, Socrates, Plato. Illa significant omnia: Ista plura: Haec unum. Sequitur, quum dicunt, Socrates est homo, et hinc animal, etc. significari, hoc quod ostendo (Socratem intellige) sic vocari particulari nomine: Cum aliis autem figura similibus, communi nomine, hominem: Cum equo et reliquis quae moventur, dissimilis tamen sunt figurae, animal: Communissimo cum rebus omnibus, Ens. De reliquis Praedicamentis idem. Non sufficit id. Simplicibus verbis non contenti, ut rem difficiliorem efficiant, communibus utuntur apposita differentia aliqua: ut pro homine, Animal rationale mortale: quorum quodlibet primo difficilius est. Ubi enim multitudo ibi confusio, et quo ampliora verba eo confusa et obscura magis. Hoc minimum. Super haec mira construunt. De verborum hac serie (Praedicamenta vocant) plura disputant, de ordine, de numero, de capite, de differentia, de proprietatibus, de reductione omnium rerum ad illa, haec reducunt ad rectam lineam, illa ad latus: Haec per se, illa ratione sui contrarii: Haec communia sunt duobus, illa male reducuntur ad illud: Haec non habent ad quod reducantur. Ergo vel si sit coelum, si non obtinuit locum in praedicamento, iam nihil est. Quid dicam? In infinitas hinc trahuntur nugas. Amplius ad-
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mein wie ‚Substanz‘ und ‚Körper‘, wieder andere sind Eigennamen wie ‚Sokrates‘ und ‚Platon‘. Die ersten bezeichnen alles, die zweiten vieles und die dritten je eines. Es folgt, daß, wenn sie sagen „Sokrates ist ein Mensch“ und behaupten, daß daher auch ein Lebewesen usw. bezeichnet wird, das, worauf ich zeige (nämlich Sokrates) mit dem entsprechenden Eigennamen benannt wird. Zusammen aber mit anderen, die an Gestalt ähnlich sind, wird er mit dem allgemeinen Namen ‚Mensch‘ bezeichnet, zusammen mit einem Pferd und den übrigen, die sich bewegen, die an Gestalt aber verschieden sind, ‚Lebewesen‘, zusammen mit allen Dingen mit dem ganz allgemeinen Namen ‚Seiendes‘. Ebenso verhält es sich bei den übrigen Kategorien. Damit nicht genug. Nicht zufrieden mit einfachen Wörtern, verwenden sie, um die Sache zu erschweren, allgemeine Wörter, denen eine Differenz beigestellt wird, wie zum Beispiel anstatt ‚Mensch‘ ‚sterbliches, vernünftiges Lebewesen‘. Dabei ist jedes von diesen Wörtern schwieriger als das erste. Wo Vielheit ist, da herrscht Verwirrung, und je umfassender die Wörter sind, um so verworrener und dunkler sind sie. Das ist noch gar nichts. Auf diesen errichten sie wunderliche Dinge. Über diese Reihe von Wörtern (die sie Kategorien nennen) diskutieren sie sehr viel: über ihre Ordnung, über ihre Zahl, über ihr Haupt, über ihre Differenzen, über ihre Eigenschaften, und darüber, daß alle Dinge auf sie zurückgeführt werden können. Einige führen sie geradewegs auf sie zurück, andere auf Umwegen, einige durch sich selbst, andere aufgrund ihres Gegenteils, einige sind zwei Kategorien gemeinsam, andere können nur schwer auf eine zurückgeführt werden, für wieder andere gibt es keine, auf die sie zurückgeführt werden könnten. Angenommen also, es gäbe den Himmel und er fände keinen Platz in einer Kategorie, dann wäre er nichts mehr. Was soll ich sagen? Von hier werden sie fortgerissen in
Eine Definition, die schwieriger ist als das Definierte, und wie sie lautet.
Alberne Untersuchungen der Logiker.
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Dialecticae recentiorum nugis plenae.
Universale fictio Ideis non dissimilis. Intellectus agens nova res.
Praedicabilia sunt simplices termini.
Futiles disputationes Logicorum.
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huc verborum verba confingentes, omnino se, miserosque audientes in profundum ineptumque Chaos provolvunt. His tota plena Aristotelis Logica, multoque magis quas post eum conscripsere recentiores, Dialecticae. Communiora enim nomina vocant genera, alia species, Differentias, Propria, Individua. | Si quaeras, quid hoc. Commune quid abstractum per intellectum. Aristotelis fictio Ideis non dissimilis. De abstractione statim. De intellectu agente (nova res) abstrahente aut illuminante, (potius obscurante) et de intelligente, unde consurgit universale quod est animal. Eo rem ducunt, ut asinus significem mentem istorum Logicorum, quae non nisi communem asinum comprehendere potest, imo eum formare: quum tamen quilibet eorum particularis asinus sit. Quid dices? An non haec verba et stultitiae? Verum quidem. Atque hoc de simplicibus tantum terminis, Praedicabilia vocant. De quibus adhuc quot, quae, quid? Nihil, nugae. Iterum vocant haec aequivoca, illa univoca, analoga, denominativa, terminos, voces, verba, dictiones, simplices, compositas: complexas, incomplexas: mentales, vocales, scriptas: a placito, a Natura: primae intentionis, secundae intentionis: categorematicas, syncategorematicas: vagas, confusas: innumerasque alias nominum denominationes, rursusque harum alias: et circa harum quamlibet subtiles admodum disputationes formant, adeo sane subtiles, ut vel minimo ictu in nihi-
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unendlichen Kleinkram. Indem sie bis zum heutigen Tag weiter Wörter für Wörter erdichten, reißen sie sich und ihre beklagenswerten Zuhörer ganz und gar in ein tiefes und törichtes Chaos hinab. Die ganze Logik des Aristoteles ist voll von solchen Dingen, und noch mehr die Traktate über die Dialektik, die die Späteren nach ihm verfaßt haben. Die allgemeineren Namen nennen sie Gattungen, die anderen Arten, Differenzen, Propria bzw. Individuen. Wenn du fragen solltest, was jedes davon sei, würde man sagen, ein Allgemeines, das durch den Verstand abstrahiert ist, eine Erdichtung des Aristoteles, den Ideen nicht unähnlich. Gleich werde ich von der Abstraktion sprechen, vom aktiven Intellekt (eine neue Sache), der abstrahiert oder erleuchtet (vielmehr verdunkelt), und vom Verstand, von dem her ein Universale entsteht, zum Beispiel eben Lebewesen. Sie treiben die Sache soweit, daß ich den Geist jener Logiker mit dem Wort ‚Esel‘ bezeichne, weil er nur den allgemeinen Esel erfassen, ja sogar hervorbringen kann, obwohl jeder einzelne von ihnen ein partikulärer Esel ist. Was wirst du sagen? Sind das etwa nicht nur Wörter und Albernheiten? Gewiß doch, und dies ist allein schon so bei den einfachen Termen, die sie Prädikabilien nennen. In bezug auf diese muß man zudem fragen: wieviele gibt es, welche und was sind sie? Nichts, das sind nur Flausen. Die einen nennen sie wiederum äquivok, andere univok, analog, denominativ, Terme, Begriffe, Wörter, Ausdrücke, und zwar einfach oder zusammengesetzt; verknüpft oder unverknüpft; mental, verlautet oder geschrieben; nach Belieben oder von Natur aus; erster oder zweiter Intention; kategorematisch oder synkategorematisch; vage oder konfus; daneben gibt es noch unzählige andere Benennungen von Namen und andere wiederum für diese. Zu jeder einzelnen von diesen veranstalten sie subtile Disputationen, sogar so subtile, daß du sie mit dem leichtesten Stoß zu Fall bringen
Die Traktate über die Dialektik, die die Späteren verfaßt haben, sind voller Kleinkram.
Das Universale ist eine Erdichtung, den Ideen nicht unähnlich. Der aktive Intellekt ist eine neue Sache.
Prädikabilien sind einfache Terme.
Nutzlose Disputationen der Logiker.
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Dialectici novas res fingunt.
Arist. Elenchi. Dialectici similes sunt Necromanticis.
Exod. .
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lum impellas. An tu hoc scire vocas? Ego nescire. At nunc incipimus. Si verbum verbo iungas, hoc opus hic labor est: subiectum, praedicatum, copulam, propositionem, definitionem, divisionem, argumentationemque constituunt. Horum rursus infinitas alias species, differentias, conditiones. Quid dicam? Dum mentem scientia perfici aiunt, amentes omnino fiunt: qui rerum Naturas et causas investigare deberent et praedicant, novas fingunt: quique plura et obscuriora fingit, doctior ille: unde et de sophismatis etiam | scientiam scripsit ille. Sic fictio fictionem solvit, et clavus clavum pellit: similesque mihi videntur iis qui Necromantiae, incantationibusque operam dant, quorum qui versutior est, ut aiunt, alterius actiones conatusque eludit, irritos facit, solvit, impeditque. Quod impii quidam olim Divino Mosi obiecerunt de serpente, qui magorum alios devoravit. Sic nostri hi incantatores verbis confisi, nil scientes, plura tamen se scire produnt, ne inscitiae arguantur. Ego contra inscitiam libenter confiteor meam, libentiusque tuam detego. Nil scio. Minus illi. Quid igitur obscuris verbis mentes nobis obliniunt? Haec de habitu. Iam quid illud est: Demonstratio? Diffinies iterum, Syllogismus scientiam pariens. Circulum comisisti, meque proinde et te decepisti. Sed quid Syllogismus? Mirum, arrige aures, extende phantasiam: nec enim tot verba capiet forsan.
in margine Dialectici correxi : Dilectici L L tuam Thomson e R : suam LT
doctior L(e) : doctor
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kannst. Nennst du das etwa Wissen? Ich nenne es Nichtwissen. Aber wir stehen erst am Anfang. Wenn du ein Wort mit dem anderen verknüpfst, dann ist dies „ein Stück Arbeit, eine Mühe“. Sie bestimmen Subjekt, Prädikat, Kopula, Satz, Definition, Einteilung und Argumentation, von diesen wiederum unendlich viele weitere Arten, Differenzen und Bedingungen. Was soll ich sagen? Während sie behaupten, daß der Geist durch die Wissenschaft vervollkommnet werde, geraten sie in völlige geistige Umnachtung. Die, welche die Natur der Dinge und ihre Ursachen erforschen müßten und dies auch zu tun behaupten, erfinden neue Dinge. Wer mehr und Dunkleres erfindet, gilt als um so gelehrter. Daher schrieb Aristoteles auch, daß es eine Wissenschaft der Sophismata gebe. So löst eine Erfindung eine andere ab, und der Teufel wird mit dem Beelzebub ausgetrieben. Sie scheinen mir jenen zu gleichen, die sich mit Totenbeschwörung und Zauberei beschäftigen, von denen derjenige nach ihrem eigenen Urteil der geschicktere ist, der die Handlungen und Versuche des anderen vereitelt, vergeblich macht, auflöst und verhindert. Das warfen einst einige Unfromme dem Propheten Moses vor wegen der Schlange, die die Schlangen der Magier verschlang. So rühmen sich unsere Zauberer, obwohl sie Wörtern vertrauen und nichts wissen, sehr viel zu wissen, um nicht der Unwissenheit überführt zu werden. Ich hingegen gestehe gern meine Unwissenheit ein und noch lieber decke ich deine auf. Ich weiß nichts. Noch weniger jene. Warum beschmieren sie also unseren Geist mit unklaren Wörtern? Soviel zur Haltung. Jetzt zur folgenden Frage: Was ist ein Beweis? Du wirst wieder definieren: „Ein Syllogismus, der Wissenschaft hervorbringt.“ Du hast dich eines Zirkels schuldig gemacht und daher mich und dich getäuscht. Aber was ist ein Syllogismus? Etwas Wunderbares, spitze deine Ohren, spanne deine Vorstellungskraft an, denn vielleicht wird
Die Dialektiker erfinden neue Dinge.
Aristot. soph. el. a–b.
Dialektiker gleichen jenen, die sich mit Totenbeschwörung beschäftigen.
Ex ,.
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Futilis syllogismorum scientia.
Ignorantia veniam meretur, fallacia supplicium. Ineptus Dialecticorum probandi modus.
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Quam subtilis, quam longa, quam difficilis Syllogismorum scientia. Sane futilis, longa, difficilis, nulla Syllogismorum scientia. Ah blasphemavi. Verum, quia verum dixi. Iam lapidibus dignus sum. Tu contra fustibus, quia decipis. Ignorantia enim meretur utcumque veniam, fallacia supplicium. Audi, proba hominem esse ens. Sic dicis, Homo substantia est: haec ens: ergo homo ens. De primo dubito et secundo. Probas, homo corpus est: hoc substantia: ergo homo substantia. Iterum de ambobus. Dicis, homo vivens: hoc corpus: ergo homo corpus. Et de istis. Sic, homo animal: hoc vivens: ergo homo vivens. Summe Deus quae series, quae farrago, ut probes hominem esse ens! Obscurior probatio quaesito. Adhuc nego hominem animal esse. Quid dices? Non sunt plura genera. Quo fugies? | Ad definitionem animalis, quae est, vivens mobile et sensile: Talis homo. Utrumque nego: sequere. Vivens est corpus quod nutritur: tale animal: ergo. Haec proba. Corpus est substantia tribus dimensionibus constans: Vivens tale est: ergo. Utrumque falsum. Substantia est ens per se: quale corpus est: ergo. Et haec quoque probari velim. Non potes amplius. Quid ens tandem est? Nescis ut antea. Quid his Syllogismis perfecisti?
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sie nicht so viele Wörter fassen können. Wie subtil, wie langwierig, wie schwierig ist die Wissenschaft der Syllogismen! In der Tat aber ist sie unnütz, langwierig, schwierig, und es gibt keine Wissenschaft der Syllogismen. Oh, ich habe gelästert. Aber doch nur, weil ich die Wahrheit gesagt habe. Schon verdiene ich die Steinigung. Du aber verdienst Prügel, da du uns täuschst. Unwissenheit verdient wo immer möglich Nachsicht, Täuschung aber Strafe. Hör zu. Weise nach, daß der Mensch ein Seiendes ist. Du sagst: „Der Mensch ist eine Substanz, letztere ist ein Seiendes, also ist der Mensch ein Seiendes.“ Ich bezweifle die erste und die zweite Prämisse. Du weist nach: „Der Mensch ist ein Körper, letzterer ist eine Substanz, also ist der Mensch eine Substanz.“ Wieder bezweifle ich beide Prämissen. Du sagst: „Der Mensch ist ein Lebendiges, letzteres ist ein Körper, also ist der Mensch ein Körper.“ Auch hier bezweifle ich die Prämissen. So sagst du: „Der Mensch ist ein Lebewesen, letzteres etwas Lebendiges, also ist der Mensch etwas Lebendiges.“ Allmächtiger Gott, welche Reihe, was für ein Durcheinander um nachzuweisen, daß der Mensch ein Seiendes ist. Der Nachweis ist unklarer als das Gesuchte. Zudem bestreite ich, daß der Mensch ein Lebewesen sei. Was wirst du sagen? Es gibt keine weiteren Gattungen. Wohin flüchtest du? Zu der Definition von ‚Lebewesen‘. Diese ist: „lebendig, mit der Fähigkeit, sich zu bewegen und zu empfinden.“ So ist der Mensch. Ich verneine beides. Fahre fort! „Ein Lebendiges ist ein Körper, der Nahrung aufnimmt. So ist das Lebewesen. Also. . . “ Weise das nach! „Ein Körper ist eine feste, dreidimensionale Substanz. So ist das Lebendige. Also. . . “ Beide Prämissen sind falsch. „Die Substanz ist seiend durch sich selbst wie auch der Körper. Also. . . “ Ich möchte, daß auch das nachgewiesen wird. Du kommst nicht weiter. Was endlich ist das Seiende? Du weißt es nicht, wie vorher. Was hast du durch diese Syllogismen
Unnütze Wissenschaft der Syllogismen.
Unwissenheit verdient Nachsicht, Täuschung verdient Strafe. Ungereimte Art des Nachweisens der Dialektiker.
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Facilis, veraque quaesiti probatio.
Syllogismorum scientia corruit.
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Non probasti hominem esse ens, quod petiveram primum: imo per lineam tuam tum descendens, tum ascendens, ut altum illud Ens mihi appropinquaret, tibi maximum periculum, mihi metum peperisti, ne cadens totus comminuereris, meque si subtus comprehendisses, idem: remque tandem ita dubiam ut ante erat, aut forte magis dereliquisti. Atqui primas solum propositiones probare tibi semper videbaris, secundas ne attigisti quidem. Quod si primas probasses, et ad secundas devenissemus: in his magis turbareris. Quid igitur decipis me tuis istis verborum concatenationibus? Facilius ego. Ens significat omnia, hominem, equum, et asinum etc. ergo homo est ens: equus et asinus. Si primum neges, non probabo: nam nescirem. Proba tu mihi, si scis. Neque tu quoque. Nil igitur scimus. Redeo ad syllogismos, quorum subtilissima scientia tota corruit. Dixi iam supra: nomina alia communissima, ut Ens, verum: Alia minus, substantia, qualitas: Alia particularia, Plato, Mithridates. Intermedia plurima, quae nec tot ut illa, nec tam pauca ut haec significant: corpus, vivens, animal. Hinc facile est quaerenti, an homo substantia sit? sic ostendere uno verbo. Substantia significat omnia quae per se sunt, | unde et hominem, et lapidem, et lignum: er-
appropinquaret L(e) : appropriares L
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erreicht? Du hast nicht bewiesen, daß der Mensch ein Seiendes ist, was ich anfangs verlangt hatte. Im Gegenteil, indem du deine Hierarchie der Kategorien bald hinab- und bald hinaufgestiegen bist, so daß jenes erhabene Seiende sich mir näherte, hast du dich in größte Gefahr begeben und in mir die Furcht gezeugt, daß du stürzen und ganz zerschellen könntest und ich ebenso, hättest du mich von unten gepackt. Die Sache ist schließlich so zweifelhaft, wie sie vorher war, oder vielleicht ist sie, nachdem du sie zurückgelassen hast, sogar noch zweifelhafter. Du meintest freilich, immer nur die ersten Sätze beweisen zu müssen, die zweiten hast du nicht einmal angerührt. Wenn du aber die ersten bewiesen hättest und wir uns den zweiten zugewandt hätten, wärst du bei diesen in noch größere Verwirrung geraten. Was täuschst du mich also mit deinen Wortketten? Ich mache es einfacher: ‚Seiendes‘ bezeichnet alles, den Menschen, das Pferd, den Esel usw. Also ist der Mensch ein Seiendes, und ebenso das Pferd und der Esel. Solltest du den ersten Teil verneinen, werde ich ihn nicht beweisen, denn ich wüßte nicht wie. Weise du ihn mir nach, wenn du weißt wie. Aber auch du weißt nicht wie. Also wissen wir nichts. Ich kehre zu den Syllogismen zurück, deren äußerst subtile Wissenschaft ganz in sich zusammenstürzt. Ich habe schon oben gesagt, daß einige der Namen ganz allgemein sind, wie zum Beispiel ‚Seiendes‘ und ‚Wahres‘, andere sind weniger allgemein, zum Beispiel ‚Substanz‘ und ‚Qualität‘, wieder andere sind Eigennamen, zum Beispiel ‚Platon‘ und ‚Mithridates‘. Die meisten liegen dazwischen, indem sie nicht so vieles bezeichnen wie die ersten, aber auch nicht so wenig wie die letzten, zum Beispiel ‚Körper‘, ‚Lebendiges‘ und ‚Lebewesen‘. Daher ist es einfach, jemandem, der fragt, ob der Mensch eine Substanz sei, dies so mit einem Wort zu zeigen: ‚Substanz‘ bezeichnet alles, was durch sich selbst ist, daher auch den Menschen, den Stein
Einfacher und wahrer Nachweis des Gesuchten.
Die Wissenschaft der Syllogismen stürzt in sich zusammen.
34 Dialecticorum fallacia.
Arist. in antepraedicam. Arist. per totam Physic. et Metaphy.
Fere omnia quae in Arist. operibus continentur nominum definitiones sunt.
quod nihil scitur
go homo substantia est. At ipsi ambages quaerentes, ne in contemptum veniat eorum scientia, si facilis sit, difficilem et laboriosam verborum involucro efficiunt: demonstrasse se, et scientifice probasse iactantes, hominem esse substantiam, sic in Barbara, inexpugnabili castello: Omne animal est substantia. Omnis homo est animal. Ergo omnis homo est substantia. Verum dixisti, sed inscienter, et obscurius quam poterat sciens. Idem enim est ac si diceres, substantiam significare tam viventia, quam non viventia: et viventia significare hominem et cerasum: ergo a primo ad ultimum, significare substantiam hominem. At per tot intermedios gradus confunditur mens, imo subinde magis dubitat de singulis intermediis. Nonne hoc illud est quod dixerat alibi idem, Quod de praedicato dicitur, idem de subiecto dici? haec autem nominum passiones sunt. Sicut et illud, Quod est multis modis dicitur: si nomen hominis unum significat: principium aliud dicitur: causa autem uno modo dicitur: natura dicitur uno modo: necessarium dicitur. Denique quidquid est in illius Methaphysicis reliquisque operibus, nominum definitio est. Unde de nomine omnis quaestio fere est: an substantia de homine dicatur, et sic de aliis. Quod cum scire nullus certo possit, nec rerum nec verborum sci-
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und das Holz. Also ist der Mensch eine Substanz. Indem sie jedoch selbst nach rätselhaften Ausdrücken suchen, damit ihre Wissenschaft, sollte sie sich als einfach erweisen, nicht der Verachtung anheimfällt, machen sie sie schwierig und mühsam, indem sie sie in Wörter einhüllen. Dabei rühmen sie sich, bewiesen und wissenschaftlich gezeigt zu haben, daß der Mensch eine Substanz sei, und zwar durch Barbara, diese uneinnehmbare Burg: „Jedes Lebewesen ist eine Substanz. Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Also ist jeder Mensch eine Substanz.“ Du hast die Wahrheit gesagt, aber unwissend und dunkler als es jemand gekonnt hätte, der weiß. Es ist nämlich genauso, wie wenn du sagtest, ‚Substanz‘ bezeichne sowohl Lebendiges als auch Nichtlebendiges und ‚Lebendiges‘ bezeichne den Menschen und den Kirschbaum. Wenn man also von der ersten Prämisse bis zur letzten fortschreitet, ergibt sich der Schluß, daß ‚Substanz‘ den Menschen bezeichne. Aber durch so viele Zwischenschritte wird der Geist verwirrt, ja er bezweifelt die einzelnen Zwischenschritte jedesmal noch mehr. Ist das nicht dasselbe wie das, was Aristoteles an einer anderen Stelle gesagt hat, nämlich: „Was über das Prädikat gesagt wird, wird auch über das Subjekt gesagt?“ Das sind aber Widerfahrnisse von Namen. So wie auch: „‚Was ist‘ wird in vielen Weisen gesagt.“ „Wenn der Name ‚Mensch‘ ein Bestimmtes bezeichnet . . . “ „. . . ein anderes wird Prinzip genannt.“ „Ursache aber wird auf eine Weise genannt . . . “ „Natur wird auf eine Weise genannt . . . “ „Notwendig wird genannt . . . “ Am Ende ist alles, was auch immer in seiner Metaphysik und in seinen übrigen Werken steht, eine Nominaldefinition. Daher dreht sich beinahe jede Frage um Namen, zum Beispiel, ob ‚Substanz‘ vom Menschen gesagt wird, und ebenso die anderen Fragen. Da das niemand mit Sicherheit wissen kann, gibt es weder von den Dingen noch von den Wörtern
Täuschung der Dialektiker.
Aristot. cat. b.
Überall in der Physik und Metaphysik.
Fast alles, was die Werke des Aristoteles enthalten, sind Nominaldefinitionen.
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Dialectici ut docti appareant tot de verbis commentantur.
Socrates doctissimus. Vide Gal. lib. de optimo docen. gen. et Diog. Laer. lib. et Plutarch. contra Colotem.
quod nihil scitur
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entia aliqua est. Dic, denuo verba imponamus. Permitto. Sciemus ergo iam verbum hoc, hoc significare. Falsum: nescis quid sit verbum, nescis quid sit hoc, nescis quid sit significare: ergo nescis verbum hoc, hoc significare. Probo sequi: nam ignoratis partibus ignoratur totum. At tu mecum par- | tes, et totum: ergo nihil scimus. Quare ergo ignarum me et te, tu idem ignarus, verborum ignorantia maxima, subtilem tamen scientiam vocas, obscuraque farragine, maiori ignorantia cumulas? Ut gnarus appaream, dices. At contrarium evenit: dum enim falsa ridiculaque canis, scire te tamen multa praedicas, ego ignarum omnino coniicio, qui nescias te nihil scire. Quod si scias, deceptorem mendacemque, qui prodas te multa scire. Hoc enim unum semper maxime ab aliquo expetivi, quod modo facio, ut vere diceret an aliquid perfecte sciret: nusquam tamen inveni, praeterquam in sapienti illo, proboque viro Socrate, (licet et Pyrrhonii, Academici, et Sceptici vocati, cum Favorino id etiam assererent) qui Hoc unum sciebat, quod nihil sciebat. Quo solo dicto mihi doctissimus iudicatur: quamquam nec adhuc omnino mihi explerit mentem: cum et illud unum, sicut alia, ignoraret. Sed ut magis assereret se nil scire, illud unum se scire dixit: qui proinde quum
hoc, hoc T : hoc hoc L : coniector L
gnarus L : ignarus T
coniicio L(e)
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irgendeine Wissenschaft. Weisen wir nun von neuem Wörter zu. Ich lasse es zu. Wir werden also schon bald wissen, daß dieses Wort das bedeutet. Falsch. Du weißt nicht, was ‚Wort‘ ist, du weißt nicht, was ‚das‘ ist, und du weißt nicht, was ‚Bedeuten‘ ist. Also weißt du nicht, daß dieses Wort das bedeutet. Ich beweise, daß das folgt: Wenn die Teile nicht gewußt werden, wird das Ganze nicht gewußt. Aber du und ich, wir haben weder Wissen von den Teilen noch vom Ganzen. Also wissen wir nichts. Weshalb also nennst du zwar mich und dich unwissend, wobei du selbst unwissend bist durch deine völlige Unwissenheit in bezug auf Wörter, die Wissenschaft aber subtil, und weshalb überhäufst du sie mit einem dunklen Mischmasch und noch größerer Unwissenheit? Damit ich mich als Wissender zeige, wirst du sagen. Jedoch das Gegenteil stellt sich ein. Während du nämlich Falsches und Lächerliches vorsingst und dennoch behauptest, viel zu wissen, vermute ich meinerseits, daß du gänzlich unwissend bist, weil du nicht weißt, daß du nichts weißt. Solltest du das aber wissen, dann würde ich in dir einen Täuscher und Lügner vermuten, weil du dich rühmst, viel zu wissen. Allein das, was ich jetzt gerade tue, habe ich immer und in erster Linie von jedem gefordert, nämlich, daß er wahrheitsgetreu sagen solle, ob er irgend etwas voll und ganz wisse. Ich habe dies aber nirgendwo gefunden, außer in Sokrates, jenem weisen und tugendhaften Mann (mag auch sein, daß die Pyrrhoneer, die Akademiker und die sogenannten Skeptiker zusammen mit Favorinus dies ebenfalls behaupteten), der einzig dies wußte, daß er nichts wußte. Aufgrund dieser Aussage allein ist er nach meinem Urteil der Gelehrteste von allen. Trotzdem hat er meinen Geist noch nicht ganz befriedigt, denn auch dieses eine, so wie alles andere, wußte er nicht. Aber um eher behaupten zu können, daß er nichts wisse, sagte er, daß er dieses eine wisse. Daher wollte er, weil er
Um gelehrt zu erscheinen, stellen die Dialektiker so viele Betrachtungen über Wörter an.
Sokrates ist der Gelehrteste. Vgl. Gal. opt. doctr., Diog. Laert. ,; Plut. adv. Col. d; a.
38 Socrates cur nil scripserit. Omnia mihi suspecta.
Salomon doctissimus omnium, quorum opera ad nos pervenere.
De modo sciendi librum expecta. Ex Arist. nil scitur. Demonstratio somnium Arist.
Demonstratio nulla dari potest.
quod nihil scitur
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nihil sciret, nihil nobis scribere voluit. Idipsum saepe in mentem venit mihi. Quid enim dicam quod falsitatis suspectum non sit? Mihi enim humana omnia suspecta sunt, et haec ipsa quae scribo modo. Non tacebo tamen: saltem hoc libere proferam, me nihil scire: ne tu in vanum labores veritatem inquirendo, sperans eam aliquando aperte tenere posse. Quod si deinceps aliquid cum reliquis exagitabo eorum quae in Natura sunt, hoc supposito, crede si velis, non tamen curo: vanitas enim omnia, dicebat sapientissimus ille Salomon, omnium doctissimus quos nobis superius memoriae dedit saeculum: quod aperte demonstrant eius | opera, inter quae primas tenet aureus ille libellus, Ecclesiastes, aut Concionator dictus. Sed redeamus ad scientiam. Quid moverit Aristotelem tot tantaque de verborum contextura disserere: quid Universalia illa fingere: et an sine his omnibus scire aliquid possimus, ostendam inferius ubi de modo sciendi. Interim ex eodem nulla scientia est. Vide: scientia per demonstrationem habetur. Quid haec? Somnium Aristotelis, non dissimile Platonis reipublicae Ciceronis oratori, Horatii poetae. Nulla, nullibi. Depinxit quidem ille sat prolixo sermone: at nullam unquam dedit, nec post eum aliquis. Sin minus, da tu, mitte mihi. Non habes, scio. Sed nec syllogismum alium formavit usquam, nisi cum eos struere docuit: tuncque non ex significantibus terminis, sed ex elementis A, B,
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nichts wußte, nichts für uns aufschreiben. Eben dieser Gedanke kommt mir oft in den Sinn. Was kann ich sagen, was nicht im Verdacht steht, falsch zu sein? Mir ist nämlich alles Menschliche verdächtig, selbst das, was ich gerade schreibe. Dennoch werde ich nicht schweigen. Wenigstens das möchte ich frei äußern, daß ich nichts weiß, damit du dich nicht vergeblich damit abmühst, nach der Wahrheit zu suchen in der Hoffnung, sie irgendwann klar erfassen zu können. Wenn ich aber in der Folge im Zusammenhang mit anderem etwas aufwerfe, was zum Bereich der Natur gehört, so magst du es unter dieser Voraussetzung glauben; mich kümmert es jedoch nicht. Denn „es ist alles Eitelkeit“, sprach Salomon, der weiseste und gelehrteste von all den Menschen, die die vergangene Zeit unserem Gedächtnis übergeben hat. Das zeigen deutlich seine Werke, unter denen jenes goldene Büchlein den ersten Platz einnimmt, das Ekklesiast oder Prediger genannt wird. Aber wir wollen zur Wissenschaft zurückkehren. Was Aristoteles dazu bewogen hat, so oft und so ausführlich die Verknüpfung der Wörter zu erörtern und jene Universalien zu erdichten, und ob wir ohne all dies etwas wissen können, werde ich später zeigen, wenn ich die Methode des Wissens behandle. Einstweilen läßt sich auf Aristoteles keine Wissenschaft gründen. Betrachte folgendes: „Wissenschaft wird durch Beweis gewonnen.“ Was ist ein Beweis? Ein Traum des Aristoteles, nicht unähnlich dem Staat Platons, dem Redner Ciceros und dem Dichter des Horaz. Es gibt ihn nicht, nirgends. Zwar hat ihn Aristoteles lang und breit beschrieben, aber nirgendwo hat er einen ausgeführt, noch irgendeiner nach ihm. Wenn aber doch, gib du ihn mir an, schick ihn mir. Ich weiß, daß du keinen hast. Aber er hat ja auch nur Syllogismen gebildet, wenn er lehrte, wie man sie konstruiert, und auch dann nicht aus Termen, die etwas bezeichnen, sondern aus den Buchstaben A,
Weshalb Sokrates nichts schrieb.
Alles mir Verdächtige.
Salomon ist der gelehrteste von allen, deren Werke auf uns kamen.
Erwarte ein Buch Über die Methode des Wissens. Gemäß Aristoteles wird nichts gewußt. Der Beweis ist ein Traum des Aristoteles.
Man kann keinen Beweis führen.
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Syllogismis nulla acquisita scientia, multae vero turbatae.
Stultitia eorum qui ea quae non sunt in modo et figura argumenta negant.
Averro. frustra Aristot. opera ad syllogismos reducere tentat.
Syllogistica doctrina subtile inventum, nocivumque figmentum.
quod nihil scitur
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C, idque difficulter adhuc. Quod si significantibus usus fuisset, nunquam peregisset opus. Ad quid ergo deserviunt hi? Quid in his docendis tantum laboravit? Quid post eum tantum laborant adhuc reliqui? In scribendo non utimur his, nec ipse. Nulla his unquam parta scientia, imo deperditae multae, turbataeque sunt horum causa. In arguendo, et inter disputandum, simplici contenti consequentia, minus adhuc illis utimur: alias enim nunquam disputatio finem haberet, semperque de reducendo syllogismo in modum, in figuram, convertendo, infinitisque aliis tricis certandum esset: imo et stulti quidam hodie id agunt, negantque quidquid in modo et figura situm non est: tanta horum est stupiditas, scientiaeque huius syllogisticae arguties utilitasque, ut rebus in totum oblitis, ad umbras se convertant. Unde subit mirari acutum alias Averroum, | postque eum plurimos, quae Aristoteles laxo dixit sermone, inutili, tantoque labore in syllogismos reducere conatum, eosque infallibiles, certissimos et demonstrativos esse ubique ostendere voluisse, cum nihil minus sit, ut postea ostendemus. Contra vero non mirum est Augustinum Christianae Ecclesiae splendissimam facem omnes alias scientias suo marte sine praeceptore didicisse, praeter hanc syllogisticam. Aliae enim in rebus fundantur, haec vero figmentum subtile est, nulliusque usus, imo plurimi nocumenti: ut quae homines a rerum contemplatione revocet, in
Augustinum L : D. Augustinum T
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B und C, und dies außerdem mit einiger Schwierigkeit. Wenn er aber Terme, die etwas bezeichnen, verwendet hätte, hätte er sein Werk nie vollendet. Wozu also dienen Syllogismen? Warum hat er sich so abgemüht, sie zu lehren? Warum mühen sich seine Nachfolger bis heute so sehr damit ab? Wir benutzen sie nicht in unseren Schriften, wie auch er sie nicht benutzt hat. Keine Wissenschaft ist je durch sie entstanden, vielmehr sind viele Wissenschaften wegen ihnen zugrunde gerichtet oder durcheinandergebracht worden. Beim Argumentieren und Disputieren sind wir zufrieden mit einer einfachen Schlußfolgerung, und Syllogismen brauchen wir noch weniger. Ansonsten hätte die Disputation kein Ende, weil wir immer über die Rückführung der Syllogismen auf Modus und Figur, über ihre Konvertierung und über unendlich viel weiteren Unsinn streiten müßten. Allerdings tun dies einige Toren auch heute noch und bestreiten alles, was nicht in Modus und Figur formuliert ist. So groß sind ihre Torheit und die Schärfe und Nützlichkeit dieser syllogistischen Wissenschaft, daß sie sich Schatten zuwenden, wobei sie die Dinge völlig vergessen. Daher wundert man sich, daß Averroes, obschon in anderen Dingen scharfsinnig, mit viel vergeblicher Mühe versuchte – so wie viele nach ihm –, das, was Aristoteles in informeller Rede gesagt hatte, auf Syllogismen zurückzuführen, und daß er zeigen wollte, daß diese überall unfehlbar, höchst gewiß und beweiskräftig seien. Daß dies aber in keiner Weise so ist, werde ich später zeigen. Dagegen ist es nicht verwunderlich, daß Augustin, diese strahlende Fackel der christlichen Kirche, alle Wissenschaften auf eigene Faust ohne Lehrer gelernt hat außer der Syllogistik. Alle anderen haben ihr Fundament nämlich in den Dingen, diese aber ist eine subtile Erdichtung, die keinen Nutzen bringt, nein vielmehr wahrlich großen Schaden, weil sie die Menschen von der Untersuchung der Dinge zurück-
Durch Syllogismen wird keine Wissenschaft gewonnen, viele sind sogar durch sie durcheinandergebracht worden.
Die Torheit derjenigen, die bestreiten, was nicht in Modus und Figur formuliert ist.
Averroes versucht vergeblich die Werke des Aristoteles auf Syllogismen zurückzuführen.
Die Syllogistik ist eine subtile Erdichtung und eine schädliche Erfindung.
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Falsum est Demonstrationem scientiam parere. Scientiam parit et concipit idem intellectus, Demonstratio hunc solum excitat.
Metaph. . Inepte agunt qui solum ab authoribus scientiam petunt.
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seque detineat, quod melius in discursu operum nostrorum videbis. Hoc vero multum differt ab eo quod isti dicunt, modum scilicet sciendi esse, principiumque sine quo scientia non sit. Qui verum quidem, sed inscienter dicunt. Eorum enim scientia haec est, nil aliud sciunt quam syllogismum ex nihilo struere, scilicet ex A, B, C: si autem ex aliquo instruendus esset, obmutescerent, ut qui nec minimam intelligant propositionem. Sed iterum ad nos. Quid ergo? qui docet domum struere, ipse nec struxit unquam, nec scit, nec eius discipuli? cur credam sic struendam? Quod si nulla demonstratio, nulla ergo scientia. Quin et illud falsum, Demonstratio habitum scientificum parit. Nam ab ignaro, apto tamen scire, scientia prodit, solum ostendente demonstratione rem sciendam: hoc enim vel verbum ipsum demonstrationis ostendit. Quinimo nec minimam unquam rem, aut propositionem intellexi ego ab Aristotele aliisque: sed illorum dictis commotus ad quamlibet rem contemplandam me accinxi, illorumque contradictionibus et difficultatibus perspectis, | ne ego iisdem involverer, iis dimissis ad res confugi, inde iudicium petiturus: idque mihi fuit Aristoteles quod Timotheum reliquis cantoribus fuisse idem Aristoteles ait: quod scilicet nisi talis extitisset Aristoteles Plato, et alii, forsan non ego talis extitissem. Unde quam stulti sint qui ab authoribus totam, solamque scientiam quaerunt nil in rebus
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ruft und sie bei sich festhält, was du im Verlauf der Lektüre meiner Werke besser sehen wirst. Das ist aber etwas ganz anderes als das, was sie behaupten, daß sie nämlich die Methode des Wissens sei und das Prinzip, ohne welches es keine Wissenschaft gebe. Sie reden zwar wahr, aber ohne Wissen. Ihre Wissenschaft besteht nämlich darin, daß sie nichts anderes wissen, als wie man einen Syllogismus aus nichts konstruiert, nämlich aus A, B und C. Wenn sie ihn aber aus etwas errichten müßten, würden sie verstummen, da sie nicht einmal den einfachsten Satz verstünden. Aber kehren wir zu meinem Thema zurück. Was also? Wenn einer lehrt, ein Haus zu bauen, selbst aber nie eines gebaut hat und genausowenig weiß, wie man eines baut wie seine Schüler – warum soll ich diesem glauben, daß man es so bauen muß? Wenn es aber keinen Beweis gibt, gibt es also keine Wissenschaft. Damit ist auch der Satz falsch, daß der Beweis die wissenschaftliche Haltung hervorbringt. Denn Wissenschaft entsteht beim Unwissenden, der aber fähig ist zu wissen, während der Beweis den Gegenstand des Wissens nur zeigt. Das zeigt nur schon das Wort ‚Be-weisen‘ selbst. Ich habe bei Aristoteles und den anderen nicht einmal die allerkleinste Sache je gelernt oder den einfachsten Satz je verstanden. Aber angeregt durch ihre Lehrsätze schickte ich mich an, jedes beliebige Ding zu untersuchen. Als ich ihre Widersprüche und Schwierigkeiten durchschaute, ließ ich von ihnen ab, um nicht selbst in solche verwickelt zu werden, und nahm meine Zuflucht bei den Dingen, um von ihnen her ein Urteil zu erlangen. Aristoteles war für mich das, was Timotheus nach Aussage ebendieses Aristoteles für die übrigen Sänger war: das heißt, wenn es niemanden von der Art des Aristoteles, Platons und der anderen gegeben hätte, wäre vielleicht auch ich nicht so, wie ich bin. Daher ist leicht einzusehen, wie töricht jene sind, die die ganze Wissenschaft und nichts als die Wissen-
Es ist falsch, daß der Beweis Wissenschaft hervorbringt. Derselbe Verstand bringt Wissenschaft hervor und nimmt sie auf, der Beweis dient ihm nur als Antrieb.
Aristot. metaph. , b. Wer die Wissenschaft nur von Autoritäten zu erfahren sucht, handelt ungereimt.
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Stultum est asserere Demonstrationem ex aeternis necessario concludere.
Vera scientia libera est, et a libera mente.
Syllogistici recentiores melius cerdones essent.
Syllogismus in Caesare et aliis, labirynthus.
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considerantes, facile est videre. Non ergo qui mihi rem aliquam videndam digito indicarit, visionem in me parit, sed potentiam visivam excitat, ut in actum reducatur. Unde et illud mihi stultum admodum videtur quod quidam astruunt, Demonstrationem ex aeternis et inviolabilibus necessario concludere et cogere: cum forsan talia nulla sint, aut si quae sint, nobis omnino incognita ut talia sunt, qui tum maxime corruptibiles, parvoque admodum tempore violabiles multum simus. Quare contra vera scientia, si quae esset, libera esset, et a libera mente: quae si ex se non percipiat rem ipsam, nullis coacta Demonstrationibus percipiet. Cogunt hae proinde ignaros, quibus sola fides sufficit. Cur igitur ex Aristotele plures hinc inde ignare colligis propositiones, ex quibus tandem syllogismum Barbarum construis, qui nec earum unam intelligas? Consulerem tibi melius, mitte Philosophiam, ad eam enim omnino ineptus es: at optimus fores architectus, aut sutor, aut si velis cerdo, qui ligna, lapides, pannos, et coria in figuram, non Barbaram ut tu, sed politam componunt, non quaerentes quid lignum, lapis, pannus, aut corium sit, sed quomodo ex his domum, vestem, aut calceos Caesari effingant, quemadmodum tu Caesarea utens potestate labirynthum struis, quo et te et miseros | tibi similes illaquees, quibus deest rationis filum. Sed nec tu aliquid scis: alios tamen docere
– corruptibiles L : corruptiles T
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schaft von den Autoritäten zu erfahren suchen, ohne irgend etwas anhand der Dinge zu untersuchen. Derjenige also, der für mich mit dem Finger auf eine Sache zeigt, damit ich sie sehe, erzeugt in mir nicht einen Akt des Sehens, sondern er regt das Vermögen zu sehen an, damit es in den Akt überführt werden kann. Deshalb kommt mir auch die Behauptung von einigen ziemlich dumm vor, daß der Beweis aus ewigen und unverletzlichen Prinzipien mit Notwendigkeit schließt und zwingt – obschon es solche Prinzipien vielleicht gar nicht gibt, oder falls es sie geben sollte, sie uns in ihrer Beschaffenheit völlig unbekannt sind, uns, die wir sehr zerbrechlich und während unserer kurzen Lebenszeit sehr verletzlich sind. Deshalb wäre im Gegenteil wahre Wissenschaft, wenn es sie denn gäbe, frei, und sie würde von einem freien Geist erlangt, der, falls er ein Ding von sich aus nicht erfassen sollte, durch keine Beweise sich dazu zwingen ließe. Demnach zwingen die Beweise die Unwissenden, denen der Glaube allein genügt. Weshalb also raffst du Unwissender von allen Seiten her viele Sätze aus Aristoteles zusammen, aus welchen du schließlich einen barbarischen Syllogismus konstruierst, obschon du nicht einmal einen einzigen von ihnen verstehst? Ich gäbe dir einen besseren Rat: Gib die Philosophie auf, du bist nämlich völlig ungeeignet für sie. Dagegen wärst du ein erstklassiger Baumeister oder Schuster oder, wenn du lieber möchtest, ein Schuhflicker – einer von denen, die Holz und Steine oder Tücher und Leder zu einer gefälligen Figur zusammenfügen, nicht zu einer barbarischen wie du. Dabei fragen sie nicht, was Holz, was Stein, was Tuch oder was Leder sei, sondern wie sie aus diesen ein Haus, ein Kleid oder Schuhe für Caesar herstellen, so wie du die Macht Caesars benutzt und ein Labyrinth errichtest, in dem du dich zusammen mit deinen erbärmlichen Artgenossen verstrickst, da euch der Faden der Vernunft abhanden gekommen ist. Jedoch
Es ist dumm zu behaupten, daß mit einem Beweis aus ewigen Prinzipien notwendige Schlüsse gezogen werden.
Wahre Wissenschaft ist frei und wird von einem freien Geist erlangt.
Die späteren Syllogistiker wären besser Schuhflicker.
Der Syllogismus der Form Cesare und der übrigen Formen, Labyrinth.
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Pessime habitum multarum conclusionum congeriem Logici dicunt.
Logici nil sciunt praeter multas conclusiones. Scientia est interna visio.
quod nihil scitur
praedicas: Nec ego, tibi tamen illud persuadere conor. Unde cum tu illa nescias, nec hoc poteris percipere: Nec ego, cum omnia nesciam, tibi hoc demonstrare. Igitur nil scimus. Id adhuc ostendo. Insequor definitionem scientiae. Habitum explicant multarum conclusionum congeriem. Mirum quomodo res omnino dimittentes semper ad figmenta sua revertantur, similes catae Aesopicae in virginem mutatae, quae tamen post mutatam formam etiamnum mures insectabatur. Verum quidem his scientia talis est: nil enim aliud sciunt praeter multas conclusiones, res nullas. Quis unquam visionem per specierum congeriem definivit? scientia autem nil aliud est, quam interna visio. Quod si scientia conclusionum congeries est, liber hic scientiam multam habet. Protervus es: dices fortasse habere scientiam scriptam, iuxta illud, quod alius est terminus vocalis, alius scriptus, alius mentalis. Non intelligo. Concedo tamen. Quid sequitur? Nec te, nec me aliquid scire. Probat id Aesopus, qui inter Grammaticum et Rhetorem conservos venalis positus, ultimus interrogatus quid sciret, respondit, Nihil. Quomodo hoc? Quia inquit, Grammaticus et Rhetor nil mihi sciendum reliquerunt: (hi enim antea interrogati quid scirent, responderant, omnia) sic nunc liber hic multa scit per te, alius item plura, et omnes alii similiter: ergo
multarum L(e) : multorum L
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weißt auch du nichts. Trotzdem behauptest du, die anderen zu belehren. Auch ich weiß nichts. Trotzdem versuche ich, dich genau davon zu überzeugen. Weil du aber auch das übrige nicht weißt, wirst du auch das nicht erfassen können. Und ich kann es dir, weil ich nichts weiß, auch nicht beweisen. Also wissen wir nichts. Genau das versuche ich immer noch zu zeigen. Ich untersuche weiterhin die Definition von ‚Wissenschaft‘. ‚Haltung‘ erklären sie als eine Anhäufung von zahlreichen Schlußfolgerungen. Es ist erstaunlich, wie sie die Dinge gänzlich aufgeben und immer wieder zu ihren Hirngespinsten zurückkehren. So gleichen sie jener Katze bei Aesop, die – obschon in ein Mädchen verwandelt – nach der Verwandlung immer noch nach Mäusen jagte. Für sie ist dies jedoch tatsächlich Wissenschaft, denn sie haben nur Wissen von zahlreichen Schlußfolgerungen – keines aber von den Dingen. Wer hat je das Sehen durch eine Anhäufung von Species definiert? Wissenschaft ist aber nichts anderes als ein inneres Sehen. Wenn jedoch Wissenschaft eine Anhäufung von Schlußfolgerungen ist, dann ist dieses Buch hier reich an Wissenschaft. Du bist keck. Du wirst vielleicht sagen, daß es geschriebene Wissenschaft enthalte, gemäß der Lehre, daß es einen Unterschied gebe zwischen dem verlauteten Term, dem geschriebenen und dem geistigen. Ich verstehe das nicht, aber ich gestehe es trotzdem zu. Was folgt daraus? Daß weder du etwas weißt, noch ich. Das beweist Aesop. Als er nämlich zwischen seinen Mitsklaven, einem Grammatiker und einem Rhetor, feilgeboten, als letzter gefragt wurde, was er wisse, antwortete er: „Nichts.“ Wie das? „Weil“, sagte er, „der Grammatiker und der Rhetor mir nichts übrig ließen, was ich wissen könnte.“ (Als diese nämlich zuvor gefragt worden waren, was sie wüßten, antworteten sie: „Alles.“) So weiß dieses Buch nun einiges, wenn es nach dir geht, ein anderes weiß auf gleiche Weise noch mehr und alle anderen ebenso.
Die Logiker nennen die Haltung fälschlicherweise eine Anhäufung von zahlreichen Schlußfolgerungen.
Die Logiker haben nur Wissen von zahlreichen Schlußfolgerungen. Wissenschaft ist ein inneres Sehen.
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Uniuscuiusque rei per se scientia est.
Quomodo Philosophia una scientia dicatur.
Scientia non est multarum rerum cumulus in mente. Non qui plura memoria tenet doctus est, sed qui intelligit. Una scientia toti sufficit orbi, totus hic non illi satis.
quod nihil scitur
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nil nobis relinquitur sciendum. Pergo. Si dixissent, plurium rerum congeriem in mente, fortasse melius: non tamen omnino verum. Unius enim rei solum scientia esse potest. Imo unius cuiusque rei per se solum est scientia, | nec plurium simul: quemadmodum et unius solum cuiusque obiecti visio una: nec enim duo simul licet perfecte respicere, sic nec duo simul perfecte intelligere, sed aliud post aliud. Unde et illud, Pluribus intentus minor est ad singula sensus. Quemadmodum autem omnes homines specie, aut melius, nomine sunt unus homo, sic visio una dicitur, etiamsi plurium rerum sit, et plures numero visiones: sic Philosophia una scientia dicitur, etiamsi plurium rerum contemplatio, quarum cuilibet propria contemplatio, et scientia cuiuslibet post contemplationem una est. Nec id etiam verum est, multarum rerum cumulum in mente scientiam esse: quod quidam inepte cogitant, eos doctos proferentes qui plura viderint, audierint, recitareque subinde possint, tum in eadem scientia, tum in diversis. Quum potius qui omnia amplecti vult, omnia perdit. Sufficit enim una scientia toti orbi, nec tamen totus hic ei sufficit. Mihi vel minima mundi
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Also lassen sie uns nichts mehr übrig, was wir wissen könnten. Ich fahre fort. Wenn sie gesagt hätten, daß Wissenschaft eine Anhäufung von mehreren Dingen im Geist sei, wäre das vielleicht besser gewesen, aber dennoch nicht ganz wahr. Wissenschaft kann nämlich nur Wissenschaft von einem Ding sein, oder vielmehr kann sie es sogar nur von je einem einzelnen Ding für sich genommen sein, nicht aber von mehreren Dingen zugleich, wie auch das Sehen nur ein Sehen von je einem einzelnen Gegenstand ist. Man kann nämlich nicht zwei Dinge zugleich richtig anschauen, und ebensowenig kann man zwei Dinge zugleich richtig erkennen, sondern nur eines nach dem anderen. Daher kommt auch jener Satz: „Auf je mehr Dinge der Sinn gerichtet ist, desto schwächer ist er im Hinblick auf die einzelnen.“ Wie aber alle Menschen qua Art oder besser qua Name ein Mensch sind, so spricht man von einem Akt des Sehens, auch wenn es ein Sehen von mehreren Dingen ist und auch wenn es der Zahl nach mehrere Akte des Sehens sind. Ebenso spricht man auch in bezug auf die Philosophie von einer Wissenschaft, auch wenn mehrere Dinge untersucht werden, wobei jedes dieser Dinge einzeln für sich untersucht wird und die Wissenschaft von jedem einzelnen nach erfolgter Untersuchung eine Wissenschaft ist. Noch immer ist es nicht wahr, daß die Wissenschaft ein Haufen von vielen Dingen im Geist sei. Das meinen einige törichterweise, wobei sie jene als Beispiele der Gelehrtheit anführen, die sehr viel gesehen und gehört haben und dies danach auswendig aufsagen können, und zwar bald auf dem Gebiet ein und derselben Wissenschaft, bald auf dem Gebiet von verschiedenen Wissenschaften. Dabei ist es eher so, daß, „wer alles festhalten möchte, alles verliert“. Es reicht ihm nämlich eine einzige Wissenschaft für den ganzen Erdkreis, aber der ganze Erdkreis reicht ihm nicht. Für mich ist schon das kleinste Ding
Wissenschaft ist Wissenschaft von einem einzigen Ding für sich genommen.
Wie die Philosophie eine einzige Wissenschaft genannt wird.
Wissenschaft ist nicht ein Haufen vieler Dinge im Geist. Nicht wer sehr viel im Gedächtnis behält, ist gelehrt, sondern wer versteht. Eine einzige Wissenschaft reicht für den ganzen Erdkreis, der ganze Erdkreis ist jenem aber nicht genug.
50 Omnia incomprehensibilia dicebant Academici, Pyrrhonici, Xenophanes, vide Laert. lib. . Plutarch. in Lucullo et contra Colotem. Quae sciri debent, in mente esse debent per speciem saltem. Visio non est congeries specierum in oculo.
Falsa opinio, Omnia in omnibus, unde originem duxit. Confutatio eiusdem.
Non sufficit ad sciendum ut scienda in nobis sint.
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res totius vitae contemplationi sat superque est, nec tamen tandem eam spero me nosse posse. Quomodo igitur tot scire unus homo valeat? Imo, crede mihi, multi sunt vocati, pauci vero electi. In te ipso experire, rem aliquam contemplare, vermem si velis, eius animam: Nil captare possis. Fateor quidem haec in mente necessario esse debere, ut quis ea sciat: non tamen id scientia est, sed memoria: quemadmodum nec congeries specierum in oculo visio est, (si ita visio fiat) quamvis haec sine illis fieri non possit. Videmus namque eos qui aliquid fixe imaginantur, quicquid se sensibus offerat, nil tamen sentire, quamvis tunc et oculis et auribus spectra imprimantur. Hac eadem ratione | illi omnia in omnibus esse asserebant. Quomodo enim, dicunt, cognoscemus ea quae extra nos sunt? ergo in nobis omnia erant, evolvendo tamen invenimus, et hoc scire. At falluntur nimium. Primo quod asserant in nobis asinum esse, (forsan in illis est) leonem, et reliqua. Qui enim id fieri potest, ut ego sim in leone, et leo in me? Chymeram fingis. Atque o utinam probarent nos aliquid scire: tunc enim concederemus illis consequentiam: scilicet, Nil sciri potest quin sit in nobis. Omnia sciuntur, ergo omnia sunt in nobis. Nunc autem maior dubia est: falsa minor. Quomodo ergo concludes? Deinde male arguunt, si sufficere putant, ut sciamus, ea quae sciuntur in nobis esse. Quamvis
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der Welt genug und übergenug für eine Untersuchung, die das ganze Leben lang dauert, und dennoch erwarte ich nicht, daß ich am Ende in der Lage bin, dieses Ding zu kennen. Wie sollte also ein einziger Mensch vermögen, so viel zu wissen? Im Gegenteil, glaube mir, „viele sind berufen, nur wenige sind auserwählt“. Mache selbst die Erfahrung, untersuche irgendein Ding, einen Wurm zum Beispiel, und zwar seine Seele. Du wirst nichts erfassen können. Ich gestehe freilich zu, daß die Dinge notwendigerweise im Geist sein müssen, damit jemand sie wissen kann. Das ist aber nicht Wissenschaft, sondern Gedächtnis, ebensowenig wie eine Anhäufung von Species im Auge Sehen ist, obwohl das Sehen ohne jene nicht zustande käme (falls das Sehen überhaupt so zustande kommt). Wir sehen nämlich, daß diejenigen, die sich etwas fix vorstellen, nichts wahrnehmen, was auch immer sich ihren Sinnen darbietet, obschon den Augen und Ohren dabei Erscheinungen eingeprägt werden. Aufgrund derselben Überlegung pflegten jene berühmten Philosophen zu behaupten, daß alles in allem sei. Wie nämlich, sagen sie, sollen wir die Dinge erkennen, die außerhalb von uns sind? Also waren alle Dinge in uns; wir finden sie jedoch, indem wir sie zum Vorschein bringen, und das ist Wissen. Aber sie irren sich gewaltig. Erstens indem sie behaupten, in uns sei ein Esel (vielleicht ist einer in ihnen), ein Löwe usw. Wie könnte es denn sein, daß ich in einem Löwen bin und der Löwe in mir? Du erfindest eine Chimäre. Und weiter, wenn sie doch nur bewiesen, daß wir etwas wissen! Dann könnten wir ihnen nämlich folgende Schlußfolgerung zugestehen: Nichts kann gewußt werden, das nicht in uns ist. Alles wird gewußt. Also ist alles in uns. Nun ist aber der Obersatz zweifelhaft und der Untersatz falsch. Wie also wirst du den Schluß ziehen? Ferner argumentieren sie schlecht, wenn sie glauben, um etwas zu wissen, sei es hinreichend, daß der Gegenstand des Wissens in uns
Alles ist unerfaßbar, sagen die Akademiker, die Pyrrhoneer und Xenophanes; vgl. Diog. Laert. , und ; Plut. Luc. und adv. Col. a.
Was gewußt werden soll, muß im Geist sein, wenigstens als Species. Das Sehen ist keine Anhäufung von Species im Auge.
Woher die falsche Meinung ihren Ursprung nahm, daß alles in allem sei.
Widerlegung dieser Meinung.
Für das Wissen ist es nicht hinreichend, daß der Gegenstand des Wissens in uns ist.
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Plura in nobis sunt quae non cognoscimus.
Male scientia habitus dicitur.
Scientia mentis actio simplex.
Memoriae mandata habitum efficiunt, si fixe haereant.
Quomodo quis multa narrans, multa scire dicatur.
quod nihil scitur
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enim id forsan conduceret, si fieri posset, non tamen inde colligitur in nobis omnia esse, imo contrarium: cum sane in nobis corpus, anima, intellectus, facultates, imagines, pluraque alia sint, quae tamen neutiquam perfecte cognoscimus. Sed hanc quaestionem, an scilicet omnia in nobis sint, in libris Naturae ex professo tractabimus: nunc sufficiat tetigisse quae ad propositam tractationem conducunt. Non igitur in nobis existentes vel res, vel rerum imagines scientiam efficiunt, aut scientia sunt: sed memoria ab his impletur, quas inde mens contemplatur. Hinc etiam iam illud efficio, pessime scientiam habitum vocari. Hic enim qualitas est difficulter mobilis: scientia qualitas non est: nisi visionem qualitatem dicere velis: potius mentis actio simplex, quae vel primo intuitu perfecta esse potest, nec amplius manet quam a mente fit: quemadmodum nec visio. Cuius contemplationis cognitionisque, quae a mente fit, imago memoriae mandata | in ea retinetur: quae si bene fixa sit, habitus dicetur: sin minus, dispositio. Haec vero memoriae tunc propria erunt, non scientiae. Si retulerit postea, memorare dicetur scita, non scire: nisi cum illa contemplatur: quemadmodum qui visa recitat, non videt. Multa tamen scire dicitur, qui sic scita memoria tenet, quod ea omnia et sciverit antea, et scire possit cum volet: nam vel minimo ictu ea respiciendo intelligit: quia iam antea
memorare L(e) : memorari L
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sei. Obwohl es vielleicht nützlich wäre – wenn es denn möglich wäre –, folgt daraus aber nicht, daß alles in uns ist. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Obschon zwar Körper, Seele, Verstand, verschiedene Vermögen, Bilder und viele andere Dinge in uns sind, erkennen wir sie dennoch keineswegs vollkommen. Aber die Frage, ob alles in uns sei, werde ich in den Büchern über die Natur nach allen Regeln der Kunst behandeln. Vorderhand soll es reichen, das berührt zu haben, was zur vorliegenden Abhandlung beiträgt. Also bringen weder Dinge in uns oder Bilder von Dingen in uns Wissenschaft hervor, noch konstituieren sie Wissenschaft, sondern das Gedächtnis wird mit ihnen gefüllt, und der Geist betrachtet sie dann. Daher schließe ich nun auch, daß es ganz verkehrt ist, Wissenschaft eine Haltung zu nennen. Eine Haltung ist nämlich eine kaum veränderliche Qualität, aber Wissenschaft ist keine Qualität, außer du wolltest auch das Sehen eine Qualität nennen! Vielmehr ist sie eine einfache Handlung des Geistes, die schon auf den ersten Blick vollkommen sein kann und nicht länger anhält, als sie vom Geist her erfolgt. Dasselbe trifft auch auf das Sehen zu. Von dieser Betrachtung und Erkenntnis, die vom Geist her erfolgt, wird ein Bild dem Gedächtnis übergeben und in ihm aufbewahrt. Wenn es gut verankert ist, spricht man von Haltung, andernfalls von Disposition. Dies wird aber zum Gedächtnis gehören, nicht zur Wissenschaft. Wenn jemand später das Gewußte erzählt, wird man sagen, er erinnere sich dessen, und nicht, er habe Wissen davon, außer wenn er es betrachtet. Ebenso kann man nicht sagen, daß jemand, der Gesehenes erzählt, sieht. Gleichwohl kann man sagen, daß einer, der das Gewußte so im Gedächtnis aufbewahrt, viel wisse, weil er das alles vorher einmal gewußt hat und es wissen kann, wann immer er will. Denn schon auf den kleinsten Anstoß hin erkennt er es, indem er es wieder betrachtet, da er es ja schon vor-
Viele Dinge sind in uns, die wir nicht erkennen.
Fälschlicherweise wird Wissenschaft eine Haltung genannt.
Wissenschaft ist eine einfache Handlung des Geistes.
Was dem Gedächtnis übergeben wurde, bewirkt eine Haltung, wenn es fest verankert dort haftet.
Wie es kommt, daß man von jemandem, der viel erzählt, sagt, er wisse viel.
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Plato in Menone, Scire nostrum recordari esse dicebat.
. Posterio. et in Metaphysicis, et lib. de Anima. Confutatio sententiae Plato. de scientia.
quod nihil scitur
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intellexit. Unde liquet habitum plurium rerum in memoria non dici scientiam, nisi eaedem antea ab intellectu fuerint cognitae. Sed et alius scire nostrum (mirum) nil aliud esse quam recordari dicebat: Animam scilicet nostram ante nos omnia scire, in nobis omnia oblivisci, dum in corpus mergitur, pauloque post quasi ab occasu expergefactam reminisci. Sed parcat alias doctissimus vir, leve admodum figmentum, hoc est, nec experientia, nec ratione confirmatum: sicuti et plurima alia quae de anima somniavit, ut in tractatu de Anima ostendemus. Hunc autem errorem Aristoteles saepe confutavit. Cuius rationibus relictis, ut quae a quolibet legi in eo possunt, nos quod ad rem nostram attinet eundem examinemus. Si dixisset ille, se vidisse animam suam antequam immergeretur in corpus suum omnia scientem, forsan credidissem: tuncque non homo, sed larva, aut phantasma esset. Sane quae ante me fuerint nescio: quod video vix credo: quomodo ergo somnia tua credam? Dic, Aut antequam anima ingrederetur corpus, sciebat, aut non. Non dices hoc. Tunc, Aut scientia illa animae recordatio solum erat, aut non. Si erat: ergo ab alia anima quae in ea erat, quaeque antequam in ea esset sciebat | omnia. Et de hac iterum, scire suum recordarine est? In infinitum te duco. Si non per aliam recordatur ani-
eaedem L(e) : eadem L
– parcat L(e) : parat L
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her erkannt hat. Daher ist es klar, daß die Haltung, d.h. das Festhalten mehrerer Dinge im Gedächtnis nur dann Wissenschaft genannt wird, wenn diese vorher vom Verstand erkannt worden sind. Aber auch ein anderer Philosoph sagte (was seltsam ist), daß unser Wissen nichts anderes sei als ein Sich-Erinnern. Das heißt, daß unsere Seele vor uns alles weiß, daß sie aber, kaum taucht sie in den Körper ein, alles vergißt und sich wenig später, gewissermaßen zur Besinnung gekommen nach dem Abstieg, wieder erinnert. Aber dieser in anderen Dingen hervorragende Gelehrte möge verzeihen: Dies ist eine haltlose Erdichtung, d.h. eine Erdichtung, die weder durch die Erfahrung noch durch die Vernunft gestützt wird. Dasselbe trifft auch auf sehr viel anderes zu, das er über die Seele geträumt hat, wie ich in meinem Traktat Über die Seele zeigen werde. Diesen Fehler aber hat schon Aristoteles öfter entlarvt. Ich lasse seine Argumente beiseite, da sie von jedem bei ihm selbst nachgelesen werden können, und werde ihn nur einer Prüfung unterziehen, soweit es für meine Sache von Belang ist. Wenn Platon gesagt hätte, daß er gesehen habe, daß seine Seele, bevor sie in seinen Körper eingetaucht sei, alles gewußt habe, hätte ich ihm vielleicht geglaubt. Dann wäre er aber kein Mensch, sondern ein Geist oder Gespenst. Ich weiß wirklich nicht, was vor meiner Zeit gewesen ist. Nur schon was ich sehe, glaube ich kaum. Wie soll ich dann also deinen Träumen glauben. Entscheide dich: Entweder wußte die Seele etwas, bevor sie in den Körper gekommen ist, oder nicht. Du wirst dich nicht für das zweite entscheiden. Dann: Entweder war jene Wissenschaft nur ihre Erinnerung oder nicht. Wenn ja, dann hatte sie also das, was sie wußte, von einer anderen Seele, die in ihr war und die, bevor sie in diese kam, alles wußte. Und in bezug auf diese frage ich wieder: Ist ihr Wissen Erinnerung? Ich führe dich ins Unendliche. Wenn sie sich nicht durch eine andere Seele erin-
Platon sagte im Menon, c, daß unser Wissen ein Sich-Erinnern sei.
Aristot. an. post. , c–b, metaph., an.
Widerlegung der Lehre Platons über die Wissenschaft.
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Vide Galen. lib. de diffe. symptoma. et . de caus. symptoma. ex Thucididis testimonio. et Plini. lib. . c. . et Valeri.
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mam, sed per seipsam, ergo oblita fuerat antea. Quare? Et si oblita fuerat, antequam hoc accideret, an scire suum recordari adhuc erat? Iterum in infinitum. Si scire animae non erat recordari, eadem immersa in corpus an amittit scire illud? Si non amittit, ergo scit ut antea. At antea per te scire suum non erat recordari. Quod si per immersionem in corpus, ut dicis, quasi novi domicilii commercio attonita per tempus maneat sui immemor, recordabitur quidem postea eorum quae oblita fuerat, non tamen sciet denuo: quemadmodum et nos eorum quae antea sciebamus obliti, tandem recordamur: non tamen haec recordatio scire est. Si vero amittit, non postea recordabitur. Eorum enim recordamur quae in memoria quidem aut imaginatione adhuc sunt, non tamen cogitationi sese offerunt: Unde occasione aliqua excitata aut similis rei, aut alterius per consequentias in phantasiam exeunt, cum recordatione tamen, quod antea ibidem essent. Quod si omnino erasa fuissent, non recordatio esset, sed nova impressio: quemadmodum iis accidit, qui ob morbum vel nominis proprii oblivionem incurrunt perfectam: quos postea si discere contingat, non dices recordari: omnimoda enim contra oblivione teneri vel ipsum vulgus dicit, subindeque denuo ac si pueri essent instruendos: ipsique negant se unquam antea illa quae docentur sci-
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nert, sondern durch sich selbst, dann hatte sie also vorher alles vergessen. Weshalb? Und wenn sie alles vergessen hatte, war dann ihr Wissen, bevor dies geschehen war, etwa immer noch Erinnerung? Wieder ins Unendliche. Wenn das Wissen der Seele keine Erinnerung war, verliert sie dann etwa ihr Wissen, nachdem sie in den Körper eingetaucht ist? Wenn sie es nicht verliert, hat sie Wissen wie zuvor. Vorher war jedoch ihr Wissen nach deiner Aussage nicht Erinnerung. Wenn sie aber beim Eintauchen in den Körper, wie du sagst, sozusagen durch den Umzug in die neue Wohnstätte betäubt, eine Zeitlang selbstvergessen bleibt, wird sie sich zwar später an das erinnern, was sie vergessen hat, aber dennoch nicht von neuem wissen. Ebenso erinnern auch wir uns, wenn wir etwas vergessen haben, schließlich an das, was wir vorher wußten. Dennoch ist diese Erinnerung kein Wissen. Wenn die Seele das Vergessene aber verliert, wird sie sich dessen später nicht erinnern. Wir erinnern uns nämlich an das, was zwar noch im Gedächtnis oder im Vorstellungsvermögen ist, sich aber unserem Denken nicht zeigt. Von da wird es, ausgelöst durch irgendein Zusammentreffen mit einem ähnlichen oder mit einem unähnlichen Ding, in der Folge in eine Vorstellung übergehen, jedoch zusammen mit der Erinnerung, daß es früher bereits ebenda war. Wenn es nämlich gänzlich ausgelöscht gewesen wäre, handelte es sich nicht um eine Erinnerung, sondern um einen neuen Eindruck. So ist es auch bei jenen, die infolge einer Krankheit alles völlig vergessen, sogar ihren eigenen Namen. Wenn es diesen später glückt, die Dinge wieder zu lernen, wirst du nicht sagen, daß sie sich erinnern. Im Gegenteil, sogar das Volk selbst sagt nämlich, daß sie vollständigem Vergessen anheimgefallen sind und daß sie in der Folge wie Kinder von neuem unterrichtet werden müssen, und die Betroffenen selbst verneinen, daß sie die Dinge, die ihnen bei-
Vgl. Gal. symp. diff. VII, K; symp. caus. , VII, K (gestützt auf das Zeugnis von Thuk. ,,); Plin. nat. , und Val. Max. ,, ext. .
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Ineptum dicere animam scire.
