Coworking: aufbrechen, anpacken, anders leben: Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen [1 ed.] 9783666634123, 9783525634127


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German Pages [222] Year 2021

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Coworking: aufbrechen, anpacken, anders leben: Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen [1 ed.]
 9783666634123, 9783525634127

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Dorothea Gebauer / Jürgen J. Kehrer (Hg.)

Coworking:

aufbrechen, anpacken, anders leben Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen

Dorothea Gebauer / Jürgen Jakob Kehrer (Hg.)

Coworking: aufbrechen, anpacken, anders leben Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen

Mit 60 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die Tag für Tag mal lauter oder mal leiser ihre Stimme erheben. Für eine Welt, die von mehr Liebe, Gemeinschaftssinn, Achtsamkeit und nachhaltigem Handeln geprägt ist. Ganz besonders aber den Prophet*innen, Pionier*innen, Visionär*innen, Träumer*innen und Umsetzer*innen unter uns, die sich nicht entmutigen lassen, Kirche und Gesellschaft nach vorne zu denken. Macht weiter so.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © alphaspirit/Adobe Stock Innenabbildungen, wenn nicht anders vermerkt: S. 24 f., 52 f., 88 f., 162 f., 202 f.: © Daniel Hediger; Kap. 3.2: © Daniel Paulus; 3.3: © Mathias Burri; Kap. 3.4: © David Schulke; Kap. 3.5: © Daniel Hediger; Kap. 3.6: © Dominik Elmer; Kap. 3.7: © Sandro Schmid; Kap. 3.8: © Jonte Schlagner Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-63412-3

Inhalt

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Jürgen Jakob Kehrer

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Eigentlich hätten Christ*innen Coworking erfinden müssen . . . . . . .  11 Vorwort von Maria Herrmann Kirche hat bereits Fahrt aufgenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13 Vorwort von Anna-Nicole Heinrich Coworking in jedem Dorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16 Vorwort von Thomas Schaufelberger Coworking baut neue Brücken in einem Leben voller Umbrüche . . . 18 Ein einführendes Geleitwort von Tobias Faix

Arbeit im Wandel Wie ein Phänomen entsteht: Coworking 1

1.1 Evolution des Coworking – ein historischer Abriss . . . . . . . . . . . . .  26 Klaus Markus Hofmann 1.2 Coworking: Was ist das? – Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  42 Christopher Schmidhofer

Inhalt

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Coworking theologisch begründet 2

2.1 Coworking-Spaces sind das, was Klöster früher waren . . . . . . . .  54 Maria Herrmann 2.2 Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirche eine geistliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  61 Thomas Schalla 2.3 Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen . . . . . . . .  67 Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller 2.4 Wenn Gründer*innen theologisch ticken – ein paar Thesen . . .  77 Dorothea Gebauer im Cowriting-Prozess mit Mathias Burri, Daniel Paulus, Jonte Schlagner und David Schulke 2.5 Rausgehen! Coworking und Berufung – eine Einladung . . . . . .  81 Marco Jakob 2.6 »Die Welt wiederherstellen« – Christ*innen und ihre Haltung zur Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Mats Tunehag

Anfangen, anpacken, anders leben! Acht Beispiele aus der Praxis 3

3.1 Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  90 Michelle Bäßler 3.2 Coworking als Chance für Kirche – das »Kairos13« in Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  106 Daniel Paulus

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Inhalt

3.3 Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  113 Mathias Burri 3.4 Vom Innovations- und Schöpfer*innen­geist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt am Main . . . . . . . . . . . . . . . .  123 David Schulke 3.5 Gründen, um etwas zu bewirken – das »BYRO Aarau« . . . . . . . . .  131 Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger 3.6 »Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  140 Dominik Elmer 3.7 Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  149 Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid 3.8 Eine bunte Gemeinschaft soll es sein! – Frohet Schaffen in Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  158 Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jonte Schlagner

Chance für Kirche 4

4.1 Besinnung und Klosterinspiration im Coworking-Space . . . . . .  164 Marco Jakob 4.2 Coworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie . . . . . . . . . . .  169 Thomas Schalla 4.3 Der Zerbruch ist nicht das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  176 Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Klaus Motoki Tonn 4.4 Das Leben umkrempeln – ein gelebtes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . .  181 Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jan Thomas Otte Inhalt

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4.5 Immer wieder träumen, aber die Haus­aufgaben machen – Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Serge Enns 4.6 Coworking fördert Klimaschutz – Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . .  187 Jürgen Jakob Kehrer 4.7 Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  189 Monika Neht 4.8 Träumen erwünscht! Eine Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  199 Jürgen Jakob Kehrer

Wie mache ich das? Service 5

5.1 Was man beim Gründen beachten sollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  204 Christopher Schmidhofer 5.2 Wer helfen kann – Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  211 Jürgen Jakob Kehrer 5.3 Sprichst du Coworkisch? Ein Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  214 Dorothea Gebauer How does this sound? Is it sound? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  216 Ein Nachwort von Dorothea Gebauer Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  219

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Inhalt

Prolog Jürgen Jakob Kehrer

Ich sitze mit einem Milchkaffee an einem runden Tisch vor dem Café und betrachte das Treiben der Kleinkinder gegenüber am Springbrunnen in der Dorfmitte. Ich lasse das Telefongespräch von eben nochmal vor meinem inneren Auge Revue passieren. Vera, Mitglied im Kirchengemeinderat der innovativen Paulusgemeinde, erzählte mir von ihren Überlegungen, das Gemeindehaus neben der Kirche morgens und mittags für Coworking zu öffnen. Die meisten Gemeindeangebote an den Werktagen würden ja erst nachmittags starten. Da scheine es logisch, diese Räume Menschen zum Arbeiten und zum Treffen anzubieten. Wie mutig ist diese Gemeinde! Wie innovativ die Verantwortlichen. Und was für eine Sehnsucht nach Angeboten für die Menschen in ihrem Ort, die diese Frau antreibt. Nachahmenswert. Was aber ist mit den Menschen in der pulsierenden Stadt? Sehen sie das Potenzial eines solchen Treffpunkts? Wissen die vielen Gewerbetreibenden – nach Räumen und Menschen zum Arbeiten und zum Austausch suchend – von solchen Angeboten? Frauen und Männer, die durch Homeoffice und begrenzte räumliche Möglichkeiten mit Kinderbetreuung und Kreativarbeit gleichzeitig überfordert sind, könnten hier aufatmen. Die Liste der Menschen, die sich an den Angeboten der Paulusgemeinde freuen würden, wächst in meinem Innern unablässig. Das treibt mich um und ich beginne zu handeln. Wie hilfreich wäre es, solche gelingenden Best-Practice-Modelle in einem Buch aufzuführen und mit ermutigenden Artikeln zu belegen. Was damals bei Vera mit Milchkaffee und lockerem Talk begann, hat nun mit diesem Buch Gestalt angenommen. Menschen zu ermutigen, Wege wie die Paulusgemeinde oder wie Vera zunächst zu denken und dann auch zu gehen – das ist mein Anliegen, dafür brenne ich. Dazu motiviert mich mein christlicher Glaube, meine Prolog

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persönliche Lebensgeschichte und die vielen Begleiter*innen auf diesem Weg. Vom ersten Moment an war mir bewusst, dass ich bei diesem Projekt Unterstützung brauche. Jemandem, der*die aus dem Journalismus kommt und Erfahrung mit Coworking-Spaces hat. Dorothea Gebauer hat meine Vision, mein Anliegen aufgenommen und geteilt und gemeinsam haben wir Autor*innen und Gründer*innen nachgespürt und sind mit ihnen ins Gespräch gegangen. Über 20 Profis haben ihr Wissen geteilt und lassen uns staunen. Stellvertretend möchte ich hier Daniel Paulus vom Coworking-Space »Kairos13« in Karlsruhe nennen. Ebenso und selbstverständlich den Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, der uns dieses Herzensanliegen ermöglicht und uns sein Vertrauen entgegenbrachte. Wie geht die Geschichte weiter? Wenn ich in drei Jahren wieder mit einem Milchkaffee vor dem Bäckerladen sitze: Wird dann ein Aufbruch in unseren Gemeinden, Vereinen, Organisationen und Kirchen stattgefunden haben? Wird es viele »Paulusgemeinden« in Baden-Württemberg oder in Deutschland, Österreich, der Schweiz geben? Mit neuen Möglichkeiten zum Arbeiten und Leben? Mögen die Leser*innen dieses Buchs dazu ermutigt werden, diesen Traum gemeinsam umzusetzen und zu leben. Jürgen Jakob Kehrer arbeitet als Referent bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und freiberuflich als Organisationsentwickler im Bereich Jugendarbeit, Kirche und Fresh X.

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Jürgen Jakob Kehrer

Eigentlich hätten Christ*innen Coworking erfinden müssen Vorwort von Maria Herrmann

Eigentlich hätten Christ*innen das Coworking erfinden müssen. Und vielleicht haben sie das ja auch, wie Sie ein paar Seiten später im Buch lesen können. Aber warum schreibe ich, dass das mit dem Christentum und dem Coworking so nahe beieinanderliegt? Als ich nach meinem Theologiestudium ein paar Hundert Kilometer innerhalb Deutschlands umgezogen war und mich selbstständig gemacht hatte, konnte ich selbst etwas davon erleben. Nach nur wenigen Wochen in der neuen Stadt und ohne soziale Kontakte fiel mir die Decke auf den Kopf. Arbeiten konnte ich von zu Hause aus, aber irgendetwas fehlte. Nicht einmal meine Kirche, und auch nicht die anderen, hatten ein passendes Angebot für mich. Aber ein neuer Coworking-­ Space hatte in der Stadt aufgemacht und so begann ich ein kleiner Teil davon zu werden. Die Community hielt, was sie versprach: Sie war sogar so offen, dass sie selbst eine römisch-katholische Theologin, noch dazu introvertiert, aufnahm. Ich begann eine Welt zu entdecken, von der ich zwar gelesen hatte, dass es sie gab, die mir jedoch bisher verschlossen war. In keiner Gemeinde, in keinem Verband hatte ich bisher Vergleichbares erlebt. Ich begann, eine Welt zu entdecken, die mir damals das nahebrachte, was im englisch-sprachigen Raum vor wenigen Jahrzehnten mit den Begriffen des »Missionalen« oder der »Missio Dei« begonnen wurde, umschrieben zu werden. Eine Welt, in der man dem, was man »Gott« nennt, ziemlich hautnah und im Alltag auf die Spur kommen konnte. Einem Gott, der Kreativität atmen lässt. Einem, der Teil einer Nachbarschaft sein will. Und eine Geistkraft, die Menschen miteinander verbindet, die sonst wenig miteinander zu tun haben. Und in diesen drei Facetten einem Gott, der in seinem Wesen selbst ganz viel von Zusammensein und Zusammenwirken erlebbar macht – ein erster Coworker. Dieses Buch macht nun vergleichbare und dazu reflektierte, hilfreiche, weiterführende Erfahrungen zum Coworking zugänglich und stellt sie Eigentlich hätten Christ*innen Coworking erfinden müssen

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in einen christlichen und kirchlichen Kontext. Es ist ein wichtiges Buch, weil es unruhig macht. Weil es in ziemlich lauten Großbuchstaben formuliert: »Warum sind wir Christ*innen eigentlich nicht auf diese Idee mit dem Coworking gekommen?« In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen. Und dazu die nötige und heilige Unruhe, die Ihnen hilft, vielleicht auch »einfach einmal (zusammen mit anderen) zu machen«. Maria Herrmann ist katholische Theologin und war einige Jahre im Bereich Webdesign und Social-Media-Konzeption selbstständig tätig. Seit 2020 ist sie Referentin für strategische Innovation in der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim.

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Vorwort von Maria Herrmann

Kirche hat bereits Fahrt aufgenommen Vorwort von Anna-Nicole Heinrich

Es gibt ihn schon seit Längerem: den Trend zum Homeoffice, zu flexibleren Arbeitsformen. Digitalisierung und die Dezentralisierung von Arbeitsschritten machen es möglich, Arbeit von nahezu überall aus zu erledigen. So lässt sich dem Bedürfnis nach einem wohnortnahen Arbeitsplatz Rechnung tragen – aus familiären Bedürfnissen oder auch, um aus ökologischen Gründen lange Arbeitswege zu vermeiden. Coworking verbindet diese Möglichkeit mit einer guten Infrastruktur am Arbeitsplatz und sozialem Austausch, der im Homeoffice gerade Singles und Alleinerziehenden oft fehlt. Und was hat die Kirche damit zu tun? Viele Christ*innen finden: eine ganze Menge. Sie setzen sich dafür ein, die Gemeinschaftsbildung zu unterstützen, die hier stattfindet. Denn hier tut sich die Möglichkeit auf, Sozialräume neu zu gestalten – und gleichzeitig Kirche zu einem Lebensund Arbeitsort zu machen. Und zwar nicht nur sonntags von 10 bis 11 Uhr, sondern Tag für Tag. Kirchengemeinden sind schon jetzt Begegnungsorte: In den Gemeindezentren treffen sich die verschiedensten Gruppen, oft ist der Kindergarten der Gemeinde direkt angebunden, es wird Musikunterricht erteilt und für Theateraufführungen geprobt. Kirchliche Räume für Coworking zu öffnen, bietet die Chance, diese Begegnungsflächen zu erweitern – und zugleich Coworking auch denen zu ermöglichen, die nicht die Möglichkeit haben, sich in schicke, aber teure Bürogemeinschaften einzumieten. Die Kirche kann hier Alternativen bieten, die je nach Situation auch die Frage von Kinderbetreuung, sozialverträglichen Arbeitsplatzpreisen oder der Integration von diakonischen und gemeinnützigen Arbeitsplätzen beantwortet. Glücklicherweise haben wir als Kirche dafür die allerbesten Voraussetzungen: Wir besitzen zentral gelegene Immobilien, vor allem aber gibt es in unseren Gemeinden viele engagierte Menschen, die Lust haben, Gemeinschaft neu zu gestalten. An vielen Orten, auf dem Land oder in der Kirche hat bereits Fahrt aufgenommen

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Stadt, sind durch dieses glückliche Zusammentreffen schon Gemeindehäuser und sogar Kirchengebäude zu inklusiven Lebens- bzw. Arbeitsorten geworden. Diese christlich bzw. kirchlich getragenen Coworking-Spaces bieten etwas Besonderes. Neben der kirchlichen Gestaltungskompetenz für (Arbeits-)Gemeinschaften haben diese Arbeitsorte eine weitere Dimension: Sie sind auch Räume, in denen die Coworker*innen Spiritualität entdecken und erfahren können. Kirchliche Coworking-Spaces werden zu Orten des gemeinsamen Arbeitens, aber auch des Austauschs, der Reflexion, des Betens, Dankens und Lobens – je nach eigenem spirituellem Charakter. Diese missionarische Chance, auf eine ganz neue Art im Arbeitsleben präsent zu sein und das Evangelium dort erfahrbar zu machen, ist ein großes Geschenk. Aus meiner Sicht ist diese Chance eine wichtige, spannende und fruchtbare Aufgabe innerhalb des Transformationsprozesses, in dem sich unsere Kirchen derzeit befinden. Deshalb finde ich es wunderbar, dass sich Christ*innen dafür einsetzen, dass ihre Kirchen diese Form des gemeinsamen Arbeitens unterstützen. Der gemeinsame Wille, Coworking zu ermöglichen, macht an den Konfessionsgrenzen nicht Halt, wie die Beiträge in diesem Buch und die Bewegung insgesamt beweisen: Die »Coworking-Reformation« ist eine gemeinsame. Das ist deshalb nicht verwunderlich, weil die Idee des Coworking einem wichtigen Aspekt des christlichen Menschenbildes zutiefst entspricht: Die biblische Schöpfungsgeschichte bescheinigt Gott selbst die Einsicht, dass der von ihm geschaffene Mensch nicht allein sein bzw. arbeiten solle. »Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe [bzw. ein Gegenüber] machen.« Dass es dabei auch um das gemeinsame Arbeiten ging, findet sich nur wenige Verse davor: »Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte« (Gen 2,15 bzw. 18). Gott selbst also würdigt den Menschen als soziales Wesen, indem er dessen Bedürfnis nach Gemeinschaft und Unterstützung gerade im Arbeitsprozess Rechnung trägt. Unsere Aufgabe ist es, unsere Lebens- und Arbeitswelten so zu gestalten, dass sie diesem grundlegenden Wesenszug von uns allen gerecht werden. Im vorliegenden Buch finden Sie neben grundlegenden Aufsätzen zur Theologie und kirchlichen Gemeinwesenarbeit auch eine Vielzahl von Beispielen bereits aktiver kirchlicher Coworking-Spaces. Sie beweisen,

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Vorwort von Anna-Nicole Heinrich

Kirche hat bereits Fahrt aufgenommen

ter Bongard

Anna-Nicole Heinrich ist seit April 2020 wis­ senschaftliche Hilfskraft an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg. Nach dem Studium der Philosophie absolviert sie die Masterstudiengänge »Menschenbild und Werte in christlicher Perspektive« und »Digital Humanities«. Seit Mai 2021 ist sie Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. 2020 und 2021 war sie Mitinitiatorin der beiden Hackathons #glaubengemeinsam.

© Pe

dass wir schon lang nicht mehr am Anfang der Entwicklung stehen, sondern dass wir bereits Fahrt aufgenommen haben. Die Geschwindigkeit nimmt hoffentlich weiter zu und die Bewegung wächst dank unterschiedlichster Initiativen wie etwa dem ökumenischen »Netzwerk Kirche und Coworking«. Ich wünsche Ihnen nicht nur viel Freude bei der Lektüre der Aufsätze, sondern auch gute Inspirationen und Ideen zur eigenen Umsetzung, damit die wachsende Coworking-Bewegung eine starke christliche bzw. kirchliche Unterstützung erhält.

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Coworking in jedem Dorf Vorwort von Thomas Schaufelberger

Coworking-Spaces sind Inkubatoren für Ideen, die die Welt verändern. Sie sind ursprünglich im Umfeld der »Social-Innovation-Bewegung« entstanden, die angesichts der komplexen Herausforderungen, die die Menschheit zu bewältigen hat, neue Wege sucht. Komplex heißt, dass sozialer Wandel immer chaotisch ist und dass die Hoffnung auf einen starken Menschen, der die Dinge zurechtrückt, ins Leere führt. Um die großen Klima-, Gesundheits- und Sozialkrisen der Menschheit zu bewältigen, ist weder autoritäres Gehabe eines Genies noch konfliktscheues Schweigen zielführend. Denn Macht ohne Liebe führt zu Zwang und Gewalt; und Liebe ohne verbindende Macht bleibt ohne Kraft (Paul Tillich). Deshalb gehören zur sozialen Innovation Formen von kollektiver Kreation. Das »Center for Social Innovation« in Toronto ist – als Beispiel – ein solcher Brutkasten für ko-kreative Lösungen. Seit mehr als fünfzehn Jahren beherbergt es Arbeitsplätze für Menschen, die an bessere Lösungen für soziale Herausforderungen glauben. Inzwischen ist Coworking ein ko-kreativer Lebens- und Arbeitsstil von vielen – eher jüngeren – Menschen geworden. Weltweit sind Tausende Geburtsstätten für neue Ideen entstanden. Die historischen Kirchen in Europa waren immer innovativ. Die individuellen und gesellschaftlichen Erneuerungen, die von ihnen ausgingen – meist in ko-kreativen Prozessen entwickelt – sind zahlreich: die Erfindung der Universitäten, die Nutzung des Buchdrucks, die Entwicklung einer mündigen Religiosität und der Aufbau von sozialen Institutionen gingen auf die Initiative von Menschen zurück, die mit der Kirche eng verbunden waren. Wo kann die Kirche diese Lösungsenergie für aktuelle Herausforderungen wiedergewinnen? Kaum, indem sie binnenkirchliche Themen bearbeitet und unter Kirchenentwicklung den Erhalt der eigenen Institution versteht. Der theologische Befund weist in eine andere Richtung: Die Sorge für Mitmenschen ist im Lukasevangelium erzählt als

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Vorwort von Thomas Schaufelberger

Geschichte eines Entrepreneurs, der nicht wegschauen kann, sondern handeln muss. Der barmherzige Samariter versteht Solidarität nicht als Begrenzung der eigenen Freiheit, sondern als Bereicherung. Dieses Buch zeigt, wie kirchliche Coworking-Spaces als Lern-Räume für Innovation konzipiert werden, indem Ideen von Menschen kollidieren. Die Kirche erlebt hier, dass im interdisziplinären Zusammenspiel von verschiedenen Perspektiven soziale Innovation entsteht. Sie partizipiert so an zukunftsfähigen Lösungen und kommt neu in Kontakt mit Menschen, die für eine erneuerte Welt brennen, bisher aber kaum mit der Kirche in Kontakt stehen. Was bei dieser Choreografie entsteht, ist im Vorfeld nicht zu planen. Das macht Kirchenleitende vielleicht nervös. Aber sie können getrost sein! Denn mit Geburten an unscheinbaren Orten hat die Kirche eine gewisse Tradition. Und wenn die Coworking-Spaces in Kirchgemeindehäusern landauf, landab eine Art Hebammenfunktion für neue, weltverändernde Ideen übernehmen können, dann trägt die Kirche zur gesellschaftlichen Erneuerung bei. Doch Vorsicht: Dieser Weg ist hart. Sozialer Wandel ist wie ein Erdbeben – tektonische Verschiebungen, an denen Hunderte und Tausende von Menschen seit Jahren oder Jahrhunderten gearbeitet haben. Wenn sich etwas verändert, dann passiert das vielleicht ganz plötzlich und es ist die Frucht der Arbeit vieler – egal ob sie sich dabei als kirchlich verstehen oder nicht. Die Kirche wird nicht als Eignerin der weltverändernden Ideen auftreten können. Aber sie kann Geburtshilfe leisten. Und sie hat selbst gelernt, was soziale Innovation aktuell bedeutet. Zu hoffen ist, dass dieses Buch dazu beiträgt, viele weitere solcher Inkubatoren anzuregen. Die Vision: In jedem Dorf und in jeder Stadt – und die Kirche hat meist in bester Lage eine passende Liegenschaft – soll ein Raum für solche Lernprozesse entstehen. Thomas Schaufelberger ist Leiter der Abteilung Kirchenentwicklung der Zürcher Landeskirche und Mitinitiator des Coworking-Space »Blau10« in Zürich.

Coworking in jedem Dorf

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Coworking baut neue Brücken in einem Leben voller Umbrüche Ein einführendes Geleitwort von Tobias Faix

Wir leben in großen gesellschaftlichen Transformationsprozessen, deren Auswirkungen wir höchstens erahnen können. Deshalb möchte ich mit einem Bild beginnen, das uns helfen soll, die grundsätzlichen Dimensionen des aktuellen gesellschaftlichen Wandels einzuordnen, um dann zu fragen, was dies für Kirche bedeutet. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn hat diese fundamentalen gesellschaftlichen Transformationsprozesse »Paradigmenwechsel« genannt. Diese zeichnet aus, eine ganze Epoche zu verändern und zu prägen (Kuhn 1996). Als Beispiel nannte Kuhn die Kopernikanische Wende vom geozentrischen hin zum heliozentrischen Weltbild oder auch die Erfindung der Druckmaschinen im Kontext der Industrialisierung, die eine umfassende Veränderung der Welt zur Folge hatte, von der Arbeitsweise über die Verstädterung und die Kirchen bis hin zur Veränderung in die Familienstrukturen. Der momentane Wandel fegt in Form von Globalisierung, Digitalisierung und Pluralisierung wie ein großer Wirbelsturm über die Erde und verändert die Lebensfragen von uns Menschen maßgeblich und nachhaltig und hat Auswirkungen auf unser Denken, Arbeiten und Verstehen des Lebens. Die Folgen des Sturms sind gravierend und zeigen sich plastisch im folgenden Bild: Eine Brücke steht in der Mitte des Bildes, neben der Brücke fließt ein Fluss. Was ist passiert? Ein Sturm hat den Flusslauf verändert, die Brücke ist aber stehen geblieben und steht nun neben dem Fluss. Der Fluss symbolisiert dabei die Lebenssituation der Menschen, die vor der Herausforderung stehen, sich in den großen Transformationsprozessen zu orientieren, Antworten auf die Fragen des Lebens, der Lebensgestaltung und der Sinnorientierung zu bekommen. Die Brücken, die wir uns über manche früheren Lebensfragen mühsam gebaut haben, führen nicht mehr ans Ziel. Dies bedeutet aber auch, dass die Brücken nicht mehr ihren eigentlichen Zweck erfüllen, und somit stellt sich die Frage: Brauchen wir neue Brücken? Brauchen wir neue Versuche in Gesellschaft, Theologie und Kirche, die wieder über die

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Ein einführendes Geleitwort von Tobias Faix

Flüsse führen, das heißt, die Lebensfragen der Menschen beantworten? Welche Brücken können helfen, eine Kirche zu bauen? Wo sind bewährte Brücken? Und wo sind unsere Brücken nur noch Antworten auf Fragen, die die Menschen nicht mehr haben? Bevor ich auf die neuen Brücken eingehen will, möchte ich kurz auf die Intensität und Transformationskraft von Paradigmenwechseln und deren Folgen eingehen.

Paradigmenwechsel bedeutet: Lernen zweiter Ordnung Wir stehen als Menschen und als Gesellschaft in ständigen Lernprozessen, wir entwickeln uns weiter, forschen und entdecken und sind innovativ. Diese kontinuierliche Entwicklung zeigt sich in Anpassungen durch Wachstum in allen Bereichen unserer Gesellschaft und wird als Wandel erster Ordnung beschrieben. Um in unserem Bild zu bleiben: Es geht darum, die Brücken zu verbessern, zu sanieren und sie weiterzuentwickeln. Aber in unserem Beispiel reicht das nicht, weil der Fluss sich verändert hat. Wir brauchen keine verbesserte Brücke, sondern eine neue Brücke an einem anderen Ort, die dann wieder ihre Aufgabe erfüllt, über den Fluss zu führen. Dieses Neudenken einer gesamten Brücke ist wesentlich komplexer und verändert alle bisherigen Gewohnheiten und wird deshalb als Wandel zweiter Ordnung beschrieben. Dies bedeutet für Organisationen, dass die (Weiter-)Entwicklung von Teilen nicht ausreicht, sondern dass die gesamte Organisation zu einer lernenden Organisation werden muss, die sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen kann, um besonders unerwartete und auch unerwartbare Resultate erzielen zu können. Dies ist eine große Herausforderung und wir erleben diesen Wandel in seiner ganzen Schwierigkeit gerade in der sogenannten Mobilitätswende, in der es nicht nur um emissionsarme Autos geht, sondern um ein neues Verständnis im Zusammenspiel von Wohnraum und Arbeit. Mit dem Wandel zweiter Ordnung gehen immer auch institutionelle Reflexe von Angst und Kontrolle einher, da Menschen und Organisationen ihre bisherigen Orte und Gewohnheiten nicht verlassen wollen. Je kleiner die Organisationen sind, desto beweglicher können sie auf die gesellschaftlichen Transformationen reagieren, ja, können leichter lernen, neue Orte für neue Brücken zu finden und zu bauen. Coworking ist nun ein Versuch, neue Brücken zu bauen, um auf die großen und vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren. Coworking baut neue Brücken in einem Leben voller Umbrüche

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Coworking-Spaces sind selbst lernende Orte und ständig in Bewegung und sind so schon von ihrer Organisationsstruktur ko-kreativ und kooperativ angelegt. Im Folgenden möchte ich drei »Brücken« des Coworking nennen, die aus meiner Sicht zeigen, wie notwendig diese neue Form des Denkens und Arbeitens ist.

Brücke 1: Coworking durch Partizipation – miteinander Verantwortung wahrnehmen Partizipation beschreibt die Teilhabe an Veränderungsprozessen und spielt deshalb für die Identifikation eine zentrale Rolle. Menschen wollen wieder vermehrt Verantwortung in gesellschaftlichen und kirchlichen Prozessen übernehmen, Teil von neuen Ideen sein und die eigene Zukunft mitgestalten. Und dies nicht nur für die eigene Familie oder die eigene Karriere, sondern auch für das Gemeinwohl. Peter Spiegel (2011, S. 17) schreibt dazu passend: »Immer mehr Menschen wollen die Gestaltung der eigenen Zukunft und der Zukunft ihrer Kommune bis zur Weltgestaltung selbst in die Hand nehmen. Sie verlangen von Unternehmen mehr Transparenz über ihr ökologisches und soziales Verhalten und von den Regierungen mehr Engagement, dieses Verhalten von der Wirtschaft wirksam einzufordern. Ebenso erwarten sie von sozialen Organisationen immer mehr Transparenz über deren Mitverwendung und deren tatsächliche ökosoziale Wirkungen.« Dieses neue Engagement zeigt sich oftmals in der Gemeinwesenarbeit (GWA) oder Stadtteilarbeit. Gemeinwesenarbeit beschreibt Lebensund Sozialräume, in denen Menschen ihre sozialen und kulturellen Beziehungen pflegen und gestalten. Sozialräume gestalten sich allerdings auch nicht ohne erhebliches Konfliktpotenzial. Coworking zeichnet sich durch gemeinsame Aktionen von Menschen aus, die in ihrem Gemeinwesen durch räumliche Nähe miteinander verbunden sind, die sich durch gemeinsame Problemlagen aufgrund äußerer Bedingungen verbinden lassen oder die durch gemeinsames Planen und Handeln versuchen, Räume für gemeinsame Arbeit und Innovation zu gestalten. Kirchen und Gemeinden können in diesen partizipatorischen Bewegungen eine wich-

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Ein einführendes Geleitwort von Tobias Faix

tige Rolle spielen, indem sie sich auf die jeweiligen Prozesse vor Ort einlassen und diese mitgestalten. Gemeinden werden kooperativer Partnerinnen von Stadtteilarbeiten oder Gemeindehäuser und Kirchen werden zu Coworking-Spaces für verschiedene Player des Gemeinwesens. Man begegnet sich auf Augenhöhe, beginnt gemeinsame Ziele zu erarbeiten und übernimmt so gemeinsam Verantwortung.

Brücke 2: Coworking-Netzwerke – die neue Kraft der Massen (Empowerment) »Vernetzt euch!« So lautet der Titel des Buches von Lina Ben Mhenni (2011), einer Internetaktivistin, die dank ihres einflussreichen Blogs mithalf, den tunesischen Diktator Ben Ali zu vertreiben. Ihr Buch ist ein Aufruf, Netzwerke zu nutzen, um gegen Gewalt und Ungerechtigkeit aufzustehen. Lina Ben Mhenni hat dadurch mitgeholfen, Geschichte zu schreiben. Es ist keine Frage, die Bedeutung von Netzwerken hat in den letzten Jahren auf der ganzen Welt stark zugenommen. Aber was hat sich verändert? In einer Gesellschaft, die von großen transformativen Umbrüchen bestimmt wird und in der Menschen ihr Leben immer mehr als fragmentarisch erleben, werden neue Formen von Gemeinschaft und Identität gesucht. Ein fragmentiertes Leben ist auf der Suche nach den großen Momenten, nach Gemeinschaft und nach der Sehnsucht, Teil etwas Größeren zu sein. Dabei spielen die neuen Medien zum Beispiel in der Verteilung von Wissen eine große Rolle: Informationen können sich nun rasant und oftmals auch unkontrolliert ausbreiten. Netzwerke sind daher die effektivste Organisationsform unserer Zeit. Durch ihre dezentrale Struktur sind sie in der Lage, sich schnell neuen Gegebenheiten anzupassen. Sie tragen durch ihre Heterogenität der Vielfalt der globalen Gesellschaft Rechnung. Ihre direkten Kommunikationsmöglichkeiten stellen sicher, dass für ihre Mitglieder alle relevanten Informationen schnell und unkompliziert zugänglich sind. Die Grundaussage dieser Netzwerke ist klar: »Zusammen sind wir stärker als allein. Also lasst uns zusammenkommen und ein gemeinsames Ziel verfolgen.« Auch in Coworking-Spaces gelten diese Beobachtungen, ohne ein vernetztes Miteinander sind die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen kaum mehr zu bewältigen. Ohne Bündnisse, Vernetzungen und Zusammenarbeit mit anderen sozialen oder kirchlichen Verbänden, Gruppen und Coworking baut neue Brücken in einem Leben voller Umbrüche

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einzelnen Menschen sind neue Brücken kaum möglich. Sich gegenseitig stärken, Raum für Innovationsprozesse bieten, sich durch das Andere und Unbekannte herausfordern zu lassen – genau darin liegt ein Geheimnis von Coworking. So werden Bemächtigungen verteilt bzw. ohnmächtige Menschen gestärkt und eingebunden (Empowering) und Veränderungen benachteiligender Strukturen können abgefangen werden. Hier liegt ein verborgendes Potenzial der Zukunft, um gesellschaftliche Gestaltung voranzubringen. Die Hoffnung liegt in den Menschen vor Ort: Sie haben etwas zu geben und können ihre Zukunft selbst gestalten. Netzwerke sind dabei eine zentrale Ausdrucksform, deren Machtfülle und Kraft erst ganz am Anfang steht.

Brücke 3: Coworking als Ko-Kreativität – Teil des Schöpfungsauftrags Als Christ*innen sehen wir die Welt als Schöpfung Gottes, die von ihm begonnen wurde und in die wir Menschen als Ko-Kreative eingesetzt wurden, um die Welt zu gestalten und weiterzuentwickeln. Und dies tun wir in unterschiedlicher Form über viele Jahrhunderte, es ist also nichts Neues, sondern Coworking sieht sich in dieser Tradition. Christ*innen waren immer Innovationstreiber*innen des Neuen und jeder große gesellschaftliche Transformationsprozess hat sich auch in neuen Formen von Kirche, Diakonie und Christsein niedergeschlagen. Es liegt sozusagen in der DNA von Christ*innen, kreativ und innovativ zu sein, das Neue zu wagen. Und wir müssen uns kritisch hinterfragen, wenn dies verloren gegangen ist und Sicherheit und Institution die eigene Schöpfungskraft ausgebremst haben. Und auch deshalb müssen im aktuellen »Brückenbau« einige Dinge beachtet werden und gewisse Kontextualisierungen geschehen. Einige Merkmale möchte ich hier nennen: ▶ Coworking ist in erster Linie eine Kultur und innere Haltung: Es geht nicht zuerst um die richtigen Methoden oder die »sieben Schritte zur perfekten Neugründung«, sondern um eine innere geistliche Haltung des Aufbruchs. ▶ Coworking sieht sich als Teil der Missio Dei. Das heißt, dass Gott das handelnde Subjekt ist und wir als Menschen Teil seiner Mission KoKreative des Kreativen sind. Dies bestimmt und verändert wesentlich die Haltung und nimmt den »Erfolgsdruck« heraus.

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Ein einführendes Geleitwort von Tobias Faix

▶ Coworking ist ein geistlicher Akt, das heißt: Es geht nicht nur um das menschlich Machbare. Was wir als machbar erachten, setzt uns bereits Grenzen – nämlich unsere eigenen. ▶ Coworking gibt es nur mit Menschen, das heißt: mit den vernetzten Menschen und Kooperationen vor Ort. ▶ Coworking heißt, selbst Lernende*r zu sein und sich von dem*der anderen und der Gemeinschaft ergänzen zulassen. ▶ Coworking ist heute immer vernetzt und plural, das heißt: Wir brauchen Start-ups, die die Fähigkeit haben, heterogene Akteur*innen im Sozialraum miteinander über Organisations-, Institutions- und Milieugrenzen hinaus zu vernetzen und auf diese Weise die Zusammenarbeit und Vernetzung in Gemeinwesen und Region zu koordinieren. ▶ Coworking heißt, dass wir Menschen empowern, neue Formen von Gestaltungsstrukturen zu leben. Dies umfasst die Fähigkeiten zur eigenverantwortlichen und effektiven Moderation von Gruppen, Organisationen und Projekten, die mit heterogenen Akteur*innen besetzt sind. ▶ Coworking schätzt die Menschen innerhalb der Gründung, die das bisherige System eher stören, das heißt: Es gibt eine Gabe des not fitting in, die neu entdeckt und neu gefördert werden muss. Dazu gehören auch eine »Kultur des Ausprobierens« und der »Mut zum Scheitern«. Coworking bildet also im Kontext dieses Buchs einen ko-kreativen Prozess in den großen gesellschaftlichen Transformationsprozessen ab. So versucht es, neue Orte für neue Brücken zu bilden, dass Menschen einander und Gott besser verstehen und Kirche ein Ort der Begegnung und des kooperativen Miteinanders wird, sodass Herzen und Verhältnisse verändert werden. Dies ist eine große Herausforderung, weil viele Gewohnheiten und Ängste dem entgegenstehen und genau deshalb braucht es dieses Buch mit seinen vielen großen und kleinen Berichten, Ermutigungen und Anleitungen. Tobias Faix ist Professor für Praktische Theologie an der CVJM-Hochschule in Kassel mit den Schwerpunkten Gemeindepädagogik, interkulturelle und empirische Theologie. Coworking baut neue Brücken in einem Leben voller Umbrüche

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Arbeit im Wandel Wie ein Phänomen entsteht: Coworking

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1.1 Evolution des Coworking – ein historischer Abriss Klaus Markus Hofmann

Coworking ist modern und zu einem trendigen Sammelbegriff für verschiedene Arten von Kollaboration und Kooperation in wirtschaftlichen, kreativen und sozialen Zusammenhängen geworden. Coworking-­Spaces sprießen wie Frühgemüse aus urbanen Mutterböden und ermöglichen durch innovative Formen der Zusammenarbeit flexible Arbeits- und Lebens­modelle. Auch in einer globalisierten Gesellschaft beginnt Zusammenarbeit mit Begegnung zwischen Menschen und findet an einem spezifischen Ort statt, physisch, hybrid oder virtuell. Menschen sind soziale Wesen und von Geburt an auf das Zusammenwirken mit anderen angewiesen. Sprache, Bildung und andere Fertigkeiten werden in sich wandelnden Kontexten kulturell von Generation zu Generation weitergegeben. Gelingt dies, nennen wir es »zivilisatorische Entwicklung«, gelingt es nicht, führt es in eine Katastrophe. Angesichts der komplexen und vielfältigen Herausforderungen für Generation Greta in Europa, soll die Entwicklung des Coworking in diesem Beitrag aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.

Wurzelwerke des Coworking Plötzlich saß er mir gegenüber. Vertieft in Unterlagen hatte ich ihn nicht kommen sehen. Irokesenschnitt, froschgrüne Sneakers und ein feuerwehrroter Trainingsanzug. Indiskret auffällig, auch in seiner lässig geschäftigen Art. Vor ihm stand das geöffnete Airbook und in den Ohren steckten die eleganten EarPods mit dem ikonenhaft weißen Apfel-Kabel. Er war vertieft im Cyberspace unterwegs oder telefonierte mit seinem Blackberry und verschwendete keine Aufmerksamkeit an die Menschen um ihn herum. Der blasse Endzwanziger mit der leuchtenden Neonfrisur passte nicht in das funktionale Business-Ambiente

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des Abflugterminals, obwohl der silberne Anhänger an seinem Weekender ihn eindeutig als privilegierten Vielflieger auswies. Danach waren sie überall anzutreffen – in Berlin, Düsseldorf und Brüssel, an Flughäfen, Bahnhöfen oder in Cafés –, die digitalen Nomaden. Kopfarbeiter*innen, die ihr mobiles Büro mitbrachten und überall online arbeiteten, wo sie auf ihren ständigen Wanderungen eine vernetzte Oase vorfanden.

Zugegeben, Coworking an sich ist nicht neu, Menschen haben schon immer miteinander kooperiert. Aber, insbesondere in einem Buch, das sich mit der Coworking-Reformation als soziales Phänomen der Postmoderne beschäftigt, wird hier der Versuch unternommen, Ursprünge und Treiber dieser innovativen Entwicklung von Arbeits- und Lebenswelten zu ergründen und Perspektiven für soziale Innovationsräume aufzuzeigen. Historisch bedeutende Coworking-Orte waren Klöster, ora et labora. Iroschottische Mönche haben in Zentraleuropa nicht nur zur geistlichen Erneuerung im 9. Jahrhundert beigetragen, als vernetzte Speicher für Wissen und Infrakultur waren Klöster schon im frühen Mittelalter Innovationszentren zur Pflege von Wissenschaft und Bildung, Heilkunst und Handwerk, Ernährung und Landwirtschaft. Als Knotenpunkte europäischer Netzwerke haben verschiedene Orden die Evolution von soziokulturellen Strukturen, die nicht der weltlichen Feudalherrschaft unterlagen, in ihrem Umfeld mit spirituellem Mandat und unternehmerischem Geschick beeinflusst und die Entwicklung von Menschen weit außerhalb der Klostermauern, Dörfer und Regionen geprägt. Die Entstehung von Coworking kann nicht monokausal erklärt werden, vielmehr sind es komplementäre Faktoren wie veränderte Wertschöpfungsmuster, demografischer Wandel und Urbanisierung sowie Digitalisierung, die sich wechselseitig beeinflussen und in einem koevolutionären Prozess verstärken. Für die Auferstehung des modernen Coworking können maßgebliche Megatrends identifiziert werden: Wandel der Wertschöpfung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren über 60 Prozent der deutschen Frauen und Männer in der Landwirtschaft beschäftigt. Nichts prägte die familiäre Produktionsgemeinschaft mehr als ein traditioneller Bauernhof, soziologisch eine Urform des Coworking. In einer generationenEvolution des Coworking – ein historischer Abriss

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übergreifenden Gemeinschaftsstruktur erleben Bauern im Wechsel der Jahreszeiten die Abfolge von Aussaat und Ernte. Dabei entwickelten sie Kulturtechniken zur Bearbeitung von Böden und Veredelung von Getreide wie Dreschen, Mahlen, Kochen und Backen sowie Konservieren und Vorratshaltung (Bätzing 2020). Jede*r in der Familie erfüllte eine Aufgabe, die seinen*ihren Erfahrungen und Kräften entsprach. Der überschaubare Überschuss dieser ländlichen Coworking-Betriebe wurde zu Markte getragen und das damit erzielte Einkommen in Produkte investiert, die nicht auf dem Hof hergestellt werden konnten wie Fuhrwerke oder ein Pflug. Eine rudimentäre Form von Arbeitsteilung und Spezialisierung, wie sie heute global und in nahezu jedem Lebensbereich praktiziert wird. In der Landwirtschaft waren und sind die klassischen Produktionsfaktoren wie Boden und Kapital räumlich gebunden. Ebenso wie der Faktor Arbeitskraft, der mehr oder weniger qualifiziert sein kann. In der Ära der Subsistenzwirtschaft kam der dörflichen Gemeinschaft ein besonderer Stellenwert zu, man half sich gegenseitig. Sozialleben fand an Sonn­ tagen statt, im Umfeld von Kirche oder der Gastwirtschaft, gleich neben der Dorflinde. Große Bedeutung hatte für die kleinbäuerlichen Betriebe die Allmende, landwirtschaftlich oft weniger fruchtbare Flächen, für deren gemeinschaftliche Nutzung von der jeweiligen Dorfgemeinschaft Regelwerke etabliert wurden, um eine exklusive Übernutzung oder Verwahrlosung dieser natürlichen Ressourcensysteme zu verhindern (Ostrom 2011). Die Grundprinzipien von solchen kooperativen Commons-­Systemen für Allmende- oder Gemeingüter lassen sich auch auf ein modernes WLAN oder das Internet als Ganzes übertragen (Hofmann 2018). Nach dem Zweiten Weltkrieg sank der Beschäftigungsanteil des Agrarsektors auf unter 30 Prozent und der exportorientierte Wachstumsmotor des Wirtschaftswunders lag in der industriellen Produktion, die in den 1960er-Jahren fast 50 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung sichere Arbeitsplätze garantierte. In den Fabriken von Ford, VW, Daimler etc. wurde das taylorsche Prinzip der Arbeitsteilung perfektioniert. In der Automobil-, Elektro- oder chemischen Industrie konnten sich die kapitalintensiven Arbeitsinstrumente zwar an unterschiedlichen Standorten befinden, aber sie waren nicht mobil einsetzbar. Arbeiter*innen mussten pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen, um Maschinen zu bedienen und am Fließband ihren Beitrag in der Wertschöpfungskette zu erbringen. Der Arbeitsort gewann sozial an Bedeutung – Kolleg*innen, Vereine, Gewerkschaften und zweckfreie Rituale wie das Fußballspiel am Wochenende

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oder das Feierabendbier in der Kneipe um die Ecke, private Gemeinschaftsaktivitäten, für die semi-öffentliche Orte benötigt wurden. Im Jahr 2020 verdienten rund 75  Prozent der Deutschen ihr Einkommen im Dienstleistungssektor mit einem zunehmenden Anteil von Selbstständigen in freien Berufen. Die Zahl der in freien Berufen tätigen Personen stieg von 415.000 im Jahr 1989 auf rund 1,45 Millionen im Jahr 2020 (Institut für freie Berufe 2021). Demgegenüber beträgt der Anteil von in der produzierenden Industrie tätigen Menschen in Deutschland weniger als 20 Prozent und in der Landwirtschaft sind unter 2 Prozent beschäftigt (Destatis 2021). Dienstleistungen, insbesondere Beratung, Kommunikation, Softwareentwicklung oder kreative Projekte, ermöglichen eher standortunabhängige Bearbeitung als gewerbliche Tätigkeiten. Damit haben sich in den letzten 70 Jahren die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen für New-Work-Konzepte grundlegend gewandelt. Ressourcen und die kollaborativen Instrumente, um in globalen Wertschöpfungsnetzwerken Wissensarbeit zu leisten, stehen jedem*jeder Netznutzer*in rund um die Uhr überall zur Verfügung. Urbanisierung

Neben der beschriebenen Transformation der Wertschöpfungsmuster wirken der demografische Wandel und die Urbanisierung als weiterer Treiber für veränderte Wohnsituationen und die Nachfrage nach flexibleren Übergängen zwischen Arbeit, Wohnen und Freizeit. Die Menschen in Deutschland werden weniger, älter und ärmer und ziehen zunehmend in die Ballungsräume. Lebten nach der Wiedervereinigung rund 27 Prozent der Deutschen in ländlichen Regionen und 73 Prozent in Städten, so wird der urbane Bevölkerungsteil bis 2050 auf etwa 85 Prozent anwachsen, ein Wert, der in Skandinavien und Frankreich bereits heute erreicht wird. Megatrends wie Urbanisierung und Demografie führen zu veränderten Wohnverhältnissen. Einerseits ziehen Menschen verstärkt in Städte, andererseits verringert sich die durchschnittliche Haushaltsgröße. Das führt dazu, dass in Berlin, Frankfurt, Hamburg und Nürnberg rund die Hälfte der Erwachsenen in Singlehaushalten leben (Statista 2021). Bundesweit lebt jede*r Fünfte allein. Hochrechnungen prognostizieren aufgrund der demografischen Entwicklung, dass 2040 jede*r vierte Erwachsene in Deutschland als Single leben wird. Diese fundamentale Veränderung resultiert auch aus einem gestiegenen Bedürfnis nach Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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Individualität und führt zu neuen Anforderungen an die nachhaltige Entwicklung von Wohnquartieren, flexibleren Arbeitsmöglichkeiten und Angeboten für Sport und Freizeit. Dementsprechend entsteht zusätzlicher Bedarf an sozialem Raum, an Möglichkeiten zur Betätigung, Rekreation und Begegnungen außerhalb der eigenen vier Wände. Digitalisierung

1991 war ein Jahr der technischen Revolutionen. Mit den digitalen Mobilfunknetzen im GSM-Standard von D1 und D2, dem ersten privaten Mobilfunknetz in Deutschland, entstand Wettbewerb im Telekommunikationssektor, was einen Innovationsschub vom Anrufbeantworter bis zum zellularen Datenfunk auslöste. Zeitgleich wurde auf der Schiene mit dem ICE der Hochgeschwindigkeitsverkehr im wiedervereinten Deutschland eingeführt, der eine neue Reise- und Aufenthaltsqualität für Geschäftsreisen ermöglichte. International war 1991 das Jahr, in dem am europäischen Kernfor­ schungs­zentrum CERN in Genf die erste Webseite der Welt programmiert wurde und Apple das erste Powerbook auf den Markt brachte. Nur wenige Menschen ahnten, welche globalen und gesellschaftlichen Veränderungen diese technischen Neuerungen in den kommenden Jahrzehnten ermöglichen würden. In Kalifornien manifestierte sich eine strategische Kooperation der Triade von Wissenschaft, Unternehmen und staatlichen Institutionen, die bis heute den Nährboden für die andauernde digitale Reformation im Silicon Valley bildet. Mit Mechanismen des Marktes für Start-ups und Venture-Capital (Risiko-, Wagniskapital) schuf die amerikanische Regierung attraktive Bedingungen für internationale Investoren. Durch die Skalierbarkeit digitaler Geschäftsmodelle und die damit einhergehende Entkopplung der Wertschöpfung von individueller Arbeitskraft können, trotz des einkalkulierten Scheiterns von über 90 Prozent der geförderten Start-ups, überdurchschnittliche Renditen erwirtschaftet werden, zumal die Nachfrage nach digitalen Innovatoren und neuen Produkten unaufhaltsam wächst. Durch additive Fertigungsverfahren wie 3D-Druck könnte die nächste digitale Welle die physischen Produktionsbereiche wie Bauwirtschaft, Maschinenbau und Handwerk disruptiv erfassen und dekonstruieren. Ohne die rasanten Entwicklungen der IT-Technologie zur universellen Vernetzung von Computern, Gebäuden und Fabriken sowie die flächen-

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deckende Verfügbarkeit von Netzinfrastruktur wären Nomad*innen bis heute reiselustige Wüstensöhne und -töchter und nicht die digitalen Regenmacher*innen einer globalen Netzindustrie und Bewohner*innen ihrer vernetzten Oasen. Der »Dritte Ort«

Der Sozialphilosoph Martin Buber fasste seine Erkenntnisse zusammen in der zentralen Aussage: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« (Buber 1995, S. 12) Begegnung findet zwischen Menschen statt und benötigt Raum, sei es ein Zugabteil, ein Flughafen oder eine Bank im Park. Lange bevor diese Megatrends ihre heutige Wirkmächtigkeit entfaltet hatten, entstand zwischen der privaten Wohnung, dem ersten Ort, und dem Arbeitsplatz, dem zweiten Ort, das Bedürfnis für den sogenannten »Dritten Ort«. In Wien trafen sich Intellektuelle in den legendären Kaffeehäusern, die Londoner Gentlemen in ihren Clubs. Barbiere bedienten, lange bevor es Zeitungen gab, neben der gepflegten Nassrasur auch das menschliche Bedürfnis nach Austausch von Nachrichten, Tratsch und Meinungen, ebenso geschah es in Badeanstalten, Wasch- oder Wirtshäusern. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten Künstler*innen Kolonien, die bis heute stilprägend sind, sei es in Worpswede, Paris oder am Bauhaus. Gemeinsam mit Handwerker*innen und Architekt*innen schufen sie soziale Orte, die ein hochproduktives Klima kultureller Inspiration und Kreativität erzeugten, durchaus auch in einem schöpferischen Wettbewerb und im überregionalen Austausch. Dass es die Freiheit des Geistes und die einzigartige Mischung an Menschen sind, die bis heute die Anziehungskraft solcher Orte ausmachen, die weder durch reizvolle Landschaft noch funktionale Gebäude ersetzt werden können, illustriert auch der Umzug des gesamten Bauhauses. Der Begriff »Third Place« wurde Ende der 1980er-Jahre von dem Soziologen Ray Oldenburg geprägt, der die Community-Muster amerikanischer Vorstädte untersuchte und in »The Great Good Place« (1989/1999) publizierte. Oldenburg beschreibt einerseits, dass Mobilität eine notwendige Voraussetzung für modernes Leben sei, da in den Vorstädten die meisten alltäglichen Besorgungen nur mit dem Auto erledigt werden könnten, andererseits das sub-urbane Lebensidyll häufig zu sozialer Isolation, Langeweile und Einsamkeit führen könne. Er betont die Notwendigkeit Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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von Orten für informelles öffentliches Leben, in dem Begegnungen und ein zwangloser Austausch stattfinden können – er nennt diese sozialen Resonanzräume den »Dritten Ort«. Starbucks ist ein typischer Dritter Ort, der den modernen »American Way of Life« verkörpert und zeitlich mit der Verbreitung von WLANTechnik und mobilen Arbeitsplätzen einhergeht. Starbucks wurde für Jahrzehnte zur globalen Oase für Freischaffende, Kreative und digitale Nomad*innen. Bis heute ist in jedem Coworking-Space eine großzügige Cafézone zu finden, die als Kontaktbörse, Marktplatz und wie ein erweitertes Wohnzimmer als zentraler Ort für Austausch und Community-Building fungiert. Die besondere Bedeutung physischer Begegnung im digitalen Zeitalter erfährt nicht erst durch die Pandemiebeschränkungen neue Aufmerksamkeit. Die Autorin Diana Kinnert (2021, S. 78 ff.) beschreibt die zunehmende Vereinzelung in der modernen Massengesellschaft als Hauptursache einer neuen Einsamkeit. Die Reduktion des Individuums auf seine ökonomischen Funktionen als Konsument*in oder Produzent*in erfordert Flexibilität statt Verlässlichkeit und vernachlässigt die soziale und spirituelle Dimension des Menschseins. Unter der Maxime der Selbstverwirklichung wird die*der Einzelne zum*zur Designer*in der eigenen sozialen Realität. Es geht nicht mehr um Glücklich-Sein in einer Gemeinschaft, sondern darum, erfolgreich zu sein in der eigenen Singularität. Als soziale Innovation vermitteln Coworking-Spaces revolvierend die physische Erfahrung von Kollegialität, Wettbewerb und sozialer Reibung und können für Coworker*innen in der Dichotomie von Hyperperformance und Existenzängsten zu einem Möglichkeitsraum werden, der neue Perspektiven eröffnet.