Lib. de Memor. et reminisc.
quod nihil scitur
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visse. Non igitur scire recordari est. Praeterea quoties recordamur, dicimus, hoc sane antea oblitus fueram, memini enim nunc sic, aut sic actum fuisse. Quod si id animae contingeret ut recordaretur | solum, diceret etiam puer cum doceretur, et ego haec sciebam antea, nunc memini. Quis autem hoc dicit? Item si anima antequam in corpus demersa esset sciebat, postea eadem sciet, non homo. Dicere autem animam scire an non ineptum? Denique rem dilucidiorem efficiamus, de nomine enim quaestio est. Aut scire et recordari idem significant, aut non. Idem non. Cur enim uno pro alio indifferenter non utimur? Quin et canes etiam recordari non dubito: unum enim non dudum percussi de industria, qui quoties postea me videt adlatrat mihi, ictuum sane memor. At canes scire quis dicet? Forsan non vis recordari canes propter Aristotelem. At de hoc postea. Recordantur saltem foeminae et pueri, nihil tamen sciunt. Imo recordamur quidem omnes, nil tamen scimus. Quod si idem non significant, cur pro eodem sumpsit? Si aliquod eorum superius est ad aliud, cur non aliquam adiecit differentiam, quae illud restringeret? Homo enim animal est, sed non solum, quia etiam equus: quare huic quadrupes addimus, illi bipes. Non igitur significant idem: ergo
bipes L(e) : biges L
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gebracht werden, je früher gewußt hätten. Wissen ist also keine Erinnerung. Außerdem sagen wir, so oft wir uns an etwas erinnern: „Das habe ich vorher tatsächlich vergessen, jetzt erinnere ich mich nämlich, daß es sich so oder so zugetragen hat.“ Wenn der Seele aber nur die Fähigkeit zukäme, sich zu erinnern, würde sogar ein Knabe im Unterricht sagen: „Auch ich wußte das schon vorher, nun erinnere ich mich.“ Wer aber sagt so etwas? Ebenso, falls die Seele Wissen hatte, bevor sie in den Körper eingetaucht war, dann ist sie es, die nachher Wissen haben wird, und nicht der Mensch. Ist es aber nicht unpassend zu sagen, die Seele habe Wissen? Überhaupt wollen wir die Sache noch weiter klären. Die Frage dreht sich nämlich um Namen: Bedeuten ‚wissen‘ und ‚sich erinnern‘ dasselbe oder nicht? Nicht dasselbe. Weshalb nämlich verwenden wir nicht das eine ohne Unterschied anstelle des anderen? Daß auch Hunde sich erinnern, bezweifle ich nicht. Ich habe nämlich einen vor nicht allzu langer Zeit absichtlich geschlagen, und der bellt mich seither an, sooft er mich sieht, weil er sich bestimmt an die Schläge erinnert. Wer aber wird sagen, daß Hunde Wissen haben? Vielleicht willst du wegen Aristoteles nicht, daß Hunde sich erinnern können. Aber dazu später. Jedenfalls erinnern sich zumindest Frauen und Kinder – trotzdem wissen sie nichts. Ja wir alle erinnern uns zwar, wissen aber trotzdem nichts. Wenn ‚wissen‘ und ‚sich erinnern‘ aber nicht dasselbe bedeuten, weshalb hat Platon sie für dasselbe verwendet? Wenn das eine mehr umfaßt als das andere, weshalb hat er dann keine Differenz hinzugefügt, die den Umfang des einen einschränkt? Der Mensch ist nämlich ein Lebewesen, aber nicht das einzige, da das Pferd auch ein Lebewesen ist. Daher fügen wir diesem die Differenz vierbeinig hinzu, jenem zweibeinig. Also bedeuten ‚wissen‘ und ‚sich erinnern‘ nicht dasselbe, und deshalb sind Wissen und Erinnern zwei verschiedene
Es ist unpassend zu sagen, die Seele habe Wissen.
Aristot. mem. a– .
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Arist. . Posterio . Physico . Metaph. et passim alibi: et post eum omnes. Huius definitionis impugnatio.
quod nihil scitur
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diversae res sunt scire et memorare. De hoc nil nunc. Ad aliud. Quid adhuc scire est? Rem per causas cognoscere, aiunt. Nec adhuc omnino bene: obscura definitio. Sequitur enim statim quaestio de Causis difficilior prima. An omnes causas oportet cognoscere ad cognoscendam rem? Efficientem minime: quid enim ad mei cognitionem confert pater meus? Quid etiam finis? Deinde, si causatum perfecte cognoscere velis, et causas etiam perfecte cognoscas oportet. Quid sequitur? nil sciri, si efficientis, et finalis causae perfectam cognitionem habere velis. Ostendo. Ad cognitionem mei perfectam | patrem meum perfecte cognoscere oportet: ad hunc cognoscendum, patrem eius antea cognoscas necesse est: post hunc alium, et in infinitum. De aliis rebus item. De finali idem. Dices te non considerare particularia, quae sub scientiam non cadunt, sed universalia, hominem, equum etc. Verum quidem, et id antea dicebam. Scientia tua non est de vero homine, sed de eo, quem tu tibi fingis: proinde nil scis. Esto, considera tuum illum fictum hominem: non illum scies, nisi eius causas cognoveris. An non efficientem habet? Non negabis. Hanc iterum si scire velis, eius efficientem cogita. Non finem facies, nec proinde scies quid tuus ille homo sit: nec quid verus es-
memorare L(e) : memorari L
hunc L(e) : hanc L
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Dinge. Dazu will ich an dieser Stelle nichts mehr sagen. Wenden wir uns einer anderen Sache zu. Was ist nun Wissen? „Das Ding durch seine Ursachen erkennen“, sagen sie. Das ist aber immer noch überhaupt nicht befriedigend. Die Definition ist unklar. Es folgt nämlich sogleich die Frage nach den Ursachen, die schwieriger zu beantworten ist als die erste. Muß man etwa alle Ursachen erkennen, um das Ding zu erkennen? Am allerwenigsten die Wirkursache: Was nämlich trägt mein Vater zur Erkenntnis meiner selbst bei? Was ist aber mit der Zweckursache? Schließlich brauchst du für die vollkommene Erkenntnis des Verursachten die vollkommene Erkenntnis der Ursachen. Was folgt daraus? Daß nichts gewußt wird, wenn du eine vollkommene Erkenntnis der Wirk- und der Zweckursache haben möchtest. Ich zeige es dir. Für die vollkommene Erkenntnis meiner selbst muß mein Vater vollkommen erkannt werden. Um diesen zu erkennen, ist es notwendig, daß du vorher seinen Vater erkennst und nach diesem wieder einen anderen und so weiter bis ins Unendliche. Ebenso verhält es sich bei den anderen Dingen, und dasselbe trifft auf die Zweckursache zu. Du wirst sagen, daß du nicht Einzeldinge untersuchst, da diese nicht in den Bereich der Wissenschaft fallen, sondern Universalien wie den Menschen, das Pferd und so weiter. So ist es tatsächlich, und das habe ich vorher schon gesagt: Deine Wissenschaft ist keine Wissenschaft vom wirklichen Menschen, sondern von dem, den du dir erdichtest. Daher weißt du nichts. Wie dem auch sei – betrachte deinen erdichteten Menschen: Du wirst kein Wissen von ihm haben, wenn du seine Ursachen nicht erkannt hast. Hat er etwa keine Wirkursache? Das wirst du nicht verneinen. Wenn du diese wissen möchtest, mußt du deren Wirkursache bedenken. Du wirst zu keinem Ende kommen und wirst daher nicht wissen, was dein Mensch ist. Du wußtest auch nicht,
Aristot. an. post. , b; phys. , bff.; metaph. , aff. und auch sonst passim, und nach ihm haben alle diese Meinung vertreten. Angriff auf dessen Definition.
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Arist. l. . Metaph. .
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set sciebas: ergo nil scis. Forsan recurres ad Deum optimum maximum primam omnium causam, omniumque finem ultimum: ibique standum dices, nec in infinitum eundum. De hoc postea. Sed nunc volo. Quid inde? Nil scis. Fugis infinitum, et incidis in infinitum, immensum, incomprehensibile, indicibile, inintelligibile. An hic sciri potest? Minime. At omnium causa est per te. Ergo ad effectuum cognitionem eius cognitio necessaria est ex definitione tua. Ergo nil scis. Si efficientem, et finalem ad rei cognitionem non arbitraris necessarias, cur non distinxisti in definitione tua? ego enim omnes intelligebam cum absolute protulisti, Rem per causas cognoscere. Sed et alibi ille omnes comprehendit et numerat, efficientem, materialem, formalem, et finalem, cum dixerit, tunc rem nos cognoscere putare, cum eius primam causam tenemus. At do tibi (quamvis dari nec debeat, nec licite possit) efficientem et finalem non necessarias esse. Supersunt duae, materialis, et formalis, quas credo intelligis | cognoscendas esse. Sed istud minus. Si formam scire velis, per causas ipsius scias oportet, ex definitione tua. Non per efficientem et finalem, ut antea.
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was der wirkliche Mensch sei. Also weißt du nichts. Vielleicht wirst du beim allmächtigen Gott deine Zuflucht nehmen, der die erste Ursache aller Dinge und aller Dinge letztes Ziel ist, und du wirst sagen, daß man dort einhalten müsse und nicht ins Unendliche weitergehen dürfe. Dazu später mehr. Für den Moment will ich das zugestehen. Was folgt daraus? Du weißt nichts. Du scheust das Unendliche, und dabei stürzt du ins Unendliche, ins Unermeßliche, ins Unerfaßbare, ins Unsagbare und ins Unerkennbare. Kann es etwa ein Wissen von Gott geben? Ganz und gar nicht. Er ist aber nach deiner Aussage Ursache aller Dinge. Also ist für die Erkenntnis seiner Wirkungen gemäß deiner Definition die Erkenntnis von ihm selbst notwendig. Also weißt du nichts. Wenn du meinst, daß die Wirk- und die Zweckursache nicht notwendig sind für die Erkenntnis eines Dinges, weshalb hast du dann in deiner Definition die Ursachen nicht unterschieden? Ich verstand sie nämlich so, daß alle Ursachen erkannt werden müßten, als du so bestimmt behauptet hast, daß ein Ding durch seine Ursachen erkannt werden müsse. Jedoch faßte Aristoteles alle Ursachen auch an anderen Stellen zusammen und listete sie auf, Wirkursache, Materialursache, Formursache und Zweckursache, wobei er sagte, daß wir dann meinen, eine Sache zu erkennen, wenn wir deren erste Ursache festhalten. Aber ich gestehe dir zu (obschon dies nicht zugestanden werden müßte und auch nicht mit Recht zugestanden werden kann), daß die Wirk- und die Zweckursache nicht notwendig sind. Es bleiben zwei übrig, die Material- und die Formursache, die – so glaube ich – nach deinem Verständnis erkannt werden müssen. Aber das ist noch weniger richtig. Wenn du Wissen von der Form haben möchtest, dann mußt du das gemäß deiner Definition durch ihre Ursachen erlangen, nicht jedoch durch die Wirk- und die Zweckursache, wie vorher gezeigt wurde. Also durch die Material-
Aristot. metaph. , aff.
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In Physic. et Metaph.
. Physic.
Arist. . Posteri.
Aristot. non satisfacit suae obiectioni.
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Ergo per materialem et formalem. At non habet. Non igitur scies. Quod si hanc non scias, nec id cuius forma est scies: ignoratis enim partibus, ignoratur totum. De materia idem dicam, quae adhuc simplicior est, minusque Ens, et cuius forsan nulla est causa, saltem efficiens, materialis, et formalis secundum Aristotelem. De finali enim dubitari possit. Quid dicis? Sufficit quaecumque causarum cognitio ad rei scientiam habendam, licet non sit perfecta. Fabulae sunt. Impossibile est totum perfecte cognoscere, quin partes perfecte cognoscas. Quod si id etiam dederim: quaero an formae et materiae scientia haberi possit? Concedes, ut qui omnia scire te profitearis. Iterum, an per causas? Si non: ergo definitio tua nulla. Si sic: de illis causis repeto an sciri possint? Non minus quam illa, imo magis: simpliciora enim per te notiora natura sunt, proindeque ex se scibilia magis. An per causas? In infinitum. Nulla ergo definitio. Imo et nil scis ex iisdem rationibus. Atque obiecit ille quidem alias hoc ipsum sibi, Si scientia vere solum illa est, quae per demonstrationem habetur, principia autem prima demonstrari non possunt, non horum erit scientia, nullaque proinde scientia erit. Sed non satisfecit, dicens, non omnem scientiam esse demonstrativam, sed eorum quae mediis vacant indemonstrabilem
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und die Formursache. Aber die Form hat keine solchen. Also wirst du kein Wissen von ihr haben. Wenn du aber kein Wissen von ihr hast, dann auch nicht von dem, dessen Form sie ist. Sind nämlich die Teile unbekannt, ist auch das Ganze unbekannt. Ich könnte dasselbe von der Materie sagen, da sie noch einfacher ist und weniger ein Seiendes und vielleicht keine Ursache hat, wenigstens keine Wirk-, Material- und Formursache gemäß Aristoteles. In bezug auf die Zweckursache sind nämlich Zweifel angebracht. Was sagst du? Jede beliebige Erkenntnis von Ursachen ist hinreichend, um über Wissen von einem Ding zu verfügen; sie muß nicht vollkommen sein. Das sind Märchen. Es ist unmöglich, das Ganze vollkommen zu erkennen, ohne die Teile vollkommen zu erkennen. Aber selbst wenn ich das zugestehen sollte, frage ich, ob man Wissen von Form und Materie haben kann. Du wirst das einräumen, da du erklärst, alles zu wissen. Ich frage wieder: „Etwa durch Ursachen?“ Wenn nein, dann ist deine Definition keine Definition. Wenn ja, wiederhole ich meine Frage in bezug auf jene Ursachen, ob man von ihnen Wissen haben kann. Nicht weniger als von Form und Materie, sondern sogar mehr. Denn gemäß deinem Standpunkt sind die einfacheren Dinge von Natur aus bekannter und daher von sich her eher wißbar. Etwa durch Ursachen? Das führt ins Unendliche. Also hast du keine Definition. Ja du weißt sogar nichts aus denselben Gründen. Außerdem erhebt Aristoteles ebendiesen Vorwurf anderswo gegen sich selbst: „Wenn Wissenschaft wirklich nur das ist, was durch Beweis erlangt wird, die ersten Prinzipien aber nicht bewiesen werden können, dann wird es von ihnen keine Wissenschaft geben, und daher wird es gar keine Wissenschaft geben.“ Aber er hat keine befriedigende Lösung gegeben, als er gesagt hat, daß nicht jede Wissenschaft auf Beweisen beruhe, sondern die Wissenschaft von denjenigen, denen die Mittelterme fehl-
In der Physik und der Metaphysik.
Aristot. phys. , a–.
Aristot. an. post. , b–.
Aristoteles hat keine befriedigende Antwort auf seinen Einwand.
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. Physicor. c. . Ridicula expositio Dialecticorum.
Primorum principiorum scientia non differt a scientia aliarum rerum.
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esse. Nam inde sequitur non simpliciter prolatum illud, Scire est rem per causas cognoscere, verum esse: et illud, Scientia est habitus acquisitus per demonstrationem: si aliqua est quae per demonstrationem non habe- | tur. Melius autem dixerat alibi, excusarique poterat, si semper eodem modo loquutus fuisset, perfecteque aliquando scientiam explicuisset. Nunc autem cum ubique vagus, confusus, et inconstans sit, excusationi locum praecludit. Dixerat porro, Rerum quarum sunt principia, causae, et elementa, scientiam ab horum cognitione pendere. Quod ridiculum est quomodo exponant eius sequaces. Ad verba enim et syllogismos res deflectentes (antiquo obsopiti errore in eoque putrescentes) principia interpretantur, scientiae cuiusque primas, notasque, et suppositas propositiones: quas ipsi etiam principia et dignitates vocant: causas explicant medias propositiones, quae inter illa fiunt et rem probandam: elementa vero, subiectum, praedicatum, copulam, medium, maiorem extremitatem, minoremque. An non subtile commentum hoc est? an potius delirium? sic eorum princeps fallitur modicum. Illi non eum percipientes nec sequentes, adhuc magis: quousque tandem in tot vanitates prolabuntur, sensim a veritate deficiendo. Sed ad illum redeamus. Non excusari potest. Superius dicebat primorum principiorum scientiam esse, sed indemonstrabilem. Alibi primorum principiorum cognitionem intellectum, non scientiam vocat: male tamen. Horum enim, sicut
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ten, unbeweisbar sei. Denn daraus folgt, daß weder der Satz „Wissen ist ein Ding durch seine Ursachen erkennen“ ohne weiteres wahr ist noch der Satz „Wissenschaft ist eine Haltung, die durch Beweis erworben wird“, wenn es nämlich eine Wissenschaft gibt, die nicht durch Beweis erworben wird. Aristoteles hat es anderswo aber besser gesagt und hätte entschuldigt werden können, wenn er immer gleich gesprochen hätte und wenn er irgendeinmal vollkommen erklärt hätte, was Wissenschaft sei. Da er nun aber überall vage, konfus und schwankend ist, hat er keinen Raum für eine Entschuldigung gelassen. Er hat nun aber gesagt: „Die Wissenschaft von Dingen, die Prinzipien, Ursachen und Elemente haben, hängt von der Erkenntnis eben dieser ab.“ Es ist lächerlich, wie seine Nacheiferer diesen Satz erklären. Indem sie nämlich Dinge in Worte und Syllogismen umbiegen (durch den altehrwürdigen Irrtum eingeschläfert, verfaulen sie in ihm), legen sie die Prinzipien als die ersten, bekannten und zugrundeliegenden Sätze jeder Wissenschaft aus, die sie selbst auch Prinzipien und Axiome nennen. Ursachen erklären sie als mittlere Sätze, die sie zwischen jene Prinzipien und die zu beweisende Sache setzen, Elemente aber erklären sie als Subjekt, Prädikat, Kopula, Mittelterm und als Außenterme des Ober- und des Untersatzes. Ist das etwa keine subtile Deutung? Oder eher eine Verrücktheit? So irrt sich ihr Schulhaupt ein wenig. Weil sie ihn weder begreifen, noch ihm folgen, irren sich jene noch mehr, bis sie schließlich in viel leeren Schein abgleiten, wobei sie allmählich der Wahrheit abtrünnig werden. Doch kehren wir zu Aristoteles zurück. Er kann nicht entschuldigt werden. Weiter oben sagte er, es gebe eine Wissenschaft von den ersten Prinzipien, die jedoch unbeweisbar sei. Anderswo nennt er die Erkenntnis der ersten Prinzipien Verstehen und nicht Wissenschaft, zu Unrecht aber. Wenn wir nämlich von den ersten
Aristot. phys. , a–. Lächerliche Erklärung der Dialektiker.
Die Wissenschaft der ersten Prinzipien unterscheidet sich nicht von der Wissenschaft von anderen Dingen.
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Scientia non differt ab intellectu, aut intellectione. Scientia una est, non duplex. Duplex tamen sciendi modus.
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et aliorum, si haberetur, perfecta scientia esset. Nunc autem cum horum non habeatur, nec eorum etiam habetur quorum haec principia sunt. Unde sequitur nihil sciri. Deinde quid scientia aliud est, quam intellectus rei? tunc enim scire aliquid dicimus, cum id intelligimus. Sed nec verum est duplicem esse scientiam: una enim et simplex esset, si quae esset, sicut et una | visio. Duplex tamen habendi modus: unus simplex, cum simplicem rem cognosceremus, ut materiam, formam, et spiritum, si velis: alius compositus, ut ita dicam, cum compositam rem, quam prius explicare oporteret, et singulas partes cognoscere, tum demum totum. Ultimum autem hunc modum semper praecedit primus: non tamen hunc semper sequitur ille. In his autem omnibus Demonstratio nil deservit aliud, quam forsan ostendere rem sciendam. Sed iam satis: plura enim diximus, quam nihil scienti convenire videbatur. At non praeter rationem dicta haec sunt. Hucusque enim aliorum ignorantiam, circa scientiae definitionem, cognitionemque subinde ostendi: nunc meam proferam, ne solus ego scire aliquid videar. Ex quo videre poteris quam inscientes simus. Quae enim hucusque a pluribus recepta fuere, mihi falsa videntur, ut iam ostendi: quae deinceps dicam, vera. Forsan con-
quam deest in T : scimus LT
circa L(e) : iuxta L
simus coni. Thomson
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Prinzipien, wie auch von anderem, Erkenntnis hätten, wäre sie eine vollkommene Wissenschaft. Da wir nun aber von den ersten Prinzipien keine haben, haben wir auch keine Erkenntnis von den Dingen, deren Prinzipien sie sind. Daraus folgt, daß nichts gewußt wird. Was ist ferner Wissenschaft anderes als das Verstehen eines Dinges? Wir sagen nämlich dann, daß wir etwas wissen, wenn wir es verstehen. Es stimmt aber nicht, daß die Wissenschaft zweifach sei. Wenn es Wissenschaft gäbe, wäre sie nämlich eine und einfach, wie auch das Sehen eines ist. Der Modus, sie zu erwerben, aber wäre zweifach: Der eine wäre einfach, und zwar, wenn wir ein einfaches Ding erkennen würden, wie zum Beispiel Materie, Form oder Lebensgeist, wenn du so willst; der andere wäre sozusagen zusammengesetzt, und zwar, wenn wir ein zusammengesetztes Ding erkennen würden, das zuerst zerlegt werden müßte und dessen einzelne Teile erkannt werden müßten und das dann erst als Ganzes erkannt werden könnte. Diesem zweiten Modus aber geht der erste immer voraus, auf den ersten folgt jedoch nicht immer der zweite. Bei all dem hat aber der Beweis keine andere Funktion, als daß er das, was man wissen will, vielleicht zeigt. Aber das genügt schon. Wir haben nämlich schon mehr gesagt, als es für einen, der nichts weiß, gebührlich scheint. Doch was ich gesagt habe, war nicht unvernünftig. Soweit habe ich nämlich wiederholt die Unwissenheit der anderen in bezug auf die Definition der Wissenschaft und in bezug auf die Erkenntnis dargelegt. Nun werde ich meine eigene Unwissenheit ans Licht bringen, damit ich nicht den Eindruck erwecke, ich sei der einzige, der etwas wisse. Daraus wirst du ersehen können, wie sehr wir unwissend sind! Was nämlich bis jetzt von den meisten akzeptiert wurde, scheint mir falsch zu sein, wie ich schon gezeigt habe, doch was ich gleich sagen werde, wahr. Du wirst vielleicht das gegenteilige Urteil fällen,
Wissenschaft unterscheidet sich nicht vom Verstehen oder der Verstandestätigkeit. Die Wissenschaft ist eine einzige, sie ist nicht zweifach. Der Modus des Wissens aber ist zweifach.
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Scientiae definitio nostra.
Perpetua nominum dubitatio.
Cognitio quid.
quod nihil scitur
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trarium iudicabis tu, et fortassis verum erit hoc: unde sequitur confirmatio propositi, Nil sciri. Iam igitur quid scire sit videamus, ut inde an aliquid sciatur magis manifestum evadat. SCIENTIA EST REI PERFECTA COGNITIO. Ecce facilem, veram tamen nominis explicationem. Si quaeras genus et differentiam, non dabo: verba enim haec sunt definito magis obscura. Quid cognitio? Sane nescirem explicare aliter: et si aliter hanc definirem, de hac iterum definitione idem quaerere posses, et eius partibus. Sic nunquam finis, perpetua nominum dubitatio. Qua ratione scientiae nostrae tum infinitae, tum omnino dubiae sunt: conantibus nobis rerum Naturas demonstrare verbis, rursus haec | aliis: quod tum difficile, tum impossibile est. Nil scimus. Alicubi standum dicis in quaestionibus. Verum, quia aliud non possumus. Sed nescio quid sit cognitio, defini mihi. Dicerem rei comprehensionem, perspectionem, intellectionem, et si quid aliud est, quod idem significet. Si de hoc adhuc dubites, tacebo: sed petam a te aliud. Si dederis, de tuo dubitabo: sicque perpetua laboramus ignorantia. Quid superest? Extremum remedium: tu tibi ipse cogita. Cogitasti, menteque forsan cognitionem apprehendisti: sed nil minus. Ego etiam mihi comprehendisse videor. Quid inde? Dum de cognitione postea tecum loquor, qualem
dass nichts gewusst wird
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und vielleicht wird das wahr sein. Daraus folgt die Bekräftigung der These, daß nichts gewußt wird. Nun wollen wir also schauen, was Wissen ist, damit daraus noch klarer hervorgeht, ob etwas gewußt werde. WISSENSCHAFT IST DIE VOLLKOMMENE ERKENNTNIS EINES DINGES. Schau an, das ist eine leicht verständliche, aber dennoch wahre Erklärung des Namens. Wenn du nach Gattung und Differenz fragen solltest, werde ich sie dir nicht angeben. Das sind nämlich Wörter, die noch unklarer sind als das, was definiert worden ist. Was ist Erkenntnis? Ich wüßte tatsächlich nicht, wie ich Wissenschaft anders erklären könnte, und wenn ich sie anders definieren würde, könntest du in bezug auf diese Definition wieder dasselbe fragen und ebenso in bezug auf ihre Teile. So gäbe es nie ein Ende, und ewig ergäben sich Zweifel in bezug auf Namen. Aus diesem Grund sind unsere Wissenschaften einerseits unbegrenzt und andererseits ganz unsicher: Wenn wir die Natur der Dinge mit Worten aufzuzeigen suchen, müssen wir diese wiederum durch andere erklären, was manchmal schwierig und manchmal sogar unmöglich ist. Wir wissen nichts. Du sagst, daß man es bei den Fragen an einem Punkt einmal bewenden lassen muß. Das ist wahr, weil wir nicht anders können. Aber ich weiß nicht, was Erkenntnis ist; definiere sie für mich. Ich würde sagen, sie sei ein Erfassen eines Dinges, ein Durchdringen, ein Verstehen und jedes andere Wort, das dasselbe bezeichnet. Falls du das immer noch bezweifeln solltest, werde ich schweigen. Aber ich werde von dir ein anderes Wort fordern. Wenn du es mir gegeben hast, werde ich dein Wort bezweifeln, und so leiden wir an ewiger Unwissenheit. Was bleibt uns noch? Das letzte Heilmittel: Denke für dich selbst. Du hast nachgedacht und hast mit deinem Geist die Erkenntnis vielleicht erfaßt. Aber nichts ist weniger der Fall. Auch mir scheint, ich hätte sie erfaßt. Was folgt daraus? Während ich nach-
Unsere Definition der Wissenschaft.
Ewiger Zweifel in bezug auf Namen.
Was Erkenntnis ist.
72 Occasio dissensionum in opinionibus.
Omnes ignari sumus.
Omnis scientia fictio.
Supponere est quae ignoramus admittere.
quod nihil scitur
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comprehendi, talem suppono: tu contra qualem tu. Hoc ego assero eam esse: tu contra illud. Quis componet litem? qui novit quid ipsa vere sit. Quis ille est? Nullus. Quisque sibi doctissimus videtur: mihi omnes ignari. Forsan solus ego ignarus sum: sed id saltem scire vellem. Non possum. Quid igitur dicam deinceps quod ignorantiae suspitione vacet? Nihil. Cur ergo scribo? Quid ego scio. Cum stultis stultus eris: homo sum: quid faciam? perinde est. Revertor. Nihil scimus. Suppone nominis (scientiae) explicationem a me traditam, ut oratio procedat: hincque colligamus nihil sciri: supponere enim non est scire, sed fingere: quare ex suppositis fictiones prodibunt, non scientia. Vide quo nos duxerit oratio iam, Omnis scientia fictio est. Patet: scientia per demonstrationem habetur. Haec definitionem supponit: non possunt enim probari definitiones, sed debent credi: ergo demonstratio ex suppositis scientiam supposititiam producet, non firmam et certam. Haec omnia ex te concludunt. Deinde, in omni scientia per te supponenda | principia sunt, nec de his disputare illi convenit. Ergo quae sequuntur ex his supposita erunt, non scita. Quid miserius? ut sciamus, ignorare oportet. Quid enim supponere aliud est, quam quae nescimus admittere? Nonne melius esset
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her mit dir über die Erkenntnis spreche, lege ich sie so zugrunde, wie ich sie erfaßt habe, du dagegen so, wie du sie erfaßt hast. Ich behaupte, daß sie dies sei, du dagegen, daß sie jenes sei. Wer wird den Streit beilegen? Derjenige, der weiß, was sie in Wahrheit ist. Wer ist das? Keiner. Jeder scheint sich selbst der Gebildetste zu sein. Mir scheinen alle unwissend zu sein. Vielleicht bin ich der einzige, der unwissend ist, aber wenigstens das möchte ich wissen. Ich kann es nicht. Was also soll ich sagen, das vom Verdacht der Unwissenheit frei ist? Nichts. Warum schreibe ich also? Was weiß ich! Du wirst ein Dummer unter Dummen sein. Ich bin ein Mensch, was soll ich tun? So ist es. Ich kehre zum Thema zurück. Wir wissen nichts. Nimm die Erklärung des Namens ‚Wissenschaft‘, die ich vorgetragen habe, als Hypothese an, damit die Rede fortschreiten kann. Daraus werden wir schließen, daß nichts gewußt wird. Etwas als Hypothese anzunehmen ist nämlich nicht Wissen, sondern Erdichten. Daher werden aus Hypothesen Erdichtungen hervorgehen, nicht Wissenschaft. Schau, wohin die Rede uns schon geführt hat: Jede Wissenschaft ist eine Erdichtung. Das ist offensichtlich. Wissenschaft wird durch Beweis erworben. Dieser Beweis beruht auf einer Definition als Hypothese: Definitionen können nämlich nicht bewiesen werden, sie müssen geglaubt werden. Also wird ein Beweis, der auf Hypothesen beruht, eine fiktive Wissenschaft hervorbringen, nicht eine feste und gewisse. Dies beruht alles auf deinen Aussagen. Ferner müssen die Prinzipien, wenn es nach dir geht, in jeder Wissenschaft als Hypothesen angenommen werden, und es steht Aristoteles nicht zu, diese zu erörtern. Was also aus diesen Prinzipien folgt, sind Hypothesen, nicht aber etwas, das gewußt wird. Was ist elender? Damit wir etwas wissen, müssen wir unwissend sein! Was nämlich heißt etwas als Hypothese anzunehmen anderes als etwas, das wir nicht wissen, zuzulassen? Wä-
Die Möglichkeit der Uneinigkeit der Meinungen.
Wir sind alle unwissend.
Jede Wissenschaft ist eine Erdichtung.
Etwas als Hypothese anzunehmen heißt, was wir nicht wissen, zuzulassen.
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Ignarorum excusatio.
Qui ignorat principia ignorat et rem.
Scientiarum imperium. Scientia communis Regina.
Vana contentio Dialecticorum.
Dialectici pueris similes.
quod nihil scitur
principia prius scire? Nego tibi artis tuae principia: proba. Non est arguendum contra negantes principia, inquis. Nescis probare. Ignarus es, non sciens. At spectat ad superiorem seu communem scientiam aliarum probare principia. Ille igitur forsan omnia sciet qui communem hanc scientiam habet: tu nihil. Qui enim ignorat principia, ignorat et rem. Sed quid communis illa scientia est? Mirum quomodo sibi officia partiantur artifices isti, limitibus se separant, quemadmodum stultum vulgus sibi tellurem adaptat partiturque. Quin potius imperium scientiarum struxere: quarum regina supremusque iudex scientia communis est: ad quam supremae deferuntur lites. Haec leges caeteris dat, quas ratas accipere oportet: nec aliarum alicui in huius messem manum immittere licet impune, nec inter se sibi. Sic tota vita litigant de subiecto scientiae cuiusque, nec est qui hanc litem (potius ignorantiam) dirimat. Hinc si quis de astris in Physica agat, aut in quantum Physicus, aut in quantum Astrologus, inquiunt, hoc facit: et alius, hoc ab Arithmetico mutuatur: sed et alius a Mathematico furatur illud. Quid hoc? An non puerorum fabulae? hi enim in communi loco, platea, foro, vel campo, hortos struunt, tegulis cancellant, et quisque alteri sui hortuli aditum interdi-
– spectat L(e) : expectat L
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re es etwa nicht besser, wenn man zuvor Wissen der Prinzipien hätte? Ich lehne die Prinzipien deiner Kunst ab: Beweise sie. „Man kann nicht gegen jemanden argumentieren, der die Prinzipien ablehnt“, sagst du. Du weißt nicht, wie du sie beweisen kannst. Du bist unwissend und nicht einer, der Wissen hat. Es fällt aber in den Aufgabenbereich einer höheren oder allgemeinen Wissenschaft, die Prinzipien der anderen Wissenschaften zu beweisen. Daher wird vielleicht derjenige alles wissen, der über diese allgemeine Wissenschaft verfügt, du aber weißt nichts. Wer nämlich die Prinzipien nicht kennt, kennt auch das Ding nicht. Aber was ist jene allgemeine Wissenschaft? Es ist sonderbar, wie sich diese Künstler ihre Aufgabenbereiche zuteilen und sie durch Grenzen voneinander abtrennen, so wie das törichte Volk sich das Land gemäß seinen Bedürfnissen herrichtet und aufteilt. Vielmehr errichteten sie sogar ein Königreich der Wissenschaften, deren Königin und höchste Richterin die allgemeine Wissenschaft ist. Ihr werden die größten Streitfälle vorgelegt. Sie gibt den übrigen die Gesetze, die jene als rechtskräftig akzeptieren müssen. Keine der anderen darf ungestraft Hand an ihre Ernte legen, und es ist ihnen auch nicht gestattet, dies untereinander zu tun. So streiten sie das ganze Leben lang um den Gegenstand jeder Wissenschaft, und es gibt niemanden, der diesen Streit (vielmehr diese Unwissenheit) beilegen könnte. Daher fragen sie, wenn jemand im Bereich der Naturphilosophie die Sterne untersucht, ob er dies als Naturphilosoph oder als Astrologe tue. Ein anderer sagt: „Dies borgt er sich vom Arithmetiker.“ Noch ein anderer: „Dem Mathematiker hat er das stibitzt.“ Was soll das? Sind das etwa keine Kindereien? Auf einem öffentlichen Platz, zum Beispiel in einer Gasse, auf dem Markt oder auf dem Versammlungsplatz, legen die Kinder nämlich Gärten an, die sie mit Ziegeln einmauern und jeder verbietet dem anderen den Zu-
Die Ausrede der Unwissenden.
Wer die Prinzipien nicht kennt, kennt auch das Ding nicht.
Königreich der Wissenschaften. Die allgemeine Wissenschaft ist Königin.
Nichtiger Streit der Dialektiker.
Die Dialektiker gleichen Kindern.
76 Causa divisionis scientiarum. Omnia in unius orbis compositionem conspirant.
Ignorata una re, ignorantur et reliqua.
Verum scire, primum naturam rei nosse, deinde accidentia. Demonstratio syllogismus scientificus non est. . Metaph.
Nil sciunt qui demonstrationibus fidunt.
quod nihil scitur
|
cit. Video quid hoc. Cum omnia quisque amplecti non posset: hic sibi partem hanc elegit, ille aliam discerpsit. Hinc nihil scitur. Cum enim | omnia quae hoc in orbe sunt, in unius compositionem conspirent: nec haec sine illis stare possunt, nec haec cum illis conservari: quodque privatum gerit munus, diversumque ab alio: omnia tamen ad unum conferunt: haec causant illa, haec ab illis fiunt. Indicibilis omnium concatenatio. Nil ergo mirum si ignorato uno, ignorantur et reliqua. Cuius causa fit, ut qui de astris agit, eorum motus et causas motuum considerans, quid astrum sit, quid motus a Physico accipiat quasi probatum: deinde motus solum contempletur varietatem multitudinemque. De reliquis eodem modo. At hoc scire non est. Verum enim scire est, rei naturam primum cognosse, secundo loco accidentia, ubi accidentia res habet. Ex quo sequitur demonstrationem syllogismum scientificum non esse, imo nihil esse, ut quae solum accidens inesse demonstret secundum te, (mihi enim tantum abest ut aliquid demonstret, ut potius abscondat, nihilque aliud agat quam turbare ingenium) rei vero definitionem supponat. Nihil ergo sciunt quicumque demonstrationibus fidunt, ab eisque scientiam expectant: qui etiam has damnant, nihil per te: et ut modo probabo. Ergo nil scimus omnes. In scientia igitur, si defini-
dass nichts gewusst wird
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gang zu seinem Gärtchen. Ich sehe, was das soll. Da jeder einzelne nicht alles umfassen konnte, wählte sich einer diesen Teil, jener schnappte sich einen anderen. Daher wird nichts gewußt. Weil nämlich alles, was in dieser Welt ist, im Gefüge eines einzigen Ganzen zusammenwirkt, können einerseits die einen Dinge nicht ohne die anderen bestehen, wieder andere aber können sich nicht zusammen mit jenen erhalten. Jedes Ding erfüllt seine eigene Aufgabe und ist verschieden vom anderen. Alle tragen jedoch zum Ganzen bei. Die einen verursachen diese, andere werden durch jene verursacht. Die Verkettung aller Dinge läßt sich nicht darlegen. Es verwundert also nicht, daß, wenn eines unbekannt ist, auch die übrigen unbekannt sind. Daher kommt es, daß, wer von den Sternen handelt und ihre Bewegungen und die Ursachen ihrer Bewegungen betrachtet, die Definition des Sterns und der Bewegung vom Naturphilosophen als gleichsam erwiesen übernimmt, und daß er dann nur die Mannigfaltigkeit und Menge der Bewegungen untersucht. Mit dem übrigen verfährt er ebenso. Aber das ist nicht Wissen. Wahres Wissen ist nämlich zuerst die Natur eines Dinges erkannt zu haben und an zweiter Stelle die Akzidentien, falls das Ding Akzidentien hat. Daraus folgt, daß ein Beweis kein wissenschaftshervorbringender Syllogismus, sondern in Wirklichkeit gar nichts ist, weil er nur beweist – gemäß deinem Standpunkt –, daß ein Akzidens im Ding ist (denn für mich ist er so weit davon entfernt, etwas zu beweisen, daß er eher etwas verbirgt und nichts anderes tut, als das Denkvermögen zu verwirren), aber die Definition des Dinges voraussetzt. Also weiß nichts, wer immer Beweisen vertraut und erwartet, daß aus ihnen eine Wissenschaft resultiere. Auch wer sie verdammt, weiß nichts gemäß deinem Standpunkt und wie ich bald glaubwürdig machen werde. Also wissen wir alle nichts. In der Wissenschaft gibt es also, wenn du meine De-
Ursache der Einteilung der Wissenschaften.
Alles wirkt im Gefüge des Weltganzen zusammen.
Ist ein Ding unbekannt, sind auch die übrigen unbekannt.
Wahres Wissen ist zuerst die Natur eines Dinges erkannt zu haben, danach die Akzidentien. Ein Beweis ist kein wissenschaftshervorbringender Syllogismus. Aristot. metaph. , b–.
Wer Beweisen vertraut, weiß nichts.
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Res forsan infinitae.
Infinitas rei unius cognitionem impedit.
Infinitarum rerum eadem potest esse materia: et potest esse multiplex.
quod nihil scitur
|
tionem admittas meam, tria sunt, res scienda, cognitio, et perfectum: quorum quodlibet singillatim nobis expendendum erit, ut inde colligamus nihil sciri. Res primum quot sunt? Forsan infinitae, non solum in individuis, sed in speciebus. Negabis infinitas. At non probabis finitas: nec enim vel minimam earum partem numerare potuisti: ego vix hominem, et equum, et canem novi. Ergo de hoc iam nil scimus. Nam nec tu finem omnium rerum vidisti, | finitas tamen asseris: nec ego earum infinitatem vidi: infinitas tamen esse coniecto. Quid certius? videris tu: mihi nihil. Sed quid infinitas ad rei unius cognitionem, dices, impedire potest? Multum per te: principia enim cognoscere oportet ad cognoscendam rem: forsan materiam et formam: at in infinito infinitae materiae forsan sunt distinctae specie: (quanquam tu materiem specie ab aliquo distingui nolis, ut qui eam omni forma prives: de quo postea). De formis nullum dubium: at de infinito nulla scientia. Sed dices, infinitarum etiam rerum eadem materia esse potest. Verum quidem: sed etiam potest non eadem esse, proindeque multiplex. Aliae enim res forsan sunt a nostris omnino diversae, quas nullus nostrum novit. Quod vero potest et esse et non esse, dubium est quod eorum sit. Scientia autem de eo
singillatim coni. Thomson : sigillatim LT coniector L
coniecto L(e) :
dass nichts gewusst wird
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finition zuläßt, dreierlei: das Ding, von dem man Wissen haben will, die Erkenntnis und das Vollkommene. Von diesen werden wir jedes einzelne im Detail erwägen müssen, damit wir daraus schließen können, daß nichts gewußt wird. Zuerst: Wieviele Dinge gibt es? Vielleicht unendlich viele, nicht nur als Individuen, sondern als Arten. Du wirst verneinen, daß es unendlich viele gibt. Aber du wirst nicht beweisen, daß es endlich viele gibt, denn du wirst nicht einmal den kleinsten Teil von ihnen zählen können. Ich kenne kaum den Menschen, das Pferd und den Hund. Nur schon darüber wissen wir also nichts. Denn auch du hast nicht die endliche Zahl aller Dinge gesehen, doch behauptest du, daß es endlich viele gibt. Auch ich habe die unendliche Zahl nicht gesehen, doch ich vermute, daß es unendlich viele gibt. Was ist gewisser? Dir scheint deine Behauptung gewisser zu sein. Mir ganz und gar nicht. Aber wie kann ihre Unendlichkeit, wirst du sagen, uns an der Erkenntnis eines einzelnen Dinges hindern? Auf vielfache Weise gemäß deinem Standpunkt. Denn man muß die Prinzipien erkennen, um ein Ding zu erkennen, vielleicht Materie und Form. Aber im Unendlichen sind vielleicht unendlich viele Materien, die durch die Art unterschieden sind (obschon du nicht willst, daß die Materie sich durch die Art von etwas unterscheide, da du sie jeder Form beraubst; darüber später mehr). Was die Formen betrifft, gibt es keinen Zweifel. Aber vom Unendlichen gibt es keine Wissenschaft. Freilich wirst du sagen, daß sogar unendlich viele Dinge dieselbe Materie haben können. Das ist zwar wahr, aber sie kann auch nicht dieselbe und deswegen vielfach sein. Denn es gibt vielleicht andere Dinge, die von den unseren gänzlich verschieden sind und die keiner von uns kennt. In bezug auf das, was der Fall sein kann und nicht der Fall sein kann, bestehen Zweifel, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft. Wissenschaft aber handelt gemäß dei-
Vielleicht gibt es unendlich viele Dinge.
Die Unendlichkeit behindert die Erkenntnis eines einzelnen Dinges.
Unendlich viele Dinge können dieselbe Materie haben. Sie kann aber auch vielfältig sein.
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An coeli materia eadem sit quae horum inferiorum non constat. Spiritibus sua est materia. Accidentia suam habent materiam. Non eadem astrorum et coeli materia. Licet aliter Scaliger.
Formae in infinito sunt infinitae.
Etsi finitae sint res, nil tamen scimus.
quod nihil scitur
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quod est, quodque aliter esse non potest, per te est. Nec necesse est infinitas esse res ut diversa sit materia: nam et tibi qui finitas credis nondum constat, nec constabit unquam (possum tamen falli) an materia coeli eadem sit quae horum inferiorum. Quin et an non spiritibus propria est materia, quamvis simplices dicantur? Sane. Asseris tu plura esse eorum genera, pluresque subinde differentias. Ergo conveniunt in aliquo communi: id per te materia est: differuntque alio: id forma. Accidentia vero nonne et illa habent materiam propriam? Tu vocas genus eorum materiam: differentiam vero formam. An astrorum eadem quae coeli materia? Non scis: videtur quod non. Ergo et principia quae, quotque sint ignoratur, quamvis finitae sint res. Nec stabitur unquam in principiis: sed hominis principia sunt elementa: | horum, materia haec et forma haec: huius materiae et huius formae alia simpliciora: leonis, asini, ursi itidem: sic in infinitum. Atque de formis nil dubium, quod in infinito erunt infinitae. At principia praecognoscere oportet. Dices elementa non esse principia, de quo postea. Imo nulla erunt principia. Infiniti enim principium nullum est. Sed sint finitae res: nil scies magis. Nec enim primum nosti principium omnium necessarissimum:
– in aliquo L(e) : aliquo L
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nem Standpunkt von dem, was ist und was nicht anders sein kann. Daß die Dinge unendlich an der Zahl sind, ist jedoch nicht notwendig dafür, daß es verschiedene Materie gibt. Denn auch für dich, der du glaubst, daß die Zahl endlich ist, steht noch nicht fest und wird nie feststehen (obgleich ich mich täuschen kann), daß die Materie des Himmels dieselbe sei wie die der tieferen Regionen. Haben nicht etwa auch die Lebensgeister eine eigene Materie, obschon sie einfach genannt werden? Gewiß. Du behauptest, daß es viele Gattungen der Dinge gibt und daher viele Differenzen. Also stimmen sie in etwas Gemeinsamem überein, das gemäß deinem Standpunkt die Materie ist, und sie unterscheiden sich in etwas anderem, nämlich der Form. Haben aber Akzidentien nicht auch ihre eigene Materie? Du nennst ihre Materie Gattung, ihre Form aber Differenz. Ist etwa die Materie der Sterne dieselbe wie die des Himmels? Du weißt es nicht; es scheint, daß sie nicht dieselbe ist. Daher ist auch unbekannt, welche und wieviele Prinzipien es gibt, mag die Anzahl der Dinge auch endlich sein. Auch wird man bei den Prinzipien keinen letzten Halt finden. Aber die Prinzipien des Menschen sind die Elemente, die eine bestimmte Materie und eine bestimmte Form haben. Diese Materie und diese Form bestehen wiederum aus etwas anderem, noch einfacherem. Ebenso verhält es sich bei den Elementen des Löwen, des Esels und des Bären. So geht es ins Unendliche. Und auch in bezug auf die Formen gibt es keinen Zweifel, daß diese im Unendlichen unendlich sein werden. Aber die Prinzipien müssen vorher erkannt werden. Du wirst sagen, daß die Elemente keine Prinzipien sind, aber dazu später. Vielmehr wird es keine Prinzipien geben. Es gibt nämlich kein Prinzip des Unendlichen. Aber mögen die Dinge auch endlich sein: du wirst trotzdem nicht mehr wissen. Du hast nämlich kein Wissen vom ersten und notwendigsten Prinzip aller Dinge und des-
Daß die Materie des Himmels dieselbe ist wie die der tieferen Regionen, steht nicht fest. Die Lebensgeister haben eine eigene Materie.
Die Akzidentien haben eine eigene Materie. Die Materie der Sterne und des Himmels ist nicht dieselbe, mag auch Scaliger anderer Meinung sein.
Die Formen sind im Unendlichen unendlich.
Mögen die Dinge auch endlich sein, so wissen wir trotzdem nichts.
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Rerum divisio universalis.
Deum nemo novit. Exod. . Paul. Rom. .
Omnium rerum concatenatio.
Omnia cognoscere oportet ad unius perfectam cognitionem. Scientiae sibi favent. Una scientia sine aliis perfecte sciri nequit.
quod nihil scitur
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quare nec et reliqua, quae ab eo derivantur. Nil ergo scimus. Deinde in rebus aliae a se, ex se, in se, per se, et propter se tantum sunt, (liceat nobis ita loqui) qualem dicunt primam causam Philosophi, nostri Deum: aliae omnes ab hoc, non a se, non ex se, non in se, non per se, non sibi solis, nec propter se: sed aliae ab aliis, ex aliis aliae, aliae in aliis, aliae propter alias. At utrasque res cognoscere oportet. Deum autem quis perfecte novit? Non videbit me homo et vivet. Proinde solum licuit Moysi videre eum per posteriora, id est, per opera sua. Unde ille, invisibilia Dei per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur. Tum et illud nosse oportet, scilicet quae res quas causent, et quomodo, ut sciamus quid perfecte. Talis autem concatenatio in rebus omnibus est ut nulla ociosa sit, quin alteri obsit aut prosit: quinimo et eadem pluribus et nocere, et iuvare plures nata est. Ergo omnia cognoscere oportet ad unius perfectam cognitionem: illud autem quis potest? Nusquam vidi. Et ob hanc eandem rationem scientiae aliae aliis favent, et una ad alterius cognitionem confert. Imo, quod magis est, una sine aliis sciri perfecte non potest: proindeque coguntur aliae ab aliis mutuari. Earum namque subiecta sic etiam se habent, ut unum ab alio mutuo de- | pendeat, et aliud etiam mutuo aliud efficiat. Unde sequitur rursus nil sciri. Quis
in margine nequit L(e) : nequis L
– mutuari L(e) : mutari L
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halb auch nicht von den übrigen, die von diesem abgeleitet sind. Wir wissen also nichts. Schließlich sind von den Dingen die einen nur von sich selbst, aus sich selbst, in sich selbst, durch sich selbst und wegen sich selbst (wenn es uns erlaubt ist, so zu sprechen). Was so beschaffen ist, nennen die Philosophen erste Ursache, die Christen Gott. Alle anderen Dinge sind von diesem und nicht von sich selbst, nicht aus sich selbst, nicht in sich selbst, nicht durch sich selbst, nicht für sich selbst und auch nicht wegen sich selbst: vielmehr sind einige von anderen her, aus anderen wieder andere, andere in anderen, andere wegen anderen. Beiderlei Dinge müssen aber erkannt werden. Wer aber hat Gott vollkommen erkannt? „Kein Mensch wird mich sehen und leben.“ Daher durfte Moses ihn nur von hinten sehen, das heißt, durch seine Werke. Deswegen schrieb Paulus: „Die unsichtbare Wirklichkeit Gottes wird gesehen, indem sie anhand der Werke der Schöpfung erkannt wird.“ Dann müssen wir auch jenes wissen, nämlich, welche Dinge welche verursachen und wie, damit wir etwas vollkommen wissen. Eine solche Verkettung ist aber in allen Dingen, daß es kein Ding gibt, das untätig ist und nicht einem anderen nützte oder schadete. Vielmehr ist dasselbe Ding zu dem Zweck entstanden, vielen zu schaden und vielen zu nützen. Also muß für die vollkommene Erkenntnis eines einzigen Dinges alles erkannt werden. Wer aber vermag dies? Ich habe nirgends einen solchen gesehen. Ebenfalls aus diesem Grund fördern die verschiedenen Wissenschaften einander, und eine trägt zur Erkenntnis der anderen bei. Es ist sogar so, und das ist noch wichtiger, daß man eine ohne die anderen nicht vollkommen erlangen kann. Daher sind die Wissenschaften gezwungen, einander gegenseitig zu beleihen. Ihre Gegenstände verhalten sich nämlich so, daß sie gegenseitig voneinander abhängen und daß sie gegenseitig aufeinander wirken. Daraus folgt wieder-
Allgemeine Einteilung der Dinge.
Niemand hat Gott erkannt. Ex ,.
Röm ,.
Die Verkettung aller Dinge.
Alles muß erkannt werden für die vollkommene Erkenntnis eines einzigen Dinges. Die Wissenschaften fördern einander.
Eine Wissenschaft kann ohne die anderen nicht vollkommen erlangt werden.
84 Exemplum connexionis rerum. Exempla antipathiae.
Exempla sympathiae.
quod nihil scitur
enim omnes novit scientias? Subiiciam breve aliquod exemplum, ne haec improbata maneant. De homine sufficiet. Hic basiliscum odit: fertur enim eum hominis saliva ieiuni interfici: basiliscus hominem et mustellam, quae eum sola dicitur perimere: mustella basiliscum et murem: mus mustellam et catum: catus murem et canem: canis catum et leporem: lepus canem et viverram. Atque satis haec sint de antipathia. Homo item non quocunque vescitur cibo, delectaturque: sed bove, ariete etc. Haec non quocunque oblato, sed feno, avena, palea: haec iterum non quacumque terra, sed hac vel illa: haec rursus terra non omnia producit, sed haec vel illa: ad quod plurimum confert hoc vel illud coelum. Haec de sympathia. Quomodo haec omnia fiunt? Cuiuslibet horum naturam oportet nosse prius quam hominem probe noscas. Homo item quia nutritur, crescit, vivit, generat, corrumpitur, ratiocinatur, statim quaerendum est de anima, et eius facultatibus. Huius ratione, de plantis, qua anima vivant: de animalibus: de inanimatis. Contrariorum enim eadem est scientia. Generatio autem et corruptio a quo fiunt? a qualitatibus contrariis. Statim de his, de elementis, de superioribus corporibus: nam Sol et homo generant hominem: de introductione animae, de intro-
de inanimatis. T : de inanimatis, L
et T : est L
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um, daß nichts gewußt wird. Wer kennt nämlich alle Wissenschaften? Ich lege kurz ein Beispiel vor, damit das nicht ohne Bekräftigung bleibt. Ein Beispiel vom Menschen wird genügen. Er haßt den Basilisk, denn man sagt, daß dieser durch den Speichel eines fastenden Menschen getötet werde. Der Basilisk haßt den Menschen und das Wiesel, das allein, wie man sagt, ihn töte. Das Wiesel haßt den Basilisk und die Maus. Die Maus haßt das Wiesel und die Katze. Die Katze haßt die Maus und den Hund. Der Hund haßt die Katze und den Hasen. Der Hase haßt den Hund und das Frettchen. Das soll zur Antipathie genügen. Ebenso ernährt sich der Mensch nicht und fühlt sich nicht hingezogen von jeder beliebigen Nahrung, sondern vom Rind, Böckchen usw. Diese ernähren sich nicht von allem, was ihnen vorgesetzt wird, sondern von Heu, Hafer und Spreu. Diese wiederum wachsen nicht aus jedem Boden, sondern aus diesem oder jenem. Dieser Boden bringt seinerseits nicht alles hervor, sondern dieses oder jenes, wozu dieses oder jenes Klima sehr viel beiträgt. Dies zur Sympathie. Wie kommt das alles zustande? Du mußt die Natur von jedem einzelnen von diesen erkennen, bevor du den Menschen richtig erkennen kannst. Weil der Mensch ebenso Nahrung aufnimmt, wächst, lebt, entsteht, vergeht und Schlußfolgerungen zieht, muß alsbald seine Seele untersucht werden und deren Vermögen. Und analog zum Menschen muß bei den Pflanzen untersucht werden, aufgrund von welcher Seele sie leben, und ebenso bei den übrigen Lebewesen und den unbelebten Dingen, denn von Gegensätzen handelt ein und dieselbe Wissenschaft. Entstehen und Vergehen aber, wodurch kommen sie zustande? Durch entgegengesetzte Qualitäten. Sogleich muß man diese untersuchen und die Elemente und die oberen Körper (denn die Sonne und der Mensch bringen den Menschen hervor), die Einführung der Seele in den Körper,
Beispiel für die Verknüpfung der Dinge. Beispiele der Antipathie.
Beispiele der Sympathie.
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Male Arist. Phys. Tempus definit, numerum motus etc.
Exemplum ab horologio.
quod nihil scitur
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ductione formarum, de actione et passione, de qualitate, de quantitate, de situ, de relatione: quia sedet, quia generat, quia calescit. Illud rursus quia in quiete fit: istud in instanti: hoc in tempore: videndum quid tempus. Statim de coelis et eorum motibus: tempus enim est, | ait ille, (licet male, ut suo loco videbimus) numerus motus secundum prius et posterius. Quia movetur motu recto et deorsum: illico quid sursum, deorsum: de centro mundi, de polis, partibus eius. Quia videt, et hoc media luce: statim de coloribus, de spiritibus, et speciebus, de luce, et luminoso, de Sole, astrisque. Quia corpus est, et est in loco: de corpore, de substantia, de loco, de vacuo. Quia locus finitus dicitur: de finito et infinito. Quia generat et generatur: statim de causis omnibus usque ad primam. Quia ratiocinatur, de anima intellectiva et eius facultatibus, de scientia et de scibili, de prudentia et reliquis habitibus, ut vocant. Quia interficit: quia nunquam contentus vivit: quia pro patria vitam morti exponit: quia sublevat aegros et egentes: de bono, et malo: de ultimo et summo bono: de virtute, et vitio: de animi immortalitate. Quodcunque autem horum secum ducit omnes alias res, quas prosequi fastidiosum esset. Idem dicas de quacumque minima re. Id exemplo familiarissimo communis horologii cognosces.
luminoso, T : luminoso:, [sic] L
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die Einführung der Formen, das Handeln und das Erleiden, die Qualität, die Quantität, die Lage und die Relation, denn der Mensch sitzt, er zeugt, er wird warm. Weil wiederum das erste in Ruhe geschieht, das zweite in einem Moment und das dritte in der Zeit, muß man schauen, was Zeit ist. Sogleich muß man die Himmelsschalen und ihre Bewegungen untersuchen. „Die Zeit ist nämlich“, sagt Aristoteles (wenn auch schlecht, wie wir gegebenen Ortes sehen werden), „die Zahl der Bewegung gemäß dem Vorher und Nachher.“ Weil der Mensch in einer geraden Abwärtsbewegung bewegt wird, muß sogleich danach gefragt werden, was das Auf- und was das Abwärts ist, nach dem Zentrum der Welt, nach den Polen und nach ihren Teilen. Weil der Mensch sieht, und zwar mittels des Lichts, müssen sogleich die Farben, die Lebensgeister, die Species, das Licht, die Helligkeit, die Sonne und die Sterne untersucht werden. Weil der Mensch ein Körper ist und sich an einem Ort befindet, müssen Körper, Substanz, Ort und Leeres untersucht werden. Weil der Ort begrenzt genannt wird, müssen das Endliche und das Unendliche untersucht werden. Weil der Mensch zeugt und gezeugt wird, müssen sogleich alle Ursachen untersucht werden bis zur ersten. Weil er Schlüsse zieht, müssen die erkennende Seele und ihre Vermögen, die Wissenschaft und das Wißbare, die Klugheit und die übrigen sogenannten Haltungen untersucht werden. Weil er tötet, weil er nie zufrieden lebt, weil er für sein Vaterland sein Leben in Todesgefahr bringt, weil er Kranke und Bedürftige unterstützt, müssen das Gute und das Böse untersucht werden, das letzte und höchste Gut, die Tugend und das Laster und die Unsterblichkeit der Seele. Jedes von diesen aber bringt alle anderen Dinge mit sich, die zu verfolgen ein mühseliges Unterfangen wäre. Dasselbe magst du von jedem noch so kleinen Ding sagen. Das wirst du anhand des allseits bekannten Beispiels der gewöhnlichen Uhr
Aristoteles definiert die Zeit in phys. , a– schlecht als „die Zahl der Bewegung usw.“
Das Beispiel der Uhr.
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Exemplum ab orbe vitreo Archimedis.
Omnia in hoc orbe movent aut moventur.
quod nihil scitur
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Si enim quomodo horas pulset scire velis, oportet ut a prima ad ultimam omnes circunspicias rotas: quidque primam moveat, et quomodo haec aliam, et haec alias duas, sicque usque ad ultimam pervenire. Quod si praeter id quod horas pulset horologium, easdem etiam exterius in gnomone digito ostendat: monstret praeterea Lunae motus, auctionem, defectionemque: Solis item per Zodiacum discursum perfectum eodem quo in coelo fit tenore, (quae omnia et plura alia nos in portatili horologio secundum verum astrorum cursum ostendi vidimus) sane rem difficiliorem efficies, nec vel mini- | mam earum rerum quomodo fiat percipere poteris, quin totam fabricam ex integro solvas, examines, singulasque partes et earum munus teneas. Idipsum tibi repraesentabit vitreus orbis admirabili artificio ab eximio Archimede Syracusano constructus: in quo omnes sphaerae, Planetaeque eodem modo quo in vera hac machina, et movebantur et conspiciebantur: flatu per canaliculos et ductus quosdam omnia symmetrice agente. An non oportebat, si quomodo id fieret nosse vellet aliquis, totam perfecte machinam, eiusque partes usque ad minutissimam cum muniis callere suis? Idem in nostro hoc orbe existimandum est. Quid enim in eo invenias quod non moveat et moveatur, mutet et mutetur, aut unum aut utrumque patiatur? sed quanto plura in vero orbe et sunt et fiunt
– nos in L(e) : nos iis L
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erkennen. Wenn du nämlich wissen möchtest, wie sie die Stunden schlägt, mußt du vom ersten bis zum letzten alle Räder ringsum in Augenschein nehmen sowohl, was das erste Rad bewegt, als auch auf welche Weise dieses ein anderes und dieses wiederum zwei andere bewegt, und so mußt du bis zum letzten gelangen. Wenn aber die Uhr abgesehen davon, daß sie die Stunden schlägt, diese auch außen mit dem Zeiger auf dem Zifferblatt anzeigen sollte, wenn sie außerdem die Bewegung des Mondes zeigen sollte, seine Zunahme und Abnahme und ebenso den vollendeten Lauf der Sonne durch den Tierkreis auf einer Bahn, die derjenigen im Himmel entspricht (all dies und noch mehr habe ich auf einer tragbaren Uhr entsprechend dem Lauf der wirklichen Sterne angezeigt gesehen), dann machst du die Sache allerdings schwieriger, und du wirst wohl nicht imstande sein, die Funktion auch nur des kleinsten dieser Dinge zu erfassen, ohne die Maschine ganz auseinanderzunehmen, sie zu untersuchen und die einzelnen Teile und ihre Aufgaben zu begreifen. Dasselbe wird dir das gläserne Weltmodell vergegenwärtigen, das mit bewundernswerter Kunstfertigkeit vom vortrefflichen Archimedes von Syrakus gebaut worden war und in welchem alle Himmelssphären und Planeten auf dieselbe Weise wie im wirklichen Weltgetriebe bewegt und betrachtet werden konnten, wobei ein Luftstrom durch präzis geführte kleine Kanäle und Leitungen alles symmetrisch bewegte. Müßte sich aber jemand, der wissen wollte, wie das funktioniert, nicht vollkommen auf die ganze Maschine und ihre Teile bis zum kleinsten mitsamt deren Funktionen verstehen? Man muß annehmen, daß es sich ebenso in unserer Welt verhält. Was nämlich könntest du in dieser Welt finden, das nicht etwas bewegt und selbst bewegt wird, etwas verändert und selbst verändert wird, das nicht Bewegung oder Veränderung oder beides erleidet? Aber in dem
Das Beispiel des gläsernen Weltmodells von Archimedes.
Alle Dinge in dieser Welt bewegen etwas oder werden bewegt.
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Una tantum scientia est.
Scientiae nostrae vanitas.
Hominum sapientia stultitia apud Deum.
Quare prohibeatur ne omnia in omnibus tractentur.
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quam in Syracusano vitreo, tanto difficilius est illum, quam hunc totum complecti: non tamen minus necessarium ei qui scire vult. Vide quo perventum sit. Una solum scientia est, aut esset si haberi posset, in natura rerum: non plures, qua omnes res perfecte cognoscerentur: quando una sine aliis omnibus perfecte cognosci non potest. Eae quas habemus vanitates sunt, rapsodiae, fragmenta observationum, paucarum et male habitarum: reliqua imaginationes, inventa, fictiones, opiniones. Unde non inepte omnino dicebat ille, hominum sapientiam stultitiam esse apud Deum. Sed revertamur unde digressi eramus, hincque collige unam esse omnium rerum scientiam. Quotiescumque enim de re aliqua incidit sermo, huius occasione de alia agendum, de alia iterum propter hanc, et tertio propter istam de alia. Sic in infinitum iremus, nisi in medio cursu pedem | retraheremus, et id non sine scientiae detrimento. Unde lex illa in scientiis consurgit, Non omnia in omnibus. Videbant enim omnia ex omnibus sequi, ne tamen eorum scientia finem non haberet, limites statuere conati sunt, quos tamen servare nequeunt: (quomodo enim limites servabunt, quos natura non patitur?) unde eadem necesse est millies in eodem opere, et in diversis repetere: quod facile ostenderemus in quolibet authore, sed longum esset. Nonne omnia quae in praedicamentis,
observationum T : observationem L paucorum L
paucarum L(e) :
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Maß, wie mehr Dinge in der wirklichen Welt sind und entstehen als im gläsernen Weltmodell des Syrakusaners, ist es schwieriger, diese als ganze zu erfassen denn jene; es ist aber nicht weniger notwendig für den, der Wissen erlangen will. Schau, wo wir hingekommen sind. Es gibt nur eine einzige Wissenschaft (oder es gäbe sie, wenn man sie haben könnte) von den Dingen in der Natur – nicht aber viele –, und durch sie könnten alle Dinge vollkommen erkannt werden, weil ein Ding ohne alle anderen nicht vollkommen erkannt werden kann. Die Wissenschaften, über die wir verfügen, sind Nichtigkeiten, Flickwerk, Bruchstücke von wenigen und schlecht fundierten Beobachtungen. Der Rest besteht aus Einbildungen, Erfindungen, Erdichtungen und Meinungen. Daher sagte Paulus nicht unangemessen: „Die Weisheit der Menschen ist Torheit vor Gott.“ Aber kehren wir dahin zurück, wo wir unseren Exkurs begonnen hatten, und du ziehe von daher den Schluß, daß es eine Wissenschaft von allen Dingen gibt. So oft nämlich die Rede auf irgendein Ding kommt, muß man wegen dieses Dinges von einem anderen handeln, von einem anderen wieder wegen diesem und drittens wegen jenem von einem weiteren. So würden wir ins Unendliche weitergehen, wenn wir nicht mitten im Lauf den Fuß zurückhielten – und das nicht ohne Schaden für die Wissenschaft. Daher hat sich folgendes Gesetz in den Wissenschaften durchgesetzt: „Nicht alles in allem.“ Die Philosophen sahen nämlich, daß alles aus allem folgt; damit ihre Wissenschaft gleichwohl nicht ohne Ende sei, versuchten sie, Grenzwälle zu errichten, die sie aber nicht halten können (wie werden sie nämlich Grenzwälle halten, die die Natur nicht zuläßt?). Daher ist es notwendig, dasselbe tausendmal im selben Werk und in verschiedenen Werken zu wiederholen, was ich leicht bei jedem beliebigen Autor zeigen könnte, aber es würde zu lange dauern. Wiederholt Aristoteles
Es gibt nur eine einzige Wissenschaft.
Die Nichtigkeit unserer Wissenschaften.
Die Weisheit der Menschen ist Torheit vor Gott.
Weshalb es verboten ist, alles in allem zu behandeln.
92 Arist. eadem pluribus in locis repetit. Gal. prolixus.
Examen rerum, liber paulo post edendus.
Non possumus per demonstrationes certas ad prima principia pervenire.
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dixit ille eadem in Physicis, et Metaphysicis repetit? Et quae in his, in aliis passim? Galenus autem noster quam prolixus est? Vix caput unum invenias in quo non legas: Et de his quamvis alibi fusius dixerimus, non nocebit si iterum breviter quod ad propositum spectat repetamus: Vel, Hoc sufficit quod ad praesens institutum attinet, reliqua enim tali in libro reperies: aut denique similem aliam dictionem. Quod manifeste ostendit, ad unius rei cognitionem aliarum etiam cognitionem necessariam esse, quando et ad unius productionem, conservationem, aut destructionem, omnium aliarum concursus necessarius est, ut in rerum examine fusius probabimus. Idem confirmant etiam qui disputationem de re aliqua suscipiunt: tantum enim abest ut, si hominem animal esse probare instituant, id efficiant, ut contra per medios syllogismos discurrentes ab uno in aliud, tandem deveniant vel ad coelum, vel ad inferos, secundum media quibus utitur probans, et secundum negata ab alio. Quod enim demonstrationis inventor de eis tradit, per medias veniendum ad prima usque principia, ibique standum, fictio est: sicut et alia circa | eandem rem dicta. Nec enim talia sunt certa, numerata, atque ordinata media, per quae libere possimus procedere: neque principia in quibus animus quietus contentusque sistere possit. Quod si tu talia aliqua habes, gratum facies, si mihi mittas. Expectasne adhuc ampliorem inscitiae nos-
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nicht alles, was er in den Kategorien gesagt hat, in der Physik und in der Metaphysik, und schreibt er nicht, was er in diesen Werken geschrieben hat, auch überall in den anderen Werken? Unser Galen ferner, wie geschwätzig ist er! Du findest wohl kaum ein Kapitel, in dem du nicht liest: „Und obschon ich darüber anderswo weitläufig gesprochen habe, wird es nicht schaden, wenn ich kurz wiederhole, was sich auf das Vorliegende bezieht.“ Oder: „Dies reicht, was das gegenwärtige Vorhaben betrifft, das übrige wirst du in dem und dem Buch finden.“ Oder auch andere ähnliche Aussagen. Das zeigt deutlich, daß zur Erkenntnis eines einzigen Dinges auch die Erkenntnis der anderen notwendig ist, da auch für das Hervorbringen, das Erhalten und das Zerstören eines Dinges das Mitwirken aller anderen notwendig ist, wie ich in meiner Untersuchung der Dinge ausführlich nachweisen werde. Dasselbe bestätigen auch diejenigen, welche eine Disputation über irgendeine Sache in Angriff nehmen. Wenn sie sich vornehmen zu beweisen, daß der Mensch ein Lebewesen sei, sind sie soweit davon entfernt, dies zu erreichen, daß sie im Gegenteil durch die Mittelterme der Syllogismen von einem zum anderen eilen und schließlich im Himmel oder in der Hölle ankommen, je nachdem, welche Mittelterme sie beim Beweisen brauchen und was von einem anderen verneint wird. Was nämlich der Erfinder des Beweises über sie lehrt, nämlich, daß man durch die Mittelterme schließlich zu den ersten Prinzipien gelangen und dort stehenbleiben muß, ist selbst eine Erfindung, so wie auch alles andere, was er darüber sagte. Es gibt nämlich keine solchen gewissen, abgezählten und geordneten Mittelterme, die uns ein freies Fortschreiten erlaubten, und es gibt keine Prinzipien, in denen die Seele ruhig und zufrieden zum Stehen kommen könnte. Wenn du aber solche hast, wirst du mir einen Gefallen tun, wenn du sie mir schickst. Erwartest du etwa noch
Aristoteles wiederholt vieles an zahlreichen Stellen. Galen ist geschwätzig.
Die Untersuchung der Dinge, ein Buch, das bald herausgegeben werden soll.
Wir können nicht durch sichere Beweise zu den ersten Prinzipien gelangen.
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Species nihil sunt, aut imaginatio quaedam.
Varietas multa in individuis.