Berliner Beobachtungen Jedes Coworking-Projekt ist anders. Es gibt kein Patentrezept, keine Blaupause, wie ein Coworking-Space erfolgreich funktioniert. Die Gründer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele, jeder Standort verkörpert spezifische Anforderungen und jede Community entwickelt eigene Kommunikationsmuster. Gerade deswegen lohnt es sich für Menschen, die sich seriös mit Coworking auseinandersetzen, die Genese unterschiedlicher CoworkingAnsätze und Zielsysteme kennenzulernen. Die prototypischen Beispiele können sowohl Vorbildcharakter entwickeln als auch Unterschiede und

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Grenzen aufzeigen. Entscheidend für die nachhaltige Gestaltung von Coworking-Konzepten ist die Motivation und Kultur der Gründer*innen, die Zielgruppe und das jeweilige Netzwerk. Die Beschreibungen basieren auf Beobachtungen und persönlichen Begegnungen während meiner Berliner Periode von 2004–2017. Betahaus – der Klassiker

Das »Betahaus« in Berlin-Kreuzberg gilt als der erste Coworking-Space in Deutschland. Madeleine Gummer von Mohl, CEO des Betahauses, und ihre Mitgründer waren Student*innen und kannten sich aus der Politikfabrik. Anfangs suchten die Jungunternehmer*innen ein Büro, das sich ihrer wahlzyklischen Projektarbeit dynamisch anpassen würde. Mal arbeiteten sie zu sechst, mit Volontär*innen wurden es schnell über 30 Personen. Bei der Suche wurde von Mohl und ihren Co-Foundern Christoph Fahle und Max von der Ahé klar, dass auch andere Start-ups und Freelancer*innen flexible Büroräume benötigten, die sich der Geschäftsentwicklung und dem schwankenden Personalstand anpassen. Bevor der Begriff »Coworking« etabliert war, entstand Anfang 2009 der erste Berliner Coworking-Space. Angefangen haben sie mit einem Tisch und einem gebrauchten Drucker aus dem Parlament. Als nächsten Schritt mieteten sie 250 Quadratmeter auf zwei Etagen in einem alten Gewerbehof am Moritzplatz. Die 40 hellen Arbeitsplätze im Open Space oder Einzelbüro wurden mit Telefonen und WLAN ausgestattet. Im Eingangsbereich befindet sich ein öffentliches Café, als Kommunikationszentrum, Personalbörse und Ideenmarktplatz, an dem die Coworker*innen zusätzlich mit Latte macchiato, Club Mate oder Paninis versorgt werden. Coworker*innen können einen Schreibtisch im Open Space anmieten (99 Euro/Monat) oder einen festen Arbeitsplatz buchen (250 Euro/ Monat).1 Das Betahaus unterstützt mit leistungsfähiger Infrastruktur, vernetzt Freiberufler*innen und Gründer*innen mit Investor*innen und Medienvertreter*innen und bietet eigene Veranstaltungen wie Start-upPitches oder das wöchentliche Betahaus-Frühstück. Manager*innen verschiedener Dax-Unternehmen reisten an, um das Erfolgsrezept für innovative Unternehmenskultur zu studieren. Als »Corporate-Ritterschlag«

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Mehr dazu siehe www.betahaus.com (Zugriff am 20.08.2021). Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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empfand die Gründerin es, als die Deutsche Telekom das Betahaus mehrfach beauftragte, das Innovationsprojekt »hub:raum« zu hosten, damit Konzernmitarbeiter*innen und Innovator*innen neue Perspektiven entdecken und vom Betahaus-Spirit angesteckt würden. »Am Anfang kamen die Leute wegen des Arbeitsplatzes […] Inzwischen kommen sie wegen des Netzwerks«, verrät die langjährige CEO dem Handelsblatt ein offenes Geheimnis Berliner Coworking-Kultur (Hegemann 2014). Das Betahaus ist 2019 umgezogen und mittlerweile arbeiten mehr als 500 Coworker*innen auf über 6.000 Quadratmetern an den beiden Berliner Standorten. Darüber hinaus betreibt Betahaus Franchise-Standorte in Hamburg, Sofia und Barcelona und kooperiert weltweit mit ähnlichen Coworking-Partner*innen. Wie jedes Unternehmen musste Betahaus auch Rückschläge verkraften. Das Hamburger Betahaus durchlief eine Insolvenz und der Standort Köln musste geschlossen werden. Auch die pandemiebedingten Einschränkungen konnten überwunden werden, was nach Anpassungsschwierigkeiten zu einem Ausbau der digitalen und hybri­den Angebote für die Coworking-Community geführt hat. Inzwischen betreibt Betahaus die Plattform »One Coworking«, die Coworker*innen weltweit Zugang zu einem einmaligen Netzwerk eröffnet. Auch 12 Jahre nach seiner Gründung erfindet sich das Betahaus ständig neu. Rainmaking Loft – der Schnelle Brüter

Alex Farcet, der Gründer von »Startupbootcamp«, könnte gut Quarterback im Team der Tulane-Universität in Louisiana gewesen sein, wo er seinen  MBA erworben hat. Der polyglotte Franzose nennt sich selbst einen wiedergeborenen Unternehmer, einen Anführer, der sehr überzeugend sein kann, ein missionarischer Botschafter eines digitalen Zeitalters, dem auch erfahrene Kapitäne der Old-Economy-Konzerne nur ungern widersprechen. Er trägt ein graues T-Shirt, es ist heiß im »Rainmaking Loft« in der ehemaligen Galerie in der Berliner Charlottenstraße, wo auf rund 2.000 Quadratmetern etwa 20 Start-ups mit Hochdruck an ihren Geschäftsideen feilen, um den nächsten Pitch zu überstehen. Dieser global operierende Accelerator bietet Nachwuchstalenten nicht nur einen von 80 Schreibtischen. Wer in dem globalen Beschleunigerprogramm angenommen wird, erhält für sein Projekt während drei Monaten intensives Coaching und einen vernetzten Arbeitsplatz sowie 15.000 Euro »Seed Money« als Zuschuss für Pizza, PCs und Prototypen.

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Zusätzlich bietet das Rainmaking-Loft Jungunternehmer*innen einen themenzentrierten Mix aus Workshops, Vorträgen und Gesprächen mit erfahrenen Mentor*innen aus Industrie und Start-up-Szene. Im Zentrum steht eine Branche oder Technologie, 2014 lag der Fokus auf Mobilität, 2021 lautet die Challenge »Digital Health«. Das Geld kommt von Sponsor*innen, die als potenzielle Investor*innen einen sechsstelligen Betrag entrichten, um an dem Casting teilnehmen zu dürfen. Mein Kollege ist in der Jury, ich bin Branchenexperte mit Beobachterstatus. Die Sponsor*innen erhalten das Recht, sich an der Finanzierung von erfolgversprechenden Kandidat*innen zu beteiligen und Anteile zu erwerben. Der »Beauty Contest« ist auf die Minute durchgetaktet und vermittelt die Atmosphäre eines Windhundrennens. Gründer*innen, die am Startupbootcamp teilnehmen, müssen dafür 8 Prozent ihres Unternehmens an die Regenmacher*innen abtreten. Auf den ersten Blick ein atypisches Arrangement für klassische Coworking-Spaces, aber bei angelsächsisch geprägten Inkubatoren gelebte Praxis. Um schnellstmöglich die unternehmerische Spreu vom Weizen zu trennen, verkürzen die Regenmacher*innen das übliche Gründercoaching von einem Jahr auf 90 Tage. Wer die rigide Investorenauslese übersteht, kann für weitere 90 Tage Gastfreundschaft und Coaching im Loft in Anspruch nehmen, bevor die Idee flügge werden und den Platz für frische Hoffnungsträger*innen räumen muss. »Survival of the fittest« nannte Darwin dieses Grundprinzip von Evolution. Rainmaking wurde 2007 als unabhängiger Accelerator gegründet und steht heute mit Büros auf vier Kontinenten und rund 200 Gesell­ schafter*innen für eines der erfolgreichsten Brüterkonzepte für innovative Geschäftsideen. Über 1.000 Unternehmen wurden mit dem HochdruckCoworking erfolgreich von der Gründung zu Finanzierungsrunden geleitet, deren Marktkapitalisierung wird mit 5 Milliarden Dollar angegeben. Zu den industriellen Partnern zählen Facebook, Shell und IKEA. EUREF-Campus – Quartier im Wandel

Wie lassen sich die innovative Dynamik von Design Thinking und Coworking auf etablierte Konzernstrukturen übertragen? Mein Arbeitgeber feierte 2010 das 175-jährige Jubiläum der Eisenbahn in Deutschland. Nach dem abgesagten Börsengang war das Unternehmen gefordert, sich zu reformieren und sein Image als innovativer Mobilitätsdienstleister zu Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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renovieren. Das »Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel«, kurz InnoZ, eine Forschungstochter der Deutschen Bahn AG, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, der Deutschen Telekom sowie des WZB Berlin sollte zum Nukleus einer nachhaltigen Mobilitätswende werden. Das bedeutete, die Komfortzone im Bahntower am Potsdamer Platz zu verlassen und von Grund auf neu anzufangen, wie ein richtiges Start-up. Der zukunftsweisende Standort für InnoZ lag vier S-Bahnstationen weiter, auf dem EUREF-Gelände in Berlin-Schöneberg. Die rote Insel zwischen den Bahngleisen ist eine städtebauliche Reminiszenz an die erste Berliner Gründerzeit. Das stillgelegte Gaswerk, das seit 1994 unter Denkmalschutz steht, wird an der Südspitze vom 78 Meter hohen Gasometer geprägt, das in Berlin weithin sichtbar ist. Ohne erneuerbare Energien keine nachhaltige Mobilität. InnoZ wurde zum ersten Knotenpunkt im Mieternetzwerk der Innovationscommunity auf dem EUREF. Ein multifunktionales Innovationslabor für Co-­Development mit Nutzer*innen innovativer Mobilitätsdienste wurde geschaffen, eine digitale Open-Innovation-Plattform und klassisches Coworking für Mitarbeitende verschiedener Partnerunternehmen, die sich nach Bedarf im InnoZ einmieten und Veranstaltungsflächen buchen konnten. Über das EUREF-Gelände rollten bald Elektrofahrzeuge im Testmodus, autonome Kleinbusse aus dem 3D-Drucker sowie E-Scooter und Lastenräder. In der Kuppel im Gasometer fanden mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Medien internationale Mobilitäts- und Infrastrukturgipfel statt. Bundesweit bekannt wurde das Gasometer durch die Talk-Sendungen mit Günther Jauch. Reinhard Müller, erfahrener Architekt und Projektentwickler aus dem Rheinland, hatte dieses Baudenkmal mit Potenzial im Jahr 2008 entdeckt und mit der EUREF AG das mit Altlasten behaftete Areal von Berlin, arm, aber sexy, erworben. Mit Partner*innen aus Wissenschaft, Politik und Industrie entwickelte er eine Vision, dieses 5,5 Hektar große Gelände zu einem klimaneutralen Stadtquartier mit Forschung und Lehre, Start-ups und Unternehmen zu einem Leuchtturm für eine nachhaltige Energiewende in Europa zu machen und damit an historische Wurzeln anzuknüpfen. Um dem Erfinderareal einen sozialen Anker zu geben, wurde in der ehemaligen Schmiede ein italienisches Restaurant eingerichtet, in dem die grünen Innovator*innen ihre Ideen formen und re-formieren konnten und dabei mit Cappuccino verwöhnt wurden.

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Coworking wirkt ansteckend. Die ebenfalls auf dem EUREF-Campus ansässige »Climate-KIC«-Initiative betreibt mit der »Green Garage« den größten Cleantech-Accelerator Deutschlands. Start-ups mit innovativen Geschäftsmodellen und einem hohen CO2-Einsparungspotenzial, die in das dreistufige Förderprogramm aufgenommen werden, erhalten maximal 18 Monate Business Coaching, Mentoring, Beratung und Leistungen mit einem Gesamtwert von bis zu 95.000 Euro. Climate-KIC begleitet junge Unternehmen in der Gründungsphase dabei, ein solides Cleantech-Geschäftsmodell zu entwickeln und Märkte für ihre Produkte zu erschließen. Die städtebauliche Reformation des EUREF-Areals ist dreifach interessant, weil Coworking als Instrument zur Förderung von klimafreundlichen Geschäftsideen eingesetzt wurde, weil durch Fokussierung auf innovative Umwelttechnologien die Akzeptanz für den wiederbelebten Industriestandort bei Bürger*innen und Behörden erhöht wurde und weil gleichzeitig durch Netzwerkeffekte unter den beteiligten Partnerunternehmen die Attraktivität des EUREF-Campus für potenzielle Mieter*innen – und die Investor*innen – gesteigert wurde. Bei Coworking geht es nicht um ein spezifisches Gebäude oder eine besonders charismatische Persönlichkeit, sondern um informelle Netzwerke von Menschen, die etwas bewegen wollen und miteinander mehr erreichen können als jeder für sich allein. Statt einer Industriebrache befinden sich heute in dem neu erfundenen Stadtquartier auf rund 135.000 Quadratmeter Bürofläche 5.000 neue Arbeitsplätze, Forschungsinstitute, Restaurants und ein parkartiges, öffentlich zugängliches Gelände mitten in Schöneberg. Die »GASAG« ist als Mieterin an ihren ursprünglichen Standort zurückgekehrt. Refugio – beyond Coworking

Sind Coworking-Konzepte nur in kommerziellen Zusammenhängen anwendbar oder inwieweit kann diese flexible Form der vernetzten Zusammenarbeit in eigener Verantwortung auf andere Felder gesellschaftlichen Zusammenlebens übertragen werden? Für Elke Naters und Sven Lager war das keine theoretische Frage, als sie von Südafrika nach Berlin zogen. Das Schriftstellerehepaar hatte am Kap in einem Sharehouse gelebt und war davon überzeugt, dass sich das auf »Ubuntu« basierende Co-Living-­ Konzept, Leben in Gemeinschaft auf Zeit, auch in Europa umsetzen ließe. Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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»Ubuntu« ist eine im südlichen Afrika beheimatete Lebensperspektive, die für Werte wie Empathie, Nächstenliebe und Gemeinsinn steht, und auf der Erkenntnis basiert, dass jedes Individuum wertvoll und selbst Teil eines größeren Ganzen ist. Daraus resultiert eine offene Grundhaltung, die sich vor allem auf wechselseitigen Respekt und Anerkennung stützt und auf den Glauben an ein endloses Band des Teilens, das Menschen unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Geschlecht oder Religion in ihrer universellen Würde verbindet. Das Allmende-Konzept kann ebenfalls als ein Ausdruck von Ubuntu gesehen werden, ebenso wie der Name »Ubuntu« heute auch ein Open-Source-Betriebssystem für mobile Endgeräte bezeichnet. In der Berliner Stadtmission fanden die Sharehouse-Gründer*innen eine Partnerin, die diese Vision tatkräftig unterstützte. Aus dieser Kooperation entstand das »Refugio« in der Lenauer Straße in Neukölln, ein besonderer Ort für Co-Living und Coworking. In einem ehemaligen Seniorenzentrum leben etwa 20 Einheimische und 20 Angekommene auf fünf Stockwerken zusammen, teilen Küche, Wohnzimmer und Dachgarten und arbeiten zusammen, damit kein*e Bewohner*in, ob Geflüchtete, Älterer oder Jugendliche im Gully der Hochleistungsgesellschaft landet.2 Die Gemeinschaft setzt sich ein für eine göttliche Menschlichkeit, das bedeutet, in jedem Menschen den besonderen Wert als Person zu entdecken und ihre individuellen Talente und Fähigkeiten zu fördern. Im Sharehaus Refugio leben Menschen nicht nur zusammen als WG, sondern sie kochen gemeinsam, betreiben Coworking und verbringen große Teile ihrer Freizeit miteinander. In dem modernen Stadtkloster soll gemeinsames Leben im Sinne Bonhoeffers praktiziert werden. Wer einziehen will, kann sich bewerben. Aufgenommen werden Leute, die Lust haben, in rund eineinhalb Jahren etwas in ihrem eigenen Leben und der Gesellschaft zu verändern. Die Angekommenen lernen Deutsch und tragen zur Gemeinschaftskultur im Sharehaus bei. Ehrenamtliche geben Nachhilfe, starten Kunstkurse oder machen Musikangebote, unterstützen Angekommene dabei, sich im deutschen Behördendschungel zurechtzufinden. Das Refugio ist ein soziales Ökosystem, das Anschub und Energie für eigene Projekte geben soll. Künstler*innen, Gemeinden und andere Aktivist*innen unterstützen das Integrationsprojekt, ein »Experiment«, wie

2 Vgl. »Du passt auf mich auf« von Max Raabe (2014).

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Gründer Lager das erste deutsche Sharehouse bezeichnet. Das KreuzbergProjekt, eine Kirche im Kiez, unterhält im Sharehouse ein Büro und veranstaltet sonntags Gottesdienste im Festsaal. Heute noch durch Spenden getragen sollen die Ideen der Bewohner*innen langfristig die Betriebskosten des Hauses und den eigenen Lebensunterhalt decken. Weitere Sharehäuser sind geplant.

Coworking – Zwischenfazit und Perspektive Wie die vier unterschiedlichen Prototypen von Coworking-Communitys veranschaulichen, lässt sich der Gedanke des flexiblen Arbeitens an einem Dritten Ort sehr unterschiedlich interpretieren. Die Grafik beschreibt zwei Dimensionen, in denen Coworking-Projekte eingeordnet werden können. Die blaue Achse betont besonders die relationale Ebene zwischen den Coworker*innen und den Betreiber*innen eines Coworking-Space. Die Beispiele zeigen, dass diese einerseits stark auf eine oder mehrere Technologien fokussiert sein kann oder den Menschen und die Prozesse der Community ins Zentrum stellt. Die rote Achse hingegen beschreibt die angestrebte Reichweite der Coworking-Projekte. Klassische Start-upUnternehmen, wie sie regelmäßig in Coworking-Spaces anzutreffen sind, zielen mit ihren skalierbaren Produkten auf einen globalen Markt, den sie effizient bedienen wollen. Freiberuflich Tätige und Kreative können mit einem regionalen Fokus sehr erfolgreich sein. Projekte, die der Stadtentwicklung oder Integration dienen, können sehr lokal ihren Auftrag erfüllen und Coworking als Katalysator für Community-Building einsetzen. Nochmal soll hier darauf hingewiesen werden, dass Gebäude und technisches Equipment in erster Linie Mittel zum Zweck und prinzipiell austauschbar sind. Coworking funktioniert durch kreative Herangehensweisen, informelle Netzwerke und unternehmerische Initiative sowie – als sozialer Kitt – Zeit für Mokkagetränke. Diese Einschätzung lässt sich dadurch belegen, dass alle vier Prototypen mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen inzwischen überregional repliziert werden konnten. Es gibt einen zweiten EUREF-Campus in Düsseldorf, mehrere SharehouseProjekte, Betahäuser in Hamburg, Sofia und Barcelona sowie Rainmaking Lofts auf vier Kontinenten. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Tatsache, dass die beschriebenen Coworking-Modelle vorhandene Infrastrukturen nutzen und mit neuen Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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Abb. 1: Coworking-Modelle (© Klaus Markus Hofmann, NETWORK Institute, 2021)

Funktionen überformen. Sei es eine Galerie, ein verlassenes Industriegelände, ein Gewerbehof oder ein sanierungsbedürftiges Seniorenheim. Für Coworking geeignete Objekte gibt es in jeder Stadt. Eigentümer*innen solcher besonderen Objekte harren in der Regel auf tragfähige Nutzungskonzepte. Wenn das Konzept überzeugt, finden sich bei Kommunen, Kirchen, Stiftungen oder Immobilienunternehmen auch die finanziellen Mittel für notwendige Investitionen. Innovator*innen, die Visionen umsetzen können, sind Mangelware. Geld ist ein nachwachsender Treibstoff, der stets der unternehmerischen Energie folgt. Coworking ist ein dynamischer Prozess, als schöpferisches Ökosystem nicht für jede Art von innovativen Projekten geeignet, aber sollte keineswegs auf kommerzielle Vorhaben beschränkt werden. Die Kräfte unabhängiger Partner*innen zu bündeln, kann für Projekte, Gemeinden oder Quartiersentwicklung einen signifikanten Unterschied machen. Fakt ist, dass sich Coworker*innen durch räumliche Nähe und informelle Kommunikation in der Community wechselseitig beeinflussen und permanent mit der Community als einer Art schöpferische Allmende in Wechselwirkung stehen. Das kann einerseits Synergie und andererseits kreative

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Friktion erzeugen. Community-Building schafft einen Zusammenhalt, der unabhängig von Einzelvorhaben für das Gemeinwohl, die beteiligten Akteur*innen und Außenstehende von Nutzen sein kann. Wenn Menschen die Zukunftsgestaltung allein kommerziellen Organisationen überlassen, wird das die Gesellschaft, unsere Art zu denken, Entscheidungen zu treffen und zu leben zunehmend verändern. Wer Dörfer, Quartiere und Allmenden (Hofmann 2019), seien diese real oder digital, als gesellschaftliche Möglichkeitsräume sozial ausgewogen und nachhaltig entwickeln will, braucht neben Mut, Empathie und Zuversicht vor allem Ausdauer und Verbündete. Dazu können Coworking-Konzepte als vernetzte Oasen für digitale und analoge Pilger*innen beitragen. Ubuntu muss kein afrikanischer Traum bleiben.

Seit drei Wochen brütete Janosch an dem Konzept, die Deadline rückte gnadenlos näher, und die Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Heute war Nickys Geburtstag. Als IT-Experte war Janosch ständig unterwegs. Im Space arbeitete er zwei Reihen hinter ihr und hatte noch kein Geschenk. Eigentlich hatte er Muffins nach dem Familienrezept backen wollen, aber hatte einfach keine Zeit. Sein Bildschirm strahlt teilnahmslos, verzweifelt kreiste der weiße Adler über dem weißen Hintergrund. Jetzt bloß nicht singen, schoss es Janosch durch den Kopf, als die ersten Töne von »Happy Birthday« durch den Open Space schallten. Im Coworking hatte ständig jemand Geburtstag, er musste arbeiten. Reflexartig fing Janosch den Basketball, der auf ihn zugeflogen kam, und reagierte wütend, er musste sich konzentrieren. »Bis 10!« rief Nicky imperativ hinterher und er konnte trotz des Ärgers ein Lächeln kaum unterdrücken. Erleichtert schaltete er seinen ideenfreien Rechner ab, das Konzept konnte warten. Die Herausforderung am Korb hatte Priorität. Der Innenhof wurde heute zur schöpferischen Oase.

Dr. Klaus Markus Hofmann leitet das NETWORK Institute für Nachhaltigkeit und Infrakultur und ist Mitgründer der Europäischen Hochschule für Humanökologie. Darüber hinaus lehrt und forscht er zu Mobilität, Evolution Sozio-Technischer Systeme und Commons an der Universität Freiburg. Evolution des Coworking – ein historischer Abriss

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1.2 Coworking: Was ist das? – Eine Einführung Christopher Schmidhofer

Während der Pandemie 2020/2021 entdeckten viele Menschen und Unternehmen, dass mobiles Arbeiten funktioniert. Das Homeoffice wurde zum Ort der Sicherheit vor einer Ansteckung, die das Firmenbüro nicht bieten konnte. Im Rahmen dieser Umstellung wurde plötzlich notwendig, was vorher unmöglich erschien: die Flexibilisierung des Arbeitsortes für viele Büroarbeiter*innen. Die vorherigen Widerstände gegen das mobile Arbeiten wurden weltweit überrollt. Vor der Pandemie musste man begründen, warum man mobil arbeiten wollte. Durch die Pandemie müssen nun gute Gründe gegen eine mobile Arbeit sprechen. Das macht auf mehreren Ebenen Sinn: Die Arbeitseffizienz ist gleich geblieben und in vielen Fällen sogar gestiegen. Die Zeitverschwendung durch Pendelei ist weniger geworden. Der CO2-Ausstoß hat sich merkbar verringert. Es ergaben sich auch in der Familienbetreuung flexiblere Möglichkeiten. Gleichzeitig wurde klar, dass das Homeoffice nicht die Ideallösung ist. Die Abgrenzung zwischen privaten und beruflichen Zeiten leidet. Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig funktioniert nicht oder ist sehr anstrengend durch ständige Unterbrechungen. Ein Umstand, der noch zu wenig thematisiert wird und vor allem die Frauen in unserer Gesellschaft betrifft. Außerdem ist Homeoffice nicht gleich Homeoffice. Während die einen auf einen voll ausgestatteten Arbeitsplatz zurückgreifen können, sitzen andere am Küchentisch direkt neben der*dem Partner*in und beide sind gleichzeitig in einer Videokonferenz. Das dies anstrengend ist, leuchtet sofort ein. Die einen sitzen zu eng aufeinander, die anderen vereinsamen im Homeoffice. Das sind die Erzählungen der Menschen, die zu uns in den Coworking-Space kommen. Die Coworker*innen kommen zum Beispiel zu uns, um andere Menschen zu treffen, um nicht zu Hause am Küchentisch oder konzentriert ohne Störungen durch die Familie zu arbeiten, um sich dann wieder auf die Familie konzentrieren zu können. Sie bleiben, weil sie im Coworking-­

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Space eine Gemeinschaft finden, in der sie ihre Arbeit machen können und sich austauschen können. Dazu gehört auch das gegenseitige Stützen in schwierigen Zeiten. Aufgrund dieser Gemeinschaftserfahrung schreibe ich diese Zeilen in einem Coworking-Space in Reutlingen. Seit 2009 arbeite ich mit einer Homeoffice-Unterbrechung von ca. einem halben Jahr so gut wie ausschließlich aus Coworking-Spaces heraus, seit 2010 betreibe ich selbst Coworking-Spaces. »Helle, schöne Räume, sympathische Menschen, super Verkehrsanbindung, schnelles WLAN und die Möglichkeit sich mit anderen auszutauschen, ohne es zu müssen. Jetzt zu Hause stellt sich seit Langem mal wieder das entspannte Gefühl von ›Feierabend‹ ein.«, Frauke H. Das Besondere an Coworking-Spaces ist nicht der Raum. Es ist nicht die Ausstattung. Es ist nicht mal die Idee der Flexibilität, auch wenn diese eine große Rolle in der Verbreitung der Coworking-Bewegung hat. Es ist auch nicht der besondere Kaffee und der Internet-Anschluss, auch wenn ohne diese beiden Dinge sicherlich kein Coworking möglich ist. Das Besondere an Coworking ist auch nicht der Begriff, der viel zu häufig falsch verstanden und falsch angewendet wird. Ebenso wenig ist das Besondere an Coworking die Verbindung von Arbeit mit Küchengesprächen – das gibt es auch in den meisten Büros. Das Besondere an Coworking sind die Menschen, die diese besondere Art des gemeinschaftlichen Arbeitens zusammengebracht hat. Da arbeitet der Verkäufer von Weihnachtsbeleuchtung neben der Hochschuldozentin für besondere Pädagogik. Der 87-jährige vereidigte Übersetzer tauscht sich mit der 30-jährigen Designerin aus. Die Personal-Trainerin entwickelt spontan Ideen mit dem langjährigen Gründerberater, der früher bereits ein eigenes Gründerzentrum geleitet hat. Die Menschen, die hier zusammenkommen, unterscheiden sich in ihrer Branche, ihrer Herkunft, ihrem Glauben, ihrem Karrierestatus und in vielen anderen Punkten. Sie gleichen sich darin, dass sie sich aussuchen können und wollen, wo sie arbeiten, mit wem sie arbeiten und wann sie arbeiten. Deshalb kommen diese Menschen in einem Coworking-Space zusammen, tauschen sich aus, unterstützen sich gegenseitig, schließen Freundschaften und kümmern sich umeinander. Wie sehr das gebraucht wird, merken viele erst, nachdem sie es ausprobiert haben. Coworking: Was ist das? – Eine Einführung

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»Das Coworking ›wexelwirken‹ in Reutlingen ist der beste Ort, Herzmenschen zu treffen, fürs Business zu net(t)zwerken und tolle Kooperationspartner zu finden!«, Sandra L. Im Coworking-Space spricht der ehemalige Werksleiter, der für 300 Mitarbeiter*innen verantwortlich war, mit der Gründerin, die gerade in den letzten Zügen ihres Studiums steckt. Auch in diesen Gesprächen gilt wie in der gesamten Coworking-Szene das »Du«. Da dies ein Coworking-Buch ist, werde ich in der Folge dieses Coworking-Du auch in der Ansprache der Leser*innen verwenden. Bist du bereit für eine Beschreibung deines Besuchs im Coworking Space? Los geht’s. Wenn du zum ersten Mal den Coworking-Space ausprobierst, bekom­ men wir erfahrungsgemäß nach dem ersten Tag die folgende sinngemäße Rückmeldung: »Ich habe mehr geschafft als im Homeoffice und habe dabei auch noch tolle Menschen kennengelernt.« Natürlich kommst du nach einem solch positiven Erlebnis wieder in den Space. Einige Zeit – Tage oder Wochen – später kommt dann die Erkenntnis, dass die Coworking-Gemeinschaft dir noch viel mehr gibt. Ohne dass es dir sofort bewusst wurde, hast du eine Menge gelernt. Über verschiedene Branchen, über verschiedene Menschen, über verschiedene (Arbeits-)Kulturen. Du hast vielleicht mit anderen Coworker*innen neue Ideen entwickelt, ganz spontan beim Kaffee oder beim gemeinsamen Mittagessen. Vielleicht setzt ihr die ein oder andere Idee sogar schon gemeinsam um? Das ist es, was Coworking für mich bedeutet: Offenheit, gemeinsames Lernen, gemeinsames Kreieren, Gemeinschaft. »Ich habe nach dem ersten Schnuppertag sofort bemerkt, dass das Coworking was für mich ist und mir viel mehr bringen wird, als von zu Hause zu arbeiten. Ich habe tatsächlich eine Aufgabe, die ich seit Wochen auf der To-do Liste hatte, erledigen können! Und das hat mir einen positiven Eindruck vom Konzept ›Coworking‹ gegeben.«, Guilhem S. Der erste Weg zum Coworking-Space kommt dabei für viele Menschen über die Suche nach Flexibilität, und damit Freiheit. Der Vorteil der flexiblen Nutzung der Räume ist für viele der erste Anknüpfungspunkt zu Coworking. Die Flexibilität der Räume wurde in vielen Spaces in der Anfangszeit fokussiert. Wo morgens und mittags der Kreativarbeitende an einer Holzplatte auf zwei Böcken seinen Arbeitsplatz hatte, konnte das für die

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Abendveranstaltung flexibel an die Seite gestellt werden und der Raum so für andere Veranstaltungen (Netzwerktreffen, Sport, Feier) genutzt werden. Dadurch lagen die Büroflächen nicht nach Feierabend brach – und die Veranstaltungsflächen wurden tagsüber genutzt. Diese hybride Nutzung erhöht sicherlich den Aufwand etwas, ist aber von der Wirtschaftlichkeit und der Ökologie (weniger Flächenverbrauch) leicht als großer Vorteil erkennbar. Für Nutzer*innen der Coworking-Spaces ist die hohe Flexibilität ebenfalls ein wertvoller Vorteil. Statt Gewerbemietverträge auf fünf oder zehn Jahre zu schließen, kann ein Coworking-Space flexibel genutzt werden. Eine breite Auswahl an zeitlichen Buchungsmöglichkeiten (Tagestickets, Wochentickets, 10-Tages-Tickets, Monatstickets) mit kurzen Kündigungsfristen ist optimal für die flexible Arbeitswelt. Diese beiden Punkte (flexible Räume, flexible Buchung) beschreiben wahrscheinlich für einen Großteil der Menschen das, was sie über Coworking verstanden haben. Hier passt aber eher der Begriff »Flexwork« oder »Flexible Office Space«. Die Coworking-Bewegung mit ihren Coworking-Spaces bietet viel mehr als nur »Flexible Büroarbeitsplätze«. Der Fokus liegt auf dem »Co« – also auf der Gemeinschaft. »Das Co in Coworking steht für Community« ist ein von mir geprägter Satz, der das ausdrücken soll. Wir Coworker*innen gehen in den Austausch, wir interessieren uns füreinander und reden miteinander. Dadurch ergeben sich gemeinsame Ideen, gemeinsame Projekte und gemeinsame Werte. Die Coworking-Bewegung orientiert sich dabei vor allem an fünf Grundwerten, welche sich früh etablierten und bis heute von den meisten Spaces so übernommen oder um weitere Werte ergänzt werden. Diese fünf Grundwerte sind: ▶ Offenheit ▶ Kollaboration ▶ Nachhaltigkeit ▶ Gemeinschaft ▶ Zugänglichkeit

Was unterscheidet Coworking-Spaces vom klassischen Büro und anderen Arbeitsorten? Den meisten Menschen sind die Unterschiede zwischen Coworking, Bürogemeinschaften, Business Centern und ähnlichen Konzepten nicht klar. Mit dem Erfolg des Begriffes »Coworking« nutzen auch immer mehr der Coworking: Was ist das? – Eine Einführung

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(entfernt) verwandten Konzepte die Begrifflichkeit. Der Immobilienbesitzer packt einfach ein paar Schreibtische in einen Raum, schreibt außen Coworking drauf und erwartet eine Flut an Personen, die jetzt den Space nutzen wollen. Da ist einfach klar, dass dies kein Coworking ist und sein kann. Dahinter steckt ein echtes Unverständnis für den Begriff, eine schlechte Recherche oder die absichtliche falsche Verwendung des Begriffs aus Marketinggründen. Leider ist also nicht überall, wo Coworking draufsteht, auch Coworking drin. Was unterscheidet aber nun die einzelnen Arbeitsplatzformen?

Coworking versus X Vorab ist Folgendes wichtig: Es ist natürlich völlig in Ordnung, nicht in einem Coworking-Space arbeiten zu wollen, sondern die Bürogemeinschaft vorzuziehen. Zum Glück sind nicht alle Menschen gleich und es wird nirgends behauptet, dass Coworking für alle Menschen das einzig Richtige ist. Es ist für viel mehr im Büro arbeitende Menschen, als es heute wissen, der beste Arbeitsort, aber sicher nicht für alle. Es geht hier also gerade nicht um eine allgemeine Wertung, es geht darum, die Unterschiede der Orte aufzuzeigen. So können die geschaffenen Orte richtig bezeichnet werden – und diese Klarheit hilft allen Seiten. Ganz nach dem Coworking-Motto »Kooperation statt Konkurrenz« senden wir Personen, die uns testen, aber in einer Bürogemeinschaft besser aufgehoben wären, auch an die uns bekannten Bürogemeinschaften weiter.

Coworking versus Unternehmenszentrale Vor der Pandemie waren nur wenige Coworker*innen in mittleren oder größeren Unternehmen angestellt. Neben einem kleineren Anteil an Gründer*innen sind bis heute vor allem Selbstständige oder EKU (Einzelund Kleinunternehmen) in den Spaces anzutreffen. Dies könnte sich ändern – die Erfahrungen aus der Pandemiezeit werden den Erwartungen zufolge hier entscheidenden Einfluss nehmen und viel mehr Angestellte zum mobilen Arbeiten und damit auch in die Coworking-Spaces bringen. Vorteile bestehen vor allem dann, wenn es jeweils wohnortnah passende Spaces gibt.

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Ein bisher von den Unternehmen völlig unterschätzter Punkt ist der Lernaspekt für die Mitarbeitenden. Durch den Austausch mit unterschiedlichen Menschen aus verschiedensten Branchen werden in vielen Bereichen viele Inhalte »nebenbei« mitgenommen. Dies betrifft vor allem auch Themen wie Digitalisierung, in denen viele selbstständige Coworker*innen einen großen Vorsprung zu den Unternehmen haben. Zur Nachhaltigkeit gibt es hier mit wohnortnahen, zu Fuß oder per Fahrrad erreichbaren Coworking-Spaces eine echte Einsparung von Fahrtwegen. Wenn ein guter Teil der Pendler*innen statt fünfmal die Woche nur noch einen Tag pro Woche pendeln muss, dann ist in der Breite schon viel gewonnen. Nicht nur in Bezug auf CO2-Ausstoß und Ressourcenverschwendung, sondern auch in Bezug auf unsere Lebenszeit. Ganz zu schweigen von weniger Unfällen und weiteren Effekten, die eine deutliche Einschränkung des Verkehrs mit sich bringen.

Coworking versus Homeoffice Für Angestellte, die noch jeden Tag ins zentrale Büro des Arbeitgebers fahren, ist das Homeoffice oft die Verwirklichung des eigenen Arbeitstraumes. Die Wirklichkeit sieht jedoch oft anders aus. Die Trennung zwischen Privatzeit und Arbeitszeit wird angegriffen. Da heißt es einerseits, man sei ja eh zu Hause und könnte noch kurz 1001 Dinge im Haushalt erledigen. Andererseits befindet sich das Büro zu Hause, es spricht also nichts dagegen, auch nach dem Abendessen mal noch 2, 3 oder 4 Stunden am Rechner zu sitzen und diese dringende Aufgabe noch eben zu erledigen. Die Spannung zwischen Spülmaschine ausräumen, Wäsche waschen und Mails beantworten, dass alles möglichst bald erledigt werden muss, zerrt im Homeoffice an den Nerven. Für viele setzt außerdem eine Vereinsamung ein – der Kontakt zu anderen Menschen nimmt ab. Vorher saß man wenigstens noch in der Nähe der Kolleg*innen und hatte darüber etwas Kontakt. Im wohnortnahen Coworking-Space finden Menschen den sozialen Austausch, den so gut wie jeder Mensch braucht. Du behältst alle deine Freiheiten und gewinnst neue Kolleg*innen. Du kommst raus und hast eine Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Du kannst auch wieder Feierabend machen – und manchmal auch mit deiner neuen Commu­nity ein Feierabendgetränk zu dir nehmen. Coworking: Was ist das? – Eine Einführung

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Coworking versus Bürogemeinschaften Bei typischen Bürogemeinschaften findet sich eine feste Gruppe von Menschen, die gemeinsam ein Büro mietet. Personenwechsel sind sehr selten, es sind oft eher Einzelbüros. Meist trägt die Gemeinschaft den Mietvertrag gemeinsam, dieser kann aber auch von Einzelpersonen unterschrieben sein. Die einzelnen Mieter*innen haben langfristige Verträge mit langen Kündigungsfristen im Vergleich zum Coworking-Modell. Im Gegensatz dazu kommen im Coworking-Space häufiger neue Menschen dazu. Das bedeutet mehr Fluktuation. Die Vereinbarungen sind flexibel, selbst Monatstickets sind mit meist sehr kurzen Laufzeiten kündbar.

Coworking versus Business Center In Business Centern gibt es viele Services (z. B. Sekretariat), die zusätzlich gebucht werden können. Es gibt hier meist Räume mit Einzelarbeitsplätzen oder abgeschlossene Teamräume. Der Austausch zwischen den Anwesenden wird nicht gefördert und oft auch von den Anwesenden nicht gewünscht. In vielen Coworking-Spaces gibt es die Services, die von anderen Coworker*innen angeboten werden. Die Spaces selbst haben Angebote für Meetings und andere Veranstaltungen. Je nach Space gibt es weitere Angebote, dies unterscheidet sich zwischen den Spaces sehr. Der Austausch zwischen den Anwesenden wird bewusst gefördert und ist von den Coworker*innen generell gewünscht.

Coworking versus Café mit Internet und Strom Das Geschäftsmodell eines Cafés ist der Verkauf von Getränken und dazu passendem Gebäck. Beim Arbeiten im Café soll oder muss man immer wieder etwas Neues bestellen. Auch ist die Umgebung oft nicht professionell, eher laut und allgemein nicht auf Arbeiten ausgerichtet. Der Fokus des Coworking-Space ist die Wohlfühl-Arbeitsatmosphäre und die Community. Dafür muss man sich den Kaffee meist selbst kochen.

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Coworking – Warum also? »Ich war im Urlaub und habe meine Coworker*innen vermisst.«, Markus R. Menschen kommen in den Coworking-Space wegen der flexiblen Arbeitszeiten, sie bleiben wegen der Gemeinschaft, wegen der Community. Deswegen ist es wichtig zu betonen und es dann auch zu leben, dass das »Co« in Coworking für Community steht. Darauf basierend gibt es eine wichtige Funktion im Community-Working-Space: die des*der Community-Manager*in. Ohne eine Betreuung der Gemeinschaft funktioniert das Versprechen einer Gemeinschaft nicht. Diese Gemeinschaft muss zuerst mal initiiert werden, Menschen müssen dazu eingeladen werden, grundlegende Mechanismen erkannt und genutzt werden. Dann muss die Community gepflegt werden. Die Community braucht Betreuung, um Netzwerke zu bilden, neue Menschen dazu zu holen und nicht zu verkümmern. Für diese ständige Arbeit benötigt es ein Community-Management. Diese zentrale Funktion stellt die Vorteile des Coworking-Space für die Coworker*innen her. Dadurch entsteht die Wohlfühlatmosphäre, in der ich mich bereits beim ersten Eintritt in den Space geborgen fühle. Die Vernetzung innerhalb des gesamten Coworking-Netzwerks wird durch die Community-Manager*innen initiiert und gefördert. Bei all diesen Vorteilen ist immer auch gewährleistet, dass ich konzentriert arbeiten kann. Denn der Working-Teil ist ja im Begriff »Coworking« sehr präsent. Ich kann also wohnortnah in einer professionellen Atmosphäre meine Arbeit erledigen, erweitere dabei mein Netzwerk und meinen Horizont, fühle mich wohl und lerne eine ganze Menge. Ich schließe mindestens gute Bekanntschaften, manchmal sogar neue Freundschaften. Ich kann außerdem im Coworking-Space Veranstaltungen zu für mich interessanten Themen besuchen. Für mich ist ein Coworking-Space damit der mit Abstand beste Ort für meine tägliche Arbeit. Christopher Schmidhofer ist selbstständiger Web­entwickler und Projektmanager und setzt Webprojekte für Handwerker, für international Coworking: Was ist das? – Eine Einführung

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agierende Verkaufsteams und für einen weltweit tätigen Edelstahlkonzern um. Seit 2010 betreibt er außerdem Coworking-Spaces unter der Marke »weXelwirken« und gründete damit schon vor über zehn Jahren den ersten Coworking-­Space im ländlichen Raum in Deutschland. Er ist Mitgründer des deutschen Coworking-­Verbandes German Coworking Federation e. V. sowie Mitbetreiber des CoWorkLand eG Landesbüro Baden-Württemberg.

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Coworking theologisch begründet

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2.1 Coworking-Spaces sind das, was Klöster früher waren Maria Herrmann

Coworking aus Tradition Bernhard wollte mit seiner Arbeit fertig werden, bevor die Dämmerung einsetzt. Er war müde, seine Augen brannten und die Ellbogen schmerzten von der verkrampften Haltung am Schreibtisch. Für diesen Job hatte er einen Monat eingeplant, und heute Abend war dieser Monat vorbei. Der Vollmond war schon am Horizont zu erkennen, lange würde es nicht mehr dauern, bis er seine Arbeiten abbrechen oder beendet haben musste. Wenn er nun aber länger dafür brauchen würde, müsste alles neu geplant werden. Konrad, der Illustrator am Nebentisch, wartete schon darauf, die Seiten übergeben zu bekommen und mit ihnen weiterzumachen. Bernhard rieb sich die Stirn, ging noch einmal zu dem Tisch im Eck, auf dem ein Krug mit Wasser stand. Er nahm sich davon, trank ohne abzusetzen und stellte die Gefäße so leise zurück, wie es ihm möglich war. Sein Blick schweifte durch den Raum: Er wollte niemanden von den anderen an ihren Tischen in der Konzentration unterbrechen. Denn das könnte sie viel kosten: Beim kleinsten Fehler muss man mit der ganzen Seite von vorn beginnen – das war ihr Anspruch: Ein makelloses Produkt für den Kunden. Denn die zahlten schließlich ein kleines Vermögen für diese Arbeit. Zurzeit war Bernhard für die Rubriken zuständig. Um konzentriert zu bleiben, wechseln sie regelmäßig ihre Aufgaben. In diesen Wochen bekam er die Seiten von Wilhelm und Notger übergeben, die diese mit schwarzer Tinte beschrieben hatten. Notger war erst vor Kurzem aus Italien zu ihnen gekommen. Er hatte eine neue Technik mitgebracht, die sie schneller arbeiten ließ. Jetzt war es Bernhards Job, die Seiten mit roter Farbe zu versehen – er war Rubrikator: Manchmal schrieb er einzelne Buchstaben zum Beispiel am Seiten- oder Zeilenanfang der Blätter. Oder er notierte bestimmte Wörter oder Passagen mit diesem ganz besonderen Farbton

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wie kleine rote Städte innerhalb der schwarzen Textlandschaft, die ihm seine Mitbrüder übergeben hatten. Bei anderen Aufträgen war es wichtig, Verzierungen mit roter Tinte auf den gefalteten Blättern vorzunehmen, damit ihre wichtige Bedeutung hervorgehoben wurde. »Hier!« Bernhards Gedanken wurden unterbrochen: Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Wilhelm war aufgestanden und zu ihm ins Eck gekommen. Er lächelte Bernhard an: »Ein bisschen Energie für dich.« Und er reichte ihm einen Apfel aus ihrem Garten. Heute Abend hatte Bernhard Glück: Als er zurück zu seinem Platz gegangen war, hatte er noch den zuckerigen Geschmack des Apfels auf den Lippen. Und dann traf ihn die süße Erkenntnis, dass die restlichen Seiten seines Auftrags nur noch mit kleinen Details verziert werden mussten. Mit dem Einsetzen der Vesper-Glocke machte er seinen letzten roten Punkt – und einen Strich unter diesen Auftrag. Zufrieden legte er die schwarz und rot beschriebenen Lagen und Blätter zum Trocknen aus und räumte seine Gänsekiele und die Tinte zurück in den Schrank. Dann wusch er sich die Farbe von den Händen und gab Konrad Bescheid. Er könnte am nächsten Werktag mit seiner Arbeit beginnen. Mit den letzten Sonnenstrahlen blies der Benediktiner die Kerze an seinem Tisch aus. Er verließ das Scriptorium und ging zum Abendgebet in die Klosterkirche nach nebenan. – So oder so ähnlich könnte man es sich vorstellen: den Arbeitsalltag in einem frühmittelalterlichen Coworking-Space. Coworking hat in der Kirche Tradition – und es ist gut, wenn sich Christ*innen dessen bewusst werden. Wenn sie wieder beginnen, darüber nachzudenken, wie sie arbeiten wollen. Mit wem. Und wofür. Drei wichtige Fragen, die jedes Coworking ausmachen. Drei Fragen auch, die die Zukunft der Kirche ausmachen: Wie soll in, für und manchmal auch trotz Kirche gearbeitet werden? Mit wem soll in Kirche gearbeitet werden? Aber vor allem: Wofür und woraufhin soll das passieren? Coworking und Kirche – das ist mehr als »nur mal eben« ein paar kreative Projekte und neue Orte zu etablieren. Mehr noch hat Coworking in der Kirche nicht nur Tradition, sondern ist eine Möglichkeit, vielfältige Zukünfte zu schaffen – für Christ*innen, und was mindestens genauso wichtig ist: für viele andere auch.

Coworking-Spaces sind das, was Klöster früher waren

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Gute Orte der Innovation, der Community und der Kombination Klöster mögen als Orte der Innovation in der allgemeinen Wahrnehmung nicht mehr präsent sein. Dafür sind nun andere Orte in Gesellschaft und Kirche in den Vordergrund gerückt. Für manche waren und sind es vielleicht Ateliers und Hochschulen, Fabriken und Labore, aber eben auch Coworking-Spaces. Doch Klöster waren lange Zeit die Räume, in denen – wie in den Coworking-Spaces heute –, an Neuem gearbeitet wurde. Orte, an denen das nicht nur für Einzelne, für eine Institution oder aus reinem wirtschaftlichen Interesse geschieht, sondern sich die Orientierung nach dem Neuen einen Bezug zu einer Community und einen guten Ort gesucht hat. Das ist auch das, was Coworking-Spaces heute von anderen Kontexten der Arbeit unterscheiden kann: die Entdeckung und Erfahrung, dass es sowohl für ein gutes Arbeitsleben als auch für das Neue Verbündete und eine angemessene Atmosphäre braucht. Dass man nicht allein an Innovationen arbeiten kann. Dass verschiedene Perspektiven, Fähigkeiten und Ressourcen notwendig sind. Dass Schönheit und Ästhetik Einfluss haben. Dies ist eine entscheidende Erkenntnis auch für kirchliche Transformationsprozesse heute: Es geht nicht allein. Und sicherlich nicht mal eben so. Ein Kloster im Mittelalter hatte in der Regel ein Scriptorium, in dem Brüder wie Bernhard, Wilhelm und Notger mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Funktionen als Gemeinschaft arbeiteten – eine Schreibwerkstatt, in der Auftragsarbeiten für die Mächtigen und Reichen und für das Kloster erledigt wurden: Urkunden, Bücher und Kodizes – die digitalen Zertifikate und Formulare, Apps und Wikis der damaligen Zeit. Deren Inhalte als Texte und Illustrationen wurden von den Ordensleuten entwickelt, zusammengestellt, und manche immer wieder reproduziert und miteinander kombiniert. Daraus entstanden Werke, die – übergeben an die Auftraggeber – wiederum ihre Funktion hatten, ihre Wirkung entfalten und Werte darstellen konnten. Wie in diesen Klöstern damals, wird heute in Coworking-Spaces an neuen Techniken gearbeitet, Gedanken transportiert, Werte vermittelt und Wissen zugänglich gemacht. Die Klöster und ihre Orden griffen nicht nur auf ihre Gemeinschaften als Ressourcen, sondern auf ein ganzes Netzwerk von anderen Klöstern zurück. Das Neue entstand nicht nur deswegen, weil man vor Ort eine Community war, sondern weil man sich

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über den eigenen Kontext hinaus viele weitere Verbündete gesucht hatte und mit ihnen Techniken und anderes Wissen austauschte – auch um die Qualität der Produkte zu steigern, um besser und sinnvoller zu arbeiten, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Alles das, was durch Austauschprogramme, Veranstaltungsformate und digitale Netzwerke, aber auch in der Begegnung am Kaffeeautomat in Coworking-Spaces in einer vergleichbaren Weise passieren kann. Theologisch lässt sich das noch in einer anderen Weise denken und beschreiben: Man sagt, dass ein wichtiger Aspekt von Innovation der Vorgang der Kombination ist – Neues entsteht, weil Dinge zusammengebracht werden, die es so vorher nicht in dieser konkreten Verbindung gab. Ein Telefon und ein kleiner Computer wurden zum Beispiel zu dem, was wir uns heutzutage kaum mehr wegdenken können: das Smartphone. Die Menschen in den Klöstern des Mittelalters waren meisterlich im Umgang mit Kombinationen: Man brachte neue Techniken der Herstellung zusammen und bündelte Inhalte und Gedanken. Sie haben auf ihre Weise »kon-textualisiert«, also zum Beispiel nicht nur Texte eins zu eins abgeschrieben und verziert, sondern ihnen weitere Texte und Textgenres zur Seite geschrieben. Texte, Illustrationen und Formate kombiniert und so in einen neuen Zusammenhang gebracht. Innovation, die aus einer Kombination von Dingen entsteht, lässt sich theologisch als Inkulturation oder als Kontextualisierung bezeichnen. Etwas, das man als christliche Essenz versteht, sucht sich einen Kontext, in dem sie in einer neuen Weise ins Leben gerufen wird. Innovation ist also eine neue Weise, über die Essenz von Dingen nachzudenken. Und diese neue Weise setzt sich zusammen aus Dingen, die es an sich vielleicht schon gegeben hat, aber in einer solchen Weise noch nicht mit der Essenz in Verbindung gebracht wurden. Wie kann zum Beispiel das christliche Stundengebet als eine Form der Spiritualität bei TikTok aussehen? Wie sehen Exerzitien aus, die wie Kochkurse gestaltet werden? Oder, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Wie sieht ein Pfarrbüro aus, das sich wie ein Coworking-Space organisiert? Wie sieht ein Coworking-Space aus, der sich am Klosterleben orientiert? Die Funktion von Innovation als Kombination ist eine große Option von und für Coworking-Spaces im kirchlichen Kontext, und zwar in einer doppelten Weise: Christliche Coworking-Spaces können erstens zu einer Kontextualisierung beitragen, indem sie über christliche Essenzen in einer neuen Weise nachdenken. Zum Beispiel wenn sie jüdisch-christliche Coworking-Spaces sind das, was Klöster früher waren

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(und benediktinische) Werte wie den der Gastfreundschaft ganz konkret erlebbar machen – besonders für diejenigen, die mit Kirche und Glaube nichts verbinden. Wenn sie gute Orte schaffen, die Freundlichkeit und Vertrauen ausstrahlen. Orte, zu denen man gern kommt. Orte, an denen man bleiben kann und zwar genau in der Weise, Nähe und Distanz, die man braucht. Christliche Coworking-Spaces können aber zweitens auch Orte werden, an denen Instrumente und Werkzeuge, Erfahrungen und Wissen aus gesellschaftlichen, künstlerischen und wirtschaftlichen Kontexten für kirchliche Fragestellungen zugänglich werden. Diese Orte tragen damit in einer besonderen Weise dazu bei, dass sich Kontextualisierung in ihrer notwendigen doppelten Dynamik zeigen kann: aus dem, was aus christlicher Sicht zu geben ist, und aus dem, was man gesellschaftlich wertschätzen, lernen und nutzen kann. So sind Coworking-Spaces auch in und für Kirche gute Orte. Orte der Innovation, der Community und der Kombination. So wie es die Schreibstuben der Klöster früher einmal waren.

Ora et labora et lege

»Und der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich und sagt wieder: ›Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?‹« (Regula Benedicti Prolog, 14 f.) Viele monastische Traditionen basieren auf der Regula Benedicti (RB) aus dem 6. Jahrhundert – der Benediktsregel. Der Heilige Benedikt von Nursia gilt als ihr Verfasser und damit als einer der großen Gründer*innen der christlichen monastischen Tradition. Die Regel, eine Art Protokoll, entwickelte er ursprünglich als Handreichung für seine eigene Gemeinschaft. Sie wurde also aus einem ganz konkreten Zweck erstellt. Aber im weiteren Verlauf der Zeit hatte der Text einen großen Einfluss auf den Orden der Benediktiner, auf weitere Ordenstraditionen und auf die gesamte Kirche. Orden galten lange Zeit als die Innovationsorte der Kirche und ein Grund dafür ist sicherlich die Innovationsfreude der Regel des Benedikts. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat das einmal in einem Vortrag reflektiert, der als Band unter dem Titel »Zeit der Orden?« erschienen ist. Orden waren bei ihm Orte der Innovation, produktive Vorbilder, Korrektive und Schock der Kirche. Sie hatten diese Funktion,

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weil sie einerseits an »die Ränder« gegangen sind – an neue Orte, in neue Kontexte. Aber auch, weil die Orden in einer besonderen Weise etwas einüben, das man auf verschiedenen Ebenen als Ganzheitlichkeit bezeichnen könnte. Ganzheitliche christliche Nachfolge zum Beispiel. Für Ordensleute endet die eben gerade nicht mit dem Abschluss eines Gottesdienstes oder einer Liturgie. Sie steht mit ihnen auf und geht mit ihnen zu Bett. Ganzheitlich also auch mit Blick auf die gesamte Lebensgestaltung beispielsweise im Verhältnis von Arbeit, Spiritualität, Community. Und spätestens hier fühlt man sich erinnert an Fragen, die es im CoworkingBereich auch gibt: Wo fängt die Arbeit an? Welche Beziehungen pflegt man im Zusammenhang mit der Arbeit? Wie ist man Team, wie Gemeinschaft? In welchem Verhältnis steht die technische Seite einer Arbeit mit förderlichen Aspekten wie Meditation oder Sport? Dass Kirche, aber auch die Welt und ebenso die Arbeitswelt in dieser Weise (gute) Orte der Innovation nötig hat, ist unbestritten. Dass dabei die Benediktsregel weiterhin eine Rolle spielen könnte, kommt mindestens auf ein paar Versuche an. Innovationsagenturen wie »Dark Horse« haben das vor Jahren bereits entdeckt. Der Text der Regel wiederum wurde in den Jahrhunderten seit seiner Entstehung auf viele unterschiedliche Weisen interpretiert. Auch im Hinblick auf (soziale) Innovationen ist er eine Inspiration und das macht neugierig (vgl. Cottica 2013). Es zeigt sich z. B. in der Regel, dass Benedikt auf Erfahrungen und Experimente Wert legte und diese auch als Lernprozesse verstand. Sie waren wichtig für sein Leadership-Verständnis, das im Kern darin bestand, eine gute Balance zwischen Stabilität und Veränderung zu finden. Diesem Gedanken schließt sich an, dass man gut erkennt, dass Benedikt dem Handeln einen wichtigen Stellenwert gab: Arbeiten und konkretes Tun sind wichtige Elemente der Nachfolge, die Benedikt mit seinen Brüdern entwickelt hat. Die Regel selbst besteht vor allem aus Rollenbeschreibungen, die dabei hilft, das gemeinsame Arbeiten und Leben in einer transparenten Weise zu strukturieren. Im Unterschied zu anderen Regelungen seiner Zeit deutete Benedikt die Leitung einer Gemeinschaft nicht im hierarchisch-herrschenden Sinn, sondern dienend-ermöglichend: Leitung als Gastgebe*r von Gastgebenden. Die Regel selbst war so gestaltet, dass sie adaptierbar war – sie wurde behandelt wie OpenSource-Software: Man konnte sie sich zum Vorbild nehmen, und vor Ort, im eigenen Kontext, etwas Neues daraus machen. Diese Eigenschaft war die Grundlage ihres Erfolges, denn auf diese Weise verbreitete sich der Coworking-Spaces sind das, was Klöster früher waren

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Text und sorgte gleichzeitig dafür, dass die darin zum Ausdruck kommenden Haltungen nicht in politischen Streitereien untergingen. Benedikt hat nicht den Konflikt auf institutioneller Ebene gesucht, sondern mit konkreten Hacks an der Kultur gearbeitet, in der religiöses und gesellschaftliches Leben eingeübt wurde. Dies war seine (nicht so) geheime Innovationssuperpower. Coworking-Spaces sind ganz im benediktinischen Sinn, Orte in denen all diese Aspekte realisiert werden können. Sie sind in erster Linie gastfreundliche Orte, Orte, zu denen man gern kommt. Und zwar genau so, wie man ist. Coworking-Spaces sind ganz im benediktinischen Sinne Orte für Experimente, fürs Machen. Orte, an denen eine Community Grundlage für die Arbeit am Neuen werden kann. Und Orte, an denen bewusst an der Kultur von Leben, Arbeiten und Gemeinschaft gearbeitet wird. In einer solchen Weise erinnern sie im kirchlichen Kontext daran, wie schon einmal Erneuerung gelungen ist. Hin und wieder wird die Regel des Benedikt mit dem Wort »Ora et labora«, also »Bete und arbeite«, in Verbindung gebracht. Im Text der Regel findet man das so allerdings nicht, das Wort selbst stammt aus dem späteren Mittelalter und eigentlich müsste es heißen: »Ora et labora et lege« – »bete und arbeite und lies«. Und vielleicht ist das der goldene Kern in alle dem: Für das Neue in Kirche, Gesellschaft und Arbeitswelt braucht es eine Balance zwischen dem, was man einfach mal macht, dem was man sein lässt, und dem, was man reflektiert. Und in diesem Sinne als Coworker*in das Leben zu lieben und den Blick auf die guten Tage zu richten. Maria Herrmann ist katholische Theologin und war einige Jahre im Bereich Webdesign und Social-Media-Konzeption selbstständig tätig, u. a. für das Bistum Hildesheim. Seit 2020 ist sie Referentin für strategische Innovation in der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim. Darüber hinaus promoviert sie zu Komplexitätsforschung, Mission und den Fresh Expressions of Church (Neue Ausdrucksformen von Kirche).

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Maria Herrmann

2.2 Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirche eine geistliche Entscheidung Thomas Schalla

Die Kirchen werden nach dieser Dekade kleiner sein. Das ist ein quantitatives Szenario, noch keine Aussage über ihre geistliche Kraft. Auch im Jahr 2030 wird das Evangelium von Jesus Christus den Zeitgenossen verkündigt. Die Menschen werden in ihren Lebensstationen begleitet und in plausiblen, einladenden, bewegenden und authentischen Formen christlichen Lebens miteinander leben. Auch in zehn Jahren werden wir eine Kirche sein, die reich ist an geistlichem Leben und an vielen Orten und in vielfältigen Formen präsent. Wir sind auch in Zukunft eine öffentliche Kirche, in der Gesellschaft verankert durch Bildung und Diakonie und mit politischer Verantwortung für das Gemeinwesen. Kirchen in Deutschland werden weniger hauptamtliches Personal und weniger Gebäude haben. Es wird nicht alles machbar sein, was heute noch wichtig ist. Deshalb müssen bei den ekklesiologischen und strategischen Grundentscheidungen heute Prioritäten gesetzt werden: mit Blick auf inhaltliche Arbeitsschwerpunkte, Gebäude, Personal und organisatorische Strukturen. Die Gebäude der Kirchen sind steingewordene Theologie. Sie sind an erster Stelle ein Zeichen für den Segens- und Heilungsdienst des Evangeliums an der Stadt. Dabei geht es nicht allein um Kirchen oder Gemeindehäuser. Auch Kindertagesstätten, Beratungseinrichtungen der Diakonie oder Evangelische Schulen sind Orte mit geistlicher Ausstrahlung. Der Umgang der Kirche mit ihren Gebäuden hat deshalb immer eine geistliche Dimension. Auch mit ihren Gebäuden ist die Kirche sichtbarer Ausdruck für Gottes guten Willen. Sie geben der Stadt eine orientierende Struktur. Sie helfen den Menschen persönlich, in der Welt einen eigenen Weg zu finden und stehen für die Möglichkeit, dass es solche Wege zu einem guten und gelingenden Leben in der Stadt auch gibt. In der Stadt treffen unterschiedliche Ambivalenzen unmittelbar und schon immer aufeinander. Die Unterscheidungen in Arm und Reich, von heimischen Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirche eine geistliche Entscheidung

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und fremden, von religiösen und nichtreligiösen, von alten und jungen Menschen sind im städtischen Kontext besonders virulent. Sie müssen partizipativ bearbeitet werden, damit in diesen Ambivalenzen ein menschenfreundliches Miteinander wachsen kann. Kirchen bieten Räume, in denen das Miteinander wachsen kann. Die Kirchenräume gewinnen zunehmend wieder an Faszination, weil ein anderes Bild des Lebens hier seinen Ort hat und vor Gott die Frage nach dem guten Leben immer wieder neu gestellt werden kann. Die Kirchen zeigen im Stadtbild, dass sie in die Welt gehören und weisen ebenso klar auf die Grenzen menschlicher Möglichkeiten. Politischer Raum, wirtschaftliches Denken und geistliche Macht gehören in der Entwicklung der Städte zusammen. Kirchen sind in den Städten Symbole für die Begrenzung der Macht durch Gott. Sie sind zugleich zunehmend die letzten öffentlichen Räume in den Quartieren, weil im städtischen Umfeld der dringend benötige Wohnraum immer mehr Nachverdichtungen erforderlich macht. Kirchen stehen mit ihren Liegenschaften deshalb in einer doppelten Verantwortung: Sie sind Kristallisationspunkte für Gottes guten Willen für seine Schöpfung und begrenzen heilsam menschliche Macht. Gleichzeitig stellen sie der Zivilgesellschaft öffentliche Räume für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung. Beide Dimensionen geraten durch die Mitgliederentwicklung und die begleitenden finanziellen Einbußen unter Druck. Die Entwicklung der kirchlichen Gebäude hängt eng zusammen mit theologischen Grundentscheidungen. Kirche versteht sich mit dem Hebräerbrief als »wanderndes Gottesvolk«. Das Augsburger Bekenntnis kennt nur zwei wesentliche Merkmale für die Kirche: die Predigt des Wortes Gottes und die Feier der Sakramente. Weder das Neue Testament noch die Bekenntnisschriften gehen von einer festgelegten Sozialgestalt der Kirche aus oder machen Aussagen über Anzahl oder Beständigkeit ihrer Gebäude. Kirche ist wandelbar und hat sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verändert. Der Besitz von Kirchen und Gemeindehäusern, Pfarrhäusern, Kindertagesstätten oder diakonischen Einrichtungen ist einerseits zweifellos in den zurückliegenden Jahrzehnten in Deutschland ein Segen für die Menschen gewesen. Andererseits haben die Kirchen aller Denominationen an Einfluss auf die Alltagsgestaltung der Menschen verloren. Individualisierung, Pluralisierung und Säkularisierung prägen die westeuropäische

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Thomas Schalla

Kultur. Der kirchlich geprägte Lebensrhythmus verliert zunehmend an Bedeutung, nur noch in traditionell geprägten Milieus haben kirchliche Vorgaben eine orientierende Funktion. Diese Milieus werden kleiner. Modernere Milieus wachsen dagegen. Die Menschen leben hier in weniger vorgegebenen Bahnen und wollen/müssen ihre Lebensentwürfe ohne Rückgriff auf traditionelle Ressourcen immer wieder neu erfinden. Die großen Organisationen verlieren in diesen Milieus ihre Bindekraft – das gilt für Parteien ebenso wie für Gewerkschaften oder Kirchen. Die Lebensmodelle der Menschen in den westlichen Demokratien werden insgesamt vielfältiger. Die Suche nach Sinn oder Antworten auf Lebensfragen ist ungebrochen, aber die Antworten werden schon lange nicht mehr ausschließlich in der Kirche gesucht. Wenn Kirchen wieder neu den Weg zu den Menschen finden wollen, müssen sie diese gesellschaftlichen Veränderungen wahrnehmen. Der Auftrag Jesu Christi, das Evangelium an alles Volk weiterzugeben, braucht heute andere Antworten als in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Kirchen müssen sich wieder neu der Orte und Präsenzen erinnern, mit denen sie in vielfältiger Weise mit dem Leben der Menschen verbunden sind. Der Nahbereich im Quartier lebt von vielen Akteur*innen, die den Sozialraum nachbarschaftlich gestalten. Die bewusste Gestaltung der Beziehungen zu den Partner*innen wird den Gemeindeaufbau und den Umgang mit den kirchlichen Räumen verändern.

Kirchliche Präsenz in den Sozialräumen Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirchen eine theologische Entscheidung. Im Nahbereich begleiten sich die Menschen und teilen Sorgen und Hoffnungen miteinander. Die Lebensbedingungen für Senior*innen, Freiräume für Kinder und Jugendliche, Plätze für die Begegnungen der Bürger*innen, öffentliche Räume für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs – in allen diesen Bezügen sind auch die Kirchen mit ihren Angeboten und Liegenschaften präsent. Nicht immer hängt das an Kirchengebäuden. In manchen Stadtteilen ist die Kindertagesstätte oder das evangelische Kinder- und Familienzentrum der Ort für Begegnung der Menschen miteinander und mit dem Wort Gottes. Wenn Krankenhäuser das Leben im Quartier prägen, können die Krankenhauskapellen die Kirche des Stadtteils sein. Gemeindezentren können Bürgervereinen oder Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirche eine geistliche Entscheidung

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Stadtteilbibliotheken Heimat bieten. Die Möglichkeiten sind vielfältig – es kommt zunächst darauf an, den Sozialraum als geistliche Herausforderung zu verstehen. Wenn die Vielfalt der kirchlichen Orte wertschätzend wahrgenommen wird, kann auch der Gemeindeaufbau offen für Kooperationsbeziehungen gestaltet werden. Kirchen werden so zu Teilen der sozialen Netzwerke und sind auf diese Weise mit ihrem Auftrag an der Seite der Menschen: das Wort Gottes in Worten und Taten weiterzugeben.

Konzepte für kirchliche Räume Es spricht derzeit viel dafür, dass in den nächsten Jahren der Bestand an kirchlichen Liegenschaften nicht mehr dauerhaft finanzierbar sein wird. Das ist nicht das Ende der Kirche. Es wird in den nächsten Jahren darauf ankommen, die Konzepte für die kirchlichen Präsenzen mit dem Blick für das Mögliche und Notwendige zu entwickeln. Dazu gehören in erster Linie theologische Entscheidungen, die zur Entwicklung von Schwerpunkten und kirchlichen Profilen führen. Wir brauchen auch zukünftig Kirchen, die groß genug sind: Kirchenmusik, Festgottesdienste, repräsentative Veranstaltungen oder Konfirmationen erfordern entsprechend Platz und Ausstattung. Aber nicht mehr alle Kirchen müssen diese Größe vorhalten. Die Raumqualitäten müssen verbunden werden mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit. Geistliche Begleitung in Meditation und Gebet braucht andere räumliche Voraussetzungen als eine Jugendkirche oder diakonische Angebote. Bildungsarbeit oder diakonische Arbeitsfelder haben je ihre eigenen Anforderungsprofile. In Kirchen und Gemeindehäusern soll weiter Gottesdienst gefeiert werden, aber auch hier brauchen unterschiedliche liturgische Traditionen verschiedene Raumangebote. Die Arbeit an konzeptionellen Nutzungserweiterungen von Kirchen und Gemeindehäusern wird eine wichtige Voraussetzung dafür werden, ob wir auch zukünftig Kirchenland in Kirchenhand behalten werden können. Multifunktionale Optionen für die Nutzung von kirchlichen Räumen wären hilfreich, um Kirchen zu erhalten, Kosten zu teilen und Schwerpunkte zu entwickeln: Traukirchen, Kolumbarien und Grablegen, städtische Bibliotheken, Schutzräume und Frauenhäuser, Refugien, Klöster, Konzerträume oder Konservatorien – es gibt viele Akteur*innen, mit

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Thomas Schalla

denen in der Zusammenarbeit neue Perspektiven auf kirchliche Räume entstehen können. Kirchen sind energetisch herausfordernde Räume. Auch aus diesem Grund werden langfristige Entscheidungen notwendig sein, um Kirchräume, die erhalten bleiben, entsprechend den klimapolitischen Zielen der Kirchen zu ertüchtigen. Die Suche nach neuen Nutzungskonzepten für Gemeindehäuser ist dagegen einfacher. Auch hier ist der Verkauf nicht die vorrangige Option. Aber die Gemeindehäuser sind in der Regel energetisch unproblematischer und leichter für Kooperationen mit Partner*innen umzubauen. Auch hier wird am Anfang die Frage stehen, wie Kirchen sicherstellen können, dass Gemeindehäuser öffentliche Räume bleiben können. Die Nutzung der Gemeindehäuser für andere kirchliche Arbeitsfelder, z. B. für diakonische Einrichtungen, als Kindertagesstätten oder als Bildungshaus, steht sicher bei der Suche nach neuen Perspektiven an erster Stelle. Gemeindehäuser stehen aber auch in besonderer Weise für die Kirche der Schwestern und Brüder, in der Ämter keine Herrschaft der einen über den anderen begründen. Geselligkeit, der Austausch unter Gleichen, der Verzicht auf die Kanzel – mit den Gemeindehäusern ist ein demokratischer Grundimpuls verbunden. Es wäre wichtig, in der Entwicklung von erweiterten Nutzungskonzepten mit nichtkirchlichen Akteur*innen diesen Anspruch nicht aufzugeben. Die Einrichtung von Coworking-Spaces in Gemeindehäusern ist deshalb eine sehr gute Möglichkeit, die gemeinsame Verantwortung der Kirchen und ihrer Partner*innen für die Zukunft des Zusammenlebens auch in den eigenen Räumen zu fördern. Aber auch Kooperationen mit Bürgervereinen, städtischen Organisationen oder Partner*innen aus dem Kulturbereich liegen für die Zukunft der Gemeindehäuser nahe. Für die Erarbeitung von Nutzungskonzepten für Kirchen und Gemeinde­ häuser muss verstärkt auch nach ökumenischen Perspektiven gefragt werden. Die Ökumene der Liegenschaften könnte helfen, den Kostendruck auf evangelischer und katholischer Seite zu verringern und gleichzeitig mit einem Signal der Einheit zu verbinden. Wo die eine im Quartier die Kirche behält, kann die andere das Gemeindehaus beisteuern; belebt wird beides von beiden Konfessionen miteinander. Diese ökumenische Perspektive erweitert sich insbesondere in den Städten um die größere Ökumene in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und um die interreligiösen Beziehungen. Freikirchen Der Weg in den Sozialraum ist für die Kirche eine geistliche Entscheidung

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oder andere Religionsgemeinschaften sind gleichermaßen auf der Suche nach geeigneten Räumen. Die theologischen Herausforderungen für Kooperationen oder Verkauf sind hier sicher größer. Gleichzeitig wachsen aber auch gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen.

Wie es weitergeht und was bleibt Der Verkauf von Kirchen oder Gemeindehäusern bleibt die Ultima Ratio. Auch wenn das in manchen Fällen nicht mehr zu vermeiden sein wird, sollten die Kirchen in den kommenden Jahren vor allem in kirchliche Entwicklungsgesellschaften investieren. Erweiterte Nutzungskonzepte, kluge Verkaufsstrategien, effektivere Vermarktung von kirchlichen Räumen sind Chancen für die Gebäude und für die Präsenz der Kirchen in den Netzwerken der Gesellschaft. Jetzt sollte die Zeit genutzt werden, um exemplarisch zu zeigen, wie unterschiedliche kirchliche Arbeitsfelder und kommunale Partner*innen unter demselben Dach zu gegenseitigem Nutzen zusammenarbeiten können. Kirchen bleiben mit ihren Gebäuden ein sichtbares Zeichen für die private, öffentliche und institutionelle Präsenz der Kirche in der Stadt und für den lebendigen christlichen Glauben in ihren Gemeinden. Sie zeigen: Gott gehört in unsere Welt. Kirchen sind Orte für das Innehalten der Menschen vor Gott, Anwälte für das Leben und offen für Fremde und Fremdes. Kirchen werden auch zukünftig in unsere Stadt gehören. Sie sind unverzichtbar als Wärmestrom der Zivilgesellschaft, als Mahner für die Grenzen menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten und als Zeichen für Gottes guten Willen für seine Welt. Auch mit neuen Konzepten werden die Menschen in den kirchlichen Räumen und Präsenzen etwas von diesem Geist der Güte erleben. Dr. Thomas Schalla ist Dekan der Evangelischen Kirche in Karlsruhe, von 2008 bis 2014 war er Landesjugendpfarrer der Evangelischen Landeskirche in Baden, davor Pfarrer der Matthäus­gemeinde in Karlsruhe.

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Thomas Schalla

2.3 Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

Sabrina Müller berät seit 10 Jahren Kirchen und Kirchgemeinden, die sich auf den Weg machen und sich neu ausrichten wollen. Dabei steht aber nicht die Mitgliedergewinnung im Zentrum. Teil der strategisch-theologischen Beratung ist das Empower­ment von Menschen, um das Allgemeine Priestertum zu stärken. Für die Frage nach neuen Leitungs- und Organisationsformen von Kirche wurde sie unter anderem von Frédéric Laloux, Autor des Buchs »Reinventing Organizations« (2015), inspiriert. Du forschst zu Kirchenentwicklung. Warum? Grundsätzlich haben mich Bewegungen in Kirche immer interessiert. Ihre verschiedenen Ausdrucksformen faszinieren mich! Bevor ich überhaupt begann, Theologie zu studieren, war ich in den USA und arbeitete in einer Megachurch mit. Ich selbst bin nicht kirchlich aufgewachsen, habe aber in einer sehr tollen, lebendigen Landeskirche in Gossau Jugendarbeit erlebt. Ich war aber schon immer an unterschiedlichen Gemeindeformen interessiert und so bin ich dann z. B. mit 16 Jahren in England in einem charismatischen Gottesdienst gelandet, der den Toronto-Segen praktizierte. (lacht) Seit meinen Auslandsaufenthalten hat mich immer auch das Interkulturelle interessiert. Ich fand heraus, dass es eine Bewegung gibt, die »Emerging Church« heißt, und schließlich auch, dass es Bewegungen in anderen Kirchen gibt, die Veränderung auslösen: die Fresh Expressions of Church (fxC/Fresh X). Dadurch, dass ich zu den Fresh Expressions promovierte, bekam ich viele Anfragen und publizierte darüber in vielen Artikeln. Daraufhin begann ich mit einer Habilitation in der Praktischen Theologie und übernahm die Leitung des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich. Schon im Studium war Praktische Theologie meine Leiden­schaft. Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen

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Seit elf Jahren begleite ich Gemeinden und Kirchen durch Impulsreferate, Beratung oder Studienreisen. Alles, was hilft, das Bild von Kirche zu öffnen und zu erweitern, interessiert mich. Welche Themenbereiche bietest du Kirchgemeinden an? Das sind Themen wie Veränderung von Kirche global und regional, gelebte Theologie, das Allgemeine Priestertum, kirchliche Biodiversität, aber auch digitale Religion und Kirche. Meine Themen hängen immer auch mit meinen Forschungsschwerpunkten an der Universität Zürich zusammen. Ist es dir möglich, eine kleine Ist-Analyse der schweizerischen Kirchenlandschaft in Hinblick auf Veränderung und Beweglichkeit zu treffen? An dieser Stelle verweise ich auf Laloux und seine Sicht der Organisationen nach einer bestimmtem Weltsicht.

Abb. 1: Übersicht organisatorischer Paradigmen (nach: Frédéric Laloux, Reinventing Organizations, © Ulrich Gerndt, change factory GmbH/Kurt Specht)

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

Hier werden unterschieden: Rot: Die impulsive Weltsicht: Top-down-Autorität, Arbeitsteilung Bernstein:  Die traditionelle konformistische Weltsicht: klare Rangordnung, Stabilität, Sicherheit, Rolle Orange:  Die moderne leistungsorientierte Weltsicht (der Klügste steigt die Leiter auf): Personalmanagement, Mentoring, Coaching, Talentmanagement Grün:  Postmoderne pluralistische Weltsicht Familie, Gemeinschaft, wo jede*r seinen Platz hat. Das Glück jeden Mitglieds ist für den Gesamterfolg des Ganzen wichtig. Petrol:  Die integrale evolutionäre Weltsicht: Selbstführung, Ganzheit und evolutionäre Sinnausrichtung, Eigentümerschaft, gemeinsames Verstehen, Forum für Gespräche Kirche wird von Laloux explizit bei den bernsteinfarbenen Modellen eingeordnet und ich stimme ihm zu, auch wenn sie sicher etwas beweglicher geworden ist. Aber sie hat tendenziell hierarchische Strukturen. Sie ist in Bezug auf Leitungsstrukturen noch weit weg von dem, was der holistische Ansatz meint. Geht es ihr um das Sichern von Macht? Nicht unbedingt. Nicht ausschließlich. Schulen, Universitäten und Kirchen ordnet Laloux unter der sogenannten »formalen Hierarchie« ein. Die Logik von Institutionen beruht auf dem Herstellen von Sicherheit, Stetigkeit, Stabilität und dem Vermitteln von Werten. Natürlich haben wir viele Einzelpersonen, die neu denken – aber die Organisationsstruktur ist im Kern wirklich träge. Kirche ist wie gesagt bernsteinfarbene Organisation und nicht agil. Wieso bist du gerade bei Frédéric Laloux gelandet? Es gibt viele tolle Autor*innen, die Organisationen neu denken. Mich hat bei ihm besonders angesprochen, wie er agile Sinndeutung und Ganzheitlichkeit integriert. Es gibt jede Mengen Anspielungen auf ReichGottes-­Metaphern. Natürlich ist er kein Theologe, aber die Reich-Gottes-­ Thematik ist überall drin. So erinnert mich seine petrolfarbene Organisation beinahe an neutestamentarische Visionen vom Reich Gottes, von Gerechtigkeit und Partizipation. Sie lässt sich kirchlicher Institution, wie sie derzeit etabliert ist, gut gegenüberstellen. Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen

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Geht Laloux’ Denkart für Kirche überhaupt? Muss er nicht von anderen ergänzt werden? Man kann immer von ganz vielen lernen! Laloux lässt sich natürlich vorwerfen, dass er sehr illusionistisch ist oder zu visionär. Das, obwohl er durchaus auch in einigen großen Organisationen erfolgreich umgesetzt wird. So oder so: Man kann sich auf jeden Fall inspirieren lassen! Theologie deutet immer weiter als das, was man sich vorstellen kann, weist hin auf eine Hoffnungsperspektive. Die Metapher vom Reich Gottes ist eine Hoffnungsmetapher! Es geht ja darum, Kirche nicht nur im strukturellen oder organisationalen Horizont zu denken, sondern als Vision, die innerhalb einer Bewegung und Gemeinschaft verbindet und diese erneuert. Wo lässt sich Laloux außerdem gut für Kirche übersetzen? Bei Religion kann man auch von »meaning-making systems« sprechen, die im Kern Sinngebungssysteme sind. Religion ist etwas, das dir hilft, Sinndimensionen zu entfalten. Diese sind bei Laloux stark beschrieben, für ihn gehören intrinsischer Sinn und Arbeit und Sinn und Organisation zusammen. Er ist damit natürlich nicht der Einzige. Alle, die komplexe Organisationen denken, wissen, dass diese Dimension eine Rolle spielt. So geht es bei Kirche im Wesentlichen bzw. zuerst um eine theologische und erst dann um eine strukturell-organisatorische Frage. Thema »Selbstverantwortung«: Kann der Mensch denn, so wie Laloux (2015) es beschreibt, wirklich Verantwortung übernehmen? Die Frage ist tatsächlich: Wie sehe ich den Menschen? Ich lese derzeit mit großem Interesse ein Buch des Wirtschaftspsychologen Tomas ChamorroPremuzic mit dem Titel »Why so many incompetent men become leaders and how to fix it«, auf Deutsch 2019 unter dem Titel erschienen: »Warum so viele inkompetente Männer in Führungspositionen sind: (und was man dagegen tun kann)«. Warum haben wir auf der Führungsebene so viele inkompetente Männer? So, wie wir Führung in Wirtschaftsunternehmen verstehen, bieten wir inkompetenten Männern jede Menge Plattformen. Ich bin jetzt etwas böse, ich weiß. Diese Tatsache gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für Kirche. Dort haben wir viele Männer in ganz vielen Leitungsebenen, die eine narzisstische Störung haben. Sie streben Machtstrukturen und nicht agile und selbstverantwortete Führung an und diese gerade dort, wo eigentlich Leidenschaft und Theologie eine

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

Rolle spielen sollten. Ich sehe dort ein echtes Problem. In Studien konnte aufgezeigt werden, dass gelingende nachhaltige Kirchenentwicklung letztendlich nicht vom Modell abhängt, sondern von der Haltung und der Leidenschaft der Menschen. Narzissmus und Inkompetenz schaden Unternehmen gleichermaßen wie den Kirchen. Und doch machen wir immer denselben Fehler, indem wir uns blenden lassen von selbstüberzeugtem Auftreten anstatt von Teamfähigkeit und von »Soft« oder besser »Human« Skills sowie diplo­matischer Entscheidungsfindung als wirklicher Kompetenz. Was wäre, wenn Kirche ein lebendiger Organismus würde? Für diese Frage ist die Metapher der »Mixed Economy« hilfreich, die ich gern mit »kirchlicher Biodiversität« übersetze. In einer kirchlichen Biodiversität haben viele theologische Ansätze und Gemeindeformen einen Platz! Biodiversität kannst du nicht kontrollieren. Vielleicht kannst du hie und da Borkenkäfer rausholen, ansonsten lässt du es wachsen. Wenn wir von Kirche sprechen, spiele ich aber ungern die Begriffe gegeneinander aus. Ich verwende für Kirche nicht allein den Begriff der Organisation, sondern immer auch die von Bewegung, Netzwerk und Insti­tution. Landeskirchen sind im Kern eigentlich eine organisierte Institution und nicht eine klassische Organisation und haben gleichzeitig auch immer den Bewegungs- und Netzwerkcharakter drin. Leider bekommt der Bewegungscharakter, neu entstehende Gemeindeformen zu wenig Beachtung und Geld. Im Moment hätten Kirchen eigentlich das Potenzial und das Geld, eine kirchliche Biodiversität zu fördern. Was hingegen doch für eine Institution spricht, ist, dass sie Öffentlichkeit erfährt. Ich halte es für gefährlich, wenn diese und damit der öffent­ liche Diskurs über Theologie verschwindet. Auch in Schulen sehe ich diese Tendenz. Man stoppt Polarisierung und Fundamentalisierung nicht damit, dass man nicht mehr öffentlich über wesentliche Frage der Religion oder Theologie redet, im Gegenteil. Wenn Kirche wachsen soll, soll sie dann einfach von der Wirtschaft lernen? Oder kirchliche Start-ups in Coworking-Räume verorten. Dann klappt das schon … (lacht) Auf kirchlichen Homepages ist ganz häufig eine Angebotsorientierung zu entdecken: Kirche versteht sich als Wirtschaftsorganisation und kopiert diese Mechanismen und Marktlogiken. KirchenentwickEmpowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen

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lung wird dann folgendermaßen verstanden: Wir müssen uns im Markt der Religionen positionieren und an unserer »Angebotsstruktur« arbeiten. Das ist aber eine verengte Sicht. Es gibt noch andere Logiken als die reine Marktlogik. Kirche hat bessere Chancen, wenn sie sich nicht bloß als eine weitere Playerin auf dem religiösen Markt versteht. Wenn ich bei Beratungen frage »Wer seid ihr als Kirche?«, fängt man an, Angebote aufzuzählen. Man will »attraktional« sein. Man sagt: »Die Leute sollten doch wieder mehr zu uns kommen!« Ich frage dann zurück: »Warum sollen die Leute zu euch kommen, was habt ihr für eine theologische Vision, was ist eure Sendung?« Dabei geht es um qualitative, nicht nur um quantitative Fragen. Aber wenn Kirche nicht mehr weiß, wofür sie da ist, hat sie ein Problem. Wenn ich nicht weiß, wofür ich da bin, weiß ich auch nicht, was ich machen soll. Dann schreib ich einfach ein Mission-Statement und hänge es neben der Garderobe im Eingangsbereich auf? Das wäre schön und einfach. Aber die Sendung bzw. die Missio Dei vor Ort kann man nur theologisch gemeinsam erleben, erfahren, aufspüren. Der Auftrag von Kirche ist es, in die Welt zu gehen. »Geht!« In unserem Denken ist Kirche häufig mit einem Ort besetzt. Besser ist es, diesen zu verlassen, loszugehen und Menschen in ihrer Sinnfindung zu begleiten. Laloux (2015) erwähnt sogar die Armee, von der er sagt, dass sie nur deshalb funktioniere, weil jede*r total loyal und selbstverantwortlich seine Rolle wahrnimmt. Wir sind zwar keine Armee, pflegen aber in unserem reformatorischen Kern die Idee des Allgemeinen Priestertums. Das Allgemeine Priestertum besagt, dass jeder Mensch selbst vor Gott treten kann, selbst für seinen Glauben verantwortlich ist. Menschen können selbst über die rechte Lehre beurteilen. Wir brauchen keine Mittler*innen. Es geht am Ende um die theologisch-religiöse Selbstführung und damit Ermächtigung aller. Dann reden alle bei allem mit und wir sind endlos dabei, uns im Kreis zu drehen … Es ist doch so: Aktuell wird die Verantwortung delegiert. Die Idee vom Allgemeinen Priestertum ist noch nicht wirklich ausgereift oder angekommen. Wenn aber Menschen sich um Gott versammeln, dann geschieht Kirche. »Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

sind, da bin ich mitten unter ihnen«, heißt es so schön im Neuen Testament (Matthäus 18,20). Was du ansprichst, ist das Drehen um sich selbst. Das ist tatsächlich eine Kirchenkrankheit: Das ewige Drehen um sich selbst. Eigentlich sind wir in die ganze Welt gesendet. Was heißt das? Darüber gilt es zu diskutieren. Und nicht: Welches Lied singen wir? Wollen wir die Orgel renovieren? »Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.« (Laloux 2015, nach einem Sprichwort der Hopi) Das unterstreiche ich. Kirche ist aber inzwischen leider an den Rand der Gesellschaft geraten. Es hängt existenziell davon ab, dass wir die sind, auf die wir gewartet haben. Alles hängt von der Verantwortung ab, von der Leidenschaft von Priester*innen, die rausgehen und weniger von bezahlten Angestellten, die einfach nur ihren Job herunterreißen. »Wenn jeder Verantwortung trägt, denken alle mit.« (Laloux in: Klovert 2019; vgl. Laloux 2015) Das wäre eigentlich eine schöne Zusammenfassung des Allgemeinen Priestertums. Das verlangt aber, dass einander viel zugetraut und Freiheit für Innovation, Fehler und Versuche gegeben werden muss. Wir haben häufig Leute in Leitungsfunktionen, die ein altes Führungsverständnis haben oder, wie schon erwähnt, narzisstische Anlagen mit sich führen, da ist dann eben Macht und Kontrolle wichtig. Wenn ich Kirche auch als dynamisches Netzwerk verstehe, habe ich aber nicht mehr alles im Griff. Ein Netzwerk kannst du nicht kontrollieren, du kannst höchstens Impulse geben. Da prallen dann unterschiedliche Logiken aufeinander. Wir brauchen in der kirchlichen Leitungsebene Menschen, die nicht Recht haben, sondern mit den Leuten zusammen auf die Suche gehen und herausfinden, was richtig und falsch ist und an welchem Ort welche Organisationsform die passende ist. Du musst Menschen finden, die Lernprozesse unterstützen und begleiten, als Mentor*in und Coach*in. Du musst ein lernendes Netzwerk werden. Natürlich musst du Entscheidungen fällen – aber es ist eine andere und häufig gemeinschaftliche Haltung dahinter. Wie soll sich jemand verhalten, der sich in einer sehr verharzten Struktur aufhält? Ich kann keinen einfachen Ratschlag geben. Gewisse Menschen müssen ihre Kirche verlassen, einfach, weil es zu eng ist. Den anderen sage ich: Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen

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»Schließt« euch zusammen! Es gibt immer mehr Netzwerke, die aufbrechen. Es gibt immer mehr Erprobungsräume und Kirchenversuche. Wie man das schlussendlich nennt, ist nicht wesentlich. Ich habe in den letzten 10 Jahren Aufbrüche gesehen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie möglich sind. Vor 10 Jahren bin ich für meine Forschung ausgelacht worden. Jetzt lachen sie nicht mehr. Siehst du Beispiele von Aufbrüchen? Ich sehe Aufbrüche in Mitteldeutschland, Österreich, Hannover, es gibt mittlerweile schon zwei Berichte von Kirchen in Holland zu ihren Pioneering Places usw. Die Nordkirche fragt sich, wie man das Pfarramt verändern kann. In der Schweiz haben wir zwei Teilstudien zu neuen kirchlichen Gemeinschaftsformen durchgeführt. Da passiert viel! Die Street Church Zürich oder das Stadtkloster Zürich machen sehr bemerkenswerte Arbeit. Haben die traditionellen Kirchen noch eine Daseinsberechtigung? Auf jeden Fall. Das traditionelle System der Landeskirche bringt immer noch ein großes soziales Kapital. Wenn du die Freiwilligenarbeit bezahlen müsstest, müsstest du sehr viel Geld ausgeben. Kirche hat auch eine diakonische Daseinsberechtigung. Ich wünsche der Kirche nicht, dass sie diese Daseinsberechtigung als Institution verliert. Schließlich gibt finanzielle Sicherheit auch Geld für neue Erprobungsräume. Deine Einschätzung zum Thema »Coworking in kirchlichen Immo­ bilien«? Es gibt kirchliche Immobilien, die eine super Lage haben, da ist es gut, diese zu nutzen. Die Lösung ist aber nicht, dass wir in jeder Kirche einen Coworking-Space einrichten, es hängt vom Kontext ab. Und CoworkingSpaces sind mehr, als in eine Ecke eine kleine Tasse und Filterkaffee hinzustellen. Es ist etwas, das belebt werden muss. Häufig würde ich aber auch sagen: »Geht zu den Menschen! Dort, wo sie sind! Nutz öffentliche Coworking-Spaces und teilt die Arbeit und den Alltag mit Menschen.« Wie können kirchliche Coworking-Spaces anders sein? Es könnten Orte sein, in denen Freundschaft entsteht und die nicht gleich einem Zweck unterworfen werden. Hoffnung besteht dann, wenn ich

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

Coworking erst mal als Werkzeug sehe, wo es um Sinndeutung geht, um die Vision vom Reich Gottes. Coworking-Spaces sind einer dieser Kontexte. Beim Aufbau von Coworking-Spaces lassen sich dann viele von Wirtschaftsverbänden beraten … Warum nicht? Man geht zum Wirtschaftsverband, um organisationale Fragen zu klären. Ganz toll wäre, wenn man Kirche zum Menschsein, zu Sinnfragen und zum Community-Building befragen könnte. Hat Kirche das Mandat, die Welt der Arbeit zu erneuern? Es ist grundsätzlich ein Mandat der Kirche, Gesellschaftsdynamiken zu hinterfragen und Gesellschaft mitzugestalten, so z. B. den Kapitalismus, neoliberale Wirtschaftssyteme, moderne Sklavereien usw. zu hinterfragen. Auch heute noch machen wir Menschen zu Sklav*innen, wir nehmen sie aus. Der Mensch und seine Arbeitskraft dient im Wesentlichen großen Konzernen und deren Gewinn. Eigentlich aber sollte die Arbeit dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Hier, aber auch in ökologischen Fragen können und müssen Kirchen eine Stimme für die Schwachen sein. Was sie aber häufig nicht ist. Susi Meyer aus H. befindet sich in der Sackgasse. Sie liebt ihre Kirche, kann aber nichts verändern. Was soll sie tun? Ich würde sie fragen: Wo ist dein Netzwerk? Wo ist deine Leidenschaft? Wo sind Menschen, die Kirche anders erträumen? Könntest du mit diesen was machen? Wo kannst du mit den Menschen Kirche sein? Bilde ein Team von zwei drei Personen und fange einfach an. Gibt es einen Hebel zur Mitwirkung? Das Schlüsselkonzept ist, Menschen in ihrem Alltag zu empowern. Hat das auch mit Abgeben von Macht zu tun? Natürlich. Da kommt es darauf an, wie man das Neue Testament liest. Dort geht es immer um die Umkehrung von Machtstrukturen. Pfarrpersonen und Kirchenleitende müssen lernen, Teamstrukturen zu bilden. Nicht nur zum Kuchenbacken zu ermuntern, sondern wirklich theologisch teilhaben zu lassen und die theologische Sprach- und Handlungsfähigkeit von Menschen zu fördern. Empowerment oder Die Priesterschaft aller Gläubigen

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Können Frauen besser empowern? Ja! Ich weiß, das ist jetzt frech. Solange Systeme noch so hierarchisch sind, sind sie für Frauen auch nicht so attraktiv. Wie man sieht, sind sie eher dort vertreten, wo Teamführungsmodelle wirklich etwas gelten.

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sabrina Müller

Mettler

Dr. Sabrina Müller ist Theologische Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich. Seit Herbst 2015 befasst sie sich in ihrem Habilitationsprojekt mit dem Thema »Religiöse Erfahrung als Grundbegriff der Praktischen Theologie.« Vorher arbeitete sie sechs Jahre lang in der Evangelisch-Reformierten Kirche Bäretswil als Pfarrerin und promovierte zum Thema »Fresh Expressions of Church«.

© Ella

Mit Empowerment meinst du nicht das Repetieren des Satzes: »Du bist einfach total toll!« Nein! Es geht nicht um schwache Wertschätzung! Sondern darum, Leute theologisch echt zu fördern und zu fordern und in ihren Gaben und Fähigkeiten zu unterstützen. In Bezug aufs Allgemeine Priestertum geht es um kirchliche Alltagstheologie und Verantwortungsübernahme. Hier sehe ich die Theologie als einen der Schlüssel zu Demokratisierung von Theologie und auch der Gesellschaft.

2.4 Wenn Gründer*innen theologisch ticken – ein paar Thesen Dorothea Gebauer im Cowriting-Prozess mit Mathias Burri, Daniel Paulus, Jonte Schlagner und David Schulke

Coworking-Spaces und die Missio Dei Coworking im kirchlichen Kontext ist noch nicht überall bekannt und bedarf häufig einer Begründung. In einem Vernetzungsmoment verschiedener Coworking-Spaces entstand dabei der Impuls, über das »Why« nachzudenken. Antworten dazu wurden in einer Diskussion in einem Online-Workshop am 5. Juli 2021 erörtert und in einen Redaktionsprozess eingebettet. Vereinbartes Ziel war, für Interessierte ein Argumentarium für die innerkirchliche Diskussion zu liefern. Das Zielpublikum: Inte­ ressierte, die gern Coworking-Spaces mit kirchlichen Verantwortungsträger*innen gründen wollen.

Theologische Verortung Gott ist der Schöpfer. Von seiner Schöpferkraft inspiriert, entdecken und entwickeln wir Räume, in denen Menschen kreativ sein können und ihre Schaffenslust leben. Dabei gestalten wir unsere Welt und tragen Verantwortung füreinander, für unsere Gesellschaft und Schöpfung. Menschen bekommen unabhängig von Leistung Wert von Gott zugesprochen. Ihre Arbeitskraft ist nicht zu verzwecken. Es gilt, sie neu zu erfahren und zu entfalten. Coworker*innen und Gründer*innen von kirchlichen CoworkingSpaces begleiten Menschen in ihrer Kreativität. Über schöpferisches Tätigsein gestalten Menschen Zukunft. Als Salz der Erde haben kirchlich orientierte Coworker*innen Anteil an der schöpferischen Geistkraft. Sie suchen nach dem Kreativen, dem Neuen, nach dem, was Gottes Geistkraft bereits wirkt und wo Möglichkeiten auftauchen, sich daran zu beteiligen. Wenn Gründer*innen theologisch ticken – ein paar Thesen

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Gott liebt die ganze Schöpfung. Die Menschen, die Stadt und das Dorf. Coworking-Spaces machen aufmerksam auf das, was Positives passiert und wo Undenkbares möglich wird. Sie geben eine Sicht auf alles, was Gott dort unternimmt, wo Menschen leben und arbeiten. Coworker*innen beteiligen sich daran und suchen gemeinsam mit anderen nach guten Wegen in die Zukunft. Coworking-Spaces werden zu Orten, in denen Verschiedene und Verschiedenes zusammenkommen, Neues entsteht und Gottes Schöpferkraft sichtbar wird.

Unser kirchlicher Auftrag Kirche ereignet sich nicht nur in der Kirche. Auch Coworking-Spaces können neue kirchliche Orte sein. In ihnen kann Kirche stattfinden und Gemeinschaft entstehen. Dort treffen sich unterschiedliche Generationen, Lebens- und Arbeitswelten, um gemeinsam zu arbeiten und einander zu unterstützen. In Coworking-Spaces lassen sich Grundhaltungen und Methoden zur Erneuerung der Kirche und zur Kirchenentwicklung erwerben. Das kreative Potenzial von Menschen wird durch die Vernetzung verstärkt und skaliert. Experimentierräume werden geschaffen, um konkrete Erfahrungen des Erprobens und Scheiterns erlebbar werden zu lassen. Spiritualität kann hier neu und ganzheitlich gedacht und entwickelt werden. Eine Spiritualität der Arbeit etwa oder des gelebten Allgemeinen Priestertums. Ein anderes, hierarchiefreies Miteinander, in Arbeitsweisen und Methoden aus Coworking-Spaces können erworben und in Kirche übertragen werden. Arbeitswelt und Kirchenwelt bereichern einander und lernen voneinander. In Coworking-Spaces werden neue und andere Generationen und Lebenswelten angesprochen und sie finden sich. Der erfolgreiche Hipster, die dynamische Unternehmerin wie auch der reflektierende ältere Mensch oder die junge Mutter treffen aufeinander und entwickeln Perspektiven für ihr Leben und die Gesellschaft. Coworking-Spaces können Räume der Seelsorge sein. An der Kaffeemaschine oder in Pausen ergeben sich tiefe Gespräche oder auch Austausch über Banales. Dort entwickeln sich ganz natürlich Themen, die sonst häufig im Kirchenkontext wenig Raum haben.

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Dorothea Gebauer im Cowriting-Prozess

Coworking-Spaces eröffnen Räume für Begegnungsmöglichkeiten und Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Lebenswelten. Kirche erhält ein neues Gesicht, kann anders und neu entdeckt werden.