De hoc Mathiol. Comment. in lib. . Diosco. c. . De hoc Fallop. lib. ult. de re Anatom. et Amat. Lusit. Centur. . Cur. . in Schol. De hoc Amat. Lusita. Centur. . Cura . Anus Atheniensis. Gal. . simpli.
quod nihil scitur
trae probationem? Dabo. Vidisti iam difficultatem in speciebus. De individuis autem fateris nullam esse scientiam, quia infinita sunt. At species nil sunt, aut saltem imaginatio quaedam: sola individua sunt, sola haec percipiuntur, de his solum habenda scientia est, ex his captanda. Sin minus, ostende mihi in natura illa tua universalia. Dabis in particularibus ipsis. Nil tamen in illis universale video: omnia particularia. In his autem quanta varietas conspicitur? Mirum. Hic omnino fur: ille homicida: ille non natus nisi ad Grammaticam: alius scientiis omnino ineptus: ab incunabulis hic crudelis et truculentus: nulla arte ille a vino arceri potest: a venere iste: a ludo hic: alter aut viso, aut etiam olfacto fele animo linquitur: ille pomum nunquam gustavit, nec alium gustantem videre potest: alter carnem: alter caseum: alius pisces: ex quibus omnibus nos quosdam novimus. Alius numismata, vitrum, pennas, lateres, lanam, omnia denique vorat et coquit indifferenter: ille rosae odore aut aspectu labitur in syncopen: iste foeminas odit: haec cicuta nutritur: hic diu noctuque stertit: ego saepius libros iratus proieci, aufugi musaeolum: at in foro, in campo, nunquam nihil cogito, nec unquam minus solus, quam cum solus: nec minus otiosus, quam cum otiosus: mecum hostem habeo, non possum evadere:
aut saltem L : au [sic] T
syncopen L(e) : syncopim L
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einen gewichtigeren Nachweis unserer Unwissenheit? Ich werde ihn dir geben. Du hast schon die Schwierigkeiten gesehen, die die Arten bereiten. Du wirst aber zugestehen, daß es von den Individuen keine Wissenschaft gibt, da sie unendlich sind. Arten jedoch gibt es nicht, oder sie sind zumindest nur eine Vorstellung: Es gibt nur Individuen, nur diese werden wahrgenommen, nur von ihnen ist es möglich, Wissenschaft zu haben, von ihnen her muß sie erlangt werden. Andernfalls zeige mir deine berühmten Universalien in der Natur. Du wirst sie in den Einzeldingen selbst anzeigen. Ich sehe aber kein Universale in ihnen: es sind alles Einzeldinge. Was für eine Mannigfaltigkeit aber läßt sich in diesen erblicken! Es ist erstaunlich. Dieser ist ganz und gar ein Dieb, jener ein Mörder, jener lebt nur für die Grammatik, ein anderer ist ganz und gar ungeeignet für die Wissenschaften, dieser ist schon von der Wiege auf grausam und grimmig, jener kann durch nichts vom Wein ferngehalten werden und dieser von Schäferstündchen und dieser vom Spiel, der andere wird ohnmächtig durch den Anblick oder auch den Geruch einer Katze, jener hat nie eine Frucht gegessen und kann keinem zusehen, der eine ißt, der andere nie Fleisch, wieder ein anderer nie Käse, ein anderer nie Fisch. Von all diesen kennen wir einige. Ein anderer verschlingt und verdaut Münzen, Glas, Schreibfedern, Ziegel, Wolle – in einem Wort: alles ohne Unterschied; jener fällt wegen des Duftes oder des Anblicks einer Rose in Ohnmacht, dieser da verabscheut Frauen, diese ernährt sich von Schierling und dieser schnarcht Tag und Nacht. Ich warf oft voller Zorn die Bücher weg und floh aus meiner Studierstube. Aber auf dem Markt oder auf dem Versammlungsplatz denke ich immer etwas und „nie bin ich weniger allein, als wenn ich allein bin und nie weniger müßig, als wenn ich müßig bin“. Ich habe einen Feind bei mir, ich kann ihm nicht entkommen, und – wie jener
Arten gibt es nicht, oder sie sind nur eine Vorstellung.
Die große Mannigfaltigkeit in den Individuen.
Vgl. dazu Pier Andrea Mattiolis’ Kommentar zu Dioskurides ,. Vgl. dazu das letzte Buch De re anatomica des Falloppio und die Scholien zur cura in Amatus Lusitanus’ Cur. med. cent. sec. Vgl. dazu die cura in Amatus Lusitanus’ Cur. med. cent. sec. Die alte Frau von Athen, vgl. Gal. med. temp. fac. XI,,ff. K.
96 Horat. . Sermo. saty. . Quidam homines videntur irrationales. Quedam bruta rationalia diceres. Gal. in oratio. suasor. ad art. et Plutarc. in opusc. Universale falsum si particulare aliquod falsum.
Defectus in corpore etiam speciem videtur immutare.
Stulta opinio.
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et ut | ille ait, meipsum vito fugitivus ut erro, Iam sociis quaerens, iam somno fallere curam. Frustra: nam comes atra premit, sequiturque fugacem. Denique sunt homines quidam, quos maxime dubites an rationales, an potius irrationales vocare debeas. At contra bruta videre est, quae maiore cum ratione rationalia dicere possis quam ex hominibus aliquos. Respondebis unam hyrundinem non facere ver, nec unum particulare destruere universale. Ego contra contendo universale falsum omnino esse, nisi omnia quae sub eo continentur ita ut sunt et amplectatur, et affirmet. Quomodo enim verum esset, dicere omnem hominem rationalem, si plures aut solus unus irrationalis sit? Si dicas, in hoc homine defectum esse non in animo, sed in corpore eius instrumento, forsan verum dices, sed pro me. Nec enim homo solus animus est, nec solum corpus, sed utrumque simul: ergo altero defectuoso, defectuosus homo erit: quare nec simpliciter homo: corpus enim de essentia eius est, quemadmodum et animus, et non corpus simpliciter, sed tale corpus. Ex quo sequitur ridiculum esse quorundam dictum, Animam scilicet hominis sub figura rotunda vel qualibet alia, quam ea qua omnes sumus, esse posse: illudque hominem fore. Qualem nescio an ipsi quandoque viderint. Si viderunt, mihi favent. Nam illum eiusdem rationis cum nostris esse non crediderim: hominem ta-
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berühmte Mann sagt – „ich meide mich selbst wie einen flüchtigen Vagabunden und versuche bald durch Gesellschaft, bald durch Schlaf die Sorge zu täuschen. Vergeblich: denn die finstere Gefährtin bedrängt und verfolgt den Flüchtigen.“ Schließlich gibt es gewisse Menschen, bei denen du im höchsten Grad zweifeln wirst, ob du sie vernünftig oder eher unvernünftig nennen sollst. Dagegen kannst du das Vieh anschauen, das du mit besserem Grund vernünftig nennen könntest als einige der Menschen. Du wirst antworten, daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht und daß auch ein Einzelding nicht ein Universale zerstört. Ich halte dagegen, daß ein Universale gänzlich falsch ist, wenn es nicht alle Dinge, die in ihm enthalten sind, so wie sie sind, umfaßt und bestätigt. Wie könnte nämlich die Behauptung wahr sein, daß jeder Mensch vernünftig ist, wenn mehrere oder einer allein unvernünftig wäre? Solltest du sagen, daß dieser Mensch einen Fehler habe, und zwar nicht im Geist, sondern im Körper, der das Werkzeug des Geistes ist, wirst du vielleicht die Wahrheit sagen, aber du wirst für meine Position sprechen. Der Mensch ist nämlich weder ausschließlich Geist noch ausschließlich Körper, sondern beides zugleich. Wenn also etwas davon fehlerhaft ist, dann wird auch der Mensch fehlerhaft sein. Deshalb ist er auch nicht schlechthin ein Mensch, denn der Körper gehört zu seinem Wesen ebenso wie der Geist, und nicht ein Körper schlechthin, sondern ein so beschaffener Körper. Daraus folgt, daß lächerlich ist, was gewisse behaupten, nämlich, daß die Seele des Menschen eine runde oder irgendeine andere Gestalt haben könne als die, die wir haben, und daß darin der Mensch angelegt sei. Ob sie einen solchen je gesehen haben, weiß ich nicht. Wenn sie einen solchen je gesehen haben, unterstützen sie meine Position. Denn daß jener dieselbe Vernunft hätte wie wir, könnte ich nicht glauben. Dennoch nennen sie ihn einen Menschen und zu
Hor. sat. ,,.
Gewisse Menschen erscheinen unvernünftig.
Gewisse Tiere könnte man vernünftig nennen, so Gal. in adhort. ad art. I, K und Plut. in brut. an.
Das Universale ist falsch, wenn ein Einzelding falsch ist.
Ein Fehler im Körper scheint auch die Art zu verändern.
Eine dumme Meinung.
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Natura non potest hominem in alia producere figura, quam in qua nunc est. Absurda alia opinio.
Homines non possunt deesse.
Impossibili admisso plurima sequuntur inconvenientia. Inepta responsio.
Dialectici verba pervertunt.
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men dicunt, et verum. Quis scit? Nullus. Si non viderunt, cur talem fingunt, qualem forsan natura producere non potest? Quod si potest, quomodo aeterna erit propositio illa, Anima actus corporis physici organici etc.? Haec | illorum scientia est. Quin et illud absurdius multo est, Nullis scilicet existentibus hominibus verum esse dicere, Homo est animal. Impossibile enim supponunt ut falsum inferant. Nam si in philosophia loquaris, nunquam homines deerunt: quia mundus est aeternus: si in fide, an deerit esse Christus dominus? Vides quomodo utrinque impossibile est suppositum tuum. At nonne scis ex praeceptore tuo, possibili posito in esse, nullum sequi inconveniens, impossibili autem admisso, plurima? Sed esto, sit possibile: si homo non est, quomodo homo animal erit? Pro essentia dicunt supponere verbum (Est) ibi, non pro existentia, solumque copulam esse. Proindeque propositionem illam aeternam esse, et in scientiis semper ita sumi: quin et ante creationem hominis veram fuisse propositionem illam: et in mente divina omnes fuisse rerum essentias. Hinc de Ente et Essentia mira scribunt. Quid magis vanum? Sic verba a propria significatione detorquent et corrumpunt, ut alius ipsorum sermo sit a paterno omnino diversus, idem tamen. Cumque ad eos accedas ut aliquid discas, verborum, quibus antea usus fueras, significationes sic immutant, ut iam non res easdem et naturales designent, sed illas quas ipsi
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Recht. Wer weiß es? Keiner. Wenn sie keinen gesehen haben, weshalb erdichten sie einen solchen, den die Natur vielleicht gar nicht hervorbringen kann? Wenn sie es aber kann, wie kann dann dieser Satz ewig sein: „Die Seele ist der Akt eines natürlichen Körpers mit Organen usw.“? Das ist ihre Wissenschaft! Ja, sogar noch absurder ist, daß sie sagen, der Satz „Der Mensch ist ein Lebewesen“ sei wahr, auch wenn keine Menschen existieren. Sie nehmen nämlich etwas Unmögliches an, um auf etwas Falsches zu schließen. Wenn du nämlich im Bereich der Philosophie sprechen solltest, werden die Menschen nie fehlen, weil die Welt ewig ist. Wenn du im Bereich des Glaubens sprechen solltest, wird etwa Christus, der Herr, aufhören zu existieren? Siehst du, wie unmöglich in beiden Fällen deine Annahme ist? Weißt du aber etwa nicht von deinem Lehrer, daß, wenn die Existenz von etwas Möglichem gesetzt wird, nichts Inkonsistentes folgt, wenn aber etwas Unmögliches zugelassen wird, sehr viel? Aber mag es so sein, nehmen wir an, es sei möglich: Wenn es keine Menschen gibt, wie wird der Mensch dann ein Lebewesen sein? Sie sagen, daß das Verb ‚ist‘ hier für das Wesen supponiere, nicht für die Existenz und daß es nur Kopula sei. Daher sei dieser Satz ewig und werde in den Wissenschaften immer so aufgefaßt. Ja, sogar vor der Erschaffung des Menschen sei dieser Satz wahr gewesen und im göttlichen Geist seien alle Wesen der Dinge gewesen. Daher schreiben sie Wunderliches über das Seiende und das Wesen. Was ist nichtiger? Sie entreißen die Wörter ihrer eigentlichen Bedeutung und verdrehen und verfälschen sie so, daß sie eine andere Sprache sprechen, die zwar von der Muttersprache völlig verschieden, aber dennoch dieselbe ist. Wenn du sie aufsuchst, um etwas zu lernen, verändern sie die Bedeutungen der Wörter, die du vorher verwendet hast, so sehr, daß sie nicht mehr dieselben natürlichen Dinge bezeichnen, sondern jene, die sie
Die Natur kann den Menschen nicht mit einer anderen Gestalt hervorbringen als mit der, die er nun hat. Eine weitere absurde Meinung.
Es ist nicht möglich, daß es keine Menschen gibt.
Wenn etwas Unmögliches zugelassen wird, folgt sehr viel Inkonsistentes.
Törichte Antwort.
Die Dialektiker verderben die Wörter.
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Vana alia opinio.
Frivola alia sententia.
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finxere, quo tu sciendi avidus, harumque novarum rerum omnino ignarus eos de his subtiliter disputantes et disserentes, qualesque sibi in insomniis apparuere, miro tamen artificio referentes, audias, mireris, colas, reverearisque ac acutissimos naturae scrutatores. Mirum quanta barbaries. Quid simplicius, quid clarius, quid magis usitatum verbo hoc (Est)? De eo tamen quanta disputatio? Pueri Philosophis do- | ctiores sunt, a quibus si quaeras, an domi pater sit, respondent esse, si sit: si quaeras an nequam sit, negant. Philosophus de nullo homine asserit esse animal. Nec illud absurdum minus est quod quidam astruere conantur, Philosophiam non alio idiomate doceri posse, quam vel Graeco, vel Latino: quia, inquiunt, non sunt verba quibus vertere possis plurima quae in illis linguis sunt, ut Aristotelis ἐντελέχεια, de quo hucusque frustra disputatur quomodo Latine verti debeat: apud Latinos Essentia, Quiditas, Corporeitas, et similia quae Philosophi machinantur: quaeque cum nihil significent, a nullo etiam nec intelliguntur, nec explicari possunt, nedum vulgari sermone verti, qui res solum veras, non fictas nominibus propriis omnes designare solet. Huic adde frivolam aliorum sententiam verbis nescio quam vim propriam assignantium, ut inde dicant nomina rebus imposita fuisse secundum earum naturam. Quo ducti non minus stulte etiam quidam
in margine sententia correxi : scientia L
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selbst erdichtet haben, damit du, der du begierig nach Wissen bist und ihre neuen Dinge ganz und gar nicht kennst, ihnen zuhörst, wenn sie auf subtile Weise über diese Dinge diskutieren und sich darüber verbreiten, wie ihnen diese in schlaflosen Nächten erschienen sind – was sie dennoch wunderbar kunstvoll berichten –, und damit du sie bewunderst, verehrst und hochachtest als die scharfsinnigsten Erforscher der Natur. Erstaunlich, diese gewaltige Barbarei! Was ist einfacher, was ist klarer, was ist gebräuchlicher als das Verb ‚ist‘? Und dennoch: Welche Disputationen werden darüber geführt? Die Kinder sind gelehrter als die Philosophen. Solltest du sie fragen, ob der Vater zuhause sei, antworten sie, er sei, wenn er ist. Solltest du sie fragen, ob er ein Nichtsnutz sei, verneinen sie dies. Der Philosoph behauptet von einem Menschen, der nicht existiert, er sei ein Lebewesen. Nicht weniger absurd ist, was einige zu behaupten versuchen, nämlich, daß Philosophie in keiner anderen Sprache gelehrt werden könne als in Griechisch oder Latein. Denn, sagen sie, es fehlen Wörter, mit denen man sehr viele, die es in jenen Sprachen gibt, übersetzen könnte, wie z.B. Aristoteles’ ‚ἐντελέχεια‘ (‚Entelechie‘), über deren Übersetzung ins Latein bis zum heutigen Tag vergeblich disputiert wird. Bei den Lateinern stellt sich dasselbe Problem mit ‚essentia‘ (‚Wesen‘), ‚quiditas‘ (‚Washeit‘), ‚corporeitas‘ (‚Körperlichkeit‘) und ähnlichen Wörtern, die die Philosophen ersinnen und die, da sie nichts bezeichnen, auch von niemandem weder verstanden noch erklärt, geschweige denn in die Umgangssprache übersetzt werden können, die gewöhnlich nur wirkliche Dinge und nicht erfundene alle mit je einem eigenen Namen bezeichnet. Füge diesem die wertlose Ansicht von anderen hinzu, die den Wörtern ich weiß nicht welche eigene Kraft zuschreiben und daher sagen, die Namen seien den Dingen gemäß ihrer Natur zugewiesen worden. Indem sie sich von dieser An-
Eine weitere nichtige Meinung.
Eine weitere wertlose Ansicht.
102 Stulta alia.
Confutatio harum sententiarum.
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verborum omnium significationes ab aliquo trahere conantur: ut lapis, quia laedat pedem: humus ab humiditate, inquiunt. Et asinus unde? a te, quia sine sensu es: a enim Graece, et Latine saepe privat: sinus, quasi sensus: ergo asinus, idem est quod sine sensu: et hoc idem quod tu. An non bona est etymologia? De aliis omnibus curiose magis, quam vere aut utiliter idem inquirunt: sicque omnia derivativa aut composita faciunt, nullum simplex nec primum: quod quam vanum ignarumque sit quis non videt? Si lapis dictio pro natura rei imposita est, ut dicis: an haec est lapidis natura ut laedat pedem? Non, puto. Sed esto. Quomodo (laedo) naturam damni quod significat | repraesentat? Quomodo (pes) pedis naturam significat? In infinitum imus. Humus etiam ab humiditate non dicitur: nam contra terra siccissimum est omnium elementorum per te. Sed sit humidissima, et inde dicatur humus, unde dicetur humiditas? Si aliud des unde haec dicatur, idem de illo quaeram. Iterum in infinitum. Si tandem cesses in aliquo, illud quidem non habebit quomodo naturam rei, quam significat, ostendat. Ex eo enim omnia ante illud media naturam
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nahme leiten lassen, versuchen einige nicht weniger töricht, die Bedeutungen aller Wörter von irgendwoher abzuleiten, zum Beispiel ‚lapis‘ (‚Stein‘), von daher, daß der Stein (la-pis) den Fuß (pes) verletze (laedat), und ‚humus‘ (‚Erde‘) von der Feuchtigkeit (humiditas), sagen sie. Und woher leiten sie ‚asinus‘ (‚Esel‘) ab? Von dir, weil du ohne Verstand bist. Denn das ‚a‘ ist im Griechischen und Latein oft privativ, und ‚sinus‘ ist gewissermaßen ‚sensus‘ (‚Verstand‘). Also ist ‚asinus‘ (‚Esel‘) dasselbe wie ‚sine sensu‘ (‚ohne Verstand‘), und dies ist dasselbe wie du. Ist das etwa keine gute Etymologie? Auch alle anderen Wörter untersuchen sie, eher geleitet von der Neugier als von der Wahrheit und der Nützlichkeit und so nehmen sie an, daß alle Wörter abgeleitet oder zusammengesetzt seien und keines einfach und ursprünglich. Wer sieht nicht, wie fruchtlos und voll Unwissenheit diese Annahme ist! Wenn der Ausdruck ‚lapis‘ (‚Stein‘) dem Ding aufgrund seiner Natur zugewiesen ist, wie du sagst, ist dann etwa die Natur des Steins (lapis), daß er den Fuß verletzt (ut lae-dat ped-em)? Nein, glaube ich. Aber nehmen wir an, es sei so. Wie gibt dann ‚laedo‘ (‚verletzen‘) die Natur des Schadens wieder, den es bezeichnet? Wie bezeichnet ‚pes‘ (‚Fuß‘) die Natur des Fußes? Wir schreiten ins Unendliche fort. Auch die Erde (humus) wird nicht von der Feuchtigkeit (humiditas) her benannt. Denn die Erde ist im Gegenteil gemäß deinem Standpunkt das trockenste von allen Elementen. Aber mag sie das feuchteste sein (humidissima) und daher Erde (humus) genannt werden, woher sollte dann die Feuchtigkeit (humiditas) so genannt werden? Solltest du etwas anderes angeben, von dem her sie so genannt wird, werde ich in bezug darauf wieder dasselbe fragen. Wieder gehen wir ins Unendliche. Wenn du schließlich bei einem Wort aufhören solltest, wird es keine Möglichkeit haben, die Natur des Dinges, das es bezeichnet, anzuzeigen. Alle Wörter nämlich dazwi-
Noch eine dumme Ansicht.
Widerlegung dieser Lehrmeinungen.
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Fere omnia nomina simplicia sunt.
Genes. .
Dictiones perpetuo corrumpuntur, alterantur, miscentur.
quod nihil scitur
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rei repraesentare videbantur: quia ab aliis derivabantur, quae aliquid significabant, usque ad ultimum, quod a nullo alio derivatur per te: alias enim iterum de illo quaererem. Quot autem simplicia sunt? fere omnia. Praeterea si (panis) pro rei natura impositus est, quid Graece ἄρτος aut Britanice Bará, aut Vasconice Ouguia: quorum diversitas in sonitu, in literis, in accentu tanta est, ut nullo communicare dicas? Si unam solum dicas linguam pro rerum natura impositam esse, cur non item aliae? aut quae illa? Si dicas Adami primam, verum quidem est: poterat enim, quia rerum naturas noverat, ut testatur author Pentateuchi: et tunc sane desiderandum esset ut Philosophia sua, aut quam habemus, suo etiam idiomate conscripta esset. Nec, si tu dixisses tunc eam alio sermone doceri vel explicari non posse, quam illo Adami, ego id negarem: sed dicis non nisi Graeco, aut Latino, quae pro rei natura imposita non sunt. Quid quod perpetuo voces corrumpuntur: extantque Galli libri, Hispanique, in quibus verba plurima invenias, quorum significata omnino ignorantur? Et apud Latinos nonne verba sunt obsoleta | plurima, quotidieque de novo alia finguntur? Idemque in sermone contingit, atque in aliis rebus ut usu continuo inmutetur, tandemque tanta mutatio
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schen, die diesem vorausgingen, schienen deshalb die Natur eines Dinges wiederzugeben, weil sie von anderen abgeleitet waren, die etwas bezeichneten bis auf das letzte, das gemäß deinem Standpunkt von keinem anderen abgeleitet ist. Sonst würde ich nämlich in bezug darauf wieder so fragen. Wieviele Namen sind aber einfach? Beinahe alle. Wenn außerdem ‚panis‘ (‚Brot‘) einem Ding im Hinblick auf dessen Natur zugewiesen wurde, was ist dann mit dem griechischen ‚ἄρτος‘, dem bretonischen ‚Bará‘ oder dem baskischen ‚Ouguia‘, deren Verschiedenheit im Klang, in der Schrift und in der Akzentsetzung so groß ist, daß du wohl sagtest, sie hätten nichts gemeinsam. Wenn du behaupten solltest, daß eine einzige Sprache im Hinblick auf die Natur der Dinge eingesetzt worden sei, warum nicht andere ebenso? Oder welche ist jene einzige Sprache? Wenn du sagen solltest, die erste Sprache, nämlich die Adams, ist das gewiß wahr. Er konnte dies nämlich, weil er die Natur der Dinge kannte, wie der Autor des Pentateuch bezeugt. Dann wäre es gewiß zu wünschen, daß seine Philosophie oder die, die wir von ihm haben, in seiner Sprache aufgeschrieben worden wäre. Auch würde ich, wenn du zu jener Zeit behauptet hättest, daß sie in keiner anderen Sprache gelehrt oder erklärt werden könne als in der Adams, das nicht bestreiten. Aber du behauptest, daß dies nur auf Griechisch oder Latein möglich sei, Sprachen, die den Dingen nicht im Hinblick auf deren Natur zugewiesen wurden. Was aber sagst du dazu, daß die Sprachen ständig entstellt werden und daß es französische und spanische Bücher gibt, in welchen du sehr viele Wörter finden kannst, deren Bedeutungen gänzlich unbekannt sind? Und gibt es bei den lateinischen Autoren nicht viele abgenutzte Wörter, während täglich neue erfunden werden? In der Sprache geschieht dasselbe wie in anderen Bereichen, nämlich, daß sie durch den fortwährenden Gebrauch
Beinahe alle Namen sind einfach.
Gen ,f.
Die Ausdrücke werden ständig entstellt, verändert und vermischt.
106 Graecum et Latinum idioma nimis depravata.
Nulla nobis syncera, legitimaque lingua superest. Voces non explicant rerum naturas. Nomina quaedam ab effectu imponuntur.
Nulla verbis cum rebus convenientia.
Nomina Onomatopeica a similitudine sonitus.
quod nihil scitur
contingit, ut omnino degeneret et diversus fiat: unde est quod periit iam omnino antiquus sermo Latinus in Italum nunc vulgarem transformatus: Graecus eodem modo. Si qui autem libri superstitem utramque linguam servant, adeo ab antiquo illo splendore differunt, ut si nobis sua lingua loquentibus adessent Demosthenes, aut Cicero, forsan deriderent. Nec hoc solum, sed hic ab illo mutuatur dictiones plurimas, ille ab alio: sicque puto nullam legitimam synceramque nobis superesse linguam. Nulla ergo vocibus rerum naturas explicandi facultas, praeter eam, quam ab arbitrio imponentis habent: eademque vis [cani] ad significandum panem est ac canem, si ita placeat. Sunt quidem verba quaedam ab effectu, vel accidente aliquo rebus imposita, non tamen a natura. Quis enim rerum naturas novit, ut secundum eas nomina illis imponat? Aut quae nominibus cum rebus est communitas? Illa vero sunt quae vocamus propria, ut si hominem risibilem voces, vel flebilem: in quibus tamen primitiva, scilicet risus et fletus, nullam vim habent, nisi quam ab arbitrio nostro accepere. Sic alipes Mercurius, armiger, et similia composita. Sunt et alia quae similitudine sonitus, voces imitantur eorum quae significant, proinde Onomatopeica dicta, ut cucurire gallinarum, crocitare
significandum L : significandi T et corr. Thomson : et et L – sonitus L(e) : sonus L etiam in margine
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verändert wird, und am Ende ist der Wandel so tiefgreifend, daß die Sprache sich ganz und gar von ihrer Abkunft entfernt und zu einer anderen wird. Daher kommt es, daß die altehrwürdige lateinische Sprache schon gänzlich zugrundegegangen ist und sich in das heute gebräuchliche Italienisch gewandelt hat und ebenso die griechische Sprache. Wenn aber gewisse Bücher diese beiden Sprachen nach ihrem Tod bewahren, dann unterscheiden sie sich so stark von jenem altehrwürdigen Glanz, daß Demosthenes oder Cicero, wenn sie dabei wären, wenn wir ihre Sprache sprechen, uns wahrscheinlich auslachten. Nicht nur das, vielmehr leiht sich diese Sprache von jener zahlreiche Ausdrücke, jene von einer dritten, und so glaube ich, daß uns keine gesetzmäßige und reine Sprache bleibt. Die Wörter haben also keine Fähigkeit, die Natur der Dinge zu erklären, außer derjenigen, die sie vom Willen dessen beziehen, der sie zuweist: ‚Hund‘ kann nämlich ebenso gut den Mund bezeichnen wie den Hund, wenn man es so wollte. Es gibt freilich gewisse Wörter, die aufgrund irgendeiner Wirkung oder eines Akzidens den Dingen zugewiesen sind, nicht aber aufgrund von deren Natur. Wer kennt nämlich die Natur der Dinge, so daß er ihnen die entsprechenden Namen zuweisen kann? Oder was haben die Namen mit den Dingen gemeinsam? Es gibt natürlich solche, die wir Eigenschaftswörter nennen, zum Beispiel, wenn du den Menschen mit ‚fähig zu lachen‘ oder ‚fähig zu weinen‘ benennst. Deren Wurzeln, ‚Lachen‘ nämlich und ‚Weinen‘, haben keine andere Bedeutung, als die, die sie durch unseren Willen erhalten haben. So verhält es sich mit den Ausdrücken ‚flügelfüßiger‘ Merkur, ‚waffentragend‘ und anderen zusammengesetzten Wörtern. Es gibt auch andere, die durch die Ähnlichkeit des Klangs die Stimmen derer nachahmen, die sie bezeichnen und daher onomatopoetisch genannt werden, wie zum Beispiel ‚cucurire‘
Die griechische und die lateinische Sprache sind stark verunstaltet.
Uns bleibt keine gesetzmäßige und reine Sprache.
Die Wörter erklären nicht die Natur der Dinge.
Gewisse Wörter werden aufgrund einer Wirkung zugewiesen.
Es gibt keine Übereinstimmung zwischen Wörtern und Dingen.
Onomatopoetische Namen werden aufgrund der Ähnlichkeit des Klangs zugewiesen.
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Verg. . Aeneid.
Non omnia nomina derivantur.
Variae hominum conditiones, varii mores.
quod nihil scitur
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corvorum, rugire leonum, balare ovium, latrare canum, hinnire equorum, mugire boum, frendere porcorum, stertere dormientium, susurrus aquarum, sibilus, tinnitus, timpanum, | clangor, et ille, Baubantem est timidi pertimuisse canem: et alter, Et tuba terribili sonitu taratantara dixit: et alius, Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. Neque in his quoque aliqua naturae demonstratio eorum quae significant, sed similitudo sonorum. Minus etiam in verbis omnibus derivationem quaerere oportet: aliter namque iretur in infinitum. Sed longius processimus, quam putaveram. Revertor. Hominum ipsorum quanta varietas etiam in specie? alicubi omnes brevissimi sunt, pygmaei dicti: alibi praegrandes, Gigantes: alii omnino nudi incedunt: vilosi alii, totoque corpore capillati: quin alii omnino sermonis expertes ferarum modo in sylvis degunt, cavernis conduntur, aut etiam avium ritu in arboribus stabulantur, sed et nostros homines si quando contingat rapere, maxima cum voluptate devorant: alii de Deo et religione nil solliciti omnia communia habent, filios quoque et uxores: vagantur,
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(‚gackern‘) bei den Hühnern, ‚crocitare‘ (‚krächzen‘) bei den Raben, ‚rugire‘ (‚brüllen‘) bei den Löwen, ‚balare‘ (‚blöken‘) bei den Schafen, ‚latrare‘ (‚kläffen‘) bei den Hunden, ‚hinnire‘ (‚wiehern‘) bei den Pferden, ‚mugire‘ (‚muhen‘) bei den Kühen, ‚frendere‘ (‚schmatzen‘) bei den Schweinen, ‚stertere‘ (‚schnarchen‘) bei den Schlafenden, ‚susurrus‘ (‚Murmeln‘) bei den Gewässern, ‚sibilus‘ (‚Zischen‘), ‚tinnitus‘ (‚Klingeln‘), ‚timpanum‘ (‚Tamburin‘), ‚clangor‘ (‚Gekreisch‘) und der Vers: „Baubantem est timidi pertimuisse canem“ („Es ist ein Zeichen von Furchtsamkeit, von einen bellenden Hund erschreckt zu werden“), und ebenso ein anderer: „Et tuba terribili sonitu taratantara dixit“ („Und die Fanfare schmetterte mit furchtbarem Klang ‚taratantara‘“), und ein dritter: „Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum“ („Mit vierfüßigem Donner erschüttert der Huf den morschen Boden“). Aber auch diese enthalten keinen Hinweis auf die Natur der Dinge, die sie bezeichnen, sondern eine Ähnlichkeit im Klang. Noch weniger sollten wir bei allen anderen Wörtern nach ihrer Ableitung suchen, denn andernfalls gehen wir ins Unendliche. Aber wir sind tiefer in dieses Thema eingedrungen, als ich geplant hatte. Ich kehre zurück. Welche Mannigfaltigkeit herrscht unter den Menschen selbst auch hinsichtlich ihrer äußeren Erscheinung! In einigen Gebieten sind alle Menschen sehr klein und werden Pygmäen genannt. Andernorts sind sie sehr groß und heißen Giganten. Andere gehen völlig nackt umher. Zottig sind andere und am ganzen Körper behaart. Andere verbringen ihr Leben sogar ganz ohne Sprache wie wilde Tiere in den Wäldern, verbergen sich in Höhlen oder nisten sich nach Vogelart in den Bäumen ein, und gelingt es ihnen, einen Menschen wie unsereinen zu rauben, verschlingen sie ihn sogar mit größtem Genuß. Wieder andere, unbekümmert um Gott und Glauben, besitzen alles gemeinsam, auch Kinder und Frauen. Sie wandern um-
Verg. Aen. ,.
Nicht alle Namen sind abgeleitet.
Verschiedene Lebensumstände der Menschen, verschiedene Sitten.
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Nullus de omni quod fuit, quod erit, certum quid dicere potest. Terrae divisio pristina arguitur. Falsa opinio de Zona torrida, et duabus extremis.
quod nihil scitur
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nec sedem fixam habent. Contra alii Deo et religioni astricti pro his sanguinem intrepide fundunt. Quisque sibi propriam civitatem, domum, foeminam, familiamque habere vult, habitamque usque ad mortem tuetur: illi post mortem cum amicis vivis, uxoribus, et supellectile terrae aut igni mandantur: hi nil horum curantes inhumati manent: alter vivum se laniari, dissecarique in partes patitur et conatur: ille fugiendam mortem omnino censet. Non finem faceremus si omnes omnium mores recensere vellemus. An tu his eandem rationem, quam nobis, omnino putes? Mihi non verisimile videtur. Nihil tamen ambo scimus. Negabis forsan tales aliquos esse homines. Non contendam: sic ab | aliis accepi: his sunt pleni antiquorum recentiorumque libri, nec impossibile videtur: quin et aliqui forsan sunt alii magis his a nobis diversi in aliqua orbis parte, nobis nondum aperta, aut fuere, aut erunt. Quis enim de omni quod fuit, quod est, aut quod erit certum quid proferre potest? Dicebas heri perfecta scientia tua, imo et a plurimis saeculis, totam terram Oceano circumflecti, eamque in tres dividebas partes universales, Asiam, Aphricam, Europam. Nunc quid dices? novus est inventus mundus, novae res, in nova Hispania, aut Indiis Occidentalibus, Orientalibusque. Dicebas etiam Meridionalem et sub Aequatore positam plagam inhabitalem aestu esse, sub Polis vero
Oceano circumflecti L(e) : Ocoeano circunflui L
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her und haben keinen festen Wohnsitz. Andere dagegen, Gott und dem Glauben verpflichtet, vergießen unerschrocken Blut dafür. Jeder möchte für sich seine eigene Gemeinschaft, sein eigenes Haus, seine eigene Frau und Familie, und wenn er das erlangt hat, dann beschützt er es bis zu seinem Tod. Jene werden nach ihrem Tod zusammen mit ihren lebendigen Freunden, den Ehefrauen und dem Hausrat begraben oder kremiert. Diese kümmern sich nicht um solche Dinge und bleiben unbestattet. Ein anderer erträgt es und trachtet sogar danach, sich bei lebendigem Leib zerfleischen und in Teile zerstückeln zu lassen. Jener ist der Meinung, daß der Tod ganz und gar zu meiden sei. Wir kämen an kein Ende, wollten wir alle Sitten aller Menschen aufzählen. Und du glaubst wirklich, daß diese dieselbe Vernunft haben wie wir? Mir scheint das nicht wahrscheinlich zu sein. Dennoch wissen wir beide nichts. Du wirst vielleicht bestreiten, daß es solche Menschen gebe. Ich werde es nicht behaupten. So habe ich es von anderen erfahren. Von solchen Dingen sind die Bücher der Alten und der Jüngeren voll, und es scheint nicht unmöglich zu sein. Ja vielleicht gibt es noch irgendwelche anderen, die sich noch stärker von uns unterscheiden in irgendeiner Weltgegend, die wir noch nicht entdeckt haben, oder es gab sie oder wird sie geben. Wer könnte nämlich von allem, was war, ist oder sein wird, irgend etwas Gewisses sagen? Gestern sagtest du aufgrund deiner vollkommenen Wissenschaft, was in der Tat auch schon seit vielen Generationen gesagt wird, die ganze Erde werde vom Okeanos umgeben, und du teiltest sie in drei Teile ein, die alles umfassen, Asien, Afrika und Europa. Was wirst du nun sagen? Eine neue Welt ist entdeckt worden, neue Dinge in Neuspanien oder in West- und Ostindien. Du sagtest, daß die südliche Gegend, die beim Äquator gelegen ist, unbewohnbar sei wegen der Hitze, die Gegend bei den Polen aber und den äußer-
Niemand kann von allem, was war und was sein wird, irgend etwas Gewisses sagen.
Die antike Einteilung der Erde ist umstritten.
Die falsche Meinung von der trockenen und den zwei äußeren Zonen.
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Rerum quarundam prohibitus accessus ignorantiam nobis auget.
Omnis cognitio nostra a sensu est.
Indecisae quaestiones.
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et extremis Zonis propter frigus. Iam utrumque falsum esse ostendit experientia. Strue aliam scientiam, falsa enim iam prima est. Quomodo ergo aeternas, incorruptibiles, infallibiles, quaeque aliter habere non possint propositiones tuas asseris miserrime vermis, qui vix quid sis, unde sis, quo eas, ac ne vix quidem scias? De aliis tum animalium, tum plantarum speciebus pro diverso orbis situ idem dicere licet: tanta quippe in diversis plagis eiusdem, ut vocas, speciei dissimilitudo est, ut diversas dicas species, et sunt. Nil tamen ambo scimus: quippe qui formas utriusque non cognoscamus, per quas ipsae distinguntur. Addit etiam ad ignorantiam nostram rerum aliquarum prohibitus accessus nobis, vel propter locum, vel propter tempus, quarum maxima pars est. Hinc eorum quae in mari, quae in intima terra, quae in supremo aere, quae denique in supremis corporibus fiunt et sunt, maxima dubitatio. Nec sine ratione: omnis enim a sensu | cognitio est: a quo cum illa percipi non possint, nec sciri subinde possunt: imo multo minus quam quae nobiscum sunt. De his enim quod sint non dubitamus, de illis autem plurima dicuntur, quae esse nec certum est, nec ratio id cogit: quin quandoque contrarium, ut suo loco dicemus. Huc etiam spectat de pluralitate mundi quaestio, de eo quod extra coelum est, et similes. Nec hoc solum, sed et in diversis terrae partibus (quas unus
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sten Polarzonen wegen der Kälte. Nun hat die Erfahrung gezeigt, daß beides falsch ist. Errichte eine neue Wissenschaft, denn die alte ist falsch. Wie kannst du also behaupten, deine Sätze seien ewig, unvergänglich und unwiderlegbar und könnten nicht anders sein, du armer Wurm, der du kaum weißt, was du bist, woher du kommst und wohin du gehst? Über die anderen Arten sowohl der Lebewesen als auch der Pflanzen kann man im Hinblick auf die verschiedenen Orte ihres Vorkommens auf der Erde dasselbe sagen: So groß ist ja in den verschiedenen Gegenden die Unähnlichkeit innerhalb ein und derselben – wie du sie nennst – Art, daß du sagen könntest, es seien zwei verschiedene Arten, was sie auch tatsächlich sind. Dennoch wissen wir beide nichts, da wir ja die Formen, durch die sich die beiden Arten unterscheiden, nicht kennen. Zu unserer Unwissenheit kommt noch dazu, daß es Dinge gibt, zu denen uns der Zugang verwehrt ist, sei es aufgrund ihres Ortes oder sei es aufgrund der Zeit – und diese machen den größten Teil der Dinge aus. Daher besteht über die Dinge, die im Meer, im Innersten der Erde, in den höchsten Regionen der Luft und in den himmlischen Körpern entstehen und sind, größter Zweifel. Und das nicht ohne Grund, denn von den Sinnen kommt jede Erkenntnis. Da jene aber wohl nicht wahrgenommen werden können, kann es von ihnen in der Folge auch kein Wissen geben, ja sogar noch viel weniger als von den Dingen, die uns umgeben. Denn wir bezweifeln bei diesen nicht, daß sie existieren, von jenen aber wird viel gesagt, obschon ungewiß ist, ob sie sind und die Vernunft uns nicht zwingt, ihr Sein anzunehmen, ja oft ist sogar das Gegenteil der Fall, wie ich im passenden Zusammenhang zeigen werde. Hierher gehört auch die Frage nach der Vielzahl der Welten, nach dem, was außerhalb der Himmelssphäre ist und ähnliche. Nicht nur das, sondern auch in den verschiedenen Teilen der Erde (die ein und derselbe
Der verwehrte Zugang zu einigen Dingen vergrößert unsere Unwissenheit.
Jede Erkenntnis kommt von den Sinnen.
Unentschiedene Streitfragen.
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De his quae olim facta sunt, et de his quae fient, nil certum.
Corruptibilis de incorruptibili iudicare recte non potest.
Nobilissimae quaestiones dubiosissimae sunt.
Peripatetici mundum aeternum faciunt.
Plini. lib. . Natura. hystor. c. .
quod nihil scitur
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et idem omnes perlustrare non potest, necessarium tamen est) propter nuper dictam rerum varietatem variae sunt hominum opiniones, nullaque scientia. De his vero quae longo tempore ante nos facta sunt, de his quae postea fient, quis certi quid asserere potest? Huius occasione tanta hucusque de mundi principio, aut aeternitate inter Philosophos disceptatio, de eiusdem duratione et fine controversia: cui finem nullus imposuit, quod sciamus, nec forsan imponet ex scientia. Quomodo namque corruptibilis de incorruptibili, finitus de infinito: denique qui per instans solum vivit ac si non viveret, est quasi non esset, de sempiterno certo quid ostendere valeat? Cuius (an sit) quaestio, quemadmodum et reliquorum, fundamentum est aliarum quaestionum, de qua penitus nil ipse novit, nec nosse potest. At de his omnibus nobiliores sunt, maximeque necessariae ad aliarum omnium rerum cognitionem in Philosophia dubitationes, quarum ignorantia aliarum subinde inscitiam inducit. Quod vero nil perfecte sciri possit, humano modo, apparet ex eo quod Peripateticus cum reliqua schola conantur innumeris rationibus ostendere mundum esse aeternum, nec habuisse initium, nec habiturum finem: idque persua- | sum est Philosophis. Unde Romanus ille Naturalem hystoriam suam inde auspicatus est. Et certe si humana ducaris ratione potius id iudicabis. Nam
in margine dubiosissimae L(e) : dubiissimae L
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nicht alle besichtigen kann, obwohl es notwendig wäre) sind wegen der Mannigfaltigkeit der Dinge, die wir eben behandelt haben, die Meinungen der Menschen mannigfaltig, und nirgendwo gibt es eine Wissenschaft. Wer kann aber von dem, was lange vor unserer Zeit geschehen ist, und von dem, was nach unserer Zeit geschehen wird, irgend etwas Gewisses behaupten? In Anbetracht dieser Tatsache gibt es unter den Philosophen bis heute eine große Debatte darüber, ob die Welt einen Anfang hat oder ewig ist und großen Streit über ihre Dauer und ihr Ende. Dieser Diskussion hat keiner ein Ende gesetzt, soweit ich weiß, und wahrscheinlich wird ihr keiner ein Ende setzen auf der Basis der Wissenschaft. Wie nämlich kann ein vergängliches Wesen über Unvergängliches, ein endliches über Unendliches urteilen? Könnte schließlich, wer nur einen Augenblick lebt, als ob er gar nicht lebte, wer ist, als ob er gar nicht wäre, über das Immerwährende irgend etwas mit Gewißheit aufzeigen? Die „Existiert das?“-Frage hinsichtlich des Immerwährenden wie auch der übrigen Dinge ist die Grundlage der anderen Fragen, und zu dieser Frage weiß er selbst überhaupt nichts und kann auch nichts wissen. Aber zu diesen Dingen gibt es sehr wichtige – und für die Erkenntnis der anderen Dinge äußerst notwendige – Fragestellungen in der Philosophie, und Unkenntnis in bezug auf diese führt sogleich zu Unwissenheit hinsichtlich der anderen Dinge. Daß aber nichts vollkommen gewußt werden kann aufgrund der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, wird daraus klar, daß der Peripatetiker und seine Schule mit unzähligen Argumenten zu zeigen versuchen, daß die Welt ewig sei und weder einen Anfang gehabt habe noch ein Ende haben werde, und das ist die Überzeugung der Philosophen. Daher hat der Römer Plinius seine Naturgeschichte damit eröffnet. Und gewiß, wenn du von der menschlichen Vernunft geleitet wirst,
Über das, was vor langer Zeit geschehen ist, und über das, was geschehen wird, gibt es nichts Gewisses.
Ein vergängliches Wesen kann über Unvergängliches nicht richtig urteilen.
Die wichtigsten Fragen sind die zweifelhaftesten.
Die Peripatetiker halten die Welt für ewig.
Plin. nat. ,.
116 Ratio humana mundi aeternitatem suadet.
Ecclesiast. .
Mundus creatus est et mutabitur, secundum Fidem.
Psalm. .
Genes. .
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venisti in mundum iam factum, et pater tuus, et avi tui: discesseruntque illi, et discedes tu: videsque alios et nascentes et morientes, ipso manente. Nec est aliquis qui asserat aut voce, aut scripto, se aut vidisse mundi principium, aut vidisse alium qui viderit, aut qui audierit ab alio se vidisse. Et, ut dicit Sapiens, Generatio praeterit, et generatio advenit, terra autem in aeternum stat. Oritur Sol et occidit, et ad locum suum revertitur, ibique renascens gyrat per medium, et flectitur ad Aquilonem. Lustrans universa in circuitu pergit spiritus, et in circulos suos revertitur. Omnia flumina intrant in mare, et mare non redundat. Ad locum unde exeunt flumina revertuntur, ut iterum fluant. Cunctae res difficiles, non potest eas homo explicare sermone. Audisti sententiam Philosophorum: tamen vides contrarium omnino esse verum, secundum fidem, mundumque et creatum esse, et finem habiturum, saltem secundum qualitates quas modo habet. Non enim anihilabitur, iuxta illud regii prophetae, Et sicut opertorium mutabis eos, et mutabuntur etc. Quae quidem omnia sciuntur ex revelatione divina, non ex humano discursu. Nec enim id fieri potest. Unde divinus legislator Moses, divinam hystoriam suam divino afflatus spiritu divine a mundi creatione orditur, contra omnino ac fecit Plinius. Proinde excusationem aliquam ha-
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wirst du eher so urteilen. Denn du bist in eine bereits geschaffene Welt gekommen, ebenso wie dein Vater und deine Ahnen. Jene haben diese Welt verlassen, und auch du wirst sie verlassen. Du siehst, wie andere geboren werden und sterben, während die Welt bestehen bleibt. Auch gibt es niemanden, der mündlich oder in seinen Schriften behaupten würde, er habe den Anfang der Welt gesehen, oder er habe einen gesehen, der ihren Anfang gesehen hätte oder der von einem anderen gehört hätte, dieser habe ihn gesehen. Wie der Weise sagt: „Eine Generation geht, eine andere kommt, die Erde aber bleibt in Ewigkeit. Die Sonne geht auf und wieder unter und kehrt an ihren Ort zurück, und dort erhebt sie sich und dreht sich um die Mitte des Himmels im Kreis und wendet sich dem Norden zu. Der Wind durchweht die Welt im Kreis und kehrt in seine Kreise zurück. Alle Flüsse fließen ins Meer und das Meer überfließt nicht. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen. Alle Dinge sind schwierig, der Mensch kann sie nicht in Worten ausdrücken.“ Du hast die Ansicht der Philosophen gehört, du siehst aber, daß ganz und gar das Gegenteil vollkommen wahr ist gemäß dem Glauben, nämlich, daß die Welt sowohl geschaffen ist als auch ein Ende haben wird, wenigstens gemäß den Qualitäten, die sie nun hat. Denn sie wird nicht gänzlich vernichtet gemäß dem, was der königliche Prophet gesagt hat: „Und wie eine Hülle wirst du sie wechseln und sie werden gewechselt usw.“ Das alles ist sicher Wissen, aber aus göttlicher Offenbarung und nicht aus menschlichen Erwägungen. Denn Wissen aus menschlichen Erwägungen kann es nicht geben. Daher beginnt der von Gott inspirierte Gesetzgeber Moses seine von Gott inspirierte Erzählung auf von Gott inspirierte Weise angehaucht vom heiligen Geist mit der Erschaffung der Welt, während Plinius genau das Gegenteil getan hat. Deswegen gibt es für
Die menschliche Vernunft spricht für die Ewigkeit der Welt.
Koh ,–.
Gemäß dem Glauben ist die Welt erschaffen und sie verändert sich.
Ps ,.
Gen .
118 Philosophorum opinio excusationem aliquam habet: pertinacia adversus fidem, nullam. Alia in rebus ignorantiae nostrae causa. Comprehendentis ad comprehensum proportio esse debet.
Nulla nobiscum Deo proportio.
Deus omnia novit.
Alia occasio in rebus inscitiae nostrae.
. Metaph.
quod nihil scitur
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bet Philosophorum opinio: sed nullam pertinacia in non credendo, et contumacia in fidem. Sed regrediamur. | Est et alia ignorantiae nostrae causa, rerum quarundam tam magna substantia, ut a nobis omnino percipi non possit: quo in genere Philosophorum Infinitum est, si quod illud est: nostrorum Deus, cuius nulla mensura, nulla finitio, nec subinde a mente comprehensio aliqua esse potest. Nec immerito: comprehendentis enim ad comprehensum proportio certa esse debet, ut aut comprehendens comprehenso maius sit, aut saltem aequale (quamvis hoc vix fieri posse videatur, ut aequale aliud aequale comprehendat, ut videbimus in tractatu de loco: sed nunc demus): nobis autem cum Deo nulla proportio, quemadmodum nec finito cum infinito, nec corruptibili cum aeterno: denique eius collatione nihil potius sumus quam aliquid. Hac eadem ratione ille omnia novit, ut qui omnibus maior, superior, praestantior, aut melius, ne collationem cum creaturis facere videar, maximus, supremus, praestantissimus sit. Quaecumque summo huic opifici propinquiora sunt, ea ratione nobis incognita etiam sunt. Est aliud rerum genus his omnino adversum, quarum tam minutum esse est, ut vix a mente comprehendi possit. Et harum maxima copia, cognitio maxime necessaria ad scientiam, fere tamen nullam habemus. Talia forsan sunt accidentia omnia, quae pe-
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die Meinung der Philosophen eine Entschuldigung, aber keine für die Beharrlichkeit im Unglauben und für den Starrsinn gegen den Glauben. Doch kehren wir zum Thema zurück. Es gibt noch eine weitere Ursache für unsere Unwissenheit: Die Substanz gewisser Dinge ist so groß, daß wir sie nicht erfassen können. Zu dieser Gattung gehört das Unendliche der Philosophen, wenn es existiert. Oder unser Gott, der kein Maß und keine Begrenzung hat und daher nicht von einem Geist erfaßt werden kann. Nicht zu Unrecht, denn das Erfassende muß zum Erfaßten in einem bestimmten proportionalen Verhältnis stehen: So muß das Erfassende entweder größer sein als das Erfaßte oder wenigstens gleich groß (obschon es scheinbar kaum geschehen kann, daß ein Gleichgroßes ein anderes Gleichgroßes erfaßt, wie wir im Traktat Über den Ort sehen werden – aber für den Moment sei es zugestanden). Wir stehen aber in keinem proportionalen Verhältnis zu Gott, ebensowenig wie zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen oder zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen ein proportionales Verhältnis besteht. So sind wir schließlich im Vergleich zu ihm eher nichts als etwas. Aus demselben Grund weiß er alles, da er ja größer ist als alles, erhabener, vorzüglicher, oder vielmehr – damit ich nicht den Eindruck erwecke, daß ich ihn mit seinen Geschöpfen vergleiche – da er der Größte, der Erhabenste und der Vorzüglichste ist. Auch alles, was an diesen höchsten Schöpfer annähernd heranreicht, ist aus diesem Grund für uns nicht erkennbar. Daneben gibt es eine andere Gattung von Dingen, die diesen gänzlich entgegengesetzt ist, deren Sein so gering ist, daß es vom Geist kaum erfaßt werden kann. Von diesen Dingen gibt es eine gewaltige Menge, und ihre Erkenntnis ist von größter Notwendigkeit für die Wissenschaft, aber wir haben sie dennoch kaum. Zu diesen Dingen gehören vielleicht alle Akzidentien, die kaum existie-
Für die Meinung der Philosophen gibt es eine Entschuldigung, für Starrsinn gegen den Glauben aber gibt es keine. Eine weitere Ursache für unsere Unwissenheit in den Dingen.
Das Erfassende muß zum Erfaßten in einem Verhältnis stehen.
Wir stehen in keinem Verhältnis zu Gott.
Gott weiß alles.
Eine weitere Möglichkeit unserer Unwissenheit in den Dingen.
Aristot. metaph. , a–b.
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Accidentia nihil in se esse, dixerunt Pyrrhonici et Epicur. et Democ. Laert. . et . Plutarc. in Colot. Causa alia in rebus ignorantiae nostrae.
Multi generationis, et corruptionis modi.
quod nihil scitur
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ne nihil sunt: adeo ut hucusque nullus fuerit qui eorum naturam perfecte explicare potuerit, quemadmodum nec reliquarum rerum. Nil scimus. Quomodo ergo explicabimus? Neque mirum est, si aliqui accidentia nihil in se esse iudicarint, sed solum quaedam nobis apparentia, quae pro varia nostri conditione dispositioneque varia apparent: ut qui febrit, omnia calida iudicat: cui lingua | flava bile aspersa est, omnia amara. Alia adhuc in rebus superest inscitiae causa nostrae, aliquarum scilicet perpetua duratio, rursus aliarum perpetua generatio, perpetua corruptio, perpetua mutatio. Ita ut nec illarum rationem reddere possis, cum non semper vivas: nec harum, cum et nunquam eadem sint omnino, et modo sint, modo non sint. Hinc fit ut de generatione et corruptione disputatio sub iudice adhuc sit, de qua alibi quid sentiamus proferemus. Quot generationis? quot corruptionis modi? Illa ex semine, ex ovis, ex fimo, ex putredine, ex rore, ex pulvere, ex limo, ex halitu, ex carie, ex pluribus aliis. Haec a calore, frigore, ruptione, dissolutione, oppressione, nec certus forsan numerus est. Si de phoenice verum dicunt, ex cinere combusti parentis oritur vermis, ex quo alius fit phoenix. Vermiculi qui nobis sericum faciunt omnino exsiccantur, post longum tempus renascuntur, tanquam ex semine, ex granulis quibusdam alii. Struthium ova fixe inspiciendo anima-
sentiamus L(e) : sentiamas L
dass nichts gewusst wird
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ren, und zwar in dem Maß, daß bis jetzt noch keiner ihre Natur vollkommen erklären konnte und ebensowenig die Natur der anderen Dinge. Wir wissen nichts. Wie werden wir dann etwas erklären können? Es kann auch nicht verwundern, wenn einige der Meinung sind, daß Akzidentien an sich nichts seien, sondern daß sie für uns nur Erscheinungen seien, die abhängig von der Verschiedenheit unseres Zustands und unserer Disposition verschieden erschienen, wie zum Beispiel jemand, der Fieber hat, alles für heiß oder jemand, dessen Zunge mit gelber Galle benetzt ist, alles für bitter hält. Es bleibt noch eine weitere Ursache für unsere Unwissenheit, nämlich die beständige Dauer von gewissen Dingen und andererseits das beständige Entstehen, Vergehen und Verändern von anderen Dingen. Daher kannst du weder über erstere Rechenschaft ablegen, da du nicht immer lebst, noch über letztere, weil sie nie ganz und gar dieselben sind und weil sie bald existieren und bald nicht existieren. Daher kommt es, daß die Disputation über das Entstehen und Vergehen immer noch eines Schiedsspruchs harrt. Ich werde aber an einer anderen Stelle sagen, was ich davon halte. Wieviele Weisen des Entstehens und des Vergehens es gibt! Entstehen gibt es aus einem Samen, aus Eiern, aus Mist, aus Fäulnis, aus Tau, aus Staub, aus Schlamm, aus Ausdünstungen, aus morschem Holz und aus viel anderem. Vergehen geschieht durch Wärme, Kälte, Bersten, Auflösung oder Erdrücken, und wahrscheinlich ist die Zahl der Möglichkeiten nicht gewiß. Wenn es wahr ist, was sie über den Phönix sagen, dann kriecht aus der Asche seines verbrannten Vaters ein Wurm hervor, aus dem ein neuer Phönix entsteht. Die Raupen, die für uns Seide herstellen, trocknen ganz und gar aus, und nach geraumer Zeit werden sie aus gewissen Körnchen wie aus Samen als neue Raupen wiedergeboren. Der Strauß brütet, wie man sagt, seine Eier aus, indem er fest seinen Blick auf
Die Akzidentien seien nichts an sich, sagen die Pyrrhoneer, Epikur und Demokrit (Diog. Laert. ,; ; und ,. Plut. adv. Col. f-f ).
Eine weitere Ursache für unsere Unwissenheit in den Dingen.
Viele Weisen des Entstehens und Vergehens.
122 Aristo. . de Gen. ani. Licet Scalig. De subt. ad Card. Exer. . contrarium se expertum dicat.
Scalig. De subtil. ad Carda. Exercit. .
Plurimae inter ortum, et interitum mutationes.
quod nihil scitur
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re ferunt: ursum lambendo efformare catulum. Ficus, nuces, ligna in vermes abeunt, et lapidescunt. Arborum folia quarundam Iuvernae fluvio imminentium, si in eum cadant, piscium naturam subeunt. Aliarum plurium frondes in terram cadentes volitantia animalia efficiuntur. Gallae, triticum, folliculi lentisci, et populi, medulla cardui fullonum, caseus, caro, terebinthus in vermes mutantur et volucellos. Et, quod magis mirandum, in Britanico Ocoeano, si verum narrat ille, avis anatis figura, rostro de putridis naufragiorum reliquiis pendet, donec inde soluta pisces ad sui alimoniam quaeritet: quam Vascones Ocoeani incolas, Craban, | Britones, Bernachiam, vocare ait. Addit et regi Francisco Galliarum allatam concham, cui intus avicula fere perfecta erat, quae alarum fastigiis, rostro, pedibus, haerebat extremis oris ostraci. Ova in Aegyptiis ad Cairum in fornacibus animantur, temperato ignis calore: et alicubi etiam in fimo. Inter pisces plures non dubito esse, et inter aves producendi modos. In his autem quae vita carent non pauciores. Destruendi totidem. Inter ortum et interitum quot mutationes fiunt? Innumerae. In viventibus nutritio perpetua, auctio ad tempus, status, declinatio, generatio, variatio partuum, mutatio, defectus, additio, perfectio morum, actiones, opera diversa, contraria saepissime in eodem individuo: denique nulla quies.
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sie gerichtet hält, und der Bär soll sein Junges in seine Form lecken. Feigen, Nüsse und Holz werden zu Würmern und versteinern danach. Die Blätter von gewissen Bäumen, welche sich über einen Fluß in Irland neigen, nehmen, wenn sie in ihn fallen, die Natur von Fischen an. Das Laub von vielen anderen Bäumen wird, wenn es zu Boden fällt, zu flatterndem Getier. Galläpfel, Weizen, die Fruchtstände des Mastix und der Pappel, das Mark der Kardendistel, Käse, Fleisch und der Terpentinbaum verwandeln sich in Würmer und geflügelte Insekten. Und – was noch verwunderlicher ist – im Bretonischen Ozean gibt es, wenn die Geschichte von Scaliger wahr ist, einen Vogel von der Gestalt einer Ente, der mit seinem Schnabel an den morschen Resten von Schiffswracks hängt, bis er sich von dort löst und Fische jagt, um sich zu ernähren. Nach seinem Bericht sollen ihn die Basken, die am Meer wohnen, Craban nennen und die Bretonen Bernachia. Weiter fügt er hinzu, daß dem König François von Frankreich eine Muschel gebracht wurde, in der ein beinahe vollkommenes Vögelchen war, das mit den Flügelspitzen, dem Schnabel und den Füßen am äußersten Rand der Muschelschale hing. In der Nähe von Kairo in Ägypten werden die Eier in Öfen ausgebrütet durch die Wärme eines mittleren Feuers und anderswo gar im Schlamm. Bei den Fischen und Vögeln gibt es zweifellos zahlreiche Weisen des Hervorbringens und bei den unbelebten Dingen nicht weniger. Ebenso zahlreich sind die Weisen der Zerstörung. Wieviele Veränderungen gibt es zwischen Entstehen und Vergehen? Unzählige. Bei den Lebewesen gibt es die beständige Ernährung, Wachstum in der Zeit, Reife, Niedergang, Fortpflanzung, Mannigfaltigkeit der Geburtsweisen, Veränderung, Verlust, Zuwachs, Vollendung des Charakters, Handlungen, verschiedene Werke, Gegensätze, und zwar sehr oft in ein und demselben Individuum, kurz: keine Ruhe.
Aristot. gen. an. Buch . Mag auch Scaliger (De subt. ad Card. ex. ) behaupten, er habe eine entgegengesetzte Erfahrung gemacht.
Scaliger De subt. ad Card. ex. ,.
Zahlreiche Veränderungen zwischen Entstehen und Vergehen.
124 Homo idem non est post horam unam qui antea, secundum aliquorum sententiam. Identitas est indivisibilis.
Identitati nihil mutandum.
De partibus animalium maxima dubitatio.
quod nihil scitur
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Nec mirum si aliquorum sententia fuerit, de homi-
ne uno post horam non asseri posse eundem esse, qui ante horam, non omnino explodenda, imo forsan vera. Tanta quippe est identitatis indivisibilitas, ut si punctum solum vel addas, vel detraxeris a re quapiam, iam non omnino eadem sit: accidentia vero de individui ratione sunt, quae cum perpetuo varientur, subinde et individuum variari contingit. Scio, dicis, dum eadem forma maneat, idem semper esse individuum: ab illa enim unum quid dicitur: nec accidentium horum minutias identitatem mutare. Dixi identitati nihil mutandum, alias non idem omnino esse. Una forma unum facit. Eadem forsan informat semper, sed non idem: in hoc enim perpetua mutatio, ut in corpore meo. At ex utroque componor, ex anima praecipue, ex corpore paulo minus, quorum aliquo variato, et ego varior. Sed id alibi latius et oportunius. Atque hucusque de | totis animalibus. Quod si partes respicias, multo maior dubitatio. Cur sic hae? cur illae? an aliter melius? an peius? cur non plures? cur tot? cur tantae? cur tam parvae? Nunquam finis. In inanimatis idem. Quid
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Es ist kein Wunder, daß einige der Ansicht waren,
daß man von einem Menschen nach einer Stunde nicht mehr sagen könne, er sei derselbe, der er vor einer Stunde war – eine Ansicht, die ganz und gar nicht mißbilligt werden sollte, die im Gegenteil vielleicht wahr ist. Identität ist nämlich in so hohem Grad unteilbar, daß irgendein Ding, wenn du nur einen einzigen Punkt hinzufügst oder wegnimmst, ganz und gar nicht mehr dasselbe ist. Tatsächlich gehören die Akzidentien zur Beschaffenheit des Individuums, und da sie sich beständig ändern, geschieht es, daß sich nach und nach auch das Individuum ändert. „Ich weiß“, sagst du, „daß, solange seine Form dieselbe bleibt, das Individuum immer dasselbe ist – von ihr her wird es ein einzelnes Etwas genannt – und daß die geringe Bedeutung der genannten Akzidentien seine Identität nicht ändern würde.“ Ich habe aber gesagt, daß sich hinsichtlich der Identität eines Individuums nichts ändern dürfe, andernfalls sei es ganz und gar nicht mehr dasselbe. Eine Form macht ein Ding. Vielleicht ist es immer dieselbe Form, die einem Ding seine Form gibt, aber sie gibt nicht immer demselben Ding seine Form. In diesem ist nämlich beständige Veränderung wie auch in meinem Körper. Ich bin aber aus beidem zusammengesetzt, aus der Seele in erster Linie und ein bißchen weniger aus dem Körper, und wenn sich eines von ihnen irgendwie verändert hat, verändere ich mich auch. Doch das möchte ich anderswo breiter und in einem besser passenden Zusammenhang ausführen. Soviel zu den Lebewesen als ganzen. Wenn man aber die Teile betrachtet, gibt es viel größeren Zweifel. Warum sind diese so beschaffen? Warum jene so? Wäre es besser, wenn sie anders beschaffen wären? Oder schlechter? Warum sind es nicht mehr Teile? Warum gerade so viele? Warum sind sie so groß? Warum sind sie so klein? Man kommt nie zu einem Ende. Ebenso verhält es sich bei den unbelebten Dingen. Was
Gemäß der Meinung von einigen ist der Mensch nach einer Stunde nicht derselbe, der er vorher war.
Identität ist unteilbar.
Hinsichtlich der Identität darf sich nichts verändern.
Allergrößter Zweifel bezüglich der Teile der Lebewesen.
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De introductione formarum quaestio non definita. Aliae ignorandi occasiones. Aristo. . de generat. animal.
Occasio alia in rebus inscitiae nostrae.
Hypoc. . Epide. Plin. lib. . Natura. hysto. c. . Amat. Lusit. Cent. . Cur. .
quod nihil scitur
igitur fixum de rebus tam mutabilibus, quid determinatum de rebus tam variis, quid certum de rebus tam incertis? Nil sane. Orta hinc proinde est de introductione formarum, earundemque principio tanta disceptatio, quantam nunquam finiet aliquis. Quod si addere velis monstra quae indies fiunt, tot, tamque diversa, maxime in homine, promiscuos sexus in aliquibus speciebus, et aliarum specierum individuis: mixtas species, ut ex asino et equa mulus, aut ex equo et asina hinnus, ex lupo et cane lycisca, ex tauro et equa hinnulus, quae vulgata sunt apud nos: quanquam et ex canis et vulpis, tigridis, hyaenae, lupique, cum quibus misceri aiunt, coitu tertia species fieri debeat, ut et ex cameli cum equa, galli cum perdice, et si verum est quod de ossifrago dicunt, ex vulture et aquila gignitur. In arboribus eadem mixtio cernitur et plantis aliis, ut in caulorapo, malopersicis, amigdalopersicis, et pluribus aliis, quibus insitione media acquiritur natura inter insitum, et id cui inseritur. Si denique addas mutationes specierum, ut ex tritico saepe lolium, et ex lolio triticum quandoque, et ex secali avena fit: si mutationes sexus in quibusdam hominibus, a virgine in virum, ut illi dixere, rem omnino difficilem efficies, nec scies quid hoc, quomodo, a quo, quare. Minus ego. Atque in his quae anima carent maior mutatio, maior diversi-
secali L(e) : sicala L
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könnte man Bleibendes sagen über so veränderliche Dinge, was Bestimmtes über so mannigfaltige Dinge, was Gewisses über so ungewisse Dinge? Gar nichts. Daher erhob sich eine so große Debatte über die Einführung der Formen und deren Prinzip, daß keiner sie je beenden wird. Wenn du aber die Mißgeburten hinzufügen willst, die täglich so zahlreich entstehen und so verschieden sind – am meisten unter den Menschen; auch Zwittrigkeit einiger Arten und einzelner Individuen anderer Arten, gekreuzte Arten wie das Maultier, das von Eselhengst und Pferdestute gezeugt wird, und der Maulesel, der von Eselstute und Pferdehengst gezeugt wird, der Wolfshund von Wolf und Hund, der Kleine Maulesel von Stier und Pferdestute, die alle bei uns verbreitet sind, obschon auch aus der Kreuzung des Hundes mit dem Fuchs, dem Tiger, der Hyäne, dem Wolf – man sagt nämlich, daß der Hund sich mit diesen paare – jeweils eine dritte Art entstehen müßte wie auch aus der Kreuzung von Kamel und Pferdestute, Haushahn und Rebhuhn und – wenn es wahr ist, was man über den Seeadler sagt – aus Geier und Adler. Die gleiche Kreuzung sieht man bei Bäumen und anderen Pflanzen, zum Beispiel beim Kohlrabi, beim Pfirsich- und Mandelbaum und bei vielen anderen, die durch das Aufpfropfen eine mittlere Natur erlangen zwischen dem Aufgepfropften und dem, worauf aufgepfropft wird. Wenn du schließlich die Veränderungen der Arten dazu nimmst, wie aus Weizen oft Schwindelhafer, aus Schwindelhafer manchmal Weizen und aus Roggen Hafer wird, wenn du die Geschlechtsveränderungen bei einigen Menschen dazu nimmst, nämlich die vom Mädchen zum Mann, wie bestimmte Autoren behaupteten, dann wirst du dir eine ungemein schwierige Aufgabe stellen und nicht wissen, was etwas ist, wie es ist, woher und wozu es ist. Noch weniger werde ich es wissen. Und bei den Dingen, die unbeseelt sind, ist die Veränderung noch
Unentschiedene Streitfrage über die Einführung der Formen. Weitere Möglichkeiten der Unwissenheit.
Aristot. gen. an. , a–b.
Eine weitere Möglichkeit unserer Unwissenheit in den Dingen. Hipp. epid. ,,; Plin. nat. ,; Amatus Lusitanus, Cur. med. cent. sec., cura .
128 Aliae ignorandi causae.
Calor omnia fere agit.
Caloris virtus, et encomium.
Calore nos Deo communicare dicebat Pythag. Laert. . Idem Epicur. unde Laert. . et . et Pythago. . Nil magis Deum refert igne. Exod. c. . Exod. c. . Act. Apost. c. .
quod nihil scitur
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tas in generatione, in corruptione. Amplius nobis sciendi ansam | adimunt eiusdem rei varii, multi, sed et contrarii effectus: eiusdem contra effectus variae, multae, sed et contrariae causae. Exemplum unum (ne nimis prolixus sim, cum in rerum examine haec latius discutienda sint) tibi sit calor, qui idem generat, corrumpit: dealbat, denigrat: calefacit, frigefacit: attenuat, incrassat: segregat, congregat: liquat, cogit: exsiccat, humectat: rarefacit, densat: extendit, contrahit: ampliat, coarctat: dulcorat, amaricat: gravat, allevat: mollit, durat: trahit, pellit: movet, cohibet: laetificat, tristat. Quid denique non agit calor? Hic numen sublunare est, dextera naturae, agens agentium, movens moventium, principium principiorum, causa causarum sublunarium, instrumentum instrumentorum, anima mundi. Nec immerito in prima Philosophia antiqui plurimi ignem primum credidere principium. Merito Trimegistus ignem Deum vocavit. Optima cum ratione Aristoteles Deum, ardorem coeli potuit appellare, licet coeli ardorem Deum esse non crediderit: proindeque in hoc a Cicerone male taxatur. Quid enim Dei Optimi Maximi melius potentiam, virtutem, speciemque aliquam eius ineffabilis divinitatis nobis suggerat igne? Ipsemet hoc insinuavit, in ardenti rubo fideli servo se primum ostendens: et in columna ignis dilectum populum per desertum ducens: et in igneis linguis super electorum conventum descendens.
sed et L : sed T liquat L(e) : liguat L amarescit L allevat L(e) : alleviat L
amaricat L(e) :
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größer und noch größer die Verschiedenheit beim Entstehen und beim Vergehen. Weiter sind wir eines Ansatzpunktes für das Wissen beraubt durch die mannigfaltigen, zahlreichen, oft auch gegensätzlichen Wirkungen desselben Dinges einerseits und andererseits durch die mannigfaltigen und zahlreichen, oft auch gegensätzlichen Ursachen derselben Wirkung. Als einziges Beispiel (damit ich nicht zu sehr ausschweife, da diese Dinge ausführlich in meiner Untersuchung der Dinge diskutiert werden sollen) diene dir die Wärme, die sowohl hervorbringt als auch zerstört, ausbleicht und schwärzt, wärmt und kühlt, verschlankt und zunehmen läßt, trennt und vereint, verflüssigt und verdickt, austrocknet und befeuchtet, auflockert und verdichtet, ausdehnt und zusammenzieht, ausweitet und einengt, versüßt und bitter macht, beschwert und erleichtert, weich und hart macht, zieht und stößt, bewegt und hemmt, erfreut und traurig macht. Was also tut Wärme nicht? Sie ist eine sublunare Gottheit, die rechte Hand der Natur, Tätiges des Tätigen, Bewegerin der Beweger, Prinzip der Prinzipien, Ursache der sublunaren Ursachen, Werkzeug der Werkzeuge, Seele der Welt. Nicht zu Unrecht haben in den Anfängen der Philosophie viele der Alten das Feuer für das erste Prinzip gehalten. Zu Recht hat Hermes Trismegistos das Feuer Gott genannt. Mit gutem Grund konnte Aristoteles Gott die Himmelsglut nennen, mag er auch nicht geglaubt haben, daß die Himmelsglut Gott sei, weswegen er von Cicero in dieser Sache kritisiert wird. Was nämlich zeigt uns eher die Macht und Kraft Gottes, des Allmächtigen, und gibt uns ein besseres Bildnis seiner unaussprechlichen Herrlichkeit an die Hand als das Feuer? Gott höchstselbst hat uns das angezeigt, als er sich seinem treuen Diener zuerst in einem brennenden Dornbusch zeigte, in einer Feuersäule das auserwählte Volk durch die Wüste führte und in Feuerzungen auf die Versammlung der Auser-
Weitere Ursachen der Unwissenheit.