Gemeinsame Werte entdecken und leben Kirche unterliegt nicht dem Zwang, ausschließlich gewinnorientiert arbeiten zu müssen. Dadurch kann sie einen besonderen Fokus auf Menschen und Beziehungen legen. Sie kann besonders auch im digitalen Zeitalter die Begegnung zum Schwerpunkt machen. Themen des Lebenssinns, der Berufung und Bestimmung widersprechen der reinen Marktlogik oder betten sie auf gesunde Art und Weise ein. Der Aufbau einer Community erfordert Werte, die dem Gemeindebau nahe sind: Nähe schaffen, Beziehung riskieren, Bedeutung geben. Über gemeinsame Arbeit und Beratungsangebote für sinnerfülltes Arbeiten entwickeln sich Nähe zu den Menschen und eine Verbindung, die trägt. Die Erfahrung einer sinnstiftenden Gemeinschaft bewirkt Faszination, Begeisterung und Hingabe als gute Voraussetzungen für eine neue Gestalt von Kirche.

Gesellschaftliche Relevanz für Kirche Coworking hilft der Kirche, Kirche für das Dorf oder die Region zu sein (Jeremia 29,4–7). So ist sie den Menschen näher. Coworking-Spaces verleihen alten Gemäuern aktuelle Bedeutung und sorgen für eine einträgliche Nutzung kirchlicher Immobilien. Sie fördern eine sinnvolle Immobiliennutzung mit Relevanz für die Menschen im Sozialraum. Coworking kann dazu beitragen, überlasteten Arbeits­verkehr und Pendelzeiten zu verringern, und ermöglicht flexibles Arbeiten und lokale Wertschöpfung. Coworking bildet eine Art Flatrate für Zukunftsthemen. Ein Ort, an dem sich Kirche und Gesellschaft auf Augenhöhe, informell begegnen: ohne Termine, spontan beim Kaffee. Weil Arbeit einen zentralen Wert für den Menschen und die Gesellschaft ausmacht, kann Kirche hier wieder relevant sein.

Wenn Gründer*innen theologisch ticken – ein paar Thesen

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Vernetzung von Kirche und anderen Akteur*innen Coworking-Spaces sorgen für lokale Vernetzung, gemeinsam mit Kommunen, Vereinen und Einzelpersonen. Sie schaffen Verbindungen für das Dorf, die Stadt und für die Region. Sie können wertvolle Marktplätze für Ideen bilden. In den Spaces öffnet sich ein schöpferischer Raum, in dem kirchliche Mitarbeitende und nichtkirchliche Start-ups und Freelancer*innen parallel oder gemeinsam an ihren Themen arbeiten. Coworking-Spaces dienen zudem als Vernetzungsorte für lokales, regionales, ökumenisches Kirchenpersonal. Menschen unterschiedlichster Herkunft erfahren Raum, um gemeinsam Neues zu entdecken und zu schaffen. Kirche kann dadurch auch mit nichtkirchlichen Akteur*innen gestaltet werden. Über Beziehung und Vielfalt werden Vernetzung, Synergien, Kollaboration als fruchtbringende Arbeitshaltungen entdeckt und eingeübt.

Lernfeld für die Kirche Coworking-Spaces sind Lernorte für aktuelle Themen und Fragestellungen, zum Beispiel Digitalisierung, Organisationsentwicklung oder Nachhaltigkeit. Sie bereiten Innovationskraft für Kirchenentwicklung auf und lassen Kirche als lernende Gemeinschaft erleben. Gastfreundschaft und Community-Building werden auf organische Art und Weise gepflegt. Über Partizipation kann sogar Kirche trainieren, Macht und Kontrolle abzugeben, Menschen zu beteiligen und darüber hinaus sich selbst zu beteiligen. Kirche lernt, zu vertrauen, hinzuhören und den ergebnisoffenen Dialog zu wagen. Statt allzu schnell auf alles Antworten parat zu haben, lernt sie zu fragen, was geschieht und wie etwas funktioniert. Sie lernt Gottvertrauen in neuem Kontext. Mitten unterwegs beim Scheitern kann sie lernen, mutig zu experimentieren. Sie wird zur Netzwerkpartnerin für viele und relevante Akteurin in neuen Themenfeldern und Netzwerken, die sich um Augenhöhe bemühen. Coworking-Spaces sind als notwendige Innovationsorte zu denken, kulturprägend und kulturschaffend. Kirche ist dort gemeinsam mit anderen auf der Suche nach guten Wegen in die Zukunft.

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Dorothea Gebauer im Cowriting-Prozess

2.5 Rausgehen!

Coworking und Berufung – eine Einladung Marco Jakob

Die Kirche einfach zu einem Coworking-Space umbauen und dann kommen die Leute schon von selbst. Dann werden Kirchen wieder voll. »Fataler Irrtum!«, sagt Marco Jakob. Entgegen der Haltung, die darauf wartet, dass Menschen kommen, ermutigt er zu einer proaktiven Haltung: der des Hingehens.

1. Gehe hin Verlasse dein Gebäude. Suche einen bestehenden Coworking-Space in deiner Umgebung. Nutze den Coworking-Space an rund zwei Tagen pro Woche und bleibe dort für mindestens drei Monate.

2. Werde Coworker*in Werde Coworker*in. Bringe deine eigene Arbeit oder ein eigenes Projekt mit. Arbeite. Höre zu. Beobachte. Nimm wahr, was Leute bewegt. Sei authentisch. Erzähle von deinen Träumen, deinen Plänen, deinen Erfolgen und Misserfolgen. Nimm Hilfe an, wenn dir jemand Hilfe anbietet, um dich oder deine Projekte vorwärtszubringen. Wenn Leute wesentlich Zeit in dich oder deine Projekte investieren, achte auf eine faire Bezahlung.

3. Mache dich nützlich Jetzt solltest du etliche Leute kennengelernt haben mit ihren Träumen und Projekten. Du hast dich mit ihnen gefreut und mit ihnen gelitten. Wenn du gut beobachtet hast, so hast du um dich herum Herausforderungen Rausgehen!

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wahrgenommen, die dich persönlich bewegen. Es sind Dinge, um die sich niemand kümmert oder Probleme, die vielleicht gar unlösbar scheinen. Suche nach Wegen, wie du mit deinen Fähigkeiten, deinem Netzwerk und deinen Ressourcen etwas zur Lösung beitragen kannst. Rechne mit Gottes Hilfe. Wenn dein Beitrag mehr als 10 Prozent deiner Zeit beansprucht, so mache dich selbstständig und verlange einen angemessenen Preis für das, was du tust. Falls es etwas ist, das die anderen nicht direkt bezahlen können, so suche mit ihnen nach einem Weg, wie es finanziert werden kann. So ist das, was du tust, wirksam, authentisch und nachhaltig.

4. Entdecke Freude Um dich herum geht es den Leuten besser. Beziehungen untereinander werden gestärkt, andere sind ermutigt. Du hast Herausforderungen gesehen, die niemand so einfach lösen kann. Dein Herz wurde bewegt, deine Leidenschaft geweckt. So hast du angefangen, nach Wegen zu suchen, wie du einen Beitrag leisten kannst. Es ist ein Ringen um Lösungen unter Schweiß und Tränen. Es braucht übernatürliche Weisheit und Kraft. Aber du entdeckst darin eine Freude, weil du spürst, wozu du berufen bist. Marco Jakob ist Mitgründer des »Effinger – Kaffeebar & Coworking Space« in Bern (www. effinger.ch) und Mitgründer von »Colearning« (www.colearning.org). Er ist als lernender Berater unterwegs im Bereich neuer Arbeits- und Bildungsformen, Stadt- und Dorfentwicklung und Aufbau von Communitys. Seine Leidenschaft ist es, andere zu begleiten, die Firmen aufbauen und die Gesellschaft gestalten wollen (www.jakobservices.ch).

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Marco Jakob

2.6 »Die Welt wiederherstellen« – Christ*innen und ihre Haltung zur Arbeit Mats Tunehag

Wir leben in einer Spannung zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie sie sein sollte. Das hebräische »Tikkun olam« bedeutet, mit Gott zusammenzuarbeiten und die Kluft zwischen der Welt, die ist, und einer Welt, wie sie sein sollte, zu überbrücken.

Unvollendete Arbeit Gott schuf alle Dinge, und als er nach jedem Schöpfungstag eine Art Qualitätskontrolle durchführte, befand er die Ergebnisse für gut. Wir sind nach seinem Ebenbild geschaffen, um darin kreativ zu sein, um gute Produkte und Dienstleistungen zu schaffen, um die Welt, die Gott geschaffen hat, weiterzuentwickeln. Wir tun es mit Gott und für die Menschen: tikkun olam.

Die Kluft überbrücken Im Laufe der Geschichte und bis heute beobachten wir rund um den Globus die Spannung zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte. Gott hat die Menschen immer dazu berufen und ausgerüstet, diese Kluft zu überbrücken. Er berief Mose, um das Volk aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit, in das verheißene Land zu führen. Es war ein langer Weg des tikkun olam. Heute gibt es auf der Welt zig Millionen Sklav*innen. Wir brauchen einen Mose, einen Aaron und eine Mirjam und viele andere, um die Menschen aus der Sklaverei in die Freiheit zu führen. Eine gute Freundin und brasilianische Modedesignerin Amanda Prussak beispielsweise »Die Welt wiederherstellen« – Christ*innen und ihre Haltung zur Arbeit

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ist in diesen Riss getreten und hat mit »Dress For Freedom« eine Brücke zur Freiheit geschlagen.3

Gemeinschaft Tikkun olam ist ein gemeinsames Kreieren mit Gott, der in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft schöpferisch unterwegs war. Nehemia weinte, als er von der Verwüstung Jerusalems erfuhr. Er betete, machte einen sorgfältigen Plan und engagierte die örtliche Gemeinde, um die Mauern und die Stadt für die dort Ansässigen wiederaufzubauen. Tikkun olam. Seit über zehn Jahren arbeite ich eng mit der »Kingdom Business Community« in Indonesien zusammen. Sie haben über 10.000 Geschäftsinhaber*innen und Unternehmer*innen darin unterstützt, ihre Geschäfte auf Gottes Ziele und das Gemeinwohl auszurichten: Tikkun olam.

Übe Gerechtigkeit, liebe Barmherzigkeit, wandle mit Gott Vor etwa einem Jahrhundert gründete James Dole auf Hawaii eine Ananasfarm mit einem Industriezweig. Er hatte die Absicht, Gott und die*den Nächste*n zu lieben und sein Unternehmen so zu gestalten, dass es Gott ehren und den Menschen dienen würde. Als die Gewerkschaft kam, um den Betrieb und die Arbeitsbedingungen zu inspizieren, kamen sie zu dem Schluss: Wenn alle Unternehmen so geführt würden wie Doles Betrieb, hätten sie als Gewerkschaft keine Arbeit mehr. Als Dole einmal gefragt wurde, wovon er sich bei seinen Geschäftspraktiken leiten lasse, verwies er auf Micha 6,8: Gerechtigkeit üben, Barmherzigkeit lieben und demütig sein vor Gott. Tikkun olam. Etwa 100  Jahre später wurde eine Business-as-Mission-Gruppe namens »Transformational SME« gegründet, die sich darauf konzentriert, die Welt in einigen der kaputtesten und schwierigsten Ländern wiederherzustellen. Ich arbeite seit über zehn Jahren mit ihnen zusammen, und 3 www.dressforfreedom.com; »Dress For Freedom« ist eines von mehr als 100 sogenannten Freiheitsunternehmen, die tikkun olam über die Freedom Business Alliance anwenden: https://www.freedombusinessalliance.com/, https://businessasmission. com/the-global-impact-of-the-wealth-creation-manifesto/ (Zugriff am 18.08.2021).

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Mats Tunehag

wir haben gesehen, wie man tikkun olam durch kleine und mittlere Unternehmen erreichen kann, indem man ihnen hilft, an Größe und Rentabilität zu gewinnen und eine ganzheitliche Wirkung zu erzielen. Was ist das Leitprinzip von Transformational SME? Gerechtigkeit üben, Barmherzigkeit lieben und demütig sein vor Gott.

Das Vaterunser und die Organisation »Business as Mission« (BAM) Wir beobachten regelmäßig Probleme und Unzulänglichkeiten um uns herum und bringen diese oft im Gebet vor Gott. Wir bringen vor ihn, was aktuell ansteht, und beten für eine Veränderung. Bei BAM geht es darum, dass wir uns bewusst auf eine Aussage des Vaterunsers beziehen: »Möge dein Reich in die Geschäftswelt kommen und dein Wille auf Erden wie im Himmel geschehen, in und durch mein Unternehmen.« Tikkun olam. So beten wir auch im Geiste von tikkun olam, während wir die Welt wiederherstellen: »Christus mit mir, wenn ich für ihn und die Menschen Geschäfte mache. Christus mir voraus, wenn ich mein Geschäft plane. Christus hinter mir, wenn ich mein Geschäft überprüfe. Christus in mir, mein leitendes Licht im Geschäft. Wohlstand schaffen für das Aufblühen der Menschen.« Rabbi Lord Jonathan Sacks (2015) sagte: »Armut zermalmt den Geist ebenso wie den Körper, und ihre Linderung ist eine heilige Aufgabe«. Natürlich gibt es verschiedene Arten von Armut und Reichtum. Man kann finanziell reich, aber gesellschaftlich arm sein. Man kann mit großem Intellekt ausgestattet sein, aber an geistiger Armut leiden. Man sollte die Bedeutung der Schaffung von Wohlstand und der Schöpfer von Wohlstand nicht unterschätzen, wenn wir über tikkun olam sprechen. Die Schaffung von Wohlstand ist sowohl ein Gebot als auch ein Geschenk Gottes. Außerdem ist es ein historisch bewährter Weg, um Menschen und Nationen aus der Armut zu befreien. Verschiedene Arten von Wohlstand können und sollten in und durch Unternehmen geschaffen werden, um zum Wohlstand der Menschen beizutragen. Die Schaffung von Wohlstand ist tikkun olam. »Die Welt wiederherstellen« – Christ*innen und ihre Haltung zur Arbeit

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Das »Wealth Creation Manifesto«, das inzwischen in 17 Sprachen vorliegt, zeigt auf, welche Bedeutung die Schaffung von Wohlstand für die ganzheitliche Transformation von Mensch und Gesellschaft auf der ganzen Welt innehat. Wir sind zu tikkun olam aufgerufen. Während und nach der Coronapandemie sind wir dazu aufgerufen, das Leben der Menschen wiederherzustellen und zu heilen und die Welt zu verbessern, indem wir ihr Hoffnung und Heilung bringen, auch durch das Unternehmertum. Als Geschäftsleute haben wir eine Berufung, aber wir haben auch die Verantwortung, proaktiv tikkun olam zu verfolgen und unternehmerisch Lösungen für globale Probleme zu suchen. Tikkun olam. Lasst uns die Welt wiederherstellen! Mats Tunehag ist seit vielen Jahren in der Lausanner Bewegung und der »World Evangelical Alliance« führend im Bereich »Business as Mission« (BAM) tätig und hält weltweit Vorträge über »Business as Mission«. Er arbeitet in Teilzeit für einen globalen Investmentfond, der auf christlichen Werten basiert und in der arabischen Welt und in Asien durch die Bereitstellung von finanziellem, intellektuellem und menschlichem Kapital weiterhilft. Seit über 20 Jahren konzentriert er sich auf die Entwicklung des Konzepts »Business as Mission« sowie auf nationale, regionale und globale strategische Allianzen von Menschen und BAM-Initiativen.

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Mats Tunehag

Anfangen, anpacken, anders leben! Acht Beispiele aus der Praxis

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3.1 Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung Michelle Bäßler

Als Tochter einer alleinerziehenden, von den Philippinen eingewanderten Sängerin bin ich »Backstage« aufgewachsen und habe mir als Tänzerin, Choreografin und Managerin meiner Mutter mein Studium finanziert. Die ursprünglich damit angestrebte Consulting- bzw. Corporate-­ Karriere erschien mir schon früh etwas fad und oberflächlich. In der Elternzeit stolperte ich dann in die Social-Impact-Szene, was rückwirkend betrachtet ein bisschen wie der Ausstieg aus der Matrix für mich war. Zuletzt war ich Bereichsleiterin für Organisationsentwicklung und habe die Digitale Transformation unternehmensweit geleitet. Heute bin ich 32 Jahre alt, zweifache Mutter und Sozialunternehmerin. Als Botschafterin für zeitgemäße Vereinbarkeit von Beruf und Familie kämpfe ich nicht minder gegen Windmühlen. Aber es ist mein Herzensanliegen und ich habe das Glück immer mehr Mitstreiter*innen mit einem ähnlichen Ziel zu finden. Ich verbringe meine Zeit damit, meiner Vorstellung von Vereinbarkeit Stück für Stück näherzukommen – sowohl auf der individuellen als auch auf der strukturellen und gesellschaftlichen Ebene. Das ist Arbeit, die mich fordert wie nichts zuvor. Bislang ist sie unentgeltlich, aber alles andere als fade, denn ich wachse ständig über mich hinaus.

Warum überhaupt? Als Gründerin von »COSI – Coworking + Babysitting«, möchte ich im Folgenden nicht meinen Space, sondern mein Herzensanliegen vorstellen:

Zeitgemäße Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

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Michelle Bäßler

In mir steckt eine Vollblut-Prozessoptimiererin, die sich als frisch ge­ backene Mutter natürlich nicht mit dem Status quo der Unvereinbarkeit abfinden konnte! Wie sollte ich in meine Position als Bereichsleitung für Organisationsentwicklung zurückkehren, wenn in Ballungsgebieten wie Stuttgart die Wartelistenplätze für Kitas, Krippen und Co. dreistellig waren? Ich hatte meine Abwesenheit gut organisiert und mir den Wiedereinstieg nach der Babypause in geringem Stundenumfang und remote vorgestellt, vielleicht nach acht bis zehn Monaten. Nach einem guten Jahr hätte ich das Kind ja in eine Kita eingewöhnt und könnte wieder aufstocken. Ich hatte ja keine Ahnung … Übrigens genau wie die meisten anderen (noch) »Nicht-Betroffenen«. Seit 2018 decke ich sie nun Stück für Stück auf: die vielen individuellen, gesellschaftlichen und strukturellen Hürden, die junge erwerbstätige Eltern auf organisatorischer, wirtschaftlicher und emotionaler Ebene herausfordern. Leider stehen die Familien mit der nagenden Herausforderung der Vereinbarkeit meist allein da. Viele trauen sich nicht, mit ihren Arbeitskolleg*innen darüber zu sprechen, ernten Unverständnis, wenn es nicht läuft wie geplant. Mit COSI wollte ich Abhilfe schaffen. Orte, an denen Vereinbarkeit gelingt, an denen Gleichgesinnte sich austauschen und gegenseitig unterstützen. Damit Eltern produktiv werden können und ihr Potenzial entfalten können, ohne schlechtes Gewissen. »COSI.space«: ein Coworking Space mit integrierter Kinderbetreuung. Zunächst in Stuttgart und dann in jeder deutschen Großstadt. Spoiler 2021: einen COSI.space gibt es (noch) nicht. THE END

Quatsch! Ich habe mich gerade erst warmgelaufen – und gut vernetzt.

Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Warum ist Vereinbarkeit ein Problem? Jana ist 38 Jahre alt, war mal Grafikerin in einer Agentur, bis sie mit Marie schwanger wurde. Kundendeadlines für Werbekampagnen, die regelmäßig zu Wochenendschichten zwangen, sind mit Baby absolut undenkbar – das finden auch ihre Kolleg*innen. Ihr Mann Tom konnte als Ingenieur die junge Familie gut tragen. Aber mit dem Hauskauf und Baby Ben und spätestens mit dem erheblich schmaleren zweiten Elterngeld gehörte das der Vergangenheit an. Genau wie auch die Karrierechancen von Jana. Sie lässt sich deshalb gerade zur Tagesmutter ausbilden. Trotz Selbstständigkeit könne sie sich dadurch der Betreuung des bald Zweijährigen und dem Homeschooling der coronaisolierten Grundschülerin widmen. Nicht nur ein Balance- sondern ein wahrer Kraftakt für alle Beteiligten! Aber leider bei weitem kein Einzelfall. Digitalisierung und New Work

Die Arbeitswelt wird durch die Digitalisierung einem grundlegenden Wandel unterzogen. Dabei hat die Coronapandemie die Entwicklung von neuen Arbeitsstrukturen gehörig beschleunigt. Besonders für Eltern bietet die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten, neue Optionen für die Vereinbarkeit. Mit diesen neu gewonnenen Freiheitsgraden wächst gleichzeitig auch die Notwendigkeit für Kommunikation und Kollaboration. Wenn potenziell von überall aus und zu jeder beliebigen Zeit gearbeitet werden kann, steigt implizit auch die Erwartungshaltung, allzeit erreichbar zu sein. Zu derartigem mentalen Druck durch Verschmelzung von Privatem und Beruflichem kommen noch ergonomische und weitere gesundheitliche Aspekte am Arbeitsplatz hinzu, für die vormals die Arbeitgeber*innen verantwortlich waren. Die schnell fortschreitende Technologisierung macht die Arbeit aber nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich hochdynamisch. Gerade für gut ausgebildete Mütter in schnelllebigen Branchen bedeuten lange Auszeiten für die Familie häufig nicht nur einen Karriereknick, sondern münden so manches Mal in einer kompletten beruflichen Umorientierung. Der Druck »nicht abgehängt zu werden« ist also enorm und er wächst.

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Michelle Bäßler

Gleichstellung und Kitaplatzmangel

Frauen sind heute weitgehend mit einem hohen Bildungsniveau und emanzipiertem Selbstverständnis aufgewachsen. Wenngleich sie mit ihrem*ihrer Partner*in eine gleichberechtigte Beziehung aufgebaut haben, kippt dieses Verhältnis bei einem Großteil der Familien, mit der Geburt des ersten Kindes. In der Gesellschaft ist das alte Rollenbild noch sehr präsent, was eben auch in der Arbeitswelt dazu führt, dass Frauen mit Kindern bei Karrierechancen noch immer stark benachteiligt werden. Man(n) traut ihnen nicht zu, flexibel oder belastbar genug für verantwortungsvolle Positionen zu sein. Neben dem Stigma greifen aber auch strukturelle Benachteiligungen wie das Ehegattensplitting, was eben auch Männer oftmals daran hindert, stärker sorgetätig zu sein. So wird der Wunsch nach einer partnerschaftlichen Erziehung sehr schnell zu einer wirtschaftlichen Entscheidung. Diese fällt wegen der (kurzfristigen) Existenzsicherung mehrheitlich für das Haupt- und allenfalls das Zuverdiener*innenmodell aus. Durch das »Female Empowerment Movement« sind inzwischen viele Fakten zu den makroökonomischen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen solcher Chancenungleichheiten verfügbar. Sie belegen beispielsweise, wie Frauen mit Kindern einem viel höheren Risiko für Altersarmut ausgesetzt sind, weil sie zu Erwerbszeiten schon weniger bzw. gar nicht für ihre gleichwertige »Carearbeit« bezahlt werden. Eben diese Geringschätzung von pflegenden und erzieherischen Tätigkeiten führen zu einem extremen Fachkräftemangel im sozialen Sektor. Bis 2030 fehlen deutschlandweit 199.000 Erzieher*innen, fand die Prognos AG im Auftrag des Bundesfamilienministeriums 2018 heraus (Prognos AG et al. 2018, S. 4). Besonders für Kinder unter drei Jahren sind Betreuungsplätze rar, hier liegt die Unterversorgung im Bundesdurchschnitt bei 13,7 Prozentpunkten, dies wird in der Abbildung 1 veranschaulicht. Die Abbildung 1 zeigt, dass besonders die Kinder unter drei Jahren von einer Unterversorgung an adäquaten Betreuungsplätzen betroffen sind. Das ist aus arbeitsmarktpolitischer Sicht aber genau der kritische Zeitraum für Frauen, ihren bisherigen Bildungsinvest nicht aufs Spiel zu setzen. Der stetig steigende elterliche Bedarf wurde zwar erkannt und durch einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung nach dem Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Abb. 1: Anzahl und Quote der Kinder in Kindertagesbetreuung sowie Betreuungsbedarf der Eltern 2019 Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021): Kindertagesbetreuung Kompakt. Ausbaustand und Bedarf 2020. Online abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/186070/73e233cd4a65b6ff4c4e5255f35e2d49/ kindertagesbetreuung-kompakt-ausbaustand-und-bedarf-2020-data.pdf

ersten Lebensjahr verankert. Dennoch hinkt der Ausbau an weiteren U3-Plätzen aufgrund des Fachkräftemangels und der starken Reglementierung, die durch den Föderalismus auch noch von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich sein kann, erheblich hinterher.

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Warum ist Vereinbarkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe?

Die Einflüsse von Digitalisierung und New Work, Demografie und Fachkräftemangel sowie Gleichstellung und Kitaplatzmangel möchte ich in folgender, überspitzten These zusammenfassen:

Frauen mit Kindern haben einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, der durch den Mangel an Kinderbetreuungsoptionen verstärkt wird.

Da die Ursachen multifaktoriell sind und sich weitgehend auf der Makroebene abspielen, können einzelne Mütter leider nicht viel ausrichten. Auf der anderen Seite hat dieser »Teufelskreis« aber auch weitreichende makroökonomische Auswirkungen, auf Unternehmen und die Sozialsysteme beispielsweise. Deshalb muss es im Interesse aller Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft liegen, Erwerbsarbeit und Sorgearbeit gut miteinander vereinbaren zu können. Eltern sind diejenigen, die Kinder in die Welt setzen und damit den Fortbestand der Menschheit sichern. Die Reproduktivität ist sowohl in einer weltlichen, als auch in einer göttlichen Anschauung eine zentrale, überlebenswichtige Aufgabe. Eltern tragen dabei eine immense Verantwortung, denn sie prägen mit ihrer Erziehung das Wertebild dieses kleinen Menschen, der bzw. die Teil der Gesellschaft von morgen ist. Keine Mutter und kein Vater kann diese Aufgabe vollumfänglich allein erfüllen, geschweige denn noch als Lehrer*in, Sporttrainer*in und vielen weiteren Rollen, die in der Coronapandemie den Sorgetragenden zusätzlich aufgebürdet wurden. »Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen«, heißt es in einem afrikanischen Sprichwort. Rolle der Kirche

Insbesondere die Kirche kann hierbei eine tragende Rolle spielen und durch aktive Mitgestaltung der neuen Arbeitswelt eine Neuverortung im Verständnis ihrer Gemeindemitglieder und darüber hinaus im jeweiligen Sozialraum erfahren. Denn die oben beschriebenen Sachverhalte stellen keine Seltenheit, sondern die Lebensrealitäten der Menschen – auch der Gläubigen – dar. Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Wir sehen heute viele Individual- anstelle von damals üblichen Großfamilien. Viele sind für einen guten Job in Ballungsgebiete gezogen und finden sich dann in der »Rushhour des Lebens« häufig isoliert wieder und unter wirtschaftlichem Druck, den aufgebauten Wohlstand zu halten. Dies geht nicht selten auf Kosten mentaler Gesundheit. Leider zerbrechen auch viele Familien an dieser Mehrbelastung. Was wäre, wenn diese Menschen sich nicht erst bewusst ihren Problemen und damit verbundenen Hemmungen stellen und sich hilfesuchend an beratende oder therapeutische Stellen wenden müssten? Was, wenn sie einfach Angebote in ihrer Nähe in Anspruch nehmen könnten, die genau auf ihre alltäglichen Herausforderungen zugeschnitten sind? Was wäre, wenn sie in einer Kirchengemeinde dann nicht nur spirituellen Rückhalt, sondern ganz »reale« Abhilfe in ihrer akuten Problematik (der Vereinbarkeit) erfahren würden? Neben der aktiven Stärkung von Familien können noch weitere positive Effekte durch den Dreiklang aus Coworking, Kinderbetreuung und Kirche erzielt werden. Kirchliche Hauptamtliche arbeiten dort weniger isoliert und werfen einen Blick über den eigenen Tellerrand. Menschen, die sonst nichts mit Kirche am Hut hatten, würden über das Klima im CoworkingSpace vielleicht ihr »verkrustetes Bild von Kirche« überdenken? Selbstverständlich kommen an dieser Stelle auch die wertorientierte Erziehung und die langjährige Erfahrung in der Trägerschaft von Kindertageseinrichtungen und anderen Betreuungsformaten ins Spiel. Insbesondere die »Eventbetreuung« während Gottesdiensten ist für verschiedene Altersgruppen erprobt und könnte im Handumdrehen auch z. B. bei Workshops oder Weiterbildungen im beruflichen Kontext als Zusatzangebot zum Coworking etabliert werden. Nicht zuletzt ist das Potenzial für Skalierbarkeit zu nennen, das gut mit effektiver Leerstandsnutzung einherginge.

Wie kann Coworking mit Kinderbetreuung funktionieren? Schon zu Beginn meiner Recherchen habe ich erkannt, dass der Hebel für die größte Wirksamkeit in der U3-Betreuung, also im Krippenalter liegt. Wie bereits geschildert, verzeiht die Dynamik der neuen Arbeitswelt längere Auszeiten kaum. Allerdings hinkt genau an der Stelle die Bereitstellung von adäquaten Betreuungsplätzen massiv hinterher.

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Mein Hauptanliegen mit dem COSI.space bestand also darin, den Müttern neue Optionen für einen zeitnahen Wiedereinstieg zu eröffnen. Ich bin der Überzeugung, dass dieser durch arbeitsplatznahe und flexible Betreuungsoptionen selbstbestimmt gelingen kann. So, wie es sich für Mutter und Kind gut und richtig anfühlt, anstatt sich zwischen dem einen oder dem anderen schlechten Kompromiss entscheiden zu müssen. Kindertagespflege +

In meinem ursprünglichen Konzept zum COSI.space, die in der Abbil­ dung 2 veranschaulicht wird, wurde die Kooperation mit einer Kindertagespflege in anderen geeigneten Räumen angestrebt. Hier werden Kinder in der Regel von 0 bis 3 Jahren in Kleingruppen von ca. 9 Kindern (nach Landkreisen unterschiedlich geregelt) von qualifizierten Tagespflegepersonen (Abkürzung: TPP; Sprachgebrauch: »Tagesmutter«) betreut. In diesem Betreuungsformat wäre eine Regelbetreuung zwischen 20 bis 40 Stunden pro Woche möglich, während ein Elternteil in der professionell ausgestatteten Arbeitsumgebung produktiv werden kann. Dieses Modell fährt das »Cowoki« bereits seit 2017 in Köln (www. cowoki.de). Als wichtige Ergänzung sehe ich dabei die flexibel buchbare stundenweise Betreuung, beispielsweise mithilfe von Babysitter*innen. Auf diese Weise kann sowohl außerordentlichen oder Notfallbetreuungsbedarfen begegnet werden. Aber auch schon davor kann eine sanfte Abnabelung in die Fremdbetreuung stattfinden, wenn die Eltern bereits mit dem Säugling in der Trage zum Coworken vorbeikommen. Gerade in den ersten Jahren, wenn Kinder engmaschige Entwick­ lungsschübe durchlaufen, ist an einen Rhythmus und Planung gar nicht zu denken. Anstatt sie dann in Tagesstrukturen zu pressen und den Stress auf die Eltern zu erhöhen, möchten wir sie darin unterstützen, die Gelegenheitsfenster, die sich zwischendurch ergeben, gut für sich zu nutzen. Kinderbetreuung kann von flexibel bis fest in unterschiedlichen Ausprägungen ins Coworking integriert werden, das haben mutige Pionier*innen bereits vor mir bewiesen. Ich möchte ihre Arbeit im Folgenden kurz vorstellen: Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Abb. 2: Konzept des COSI.space 2018 (© Michelle Bäßler)

Selbstorganisierte Elternschaft

Schon 2007 haben sich in Leipzig erste Eltern zusammengeschlossen, um in gemeinsam genutzten Räumlichkeiten abwechselnd die Aufsicht der Kinder zu übernehmen, damit sich einige Elternteile immer wieder zum Arbeiten zurückziehen konnten. Dieses Konzept nennt sich »Rockzipfel« und hat einige Nachahmer*innen z. B. in München, Kiel und Karlsruhe angezogen, die sich meist als gemeinnützige Vereine selbst organisieren. »Elterngarten« oder »Familiengarten« sind vergleichbare Konzepte.

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Privatwirtschaftliches Start-up

Als unternehmerischer Ansatz kann gewerbliches Coworking mit flexiblem Babysitting angeführt werden. Hier wird stundenweise buchbare Betreuung durch geeignete Personen, meist ohne pädagogische Ausbildung, angeboten. Dies kann aber nur maximal zehn Stunden pro Woche (pro Kind) angeboten werden und gilt daher lediglich als ergänzendes Angebot zu einer Regelbetreuungseinrichtung. In Berlin war für solche frühen sozialen Innovationen ein guter Nährboden: 2016 hat der »juggleHub« dafür den Grundstein gelegt. Leider haben es viele von den nachfolgenden Gründungen in den Nachbarkiezen nicht geschafft, langfristig profitabel zu sein. Der Hauptgrund liegt in der privaten Finanzierung der Betreuungsleistung meist durch die nutzenden Eltern. Wie häusliches erhält auch gewerbliches Babysitting keine staatlichen Förderungen. Das macht es zu einem sehr elitären Angebot, weshalb viele Familien, die zwar einen Bedarf haben, von der Nutzung ausgeschlossen werden. Manche Coworking-Spaces können durch ihre Größe und andere Umsatzströme wie Vermietung und Durchführung von Business-Veranstaltungen den sozialen Bereich quer-subventionieren. In Krisenzeiten sind aber weder die Eventsparte noch die flexible Kinderbetreuung umsetzbar, womit die Betreiber*innen direkt erhebliche Umsatzeinbrüche verzeichnen. Professionelle Trägerschaft

Widerstandsfähiger ist dagegen das Modell, das der ebenfalls in 2016 gegründete »Coworking Toddler« in Berlin fährt. Anstelle von flexi­bler Betreuung bietet er mit einer voll betriebserlaubnispflichtigen Kita eine Regelbetreuung in festen Gruppen an. Diese geringere Flexibilität, zeichnet sich auch im Coworking-Bereich in einer eher festen Bürogemeinschaft ab. Als gGmbH ist der Coworking Toddler gemeinnützig und förderfähig, hat sich dafür aber auch der Prüfung eines umfangreichen Kriterienkataloges durch das Jugendamt unterzogen. Diese Möglichkeit bleibt vielen potenziellen Gründer*innen solcher Orte meist verwehrt, da sich kaum Bestandsimmobilien finden lassen, die all diesen Kriterien entsprechen und dabei gut erreichbar und bezahlbar sind. Auch lange Mindestlaufzeiten und Nutzungsänderungen sind Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Scheiterungsgründe auf dem Immobilienmarkt. Nicht zuletzt fehlen den angehenden Unternehmer*innen, die sehr häufig selbst Betroffene, also Eltern sind, schlichtweg die Ressourcen, so ein Projekt allein auf die Beine zu stellen. An dieser Stelle schaltet sich die Organisationsentwicklerin in mir ein. Hervorragend! Wir haben nun gesehen, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen möglich ist und auch was (noch) nicht möglich ist. Höchste Zeit, die starren Rahmenbedingungen, die mit der dynamischen Entwicklung des Arbeitsmarktes leider nicht Schritt gehalten haben, zu überarbeiten! Damit sich das volle Potenzial von Coworking mit Kinderbetreuung am besten deutschlandweit entfalten kann. Vereinbarkeit im #newnormal?!

Viele dieser Pionier*innen haben schon damals beschlossen, lieber Teil der Lösung als des Problems zu sein, und sind unternehmerisch tätig geworden. Auch wenn ich selbst die Pforten zu meinem eigenen Space (noch) nicht eröffnen konnte, hat mich diese Thematik genau wie sie gepackt. Inzwischen betrachte ich es als Vorteil, dass ich nicht die Bürde des Tagesgeschäfts trage, sondern mich als Botschafterin für das Thema engagieren kann. Ich habe Marktrecherche betrieben, Studien analysiert, die Zielgruppe studiert, Businesspläne und Konzepte für unterschiedliche Modelle geschrieben und bin damit bei unterschiedlichen Behörden und Organisationen vorstellig geworden. Ich habe sozusagen Anlauf genommen. Und die Pionier*innen wie auch die angehenden Gründer*innen haben sich auf meine Einladung eingelassen. Wir haben uns zusammengetan, unsere Kräfte und Ideen gebündelt und gründen einen bundesweit agierenden Verein – »C3 Coworking Childcare Connection«. Mit dem Verein wollen wir, wie in Abbildung 3 veranschaulicht: ▶ Sensibilisieren für das Thema »Vereinbarkeit«, ▶ Hürden identifizieren und ▶ Lösungsansätze aufzeigen, ▶ Konzepte sozialer Innovation weiterentwickeln, ▶ Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen, um ▶ in Kollaboration Pilotprojekte umzusetzen und ▶ sie bundesweit zu skalieren.

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Michelle Bäßler

Abb. 3: Vereinsprojekte 2021 – C3 Coworking Childcare Connection (© Michelle Bäßler)

Vision von einem Campus für familiengerechtes Arbeiten und Lernen Man stelle sich ein Kaufhaus, ein Shoppingcenter vor, wo für jeden Geschmack etwas dabei ist. Wo neben Kleidung, Dienstleistungen und weiteren Artikeln des täglichen Bedarfs auch für Unterhaltung und das leibliche Wohl gesorgt ist. Wie wäre es mit so einem Center für die Vereinbarkeit der alltäglichen Bedürfnisse? Herzlich willkommen im »COSI.center«! Ein Zentrum. in das morgens die ganze Familie gemeinsam kommt, um ihr »Tagesgeschäft« zu verrichten, sei das Erwerbsarbeit, Spielen oder Lernen. Denn hier sind inspirierende Arbeits- und Lernumgebungen für Groß und Klein unter einem Dach gestaltet. Dabei stellen Coworking und Kinderbetreuung zunächst nur die »Keimzelle« dar, von der aus sich viele weitere Dienstleistungen angliedern könnten. Je nach Bedarfs- und Angebotslage vor Ort. In den Etagen, die für »Erwerbsarbeit« vorbehalten sind, gibt es neben ausgedehnten Coworking-Flächen natürlich auch Meeting- und Konferenzräume sowie Privatbüros für Einzelpersonen wie auch für Teams aus Unternehmen. Aber nicht nur an den Laptops, sondern auch an den Werkbänken, Nähmaschinen oder 3D-Druckern der Maker Spaces kann hier gemeinsam »geschafft« werden. Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Abb. 4: Potenzielle Waben eines Campus für familiengerechtes Arbeiten und Leben (© Michelle Bäßler)

In solch einem Center wäre aber nicht nur Platz für eine Kita, sondern hier soll das gesamte Spektrum eines Kinderhauses oder Familienzentrums bedient werden. Neben den Regelbetreuungsformaten wie Krippe und Kita soll es auch offene Gruppen und Kurse für Babys etc. geben. Somit gelingt die Öffnung in den Sozialraum anstelle der sehr homogenen Gruppierungen z. B. einer Betriebskita. Insbesondere die Option, flexible stundenweise Betreuung zu buchen, in denselben Räumlichkeiten und vom liebevollen Personal, das den Kindern bereits vertraut ist, stellt eine enorme Steigerung der Vereinbarkeit dar. Das COSI.center stellt die Menschen in den Mittelpunkt. Deshalb richten wir unsere Angebote an den Bedürfnissen der Menschen aus, allen voran der ganz Kleinen. Das Prinzip der »kurzen Wege« dient dabei als Leitlinie, nicht nur in physischer und logistischer Hinsicht. Wir möchten Orte der Begegnung und der Kollaboration kultivieren, an denen Menschen sich auch inhaltlich austauschen und »näher zusammenrücken«, weil ein besseres Verständnis für den*die andere*n entsteht. Für ein Entwicklungsgespräch des Zweijährigen beispielsweise müssen Eltern nun nicht mehr früher kommen oder Erzieher*innen länger bleiben,

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sondern dies kann auch mal in der Mittagspause und -ruhe der Kinder eingefädelt werden. Die Bring- und Abholsituationen werden wesentlich entspannter, wenn die Eltern nicht auch noch den Verkehr einkalkulieren müssen, aber auch in Notfällen – das Meeting dauert länger oder die Tochter fühlt sich nicht gut – kann unkompliziert gehandelt werden. Wenn wir die kurzen Wege im Sinne der Vereinbarkeit und Bedürfnisse von Eltern und ihren Kindern weiterdenken, kommt man schnell zu Konzepten wie dem britischen »One Stop Shop« für Familien. Hier wird ein Raum z. B. für die Nutzung von externen Logopäd*innen, Ergotherapeut*innen etc. bereitgestellt, die jeweils an einem festen Tag der Woche einen »Hausbesuch« machen. Solche Sitzungen dauern in der Regel nur 20 Minuten. Anstatt dass die Kinder dafür einem Großteil der alltäglichen Struktur und Gruppendynamik entzogen würden und die Eltern sich einen halben Tag Urlaub nehmen müssten, ergäbe diese örtliche Nähe wieder eine Win-win-win-Situation. Eine solche »Außenstelle« wäre prinzipiell auch für z. B. Musikunterricht, Friseur, Beratungen zu Elterngeld, Elternzeit etc. denkbar. Adaptiert man das auf größere Räume, könnte wie bei einer Volkshochschule auch Programm im Bereich Sport und Wellness aber auch Bildung für Erwachsene angeboten werden. Durch Kooperationen mit lokalen Vereinen und freiberuflichen Trainer*innen und Coaches oder auch institutionellen Weiterbildungsträgern, die sich ihrerseits den Aufbau von eigenen Flächen sparen und stattdessen nur tage- oder gar stundenweise Räume anmieten könnten. Wenn es eine zentrale Koordinierungsstelle gäbe, die das vielfältige Angebot übersichtlich bündeln und die Verwaltung der Raum- und Platzbelegung steuern würde, könnte ein toller Mix für die Menschen, die im Umkreis leben, entstehen. Eben ein Campus für familiengerechtes Arbeiten und Lernen!

Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

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Wie kann das gelingen? Eine Frage der Haltung Müssen nun überall 9.000-Quadratmeter-Center entstehen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Nein. Die infrastrukturellen Voraussetzungen machen die Umsetzung natürlich einfacher. Aber so ein Konzept fußt auf dem Mindset. Der Kapitalismus hat durch seine eiserne Profitorientierung eine Haltung der Konkurrenz, Abgrenzung und Abschöpfung zementiert. Wenn wir dagegen die Grundwerte des Coworking – Offenheit, Kollaboration, Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Zugänglichkeit – ansetzen, können wir nicht nur alle ein faires Stück vom Kuchen haben. Sondern wir generieren einen größeren Kuchen, ohne dabei unmittelbar Raubbau an den Ressourcen dieser Welt zu betreiben. Wenn jede Organisation für sich schaut: Was kann ich mit meinen vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zu dieser gemeinsamen Zielerreichung beitragen? Wo können wir Synergien nutzen? Wenn wir Vereinbarkeit wahrhaftig als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen, kann so ein Ort entstehen. Ein Ort, an dem Menschen – Klein und Groß – ihr Potenzial entfalten können. Und das unabhängig von einem Ort. Es kann auch ein Quartier sein, ein Verbund an Organisationen mit einer gemeinsamen Website oder App. Aber es kann auch ein Kaufhaus sein, das dem Onlinehandel zum Opfer gefallen ist, oder ein Neubaugebiet, das ressourcenschonend und multifunktional konzeptioniert ist. Die Ausgestaltung ist mannigfaltig möglich, speziell in der heutigen digitalisierten und vernetzten Zeit. Die Frage ist eher, wie kultivieren wir – entgegen unserer jahrelang sozialisierten Konkurrenz-Mentalität – ein fruchtbares Mindset des Miteinanders? Wie befähigen wir Menschen dazu, Verantwortung zu übernehmen, für ein größeres Ganzes und ihren Beitrag dazu zu leisten? Wie können wir Beteiligung fair organisieren und wertschätzen, sodass sich nicht nur sehr vermögende Menschen mit dem nötigen (Zeit-)Wohlstand mit derartigen Projekten befassen können? Wie können wir langfristiges Commitment und eine gesunde Zusammenarbeit sicherstellen? Das sind die Fragen die mich inzwischen – als Systempreneurin – maßgeblich beschäftigen. Wir sind ein Zusammenschluss an SocialImpact-Unternehmen, die ein Herzensanliegen haben und dieses unternehmerisch angehen, um echten Mehrwert zu generieren. Uns geht es nicht um Profit. Wir wollen die gesellschaftlichen Herausforderungen

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Michelle Bäßler

Coworking sichert Vereinbarkeit von Beruf und Familie – eine Vision zur Umsetzung

Dirksen

Michelle Bäßler war zuletzt als Bereichsleitung für Organisationsentwicklung tätig und hat die Digitale Transformation unternehmensweit geleitet. In der Elternzeit stolperte sie in die Social-Impact-Szene, was rückwirkend betrachtet ein bisschen wie der Ausstieg aus der Matrix für sie war. Heute ist sie zweifache Mutter und Sozialunternehmerin und versteht sich als Botschafterin für zeitgemäße Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

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unserer Zeit lösen. Dafür sind wir uns nicht zu schade, auch am System zu rütteln. Denn das System ist menschengemacht und wenn es nicht mehr passt, muss es eben renoviert werden. Wer packt mit an?

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3.2 Coworking als Chance für Kirche – das »Kairos13« in Karlsruhe Daniel Paulus

Wer wir sind und wo man uns findet »Kairos13« ist der Coworking-Space der Evangelischen Kirche in Karlsruhe und richtet sich vor allem an junge Menschen, die als Start-up oder freischaffend an nachhaltigen und sozialen Themen oder Projekten arbeiten. Warum Kairos? Kairos ist im neutestamentlichen Griechisch eine Zeitform. Während chronos die fortlaufende Zeit beschreibt, meint kairos den günstigen Zeitpunkt, eine Gelegenheit, die sich bietet,

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eine Chance, die man ergreift. Mitten in einer Krise beweist Kirche Mut. Aus der reduzierten Überhangsfläche eines Gemeindehauses wird ein Innovationscampus: Kirche initiiert den ersten Social-Coworking-Space in Karlsruhe. Eine Krise wird zur Chance! Kairos13 liegt günstig mitten in der Stadt, zentral in der Nähe des Marktplatzes im Gemeindehaus der Alt- und Mittelstadtgemeinde. Zu dieser Gemeinde gehören auch die Stadtkirche und die Kleine Kirche. Beide Kirchengebäude spielen bewusst in das Konzept hinein, so steht auf einem Seitenbalkon der Stadtkirche oben über dem Marktplatz ein Hochbeet. Das Beet wurde von einem unserer Start-ups gebaut und gemeinsam von Coworker*innen der Community bepflanzt. Nun wächst buntes Gemüse wie Radieschen, Salat, rote Beete und Blumenkohl über dem Marktplatz oben auf der Kirche. Zwischen den Stufen und Säulen der imposanten WeinbrennerKirche stehen an sommerlichen Tagen Strandliegen bereit, sodass man sich seinen Arbeitsplatz bequem zum Marktplatz hin ausrichten kann – Pop-up-­Coworking an den Ausläufern der Kirche, zugewandt zum Marktplatz. Wir spielen ganz bewusst mit unserer zentralen Lage und unseren städtebaulich den Marktplatz prägenden Gebäuden. Man kann es nicht übersehen: Coworking unter dem Dach der Kirche, auch wenn wir nicht immer direkt in und um die Stadtkirche sind. Die eigentlichen Räumen sind im Gemeindehaus in einer Seitenstraße – etwas ruhiger gelegen. Nur eine mit dem Logo beklebte Scheibe weist darauf hin. Am besten folgt man den jungen Leuten, die über die Hofdurchfahrt in den begrünten Innenhof kommen, wo sich ein zweites Beet befindet, direkt vor dem Pavillon von Kairos13. Im März 2021 fingen die ersten Coworker*innen an, zunächst unter Coronabedingungen, zu Beginn eher Working als »Co«-Working und noch im Testbetrieb für alle, die einmal dem Homeoffice entfliehen wollten. Im September 2021 konnte endlich die Eröffnung im Rahmen der »Fairen Woche« nachgeholt werden, verschiedene Workshops und Veranstaltungen fanden dazu im Kairos13 statt. In unserem Space stehen insgesamt rund 15 Arbeitsplätze zu Verfügung, die sich mittelfristig auf eine Community von rund 50–70 Personen verteilen sollen. Man kann sich hier keinen Arbeitsplatz mieten, aber Teil der Community werden. Die Nutzung ist kostenlos auf Spendenbasis. Durch die Spenden, die digital via »Givt«-App übers Handy gezahlt werden, trägt und ermöglicht die Community ihren Space selbst. Mit den Spenden werden die Nebenkosten sowie die Kosten für Kaffee, Getränke etc. gedeckt. Gibt es Coworking als Chance für Kirche – das »Kairos13« in Karlsruhe

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einen Überschuss, kann neu investiert werden. In den nächsten Monaten soll noch ein weiterer ehemaliger Gemeinderaum erschlossen werden. Durch die Ansiedlung in einer kirchlichen Liegenschaft entstehen keine Mietkosten.

Die Story Alles begann vor wenigen Jahren mit ersten Gesprächen zwischen offenen Akteur*innen aus Kirche und Wirtschaft. Gemeinsam wurde überlegt, wie man Innovation gestalten kann, von der alle Beteiligten profitieren können und die einen Impact für Karlsruhe und darüber hinaus hat. Es fanden Innovationsworkshops statt. Dort wurde nicht nur über Coworking, sondern beispielsweise auch über eine Pop-up-Kirche in einer Ladenzeile in der Fußgängerzone nachgedacht. Parallel dazu gab es erste Kontakte zur Reformierten Kirche im Kanton Zürich, die mit Blau10 bereits einen gut angelaufenen Coworking-Space mitten in Zürich betreibt. Blau10 wurde immer mehr zur »Blau-Pause« für das Kairos13. Mit der Schaffung einer Stelle für den Aufbau eines Coworking-Space unter dem Dach der Evangelischen Kirche kam ich im September 2020 dazu, wurde Teil dieser Vision und durfte Kairos13 schließlich aufbauen.

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Ziele und Werte Als kirchlicher Coworking-Space verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen möchten wir als Kirche sozial-nachhaltiges Engagement fördern, zum anderen einen neuen kirchlichen Ort schaffen für Menschen, die sonst kaum oder keine Kontaktflächen zu Kirche haben. Dies geschieht sehr niedrigschwellig und ganz automatisch darüber, dass Coworking unter dem Dach von Kirche stattfindet, verbunden mit meiner Präsenz als kirchlicher Mitarbeiter vor Ort, selbst Teil der Community. Wir möchten vor allem Menschen Raum geben, die sich in einem weit gefassten kirchlichen Wertekosmos engagieren und sich für Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, Glaube, Hoffnung und Liebe einsetzen. Derzeit sind wir mit drei Start-ups in Kontakt, »Refarm« (Hochbeete und Urban Farming in Karlsruhe), »Pavao« (Mehrwegpfandsystem aus Glas) und »Femfeel« (Coaching App für Frauen in der Menopause). Darüber hinaus aber auch mit Freischaffenden und Studierenden. Uns ist es wichtig, diese Werte auch von innen heraus zu leben. So wurde ein maßgeblicher Teil der Einrichtung von einer Schreinerei gebaut, die Menschen mit Fluchterfahrung eine Ausbildung ermöglicht. Fast alle weiteren Möbelstücke wurden gebraucht gekauft, upgecycelt oder gespendet.

Style Ein Architektur-Professor nannte neulich einmal den Style von hippen Coworking-Spaces wie unserem hier ein »Arrangement von schön zusammengestelltem Sperrmüll«. So ist es auch bei uns. Jedes Einrichtungsstück hat seine eigenen Geschichte. Durch das Zusammenspiel entsteht eine besondere Atmosphäre der Gemütlichkeit. Unser Space erinnert etwas an ein Wohnzimmer. Man kommt herein und fühlt sich zu Hause. Die vielen Orientteppiche, die ich zum Teil über Haushaltsauflösungen erhalten habe, sind so eine Gratwanderung zwischen Omas Wohnzimmer­teppich und Hipsterteppich. Die Designsprache geht auf, die beschriebene Zielgruppe fühlt sich dadurch angesprochen. Als kirchlicher Coworking-Space sind wir vielleicht etwas kleiner als manch anderer säku­larer Space. Dafür sind wir aber auch familiärer. Man kennt sich und fühlt sich schnell zu Hause, hier herrscht Wohnzimmer­atmosphäre im besten Sinne. Coworking als Chance für Kirche – das »Kairos13« in Karlsruhe

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Kirche im Dialog Wir verstehen uns im Sinne einer Barrierefreiheit bewusst nicht als »christlicher« Coworking-Space. Wir sind sicherlich insofern christlich, dass hier die Evangelische Kirche in Karlsruhe einen Raum eröffnet und eine Stelle geschaffen hat, die Kairos13 leitet und auch theologischpädagogisch begleitet. Als Diakon bin ich schwerpunktmäßig als Community-­Manager tätig, habe den Space konzipiert und den Umbau begleitet, organisiere Coworking (derzeit noch unter Coronabedingungen) und begleite die Community pädagogisch und theologisch. Pädagogisch begleiten heißt hier, Vernetzungsmöglichkeiten für die Coworker*innen zu schaffen und Menschen gezielt miteinander in Kontakt zu bringen, Events zu organisieren, potenzielle Konflikte moderieren. Dort, wo Menschen zusammenkommen, da entstehen naturgemäß auch Reibungspunkte, das kennt jede*r die*der schon einmal in einer WG gewohnt hat. Auslotungsprozesse gestalten: Wie gehen wir mit Telefongesprächen um? Wie laut ist zu laut? Das empfindet man vielleicht unterschiedlich. Auch die theologische Begleitung beginnt sehr niedrigschwellig. Das Kairos13 ist auch mein Arbeitszimmer, ich bin hier Teil der Peergroup, aber auch »Betriebsseelsorger«. Ich habe ein offenes Ohr. Da gibt es vielleicht Existenzängste bei der Gründung eines Start-ups. Vielleicht möchte jemand über seine privaten Sorgen und Nöte sprechen. Seelsorgerliche Begleitung ist per se christlich und kirchlich und sie ist interesselos. Wir möchten hier nichts verkaufen, keinen Gewinn machen, sondern da sein, begleiten und unterstützen, wie bei anderen kirchlichen Angeboten auch. Aber durch dieses Angebot sind wir vermutlich näher in der Lebenswelt der Coworker*innen. Wir sind dort präsent, wo die allermeisten Menschen ein Großteil ihrer Lebenszeit verbringen: bei der Arbeit. Sonst spielt Kirche ja eher mit ihren Angeboten im Freizeitbereich am Abend oder an den Wochenenden mit. Man arbeitet gemeinsam und doch für sich, trinkt einen Kaffee zusammen, tauscht sich über seine Projekte aus, seine Erfolge und auch Misserfolge. Oft entsteht auch ein persönliches Gespräch. Und vielleicht entsteht bei so einem Gespräch ja auch mehr: ein theologisches Gespräch oder auch eine Kasualie, wie der Wunsch nach einer kirchlichen Trauung oder einer Taufe – in der Lebensphase der Zielgruppe ja gut vorstellbar. Die Haltung ist entscheidend. Unser Mindset entspricht dem von »Kirche im Dialog«, zum dem uns die Nordkirche inspiriert (www.kir-

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cheimdialog.de). Wir stellen nicht gönnerhaft und großzügig einen Raum zur Verfügung, sondern wir versuchen milieusensibel in einen Dialog mit den Coworker*innen zu treten. Welche Impulse können wir als Kirche dadurch bekommen? Was können wir als Kirche von Start-ups an Innovationskultur lernen? Und gleichzeitig zu entdecken: Es gibt so viel Gemeinsames, das uns verbindet und das wir als Kirche anzubieten haben. Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung sind bei uns nicht erst seit heute zentrale Themen. Wir nannten dies bisher nur anders: »Schöpfung bewahren«, »Frieden stiften«. Vielleicht entsteht auch im persönlichen Gespräch ein »Kairos-Moment«, in dem etwas von Gottes Gegenwart sichtbar wird im Zusammensein. Theologisch sind wir von der Missio Dei hergeleitet. In der Begegnung offenbart sich Gott. Er ist schon da, mitten unter uns. So ist es auch nicht unser Ziel, Coworker*innen in unsere Vorstellung einer »Vereinsgemeinde« zu integrieren mit ihren Gruppen und Kreisen. Es ist auch nicht unser Ziel, diese für den regelmäßigen Gottesdienstbesuch zu gewinnen. Kairos13 ist Kirche. Kirche vollzieht sich genau in dieser Sozialform des Coworking. Das alltägliche Leben wird ganz lutherisch gesprochen zum Gottesdienst. Vielleicht wird es bei uns auch irgendwann einmal noch spirituelle Angebote geben. Ich könnte mir ein Mittagsgebet in der Kleinen Kirche vorstellen oder eine Meditation auf dem Kirchturm. Alles kann – nichts muss! Gerade durch diese dialogische Haltung auf Augenhöhe mit den Coworker*innen geschieht echte und tiefe Begegnung.

Community Wer einmal zum Arbeiten ins Kairos13 gekommen ist, wird auch schnell Teil der Community und übernimmt Verantwortung. Verschiedene Dienste werden verteilt. Spätestens zum zweiten Besuch erhält man den Code für den Schlüsseltresor und kann sich (und anderen) die Räume aufschließen. Man kümmert sich um Neue, zeigt ihnen wie der Siebträger und die Espresso-Mühle funktioniert. Man lässt den Müll nicht überlaufen und schließt die Fenster, wenn man geht, und schaut dann vielleicht noch nach den vielen Urban-Jungle-Pflanzen oder draußen nach dem Hochbeet, ob vielleicht noch gegossen werden sollte. Und letztendlich soll sich das Kairos13 auch einmal durch die Spenden der Coworker*innen selbst tragen und weiterentwickeln. Coworking als Chance für Kirche – das »Kairos13« in Karlsruhe

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Herausforderungen und Perspektiven Wir sind froh, die ersten Herausforderungen gemeistert zu haben. Mitten in der Coronakrise einen Coworking-Space zu eröffnen war schwer vorstellbar, aber möglich und zu verantworten. Gerade für Studierende und Singles, für die Homeoffice vor allem auch Alleinsein bedeutete, blühten regelrecht auf bei uns. Trotz Abstand und Maske eine Form der menschlichen Nähe erleben, tat so gut. Aus meiner Sicht liegt auch »nach« Corona die Zukunft nicht allein im Homeoffice. Bei allen digitalen Errungenschaften, mobilen und hybriden Arbeitens wird meiner Einschätzung nach der Wunsch nach analoger Nähe bei der Arbeit zunehmen. Vielleicht nicht unbedingt zu den eigenen Kolleg*innen im Betrieb vor Ort, aber zu einer Peergroup in einem Coworking-Space, der Raum schafft für Austausch und Begegnung, der Vernetzung, Inspiration und Neugier fördert. Sodass Menschen vielleicht einmal wegen des Platzes gekommen sind – und wegen der Community bleiben. Daniel Paulus ist Diakon und Erziehungswis­ sen­schaftler. Er leitet Kairos13, den Coworking-­ Space der Evangelischen Kirche in Karlsruhe und zieht schon immer das mobile Arbeiten in inspirierender Umgebung seinem Schreibtisch vor. Ihn treiben Innovation und kirchliche Aufbrüche an, die er vor allem in einer kleiner werdenden Kirche in der Großstadt findet.

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3.3 Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich Mathias Burri

Am Anfang steht leerer Raum, ein neuer organisationaler Raum. Die Gesamtkirchlichen Dienste der Evangelisch-reformierten Landeskirche Zürich werden Anfang 2015 umstrukturiert. In diesem Prozess wird eine Abteilung »Kirchenentwicklung« als neuer Raum geschaffen. Diese Abteilung hat den Auftrag, den Reformprozess der Kirche zu unterstützen und dabei selbst neue Wege des Arbeitens und der Innovation zu beschreiten (vgl. Schaufelberger 2017). Der zweite Raum wird von der neuen Abteilung Kirchenentwicklung Anfang 2015 entdeckt. Bei einer Kick-off-Veranstaltung aller Mitarbeitenden besuchen sie den Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich

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größten Coworking-Space in Zürich, den »Impact Hub«, und hören Storys der innovativen Gründer*innen. In diesem bisher unbekannten Raum entstand die Idee, als Abteilung auch einen solchen kreativen Raum der Vernetzung und der Inspiration zu erschaffen, wie er im »Impact Hub« erlebt wurde. Und als letzter ist da noch ein physischer Raum im Gebäude der neuen Abteilung Kirchenentwicklung. Im Erdgeschoss bleibt ein Raum übrig, dessen Nutzung noch nicht bestimmt ist. Bald wird klar, dass hier ein Coworking-Space entstehen soll für kreative Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche, um sich gegenseitig zu inspirieren, gemeinsam zu lernen und zu arbeiten und sich auf die Suche nach innovativen Wegen zu machen. Zwei Jahre später und nach etlichen internen Entwicklungsschlaufen wird der CoworkingSpace »Blau10« gegründet, mitten in der Altstadt von Zürich im Haus der Abteilung Kirchenentwicklung. Rasch kann darin eine Coworking-­ Community aufgebaut werden. Seither beherbergt das Haus zwei sehr unterschiedliche Welten: auf der einen Seite die Arbeitswelt der kirchlichen Mitarbeitenden und auf der anderen Seite die Bürogemeinschaft der externen Coworker*innen, oftmals junge, urbane Gründer*innen und Freelancer*innen. Diese unterschiedlichen und bunten Welten werden im Coworking-Space bewusst miteinander verknüpft und damit ein Raum für Vernetzung und Innovation geschaffen. Denn beide Gruppen haben viel mehr gemeinsam, als man es auf den ersten Blick vermutet.

Die Story »Warum habt ihr diesen Coworking-Space gegründet?« Diese Fragen stellen die interessierten Coworker*innen oftmals bei den Aufnahmegesprächen für die Mitgliedschaft in der Coworking-Community. Dabei zielt diese gute und berechtigte Frage auf zwei Ebenen. Da gibt es einmal die unternehmerische Ebene, auf die es als Kirche zu antworten gilt. Die Coworker*innen sind überrascht, dass die Kirche solche Coworking-­ Spaces gründet und zudem noch mit kostengünstigen Preismodellen. Und sie fragen darum auch auf einer anderen Ebene nach, was sich die Kirche damit verspricht, ob an die Mitgliedschaft irgendwelche Erwartungen geknüpft sind. Die Mitarbeitenden der Kirche und Verantwortlichen des Blau10 stellen sich diesen Fragen und haben sie bereits in der Konzeptionsphase geklärt. Die reformierte Kirche hat durch die Initiierung von Blau10

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nicht nur ihre Liegenschaft geöffnet und zur Verfügung gestellt, sondern auch den Kontakt zu Gründer*innen, Freelancer*innen, kreativen und innovativen Menschen gesucht, um einen Raum für Vernetzung und Innovation zu schaffen. Der Coworking-Space hat dabei ein inhaltliches Profil, welches durch das Mission Statement umrissen wird: »Blau10 ist der Coworking Space in Zürich für sozial und kirchlich Innovative, Weltverbesserer und kreative Köpfe. Ein Ort für Inspiration und Vernetzung – auf der Suche nach guten Wegen in die Zukunft.« (siehe www.blau10.ch) Die Kirche hat den Coworking-Space gegründet, weil ihr gute Wege in die Zukunft wichtig sind und sie gemeinsam mit den Coworker*innen solche suchen will. Die Abteilung Kirchenentwicklung erhofft sich jedoch auch, dass sie durch den Kontakt mit der Coworking-Community zukünftig selbst innovativer und vernetzter wird. Barbara Josef und Andrea Back (2018) zeigen in ihrem Artikel »Coworking as New Innovation Scenario from the Perspective of Mature Organisations«, dass reife Organisationen verschiedene Motive und Strategien zur Nutzung von Coworking als Raum für Innovation entwickeln. Ein Szenario sieht vor, dass reife Organisation ihre Mitarbeitenden in Coworking-­ Spaces schicken, um dort in einem heterogenen und inspirierenden Umfeld zu arbeiten. In einem zweiten Szenario wird die reife Organisa-

Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich

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tion selbst zu einem Coworking-Space. Dadurch sollen mehr Vernetzung und gegenseitige Kollaboration ermöglicht werden. Ein drittes Szenario zeigt, dass reife Organisationen ihre Immobilien nutzen, um Coworking-Spaces als Geschäftsmodell zu entwickeln. Beim vierten Szenario eröffnet die reife Organisation einen Coworking-Space, in welchem externe Coworker*in­nen und interne Mitarbeitende gemeinsam arbeiten. Die Abteilung Kirchenentwicklung der Evangelisch-reformierten Landeskirche Zürich wählte mit der Initiierung eines Inhouse-Coworking und dem Aufbau einer kuratierten, heterogenen Community von externen Start-ups und Freelancer*innen das letztgenannte Szenario, welches Josef und Back wie folgt beschreiben: »Coworking as a means to foster co-creation with external stakeholders« (Josef/Back 2018, S. 493). Die Erfahrungen der Landeskirche zeigen, dass durch die Initiierung eines Coworking-Space und durch den damit verbundenen Aufbau einer kuratierten Community tatsächlich ein Raum für Innovation, Vernetzung und Kulturveränderung innerhalb der bestehenden Organisation geschaffen werden kann. Rasch konnte nach der Eröffnung eine Community von rund 40 Personen aufgebaut werden, die in Bereichen und Themenfeldern arbeiten, welche auch für die Kirche relevant sind. So findet man im Blau10 zum Beispiel Start-ups im Bereich Social Innovation, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Organisationsentwicklung, Spiritualität, Migration und Diversity. Einerseits profitieren die kirchlichen Mitarbeitenden stark durch die informellen Begegnungen mit den Coworker*innen, durch die inhaltlichen Impulse derselben in Veranstaltungen im Blau10, durch Inanspruchnahme von Coaching und den fachlichen Austausch. Andererseits ergeben sich auch neue Vernetzungen, z. B. zu Themen wie Migration, Organisationsentwicklung, Nachhaltigkeit, und teilweise sogar gemeinsame Projekte oder Kooperationen. Zudem ist zu beobachten, dass die Kirche schon allein dadurch profitiert, dass sie selbst ein solches Innovationsprojekt gegründet hat. So konnten die im CoworkingSpace involvierten kirchlichen Mitarbeitenden sozusagen »on the job« Erfahrungen machen in agilen und selbstgesteuerten Arbeitsformen, in Methoden der Partizipation, in der Entwicklung einer Social-MediaStrategie und dem Aufbau einer Coworking-Community. Weiter wurden innerhalb der gesamten Abteilung Kirchenentwicklung kulturelle Werte wie zum Beispiel Gastfreundschaft, Feedbackkultur, Neugier und Kreativität gefördert und weiterentwickelt.

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Die Strategie Die gute Lage in der Innenstadt, die atmosphärische Einrichtung und die kostengünstigen Mitgliedschaftsmodelle sind wesentliche Gründe für die Attraktivität von Blau10. Neue Coworker*innen stoßen zudem oftmals durch Empfehlungsmarketing von begeisterten Mitgliedern der Blau10-­Community zu diesem Coworking-Space. Dabei wird von den Coworker*in­nen immer wieder betont, wie die sorgfältig kuratierte Commu­nity in ihrer überschaubaren Größe und den erkennbaren Grundwerten im Sinn des »Coworking Manifestos« (Coworking Schweiz 2018) den Kern der Attraktivität darstellen. Gerade diese gemeinsame Wertebasis und die inhaltliche Ausrichtung in definierten Themen ist die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit dieser Bürogemeinschaft von externen Coworker*innen und Mitarbeitenden der Abteilung Kirchenentwicklung. Der Coworking-­ Grundsatz »Community first« gilt somit auch für Blau10. Bereits bei der Konzeptionierung des Coworking-Space wurde der strategische Entscheid gefällt, eine kuratierte Community aufzubauen. Alle Interessierten durchlaufen einen Bewerbungsprozess, in welchem nach definierten Kriterien beurteilt wird, ob die möglichen Coworker*innen eine Bereicherung der Community darstellen. Dabei spielt eine Rolle, in welchen Bereichen die Coworker*innen arbeiten, welche Erfahrungen und Kompetenzen sie in den Coworking-Space mitbringen und ob sie interessiert sind, sich in die Community einzubringen, das Leben im Coworking-Space mitzugestalten und sich zu vernetzen. Der Kirche ist es gelungen, eine ihrer Kernkompetenzen, den Aufbau einer vielfältigen Community, mit einem professionellen Coworking-Space-Angebot in Verbindung zu bringen. Eine weitere strategische Entscheidung ist nach rund zwei Jahren gefallen, als die Mitgliedschaftsmodelle mit der Verpflichtung der Coworker*innen verbunden wurden, einen Teil ihrer Zeit in den Betrieb und die Entwicklung des Coworking-Space zu investieren. Die Coworkenden wählen seither bei der Aufnahme in die Community eine Form der freiCoworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich

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willigen Mitarbeit, zum Beispiel als Gastgeber*in, als Mitarbeitende in Veranstaltungen oder im Coaching von anderen Coworker*innen. Dieses Commitment zur Mitgestaltung hat die Partizipationskultur des Blau10 nachhaltig verändert.

Der Lernprozess Der Coworking-Space Blau10 wurde als Innovationsraum konzipiert, ein Inkubator, um gemeinsam nach guten Wegen für die Zukunft zu suchen. Was sind die Erfahrungen aus den ersten Jahren? Es hat sich gezeigt, dass einige Lernfelder entscheidend waren für die positive Entwicklung des Coworking-Space. Drei davon werden im Folgenden kurz beschrieben. 1. Ein visionäres Team mit Brückenbauer*innen-Qualitäten aufbauen

Die Abteilung Kirchenentwicklung hat das Potenzial des Coworking-Space als Raum für Innovation und Vernetzung erkannt und dafür personelle Ressourcen freigestellt. Es wurde von Beginn an ein Team zusammengestellt, welches zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben in der Abteilung Kirchenentwicklung nun auch die Initiierung und Entwicklung von Blau10 verantwortete. Dieses Team von drei bis vier Mitarbeitenden erhielt neben zeitlichen Ressourcen und einem klaren Auftrag auch weitgehende Entscheidungskompetenzen für die Entwicklung des Coworking-Space. Diese Selbstorganisation ermöglichte ein agiles Handeln und war durch die Verbindung mit dem Abteilungsleiter doch immer in guter Abstimmung zum Rest der Abteilung Kirchenentwicklung. Dieses Team hat auch eine Brückenbauer*innen-Funktion eingenommen zwischen dem Coworking-­ Space und den kirchlichen Mitarbeitenden. Diese beiden Welten zu verbinden, war ja gerade der erklärte Auftrag für Blau10. Dass dies nicht immer ohne Reibungen verläuft, ist vorhersehbar. Es begegnen sich nicht nur zwei sehr unterschiedliche Kulturen, die beiden Gruppen teilen sich diese eine Liegenschaft, was unweigerlich auch zu Irritationen führt, gerade weil die Coworker*innen eine wachsende Community darstellen und immer mehr Raum im Gebäude einnehmen. Umso wichtiger ist die Aufgabe, Brücken zu bauen, den Nutzen für die Mitarbeitenden der Kirche nicht nur zur

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erklären, sondern diesen erlebbar zu machen. Dabei helfen zum Beispiel für die Mitarbeitenden interessante Veranstaltungen oder Möglichkeiten für inspirierenden Begegnungen mit den Coworker*innen. 2. Strategieentwicklung gestalten

Blau10 wurde zu einem Zeitpunkt eröffnet, an dem ein Coworking-Space eigentlich gar nicht eröffnet werden dürfte, denn es gab vor der Eröffnung keine Prototyp-Phase, in der bereits eine Coworking-­Community aufgebaut werden konnte. Beim Eröffnungsfest gab es noch kein einziges Community-Mitglied und man war gespannt auf die Tage danach. Glücklicherweise hatten gleich zu Beginn einige sehr gut vernetzte Coworker*innen aus anderen Coworking-Spaces zum Blau10 gewechselt und diese Neuen haben wiederum in ihren Netzwerken vom neuen Coworking-­ Space Blau10 erzählt. So ist durch Empfehlungsmarketing rasch eine genügend große Community entstanden, die wiederum attraktiv für weitere Interessierte war. Diese Geschichte veranschaulicht ein Prinzip, welches sich in der Entwicklung von Blau10 immer wieder zeigt. Man wagt etwas Neues und testet Ideen zuerst einmal aus. Der Entwicklungs- und Strategieprozess wird immer wieder neu reflektiert und den Erfahrungen und Möglichkeiten angepasst. Es wurden zum Beispiel verschiedene Veranstaltungsformate getestet, die sich nicht bewährt haben. Oder der Einbezug der Community in die Social-Media-Kommunikation ist bis heute eine Herausforderung. Auch die Mitgliedschaftsmodelle wurden jedes Jahr wieder neu reflektiert und in Abstimmung mit der Coworking-Community weiterentwickelt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass das eigene Handeln und die Strategie sehr offen und ehrlich immer wieder neu diskutiert werden müssen. Das Team hat den Auftrag, diese iterative Strategieentwicklung zu gestalten und gemeinsam mit der Community und teilweise auch mithilfe von externer Beratung durch andere Coworking-­ Gründer*innen die besten Wege für die Entwicklung zu suchen. 3. Partizipation leben und lernen

Die Form der Partizipation und damit die Rolle der Kirche im CoworkingSpace blieben lange eine Herausforderung und bleiben es auch weiterhin. Die Kirche stellt den Raum zur Verfügung und ist als Besitzerin für die wesentlichen Entscheidungen zuständig. Inwiefern und in welchem Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich

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Umfang ist hier Partizipation der Community möglich? Geholfen hat in der Rollenklärung eine Beratung durch Expert*innen aus anderen Coworking-­Spaces. Dadurch konnte Blau10 als Inkubator verstanden werden, ein Gewächshaus für verschiedene Gemüsesorten bzw. Themen, die von kirchlichen und externen Coworker*innen gemeinsam, partizipativ entwickelt werden können. Für die Infrastruktur des Gewächshauses, den Wasseranschluss, die Schlüsselverteilung etc. ist die Kirche zuständig. Die Community wird in diesen Fragen lediglich als Sounding-Board bei wichtigen Entscheidungen angehört und nach ihrer Meinung befragt, so zum Beispiel bei Anschaffungen von Mobiliar oder beim Bestimmen der Mitgliedschafts- und Preismodelle. Bei solchen Themen ist ein anderer Grad an Partizipation notwendig, als er bei der Gestaltung des Community-­ Lebens und der Innovationskultur angestrebt werden kann. So wird zum Beispiel bei der Wahl und der Entwicklung von Veranstaltungsformaten und der inhaltlichen und strategischen Entwicklungen des Blau10 ein hoher Grad an Beteiligung angestrebt und gemeinsam nach neuen Ideen und Lösungen gesucht. 4. Inspiration und Vernetzung ermöglichen

Auch wenn sich die beiden Arbeitswelten innerhalb der Liegenschaften täglich begegnen, werden Veranstaltungen benötigt, um informelle Begegnungen, Vernetzung und Kollaboration zu ermöglichen. So werden zum Beispiel Impulsveranstaltungen während der Mittagspause geplant, welche sowohl für die externen Coworkenden als auch für die Mitarbeitenden der Kirche interessant sind. Weiter werden gemeinsame Feiern

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organisiert und Workshops oder sogenannte Sounding-Boards, in welchen sich die Anwesenden begegnen und gegenseitig inspirieren. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Veranstaltungen eine ideale Möglichkeit darstellen, damit neue Coworker*innen kennengelernt werden können. Oftmals werden die Themen, Kompetenzen und Erfahrungen der Coworker*innen für die Erstellung des Veranstaltungsprogramms genutzt. Für die Mitarbeitenden der Abteilung Kirchenentwicklung ist hier der Nutzen des Coworking-Spaces am offensichtlichsten erkennbar, da die ausgewählten Themen auch für sie selbst relevant sind. Zudem können hier neue Vernetzungen ermöglicht werden. So konnten sich zum Beispiel kirchliche Mitarbeitende und externe Coworker*innen vernetzen, die in den Themen »Palliative Care«, »Nachhaltigkeit« und »agile Organisationsformen« tätig sind.

Die Zukunft Die Coronapandemie hat auch Blau10 als Coworking-Space stark herausgefordert. Lange Zeit musste der Coworking-Space geschlossen werden und durch das Schutzkonzept konnten während der Öffnung nur wenige Coworker*innen einen Arbeitsplatz buchen. Neben einem kleinen Kern von regelmäßigen Coworker*innen gab es viele, die Blau10 während dieser Zeit wenig oder gar nicht mehr nutzten. Das lebendige Community-Leben und das volle Haus haben sich in den langen Monaten der Pandemie etwas verflüchtigt. Mit neuen digitalen Formaten wurde das Community-Leben, die Inspiration, gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit aber auch in dieser herausfordernden Zeit ermöglicht. Für einige der Coworker*innen gewann gerade in der Pandemie Blau10 an Bedeutung, waren doch hier gute berufliche und private Beziehungen entstanden und konnte Blau10 immer wieder als sogenannte Homebase oder Ausweichmöglichkeit zum Homeoffice genutzt werden. Es gilt nun, die Zukunft mit veränderten Rahmenbedingungen als Coworking-Space miteinander zu entdecken und zu gestalten. Für die Zukunft von Blau10 sind – unabhängig von neuen Rahmen­ bedingungen durch die Coronapandemie – zwei strategische Stoßrichtungen angedacht. Erstens soll das Potenzial der Community noch stärker entwickelt werden, damit die Coworker*innen gemeinsam mit Mitarbeitenden der Kirche auch in Zukunft Innovation und kreative Lösungen entwickeln. Coworking als Innovationsraum für Kirche und Gesellschaft – das »Blau10« in Zürich

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Dem quantitativen Wachstum sind durch die Größe der Räumlichkeiten Grenzen gesetzt. Von daher ist die Entwicklung primär qualitativ orientiert. Zweitens kann die Erfahrung von Blau10 an Kirchgemeinden weitergegeben werden, die ebenfalls ihre Immobilien nachhaltig und innovativ nutzen wollen. So konnte Blau10 schon einige interessierte Kirchgemeinden beraten und in ihrem Prozess der Entwicklung und Entstehung von neuen Coworking-Spaces begleiten. Die Nachfrage nach flexiblen Arbeitsplätzen, Bürogemeinschaften und auch heterogenen, inspirierenden CoworkingCommunities ist in zunehmendem Maße vorhanden. Es ist zu hoffen, dass viele Kirchen im urbanen und länd­ lichen Raum diese Chance entdecken und kreative Ansätze für die Nutzung ihrer Liegenschaften zu suchen beginnen. Mathias Burri ist Theologe und Fachmit­arbei­ ter für Gemeindeaufbau bei der Abteilung Kirchenentwicklung der Evangelisch-reformierten Lan­deskirche Zürich. Er leitet seit 2017 den kirchlichen Coworking-Space Blau10 und ist begeistert von der vielfältigen Community, die dort gemeinsam arbeitet, sich gegenseitig fördert, inspiriert, das Leben teilt und feiert.

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Mathias Burri

3.4 Vom Innovations- und Schöpfer*innen­ geist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt am Main David Schulke

»Guten Morgen, David. Und … was sind deine wichtigsten Ziele für diese Woche?« Die Frage fordert mich etwas heraus. Ich war schon auf Teamklausuren, die waren weniger fokussiert. Und jetzt haben wir Montagmorgen. Ich bin gerade auf dem Weg zur Kaffeemaschine und war eher auf »Schon-wieder-drei-Tage-Regen-Smalltalk« eingestellt. Die Frage stammt von Reza, einem der Gründer*innen bei uns im Haus. Ich sammle mich kurz. Dann freue ich mich riesig über so viel ernsthaftes Interesse an dem, was mich gerade wirklich bewegt. Ich versuche mich an Vom Innovations- und Schöpfer*innengeist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt a. M.

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einer Antwort. In der kurzen Szene steckt für mich sehr viel davon, was ich an Coworking schätzen gelernt habe. Und welch großes Lernpotenzial für mich darin als kirchlicher Mitarbeiter steckt, wenn ich mich nicht zu sehr im Tunnel und mit einer offenen Grundhaltung durch den Space bewege. Vielleicht auch für die nächste Teamklausur.

Die Idee Warum Kirche eigentlich zum Coworking berufen sein sollte, lässt sich in diesem Buch und ganz besonders im Beitrag von Maria Herrmann auf Seite 54 nachlesen. Als die Idee der Villa vor rund vier Jahren entsteht, ist das noch anders. Das Bistum Limburg kämpft in dieser Zeit nicht nur mit den Folgen des schleppenden Umgangs mit den Missbrauchsskandalen, Relevanzverlusten und einem prognostizierten Einbruch der Kirchensteuereinnahmen. Als wären diese Punkte für sich genommen nicht schon Grund genug, an der eigenen Berufung zu zweifeln, steckt das Bistum nach dem durch den Papst angenommenen Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in einer veritablen Leitungskrise. Alles in allem nicht der beste Nährboden für gemeinsam getragene pastorale Ziele oder gar für kirchliche Innovationen. Oder vielleicht gerade doch. Im Dezernat Kinder, Jugend und Familie wird gerade überlegt, was mit einer rund 100 Jahre alten Villa mit rund 600 Quadratmeter großen Fläche mitten in der Frankfurter Innenstadt passieren könnte. Diese teilt das Schicksal einiger kirchlicher Immobilien: in bester Lage verortet, aber inhaltlich und auch bautechnisch leicht in die Jahre gekommen. In einem kleinen Projektteam über verschiedene Hierarchieebenen hinweg entsteht die Idee einer Plattform für Zukunftsfragen. Nicht die kirchlichen Mitarbeitenden sollen das Haus allein von sich aus mit Leben füllen, sondern Pionier*innen, Macher*innen und Gestalter*innen aus möglichst vielen Bereichen. Coworking erscheint schon sehr früh als geeignete Form, dieses Ziel in die Tat umzusetzen. Nachdem das Projekt eine erste Gestalt annimmt, bekommt es Rückenwind aus dem gerade startenden Kirchenentwicklungsprozess im Bistum Limburg. Der neue Bischof Georg Bätzing gibt den Hauptund Ehrenamtlichen in seinem Bistum vor allem eine Frage mit auf den Weg: »Für wen sind wir als Kirche zukünftig da?« Leitende Prin-

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zipien sollen dabei – neben dem Hören und Vertrauen auf das Wort Gottes – sein: experimentierfreudig sein, eine positive Fehlerkultur entwickeln und gut streiten können. Die Verantwortlichen im Projekt »Villa Gründergeist« bestärkt die neue Tonalität, den nächsten Schritt zu gehen. Wohlwissend, dass die Idee alles andere als sattelfest ist, machen sie die Türen der Villa auf und die ersten Early Birds ziehen als Coworker*innen ein. Wie Coworker*innen die Why-Frage beantworten Fragen an Juliane Schlaud-Wolf

Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du das erste Mal von dem Projekt gehört hast? Salopp formuliert: WOW  – super gute Idee! Kirche schafft Raum für Inspira­tion. Kirche ist Lernort für Neues. Ich erlebe die Villa als einen Ort der Unterschiedlichkeit und der gegenseitigen Bereicherung. Menschen mit verschiedenen Ideen, Arbeitsstilen, Lebensfragen, Kompetenzen profitieren voneinander, unbewusst oder auch geplant. Sie ist ein lebendiger Zukunftsort. Vom Innovations- und Schöpfer*innengeist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt a. M.

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Was kann Kirche oder ein Bistum im Konkreten an einem Ort wie der Villa Gründergeist lernen? Wir lernen, wie wir gemeinsam gesellschaftliche Zukunft gestalten können und wir machen ernst damit, dass unser Platz als Kirche mitten in der Welt ist. Wir lernen, wie wir unsere Immobilien mobil nutzen können und dadurch selbst mobiler werden. Auf diese Weise lernen wir neue Leute kennen, die Lebensfragen, Ideen und Fähigkeiten einbringen. Du arbeitest auch ab und zu vom Haus aus, was schätzt du an der Arbeit in der Villa? Ich schätze den Austausch und die Atmosphäre. Der Raum und die verschiedenen Personen weiten meine Gedanken, auch an Tagen, in denen wenig direkte Kommunikation mit anderen Coworker*innen stattfindet. Die fluide Arbeitssituation lässt meine Gedankenwelt offener werden. Ich schätze die Buntheit und das spontane Aufeinandertreffen – ein toller Anders-Ort der Kirche, die niemals Selbstzweck ist. Juliane Schlaud-Wolf ist bischöfliche Beauftragte für und Leiterin des Ressorts Kirchenentwicklung und Community-Member.

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Die Strategie Die Early Birds sind Pionier*innen aus verschiedenen Welten, die damit klarkommen, dass es in der Villa zwar viel Platz zum Gestalten, aber auch ein brüchiges WLAN gibt. Sie zahlen kaum Miete. Zum Deal gehört es aber, dem noch jungen Team der Villa Gründergeist »beizubringen«, wie Coworking am Standort aussehen könnte. In dieser Projektstufe zahlt sich aus, dass die Villa nie als Konzept von vornherein zu Ende gedacht gewesen ist. Ohne sich sklavisch daran abzuarbeiten, hatte das Team vor allem auf die Prinzipien des Effectuation-Ansatzes gesetzt. Zudem sind die Entwicklungsschritte von Iteration, konstantem Lernen und Fehlerfreundlichkeit geprägt. Auch externe Kooperationspartner*innen werden in dieser Zeit auf das Projekt aufmerksam. Über den Kontakt zum »Wizemann Space« (mittlerweile »Impact Hub Stuttgart«) entwickelt sich eine Profilschärfung hin zu den Themen »Social Entrepreneurship« und »Sozialinnovation«. Der Kontakt zu den Kolleg*innen nach Stuttgart ist zudem eine Lehrstunde im Thema »Wissen teilen«. In dieser Zeit entsteht im Team in Abstimmung mit den Strukturen im Bistum eine gemeinsam getragene Vision der Villa: 1. Die Welt täglich besser machen durch die Förderung von Social Entrepreneurship und Sozialinnovation. 2. Die Learnings aus dieser Reise nutzbar machen für Menschen, die Kirche neu gründen und Glauben anders leben wollen. 3. Grundlage dafür ist eine sinnstiftende und durch das Villa-Team gut begleitete Community. Die Sozialunternehmer*innen, die die Villa fortan als Arbeitsort nutzen, sorgen nicht nur für Lebendigkeit im Haus. Mit ihren Themen rund um die »Sustainable Development Goals« (SDGs) der Vereinten Nationen sind sie hoch anschlussfähig zum kirchlich-karitativen Engagement. Bei einer gemeinsam durchgeführten Konzeptwerkstatt stellen die verschiedenen Nutzer*innengruppen des Hauses zudem fest, wie viele Schnittmengen auch in den Themen »Gründen« und »Berufung« stecken. Dem ersten Sprung ins Ungewisse, die Türen der Villa für Externe zu öffnen, folgen viele weitere, als die Community im Haus konstant wächst. Das umgebende System des Bistums Limburg als Träger der Villa Gründergeist unterstützt an vielen Punkten. Immer wieder stößt es jedoch allein schon aufgrund der Dynamik der Entwicklung an seine Grenzen. Immer wieder ist neben der fachlichen daher auch die institutionelle Kompetenz Vom Innovations- und Schöpfer*innengeist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt a. M.

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im Team der Villa Gründergeist gefragt. Das zeigt sich unter anderem, als das »Social Impact Lab Frankfurt« als einer der Ankermieter in die Villa einzieht und dabei auch zu einem wichtigen Partner wird. Vom Kennenlernen bis zum Einzug vergehen dabei gerade einmal zwei Wochen. Für kirchliche Verhältnisse ein Prozess in Lichtgeschwindigkeit. Was hat das mit Kirche zu tun? Fragen an Sven Zivanovic

Wo siehst du besonders große Schnittmengen zwischen den Themen »Social Entrepreneurship«, »Sozial Innovation«, »Kirche und Glaube«? Wir können soziale Innovation als Brücke zwischen Verwundbarkeit und Belastbarkeit einer Gesellschaft verstehen mit dem Ziel, ein widerstandsfähiges sozial-ökologisches Gesellschaftssystem zu bilden. In dieser Perspektive werden die Aufgaben der sozialen Innovation sehr klar: Sie soll die Bedingungen verändern, die Verwundbarkeit schaffen, und die Fähigkeit der Menschen verbessern, Veränderungen selbst zu beeinflussen. Daher können wir die Entwicklung von sozialen Innovationen auch als eine Aktivität definieren, die aus einem Gefühl der Notwendigkeit und Fürsorge für die*den andere*n entsteht. Ich meine, dasselbe Gefühl finden wir an der Quelle aller Aktivitäten von Kirche und Glauben. Warum passt ihr als Social Impact Lab Frankfurt gut zur Villa Gründergeist?

Wir sind der Überzeugung, dass soziale Innovation aus der Stärke einer kreativen menschlichen Gemeinschaft entspringt, die auf einem echten Gefühl der Verbundenheit und der Möglichkeit beruht, anstatt auf Wettbewerb und Egoismus.

Diese Gemeinschaft finden wir im Coworking der Villa Gründergeist. Was schätzt du persönlich an der Arbeit in der Villa? Es wird immer wichtiger, wenn wir soziale Systeme transformieren wollen, dass es einen Geist der Zusammenarbeit zwischen uns Menschen gibt. An der Arbeit der Villa Gründergeist schätze ich ihren inhärenten Sinn für unsere große Verantwortung, diesen Geist der Zusammenarbeit herbeizuführen.

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Sven Zivanovic ist Standortleiter des Social Impact Lab Frankfurt und Community-Member.

Das Arbeiten Konkret wird in der Villa in drei Kernbereichen gearbeitet. Das Coworking steht vorrangig Social Entrepreneurs und kirchlichen Mitarbeitenden offen und folgt dem Anspruch, jeden Tag eine interessante Person in der Villa treffen zu können. Die Villa versteht sich als Think-and-Do-Tank und führt eigene sowie Kooperationsveranstaltungen durch und bündelt diese Aktivitäten unter dem Stichwort »Social Hub«. Dazu gehören unter anderem das villaeigene Storytelling-Format »#SALON ZKNFT« oder Lobbyaktivitäten für das Thema »Social Entrepreneurship« zusammen mit dem Partner und Communitymember »SEND e. V.« (Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland). Im Arbeitsbereich Kirchliches Innovationszentrum werden die Learnings aus den anderen beiden Bereichen für kirchliche Gründungen und Entwicklungsprozesse möglichst gewinnbringend eingesetzt. Das Villa-Team führt hier unter anderem Innovationslabore durch, hat ein Netzwerk aus Innovator*innen aus dem Bistum Limburg gegründet und versteht sich als Scout für Zukunftsthemen. Ein Leitsatz dabei ist: »Wir versprechen keine Geistesblitze. Aber wir machen sie wahrscheinlicher.« Und in Zukunft? Der iterative Prozess geht weiter. Derzeit reflektiert das Team, ob sich die Villa von einem Coworking- zu einem Cross-Community-Space entwickelt. Einer, der es gewagt hat Fragen an Reza Solhi

Warum habt ihr euch damals als eine der Ersten entschieden, in die Villa Gründergeist zu kommen? Eine Mischung aus Bauchgefühl und strategischer Entscheidung. Da wir viele kirchliche und außerkirchliche Projekte in der Jugendkulturarbeit umsetzen, war die Villa Gründergeist als Vernetzungsort zwischen Kirche und Gesellschaft ideal. Die Räumlichkeiten haben uns direkt angesprochen und der Spirit ist genial! Vom Innovations- und Schöpfer*innengeist – die »Villa Gründergeist« in Frankfurt a. M.

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Warum arbeitest du persönlich gern hier? Ich liebe den Flair in der Villa. Die Mitarbeitenden des Bistums Limburg sind mega höflich, professionell und zuvorkommend. Ich fühle mich jedes Mal sehr liebevoll empfangen und sehe die Villa als eine Art zweites Zuhause. Warst du überrascht, als du gehört hast, dass ein katholisches Bistum dieses Projekt startet? Nein. Ich habe im Vorfeld schön öfter mit dem Bistum zusammengearbeitet und weiß, dass es oft Mut und Raum für Innovationen gibt, wenn die richtigen Menschen zusammenkommen, um etwas Sinnvolles, Gesegnetes zu tun, und die Bedingungen stimmen. Reza Solhi ist Gründer von Social Startup Heartbeatbus und Community-­ Member. David Schulke arbeitet gern an der (Weiter-)Entwicklung von Menschen und Systemen. Nach dem Studium hat er in seinen ersten beiden beruflichen Stationen (katholischer Jugendverband, Landesjugendring) und in einer Weiterbildung (PR-Berater mit dem Zusatz Non-Profit) seine Begeisterung für Fragen der internen und externen Kommunikation gelebt. Sowohl in seinen fünf Jahren als Abteilungsleiter Jugend im Bistum Limburg als auch in der (Mit-)Gründung und Leitung der Villa Gründergeist entdeckte er neue Leidenschaften im Kontext von New Work, Change und Leadership sowie den gesamten Komplex (sozialer) Innovationen.

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David Schulke

3.5 Gründen, um etwas zu bewirken – das »BYRO Aarau« Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger

Die Coworking-Space »BYRO« im schweizerischen Aarau ist erst seit zehn Monaten offen, das Coworking-Projekt jedoch seit 2017 in der Entstehung. Daniel Hediger ist Co-Gründer und reflektiert eigene Erfahrungen und die seines Space. »Auf jeden Fall gründen!«, sagt er. Die Erfahrungskompetenzen und die Erfahrungsräume, die sich darüber gewinnen und gestalten lassen, seien in jedem Fall größer, wenn man etwas wage. Scheitern tut nur der, Gründen, um etwas zu bewirken – das »BYRO Aarau«

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der nicht mehr aufsteht. Es gelte, den Mut zu haben, loszulegen und die Tatsache ernst zu nehmen, dass die Angst immer zum Spiel gehört. Bist du ein glücklicher Mensch und Unternehmer? Die Vorstellung, dass in Coworking-Spaces ein dauerhafter »Happyclappy-Modus« herrscht, ist ein Irrtum. Aber doch, ja. Ich bin glücklich und lebe ein sehr erfülltes Leben! Ich möchte mit niemandem auf der Welt tauschen. »Immodea« ist eins von drei Unternehmen, das du gegründet hast. Dieses besteht seit 2012 und läuft erfolgreich. Was war davor? Bei meiner ersten Unternehmung hatten meine Mitgründer*innen und ich den Markt falsch eingeschätzt. Wir haben direkt aus der Hochschule heraus gegründet. Wir hatten zwar einen klaren Plan, dieser stimmte jedoch nicht mit den echten Bedürfnissen der Kund*innen überein. Wir konnten Investor*innen überzeugen, ein Netzwerk an Supporter*innen aufbauen, gewannen jedoch keine Käufer*innen und auch die Zusammenarbeit im Team verschlechterte sich mit dem ausbleibenden Erfolg. Ein Mitgründer und ich sind dann gut eineinhalb Jahre nach der Gründung ausgestiegen. Gemeinsam wollten wir beim zweiten Unternehmen alles besser machen. »Das klappt schon irgendwie, wir haben ja jetzt viel gelernt«, dachten wir zugegebenermaßen naiv und mit nicht wenig Selbstüberschätzung. Dann

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger

erlebten wir, dass wir zwar Kund*innen hatten, die Dienstleistung zwar sehr interessierte, aber unsere Kund*innen, andere Start-ups, jedoch kein Geld für Beratungen zahlen konnten oder wollten. Die Erfahrung, keinen Erfolg zu haben, führte natürlich zu Streit und Anspannung. Nach sieben Monaten Startphase trennten wir uns voneinander. Zeitgleich wurde ich Vater und suchte eine »sichere« Festanstellung. Du hast dann ein neues, anderes Produkteportfolio entwickelt … Ja, ein längerer Denkprozess setzte ein. Es folgten Arbeiten im Bereich Shoppingcenter-Management und bis zur Gründung der immodea war ich mehrere Jahre bei einem Real-Estate-Assetmanager tätig. Was sind die »Lessons Learned«? Wichtiger als das, was man tut, ist die Frage, mit wem ich etwas tun kann. Dann früh zu klären: »Wozu tun wir das, was wir tun oder tun wollen?« Aktuell erleben wie wir hier im Coworking-Team, dass wir uns dieser Frage immer wieder stellen müssen. Es hilft enorm, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse für eine Kooperation zu kennen. Wenn Skills komplementär und nicht deckungsgleich sind. Häufig täuscht man sich, indem man sagt: »Wir sind doch tolerant! Wir mögen einander irgendwie.« Aber es hat enormen Einfluss auf die Ergebnisse, ob man miteinander kann, ob es auf der Beziehungsebene klappt. Insbesondere, wenn es harzt. Interessant ist ja auch, dass die Lessons Learned beim Scheitern größer sind. Dort überlegt man sehr genau, warum es passiert ist. Gerade in Organisationen wie unser Coworking-Space, der auf Basis von Freiwilligenarbeit betrieben wird, ist eine offene, direkte und wertschätzende Fehlerkultur fundamental. Im Gegensatz zu einer »normalen« Firma können und wollen wir nicht auf hierarchische Entscheidungen oder Strukturen zurückfallen. Wir diskutieren aktuell intensiv, wo wir in fünf oder zehn Jahren stehen wollen. Was treibt uns an und wie schaffen wir gemeinsam die Strukturen, um heute die Ergebnisse zu erzielen, um auch diese Ziele erreichen zu können? Wie werde ich gelassener im Umgang mit Fehlern? Zu sagen: »Ja, ich bin gescheitert.« Auswerten und dann weitergehen. Als ich jünger war, ging ich häufig in die Opferrolle und sagte: »Warum passiert ausgerechnet mir das?« Das bringt gar nichts. Inzwischen bin Gründen, um etwas zu bewirken – das »BYRO Aarau«

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ich da lockerer, aber auch pragmatischer geworden. Wie komme ich ans Ziel? Einfach mal loszufahren und von roter Ampel zur nächsten zu hüpfen, ist eigentlich nicht meins. Ich frage eher: »Wann kommt die nächste grüne Welle?« Die grüne Welle kommt jedoch in der Realität erst nach dem Losfahren und nicht während der Planung. Also gilt, klug zu planen und dann mutig losfahren. Welche Rolle spielen eigene Deutungen? Zentral ist am Ende tatsächlich die eigene Story und wie man sie erzählt. Bei meinem ersten Versuch war ich Ende 20. Heute kann ich Prägungen und falsche Erwartungen an mich reflektieren und einordnen. Ich kann den Mut anerkennen, den ich hatte, die Resilienz, die darüber erwuchs, dass ich wieder aufstand. Die Frage, die ich mir stelle: »Will ich nachtrauern, lernen oder will ich enttäuscht sein und einfach lange liegen bleiben?« Nein, mit Mut und Ausdauer klug weitermachen! Lügen wir uns manchmal an, wenn wir uns leuchtende Erfolgsgeschich­ ten erzählen? Am Anfang, wenn das Hinfallen richtig wehtut, können die meisten Leute noch nicht darüber sprechen. Aber man kann nicht einfach nur den Hebel umlegen. Die Zeit des Betrauerns dauert meistens viel länger, als einem lieb ist. Es braucht Zeit und Übung, den Hebel schneller umzuschalten. Dazu gehört auch, zu sagen: »Es ist ganz ok, wenn ich aktuell nur 60 oder 80 Prozent leiste.« Das Tal der Tränen ist zu durchschreiten. Bei einem Leben als Angestellte*r ist das natürlich alles ganz anders … Falsch, ganz falsch. Das Leben ist immer ein Risiko. Als Angestellte*r habe ich nur eine*n Kund*in, das ist mein*e Chef*in. Wenn der nicht will, dann bin ich meine Sicherheit sofort los. Ich habe mindestens meine wirtschaftliche Existenz an den Chef delegiert. Was für ein überaus unglaublich hohes Risiko im Leben! Die Idee vom hohen Risiko des Soloselbstständigen ist ja irgendwo auch ein Klischee. Wieso wird das Risiko bei Selbständigen als so viel höher eingeschätzt? Das einseitige Reden darüber ist ein Wahrnehmungsfehler. Hier im Coworking wollen wir über den erfolgreichen Mittelstand oder die erfolgreichen Selbstständigen sprechen. Wir sollten entspannt von beidem sprechen, vom Erfolg und auch vom Scheitern als Teil des Lern-

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger

prozesses. Bemerkenswert ist doch die Redewendung: Erfolg hat viele Väter, Misserfolge sind Waisenkinder. Was rätst du jemandem, der*die gerade in einer Krise steckt? Nimm’s leicht, auch wenn es schwer scheint. In jedem Spiel passieren Fehler. Such dir Gleichgesinnte, die Anteil nehmen. Dann aber stehe wieder auf und mach dein Ding! Wir sprachen über dich, über deine Erfahrungen mit dem Scheitern. Wenden wir uns dem*der zu, der*die darüber nachdenkt, zu gründen. Wie finde ich heraus, was mein Ding ist? Das zeigt sich daran, woran ich schon immer Lebensfreude hatte. Das sind Dinge, die mir leichtfallen, als Zeichen, dass da eine Spur ist, der ich folgen kann. Ich sollte immer in meiner Biografie nachschauen und nach tragenden Säulen meiner Identität fragen. Im Weiteren gibt’s auch viel gute Literatur und Persönlichkeitstest, die wertvolle Hinweise liefern können. Am Ende gilt auch hier: Habe den Mut etwas auszuprobieren, vielleicht als Ferienprojekt, in Freiwilligenarbeit oder einer befristeten Auszeit. Auch wenn’s nichts wird, du hast für dich die Gewissheit gewonnen, was nicht passt. Es geht dann um einen »Mindset Shift«, um ein Umdenken. Der Shift, also Wechsel, könnte darin bestehen, Chancen zu erkennen und aufzuhören, tendenziell Gefahren höher zu gewichten. Das Verhältnis von Chance und Risiko liegt bei 50 zu 50 Prozent und hat, wie gesagt, sehr viel mit Wahrnehmung zu tun. Der Mut für die Entscheidung lohnt sich, weil die Entscheidung Klarheit schafft, die wiederum die Voraussetzung für das Handeln ist. Das geschieht nicht von selbst. Jede*r kann das üben! Eine Empfehlung für Zauderer? Lauf los! Tue es! Selbstständigkeit kann das größte Abenteuer im Leben sein. Es gibt für dich keinen Job, indem du so viel Einfluss auf die Lebensgestaltung hast! Wo du Arbeit so gut in deinen persönlichen Lebensentwurf integrieren kannst. Und ja, es nicht immer leicht, aber am besten gestaltbar. Als Unternehmer*innen können wir Wirkung haben. Wir können den Finger auf wunde Punkte in der Gesellschaft legen. Da, wo mehr Freiheit ist, da geht es lang. Das Unternehmertum als Salz der Erde verstehen. Die meisten erwägen es nicht einmal. Das bedauere ich. Gründen, um etwas zu bewirken – das »BYRO Aarau«

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Wir sprachen über dich als Gründer, der Menschen ermutigt, sich selbst­ ständig zu machen und zu gründen. Wozu braucht es überhaupt Coworking-­ Spaces? Wir werden in der Tat sehr viel mehr über den Mehrwert von CoworkingSpaces sprechen müssen. Welchen Beitrag leistet – nebst dem offensichtlichen – ein Coworking-Space? Wie kommuniziere ich diesen? Dazu braucht es eine neue Sprache, Bilder, Botschaften, die allgemein verständlich sind. Als Versuch in dieser neuen Sprache. Für mich sind Coworking-Spaces erstmal Hilfen zur Selbsthilfe. Sie liefern Infrastruktur. Ich kann mir ein Büro leisten, das sonst in dieser Qualität nicht möglich wäre. Ich kann ein Netzwerk anzapfen, erfahre wirtschaftliche Vorteile und mein Leben wird reicher an Begegnungen, neuen Erfahrungen und Beziehungen. Coworking-Spaces bieten Raum für den Austausch, wenn du bereit bist, dich auf Beziehungen einzulassen. Das können belastbare Freundschaften werden. Das sind nicht nur lustige Cappuccino-Beziehungen. Sofern ich den Mut habe und entwickele, in die Begegnung zu gehen. Hier beginnt die schwer quantifizierbare Wirkung eines Coworking-Space. Mein Bekannten- und Freundeskreis wächst, dann erhalte ich Einblick in mir neue Branchen und viel wichtiger in andere Lebensentwürfe. Daraus gewinne ich neue Erkenntnisse für meine berufliche Tätigkeit oder werde als Mensch gefordert. Sozusagen auf der höheren Ebene beschäftigt mich aktuell die Frage: Wieso brauche ich überhaupt ein Büro – in der Firma, zu Hause oder im Coworking? Wenn ich – als Wissensarbeiter – überall und jederzeit arbeiten kann. Nebst den praktischen Anforderungen an einen Arbeitsraum, der mir guttut, steht dahinter die radikale Frage: Wie entsteht heute und besonders morgen in der digitalisierten Wirtschaft aus meinem Tun eine (ökonomische) Wertschöpfung? Auf diese Frage gibt’s noch keine wirklich befriedigenden Antworten und sie wird uns wohl alle noch einige Zeit beschäftigen. In Aarau läuft also alles wunderbar problemlos? Zum Glück nicht. Wir verhandeln derzeit über Rollen und über konkrete Wirkungsziele. Das ist besonders wichtig, nachdem man die Werte, die Warum-Frage geklärt hat. Wie bauen wir eine Vertrauenskultur auf und widerstehen der Versuchung, in alte hierarchische Strukturen zurückzufallen? Ich persönlich glaube an den »speed of trust«, was aber bedeutet, dass ich verhandeln, an Einsicht appellieren muss.