Wärme bewirkt beinahe alles.
Kraft und Lob der Wärme.
Pythagoras sagte, daß wir durch die Wärme mit Gott verbunden sind (Diog. Laert. ,). Dasselbe sagten Epikur (Diog. Laert. und ) und Pythagoras (Diog. Laert. ,). Nichts widerspiegelt Gott mehr als das Feuer.
Ex ,ff. Ex ,. Apg ,.
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Alia ignorandi occasio.
quod nihil scitur
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Vides quanta calor agat: simplex tamen accidens est, cuius ratio, sicut et aliarum rerum, incognita est. Quomodo tot obit munia solus? Difficile intellectu, difficillius dictu, difficillimum, vel impossibile forsan, utrumque. Distingunt tamen id quod per se, ab eo quod ex acci- |denti fit: †varietatem subiecti obiiciunt, quorum quodlibet difficilius est primo.† Quis hanc varietatem exacte novit? Nullus. Solum probabilia quaedam dicunt: quod certo sciunt, nihil. Sed de his postea. Sufficiat nunc nosse, nos nil plane nosse. Eadem ratione a contrariis causis idem productus effectus ambiguitatem nobis parit maximam. Frigiditas et a motu fit, ut in cordis, thoracis, arteriarum, calidaeque aquae agitatione, et a quiete, ut si homo a motu calens quiescat. Caliditas itidem a motu, in cursu: a quiete, si quiescat cor, aut bullientem aquam non moveas. Nigrities a calore, in Aetiopibus: a frigore, in demortuo, aut diu suspenso membro: praecipue si compressione spiritus per arterias transitus impediatur. Putredo, ab omnibus qualitatibus, dempta siccitate. Nec hoc solum, sed unum contrarium ab alio contrario producitur: calor a frigore, in calce frigida macerata, in nobis, fontibus,
quodlibet L(e) : quolibet L
difficilius L(e) : difficius L
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wählten herabkam. Du siehst, welche großen Dinge die Wärme bewirkt! Es ist aber ein einfaches Akzidens, dessen Begründung – wie die der anderen Dinge – unbekannt ist. Wie führt es allein so viele Aufgaben aus? Das ist schwierig zu verstehen, noch schwieriger zu erklären, beides ist sehr schwierig und vielleicht sogar unmöglich. Sie unterscheiden jedoch das, was durch sich selbst geschieht, von dem, was akzidentellerweise geschieht, und stellen die Mannigfaltigkeit des Zugrundeliegenden vor Augen, von denen [?] jedes einzelne schwieriger ist als das erste [?]. Wer kennt diese Mannigfaltigkeit genau? Niemand. Sie sagen nur Glaubwürdiges, aber nichts, was sie mit Gewißheit wissen. Aber dazu später. Für den Moment reicht es zu erkennen, daß wir gar nichts erkennen. Aus demselben Grund bereitet uns ein und dieselbe Wirkung, die aus gegensätzlichen Ursachen erzeugt wird, die größten Zweifel. Kälte entsteht einerseits durch Bewegung, zum Beispiel durch Bewegung des Herzens, des Brustkorbs, der Arterien, durch das Umrühren von heißem Wasser und andererseits durch Ruhe, zum Beispiel, wenn ein Mensch, der durch Bewegung erhitzt ist, sich ausruht. Wärme entsteht ebenso einerseits durch Bewegung, zum Beispiel im Lauf, und andererseits durch Ruhe, zum Beispiel, wenn das Herz zur Ruhe kommt oder wenn man siedendes Wasser nicht bewegt. Schwärze entsteht durch Wärme, so zum Beispiel bei den Äthiopiern, durch Kälte, zum Beispiel in einem abgestorbenen oder lange abgebundenen Körperglied, insbesondere wenn infolge des Drucks der Durchgang der Lebensgeister durch die Arterien behindert wird. Fäulnis entsteht aus allen Qualitäten, ausgenommen die Trockenheit. Aber nicht nur das, vielmehr wird auch etwas durch sein Gegenteil erzeugt: Wärme durch Kälte, zum Beispiel, wenn Kalk in kaltem Wasser gelöscht wird und im Winter in unserem Körper, in Quellen und in der Erde.
Eine weitere Möglichkeit des Nichtwissens.
132 Hyp. . Aphor. .
Alia causa inscitiae.
quod nihil scitur
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terra, hyberno tempore: unde sententia, Ventres hyeme et vere calidissimi. Frigus a calore, in combustis corporibus calidis, in Aetiopibus, qui frigidi sunt interne, et nos etiam aestate. Quomodo haec fiant penitus non intelligo. Ergo nec alii? Non necessario concludo. Videtur tamen. Quid ipsi de his dicant audio: non tamen propterea rem magis cognosco. Idipsum ego cogitabam antea: sed non satiabat animum. Nam si quid perfecte cognovissem, non negassem, imo vehementer clamassem prae laetitia: nil enim foelicius mihi evenire potuerit. Nunc autem perpetuo angor moerore, desperans me quid perfecte scire posse. Aut ergo solus ego omnium ignarissimus: aut mecum omnes alii. Utrumque credo verum. Sed scirem tamen aliquid, si alii etiam aliquid | sciunt: nec enim verisimile est mihi soli omnino adversam fuisse naturam. At nil omnino scio. Neque tu. Plures aliae sunt in rebus nobis occasiones ignorandi, quas et longum, et inutile esset omnes huc transferre, cum in singulis earum tractatibus eas tibi videre liceat, et ipse ubique ostendam ubi de eis sermo fuerit. Solum unam aut alteram adhuc addam praecipuas. Rerum varietas, multiplex forma, figura, quantitas, actiones, usus tot tamque diversi mentem sic nobis circumveniunt, aut melius, distrahunt, ut secure non possit quid vel proferre,
de corr. Thomson e R : de de L
dass nichts gewusst wird
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Daher kommt der Satz: „Die Bäuche sind im Winter und im Frühling am wärmsten.“ Kälte entsteht durch Wärme, zum Beispiel, wenn erhitzte Körper verbrannt wurden, und bei den Äthiopiern, die im Innern kalt sind ebenso wie wir im Sommer. Wie das alles zustande kommt, verstehe ich überhaupt nicht. Verstehen es also auch die anderen nicht? Ich ziehe keinen notwendigen Schluß. Es scheint aber so zu sein. Was sie selbst dazu sagen, höre ich, aber dennoch verstehe ich die Sache deswegen nicht besser. Genau dasselbe überlegte ich mir vorher, aber es hat meinen Geist nicht befriedigt. Wenn ich nämlich etwas vollkommen erkannt hätte, hätte ich es nicht geleugnet, sondern vielmehr laut geschrien vor Freude; kein größeres Glück hätte mir widerfahren können! Nun bin ich aber durch beständige tiefe Betrübnis bedrückt und verliere die Hoffnung, daß ich irgend etwas vollkommen wissen kann. Entweder bin ich also allein der Unwissendste von allen oder alle anderen teilen die Unwissenheit mit mir. Ich glaube, daß beides wahr ist. Aber ich wüßte dennoch etwas, wenn auch die anderen etwas wissen. Es ist nämlich unwahrscheinlich, daß die Natur nur mir allein feindlich gesinnt wäre. Ich weiß jedoch gar nichts. Und du auch nicht. Es gibt bei den Dingen noch sehr viele andere Möglichkeiten für das Nichtwissen, wobei es aber zu weit führte und unnütz wäre, sie alle hier aufzuführen, da es dir freisteht, dich mit diesen Dingen in den einzelnen Traktaten über sie zu befassen, und da ich selbst überall auf sie verweisen werde, wo von ihnen die Rede sein wird. Nur noch das eine oder andere möchte ich vorausnehmen und hier anfügen: Die Mannigfaltigkeit der Dinge, die vielfältige Form, Gestalt, Quantität, die Tätigkeiten und die zahlreichen und so verschiedenen Verwendungsweisen umkreisen unseren Geist – oder besser: lenken ihn in dem Maß ab, daß er weder etwas mit Sicherheit hervorbringen noch empfinden könnte,
Hipp. aph. ,.
Eine weitere Ursache der Unwissenheit.
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Colorum causae dubiae.
quod nihil scitur
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vel sentire, quin ex alia parte obsideatur, et cogatur opinioni cedere: sicque hinc inde varia nunquam sistitur. Si asserat albedinem (ut de coloribus sufficiat exemplum adduxisse) a calore fieri, arguit eam nix, glacies, Germani: si a frigore, cinis, calx, gypsum et os, usta. Si ab humiditate, haec: si a siccitate, illa. De nigredine totidem contingunt dubitationes. Quid vero dicas de mediis? Quam temperiem illis assignabis? Atque extrema adhuc videntur manifestam habere causam, ut nix frigus, cinis calorem: quia utrumque sensu deprehenditur. Quid vero dicas de maculatis animalibus panthera, pardo, cane, et similibus? Quid de herbis, dracunculo, carduo argentato, trifolio maculato? Quid de floribus vetonicae altilis, violaeque variegatis? Quid de turcico phaseolo? Quid de avibus, pavone, psittaco? An pavoni, maculatis floribus, pardo, in eadem pinna, flore eodem, eodem capillo, diversa assignabis temperamenta? Atque hi permanentes colores sunt. Quid de Iride dices, de columba variegata, de vitro aqua pleno, et alio sine aqua: quae varie soli exposita, | aut ex vario videntis situ tam varios proferunt colores? Merito mutus eris, ut et ego. In omnibus aliis, quae supra enarravimus, multo magis. Nec unquam finis: quo plus scrutamur, plures
– opinioni L(e) : opinione L in margine Colorum L(e) : Calorum L Atque hi L(e) : Atque L
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ohne daß er von einer anderen Seite her bedrängt würde und sich gezwungen sähe einer Meinung nachzugeben, und so kommt er, indem er hierhin und dahin schwankt, nie zur Ruhe. Wenn er behaupten sollte, Weiße (es möge reichen, ein Beispiel aus dem Bereich der Farben anzuführen) entstehe durch Wärme, sprechen Schnee, Eis und die Germanen dagegen. Wenn durch Kälte, sprechen Asche, Kalk, Gips, Knochen und Kalziniertes dagegen. Wenn durch Feuchtigkeit, sprechen letztere dagegen. Wenn durch Trockenheit, erstere. Bezüglich der Schwärze ergeben sich ebenso große Zweifel. Was aber wirst du über die Farben sagen, die dazwischen liegen? Was für ein Mischungsverhältnis wirst du ihnen zuschreiben? Diejenigen in den äußersten Bereichen scheinen bis jetzt eine offensichtliche Ursache zu haben, wie zum Beispiel der Schnee die Kälte und die Asche die Wärme, denn beide Ursachen werden von den Sinnen wahrgenommen. Was aber wirst du über die gefleckten Tiere sagen, über den Panther, den Leoparden, den Hund und ähnliche? Was über die Kräuter, über den Drachenwurz, über die Silberdistel und über den gefleckten Klee? Was über die bunten Blüten der Gartennelke und des bunten Veilchens? Was über die türkische Bohne? Was über die Vögel, den Pfau und den Papagei? Wirst du etwa dem Pfau, den vielfarbigen Blumen und dem Leoparden für dieselbe Feder, dieselbe Blüte und dasselbe Haar verschiedene Mischungsverhältnisse zuschreiben? Das sind zudem bleibende Farben. Was wirst du über den Regenbogen sagen, über die bunte Taube, über das volle und das leere Wasserglas, über Dinge, die, wenn sie in verschiedener Weise der Sonne ausgesetzt oder von verschiedenen Positionen betrachtet werden, so verschiedene Farben aufweisen? Zu Recht wirst du schweigen wie auch ich. Das ist bei allen anderen Dingen, die ich oben genannt habe, noch viel mehr so. Zudem gibt es nie ein Ende: Je angestrengter wir
Zweifelhafte Ursachen der Farben.
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Ubi multitudo, ibi confusio. Philosophia Minois labyrintho similis. Tristis studiorum finis.
Labor improbus omnia vincit, quia vitam adimit.
Horat. . Epist. .
quod nihil scitur
sese offerunt tricae, magis confundimur, difficilius expedimur. Ubi enim multitudo, ibi confusio. Sic non immerito Philosophiam nostram liceat conferre Minois labyrintho: in quem ingressi regredi non possumus, nec explicare nos: si pergamus, in Minotaurum incidimus, qui nobis vitam adimit. Hic finis studiorum nostrorum, hoc praemium irriti et vani laboris, perpetuae vigiliae, labor, curae, solicitudo, solitudo, privatio omnium deliciarum, vita morti similis, cum mortuis degendo, pugnando, loquendo, cogitando, a vivis abstinere, propriarum rerum curam ponere, animum exercendo corpus destruere. Hinc morbi: saepe delirium: semper mors. Nec labor improbus aliter omnia vincit, nisi quia vitam adimit, mortem accelerat, quae ab omnibus liberat. Sic qui moritur omnia vincit: tantumque abest ut verum sit quod ille dicit, ut contra omnino eveniat. Ait autem Ad summam sapiens uno minor est Iove, dives, Liber, honoratus, pulcher, rex denique regum. Praecipue sanus: nisi cum pituita molesta est. Vide quomodo pituitam coactus aperuit tandem. Sed alibi contrarium dicitur, et verius. Ipse licet venias Musis comitatus Homere.
dass nichts gewusst wird
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die Untersuchungen vorantreiben, desto mehr Unsinn tritt zutage, desto mehr werden wir verwirrt, und desto schwieriger ist es, etwas zustande zu bringen. Wo Vielheit ist, da herrscht Verwirrung. So kann unsere Philosophie nicht unverdienterweise mit dem Labyrinth des Minos verglichen werden: Einmal eingetreten, können wir nicht mehr zurückkehren und keinen Ausweg finden; gehen wir weiter, treffen wir auf den Minotaurus, der uns das Leben raubt. Das ist das Ende unserer Studien, das ist der Preis für vergebliche und eitle Mühe, nämlich durchwachte Nächte ohne Pause, Mühe, Sorgen, Unruhe, Einsamkeit, Ermangelung aller angenehmen Dinge des Lebens, ein Leben dem Tode gleich – man muß es mit Toten verbringen, mit ihnen kämpfen, sprechen und denken, sich von den Lebenden fernhalten, die Pflege der eigenen Interessen beiseitelassen und durch Übung des Geistes den Körper zugrunderichten. Daher kommen Krankheiten, oft der Wahnsinn, immer der Tod. Und „arge Anstrengung überwindet“ auf keine andere Weise „alles“, als daß sie, weil sie das Leben dahinrafft, den Tod beschleunigt, der einen von allem befreit. So überwindet, wer stirbt, alles, und was Horaz sagt, ist so weit von der Wahrheit entfernt, daß ganz und gar das Gegenteil davon zutrifft. Er sagt nämlich: Alles in allem, der Weise ist geringer allein als Jupiter, er ist reich, frei, mit Ehren versehen, schön, König schließlich der Könige. Insbesondere ist er gesund. Es sei denn, es plage ihn gerade ein Schnupfen. Schau, wie er gezwungen ist, den Schnupfen schließlich zu enthüllen. Aber andernorts wird das Gegenteil gesagt, was der Wahrheit näher kommt: Magst du in Begleitung von Musen auch kommen, Homer,
Wo Vielheit, da Verwirrung. Die Philosophie ist dem Labyrinth des Minos ähnlich.
Trauriges Ende der Studien.
Arge Anstrengung besiegt alles, da sie das Leben dahinrafft.
Hor. epist. ,,ff.
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. Epist. .
Ovid. . Amor. eleg. . Ovid. . Fastor.
Ecclesiast. .
Philosophia similis Hydrae Lerneae.
quod nihil scitur
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Si nihil attuleris, ibis Homere foras. Et idem Horatius melius inferius Scilicet uxorem cum dote, fidemque, et amicos, Et genus, et formam regina pecunia donat.| At bene nummatum decorant Suadela, Venusque. Verum quidem id est nunc quod et ille alibi. Curia pauperibus clausa est, dat census honores, Inde gravis iudex, inde severus eques. In pretio pretium nunc est, dat census honores, Census amicitias, pauper ubique iacet. Nihili fit doctrina, et cedunt armis togae, concedunt laureae linguae. Nauci fiunt literati. Quid igitur nos consumimus? Nescio. Sic fata ferunt. Dedit Deus filiis hominum occupationem hanc pessimam, ut in ea occuparentur. Cuncta fecit bona in tempore suo: et mundum tradidit disputationi eorum, ut non inveniat homo opus quod operatus est Deus ab initio usque ad finem. Non absimilis etiam videtur eadem Philosophia (ut unde digressi eramus regrediamur) Hydrae Lerneae, quam Hercules expugnavit. Nostram autem non est qui vincat. Abscisso capite uno, emergunt centum ferociora semper. Deest enim mentis ignis, qui perfecte rem unam cognoscens, reliquis difficultatibus pul-
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hast du nichts mitgebracht, wirst du, Homer, gleich wieder gehen. Dasselbe sagt auch Horaz besser weiter unten: Nämlich eine Gattin mit Mitgift und Kredit, Freunde, hohe Herkunft und Schönheit schenkt dir König Reichtum. Und den mit Münzen reichlich Versehenen zieren Suadela und Venus. Wahr ist gewiß noch immer, was auch Ovid anderswo gesagt hat: Der Senat ist den Armen verschlossen, das Vermögen gibt die Ehrenämter, daher der würdevolle Richter, daher der gestrenge Ritter. Geld ist, was heute gilt, das Vermögen gibt die Ehrenämter, das Vermögen gibt die Freundschaften, der Arme liegt überall darnieder. Die Lehre ist nichts wert und die Toga weicht den Waffen, die Beredsamkeit weicht dem Lorbeer. Keinen Pfifferling wert sind die Gebildeten. Wozu reiben wir uns also auf ? Ich weiß es nicht. So will es unser Geschick. „Gott gab den Menschenkindern diese schlechteste aller Beschäftigungen, damit sie mit ihr beschäftigt seien. Er schuf alles insgesamt gut zu seiner Zeit. Und er übergab die Welt ihrer Diskussion, so daß kein Mensch herausfinde, was Gott ins Werk gesetzt hat vom Anfang bis zum Ende.“ Nicht unähnlich scheint die besagte Philosophie (um dahin zurückzukommen, von wo ich abgeschweift bin) auch der lernäischen Hydra zu sein, die von Herkules überwunden wurde. Es gibt aber niemanden, der die unsrige besiegen könnte. Wenn ihr ein Kopf abgeschlagen wird, tauchen immer hundert noch unbändigere auf. Es fehlt nämlich das geistige Feuer, das, wenn es ein einziges Ding vollkommen erkennt, den übrigen
Hor. epist. ,,ff.
Ov. am. ,,f.
Ov. fast. ,f.
Koh ,.
Die Philosophie ist der lernäischen Hydra ähnlich.
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Extra sensum omnia confusio, dubitatio. Sensus non cognoscit.
Naturam Aesopi grus refert.
Zeusis: apud Plin. lib. c. . Parrhasius: Plin. ibidem.
Aristot.
quod nihil scitur
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lulandi occasionem auferat. Concludamus. Cognitio omnis a sensu trahitur. Ultra hanc, omnia confusio, dubitatio, perplexitas, divinatio: nil certum. Sensus solum exteriora videt: nec cognoscit. Oculum nunc sensum voco. Mens a sensu accepta considerat. Si hic deceptus fuit, illa quoque: sin minus, quid assequitur? Imagines rerum tantum respicit, quas oculus admisit: has hinc inde spectat, versat, inquirendo, quid hoc? a quo tale? cur? Et hoc tantum. Nec enim videt aliquid certi. Nonne hoc vult illius fabula? in qua grus vulpem ad prandium invitans, ei scyphum angusti oris vitreum pulte plenum | obiecit: ad quem vulpes linguam, osque admovens, aliquid prehendere eius, quod videbat, ferculi cogitans, irrito conatu, vindictam grui, similem ab eadem vulpe antea passae iocum, dedit. Simili ratione pictis uvis aves ille delusit: dum hae rostro impetentes, ut comederent, rostrum tabulae illidunt. Alter vero istum, velo sic affabre delineato, ut verum videretur, decepit: dum hic, quasi iam vicisset tumidus, accurrens videndae picturae cupidus, velo coopertam credens, manum tabulae admovet, ut velum amoveat, tabulamque offendit solam. Sic nobis natura res obiicit cognoscendas. Et hoc dicebat ille alibi: intellectum nostrum ad rerum naturas, sicut nicticoracis ocu-
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Schwierigkeiten die Gelegenheit hervorzusprießen entreißt. Kommen wir also zum Schluß: Jede Erkenntnis wird von den Sinnen empfangen. Was über diese Erkenntnis hinausgeht, ist alles Verwirrung, Zweifel, Unverständlichkeit, Wahrsagerei: nichts Gewisses. Die Sinne nehmen die äußeren Dinge nur wahr, sie erkennen sie nicht. Für den Moment nenne ich das Auge einen Sinn. Der Geist studiert, was er von diesem Sinn empfangen hat. Wurde der Sinn getäuscht, dann auch der Geist. Wenn aber nicht, was erreicht er? Er bedenkt nur Bilder von Dingen, die das Auge aufgenommen hat. Diese betrachtet er von allen Seiten und dreht sie, indem er fragt: „Was ist das?“, „Woher ist es so beschaffen?“, „Warum?“ Und das ist alles. Denn er sieht nichts Gewisses. Ist nicht auch das der Witz von Aesops Fabel, in welcher der Kranich den Fuchs zum Mahl einlud und ihm einen Becher mit engem Hals, der voll mit Brei war, vorsetzte? Der Fuchs führte Zunge und Schnauze zum Becher und beabsichtigte, etwas von dem Mahl, das er sah, zu nehmen – der Versuch war erfolglos. Damit erfüllte er die Rache des Kranichs, der vorher Opfer eines ähnlichen Streichs von ebendiesem Fuchs geworden war. Auf ähnliche Weise täuschte Zeuxis mit gemalten Trauben die Vögel: als sie mit ihrem Schnabel nach den Trauben pickten, um sie zu fressen, stießen sie den Schnabel gegen das Gemälde. Parrhasios aber täuschte jenen, indem er einen Vorhang so kunstreich zeichnete, daß er wie echt aussah. Als Zeuxis mit geschwellter Brust, als ob er schon gewonnen hätte, heraneilte, begierig das Bild zu sehen und im Glauben, es sei mit dem Tuch bedeckt, und die Hand zum Gemälde bewegte, um das Tuch zu entfernen, stieß er nur an das Gemälde. So setzt uns die Natur die Dinge vor, die wir erkennen wollen. Und Aristoteles sagte anderswo, unser Verstand verhalte sich zur Natur der Dinge wie das Auge des Nachtraben zum Sonnenlicht. Er urteilt über die
Außerhalb der Sinne ist alles Verwirrung, Zweifel. Die Sinne erkennen nicht.
Der Kranich des Aesop widerspiegelt die Natur.
Zeuxis bei Plin. nat. ,–.
Parrhasios (Plin., ebenda).
Aristot. metaph. , b.
142 Intellectus iudicat de rebus per simulacra.
Accidentia vilissima sunt omnium rerum.
Entitas, perfectio, simplicitas cognitionem perfectam faciunt. Melior cognitio nostra a sensu est. Ens omnium actionum principium.
quod nihil scitur
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lum ad Solis lumen, se habere. Per simulacra de rebus iudicat. An ergo rectum potest esse iudicium? Tolerabile id esset, si omnium rerum, quas scire cupimus, simulacra a sensu haberemus. Nunc autem contra, praecipuarum rerum nulla habemus. Solum accidentium, quae ad rei essentiam, ut dicunt, nihil conferunt: a qua vera scientia est: vilissimaque sunt omnium entium. Ab his de aliis omnibus coniectare oportet. Quae ergo sensibilia sunt, crassa, abiecta, (ea sunt accidentia, compositaque) nobis utcumque nota sunt. Quae contra spiritalia, tenuia, sublimia, (ea sunt principia compositorum, coelestiaque) nullo modo. Haec tamen natura sua cognoscibilia magis sunt: quia perfectiora, magis entia, simpliciora, quae tria perfectam cognitionem producunt. Nobis minus: quia a sensibus magis remota. Quae autem his magis propinqua, nobis magis cognita: non alia ratione, quam quia a sensu melior dependet cognitio nostra. Natura autem sua mini- | me cognoscibilia: quia imperfectissima, fere nihil. Ens vero cognitionis omnis: imo actuum omnium et motuum obiectum, subiectum et principium est. Vides quanta in rebus nobis ignorandi occasio praebetur. Videbis melius ubi ad earum explicationem venerimus. Haec enim universaliter solum dicta sint. At haec non demonstrant, sciri nihil. Nec demonstrare id proposui: (ut, demonstrare, tua significatione utar) nec possem. Nam nihil scitur. Sat est obiecisse tibi dif-
coniectare L(e) : sensibilia L(e) : imperfectissime T
coniectari L : coniectare sensibilia T sensualia L imperfectissima L :
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Dinge anhand von Abbildern. Kann also sein Urteil richtig sein? Das Ganze wäre erträglich, wenn wir von allen Dingen, die wir zu wissen begehren, Abbilder von den Sinnen her hätten. Jetzt ist aber das Gegenteil der Fall; von den wichtigsten Dingen haben wir keine Bilder, sondern nur von den Akzidentien, die zum Wesen eines Dinges, wie sie sagen, nichts beitragen. Das Wesen ist aber die Quelle der wahren Wissenschaft, und die Akzidentien sind die wertlosesten von allen Seienden. Von ihnen ausgehend müssen wir über alles andere mutmaßen. Die wahrnehmbaren Dinge, die fest und bodenständig sind (das sind die Akzidentien und die zusammengesetzten Körper), sind uns irgendwie bekannt. Die unkörperlichen dagegen, die fein und erhaben sind (das sind die Prinzipien der zusammengesetzten Körper und die himmlischen Wesen), ganz und gar nicht. Letztere sind jedoch ihrer Natur nach besser erkennbar, da sie vollkommener sind, mehr Sein haben, einfacher sind, und diese drei Merkmale bringen eine vollkommene Erkenntnis hervor. Für uns aber sind sie weniger gut erkennbar, da sie von den Sinnen weiter entfernt sind. Diejenigen, die aber den Sinnen näher sind, sind uns eher bekannt, aus keinem anderen Grund, als daß die Erkenntnis, die von den Sinnen abhängt, besser ist. Ihrer Natur nach sind sie aber kaum erkennbar, da sie sehr unvollkommen, beinahe gar nichts sind. Das Seiende selbst ist aber das Objekt, das Subjekt und das Prinzip jeder Erkenntnis, ja aller Tätigkeiten und Bewegungen. Du siehst, wie groß die Möglichkeit des Nichtwissens ist, die sich uns in den Dingen bietet. Das wirst du noch besser sehen, wenn wir zur Erklärung dieser Dinge kommen. Das mag nämlich nur allgemein gesagt sein. Es beweist jedoch nicht, daß nichts gewußt wird. Aber ich habe auch nicht angekündigt, das zu beweisen (wobei ich ‚beweisen‘ in deiner Bedeutung verwende), und ich könnte das auch nicht. Denn nichts wird gewußt.
Der Verstand urteilt über die Dinge anhand von Abbildern.
Die Akzidentien sind die wertlosesten aller Dinge.
Sein, Vollkommenheit und Einfachheit bringen eine vollkommene Erkenntnis hervor.
Unsere Erkenntnis, die von den Sinnen abhängt, ist besser. Das Seiende ist das Prinzip aller Tätigkeiten.
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In cognoscente plurima sunt ad sciendum impedimenta.
In cognitione tria sunt.
Difficilima animae contemplatio.
Cognitio perfectissima animae facultatum.
quod nihil scitur
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ficultates. Si has vincere possis, aliquid scies. Sed non poteris: nisi tibi clanculum demissus alius de novo sit spiritus. Potest forsan id fieri: sed nondum vidi. Nunc vero de eo quod est, non de eo quod potest esse, agimus. Atque haec quae in rebus sunt, minima sunt, si eis, quae in cognoscente sunt, obstaculis conferantur. Qui namque perfecta, acutissimaque mente praeditus esset, inculpatoque sensu, forsan posset omnia vincere (ut tibi hoc gratis concedam: licet non possit, etiam si perfectissima omnia nactus sit). Sed nunc contrarium apparet. Secundum igitur in definitione scientiae erat, cognitio, in qua tria spectantur. Res cognita, de qua supra: cognoscens, de quo infra, et cognitio ipsa, quae actus est huius in illam. De hac nunc. Sed breviter quantum poterimus. Proprium enim locum obtinet in tractatu de Anima. Et sane difficilima est, perplexitatisque plena animae, eius facultatum, actionumque contemplatio: si quae alia. Praecipue vero in hac, quam nunc quaerimus, cognitione. Cum nil dignius sit anima, nil excellentius hac unica cognitione. Quam si perfectam haberet, Deo similis esset: imo Deus ipse. Nec enim perfecte cognoscere potest | quis, quae non creavit. Nec Deus creare potuisset: nec creata regere, quae non perfecte praecognovisset. Ipse
non L(e) : non non L
nunc L(e) : more L
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Es genügt, daß ich dir die Schwierigkeiten vorgelegt habe. Solltest du diese überwinden können, wirst du etwas wissen. Aber du wirst das nicht können, außer wenn ein anderer Geist von neuem heimlich auf dich herabgesandt wird. Es kann sein, daß das geschieht, aber ich habe so etwas noch nie gesehen. Nun handeln wir aber von den Dingen, die sind, nicht von denen, die sein können. Aber die Schwierigkeiten, die in den Dingen liegen, sind völlig unbedeutend, wenn sie mit den Hindernissen, die im Erkennenden sind, verglichen werden. Wer nämlich mit einem vollkommenen und äußerst scharfsinnigen Geist und mit tadellosen Sinnen begabt wäre, könnte vielleicht alle Schwierigkeiten überwinden (um dir das umsonst zuzugestehen; es mag aber sein, daß er dazu nicht imstande ist, auch wenn er in jeder Hinsicht vollkommen ausgestattet ist). Aber nun zeigt sich das Gegenteil. Der zweite Bestandteil der Definition der Wissenschaft war also die Erkenntnis, die drei Aspekte aufweist: Das erkannte Ding, das wir oben behandelt haben, das Erkennende, das wir unten behandeln werden, und die Erkenntnis selbst, der Akt des zweiten in bezug auf das erste. Diese möchte ich jetzt behandeln, aber so kurz wie möglich, denn ihre Behandlung erhält im Traktat Über die Seele einen eigenen Platz. Wenn nun irgendeine andere Untersuchung äußerst schwierig und voller Dunkelheit ist, so gilt dies besonders für die Untersuchung der Seele und ihrer Vermögen und Tätigkeiten. Das ist aber vor allem bei der Erkenntnis, die wir nun untersuchen, der Fall. Da nichts einen höheren Rang einnimmt als die Seele, ist nichts hervorragender als diese einzigartige Erkenntnis. Wer vollkommen über sie verfügte, wäre Gott ähnlich, ja er wäre Gott selbst. Niemand kann nämlich vollkommen erkennen, was er nicht geschaffen hat. Auch Gott hätte weder etwas schaffen noch seine Geschöpfe lenken können, wenn er sie nicht im voraus vollkommen erkannt hätte. Er
Im Erkennenden gibt es zahlreiche Hindernisse für das Wissen.
Die Erkenntnis weist drei Aspekte auf.
Die Untersuchung der Seele ist äußerst schwierig.
Die Erkenntnis ist das vollkommenste Vermögen der Seele.
146 Solus Deus perfecte cognoscit.
Idem Plut. in Colotem.
Abstrusa naturae homo non nosse potest.
Scaliger immerito Vivem corripit.
Idem Heracli. vide Laert. lib. . et Plutarc. lib. in Colotem.
Scaliger in animae tractatione defectuosus.
quod nihil scitur
ergo solus sapientia, cognitio, intellectus perfectus, omnia penetrat, omnia sapit, omnia cognoscit, omnia intelligit: quia ipse omnia est, et in omnibus: omniaque ipse sunt, et in ipso. Imperfectus autem, et miser homunculus quomodo cognoscet alia, qui seipsum non nosse potest, qui in se est, et secum? Quomodo abstrusissima naturae, inter quae spiritualia sunt, et inter haec anima nostra, qui clarissima, apertissima, quae comedit, quae bibit, quae tangit, quae videt, quae audit, penitus non intelligit? Profecto quae nunc cogito, quae hic scribo, nec ego intelligo, nec tu lecta intellecta habebis. Iudicabis tamen forsan pulchre et vere dicta. Et ego talia existimo. Nil tamen uterque scimus. Immerito proinde ille, licet doctissimus vir, Vivem absurdum vocat: quod mentis naturae perscrutationem obscuritatis plenam dicat. Imo ego, si illius opinio absurda est, absurdissimus esse volo: qui non solum obscuritatis plenam censeo, sed caliginosam, scabrosam, abstrusam, inviam, pluribus tentatam, nulli superatam, nec superandam. Forsan ille, ut erat acutissimo ingenio, facilem habuit. Et sane perpulchre, et scite, ut plaeraque omnia de quibus egit, animam persequutus est. Sed non omnino absolute, non ex ordine, non totam. Plaeraque protulit, quae verborum ambitu exteriori mentem decipiunt famemque affatim
qui L(e) : quae L
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allein ist also Weisheit, Erkenntnis, vollkommener Verstand, er durchdringt alles, weiß alles, erkennt alles und versteht alles, weil er selbst alles und in allem ist, und alles er und in ihm ist. Der unvollkommene, elende und schwache Mensch aber, wie wird er die übrigen Dinge erkennen, er, der sich selbst nicht kennen kann, der in sich und mit sich zusammen ist? Wie könnte er die verborgensten Dinge der Natur, darunter die geistigen Dinge, zu denen auch unsere Seele zählt, erkennen, er, der die klarsten und offensichtlichsten Dinge, die er ißt, die er trinkt, die er berührt, die er sieht und die er hört, ganz und gar nicht erkennt? In der Tat, was ich jetzt denke und was ich hier schreibe, verstehe weder ich noch wirst du es, nachdem du es gelesen hast, verstanden haben. Du wirst vielleicht dennoch der Meinung sein, daß es schön und wahr gesagt sei. Auch ich bin dieser Ansicht. Dennoch wissen wir beide nichts. Zu Unrecht nannte daher der berühmte Scaliger, mag er auch ein sehr gebildeter Mann gewesen sein, Vives unverständig, weil dieser gesagt hat, daß eine genaue Untersuchung der Natur des Geistes voller Dunkelheit sei. Da möchte ich, falls Vives’ Meinung unverständig ist, der Unverständigste sein, da ich nicht nur glaube, daß eine solche Untersuchung voller Dunkelheit sei, sondern daß sie auch umnebelt, aussätzig, verborgen, unwegsam, und von vielen in Angriff genommen, aber von niemandem gemeistert worden und auch nicht zu meistern sei. Vielleicht hielt Scaliger, da er ja mit einem äußerst scharfen Denkvermögen begabt war, diese Untersuchung für einfach. Und sicher gefällig und gelehrt wie beinahe alles, was er behandelte, untersuchte er auch die Seele, aber überhaupt nicht abschließend, nicht der Reihe nach und nicht in ihrer Gesamtheit. Er hat sehr vieles vorgebracht, das durch den äußerlichen Wortschmuck den Geist täuscht und das, wenn man es in großen Mengen verschlingt, den Hunger scheinbar
Gott allein hat vollkommene Erkenntnis.
Dasselbe sagt Plut. in adv. Col. f.
Die verborgenen Dinge der Natur kann der Mensch nicht erkennen.
Scaliger tadelt Vives zu Unrecht.
Dasselbe sagt Heraklit, vgl. Diog. Laert. , und Plut. adv. Col. c.
Scaligers Behandlung der Seele ist mangelhaft.
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Cognitio, rei apprehensio.
Differentia apprehensionis, et receptionis.
Cognitio propria, et impropria.
Cognitio duplex.
quod nihil scitur
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ingesta retundere videntur. Quae tamen, si penitius scruteris, tandem fucum produnt, remque, ut antea difficilem relinquunt: ut suo loco ostendemus. Nunc autem quod ad praesens spectat negotium, subiiciamus. Quid cogni- | tio? Rei apprehensio. Quid apprehensio? Apprehende tu ex te. Nec enim ego in mentem omnia tibi possum ingerere. Si adhuc quaeris, dicam, intellectionem, perspectionem, intuitionem. Si adhuc de his quaeris, tacebo. Non possum. Non scio. Distingue tamen apprehensionem, a receptione. Recipit enim canis hominis speciem, lapidis, quanti: non tamen cognoscit. Imo recipit oculus noster, nec cognoscit. Recipit anima saepe, et non cognoscit. Ut cum falsa admittit: cum tardo ingenio obscura offeruntur. Distingue etiam cognitionem proprie dictam, quam nunc descripsimus, quam tamen non cognoscimus ab alia improprie dicta: qua quis cognoscere dicitur ea, quae alias vidit, et memoria tenet propriis signis ornata. Nam hac cognitione dicitur puer cognoscere patrem et fratrem: et canis dominum, et viam per quam ivit. Divide denique omnem cognitionem in duas. Alia est perfecta, qua res undique, intus et extra perspicitur, intelligitur. Et haec est scientia, quam nunc hominibus conciliare vellemus: ipsa tamen
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stillt. Solltest du es aber genauer prüfen, erweist es sich letztlich als bloße Schminke und läßt die Sache in denselben Schwierigkeiten zurück, in welchen sie vorher war, wie ich gegebenen Orts zeigen werde. Nun wollen wir aber die Frage anschließen, die sich auf unser gegenwärtiges Vorhaben bezieht: Was ist Erkenntnis? Das Erfassen eines Dinges. Was ist das Erfassen? Erfasse du es von dir selbst aus, ich kann dir nämlich nicht alles in deinen Geist eintrichtern. Wenn du noch weiter fragst, werde ich sagen, sie sei ein Verstehen, ein Durchdringen, eine Einsicht. Wenn du in bezug auf diese Dinge immer noch weiterfragst, werde ich schweigen. Ich kann nicht antworten. Ich weiß es nicht. Unterscheide dennoch das Erfassen vom Aufnehmen. Der Hund nimmt nämlich die Species eines Menschen, eines Steins und der Größe auf, dennoch erkennt er sie nicht. Ja, auch unser Auge nimmt vieles auf und erkennt nichts. Auch unsere Seele nimmt oft etwas auf, ohne es zu erkennen, zum Beispiel, wenn sie Falsches zuläßt oder wenn einem trägen Denkvermögen dunkle Dinge sich darbieten. Unterscheide auch die Erkenntnis, die im eigentlichen Sinn so genannt wird, die wir nun beschrieben haben und die wir dennoch nicht erkennen, von der anderen Erkenntnis, die uneigentlich so genannt wird und mit welcher, wie man sagt, jemand Dinge erkennt, die er zu einer anderen Zeit gesehen hat und die er, versehen mit den entsprechenden Zeichen, in seinem Gedächtnis bewahrt. Von dieser Erkenntnis spricht man nämlich, wenn ein Kind seinen Vater und seinen Bruder und wenn ein Hund seinen Herrn und den Weg, auf dem er gegangen ist, erkennt. Unterteile schließlich die ganze Erkenntnis in zwei. Die eine ist vollkommen, durch sie wird ein Ding in jeder Hinsicht, innen und außen, durchdrungen und erkannt. Das ist Wissenschaft, die wir hier dem Menschen eigentlich verschaffen wollten; sie selbst will aber nicht.
Erkenntnis ist das Erfassen eines Dinges.
Der Unterschied zwischen Erfassen und Aufnehmen.
Eigentliche und uneigentliche Erkenntnis.
Zweifache Erkenntnis.
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Divisio nulla.
Una cognitio ad omnia, sed diversimode habita.
Tria a mente diversimode cognoscentur.
Quae menti per speciem offeruntur.
quod nihil scitur
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non vult. Alia est imperfecta, qua res quomodolibet, qualitercumque apprehenditur. Haec nobis familiaris. Maior tamen, minor, clarior, obscurior, variis denique partita gradibus, pro variis hominum ingeniis. Hanc duplicem faciunt. Aliam externam, quae per sensus fit: sensualem subinde vocant. Aliam internam, quae a mente sola, sed nihil minus. Aliter haec pensanda sunt. Unum cognoscens homo est. Una cognitio in omnibus his. Eadem enim mens est quae externa, et quae interna cognoscit. Sensus nil cognoscit: nil iudicat: solum excipit quae cogniturae menti offerat. Quemadmodum aer non colores, non lucem videt: quamvis hos excipiat visui | offerendos. Tria tamen sunt quae a mente diversimode cognoscuntur. Alia omnino externa sunt, absque omni mentis actione. Alia omnino interna, quorum quaedam sine mentis opera sunt. Alia non omnino sine hac. Alia partim externa, partim interna. Deinde, illa se per sensus produnt: ista nullo modo per hos, sed immediate per se. Haec denique partim per hos, partim per se. Explicemus haec. Color, sonus, calor non possunt menti per se offerri, ut ea cognoscat, nisi sui speciem (per receptionem specierum nunc sensationem fieri recipiamus) organo ei recipiendae apto imprimant, quae eadem, vel sibi simi-
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Die andere ist unvollkommen und durch sie wird ein Ding auf irgendeine Weise, wie auch immer, erfaßt. Diese ist uns vertraut. Sie ist aber größer oder kleiner, klarer oder dunkler, sie ist schließlich in verschiedene Grade eingeteilt, je nach den verschiedenen Denkvermögen der Menschen. Aus der unvollkommenen Erkenntnis machen sie wiederum zwei: Die eine sei äußerlich und komme durch die Sinne zustande. Diese nennen sie dann sinnliche Erkenntnis. Die andere sei innerlich und komme durch den Geist allein zustande, aber nichts trifft weniger zu. Das muß anders erwogen werden. Ein einziges Erkennendes ist der Mensch. Eine einzige Erkenntnis gibt es in all diesen Dingen. Es ist nämlich derselbe Geist, der die äußeren und die inneren Dinge erkennt. Die Sinne erkennen nichts: sie urteilen nicht. Sie nehmen nur auf, was sie dem Geist darbieten, der dann die Erkenntnis vollzieht, wie auch die Luft weder Farben noch das Licht sieht, obschon sie sie aufnimmt, um sie dem Sehsinn darzubieten. Es gibt aber dreierlei Dinge, die vom Geist auf verschiedene Weise erkannt werden. Die eine Gattung umfaßt die gänzlich äußeren Dinge, die unabhängig von jeder Tätigkeit des Geistes sind. Die zweite Gattung umfaßt die gänzlich inneren Dinge. Von diesen sind gewisse ohne Zutun des Geistes, andere nicht ganz ohne dieses. Die dritte Gattung umfaßt die teilweise inneren, teilweise äußeren Dinge. Weiterhin bieten sich die ersten durch die Sinne dar, die zweiten keineswegs durch die Sinne, sondern unmittelbar durch sich selbst. Die dritten schließlich teilweise durch die Sinne und teilweise durch sich selbst. Erklären wir das. Farbe, Klang und Wärme können sich dem Geist nicht durch sich selbst darbieten, damit dieser sie erkenne, außer wenn sie eine Species von sich (wir wollen für den Moment annehmen, daß Wahrnehmung die Aufnahme von Species sei) einem Organ, das geeignet ist, sie aufzunehmen, einprägen.
Keine Einteilung.
Es gibt eine einzige Erkenntnis in allem, die aber verschiedene Modi aufweist.
Dreierlei Dinge werden vom Geist auf verschiedene Weise erkannt.
Dinge, die sich dem Geist durch eine Species darbieten.
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Quae per se ipsa intellectui obiiciuntur.
Quae partim ad intellectum veniunt, partim ab eo fiunt.
Plurima fingenda.
quod nihil scitur
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lis alia menti offertur, ut eam cognoscat, aut rem, cuius illa est species, per illam. Quae autem ab intellectu ipso omnino fiunt, quorumque ille pater est, et quae intus in nobis sunt, non per alias species, sed per seipsa se produnt et ostendunt intellectui. Talia sunt plurima quae sibi ipse fingit: ut etiam cum pluribus discursibus aliquid novi excogitat, concluditque: et cum intelligit ipse intellectionem suam: et cum coniunctiones, divisiones, comparationes, praedicationes, notionesque in se facit, ad eaque animum advertens cognoscit per seipsa. Secundi autem generis sunt omnia interna cum intellectu eadem, quae tamen sine eius opera fiunt, aut sunt: ut voluntas, memoria, appetitus, ira, metus, et reliqua pathemata, et quidquid aliud internum est, quod ab ipso intellectu cognoscitur immediate per se. Sunt denique plurima quae partim per sensus ad eum deveniunt: partim ab eo fiunt. Canis, magnetis natura nullo modo sensu capi potest. Vestita ergo colore, magnitudine, figura, per sensus ad animum defertur. Hic eam illis spoliat | accidentibus. Quod reliquum est considerat, versat, confert: denique naturam quandam sibi fingit communem, ut potest. Intelligentias in coelis mihi inculcant isti Philosophi. Ego audio quid dicant: sed non intelligo. Quamvis aliquid fingo, quod intelligentiam mihi referat. Aerem tactu utcumque percipio: sed sane nullam habet imaginem
magnetis corr. Thomson : nagnetis L : magneris [sic] L(e)
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Dieselbe Species oder eine andere, die dieser ähnlich ist, bietet sich dem Geist dar, damit dieser sie erkenne oder genau genommen damit er das Ding, dessen Species sie ist, durch sie erkenne. Die Dinge aber, die ganz vom Verstand selbst her, der ihr Vater ist, entstehen, und die in uns sind, bieten sich dem Verstand dar und zeigen sich ihm nicht durch Species, sondern durch sich selbst. So beschaffen sind die meisten Dinge, die der Verstand für sich selbst erfindet, zum Beispiel, wenn er nach vielen Erwägungen etwas Neues ausdenkt und daraus Schlüsse zieht, wenn er seine eigene Verstandestätigkeit erkennt und wenn er Verbindungen, Einteilungen, Vergleiche, Prädikationen und Begriffe in sich hervorbringt, und sie, indem er seine Aufmerksamkeit auf sie richtet, durch sie selbst erkennt. Zur zweiten Gattung gehören aber auch alle inneren Dinge, die ebenso mit dem Verstand sind, die aber ohne sein Zutun entstehen oder sind, zum Beispiel der Wille, das Gedächtnis, Streben, Zorn, Furcht und die übrigen Gemütsbewegungen und was auch immer innerlich ist und vom Verstand selbst unmittelbar durch sich erkannt wird. Schließlich gibt es sehr viele Dinge, die teilweise durch die Sinne zum Verstand gelangen und teilweise von ihm her entstehen. Die Natur des Hundes oder des Magneten kann keineswegs von den Sinnen erfaßt werden. Weil sie also bekleidet ist mit Farbe, Größe und Gestalt, wird sie durch die Sinne zum Geist übertragen. Dieser entkleidet sie der Akzidentien. Er betrachtet, was übrig bleibt, wendet es und vergleicht es. Schließlich ersinnt er für sich eine gewisse allgemeine Natur, soweit das möglich ist. Die Philosophen bleuen mir ein, es gebe Intelligenzen in den Himmelssphären. Ich höre, was sie sagen, aber ich verstehe es nicht. Gleichwohl ersinne ich etwas, was für mich die Intelligenz wiedergibt. Die Luft nehme ich irgendwie mit dem Tastsinn wahr, aber von ihr gibt es kein Bild in meinem Geist, außer dem,
Dinge, die sich durch sich selbst dem Verstand zeigen.
Dinge, die teilweise zum Verstand gelangen, teilweise von ihm her entstehen.
Zahlreiche Dinge müssen ersonnen werden.
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Infiniti figuratio.
Collatio cognitionis quae per sensus, et eius quae sine sensu fit.
quod nihil scitur
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in mente mea: nisi quandam, quam ego mihi finxi, corporis cuiusdam quasi incorporei: nescio quid. Vacuum eodem modo cogito. Infinitum comprehendo, nunquam finem comprehendendo: sed in media eius cogitatione quiesco coactus, cogitans, infinitum esse, quod in infinitum addendo, in infinitum imaginando, nunquam apprehensione terminabo. Sic speciem fingo terminatam quidem, sed cuius neutra extremitas terminata et perfecta est, sed quasi defectuosa, cum hac notione, quod non terminata sit, nec terminabilis: quia ei in aeternum addi possunt partes infinitae ex utroque extremo. Quid facias? Misera est conditio nostra. In media luce coecutimus, saepe lucem cogitavi, semper incogitatam, incognitam, incomprehensam reliqui. Idem est, si voluntatem, intellectum, aliaque, quae sensibus non percipiuntur, contempleris. Certus quidem sum, me nunc haec, quae scribo, cogitare, velle scribere, et optare ut vera sint, et ut a te approbentur: non tamen hoc nimis curare: sed cum considerare nitor, quid sit haec cogitatio, hoc velle, hoc optare, hoc non curare, sane deficit cogitatio, frustratur voluntas, increscit desiderium, augetur cura. Nil video, quod captare, aut apprehendere possim. Et quidem in hoc superatur cognitio, quae sine sensu de internis fit, ab ea, quae de externis per sensus habetur: in hac enim habet intel- | lectus quid captet, hominis
comprehendendo L : comprehendo T
dass nichts gewusst wird
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das ich für mich ersonnen habe, nämlich das eines gewissermaßen unkörperlichen Körpers. Ich weiß nicht was. Vom Leeren denke ich auf dieselbe Weise. Das Unendliche erfasse ich, ohne je ein Ende zu erfassen, aber inmitten meines Nachdenkens darüber bin ich zum Anhalten gezwungen, weil ich denke, daß dasjenige unendlich ist, was ich, da ich es bis ins Unendliche ergänzen und bis ins Unendliche mir vorstellen kann, nie durch Erfassen zu einem Abschluß bringen werde. So ersinne ich eine Species, die gewiß abgeschlossen ist, deren äußere Grenzen aber weder abgeschlossen noch vollkommen sind, sondern gewissermaßen unvollständig, zusammen mit der Vorstellung, daß sie weder abgeschlossen noch abschließbar sei, da ihr bis in alle Ewigkeit unbegrenzte Teile von beiden Seiten zugefügt werden können. Was willst Du tun? Elend ist unser Los. Mitten im Licht sind wir blind. Oft habe ich über das Licht nachgedacht und es wieder aufgegeben, weil das Licht undenkbar, unbekannt und unerkennbar ist. Es ist dasselbe, wenn du den Willen, den Verstand und anderes, was nicht durch die Sinne erfaßt wird, untersuchst. Ich bin mir ganz gewiß, daß ich in diesem Moment das, was ich schreibe, denke, daß ich es schreiben will, daß ich hoffe, es sei wahr und werde von dir gutgeheißen, daß ich mir darüber aber nicht allzu viele Sorgen mache. Aber wenn ich mich nach Kräften bemühe zu untersuchen, was dieses Denken, dieses Wollen, dieses Hoffen und dieses Sich-keine-Sorgen-machen sei, dann versagt allerdings das Denken, erfüllt sich der Wille nicht, wächst das Verlangen und nimmt die Sorge zu. Ich sehe nichts, was ich erfassen oder begreifen könnte. Und in der Tat wird die Erkenntnis der inneren Dinge, die ohne Sinne auskommt, in dieser Hinsicht von der Erkenntnis der äußeren Dinge übertroffen, die durch die Sinne erlangt wird. Denn in der zweiten hat der Verstand etwas, das er fassen kann, nämlich die Gestalt eines Men-
Bildliche Vorstellung des Unendlichen.
Gegenüberstellung der Erkenntnis, die durch die Sinne zustande kommt und jener, die ohne die Sinne zustande kommt.
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Ea quae discursu inveniuntur, incertum an sint.
Certissima cognitio a sensu. Incertissima a ratione. Scientia non est quae per syllogismos habetur.
quod nihil scitur
scilicet, lapidis, arborisque figuram, quam a sensu hausit: videturque sibi hominem comprehendere per eius imaginem. In illa vero, quae de internis fit, nil invenit quod comprehendere possit: discurritque hinc, inde, more coeci palpans, si quid tenere queat. Et id tantum. Contra autem certitudine vincitur cognitio, quae de externis per sensus habetur, ab ea, quae de internis, quae aut in nobis sunt, aut a nobis fiunt, trahitur. Certior enim sum, me et appetitum habere, et voluntatem: et nunc hoc cogitare, modo illud fugere, detestari, quam templum, aut Socratem videre. Dixi, de his quae in nobis aut sunt, aut fiunt, nos esse certos quod in re sint. Nam de his, quae discursu, et ratiocinatione de rebus iudicando opinamur, et colligimus quod ita in re sint, ut nos iudicamus, incertissimum est. Certiusque multo mihi est, chartam hanc, cui inscribo, et esse, et albam esse, quam eandem ex quatuor elementis compositam: et haec in ea actu esse: et formam aliam ab illis eam habere. Denique, si ea quae in nobis sunt, aut a nobis fiunt, demas: certissima omnium cognitio est, quae per sensus fit: incertissima omnium, quae per discursus. Nam haec non vere cognitio est: sed palpatio, dubitatio, opinatio, coniectura. Ex quo illud rursus emergit, scientiam non esse, quae per syllogismos, divisiones, praedicationes, et similes alias mentis actiones habetur. Sed si fieri posset ut, quemad-
– de internis L(e) : his L et colligimus L : colligimus L(e) ea deest in T coniectura L(e) : coniectatio L
dass nichts gewusst wird
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schen, eines Steins und eines Baums, die er aus den Sinnen schöpft, und es scheint ihm, daß er den Menschen durch dessen Bild erfasse. In der Erkenntnis der inneren Dinge findet er nichts, das er erfassen könnte. Er geht sie von beiden Seiten her durch, tastend wie ein Blinder nach irgend etwas, das er festhalten könne. Und das ist alles. Auf der anderen Seite wird im Hinblick auf die Gewißheit aber die Erkenntnis der äußeren Dinge, die durch die Sinne gewonnen wird, übertroffen von der Erkenntnis, die von den inneren Dingen her, welche entweder in uns sind oder durch uns entstehen, empfangen wird. Ich habe mehr Gewißheit, daß ich Verlangen habe und einen Willen, daß ich jetzt das bedenke und bald jenes meide und verabscheue, als daß ich einen Tempel oder Sokrates sehe. Ich habe gesagt, daß wir hinsichtlich der Dinge, die in uns sind oder entstehen, die Gewißheit haben, daß sie tatsächlich existieren. Hinsichtlich der Meinungen nämlich, die wir hegen, indem wir durch Erwägung und vernünftige Überlegung über die Dinge urteilen, und hinsichtlich der Schlußfolgerung, daß die Dinge tatsächlich so sind, wie wir urteilen, herrscht höchste Ungewißheit. Ich bin mir viel gewisser, daß das Papier, auf dem ich schreibe, existiert und daß es weiß ist, als daß es aus vier Elementen zusammengesetzt ist, daß diese in ihm aktual sind und daß es eine andere Form als diese hat. Wenn du schließlich von den Dingen, die in uns sind oder die durch uns entstehen, absiehst, dann ist diejenige Erkenntnis die gewisseste von allen, die durch die Sinne erlangt wird, diejenige aber die ungewisseste von allen, die durch Erwägung erlangt wird. Die zweite ist nämlich keine echte Erkenntnis, sondern ein Tasten, Zweifeln, Meinen und Vermuten. Daher drängt sich wieder auf, daß es keine Wissenschaft gibt, die durch Syllogismen, Einteilungen, Prädikationen und andere ähnliche Tätigkeiten des Geistes erlangt wird. Wenn es aber möglich
Die Existenz der Dinge, die durch Erwägung gefunden werden, ist ungewiß.
Die gewisseste Erkenntnis kommt von den Sinnen, die ungewisseste von der Vernunft.
Es gibt keine Wissenschaft, die durch Syllogismen erlangt wird.
158 Quomodo scientia haberi debet.
In cognitione quae per sensus, duo sunt media.
Non per aliud cognosci debet quod perfecte cognosci debet.
De accidentibus quare non perfecta cognitio.
quod nihil scitur
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modum externas rerum qualitates quomodocumque sensu percipimus, sic internam rationem cuiuscumque rei amplecteremur, tunc vere scire diceremur. At hoc nullus unquam potuit, quod sciamus. Unde nihil scimus. De cognitione porro, quae de internis: | et de alia, quam non cognitionem, sed opinionem voco: quae per coniunctiones, negationes, comparationes, divisiones, et alias mentis actiones fit, suo loco amplius agetur, ubi utriusque inscitia manifestabitur. Nunc autem de ea solum, quae de externis per sensus habetur, nonnihil dixisse sufficiat. In hac duo sunt media: quandoque tria, aut quatuor: sed duo semper, per quae sensatio fit: sive illa intro, sive ex tramissione fiat. Nec enim nunc id nos morabitur. Alterum internum, oculus. Alterum externum, aer. An per haec aliquid perfecte cognoscitur? Nequaquam. Nam non per aliud cognosci debet, quod perfecte cognosci debet: sed per seipsum ab ipsomet cognoscente immediate. Nunc autem rerum substantia per accidentia, quae sensibus percipiuntur, se prodit: aut contra his se abscondit. Mens, de rerum substantia per fallaces sensus informatur, aut alias decipitur. Quomodo ergo perfecte aliquid scire possimus? Atque de substantiis rerum scientia esse debet, ex te. De accidentibus vero an perfecta cognitio? Hoc minus. Iuvabat unum, quod
ex tramissione L : extramissione T
dass nichts gewusst wird
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wäre, daß wir, wie wir die Qualitäten der äußeren Dinge irgendwie durch die Sinne wahrnehmen, ebenso auch die innere Natur jedes beliebigen Dinges erfaßten, dann würde man zu Recht sagen, daß wir etwas wissen. Das konnte jedoch noch nie jemand, soweit ich weiß. Daher wissen wir nichts. Weiter werde ich die Erkenntnis der inneren Dinge und die andere, die ich nicht Erkenntnis, sondern Meinung nenne, die durch Verbindungen, Verneinungen, Vergleiche, Einteilungen und andere Tätigkeiten des Geistes zustande kommt, gegebenen Ortes ausführlicher behandeln, wo die Unwissenheit, die beiden anhaftet, sich offen zeigen wird. Für den Moment aber soll es genügen, nur einiges über die Erkenntnis der äußeren Dinge, die durch die Sinne erlangt wird, zu sagen. Bei dieser gibt es zwei Medien, manchmal auch drei oder vier aber immer mindestens zwei, durch die die Wahrnehmung zustande kommt, sei es, daß sie innerlich ist oder daß sie aus einer Übertragung erfolgt. Das wird uns im Moment nicht aufhalten. Das eine Medium ist innerlich, nämlich das Auge, das andere ist äußerlich, nämlich die Luft. Wird etwa durch diese beiden irgend etwas vollkommen erkannt? Keineswegs. Nicht durch ein anderes nämlich darf erkannt werden, was vollkommen erkannt werden soll, sondern es muß durch sich selbst vom Erkennenden höchstselbst unmittelbar erkannt werden. Nun zeigt sich aber die Substanz der Dinge durch die Akzidentien, die mit den Sinnen wahrgenommen werden, oder im Gegenteil, sie verbirgt sich unter diesen. Der Geist wird durch die trügerischen Sinne über die Substanz der Dinge unterrichtet oder wird auf andere Weise getäuscht. Wie könnten wir also irgend etwas vollkommen wissen? Aber Wissenschaft gibt es nur von den Substanzen der Dinge gemäß deinem Standpunkt. Gibt es aber etwa von den Akzidentien vollkommene Erkenntnis? Das ist noch weniger der Fall. Nur etwas spricht da-
Wie Wissenschaft erlangt werden muß.
Bei der Erkenntnis, die durch die Sinne erlangt wird, gibt es zwei Medien.
Es darf nicht durch ein anderes erkannt werden, was vollkommen erkannt werden soll.
Weshalb es keine vollkommene Erkenntnis der Akzidentien gibt.
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Accidentia saepe nos fallunt.
Visus perfectissimus sensuum.
Varia media per quae visus fit.
Visu quae discernantur.
Aqua varie refert.
Aer varius in representando.
Vitrum, cornu, crystallus ut lubet referunt.
quod nihil scitur
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scilicet percipiuntur sensu. Nocent plura, quod nil pene sunt: quod ad mentem nec ipsa perveniunt, sed eorum imagines solum: quod denique sensum saepissime fallunt. Hoc propter medii, tam externi, quam interni, varietatem in substantia, situ, et dispositione. Sufficiat de uno, aut altero sensu dixisse. De visu. Qui etiamsi perfectissimo organo fiat, et sensuum certissimus, nobilissimusque sit, saepissime tamen fallitur. Externum medium varium esse solet: varie proinde sensum afficit. Aer, commune, res videtur melius referre: omnis enim coloris expers apparet. Aqua | aliter representat. Haec naturalia. Artificialia plurima, vitrum, cornu derasum, cristallus, et similia. Cui horum credes? Visu non solum colores discernuntur, sed magnitudo, numerus, figura, motus, distantia, asperitas, luciditas: et quae ad haec referuntur: ut aequalitas, similitudo, velocitas: et horum contraria. Aqua, obscura reddit corpora, bina, maiora, alias minora, alterius figurae, crassiora, mobilia, laevia. Nec semper hoc, sed alias aliter. Aer quandoque crassa, in Austro, obscura, magna, duplicia in Echo, in Sole, in Luna: quandoque contra. Quin et picta quandoque sculpta, vivaque apparent: sculpta quoque saepissime viva. Vitrum, cornu, et cristallus ut lubet, maiora, minora: crassa, tenuia: eiusdem coloris, varii coloris: pro arti-
Hoc L : Haec T
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161
für, nämlich, daß sie durch die Sinne wahrgenommen werden. Viel spricht dagegen, nämlich, daß sie beinahe nichts sind, daß sie nicht selbst zum Geist gelangen, sondern nur ihre Bilder und daß sie schließlich die Sinne in den allermeisten Fällen täuschen. Der Grund dafür ist die Mannigfaltigkeit sowohl des äußeren als auch des inneren Mediums in Substanz, Lage und Disposition. Es mag genügen, über irgendeinen Sinn zu sprechen. Sprechen wir über den Sehsinn. Obschon dieser Sinn auf dem vollkommensten Sinnesorgan beruht und der gewisseste und vorzüglichste ist, wird er doch sehr oft getäuscht. Das äußere Medium ist normalerweise unterschiedlich beschaffen, weshalb es auf unterschiedliche Weise auf den Sinn einwirkt. Luft scheint die Dinge gewöhnlich ziemlich gut wiederzugeben, denn sie erscheint gänzlich frei von Farben. Wasser dagegen repräsentiert die Dinge anders. Das sind die natürlichen Medien, daneben gibt es noch viel mehr künstliche, zum Beispiel Glas, Hornscheiben, Kristall und ähnliches. Welchem von ihnen wirst du glauben? Durch den Sehsinn werden nicht nur die Farben unterschieden, sondern auch Größe, Anzahl, Gestalt, Bewegung, Distanz, Rauheit, Helligkeit und was einen Bezug zu diesen hat, wie zum Beispiel Gleichheit, Ähnlichkeit und Geschwindigkeit und das jeweilige Gegenteil. Wasser läßt die Körper undeutlich erscheinen, zum Beispiel verdoppelt, größer oder auch kleiner, mit einer anderen Gestalt, dicker, beweglicher und glatter und nicht immer so, sondern manchmal anders. Luft läßt sie manchmal dick erscheinen, zum Beispiel bei Südwind, oder undeutlich, groß und verdoppelt im Echo, der Sonne und dem Mond und manchmal auf entgegengesetzte Weise. Ja, Gemälde erscheinen manchmal als Skulpturen und als lebendig. Auch Skulpturen erscheinen sehr oft als lebendig. Glas, Horn und Kristall lassen je nach Belieben kleine Dinge größer erscheinen, dicke dünn und einfarbige ver-
Die Akzidentien täuschen uns oft.
Der Sehsinn ist der vollkommenste der Sinne.
Verschiedene Medien, durch die das Sehen zustande kommt.
Was durch den Sehsinn unterschieden wird.
Wasser gibt die Dinge unterschiedlich wieder.
Luft ist verschieden bei der Wiedergabe.
Glas, Horn und Kristall geben die Dinge nach Belieben wieder.
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Quando aeri credendum. Simplicem aerem nullus vidit. Idem perpetuo mutatur. Duo media in visu per vitrum. Experimentum.
Quae ad substantiam medii externi referantur.
quod nihil scitur
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ficis denique voluntate. Hinc tot speculorum, specillorumque diversitates. Quod horum melius refert, et verius? Nescias certo. Si aerem dicas, et negavero, non probabis. Sed volo. At quandoque maiora, aliquando minora refert. De colore multo maior dubitatio. Quando illi credendum? Quando naturae suae magis propinquus, minusque ab extraneo affectus. At quis illius naturam novit? Quis simplicem vidit? Perpetua mutatio a Sole, Luna, et aliis superne: inferne, terra, aqua, et mixtis. De vitro et aqua idem censendum: imo difficilior solutio. Duo enim sunt externa media in visu, qui per vitrum aut aquam fit, aer, et illa. Monetam vasculo lato impone: humi residere fac vas: a quo eo te semoveris, donec monetam non videas amplius. Tunc iube aqua impleri vas: videbis statim monetam, et maiorem quam antea. Cur non poteras antea per aerem videre, cum per te optimum sit medium? Cur nunc | maior apparet moneta? Nescimus. Opinari licet aliquid tantum: et nos id dicemus cum ad rerum examen ventum erit. Atque haec de substantia externi medii: ad quam etiam referuntur crassities, vel tenuitas, magnitudo, vel parvitas, figura haec, vel illa medii, per quod videtur aliquid. Haec enim quamvis in aere non omnia reperiantur: tamen in factitiis mediis
dass nichts gewusst wird
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schiedenfarbig, alles nach dem Willen des Fachmanns. Daher auch die Mannigfaltigkeit der Spiegel und Spiegelchen. Welches von all diesen gibt die Dinge besser und wahrheitsgetreuer wieder? Du weißt es wohl nicht mit Gewißheit. Solltest du sagen, die Luft, und ich verneinte das, wirst du es nicht beweisen. Aber ich nehme an, es sei so. Dennoch gibt sie die Dinge manchmal als größer wieder, manchmal als kleiner. Hinsichtlich der Farbe besteht noch viel größerer Zweifel. Wann können wir der Luft glauben? Wenn sie mehr ihrer eigenen Natur entspricht und weniger von außen auf sie eingewirkt wird. Wer aber kennt ihre Natur? Wer hat sie je unvermischt gesehen? Sie ist beständiger Veränderung unterworfen durch Sonne, Mond und andere Dinge in der Höhe und hier unten durch Erde, Wasser und Mischungen. In bezug auf Glas und Wasser muß man auch dieser Meinung sein: hier ist die Lösung sogar noch schwieriger. Zwei äußere Medien sind involviert, wenn etwas durch Glas oder Wasser gesehen wird, Luft und das andere Medium. Lege eine Münze in eine breite Schale, stelle dieses Gefäß auf den Boden und entferne dich soweit, bis du die Münze nicht mehr siehst. Laß dann das Gefäß mit Wasser füllen, und sogleich wirst du die Münze sehen, und sie wird größer erscheinen als vorher. Weshalb konntest du sie vorher durch die Luft nicht sehen, obschon diese gemäß deinem Standpunkt das beste Medium ist? Weshalb erscheint die Münze nun größer? Wir wissen es nicht. Wir können nur Meinungen hegen, und ich werde das behandeln, wenn ich zur Untersuchung der Dinge komme. Und auch das folgende betrifft die Substanz des äußeren Mediums. Auf diese beziehen sich auch Dicke oder Dünnheit, Größe oder Kleinheit, diese oder jene Gestalt des Mediums, durch welches etwas gesehen wird. Obschon nämlich nicht all diese Eigenschaften in der Luft gefunden werden können, bewirken sie in den künstlichen Medien,
Wann der Luft geglaubt werden muß.
Unvermischte Luft hat niemand gesehen. Sie ändert sich beständig.
Zwei Medien beim Sehen durch Glas.
Experiment.
Was sich auf die Substanz des äußeren Mediums bezieht.
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Situs rei varius, variare solet sensum.
Aristot. Demonstratio de propinquitate Planetarum unde occasionem sumpsit.
quod nihil scitur
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multum variare faciunt rem visam. Crassum enim vitrum aliter ostendit, quam tenue: quadratum aut rotundum aliter, quam triangulare: magnum aliter quam parvum. Ostendunt id variae fabricatae cristalli, vitrique normae, per quas res erectas, vel inversas, huius, vel alterius coloris, figuraeque videas: denique diversas ab eo quod sunt. Multum mare et ipsum coeruleum conspicitur, et quae sub eo sunt, eodem colore notat. Paucum contra album. Quomodo fit id? Nescis. Nec ego. Situs rei varius variare solet etiam sensum. Medii itidem. In specillis id manifestum est: si oculo admoveas aliter referunt, quam si paululum removeas. In aere non minus. Lucerna cominus aequalis apparet, oblonga, quieta, parva, fulva: eminus rotunda, radians undique, et inaequalis, scintillans, et mobilis (unde Aristoteles demonstrationem suam assumpsit, ut probet Planetas esse prope nos: quia non scintillant) magna, clara, et sine colore. Quae longe sunt, obscura apparent, parva: quae prope nimis, aut non videntur, aut aliter quam sunt. Quid facies? Medium tenendum. Ubi est medium illud? An ad duos passus, aut quolibet alio certo numero? Qui longe a nobis est, etiamsi celerrime currat, tamen lente admodum moveri videtur: praecipue si deorsum ex | alto, aut contra inspicias. Quae sensim fiunt sensum effugiunt: ut radii motus in
eodem L : eo T
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daß ein Ding auf vielfältige Weise erscheint. Eine dicke Glasscheibe nämlich zeigt ein Ding anders als eine dünne, eine quadratische oder runde anders als eine dreieckige, eine große anders als eine kleine. Das zeigen die verschiedenen künstlichen Formen aus Kristall und Glas, durch welche du die Dinge aufrecht oder auf den Kopf gestellt oder in dieser oder jener Farbe und Gestalt sehen kannst. Überhaupt erscheinen sie verschieden von dem, was sie sind. Wenn das Meer tief ist, erscheint es dunkelblau, und es färbt, was unter seiner Oberfläche ist, mit derselben Farbe ein. Wenn es hingegen untief ist, erscheint es durchsichtig. Wie geschieht das? Du weißt es nicht und ich auch nicht. Wenn die Lage eines Dinges verändert wird, verändert sie normalerweise auch die Wahrnehmung. Dasselbe trifft für das Medium zu. Bei den Spiegeln zeigt sich das deutlich. Wenn du einen zum Auge hin bewegst, gibt er die Dinge anders wieder, als wenn du ihn ein klein wenig wegbewegst. Bei der Luft zeigt es sich nicht weniger deutlich. Eine brennende Lampe erscheint in der Nähe gleichmäßig, länglich, ruhig, klein und gelb, in der Ferne aber rund, in alle Richtungen strahlend und ungleichmäßig, funkelnd und unbeständig (daraus bezog Aristoteles seinen Beweis, mit dem er zeigen wollte, daß die Planeten uns nahe seien – weil sie nicht funkeln), groß, klar und farblos. Dinge, die weit weg sind, erscheinen unklar und klein, diejenigen, die zu nahe sind, werden entweder nicht gesehen oder anders, als sie sind. Was willst du tun? Man muß sich an die mittlere Distanz halten. Wo ist jene mittlere Distanz? Beträgt sie zwei Schritte, oder ist sie durch irgendeine andere Zahl bestimmt? Wenn jemand weit weg von uns ist, scheint er sich, auch wenn er schnell rennt, trotzdem nur langsam zu bewegen, vor allem wenn du ihn von einer Höhe aus abwärts oder umgekehrt beobachtest. Was mit Weile geschieht, entzieht sich den Sinnen, zum Beispiel die
Die veränderte Lage eines Dinges verändert normalerweise die Wahrnehmung.