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger

In unserer Aufgabe als Betreiber*innen geht es aktuell darum, Arbeitsplätze zu verkaufen und das Space am Leben zu erhalten. Das ist kein Zuckerschlecken, sondern harte Arbeit. Es geht also auch darum, Geld zu machen. Ja, unbedingt, denn Geld ist eine Ressource, die hilft, zu dienen. Es ist gut, genug von dieser Ressource zur Verfügung zu haben. Umso mehr lässt sich damit unternehmen. Gängige Mythen, aber keine Wahrheiten Mit Coworking kann man eh kein Geld machen. Coworker* innen sind Cappuccino-Unternehmer*innen. Coworker*innen sind mit 28 Unternehmer*innen, um danach für immer auf die Insel Goa oder ein andere zu fliegen. Coworking ist eine Dauerparty. Das Leben verläuft ununterbrochen entspannt. Coworker*innen reden nicht über Geld. Klappt eh meistens gut. Coworking ist nur für einige Auserwählte, die anderen sind frohe Angestellte. Coworking ist was für Vegane, Linke, Feminist*innen.

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Innovation geschieht, wenn …? Nutzen entsteht und Mehrwert für Kund*innen. Sie entwickelt sich immer aus der Kombination von Ideen und Begegnungen, im Austausch. Innovative Produkte entstehen, wenn man sie macht. Gründen heißt …? Vertrauen auf eine Zukunft, die man aktiv gestalten will und kann. Kollaborieren ist wichtig, weil …? Gutes nur darüber entsteht, nur in sozialen Beziehungen. Dort allein geschieht Wirkung. Risiken eingehen Risiken sind primär Wahrnehmungssache. Bei allen Risiken hat man nie ein vollständiges Wissen über die Situation. Das Unbekannte ist immer Teil des Risikos. Worauf ich meine Aufmerksamkeit richte, da ist meine Realität. Unternehmergeist Ist eine Haltung, die einen aktiv reflektierten Umgang mit Risiken sucht. Die »den Bauch« spürt, aber auch sagen kann: »Vielleicht muss ich genauer hinschauen.« Die die Unsicherheit diskutiert und in den Dialog geht. Erfolgreiche Unternehmer*innen sind risikointelligent. Sie sehen neben den Risiken immer Chancen. Das hat mir Wahrnehmung und Einschätzung zu tun. Zukunft Klein- und mittelständischen Unternehmen, die überleben wollen, empfehle ich dringend, ihr Arbeitsumfeld im Coworking anzusiedeln. Die Welt ist so vernetzt und sehr global. Herausforderungen sind komplexer geworden und können nur miteinander gelöst werden. Der Umgang mit Herausforderungen kann nur im Wir stattfinden. Nur im Austausch, nur in einer Kultur und einem Klima von Vertrauen, des Einander-Kennens und der Nähe. Coworking-Spaces sind dafür – ganz nah beim Menschen – ein ideales Lernumfeld. Coworking-Spaces Viele Firmen sind aktuell in der Findungsphase. Denn Bürogestaltung ist immer auch Ausdruck der Firmenkultur – gewählt oder ungewollt. Einige Firmen bauen sich mit ihren Büros ihre eigene Welt, wollen ihre Mit-

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Daniel Hediger

arbeiter*innen vor äußeren Einflüssen schützen. Für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen in der digitalisierten Wirtschaft schätze ich das als wenig zielführend ein. Coworking-Spaces sind bessere Alternativen, um als Unternehmen relevant zu bleiben. Denn Spaces müssen sich laufend professionalisieren, spezialisieren und können einen Beitrag zum Austausch leisten. »Bubble piercing« Diesen Begriff habe ich geprägt, weil er ein klares Bild einer offenen Haltung zum Lernen und Neuwagen zeichnet. Ich verwende ihn gern, um zu signalisieren, dass jede Community gefährdet ist, zur Bubble zu mutieren. Übriges auch Coworking-Spaces. Eine*r muss hingehen und die Blase aufstechen, damit Raum für frische Ideen entstehen kann oder auch Verdecktes ans Licht kommt. Daniel Hediger ist seit mehr als 20 Jahren in den Bereichen Marketing und Verkauf tätig. Er betreute mehr als 100 herausfordernde Immobilien- und Marketingprojekte in verschiedenen Fragestellungen, wie zum Beispiel bei Standortanalyse, Nutzungsstrategien, Marketing- und Vermarktungskonzepten, Shoppingcenter-Revitalisierung und Vermarktung. Von 2007 bis zur Gründung der »immodea« (Beratungsunternehmen für Coworking-­Lösungen) in 2013 arbeitete er als Projektleiter und Leiter Vermarktung im Real Estate Asset Management der Credit Suisse AG.

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3.6 »Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5« Dominik Elmer

Zwischen der großartigen Idee, die junge Unternehmer*innen antreibt, und dem Moment, in dem ihr Start-up als erfolgreich gilt, liegt ein langer, arbeitsintensiver Weg voller Emotionen sowie persönlicher und beruflicher »fuckups«. Mehr als 75 Prozent der Start-ups scheitern in den ersten drei Jahren. Doch darüber spricht man nicht. Die Erzdiözese Salzburg hat seit August 2018 Start-up-Unternehmen 120 Quadratmeter Bürofläche samt Küche und Besprechungsraum in einem Diözesanhaus mitten in der Stadt Salzburg zur Verfügung gestellt. Was hat das Projekt beiden Seiten gebracht?

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Dominik Elmer

»Ich bin drin«, sagte Boris Becker bass erstaunt vor zwanzig Jahren im Werbespott von AOL. Seitdem sind wir mit und im Internet unterwegs. Heute ist jede*r drin. Und wer nicht drin ist, der ist »out«. Ein Alltag ohne Apps, Social-Media-Plattformen und GPS-Navigation ist für den Homo digitalis nicht mehr vorstellbar. Eine Entwicklung, die ohne zahlreiche Start-ups, die eine Fortschreibung der Digitalisierung vorangetrieben haben, nicht denkbar gewesen wäre. In der Auseinandersetzung mit dem Impuls – »Kirche und kirchliche Gemeinschaft kann nur durch die wachsen, die noch nicht da sind« – ist mit klar geworden, dass Kirche im Bereich der Start-up-Szene, insbesondere zu den Social Entrepreneurs, noch keine Andockstellen geschaffen hat. Sie sind es jedoch, die die Zeichen der Zeit erkennen und maßgeblich dazu beitragen können, dass Lösungen für gesellschaftliche Probleme entwickelt werden. Kirche kann und soll hier als starke Partnerin auftreten, um langfristig »drin« zu bleiben. Mit »Mirabell 5« hat die Erzdiözese Salzburg wortwörtlich einen Raum geschaffen, in dem gesellschaftlicher Mehrwert entsteht. Als Partnerin auf Augenhöhe stellt sie dafür nicht nur die notwendige Infrastruktur in Form von kostenlosem Arbeitsplatz für Jungunternehmer*innen bereit, sondern auch ein starkes Netzwerk, das in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert ist. Gönnen Sie sich den Versuch einer Internetrecherche mit den Such­ wörtern »Start-up« und »Kirche«. Was Sie auf den ersten Blick finden werden, sind interne Angebote der Kirche, die den »Start-up-Spirit« atmen. Es sind Versuche, durch Innovation und kreative Neuformatierung die bestehenden kirchlichen Angebote für neue Zielgruppen zu erschließen. Es schwingt die Hoffnung mit, durch innovative Wege Menschen zu erreichen, die vorher keinen oder nur peripheren Kontakt zur Kirche hatten. Denn klar ist: Kirchliche Gemeinschaft kann nur wachsen durch die, die noch nicht da sind. Kirchenentwicklung muss daher »von denen da draußen« lernen, wie Christsein gehen und wie Kirche besser gehen könnte, heißt es im »Gründer*innenhandbuch« von Florian Sobetzko und Matthias Sellmann (2017, S. 30 f.). Menschen, die diese Innovationen in Kirche einbringen und umsetzen, werden unter dem Begriff »Ecclesiopreneure« zusammengefasst (Sobetzko/Sellmann 2017, S. 31). Sie werden bei Ihrer Recherche außerdem profanierte Kirchen finden, die zu Coworking-Spaces umgebaut wurden, wie z. B. die »digitalCHURCH« in Aachen, die mit dem Slogan »urbaner Raum für Kommunikation« wirbt. »Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5«

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Coworking-Space – Mirabell 5 Dass Kirche in ihren eigenen Räumen Platz macht für Jungunterneh­ mer*innen, ist neu: Im Rahmen des Lehrgangs »Kirche erfinden an neuen Orten«, der in Salzburg 2017 stattgefunden hat, wurde mir klar, dass Kirche im Bereich der Start-up-Szene, und hier insbesondere zu den Social Entrepreneurs, noch keine Andockstellen geschaffen hat. Bis dato gab es in diesem Bereich keine Auseinandersetzung von und mit Kirche. Das wollten wir bzw. ich ändern: Mitten in der Salzburger Innenstadt, am Mirabellplatz 5, stellte das Erzbistum Räume als Coworking-Space zur Verfügung. Schnell wurde »Mirabell 5« zum Lernort für kirchliche Mitarbeitende, Start-ups und deren Stakeholder*innen. Für das Entstehen und das Werden des Projekts war ausschlaggebend, dass sowohl Seelsorgeamtsleiterin, Finanzkammerdirektor wie auch der Leiter der diözesanen EDV-Abteilung Spaß daran hatten, dass wir in einem leeren Raum wirklich mal was Neues machen und ausprobieren würden. Leer waren die Räume, da schon länger angedacht war, das ganze Haus zu sanieren. Baubescheide und -genehmigungen fehlten aber noch. Abzusehen war, dass es mindestens noch ein knappes Jahr dauern würde, bis der erste Bauwagen vorfahren würde. Somit war ein Zeitfenster für ein Ausprobieren gegeben. Die Bestätigung durch den Innovationspreis des Landes und der Wirtschaftskammer für das Konzept war ein notwendiger Motor des Projekts; die Umsetzung wurde mit 6000 Euro gefördert. Die Büroeinrichtung und die Erstausstattung waren somit gesichert. In der Begründung seitens der Jury hieß es: »Wir sehen dieses Projekt als wichtiges Signal der Kirche, ihre Ressourcen zukunftsweisend nutzbar zu machen, um positive Entwicklungen in der Gesellschaft zu ermöglichen.« Zu diesem Prozess des Werdens gehörten auch kircheninterne Reflexionen und pastorale Überlegungen dazu, die mich in dieser Zeit begleiteten. Fragen wie: Was passiert derzeit in unseren diözesanen Räumen und wer besetzt welche Räume in Premiumlage in der Stadt Salzburg? Warum haben wir unhinterfragt Platz für Strick- und Häkelgruppen, Flohmarktutensilien und keine*r macht Platz für andere Gruppen, die »davor noch nicht da waren«? Wer beansprucht Räume als »erweitertes Wohnzimmer« – und warum? Wen brauche ich im Sinne einer »Komplizenschaft geteilter Hoffnungen« (Depierre 1990, S. 43; siehe dazu kulturwissenschaftlich Ziemer 2014)? Und was ist ein Inkubator?

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Stets war meine Fragestellung an Start-ups ein jesuanisches Wort: »Was willst du, dass ich dir tue« (Lk 18,41). Denn zu schnell kommt man ins Fixieren, von dem, was man meint, das der*die andere braucht. Das Spezifische am Coworking-Space Mirabell 5 ist, dass es speziell für Start-ups geschaffen wurde, deren Unternehmensidee zu einem positiven Wandel in der Gesellschaft und zur Lösung sozialer Probleme beiträgt. Diese Unternehmer*innen werden als Social Entrepreneurs oder Sozialunternehmer*innen bezeichnet. Themen wie »Nachhaltigkeit«, »soziales Engagement« und »Bildungsgerechtigkeit« sind ihnen wie auch der Kirche ein innerer Antrieb. Diese gemeinsame Schnittmenge greift Mirabell 5 auf. Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf die nachhaltigen Entwicklungsziele, die sich die UN gesetzt hat (Sustainable Development Goals, SDGs). Mit den SDGs oder kurz »#GlobalGoals« will die internationale Staatengemeinschaft bis Ende 2030 Armut beseitigen, die Gleichstellung von Frauen vorantreiben, die Gesundheitsversorgung verbessern und dem Klimawandel entgegensteuern. Insgesamt 17 Ziele, die auch bei Papst Franziskus in seiner Enzyklika »Laudato si« anklingen. Social Entrepreneurs werden als Weltverbesser*innen, Prophet*innen verstanden, die die Zeichen der Zeit erkennen und beherzt in einer Geschäftsidee umsetzen wollen. Es sind Jungunternehmer*innen, deren vorrangiges Ziel nicht eine Maximierung des Profits für die Aktionär*innen, sondern die Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert ist. Sie nehmen die Defizite der Gesellschaft nicht als gegeben hin, sondern entwickeln ein unglaubliches Potenzial, um die vorherrschenden Probleme zu bewältigen. Sie schaffen Angebote für Zielgruppen, die von anderen nicht wahrgenommen oder bedient werden. Sie entwickeln Innovationen, um ihre Zielgruppen wirkungsvoller zu unterstützen. Der Auftrag, den Armen die frohe Botschaft zu bringen wird durch die Umsetzung vieler Ideen der Social Entrepreneurs Realität (z. B. »fairematching«, Plattform zur Vermittlung von Arbeitsplätzen zwischen Unternehmen und Geflüchteten; »mit.mach.kompanie«, Plattform zur Vernetzung von Freiwilligen und NGOs; »Barkinsulation« stellt Weinkühler aus Baumrinde her, die als Abfallprodukt in Schreinereien übrig bleibt; »Edelzweig« produziert biologisch abbaubare Urnen aus heimischer Lärchenrinde). So können wir als Kirche, ohne die Social Entrepreneurs vereinnahmen zu wollen, von Verbündeten für das Evangelium sprechen, denn »die ›Zeichen der Zeit‹ sind Orte (loci), an denen Menschen nach der Anwesenheit Got»Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5«

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tes suchen bzw. diese finden können, basierend auf Solidarität der Gläubigen mit allen Menschen« (Hans-Joachim Sander, nach Polak 2013, S. 199). Eine weitere Schnittmenge, die Kirche und Start-ups verbindet, ist das Thema »Scheitern«. Menschen, die ein Start-up gründen, haben einen Weg des Scheiterns vor sich, einen Weg voller Misserfolge, kleiner und großer Katastrophen. Doch am Beginn des Weges steht dafür kein Hinweisschild. Es ist daher ein Gebot der Stunde, angesichts des gesellschaftlichen Trends zur Stigmatisierung von Menschen, die als Verlierer*innen abgestempelt werden, pastorale Angebote zu diesem Thema zu entwickeln. In Kooperation mit der Handels- bzw. Wirtschaftskammer sowie mit Unternehmens- und Organisationsberatungen ist es denkbar, ein Format für Kleingruppen zu gestalten, das Auswege aus diesen Krisensituationen aufzeigt. Auch Veranstaltungen zur Burn-out-Prävention sollen angeboten und gezielt in der Start-up-Szene beworben werden, um das Scheitern und seine vielen Ausprägungsformen aus der Tabuisierung zu befreien. Auch einfach da zu sein für entlastende Gespräche, kann in manchen Situationen schon kleine Wunder bewirken. Wertvoll und wertschätzend sind kleine Gesten der Aufmerksamkeit und Impulse für die Coworker*innen zu den Feiertagen, die uns als Kirche wichtig sind. In der Start-up-Szene selbst gibt es bereits ein Format, die »Fuckup Nights«, dass das Scheitern zur Sprache bringt. Die Kirche von Salzburg steht dabei mit ihrer Expertise als Kooperationspartnerin zur Verfügung. Schon einige Male fanden Fuckup Nights in Kirchen bzw. an Kirchorten statt.

Fuckup Night Eine Fuckup Night ist eine besonders ansprechende Form des entlastenden Gesprächs: Es ist die Party der Gescheiterten. Das Format gibt es seit 2012. Damals kamen fünf Freunde in Mexiko bei einer Flasche Tequila über ihren »Lebenslauf des Scheiterns« ins Gespräch. Sie waren genervt von all den Veranstaltungen und Vorträgen, bei denen ausschließlich das Positive von beruflichen und privaten Lebensläufen präsentiert wurde. Null-Fehler-Toleranz nach dem Motto »Do it right the first time«. Sie sahen darin die Analogie zur gesellschaftlichen Entwicklung, die nur das Makellose und Perfekte hervorhebt und das Fehlerhafte abstößt. Auch den Start-ups wird nur die schöne und funkelnde Seite der Medaille gezeigt. Falsche Selbsteinschätzung, private Schicksalsschläge,

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Problemspiralen, aus denen man nicht mehr von selbst herauskommt, und die »falsche« Zusammenstellung des Teams können für eine*n Jungunternehmer*in zum beruflichen und folglich zum persönlichen Waterloo werden. Die Freunde beschlossen eine »Fuckup Night« ins Leben zu rufen, bei der Menschen im Mittelpunkt stehen sollten, die in ihrem beruflichen Werdegang eine dramatische Erfahrung von Scheitern gemacht hatten. Auf der Bühne sollten nicht Erfolgsgeschichten erzählt werden, sondern die prägenden Erfahrungen des beruflichen Scheiterns. Wichtig dabei, dass das Scheitern schon »verdaut« wurde und eine Reflexion und Einordnung des Geschehens stattgefunden hat. Der Ablauf einer solchen Fuckup Night ist schnell erklärt: In einer Bar erzählen drei oder vier Speaker*innen in jeweils zehn Minuten von ihrem persönlichen Scheitern. Das passiert meist auf einer Bühne in angenehmem Setting. In zehn Bildern werden die Ausgangssituation ihrer Unternehmung, ihr Ziel, ihre Zukunftsvision bzw. ihre Unternehmensgründungsidee dargestellt – und das, was dann ihren Plan durchkreuzte. Die Speaker*innen berichten von der Genealogie der »Fuckups« und von den Faktoren, die das Projekt zum Scheitern gebracht haben. Ihren Auftritt kann die Moderation mit Worten beschließen wie: »Danke, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.« Es folgt Applaus, der in diesem Moment den Speaker*innen wieder etwas von der Ehre und Anerkennung zurückgibt, die sie in ihrem Scheitern verloren hatten. Im Nachhinein ist gut lachen, so sagt man. Das kann man an diesen Abenden miterleben, wenn über hundert Menschen beherzt mitlachen können, wenn von den verschiedenen Fuckups (Misserfolgen) erzählt wird. Das Publikum hat im Anschluss an die Erzählungen die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen. Die Spielregeln dafür sind klar: Die Fragen werden in aller Wertschätzung und nicht im Gestus einer Überheblichkeit gestellt. Es gibt keine Ratschläge nach dem Motto »Du hättest doch nur …« oder Belehrungen durch Autoritätsargumente von renommierten Wirtschaftsexpert*innen. Überraschend und zugleich bewegend ist die Dynamik, die sich im Anschluss an den Tischen in der Bar ergibt. Fast spielerisch ergeben sich hier Intervisionsgespräche, angeregt von den Begebenheiten derer, die zuvor auf der Bühne standen. »Ich wollte übrigens evangelischer Pastor werden, bin aber jetzt aus der Kirche ausgetreten …« waren die ersten Worte meines Tischnachbarn an mich. Ein langes, intensives Gespräch »Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5«

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über seinen beruflichen und persönlichen Lebensweg, Kirchenpolitik und sozialkaritatives Engagement (z. B. random act of kindness) ergab sich – in ungezwungener Atmosphäre am Bartisch. Das Format der Fuckup Night ist erfolgreich: Derzeit gibt es sie in über 300 Städten in über 80 verschiedenen Ländern. In Salzburg findet die Abendveranstaltung in Kooperation mit der Erzdiözese statt. Schon im Vorfeld waren einige Kommentare in den sozialen Netzwerken zu lesen, die sich darüber wunderten, dass Kirche hier präsent sein möchte. Bei der Fuckup Night selbst wurde dieser Schritt seitens der Kirche mit Wohlwollen aufgenommen. Noch stand das Roll-up der Erzdiözese in einer Bar auf der Bühne und machte dort Kirche sichtbar. Ein neues Bild. Ein neuer Ort von Kirche-Sein. »Scheitern« ist und bleibt ein großes Thema der Start-up-Szene. Aber die nötige Aufmerksamkeit bekommt das Thema (noch) nicht: Firmen und Investor*innen sind interessiert an den erfolgreichen Start-ups und nicht an denen, die auf dem Weg gescheitert oder nicht als lukrativ betrachtet werden. Im Rahmen der Fuckup Nights wird versucht, das aufzuarbeiten und einen Ort zu schaffen, wo diese Realität zur Sprache kommen kann. Und hier tut Kirche gut daran, da zu sein und ansprechbar zu sein.

Was kann Kirche Social Entrepreneurs bieten? Die Kirche von Salzburg bietet mit Mirabell 5 mehr als nur einen Ort, in dem Start-up-Unternehmen kreativ arbeiten und sich mit anderen vernetzen und austauschen können. Bedeutender ist für die Social Entrepreneurs das Netzwerk, das sich Kirche in Gesellschaft, Politik und Kultur aufgebaut hat. Es kann ihnen helfen, ihre Idee schneller wachsen zu lassen. Und nicht zu vergessen: Kirche verfügt über ein umfangreiches Know-how aus verschieden Einrichtungen, Referaten und Fachstellen, das für Social Entrepreneurs bei der Entwicklung ihrer Idee hilfreich sein kann. Darüber hinaus ergeben sich durch die räumliche Nähe der Arbeitsplätze von Social Entrepreneurs und kirchlichen Angestellten im Haus zufällige oder geplante Begegnungen (z. B. Weihnachtsfeier), die Beginn eines kontinuierlichen Austausches werden können. Denn eines ist klar: Scheitern und Perspektivlosigkeit gehören ebenso zum Alltag von Social

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Entrepreneurs wie die großartige Idee, die sie anspornt und antreibt, immer weiterzumachen. Nach dem pastoralen Motto »Erzähl mir was, ich hör dir zu« (Wustmans 2017) kann schon ein entlastendes Gespräch Erleichterung in manchen Phasen des Start-ups geben. In den letzten Jahren gab es hier zahlreiche Begegnungen zwischen Ordensleuten und Start-ups, zwischen Mitarbeitenden des Seelsorgeamtes und Social Entrepreneurs. Bereichernd waren und sind für mich immer wieder Gespräche über den Status quo der Start-ups und ihre Entwicklungsschritte und Gespräche über Gott und die Welt.

Was Kirche von Start-ups lernen kann ▶ Die Lebenshaltung »Fürchte dich nicht!«: Sie ist das Überlebensmotto von Start-ups. Der Satz steht für den Aufruf zum Weitermachen, er ist Motor und Antriebskraft über schwierige Situationen hinweg und verwehrt ein überstürztes Weglaufen vor einer Situation, der man sich stellen muss. Sehr häufig kommt es in der Bibel vor. Jeden Tag neu die Zusage, sich vor neuen Entwicklungen nicht zu erschrecken, sondern mutig und mit Überzeugung seinen Weg weiterzugehen. ▶ Arbeiten als Lerngemeinschaft, um dem Ziel näherzukommen: Startups nutzen im Coworking-Space oder im Start-up-Team die Expertise und die Erfahrung der anderen. Austausch und Hilfestellungen bei Problemen, wo andere nicht weiterkommen, zugunsten des gemeinsamen Projekts. ▶ Nach den Zeichen der Zeit forschen, um am Puls der Zeit zu sein, und die perfekte Geschäftsidee entwickeln ist existenziell für Start-ups. Von ihnen kann man die Themen erfahren, die für die Gesellschaft derzeit wichtig sind. Sie suchen nach Lösungsansätzen, bleiben an ihrem Thema dran und werden so zu Expert*innen dafür. ▶ Mit Rohrkrepierern umgehen können: Scheitern will eingeordnet sein. Man muss nicht an jeder Neuerung gleich verzweifeln, die auf Anhieb nicht geklappt hat. ▶ Überzeugt sein von seiner Idee: »In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst« lautet die Devise des Heiligen. Augustinus. Begeisterung ist ansteckend und inspirierend. Wovon du nicht überzeugt bist, davon kannst du auch andere nicht überzeugen, lautet der Umkehrschluss. »Fuckup Nights« in der Erzdiözese Salzburg – das »Mirabell 5«

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▶ Erfolge feiern: Das Kirchenjahr zwingt oft dazu, Erfolge, die wir mit Ehrenamtlichen in den Pfarreien auf den Weg gebracht haben, kurz und bündig als »gut« und »gelungen« abzuhaken. Um einen Projekterfolg für alle noch einmal zu hervorzuheben, um davon zu lernen, wie wir es im umgekehrten Fall bei der Erörterung des »Fehler­pfades« tun, muss man den Erfolg gebührend zelebrieren. ▶ Das Netz auf der anderen Seite auswerfen: Wenn wir uns in der Kirche abmühen und wie im Evangelium die ganze Nacht nichts fangen (Joh. 21,3–6), dann ist die Zeit angebrochen Networking an anderen Stellen zu versuchen. Der Erfolg wird uns überraschen. Dominik Elmer ist Leiter der ökumenischen Citypastoralstelle »Offener Himmel« und Dekanatsreferent in der Erzdiözese Salzburg und betreut u. a. den Coworking-Space »Mirabell 5«, der in diözesanen Räumen untergebracht ist. Er ist Mitglied im Kuratorium des Bildungshauses St. Virgil und Sprecher der Citypastoralstellen in Österreich.

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3.7 Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid

Das »Hirschengraben Coworking + Innovation« in Luzern ist erst drei Jahre alt und »corelated« mit vier anderen Coworking-Spaces (www.corelated.ch) in der Schweiz. Sandro Schmid hat nach einer aufregenden Pionierphase die operative Leitung übernommen und will dafür sorgen, dass es stetig weiterwächst. Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern

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Wie alles begann … Wenn es weniger als 20 Leute sind, dann fangen wir erst gar nicht an, hatten wir gesagt. Es war der 20. Februar 2018. Wir hatten zu einem sogenannten Visionsabend eingeladen. Dann kamen 28 Leute. Nach vier Wochen, Mitte März, waren alle Finanzen auf dem Tisch, zumindest war der Finanzplan klar. Die Ausgaben hier schätzten wir im Monat auf 15.000 Schweizer Franken. Niemand von uns hatte das einfach so in der Tasche. Aber es waren genug Leute da, die daran glaubten, dass wir es zusammen bekommen. Mit 7 Personen aus der Gruppe derer, die gekommen waren, haben wir einen Verein gegründet. Das war am 17. April 2018. Am 1. Mai feierten wir schließlich: »Wir sind eine Community!« Man muss eine mutige Vision haben. Dann werden Leute aufmerksam. Und wichtig ist, sie recht bald zu fragen: »Wollt ihr Verantwortung übernehmen? Wollt ihr mit uns ein Zuhause für die Innovationskraft für Luzern werden?« Vom Konzept her sind die Dienstagabende CommunityAbende geworden. Diese haben eine hohe Verbindlichkeit geschaffen. Die Vision lebt immer von Menschen, die sie umsetzen. Darauf haben wir sehr viel Wert gelegt, nicht nur Freund*innen mit auf die Reise zu nehmen, sondern das Anliegen öffentlich zu machen, die Kreise zu öffnen. Das hat geklappt. Das war damals das erste Team, das voll und ganz Ja gesagt hat zur Vision. Das waren wohl Erfolgsfaktoren? Ja. Wir sagten: »Wir, die fünf Freunde können das nicht allein.« Wir fragten andere im größeren Kreis: Was braucht Luzern und was ist dein persönlicher Beitrag hierzu? Dann haben wir diesen Visionsabend angesagt und durchgeführt. Der eine sagte: »Ich kann Kenntnisse zur Buchhaltung eingeben«, ein anderer: »Ich kann mein Netzwerk einbringen. Ich werde mich zeitlich für diese oder jene Zeit festlegen.« Uns war wichtig, dass Leute echte Verantwortung einbringen dürfen. Deswegen sind wir ein Verein geworden. Das Strategieteam trifft sich vierteljährlich. Manche hosten, sind also Gastgeber*innen, manche investieren sich in Projekte, alle sind Botschafter*innen. Wo liegt euer Space? Mitten in Luzern in der Altstadt, sehr zentral gelegen. 10 Minuten vom Bahnhof. Luzern ist klein. Mit dem Fahrrad ist alles schnell erreichbar. Wir befinden uns an einer befahrenen Strasse, mit einem Innenhof.

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid

Ideal eigentlich … Zunächst waren wir vom Gebäude überhaupt nicht begeistert. Der Hirschen­ graben hat eine schlechte Adressbildung, auch sind wir im 4. und 5. Obergeschoss. Man hat keine gute Sichtbarkeit. Man muss es beinahe kennen, um es zu finden. Aber innen ist unser Space schon der Hammer! Auf zwei Etagen, auf 320 Quadratmetern befinden sich fünf Büros und ein Open Space, zwei Workshopräume und ein Aufenthaltsraum. Dazu kommt ein Kapselhotel mit 16 Kapseln. Zudem haben wir Zugang zu einer der schönsten Dachterrassen Luzerns, mit einem gigantischen Blick über die Altstadt mit Stadtmauer und Alpen. Deshalb sagen wir häufig: »Über den Dächern von Luzern hat alles begonnen!« Unsere ersten wichtigen Teamsitzungen haben dort stattgefunden. Was hat Luzern davon, dass es euch gibt? Wir liefern Inspiration und offerieren ein neues Mindset. In einer Stadt, die eher konservativ geprägt ist, tragen wir zur Reformation der Arbeit bei. Wir handeln lokal, schauen aber mit Luzerner*innen weit über den Tellerrand hinaus. Wie setzt sich die Nutzer*innenstruktur zusammen? Der Anteil der Leute, die am Fixdesk in Vollzeit arbeiten, liegt bei 30 Prozent. Der große Teil, sagen wir 60 Prozent, arbeitet am Flexdesk. Tagesgäste kommen selten. Dann haben wir eine große Nachfrage an Raumbuchungsgästen von Großfirmen aus der Region beispielsweise. Gibt es bestimmte Branchen, aus denen eure Coworker*innen stammen? Wir haben einen bunten Mix: von Übersetzer*innen/Dolmetscher*innen bis Architekt*innen, von Raumgestalter*innen, Softwareentwickler*innen und Umweltaktivist*innen bis Makler*innen und Kommunikationscoaches. Was kostet ein Flexdesk pro Monat? Was ein Fixdesk? Ein Flexdesk 120 CHF (für einen Tag) und 420 CHF (fulltime), ein Fixdesk 520 CHF. Welche Leistungen sind in eurem Space inklusive? Natürlich ist das Highspeed-WiFi inklusive. Ein Drucker/Kopierer steht zur Verfügung und obendrauf kommt das Wichtigste: die CommunityMitgliedschaft. Verschiedene Goodies kommen da mit dazu. Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern

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Wie lange bleibt euch der*die durchschnittliche Coworker*in treu? Wir sind drei Jahre alt. Die Hälfte ist seit Anfang an dabei, die anderen wechseln. Wir sind »community based«, soll heißen, niemand ist fest angestellt, aber jeder hat ein Mandat/eine »Rolle«, wie wir gern sagen. Wir wollen organisch wachsen, dafür muss es stabil sein. Wir wollten nicht mehr, dass Prozesse nur an einer Person hängen. Dennoch braucht es den persönlichen Bezug zur Mitte hin. Ich bin bereits seit der ersten Stunde und noch immer dabei. Für mich war es immer ein Gemeinschaftsprojekt, aber ich musste realisieren, dass es doch gut ist, wenn ich mich zumindest für eine bestimmte Zeit noch als Kopf zeige. Das habe ich inzwischen gelernt. Peter Schiffhauer, der Pionier, Gründer und Visionär, hat nach der ersten Phase losgelassen. Er ist als Gründer von neuen Projekten voll in seinem Ding und muss nicht mehr die Finger im Operativen hier in Luzern haben. Wie geht es weiter mit eurem Space? Wir wollen das Angebot weiterhin flexibilisieren. Die Bedürfnisse unserer Klientel sind sehr unterschiedlich. Wir wollen einen Rahmen liefern, in dem man sich bewegen kann. Wir hatten einen großen Wechsel, als das Pionierteam losließ und die Arbeit in die Hände des Betreiberteams gab. Warum ist dieser Prozess hin vom Pionierteam zum Betreiberteam so gut gelaufen? Jede*r hat die Verantwortung übernommen, die er*sie bekam. Der eine das Stakeholder-Management, ein anderer die Vermietung, die Nächste das Community-Building oder eben auch die Buchhaltung. Die Gründer*innen vom Hirschengraben sind immer noch Botschafter*innen, die Strateg*innen, deren Haltungen uns im operativen Geschäft leiten. Ich persönlich bin vom Pionierteam zum Betreiberteam gewechselt. Mir war klar: Ich kann das nicht allein. Wir müssen ein Team bleiben. Ich trage die DNA gern weiter, bin nun aber verantwortlich für die »opera­ tions«. Was sind Aufgaben des operativen Betriebsteams? Head-Host sein, Hosting leben, zusätzlich kommt bei uns die Raumvermietung hinzu. Das Community-Management mit On- und Offboarding von Community-Mitgliedern. Es geht darum, Leute zu motivieren, Rollen finden zu lassen. Social Media, Buchhaltung, Presse- und Öffentlich-

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid

keitsarbeit zählen dazu. Für Facility-Management haben wir ebenfalls eine verantwortliche Person. Welche Sitzungskultur pflegt ihr? Alle zwei bis drei Wochen haben wir ein kurzes Meeting, Projekte oder Aktuelles laufen bilateral, an der Kaffeemaschine, während der Mittagspause, überall. Wo passiert Innovation? Das passiert bei der Kaffeemaschine oder in der Mittagspause. Manchmal passiert sie sehr still, da kann über lange Zeit etwas in einer Person wachsen und seinen Weg finden. Viel passiert bei informellen Begegnungen. Wir pflegen die Haltung: Mutig vorwärts gehen, und einfach mal testen – einen Prototyp bauen. Wir begegnen einander mit offenen Augen und Ohren, aber fokussiert. Wie geschieht die Kultur des Miteinanders? Wir sind als Gemeinschaft unterwegs und sind offen für Beziehung. Wenn jemand etwas starten will, sagen wir zunächst: »Hey, was für eine coole Idee! Mach es!« Wir leben Begeisterung, Engagement und wollen Erfolg des*der Einzelnen als auch den unserer Community. Ja, ich würde es so sagen. Wir leben eine Kultur des gemeinsamen Wollens. Wir wollen miteinander erfolgreich sein, teilen und feiern.

Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern

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Was aber, wenn der Erfolg ausbleibt? Ja, das hatten wir auch. Einen ganz, ganz großen Misserfolg. Von unserer Kapselhotelidee waren wir so begeistert, dass wir sie gleich umgesetzt haben. Als alles fertig war, haben wir gemerkt, dass die Betriebsbewilligung zwar mit den Behörden vorbesprochen wurde, dass sie aber noch nicht rechtskräftig war. Wir mussten den Betrieb nach einer Woche nochmals für mehrere Monate schließen. Das war krass. Ihr seid also voll auf der Nase gelandet … Der Community-Abend nach der Schließung des Kapselhotels war der lustigste überhaupt. Wir sagten einander: »Kopf hoch!« Und fragten uns, was wir nun machen könnten. Es gab keinerlei Shaming- und BlamingMomente. Jetzt ist das Kapselhotel wieder eingebaut und läuft. Trotz Corona. Wir mussten während der ganzen Coronazeit ideenreich sein. Am Mittagstisch oder an Community-Abenden fragen wir uns: »Wie können wir miteinander Probleme lösen?« Ein anderer Erfolgsfaktor ist der, dass wir keine Angestellten beschäftigen. Jede*r von uns hat noch ein anderes Standbein. So konnte sich z. B. während der Coronazeit eine Firma ganz neu erfinden und ein Videobusiness aufbauen. In euren Werten fällt auf, dass Begeisterung explizit genannt wird … »Komme, was wolle.« Ja, wir wollen Freude an dem haben, was wir machen! Echte Begeisterung ist etwas, das man Menschen anmerkt. In unserer Tätigkeit wollen wir Spaß und Freude erleben. Wir wollen Haltungen leben, die ansteckend sind. Wir wollen nicht die sein, die dauernd oder erstmal Nein sagen, sondern äußern: »Ja! Warum nicht? Und nun, wie weiter?« Das ist der Nährboden, auf dem Neues gedeihen kann. Geld und Finanzen – wie ist euer Umgang damit? Wir sind nicht nur Thinktank. Wir sind im Wesentlichen unternehmerisch tätig. Was wir tun, muss finanziell aufgehen. Erfolg heißt auch, erfolgreich zu wirtschaften und eine Gemeinschaft zu sättigen. Das entspricht aus meiner Sicht als Christ auch biblischen Prinzipien. Natürlich fragen wir uns auch: »Wann ist genug? Was brauche ich für mich?« Da ist die eine Hand für mich und die andere Hand, um zu geben. Es geht darum, immer ein Plus, das Mehr an Geld und Energie zu haben, um Jobs zu schaffen oder Menschen in Not zu helfen.

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid

Wie gelang das Überleben zu Coronazeiten? Wir wussten voneinander und sprachen einander Hilfsmaßnahmen zu. Wir hatten riesige Einbußen und hätten vom Staat Finanzkredite bekommen können. Der Weg dorthin schien uns jedoch zu mühsam. Wir sagten uns: »Wir schaffen lieber selbst was, anstatt zu betteln.« Schulden aufnehmen entspricht nicht unserer Kultur. Lieber finden wir eigene Lösungen. Wie würdest du die Haltung von Unternehmer*innen beschreiben? Man muss den Stein ins Rollen bringen und Sicherheiten loslassen. Ich war grundsätzlich nie abgeneigt, in diese Rolle zu gehen. Plötzlich kam dieses Momentum in Luzern auf mich zu, ich wusste nicht genau was, aber ich wusste, ich muss den Stein ankicken. Ich habe eine kleine Risikoanalyse gemacht und habe mich gefragt: »Was ist das Schlimmste, das passieren kann?« Nun bin ich dankbar und froh, hier selbstständig zu arbeiten. Es funktioniert! Ich habe nicht den leisesten Wunsch, mich wieder irgendwo als Architekt zu bewerben. Ich wäre ohne das Netzwerk vom Coworking auch nie selbstständig geworden. Warum hast du dein Büro im Hirschengraben aufgeschlagen? Ich bin ein Gemeinschaftstyp. Ich wollte nie allein selbstständig werden. Ich habe eine Community und es ist das Gefühl von Gemeinschaften und deren Projekten, die mich interessieren. Ich bin nicht der klassische Architekt – ich will etwas bewegen. Das Offene, Transparente liegt mir sehr. Ich will bis dato auch keine Angestellten. Das alles ist auch eine Kulturfrage, zu der ich beitragen möchte. Prinzipiell bin ich eher ein Macher als ein Denker! Und hier ist das – für mich – ideale Lernfeld. Gibt es Empfehlungen, die du aussprechen möchtest? Viel hängt von der Zusammenarbeit ab. Es braucht Vertrauen, ein Gegenüber. Man muss bereit sein, zu kooperieren, zu lernen, zu vergeben. Eine offene, transparente Kommunikation ist unabdinglich. Wie fange ich es denn an, wenn ich einen Coworking-Space bilden möchte? Ich würde erstmal einen Prototyp bauen und damit experimentieren. Dann würde ich unbedingt auf Team-Diversity achten und eine offene

Kommunikation pflegen sowie ein werte- und stärkenorientiertes Einsetzen der Personen. Und ziemlich schnell geht es dann ans Machen. Auf »Management-Denglish«: »It is only innovation if you do it.« Wo siehst du die Zukunft vom Hirschengraben? Wir sind dabei, stetig zu wachsen. Wir streben die Multiplikation von Standorten an, wo Leute Verantwortung übernehmen, die Verwandtschaft größer wird und damit deren Sichtbarkeit und Einfluss. Wir in Luzern leben eine »Verwandtschaft« mit den Coworking-Spaces in Bern, Basel und Zürich., sind »corelated«. Wir haben immens viel vom »Effinger Bern« gelernt. Zwar macht jede*r sein eigenes Ding und ist selbstständig, aber wir pflegen das sogenannte Sounding und lehnen uns gern auch mal an andere an. Zu unserer Familie zählen inzwischen neben dem »Effinger Bern«, auch der »Tessiner Platz« in Zürich, das »Space« in Zofingen, die »Zoffies«, sowie das »Hyve Basel«. Du bist auch als Christ hier unterwegs … Mein Vertrauen auf Gott gibt Menschen etwas. Gott hat mich versorgt, mich Geschichten erleben lassen, die mir als ein Wunder entgegenkommen. Es macht Freude zu teilen, Finanzen, als auch alles andere. Ich soll ein guter Verwalter dessen sein, was mir gegeben ist. Das will ich leben.

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Sandro Schmid

Wir lieben Gott, wir lieben den Nächsten. Wir sollen eine Rolle spielen, die konstruktiv ist. Für mich bedeutet es, zu gehen, bevor ich etwas sehe – im Glauben. Alles loszulassen und nicht einfach nur immer alles abzusichern. Warum wagen wir so wenig? Sollte man als Christ, der glaubt, nicht unternehmerisch denken? Damit sage ich nicht, jeder muss selbstständig werden. Aber wir müssen in die Verantwortung gehen. Wir sind »Salz der Erde«, Global Shapers. Meine Mission ist es, Leute zu befähigen, in die Verantwortung zu gehen. Aber man kann durchaus auch für Purpose in einer großen Firma sorgen. Überall kann man Verantwortung übernehmen. Ich glaube, dass die Generation Z Verantwortung übernehmen will. Wie viele Hüte hast du eigentlich auf? Ich bin Architekt zu 60 Prozent, phasenweise weniger oder mehr. Zu 20 Prozent bin ich operativer Leiter vom Hirschengraben. 10 Prozent investiere ich für neue Projekte. Dann bleiben immer 10 Prozent fürs Ehrenamt. Darin entwickle ich Homeschooling-Projekte, weil ich auch neue Ideen für das Thema »Bildung« mit mir trage und es enorm wichtig finde, jungen Menschen etwas mitzugeben. Ich investiere gern in Menschen, bin Mentor in Sachen Entrepreneurship. Das kann ja bereits im Teenageralter anfangen! Ansonsten liebe ich es, mit dem Motorrad unterwegs zu sein.! Gerne und oft pflege ich Freundschaften und Gespräche mit meiner Herkunftsfamilie. Sandro Schmid ist Architekt und Co-Founder vom Hirschengraben Coworking + Innovation.

Ein Zuhause für Innovationskraft – das »Hirschengraben« in Luzern

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3.8 Eine bunte Gemeinschaft soll es sein! – Frohet Schaffen in Iserlohn Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jonte Schlagner

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Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jonte Schlagner

»Frohet Schaffen« ist eine Coworkingspace in einem Quartier in Iserlohn mit einem Migrationsanteil von 91 Prozent. Eine Coworking-Space mit dem Namen »Frohet Schaffen.« Wer seid ihr und was macht ihr? Wir sind 2019 mit Freund*innen bewusst in den Sozialbau in der Peterstraße gezogen und haben die »Lampion Community« gegründet. Die Community ist ein klösterlich inspirierter Ausdruck von Kirche. Im Sozialbau wollen wir vor allem Nachbar*in und Freund*in sein. Wir haben Interesse, uns einzuklinken in das, was Gott hier schon Schönes macht. Und daraus entsteht gerade der Coworking-Space »Frohet Schaffen« mit folgender Mission: Wir wollen an einem frohen Ort, in einer frohen Community was schaffen. »Frohet« ist westfälisch und heißt »fröhlich«. Und das mitten im Sozialbau. Wie kann man verstehen, dass Gott »etwas Schönes macht«? »Schönes« heißt, dass Beziehungen heil werden, dass Menschen Wertschätzung erfahren und sich selbst annehmen können. Dass hier mit wunderbaren Menschen eine kunterbunte Gemeinschaft entsteht. Dass auch ein spiritueller Raum wächst, in dem Begegnung und Dialog möglich sind. Eine Besonderheit eures Space ist, dass ihr euch im Sozialbau ansiedelt. Warum genau dort? Unser Herz schlägt für das Viertel und das Hochhaus, in dem wir wohnen. Deshalb haben wir uns auch bewusst gegen einen schicken Industriebau entschieden, was auch eine Option gewesen wäre. Aber wir sind ja nicht hier, um einen Coworking-Space zu gründen, sondern weil wir wirklich einfach Nachbar*in und Freund*in sein wollen. Deshalb haben wir auch den Sozialraum beobachtet und analysiert und einfach hier mitgelebt, um herauszufinden, was hier zu einer Quartiersentwicklung passt. Die Idee vom Coworking kam dann einfach und ist in vielen Gesprächen gewachsen und gereift. Wir haben gespürt, dass Coworking ein sehr guter Ausdruck davon sein kann, wie hier etwas Schönes entstehen kann. Anders formuliert: Wir hätten hier auch eine Näherei oder eine Pommesbude aufgemacht, wenn wir das Gefühl gehabt hätten, dass es dran wäre und hier dazu beitragen würde, dass Schönes vermehrt wird. Eine bunte Gemeinschaft soll es sein! – Frohet Schaffen in Iserlohn

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Wie möchtet ihr eure Community ansprechen? Grundsätzlich haben wir tatsächlich zwei Zielgruppen. Klassische Co­ worker*in­nen und die Nachbarschaft. Wir wollen, wo immer möglich, beide Gruppen zusammenbringen. Neben dem Coworking wollen wir auch über soziale Projekte mit und für unsere Nachbarschaft aktiv werden. Wir sind hier mit verschiedenen Wohlfahrtsverbänden und Kirche in Kontakte. Konkret möchten wir zum Beispiel pro Jahr zwei dieser Projekte durchführen. Beispielhaft gibt es jetzt schon ein Digitalisierungsprojekt, das als Antwort auf Corona entstand. Da haben wir gefragt: »Was braucht ihr im Haus an digitaler Unterstützung, um beispielsweise gut Homeschooling machen zu können?« Oder wir bieten Sprachkurse an. 91 Prozent der Bewohner*innen haben hier Migrationshintergrund. Im Space wird es immer wieder Aktionen geben, die beide Zielgruppen verbindet. Ganz konkret wird im Space auch ein Arbeitsplatz bereitgestellt, an dem man Bewerbungen schreiben kann oder um ein Zoom-Gespräch mit Verwandten zu ermöglichen. Es gibt die Möglichkeit, hier etwas auszudrucken. Darüber hinaus soll es auch einen Streaming- und Podcast-Raum geben, der von der Nachbarschaft kostenlos genutzt werden kann. Alles was hier geschieht, soll einen positiven Einfluss ins Quartier hinein haben. Wir möchten die Leute abholen, begleiten und dahingehend unterstützen, ihr Quartier aktiv selbst zu gestalten und weiterzuentwickeln.

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Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jonte Schlagner

Du hast sehr früh einen Instagram-Kanal eröffnet und schreibst dazu, dass du die Community nicht erst mit reinnehmen willst, wenn alles läuft, sondern von Anfang an. Das ist sehr mutig und authentisch, weil ihr auch über mögliche Fehler und Scheitern sprecht. Natürlich brauchen wir erst einmal Öffentlichkeit, um sichtbar zu werden und Menschen dafür zu gewinnen, unsere Idee ganz konkret zu unterstützen. Durch Feedback etwa oder die Bereitschaft, am Projekt mitzuarbeiten. Aber ich glaube auch, dass Schönheit und Hoffnung im Scheitern liegen. Ich möchte mich und andere dazu ermutigen, auch mal was zu starten. Und es ist okay, wenn etwas scheitert. Selbst wenn der Space niemals an den Start käme, hat der Prozess sehr viel Gutes bewirkt. »Frohet Schaffen« in einem Jahr: Wie sieht es aus? »Frohet Schaffen« ist einem Jahr hoffentlich mit einer schönen Einweihungsfeier eröffnet. Es ist ein sozialer Coworking-Space, ein inspirierender Ort für innovative, soziale, kreative Köpfe und Teams; ein Ort, der die Entwicklung im Quartier begleitet, fördert und mitgestaltet. In einem Jahr haben wir hoffentlich ein starkes, multikulturelles Team aufgebaut und sind in guter Partnerschaft mit sozialen und kommunalen Partner*innen. Es soll bunt und wild werden mit noch mehr Raum für neue Ideen, sodass wir im Quartier viele schöne Dinge anstoßen können. Jonte Schlagner lebt mit seiner Familie und Freunden als Lampion-Community in einem Sozialbau in Iserlohn. Hier ist er vor allem Nachbar und Freund. Er ist Teilzeit bei der Evangelischen Versöhnungs-Kirchengemeinde Iserlohn für soziale Projekte im Quartier angestellt.

Eine bunte Gemeinschaft soll es sein! – Frohet Schaffen in Iserlohn

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Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jonte Schlagner

Chance für Kirche

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Eine bunte Gemeinschaft soll es sein! – Frohet Schaffen in Iserlohn

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4.1 Besinnung und Klosterinspiration im Coworking-Space Marco Jakob

Was in einem Wohnzimmer unter Freund*innen zunächst als Idee begann, ist nun eine wirbelnde Community in Bern mit über 30 »Gemeinsamständigen«, wie sie sich nennen, in einem Coworking-Space. Marco Jakob war Co-Gründer und hat viele Phasen mitgestaltet und miterlebt. Zwischenzeitlich hat er mitten in der Community eine neue Schulform gegründet. Der Wirtschaftsinformatiker und Lehrer reflektiert und pilgert gern und genießt die Gespräche in der hauseigenen Kaffeebar. Die Inhalte zu diesem Kapitel sind aus einem Dialog mit einem Freund entstanden. Sie widmen sich der Frage, wie geistliches und gemeinschaftliches Leben zusammengehen können. Dank der Gemeinschaft im und um das Coworking sind schon viele klösterliche Elemente vertreten, so seine Erfahrung. Für ihn selbst deutlich mehr als bei sonntäglichen Besuchen in Gottesdiensten. Im offenen Denkprozess widmet er sich der Frage, wie Spiritualität im Alltag gelebt werden kann. Ich merke, dass ich ein paar Elemente in meinem (spirituellen) Leben vermisse und bin auf der Suche, welche Formen in meinen Alltag mit Selbstständigkeit in Homeoffice und Coworking-Space passen könnten. Mich beschäftigt die Frage: Wie hat sich Gott das gedacht, dass wir mit ihm und miteinander in der heutigen Zeit leben?

Inspiration aus dem Kloster In den letzten zehn Jahren bin ich immer wieder inspiriert von den Bewegungen der Mönche und der Klöster und welche Rolle diese in der Gesellschaft wirtschaftlich und spirituell gespielt haben. Was können wir aus den guten und schlechten Sachen aus der Geschichte lernen für die heutige Zeit? Ein Freund, der mich auch zum Pilgern inspiriert hat,

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Marco Jakob

zitiert oft einen Satz von irischen Mönchen: ora et labora et lege et peregri­ nare (beten, arbeiten, lesen und ausgesandt werden). Diese Kombination wünsche ich mir für den Alltag. Wie wäre das möglich?

George Lings hat im Buch »Seven Sacred Spaces: Portals to deeper community life in Christ« die klösterlichen Traditionen analysiert und sieben Bereiche identifiziert: Essen und Gastfreundschaft

Arbeit, um die Community zu erhalten

Refectory (Speisesaal) spontane und geplante Begegnungen

Garden (Garten)

Cloister (Kreuzgang)

Cell (Mönchszelle)

Chapter (Kapitelhaus) gemeinsame Entscheidungen fällen

persönlich-geistliches Leben

Chapel (Kapelle) Scriptorium (Schreibstube)

gemeinsame Liturgie

Studium und Weitergabe des Wissens

Abb. 1: Sieben Bereiche klösterlicher Traditionen (© Marco Jakob; nach Lings 2020)

Was ist da und was fehlt?

iner Grafik von George Lings in “Seven Sacred Spaces - Portals to deeper community In meinem typischen Alltag sind vor allem dank der Gemeinschaft im Coworking schon viele Elemente vertreten. Das, was schon da ist, ist großartig und ich bin sehr, sehr dankbar für all die Begegnungen und Freundschaften. Was aber in meinem Alltag am wenigsten vorkommt ist gemeinsame Liturgie (Chapel). Ein Teil könnte an Sonntagen in einem Gottesdienst stattfinden. Aber das möchte ich nicht. Ich möchte es lieber im Alltag einbauen. Besinnung und Klosterinspiration im Coworking-Space

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Besinnung

Vor einigen Jahren hatte ich einen Traum, in dem ich mit jemandem über das oben beschriebene Thema sprach. Die Person im Traum sagte mir dann, dass sie dafür ein Treffen habe, das sie »Besinnung« nennt. Dieses Wort war mir in diesem Zusammenhang nicht bekannt, aber als ich etwas mehr über die Wortherkunft las, fand ich es passend. Ich würde es so umschreiben: ▶ nachsinnen, nachdenken, ruhig überlegen, den Sinn finden, ▶ sich an seine Werte erinnern, »zur Besinnung kommen«, ▶ sich auf sein Fundament besinnen., darüber nachdenken, wer Gott ist, was er tut, wer ich bin und worauf ich mein Leben ausrichten will, ▶ sich besinnen und dankbar sein für das, was war und ist. ▶ Es geht um Ruhe und darum, bewusst einen Moment untätig sein. Wir hatten zeitweise kleine, wöchentliche Treffen unter anderem zu diesem Zweck. Das war wertvoll, konnten wir dann irgendwann aber nicht mehr aufrechterhalten. Deshalb nun ein neuer Versuch. Besinnung als tägliche Online-Liturgie

Inspiriert vom Kloster würde ich gern Folgendes versuchen: jeden Tag vor der Arbeit (z. B. 6.30 Uhr) eine gemeinsame Online-Liturgie über einen Audio-Call. Liturgie

▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶

Musik Bibeltext vorlesen Musik Bibeltext nochmals vorlesen kurzes Gebet vorlesen Alle schreiben einen Gedanken in den Chat. Über den Chat besteht auch die Möglichkeit, sich ein Gespräch zu wünschen (siehe Sounding unten).

Organisation

▶ Dauer: 10–15 Minuten ▶ keine An- oder Abmeldung; man schaut einfach, wer da ist

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Marco Jakob

▶ Jemand spielt die Musik ab und liest den Bibeltext vor. Zur Vereinfachung kann man bestehende Tagesliturgien wie etwa von www.prayas-you-go.org oder ähnliche nehmen. ▶ Die anderen können einfach zuhören (z. B. unterwegs oder beim Frühstück). ▶ offene Frage: Welche Gruppengröße ist sinnvoll? ▶ technische Lösung: www.discord.com oder andere Tools mit AudioCall-Möglichkeiten Sounding

Via Chat kann man sich melden, wenn eine Entscheidung ansteht und man ein »Sounding« wünscht. Dazu macht man einen separaten Termin ab, um sich online oder vor Ort zu treffen. Der Ablauf eines Soundings ist wie folgt: Die Person, die das Sounding gewünscht hat, erzählt zuerst von der anstehenden Entscheidung. Die anderen hören aktiv zu. Anschließend beantworten sie zwei Fragen: 1. How does it sound? (Wie tönt es?) 2. Is it sound? (Ist es ehrenhaft und bleibt die Person ihren Werten treu?) Gehpausen

Ich bin gerne zu Fuß unterwegs auf Wander- und Pilgerwegen (siehe www. gehpause.ch). Gehpausen kann man an Wochentagen einbauen, indem man die Arbeit unterbricht oder zu Fuß zur Arbeit geht. An Wochenenden kann man sich längere Etappen vornehmen. Die Gehpausen können mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden, zum Beispiel schweigend, mit inspirierenden Gedanken oder mit meditativem Gebet. Die Organisation kann spontan erfolgen (wer gerade da ist) oder geplant. Erhoffte Effekte

Die tägliche Liturgie einer Besinnung könnte viel von einer »Chapel« eines Klosters abbilden. Wenn zusätzlich das »Sounding« dazukommt, so wäre auch das »Chapter« enthalten, wo gemeinsam Entscheidungen gefällt werden. Eine Besinnung hat sicher positive Effekte auf das persönliche spirituelle Leben (»Cell«) und das Studium und die Weitergabe des Wissens (»Scriptorium«). Weil es am Beginn eines Tages stattfindet, hat es auch Auswirkungen auf die Arbeit (»Garden«), die Begegnungen Besinnung und Klosterinspiration im Coworking-Space

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zwischen den Bereichen (»Cloister«) oder das gemeinsame Essen (»Refectory«). Marco Jakob ist Mitgründer des »Effinger – Kaffeebar & Coworking Space« in Bern (www. effinger.ch) und Mitgründer von »Colearning« (www.colearning.org). Er ist als lernender Berater unterwegs im Bereich neuer Arbeits- und Bildungsformen, Stadt- und Dorfentwicklung und Aufbau von Communitys. Seine Leidenschaft ist es, andere zu begleiten, die Firmen aufbauen und die Gesellschaft gestalten wollen (www.jakobservices.ch).

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Marco Jakob

4.2 Coworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie Thomas Schalla

»Transformation ist die neue Baseline des Arbeitslebens. Mehr denn je kommt es daher auf den Menschen an.« (MAICONSULTING 2021) Die Veränderungen in unserer Lebenswelt nehmen an Geschwindigkeit zu. Die Entwicklung digitalisierter Arbeitswelten, veränderte Sensibilitäten für die globale Klimakrise und die Suche nach grüner Energie oder nach ressourcenschonenden Mobilitätskonzepten erzeugen Handlungsdruck auf die politischen Entscheidungssysteme. Die politischen Rahmenbedingungen verändern sich im Nahbereich sowie im globalen Maßstab und führen zunehmend zu Verunsicherung. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von stabilen Wertesystemen, die auch im beschleunigten Wandel Menschenwürde und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen. Kirchen können dazu beitragen, die Suche nach Sinn und Orientierung zivilgesellschaftlich zu verankern. Die Kirchen sind wie alle großen gesellschaftlichen Organisationen in den westlich geprägten Demokratien von diesem Wandel betroffen. Die gesellschaftlichen Erwartungen an kirchliches Leben divergieren dadurch stärker. Zwischen dem Wunsch nach rascher Modernisierung der Kirche und der Sehnsucht nach Beheimatung in verlässlicher Stabilität entfaltet sich ein breites Spektrum an Herausforderungen für die Entwicklung in den nächsten Jahren. Verbunden werden die Kirchen vor allem anderen mit dem Einsatz für den Menschen: Seelsorge für alle Lebenslagen, diakonische Hilfen für die Schwachen, politischer Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung – wenn es um den Menschen geht, wird der Kirche noch immer etwas zugetraut. In den Kirchen suchen wir nach Wegen, wie die Botschaft von der Liebe Gottes unter den veränderten Bedingungen die Zeitgenoss*innen neu erreichen kann. Dabei ist notwendig, zu unterscheiden, wo Stabilität und Tradition erhalten werden und wo die Kirche sich modernisieren muss. Die Coworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie

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Veränderungsprozesse in den Kirchen verstehen wir als Transformationsprozesse: Wir werden mit weniger Ressourcen auch zukünftig noch immer eine vergleichsweise reiche Kirche sein – reich beschenkt mit den Gaben und Fähigkeiten der Menschen, finanziellen Mitteln, Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber wir werden darüber nachdenken, wie wir die Präsenzen kirchlicher Arbeit weiterentwickeln, wieder neu entdecken und oder neu ausrichten, damit die Zugänge zu den Menschen nicht verloren gehen.

Coworking – Kirche in der Arbeitswelt Es wird mehr auf den Menschen ankommen. Mit der Welt der Arbeit haben sich Kirche und Theologie lange schwergetan. Gemessen an der Bedeutung von Arbeit für die gesellschaftliche und Stellung des Menschen in der Welt sind die wirtschaftsethischen Reflexionen und kirchlichen Dienste in der Arbeitswelt eine Randerscheinung geblieben. Das kirchliche Engagement für Coworking versucht, in einem Segment unserer gesellschaftlichen Realität Gottes Weg in diese Welt nachzugehen. Dahinter steht die missionale Grundausrichtung kirchlicher Arbeit. Der Weg Gottes führt christologisch über Erniedrigung und Erhöhung hinein in gesellschaftliche Verhältnisse. Wird diese Bewegung Gottes ernst genommen, dann muss sie auch für die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in wirtschaftlichen Zusammenhängen gelten. Kirchliches Coworking sucht darum, mit offenen Augen durch die (Arbeits-)Welt zu gehen und wie Paulus in Athen danach zu fragen, wo Gott hier im Leben der Menschen zu finden ist. Coworking-Spaces machen auf ihre Weise ernst mit dem Auftrag der Kirchen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Sie kommen überall da in den Blick, wo die Kirche ihren Auftrag auch als die Übernahme öffentlicher Verantwortung für das Zusammenleben der Menschen versteht. Das zeigt sich zuerst in der Verkündigung des Evangeliums, in der Parteinahme für die Schwachen unserer Gesellschaft oder im diakonischen Engagement gegen die Not der Menschen. Hinter der Idee des kirchlichen Coworking steht darüber hinaus die Einsicht, dass sich dies ebenso in der Öffnung ihrer Kirchen oder Gemeindehäuser für gemeinsam gestaltetes Leben und Arbeiten niederschlagen sollte. Kirchliche Coworking-Spaces verstehen sich damit auch als ein kirchlicher Beitrag zur menschenfreundlichen Gestaltung von Arbeit in

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Thomas Schalla

modernen Gesellschaften. Sie ersetzen nicht sozialpartnerschaftliche Aushandlungsprozesse für die sozialpolitischen Rahmenbedingungen im Zusammenspiel von Kapital und Arbeit. Aber sie bieten die Chance, den Auftrag, die Erfahrungen und die Kompetenzen von Kirchen mit der Lebens- und Arbeitswelt der jungen Generation zu verbinden.

Kirchliche Coworking-Spaces als Bausteine einer milieusensiblen Kirche Coworking-Spaces entstehen derzeit vor allem in Gründerszenen in oft universitär geprägtem Umfeld. Junge Leute im Übergang von Lehre oder Studium in die Selbstständigkeit nutzen die Chance, bezahlbare Büroräume mit der Möglichkeit für den Aufbau von sozialen Netzwerken zu verbinden. Für Anbieter von Coworking-Spaces im Profit-Bereich haben diese Gründerszenen vor allem ein finanzieller Nutzen. Für kirchliches Coworking stehen geistliche Motive im Vordergrund. In der Regel finden sich hier die modernen sozialen Milieus, zu denen die Kirchen kaum Zugänge haben. Junge Menschen suchen ein selbstbestimmtes Leben, in dem auch die berufliche Planung offen für Experimente und Innovationen ist. Performer, Expeditive, Adaptiv-­Pragmatische, Sozialökologische oder Liberal-Intellektuelle finden kaum den Weg in die klassische Gemeindearbeit. Traditionelle kirchliche Angebote sind zwar für einen Teil der jüngeren Generation mit Blick auf den damit verbundenen Wertekanon interessant, gleichzeitig sind die prägenden Erfahrungen mit dem Engagement im kirchlichen Bereich abschreckend. Wegen der vorrangig erwarteten langfristigen Bindung und der oftmals starren Strukturen sind sie für die meisten moderneren Milieus nicht attraktiv. Insgesamt sind Kirchen in der Regel noch immer zu stark in bürgerlichen und traditionellen Denk-, Engagement- und Beteiligungsmustern verhaftet. Die Kirchen sind darum schon länger mit der Frage befasst, wie sie sensibler auf Erwartungen, Haltungen und Hoffnungen der unterschiedlichen Milieus reagieren können. Moderne Milieus nehmen an Bedeutung zu und prägen auch quantitativ zunehmend die Leitbilder gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Botschaft von der Liebe Gottes ist auch zukünftig »allem Volk« auszurichten, aber »das Volk« ist inzwischen bunter geworden. Milieustudien werden darum immer öfter zur GrundCoworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie

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lage strategischer Planungen im Gemeindeaufbau und betreffen längst auch die Gestaltung von Kasualien oder die Gottesdienstplanung. Die Kirche ist ihrem Anspruch nach noch immer eine Volkskirche, weil alle Schichten und Milieus in der Kirche eine Heimat finden sollen. Will sie diesem Anspruch gerecht werden, bedeutet das auch, dass die einzelnen Angebote milieusensibel entwickelt und geplant werden sollten. Kirchliches Coworking ist ein Baustein in der Transformation kirchlicher Arbeit in Richtung stärkerer Milieusensibilität ihrer Angebote und Grundhaltungen. Mit ihnen kann leichter an die modernen gesellschaftlichen Milieus angeknüpft werden. Sie bieten einen Experimentalraum, in dem die Coworker*innen berufliche Innovation, ökologisches und soziales Gewissen mit der Bildung von Netzwerken verbinden können. Für die Kirchen ergeben sich auf diese Weise Einblicke und Kontakte in die Lebenswelt der modernen gesellschaftlichen Milieus. Gleichzeitig entstehen auch für die Kirchen neue Netzwerke. Sie helfen, gemeinsam Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, und sie verändern mittelfristig Formate und Strukturen kirchlicher und gemeindlicher Angebote.

Coworking als geistliches Angebot Angebote von Kirche und Gemeinde sind immer verbunden mit dem Auftrag Jesu Christi. Sie helfen, das Evangelium mit dem Leben der Menschen zu verbinden und auch auf diesem Weg die Relevanz der christlichen Botschaft für das Zusammenleben in Kirche und Gesellschaft erfahrbar zu machen. Für die Arbeit in den kirchlichen Coworking-Spaces steht der Gemeinschaftsgedanke als geistlicher Anknüpfungspunkt im Vordergrund. Gemeinschaft war schon in den ersten christlichen Gemeinden ein wesentlicher Aspekt der Gemeindebildung. Die Christ*innen feierten in den Hausgemeinden Gottesdienste, hielten das Erinnerungsmahl. Die neutestamentarischen Briefe legen davon ein Zeugnis ab. Die Gemeinde der Schwestern und Brüder ist bis in die neueren Bekenntnisbildungen ohne den Gedanken der Gemeinschaft nicht vorstellbar. Sie bleibt ein wichtiges praktisch-theologisches Motiv für den Gemeindeaufbau. Auch in neueren kirchentheoretischen Überlegungen, die kirchliche Orte und Präsenzen im Zusammenspiel mit anderen Akteur*innen im Sozialraum als Netzwerke zu verstehen suchen, ist die

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Thomas Schalla

Gemeinschaftsbildung ein wichtiger Aspekt. Interessant ist hier insbesondere der Gedanke von temporären Gemeinschaftsbildungen. In kirchlichen Coworking-Spaces sollen sich die Coworker*innen als Teil einer Gemeinschaft verstehen und erleben können. Der Arbeitsplatz ist ein wichtiges Motiv für das Interesse an einem kirchlichen Coworking. Coworker*innen machen aber die Erfahrung, dass Gemeinschaftsbildung in kirchlichen Coworking-Spaces sowohl für die Arbeitsprozesse als auch für das Arbeitsergebnis hilfreich ist. Kirchliche Coworking-Spaces verstehen sich als Orte für Menschen, die als Lerngemeinschaft miteinander unterwegs sind. Damit verbindet sich ein geistliches Verständnis von Zusammenarbeit: Menschen lernen, voneinander zu lernen, aufeinander zu hören, einander zu achten und einander zu vergeben. Für den späteren Umgang mit Mitarbeiter*innen, für ein reflektiertes Leitungs- und Führungskonzept und für eine menschenfreundliche Arbeitskultur werden damit wichtige ethische Grundlagen für die Coworker*innen zugänglich und erlebbar. Die Zusammenarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Milieus, Prägungen und Herkünften sind in den kirchlichen Coworking-Spaces darüber hinaus konkreter Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung für eine bessere Welt. Kirchen suchen Kontakt zu Menschen, die den Wertekosmos der christlichen Überlieferung teilen. Die Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist in den biblischen Überlieferungen und im theologischen Diskurs der weltweiten Ökumene ein notwendiger Teil des christlichen Glaubens. Diesen theologischen Rahmen bieten wir auch denjenigen an, die sich für die Arbeit in kirchlichen Coworking-Spaces interessieren. Gesucht werden die Weltverbesser*innen als Partner*innen, die mit ihren Ideen dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Für viele Coworker*innen ist es eine überraschende Erfahrung, den Kirchen als Experimentalräumen für Innovationen zu begegnen. Diese gemeinsame Erfahrung hilft den Kirchen und den Coworker*innen.

Kirche bei Gelegenheit – Coworking als neues Kasualangebot Die Kasualien spielen für die Suche nach Begegnung und Dialog mit den Menschen für die Kirchen eine besondere Rolle. Durch Taufe, Trauung und Bestattung begleiten Kirche und Gemeinde die Menschen in biografisch Coworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie

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entscheidenden Übergängen. Hier ist oft am deutlichsten spürbar, dass das Wort Gottes Trost und Hoffnung geben kann und unmittelbare Relevanz für das Leben hat. Die Modernisierung der Gesellschaft hat zu immer stärkerer Vielfalt auch in den Lebensläufen und Berufsbiografien geführt. Mobilität und Flexibilität spielen beruflich und privat eine größere Rolle. Das macht die Suche nach begleitenden Ritualen wichtig, in denen Gottes Segen als Hilfe für Halt und Orientierung in den Übergängen zugesprochen werden kann. Auch die Übergänge in den Beruf gehören zu biografischen Statuswechseln, die mit Hoffnung und mit Unsicherheit verbunden sind. Die Schwelle des Berufseinstiegs als eines neuen Lebensabschnitts kann durch die kirchliche Begleitung bewusster gestaltet und begleitet werden. Start-ups sind solche beruflichen Schwellen. Die Coworking-Spaces sind unter diesem Gesichtspunkt ein neues Kasualangebot – wenn auch als gestreckte Handlung. In der Community des kirchlichen Coworking-Spaces wird Gottes Segen vermutlich öfter durch die alltägliche Begleitung vonseiten der kirchlichen Mitarbeiter*innen erfahren als durch Handauflegen. Aber auch kleine Andachten, Gottesdienste in neuen Formaten, eine gemeinsame Mittagspause mit Gebet oder die Beschäftigung mit den Problemen der Berufsfindung und -gestaltung unter theologischer und geistlicher Perspektive können Gottes Segen entfalten. Die Predigt der Steine, durch die unsere Kirchen das Evangelium von Jesus Christus ohne Worte an die Besucher*innen weitergeben, wird in kirchlichen Coworking-Spaces durch die kirchlichen Räume weitergegeben, in denen die Coworker*innen in ihr neues Leben starten.

Coworking als Experimentalraum für Innovationen Kirchliche Coworking-Spaces bieten Innovationspotenzial für unsere Gesellschaft und für unsere Kirchen und Gemeinden. Die Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen Kontexten mit ähnlichen Ideen und ähnlichen Wertesystemen, inspiriert vor allem die Kirchen für neue Formen der Zusammenarbeit in den gesellschaftlichen Netzwerken. Hier kann man erleben, dass Brücken zwischen kirchlichen Mitarbeitenden und kirchenfernen oder -kritischen Zeitgenossen entstehen, die eine innovative Arbeitskultur befördern.

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Für eine Kirche, die in den europäischen Ländern immer mehr in die Defensive gerät, entstehen so in vielfacher Hinsicht neue Chancen. Die kirchenferneren Milieus entdecken die Kirche mit ihren Angeboten als unmittelbar relevant. Sie treffen Menschen und knüpfen Netzwerke, die Coworker*innen und den Kirchen nutzen. Coworking-Spaces sind schließlich eine innovative Entwicklungsperspektive für die Nutzung von kirchlichen Liegenschaften. Mit entsprechenden Nutzungserweiterungen können Coworking-Spaces in kirchlichen Räumen helfen, Liegenschaften auch langfristig für den kirchlichen Gebrauch zu erhalten: Jedes Pfarramt und jedes Gemeindehaus könnte zu einem Coworking-Space werden. Damit würden die kirchlichen Räume auch weiterhin ihre Funktion als öffentlicher Raum behalten – gerade dort, wo öffentliche Räume in den Quartieren und Stadtteilen immer mehr verloren gehen. Kirchliche Coworking-Spaces sind ein Baustein in der Transformation kirchlicher Arbeitsfelder und ein Kristallisationspunkt für soziale Innovation in unserer Gesellschaft. Dr. Thomas Schalla ist seit 2014 Dekan der Evangelischen Kirche in Karlsruhe, von 2008 bis 2014 war er Landesjugendpfarrer der Evangelischen Landeskirche in Baden, davor Pfarrer der Matthäusgemeinde in Karlsruhe.

Coworking als die Gestaltung einer neuen Kasualie

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4.3 Der Zerbruch ist nicht das Ende Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Klaus Motoki Tonn

Klaus Motoki Tonn setzt in seinen Beratungen ein Narrativ ein, das Menschen hilft, sich Lebensbrüchen zu stellen und darauf aufzubauen. Bist du ein Gründer? Wenn ja, was hast du gegründet? Ich habe Gemeinschaften und Kreativvereine gegründet, bevor die Fresh X-Kirche mit interessanten Angeboten daherkam. Ich nahm wahr: Kirche kann so nicht mehr funktionieren. Ich habe immer dort gern gegründet, wo ich der Meinung war, hier fehlt einfach etwas! Ich wollte Lücken schließen. Später gab es dann zunehmend Clubs, Kino und neue Angebote in der Kirche. Das Kreative in Kirche wurde »normal«. Ja, dann habe ich Kreativagenturen gegründet, wie »gobasil« mit Kolleg*innen und »Lumen« und andere Kollektive. Ich wollte Räume öffnen, in denen was entstehen kann. Mir war es ein Anliegen, herauszufinden, wie Neues entsteht. Schließlich gab es dann Förderanträge, die man stellen konnte, denn ich war nebenher berufstätig. In meinem ersten Kreativverein trafen wir uns in Kellern, in Lagerräumen, ehemaligen Pferdeställen, lange bevor Coworking in aller Munde war. Ich war gern der, der für die neue Idee einsteht, die ganz am Anfang existiert. Ich möchte Kreativräume schaffen, in den etwas entsteht, das vorher nicht da war. Wie hast du Gründungsprozesse erlebt? Na, man rutscht da so rein. Du gehst in die Verantwortung. Menschen beklagen gern Umstände. Ich wusste immer: »Change it, love it or leave it.« Es ist möglich, dass Menschen in die Freiheit gehen. In anderen Ländern ist das viel selbstverständlicher: Es gibt keine Arbeit, aber einen Bedarf, also schafft man sie. Es gibt kein Einkommen, also muss ich etwas auf dem Markt verkaufen oder den Markt dafür entwickeln. So

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Klaus Motoki Tonn

entstanden auch hierzulande »Social Business«, Fundraising und evangelische Publika­tion. Menschen wie Johann Hinrich Wichern sahen eine Not, handelten, gerieten wieder in Not und machten dann auf den Missstand und ihr Anliegen aufmerksam. Ob es in Deutschland die Bürokratie ist, die das Angestellt-Sein allem anderen gern vorzieht? Ich wäre dafür, dass man das Fach »Gründen« in der Schule schon von Anfang an implementiert. Ich stelle eine schlimme Analogie her: Während »Arbeit macht frei« für etwas Grausames steht, ist »Gründen macht frei« ein Leitsatz, hinter dem ich von ganzem Herzen stehen kann. Warum sollte man gründen? Ein*e Gründer*in hat einen Bewegungsradius, den wenige haben. Es ist ein Mittel, wirklich aktiv etwas zu bewegen. Wird – was erfolgreiches Gründen betrifft – in Start-ups nicht sehr viel gelogen? Ja, wir finden häufig eine Scheinwelt vor. Es gilt der Status »divers, jung, dynamisch, äußerlich attraktiv«. Darin ist Diversität nicht wirklich abgebildet und auch nicht möglich. So entwickelt sich auch wieder eine eigene Bubble. Erfolgsgeprägt ist aber nicht nur die Start-up-Szene, das sind ja viele andere Unternehmen auch. Resilienz ist dabei das große Thema. Du sollst erfolgreich sein, tough, leistungsfähig. Wir dürfen auf keinen Fall scheitern. Und wenn, organisieren wir eine Fuckup Night und feiern. Ist das das Rezept? Ich sehe das am Beispiel unserer Kund*innen: Die erlauben das Feiern vom Scheitern sehr konsequent. Es wird immer wieder auch in den Leitsätzen zur Organisationskultur niedergeschrieben: »Wir feiern und lernen aus Niederlagen.« Doch durch dieses Verzwecken erleben wir das Scheitern gar nicht mehr. Wir schreiten gleich weiter voran und transformieren es durch das Feiern zum Erfolg. Die Gefahr dabei ist: Am Ende geht es ja dann doch ausschließlich darum, unternehmerische, kommerzielle Erfolge einzufahren. Die Frage wäre: Geht es nicht auch darum, den Prozess zu erleben, auszuhalten und aus dieser tieferen Erfahrung zu lernen? Wenn wir Scheitern verzwecken, entsteht genau nicht der Raum dafür. Mit Fuckup Nights allein ist es häufig nicht getan. In den Beratungen mit meinen Kund*innen erlebe ich häufig, dass die Kultur, die Sprache, Der Zerbruch ist nicht das Ende

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die darunterliegt, nicht wirklich der Erlaubnis entspricht, Fehler machen zu dürfen. Da wird dann doch häufig mit »Shaming« und »Blaming« gearbeitet. Bei Viktor Frankl ist die Idee die, dass man am Ende alles in die Scheune fährt, auch die Brüche. Alles ist gutes Korn, dort sind die Ressourcen. Auch bei dem, was man falsch gemacht hat. Das fordert in der Reflexion Prozessliebe, Genauigkeit. Geduld und das Anerkennen, dass jeder Bruch ein Unikat ist. Gibt es eigene Erfahrungen mit Scheitern? Ja, ich habe erlebt, wie Kooperationsgemeinschaften zerbrochen sind. Wenn eine Kooperation auseinanderfällt, ist das eigentlich wie eine Scheidung. Das habe ich erlebt, als nach 10 Jahren etwas kaputtging, das ich mit einem Partner entwickelt hatte. Das war schmerzhaft! Schließlich war es ja deine DNA, deine Spur, deine Energie. Es gilt, all diese emotionalen und wirtschaftlichen Brüche zu verarbeiten. Das dauert! Ich würde sagen, mindestens acht bis zehn Jahre. Was ist deiner Meinung nach Erfolg? Alle Erfahrungen, die unser Selbstgewahrsein verdichten und das Reifen unserer Wirksamkeit ermöglichen, zählen für mich zum Erfolg. Ein Erfolg kann ja vieles sein: ein Roman, ein Kinofilm, ein Kuchen, eine Beziehung. Erfolg ist nicht die Summe von Happy-clappy-Momenten, sondern besonders das Erreichen von qualitativen Zielen. Bei LUMEN ist für mich dann etwas ein Erfolg, wenn wir Entscheidungen gemeinsam treffen, wenn das »Check-in« oder »Check-out« ehrlich und gut lief. Das ist die Qualität des WIR. Erfolg ist, dass wir bei »Lumen« mit zwölf Mitarbeiter*innen eine Familie geworden sind und das Geld am Ende für alle reicht. Wie bist du zum Kunstmittel »Kintsugi« vorgestoßen und was hat es mit Unternehmertum zu tun? Meine Mutter ist Japanerin. Kintsugi, ebenso wie andere Handwerkskunst, hat mich immer sehr fasziniert.4 Das ist ein Narrativ, mit dem ich sehr gern arbeite. Es geht darum, ehrlich zu werden und zur Lebenslinie zu stehen. Das, was nicht schön war, zu betrachten und zu integrieren und 4 Ein Film von Klaus Motoki Tonn über das Kunsthandwerk Kintsugi: https://www. youtube.com/watch?v=b4 g4hm2UtBs (Zugriff am 18.08.2021); Artikel »›Narben aus Gold‹ – Kintsugi als Metapher für unser Leben« (Motoki Tonn 2020).

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Klaus Motoki Tonn

eben nicht wegzudrücken. Auf den Fellgrund vorzustoßen. In der Metapher zu sagen: »Ja, da ist wirklich einiges zerbrochen.« Wenn ich aber mit Sorgfalt, der nötigen Zeit und Geduld beobachte und zusammenfüge, lerne ich viel. Eine neue Schönheit entsteht. Wenn ich das in Beratungen einbringe, werde ich zum »purpose mentor«. Menschen fangen dann häufig an zu weinen und merken: Soviel habe ich immer weggedrückt! So kann ich nicht weiterleben oder weiterarbeiten. In der Kintsugi-Philosophie können wir Zugänge zu unseren eigenen Lebensgeschichten finden und neue und auch heilsame Perspektiven für unsere Lebensentwürfe entdecken. Kintsugi ist die japanische Kunst, Zerbrochenes wieder zusammenzusetzen. Es bedeutet wortwörtlich übersetzt »goldenes Zusammensetzen«. Es ist eine aufwendige Reparaturtechnik, bei der Keramikstücke wieder zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt werden – die »Narben« werden anschließend mit echtem Gold bedeckt. Dahinter steht die Idee, dass alle Dinge einzigartig sind und ein Zerbrechen nicht das Ende ist. Wenn dies kunstvoll mit viel Liebe und Aufmerksamkeit gelingt, kann neue Kunst entstehen und durch Unvollkommenheiten ein noch viel stärkeres, neues Kunstwerk erschaffen werden. Wie wir Fragmente betrachten und wie wir Verbindungen aus einzelnen Lebensereignissen herstellen, ist natürlich immer unsere eigene Entscheidung. Wie kultiviert man diese Haltungen in Coworking-Spaces? Ein echtes Highlight war für mich, als ich in Dublin bei Facebook® und Google® erlebte, dass ein Raum für Yoga, Religionen und Welt­anschau­ ungen aller Art reserviert wurde. Jede*r durfte etwas einbringen und teilen. Auch »WeWork« oder die Betahäuser bieten Stille- und Yogaräume an. Dort kann Reflexion stattfinden, die Voraussetzung dafür ist, anders zu arbeiten. Welche Werthaltungen erachtest du für Coworking-Spaces als zentral? Du bist mehr wert als die Summe deiner Likes. Du bist mehr als dein Auftritt auf Social Media und anderswo. In Coworking-Spaces in Deutschland habe ich dazu kaum etwas gesehen, was wirklich in diese Richtung ermutigt. Besonders im süddeutschen Raum oder in der evangelischen Kirche, in der ich Freiräume erproben wollte, erlebe ich häufig ein vollkommen überzogenes Leistungsprinzip. Die denken immer, sie müssten wie irre arbeiten! Das »Schaffe-schaffe-Narrativ«, das häufig Sarkasmus, Der Zerbruch ist nicht das Ende

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Widerstand und viel Frustration erzeugt. Da heißt es dann: »Nein, wir können kein Design Thinking machen!« »Nein«, sagt man dann, »wir können auf gar keinen Fall auf die Metaebene gehen! Wir müssen doch die Kirchenwahl vorbereiten, diese und jene Sitzung vorbereiten!« Das bedauere ich. Klaus Motoki Tonn ist Spezialist für Digitale Verantwortlichkeit, Kommunikation und Kultur und langjähriger M&A-Rechtsanwalt. Bevor er in die Strategie- und Kommunikations­beratung wechselte, begann er seine Karriere 1998 als Unternehmensentwickler, Investor Relations Manager und wechselte später in die Geschäftsleitung von mittelständischen Unternehmen (General Electric, SAP-Partner) und Start-ups. In den letzten 10 Jahren gründete er Agenturen (gobasil, Lumen, dexp.one) und Social-Impact-Initiativen (shift.jetzt).

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Ein Gespräch von Dorothea Gebauer mit Klaus Motoki Tonn

4.4 Das Leben umkrempeln – ein gelebtes Beispiel Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jan Thomas Otte

Jan Thomas Otte ist Pfarrer in Konstanz, hat sein Büro vermietet und seinen VW-Bus verkauft. Seit über einem Jahr lebt der 38-Jährige mit seiner Frau und drei Kindern die Kultur des Teilens. Angefangen beim Wohnen über das Arbeiten bis hin zur Mobilität – auf dem Wasser des Bodensees ebenso wie auf dem Land. Was hat es dich gekostet? Was hat es dir »gebracht«, dein Auto zu verkaufen und auf ein festes Arbeitszimmer zu verzichten? Gekostet hat es mich vor allem Überwindung, mich von vermeintlicher Bequemlichkeit zu lösen. Bequem ist es, ein Auto ständig vor der Haustür zu haben und damit – gefühlt zumindest – jederzeit losfahren zu können. Genauso ein Büro, wo Tausende von Büchern drin sind, die ich in diesem Leben vermutlich ohnehin nicht mehr lesen werde, auch wenn ich es mir manchmal wünsche, zumindest aber einbilde. Gebracht hat es mir manches Kopfschütteln von anderen Familien, die uns einerseits dafür bewundern, manche aber auch klammheimlich ein bisschen für diesen Schritt verachten. Es bringt Aufmerksamkeit, für Ziele des Klimaschutzes über die eigene Haut zu werben. Ich bin froh, keine Werkstatttermine mehr fürs Auto zu vereinbaren, ich spare so Zeit und Nerven, die ich für meine kreativen Projekte gut gebrauchen kann. Und wenn ich mein letztes Jahr so sehe, hat es sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch rentiert! Die versteckten Kosten beim eigenen Auto sind einfach immens – Reparaturen, Instandhaltung, Verschleißteile, Versicherung, gestiegene Parkkosten in der Innenstadt … Was war dein Weg dahin, wie kamst du darauf? Gab es eine bestimmte Not oder Sehnsucht? Unser Auto zu verkaufen als fünfköpfige Familie, war ein längerer Prozess, wir haben uns ein Extrajahr gegönnt, um diese Entscheidung herbeizuDas Leben umkrempeln – ein gelebtes Beispiel

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führen. Das beinhaltete, unseren VW-Bus über eine Sharing-­Plattform zu inserieren, für einen Urlaub selbst ein größeres Wohnmobil zu mieten. Und sobald die Entscheidung feststand, haben wir sie auf ein Jahr befristet. Mittlerweile ist bald das zweite Jahr rum, dass wir autolos glücklich sind. Wir haben Bahn Cards für Deutschland, in der Schweiz das Halbtax-/General-Abonnement. Und sollten wir doch mal für die sogenannte »letzte Meile« ein Auto brauchen, leihen wir uns eins aus: privat, über Plattformen, lokale Kooperativen oder die einschlägigen Autovermietungen. Was das Büro angeht, war ich schon immer gern jemand, der rausgeht und draußen die besten Ideen hat. Zum Beispiel beim Unkrautzupfen in unserem neuen Garten, mitten in der Stadt, nicht gekauft, sondern gepachtet. Oder eben in der Eisdiele, wo Menschen vorbeikommen und unkompliziert ins Gespräch kommen. Was gibt es Schöneres für einen Pfarrer? Ich verstehe mich durch und durch als Community-Manager, der Quartiersarbeit mitten im Kiez treibt. Ich will Menschen verbinden. Und für die Kirche ist es super, dass wir ein paar Hunderter monatlich »einnehmen«, vermietet an den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Mit dem Geld können wir wieder soziale Aktionen starten, wie zum Beispiel stadtteilübergreifende Kinder- und Jugendarbeit. Empfiehlst du diesen Weg des mobilen Arbeitens und Teilens anderen? Auf jeden Fall. Ich bin mir bewusst, gerade für Familien auf dem Dorf, dass unser öffentlicher Nahverkehr nicht überall gleich gut ausgebaut ist, hier ist wirklich noch viel zu tun. Und ich möchte auch nicht moralsauer und dogmatisch daherkommen, wir werden so schnell ideologisch. Das habe ich in unserem ersten Gartenjahr im von der Stadt gepachteten Schrebergarten gemerkt. Komplett eigenes Gemüse anzubauen (#growyourown­ veggies) und gleichzeitig noch eine gewisse Auswahl vorzufinden, ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Unter den Gesichtspunkten der Sensibilisierung aber macht es sehr viel Freude, sich mit Mutter Erde ganz neu zu verbinden und beim nächsten Marktbesuch und, wenn es sein muss, auch im Supermarkt (wenn kein Unverpackt-Laden um die Ecke) einen kritischen Blick zu entwickeln, zum Beispiel für makellose Tomaten oder Gurken. Nicht alles, was daherkommt, ist gleichsam regional, saisonal und biologisch … Und was das Büro angeht: Natürlich können gerade Telefonate, die Schweigepflicht und Datenschutz voraussetzen, nicht in der Eisdiele

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Ein Gespräch von Daniel Paulus mit Jan Thomas Otte

vor Ort geführt werden. Ich habe aber Zeit am Laptop, wo ich mich gern stören lasse, zum Beispiel für die Vorbereitung einer Predigt. Da hilft es, diesen Ort und die Menschen, die hier leben und arbeiten oder einfach ihre Freizeit genießen, genauer in den Blick zu nehmen. Da empfinde ich vier Wände in Räumlichkeiten der Kirche durchaus manchmal auch als einengend. Und für vorbereitende Gespräche für Hochzeiten und Beerdigungen, aber auch eine Konfirmation oder Taufe am See, da ist es einfach schön, Menschen vor Ort in ihren eigenen vier Wänden zu besuchen. Ich habe im Predigerseminar gelernt, dass Wände und Mobiliar mitpredigen … Jan Thomas Otte ist Pfarrer im Konstanzer Stadtteil Petershausen und versteht sich als Community-Manager. Er hat Bock auf Quartiersarbeit und will Menschen finden, die mit ihm Outdoor-Kirche leben. Im Strudel von Weltanschauungen und Kirchen-Depression will er Mut und Hoffnung verbreiten. JobErfahrungen in der freien Wirtschaft stellen ihn ratlos vor den Kirchen­ alltag. »Warum soll ich für 10 Personen sonntags Gottesdienst feiern, wenn ich A13 verdiene?«, rechnet er vor sich hin. Jan lebt mit seinen drei Kindern und Frau ohne Auto und Pfarrhaus. Er ist überzeugt, dass Gott dort erlebbar ist, wo »normale« Menschen ihr Leben entfalten können.

Das Leben umkrempeln – ein gelebtes Beispiel

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4.5 Immer wieder träumen, aber die Haus­ aufgaben machen – Erfahrungen Serge Enns

Es ist der 4. April 2016. Ich stehe am Ufer von Boston, Massachusetts. Um mich herum tobt ein Schneesturm. Der Wind bläst mir bei Minusgraden nur so ins Gesicht. Der Atlantik baut unbarmherzig eine Welle nach der anderen auf und wirft sie der Küste entgegen. Meine Schuhe sind nass, mir ist kalt, ich habe Kopfschmerzen – und doch ist das genau der Augenblick, wie ich ihn mir erhofft hatte. Wie ich ihn vor meiner Reise – zugegeben in etwas verklärter Vorstellung – auf meine Bucket List gesetzt hatte. Hier in Boston, dem Tor zur neuen Welt, wollte ich in meine alte Welt zurückblicken. Über mein Leben nachdenken. Meine zerfahrene Lage. Sinn und Unsinn meines Angestelltenlebens. Meine Ängste. Aber vor allem: meine Träume.

Klarheit im Schneesturm Und tatsächlich: Mitten in dieser unwirtlichen Szenerie begegnet mir ein Gefühl von Weite. Um mich herum Wind und Wasser, Schnee und Gezeiten, alles groß und mächtig. Was für ein Anblick! Und mittendrin nehme ich etwas wahr, das mir lange fehlte: Orientierung. Ich darf Teil dieses Geschehens sein, Platz nehmen vor dieser eindrucksvollen Kulisse, mich wie ein Kieselstein mit dem Ufer verbunden fühlen. Das habe ich lange nicht mehr gespürt. Von klein auf war es mir wichtig, meine eigenen Wege gehen zu können. Neues zu entdecken. Unabhängig sein zu dürfen. Und plötzlich stecke ich fest in einer Tätigkeit, die mir weder Spaß macht noch Zukunft verspricht. Ich bin als junger Leiter damit konfrontiert, Entscheidungen zu verteidigen, hinter denen ich nicht stehen kann. Lebe an einem Ort, der

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Serge Enns

seine Inspiration verloren hat. Kann mich immer weniger mit den Werten identifizieren, die mir von außen vorgegeben werden. Entfremde mich. Ich will raus, kann aber nicht. Bis ich hier in Boston ganz unverhofft einen Startpunkt entdecke, von dem aus ich neu anfangen darf. Groß träumen darf. Ich spüre: Das Leben ist so viel größer als ich – doch ich verstehe: Darin ist Platz für mich. Für das, wer ich bin. Für das, wer ich sein könnte. Und so erlebe ich beim Anblick des Ozeans, der so majestätisch vor mir tobt, die Gewissheit: Alles wird gut. Stille. Klarheit. Gelassenheit.

Entdeckung der Träume Heute, Jahre später, stelle ich fest: An jenem kalten Apriltag habe ich das Träumen entdeckt. Viele Jahre meines Lebens wusste ich nicht, was das bedeutet. Und wie auch? Der bekannte Raum hat nun mal eine natürliche Grenze: die der eigenen Gedanken, Gefühle und Erfahrungen. Woher soll man also wissen, was darüber hinaus möglich wäre? Wissen kann man es gar nicht. Wenn, so lässt es sich nur erahnen und erleben. Träume sind schließlich ihrem Wesen nach immer größer als das, was wir uns bereits zu eigen gemacht haben. Wie die Sehnsucht nach dem Horizont, der sich niemals erreichen lässt. Wie die Ahnung, dass es da noch mehr geben muss. Wie Fernweh, dessen Ursprung man nicht kennt. Genau das hat mich in meinen Schneesturm-Moment geführt. Und wenn ich in einfachen Worten fassen müsste, was ich dort erlebt habe, würde ich sagen: Ich konnte mir dort etwas vorstellen, das noch nicht da ist. Mir stand Raum zur Verfügung, um Ideen von alternativen Zukünften zu bewegen. Und ich habe die Klarheit gefunden, was mein Traum vom Leben ist und dass er in meiner Reichweite liegt. Dadurch konnte ich den Mut fassen, klare Entscheidungen zu treffen und sie in die Tat umzusetzen: meinen Job kündigen. Sicherheiten aufgeben. Ins Ungewisse aufbrechen. Ohne Landkarte. Ohne Kompass. Ohne zu wissen, wohin mich die Reise führt. Was es mich kosten und ob es sich lohnen wird, sie anzutreten. Allein mit der Erkenntnis, dass mir fortan nur noch eine Richtung bleibt: nach vorn. Immer wieder träumen, aber die Haus­aufgaben machen – Erfahrungen

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Verschiebung des Horizonts Auf meinem Weg in den zurückliegenden Jahren habe ich aber auch gelernt: Die Reise ist mehr als der Aufbruch. Ich sehe heute die unzähligen glanzlosen Schritte, die darauf folgen und das Kommende und Besondere vorbereiten. Die harte Arbeit, den der Traum vom Leben einfordert. Klarheit und Leidenschaft sind das Fanal des Aufbruchs. Sie entstehen in Räumen, in denen wir unsere Träume entdecken können. Und es sind diese Träume, die uns vorausahnen lassen, wie unser Leben sein könnte und Anziehungskraft entfalten. Der Horizont zieht derweil immer weiter. Träumen ist ein »Immer-­ wieder«. Deswegen ist es so wichtig, mindestens genauso häufig im Hier und Jetzt anzukommen. Achtsam und dankbar zu sein für den zurückgelegten Weg. Nur so entsteht das Gefühl, dass der eigene Traum nicht die ewige Karotte vor dem Esel bleibt, sondern längst Wirklichkeit geworden ist. Mein Schneesturm-Moment hat mir geholfen, das Neuanbrechende zu bejahen und zu zelebrieren. Seither durfte ich Dinge erleben, von denen ich vorher nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Ich will daher weder die eisigen Atemzüge des Bostoner Spätwinters noch die Jahreszeiten missen, die ich seither erleben durfte. Was aber vor allem bleibt, ist das Gefühl von Weite. Und die Gewissheit, dass da hinten, irgendwo hinter dem Horizont, etwas auf mich wartet: ein Traum, den ich verwirklichen kann. Immer wieder. Serge Enns entdeckt gerne Neues und füllt die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was sein kann. Er arbeitet als Zukunftscoach, Innovationsberater und Dozent für Entrepreneurship. Dabei versucht er, seine Erfahrung aus den Bereichen Kirche, Corporate Media, Start-up-Welt, Hochschule, Theologie und Bildungsmanagement kreativ miteinander zu verbinden. Sein Ziel: Aufbrecher*innen und Organisationen dabei zu unterstützen, außergewöhnliche Zukünfte zu verwirklichen. Er ist Teil der Zukunftsplattform »sh|ft happens«, der Finde-Zukunft-Community, und von »Nexster«, dem Entrepreneurship-Center der Hochschule Hannover.

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Serge Enns

4.6 Coworking fördert Klimaschutz – Empfehlungen Jürgen Jakob Kehrer

Die Arbeitswelt verändert sich. Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie. Aber seither sichtbarer und präsenter. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung erst war die intensive Umsetzung des Homeoffice-Gedankens möglich. Verschiedene Erhebungen kommen zum Ergebnis, dass im Frühjahr 2020 zwischen 25 und 40 Prozent der Arbeitnehmer*innen im Homeoffice tätig waren. Damit entfallen unzählige Fahrten ins Büro. Und je weniger Fahrten anfallen, desto weniger Treibhausgase werden frei – vereinfacht gesagt. Rettet das Homeoffice also unser Klima? So ganz stimmt die Rechnung nicht. Denn auch wer zu Hause arbeitet, verbraucht Strom und Wärme. Die Tagesschau meldete schon am 28. Mai 2020: »Viele Familien, die jetzt im Home Office arbeiten, sind besorgt. Wegen der zunehmenden Computernutzung für Videokonferenzen und Homeschooling sowie anderer gestiegenen häuslichen Aktivitäten  … könnten sich die privaten Stromrechnungen bis zum Sommer spürbar verteuern, befürchten sie.« (Blechner 2020) Prognosen gehen davon aus, dass auch nach dem Ende der Pandemie eine Flexibilität des Arbeitsplatzes zunimmt. »In welcher Intensität nach der Pandemie im Homeoffice gearbeitet wird, ist noch nicht absehbar – ein generelles ›alles auf Anfang‹ ist eher unwahrscheinlich. Wo es sich anbietet und die Vorzüge des Homeoffice erlebt wurden, ist eine Mischung aus virtueller Arbeitsform und dem Arbeiten vor Ort im Unternehmen denkbar«, so Dr. Catharina Stahn, wissenschaftliche Expertin am ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (2021). Und da kommt der Coworking-Space als dritte Ebene zwischen Büro und Homeoffice ins Spiel. Beim Arbeiten im Coworking-Space ist weiterhin eine sinnvolle Trennung von Arbeit und Freizeit möglich, im GegenCoworking fördert Klimaschutz – Empfehlungen

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satz zu Homeoffice. Auch die Fahrten zur Arbeitsstelle werden deutlich reduziert, da in der Regel der nächstgelegene Coworking-­Space deutlich näherliegt und die Fahrten damit zum Teil auch mit dem Fahrrad erledigt werden können. Jürgen Jakob Kehrer entwickelt gern Organisationen, Gruppen und Projekte. Er sucht nach dem, was die Gruppe belebt, inspiriert und motiviert. Er arbeitet als Referent bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und freiberuflich als Organisationsentwickler im Bereich Jugendarbeit, Kirche und Fresh X (seit 2014 u. a. auf dem laifHof). Lange Jahre war er als Jugendreferent in verschiedenen Orten und Bezirken in Württemberg tätig.