Woher Aristoteles’ Beweis für die Nähe der Planeten seinen Ausgangspunkt nimmt.
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Situs colores variat.
quod nihil scitur
horologio. Quomodo certo iudicabis? Ignoras. Magis ego. Nec vero hoc parum scire refert. Hinc enim emergit perpetua dubitatio de magnitudine stellarum: ut de distantia, de celeritate, de loco taceam: quae omnia inde videntur pendere. Quae enim ad manus habemus, licet utcumque identidem, et diversis sensoriis, si communia sint, explorare, et certius proxime cognosse. At illa quis potest? Nec illa solum. Si e longe baculum aquae semiimmersum videas, contortus, aut refractus apparebit. Dices integrum tamen esse: quia alias expertus es. At fractus sit, apparebit nihilominus fractus. Non enim hic valet contrariorum ratio. Asseres integrum esse, superiori ratione: et tamen falsum est. Quid facies, nisi ab aqua extrahere possis? Dubius manebis. In coloribus vero quantum intersit situs, ostendit Iris, vitrum aqua plenum, columba variegata, sericae telae ex diversis contextae coloribus, vicinitas corporis splendentis alterius coloris (ut etiam, si plano perpendiculariter imponas auream, argenteamve laminam: multoque magis si deorsum inclines): quae omnia huc atque illuc mota varium admodum referunt colorem. In quo situ verum ostendere colorem dices? In eadem parte modo ruber, nunc fulvus, dein caeru-
manus L(e) : munus L
dass nichts gewusst wird
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Bewegung der Zeiger an einer Uhr. Wie wirst Du sicher urteilen? Du weißt es nicht und ich noch weniger. Es ist aber nicht wenig daran gelegen, dies zu wissen. Denn hieraus entsteht nicht endender Zweifel über die Größe der Sterne, ganz zu schweigen vom Zweifel über ihren Abstand zu uns, über ihre Geschwindigkeit und ihren Ort – Fragen, die alle von diesem Problem abzuhängen scheinen. Was wir nämlich bei der Hand haben, können wir immer wieder auf jede beliebige Weise und mit verschiedenen Sinnen, wenn es verschiedenen Sinnen zugänglich ist, untersuchen, und wir können es aus der Nähe besser erkennen. Aber wer kann dies bei den vorhergenannten Dingen tun? Und nicht nur bei jenen. Wenn du aus weiter Entfernung einen Stab siehst, der halb ins Wasser getaucht ist, wird er geknickt oder gebrochen erscheinen. Du wirst sagen, er sei trotzdem ganz, weil du bei anderer Gelegenheit diese Erfahrung gemacht hast. Aber sollte er gebrochen sein, wird er nichtsdestoweniger gebrochen erscheinen. Denn der Schluß auf das Entgegengesetzte ist hier nicht statthaft. Du wirst behaupten, er sei aufgrund der obigen Überlegung ganz, und trotzdem ist es falsch. Was wirst du tun, wenn du ihn nicht aus dem Wasser ziehen kannst? Du wirst im Zweifel verharren. Wieviel bei den Farben aber die Lage ausmacht, zeigen der Regenbogen, das Glas gefüllt mit Wasser, die bunte Taube, Seidenstoffe, die aus verschiedenen Farben gewoben sind, und die Nähe eines Körpers, der in einer anderen Farbe leuchtet (auch wenn du zum Beispiel eine Gold- oder Silberplatte senkrecht auf eine ebene Fläche stellst und noch viel mehr, wenn du sie gegen unten neigst). Bei all diesen Dingen, wenn man sie hierhin oder dahin bewegt, erscheinen die Farben ganz verschieden. In welcher Lage zeigen sie deiner Meinung nach die wirkliche Farbe? An der gleichen Stelle war das Ding eben gerade noch rot, jetzt ist es gelb, hierauf dunkelblau. Wel-
Die Lage verändert die Farben.
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Numerus, figura, motus, magnitudo, a situ variantur.
Varia dispositio externi medii sensum variat.
In mediis quae per superficiem ostendunt nulla constantia.
In interno medio tot difficultates, quot in externo.
quod nihil scitur
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leus. Quis horum proprius? Dubitare tantum licet. Numerum autem, figuram, motum, magnitudinemque a vario variari situ, (quoad sensum intelligimus, non in se) non est quod prolixius ostendamus: cum id quotidiano usu experiri possis. Atque sufficiant haec de situ. Externi medii variam dispositionem ea, quae per id referuntur, variare est ne- | cesse. Iam partim diximus. In crasso aere obscura apparent omnia, parva. In tenui contra. In prato omnia viridia fiunt. Circa rubra, aut crocea, his notantur corpora. In multa luce videre non licet: praecipue alba, aut maxime lucida corpora. In tenebris minus. Circa has, vel illam, dubie, et fallaciter. Quod medium? Designa tu. Sed et in aere, artificioso igne illustrato, alii ac alii videntur colores, aliaeque figurae, pro materiae ignis varietate. Si medium vitrum sit, aut cristallus, pro horum coloribus, variisque figuris, et consistentia, aliter, atque aliter res significantur. Haec media sunt, per quorum medium res videntur. Alia vero per superficiem ostendunt. In his nulla constantia. Quot figurae monstrosae, ridiculae, multiplicatae, inversae, truncatae? Quid non fingunt specula? Quid de his iudicabis? An figuram vides illam? Non est: quomodo videas? Vides tamen: quomodo id? Non sine ratione ignoras. Transeamus iam ad internum medium, in quo tot contingunt difficultates. Elato oculo uno, aut
proprius L(e) : proprior LT
dass nichts gewusst wird
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che von diesen Farben ist die eigentliche? Man kommt nicht über das Zweifeln hinaus. Ich habe aber keinen Grund, ausführlicher zu zeigen, daß Anzahl, Gestalt, Bewegung und Größe sich je nach verschiedener Lage verändern (nicht an sich, sondern insofern wir den sinnlichen Gehalt erkennen), da du das im Alltag erfahren kannst. Daher mögen diese Ausführungen über die Lage reichen. Die verschiedene Disposition des äußeren Mediums verändert notwendigerweise das, was durch das Medium wiedergegeben wird. Das habe ich teilweise bereits gesagt. In dichter Luft erscheinen alle Dinge unklar und klein. In dünner erscheinen sie auf entgegengesetzte Weise. Auf einer Wiese wird alles grünlich. In der Nähe von roten oder safrangelben Dingen werden die Körper entsprechend gefärbt. Bei starkem Licht kann man nichts sehen, vor allem nicht weiße oder sehr helle Körper. Bei Dunkelheit noch weniger. Im Bereich der Dunkelheit oder des starken Lichts ist die Wahrnehmung zweifelhaft und täuschend. Was ist das mittlere Lichtverhältnis? Bestimme du es. Aber auch in der Luft, die durch ein Feuerwerk erhellt ist, erscheinen die Farben immer wieder anders und ebenso die Gestalten, je nach Verschiedenheit der Materie des Feuerwerks. Wenn das Medium Glas ist oder auch Kristall, werden die Dinge je nach deren Farben, verschiedenen Formen und je nach Konsistenz jeweils verschieden bezeichnet. Das sind die Medien, mittels deren Vermittlung die Dinge gesehen werden. Andere zeigen die Dinge mittels der Oberfläche. In ihnen gibt es keine Beständigkeit. Wieviele mißgestaltete, lächerliche, vervielfachte, verkehrte und verstümmelte Gestalten! Was geben Spiegel nicht vor? Wie urteilst du über sie? Siehst du etwa jene Gestalt? Sie existiert nicht. Wie kannst du sie sehen? Dennoch siehst du sie. Wie das? Nicht ohne Grund weißt du es nicht. Gehen wir nun zum inneren Medium über, bei dem sehr viele Schwierig-
Anzahl, Gestalt, Bewegung und Größe werden durch die Lage verändert.
Die verschiedene Disposition des äußeren Mediums verändert die Wahrnehmung.
Bei den Medien, die die Dinge mittels der Oberfläche zeigen, gibt es keine Beständigkeit.
Beim inneren Medium treten ebensoviele Schwierigkeiten auf wie beim äußeren.
170 In transversum ductus oculus binas res refert.
Oculi situs visum variat.
quod nihil scitur
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in transversum deducto, (quanquam aliter Aristoteles senserit) binae res apparent. Unde mirum, quod qui strabismo laborant binas res omnes non videant. Sed rationem in rerum Examine reddemus. Idipsum illud contingit, si in latus recumbens, corpus aliquod coram te habeas, quod inferiorem oculum cooperiat. Tunc enim superior oculus omnia, quae infra corpus illud sunt, percipiet: alter vero solum corpus illud: nec distincte, sed nubis modo. Sic altero, quae post corpus sunt, inspiciente, altero ipsum corpus, simul videmur videre corpora duo, quorum unum supra aliud est. Facilius autem id experieris, si oculum unum ad externum angulum | movens, quae a latere sunt respicias. Tunc enim altero oculo illuc vergente, nasus se obiicit videndus, apparetque umbrae modo ea, quae ab altero oculo videntur, superinducere. Eodem modo si digitum oculis praesentes, non tamen eum inspicias: sed ad ea, quae aut post eum, aut ad latera sunt, animum vertas, duplex nihilominus apparebit. Idem continget, si ambos oculos ad nasum vertas: duplicia omnia videbuntur. Moto oculo uno, quae videntur, moveri videntur. Imo ex duabus apparentibus rebus, altera movetur, quiescente alia. Sed et altera ad dextram, ad laevam altera movetur, si librum inspiciens, oculos per seipsos sine digiti adminiculo iugiter moveas, lineas solum respiciens non legendo. Accedit etiam ad haec oculi situs profundus, vel eminens, natura, aut casu. Quo-
dass nichts gewusst wird
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keiten auftreten. Wird nur das eine Auge hinauf oder zur Seite gerichtet, erscheinen die Dinge (obgleich Aristoteles das anders sah) doppelt. Daher ist es verwunderlich, daß diejenigen, die schielen, nicht alle Dinge doppelt sehen. Den Grund dafür werde ich aber in der Untersuchung der Dinge angeben. Dasselbe tritt ein, wenn du auf der Seite liegend einen Körper vor dir hast, der das untere Auge verdeckt. Dann nimmt nämlich das obere Auge alles wahr, was unterhalb jenes Körpers ist, das andere aber nur jenen Körper und nicht deutlich, sondern nur durch Wolken. Indem wir so mit dem einen Auge sehen, was hinter dem Körper ist, und mit dem anderen den Körper selbst, scheinen wir zugleich zwei Körper zu sehen, von denen sich der eine über dem anderen befindet. Dieselbe Erfahrung kannst du aber leichter machen, wenn du ein Auge in den äußeren Augenwinkel bewegst und auf die Dinge schaust, die sich auf der Seite befinden. Wenn sich dann nämlich das andere Auge dorthin wendet, stellt sich ihm die Nase ins Blickfeld und scheint wie ein Schatten das, was vom anderen Auge gesehen wird, von oben zu überziehen. Ebenso verhält es sich, wenn du einen Finger vor die Augen hältst, ihn aber nicht anschaust, sondern deine Aufmerksamkeit auf das richtest, was hinter oder neben ihm ist: Er wird nichtsdestotrotz doppelt erscheinen. Dasselbe wird eintreten, wenn du beide Augen auf die Nase richtest: alles wird doppelt erscheinen. Bewegt man ein Auge, scheint sich das, was gesehen wird, zu bewegen. Ja, von zwei Dingen, die erscheinen, bewegt sich das eine, während das andere unbewegt ist. Aber ebenso bewegt sich das eine nach rechts und nach links das andere, wenn du ein Buch anschaust, wobei du die Augen von selbst ohne die Unterstützung eines Fingers fortlaufend bewegst und nur die Linien betrachtest, nicht aber liest. Dazu kommt noch die Lage des Auges, die von Natur aus oder wegen eines Unfalls tiefgelagert oder
Wird das Auge zur Seite bewegt, gibt es die Dinge doppelt wieder.
Die Lage des Auges verändert den Sehsinn.
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Quae ad oculi situm referuntur.
Colores ab oculi situ variantur. Philosophos quid moverit aliquos dubitare de omni sensib. Pyrrhonici, Democrit. et Epicur. id asserebant. vide Laert. . et . Plutarc. contra Colotem Interna media quinque. Pro varia medii interni substantia varia est cognitio.
quod nihil scitur
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rum maxima in videndo diversitas. Multoque magis, si altero profundo, alter eminens sit. Si quoque elatior alter, alius depressus: sed hic manifestus error. Illic autem, ubi uterque aut profundus, aut eminens, nullus. Ad situm etiam refertur maior, aut minor palpebrae commissio, aut apertio. Si lucernam inspicias conniventibus oculis, apparebunt plurimi radii ad oculos protendi: moventurque ad motum palpebrae: si omnino aperias, quiescunt, nec tam longi sunt. Sufficiant haec exempli causa: ex quibus tu alia complurima coniectare, experirique poteris. Colores a vario oculi situ non minus, quam a vario rei videndae, mediique situ mutantur. Sed iam dictum est. Haec tu forsan minimi facis: nec scientiam impedire posse cogitas. At longe aliter res habet. Moverunt enim haec illos, ut et de omni quod sensibus apparet, dubitarent: et crederent, | colores non in rebus permanentes esse: sed a luce fieri, variarique. De quo alibi dictum a nobis est, ut videbis. Sed iam pergamus ad substantiam. Interna media quinque numerantur a Philosophis, visus, tactus, gustus, auditus, olfactus. Diversae horum omnium substantiae. Proinde et diversae etiam res ab
coniectare L(e) : coniectari L
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hervortretend sein kann. Die Verschiedenheit dieser Lagen wirkt sich sehr stark auf den Sehsinn aus und um so mehr, wenn ein Auge tief gelagert ist und das andere hervortritt und ebenso wenn ein Auge höher und das andere tiefer gelegen ist. In diesen Fällen ist der Fehler jedoch deutlich erkennbar. Im anderen Fall aber, wo beide Augen entweder tief gelagert oder hervortretend sind, nicht. In Beziehung zur Lage steht auch die größere oder kleinere Schließung bzw. Öffnung der Augenlider. Wenn du eine Lampe mit halbgeschlossenen Augen anschaust, werden sehr viele Strahlen erscheinen, die sich zu den Augen hin erstrecken, und sie bewegen sich je nach Bewegung der Augenlider. Wenn du die Augen ganz öffnest, werden die Strahlen unbeweglich und sind nicht mehr so lang. Die genannten Fälle mögen als Beispiele genügen. Aufgrund von ihnen wirst du für dich sehr viele andere Vermutungen anstellen und Erfahrungen machen können. Die Farben ändern sich nicht weniger aufgrund der unterschiedlichen Lage des Auges als aufgrund der unterschiedlichen Lagen des Objekts der Wahrnehmung und des Mediums. Aber das wurde schon gesagt. Du mißt all dem vielleicht kaum Bedeutung bei und bist nicht der Meinung, daß das die Wissenschaft behindern kann. Aber die Sache verhält sich ganz anders. Diese Probleme brachten nämlich gewisse Philosophen dazu, alles, was den Sinnen erscheint, zu bezweifeln und zu glauben, daß die Farben nichts Beständiges in den Dingen seien, sondern daß sie durch das Licht verursacht und verändert würden. Darüber habe ich andernorts gesprochen, wie du sehen wirst. Aber gehen wir nun weiter zur Substanz. Die Philosophen zählen fünf innere Medien, den Sehsinn, den Tastsinn, den Geschmacksinn, den Gehörsinn und den Geruchsinn. Diese haben alle eine verschiedene Substanz. Daher werden von ihnen auch verschiedene Dinge wahrgenommen. Dennoch gibt
Was in Beziehung zur Lage des Auges steht.
Die Farben werden durch die Lage der Augen verändert.
Was einige Philosophen dazu brachte, alles sinnlich Wahrnehmbare zu bezweifeln.
Das behaupten die Pyrrhoneer, Demokrit und Epikur, vgl. Diog. Laert. ,; ; und , und Plut. adv. Col. e. Fünf innere Medien. Je nach verschiedener Substanz des inneren Mediums ist die Erkenntnis verschieden.
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In figura, et magnitudine magis decipitur oculus quam tactus.
Nil certius, nil fallacius sensu.
quod nihil scitur
eis percipiuntur: sunt tamen quaedam communes. Tetigimus supra: magnitudo, numerus, figura etc. Percussionem unam videt oculus: binum audit ictum auris: si non vidisset oculus, sine dubio duos iudicasses fuisse ictus. Esto coecus: percutiam bis: aut ego semel: alius autem procul a me, statim post me, quasi altera Echo. Dices ab aliquo monitus, si nunquam vidisti, Echo esse: et falsum. Imo vide. Iubeo alium clam post me percutere. Dices Echo. Non est. Currente equo iudicat saepissime auris duos esse. Aut si duo sint, aequali tamen gradiantur passu, unum: imo oculus, si e longe sit: si plura sint quae moveantur, magis utrumque fallitur. In magnitudine non minus. Quod oculus parvum, auris magnum: et contra. In figura multo magis decipitur oculus, quam tactus: quemadmodum et hic minus, quam ille in magnitudine. Quae prope sunt, distantissima quandoque videntur visui, et auditui: magis tamen huic: alias contra. Non minus fallitur tactus in distantia: cui si magnum calidum adsit, etiamsi longe: tamen prope iudicat esse, propter magnam impressionem. Naribus quoque saepissime imponitur. Quid multa profero? Nil certius sensu: nil eodem fallacius. Cui credes? an auri? an oculo? Lupum
altera L(e) : alter LT
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es Dinge, die verschiedenen Sinnen zugänglich sind. Diese habe ich oben berührt: Größe, Anzahl, Gestalt und so weiter. Eine einzige Erschütterung sieht das Auge, zwei Schläge hört das Ohr. Hätte das Auge nichts gesehen, hätte dein Urteil zweifellos gelautet, daß es zwei Schläge waren. Nehmen wir an, du seist blind. Ich würde zweimal schlagen, oder ich nur einmal, ein anderer aber, der fern von mir ist, würde gleich nach mir schlagen wie ein Echo. Darauf hingewiesen, wirst du sagen, wenn du nie etwas gesehen hast, daß es ein Echo war, und das ist falsch. Nehmen wir nun aber an, daß du siehst. Ich befehle jemandem, im Verborgenen zu schlagen, nachdem ich geschlagen habe. Du wirst sagen, es sei ein Echo, und das ist es nicht. Wenn ein Pferd galoppiert, urteilt das Ohr meistens, daß es zwei seien, oder wenn es zwei sind, die aber im Gleichschritt einhergehen, urteilt es, daß es eines sei. Ja, noch viel mehr gilt das für das Auge bei großer Distanz. Wenn mehrere Dinge in Bewegung sind, dann werden Ohr und Auge noch leichter getäuscht. Bei der Größe ist das nicht weniger der Fall. Was dem Auge klein erscheint, erscheint dem Ohr groß und umgekehrt. Hinsichtlich der Gestalt täuscht sich das Auge viel mehr als der Tastsinn, ebenso wie letzterer sich hinsichtlich der Größe weniger täuscht als ersteres. Was nahe ist, scheint dem Sehsinn und dem Gehör, eher aber letzterem, bisweilen sehr weit entfernt zu sein, und manchmal verhält es sich umgekehrt. Nicht weniger wird auch der Tastsinn getäuscht, was die Entfernung anbelangt. Wenn diesem etwas Großes und Warmes präsentiert wird, wenn auch in großer Entfernung, urteilt er dennoch, daß es nahe sei, wegen des starken Eindrucks. Auch die Nase wird sehr oft getäuscht. Wozu bringe ich so viele Beispiele vor? Nichts ist gewisser als die Sinne, nichts ist trügerischer als diese. Welchem Sinn sollst du glauben? Etwa dem Ohr? Oder dem Auge? Du hältst einen
In Gestalt und Größe täuscht sich das Auge eher als der Tastsinn.
Nichts ist gewisser, nichts ist trügerischer als die Sinne.
176 Sensoriorum variae dispositiones sensum variant.
quod nihil scitur
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auribus tenes. Sequere. Accedit maximum: horum omnium instrumentorum variae dispositiones, quae ut plurimum | nos aberrare cogunt. Varii oculorum colores, varia temperamenta, consistentia, substantia, quantitas, situs, perspicuitasque spirituum, et humorum, qui in eis habentur, an non maximam diversitatem pariunt in videndo? Quod si medice magis agatur, tunicarum substantia, optici nervi eadem, et quantitas spirituum, humorumque haec omnia, et perspicuitas, quantum visum variare solent? Saepe ab externa causa muscas, floccos, aranearum telas, et similia videre videmur: cum tamen non sint. Oculo inflammato, omnia rubra apparent: bile perfuso, citrina: si humor pupillae incumbat, perforata, aut velo obducta, aut magna, aut parva, aut dupla, aut obscura. Vitia haec sunt morbosa: sed sanorum alii longe, alii prope: alius clarius, obscurius alius: hic magna, ille parva: hic rubra, ille crocea videt. Nullus denique aut perfecte, aut eodem modo ut alii. Quid ergo prohibet per oculum tot obnoxium mutationibus, imo et in se tam varium, per aerem non minus, imo magis mobilem, et incertum, res varias, incertas, instabiles, aliter atque ipsae sunt, nos percipere? perpetuo falli? nunquam certi aliquid deprehendere, nec proinde asserere posse? Oculus vero omnium sensorium praestantissimum, certissimumque est. Quod si ad alia te convertas, multo maius dubium. Quomodo quod cali-
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Wolf an den Ohren. Folge mir. Das Allerwichtigste kommt noch dazu: Die verschiedenen Dispositionen all dieser Sinnesorgane, die uns mehr als alles andere dazu bringen, in die Irre zu gehen. Bewirken etwa die verschiedenen Augenfarben, die verschiedenen Mischungsverhältnisse, die verschiedene Konsistenz, Substanz, Menge, Lage, Durchsichtigkeit der Lebensgeister und Flüssigkeiten, die in den Augen sind, nicht die größte Verschiedenheit beim Sehen? Oder mehr medizinisch ausgedrückt, die Substanz der Membrane und des optischen Nervs und die Quantität der Lebensgeister und Flüssigkeiten – wie sehr verändert dies alles zusammen mit der Durchsichtigkeit den Sehsinn Oft scheinen wir aufgrund einer äußeren Ursache Fliegen, Flocken, Spinnweben und ähnliches zu sehen, obschon sie nicht da sind. Wenn das Auge entzündet ist, erscheint alles rot, wenn von Galle überschwemmt, gelb, wenn Flüssigkeit auf die Pupille drückt, durchlöchert oder mit einem Schleier bedeckt, groß oder klein, doppelt oder unklar. Diese Fehler beruhen auf Krankheiten. Aber auch von den Gesunden sind die einen weit-, die anderen kurzsichtig, einer sieht klarer, einer weniger klar, diesem erscheinen die Dinge groß, jenem klein, diesem rot, jenem gelb. Keiner sieht also vollkommen oder auf dieselbe Weise wie die anderen. Was also verhindert, daß wir die Dinge durch das Auge, das so vielen Veränderungen ausgesetzt und sogar an sich so verschieden ist und durch die Luft, die nicht weniger, sondern eher noch unstetiger und ungewisser ist, verschieden, ungewiß, instabil und anders als sie sind, wahrnehmen? Was verhindert, daß wir ständig getäuscht werden? Daß wir niemals etwas Gewisses erfassen und daher auch niemals etwas Gewisses behaupten können? Das Auge ist aber das hervorragendste und zuverlässigste Sinnesorgan. Wendest du dich nun den anderen Sinnen zu, ist der Zweifel viel größer. Wie wird, was
Die verschiedenen Dispositionen der Sinnesorgane verändern die Wahrnehmung.
178 Quod calidum semper est, de calido et frigido iudicare non potest. Ab aere perpetuo afficimur. Aer a supernis et infernis. Nil cogit aquam frigidam, aerem calidum dicere.
Ratio nil potest in sensibilibus.
Mens sensu decepta magis decipitur.
quod nihil scitur
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dum semper est, de calido aut frigido recte iudicabit? Sumus autem semper calidi. Qua ratione fit, ut, qui in termis, aut balneis arte factis sunt, frigidam iudicent urinam, et aquam tepidam: falso per te. An non quaecunque tangimus, aeri exposita sunt, et ab eo afficiuntur? an non ab eodem nos perpetuo afficimur? an non et hic | ab aqua, terra, et astris? Quid igitur cogit, aquam frigidam dicere? Quid aerem calidum? Multum calidis, minus calida frigida apparent. Tales forsan sumus nos. Ergo aqua calida. Hyeme, quia a frigido maxime afficimur externo, nuper hausta a fonte aut puteo aqua calida apparet, quia minus frigida: aestate quantumcunque calida, aer, si curras, vel flabello moveas, frigidus videtur: cum tamen per te calidus sit: et tunc temporis multo magis. Quid ergo caliditas? Quid frigiditas? Ut videamus quae calida sint, aut quae frigida, ratio nil hic potest. Quis eorum rationem novit? Nullus. Sensibus committendum iudicium. At etsi sensus optime perciperet, discerneretque qualitates illas: non tamen proinde sciret: sed solum cognosceret, quemadmodum rusticus asinum suum a vicini bove, aut suo distinguens. Nunc autem nec hoc praestare potest tantum. Quid ergo scimus? Nihil. Discurre per alios sensus. Minus. At haec est potior cognitio nostra. Quid faciet mens sensu decepta? Decipi magis. Falso uno supposito, plurima infert: hinc alia (parvus enim error in principio, magnus est in fine). Tan-
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immer warm ist, über das Warme und Kalte richtig urteilen? Wir sind aber immer warm. Deshalb kommt es vor, daß Leute in Thermen oder künstlichen Bädern urteilen, Urin und lauwarmes Wasser sei kalt. Das ist falsch gemäß deinem Standpunkt. Ist etwa nicht alles, was wir berühren, der Luft ausgesetzt und wird von ihr affiziert? Werden wir selbst etwa nicht ständig von ihr affiziert? Wird nicht auch die Luft von Wasser, Erde und den Sternen affiziert? Was zwingt uns dazu zu sagen, Wasser sei kalt? Was, Luft sei warm? Sehr warmen Lebewesen erscheinen weniger warme Dinge kalt. Vielleicht sind wir so beschaffen. Also ist Wasser warm. Weil wir im Winter von der äußeren Kälte stark affiziert werden, erscheint Wasser, das frisch von einer Quelle oder einem Brunnen geschöpft ist, warm, da es weniger kalt ist. Im Sommer erscheint die Luft, wie warm auch immer sie ist, wenn du rennst oder sie dir zufächelst, kalt, obschon sie gemäß deinem Standpunkt warm ist und in dieser Jahreszeit um so mehr. Was also ist Wärme? Was Kälte? Um zu sehen, welche Dinge warm sind oder welche kalt, kann uns die Vernunft nicht helfen. Wer kennt ihren Grund? Niemand. Man muß das Urteil den Sinnen überlassen. Aber selbst wenn die Sinne jene Qualitäten bestens erfaßten und unterschieden, hätten sie trotzdem kein Wissen von ihnen, sondern sie würden sie nur so erkennen, wie ein Bauer seinen Esel vom Ochsen des Nachbarn oder von seinem eigenen unterscheidet. Nun können aber die Sinne nicht einmal dies leisten. Was wissen wir also? Nichts. Gehe die anderen Sinne durch. Wir wissen durch sie noch weniger. Aber die Sinne sind unser besseres Erkenntnisvermögen. Was kann der Geist tun, der von den Sinnen getäuscht wird? Sich noch mehr täuschen. Aus einer einzigen falschen Annahme zieht er viele falsche Schlüsse und von daher noch andere (denn „ein kleiner Fehler am Anfang ist ein großer Fehler am Ende“). Wenn er
Was immer warm ist, kann nicht über das Warme und Kalte urteilen. Wir werden ständig von der Luft affiziert und die Luft von den darüberliegenden und den darunterliegenden Dingen. Nichts zwingt uns dazu zu sagen, Wasser sei kalt und Luft sei warm.
Die Vernunft kann bei den sinnlich wahrnehmbaren Dingen nichts ausrichten.
Der durch die Sinne getäuschte Geist wird noch mehr getäuscht.
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Innumerae in cognoscente ignorandi occasiones. Hyp. . Aphor. .
quod nihil scitur
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dem ubi falsitatem videt, (veritas namque unica est, et sibi constans) regreditur: quaerit locum defectus causam. Non invenit: suspicatur hoc, vel illud medium. De hoc iterum quaerit, an verum, an falsum. Nosse non potest: quia supra sensum est. Probabiliter agitat. Sic in infinitum. Nulla conclusio. Perpetua dubitatio. Age, in te experire. Non impono. Si tecum essem: facile verbis ostenderem omnia dubia esse: at charta non tot patitur: et properamus ad rerum examen: in quo experientia hoc indigitabo. Ex | superioribus potuisti utcumque videre. Melius deinceps videbis. Insequor definitionem meam. Iam dictum est de re: et de mediis ad cognitionem: nunc de cognoscente. Quot in hoc ignorandi occasiones? Innumerae. Vita brevis: ars vero longa, imo infinita: aut potius ea quae arti subiacent, aut quibus ars subiacet. Occasio autem praeceps: experimentum periculosum: iudicium difficile. Nec vero solum seipsum praestare oportet oportuna facientem: sed et assidentes, et exteriora. Mirum, diceres Aphorismum in nostri gratiam factum fuisse, in quo difficultates eius, qui aliquid scire debet, proponuntur: quas tu partim iam vidisti, partim videbis nunc. Sic incipiamus ab incipiente homine: hunc enim in Aphorismo, per eum, qui oportuna facit,
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schließlich den Fehler sieht (es gibt nämlich nur eine Wahrheit, und sie stimmt mit sich selbst überein), schreitet er zurück und sucht den Ort, wo die Ursache des Mangels liegt. Er findet ihn nicht. Er verdächtigt dieses oder jenes Medium. In bezug darauf fragt er sich dann, ob es wahr oder falsch sei. Er kann es nicht wissen, da er über den Sinnen ist. Er handelt anhand der Glaubwürdigkeit. So geht es weiter bis ins Unendliche. Es gibt keinen Schluß, nur ständigen Zweifel. Los, mache die Erfahrung bei dir selbst. Ich zwinge sie dir nicht auf. Wenn ich bei dir wäre, könnte ich leicht mündlich zeigen, daß alles zweifelhaft ist. Aber Papier ist nicht so geduldig und wir eilen zur Untersuchung der Dinge, wo ich dies durch die Erfahrung zeigen werde. Aufgrund des obigen hast du bereits irgendwie Einblick in die Sache nehmen können. Danach wirst du es besser sehen. Ich setze die Untersuchung meiner Definition fort. Über das Ding habe ich schon gesprochen, ebenso über die Medien, die für die Erkenntnis notwendig sind, nun spreche ich über das Erkennende. Wieviele Möglichkeiten des Nichtwissens gibt es bei diesem? Unzählige. „Das Leben ist kurz, die Kunst aber lang“, ja sogar ohne Ende oder vielmehr die Dinge, die der Kunst zugrundeliegen oder denen die Kunst zugrundeliegt. „Die günstige Gelegenheit ist flüchtig, die Erfahrung gefahrvoll, das Urteil schwierig. Man muß nicht nur gewährleisten, daß man selbst angemessen handelt, sondern auch, daß die Anwesenden dies tun und die äußeren Umstände stimmen.“ Du könntest sagen, daß dieser Aphorismus wunderbar zu meinen Gunsten formuliert wurde, da in ihm die Schwierigkeiten dessen, der etwas wissen soll, vorgebracht werden. Zum Teil hast du diese Schwierigkeiten schon gesehen und zum Teil wirst du sie jetzt sehen. So will ich nun mit dem Menschen in seinem Anfangsstadium anfangen, denn diesen erkennen wir in demjenigen, der im Aphorismus angemessen
Im Erkennenden gibt es unzählige Möglichkeiten des Nichtwissens. Hipp. aph. ,.
182 Semel natus cerea moles est.
Non omnia in anima depingi possunt.
Duo in nuper nato. Passiva potentia. Passiva impotentia.
Potentia activa.
Pauci apti scientiis.
quod nihil scitur
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intelligimus. Semel natus hic cerea moles est, fere omnis capax figurae, tam in corpore, quam in anima: sed magis in hac. Ita ut non male tabulae rasae, in qua nihil pictum est, conferatur: nec tamen omnino bene, in ea omnia depingi posse, asseratur. Nec enim omnes ad literas apti sunt, etsi omnia necessaria illis subministrentur. Atque an in anima depingi possent rerum naturae? infiniti? vacui? Non videtur. Nunc autem non est. Duo ergo in nuper nato sunt: nil actu impressum: potentia plura, vel pauca: haec, vel illa. Omnia, nulli. Est haec passiva potentia tantum: cui opponitur passiva alia impotentia: qua quis pluribus, vel paucis, his, vel illis omnino ineptus est. His duabus communicant nobiscum etiam bestiae aliae. Quippe psyttacus prima illa potentia sermones imitari potest humanos: quos simia secunda impotentia non potest. Haec contra, prima potentia plurima | ad hominis imitationem exequitur, quae psyttacus ob secundam impotentiam nequit. Sic inter homines hic ad Grammaticam ineptus omnino: ad navigationem maxime aptus. Ille contrario modo. Est autem nobis potentia activa, qua carent bruta, quaque scientiae inveniuntur, et artes. Sed de hoc, ubi de Anima, latius agetur. Nunc sufficiat adduxisse haec, ad ea quae sequuntur, intelligenda. Quam pauci ergo ex tot hominum millibus
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handelt. Einmal geboren ist er ein Klumpen Wachs, der beinahe jede Gestalt annehmen kann, sowohl im Körper, als auch in der Seele, eher aber in der Seele, so daß sie nicht zu Unrecht mit einer unbeschriebenen Schreibtafel, auf welcher nichts abgebildet ist, verglichen wird, und so daß doch nicht ganz zu Recht behauptet wird, daß alles darauf abgebildet werden könne. Nicht alle sind nämlich fähig zur Bildung, auch wenn ihnen alles Nötige zur Verfügung gestellt wird. Kann zudem in der Seele etwa die Natur der Dinge abgebildet werden? Die des Unendlichen, des Leeren? Das scheint nicht der Fall zu sein. Nun ist es aber auch nicht der Fall. Zwei Dinge kommen also einem Neugeborenen zu: nichts ist ihm aktual eingeprägt, aber dem Vermögen nach vieles oder weniges, dieses oder jenes, alles aber keinem. Das ist aber nur ein passives Vermögen, dem ein passives Unvermögen entgegengestellt ist, durch welches jemand zu vielem oder wenigem, diesem oder jenem ganz und gar unfähig ist. Beides teilen sogar die Tiere mit uns. Aufgrund des genannten Vermögens nämlich kann der Papagei menschliche Sprache nachahmen, was der Affe aufgrund des genannten Unvermögens nicht kann. Letzterer kann aber aufgrund dieses Vermögens viele Dinge ausführen, durch die er den Menschen imitiert, zu denen der Papagei wegen dieses Unvermögens nicht fähig ist. Ebenso ist unter den Menschen dieser ganz und gar unfähig zur Grammatik, aber äußerst fähig zur Schiffahrt, bei jenem verhält es sich auf entgegengesetzte Weise. Wir haben aber auch ein aktives Vermögen, das die Tiere nicht haben und durch das die Wissenschaften und die Künste entdeckt werden. Aber dazu wird in der Abhandlung Über die Seele mehr gesagt werden. Für den Moment mag es reichen, diese Dinge angeführt zu haben, damit das Folgende verstanden wird. Wie wenige also aus so vielen Tausenden von Menschen sind geeignet für die Wissen-
Einmal geboren ist er ein Klumpen Wachs.
Nicht alles kann in der Seele abgebildet werden.
Zwei Dinge kommen einem Neugeborenen zu. Passives Vermögen. Passives Unvermögen.
Aktives Vermögen.
Wenige sind geeignet für die Wissenschaften.
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Perfecta cognitio perfectum requirit hominem.
Anima nostra satis perfecta non est ut aliquid perfecte sciat.
Nullus homo perfectum corpus habet.
Quid perfectissimum corpus.
Intellectio actionum omnium perfectissima.
quod nihil scitur
scientiis apti sunt, etiam his quales habemus? Vix unus, aut alter: perfectae autem nullus. Ostendo. Perfectus homo sit oportet, qui perfecte aliquid scire debet. An aliquis talis est? Quod vero talis esse debeat, vide. Animam tu quidem dicis in omnibus aeque perfectam (eius naturam ignorans, ut alibi monstrabimus): corpus vero in causa esse cur hic doctior, ille minus, ille nullo modo. Volo. An anima nostra satis perfecta est, ut aliquid perfecte sciat homo? Non. Sed sit. Cui ergo minus perfectum corpus est, minus perfecte sciet: cui magis, magis: cui maxime, perfectissime. Hoc enim rationabilius videtur colligi ex te, quam contrarium. Cui datum est perfectum corpus? Nulli: vel clamante medico: aut si daretur, non nisi per instans duraturum. Quod si neges, non probabo nunc: alias probaturus. Petam tamen aliquod a te: et scio quod non dabis. Ignoras enim, ut et ego. Perfectissimum autem cum Galeno voco corpus, quod temperatissimum, quod pulcherrimum. Atque ille temperatissimum tantum (licet et compositionis meminisse debuisset, propter instrumentarias actiones) perfectissimas edere operationes omnes vult. Inter quas intellec-
nunc L(e) : tunc L
aliquod L : aliquid T
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schaften – auch nur zu solchen, über welche wir verfügen! Kaum der eine oder der andere, zur vollkommenen Wissenschaft aber gar keiner. Ich zeige das. Ein vollkommener Mensch muß sein, wer etwas vollkommen wissen soll. Gibt es etwa einen solchen? Nimm zur Kenntnis, daß er tatsächlich so beschaffen sein muß. Die Seele, sagst du selbst, sei bei allen gleich vollkommen (wobei du ihre Natur nicht kennst, wie ich andernorts zeigen werde). Der Körper aber sei Grund dafür, daß einer gelehrter sei, ein anderer weniger und ein dritter überhaupt nicht. Ich gestehe das zu. Ist unsere Seele etwa genug vollkommen, daß der Mensch irgend etwas vollkommen wissen kann? Nein. Aber sei es so. Wer also einen weniger vollkommenen Körper hat, der verfügt über weniger vollkommenes Wissen, wer einen vollkommeneren, über vollkommeneres, wer den vollkommensten, über das vollkommenste. Es scheint vernünftiger zu sein, diesen Schluß aus deinen Prämissen zu ziehen als den gegenteiligen. Wem wurde ein vollkommener Körper gegeben? Niemandem, mag auch der Arzt lautstark protestieren. Wenn ein solcher aber jemandem gegeben würde, würde er nur für einen Augenblick überdauern. Solltest du das jedoch verneinen, werde ich es jetzt nicht bestätigen, da ich es andernorts bestätigen werde. Ich verlange jedoch etwas von dir, und ich weiß, daß du es nicht geben wirst. Du weißt es nämlich nicht, ebenso wie ich selbst. Mit Galen nenne ich aber den vollkommensten Körper den, der aus dem vollkommensten Mischungsverhältnis besteht und der schönste ist. Galen behauptet zudem, daß nur derjenige Körper, der aus dem vollkommensten Mischungsverhältnis besteht (mag sein, daß er auch an die Zusammensetzung hätte erinnern sollen, wegen den unterstützenden Tätigkeiten), die vollkommensten Tätigkeiten ausführe. Unter diesen nimmt die Verstandestätigkeit, von der die Wissenschaft ab-
Vollkommene Erkenntnis setzt einen vollkommenen Menschen voraus.
Unsere Seele ist nicht genug vollkommen, um etwas vollkommen zu wissen.
Kein Mensch hat einen vollkommenen Körper.
Welches der vollkommenste Körper ist.
Die Verstandestätigkeit ist die vollkommenste Tätigkeit.
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Plato etiam . de Repub. Bonus medicus morbos omnes pati debet.
Melius morbos in aliis curamus, quos experti in nobis sumus.
quod nihil scitur
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tio, a qua scientia pendet, primas tenet. Sed et id ratione fulcitur. | Fuere medicorum quidam, qui asseruere, medicum, ut perfectus esset, omnes morbos prius pati debere, quam perfecte de his iudicare posset. Et non videtur omnino inepta opinio: licet satius esset tunc non esse medicum. Nam quomodo de dolore sententiam feret rectam, qui nunquam doluit? Quos autem et dolores, et morbos in nobis ipsis experti sumus, melius in aliis et dignoscimus, et curamus. Sic quomodo coecus, aut luscus, de coloribus? surdaster, de sonis? paraliticus, de tactilibus qualitatibus iustum ferat iudicium? Perfecte ergo videat oportet, qui de coloribus: audiat, qui de sonis: palpet, qui de tactilibus: gustet, qui de gustabilibus: moveatur, qui de motu: digerat, qui de digestione: doleat, qui de dolore: imaginetur, qui de imaginatione: memoret, qui de memoria: intelligat, qui de intellectione perfecte iudicare velit. Alias, ut inquit Galenus erit nauta ex volumine: qui securus in scamno sedens, optime portus, scopulos, promontoria, Scyllas, et Charybdes depingit: denique navem per culinam, aut super mensam optime ducit. Si vero mare conscendat, eique clavum triremis committas, in scopulos, in Scyllas, in Charybdes, quas tam bene norat antea, infliget. Aut ut ille, qui in foro deperditum asinum, aut canem, propriis describens signis, proclamat: quem tamen si coram habeat, non
memoret L(e) : memoretur L
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hängt, den ersten Rang ein. Aber auch diese Ansicht wird durch die Vernunft gestützt. Es gab einige Ärzte, die behaupteten, daß jemand, um ein vollkommener Arzt zu sein, zuerst alle Krankheiten erlitten haben müsse, bevor er vollkommen über sie urteilen könne. Diese Meinung scheint nicht völlig abwegig zu sein, mag es auch sein, daß es dann besser wäre, nicht Arzt zu sein. Denn wie kann jemand die richtige Ansicht über Schmerz haben, der selbst niemals Schmerzen erlitten hat? Die Schmerzen aber und die Krankheiten, die wir an uns selbst erfahren haben, erkennen und heilen wir besser in anderen. Ebenso stellt sich die Frage, wie ein Blinder oder ein Einäugiger über Farben, ein Schwerhöriger über Töne und ein Gelähmter über taktile Qualitäten ein richtiges Urteil fällen kann. Vollkommen sehen also muß jemand, der über Farben, vollkommen hören, wer über Töne, spüren, wer über Ertastbares, schmecken, wer über Geschmack, sich bewegen, wer über Bewegung, verdauen, wer über Verdauung, Schmerzen empfinden, wer über Schmerz, sich vorstellen, wer über das Vorstellungsvermögen, sich erinnern, wer über das Gedächtnis, und verstehen, wer über die Verstandestätigkeit vollkommen urteilen will. Andernfalls, so sagt Galen, werde er ein Seemann sein, der aus Büchern lernt, der sicher auf einem Schemel sitzt und sich vortrefflich Häfen, Klippen, Vorgebirge, Skyllen und Charybden ausmalt und schließlich sein Schiff vortrefflich durch die Küche oder über den Tisch navigiert. Sollte er aber wirklich zur See fahren und solltest du ihm das Steuer einer dreirudrigen Galeere überlassen, wird er auf die Klippen, auf die Skyllen und auf die Charybden, die er vorher so gut gekannt hat, auflaufen. Oder er ist wie ein Ausrufer, der auf dem Marktplatz den Verlust eines Esels oder eines Hundes bekanntmacht, wobei er sie mit ihren Kennzeichen beschreibt. Wenn er den Esel oder den Hund aber vor sich haben sollte, würde er sie
Das sagt auch Plat. rep. c–e: Ein guter Arzt muß alle Krankheiten erleiden.
Wir heilen die Krankheiten in anderen besser, die wir an uns selbst erfahren haben.
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Perfecta omnia perfectis gaudent: a perfectis, et per perfecta fiunt.
Agens in passum transit.
Causa repassionis. Omni enti inditum est se conservare.
Passio fit ob debilitatem.
quod nihil scitur
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cognoscat. Et hac ratione dicitur Christus Dominus miserias humanas subire voluisse: ut expertus calamitates nostras, magis misereretur. Melius enim qui pauper aliquando fuit, pauperi, qui captivus, captivo, qui denique miser, misero: quam qui nunquam pauper, captivus, miser, illi, isti, huic, compatitur. Perfectissimum ergo | corpus requirit perfectissima cognitio. Sit haec ultima ratio. Perfecta omnia perfectis gaudent, a perfectis fiunt, et per perfecta. Quid perfectius creatione? A solo perfecto, perfectione ipsa, Deo fit. Quo medio? Perfectissima eius potentia, quae sola perfectissima, quia infinita sola, quia ipse Deus. Reliqua omnia perfectiora a perfectioribus fiunt. Quae a corporibus coelestibus fiunt, ab imperfectiori fieri non possent. Ratio horum omnium. Agens, in passum utcunque abit, transit. Quodlibet enim cupit in se aliud transformare. Quod non potest, nisi se illi communicet. Dumque hoc agit, ab alio repatitur: dum hoc conservare se in suo esse conans (quod etiam inditum est omni enti: unde et illud sequitur, velle scilicet in se aliud convertere: ne sui unquam finis eveniat) partim resistit: partim, aliud in se convertere etiam volens, quantum potest suam in agens extendit, et exercet potentiam, imprimitque vim: sed quia inferius illi viribus est, vincitur in pugna, cogiturque alterius vexillum se-
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nicht erkennen. Aus diesem Grund, sagt man, wollte unser Herr Jesus das menschliche Elend auf sich nehmen, damit er unser Unglück selbst erfahre und sich so noch mehr erbarme. Wer nämlich selbst einmal arm war, hat mit dem Armen, wer gefangen war, mit dem Gefangenen, wer endlich elend war, mit dem Elenden mehr Mitgefühl als einer, der nie arm war mit dem ersten, der nie gefangen war mit dem zweiten und der nie elend war mit dem letzten. Die vollkommenste Erkenntnis verlangt also den vollkommensten Körper. Folgendes soll der letzte Grund sein: Alles Vollkommene erfreut sich am Vollkommenen, wird vom Vollkommenen bewirkt und mittels Vollkommenem. Was ist vollkommener als die Schöpfung? Sie kommt zustande durch das einzig vollkommene Wesen, die Vollkommenheit selbst, Gott. Durch welches Mittel? Durch seine vollkommene Macht, die als einzige im höchsten Grad vollkommen ist, da sie als einzige unbegrenzt ist und da sie Gott selbst ist. Alles übrige wird vollkommener, wenn es von Vollkommenerem bewirkt wird. Was von den Himmelskörpern bewirkt wird, könnte von weniger Vollkommenem nicht bewirkt werden. Der Grund dafür ist folgender: Das Tätige geht, wenn immer es im Bewirkten aufgeht, in dieses über. Denn jedes möchte das andere in sich verwandeln, was es nur tun kann, wenn es sich mit ihm vereinigt. Indem es dies tut, erleidet es vom anderen etwas, während dieses andere im Versuch, sich in seinem eigenen Sein zu erhalten (was auch jedem Seienden eigen ist; daher folgt auch, daß es ein anderes in sich zu verwandeln sucht, damit ihm nie ein Ende zuteilwerde), teilweise widersteht, teilweise selbst, indem es auch seinerseits das andere in sich verwandeln will, seine Macht auf das Tätige ausweitet und ausübt, und ihm seine Kraft möglichst aufzwingt. Aber da es dem Tätigen an Kräften unterlegen ist, wird es im Kampf besiegt und ist gezwungen, dem Feldzeichen des Täti-
Alles Vollkommene erfreut sich am Vollkommenen, wird vom Vollkommenen bewirkt und mittels Vollkommenem.
Das Tätige geht in das Bewirkte über.
Ursache der Rückwirkung. Jedem Seienden ist es eigen, sich zu erhalten.
Erleiden geschieht aufgrund von Schwäche.
190 Agens perfectum actionem, et opus edit perfecta.
Orta attestantur suis principiis. Media idonea sunt quae agenti similia.
Sol perfectissimum omnium corporum. Pythago. et Aegyptii. vide Laert. . et Plutar. de Amore. Differentia inter creationem, et generationem.
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qui, et se in illud inserere, primo exuto habitu. Si ergo agens perfectum est: et actio perfecta esse debet: et media ad actionem exequendam: et patiens quod actionem recipit, in quantum hanc recipit: licet aliter imperfectum sit. Quod si actionem non sequatur patientis conversio in agens, saltim opus, quod a tali actione fit, perfectum a perfecto agente est, imperfectum ab imperfecto. Orta enim, ut dicunt medici, attestantur suis principiis. Quod quid est, id agit: et quale quid, tale agit, mediis ubique idoneis. Talia sunt quae agenti similia. Sic enim melius ambo in patiens conspirant. Perfectum ergo agens melius perfectis | adiutum instrumentis, et mediis, in patiens aget, opusque intentum peraget, quam imperfectis. Vide id in omnibus, tam naturalibus, quam voluntariis actionibus. Sol perfectissimum omnium corporum (unde plurimi Deum illum existimarunt) quam edit actionem? Perfectissimam: similem Dei actioni. Hic enim creat: ille generat omnia: qui secundus est a creatione gradus. Sed differunt. Nam Deus a se, solus, ex nihilo, et sine medio, aut instrumento creat. Sol a Deo potentiam habens, cum homine, ex semine, et medio calore hominem generat. Licet quandoque etiam sine congenerante plurima solus generet, ut murem ex ster-
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gen zu folgen und sich in es einzufügen, nachdem es seine ursprüngliche Haltung abgelegt hat. Wenn also das Tätige vollkommen ist, muß auch die Tätigkeit vollkommen sein und die Mittel, die notwendig sind, um die Tätigkeit auszuführen, sowie das Erleidende, welches die Tätigkeit aufnimmt, insofern es sie aufnimmt, mag es sonst auch unvollkommen sein. Sollte aber die Umwandlung des Erleidenden in das Tätige der Tätigkeit nicht folgen, ist wenigstens das Werk, das durch eine solche Tätigkeit entsteht, vollkommen, wenn es von einem vollkommenen Tätigen, aber unvollkommen, wenn es von einem unvollkommenen Tätigen stammt. Was nämlich entstanden ist, wie die Ärzte sagen, bezeugt seine Prinzipien. Was etwas ist, das tut es, und wie etwas ist, so ist es tätig, wo immer taugliche Mittel vorhanden sind. So beschaffen sind die Mittel, die dem Tätigen ähnlich sind. So nämlich wirken sie beide besser zusammen auf das Erleidende ein. Ein vollkommenes Tätiges wird also, wenn es von vollkommenen Werkzeugen und Mitteln unterstützt wird, besser tätig sein gegenüber einem Erleidenden und das zu verwirklichende Werk besser vollenden, als wenn es von unvollkommenen Werkzeugen und Mitteln unterstützt wird. Beobachte dies bei allen natürlichen Tätigkeiten wie auch bei denjenigen, die vom Willen abhängen. Welche Tätigkeit führt die Sonne aus, der vollkommenste Körper (daher haben sie sehr viele für Gott gehalten)? Die vollkommenste Tätigkeit, die der Tätigkeit Gottes ähnlich ist. Er schafft alles, sie zeugt alles, und Zeugung steht auf der zweithöchsten Stufe nach der Schöpfung. Aber sie unterscheiden sich. Denn Gott schafft aus sich selbst heraus, allein, aus dem Nichts und ohne Mittel und Werkzeug. Die Sonne hat ihre Macht von Gott und zeugt mit dem Menschen aus dem Samen und mittels Wärme den Menschen. Zuweilen kann sie auch ohne Zeugungspartner vieles alleine zeugen, zum Beispiel
Das vollkommene Tätige leistet eine vollkommene Tätigkeit und erzeugt ein vollkommenes Werk.
Was entstanden ist, bezeugt seine Prinzipien. Taugliche Mittel sind dem Tätigen ähnlich.
Die Sonne, der vollkommenste Körper. Pythagoras und die Ägypter, vgl. Diog. Laert. , und Plut. amat. b.
Der Unterschied zwischen Schöpfung und Zeugung.
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Sol non corrumpit primo. Ens prius est non ente, et actus privatione.
Nullum ens nihilum intendit, neque malum per se. Finis perfectio est.
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core, ranam ex pulvere cum pluvia, locustam, pulicem, culicem, lacertam, scarabeum, pediculum, et plurima alia animalia: et inter plantas philitidem, ceterach, politrichum, adianthum, lichenem, pulmonariam, viscum, fungum: et inanimata omnia, aurum, argentum, lapides, gemmas omnis generis: et elementa ipsa ex seipsis invicem. Sed obiicies forsan Solem corrumpere etiam: quae est pessima actio, et imperfecta, si generatio perfecta est. At non ita habet. Nec enim corrumpit, sed dum generat, necessario corruptio sequitur. Quod autem generet primo, patet. Prius enim est ens non ente: actus privatione, dignitate, praestantia, et natura. Corruptio autem non ens est, privatio, destructio huius entis, nihil. Ergo prior generatio corruptione. Ergo ad illam sequitur haec: non contra. Ergo generat Sol primo: corrumpit ab eventu, et ex consecutione. Quod inde etiam manifestum fit. Nullum enim ens propter nihilum agit, aut nihilum | intendit. (Unde et neque malum per se: malum enim privatio boni est, quasi nihil) omnia namque propter finem. Nihil autem finis enti esse non potest. Finis enim perfectio est: quae inter entia primas occupat. Nihil privatio, destructio, defectus, mera entis negatio. Quo alio quam infestissimo nihili nomine nil ipsum vocabo? omnino perfectioni, entique oppositum, inimicum. Nil denique. Quis illud intendet? quis quaeret?
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die Maus aus Mist, den Frosch aus Staub gemischt mit Regen, die Heuschrecke, den Floh, die Mücke, die Eidechse, den Mistkäfer, die Laus und viele andere Tiere, bei den Pflanzen Hirschzungenfarn, Schriftfarn, Goldenes Frauenhaar, Frauenhaarfarn, Flechte, Lungenkraut, Mistel und Pilze und alle unbelebten Dinge wie Gold, Silber, Steine, Edelsteine aller Art und die Elemente selbst gegenseitig aus ihnen selbst. Aber du wirst vielleicht entgegnen, daß die Sonne auch Verderben bringe, und das ist die schlechteste Tätigkeit und unvollkommen, wenn die Zeugung vollkommen ist. Aber so verhält es sich nicht. Denn sie bringt kein Verderben, sondern solange sie zeugt, folgt notwendig das Verderben. Daß sie zuerst zeugt, ist klar. Das Seiende hat nämlich Vorrang vor dem Nichtseienden und der Akt vor der Privation hinsichtlich Würde, Vorzüglichkeit und Natur. Das Verderben ist aber nicht ein Seiendes, sondern eine Privation, die Zerstörung eines vorliegenden Seienden, nichts. Also hat die Zeugung Vorrang vor dem Verderben. Also folgt letzteres ersterer und nicht umgekehrt. Also zeugt die Sonne zuerst ihr Produkt und verdirbt es auf akzidentielle Weise und in der Folge der Zeugung. Das wird auch aus folgendem klar: Kein Seiendes ist ohne Zweck tätig oder strebt nach nichts (daher existiert auch das Böse nicht an sich; das Böse ist nämlich die Privation des Guten, das heißt gleichsam nichts). Alle Dinge sind auf einen Zweck bezogen. Nichts kann aber nicht der Zweck eines Seienden sein. Der Zweck ist nämlich die Vollkommenheit und nimmt unter den Seienden den ersten Rang ein. Das Nichts ist Privation, Zerstörung und Schwinden, die reine Verneinung des Seienden. Mit welchem anderen Namen kann ich das Nichts selbst benennen als mit dem äußerst verhaßten Namen ‚Nichts‘? Es ist der Vollendung und dem Seienden gänzlich entgegengesetzt und feindlich. Schließlich ist es nichts. Wer wird es anstreben? Wer wird es suchen?
Die Sonne verdirbt zuerst nichts. Das Seiende hat Vorrang vor dem Nichtseienden und der Akt vor der Privation.
Kein Seiendes strebt nichts oder das Böse an sich an.
Der Zweck ist die Vollkommenheit.
194 Omnia fugiunt nihilum.
Calor omnium qualitatum perfectissima. Sol non agit luce.
Luce media pulcherrimas res cognoscimus.
Accessu Solis omnia vigent, recessu torpent.
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Omnia naturaliter id fugiunt. Nil me, praeter hoc nihil, perterret, tristat, animum prosternit: dum cogito, me aliquando illius aulam invisurum: nisi fides, spe, et charitate comitata, metum hunc, nihilque, simul eius causam, destrueret, meque confirmaret, post compositi huius dissolutionem, indissolubilem cum Deo Optimo Maximo nexum promittendo. Sol ergo perfectissimum omnium corpus, corruptionem intendat, efficiat? Generat ergo. Quo medio? Calore, omnium qualitatum perfectissima, praestantissima, actuosissima. Videbis hoc in rerum Examine. Lucem tu etiam addis: sed ego non consentio. Tamen pro me stat. Illustrissima res est lux, amicissima, charissima. Vitam huic conferunt: ut mortem tenebris. Exhilarat nos. Ea media pulcherrimas omnium res cognoscimus, plurimas. Deus se lucem vocat. Sine luce coecutiamus, obdormiamus, obmutescamus, tanquam mortui vagemur, nec solum nos discernentes, nedum rerum naturas cognoscentes. Vides quantum in tenebrosa, nubilosaque nocte silentium? Pene alterum chaos videtur, mors. Sane sine luce vivere nollem. Utriusque parens Sol, utroque, calore scilicet et luce, ad genera| tionem utitur, ut tu vis. Quod vero non ad corruptionem, ostendunt haec eadem. Accedente ad nos Sole omnia revivunt, renascuntur, pullulant, germinant, frondescunt, florent, fructificant. Animalia frigore tor-
animum prosternit L(e) : animo prostrat L : animam prosternit T fides L(e) : fide LT plurimas T : pluririmas L
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Alle Dinge meiden es von Natur aus. Nichts – abgesehen von diesem Nichts – erschreckt und betrübt mich und schmettert meine Seele nieder, wenn ich daran denke, daß ich irgendwann einmal an seinem Hof vorsprechen werde, es sei denn, „Glaube zusammen mit Hoffnung und Liebe“ zerstörte diese Furcht und zugleich das Nichts, deren Ursache, und flößte mir Zuversicht ein durch das Versprechen, daß ich nach der Auflösung dieses zusammengesetzten Körpers unauflöslich mit dem allmächtigen Gott verbunden sein würde. Soll also die Sonne, der vollkommenste Körper, nach Verderben streben und diese bewirken? Sie zeugt also. Durch welches Mittel? Durch die Wärme, die vollkommenste, vortrefflichste und wirkungsvollste aller Qualitäten. Das wirst du in der Untersuchung der Dinge sehen. Du fügst noch das Licht hinzu, aber ich bin nicht dieser Meinung. Dennoch steht es auf meiner Seite. Licht ist das glänzendste, freundlichste und liebste Ding. Man vergleicht das Leben mit ihm wie den Tod mit der Dunkelheit. Es erfreut uns. Durch seine Vermittlung erkennen wir die schönsten Dinge in großer Zahl. Gott nennt sich Licht. Ohne Licht würden wir wohl erblinden, in Schlaf versinken, verstummen und wie die Toten umherirren, wobei wir nicht einmal uns selber von anderem unterscheiden, geschweige denn die Natur der Dinge erkennen könnten. Siehst du, wie tief die Stille ist in einer finsteren, wolkenverhangenen Nacht? Man hat beinahe den Eindruck eines zweiten Chaos oder des Todes. Gewiß wollte ich nicht ohne Licht leben. Die Sonne, die beider Erzeugerin ist, braucht beide, Wärme nämlich und Licht, zur Zeugung, wie du behauptest. Daß sie diese nicht zum Verderben braucht, zeigen dieselben Dinge. Wenn die Sonne sich uns nähert, lebt alles wieder auf, wird wiedergeboren, sprießt hervor, keimt auf, schlägt aus, erblüht und trägt Früchte. Die Lebewesen, die durch die Kälte erstarrt und halb zugrundegegangen
Alles meidet das Nichts.
Die Wärme ist die vollkommenste aller Qualitäten.
Die Sonne ist nicht mittels Licht tätig.
Durch das Licht als Medium erkennen wir die schönsten Dinge.
Alles erstarkt durch die Ankunft der Sonne und erstarrt durch ihre Entfernung.
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Ver et aestas generatio sunt et vita.
Hyems et autumnus mors.
Mors a frigore: vita a calore fit.
Generatio perfectissima actionum naturalium.
quod nihil scitur
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pentia, et semicorrupta, omninoque corrumpenda, si diutius abfuisset astrum, e latebris exeunt, ad motum promptiora fiunt, laetantur, currunt, saltant, gestiunt, canunt, ad generantis astri adventum apta generationi fiunt, in hanc laeta feruntur. Denique ver et aestas generatio sunt, et vita. Ego tunc solum vivo. Abeunte autem a nobis dextro Dei oculo, (sic enim Solem libet vocare) omnia languent, torpent, labuntur, pereunt. Quid autumnus et hyems nisi perpetua mors? Mortem frigidam, gelidam, rigidam, horridam, pallentem vocant poetae, et merito. Vitam contra floridam, virentem, vegetam. Mors a frigore est: vita a calore: calor a Sole. Hic ergo perfectissimus omnium corporum, perfectissima omnium qualitate, calore, perfectissimam omnium actionum naturalium, generationem scilicet, edit. Haec de naturalibus. In voluntariis autem, nonne pictor, sculptor, cytharedus, melius pinget, sculpet, pulsabit, si perfectioribus, quam si imperfectioribus utantur mediis et instrumentis? An bene canet raucus, saltabit claudus, scribet qui inconcinnam habet manum? Qua quidem manu quod perfectius a natura excogitari potuit instrumentum? Nullum sane, ut optime Galenus noster prosequitur I de Usu partium. Perfectissimum autem omnium animalium homo, ad perfectissima inter coetera animalia opera edenda, perfectissimo etiam omnium | eguit instrumento. An si imperfectius fuisset istud, potuisset ille tam perfecta exequi munia, totque, quam exequitur? Non, cogito. Sed quorsum tot? Huc: ut probemus: om-
eL : a T
post exequitur ? inseruit Comparot : exequitur. LT
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waren und gänzlich hätten zugrundegehen müssen, wenn das Gestirn länger ferngeblieben wäre, kriechen aus ihren Schlupfwinkeln hervor, wollen sich bewegen, sind heiter, laufen, springen, sind ausgelassen, singen, sind bei der Ankunft des zeugenden Gestirns zur Zeugung bereit und machen sich fröhlich daran. Schließlich sind Frühling und Sommer Zeugung und Leben. Ich lebe nur dann. Verläßt uns aber das rechte Auge Gottes (so mag ich die Sonne nennen), ermattet alles, erstarrt, verfällt und geht zugrunde. Was sind Herbst und Winter anderes als beständiger Tod? Die Dichter nennen den Tod eiskalt, frostig, starr, schauderhaft und bleich, und das zu Recht. Das Leben dagegen nennen sie blühend, kräftig und munter. Der Tod wird durch Kälte verursacht, das Leben durch Wärme, die Wärme durch die Sonne. Dieser vollkommenste Körper also führt durch die vollkommenste Qualität, die Wärme, die vollkommenste natürliche Tätigkeit aus, nämlich die Zeugung. Soviel zu den natürlichen Dingen. Bei den Dingen, die vom Willen abhängen, wird da nicht der Maler, Bildhauer oder Kitharaspieler besser malen, meißeln beziehungsweise schlagen, wenn er vollkommenere Mittel und Werkzeuge, als wenn er unvollkommenere verwendet? Wird ein Heiserer etwa gut singen, ein Lahmer gut springen und gut schreiben, wer eine ungelenke Hand hat? Welches Werkzeug konnte von der Natur vollkommener ausgedacht werden als gerade die Hand? Gewiß keines, wie unser Galen im ersten Buch Über den Gebrauch der Körperteile aufs beste ausführt. Das vollkommenste Lebewesen aber, der Mensch, brauchte, um die vollkommensten Werke unter den übrigen Lebewesen auszurichten, auch das vollkommenste Werkzeug. Wenn es weniger vollkommen gewesen wäre, hätte er dann so vollkommene und so zahlreiche Aufgaben ausführen können, wie er tatsächlich ausführt? Ich glaube nicht. Aber wohin führt das alles? Dahin, daß
Frühling und Sommer sind Zeugung und Leben. Winter und Herbst sind der Tod.
Der Tod wird durch Kälte, das Leben durch Wärme verursacht.
Die Zeugung ist die vollkommenste natürliche Tätigkeit.
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Humana anima ad cognitionem perfectissimo eget corpore.
Vanum est dicere animum intelligere.
Perfectissimus homo, ille et pulcherrimus.
quod nihil scitur
ne perfectum producere perfectum, et uti perfecto ad eius productionem. Quid inde? Hoc. Humana anima perfectissima omnium Dei creaturarum, ad perfectissimam omnium, quas edere potest, actionum, perfectam scilicet cognitionem, perfectissimo eget corpore. Quid? dices: a corpore non pendet intellectio, nec ab eo ullo modo iuvatur, sed solummodo ab animo perficitur. Hoc falsum est, ut alibi probavimus. Vanum est dicere, animum intelligere, ut et audire. Homo utrumque agit: utrobique corpore, et animo utens: et quodcumque aliud cum utroque simul exequens: nihilque, non utroque favente, conferente, agente. Sed, si in dictis tuis consistas, idipsum probatur. Cur hic doctior, ille minus? Animus aeque perfectus in utroque. Ergo in corpore defectus, ut tu dicebas. Ergo doctior perfectiori potitur corpore, quomodocumque illo utatur, sive ad imaginandum, sive ad intelligendum. Ergo doctissimus perfectissimo. Ille autem est vere sciens. Quale autem sit perfectum corpus, diximus iam. Cumque illud nusquam inveniatur, nusquam etiam perfecta cognitio, neque proinde scientia, quae idem est. Sed dices forsan: ad intelligendum non egere nos brachiis et cruribus: proinde etsi illa defectuosa sint, modo cerebrum bene habeat, sufficere. At deciperis: si membra a primordiis generationis prave
non L(e) : non non L
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ich glaubhaft mache, daß jedes Vollkommene ein Vollkommenes hervorbringt und daß es dabei etwas Vollkommenes braucht, um es hervorzubringen. Was folgt daraus? Folgendes: Die menschliche Seele, das vollkommenste Geschöpf Gottes, braucht für die vollkommenste Tätigkeit, die sie ausführen kann, nämlich die vollkommene Erkenntnis, den vollkommensten Körper. Was? Du wirst sagen: „Die Verstandestätigkeit hängt nicht vom Körper ab, und sie bekommt von ihm auch gar keine Unterstützung, sondern wird allein von der Seele vollzogen.“ Das ist falsch, wie ich andernorts gezeigt habe. Es ist sinnlos zu sagen, der Geist verstehe, ebenso er höre. Der Mensch führt beides aus, wobei er in beiden Fällen Körper und Geist gebraucht. Auch jede beliebige andere Tätigkeit vollzieht er mit der Hilfe von beiden zugleich, und nichts tut er ohne Unterstützung, Beitrag und tätige Mithilfe von jedem der beiden. Aber auch wenn du bei deinen Aussagen bleiben solltest, wird dasselbe bewiesen. Weshalb ist dieser gelehrter, jener weniger? Der Geist ist in beiden gleich vollkommen. Also liegt die Schwäche beim Körper, wie du gesagt hast. Also verfügt der Gelehrtere über einen vollkommeneren Körper, in welcher Weise auch immer er ihn einsetzt, sei es, um sich etwas vorzustellen, sei es, um etwas zu verstehen. Also hat der Gelehrteste den vollkommensten Körper. Dieser verfügt aber über wirkliches Wissen. Wie ferner der vollkommene Körper beschaffen ist, habe ich bereits gesagt. Da er aber nie gefunden wird, gibt es auch keine vollkommene Erkenntnis und daher auch keine Wissenschaft, die ja dasselbe ist wie die Erkenntnis. Aber du wirst vielleicht sagen, daß wir, um zu erkennen, nicht der Arme und Beine bedürfen. Auch wenn diese Mängel aufwiesen, genüge es daher, daß das Gehirn in einem guten Zustand sei. Aber du täuschst dich. Wenn die Glieder von jemandem von Beginn seines Entstehens an mißgestaltet sind, lag der
Die menschliche Seele braucht zur Erkenntnis den vollkommensten Körper.
Es ist sinnlos zu sagen, der Geist verstehe.
Jener vollkommenste und schönste Mensch.
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Ex eodem semine fiunt membra omnia.
quod nihil scitur
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conformata sunt, defectus fuit aut in materia ex qua | facta sunt, aut in virtute formatrice. Utroque modo aliquod ex principibus membris, aut plura imperfecta sint necesse est. De materia non est dubium: ex eodem enim semine fiunt membra omnia. Virtus autem non debilis primo per se est: sed quia deficiunt spiritus, aut temperies, eius praecipua instrumenta. Quocumque autem horum deficiente, etiam in internis defectus est. Sed etsi solum in externis esset, ab his internis communicaretur. Debilia enim extrema non perfecte attrahunt, retinent, coquunt, expellunt: unde sanguis inficitur excrementis. Ab hoc spiritus, et membra interna: si post formatum perfectum corpus et natum, deformitas accidat: vel ab interna: vel ab externa causa accidit. Quomodocumque contingat, interna etiam eodem modo, quo si a primordiis eveniret, alterat, et a perfectione disturbat. Denique perfectum corpus aut nusquam est: aut per momentum tantum durabit. Nullus ergo sciens. Nil scitur. Sed dices forsan: etiam imperfectum corpus scientiis aptum esse. Videtur enim difficile creditu, nullum ex hominibus scientiis idoneum. Ego vero hoc, ut et plura alia, libens concedo. Non tamen quodcumque. Nam neque tu id vis: neque probaveris unquam. Certo ergo quodam temperamento praeditum esse illud necesse est. Quale
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Fehler entweder bei der Materie, aus der sie entstanden sind, oder bei der formgebenden Kraft. In beiden Fällen weist notwendigerweise eines oder mehrere der wichtigsten Glieder Mängel auf. Was die Materie betrifft, gibt es keinen Zweifel, denn alle Glieder entstehen aus demselben Samen. Die Kraft hingegen ist am Anfang an sich nicht schwach, sie wird aber geschwächt, weil die Lebensgeister oder das Mischungsverhältnis, ihre wichtigsten Werkzeuge, Mängel aufweisen. Und wenn eines von diesen mangelhaft ist, dann gibt es auch bei den inneren Körperteilen einen Mangel. Aber selbst wenn ein solcher nur in den äußeren Körperteilen wäre, würde er von den äußeren auf die inneren übertragen. Die schwachen äußeren Körperteile können nämlich nicht vollkommen aufnehmen, behalten, verdauen und ausscheiden. Daher wird das Blut mit Ausscheidungen verunreinigt und von diesem die Lebensgeister und die inneren Körperteile. Wenn nach der Bildung und Geburt eines vollkommenen Körpers eine Verunstaltung auftritt, dann geschieht es aufgrund einer inneren oder äußeren Ursache. Wie auch immer sie zustande kommt, sie verändert auch die inneren Körperteile, und zwar auf dieselbe Weise, wie wenn sie von Anfang an dagewesen wäre, und entreißt sie aus dem Zustand der Vollkommenheit. Infolgedessen existiert entweder nirgends ein vollkommener Körper oder er überdauert nur einen Augenblick. Also weiß niemand etwas. Nichts wird gewußt. Aber du wirst vielleicht sagen, daß auch ein unvollkommener Körper für die Wissenschaften geeignet sei. Es scheint nämlich kaum glaubhaft, daß kein einziger Mensch für die Wissenschaften befähigt sei. Ich aber gestehe dies – wie auch vieles andere – gerne zu. Jedoch nicht irgendein Körper. Denn auch du willst das nicht und würdest es wohl auch nie gutheißen. Also muß der Körper notwendigerweise über ein bestimmtes Mischungsverhältnis verfügen. Wie
Alle Glieder entstehen aus demselben Samen.
202 Homo plures subit mutationes.
Anima et corpus utcumque contraria expetunt.
Cur pauci studeant. Corpus otium expetit.
Omnes ad honores aut divitias student.
Egeni plurimi ad litteras currunt.
quod nihil scitur
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est illud? Forsan non dabis. Sed esto, dederis. Hic nuper natus quot subit mutationes ab aere, loco, motu, cibo, doctrina? Cogita tutemet. Si dives, delicate tractatur, pinguescit, totus corporeus fit, ineptus ad studium. Anima enim et corpus utcumque contraria expetunt, per te, ut in Anima dicemus. Quin neque parentes eum studio et laboribus | consumi permittunt: sed in corporis, et ad corporis cultum componunt omnia: de moribus solum (et o utinam) modicum soliciti. Et (ut hominum maior pars facit, et quidem prudenter, natura ad hoc impellente) sanitati, et divitiis, reliquisque, quae vitam beatam efficere possunt, studere docent: unde evenit ut tam pauci studio literarum incumbant. Sed esto, permittant, et velint parentes: puer detrectat. Corpus enim otium semper expetit: labor nobis inimicus omnibus. Divitiae revocant animum, delitiae disturbant, pellicit mundus. Illeque sane summus mihi est Apollo, qui, cum huius seculi bonis frui queat, his neglectis, rerum contemplationi se dedit, miserrima omnium status permutatione. Sed rara avis in terris. Omnes aut ad laudem, aut dignitates, aut divitias: vix unus scientiam amplectitur propter seipsam: sicque tantum quisque laborat solum, quantum sufficiat ad acquirendum finem, non scientiae, sed ambitionis suae. Egeni autem ad studia plurimi advolant, tristi principio, adverso medio, turpi fine. Tristis enim ege-
tutemet L(e) : tumet L – delicate L(e) : deliciose LT prudenter deest in T plurimi L(e) : plurima L
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beschaffen ist er? Du wirst vielleicht keine Antwort geben, aber nehmen wir an, du habest geantwortet. Wievielen Veränderungen dieser neugeborene Mensch ausgesetzt ist durch Luft, Ort, Bewegung, Speise und Bildung! Denke für dich darüber nach. Wenn er reich ist, wird er verwöhnt, er wird fett, ganz Leib und für das Studium ungeeignet. Denn die Seele und der Körper erstreben sozusagen Gegensätzliches gemäß deinem Standpunkt, wie ich in Die Seele zeigen werde. Darüber hinaus erlauben ihm seine Eltern nicht, die Zeit mit Studien und ausdauernder Tätigkeit zuzubringen, sondern sie richten alles ein im Hinblick auf und für die Pflege des Körpers. Um seinen Charakter sind sie nur (und hoffentlich wenigstens das) mäßig besorgt. Und (wie es der größte Teil der Menschen tut – und gewiß klugerweise –, weil die Natur sie dazu antreibt) sie lehren ihn, sich um Gesundheit, Wohlstand und alles übrige zu bemühen, was ein glückliches Leben zu bewirken vermag. Daher kommt es, daß sich so wenige eifrig um Bildung bemühen. Aber nehmen wir an, die Eltern erlaubten und wünschten es. Das Kind lehnt es ab. Denn der Körper strebt immer nach Muße. Anstrengung ist unser aller Feind. Wohlstand hält die Seele zurück, Luxus verwirrt sie und die Welt verführt sie. Und jener gilt mir gewiß als der höchste Apoll, der, obschon er in der Lage ist, die Güter dieser Welt zu genießen, diese vernachlässigt und sich der Untersuchung der Dinge hingegeben und dabei in Kauf genommen hat, daß sich seine Stellung drastisch verschlechtert. Aber ein solcher ist „ein seltener Vogel auf Erden“. Alle streben nach Ruhm, Ehre und Reichtum, kaum einer ergreift die Wissenschaft um ihrer selbst willen. Und so ackert jeder nur so weit, bis es reicht, das Ziel zu erreichen, nicht das der Wissenschaft, sondern das seines Ehrgeizes. Von den Armen aber eilen sehr viele zu den Studien, die aber traurig beginnen, widrig verlaufen und schimpflich en-
Der Mensch erleidet zahlreiche Veränderungen.
Seele und Körper erstreben immer Gegensätzliches.
Weshalb wenige studieren.
Der Körper strebt nach Muße.
Alle streben nach Ehre und Reichtum.
Sehr viele Arme eilen zu den Studien.
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Psittaci vino poto melius garriunt.
Studenti finis debet esse, scire.
Nullus ex se doctus evadit. Causae docendae falsitatis.
quod nihil scitur
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stas est, quae impellit, eadem impedit: eadem satiata finit scientiam pauperis. Non enim amplius student, quam ut eam fugere valeant. Hinc illud: Ingenium volitat, paupertas deprimit illud. Et illud: Divinum ingenium plena crumena facit. Et ille: Quaerenda pecunia primum est: Virtus post nummos. Utque sine Cerere et Bacho friget Venus, sic Pallas. Psittaci proinde vino poto melius garriunt, discuntque: et quidam etiam homines. Unde: Foecundi calices quem non fecere disertum? Quid non tentare cogit fames? Quid plura refero? Nunquam finem facerem. Sit haec | conclusio. Studenti nullus finis esse debet alius, quam scire. Egeno vero hic aut non est, aut eo solum est, ut egestatem vitet. Quare qui propter ventrem studebat solum, hoc repleto obdormit, scientiasque post tergum mittit, quibus non delectatur, quia ineptus est illis: si vero aptus delectetur, impedit egestas: et hoc miserandum. Quod si adhuc et divitem, et pauperem omnia necessaria habere ad scientiam contendas, et voluntatem non deesse, supponamus sic esse, vide quae sequantur difficultates. Incipiens uterque instruendus est. Quis enim tam foelix, ut ex se doctus evadat? Atque quot miseriae in instructione! quam pauci bonos nanciscuntur doctores! Hi vel propter praemii parvita-
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den. Denn traurig ist die Armut, die sie antreibt und sie ebenso hindert. Wenn sie gesättigt ist, beendet sie die wissenschaftliche Betätigung der Armen. Sie treiben ihre Studien nicht weiter, als bis sie der Armut entfliehen können. Daher jenes Sprichwort: „Die Begabung strebt in die Höhe, die Armut drückt sie nieder.“ Und jenes: „Eine volle Geldbörse macht eine göttliche Begabung.“ Und jenes: „Zuerst ist Reichtum zu erstreben, Tugend folgt dem Bargeld.“ Oder auch: „Ohne Ceres und Bacchus bleibt Venus kalt“ – und ebenso Pallas. Demgemäß plaudern und lernen Papageien besser, wenn sie Wein getrunken haben, und so auch gewisse Menschen. Daher: „Wen machen volle Becher nicht beredt?“ Was zwingt der Hunger nicht zu versuchen? Warum soll ich noch mehr zitieren? Ich würde nie zu einem Ende kommen. Folgendes sei meine Schlußfolgerung: Ein Student darf kein anderes Ziel haben als das Wissen. Ein armer Student aber hat dieses Ziel nicht oder nur, um seiner Armut zu entkommen. Wer sich deshalb nur wegen des Bauches dem Studium gewidmet hat, der schläft, wenn dieser einmal gefüllt ist, ein und wendet den Wissenschaften den Rücken zu, an denen er sich ja auch nicht erfreut, weil er zu ihnen nicht befähigt ist. Sollte er aber zu ihnen befähigt sein und sich an ihnen erfreuen, so hindert ihn die Armut daran, und das ist beklagenswert. Wenn du aber immer noch behaupten solltest, daß sowohl der Reiche als auch der Arme über alle notwendigen Voraussetzungen für die Wissenschaften verfügten und ihnen der Wille nicht fehlte, wollen wir annehmen, daß es sich so verhalte. Betrachte aber die Schwierigkeiten, die daraus folgen. Am Anfang müssen beide unterrichtet werden. Wer ist nämlich so glücklich, daß er von selbst ein Gelehrter wird? Und wieviel Mühsal birgt der Unterricht! Wie wenige haben das Glück, gute Lehrer zu haben! Wegen des geringen Gehalts oder wegen Trägheit, we-
Papageien, die Wein getrunken haben, plaudern besser.
Das Ziel des Studenten muß das Wissen sein.
Niemand wird von selbst ein Gelehrter.
Ursachen des Unterrichtens von Falschem.
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Tyro credere debet.
Magna pueris recipiendi promptitudo.
Indigna Philosopho sententia. Timotheus.
Unde Philosophorum sectae. Vanae occupationes.
quod nihil scitur
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tem, vel ob desidiam, vel ob invaletudinem, vel ob egestatem, (cui dum provident, studio vacare nequeunt) vel ob invidiam, vel ob metum, vel ob superbiam, vel ob amorem, vel ob inimicitiam, vel ob discipulorum ineptitudinem, (si talem de eis conceperint opinionem) vel (quod omnium pessimum, magisque crebrum) ob inscitiam: hi inquam ob haec omnia, vel plura, aut veritatem, si noverint utcunque, celant, aut falsa docent. Quo quid calamitosius tyroni evenire possit? Hic enim credit, ut et convenit, et necesse est incipienti: semelque ebibitum errorem, vix unquam in posterum, quacunque ratione id coneris, deponere potest. Tanta est recipiendi, retinendique vis puerilibus annis: praecipue si praeceptoris authoritas maxima fuerit. Unde illud: Quo semel est imbuta recens servabit odorem Testa diu. Hinc illorum Αὐτὸς ἔφα tam illiberum, indignumque Philosopho. Hac ratione et ille cum incipiente simplex paciscebatur prae- | mium: cum eo autem qui sub alio didicerat praeceptore, duplum: cum duplo etiam labore opus esset, altero ad eradicandum errorem, quem iam ebiberat, ad seminandam veritatem altero. Hinc Philosophorum sectae natae sunt: illudque, Iurare in verba magistri. Unde tot tantaque effundunt: hic pro defensione huius: ille contra, ut expugnet: volumina implent de intelligendo praeceptore: novas fingunt, infinitasque explicationes, intelligentias, distinctionesque, quas nunquam ne somniavit
vix L(e) : virum L
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gen schlechter Gesundheit, wegen Armut (während sie dieser abhelfen, haben sie keine Zeit für Studien), wegen Neid, wegen Furcht, wegen Hochmut, wegen Liebe, wegen Feindschaft, wegen der Unfähigkeit der Schüler (wenn sie zu einer solchen Meinung über diese gekommen sind) oder (was das allerschlimmste ist und am häufigsten vorkommt) wegen Unwissenheit – aus all diesen oder noch viel mehr Gründen, sage ich, verbergen sie entweder die Wahrheit, wenn sie sie irgendwie erkannt haben, oder sie lehren Falsches. Könnte einem Neuling etwas Verheerenderes geschehen? Der glaubt nämlich seinen Lehrern, wie es sich einerseits gehört und wie es andererseits auch notwendig ist für einen Anfänger. Ist ein Fehler aber einmal aufgesogen, kann man ihn später kaum mehr ablegen, wie auch immer man es versucht. So groß ist die Aufnahmebereitschaft und die Güte des Gedächtnisses in jungen Jahren, vor allem wenn der Lehrer über sehr große Autorität verfügt. Daher kommt der Ausspruch: „Womit ein neuer Krug einmal gefüllt wurde, dessen Geruch wird er lange bewahren.“ Und ebenso ihr „Er selbst hat es gesagt“, das so sklavisch und eines Philosophen unwürdig ist. Aus diesem Grund vereinbarte Timotheus mit dem Anfänger einen einfachen Betrag, mit einem aber, der schon bei einem anderen Lehrer im Unterricht war, den zweifachen, da auch eine zweifache Anstrengung nötig sei: eine, um ihm die Fehler auszutreiben, die er schon aufgesogen hatte, und die zweite, um ihm den Samen der Wahrheit einzupflanzen. Daher sind die Schulen der Philosophen entstanden und ebenso jenes „Schwören auf die Worte des Lehrers“. Daher verbreiten sie sich so oft und weitläufig, dieser zur Verteidigung von jenem, ein dritter dagegen, um ihn zu widerlegen. Sie füllen Bücher darüber, wie ihr Lehrer zu verstehen ist, sie erfinden neue, endlose Erklärungen, Interpretationen und Unterscheidungen, die sich jener nicht einmal
Der Neuling muß glauben.
Die große Aufnahmebereitschaft der Knaben.
Ein eines Philosophen unwürdiger Satz. Timotheus.
Woher die Schulen der Philosophen entstanden sind. Nichtige Beschäftigungen.
208 Stultitia eorum qui omnia quae ab alio dicta sunt, tuentur.
Inutiles labores.
quod nihil scitur
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quidem ille. Quinimo et tam stulti aliqui sunt, ut omnia, quae ab hoc, vel illo authore tradita sunt, defendere se posse iactent: ad idque se parent nugis, tricisque adeo circunsepti, et armati, ut venatorem dicas, qui retibus turdos, fictoque sibilo aucupari tentet. Quibus ipsimet irretiti, seipsos explicare nequeunt: sicque incidunt in foveam, quam aliis parabant: moreque Aesopici aucupis, dum columbo insidiantur, a colubro capiuntur. Et quemadmodum ii qui tormentis utuntur bellicis, (hacquebutas, aut sclopetos vocant) dum, ut alium occidant, oculo admoventes uni, ut recta feratur glans, ignem pulveri immittunt, si obstructa nimis fuerit machina, contrarium experiuntur, quam volebant: recalcitrante scilicet illa, caputque illis confringente. Sic hi dum aliis machinantur falsa, ipsi falsis involvuntur. Alii colligunt praecipua, epitomasque faciunt. Alii in tabulas digerunt, in capita, in libros, quae ab aliis confuse scripta sunt. Alii contra ampliant, addunt, extendunt, commentantur, et commentiuntur plurima. Alii superstitiosa, fatuaque pietate, dissidentes conciliare, in pacemque omnino bellantes redigere conantur. Alii contra eadem sen- | tientes inimicos faciunt, dum diversa scribere, et intelligere affirmant. Alii opus hoc illius esse asserunt. Alii contra, sed alterius. In his autem omnibus probandis, quibus non utuntur argumentis? quid non fingunt? quid non
– epitomasque L(e) : Epitomesque L
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hätte träumen lassen. Einige sind sogar so töricht, daß sie sich brüsten, alles, was diese oder jene Autorität gelehrt hat, verteidigen zu können. Zu diesem Zweck erscheinen sie ausgestattet und gerüstet mit Flausen und Unsinn, so daß du sie für Jäger halten könntest, die versuchen, mit Netzen und Vogelpfeife Drosseln zu fangen. Indem sie sich in ihren eigenen Netzen verstricken, können sie sich selbst nicht mehr erklären, und so fallen sie in die Grube, die sie anderen gegraben haben, und nach der Art des Vogelfängers bei Aesop werden sie, während sie einer Taube auflauern, von einer Schlange gebissen. Und ebenso wie jene, die Schießwaffen benutzen (sie nennen sie Hakenbüchsen oder Musketen), wenn sie, um einen Gegner zu töten, die Waffe an ein Auge heben, damit die Kugel auf der richtigen Bahn fliege, und das Pulver entzünden, wenn das Gerät allzu stark geladen wurde, das Gegenteil von dem erleben, was sie beabsichtigten – der Rückstoß bricht ihnen nämlich den Schädel – so verfangen sich diese, während sie sich Tücken für andere einfallen lassen, selbst darin. Einige sammeln die wichtigsten Lehrsätze und verfassen Auszüge. Andere stellen auf Tafeln in Kapiteln in Büchern das ordentlich dar, was von anderen verworren aufgeschrieben wurde. Andere dagegen vermehren, vergrößern und erweitern die Werke anderer, kommentieren sie und lügen vieles zusammen. Andere versuchen aus übertriebenem und einfältigem Pflichtgefühl die Vertreter abweichender Meinungen zu versöhnen und die kriegsführenden Parteien zum Zusammenleben in Frieden zu bewegen. Andere dagegen machen sich diejenigen, die dieselbe Ansicht wie sie selbst vertreten, zu Feinden, indem sie behaupten, daß diese etwas anderes schrieben als sie meinten. Andere erklären, dieses Werk sei jenem zuzuschreiben, andere dagegen, einem anderen. Welche Argumente aber benutzen sie nicht, um all diese Behauptungen zu beweisen? Was lassen sie sich nicht al-
Die Torheit derjenigen, die alles, was von einem anderen gesagt wurde, verteidigen.
Unnütze Anstrengungen.
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Pauci naturam in se contemplantur.
Quisque pro natura sua reliquos iudicat.
quod nihil scitur
tentant? quid non excruciantur? Si non sufficiant falsa probabilia, utuntur veris improbandis, contumeliis scilicet, invectivis, famosis libellis, iurgiis. Denique his non contenti, ad arma veniunt, ut quae ratio non potuit, vis cogat, militum modo. Sic qui scientifici dicuntur, bruta fiunt. An non haec furor, et insania? Qui naturam investigare dicuntur, nil minus quam id agunt: dum quid hic, illeve voluerit, non quid hoc, illudve in natura sit, digladiantur: totamque in illis absumunt vitam, similes cani, qui visam umbram in aqua carnis, quam ore ferebat, hac dimissa, sectatur irrito, inanique conatu: tauroque, qui hominem sectans, invento huius pallio, in id saevit, hominis amplius non solicitus, immemorque. Sic illi naturam quaerentes, ad homines se convertunt, illam omnino relinquentes. Proinde nil ipsi sciunt aliud, quam psittacorum more referre ea, quae in aliis scripta invenere, prorsus ignari eorum quae proferunt. Et horum quidem maxima in scientiis multitudo: qui autem naturam ipsam in se scrutetur, vix ullus, aut saltem admodum pauci, quique apud illos, et vulgum indocti iudicantur. Nec mirum. Iudicat enim quisque pro natura sua reliquos. Sic doctus doctum iudicat, et laudat, quia percipit quae
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les einfallen? Was lassen sie unversucht? Womit quälen sie sich nicht ab? Wenn Falsches, aber Glaubwürdiges nicht ausreicht, verlegen sie sich auf Wahres, aber Verwerfliches, auf Schmähungen nämlich, Invektiven, verleumderische Publikationen und Zänkereien. Damit noch nicht zufrieden, greifen sie schließlich zu den Waffen nach Art der Soldaten, damit die Gewalt das, was die Vernunft nicht vermochte, erzwingt. So werden die, die Gelehrte genannt werden, zu wilden Tieren. Ist das etwa nicht Wahnsinn und Raserei? Diejenigen, von denen man sagt, daß sie die Natur erforschen, betreiben nichts weniger als das, indem sie sich darüber in den Haaren liegen, was dieser oder jener behauptet habe, nicht aber darüber, was dies oder jenes in der Natur sei. In diesen Auseinandersetzungen vergeuden sie ihr ganzes Leben, wobei sie jenem Hund gleichen, der, als er im Wasser das Spiegelbild des Fleischstücks sah, das er in der Schnauze trug, dieses fallen ließ und vergeblich und sinnlos nach dem Spiegelbild schnappte. Oder jenem Stier, der einem Menschen nachjagte, und als er dessen Mantel fand, seine Wut an diesem ausließ, sich nicht mehr um den Menschen kümmerte und ihn vergaß. So wenden sich auch diese, während sie die Natur untersuchen, den Menschen zu und lassen die Natur völlig außer acht. Daher wissen sie selbst nichts anderes zu tun, als nach Art der Papageien alles zu wiederholen, was sie in den Schriften anderer gefunden haben, wobei sie geradezu gar nichts verstehen von dem, was sie vortragen. Von diesen gibt es aber in den Wissenschaften eine große Menge, von jenen dagegen, die die Natur selbst als solche untersuchen, gibt es kaum einen oder höchstens sehr wenige, und diese werden von den obengenannten und vom Volk für ungelehrt gehalten. Das ist nicht verwunderlich. Jeder beurteilt nämlich die andern nach seiner eigenen Natur. So beurteilt der Gelehrte den Gelehrten und lobt ihn, weil er versteht,
Wenige untersuchen die Natur als solche.
Jeder beurteilt die anderen nach seiner eigenen Natur.
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Simile simili gaudet.
Foelix qui probum nanciscitur doctorem.
Parvus error in principio magnus est in fine. Fere semper erramus.
Vix duo in omnibus conveniunt. Veritas semper sibi constat.
quod nihil scitur
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dicit: indoctus negligit, quia non capit: contra extollit inertem, quia idem cum eo sentit. Simile enim simili gaudet, dissimile respuit. Sub quocumque autem | horum infoelix iuvenis literas ebibat, ut frequentius ebibit, (foelicissimus enim ille est, qui sub experto magistro, vereque docto initiatus est, ut et rarissimus) actum est de eius scientia: nisi aliquo actus sydere resipiscat. Atque si semper sub eodem studeat doctore, (quod vix unquam fieri potest) semper errabit, si semel erraverit. Imo continuo magis errabit. Parvus enim error in principio, magnus est in fine: et dato uno absurdo, plurima sequuntur. Quis autem est qui semel non erret? Aut quis qui semel erret? Dubito an semper non erremus. Quod si a pluribus doceatur, hoc opus, hic labor est. Pauci quos aequus amavit Iupiter, aut ardens evexit ad aethera iudicium, diis geniti, potuere ab erroribus se expedire: tenent media omnia sylvae difficilimae. Dum diversi hi perpetua contentione se agitant, miserum incipientis ingenium misere distrahunt, dilacerantque. Hic illi hoc inculcat: ille contrarium persuadere conatur. Quis enim duos in omnibus convenire vidit? Atqui maximum veritatis, proindeque et scientiae alicuius, certitudinis indicium est doctorum concordantia. Veritas enim semper sibi
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was dieser sagt; der Ungelehrte schätzt ihn gering, weil er ihn nicht versteht, und preist dagegen den Einfältigen, da er selbst dasselbe denkt wie jener. „Gleiches erfreut sich nämlich an Gleichem“, Ungleiches mißbilligt es. Bei welchem von diesen aber auch immer ein unglücklicher Jüngling seine Bildung aufgesogen hat, was sehr häufig vorkommt (der glücklichste nämlich ist derjenige, der unter einem erfahrenen und wirklich gelehrten Lehrer eingeweiht wird, was äußerst selten ist) – es ist um seine Wissenschaft geschehen, wenn er nicht geleitet von irgendeinem Gestirn wieder zur Besinnung kommt. Und wenn er immer bei demselben Gelehrten studieren sollte (was kaum je möglich ist), wird er sich immer irren, wenn er sich einmal geirrt hat. Er wird sich sogar immer mehr irren. Denn „ein kleiner Fehler am Anfang ist ein großer Fehler am Ende“, und wenn eine Ungereimtheit zugestanden worden ist, folgen viele. Wer aber ist derjenige, der sich nicht ein einziges Mal irrt? Oder wer ist derjenige, der sich nur ein einziges Mal irrt? Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns nicht immer irren. Wenn er aber von mehreren unterrichtet wird, dann ist „dies ein Stück Arbeit, eine Mühe. Wenige nur, die der gerechte Jupiter liebte“, oder die das glänzende Urteilsvermögen „zum Himmel emporhob, Kinder der Götter, waren dazu im Stand“ sich von Irrtümern zu befreien. „Wälder erfüllen die Mitte“, voll von Schwierigkeiten. Indem sich die entgegengesetzten Parteien einen immerwährenden Streit liefern, zerreißen und zerfleischen sie elend das arme Denkvermögen des Anfängers. Der eine schärft ihm etwas ein, der andere versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Wer hat nämlich jemals zwei Menschen in allen Dingen übereinstimmen gesehen? Übereinstimmung unter den Gelehrten ist aber das deutlichste Zeichen der Wahrheit und demgemäß auch der Gewißheit jeder Wissenschaft. Die Wahrheit stimmt
Gleiches erfreut sich an Gleichem.
Glücklich, wer auf einen tüchtigen Lehrer trifft.
Ein kleiner Fehler am Anfang ist ein großer Fehler am Ende.
Wir irren uns beinahe immer.
Kaum zwei stimmen in allem überein. Die Wahrheit stimmt immer mit sich selbst überein.
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Qui falsa astruunt plurimum garriunt.
Maxima utilitas discenti, si docens bona utatur methodo.
Laboriosum est scire methodo uti.
Pauci recta utuntur methodo.
quod nihil scitur
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constat. Contra vero nil magis arguit incertitudinem scientiae, quam diversitas opinionum artificum. Quod commune est omnibus scientiae cuiuslibet doctoribus: ut inde colligas etiam quam parum certitudinis scientiis insit nostris. Sic debilem tyrunculum adversi doctores trahunt in confusionem, ambiguitatemque. Qui subinde nescit quo se vertat: sed prout illi videtur vel huic, vel illi adhaeret: saepius decipienti. Hic enim plurimum garrit, ut mos est illis qui falsa astruunt: sicque pauperem iuvenculum ad se trahit, | qui victorem iudicat eum, qui magis clamavit. En tibi scientem. Sic multo tempore in his versatur procellis: saepius tota vita. Quod si ad methodum docendi accedamus, non hic erit minor difficultas, quinimo maior: sive eos, qui viva voce docent, spectes, sive qui scriptis. Eadem enim utriusque ratio. Porro maxima hinc discenti accedit vel utilitas, si bona methodo utatur doctor: vel difficultas, et damnum, si perversa. Nihil enim tantum in docendo momentum habet, quantum methodus: quae subinde tam varia hominibus est: quaque uti scire non minus laboriosum, ingenioque plenum est, quam utile: nec minus rarum, quam necessarium. Nullus proinde est qui huic plurimum non studeat, insudetque: paucique admodum, aut fere nullus, qui vel scopum attigerit, vel attigisse credatur. Cum enim ars infinita forsan sit, ut iam diximus, vita vero om-
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nämlich immer mit sich selbst überein. Dagegen verrät nichts mehr die Ungewißheit der Wissenschaft als die Meinungsverschiedenheit unter den Experten. Das ist bei allen Gelehrten jeder Wissenschaft der Fall, so daß du auch daraus schließen kannst, wie wenig Gewißheit in unseren Wissenschaften ist. So stürzen verfeindete Gelehrte den schwächlichen kleinen Anfänger in Verwirrung und Zweifel. Dieser weiß infolgedessen nicht, wohin er sich wenden soll, sondern er schließt sich, wie es ihm gerade richtig scheint, diesem oder jenem an, wobei er sich allzu oft täuscht. Denn dieser schwatzt sehr viel, wie es üblich ist bei denen, die Falsches ersinnen, und so zieht er den armen Jüngling auf seine Seite, der denjenigen für den Sieger hält, der lauter schreit. Da hast du deinen Wissenden! So verbringt er viel Zeit in diesen heftigen Stürmen, allzu oft sein ganzes Leben. Wenn wir aber zur Lehrmethode kommen, wird dort die Schwierigkeit nicht kleiner, sondern vielmehr größer sein, gleichgültig, ob du diejenigen betrachtest, die mündlich, oder diejenigen, die schriftlich lehren. Beide haben dieselbe Vorgehensweise. Ferner profitiert der Lernende am meisten, wenn der Gelehrte eine gute Methode verwendet, gerät aber in Schwierigkeiten und erleidet Schaden, wenn der Gelehrte eine verkehrte verwendet. Nichts ist nämlich beim Lehren so entscheidend wie die Methode, die bei den Menschen immer wieder so verschieden ist. Zu wissen wie man sie verwendet, ist nicht weniger beschwerlich und erfordert nicht weniger Denkvermögen, als es nützlich ist – und es ist ebenso selten wie notwendig. Es gibt daher niemanden, der sich nicht eifrig darum bemühte und dabei nicht ins Schwitzen geriete. Und es gibt nur sehr wenige oder vielleicht keinen, der das Ziel erreicht hätte oder der im Ruf stünde, es erreicht zu haben. Während nämlich die Kunst vielleicht unendlich lang ist, wie ich schon gesagt habe, ist das Leben hin-
Wer Falsches ersinnt, schwatzt sehr viel.
Der Lernende profitiert am meisten, wenn der Lehrer eine gute Methode verwendet.
Es ist beschwerlich zu wissen, wie man die Methode verwendet.
Wenige verwenden die richtige Methode.
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Unde scribentium tanta diversitas.
Brevitas obscuritatem parit.
Medium utrique extremo utcumque contrarium.
quod nihil scitur
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nium brevissima rerum, cui illam commensurare oportet vel docere, vel discere volenti, maximam nobis imponit curam, conantibus scilicet infinitum finito metiri, et quod magis est, comprehendere: unde tanta scriptorum varietas. Quorum hic artem contrahere (cui vitam producere non licet, quod potius esset, et necessarium) dum nititur, longiorem efficit viam, difficilioremque brevitate, subindeque obscuritate sua (Nam obscurus fio dum brevis esse laboro) tempus nobis absumens, quod rebus intelligendis, non eius scriptis impendi deberet: capitaque rerum solum nobis devoranda dat. Alter dum artem fuse, ut est, prodit, in primis consenescit principiis, nosque cum illo. Hos, qui impatientes laboris sunt, quique acutiore ingenio, damnant: quod pluribus verbis, quae hi | brevibus perciperent, inculcent. Laudant vero morosi et rudes, quibus nihil unquam satis explanatum. Illos contra. Si quis medio scribat modo, (si quis forsan sit) ab his omnibus improbatur: et quod non sat brevis, et quod iusto brevior. Medium enim utrique extremo utcumque contrarium est. Ab iis solum commendatur, qui medio etiam gaudent, et ipsi mediocres. Hi rari admodum, sicut et pulchra omnia, incognitique. Iam docti alii ab his iudicantur: ab illis contra. Hic loquitur compte,
obscurus fio T : obscurus, fio L Illos L(e) : Illi L : illi T
eius L(e) : eorum L
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gegen das kürzeste von allen Dingen, dem derjenige, der lehren oder lernen will, die Kunst angleichen muß, und es auferlegt uns die größte Sorgfalt, da wir nämlich versuchen, das Unendliche mit dem Endlichen zu messen und, was noch weiter geht, zu erfassen. Daher kommt die große Mannigfaltigkeit unter den Autoren. Indem der eine von ihnen bestrebt ist, die Kunst zusammenzuziehen (ihm ist es nicht möglich, das Leben auszudehnen, was vorzuziehen und eher nötig wäre), verlängert er den Weg und erschwert ihn durch seine Kürze und bisweilen durch seine Unklarheit („denn ich werde unklar, wenn ich mich darum bemühe, mich kurz zu fassen“). Damit stiehlt er uns die Zeit, die wir aufwenden sollten, um die Dinge zu verstehen statt seine Schriften. Zu den Dingen gibt er uns nur die Hauptthesen an, und die sollen wir schlucken. Und indem der andere die Kunst weitläufig, wie sie ja ist, ausführt, vergreist er bei den Ausführungen über die ersten Prinzipien und wir mit ihm. Solche Autoren werden von denen, die keine Geduld für mühselige Arbeit haben und über ein messerscharfes Denkvermögen verfügen, verdammt, weil sie diesen mit vielen Worten einbleuen, was sie in wenigen erfassen könnten. Von den pedantischen und rohen Geistern, für die keine Erklärung je hinreichend ist, werden sie aber gelobt. Bei ersteren verhält es sich umgekehrt. Wenn sich aber jemand beim Schreiben an das mittlere Maß hält (falls das überhaupt jemand tut), wird er von all diesen kritisiert sowohl dafür, daß er sich nicht hinreichend kurz faßt, als auch dafür, daß er sich kürzer faßt als angemessen. Das mittlere Maß ist nämlich beiden Extremen in jeder Hinsicht entgegengesetzt. Es wird nur von jenen gepriesen, die sich ihrerseits am mittleren Maß erfreuen und die sich selbst daran halten. Diese sind aber sehr selten und – wie alles Schöne – unbekannt. Wiederum andere werden von den einen für gelehrt gehalten, von den
Woher die große Verschiedenheit unter den Autoren kommt.
Kürze erzeugt Unklarheit.
Das mittlere Maß ist beiden Extremen in jeder Hinsicht entgegengesetzt.
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Nullus unquam omnibus placuit. Natura confusione nostra sibi placuisse videtur.
Exempla successionis rerum. Graecia olim illustrissima in literis et armis.
quod nihil scitur
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pulchreque: ille aspere, et rude. Aliorum hic labores surripit, pro suisque venditat, repetit alius integras suas paginas, sui immemor: hic omnia ubique miscet, et confundit, ille nuda omnia et indiscussa relinquit: garrulus hic, et sophista, ille severus, et gravis: hic novorum inventor acutus, ille veterum assertor ineptus. Quid denique dicam? Quis omnibus placuit unquam? Nec natura ipsa, ut quam quidam damnare, increpareque ausi sunt. Tanta est in rebus varietas, ut natura in his lusisse cernatur, confusioneque nostra sibi placuisse videatur: ut nos eam hinc inde quaerentes, coram nobis existens deluderet, irrideretque. Nec in variis solum rebus varietas conspicitur. Idem homo modo vult, modo recusat: modo id asserit, tandem idem damnat: iam hoc profitetur, de quo si eum mane quaeras, non meminit amplius, nec meminisse vult. Sed et in hac coeli parte nunc vigent literae, tandem omnimoda brutalitas. Illic olim omnia ensis et arma, nunc nihil habes praeter libros. Et, quod magis, haec opinio nunc placet omnibus, hic Doctor in pretio est, mane omnino aliter. Horum omnium exempla videbis si hystorias legas: adducam | tamen unum, alterumve. Quid olim Aegypto, Graeciaque luculentius in literis? Quid in idolis colendis fertilius? Ubi illustriores viri,
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anderen nicht. Dieser spricht gefällig und schön, jener holprig und kunstlos. Dieser klaut die Arbeiten anderer und verkauft sie als die seinigen, ein anderer wiederholt seine eigenen gesamten Werke, da er sich nicht mehr daran erinnert. Dieser mischt alles überall zusammen und verwirrt es, jener beläßt alles nackt und unbesprochen. Dieser ist schwatzhaft und ein Sophist, jener streng und bedächtig. Dieser ist ein scharfsinniger Erfinder neuer Lehren, jener ein ungelenker Bewahrer des Herkömmlichen. Was soll ich abschließend sagen? Wer hat je bei allen Gefallen gefunden? Nicht einmal die Natur selbst, da ja einige wagten, sie zu verurteilen und zu schelten. Eine so große Mannigfaltigkeit ist in den Dingen, daß der Eindruck entsteht, sie habe mit ihnen Scherze getrieben, und es scheint, daß sie an unserer Verwirrung Gefallen gefunden habe, so daß sie uns, die wir überall nach ihr suchen, vor unseren Augen immer wieder Streiche spielt und uns auslacht. Nicht nur in verschiedenen Dingen stellt man die Mannigfaltigkeit fest. Derselbe Mensch will bald etwas, bald sträubt er sich dagegen, bald behauptet er etwas und am Ende verdammt er dasselbe, gegenwärtig bekennt er sich zu einer Ansicht, und wenn du ihn morgen dazu befragst, erinnert er sich nicht mehr daran und will sich auch nicht mehr daran erinnern. Und doch blüht in diesem Teil der Welt momentan die Bildung, am Ende herrscht aber Dumpfheit aller Art. Dort gab es einst überall Schwerter und Waffen und heute findest du nichts außer Büchern. Und, was noch wichtiger ist, eine bestimmte Meinung findet heute allseits Beifall, ein bestimmter Gelehrter ist in hohem Ansehen und morgen ist alles anders. Beispiele für all dies wirst du finden, wenn du Geschichtswerke liest. Ich möchte dennoch das eine oder andere anführen. Wer genoß einst mehr Ansehen in der Bildung als Ägypten und Griechenland? Wer war schöpferischer in der Anbetung von Götterbildern?
Niemand hat je bei allen Gefallen gefunden. Die Natur scheint an unserer Verwirrung Gefallen gefunden zu haben.
Beispiele für die Abfolge der Dinge. Griechenland war einst äußerst berühmt für die Bildung und die Kriegskunst.
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Discens non alicui astringi debet.
quod nihil scitur
tum in scientiis quibuslibet, tum etiam armis? Nunc vero nec ibi musaeum invenias, nec idolum, nec insignem virum. In Italia, Gallia, Hispania nec per somnium doctor erat: omnia Mercurius, et Iupiter. Nunc hic sedent Musae, hic habitat Christus. Iam in Indis quanta hucusque regnavit ignorantia? Iam nunc astutiores, religiosiores, doctioresque sensim nobis fiunt. Sit hoc satis. Quid ergo faciet in tanta rerum varietate calamitosus iuvenis? Quem sequetur? Cui credet? Huic, illi, nulli. Sic ipse elegit, si liber sit. Sin minus, vel totus huic, vel totus illi, vel totus nulli. Quod horum melius? In omnibus fallacia et miseria. Si totus se dedat alicui, servus fit, non doctus: illiusque dogmata quo iure, quaque iniuria tuetur quantum potest. Sic fit miles, qui ducem sequitur quocumque trahat, ut pro eo pugnet: non memor amplius sui, cum eoque perit. Sic iuvenis noster, eiusque scientia perit, quoties se alicui pertinaciter adnectit. Nec enim sine dispendio veritatis quis potest iurare in verba magistri. Quod si omnibus aeque credat, aequeque nulli: ut ab omnibus excerpat, quae sibi videantur, magis liberum hoc est: sed et difficile magis. Quanto enim iudicio eget qui horum lites dirimere conatur? Quisque pro se suas habet rationes, argumentaque, ut sibi videtur, inexpugnabilia.
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Wo gab es berühmtere Männer sowohl in allen Wissenschaften als auch in der Kriegskunst? Heute findest du dort wohl weder einen Musentempel noch ein Götterbild noch einen ausgezeichneten Mann. In Italien, Frankreich und Spanien gab es nicht einmal im Traum einen Gelehrten, alles war Merkur und Jupiter. Heute haben die Musen hier ihren Sitz, hier wohnt Christus. Welch große Unwissenheit herrschte aber auch bei den Indianern bis vor kurzem? Schon werden sie nach und nach klüger, gottesfürchtiger und gelehrter als wir. Das soll genügen. Was soll also angesichts der so großen Mannigfaltigkeit der Dinge der unglückliche Jüngling tun? Wem soll er sich anschließen? Wem soll er glauben? Diesem, jenem, keinem. So wählt er selbst, wenn er frei ist. Wenn nicht, muß er sich entweder ausschließlich diesem oder ausschließlich jenem oder ausschließlich keinem anschließen. Welche Möglichkeit ist die bessere? In allen drohen Fehlschlüsse und Elend. Sollte er sich ausschließlich einem überantworten, wird er ein Sklave, kein Gelehrter. Dessen Lehrsätze wird er mit aller Kraft bewahren, mit rechten oder unrechten Mitteln. So wird er ein Soldat, der seinem Feldherrn folgt, wohin dieser auch immer zieht, um für ihn zu kämpfen. Er denkt nicht mehr länger an sich und geht mit ihm zugrunde. Ebenso geht unser Jüngling und seine Wissenschaft zugrunde, sooft er sich hartnäckig jemandem anschließt. Niemand kann nämlich ohne Verlust der Wahrheit „auf die Worte des Lehrers schwören“. Wenn er aber in gleichem Maß allen glaubt und in gleichem Maß keinem, um aus allem das auszulesen, was ihm richtig zu sein scheint, so ist das zwar viel freier, aber auch viel schwieriger. Welch ein Urteilsvermögen braucht nämlich jemand, der ihre Auseinandersetzungen zu klären versucht! Jeder hat zur Verteidigung des eigenen Standpunkts seine Gründe und – so scheint es jedem – unwiderlegbare Argumente. Und trotzdem kann kein
Der Lernende darf sich auf niemanden verpflichten.
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Saepe quis sophismate deceptus veritatem deserit.
Quid prosit syllogistica scientia.
quod nihil scitur
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Neque tamen inter hos iudicium ferre sine iudicis periculo est: qui pro quocumque tulerit sententiam, pro eo sibi standum etiam proponat. Quod si male iudicaverit, sententiae suae | poenam feret. Ignorabit enim veritatem, sicut et alter pro quo male sententiam tulit, quod pessimum est. Sed et pro quocumque sententiam ferat cum eo contra alium semper illi pugnandum est: alio semper negocium facescente ambobus, novaque fingente arma, quae repellere necesse est. Saepeque contingit, ut, quemadmodum in bello quis, quanquam aequitate, armis, et viribus maior hoste sit, arte tamen et astu circunventus pereat: sic qui veritatem tenet, tueturque, argumentis contrariis obruatur: quibus cum resistere nequeat, animum despondet, veritatemque deserit, ut hosti se dedat. Hoc ut saepe contingit, sic veritatem obfuscat, dum qui falsa adstruit acutus est, subtilisque. Et id promovit ille syllogistica sua scientia, in qua optima consequentia ex falso quandoque verum sequitur. Sic verum nunc cum vero, nunc cum falso mixtum non discernitur: sed nunc verum falsum apparet, nunc falsum verum. Sicque qui melius retes syllogisticos extendere novit, hic quod vult adstruit. Cumque ignari docendi essent veritatem, cavendumque omni modo ne deciperentur, praecipue quibus eam inveniendi non est potestas: ille contra eis insidias struere docuit, quibus veritatem, si
animum L(e) : animo L
dass nichts gewusst wird
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Urteil zugunsten von irgendeiner Partei gefällt werden, das keine Gefahr für den Richter birgt. Wer in jemandes Interesse urteilt, der muß sich vor Augen halten, daß er sich auf dessen Seite stellen muß. Wenn er aber schlecht urteilt, wird ihm sein Schiedsspruch Strafe bringen. Er wird die Wahrheit nicht kennen, ebensowenig wie der andere, zu dessen Gunsten er das schlechte Urteil gefällt hat, was das Allerschlimmste ist. Aber in wessen Interesse er auch immer das Urteil gefällt hat, mit diesem muß er immer gegen einen anderen kämpfen, wobei der andere ständig Händel sucht mit beiden und neue Waffen ersinnt, die abgewehrt werden müssen. Und oft kommt es vor, daß – wie im Krieg, wo einer, obschon er an Geduld, Waffen und Kräften dem Feind überlegen ist, durch Kunst und List in die Falle gelockt wird und zugrundegeht –, wer die Wahrheit vertritt und verteidigt, durch entgegengesetzte Argumente in den Staub gedrückt wird. Weil er ihnen nicht standhalten kann, verliert er den Mut und läßt die Wahrheit im Stich, um sich dem Feind zu ergeben. Sooft das geschieht, verdunkelt er so die Wahrheit, bis der, der falsche Ansichten erfindet, als scharfsinnig und sorgfältig gilt. Dies hat Aristoteles durch seine syllogistische Wissenschaft gefördert, in der unter Beachtung der besten Schlußregeln ab und zu aus Falschem etwas Wahres folgt. So läßt sich das Wahre, das bald mit dem Wahren, bald mit dem Falschen vermengt ist, nicht mehr unterscheiden, sondern bald erscheint das Wahre falsch, bald das Falsche wahr. Wer die syllogistischen Netze gut auszuspannen weiß, kann so erfinden, was er will. Während also den Unwissenden die Wahrheit gelehrt werden sollte und man in jeder Weise verhüten sollte, daß sie sich täuschen, vor allem weil sie noch nicht die Fähigkeit haben, sie zu finden, lehrte Aristoteles diese im Gegenteil, Hinterhalte einzurichten, durch welche sie dazu gebracht werden sollten, die Wahrheit, wenn sie sie ir-
Oft läßt jemand, getäuscht durch ein Sophisma, die Wahrheit im Stich.
Wozu die syllogistische Wissenschaft dient.
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Verbosior doctior est apud Dialecticos.
quod nihil scitur
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eam utcumque tenent, deserant: quam alias, nisi telis his circumvenirentur, tenerent. Sic vidi ego quandoque garrulum sophistam conantem persuadere ignaro cuipiam, album esse nigrum: cui hic: Ego non intelligo rationes tuas, quia non studui ut tu: bene tamen sentio, aliud esse album a nigro: argue tu modo quantumcumque volueris. Et sane memini, dum | Dialecticae initiarer fere puer, a provectioribus aetate, et studio in certamen saepe provocatum, ut ingenii mei periculum facerent: qui subinde fallaces syllogismos mihi obiiciebant: quorum ego fallaciam non videns, aliquando onere premebar, falsaque concedebam, non tamen manifeste falsa: cum tamen manifeste falsa sequebantur: tunc cruciabar admodum, si statim defectum non ostendissem: nec quiescebam donec invenissem. An non satius fuisset, tempus, quod in quaerendo defectu syllogismi absumebam, in cognoscenda causa aliqua naturali dispendere? Denique apud hos syllogizantes ille doctior est, qui melius garrit: ille verum protulit, qui decipulam optime construendo, socium, aut adversarium vicit, eoque redegit, ut aut concederet infallibiles quas vocant consequentias: (quas negare esset ridiculum, et impium: plenae tamen sunt rimis, laqueisque, quos qui non videt, ab eis captus cogitur dare manus, concedereque quod alter volebat, falsum licet) vel cum captum se videat, nec tamen dolum per-
studui L(e) : studii L
cruciabar L(e) : cruciebar L
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225
gendwie zu fassen bekommen, im Stich zu lassen, an der sie andernfalls, wenn sie sich nicht in den Netzen verstrickt hätten, festgehalten hätten. So habe ich einmal einen geschwätzigen Sophisten beobachtet, der versuchte, irgendeinem Unwissenden einzureden, Weiß sei Schwarz. Dieser antwortete ihm: „Ich verstehe deine Argumentation nicht, weil ich nicht studiert habe wie du. Ich bin mir aber wohl bewußt, daß Weiß von Schwarz verschieden ist. Argumentiere du nur, so lange du möchtest.“ Und gewiß erinnere ich mich, daß, als ich beinahe noch als Knabe in die Dialektik eingeweiht wurde, die Studenten, die mir in Alter und Studium voraus waren, mich oft zu Streitgesprächen herausforderten, um mein Denkvermögen auf die Probe zu stellen. Oft legten sie mir trügerische Syllogismen vor, deren Trugschluß ich manchmal nicht sah und so unter dem Druck ihres Gewichts falsche Sätze zugestand, nicht aber offensichtlich falsche. Traten aber offensichtlich falsche Schlußfolgerungen auf, quälte ich mich sehr, wenn ich den Fehler nicht sogleich zeigen konnte, und ich ruhte nicht eher, bis ich ihn fand. Wäre es etwa nicht besser gewesen, die Zeit, die ich für die Suche nach dem Fehler in einem Syllogismus verschwendete, für das Erkennen irgendeiner natürlichen Ursache aufzuwenden? Schließlich gilt unter diesen Syllogistikern jener als gelehrter, der besser schwatzt. Jener hat die Wahrheit vorgetragen, der, indem er sehr geschickt eine Falle baut, seinen Kollegen oder Gegner besiegt und ihn dazu gebracht hat, daß er entweder zugesteht, daß die Schlußfolgerungen infallibel sind, wie sie es nennen (Schlüsse, die zu negieren lächerlich und gottlos wäre, die aber voll von Fallgruben und Schlingen sind, in denen derjenige, der diese nicht sieht, gefangen und in der Folge gezwungen wird, sich zu ergeben und zuzugestehen, was der andere wollte, mag es auch falsch sein), oder daß er, weil er sieht, daß er gefangen ist, jedoch die
Bei den Dialektikern gilt, wer wortreicher ist, als gelehrter.
226 Syllogismorum doctrina scientiis perniciosa. Aristot. Elenchi.
Dialecticorum inventa ut sophismatis resistant.
Dialectica altera Circe.
Dialectici similes Aeneae.
quod nihil scitur
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cipiat, fere obmutescat. Hanc vocant scientificam syllogismorum doctrinam: qua nil ad scientias pernitiosius. Quod ille ipse videns, cavillatoriam aliam scripsit, ut ab illorum deceptionibus eriperemur. Sic venenum bibendum didit: postea alexipharmaco curare tentat, et ipso venenoso. Sed fortius est primum: proindeque vincit plurimum, interimitque veritatem. Cui ut resistant posteri, quot commenti sunt conditiones? quot alias fallacias? quot volumina suppositionum, indissolubilium, exponibilium, obligationum, reflexionum, modalium? Vide quanta subtilitas, et scientia, quanta eius vis. Iam altera Circe Dialectica est: in | asinos eos convertit. Nil certius. Pontem struxere in medio scientiae suae, quem asinorum pontem vocant. An non digni sunt avena, propter praeclarum inventum? Prope pontem iacent asini depicti, Circeas bibentes aquas: quibus inebriati, circa pontem perpetuo rudunt. Mihique fere idem accidisset, ni Ulissis carminibus adiutus, incantantes vitassem pontis dominas Circeas syllogismorum figuras. Quid non cruciantur miseri asini illi pro fulcienda antiqua habitatione? Quibus modis Dialecticam suam Circem honorant, defendunt, laudant, depingunt: similes Aeneae, qui sui oblitus, Italiaeque quam petebat, omnino immemor, effoeminatus, et vecors, lasciva indutus clamyde, Didoni factus in mancipium, huic totus studebat, hanc colebat unam: quousque a Mercurio monitus erubuit,
ipso T : ipse L
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List nicht durchschaut, in der Regel verstummt. Dies nennen sie die wissenschaftliche Lehre der Syllogismen, und nichts ist für die Wissenschaften schädlicher. Weil Aristoteles dies selbst gesehen hat, hat er eine andere Lehre geschrieben, und zwar über Haarspaltereien, damit wir von den Täuschungen der Syllogismen befreit werden. So gibt er uns ein Gift zu trinken und versucht danach, uns mit einem Gegengift zu heilen, das selbst giftig ist. Aber das erste ist stärker, und daher gewinnt es meistens und räumt die Wahrheit aus dem Weg. Um ihm zu widerstehen, wieviele Bedingungen haben die Späteren ersonnen, wieviele weitere Trugschlüsse, wieviele Bücher über Suppositionen, Indissolubilien, Exponibilien, Obligationen, Reflexionen und Modalitäten! Schau, wie scharfsinnig sie sind und wie groß die Kraft ihrer Wissenschaft ist! Gar eine zweite Kirke ist die Dialektik, sie verwandelt ihre Anhänger in Esel. Nichts ist gewisser als das. Sie haben eine Brücke mitten in ihre Wissenschaft gebaut, welche sie Eselsbrücke nennen. Haben sie ihren Hafer etwa nicht verdient für diese hervorragende Erfindung? Unweit der Brücke liegen gemalte Esel, die von den Wassern der Kirke trinken. Durch diese berauscht, brüllen sie ständig rund um die Brücke. Mir wäre beinahe dasselbe geschehen, wenn mir nicht die Gesänge des Odysseus geholfen hätten und ich die bezaubernden Herrinnen der Brücke, die syllogistischen Figuren der Kirke, nicht gemieden hätte. Was quälen sich jene elenden Esel nicht ab, um ihre alte Wohnung abzustützen! Wie vielfältig sie ihre Kirke, die Dialektik, ehren, verteidigen, lobpreisen und darstellen! Sie gleichen Aeneas, der selbstvergessen und uneingedenk Italiens, welches sein Ziel war, verweiblicht und verrückt, gekleidet im Gewand der Zügellosigkeit, zum Sklaven der Dido wurde, sie begehrte und sie allein verehrte, bis er, von Merkur ermahnt, vor Scham errötete und mit offenen Augen erkannte, daß
Die Lehre der Syllogismen ist schädlich für die Wissenschaften.
Aristot. soph. el.
Was die Dialektiker ersonnen haben, um den Sophismata zu widerstehen.
Die Dialektik ist eine zweite Kirke.
Die Dialektiker gleichen Aeneas.
228
Syllogistica doctrina continuo labitur.
In libro, Modi sciendi, docebitur quomodo quid discutiatur sine syllogistica doctrina.
quod nihil scitur
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cognovitque apertis oculis se misere illaqueatum esse: depositaque statim foemina, virum assumpsit, deincepsque magnae orbis partis factus est dominus, Virtute duce, comite Fortuna. Atque o utinam Mercurius ego essem nostris Aeneis, ut relicta infirma, incantatriceque Dialectica, ad naturam se converterent: fierent forsan multi orbis domini. At ipsi nunc adhuc coeci perpetuo magis se illaqueant, ipsimet sibi laqueos parantes tot, ut nunquam legendi finem facias: quemadmodum nec ipsi unquam scribendi finem faciunt, nova quotidie adaperta ruina: simili veteris alicuius aedificii, lapsumque minantis ratione, aut in arena, instabilique loco, et ex fragili materia conditi, cui perpetuo supponendi postes, admovendi lapides, calx, similiaque, perpetuo eo hinc inde dehiscente. Sic continuo labante syllogistica doctrina, (quae nullo modo consistere potest, frivola, et | inanis) continuo etiam laborant eius incolae, et artifices, ut ruinam impediant. Atque haec docent ad se venientes iuvenes: his confundunt eorum ingenia primum: his eos exercent. Res autem quaerat quicunque velit. Sicque per manus currit haec pernities ab uno ad alium, ita ut tota vita nil scias. Sed dices forsan: quid ergo, visne imperatoris modo quaecunque dixeris rata esse sine ratione, et probatione, quod alienum iudicant omnes? Nec id volo: sed ostendam postea quomodo ratione, probationeque alia meliori, quam hac syllogistica uti possis. Iuvenis ergo noster, quem ad scientiam pro-
domini L(e) : dominii L – ratione L(e) : ratine L
illaqueant L(e) : illaqueunt L
dass nichts gewusst wird
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er erbärmlich umgarnt worden war. Auf der Stelle gab er die Frau auf und nahm Mannhaftigkeit an, und darauf wurde er zum Herrn über einen großen Teil der Welt „unter Führung der Tugend und in Begleitung des Glücks“. Und wäre ich doch ein Merkur für unsere Aeneasse, damit sie die schwache Zauberin Dialektik zurückließen und sich der Natur zuwendeten. Viele von ihnen würden vielleicht zu Herren der Welt. Jedoch sind sie bis heute blind, umgarnen sich selbst immer mehr, indem sie sich selbst so viele Fallstricke auslegen, daß du mit dem Lesen nie zu einem Ende kommst, wie sie selbst mit Schreiben nie zu einem Ende kommen, weil täglich eine neue Einsturzstelle aufgedeckt wird. Das ist ähnlich wie bei einem alten Gebäude, das einzustürzen droht oder das auf Sand an einem instabilen Ort und aus brüchigem Material gebaut worden ist und das daher ständig mit Pfosten gestützt werden muß und wofür man Steine, Kalk und ähnliches herbeischleppen muß, da sich an ihm ständig einmal hier und einmal da Risse auftun. So droht die Lehre der Syllogismen ständig einzustürzen (sie kann in keiner Weise bestehen, zerbrechlich und ohne Fundament, wie sie ist), und daher arbeiten die Bewohner und Handwerker ständig daran, den Einsturz zu verhindern. Und das lehren sie die Jungen, die zu ihnen kommen, damit verwirren sie zuerst ihr Denkvermögen, darin üben sie sie. Die Dinge aber untersuche, wer immer möchte. So läuft dieses Verderben durch alle Hände von einem zum anderen, so daß du das ganze Leben lang nichts weißt. Aber du wirst vielleicht sagen: Was denn, willst du etwa wie ein Alleinherrscher, daß alles, was du sagst, ohne Methode und Argumentation gelte, was alle für ungehörig halten? Nicht das will ich, aber ich werde später zeigen, wie du eine andere, bessere Methode und Argumentation als die Syllogistik verwenden kannst. Was wird also unser Jüngling, den wir zur Wissenschaft an-
Die Lehre der Syllogismen droht ständig einzustürzen.
Im Buch Über die Methode des Wissens werde ich lehren, wie etwas erörtert wird ohne die Wissenschaft der Syllogismen.
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Difficile est semel ebibitum errorem vomere.
Qui recte iudicare vult, res contempletur. Quorundam ineptia.
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movebamus, in his difficultatibus quid faciat? Iisdem se involvere, ut et ante eum praeceptores eius fecere, idipsumque eum docent: et ipse credit. Quid enim, non credat artificem qui ad discendam artem ad eum venit? Ergo qualis ille, talis hic: inscius ille, et hic quoque. Iam difficile admodum est semel ebibitum errorem vomere. Suppone tamen hunc iudicio fretum suo: et postquam sub his longo tempore eorum didicerit scientiam, videritque dissensiones in opinionibus, sententiam ferre velle: quod ut rarum admodum inventu, sic et scire cupienti utilissimum, et omnino necessarium. Quantum id periculi habeat, antea ostendimus. Nunc vero quantum difficultatis. Si recte ipse iudicaturus sit, res de quibus inter eos lis est optime consideret oportet: quod pauci faciunt. Pauci proinde sunt, qui quae proferunt intelligant: qui tamen volumina implent aliorum laboribus: componunt authores, quos ipsi non intelligunt, proinde et saepe male: iudicant de eorum controversiis, et id quoque male. Intenti enim solum authoribus dissidentibus, ab aliisque mu- | tuato hinc inde auxilio, ut utentes Aristotelis testimonio, et aliorum, ex horum dogmatibus alia inferentes, et ex his alia: sic contra hunc vel illum sententiam proferunt: non ostendentes, sic rem se habere; sed sic videri Aristoteli. Sic illi, sic huic, sic colligi ex hoc theoremate, illoque. Quae omnia forsan magis dubia sunt eo, de quo quaestio est. Sic ipsi dum iudicium ferre stulte
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getrieben haben, in dieser schwierigen Lage tun? Sich in sie zu vergraben, so wie es vor ihm seine Lehrer taten, eben dies lehren sie ihn, und er glaubt ihnen. Denn glaubt dem Lehrmeister etwa nicht, wer ihn aufsucht, um ein Handwerk zu lernen? Also wie der Lehrer, so der Schüler. Jener ist unwissend und dieser ebenso. Und schon ist es sehr schwierig, den einmal aufgesogenen Fehler wieder auszuspeien. Nimm trotzdem an, er verlasse sich auf sein Urteilsvermögen und er möchte, nachdem er lange Zeit unter diesen ihre Wissenschaft gelernt und die Meinungsverschiedenheiten gesehen hat, sein Urteil fällen, was ebenso selten zu finden ist, wie es sowohl äußerst nützlich als auch gänzlich notwendig ist für einen, der zu wissen begehrt. Wie gefährlich das ist, habe ich vorher gezeigt. Nun aber zeige ich, wie schwierig es ist. Wenn er selbst richtig urteilen soll, muß er die Dinge, worüber jene streiten, sehr genau betrachten, was wenige tun. Entsprechend sind es wenige, die verstehen, was sie vorbringen, und dennoch füllen sie Bücher mit Arbeiten von anderen und stellen Autoritäten zusammen, die sie selbst nicht verstehen, und dies tun sie infolgedessen oft schlecht. Sie urteilen über deren Kontroversen und auch dies schlecht. Weil sie sich nur mit Autoritäten beschäftigen, die einander widersprechen und sich Hilfe von anderen Autoritäten für diese oder jene Seite borgen, wie wenn sie beispielsweise Aristoteles oder andere als Zeugen beiziehen und aus deren Lehrsätzen anderes erschließen und daraus wieder anderes, fällen sie so ein Urteil gegen diesen oder jenen, wobei sie nicht zeigen, daß es sich so verhält, sondern daß es Aristoteles so scheint, so jenem, so diesem und daß man diese Folgerung aus diesem Lehrsatz ziehen müsse und eine andere aus jenem. All das ist vielleicht noch zweifelhafter als das, was Gegenstand der Untersuchung ist. So gelangen sie selbst, während sie es auf törichte Weise unternehmen, Urteile zu fällen, in die
Es ist schwierig, einen einmal aufgesogenen Fehler wieder auszuspeien.
Wer richtig urteilen will, muß die Dinge untersuchen.
Die Unfähigkeit einiger Leute.
232
Non quia aliquis dixerit, verum id est.
Verum dixit qui ut res habet, dixit.
Aristot.
In Topicis. Quid Dialecticos in Arist. observantes facit.
quod nihil scitur
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conantur de aliis, iudicandi ipsimet veniunt, imo et condemnandi. Quid enim ad rem, quod hoc ille, vel hic dixerit? An propterea verum est? Non fieri potest. Omnium enim rerum principia essent athomi, aer, aqua, ignis, terra, materia, forma, privatio, chaos, lis, amicitia, magnum, parvum, aether, unum, numerus: quae omnia a diversis rerum principia iudicantur. Ergo verum dixit, non qui quod alter dixerit, sed qui quod res est dixit. Cur ergo nobis tam obstinate hunc, illumve obiiciunt, quem negasse impium, haereticumque, ut ipsi dicunt, sit? Atque et ille ipse dixit, (quod fatui isti authoriductores non advertunt, aut saltem fingunt se non advertisse) Non propterea quod quis affirmarit, vel negarit, sed quia in re sic, vel sic sit, propositio vera vel falsa est. Idem enim ipse olim expertus est in similibus fatuis, cum Platoni adversaretur, quod nos in his, cum illi, et aliis. Quibus tamen responsum satis duxit hoc, quod amicus erat Plato, sed magis amica veritas. Et alibi, Authoritas, inquit, ab extra est, parum habens momenti. Sed video quid ignaros hos tam observantes in praeceptorem suum faciat. Nil sciunt extra ipsum, omnia in isto, omnia ab isto: in re nihil vident. Proinde non mirum, si, cum non habeant aliud, quo vel asserant quod volunt, vel destruant quod tu vis, non mirum inquam, | si stomachentur simplici
simplici negatione corr. Thomson : simplici, negatione LT
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Lage, daß über sie geurteilt wird, ja sogar daß sie verurteilt werden müssen. Was tut es nämlich zur Sache, ob jener das gesagt hat oder dieser? Ist es etwa deswegen wahr? Das kann nicht sein. Die Prinzipien aller Dinge wären dann nämlich Atome, Luft, Wasser, Feuer, Erde, Materie, Form, Privation, Chaos, Streit, Zuneigung, das Große, das Kleine, Äther, das Eine und die Zahl, die alle von verschiedenen Autoritäten für die Prinzipien der Dinge gehalten werden. Die Wahrheit also hat nicht der gesagt, der das sagt, was der andere gesagt hat, sondern wer gesagt hat, wie es sich wirklich verhält. Weshalb setzen sie uns also so hartnäckig diesen oder jenen vor Augen, dem zu widersprechen gottlos und ketzerisch sei, wie sie selbst sagen? Sogar Aristoteles „selbst hat gesagt“ (was jene einfältigen Hüter der Autorität nicht bemerken oder wenigstens vorgeben, nicht bemerkt zu haben): „Nicht deswegen, weil jemand etwas behauptet oder negiert hat, sondern weil es sich tatsächlich so oder so verhält, ist ein Satz wahr oder falsch.“ Dieselbe Erfahrung, die ich mit diesen mache, wenn ich ihm und anderen widerspreche, machte er selbst nämlich einst mit ähnlichen Einfaltspinseln, als er Platon widersprach. Um diesen aber zu antworten, hielt er es für hinreichend zu sagen, daß Platon sein Freund sei, eine engere Freundin aber die Wahrheit. Und andernorts sagt er: „Die Autorität ist etwas Äußerliches und hat nur wenig Bedeutung.“ Aber ich sehe, was diese Unwissenden dazu bringt, so sehr auf ihren Lehrer zu achten. Sie wissen nichts, was er nicht weiß, alles ist in ihm, alles stammt von ihm; wie es sich wirklich verhält, sehen sie nicht. Daher ist es kein Wunder, da sie nichts anderes haben, worauf sie sich stützen könnten, um das zu behaupten, was sie behaupten wollen oder das umzustoßen, was du behaupten willst – kein Wunder, sage ich, daß sie ärgerlich werden, wenn sie durch eine einfache Verneinung widerlegt werden. Da
Nicht weil jemand etwas gesagt hat, ist es wahr.
Die Wahrheit hat gesagt, wer gesagt hat, wie es sich verhält.
Aristoteles
In den Topica. Was die Dialektiker dazu bringt, so sehr auf Aristoteles zu achten.
234 Docti non egent authoritatibus.
In rebus contemplandis multus labor.
Duo inveniendae veritatis media.
Experimentum sine iudicio stare nequit.
Experimentum ubique fallax.
quod nihil scitur
negatione victi. Docti autem cum res in promptu habeant, quas negare non possunt ignari: nisi velint experiri an calidus sit ignis, si negent: non egent authoritatibus. Res ergo contemplari oportet ei, qui aliquid scire velit, iuvenique proinde nostro. Sed an hoc facile? Heu! Nullibi tantus labor: nullibi tanta ambiguitas: nullibi tam pauca scientia. Vidisti iam antea quanta in rebus diversitas, quanta mutatio, quantam denique scire cupienti pariant difficultatem, inaccessumque. Videbisque clarius ubi res ipsas examinare aggressi fuerimus. Nunc vero prosequamur impedimenta ex parte discentis: sicque huius libelli finem faciemus. Duo sunt inveniendae veritatis media miseris humanis: quandoquidem res per se scire non possunt, quas si intelligere, ut deberent, possent, nullo alio indigerent medio: sed cum hoc nequeant, adiumenta ignorantiae suae adinvenere: quibus propterea nil magis sciunt, perfecte saltem. Sed aliquid percipiunt, discuntque. Ea vero sunt experimentum, iudiciumque. Quorum neutrum sine alio stare recte potest: quorumque utrumque quomodo habendum, adhibendumque sit, in libello huic proximo, quem indies parturimus, latius declarabimus. Interim vide ex hoc Nihil sciri. Experimentum fallax ubique, difficileque est: quod etsi perfecte habeatur, solum quid extrinsece fiat, ostendit: naturas autem rerum nullo modo. Iudicium
nullo L(e) : nulli L
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die wirklichen Gelehrten aber Dinge zur Hand haben, die die Unwissenden nicht bestreiten können – es sei denn, sie wollten selbst die Erfahrung machen, daß Feuer heiß sei, wenn sie dies bestreiten sollten –, bedürfen sie keiner Autoritäten. Also muß derjenige die Dinge betrachten, der etwas wissen möchte und daher auch unser Jüngling. Aber ist das etwa einfach? Ach weh! Nirgends sonst ist die Mühe so groß, nirgends sonst gibt es solche Ungewißheit, nirgends sonst ist die Wissenschaft so kärglich. Du hast schon vorher gesehen, wie groß die Verschiedenheit in den Dingen ist, wie groß die Veränderung und wie groß schließlich die Schwierigkeit, die sie dem Wißbegierigen bereiten und wie sie ihm dadurch den Zugang verweigern. Und du wirst das noch deutlicher sehen, sobald ich begonnen habe, die Dinge selbst zu untersuchen. Nun wollen wir aber die Hindernisse auf Seiten des Lernenden behandeln, und so werden wir dieses Büchlein zu Ende führen. Zwei Mittel haben die armen Menschen, um die Wahrheit zu finden, da sie ja über die Dinge an sich kein Wissen erlangen können. Wenn sie diese erkennen könnten, wie sie müßten, bedürften sie keines weiteren Mittels. Aber da sie dazu nicht fähig sind, haben sie Mittel gefunden, um ihrer Unwissenheit abzuhelfen. Deswegen verfügen sie durch diese nicht über mehr Wissen, zumindest nicht über vollkommenes. Aber sie erfassen und lernen etwas. Diese Mittel sind Erfahrung und Urteil. Keines von beiden kann ohne das andere richtig bestehen. Wie man zu diesen beiden kommt und wie man sie anwenden muß, werde ich in jenem nächsten Büchlein, das ich täglich der Geburt näher bringe, ausführlicher erklären. Inzwischen gib acht, daß aus diesen Überlegungen folgt, daß nichts gewußt wird. Die Erfahrung ist überall trügerisch und schwierig. Auch wenn man vollkommen über sie verfügen sollte, zeigt sie nur, was äußerlich geschieht, die Natur der Dinge aber in keiner
Die Gelehrten bedürfen keiner Autoritäten.
In der Untersuchung der Dinge liegt große Mühe.
Zwei Mittel, um die Wahrheit zu finden.
Erfahrung kann nicht ohne Urteil bestehen.
Erfahrung ist überall trügerisch.
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Iuvenis perfectum experimentum et iudicium habere non potest. Ideo iuvenem sapientem difficile est invenire. Empedocl. et Xenoph. dicebant apud Laert. lib. . Experimentum plura praeter spem fateri cogit. Non omnis attractio a calido, sicco, vacuo.
Quod unum efficit, melius idem duo.
quod nihil scitur
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autem super ea, quae experimento comperta sunt, fit: quod proinde et de externis solum utcumque fieri potest, et id adhuc male: naturas autem rerum ex coniectura tantum: quas quia ab experimento non habuit, nec ipsum quoque adipiscitur, sed quandoque contra- | rium aestimat. Unde ergo scientia? Ex his nulla. At non sunt alia. Atque nec haec perfecta habere potest iuvenis noster. Nam, (ut omittam multa recte habendi experimenti impedimenta) quot experimenta habere potest iuvenis? Sat pauca. Quomodo ergo super pauca recte iudicium ferat? Nullo modo. Plura enim vidisse oportet, ante quam recte quis iudicet: imo omnia, ut initio dicebamus: quando et omnia se invicem tenent, nullumque sine alio stare possit. Quod in causa est, ut qui hodie id opinabatur, mane aliud iudicet: imo et quod nunquam putarat, fateatur. Quis enim ante cognitum magnetem, torpedinem, echeneidem, talem illis vim tribuisset? Omnem attractionem dicebas a calido, a sicco, a vacuo, aut melius ob eius metum. Quid de illis? Quid de electro? An a quolibet horum? An putasses unquam venenum veneno additum hominem non interfecturum, imo potius liberaturum? Minime quidem, qui forsan ante experimentum asserebas, Quod unum efficit, melius idem duo. Probat autem contrarium atrox apud Ausonium uxor: quae virum veneno tollere conata, ut
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Weise. Das Urteil aber wird über das gefällt, was durch die Erfahrung erlangt wurde. Auch es kann daher auf jeden Fall nur über Äußerliches gefällt werden, und dies außerdem schlecht. Zu der Natur der Dinge aber gelangt es höchstens durch Vermutung, und weil es diese nicht durch Erfahrung erlangt hat, gelangt es auch selbst nicht zu ihr, sondern hält manchmal das Gegenteil für wahr. Woher also soll die Wissenschaft kommen? Aus diesen beiden nicht. Aber es gibt keine anderen. Und sogar diese beiden kann unser Jüngling nicht vollkommen besitzen. Denn (abgesehen von den vielen Hindernissen, die dem rechten Besitz der Erfahrung im Wege stehen) wieviele Erfahrungen kann ein Jüngling haben? Wenig genug. Wie also soll er aufgrund von wenigen Erfahrungen ein richtiges Urteil fällen? Auf gar keine Weise. Man muß nämlich viel gesehen haben, bevor man richtig urteilen kann, ja sogar alles, wie ich am Anfang sagte, weil auch alles miteinander zusammenhängt und kein Ding ohne ein anderes bestehen kann. Das ist der Grund dafür, daß, wer heute eine Meinung vertrat, morgen anders urteilt, ja sogar einräumt, was er zuvor noch nie geglaubt hat. Wer hätte nämlich, bevor der Magnet, der Zitterrochen und der Saugefisch bekannt wurden, diesen eine solche Kraft zugeschrieben? Du sagtest, daß jede Anziehungskraft vom Warmen, Trockenen oder vom Leeren – oder besser: von der Furcht vor dem Leeren – stamme. Was ist mit diesen? Was mit Bernstein? Kommt seine Anziehungskraft etwa von einem von diesen? Hättest du etwa je geglaubt, daß ein Gift, das einem anderen Gift beigegeben worden ist, einen Menschen nicht tötet, sondern ihn von einer Krankheit befreit? Doch kaum, da du ja vor dieser Erfahrung vielleicht behauptet hast: „Was eines bewirkt, können zwei besser.“ Das Gegenteil beweist aber jene schauderhafte Gattin bei Ausonius, die versuchte, ihren Mann mit Gift zu beseitigen, und, um
Der Jüngling kann Erfahrung und Urteil nicht vollkommen besitzen.
Daher ist es schwierig, einen jungen Weisen zu finden. Das sagten Empedokles und Xenophanes bei Diog. Laert. ,. Die Erfahrung zwingt dazu, vieles entgegen der Erwartung einzuräumen.
Nicht jede Anziehungskraft kommt vom Warmen, Trockenen oder vom Leeren.
Was eines bewirkt, können zwei besser.
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Cicuta vino admixta citius enecat, et calidos homines citius frigidis. Gal. . simpli. et Plut. quomodo amicum ab adulatore discernas. Lib. de subfigurat. Empirica.
Gal. ibidem.
Multa experientia doctum et prudentem hominem facit. Senes apti reipub. gubernandae.
Scripturae utilitas.
quod nihil scitur
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mortem citius acceleraret, praeparatae potioni hydrargirum admiscuit: quo a morte liber ille evasit. Teriaca etiam, et mithridatium ex venenis post experimentum composita, venenis obsistunt omnibus. Quis credidisset cicutam vino admixtam citius enecare, biliososque et calidos homines promptius quam frigidos? Videbatur enim rationabile, ut a contraria qualitate potius impediretur eius actio. At contrarium experimento apparet. Messores etiam apud Galenum pie facturos se credebant si vinum | cui praefocata vipera fuerat, bibendum darent misero elephantico, e vita ea ratione ablaturos eum existimantes: quo contra (mirum) ille a tam saevo morbo liber evasit. Ancilla etiam elephantici domini, qui eam deperibat, initum exhorrens, ei vinum vipera infectum obtulit, ut interficeret: quod vice versa sanitatem ei conciliavit. Dixissesne tu? Minime. Multa ergo experientia et doctum, et prudentem hominem facit. Inde fit ut senes doctiores sint, saltem ratione experimenti: rebusque humanis propterea gerendis accommodatiores iuvenibus: a pluribusque ea ratione gentibus maximo in honore habiti. Quibus, si etiam bonum adsit iudicium, merito committi potest rei publicae administratio. Ut ergo huic obvient incommodo homines, scilicet defectui experimenti, adinvenerunt scribendi rationem: ut quae hic, illeve expertus sit tota vita, et variis locis, brevi
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den Tod schneller herbeizuführen, dem vorbereiteten Trank Quecksilber beimischte – wodurch er geheilt dem Tod entkam. Auch Theriacum und Mithridatium, die aus Giften, nachdem man mit ihnen Erfahrungen gesammelt hatte, zusammengesetzt wurden, bekämpfen jedes Gift. Wer hätte geglaubt, daß Schierlingssaft, dem Wein beigemischt, schneller tötet und daß er gallige und warme Menschen schneller tötet als kalte? Es schien nämlich vernünftig, daß seine Wirkung von der gegenteiligen Qualität eher behindert würde. Aber die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Bei Galen glaubten einige Schnitter, sie handelten barmherzig, wenn sie einem armen, an Elephantiasis leidenden Mann Wein zu trinken gäben, der eine erwürgte Viper enthielt, weil sie dachten, sie würden ihn auf diese Weise von seinem Leben befreien, wodurch jener aber im Gegenteil (verwunderlicherweise) seiner so furchtbaren Krankheit geheilt entkam. Auch die Magd eines an Elephantiasis leidenden Herrn, der zum Sterben in sie verliebt war, war über dessen Annäherungsversuche entsetzt und brachte ihm Wein, der mit Viperngift angemacht war, um ihn umzubringen, was ihm aber umgekehrt Gesundheit bescherte. Hättest du das etwa vermutet? Kaum. Viel Erfahrung macht also den Menschen gelehrt und verständig. Daher kommt es, daß alte Männer gelehrter sind, wenigstens aufgrund der Erfahrung, und daher besser geeignet, sich um die menschlichen Angelegenheiten zu kümmern, als die Jungen. Deshalb werden sie von vielen Völkern in höchsten Ehren gehalten. Wenn sie außerdem über ein gutes Urteilsvermögen verfügen, kann ihnen aus gutem Grund die Verwaltung des Staates übertragen werden. Um also diesem Nachteil zu begegnen, nämlich dem Mangel an Erfahrung, erfanden die Menschen die Kunst des Schreibens hinzu, damit, was dieser oder jener sein ganzes Leben lang und an verschiedenen Orten erfahren hat, ein anderer
Schierlingssaft, dem Wein beigemischt, tötet schneller und er tötet warme Menschen schneller als kalte. Gal. med. temp. fac. , XI, K und Plut. am. ab adul. b.
Gal. sub. emp. f. D.
Gal. sub. emp. D.
Viel Erfahrung macht den Menschen gelehrt und verständig. Alte Männer sind geeignet, Staaten zu lenken.
Der Nutzen der Schrift.
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Novissimi sunt tanquam pueri in collo Gigantis. Libri nil scientiam iuvant.
Nil ad scientiam nostram prosunt experta ab aliis. Maior litteratorum numerus fidelis est.
quod nihil scitur
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tempore alter discat. Sicque consultum est nostri saeculi hominibus, qui plurium vitas, acta, inventa, expertaque pauca mora perlegentes, aliquid de suo insuper addunt: hisque alii: tum et de dubiis iudicium proferunt: itaque augetur ars: posterioresque hac ratione comparantur puero in collo Gigantis existenti: nec immerito. Sed ut haec via ad humanas res gerendas aliquid emolumenti videtur habere: nil tamen magis scientias iuvat. Nam (ut omittam, libros non perpetuos esse, sicut nec et alias res, ut qui omnino extirpentur bello, igne, incuria, novitate aliarum opinionum, tempore denique, et oblivione absumpti.) sequitur statim tota difficultas, quam supra in scribentibus ostendimus. Confusi, breves, prolixi, totque, ut si centena | millium centum viveres annorum, non sufficerent legendis omnibus: quique in pluribus mentiantur, saepissime gloriae causa, aut fulciendae opinionis. Statimque sequitur de intelligendis eis quaestio, et quas nunc retulimus omnes. Ita ut dum aliquid scire quaerimus, ad homines conversi, et eorum scripta, naturam dimittimus, insipientesque fimus. Sed ponamus experta ab illis vere referri. Quid prodest mihi, alterum haec, aut illa expertum fuisse, nisi haec eadem ego ipse experiar? Fidem parient mihi illa, non scientiam. Proinde et maior literatorum numerus his temporibus fidelis
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in kurzer Zeit lernen kann. Und so ist für die Menschen unseres Zeitalters gut gesorgt, die die Berichte über Leben, Taten, Entdeckungen und Erfahrungen von vielen Menschen in kurzer Zeit durchlesen und etwas von sich selbst dazufügen, und dem fügen wiederum andere etwas hinzu. Ferner fällen sie auch Urteile über zweifelhafte Fälle. Und so wird die Kunst vergrößert, und die Späteren werden aus diesem Grund zu Recht mit einem Knaben verglichen, der auf den Schultern eines Riesen steht. Aber mag dieser Weg scheinbar einen gewissen Nutzen bringen, wenn man sich um die menschlichen Angelegenheiten kümmert, so hilft er dennoch den Wissenschaften ganz und gar nicht. Denn (abgesehen davon, daß Bücher nicht ewig halten wie auch andere Dinge nicht, da sie vollständig vernichtet werden können durch Krieg, Feuer, Nachlässigkeit und das Aufkommen anderer Meinungen und schließlich durch Zeit und Vergessen aufgezehrt werden) es folgen sofort die ganzen Probleme, die sich bei denen stellen, die schreiben, wie ich oben gezeigt habe. Sie sind verwirrt, schreiben knapp oder weitläufig und sind so viele, daß, wenn man hundertmal hunderttausend Jahre lebte, es nicht reichen würde, sie alle zu lesen. Außerdem lügen sie wohl sehr oft, meist um des Ruhmes willen oder um ihre Meinungen zu stützen. Sogleich folgt die Frage, ob man diese verstehe, und alle anderen Fragen, die ich eben erwähnt habe, so daß wir, während wir uns bemühen, etwas zu wissen, indem wir uns den Menschen und ihren Schriften zuwenden, die Natur aufgeben und unverständig werden. Aber nehmen wir an, daß sie ihre Erfahrungen wahrheitsgemäß berichten. Was nützt es mir, daß ein anderer dies oder jenes erfahren hat, wenn ich dasselbe nicht selbst erfahre? Diese Erfahrungen werden in mir blindes Vertrauen erzeugen, nicht Wissenschaft. Daher ist auch eine sehr große Anzahl der Gebildeten in unserer Zeit zwar vertrauensselig, nicht
Die Späteren sind wie Knaben auf den Schultern eines Riesen.
Bücher nützen der Wissenschaft nichts.
Für unsere Wissenschaft haben Erfahrungen anderer keinen Nutzen. Eine sehr große Zahl der Gebildeten ist vertrauensselig.
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Studium morbi sequuntur, et intempestiva mors.
Qui studet melancholicus tandem fit. Bonus iudex omni affectione carere debet.
quod nihil scitur
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quidem est, non sciens: quippe qui ex libris quidquid habent hauriant, non adhibito iudicio, rerumque experimento, ut decet: sed creditis his quae scripta invenit, hisque suppositis, aliis atque aliis illatis, male iacto fundamento. Iuvenem ergo nostrum, si aliquid scire velit, perpetuo studere expedit, legere ea quae ab omnibus dicta sunt, conferre experimento cum rebus usque ad extremum vitae terminum. Quo vitae genere quid miserius? Quid infoelicius? At quid dixi vitae genus? imo mortis genus est: ut superius dicebam. Quem ergo vis tam calamitosae vitae se submittere? Sunt tamen aliqui. Ex quibus sit iuvenis noster unus. Hic quidem etsi optime constitutus perfecta fruatur sanitate, statim marcesset: consumptisque studendo corporis viribus, pluribus conflictabitur morbis, aut morbosis affectionibus, gravedine, destilatione, arthritide, ventriculi imbecillitate, unde cruditates, deiecta appetentia, lienteria, obstructiones, praecipue lienis. Quid non patitur qui studiis incumbit? Moritur intempestive | tandem. Haec autem mentem perturbant, affecta eius praecipua sede, cerebro scilicet: sive id per se primo, sive ab alio accidat. Quod etsi his omnibus liberum demus iuvenem nostrum: tamen melancholicus tandem fiet, quod quotidiana ostendit experientia. An hi omnes recte iudicare possunt? Non videtur. Bonus enim iudex omni affectione carere debet.
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aber wissend, da sie ja alles, was sie haben, aus Büchern schöpfen, ohne ihr eigenes Urteilsvermögen oder die Erfahrung der Dinge herangezogen zu haben, wie es sich gehört. Vielmehr glauben sie das, was sie in den Schriften gefunden haben, nehmen es als Hypothesen und ziehen daraus immer neue Schlüsse, wobei das Fundament schlecht gelegt ist. Es liegt also im Interesse unseres Jünglings, wenn er etwas wissen möchte, sich beständig darum zu bemühen zu lesen, was alle gesagt haben, und diese Aussagen durch die Erfahrung mit den Dingen zu vergleichen bis ans Ende seines Lebens. Welche Weise zu leben ist elender als diese? Welche ist unglücklicher? Jedoch was rede ich von der Weise zu leben? Es ist eher eine Weise tot zu sein, wie ich weiter oben gesagt habe. Von wem also willst du, daß er ein so unglückliches Leben auf sich nimmt? Es gibt aber solche. Unser Jüngling sei einer von ihnen. Aber auch wenn er sich bei bester physischer Verfassung vollkommener Gesundheit erfreuen sollte, ermattete er sogleich. Wenn seine Körperkräfte durch die Anstrengung verbraucht sind, wird er mit sehr vielen Krankheiten oder krankhaften Zuständen zu kämpfen haben, mit verstopfter und mit fließender Nase, Gicht, Schwäche des Magens und daher schlechter Verdauung, mit Appetitlosigkeit, Durchfall und Verstopfungen, vor allem der Milz. Was erleidet nicht, wer sich auf die Studien verlegt hat? Am Ende stirbt er zu früh. Diese Dinge verwirren den Geist, indem sie dessen wichtigsten Sitz, das Gehirn, befallen, sei es, daß dies von ihm selbst ausgeht, oder daß es ihm von einem anderen her geschieht. Aber auch wenn wir zugestehen, daß unser Jüngling frei von all diesen Leiden sei, wird er trotzdem am Ende melancholisch werden, wie die tägliche Erfahrung zeigt. Können etwa diese alle richtig urteilen? Das scheint nicht der Fall zu sein. Ein guter Richter muß nämlich frei sein von jeglicher Gemütsbewegung. Aber
Dem Studium folgen Krankheiten und allzufrüher Tod.
Wer studiert, wird am Ende melancholisch.
Ein guter Richter muß frei sein von jeglicher Gemütsbewegung.
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quod nihil scitur
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Sed etsi omnibus his carere demus iuvenem no-
Quotidie sententiam mutamus.
Pertinacia scientiis inimicissima.
Ignorantia saepe cogit opinionem mutare.
strum nunc, et in posterum, (quod vix fieri posse existimo) an propterea aliquid sciet? Minime quidem. Nam et in eo continua mutatio est, quemadmodum et in omnibus aliis rebus. Illa vero praecipua, aetatis scilicet: quum multum differat iuvenis a perfecto viro, hic a sene: et in quoque horum magna sit etiam differentia principii, medii, finisque. Qui nunc iuvenis hoc iudicat, verumque credit, modicum vir revocat, reprobatque: quod idem forsan cum senex est iterum tenet, et tuetur: alias aliter, sibi nunquam constans. Nec ullus est qui si nunc opus aliquod edat, postea palinodiam non recantet, fateaturque, si probus est, se deceptum fuisse cum iuvenis esset. Qui autem hoc nollunt propter ignominiam, etsi videant falsum asseruisse, vel forsan non videntes, sui amore obfuscati, pertinaciter id defendunt, nihilque non explorant, ut se ab ignorantia, aut falsitatis nota vindicent, maximo scientiarum incommodo: praecipue si hi subtiles sint. Nec est aliquis qui, si opus emittere in lucem non velit tam cito, illius monito qui in novem annos asservare iubet, etsi centum annis integris corrigat, non semper aliquid addat, demat, mutet, innovetque: sic in aeternum facturus, si in aeternum ipse quoque viveret. Unde tanta varietas et inconstantia? | Ab ignorantia sane. Namque si perfecte ipsi sciremus, quae semel scribimus, nil
his L(e) : hic L – reprobatque L(e) : scientiarum L(e) : scientiaram L
probatque L
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auch wenn wir zugestehen sollten, daß unser Jüngling jetzt und in Zukunft frei von alledem sei (was meiner Meinung nach kaum möglich ist) – wird er etwa deswegen etwas wissen? Gewiß nicht. Denn in ihm ist beständige Veränderung ebenso wie auch in allen anderen Dingen. Vor allem jene des Alters natürlich, denn ein Jüngling unterscheidet sich stark von einem vollkommenen Mann und dieser von einem Greis, und in jeder dieser Altersstufen bestehen zudem große Unterschiede zwischen Anfang, Mitte und Ende. Wer nun als Jüngling etwas beurteilt und es für wahr hält und es, kaum erwachsen, widerruft und verwirft, der behauptet dasselbe vielleicht wieder und verteidigt es, wenn er ein Greis ist. Er hat einmal diese Ansicht, ein andermal eine andere und stimmt nie mit sich selbst überein. Und es gibt niemanden, der, wenn er nun ein Werk herausgeben sollte, später nicht einen Widerruf verfaßt und gesteht, wenn er anständig ist, daß er sich getäuscht habe, als er jung war. Diejenigen verteidigen es hartnäckig, die das wegen der drohenden Schande nicht tun wollen, auch wenn sie sehen, daß sie etwas Falsches behauptet haben, oder auch wenn sie es nicht sehen, da sie geblendet sind durch Selbstliebe, und sie lassen nichts unversucht, um sich von Unwissenheit oder dem Tadel des Irrtums freizusprechen. Das bringt den Wissenschaften allergrößten Schaden, zumal wenn diese Leute scharfsinnig sind. Ebenso gibt es keinen, der, wenn er sein Werk nicht so schnell ans Licht bringen möchte, auf die Mahnung dessen hin, der befiehlt, es neun Jahre zurückzubehalten, auch wenn er es volle hundert Jahre überarbeitete, nicht immer etwas anfügte, wegnähme, veränderte und erneuerte und so ewig weitermachen würde, auch wenn er ewig lebte. Woher kommt diese große Mannigfaltigkeit und Unbeständigkeit? Gewiß von der Unwissenheit. Denn wenn wir selbst etwas vollkommen wüßten, dann müßten wir nichts von dem, was
Wir ändern täglich unsere Ansicht.
Starrsinn ist der größte Feind der Wissenschaften.
Die Unwissenheit zwingt uns dazu, oft die Meinung zu ändern.
246 Qua aetate melius iudicamus.
Animi pathemata veritatis cognitionem impediunt.
Nullus est qui aliqua affectione animi non teneatur.
Quisque se doctum putat. Nullus rectus iudex in propria re.
quod nihil scitur
postea esset immutandum. Qua ergo aetate melius ille iudicat? Dices, in senectute. At rationabilius videtur in statu, in quo vigent omnia, quam in senectute, in qua languent omnia, quaeque infantiae comparatur: unde illud, Maledicti pueri centum annorum. Senesque propterea delirare communi dicuntur sermone. Quid dices? Nec ipsemet scit quando verum dicat, quum modo hoc, modo illud: utrobique tamen sibi credi velit. Praeter has autem corporis mutationes, impediunt etiam veritatis cognitionem animi affectiones. Diximus iam supra in doctore. In discipulo non minus existimandum est. Amor, odium, invidia, et reliqua quae ibi numeravimus, obstant quo minus bene iudicet. Quis autem est tam sui iuris, qui aliquo illorum non teneatur? Nullus. Quod si reliqua omnia evadat, illud minime evadet saltem, sui scilicet amorem. Quis enim est qui non credat se verum dixisse, difficultatis nodum invenisse, imo et rem optime intelligere? Ut omittam, quod quisque reliquis doctiorem se, acutiorem, perspicatiorem, prudentiorem, sapientiorem denique existimat. An vere? Nemo, vulgus ait, rectus iudex est in propria causa. Quilibet autem propriam agit causam, dum vel verbo, vel scripto aliquid asserit. Nil ergo scimus. Sed do, (impossibile) omnibus his carere iudicem nostrum. Nil magis sciet in posterum: quanquam communi feratur sententia, perpetuo doctiores nos evadere. Contrarium enim omnino accidit
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wir einmal geschrieben haben, später ändern. In welchem Alter urteilt jener also besser? Du wirst sagen: „Im Greisenalter.“ Aber vernünftiger scheint es in dem Alter, in dem alles in voller Kraft und Frische steht, als im Greisenalter, in dem alles ermattet ist und das mit der Kindheit verglichen wird. Daher kommt auch jener Ausspruch: „Verdammt sind die Kinder, die hundert Jahre alt sind.“ Und deswegen sagt man allgemein, die Greise seien verrückt. Was wirst du sagen? Auch er selbst weiß nicht, wann er Wahres sagt, da er bald das und bald jenes behauptet und dennoch will, daß ihm in beiden Fällen geglaubt wird. Neben den Veränderungen des Körpers aber behindern auch die Gemütsbewegungen die Erkenntnis der Wahrheit. Über die des Gelehrten habe ich schon oben gesprochen. Beim Schüler muß man sie nicht für geringer halten. Liebe, Haß, Neid und die übrigen, die wir dort aufgezählt haben, behindern ihn, so daß er weniger gut urteilt. Wer aber ist so sehr Herr über sich selbst, daß er nicht durch irgendeine der genannten beherrscht würde? Keiner. Wenn er aber allem übrigen entgeht, wird er einem wenigstens kaum entgehen, der Selbstliebe nämlich. Gibt es nämlich jemanden, der nicht glaubt, daß er die Wahrheit gesagt, daß er den Kern des Problems gefunden, ja sogar daß er die Sache am besten verstanden hätte? Ganz zu schweigen davon, daß sich jeder einzelne für gelehrter, scharfsinniger, einsichtiger, klüger und schließlich für weiser als die übrigen hält. Etwa zu Recht? „Niemand“, sagt der Volksmund, „ist ein aufrichtiger Richter in eigener Sache.“ Jeder einzelne vertritt aber seine eigene Sache, wenn er mündlich oder schriftlich etwas behauptet. Wir wissen also nichts. Aber ich gestehe (das Unmögliche) zu, daß unser Richter frei von alledem sei. Er wird in Zukunft nicht mehr wissen, obwohl allgemein die Ansicht vertreten wird, daß wir immer gelehrter werden. Genau das Gegenteil nämlich ergibt
In welchem Alter wir besser urteilen.
Die Gemütsbewegungen behindern die Erkenntnis der Wahrheit.
Es gibt niemand, der nicht durch eine Gemütsbewegung beherrscht würde.
Jeder einzelne hält sich für gelehrt.
Keiner ist ein aufrichtiger Richter in eigener Sache.
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Heraclit. vide Laert. lib. . de vit. Philosoph.
Dicere a proprietate occulta aliquid fieri, est ignorantiam detegere.
quod nihil scitur
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iis, qui perfecte res cognoscere student. Ego antequam res considerare coepissem, doctior mihi videbar | esse. Quae enim a praeceptoribus meis acceperam, firme tenebam, perfecteque me scire credebam, nil aliud scire esse putans, quam plura vidisse, audisse, memoriaque tenuisse. Iuxta hoc dictum hunc, vel illum iudicabam, ut et alii: totum proinde me, ut et alios facere videbam, huic scientiae generi devovebam, in hoc totus laborabam. Ut vero ad res me converti, tunc reiecta in totum priore fide, potius quam scientia, eas examinare coepi, ac si nunquam a quopiam dictum aliquid fuisset: quamque antea scire mihi videbar, tam tunc ignorare, (contrario atque ille modo, qui usque ad virilitatem omnia se ignorare dicebat, post hanc autem omnia scire) et indies magis: eoque usque res ducta est, ut nil sciri videam, vel sciri posse sperem: quoque magis rem contemplor, magis dubito. Quid enim non dubitabo si naturas rerum percipere, nosseque non possim? a quibus vera scientia esse debet. Etenim videre magnetem facile est: sed quid is est? cur trahit ferrum? Hoc esset scire, si nosse possemus. Tamen qui magis scientes se dicunt, ab occulta proprietate id fieri respondent, idque scire esse: cum contra vere nescire sit. Quid enim differt si dicas, hoc fit mihi occulta
nunquam L(e) : unquam L
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sich für diejenigen, die sich darum bemühen, ein Ding vollkommen zu erkennen. Bevor ich begonnen hatte, die Dinge zu untersuchen, schien ich mir gelehrter zu sein. Denn was ich von meinen Lehrern empfangen hatte, bewahrte ich treu und glaubte, ich hätte vollkommenes Wissen, weil ich annahm, daß Wissen nichts anderes sei als vieles gesehen, gehört und im Gedächtnis bewahrt zu haben. In Übereinstimmung mit dieser Lehre fällte ich mein Urteil über diesen oder jenen, wie auch die anderen dies taten. Ebenso widmete ich mich ganz, wie ich es andere tun sah, dieser Weise von Wissenschaft und arbeitete mit aller Kraft für sie. Als ich mich aber den Dingen zuwandte, begann ich, nachdem ich mein früheres blindes Vertrauen – dies war es vielmehr als Wissenschaft – insgesamt abgelegt hatte, sie zu untersuchen, als ob noch nie von irgend jemandem etwas gesagt worden wäre. Und wie mir früher geschienen hatte, daß ich über Wissen verfügte, so schien mir jetzt, daß ich nichts wisse (im Gegensatz zu Heraklit, der sagte, daß er bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter in allem unwissend gewesen sei, danach aber allwissend), und das schien mir täglich mehr der Fall zu sein. Das führt so weit, daß ich sehe, daß nichts gewußt wird, und keine Hoffnung hege, daß etwas gewußt werden kann. Je länger ich die Sache betrachte, desto mehr zweifle ich. Wie soll ich nämlich nicht zweifeln, wenn ich die Natur der Dinge weder erfassen noch erkennen kann? Von hier muß die wahre Wissenschaft nämlich erlangt werden. Es ist in der Tat einfach, einen Magneten zu sehen, aber was ist er? Warum zieht er Eisen an? Es wäre Wissen, wenn wir diese Erkenntnis haben könnten. Gleichwohl antworten diejenigen, die von sich behaupten, mehr zu wissen, dies geschehe durch eine verborgene Eigenschaft und diese Behauptung konstituiere Wissen, während es in Wirklichkeit vielmehr Unwissen ist. Was nämlich ist der Unterschied, ob du sagst: „Dies
Das sagte Heraklit, vgl. Diog. Laert. ,.
Zu sagen, daß etwas aufgrund einer verborgenen Eigenschaft geschehe, ist dasselbe wie seine Unwissenheit zu enthüllen.
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Magnes navigationem dirigit.
Scalig.
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proprietate, aut, hoc nescio a quo, aut quomodo fiat? Sic de pluribus aliis, quae minutim suo loco videbis. Quod si addas dubitationi de attractione ferri, illam, quomodo tactum ferrum ab eodem magnete secundum partem eam lapidis, quae Septentrionem respiciebat in natali solo, Septentrionem versus semper vertatur: (quod nobis parva navicula universam circuire terram, certissimoque eventu inter medios fluctus cognoscere ubi quod occupamus, portusque | infallibili utilitate, utilique infallibilitate legere monstravit) ad eamque magnetis partem, a qua tactum fuit, semper devolvatur: contrariam autem fugiat. Quomodo non solum annulum unum, aut acum unam trahat, sed vis etiam per annulos, et acus transmissa usque ad plures diffundatur, quos omnes in aere suspendat. Si denique, quare inunctus allio omnino langueat, trahendique vim amittat: cogeris cedere manus. Quod doctissimus quidam ex recentioribus facit etiam invitus: inscitiam nostram, non solum ubi de hoc agit magnete, sed et pluries alibi merito accusans. Iudex itaque noster quid hic agat, etsi per centenos centum vivat annos? pauca experietur, illaque male: peius iudicabit de his: nil omnino sciet. Sed etsi plura videret, non tamen omnia posset, quod necesse est vere scienti. Illaque etiam plura in dubium veniret an optime exper-
solo L(e) : suo LT
ubi : UBI [sic] LT
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geschieht meiner Meinung nach aufgrund einer verborgenen Eigenschaft“ oder „Ich weiß weder, was die Ursache ist, noch, wie es geschieht“? So verhält es sich auch bei vielen anderen Dingen, wie du im entsprechenden Zusammenhang im Detail sehen wirst. Wenn du aber dem Zweifel über die Anziehungskraft des Eisens jene Frage beifügst, wie ein Eisen, das vom selben Magneten berührt wird, in Übereinstimmung mit dem Teil des Steins, der in seiner ursprünglichen Lage nach Norden ausgerichtet war, sich immer nach Norden wendet (was uns gelehrt hat, in einem kleinen Schiffchen die ganze Erde zu umfahren, mit ganz sicherem Erfolg mitten in den Fluten zu erkennen, wo wir uns aufhalten, und einen Hafen mit unfehlbarer Nützlichkeit und nützlicher Unfehlbarkeit anzusteuern) und sich immer zu dem Teil des Magneten, von dem es berührt worden war, dreht, den Teil auf der anderen Seite aber meidet; die Frage, wie ein Magnet nicht nur einen einzigen Ring oder eine einzige Nadel anzieht, sondern seine Kraft auch, indem sie durch die Ringe oder Nadeln übertragen wird, auf viele verteilt werden kann, die er alle in der Luft hängen läßt; wenn du schließlich fragst, warum er, wenn er mit Knoblauch bestrichen worden ist, ganz erschlafft und seine Anziehungskraft verliert, wirst du gezwungen aufzugeben. Das tut einer der größten Gelehrten der jüngeren Zeit, wenn auch ungern, wobei er unsere Unwissenheit nicht nur, wo es sich um den Magneten handelt, sondern auch an vielen anderen Orten zu Recht beklagt. Was soll daher unser Richter hier tun, selbst wenn er hundertmal hundert Jahre lebte? Er wird wenige Erfahrungen machen und diese schlecht; noch schlechter wird er darüber urteilen. Er wird überhaupt nichts wissen. Aber selbst wenn er sehr vieles sähe, könnte er dennoch nicht alles sehen, was jedoch für einen wirklich Wissenden notwendig ist. Und es bestünden auch grosse Zweifel, ob er all
Der Magnet lenkt die Seefahrt.
Scaliger.
252 Doctores etiam circa experimenta dissentiunt.
Vulgus ut plurimum doctoribus adversatur.
Vox populi vox Dei.
Doctior est quilibet in arte sua, quocumque sapiente in aliena.
Nova appetimus.
quod nihil scitur
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tus esset. Si enim consulat alios de iisdem rebus authores disserentes, aliud atque aliud expertos inveniet: quodque hic se expertum dicit, alter impossibile esse contendit, illumque in experientia deceptum esse pluribus rationibus hinc inde petitis ostendere conatur. Sic quomodo recte de obscuris iudicabit, iisque quae sensu nullo modo captari possunt, qui de his quae sensui obiiciuntur, aut per eum cognosci debent, dubius est? Quod si extra authores ad populum accedas, mirum quanta varietas: nusquam concordia: omnino adversantur in pluribus iis quae in scientiis traduntur. Sed, dices, hos ignaros esse, res non perpendere, neque posse, crassos scilicet. At communiter dicitur, Vox populi, vox Dei: difficileque est intelligere, totum populum decipi: Philosophum unum | verum dicere: praecipue si de rebus quae in experientia potius consistunt, quam iudicio, quaestio sit. Plura siquidem sunt in quibus illis credendum est: ut in agricultura, navigatione, mercimoniis aliunde advectis: cuilibet denique in arte sua excellenti. Nam et illud communi fertur voce, Doctior est quilibet, ignarus licet, in arte sua, quam sapiens in aliena. Si ergo iudicium ferre velis inter hos, Philosophosque, cum videas difficultates quae ab utrorumque opinionibus sequantur, novi quid excogitabis, (quod communiter fit: novarum enim rerum cu-
dass nichts gewusst wird
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dies genau erfahren hat. Wenn er nämlich über dieselben Dinge bei verschiedenen Autoritäten Rat sucht, wird er finden, daß sie je andere Erfahrungen gemacht haben. Und was dieser behauptet erfahren zu haben, davon behauptet der andere, es sei unmöglich, und versucht mit vielen Argumenten aus allen möglichen Quellen zu zeigen, daß der erste sich in seiner Erfahrung getäuscht habe. Wie wird einer so über Unklares richtig urteilen, und zwar über das, was durch die Sinne auf keine Weise erfaßt werden kann, der schon darüber, was den Sinnen vorliegt oder durch sie erkannt werden muß, im Zweifel ist? Wenn du aber die Autoritäten beiseite läßt und dich ans Volk wenden willst, wirst du staunen, wie groß die Mannigfaltigkeit ist. Nirgends gibt es Übereinstimmung, und die Leute stehen in vielen Punkten dem, was in den Wissenschaften gelehrt wird, gänzlich entgegen. „Aber“, wirst du sagen, „diese Leute sind unwissend, sie wägen die Dinge nicht ab und können es auch nicht, weil sie stumpfsinnig sind.“ Aber es gibt das Sprichwort: „Volkes Stimme, Gottes Stimme“, und es ist schwierig zu verstehen, wie das ganze Volk sich täuscht, während ein einziger Philosoph die Wahrheit sagt, vor allem wenn Dinge zur Diskussion stehen, die mehr die Erfahrung betreffen als das Urteil. Denn es gibt sehr viele Bereiche, in denen man ihnen glauben muß, zum Beispiel in der Landwirtschaft, in der Schiffahrt und im Handel und überhaupt müssen wir jedem glauben, der sich in seinem Beruf auszeichnet. Denn auch dies sagt das Sprichwort: „Jeder kennt sich in seinem eigenen Beruf besser aus, mag er auch unwissend sein, als ein Weiser in einem fremden.“ Wenn du also eine Entscheidung treffen möchtest zwischen diesen und den Philosophen, wirst du, weil du die Schwierigkeiten siehst, die sich aus den Meinungen beider Parteien ergeben, etwas Neues ausdenken (was nicht ungewöhnlich ist, denn wir sind begierig nach neuen
Die Gelehrten sind auch im Hinblick auf die Erfahrungen uneinig.
Das Volk stellt sich meistens den Gelehrten entgegen.
Volkes Stimme, Gottes Stimme.
Jeder kennt sich in seinem Beruf besser aus als irgendein Weiser in einem fremden.
Wir verlangen nach Neuem.
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Pauci sunt qui verum tangant.
Quae diu usitata sunt, magnum in veritate videntur fundamentum habere.
Nil dictum quin dictum prius. Nulla est adeo stulta opinio, quae fautores non habeat.
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pidi sumus) idque omnino verum esse asseres, alia omnia falsa. Alius identidem idem facit: sicque fere omnes. Quis verum dixit? Te senem iam, dices, expertumque pluries. At ut quidem fatear paucos esse qui rem attingant, sic illud quoque durum videtur, tantam multitudinem decipi, te solum verum dicere. Quid enim tu supra alios habes? Insuper, quae longo tempore a pluribus habita sunt, confirmataque, maius in veritate videntur habere fundamentum, quam quae tu nunc profers nova. Et tamen, dices, plures sunt errores qui longo durant tempore incogniti. Verum. At ego contra: plura sunt vera longo tempore cognita, quae tandem occultantur: illis scilicet erroribus in medium adductis, adauctisque. Quid dicemus de opinione tua nova? Utrumque esse potest. Quod illud? Nescimus. Quod si dicas antiquam esse etiam opinionem tuam, eo dicto, quod Nihil dictum quin dictum prius: ostendasque veteres aliquos ante te idem quod tu nunc dixisse: qui errorem tuetur idem dicet. Nulla enim est tam stulta opinio, quae fautores non habeat. Haec omnia contra me | etiam pugnant, qui, nil sciri, probare contendo: cum nunc omnes alii aliter opinentur. Sunt tamen nihilominus pro me: cum ex hoc manifeste colligatur, nil sciri. Scientia enim per te certa, infallibilis, aeternaque esse debet. Quid ergo iudicabit de his miser senex, quantumcumque eum expertum
nihilominus L(e) : nihilomi [sic] L
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Dingen) und behaupten, das sei gänzlich wahr, alles andere sei falsch. Andere machen es immer wieder ebenso, und so beinahe alle. Wer hat die Wahrheit gesagt? Du wirst sagen, du selbst, da du, schon ein Greis, mehr Erfahrungen gemacht habest. Aber obwohl ich zwar zugestehen mag, daß es nur wenige gibt, die eine Sache berühren, scheint die Annahme ebenso problematisch zu sein, daß eine so große Menge sich täuscht und du allein die Wahrheit sagst. Was hast du nämlich den anderen voraus? Dazu kommt, daß, was lange Zeit von mehreren vertreten und bekräftigt worden ist, ein stärkeres Fundament in der Wahrheit zu haben scheint, als das Neue, das du nun vorträgst. „Und dennoch“, wirst du sagen, „gibt es sehr viele Fehler, die lange Zeit unerkannt bleiben.“ Das ist wahr, aber ich halte dagegen: „Es gibt sehr viel Wahres, das lange Zeit bekannt war und das schließlich verhüllt wird, und zwar dadurch, daß jene Fehler ins Zentrum gestellt und vermehrt werden.“ Was soll ich über deine neue Meinung sagen? Beides ist möglich. Daß es jenes ist? Ich weiß es nicht. Solltest du aber sagen, deine Meinung sei ebenfalls althergebracht, und zwar gemäß jenem Wort, daß nichts gesagt werde, was nicht früher schon gesagt worden sei, und solltest du einige Alte vorweisen, die vor dir das, was du nun sagst, gesagt haben, werde ich antworten: „Wer einen Fehler verteidigt, wird dasselbe sagen.“ Keine Meinung ist nämlich so dumm, daß sie keine Förderer hätte. Das alles spricht auch gegen mich, der ich mich bemühe glaubhaft zu machen, daß nichts gewußt wird, obwohl jetzt alle anderen anderer Meinung sind. Dennoch sprechen dieselben Gründe nichtsdestoweniger für mich, da daraus offensichtlich gefolgert werden kann, daß nichts gewußt wird. Wissenschaft muß nämlich gemäß deinem Standpunkt gewiß, unfehlbar und ewig sein. Was für ein Urteil wird der arme Greis über diese Dinge fällen, wie erfahren auch immer du
Wenige berühren die Wahrheit.
Was lange vertreten wurde, scheint ein stärkeres Fundament in der Wahrheit zu haben.
Nichts wird gesagt, was nicht früher schon gesagt wurde.
Keine Meinung ist so dumm, daß sie keine Förderer hätte.
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In natura nil perfectum.
quod nihil scitur
fingas? Nil certi. Atque hucusque definitionis nostrae partes duae explanatae videntur, res scilicet, et cognoscens. Erat autem alia, perfecte. Nec enim quaelibet cognitio scientia est: nisi velis omnes scientes esse, tam doctos, quam indoctos, et belluas etiam. Et quod perfecta esse debeat cognitio scientia, nulli dubium: quae autem illa sit, ubi, et in quo, maximum. Sicut et alia, hoc etiam ignoratur. Forsan nulibi est: et hoc magis rationale. Diximus partim supra: Perfecta cognitio perfectum requirit cognoscentem, debiteque dispositam rem cognoscendam: quae duo nusquam vidi. Si vidisti tu, scribe mihi. Nec hoc solum: sed an videris perfectum quid in natura. Illud autem requiri vidisti iam supra, nec proinde necesse est hic repetere. Hisque videtur exposita definitio nostra, subindeque ostensum, quod nihil scitur. Reliquas huius rei probationes latius videbis in processu operum nostrorum, ubi id semper obiter monstrabimus: siquidem iam se extendisse plus satis videtur oratio, cui propterea finem demus. Ergo vidisti difficultates quae scientiam nobis adimunt. Scio, plura forsan non placebunt ex his quae hic dixi: sed nec, dices, demonstravi nil sciri. Saltem quantum potui clare, fideliter, et vere, quid sentirem exposui. Nec enim quod in aliis ego damno, ipse committere volui: ut rationibus a longe
Hisque L(e) : Hicque L
dass nichts gewusst wird
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ihn dir ausmalst? Kein gewisses. Aber bis zu diesem Punkt scheinen zwei Teile meiner Definition erklärt zu sein, ‚Ding‘ nämlich und ‚Erkennendes‘. Da war aber noch ein dritter, nämlich ‚vollkommen‘. Nicht jede beliebige Erkenntnis ist nämlich Wissenschaft, es sei denn, du möchtest, daß alle über Wissen verfügen, ebenso die Gelehrten wie die Nichtgelehrten und sogar das Vieh. Daß aber Wissenschaft vollkommene Erkenntnis sein muß, darüber besteht für niemanden Zweifel. Darüber aber, was jene sei, wo und in wem, bestehen größte Zweifel. Ebenso wie das übrige wird auch das nicht gewußt. Vielleicht gibt es sie nirgends, und das ist eine sehr vernünftige Annahme. Ich habe zum Teil schon oben gesagt: Vollkommene Erkenntnis erfordert einen vollkommenen Erkennenden und ein zu erkennendes Ding, das entsprechend angeordnet ist. Diese zwei habe ich nie gesehen. Wenn du sie gesehen hast, schreibe mir. Aber nicht nur das, sondern auch, ob du in der Natur etwas Vollkommenes gesehen hast. Daß dies aber erforderlich ist, hast du schon oben gesehen, und es ist daher nicht nötig, es hier zu wiederholen. Durch diese Ausführungen scheint meine Definition erklärt zu sein, und allmählich scheint auch offenbar, daß nichts gewußt wird. Die übrigen Bekräftigungen dieser Sache wirst du breiter ausgeführt im Fortgang meiner Arbeit sehen, wo ich das immer im Vorbeigehen zeigen werde. Da sich aber meine Rede schon mehr als genug in die Länge gezogen zu haben scheint, möchte ich sie deswegen nun zu Ende führen. Du hast also die Schwierigkeiten gesehen, die uns der Wissenschaft berauben. Ich weiß, daß wohl vieles keine Zustimmung finden wird von dem, was ich hier gesagt habe, aber ich habe, wie du sagen wirst, nicht bewiesen, daß nichts gewußt wird. Wenigstens soweit ich konnte, habe ich meine Ansicht klar, ehrlich und wahr dargelegt. Denn ich wollte nicht, was ich bei anderen verurteile, selbst begehen,
In der Natur gibt es nichts Vollkommenes.
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quod nihil scitur
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petitis, obscuriori- | bus, et magis forsan quaesito dubiis, intentum probarem. Mihi namque in animo est firmam, et facilem quantum possim scientiam fundare: non vero chimaeris et fictionibus a rei veritate alienis, quaeque ad ostendendam solum scribentis ingenii subtilitatem, non ad docendas res comparatae sunt, plenam. Nam nec mihi desunt subtilitates, ingeniosaque figmenta, quemadmodum et aliis: et si his contentus esset animus, plura illis habeo. Sed cum haec a rebus multum separentur, removeanturque, animum potius decipiunt, quam informent, et in ficta a veris transferunt. Hoc ego non scientiam voco: sed imposturam, somnium, simile his quae ab agyrtis et circulatoribus fiunt. Tuum nunc erit iudicare de his: quaeque bona videbuntur, amico corde excipere: quae secus, non hostiliter lacerare: impium enim esset prodesse conanti plagas infligere. Exerce te. Si aliquid scis, doce me: gratias enim habebo tibi plures. Interim nos ad res examinandas accingentes, an aliquid sciatur, et quomodo, libello alio praeponemus: quo methodum sciendi, quantum fragilitas humana patitur, exponemus. VALE. Quae docentur non plus habent virium, quam ab eo qui docetur accipiunt.
QUID? Finis.
plura L(e) : plures L
haec L(e) : hae L
dass nichts gewusst wird
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nämlich mit weithergeholten Gründen, die unverständlicher und vielleicht noch zweifelhafter als das Gesuchte sind, meine Behauptung glaubhaft machen. Denn ich habe im Sinn, eine möglichst feste und einfache Wissenschaft zu begründen, nicht aber eine, die voll Chimären und Fiktionen ist, die mit der Wahrheit der Sache unvereinbar sind und die nur für die Zurschaustellung des scharfsinnigen Denkvermögens des Schreibenden und nicht zur Belehrung über die Dinge aufgeboten werden. Denn wie den anderen mangelt es auch mir nicht an Scharfsinn und geistreichen Einfällen, und wenn sich mein Geist damit zufrieden gäbe, hätte ich sogar noch mehr davon als jene. Aber da diese Einfälle ganz losgelöst von den Dingen und weit von ihnen entfernt sind, täuschen sie den Geist eher, als daß sie ihn unterrichten, und sie lenken ihn vom Wahren ab zum Erdichteten. Das nenne ich nicht Wissenschaft, sondern Betrügerei, Träumerei, ähnlich den Tricks der Scharlatane und Gaukler. Es wird nun deine Aufgabe sein, darüber zu urteilen. Was dir gut erscheint, nimm mit freundlichem Sinn auf, was schlecht, das zerfleische nicht feindselig. Es wäre nämlich gewissenlos, denjenigen, der versucht zu nützen, mit Prügeln zu traktieren. Übe dich. Wenn du etwas weißt, belehre mich, ich werde dir nämlich sehr dankbar sein. Inzwischen mache ich mich daran, die Dinge zu untersuchen. Ob etwas gewußt wird und wie, werde ich in einem anderen Büchlein auseinandersetzen, in dem ich die Methode des Wissens, soweit es die Hinfälligkeit des Menschen zuläßt, darlegen werde. LEBE WOHL. Was gelehrt wird, hat nicht mehr Kraft, als es von dem, der belehrt wird, empfängt.
WAS? Ende.
Z UR Z ITAT I O N SWE I SE
Die Namen und Werktitel antiker Autoren wurden gemäß dem Abkürzungsverzeichnis des Neuen Pauly abgekürzt, vgl. dazu Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hg. von H. Cancik und Helmuth Schneider (Stuttgart / Weimar -) Bd. , S. XXXVI-XLIV. Bei den Schriften Galens wurde zur leichteren Orientierung neben der Buch- bzw. Kapitelnummer die Band- und Seitenzahl der Opera omnia-Ausgabe von C.G. Kühn (Leipzig [Nachdruck Hildesheim ]) [= K] bzw. im Fall der Subfiguratio empirica die Seitenzahl der Ausgabe von K. Deichgräber (Die griechische Empirikerschule. Sammlung der Fragmente und Darstellung der Lehre [Berlin / Zürich ]) [= D] hinzugefügt. Zu den in den Marginalien verwendeten Abkürzungen der Titel der Werke Galens und Plutarchs vgl. die Übersicht über die von Sanchez in QNS explizit zitierte Literatur auf den Seiten ff. Die Werktitel der mittelalterlichen und früh-neuzeitlichen Schriften wurden in der Regel ausgeschrieben. Die einzigen Ausnahmen bilden Julius Caesar Scaligers Schrift Exotericarum exercitationum liber XV de subtilitate ad Hieronymum Cardanum (), die als De subt. ad Card., und Amatus Lusitanus’ Schrift Curationum medicinalium centuria secunda (), die als Cur. med. cent. sec. abgekürzt wurden.
AN ME RKUN G E N
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Die lat. Abkürzung ‚S.P.[D.]‘ steht für ‚salutem plurimam [dicit]‘. Zu Iacobus a Castro vgl. Einleitung, S. XXIII Anm. . Sanchez rechtfertigt den Aufschub der Veröffentlichung von QNS zunächst mit einem Verweis auf Horaz, ars –: „Wenn du dennoch einst // etwas geschrieben haben wirst, so liefere es den Ohren des Kritikers Maecius // und denen des Vaters und den meinigen aus und verwahre es bis ins neunte Jahr // zwischen den Pergamentblättern.“ Damit folgt er dem Vorbild Quintilians, der sich im Widmungsschreiben zu De institutione oratoria zu demselben Zweck auf diesen Ratschlag des Horaz beruft (inst. praef. ). Auch die Verkürzung der neun Jahre des Horaz auf einen siebenjährigen Aufschub läßt sich als Rückgriff auf einen Topos erklären: Daß Frühgeburten schon nach einer siebenmonatigen Schwangerschaft lebensfähig sind, war in der antiken Medizin ein vieldiskutiertes Thema; vgl. dazu De septimestri partu (Über das Siebenmonatskind) aus dem corpus Hippocraticum und die gleichnamige Schrift Galens; zur Datierungsfrage der Fertigstellung des Manuskripts von QNS vgl. Einleitung, S. XIX. Anspielung auf Vergil, der von sich gesagt haben soll, „er bringe die Verse hervor nach Art und Weise der Bären. Denn wie jenes Tier das Neugeborene ungestaltet und ungeformt gebärt und es darauf [. . . ] durch Lecken in die Form bringt und gestaltet, ebenso seien die frischen Produkte seiner Begabung von rauher Gestalt und unvollendet, aber danach gebe er ihnen, indem er sie überarbeite und gestalte, Konturen und Form“ (Gell. ,,; vgl. auch Don. vita Verg. l. Brummer). Daß die Bärenweibchen ihre Jungen ohne Form gebären und sie danach in ihre spätere Gestalt lecken, war eine seit der Antike (vgl. Plin. nat. ,) und bis in die Frühe Neuzeit verbreitete Meinung. Ihr Ursprung ist ein Mißverständnis von Aristot. hist. an. , a und , aff. Sie erscheint ein zweites Mal in QNS . Sanchez spielt mit dem Gleichklang von a Castros Namen mit ‚castra‘, dem lat. Wort für Lager. Anspielung auf den Eröffnungssatz von Aristoteles’ Metaphysik, vgl. dazu Einleitung, S. CXLVI.
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Wortspiel: Kontrastierende Gegenüberstellung vom einfachen Verb ‚legere‘ (lesen) und dem Kompositum ‚intellegere‘ (verstehen). Sprichwort nach Phaedr. app. . Vgl. dazu Phaedr. , und Aisop. Fab. Hausrath. Diese Worte, mit denen sich Horaz (epist. ,,) von den unkritischen Anhängern der antiken Philosophenschulen distanzierte, wurden von den humanistischen Kritikern der aristotelischen Scholastiker häufig zitiert, vgl. z.B. Petrarca Über seine eigene und vieler anderer Unwissenheit: „Es ist durchaus möglich, daß ich etwas gesagt habe, was nicht nur von Aristoteles abweicht, sondern genau das Gegenteil von dem ist, was er behauptet – nicht aber habe ich gleich etwas Schlechtes gesagt, denn ich habe mich, wie Flaccus von sich selbst bekennt, ‚nicht verpflichtet, auf die Worte irgendeines Lehrers zu schwören‘“[Übersetzung K. Kubusch in Buck (, )]. Für weitere Anspielungen auf dieses Zitat bei Sanchez vgl. QNS und . Vgl. dazu Aisop. Fab. Hausrath. Zu diesem ‚Was?‘ vgl. Einleitung, S. XLIIIf. Mit diesem Satz soll der Vorsokratiker Metrodoros von Chios (./. Jh.v. Chr.) seine Schrift Über die Natur begonnen haben, vgl. dazu Einleitung, S. XL. Vgl. z.B. Aristot. an. post. , b–a. Vgl. dazu Aristot. metaph. , b. Vgl. dazu Aristot. int. a–. Aristot. eth. Nic. , b. Aristot. cat. b–. Für dieses Sprichwort vgl. auch unten QNS . Zum aktiven Intellekt vgl. Aristot. an. , a–; zu seiner Funktion in der Erkenntnistheorie der Scholastiker vgl. Einleitung, S. CXXXVIff. Verg. Aen. ,; derselbe Vers erscheint auch in QNS . Aristot. an. post. , bf. Sanchez spielt mit der lautlichen Ähnlichkeit von ‚subtilis‘ (subtil) und ‚futilis‘ (nutzlos). Vgl. dazu Aristot. an. , a–a. Vgl. QNS . ‚Barbara‘ ist die in der scholastischen Logik gebräuchliche Bezeichnung des universal-affirmativen Syllogismus der Form: Alle M sind P. Alle S sind M. Also: Alle S sind P.
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In der aristotelischen Tradition unterscheidet man die gültigen Syllogismen nach figura und modus. Die figura hängt ab von der Position des Mittelterms in den Prämissen, während der modus durch die Art der Sätze festgelegt wird, aus denen der Syllogismus zusammengesetzt ist. Um das Auswendiglernen der gültigen Formen der Syllogismen zu erleichtern, entwickelten die mittelalterlichen Scholastiker eine komplizierte mnemotechnische Nomenklatur (zum ersten Mal belegt in Petrus Hispanus’ Summulae logicales), indem sie u.a. den verschiedenen modi die Vokale a, e, i und o zuwiesen, so daß ‚SaP‘ für ‚alle S sind P‘(universal-affirmativ), ‚SeP‘ für ‚kein S ist P‘(universal-negativ), ‚SiP‘ für ‚einige S sind P‘ (partikulär-affirmativ) und ‚SoP‘ für ‚einige S sind nicht P‘ (partikulär-negativ) steht. Auf diese mnemotechnische Nomenklatur spielt Sanchez auch in QNS an, wo er dem fictus interlocutor vorwirft, er habe einen „barbarischen Syllogismus“ konstruiert (d.h. einen Syllogismus der Form Barbara) und mit der „Macht Caesars“ (d.h. einem Syllogismus der Form Cesare: „Einige P sind M [e]; Alle S sind M [a]; Einige S sind P [e]“) ein Labyrinth errichtet. Für eine vollständige Übersicht über die Namen der gültigen Formen der aristotelischen Syllogismen vgl. Patzig (, f.). Aristot. metaph. , a; vgl. auch , b; , b; , a; , b und Aristot. phys. , a. Aristot. metaph. , a; vgl. auch b. Aristot. metaph. , b. Aristot. metaph. , a; vgl. auch Aristot. phys. , b. Aristot. metaph. , b; vgl. auch Aristot. phys. , a. Aristot. metaph. , a. Vgl. QNS und . Die arbiträre Neuzuweisung von Wortbedeutungen war ein beliebtes Thema der mittelalterlichen Obligationenliteratur, vgl. dazu Ashworth (b, ). Vgl. dazu Aristot. metaph. , b–a. Auf dasselbe Prinzip beruft sich Sanchez auch in QNS und . Koh ,. Alternative Bezeichnungen für das alttestamentliche Buch Kohelet. In der Marginalie verspricht Sanchez eine Schrift Über die Methode des Wissens; für dieses Versprechen vgl. auch unten QNS und Einleitung, S. LXIX–LXXII.
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Sanchez’ Beobachtung trifft zu, vgl. dazu Barnes (, ): „In the whole of the Aristotelian corpus there ist not, as far as I am aware, a single perfect example of a demonstration [= Syllogismus].“ Beispiele für diese Formalisierungen finden sich in den Analytica priora. Zu diesem Problem vgl. Barnes (, ): „Syllogistic, to be sure, is scientifically fruitless.“ Vgl. dazu Anm. zu QNS . Timotheus von Milet (. H. . Jh.v. Chr.) war ein berühmter Kitharöde und Dichter. Zu Sanchez’ Wortspielen mit ‚Cesare‘ und ‚Barbara‘, zweier mnemotechnischer Bezeichnungen verschiedener Formen der aristotelischen Syllogistik, vgl. oben Anm. . Vgl. dazu Aisop. Fab. Hausrath. Als Species (dt.: Abbilder, Gestalten) bezeichneten die Scholastiker bestimmte Entitäten, die von den Sinnen aufgenommen werden und die zwischen den Sinnen und dem Intellekt vermitteln sollen. Sanchez kritisiert diese Auffassung in QNS ff. und ; vgl. dazu Einleitung, S. CXXXVI–CXLIV. Vgl. dazu Aristot. Int. aff. Zur Unmöglichkeit der simultanen Wahrnehmung von zwei Dingen vgl. Aristot. sens. b–b. Hexameter unbekannter Herkunft. Plat. rep. c. Mt ,. Zu den Species vgl. oben QNS und Anm. . Die These, daß „alles in allem“ sei, die bei einigen humanistisch geprägten Philosophen der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle spielte, geht auf den Vorsokratiker Anaxagoras (– v. Chr.) zurück; vgl. dazu Anaxagoras B f. Diels-Kranz. Für die Unterscheidung von Haltung (gr. hexis, lat. habitus) und Disposition (gr. diathesis, lat. dispositio) vgl. Aristot. cat. b–a. Vgl. etwa Aristot. an. post. , bff.; , b; , bff. Sanchez’ Verweis bezieht sich auf QNS . Zu seinem Argument vgl. Einleitung, S. CXXXff. Vgl. dazu Aristot. an. post. , a–. Für dieses Prinzip vgl. oben QNS und . Vgl. dazu unten QNS . Aristot. an. post. , b–.
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In der galenischen Medizin sind Lebensgeister (gr. pneuma, lat. spiritus) körperliche Bestandteile des Blutes, die durch die Arterien über den ganzen Körper verteilt werden. Dabei unterschied man zwischen dem Lebenspneuma (gr. pneuma zotikon, lat. spiritus vitalis), das im Herz entsteht, dem Seelenpneuma (gr. pneuma psychikon, lat. spiritus animalis), das im Gehirn aus dem Lebenspneuma gebildet wird, und dem Naturpneuma (gr. pneuma physikon, lat. spiritus naturalis), das in der Leber entsteht; vgl. dazu etwa Gal. De Hippocratis et Platonis placitis , V, K und De methodo medendi , X,f. K. Vgl. dazu auch unten QNS , , , und . Zu dieser Funktion des Beweises vgl. oben QNS . Zur scholastischen Herkunft dieser Definition der Wissenschaft vgl. Einleitung, S. CLIV. Vgl. dazu Aristot. an. post. , b– und , b–. Vgl. z.B. Aristot. metaph. , a–. Aristot. an. post. , a–. Vgl. dazu Aristot. an. post. , a. Vgl. z.B. Aristot. metaph. , b. Vgl. dazu Aristot. an. post. , b. Aristot. an. post. , b–. Vgl. dazu Aristot. cael. f. (v.a. , b–), wo Aristoteles zu zeigen versucht, daß die Körper der himmlischen Sphären (z.B. die Fixsterne) anders als die der sublunaren Region nicht aus den vier Elementen Wasser, Erde, Feuer und Luft, sondern aus einem anders gearteten fünften Element bestehen. Zu den Lebensgeistern vgl. oben Anm. . In der Marginalie verweist Sanchez auf Scaliger, der in De subt. ad Card. ex. (S. v in der Pariser Ausgabe von ) schreibt: „Daß es im Himmel keine verschiedene Substanz gibt, läßt sich dem zweiten Buch [von Aristoteles’] De caelo entnehmen, wo geschrieben steht, daß die Substanz der Sterne und des Himmels dieselbe sei.“ Zu Scaliger vgl. Einleitung, S. XCIV Anm. . Vgl. dazu Aristot. metaph. , bff. Als Basilisk bezeichnete man in der Antike eine kleine Schlange, deren Gift eine verheerende Wirkung zeigte; vgl. dazu Breimer (). Daß das Wiesel der einzige natürliche Feind des Basilisk sei, berichtet Plin. nat. ,.
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Sympathie und Antipathie gehören zu den sogenannten verborgenen Eigenschaften, die in der Naturphilosophie der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle spielten; vgl. dazu unten QNS f. und Anm. . Vgl. dazu Aristot. an. , a–a. Vgl. dazu z.B. Aristot. an. pr. , a. Vgl. dazu z.B. Aristot. metaph. , a–b. Vgl. dazu Aristot. cael. , a–a. Zu den Lebensgeistern vgl. oben Anm. . Zu den Species vgl. oben Anm. . Vgl. dazu Aristot. phys. , a. Archimedes von Syrakus (– v. Chr.) verfaßte Schriften zur Mathematik, Physik und Mechanik, die in der Renaissance weite Beachtung fanden. Nach Cic. Rep. , soll Archimedes’ Weltmodell (die sogenannte sphaera Archimedis) nach der Eroberung von Syrakus durch die Römer ( v. Chr.) von Marcellus nach Rom gebracht und im Tempel der Virtus geweiht worden sein. Kor ,,. Vgl. dazu [Aristot.] probl. , b, der das gr. Verb ‚epistamai‘ (‚wissen, verstehen‘) mit dem Verb ‚histamai‘ (‚stehen‘) etymologisch in Verbindung bringt: „Wissenschaft (episteme) scheint das zu sein, was die Seele zum Stehen bringt (stenai).“ Vgl. auch phys. , bff. Vgl. dazu oben QNS und ; Zum vorliegenden Argument vgl. Einleitung, S. CXXIXff. In seinem Kommentar zu Dioskurides’ Materia medica , geht Pier Andrea Mattioli (–) auf die schädliche Wirkung von Katzen ein. So soll etwa der Verzehr von Katzenhirn zum Wahnsinn führen, während Katzenhaar Erstickungen verursachen könne. Weiter berichtet Mattioli: „Außerdem wurde festgestellt, daß ihr Atem mit einem zersetzenden Gift versehen ist. Ich selbst weiß nämlich von Leuten, die, weil sie an Katzen so sehr Gefallen hatten, daß sie nie ohne diese das Schlafgemach aufsuchten, nachdem sie für längere Zeit über die Luft ihren Atem aufgenommen hatten, in Schwindsucht und Zersetzung verfielen, durch welche sie schließlich ihrem Tod entgegengingen. Und es ist nicht lange her, daß in einem Mönchskonvent die gesamte Belegschaft verstarb aufgrund des engen Umgangs mit einer großen Zahl von Katzen.“ Schließlich weist Mattioli darauf hin, daß in gewissen Gebieten Deutschlands auch dem Blick der Katzen eine schädigende Wirkung
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zugeschrieben wird; zu Pier Andrea Mattioli und seinem DioskuridesKommentar vgl. Einleitung, S. CXVIIIf. In Sanchez’ Verweis auf „das letzte Buch De re anatomica des Falloppio“ scheint ein Irrtum vorzuliegen. Von Gabriele Falloppio (–) existiert keine Schrift dieses Namens. Sehr wahrscheinlich dachte Sanchez an eine gleichnamige Schrift von Realdo Colombo (–) in Büchern, deren letztes Buch unter dem Titel De iis quae raro in anatomia reperiuntur von seltenen Befunden in der Anatomie handelt. In diesem Zusammenhang berichtet Colombo u.a. von einem Mann aus Ferrara, der über keinen Geschmacksinn verfügte und der daher alles ohne Unterschied verschlingen konnte (S. in der Venediger Ausgabe von ). Auf diesen Fall bezieht sich auch Amatus Lusitanus’ (–ca. ) Scholium zur cura der Cur. med. cent. sec. (S. v in der Pariser Ausgabe von ), auf das Sanchez an dieser Stelle ebenfalls verweist. In der entsprechenden cura wird der Fall eines achtjährigen Jungen beschrieben, der Münzen verschlang und wieder ausschied, ohne dabei Schaden zu nehmen; zu Amatus Lusitanus vgl. Einleitung, S. XV Anm. und S. CXVIII. In der cura der Cur. med. cent. sec. (S. r in der Pariser Ausgabe von ) beschreibt Amatus Lusitanus den Fall eines Mönches, „der jedes Mal, wenn er den Duft einer Rose roch oder aus der Distanz eine sah, auf der Stelle [. . . ] in Ohnmacht fiel“. Zu Beginn dieser cura werden Leute erwähnt, die kein Fleisch, keinen Käse oder keinen Fisch ertragen – Beispiele, die von Sanchez ebenfalls in seine Aufzählung von Absonderlichkeiten aufgenommen wurden. Nach Cic. off. .: „Publius Scipio [. . . ] pflegte zu sagen: ‚Nie bin ich weniger müßig, als wenn ich müßig bin und nie weniger allein, als wenn ich allein bin.‘“ Für dieses Sprichwort vgl. Aristot. eth. Nic. , a. So Aristot. part. an. , a und an. , b. Gegen die – z.B. von den Pythagoreern vertretene – Ansicht, daß eine Seele in jeder beliebigen Art von Körper sein kann, wendet sich Aristoteles in an. , b–. Aristot. an. , b. Zur Suppositionslehre der scholastischen Logiker, auf die Sanchez hier anspielt, vgl. das Historische Wörterbuch der Philosophie s.v. ‚Supposition‘ (Bd. , Sp. ff.).
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Anspielung auf Thomas von Aquins Schrift mit dem Titel De ente et essentia (Über das Seiende und das Wesen). Die Frage, ob die Bedeutung der Wörter konventionell festgelegt sei oder von der Natur abhänge, wurde zu Sanchez’ Zeit u.a. im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung von Platons Kratylos rege diskutiert, vgl. dazu Ashworth (b, f.). Nach Aristot. gen. corr. , a–a werden die vier Elemente aus den vier möglichen Kombinationen der Grundqualitäten Warm, Trocken, Feucht und Kalt gebildet. So ist Feuer warm und trocken, Luft warm und feucht, Wasser kalt und feucht und Erde kalt und trocken. Die Erde kann insofern als das trockenste dieser vier Elemente bezeichnet werden, als in diesen Kombinationen immer eine Qualität überwiegt, so daß das Feuer eher warm als trocken, die Luft eher feucht als warm, das Wasser eher kalt als feucht (!) und die Erde schließlich eher trocken als kalt ist. Sanchez’ Bsp. lauten ‚canis‘ (Hund) und ‚panis‘ (Brot). Um in der Übersetzung denselben lautlichen Effekt zu erzielen, wählten wir anstelle des Wortes ‚Brot‘ das Wort ‚Mund‘. Interessanterweise erscheint das Wort ‚canis‘ in der editio princeps in eckigen Klammern. Diese Art der Interpunktion erscheint nur an dieser Stelle, wo es offensichtlich um den Lautwert eines Wortes geht. Pentameter unbekannter Herkunft. Enn. Ann. . Dieser Vers diente bereits bei den antiken Grammatikern als Bsp. für den Gebrauch von Onomatopoietica, vgl. dazu Prisc. I , Keil. Die Widerlegung der antiken Vorstellung der Geographie (vgl. dazu etwa Aristot. meteor. , a–b [zu den drei Kontinenten] und , a–b [zu den bewohnbaren Zonen]) durch die Entdeckung der Neuen Welt und die damit verbundenen Erfahrungen der Seeleute war zu Sanchez’ Zeit ein verbreitetes literarisches Motiv. In Form eines dramatischen Berichts findet sie sich etwa in der neun Jahre nach QNS erschienenen Schrift Historia natural y moral delas Indias (Sevilla ) des spanischen Jesuiten José de Acosta (–), der als Missionar in Südamerika tätig war: „Ich werde berichten, was ich erlebte, als ich nach Indien [gemeint ist Amerika] reiste. Da ich gelesen hatte, was die Philosophen und die Dichter über die heiße Zone schrieben, war ich überzeugt, daß ich, sobald ich zum Äquator käme, die schreckliche Hitze nicht ertragen könnte. Doch verhielt es sich dermaßen umge-
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kehrt, daß ich zur selben Zeit, als ich den Äquator überquerte, so sehr fror, daß ich mich mehrmals an die Sonne begeben mußte, um mich aufzuwärmen – und das zur Zeit, als die Sonne direkt über uns stand [. . . ]. Hier gestehe ich, daß ich lachte und Witze riß über Aristoteles’ Meteorologie und über seine Philosophie, da ich gesehen hatte, daß an dem Ort und zu der Zeit, wo nach seinen Regeln überall Gluthitze herrschen und alles in Flammen stehen sollte, ich und alle meine Gefährten froren.“ [Buch , Kap. , S. in der Seviller Ausgabe von , die reproduziert und mit einer spanisch-englischen Einleitung versehen bei Beddall () vorliegt]. Meist in Verbindung mit der Nennung weiterer Errungenschaften der jüngeren Vergangenheit – wie etwa der Erfindung des Kompasses, des Schießpulvers und des Buchdrucks – erscheint das Motiv der Überwindung der antiken Geographie durch die Leistung der modernen Seefahrt als Teil einer Rhetorik des Fortschritts, die sich ab der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts in der Literatur bemerkbar zu machen beginnt und die im Dienst eines Glaubens an den Fortschritt steht, der in dieser Form weder in der Antike noch im Mittelalter belegt ist; vgl. dazu Rossi (, –) und Grafton (, –). Zu Sanchez’ Ablehnung des Fortschrittsglaubens vgl. Einleitung, S. CXX. Vgl. z.B. Aristot. an. , a ff. und an. post. , a–b. Die Frage nach der Existenz (an sit?) geht der Frage nach dem Wesen (quid sit?) voraus, weil nach Aristoteles nur das Wesen derjenigen Dinge erkannt werden kann, die tatsächlich existieren; vgl. dazu an. post. , b– und , b–. Vgl. z.B. Aristot. cael. ,ff. b–b. Plin. nat. ,: „Die Welt und das, was man mit einem anderen Wort als Himmel bezeichnen mag, in dessen Umfassung alles lebt, wird zu Recht für ein göttliches Wesen gehalten, das ewig, unermeßlich, weder erzeugt wurde noch je vergeht.“ Überraschenderweise schließt Sanchez seine Darstellung der These von der Ewigkeit der Welt, die er als die „Überzeugung der Philosophen“ im nächsten Abschnitt der offenbarten Wahrheit Gottes gegenüberstellen wird, mit einem Verweis auf eine Bibelstelle ab. Zu dieser Gegenüberstellung vgl. Einleitung, S. LIff. Vgl. dazu Aristot. cael. ,, a; , a und phys. ,, a. Der Phönix ist ein fabelhafter Vogel, der seit der Antike und bis in die Frühe Neuzeit für Aufmerksamkeit sorgte. In christlicher Zeit diente
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er als Symbol für die Auferstehung Christi, die Unsterblichkeit der Seele und die körperliche Auferstehung am Tag des Jüngsten Gerichts. Für eine frühe Darstellung des Phönix vgl. Plin. nat. ,ff. Anders als bei Plinius entsteht der neue Phönix in Sanchez’ Darstellung nicht aus dem verfaulenden Leib seines Vorfahren, sondern aus dessen Asche. In diesem Punkt folgt Sanchez den in seiner Zeit nach wie vor verbreiteten Bestiarien. Dabei handelt es sich um Kompilationen von Tier-, aber auch von Pflanzen- und Steinbeschreibungen, die auf eine spätantike Vorlage, den sogenannten Physiologus, zurückgehen und die durch christlich-didaktischen Auslegungen erweitert wurden; zu den Bestiarien im allgemeinen vgl. McCulloch (), zum Phönix vgl. McMillan (). Für die Lehre, wonach die Bären ihren Jungen erst durch Lecken ihre spätere Gestalt geben, verweist Sanchez in der Marginalie auf das . Buch von Aristoteles’ De generatione animalium und ebenso auf Scaligers Kritik an dieser Ansicht. Dieser Verweis bedarf dreier Berichtigungen. .) Aristoteles’ Ausführungen zur Geburt der Bärenjungen finden sich nicht in Buch sondern in gen. an. , b. .) Aristoteles behauptet an dieser Stelle nur, daß die Bären (ebenso wie die Füchse und die Löwen) ihre Jungen ohne vollständig ausgebildete Gliedmaßen gebären. Die Geschichte, wonach die Bärenjungen ihre spätere Gestalt dem Lecken ihrer Mütter verdanken, erscheint nicht in den Schriften des Aristoteles, sondern beruht auf einem Mißverständnis von Aristot. hist. an. , a und , aff. .) Scaligers Kritik an dieser Lehre findet sich nicht in ex. sondern in ex. , (S. v in der Pariser Ausgabe von ). Sie lautet: „Aristoteles schrieb im fünften Buch von De generatione animalium [daher wohl Sanchez’ Fehler] dasselbe [. . . ] über die Jungen des Bärenweibchens. Dieses werfe die Jungen eher ungestalt, als daß es sie gebäre, und bringe sie danach [. . . ] durch Lecken in ihre Gestalt. Sie wäre in der Tat ein guter Pheidias [berühmter attischer Bildhauer des . Jh.v. Chr.], wenn sie wüßte, was wegzunehmen und was zurückzulassen ist. Welches Vertrauen die Urheber dieser Geschichte verdienen, mag man aus folgendem Bericht erfahren: In unseren Alpen fingen Jäger eine trächtige Bärin. Als man sie zerlegte, fand sich ein vollkommen ausgeformter Fötus in ihrem Innern.“ Scaligers Quelle ist aller Wahrscheinlichkeit nach Pier Andrea Mattiolis Kommentar zu Dioskurides’ Materia medica ,, wo der von Scaliger refe-
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rierte Bericht über die Sezierung einer trächtigen Bärin zum ersten Mal erscheint. Wie in der Marginalie vermerkt, stützt sich Sanchez in dieser Passage stark auf Scaliger De subt. ad Card. ex. ,, wo der hier erwähnte irische Fluß in folgenden Worten geschildert wird (S. r in der Pariser Ausgabe von ): „Ich werde den irischen Fluß nicht verschweigen. Die Blätter eines sich über diesen Fluß neigenden Baumes, die in diesen Fluß fielen, nahmen die Form von Fischen an und lebten von da an als Fische. Einem sorgfältigen Beobachter schien dies jedoch weniger an der Kraft des Flusses als an derjenigen des Baumes zu hängen. Denn die Blätter, die auf die Erde fielen, flogen, zu flatterndem Getier geworden, davon.“ Ebenfalls erwähnt werden Tiere und Insekten, die aus „Weizen, [. . . ] aus den Fruchtständen des Mastix, [. . . ] dem Mark der Artischocken“ entstehen (S. v in der Pariser Ausgabe von ). Schließlich berichtet Scaliger auch von dem wunderlichen Vogel im Bretonischen Ozean: „Du wirst dich noch mehr wundern über einen euch nicht bekannten Vogel im Bretonischen Ozean, der aussieht wie eine Ente und mit dem Schnabel an den morschen Resten von Schiffswracks hängt, und zwar so lange, bis er sich löst und weggeht, um Fische zu fangen, von denen er sich ernährt. Ich habe diesen gesehen. Die baskischen Bewohner der Meeresküste nennen diese Vögel Crabans, von den Briten werden sie Bernachiae genannt. [. . . ] Dem großmächtigen König François wurde eine nicht allzu große Muschel gebracht, die ein nahezu vollkommenes Vögelchen enthielt, das mit den Flügelspitzen, dem Schnabel und den Füßen am äußersten Rand der Muschelschale hing. Gelehrte Männer [. . . ] waren der Meinung, es handle sich dabei um eine Auster, die sich zu einem Vögelchen umgebildet habe.“ Zu den früh-neuzeitlichen Diskussionen über diesen wunderbaren Vogel vgl. Wightman (, ff.). Vgl. dazu Scaliger De subt. ad Card. ex. . Wohl eine Anspielung auf Heraklit, der nach Platon Crat. a gesagt haben soll, „daß alles fließt und nichts bleibt und der, indem er das Seiende mit dem Lauf eines Flusses verglich, sagte, daß man wohl nicht zweimal in denselben Fluß steigen könne“. Vgl. dazu Aristot. cat. bf.; metaph. , a–; , aff. Der englische Ingenieur und Architekt Edward Cresy (–) erwähnt diese Passage über die Artveränderungen in einem Brief vom . April an Charles Darwin (–), vgl. dazu Burkhardt und
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Porter (, f.): „I met with a curious passage in an old free thinker Francis Sanchez who lived in the latter part of the sixteenth century – the book is a rare one entitled ‚Quod nihil scitur‘ Frankfurt – Mackay the Author of ‚Religious development of Greeks & Hebrews‘ shewed it me among a lot of rare books he had been buying & I made a note of the following – ‚In arboribus eadem mixtio cernitur et plantis aliis, ut in caulorapo malo persicis, amigdalo persicis et pluribus aliis quibus insitione media acquiritur natura inter insitum et id cui inseritur si denique addas mutationis specierum ut ex tritico saepe lolium et ex lolio triticum quandoque et ex secala avena fit‘.“ Darwins Antwort ist nicht bekannt. In der cura der Cur. med. cent. sec. berichtet Amatus Lusitanus von folgender Begebenheit: „In Esgueira, neun Meilen von Coimbra entfernt, [. . . ] lebte ein Mädchen von edler Abstammung, deren Name (falls ich mich richtig erinnere) Maria Pacheca lautete. Als dieses Mädchen in das Alter kam, in dem die Frauen normalerweise zum ersten Mal menstruieren, stieß sie anstelle des Menstruationsblutes ein männliches Glied aus, das bis zu diesem Zeitpunkt im Innern verborgen war. Und so wurde sie aus einer Frau zu einem Mann, wurde mit der Männerkleidung bekleidet, mit Weihwasser besprengt und Manuel genannt. Dieser ging nach Amerika, kehrte reich und berühmt zu den Seinigen zurück und nahm eine Frau zur Gattin. Ob er aber Kinder zeugte, konnte ich nicht hinreichend in Erfahrung bringen. Ich weiß aber, daß er immer einen Bart trug.“ [S. r in der Pariser Ausgabe von ]. Gräzisierte Form des Namens des ägyptischen Gottes Thot, dem eine Reihe theologisch-philosophischer Schriften zugeschrieben wurden, von denen sich das Traktate umfassende corpus Hermeticum erhalten hat. Marsilio Ficino (–) veröffentlichte eine lat. Übersetzung eines griech. Manuskripts mit dieser Traktate und trug damit wesentlich zum großen Interesse bei, auf das das corpus Hermeticum bei den Humanisten des . Jh. traf. Vgl. dazu Cic. nat. deor. ,. Anders als von Sanchez referiert, wird Aristoteles an dieser Stelle jedoch nicht von Cicero selbst kritisiert. Cicero legt die Aristoteleskritik C. Velleius in den Mund, der in diesem Dialog die Lehre Epikurs vertritt. Sanchez’ Verweis auf Epikur in der Marginalie ist einigermaßen verwirrend. Erstens wird Epikur bei Diog. Laert. nur in Buch behandelt, und zweitens sprach sich Epikur nach Diog. Laert. , gerade gegen die Identifizierung der Himmelskörper mit
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Gott aus. Epikur sagt somit gerade nicht „dasselbe“ wie Pythagoras in Diog. Laert. ,. Der lat. Text scheint nicht in Ordnung zu sein und ist, so wie er hier steht, unverständlich. Möglicherweise vermutet Limbrick (, Anm. ) zu Recht, daß Sanchez auf Aristot. gen. corr. a– anspiele, wo Aristoteles die Grundqualitäten von der zugrundeliegenden Substanz (hypokeimene hyle) unterscheidet. Zu den Lebensgeistern vgl. oben Anm. . Sanchez versucht zu zeigen, daß sich die Farbe Weiß nicht auf die vier aristotelischen Grundqualitäten Warm, Kalt, Feucht und Trocken zurückführen läßt. Für Aristoteles’ Theorie der Farben vgl. sens. a– b Das in allen Farben schillernde Federkleid der Taube war bereits bei den antiken Skeptikern ein beliebtes Beispiel für die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung, vgl. z.B. Cic. Luc. und . Bei Aristot. gen. an. , b erscheint die Taube als Beispiel für diejenigen Tierarten, deren einzelne Individuen mehrfarbig sind. Für diesen Ausdruck vgl. oben QNS . Anspielung auf Verg. georg. ,f.: „Anstrengung besiegt alles, // die arge, und drängendes Darben unter harten Umständen“. Ov. ars ,f. Suadela ist die personifizierte Redekraft, Venus der personifizierte Liebreiz. Umkehrung eines Verses von Cicero (vgl. Pis. und off. ,): „Mögen die Waffen der Toga weichen, der Lorbeer weiche dem Lob!“ Mit diesen Vers wollte Cicero seine Verdienste während seines Konsulats hervorheben, da es ihm gelungen sei, durch seine politische Klugheit (versinnbildlicht durch die Toga, die Bekleidung der römischen Senatoren) einen Bürgerkrieg (versinnbildlicht durch die Waffen) zu verhindern. Sanchez verballhornt die zu seiner Zeit gängige Version dieses Verses, in der statt dem wohl korrekten ‚laudi‘ (‚dem Lob‘) das in einigen jüngeren Handschriften überlieferte ‚linguae‘ (‚der Zunge‘ bzw. ‚Beredsamkeit‘) stand. Bei diesem Zitat handelt es sich um eine Kombination von Koh , und ,f. Herkules konnte die Hydra nur bezwingen, weil sein Neffe Iolaos die Wunden, die die abgeschlagenen Köpfe hinterließen, mit einer Fackel ausbrannte, so daß keine Köpfe mehr nachwachsen konnten. In San-
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chez’ Worten fehlt uns dieses „geistige Feuer“, durch das wir das Nachwachsen der Köpfe der Hydra verhindern könnten. Vgl. etwa Aristot. an. , a–b und an. post. , b–a. Nach dieser Fabel, die bei Plut. Symp. , e überliefert ist, hatte der Fuchs zuvor den Kranich (bzw. den Storch in Phaedrus’ Fassung [,]) zum Essen eingeladen und eine Suppe in einem flachen Teller serviert, aus dem der Kranich nicht essen konnte. Für die Unterscheidung zwischen dem, was seiner Natur nach besser erkennbar ist, und dem, was für uns besser erkennbar ist, vgl. Aristot. phys. , a–. Zu QNS ff. vgl. Einleitung, S. CXXXVI–CXLIV. Für den hohen Rang der Seele aber auch für die Schwierigkeit ihrer Erkenntnis vgl. Aristot. an. , a–. Vgl. dazu . Kor ,. In der Marginalie verweist Sanchez auf Plut. adv. Col. e: „Niemand kann hoffen, weiteres Wissen zu erlangen, der es verpaßte, das Vorzüglichste seiner selbst zu erfassen.“ Vgl. dazu Scaliger De subt. ad Card. ex. (S. r in der Pariser Ausgabe von ): „Betreten wir nun diesen heiligen Bezirk [gemeint ist die Untersuchung der Seele] keineswegs abgeschreckt durch die unverständige Meinung (absurda sententia) von Juan Luis Vives. Dieser sagt nämlich, die Natur des Geistes zu untersuchen sei ein intrikates Unterfangen voller Dunkelheit (plenum obscuritatis).“ Wie bereis in QNS weigert sich Sanchez auch hier, ‚Erkenntnis‘ zu definieren, und macht damit deutlich, daß sich dieser Begriff in seinen Augen nicht weiter analysieren läßt. Zu den Species vgl. oben Anm. . Zu QNS – vgl. Yrjönsuuri (, –). Vgl. dazu Aristot. an. , a. Wohl ein Verweis auf QNS –, wo Sanchez die Schwierigkeiten darlegt, die mit dem Fällen eines richtigen Urteils verbunden sind. Vgl. dazu z.B. Aristot. metaph. , b. Vgl. dazu Aristot. metaph. , a–b. Vgl. dazu z.B. Aristot. metaph. , a. Für Aristoteles’ Erklärung der optischen Wahrnehmung vgl. an. , a–b und sens. a– b. Für die Farbe als eigentliches Objekt des Sehsinns vgl. Aristot. an. , a. Größe, Gestalt, Anzahl, Bewegung und Stillstand sind nicht Ob-
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jekte eines einzigen Sinnes, sondern sie sind als sogenannte koina aistheta die gemeinsamen Objekte mehrerer Sinne zugleich; vgl. dazu Aristot. an. , a; , a–b. Für die Rauheit als koinon aistheton vgl. sens. b–. Vgl. dazu Aristot. an. post. , a–b und Patzig (). Der halb ins Wasser getauchte Stab, der geknickt erscheint, diente bereits den antiken Skeptikern als Standardbeispiel für die Unzuverlässigkeit der Sinne; für die Akademiker vgl. Cic. Luc. und ; für die Pyrrhoneer vgl. Sextus Empiricus P.H. ,f. Interessanterweise geht Sanchez mit seiner Version dieses Beispiels über seine antiken Vorgänger hinaus, da bei ihm der Stab nicht nur gebrochen erscheint, sondern tatsächlich gebrochen ist. Sein dogmatischer Gegner kann somit die Unzuverlässigkeit der Sinne nicht für überwindbar erklären, indem er sich auf seine allgemeine Erfahrung beruft, nach der Stäbe, die halb ins Wasser getaucht sind, zwar gebrochen erscheinen, in Wirklichkeit aber ganz sind. Die Unzuverlässigkeit der Sinne geht nämlich soweit, daß sie sowohl einen gebrochenen als auch einen ganzen Stab als gebrochen erscheinen lassen. Zum schillernden Federkleid der Taube als Beweis für die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung vgl. oben QNS und Anm. . Zu Anzahl, Gestalt und Größe als koina aistheta vgl. oben QNS . Vgl. dazu Aristot. an. , a–b, wo Aristoteles verneint, daß „übermächtige Sinnesgegenstände“ wahrgenommen werden können. Sanchez denkt möglicherweise an Aristot. sens. b, wo Aristoteles darüber spricht, daß – wenn man das Auge langsam hin und her bewegt – ein Ding nicht als zwei erscheinen kann. Vgl. dazu Aristot. an. , b. Vgl. dazu oben QNS . Sprichwort, vgl. Ter. Phorm. : „Es ist vielmehr so, wie man sagt: ‚Ich halte einen Wolf an den Ohren.‘ Denn ich weiß weder, auf welche Weise ich ihn laufen lassen, noch, wie ich ihn festhalten soll.“ Vgl. auch Suet. Tib. ,: „Der Grund seines [gemeint ist Tiberius] Zögerns war seine Furcht, ihm drohten von überall her Gefahren. So soll er oft gesagt haben, er halte einen Wolf an den Ohren.“ Zu den Lebensgeistern vgl. oben Anm. . In gen. an. , a–a beschäftigt sich Aristoteles mit der Frage nach der Ursache der unterschiedlichen Beschaffenheit der Augen verschiedener Gattungen von Lebewesen einerseits und verschiedener In-
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dividuen unter den Menschen andererseits. Dabei behandelt er auch die Auswirkung dieser Unterschiede auf das Sehvermögen. Vor der Erfindung des Thermometers gab es keine Möglichkeit, die Intensität der beiden aristotelischen Grundqualitäten Warm und Kalt, die auch in der galenischen Medizin eine zentrale Rolle spielten, objektiv zu bestimmen. Gestützt auf Galen unterschied man noch zu Sanchez’ Zeit bei jeder der vier Grundqualitäten Warm, Kalt, Trocken und Feucht vier Grade. Ausgangspunkt der Intensitätsbestimmung von Warm und Kalt war die subjektive Temperaturempfindung der Innenseite der Hand, vgl. dazu z.B. Galen De temperamentis , I,f. K; vgl. auch Harig (, v.a. –), Siraisi (, ) und Crombie (, ff.). Dieses Phänomen schildert Galen in De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus , XI,f. K. Vgl. dazu oben QNS und Anm. . So Aristot. cael. b–. Mit diesem Satz beginnt Thomas von Aquins De ente et essentia. Vgl. dazu z.B. Aristot. an. pr. , a. Mit diesem Satz beginnt der erste Aphorismus des Hippokrates, der im nächsten Zitat weitergeführt wird. Vgl. dazu Aristot. an. , b. Vgl. dazu Aristot. an. , b: „Um nun das, was wir über die Seele gesagt haben, zusammenzufassen, wiederholen wir, daß die Seele gewissermaßen alles Seiende ist.“ Vgl. dazu z.B. Aristot. metaph. , aff. Vgl. dazu Galen Ars medica I, K: „Denn wenn der Körper weder etwas erleiden noch sich ändern würde, bliebe er immer in der besten Verfassung und er bedürfte keiner Kunst [gemeint ist die Medizin], die ihm Beistand leistet. Da er sich aber wandelt, verändert, Schaden nimmt und die Verfassung, die er zu Beginn hatte, nicht bewahrt, bedarf er in diesen Dingen der Unterstützung.“ Nach Galen verfügt der vollkommenste, d.h. der gesunde Körper über das beste Mischungsverhältnis der vier Grundqualitäten Warm, Kalt, Trocken und Feucht, vgl. z.B. De temperamentis , I, K und De optima corporis nostri constitutione IV, K. Vgl. dazu Galen De optima corporis nostri constitutione IV,– K.
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Für Aristoteles’ Erklärung von Tun und Erleiden vgl. gen. corr. , b–a; zu den spätscholastischen Diskussionen vgl. Des Chene (, –). Vgl. dazu Aristot. phys. , b. Ein prominenter Vertreter dieser Lehre, die auf den antiken Platonismus zurückgeht, war Augustin, vgl. z.B. conf. ,: „Das Böse ist nichts als die Privation des Guten bis hin zu dem, was gar nicht mehr ist.“ Vgl. z.B. Aristot. gen. an. , b. Kor ,. Bei einigen Philosophen der Renaissance spielte das Licht als Prinzip des Seins und der Erkenntnis eine zentrale Rolle, so z.B. bei Nicolaus von Kues (–), Marsilio Ficino (–) und Giordano Bruno (–); vgl. dazu Goldammer (). Vgl. dazu Joh ,. Vgl. dazu Aristot. gen. corr. , a–b, wo Aristoteles die Nähe der Sonne zur Erde im Frühling als Ursache des Entstehens und ihre Entfernung im Winter als Ursache des Vergehens erklärt. So Galen De usu partium , III,ff. K. Vgl. dazu oben QNS . Vgl. dazu oben QNS . Zu den Lebensgeistern vgl. oben Anm. . Vgl. dazu Galen De optima corporis constitutione IV, K: „Von den Schäden für unseren Körper entstehen die einen durch äußere Ursachen, die anderen kommen von Ausscheidungen der Nahrung her.“ Galen zählt in Ars medica I, K den ständigen Kontakt mit der umgebenden Luft, Essen, Trinken, Wachsein und Schlaf zu den nicht vermeidbaren Ursachen der Veränderung des Körpers. Mit der Nennung der Bildung erweitert Sanchez diese Aufzählung um einen sozialökonomischen und pädagogischen Faktor, der im folgenden im Zentrum seiner Ausführungen steht. Juv. ,. Hexameter unbekannter Herkunft. Pentameter unbekannter Herkunft. Hor. epist. ,,. Ter. Eun. . Hor. epist. ,,. Hor. epist. ,,. Zu diesem Satz vgl. Einleitung, S. CV Anm. .
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Vgl. dazu Qunit. inst. ,,. Es ist unklar, ob hier derselbe Timotheus gemeint ist, von dem Aristoteles in metaph. , b spricht (vgl. dazu oben QNS ). Für diesen Vers des Horaz vgl. QNS ix und QNS sowie Anm. . Vgl. Spr ,. Vgl. dazu Aisop. Fab. Hausrath. Sanchez spielt mit dem ähnlichen Klang von ‚commentari‘ (kommentieren) und ‚commentiri‘ (zusammenlügen). Sein Vorwurf erinnert an den Titel der Dissertation von Petrus Ramus (–), der gelautet haben soll: „Alles, was von Aristoteles gesagt wurde, ist zusammengelogen (Quaecumque ab Aristotele dicta sunt, commentitia sunt).“ Zur Bedeutung dieses Titels vgl. Ong (, ff.). Anders als Ramus erhebt Sanchez seinen Vorwurf der Lüge hier jedoch nicht gegen Aristoteles selbst, sondern gegen seine Anhänger und Interpreten. Vgl. dazu Aisop. Fab. Hausrath und Phaedr. ,. Nach Macr. Sat. ,,: „An Gleichem nämlich erfreut sich Gleiches.“ Zu diesem Satz vgl. oben QNS . Sanchez spielt auf Verg. Aen. ,ff. an, wo die Apollo-Priesterin Sibylle Aeneas den Weg in die Unterwelt erklärt: „Sohn aus göttlichem Blut, Troer, Sohn des Anchises, leicht ist der Abstieg zum Avernus. Nacht und Tag steht das Tor des finsteren Dis weit offen. Aber den Schritt zurückzuwenden und an die oberen Lüfte zu entkommen, [v. ] dies ist ein Stück Arbeit, eine Mühe. Wenige, die der gerechte Jupiter liebte oder die die glänzende Tugend zum Himmel emporhob, Kinder der Götter, waren dazu im Stand. Wälder erfüllen die Mitte [. . . ].“ Vers wird bereits in QNS zitiert. Vgl. dazu oben QNS . Die Frage nach der richtigen Lehrmethode wurde im . Jahrhundert v.a. im Zusammenhang mit den bildungsreformatorischen Absichten der Humanisten rege diskutiert, vgl. dazu Gilbert (, –). Vgl. dazu oben QNS und Anm. . Wortspiel: Da es nicht möglich ist, das Leben (vita) auszudehnen, wird der Weg (via) verlängert. Hor. ars f. Aristot. mot. an. b; phys. , b; , b. Vgl. auch eth. Nic. , b: „So meidet jeder Verständige das Übermaß und das Zuwenig, und er sucht nach dem Mittleren und wählt dieses [. . . ].“ Für diesen Ausdruck vgl. QNS ix und sowie Anm. .
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Vgl. dazu Aristot. an. pr. ,ff. b–b. Sanchez’ Schilderung betrifft die sogenannte disputatio, die neben der lectio oder lectura, d.h. der eigentlichen Vorlesung, in der der Lehrer den zu behandelnden Text erläuterte, das zweite Standbein des Unterrichts an den mittelalterlichen und früh-neuzeitlichen Universitäten bildete. In einer solchen disputatio standen sich ein opponens (dt.: Gegner; der Lehrer oder ein Schüler der höheren Klassen) und ein respondens (dt.: Beantworter; ein Schüler) gegenüber. Ausgangspunkt bildete ein Satz, der je nach Anlage der disputatio entweder vom opponens oder vom respondens eingebracht wurde und sowohl wahr als auch falsch sein konnte. Der opponens formulierte in der Folge weitere Sätze und Argumente, die der respondens mit „ich bejahe (affirmo)“, „ich verneine (nego)“ oder „ich zweifle (dubito)“ beantworten mußte. Ausschlaggebend war dabei in erster Linie das logische Verhältnis der vom opponens geäußerten Sätze zum ursprünglichen Satz und zu den bereits vom respondens zugestandenen Sätzen: Folgten die fraglichen Sätze aus den bereits zugestandenen, so mußte der respondens sie bejahen, standen sie dazu im Widerspruch, mußte er sie verneinen und war das Verhältnis unklar, mußte er sie bezweifeln. Die sachliche Wahrheit der Sätze spielt dabei keine Rolle. Ziel des opponens war es, den respondens dazu zu bringen, eine Inkonsistenz zu bejahen, und Ziel des respondens war es, dies zu vermeiden. Der Zweck dieser Unterrichtsform bestand in erster Linie darin, den Schülern eine Möglichkeit zu bieten, sich in der komplexen scholastischen Logik zu üben und ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet unter Beweis zu stellen; zu der disputatio im scholastischen Philosophieunterricht im allgemeinen vgl. Angelelli () (mit einigen Bspp.), Pinborg (, –) und Ashworth (b, f.); zu den disputationes im Unterricht des Collège de Guyenne vgl. Schiffman (), der dieser Unterrichtsform eine große Bedeutung für Montaignes Skeptizismus beimißt. Als Eselsbrücke bezeichneten die Scholastiker ursprünglich ein Diagramm, das das Auffinden eines Mittelterms zur Bildung eines Syllogismus erleichtern sollte; für eine Abbildung eines solchen Diagramms vgl. Ong (, ). Bereits im Mittelalter erweiterte sich jedoch die Bedeutung dieses Ausdrucks, und man bezeichnete damit allgemein einfache Regeln und Lernhilfen. Möglicherweise handelt es sich hier um eine ironische Bildbeschreibung einer allegorischen Darstellung der Dialektik, die in den Logik-
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lehrbüchern des . Jahrhunderts einigermaßen verbreitet waren und die dazu dienten, den Studenten das Auswendiglernen zu erleichtern. Auf einem Beispiel einer solchen Allegorie, das in Ong (, ) abgedruckt ist, sieht man eine Frau (die Dialektik?) mit einem Schwert, auf dem ‚syllogismus‘ geschrieben steht. Dornige Büsche stellen die Lehren der insolubilia und der obligationes dar. Im Hintergrund repräsentieren vier Bäume, die mit ‚Albertiste‘, ‚Thomiste‘, ‚Scotiste‘ bzw. ‚Occamiste‘ beschriftet sind, die Hauptrichtungen der scholastischen AristotelesInterpretation. Cic. fam. ,,. Dasselbe Bild erscheint bereits in QNS . Vgl. oben QNS . Für diesen Ausdruck vgl. oben QNS und Anm. . Vgl. Aristot. metaph. , b: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch; zu sagen aber, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.“ Sprichwort nach Aristot. eth. Nic. ,,aff. Zwar verweist Sanchez für dieses Zitat in den Marginalien auf Aristoteles’ Topica, doch wird nicht klar, auf welche Stelle er sich damit bezieht. Zur kausalen Verkettung der Dinge vgl. oben QNS und –. Magnet, Zitterrochen und Saugefisch sind Beispiele für Dinge bzw. Lebewesen, die über unerklärliche Kräfte verfügen und die daher seit der Antike immer wieder diskutiert wurden. So soll der nur „einen halben Fuß lange“ Saugefisch (echeneis naucrates oder remora) nach Plin. nat. , und ,– in der Lage sein, ganze Schiffe trotz Sturm zum Halten zu bringen, indem er sich an sie anhängt. Vom Zitterrochen berichtet Plin. nat. ,, daß er seine Opfer „aus der Ferne und von weitem“ lähmen könne. In dieser Hinsicht gleicht der Zitterrochen dem Magneten, der seine Wirkung ebenfalls über eine gewisse Distanz ausüben kann. Damit stellte er v.a. für die Anhänger der aristotelischen Philosophie ein großes Problem dar, da gemäß Aristoteles eine Wirkung nur dann zustande kommt, wenn das Tätige und das Erleidende in direktem Kontakt zueinander stehen (vgl. dazu gen. corr. b). Da sich die Ursachen der Wirkungsweisen von Magnet, Zitterrochen und Saugefisch den üblichen Erklärungsschemata entzogen, sah man in ihnen einen wichtigen Beleg für das Vorhandensein sogenannter verborgener Qualitäten in der Natur; vgl. dazu auch unten Anm. ; zur Rolle von Saugefisch und Zitterrochen in den wissenschaftlichen Diskussionen
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von der Antike bis in die Frühe Neuzeit vgl. Copenhaver (). Auf den Magnetismus kommt Sanchez in QNS f. zurück. Für Aristoteles’ Argumentation gegen die Existenz eines Vakuums in der Natur vgl. phys. ,– a–b; zu den Diskussionen über die Möglichkeit eines Vakuums im . Jahrhundert vgl. Schmitt (a). Vgl. dazu Ausonius Epigrammata f. Peiper. Theriacum und Mithridatium sind zwei hochkomplexe Medikamente der antiken Medizin, die aus je über verschiedenen Ingredienzen gemischt wurden und denen man eine umfassende Wirkung gegen nahezu sämtliche Gifte zuschrieb. Diese beiden Mittel spielten auch noch in der Medizin des . Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Sanchez selbst beschäftigt sich mit dem Theriacum in einer eigenen Schrift mit dem Titel De Theriaca ad pharmacopoeos (Über Theriacum für die Apotheker, Opera medica, S. –), und dem Mithridatium widmete er das . Kapitel seines Examen opiatarum quae in usu habentur (Untersuchung der Drogen, die in Gebrauch sind, Opera medica, S. –). Zu den Diskussionen über die Zusammensetzung und Bedeutung dieser beiden Medikamente von der Antike bis ins . Jahrhundert vgl. Watson (). Der Ursprung dieses Bilds, das bereits im . Jahrhundert belegt ist, ist nicht geklärt, doch wird oft Bernhard von Chartres († um ) als sein Urheber genannt. Vgl. dazu oben QNS . Vgl. oben QNS . Vgl. dazu [Aristot.] probl. , aff., wo die These vertreten wird, daß intellektuelle Menschen ausnahmslos zur Melancholie neigen. Zu diesem Rat des Horaz vgl. oben QNS i. Nach Jes ,. Vgl. dazu oben QNS . Gegen diese Auffassung des Wissens richtet sich Sanchez in QNS . Beinahe derselbe Wortlaut findet sich bereits in QNS vi. Zur Frage nach der Ursache des Magnetismus vgl. auch oben QNS und Anm. . Als verborgene Eigenschaften (qualitates bzw. proprietates occultae) bezeichnete man in der scholastischen Terminologie Eigenschaften von Dingen, die im Gegensatz zu den vier aristotelischen Grundqualitäten Warm, Kalt, Trocken und Feucht nicht offensichtlich (manifestum; vgl. dazu QNS ), d.h. den Sinnen nicht zugänglich sind. Als typische Beispiele dienten dabei die Wirkungen der Planeten und einiger
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Medikamente, die sogenannte Sympathie und Antipathie zwischen gewissen Lebewesen und leblosen Dingen (vgl. dazu QNS ) und v.a. die magnetische Anziehungskraft, auf die Sanchez im folgenden näher eingeht. Während die Existenz solcher verborgener Qualitäten zu Sanchez’ Zeit allgemein anerkannt war, war die Frage, ob sie Gegenstand eines wissenschaftlichen Wissens sein können, umstritten. Gemäß der aristotelisch-scholastischen Tradition kann es von ihnen kein wissenschaftliches Wissen geben, da sie den Sinnen und damit der eigentlichen Quelle des Wissens nicht zugänglich sind. Gerade in dieser Einschätzung glaubten jedoch einige der Kritiker der aristotelischen Lehre einen wesentlichen Schwachpunkt des Aristotelismus zu erkennen. In ihren Augen war ein wissenschaftliches Wissen von den verborgenen Qualitäten nicht nur grundsätzlich möglich, sondern sie meinten, darin sogar den Schlüssel zu einer neuen, befriedigenderen wissenschaftlichen Erklärung der Welt zu entdecken; vgl. dazu Copenhaver (); zu den früh-neuzeitlichen Diskussionen über den wissenschaftlichen Status der verborgenen Qualitäten vgl. Hutchison (). Die Legende, daß Knoblauch die Anziehungskraft von Magneten mindere, war bereits in der Antike verbreitet, vgl. dazu z.B. Plut. Quaestiones convivales , c. Nach dem Referat verschiedener Erklärungen der Nordausrichtung des Magneten kommt Scaliger in De subt. ad Card. ex. , (S. v in der Pariser Ausgabe von ) zu folgendem Schluß: „Was aber soll ich sagen? Was anderes, als daß nur eine [Erklärung] wahr sein kann? Daß wir im schwachen Licht der Dinge schwachsichtig sind, im mittelmäßigen zu erblinden beginnen, im stärkeren blind und im stärksten wahnsinnig sind. Was anderes [soll ich sagen], als daß ich es nicht weiß. [. . . ] Wenn es mir, der ich träge, ungebildet und noch jung bin, dennoch erlaubt ist, unter euch Koryphäen etwas zu äußern, [so sage ich,] daß ich keiner Lehrmeinung zustimme und keine ablehnen werde.“ Einen entscheidenden Schritt in Richtung einer befriedigenden wissenschaftlichen Erklärung des Magnetismus machte erst William Gilbert (– ) mit seiner Schrift De magnete, die veröffentlicht wurde; für einen Überblick über die Diskussionen über den Magnetismus im . Jh. vgl. Crombie (, –). Nach Sen. contr. ,,: „Glaube mir, die Stimme des Volkes (populi lingua) ist heilig.“ Sanchez’ Fassung ist zum ersten Mal belegt bei Petrus Blenesis (–) Epistolae (,c Migne).
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Vgl. dazu Aristot. eth. Nic. ,,b: „Jeder beurteilt das richtig, was er kennt, und ist darin ein guter Richter.“ Nach Ter. Eun. : „Es kann nichts mehr gesagt werden, was nicht schon früher gesagt wurde.“ Sanchez’ Fassung findet sich beim Humanisten Leon Battista Alberti (–) im Proömium zum Momus. Vgl. dazu Cic. div. , [Ciceros Bruder Marcus spricht]: „Nichts noch so Absurdes kann gesagt werden, das nicht von irgendeinem Philosophen gesagt würde.“ Vgl. dazu z.B. Aristot. eth. Nic. , b–. Vgl. dazu oben QNS –. Mit denselben Worten beendet Sanchez auch sein Carmen de cometa anni M.D.LXXVII; vgl. dazu Einleitung, S. XXIII–XXVI.
MO D ER N E AU S G A BE N U ND ÜBE R S E T Z UNGEN VO N › QUO D NI HI L SC I T UR ‹
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LI T E R AT U RVE R Z E I C HN I S
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Thijssen, J. „The Quest for Certain Knowledge in the Fouteenth Century: Nicholas of Autrecourt against the Academics.“ In: J. Sihlvola, Hg., Ancient Scepticism and the Sceptical Tradition (Helsinki ), –. Traverso, E. Montaigne e Aristotele (Florenz ). Trentman, J. A. „Scholasticism in the Seventeenth Century.“ In: N. Kretzmann, A. Kenny und J. Pinborg, Hgg., The Cambridge History of Later Medieval Philosophy (Cambridge ), –. Trinquet, R. La Jeunesse de Montaigne (Paris ). Veríssimo Serrão, J. Les Portugais à l’Université de Toulouse (XIIIe-XVIIe Siècles) (Paris ). –. Les Portugais à l’Université de Montpellier (XIIe-XVIIe Siècles) (Paris ). Vickers, B. „Critical Reactions to the Occult Sciences during the Renaissance.“ In: E. Ullmann-Margalit, Hg., The Scientific Enterprise. The Bar-Hillel Colloquium: Studies in History, Philosophy, and Sociology of Science. Vol. (Dordrecht ), –. Vogt, S., Hg. Aristoteles. Physiognomonica. Übersetzt und kommentiert. Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Band : Opuscula. Teil VI (Berlin ). Watson, G. Theriac and Mithridatium. A Study in Therapeutics (London ). Wear, A. „Galen in the Renaissance.“ In: V. Nutton, Hg., Galen: Problems and Prospects (London ), –. Wightman, W. P. D. Science and the Renaissance. Bände (Aberdeen ). –. „Quid sit methodus? ‚Method‘ in Sixteenth Century Medical Teaching and Discovery.“ In: Journal of the History of Medicine () –. Williams, B. „Descartes’ Use of Skepticism.“ In: M. F. Burnyeat, Hg., The Skeptical Tradition (Berkeley / Los Angeles / London ), – . Wittwer, R. Sextus Latinus. Die erste lateinische Übersetzung von Sextus Empiricus’ Pyrrôneioi Hypotypôseis (Leiden, in Vorbereitung). Wolff, P. Histoire de Toulouse (Toulouse ). Woodward, W. H. Studies in Education during the Age of the Renaissance - (New York ). Yrjönsuuri, M. „Self-Knowledge and the Renaissance Sceptics.“ In: J. Sihlvola, Hg., Ancient Scepticism and the Sceptical Tradition (Helsinki ), –.
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Zippel, G., Hg. Laurentii Valle Repastinatio Dialectice et Philosophie (Padua ). Zupko, J. „Buridan and Skepticism.“ In: Journal of the History of Philosophy () –.
VO N SA N C H E Z E X P L IZ I T Z I T IE RT E LIT E R AT UR
Da Sanchez seine Quellen nahezu ausschließlich in den Marginalien nennt, beziehen sich unsere Verweise im Normalfall auf die Marginalien zu den angegebenen Abschnitten. Ausnahmen wurden mit ‚T‘ (für ‚Text‘) bzw. ‚T und M‘ (für ‚Text und Marginalie‘) gekennzeichnet. Antike Autoren Aristoteles (Aristot.)
Topica (top.) . . . . . . . . . . . . . . .
Analytica posteriora (an. post.) , b . . . . . . . . . . . . . . . . . . , c–b . . . . . . . . . . . . . . , b– . . . . . . . . . . . . . . . De anima (an.) . . . . . . . . . . . . . . De generatione animalium (gen. an.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , a–b . . . . . . . . . . . De memoria (mem.) a– . . . . . . . . . . . . . . . Kategorien (cat.) . . . . . . . . . . T Metaphysik (metaph.) . . T und M, , , T , aff. . . . . . . . . . . . , , b . . . . . . . . . . . . . . . , b . . . . . . . . . . . . . . . , b– . . . . . . . . . . . . . , a–b . . . . . . Physik (phys.) . . . . . . . , , T , a– . . . . . . . . , , , bff. . . . . . . . . . . . . . . , a– . . . . . . . . . . . . Sophistische Widerlegungen (soph. el.) a–b . . . . . . . . . . . . .
Diogenes Laertios (Diog. Laert.) Vitae philosophorum , . . . . . . . . . . . . . (x), , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,; . . . . . . . . . . . , , ,; ; und , . . , und . . . . . . . . . . . . . . . . Galen (Gal.) Adhortatio ad artes addiscendas (adhort. ad art.) I, K . . . . . . . . . . . . . . . . . . . De morborum differentiis (morb. diff.) VI, K . . . . . . . . . . . . . . . . De optima doctrina (opt. doctr.) De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus (med. temp. fac.) XI,,ff. K . . . . . . . . . . . . Subfiguratio empirica (sub. emp.) – D . . . . . . . . . . . . . . De symptomatum causis (symp. caus.)
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, VII, K . . . . . . . . . . . . . De symptomatum differentiis (symp. diff.) VII, K . . . . . . . . . . . . . . . De usu partium . . . . . . . . . . . T Hippokratische Schriften (Hippokr.) Epidemiarum libri (epid.) ,, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aphorismoi (aph.) , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horaz (Hor.) Epistulae (epist.) ,,ff. . . . . . . . . . . . . . . . . ,,ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . Satiren (sat.) ,, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ovid (Ov.) Amores (am.) ,,f. . . . . . . . . . . . . . . . . . Fasti (fast.) ,f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Platon (Plat.) Menon (Men.) c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staat (rep.) c–e . . . . . . . . . . . . . .
Plinius (Plin.) Naturales historiae (nat.) , . . . . . . . . . . . . T und M , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,– . . . . . . . . . . . . . . . . Plutarch (Plut.) Adversus Colotem (adv. Col.) f–f . . . . . . . . . . . . . . c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d; a . . . . . . . . . . . , e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amatorius (amat.) b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruta animalia ratione uti sive Gryllus (brut. an.) . . . . . . . . . . Lucullus (Luc.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quomodo amicum ab adulatore discernas (am. ab. adul.) b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valerius Maximus (Val. Max.) Facta et dicta memorabilia , ext. . . . . . . . . . . . . . . . . Vergil (Verg.) Aeneis (Aen.) , . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
von sanchez zitierte literatur
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Früh-neuzeitliche Autoren , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Amatus Lusitanus Curationum medicinalium centuria secunda (; cur. med. cent. sec.) cura . . . . . . . . . . . . . . . . . . cura . . . . . . . . . . . . . . . . . . cura . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realdo Colombo De re anatomica lib. XV ()1 . Pier Andrea Mattioli Commentarius in VI libros Pedacii Dioscoridis Anazarbei De medica materia ()
Julius Caesar Scaliger Exotericarum exercitationum liber XV de subtilitate ad Hieronymum Cardanum (; De subt. ad Card.) ex. [bzw. ,] . . . . . . . . . . ex. , . . . . . . . . . . . . . . . . . ex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ex. , . . . . . . . . . . . . . . . .
Bibel Altes Testament Exodus (Ex) ,ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genesis (Gen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,– . . . . . . . . . . . . . . . . . Kohelet (Koh)
1
Vgl. dazu oben S. CXVIII Anm. .
,– . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psalmen (Ps) , . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neues Testament Apostelgeschichte (Apg) , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Römerbrief (Röm) , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Angekündigte Werke Examen rerum . . . . . T und M, T, T, T, T, T De methodo sciendi bzw. De modo sciendi . . . . , , T, T
Tractatus de anima . . . . . . . . T, T, T, T
Libri Naturae . . . . . . . . . . . . . T
Tractatus de loco . . . . . . . . . . .
R EG IST E R
Die Einleitung und der Text von QNS werden durch zwei getrennte Register erschlossen, ein Personenregister zur Einleitung und ein Personenund Sachregister zu Quod nihil scitur, das sich auf die deutsche Übersetzung bezieht, wobei die lateinischen Fachausdrücke in Klammern beigefügt wurden.
P E RS O N EN R EG IS T ER Z U R E INLE I TUNG
Agricola, Rudolph (/–) xcviii f., cii, cvii Agrippa von Nettesheim, Henricus Cornelius (–) ix, l f. Aisopos (. Jh.v. Chr.) ci Albertus Magnus (ca. –) cxxxvi Amatus Lusitanus ( Juan Roderigo, –ca. ) xv, cxviii, cxxi Apuleius (. Jh. n. Chr.) xiv Aristoteles (– v. Chr.) xxiv, xxx, xxxi, xxxiv, xxxvi, lxvi, lxxx, lxxxix ff., xciv, xcvi, xcix f., cv, cvi, cxi, cxv, cxvi, cxx, cxxiii, cxxvi, cxxvii, cxxix, cxxxii, cxxxvi, cxxxix, cl, cli, cliii Arkesilaos von Pitane (/– / v. Chr.) lxxvi Augustinus, Aurelius (– n. Chr.) lxiii, lxxv, cxlv, cxlvi Averroes (Ibn Rushd, Abu’l Walid Muhammad –) cxvi Avicenna (Ibn Sina, Abu ’Ali alHusayn –) cxiv Bacon, Francis (–) lx, lxvi, lxxxix Bacon, Roger (ca. –/) cxxxvi, cxxxviii
Bayle, Pierre (–) ix, lviii, lxxviii Boethius, Anicius Manlius Severinus (– n. Chr.) xci, c Borro, Girolamo (–) clvi Buchanan, George (–) xcv Buridan, Jean (ca. –nach ) cxxxiv Cardano, Girolamo (Hieronymus Cardanus, –) xxii, xxxi f., xciv de Carvalho, Joaquim xi, xvii, xxii, l, lx, lxi, lxxiv, lxxvii, lxxix, clxii Casaubonus, Isaacus (–) xcviii a Castro, Iacobus (Didacus, Widmungsträger von QNS) xxiii Catullus, Gaius Valerius (ca. – ca. v. Chr.) xcv Charron, Pierre (–) xliv, liv Cicero, Marcus Tullius (– v. Chr.) xxxii, xl, xliv, l, lxxii f., lxxiv, lxxvi, lxxxi ff., lxxxvii, xcii, xcvi, xcviii, xcix f., cvi Clavius, Christoph (–) xxi, xxvi ff., xxxii
personenregister zur einleitung
Colombo, Realdo (Realdus Colombus, –) cxviii, cxix, cxxi Comparot, Andrée xix, lii, lx, lxxiv, lxxvii, xciv, xcv, xcvii, ciii Delassus, Raymundus (Sanchez’ Schüler und Biograph) xii, xiii, xiv, xvi, xix, xx, xxvii, xxxviii, xliv, lxx, lxxviii Demokritos von Abdera (. H. . Jh.v. Chr.) lxxviii Demosthenes (/– v. Chr.) xcii Descartes, René (–) liii, lviii ff., lxxxviii, xci, cxlviii Diogenes Laertios (. Jh. n. Chr.) xl, lxxv f., lxxix Dioskurides s. Pedanios Dioskurides Duns Scotus, Johannes (ca. – ) cxxvii, cxxxi, cxxxiv, cxxxvi Ennius, Quintus (– v. Chr.) ci Epikuros von Samos (/– / v. Chr.) lxxviii Erasmus von Rotterdam (ca. –) xlvii, li, xcii, cii, ciii, civ, cv Estienne, Henri (Henricus Stephanus, –) lxxiii, lxxiv Euklid (um v. Chr.) xxvii Eusebios von Kaisareia (ca. – ca. n. Chr.) lxxv
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Falloppio, Gabriele (–) cxviii, cxix Favorinus von Arelate (/–ca. n. Chr.) lxxvi, lxxviii Fernel, Jean (–) cxx Galen (–ca. n. Chr.) lxiii, lxvii, lxxv f., cix f., cxii ff., cxvii, cxix, cxxi, clvii Galilei, Galileo (–) lxvi, lxxxix, clvi de la Garrigue, Marie (Sanchez’ zweite Ehefrau) xxi Gellius, Aulus (. Jh. n. Chr.) lxxv, lxxvii Gerkrath, Ludwig x, xix, xxiii, xxxix, xlix, lx, cxxviii de Gouveia, André (gest. ) xcv de Grouchy, Nicolas (Nicolaus Gruchius, –) xcvi ff. Gryphius, Antonius xxiii, xxxix Hartnack, Daniel (–) x, lvii, clxii Harvey, William (–) cxi Heinrich von Ghent (ca. – ) cxliv Henri II, König von Frankreich (–) xvi Hervet, Gentian (Gentianus Hervetus, –) lxxiii, lxxiv, xcv Hippokrates von Kos (. H. . Jh.v. Chr.) cx, cxii Homeros xcii Horatius Flaccus, Quintus (– v. Chr.) xcii, xcv, xcvi, ci
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Iriarte, Joaquin x, xxii, xxiii, xxvii, xxviii, xxxviii, lviii, lx, lxxi, cliv João III, König von Portugal (–) xcv Johannes de Sacrobosco (ca. –) xxvii Joly, Philippe-Louis (–) lviii, lxix Kant, Immanuel (–) lx Karneades von Kyrene (/ oder /–/ v. Chr.) xxviii, lxxvii, lxxviii, lxxxii Kleitomachos (/–/ v. Chr.) lxxxii Kolotes von Lampsakos (geb. ca. v. Chr.) lxxvi Kopernikus, Nikolaus (–) lxxxix Lactantius (ca. –ca. n. Chr.) lxxv Leibniz, Gottfried Wilhelm (–) x, xxvii, lvii Leoniceno, Niccolò (Nicolaus Leonicenus, –) cxii, cxv Limbrick, Elaine xi, xiii, xiv, xvi, xvii, xviii, xix, xx, xxiii, xxvi, xxx, xl, l, liii, lx, lxiv, lxviii, lxxiv, lxxvi, lxxvii, lxxx ff., lxxxviii, lxxxix, xciv, xcvii, ciii, cxvii, cxix, clxii Linacre, Thomas (ca. –) cxiv
Livius, Titus ( v. Chr.– n. Chr.) xcii, xcvi Locke, John (–) xci, cxlviii Lopez, Antonio (Sanchez’ Onkel) xvi Louppes, Antoinette (Montaignes Mutter) xvi Lucanus, Marcus Annaeus (– n. Chr.) xcvi Lucretius Carus, Titus (ca. – v. Chr.) xxiv, xxv Lucullus, Lucius Licinius (– v. Chr.) lxxvi, lxxxvii Major, John (–) cxxvii de Maran, Marie (Sanchez’ erste Ehefrau) xxi Mattioli, Pier Andrea (–) cxviii, cxix Mellizo, Carlos x, xiii, xiv, xvi, xxiii, xxviii, lx, lxxi Metrodoros von Chios (./. Jh.v. Chr.) xl, xli Miccolis, Salvatore x, xxi, xxiii, xl, lx, cxvii, cxxviii de Montaigne, Michel (–) ix, xvi, xliv, l, li, lxxiii, lxxiv, lxxxviii, xci, xciv, xcv Moses Maimonides (–) xviii Muret, Marc-Antoine (Muretus, –) xcv Naudé, Gabriel (–) ix, lviii Newton, Isaac (–) xci, cxlviii
personenregister zur einleitung
Nizolius, Marius (Mario Nizzoli –) cii, ciii, civ Ovidius Naso, Publius ( v. Chr.– n. Chr.) xcii, xcvi, ci Patin, Guy (–) xv, lxx Paulus Venetus (–) xcvii Pedanios Dioskurides (. Jh. n. Chr.) cxiii, cxix Petrarca, Francesco (–) xcii, xcviii, cii, cvi, cvii Petrus Hispanus (gest. ) xcvii, c Petrus Johannis Olivi (–) cxlii, cxliv Philon von Larissa (/–/ v. Chr.) lxxxii Pico della Mirandola, Gianfrancesco (–) l, li, lxvi, lxxiii Pindaros (./. Jh.v. Chr.) xcii Plinius Secundus, Gaius (/– n. Chr.) cxiii, cxvii, cxxi Plutarchos (ca. –vor n. Chr.) lxxv f. Pomponazzi, Pietro (Petrus Pomponatius –) xci Popkin, Richard ix, xl, lii, liii, liv, lix, lx, lxx, lxxiii, lxxvii, lxxxviii, lxxxix Porphyrios (ca. –/ n. Chr.) xc, xcvi, xcviii Proklos (. Jh. n. Chr.) xxvii Propertius, Sextus ( H. . Jh.v. Chr.) xcv
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Pythagoras (. Jh.v. Chr.) cvi Quintilianus, Marcus Fabius (ca. –ca. n. Chr.) xcii, xcvi, c Ramus, Petrus (–) lxxii, lxxiv, xcvii, cii Sanchez, António (Sanchez’ Vater) xiii Sanchez, Bertrande (Sanchez’ Tochter) xvii Sanchez, Dionysius (Sanchez’ Sohn, –) xvii, xxi, xxxviii Sanchez, Guillielmus (Sanchez’ Sohn, –) xvii, xxi, xxxviii Scaliger, Julius Caesar (–) xciv, cxviii Schookius, Martin (–) x Senchet, Emilien x, xvii, xx, xxi, xxiii, lx, lxxi, lxxiv, lxxvii, lxxix Seneca, Lucius Annaeus (ca. v. Chr.– n. Chr.) xlvi, xcii, xcvi Sextus Empiricus (Ende . Jh. n. Chr.) ix, xlv, l, lxxii, lxxiii, lxxiv, lxxvii, lxxix, lxxxiv ff., clviii Sophokles (/– v. Chr.) xcii de Souza, Filipa (Sanchez’ Mutter) xiii Suárez Dobarrio, Fernando xi, xix, lii, lx, lxi, lxxvii, lxxx, cxxviii, cliv, clvii
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Suárez, Francisco (–) cxxxvi Talon, Omer (–) lxxii, lxxiv Terentius Afer, Publius (/– / v. Chr.) xcvi Thomas von Aquin (–) lxv, cxxvii, cxxxiii, cxxxvi ff., cxlvi, cli, cliv Thukydides (geb. ca. v. Chr.) xcii Tibullus, Albius ( H. . Jh.v. Chr.) xcv Valla, Lorenzo (–) xcviii, cii, cvi, cvii Vergilius Maro, Publius (– v. Chr.) xcii, xcvi, ci
Vesalius, Andreas (–) cxiii, cxv, cxix Vettori, Pier (–) lxxii Vinet, Elie (–) xciv, xcvi Vives, Juan Luis (–) lxviii, cii, ciii, civ Wedderkopf, Gabriel (. H. . Jh.) lvii Wild (Wildtius), M. Johann Ulrich (geb. ) x, lvii Wilhelm von Ockham (ca. – ) cxxvi ff., cxlii, cxliv, cli William Crathorn (fl. ca. ) cxliv Xenophanes von Kolophon (zw. und v. Chr.) lxxviii
P E RS O N E N - U ND S AC H R E G IS T E R ZU ›QUOD NIHIL SCITUR‹
Abstraktion (abstractio) Adam Aeneas , Aisopos (. Jh.v. Chr.) , , , Akademiker (Academici) , Akt (actus) , , , , Akzidentien (accidentia) , , , , , , , , Amatus Lusitanus ( Juan Roderigo, –ca. ) , Ambiguität (ambiguitas) s. auch Zweifel, Ungewißheit Antipathie (antipathia) Anziehungskraft (attractio) , Apoll Archimedes (– v. Chr.) Argumente (rationes, argumenta) , , , , , , Aristoteles (– v. Chr.) , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , Arithmetiker (arithmeticus) Arten (species) , , , , , , , Arzt (medicus) Astrologe (astrologus) Atome (atomi) , Augustinus, Aurelius (– n.Chr.)
Ausonius, Decimus Magnus (ca. – n.Chr.) Autorität, Autoritäten (authoritas, authores) , , , , , , , Hüter der (authoriductores) Averroes (Ibn Rushd, Abu’l Walid Muhammad –) Bacchus Barbara s. Syllogismen Bernstein (electrum) Beweis (demonstratio) , , , definiert als Syllogismus, der Wissenschaft hervorbringt , Funktion des , in der Definition von Wissenschaft , , , Bilder, Abbilder der Dinge (imagines, simulacra) s. auch Species , , , , , Böses (malum) , Caesar, Gaius Julius (– v. Chr.) a Castro, Iacobus (Didacus, Widmungsträger von QNS) Ceres Charybdis Chimäre ,
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Cicero, Marcus Tullius (– v. Chr.) , , , , David Definition (definitio) , , , alle D. sind Nominaldef. der Wissenschaft , , , , , , , , , Unbeweisbarkeit der ff. Demokritos von Abdera (. H. . Jh.v. Chr.) , , Demosthenes (/– v. Chr.) Denkvermögen (ingenium) , , , , , , , , , , , Dialektik, Logik (dialectica, logica) s. auch Syllogistik , , , Dialektiker, Logiker (dialectici, logici) , , , , , , , , , , Dido Differenz (differentia) , , , , , Dinge (res) passim, s. auch Einzeldinge Einteilung der in äußere, innere und teils äußere, teils innere ff. in körperliche und unkörperliche nach ihrem ontologischen Status Erkenntnishindernisse in den ,
kein Wissen von den , , Mannigfaltigkeit der , , , , , Veränderung in den , , Verkettung der , , , Disputation (disputatio) , , , , Eigenschaften (proprietates) s. auch Qualität , Einzeldinge, Individuen (individua, particularia) , , , , , sind nicht Gegenstand der Wissenschaft , Elemente (elementa) , , , , erklärt als Bestandteile eines Syllogismus Elephantiasis Entelechie (entelechia) Entstehen, Zeugung (generatio) , , , , , vs. Verderben ff. Weisen des Epikuros von Samos (/– / v. Chr.) , , Erfahrung (experimentum, experientia) s. auch Experiment , , , , , , , , Erfassen (apprehensio, comprehensio) , , Erkenntnis als ein Erinnerung (recordatio) vs. Wissen ,
personen- und sachregister zu ›qns‹
Erkennendes (cognoscens) , , , , Erkenntnis (cognitio) passim als Akt als vollkommenste Tätigkeit des Geistes als vollkommenstes Vermögen der Seele beruht auf Sinneswahrnehmung , , , drei Aspekte der Einheit der Erkenntnisweisen der inneren, äußeren und teils inneren, teils äußeren Dinge ff. nicht jede E. ist Wissenschaft umschrieben als ein Erfassen, Durchdringen oder Verstehen , versch. Einteilungen der ff. verschiedene Grade der vollkommene , , setzt vollkommenen Körper voraus ff., vs. Gedächtnis vs. Meinung Erkenntnisakte (intelligentiae) Erleiden (passio) Erleidendes (patiens) s. Tätiges Erwägung (discursus) vs. Erkenntnis vs. Offenbarung Etymologie (etymologia) Existenz (existentia) vs. Wesen Experiment (experimentum)
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Exponibilien (exponibilia) Falloppio, Gabriele (–) Favorinus von Arelate (/–ca. n.Chr.) Form (forma) , , , , , , , , , , , François I, König von Frankreich (–) Galen (–ca. n.Chr.) , , , , Gattung (genus) , , , , , , Gedächtnis (memoria) , , , vs. Erkenntnis vs. Wissenschaft ff., Widerlegung der Anamnesis-Theorie ff. Gehirn (cerebrum) , Geist (mens, animus) passim, s. auch Verstand u. Intellekt als konstitutiver Bestandteil des Menschen , erkennt äußere Dinge mittels Species hängt von der Funktion der Sinne ab handelt aufgrund von Glaubwürdigkeit Schwierigkeit der Untersuchung der Natur des Stumpfheit und Schwäche des menschlichen Tätigkeiten des ,
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anhang
vollkommener vollzieht Erkenntnis , wird getäuscht und verwirrt , , , , , , Gemütsbewegungen (affectiones, pathemata) , , Geschichte (historia) Gewißheit (certitudo) , , , Glaube, Vertrauen (fides) , vs. menschliche Vernunft vs. Philosophie vs. Wissenschaft , , , Glaubwürdiges (probabile) , als Handlungsgrundlage des Geistes Gott , , , , , , , , , , Allmacht , , als erste Ursache , ist allwissend , kann nicht erkannt werden , , Grammatik (grammatica) , , Grammatiker (grammaticus) Gutes (bonum) , als allgemeinster Name Haltung (habitus) , , , , definiert als feste Qualität , Gedächtnis als vs. Disposition
Wissenschaft als , Handlung, Handeln s. Tätigkeit Herakleitos (fl. um v. Chr.) , Herkules Hermes Trismegistos Hippokrates von Kos (. H. . Jh.v. Chr.) , , Homeros , Horatius Flaccus, Quintus (– v. Chr.) , , , , Hydra Hypothesen (supposita) vs. Wissenschaft Ideen (ideae) , Identität (identitas) Indissolubilien (indissolubilia) Individuen s. Einzeldinge Intellekt, aktiver (intellectus agens) s. auch Verstand u. Geist , Intelligenzen (intelligentiae) Jesus Christus , , Jupiter , , Kategorien (praedicamenta) , , definiert als eine Reihe von Wörtern , Kirke Kopula (copula) , , Körper (corpus) passim definiert als feste, dreidimensionale Substanz als konstitutiver Bestandteil des Menschen , , ,
personen- und sachregister zu ›qns‹
beständige Veränderung im , , Unterschiede im K. als Ursache für Unterschiede im Erkenntnisvermögen , vollkommener als Voraussetzung für vollkommene Erkenntnis ff. Bestimmung des Körperlichkeit (corporeitas) Kunst (ars) , , , , , der Medizin , Lebensgeister (spiritus) , , , , , Leeres (vacuum) , , , Logik s. Dialektik Logiker (logici) s. Dialektiker Magnet (magnes) , , , Mannigfaltigkeit, Verschiedenheit (varietas, variatio, diversitas) , , , , , , , , , , der Meinungen s. auch Meinung , , unter den Dingen , , , , , unter den Menschen Materie (materia) , , , , , , Mathematiker (mathematicus) Mattioli, Pier Andrea (–)
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Medien (media) der Wahrnehmung , , , , , , Medizin (ars medica) Meinung (opinio) , , , , , , Hegen von M. (opinari) vs. Wissen Mannigfaltigkeit der , , , , , , Ungewißheit der vs. Erkenntnis vs. Wissenschaft Melancholie Mensch (homo) passim definiert als vernünftiges, sterbliches Lebewesen als Einheit aus Geist und Körper , , , , als vollkommenstes Lebewesen Einheit der menschlichen Art Frage nach der Vernunftbegabung des Mannigfaltigkeit des , Schwäche des , , , , strebt nach Wissen Tätigkeiten des Unbeständigkeit des Veränderungen im Merkur , , , Methode (methodus, modus) des Unterrichts des Wissens , , , Minos Minotaurus
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anhang
Mischungsverhältnis (temperamentum, temperies) , des menschl. Körpers , Mithridates als Eigenname Mithridatium Moses , , , Namen s. Wörter Natur (natura) passim, s. auch Wesen der Dinge als eigentlicher Gegenstand der Wissenschaft , kann nicht erkannt werden , , , , , , Geheimnisse der , Naturphilosoph (physicus) , Naturphilosophie (physica) Nichts (nihil) vs. Seiendes Obligationen (obligationes) Odysseus Offenbarung (revelatio) Ovidius Naso, Publius ( v. Chr.– n.Chr.) Pallas Parrhasios (. Jh.v. Chr.) Paulus , Philosophen (philosophi) , , , , , , , , , , , die Schulen der Meinung der vs. Meinung des Volks
vs. Offenbarung ff. Spezialwortschatz der Philosophie (philosophia) , , , Adams als Hydra als Labyrinth Griechisch und Latein als einzige Sprachen der , Ungewißheiten in der vs. Glaube Platon (/–/ v. Chr.) , , , , , , als Eigenname , Plinius Secundus, Gaius (/– n.Chr.) , , , , Poetik (poetica) Prädikabilien (praedicabilia) definiert als einfache Terme Prinzipien (principia) passim bieten keinen Halt , der Medizin Erkenntnis der notwendig für Wissen , , , , Schwierigkeiten der , ff., erklärt als die zugrundeliegenden Sätze jeder Wissenschaft können nicht bewiesen werden , , sind Hypothesen vermeintliche P. der Dinge Privation (privatio) , Propria
personen- und sachregister zu ›qns‹
i.S.v. Eigenschaftswörter Pyrrhoneer (Pyrrhonici, Pyrrhonii) , , , Pythagoras (. Jh.v. Chr.) , , Qualität (qualitas) , , , , , als Gegenstand der Sinneswahrnehmung , Haltung als Schwierigkeiten beim Beurteilen der ff. verborgene , Wärme als vollkommenste Wissenschaft ist keine das Wort ‚Qualität‘ , Quantität (quantitas) , , Quecksilber (hydrargirum) Regenbogen (iris) , Relation (relatio) Rhetor (rhetor) , Rhetorik (rhetorica) Salomon , Sätze (propositiones) , , , , als Bestandteile eines Syllogismus Ewigkeitsanspruch der S. der Scholastiker , Wahrheitskriterium der Scaliger, Julius Caesar (–) , , , , Schöpfung, Erschaffung (creatio) ,
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als vollkommenste Tätigkeit vs. Zeugung Seele (anima) passim definiert als Akt eines natürlichen Körpers usw. als konstitutiver Bestandteil des Menschen , als vollkommenstes Geschöpf Gottes ist bei allen Menschen gleich kein Wissen von der menschliche S. nicht vollkommen genug für vollkommene Erkenntnis Unsterblichkeit der Untersuchung der S. ist äußerst schwierig ff. verglichen mit einer unbeschriebenen Schreibtafel Vermögen der Weltseele Sehen (visio) , , , definiert als Anhäufung von Species im Auge , inneres S. als Wissenschaft Sehsinn (visus) s. auch Sinne , , als vollkommenster Sinn Objekte des Seiendes (ens) passim als Objekt, Subjekt und Prinzip jeder Erkenntnis ist nicht definierbar kein Wissen vom , , vs. Nichts
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als allgemeinster Name , , , Sein (esse) , geringes S. als Erkenntnishindernis , Sinne (sensus) passim als primäre Erkenntnisquelle , , , , , als Wegweiser (zusammen mit Vernunft) Funktion der S. im Erkenntnisvorgang Gegenstand der , , , , nehmen nur wahr, aber erkennen nicht , , , sinnliche Erkenntnis ff. vs. geistige Erkenntnis ff. Zweifelhaftigkeit der , , Täuschung der , , , Unterscheidung der fünf Sinne Sinnesorgane (organa, instrumenta, sensoria) Auge als bestes , Sisyphus Skeptiker (Sceptici) Skylla Sokrates (– v. Chr.) , als Eigenname , Sophist (sophista) , , Species s. auch Bilder, Abbilder , , , , ,
Funktion der S. im Erkenntnisvorgang Sprache (lingua, sermo, vulgus) s. auch Wörter , , Fachsprache der Dialektiker vs. Umgangssprache , keine Gesetzmäßigkeit und Gewißheit in der , , Substanz (substantia) , , , , , , , , definiert als seiend durch sich selbst als Gegenstand der Wissenschaft als allgemeiner Name , , , Supposition (suppositio) Syllogismen (syllogismi) , , , , , , , , Bestandteile der der Form Barbara , Täuschung durch , Syllogistik (syllogistica, syllogismorum scientia) s. auch Dialektik, Logik , , als Labyrinth ist weder Methode noch Prinzip des Wissens Nutzlosigkeit bzw. Schädlichkeit der , ff., , syllogistische Figuren Sympathie (sympathia) Tätiges (agens) und Erleidendes ff. Tätigkeit (actio) , , , , , der Seele
personen- und sachregister zu ›qns‹
des Geistes , , , vollkommenste , Erkenntnis als Theriacum Thukydides (geb. ca. v. Chr.) Timotheus von Milet (. H. . Jh.v. Chr.) , Unendliches (infinitum) , , , Erkenntnisprobleme beim , , , , , Regress ins , , , , , , , ist zu vermeiden Unendlichkeit (infinitas) Universalien (universalia) als Gegenstand der Wissenschaft existieren nicht real , , , Unwissenheit (ignorantia, ignoratio, inscitia) passim, s. auch Zweifel, Ungewißheit als Ursache der Unbeständigkeit der Meinungen des schlechten Unterrichts im Erkennenden in bezug auf Dinge , , , Gegenstand der Wissenschaft Wissenschaft Wörter leiden an
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Ursache, Möglichkeit der , , , , , Ursachen (causae) passim Erkenntnis der U. ist notwendig für Wissen , , Schwierigkeiten der U.Erkenntnis ff., , ff., erklärt als mittlere Sätze im Syllogismus Formursache , Materialursache Wirkursache , Zweckursache , Urteil (iudicium) passim als eines der zwei Erkenntnismittel der Menschen Fragwürdigkeit des U. des Verstands Gefährlichkeit des Schwierigkeit des Fällens eines richtigen , , ff. setzt Erfahrung voraus , i.S.v. Urteilsvermögen , , , , Valerius Maximus (. Jh. n. Chr.) Venus Veränderung (mutatio) , , , , der Arten und des Geschlechts des menschl. Körpers , , , Vergehen, Verderben (corruptio) , , ,
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vs. Dauer vs. Zeugung ff. Weisen des Vergilius Maro, Publius (– v. Chr.) Vermögen (potentia, facultas) aktives und passives der Seele , , vs. Akt , Vernunft (ratio) , , , , , , als Wegweiser , Unzuverlässigkeit der V.erkenntnis , vs. Autorität vs. Erfahrung vs. Gewalt vs. Offenbarung Verschiedenheit s. Mannigfaltigkeit Verstand (intellectus) s. auch Intellekt u. Geist , , , , , , , Verstandestätigkeit (intellectio) , , , , Verstehen (intellectus) als Prinzipienerkenntnis identisch mit Wissenschaft Vertrauen (fides) s. Glaube Vives, Juan Luis (–) Vollkommenes (perfectum) , als Bestandteil der Def. „Wissenschaft ist die vollkommene Erkenntnis eines Dinges“ ,
Vorstellung, Vorstellungsvermögen (imaginatio, phantasia) , , Wahrheit (veritas) passim stimmt mit sich selbst überein , Suchen der , , wird nicht versprochen Wahrnehmung (sensatio) als Aufnahme von Species Washeit (quiditas) Weisheit (sapientia) , Welt (terra, orbis, mundus) passim Ewigkeit der vs. Vergänglichkeit ff. Frage nach der Vielzahl der W. Seele der Wesen (essentia) s. auch Natur , , als Quelle der Wissenschaft vs. Akzidentien vs. Existenz Wirkung (effectus) , Erkenntnisprobleme bei , Wissen (scire) passim definiert als die Natur eines Dinges erkannt zu haben aus göttlicher Offenbarung Methode des , , , ,
personen- und sachregister zu ›qns‹
vollkommenes W. setzt vollkommenen Körper voraus ff. vs. Erinnern , Widerlegung der Anamnesis-Theorie ff. vs. Hypothese vs. Nichtwissen , Wissenschaft (scientia) passim definiert als ein Ding durch seine Ursachen erkennen Kritik an dieser Definition ff. definiert als Haltung, die durch Beweis erworben wird , , , Kritik an dieser Definition , ff., , definiert als vollkommene Erkenntnis eines Dinges als Anhäufung von Schlußfolgerungen bzw. Dingen im Geist ff. als ein inneres Sehen als einfache Handlung des Geistes als Vermögen der Seele als vollkommene Erkenntnis , , einfacher und zusammengesetzter Modus der Einheit der , , Einteilung der Ursache der Gegenstand der das Notwendige als
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Einzeldinge als Natur, Wesen der Dinge als , , Streit um Substanzen als Universalien als , handelt von Gegensätzen hängt von Verstandestätigkeit ab ist keine Qualität muß gewiß, unfehlbar und ewig sein nicht jede Erkenntnis ist W. Übereinstimmung bzw. Meinungsverschiedenheit als Zeichen der Gewißheit bzw. Ungewißheit in der Ungewißheit der zeitgenössischen , , , vs. Betrügerei vs. Gedächtnis , ff., Widerlegung der Anamnesis-Theorie ff. vs. Glaube, blindes Vertrauen , , , vs. Hypothesen vs. Verstehen Kritik an dieser Unterscheidung wird nicht durch Erfahrung und Urteil erlangt zugrunde gerichtet durch Syllogismen , Wörter, Namen (verba, nomina) passim
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abgeleitete und zus.-gesetzte vs. einfache und ursprüngliche Bedeutung (significatio) der abhängig vom Volksmund abhängig vom Willen dessen, der sie als erster benutzt , gegen die etymologische Herleitung der verdreht durch Dialektiker und Philosophen , Einteilung der , haben keinen Bezug zur Natur der Dinge jede Frage dreht sich um ff., , Onomatopoetica Zuweisung der Zweifel, Unwissenheit in bezug auf , , , , Xenophanes von Kolophon (zw. und v. Chr.) ,
Zeuxis (. Jh.v. Chr.) Zweck (finis) Zweifel, Ungewißheit (dubium, dubitatio, ambiguitas) passim in bezug auf das, was sein oder nicht sein kann Größe, Abstand, Geschwindigkeit und Ort der Sterne Leistung der Sinne Möglichkeiten der Erfahrung Medium der Warhnehmung sinnlich nicht wahrnehmbare Dinge , Teile der Lebewesen Ursache des Magnetismus Ursachen , vollkommene Erkenntnis Wörter , Meinungsverschiedenheit als Zeichen des