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Jürgen Jakob Kehrer

4.7 Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie Monika Neht

Mit der Digitalisierung wird so manche Erwerbsarbeit ortsunabhängig. Sie kann zu Hause stattfinden oder in gemeinsam genutzten Räumen in Stadtteilen und Dörfern. Das fördert die Vielfalt im Gemeinwesen und eröffnet neue Möglichkeiten für gemeinwesenorientierte Kirchengemeinden und ihre Diakonie. Kirchen stehen mitten im Stadtteil oder zentral in der Dorfmitte. Um sie herum leben alte und junge Menschen, Familien und Singles. Manche mit wenig Sorgen, manche in eher belastenden Lebensumständen – Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, Krankheit, Einsamkeit, fehlende Mobilität oder anderes mögen Ursache dafür sein. Manche haben eine Arbeitsstelle wohnortnah oder gar im selben Stadtteil oder Dorf, andere verlassen ihren Wohnort, um zum Arbeitsplatz zu gelangen. Die Bevölkerungsstrukturen im jeweiligen Sozialraum5, zu dem auch die Kirchengemeinden gehören, sind sehr unterschiedlich – je nach Region, Stadtteil/Quartier, Kleinstadt oder Dorf. Es gibt Sozialräume, die gut mit Einrichtungen wie Kita und Schule, Einzelhandel, medizinischer Versorgung und Kulturangeboten ausgestattet sind. In anderen Sozialräumen ist kaum davon noch etwas da und dann ist auch noch die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr schlecht. Ebenso verschieden sind die jeweiligen Wirtschaftsstrukturen in der ganzen Bandbreite von einer prosperierenden Region mit kleineren 5 Die Begriffe »Gemeinwesen« und »Sozialraum« werden in diesem Beitrag synonym und eher umgangssprachlich gebraucht. Gemeint ist im Kern die Gestaltung der Lebenswelten in einem beschriebenen territorialen Raum, d. h. die Menschen, die dort leben und arbeiten ebenso wie die darin beheimateten und wirkenden Institutionen, die prägenden Strukturen in diesem Raum u. a. m. Für die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Gemeinwesen« siehe Barta (2017). Für die Differenzierung der Begriffe siehe Programm Socius (2019). Zu Sozialraumorientierung der Kirche und theologischer Einordnung vgl. Schulz (2019). Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie

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und größeren Unternehmen bis hin zu Regionen, die sich als abgehängt erleben, weil ohne Gewerbesteuern auch alles andere schwer aufrechtzuerhalten ist. So unterschiedlich die Sozialräume sind, so unterschiedlich sind die jeweiligen Herausforderungen für die Menschen, die dort leben, für Kirche, Diakonie und Caritas, für öffentliche und private Institutionen und für andere Akteur*innen, wenn sie sich für ein gutes Leben in ihrem Gemeinwesen einsetzen.

Gemeinwesendiakonie orientiert sich an den Bedürfnissen vor Ort Weil die Sozialräume so unterschiedlich sind, ist es sinnvoll, sich bei der Entwicklung von Angeboten und Projekten an den jeweiligen Bedingungen vor Ort zu orientieren. Und so vertreten Diakonie und Caritas schon seit vielen Jahren Konzepte der Gemeinwesenarbeit bzw. der Sozialraumorientierung, die von den Interessen der Menschen vor Ort ausgehen. Wie lebt es sich in dem Stadtteil, dem Quartier oder im Dorf? Durch das Hinhören und das Gespräch mit Bürger*innen werden Bedürfnisse identifiziert und – im Idealfall zusammen mit den Menschen vor Ort – diakonische Angebote entwickelt, die an diesen Bedürfnissen anknüpfen. Menschen werden gestärkt und unterstützt, damit sie sich für ihre eigenen Belange und ihren Lebensraum einsetzen und an der Verbesserung der Situation vor Ort mitarbeiten können. Angebote werden vernetzt, sodass z. B. Kinderbetreuung und Unterstützungsangebote für Eltern räumlich nah beieinander stattfinden und Sozialberatung am selben Ort niedrigschwellig in Anspruch genommen werden kann. Mehrgenerationenhäuser sind ein gutes Beispiel dafür, wie unter einem Dach ganz verschiedene Bedürfnisse angesprochen und die gegenseitige Unterstützung und Nachbarschaft gefördert werden. Gemeinwesendiakonie ist wesentliche Aufgabe der hauptamtlich Beschäftigten der Diakonie, die die Hilfestrukturen und -angebote kennen, die selbst beraten und unterstützen und Orte der Begegnung und Vernetzung managen können. Im Fokus stehen überwiegend benachteiligte Gruppen, Menschen mit besonderen Bedarfen oder gesellschaftliche Herausforderungen wie die Stärkung und Förderung der Demokratie, die Integration von Geflüchteten und die Gestaltung eines inklusiven Sozialraums. Zahl-

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reiche Beispiele für sozialraumorientierte Projekte sind im Internet zu finden (siehe z. B. www.gemeinwesendiakonie.de).

Sozialraumorientierte Kirchengemeinden engagieren sich für das Gemeinwesen Der Sozialraum wird nicht nur durch die »Profis« gestaltet, sondern Bürger*innen vernetzen sich untereinander und setzen sich für ihr Gemeinwesen ein. So entstehen vor allem im ländlichen Raum lokale Einkaufsmöglichkeiten wie Markttreffs und Hofläden; Orte für Begegnungen und Kulturangebote werden geschaffen; es werden neue Modelle für Nahverkehr und Mobilität entwickelt. Oft können Bürger*innen dafür Fördergelder akquirieren und werden dabei von der Kommune und lokalen Institutionen wie Kirchengemeinden unterstützt. Für sozialraum- bzw. gemeinwesenorientierte Kirchengemeinden geht es um die Frage, wie sie sich in ihrem Nahraum verorten, welche Aktivitäten sie unterstützen und mit wem sie sich vernetzen. Kirchengemeinden sind Teil des Gemeinwesens: Pastor*innen, Mitarbeitende und Gemeindeglieder wohnen in der Regel im Bezirk der Gemeinde, in dem Stadtteil, dem Dorf oder der Region um den Kirchturm herum und sind in die Strukturen des Gemeinwesens eingebunden. Sie engagieren sich in der Feuerwehr, in Vereinen, in der Gemeindevertretung oder in Ortsbeiräten und kennen die Infrastruktur im Sozialraum aus eigener Erfahrung. So erhält die Kirchengemeinde vielfältige Einblicke in das Gemeinwesen. Sie nimmt wahr, wie die Lebenssituation am Ort ist, was gut funktioniert und welche Bedürfnisse und Interessen der Menschen es gibt und welche davon aktuell nicht oder nicht ausreichend befriedigt werden (können). Sozialraumorientierte Gemeinden vernetzen sich mit anderen lokalen Akteur*innen und entwickeln mit ihnen zusammen Projekte und Angebote, die diese Bedürfnisse aufgreifen. Partner*innen können einzelne Personen sein, aber auch die Kommune, lokale Vereine, Verbände und – sofern vorhanden – auch lokale Unternehmen, die Interesse an einem lebendigen und stabilen Gemeinwesen haben. Ein besonders bekanntes Beispiel für die Sozialraumorientierung einer Kirchengemeinde ist die Evangelische Lukas-Kirchengemeinde im Eder- und Elsofftal (Kötter 2015). Manche Kirchengemeinden übernehmen darüber hinaus auch zivilgesellschaftliche Verantwortung im Gemeinwesen, indem sie z. B. in Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie

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Konflikten im Ort eine moderierende Rolle einnehmen oder Projekte zur Demokratieförderung initiieren. Eindrucksvolle Beispiele nennt Markus Klein (2019), Geschäftsführer von »demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung«. Gemeinden, die sich am Sozialraum orientieren, wollen nicht ausschließlich Kirche für ihre Mitglieder sein, sondern auf andere zugehen und mit ihnen gemeinsam etwas für und im Gemeinwesen entwickeln. Das bedeutet, die »anderen« als »Subjekte ernst- und wahrzunehmen – und sie nicht als Objekte kirchlicher Bemühungen misszuverstehen«, so der damalige Bischof der Nordkirche Andreas von Maltzahn (2016, S. 190). Dabei verschweigt »Kirche mit anderen« nicht ihre Botschaft, sondern bringt sie ein, wie andere Akteur*innen ihre Überzeugungen einbringen, denn »das Evangelium gehört auf den Marktplatz und nicht nur hinter die eigenen Mauern« (Düchting 2016, S. 126). Düchting beschreibt typische Merkmale stadtteilbezogener evangelischer Gemeinden, die auch auf ländliche gemeinwesenorientierte Gemeinden bezogen werden können: Sie öffnen ihre Räume für die Nutzung durch nichtkirchliche Gruppen; sie organisieren kulturelle Angebote und beteiligen sich an den Veranstaltungen anderer; sie verstehen sich als ein Forum, das Probleme und Ideen aufgreift; sie positionieren sich bei Themen, die ihnen als Kirchengemeinde naheliegen; sie bringen sich in die lokalen Gremien ein; ihre Einrichtungen sind für andere offen; sie bilden Netzwerke mit anderen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen (Düchting 2016, S. 123 f.). Aus Sicht des Gemeinwesens, insbesondere der Selbstverwaltung und Verwaltung, ist eine Kirchengemeinde als Akteurin im Gemeinwesen interessant: »Und zwar genau deshalb, weil es sich bei der Kirche nicht nur pur um Gruppe und Bewegung handelt, sondern weil hier eben dennoch institutionelle Charakteristika mit dabei sind. Es macht z. B. einen Unterschied, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin Religion öffentlich repräsentiert und angesprochen werden kann, dass da ein Kirchengebäude ist, womöglich […] relativ zentral für das Viertel gelegen, oft sogar noch mit einem Vereinshaus (Gemeindehaus) dabei.« So beschreibt Eberhard Hauschildt (2016, S. 150) es zwar mit der Perspektive Stadtentwicklung, aber auch für das ländliche Gemeinwesen wird das Geltung haben. Hinzu käme, dass die lokale Kirchengemeinde

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»eingebunden ist in einen größeren Rahmen […], das schafft weitere Anschlussstellen für die Kooperation« (S. 150).

Den Blick weiten – Erwerbstätige im Homeoffice mit bedenken Sozialraumorientierte Kirchengemeinden nehmen verschiedene Gruppen in den Fokus: Genannt werde meist ältere Menschen, Eltern, Jugendliche, Kinder, Menschen, die einsam sind, über wenig Geld verfügen, geflüchtete Menschen usw. (vgl. Borck/Giebel/Homann 2016). Erwerbstätige Menschen werden eher nicht genannt. Zum einen werden sie im Regelfall nicht zu den »Mühseligen und Beladenen« gezählt, zum anderen sind sie tagsüber im Ort nicht anwesend und in ihrer freien Zeit engagieren sie sich in anderen Rollen für das Gemeinwesen, in dem sie wohnen – in der Feuerwehr, in der Kirchengemeinde, in der Gemeindevertretung oder anderes. Dass sie auch als Erwerbstätige Bedürfnisse haben, auf die ein Gemeinwesen eingehen könnte, war bisher wenig im Blick. Doch mit der Digitalisierung hat sich etwas verändert – schon vor Corona, aber deutlich sichtbar während der Pandemie: Für viele Berufsgruppen ist es nun möglich, zu Hause zu arbeiten, also im »Homeoffice«. Es ist davon auszugehen, dass Erwerbstätige auch nach der Pandemie die Möglichkeit haben werden, mindestens tageweise vor Ort zu bleiben: Die Arbeit kommt zu ihnen, statt dass sie zur Arbeit fahren. Damit sind Vor- und Nachteile für die Beschäftigten verbunden: Pendlerfahrten können reduziert werden – gut für die Gesundheit, denn Pendeln stresst, und gut für die Umwelt. Eingesparte Wegezeiten können den Zeitdruck aus der Sorgearbeit nehmen oder Freizeitaktivitäten besser möglich machen. Die Arbeit muss nicht beendet werden, um ein Kind von der Kita oder der Schule abzuholen, sie kann unterbrochen werden. Dieses Beispiel zeigt zugleich auch die Nachteile auf: Die Arbeitszeit ist nicht mehr klar abgegrenzt von der privaten Zeit. Beide Bereiche schieben sich ineinander – für die einen ein Vorteil, für andere ein Nachteil. Manche mögen das ungestörte Arbeiten zu Hause, andere fühlen sich durch die private Umgebung abgelenkt. Viele vermissen den Kontakt zu Kolleg*innen oder überhaupt zu anderen Erwachsenen, das kurze informelle Gespräch zwischendurch. Nicht alle haben einen angemessen ausgestatteten Raum mit einem richtigen Schreibtisch und Stuhl dazu, auf dem sie gesund sitzen können. Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie

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Können die Nachteile der Arbeit zu Hause durch die Gestaltung des Sozialraums bzw. des Gemeinwesens aufgefangen oder gemindert werden? Macht es also Sinn, die Interessen der Erwerbstätigen in den Blick zu nehmen? Die am häufigsten genannten Nachteile der Arbeit im Homeoffice – nämlich die schwierige Trennung der privaten und der beruflichen Sphäre, der fehlende Feierabend (»Arbeitszeitentgrenzung«) sowie die fehlenden direkten Kontakte zu anderen (vgl. Ahlers/Mierich/Zucco 2021) – könnten durch die Möglichkeit aufgefangen werden, an einem sogenannten »Dritten Ort« zu arbeiten – weder im Büro noch zu Hause und doch wohnortnah. Dafür braucht es nicht viel: Ein guter Schreibtisch und Bürostuhl, schnelles und sicheres Internet, Möglichkeiten des konzentrierten Arbeitens oder des ungestörten Telefonierens, genauso wie Gelegenheiten der Begegnung und des Austausches, dazu noch Annehmlichkeiten wie guter Kaffee oder Tee. Solche Orte werden schon seit einigen Jahren im ländlichen Raum gegründet und »Coworking-Spaces« genannt. Das passiert nicht im großen Stil und wird die ländlichen Räume nicht radikal ändern, aber es entsteht ein Trend, der im Gemeinwesen positiv aufgegriffen werden kann.

Coworking-Spaces – Wirtschaftsfaktor und Bereicherung des Sozialraums Städte, Landkreise und Dörfer investieren in schnelle und stabile Internetverbindungen, die Mobilfunkabdeckung wird immer besser, sichere WLANNetze gewährleisten die Erreichbarkeit. Internetgestützte bzw. cloudbasierte Tools ermöglichen die gemeinsame Arbeit an Projekten, auch wenn die Projektpartner*innen an anderen Orten und zu verschiedenen Zeiten arbeiten. So ist es dank der Digitalisierung für immer mehr Erwerbstätige möglich, »remote« zu arbeiten, also nicht nur im Büro am Ort des Arbeitgebers, sondern auch an anderen Orten – zu Hause, im Café, in Bibliotheken, im Technologiezentrum, in Coworking-Spaces u. a. m. Diese anderen Orte sind nicht nur interessant für Menschen, die wohnortnah, aber nicht zu Hause arbeiten wollen, sondern z. B. auch für Erwerbstätige auf Dienstreisen, für Freiberufler*innen zwischen zwei Aufträgen oder für Selbstständige, die auch im Urlaub einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz nutzen wollen.

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Zugleich treffen diese veränderten Möglichkeiten auf veränderte Erwartungen an Erwerbsarbeit – sowohl von Arbeitgeber*innen wie auch von Beschäftigten: mehr selbstbestimmte zeitliche und räumliche Flexibilität, mehr Zusammenarbeit in Projekten statt in festen Teams am immer gleichen Ort, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Nutzung von digitalen Tools der Zusammenarbeit, Abkehr von der Anwesenheitskultur etc. Mit diesen veränderten Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen sind nicht nur Chancen, sondern auch Risiken verbunden: Stichworte sind Entgrenzung, Selbstausbeutung, fehlende oder vernachlässigte Mitwirkungsrechte, Arbeitsschutz usw. (vgl. Ahlers/Mierich/Zucco 2021). Zudem ist nicht jede*r Beschäftigte an solcher Arbeit interessiert und nicht für jede Berufsgruppe und Tätigkeitsart ist Arbeit am »anderen Ort« möglich. Im Bereich der Pflege bzw. Sorgearbeit, in der Produktion, im Einzelhandel und in der Gastronomie ist das nicht oder nur im geringen Umfang umsetzbar. Für Unternehmen sind diese Entwicklungen interessant: Im Wettbewerb um Fachkräfte sind Arbeitgeber*innen im Vorteil, die den Beschäftigten Arbeiten am »anderen Ort« ermöglichen. Die Reduzierung der Pendlerfahrten verringert Stress, ebenso die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Arbeiten in Coworking-Spaces bringt weitere Vorteile mit, denn sie sind auf konzentriertes Arbeiten eingestellt und die Arbeitsplätze sind ergonomisch ausgestattet, was zu Hause nicht gewährleistet ist. Vor allem ländliche Kommunen und Landkreise und ihre Wirtschaftsförderer wiederum versprechen sich von Coworking-Spaces einen Mehrwert für ihren Wirtschaftsraum (siehe z. B. Krüger/Schroth/Lange/Buntz 2017): Wenn Erwerbstätige sich begegnen und sich über ihre fachlichen und betrieblichen Grenzen hinweg austauschen, wo Beschäftigte oder Selbstständige der Kreativwirtschaft arbeiten und sich untereinander und mit anderen Unternehmen vernetzen, da entwickelt sich eine Atmosphäre, in der etwas Neues entstehen kann. Eine solche Atmosphäre und das Wissen, dass es einen Ort gibt, an dem man Geschäftspartner*innen finden könnte, sind reizvoll auch für andere, größere Unternehmen. Es motiviert, zu bleiben – oder gar, zu kommen. So betreiben Wirtschaftsförderer Coworking-Spaces (siehe z. B. www.coworknord.de) und versprechen sich davon eine Anziehungs- und Bindekraft für die Region. Diese Coworking-Spaces liegen oft in Gründer- oder Technologiezentren, gut erreichbar mit dem Pkw – und eher am Ortsrand als in der Ortsmitte. Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie

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Doch viele Coworking-Spaces im ländlichen Raum werden nicht von Wirtschaftsförderern gegründet und betrieben, sondern von einzelnen Personen oder einer kleinen Gruppe von Personen, die sich zusammenfinden. Manchmal liegen sie im (sehr) ländlichen Raum, auf einem Gutshof oder einem landwirtschaftlichen Betrieb. Oft werden sie aber auch direkt in Dörfern und Orten gegründet und die Betreiber*innen verstehen sich und ihren Coworking-Space als Teil des Gemeinwesens: Sie wollen zur Belebung der Orte beitragen, bieten oft nicht nur Plätze zum Arbeiten an, sondern vernetzen sich im Ort und mit der lokalen Wirtschaft und suchen Synergieeffekte: Der Coworking-Space, der direkt neben einem Baumarkt oder einem Café liegt, in der Nähe eines Markttreffs oder eines Imbisses, verschafft diesen neue Kund*innen. Manche Coworking-Spaces kooperieren direkt mit kleinen Unternehmen und teilen sich den Raum. Zudem werden Bildungs- oder Kulturveranstaltungen organisiert, um den Coworking-Space im Ort bekannt zu machen. So leisten Coworking-Spaces sowohl einen Beitrag zur Förderung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes als auch zur Entwicklung des Gemeinwesens.

Coworking-Spaces als ein Element gemeinwesenorientierter Gemeindearbeit Gemeinwesenorientierte Kirchengemeinden sind als Betreiberin oder Kooperationspartnerin eines Coworking-Spaces interessant, weil sie als Institution bereits im Gemeinwesen verankert sind und Verknüpfungen zu anderen Akteur*innen des Sozialraums herstellen können: Die Kita am Ort könnte bereit sein, im Notfall – wenn zum Beispiel die Tagesmutter ausfällt – oder im Regelfall das Kind von Nutzer*innen zu betreuen. Während ältere Menschen in der Tagespflege betreut werden, könnten ihre Angehörigen im Coworking-Space arbeiten und so Pendelfahrten vermeiden. Für die Gemeinwesendiakonie können Coworking-Spaces eine Bereicherung ihrer Arbeit sein: Sie können Raum für lokale Beratungsangebote bieten. Sie können als Projekt mit langzeiterwerbslosen Menschen oder in Kombination mit einem Café betrieben werden, in dem Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf arbeiten etc. Doch es geht nicht um eine reine Angebotserweiterung für Kirchengemeinden oder für die Gemeinwesendiakonie, sondern darum, Kontakt

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zu einer Gruppe von Menschen aufzunehmen, die im gleichen Sozialraum leben und zu denen sie sonst eher wenig Kontakt haben – außer bei Amtshandlungen oder in ihrer ehrenamtlichen Rolle. Das, was sie als Betreiber*innen oder Nutzer*innen von Coworking-Spaces verwirklichen wollen, hat große Nähe zu dem, was gemeinwesenorientierte Kirchengemeinden bewegt und kennzeichnet. Coworking-Spaces bieten mehr als nur Plätze zum Arbeiten. Sie sind Räume der Gastfreundschaft. Jede*r ist willkommen, um dort zu arbeiten oder an einer Veranstaltung teilzunehmen. Die Betreiber*innen von Coworking-Spaces laden ihre Nutzer*innen ein, Teil einer Gemeinschaft – einer »Community« – zu sein und den »Space«, also den Raum gemeinsam zu gestalten und zu entwickeln. Es ist von den Gründer*innen und Betreiber*innen gewollt und wird gefördert, dass die Nutzer*innen einerseits konzentriert und ungestört arbeiten können und andererseits die Möglichkeit besteht, sich zu begegnen, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Als Teilhabe- und Teilgabeorientierung lässt sich dies beschreiben oder – wie der Name »Coworking« andeutet – »mit anderen arbeiten«. »Community-Manager*innen« organisieren nicht nur den Betrieb eines Coworking-Spaces, sondern kümmern sich um die Gemeinschaft der Nutzer*innen: Sie hören hin, greifen ihre Bedürfnisse auf, bringen sie untereinander in Kontakt, knüpfen Beziehungen zum Gemeinwesen. Sie wissen oft, wie es den Einzelnen geht, denn mit ihnen wird über Persönliches geredet. Sie unterstützen Nutzer*innen in schwierigen Situationen und freuen sich mit ihnen über Erfolge. Community-Manager*innen erleben sich in dieser Funktion oft im umgangssprachlichen Sinne als »Seelsorger*innen«. Schließlich sind Coworking-Spaces sehr stark mit der Suche nach neuen sinnerfüllten Arbeits- und Lebensformen verbunden, Werte wie Nachhaltigkeit, Offenheit und Zugänglichkeit spielen eine große Rolle. Gemeinwesenorientierte Kirchengemeinden, die »Kirche mit anderen« sein wollen, bringen vieles von dem mit, was gerade als Kennzeichen von Coworking-Spaces beschrieben wurde: Sie sind gastfreundlich und offen für andere, sie verbinden Menschen miteinander und fördern Gemeinschaft, sie bieten Seelsorge an und begleiten Menschen in guten wie in Krisenzeiten, sie teilen Werte wie Nachhaltigkeit und Zugänglichkeit und fragen ebenfalls nach dem Sinn im Leben und in der Arbeit. Darüber hinaus können Kirchengemeinden ihre Räume für Coworking-Spaces Kirche und Kommune zusammen – Gemeinwesenarbeit als gelebte Diakonie

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öffnen, sie können Gründer*innen unterstützen, indem sie für die Nutzung werben und ihre Kontakte ins Gemeinwesen zur Verfügung stellen. Sie können selbst einen Coworking-Space gründen, wo es noch keinen gibt, und das mit ihrer Gemeindearbeit verbinden, indem sie Rituale wie ein Morgen- oder Mittagsgebet oder einen Feierabendchor anbieten, zu Vorträgen einladen und vieles mehr. Ein kirchlicher Coworking-Space kann zur Vielfalt im Gemeinwesen beitragen, indem er nicht nur für Erwerbstätige offen ist, sondern auch für Jugendliche, die hier ungestört, aber nicht allein ihre Hausaufgaben erledigen können oder für Studierende, die ein schnelles Internet brauchen. All dies trägt dazu bei, die Attraktivität des Gemeinwesens für Menschen zu steigern, die dort hinziehen wollen und manche*r überlegt sich, zu bleiben. Kirchengemeinden lernen auf diese Weise neue Menschen kennen – ob die Erwerbstätigen, die im Coworking-Space arbeiten, oder die Gründer*innen, die sich ins Gemeinwesen einbringen. Kirche profitiert davon, denn ihr »tut es gut, mit den Wachen und Suchenden unserer Zeit im Gespräch zu sein […], als Menschen, die ebenfalls nach Gerechtigkeit, nach Sinn, nach Gott fragen« (von Maltzahn 2016, S. 190). Monika Neht ist Diplom-Soziologin arbeitet als sozialwissenschaftliche Referentin im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Als Personalentwicklerin und Supervisorin ist sie daran interessiert, wie sich Erwerbsarbeit entwickelt und welche Chancen und Risiken darin für die Beschäftigten liegen. Seit ihrem ersten Kontakt zu Coworking-Spaces ist sie überzeugt davon, dass hier vielfältige Chancen liegen – auch für Kirchengemeinden, die ihren Sozialraum mitgestalten wollen und für innovative Ideen offen sind.

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Monika Neht

4.8 Träumen erwünscht! Eine Vision Jürgen Jakob Kehrer

Wir reden von New Work und von den damit verbundenen Veränderungsprozessen, aber gefühlt stehen wir noch am Anfang vieler Umwälzungen und wissen nicht, wohin dieser Weg uns führt. Das macht uns unsicher. Gibt es überhaupt einen Zielpunkt oder sind wir nicht ständig mittendrin im Fluss des Lebens und in den sich immer wieder neu und anders entwickelnden Herausforderungen in der Arbeitswelt? Bei diesen Gedanken tut es gut, wenigstens einen kleinen Ausblick wagen zu können, was die Coworking-Idee in unseren Dörfern und Städten, Kirchengemeinden und kommunalen Einrichtungen verändern kann. Deshalb hier ein kleines Erhaschen von morgen. Die genannten Namen und Situationen haben keinen Bezug zur Realität und sind zufällig gewählt.

Dorfbüro Die lange Fensterfront zur Straße hin ist mit vielen Plakaten bis auf Augenhöhe beklebt. Neben dem Plakat der Gemeindebücherei von der letzten Autorenlesung hängt das mit einer stilisierten Orgel zurückhaltend designte Plakat der Bezirkskantorei. Das Wochenangebot von Metzger Goblirsch hängt in DIN A2 neben den Infos vom Ferienkino im Gemeindehaus. Von außen gibt es immer etwas zu lesen und zu entdecken an dieser inoffiziell geführten Plakatwand. Vor Jahren war das hier der Lebensmittelmarkt in bester Lage zwischen Rathaus, Hotel Lamm und dem Evangelischen Gemeindehaus. Dann wurde der Laden aufgegeben und stand erst mal zwei Jahre leer. Aber letztes Jahr zog hier Leben ein – im ehemaligen Dorfladen. Im großen ehemaligen Ladenraum stehen neun Schreibtische, die stundenoder tageweise von einer bunten Mischung von Leuten im Alter von 22 bis 63 Jahren belegt werden. Im Nebenraum, durch eine Glaswand getrennt, Träumen erwünscht! Eine Vision

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flitzen vier Kleinkinder zwischen bunten Spielgeräten hin und her. Eine*r der Mütter oder Väter ist immer im Raum und spielt und betreut die Kinder. Ein weiterer, durch eine Glastür getrennter Raum (4 × 6 Meter) dient Besprechungen oder Telefonaten. Und gleich neben dem Eingang ist eine kleine Teeküche, manche behaupten, dies sei der wichtigste Raum hier (wegen dem Kaffee-Vollautomaten und dem Wasserkocher). In einer Nische daneben befindet sich eine Sitzgruppe für die Essenspausen oder zum Quatschen zwischendurch. Die kostbarsten und kreativsten Zeiten und Orte sind das – finden die Profi-Coworker*innen. An den Tischen sitzen jetzt, an einem kühlen Dienstagnachmittag im Juni, Tine, Max, Gerhard, Tobias, Doreen, Susanne und Christopher vor ihren Rechnern. Am Schaufenster neben der Ladentür steht in großen verschiedenfarbigen Lettern »Dorfbüro Flacht« und darunter die Öffnungszeiten und darunter wiederum die Adresse der Website des Dorfbüros. Der Träger dieses ersten Coworking-Spaces hier im Ort ist ein Verein, gegründet 2021 von der bürgerlichen Gemeinde, der katholischen und der evangelischen Kirchengemeinde, dem CVJM und drei ortsansässigen mittelständischen Firmen. Ihnen liegt daran, den verschiedensten Menschen hier im Speckgürtel von Stuttgart einen Platz zu bieten, an dem sie einen gut eingerichteten Arbeitsplatz, gutes WLAN, einen Druckerzugang und vor allem Kontakt zu anderen kreativen Menschen haben. Außerdem sollen die Menschen nicht mehr so lange im Stau stehen auf dem Weg ins Büro in der Großstadt. Vor dem Laden parken recht selbstbewusst drei Lastenfahrräder mit Kindersitzen. Tine, Doreen und Tobias haben vor einem Jahr ihre Autos verkauft und fahren im Ort oder auch mal in die Nachbarorte nur noch mit dem elektromotorunterstützten Bike. Für längere Fahrten nutzen sie das Carsharing. Jeden Abend um 17 Uhr beginnt Jugendreferent Uwe Holm oder jemand anderes eine kleine Feierabendliturgie im Nebenraum, zu der meist noch ein paar Leute aus dem Ort dazukommen. Es tut gut, nach einem hektischen Tag zur Ruhe zu kommen. Rune und Lars gehen anschließend für ein kühles Feierabendbier in das Bistro nebenan, die meisten gehen heim und nur Gerry setzt sich nochmals an den Rechner, um seinen Auftrag, eine Website für den örtlichen Schreinermeister Braun, rechtzeitig fertigzubekommen. Zweimal in der Woche gibt es freiwillige Themenabende und einmal im Monat trifft man sich an der Freizeitanlage des CVJM zum Grillen mit der ganzen »Dorfbüro-Familie«. Dort spielen dann meist die Väter mit

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Jürgen Jakob Kehrer

den Kindern Fußball und andere holen Wikingerschach und Bocciakugeln aus ihren Autos oder Lastenrädern. Meistens sind auch ein paar Leute vom CVJM vor Ort und spielen mit. So entwickelt sich eine bunte und aufgeschlossene Community. Neuzugezogene werden schnell integriert, junge Familien finden Anschluss. Fragt man jetzt die Bürgermeisterin von Flacht, was sie zum Projekt »Dorfbüro« denkt, dann sagt sie wie aus der Pistole geschossen: »Das Projekt tut unserem Dorfleben so gut. Einige junge Familien aus dem Neubaugebiet wurden gut integriert. Auch die Leute, die schon jahrelang hier wohnen, ziehen sich nicht mehr nur in ihre Familie, ihren altbekannten Verein zurück, sondern erleben ein neues Wirgefühl. Leute, die sich früher im Ort nie begegnet sind, weil sie tagsüber in der Stadt arbeiten, auf dem Nachhauseweg dann beim Discounter vor den Toren der Nachbarstadt einkaufen, arbeiten und leben wieder mitten im Ort. Die meisten fanden das Homeoffice-Gebot in der Coronazeit anstrengend und sind so dankbar, mit dem Dorfbüro einen Ort zu finden, an dem Arbeiten und Leben wieder sinnvoll und nachhaltig möglich ist. Das war sehr mutig und weitsichtig, dass damals der Referent vom Bildungszentrum der Evangelischen Landeskirche bei unserer Kirchengemeinde anrief und damit die Idee in Gang brachte.« Jürgen Jakob Kehrer entwickelt gern Organisationen, Gruppen und Projekte. Er sucht nach dem, was die Gruppe belebt, inspiriert und motiviert. Er arbeitet als Referent bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und freiberuflich als Organisationsentwickler im Bereich Jugendarbeit, Kirche und Fresh X (seit 2014 u. a. auf dem laifHof). Lange Jahre war er als Jugendreferent in verschiedenen Orten und Bezirken in Württemberg tätig.

Träumen erwünscht! Eine Vision

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Wie mache ich das? Service

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5.1 Was man beim Gründen beachten sollte Christopher Schmidhofer

Wer einen Coworking-Space gründen möchte, steht vor vielen Herausforderungen. Um die Gedanken etwas zu strukturieren, liefere ich im Folgenden einen grundlegenden Leitfaden für die konkrete Beschäftigung mit dem Thema. Dies ist sicherlich nicht erschöpfend. Am Ende des Leitfadens gibt es Hinweise auf weiterführende Materialien und Institutionen, bei denen entsprechende Kurse oder Leistungen buchbar sind, um beim Aufbau eines Spaces zu unterstützen. Es gibt große Unterschiede, je nachdem ob ein Space im ländlichen Raum oder mitten in der Großstadt eröffnen soll. Herausfordernder und damit interessanter sind die Spaces in suburbanen oder ländlichen Räumen. Hier sind viele Projekte breiter aufgestellt als der »klassische« Coworking-Space in der Großstadt. Eine Frage, die im ländlichen Raum immer wieder gestellt wird, ist die nach dem Geschäftsmodell. Also: Kann Coworking im ländlichen Raum überhaupt ein Geschäftsmodell sein? Dazu habe ich Zitate von verschiedenen Menschen aus der Szene eingesammelt (im November 2020).6 Hier sind ein paar Fragen, die du dir beim Lesen der Zitate stellen kannst:

▶  Was ist »Wirtschaftlichkeit«? Was bedeutet das, vor allem unter Betrachtung der Sekundäreffekte? ▶  Welche Einflussfaktoren sind wichtig? ▶  Ist eine Kombination mit anderen Angeboten möglich, notwendig oder störend? Und wenn, mit welchen?

6 Letzter Zugriff aller im folgenden Angegebenen Links am 19.08.2021.

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Christopher Schmidhofer

Johanna Voll ist freiberufliche Projektentwicklerin sowie Initiatorin der »Coworking Library« (www.coworkinglibrary.com): »Coworking auf dem Land kann ein Geschäftsmodell sein, wenn es gemeinsam mit den jeweiligen Herausforderungen vor Ort gedacht wird und dafür aktive Lösungen bietet. Das kann regional sehr unterschiedlich sein und muss sowohl innerhalb der bestehenden Gemeinschaft gedacht werden als auch mit den Menschen, die angezogen werden sollen. Zentral sind dabei Rückkehrer*innen, Newcomer*innen, Menschen vor Ort und das Organisationsteam, was bestenfalls eine gute lokale Einbindung hat, sodass ein solcher Space nicht wie ein UFO wirkt, sondern in bestehende Strukturen (Wirtschaftsförderung, lokale Initiativen wie Verein und Gemeinde sowie neue Angebote) verwoben ist. Das Konzept eines Dorfgemeinschaftshauses, was diverse Funktionen übernimmt, scheint mir in diesem Zusammenhang sinnvoll.« Tobias Kremkau ist Coworking-Evangelist und sehr engagiert im Bundes­ ver­band Coworking »German Coworking Federation« (www.kremkau.io, www.coworking-germany.org): »Nein, Coworking ist im ländlichen Raum kein eigenständiges Geschäftsmodell. Vielmehr muss ein ländliches Coworking-Angebot als Ergänzung zu einem funktionierenden Geschäftsmodell – wie beispielsweise die Hotellerie, die Gastronomie etc. – gedacht oder als Teil der kommunalen Daseinsversorgung betrieben werden. Coworking funktioniert auf dem Land als Serviceangebot an die Menschen, nicht aber als ein sich wirtschaftlich selbsttragendes Geschäftsmodell.« Ulrich Bähr ist geschäftsführender Vorstand der »CoWorkLand eG« (www.coworkland.de): »Coworking auf dem Land ist ein erwachender Riese. Das Geschäftsmodell wird in unterschiedlichen Szenarien funktionieren – schon in naher Zukunft wird eher das mangelnde Angebot das Problem sein und nicht die mangelnde Nachfrage.« Was man beim Gründen beachten sollte

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Thomas Wick ist Leiter von »Cobaas«, dem Coworking-Space in Preetz, und Initiator der »CoworkingMap« (www.cobaas.de, coworkingmap.de). »Ein Coworking-Space auf dem Land hat meiner Ansicht nach eine größere wirtschaftliche Chance in einem Kombi-Angebot (Ferienwohnungen, Dorfladen, Maker Space). Eine Alternative ist die gezielte Kooperation mit einer Firma/Organisation in der nächsten Großstadt, die viele Pendler*innen hat. Bei uns trägt sich der Aufwand ohne Personalkosten, da wir ja selbst vor Ort wohnen und das Space im eigenen Haus haben. Nächstes Ziel ist es, auch die Abschreibungen für die Erweiterungen und die Anschaffungen zu tragen. Dies wird wahrscheinlich aber erst ab dem kommenden Sommer möglich sein.«

Was denkst du nun nach Lesen dieser Zitate? Welche deiner Gedanken wurden bestätigt? Waren überraschende Aussagen dabei?

Nicht alle Coworking-Spaces sind gleich aufgestellt. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen. Die Studie »Coworking im ländlichen Raum« (Bertelsmann Stiftung 2020) hat verschiedene Formen identifiziert. Diese Formen zu kennen, hilft dabei, Inspirationen für das eigene Projekt zu bekommen. Dabei sind diese Formen nicht abschließend definiert und als Standard gesetzt – ich bin mir sicher, dass in Zukunft weitere Arten dazukommen werden. Klassisches Coworking (S. 44 f.) Ein Angebot sehr nahe am klassischen Coworking mit Konzentration auf gute Arbeitsräume mit schnellem Internet (Basisinfrastruktur). Diese Spaces haben im ländlichen Raum meist unter 400 Quadratmeter und sind damit wesentlich kleiner als die städtischen Pendants. Pendlerhafen (S. 46 f.) Wie der Name bereits suggeriert, werden hier vor allem Pendler*innen angesprochen. Dementsprechend ist diese Form des Coworking vor allem an Pendelstrecken und in den Speckgürteln um Städte herum zu

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finden. Die Ausstattung ist angepasst an die Anforderungen der Zielgruppe, die städtische Bürolandschaften gewohnt sind. Da dadurch teilweise auch mehr Einnahmen generiert werden können, können in den Orten Angebote (zum Beispiel kultureller Art) angeboten werden. Die Vernetzung innerhalb des Ortes und mit den Pendler*innen kann tolle Lerneffekte bringen. Retreat (S. 50 f.) Coworking wird in einem Retreat verbunden mit Team-Spaces und Überachtungsmöglichkeiten. Hier können sich Teams, die zum Beispiel sonst virtuell zusammenarbeiten, treffen und sich für ein paar Tage face to face austauschen. Auch hier ist die Verbindung zwischen lokalen Menschen und verschiedenen Teams (die dann meist auch wiederkommen) ein weiterer Vorteil. Workation (S. 52 f.) Die Workation ist eine Wortschöpfung aus »Working« und »Vacation«, also die Verbindung von Urlaub und Arbeit. Ob es dazu genutzt wird, zeitweise an Orten zu arbeiten, an denen andere Urlaub machen, oder während des Urlaubs doch noch ein paar wenige Dinge zu erledigen – die Workation-Orte an touristischen Zentren bieten genau diese Möglichkeiten. Die Community ist hier etwas schwerer zu erkennen, aber auch dafür gibt es Ansätze. Coworking und Coliving (S. 56 f.) Nicht nur gemeinsam arbeiten, sondern auch gemeinsam leben. Diese Verbindung zweier Welten mit Flexibilität und Offenheit sind gesucht. Die Nutzer*innen des flexiblen Wohnens im ländlichen Raum sind naturgemäß auch an flexiblen Arbeitsräumen sehr interessiert und so ergibt sich eine ganzheitliche Erfahrung. Es geht dabei explizit um mehr als ländliche Wohngemeinschaften – Werkstätten, kulturelle Veranstaltungen, Cafés und eben die Offenheit und Flexibilität zeichnen diese Projekte aus. Neue Dorfmitte (S. 54 f.) Da in einigen Orten die Daseinsvorsorge wegbricht, werden mit multifunktionalen Orten in zentraler Dorflage Angebote geschaffen, die verschiedene Szenarien miteinander verbinden: der Dorfladen, das Dorfcafé, Veranstaltungsräume und als Andockelement des Ganzen ein CoworkingWas man beim Gründen beachten sollte

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Angebot. So können Dörfer wiederbelebt werden und Gemeinschaften ein physischer Ort als Treffpunkt gegeben werden. Durch das Coworking sind diese Zentren dann wirklich belebt, auch tagsüber. Mit dieser Übersicht reifen im Kopf wahrscheinlich schon Ideen für die passende Form des Coworking-Space – oder es ist eine neue Idee entstanden? Aber wie können die nächsten konkreten Schritte aussehen? Im Folgenden einige Tipps für den Projektstart.

1. Beginne mit der Community. Bau diese bereits so früh wie möglich auf. Je mehr Community du vor dem Start des Space aufbauen kannst, desto besser. Dies kannst du über verschiedene Veranstaltungen machen, die für deine angedachten Zielgruppen interessant sind. Dies kann frühzeitig starten – quasi sofort. Desto mehr Menschen aus deiner Zielgruppe von deiner Idee wissen und auch in Workshops mitgestalten können, umso besser. Du lernst dabei auch die Bedürfnisse in deinem Ort/deiner Region kennen und kannst den Space von Beginn an viel besser planen und anpassen. Im Ergebnis hast du erstens schneller Einnahmen zur Kostendeckung und zweitens direkt mehr Helfer*innen für deinen/euren Space. Die Community besteht dann bereits. Fange mit dem Community-Aufbau umgehend an! Weiter Planungsschritte: Recherche (Zielgruppen, Pendlerströme, Wirtschaftsmix usw.), Umfragen in deiner Region, Interviews mit Menschen aus deinen Zielgruppen, Planungsworkshops mit deiner Community (diese von Anfang an möglichst eng einbinden). Um das Risiko möglichst kleinzuhalten haben sich Testprojekte für Coworking wie »Jellies«, »PopUp-Coworking« oder das gemeinsame Besuchen von bestehenden Coworking-Spaces etabliert. Der Pro-Tipp: Besuche in deiner Planungszeit so viele andere CoworkingSpaces wie möglich. 2. Stelle dein Projekt auf eine gute Planung, auch finanziell. Dabei sind Coworking-Spaces fast nie das rein finanziell beste Modell für eine Immobilienverwertung. Der Wert von Coworking liegt in den Menschen und in den Sekundäreffekten. Diese Sekundäreffekte müssen klar sein und auch den Beteiligten klar ausreichen bzw. einen Sinn bringen. Dies ist die Stelle, an denen Coworking und Kirche gut zusammenpassen können. Bei der Planung ist von 10–15 Quadratmetern pro einzurichtendem Arbeitsplatz auszugehen, je nach Immobilie und Ausstattung. Die Preise sind regional unterschiedlich und liegen (2021) für einen Fixdesk durchschnittlich bei zwischen 250 und

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350 Euro. Der größte Kostenblock ist die Miete – fällt diese nicht an, lassen sich die Projekte meist gut rechnen. 3. Zentral für den Erfolg des Space ist ein gutes Community-Management. Hier braucht es einen kommunikativen, offenen und verbindenden Menschen. Der Aufwand für das Community-Management wird, genau wie dessen Wichtigkeit, immer wieder unterschätzt – hieran können Coworking-Spaces scheitern. Vor allem in den ersten zwei Jahren bis zur Bildung einer Kerncommunity ist der Einsatz hoch. 4. Suche einen guten Raum. Die Örtlichkeit des physischen Space spielt eine große Rolle. Neben einer gut erreichbaren Lage mit allen Verkehrsmitteln ist auch die Möglichkeit innerhalb der Räume sehr wichtig. Gibt es einen geeigneten Open-Space-Raum? Hast du auch Möglichkeiten für Besprechungsräume und Videokonferenzräume? Schnelles Internet (möglichst Glasfaser) ist Grundvoraussetzung. Ohne Internet und den besten Kaffee keine Coworker*innen (jeder Coworking-Space behauptet, den besten Kaffee zu haben). Stelle sicher, dass dies alles in deinem Gebäude passt. Plane aber auch so, dass Veränderungen an der Ausstattung möglich sind. Desto höher die Flexibilität, umso besser aus Coworking-Sicht. 5. Beginne möglichst früh mit begleitender Öffentlichkeitsarbeit. Darunter fällt auch Marketing – je mehr hier vorgearbeitet wird, desto leichter wird die erste Zeit nach der Eröffnung. Die Community sollte dafür eingebunden werden. Ein halbes Jahr Vorlauf für Marketing und andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit ist sicherlich angebracht.

Irgendwann ist der eigene Space eröffnet und es geht darum, das Tagesgeschäft zu managen. Auch hier gibt es einige Punkte zu beachten.

▶  Eine Haftpflichtversicherung sowie eine Inhaltsversicherung gehören zu den wichtigen Sicherungsmaßnahmen für den Space. Erkläre deiner Versicherung möglichst genau, was Coworking bei dir bedeutet. ▶  Arbeits- und Datenschutz gilt auch für Anbieter*innen von Arbeitsstätten. Dies gilt vor allem (aber nicht nur) dann, wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen bei dir arbeiten lassen  – hier müssen Pflichten aus der Arbeitsstättenschutzrichtlinie erfüllt werden. ▶  Die Buchung von Arbeitsplätzen sowie der Besprechungsräume (und was du sonst noch an Angeboten hast) sollte am besten mit einer SoftwareWas man beim Gründen beachten sollte

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unterstützung abgewickelt werden. Hier gibt es verschiedene spezialisierte Anbieter am Markt. Auch »CoWorkLand« bietet eine Buchungsplattform an. ▶  Verschiedene Nutzer*innen brauchen Zugang zu verschiedenen Zeiten. Gerade für Fixdesk-User*innen gibt es meist einen 24/7-Zugang. Eventuell können Schließsysteme mit Kartenzugang oder App-Zugang hier unterstützen. ▶  Das Tagesgeschäft besteht auch darin, Kaffee einzukaufen, bei der Installation von Druckertreibern zu helfen, die Küche mal kurz aufzuräumen usw. ▶  Das Community-Management kümmert sich darum, die Menschen miteinander zu vernetzen, Veranstaltungen durchzuführen, Marketing, neue Ideen und vieles mehr. Diese Aufgabe ist immens wichtig. Auch über den Space hinaus ist eine lokale und regionale Vernetzung wichtig – zum Beispiel mit Institutionen wie der Wirtschaftsförderung oder der Kommune, mit IHK, der Gründerszene oder was immer es Passendes gibt.

Das klingt nun nach viel Arbeit. Behalte deshalb immer im Blick, wofür das gemacht wird: für eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt, füreinander da ist, miteinander arbeitet und die Welt verbessert. Christopher Schmidhofer ist selbstständiger Webentwickler und Projektmanager und setzt Webprojekte für Handwerker, für international agierende Verkaufsteams und für einen weltweit tätigen Edelstahlkonzern um. Seit 2010 betreibt er außerdem Coworking-Spaces unter der Marke »weXelwirken« und gründete damit schon vor über zehn Jahren den ersten Coworking-Space im ländlichen Raum in Deutschland. Er ist Mitgründer des deutschen Coworking-­Verbandes German Coworking Federation e. V. sowie Mitbetreiber des CoWorkLand eG Landesbüro Baden-Württemberg.

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Christopher Schmidhofer

5.2 Wer helfen kann – Kontakte Jürgen Jakob Kehrer

Wo gibt es derzeit Coworking-Spaces? Eine Übersicht über die derzeit im DACH-Raum aktiven Coworking-Spaces versucht die Website www.coworkingmap.de zu vermitteln. Motivation dieser Seite ist es, Coworking sichtbar zu machen. Damit möchten die Betreiber*innen Coworker*innen, Firmen und Institutionen anhand einer Karte, ein differenziertes Auffinden von Spaces in der jeweils nachgefragten Region ermöglichen.

Weitere Infos für kirchliches Coworking In den letzten Monaten hat die Evangelische Arbeitsstelle »midi« in Berlin das Thema »Coworking« aufgegriffen und die Broschüre »Coworking in der Kirche« herausgegeben: www.mi-di.de/materialien/coworkingin-der-kirche Was ist midi?

»midi ist eine Zukunftswerkstatt, die frische Ideen mit Vernetzung und praktischer Hilfe verbindet. Sie steht für das Entwickeln, Probieren, Scheitern, Lernen und Gelingen im Weitergeben der Guten Nachricht. Der Name midi steht für ›missionarisch-diakonisch‹. Die Arbeitsstelle schafft im Zwischenraum von Kirche, Diakonie und freien Trägern missionarischer Arbeit neue Begegnungsräume und Werkzeuge für die Kommunikation des Evangeliums. midi arbeitet an gemeinsamen Zukunftsthemen von Kirche, Diakonie und Mission.« (www.mi-di.de/themen)

Wer helfen kann – Kontakte

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Beratungsprozesse für Coworking-Spaces Viele unserer Autor*innen sind auch in beratender und unterstützender Funktion unterwegs. Neben den Kurzbiografien unter den Artikeln sind hier auch die Kontaktdaten aufgelistet (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Michelle Bäßler ▶ www.cosi.work ▶ [email protected] Dr. rer. pol. Markus Hofmann Arbeit neu denken (Innovation, Coworking, New Work): ▶ www.network-institute.org Marco Jakob Effinger – Kaffeebar & Coworking Space in Bern: ▶ www.effinger.ch Mitgründer »Colearning«: ▶ www.colearning.org Beratung beim Aufbau von Communitys, Softwareentwicklung, Kommunikation und generell »wie man ein Projekt oder eine Firma startet«: ▶ www.jakobservices.ch Jürgen Jakob Kehrer ▶ www.kehrer-coaching.de ▶ [email protected] Klaus Motoki Tonn ▶ www.motoki.work Jan Thomas Otte ▶ www.janthomasotte.eu Daniel Paulus Coworking Kairos13: ▶ www.stadtkirche-karlsruhe.de/coworking-kairos13 ▶ www.instagram.com/_kairos13

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Jürgen Jakob Kehrer

Jonte Schlagner ▶ www.lebenswert-iserlohn.de Soziales Coworking Iserlohn: ▶ www.instagram.com/frohet_schaffen Christopher Schmidhofer weXelwirken – Gemeinschaft für modernes Leben: ▶ www.wexelwirken.net ▶ [email protected]

Wer helfen kann – Kontakte

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5.3 Sprichst du Coworkisch? Ein Glossar Dorothea Gebauer

Barn-Raising Ein Begriff der Amish, der bedeutet, dass man sich in der Community gegenseitig hilft, etwa beim Aufbau einer Scheune (»barn«). Er wird vor allem verwendet, wenn eine Community gleich mehrere Coworking-Spaces aufbaut oder betreut. Und sich dabei hilft. Coworkation Ein Kofferwort aus »work« und »vacation« (Ferien). Gedacht für Leute, die im Coworking-Space nicht nur arbeiten, sondern gleich übernachten wollen. Das New Yorker Unternehmen »Roam« ist spezialisiert auf diese Lifestyle-Kombination, ebenso die mittelamerikanische Hotelgruppe »Selina«. Coworking-Etikette Die Basisregeln im Gemeinschaftsraum. Nicht laut telefonieren. Keine Essensreste produzieren oder liegenlassen. Diskretion bewahren, falls einem Interna zu Ohren kommen. Gemeinschaftsflächen sauber halten. Gebuchte Termine einhalten. Dedicated Desk Fix Eigener Schreibtisch im Coworking-Space, gegen Aufpreis buchbar. Host Das ist der*die Betreiber*in des Coworking-Space und Gastgeber*in für die Coworker*innen. Hubonaut*innen Das sind – mindestens in der Sprache der Organisation »Impact Hub« – sozialkompetente Geister, die im Workspace als Host amten und dabei

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Member bei Laune halten, für geordneten Kaffeestrom sorgen und auch mal Führungen anbieten. Serendipity Zufällige Beobachtung von etwas Nicht-Gesuchtem. Beschreibt, was Coworking eigentlich bezweckt: eine Inspirationstankstelle. Die Vernetzung mit Menschen, die man im konventionellen Arbeitszwinger nie getroffen hätte. Soziokratie Idealistische Sichtweise eines Coworking-Space und seiner Mitglieder. Eine Organisationsform, die Mitverantwortung für das große Ganze wie auch für das einzelne Glied einer Community propagiert.

Sprichst du Coworkisch? Ein Glossar

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How does this sound? Is it sound? Ein Nachwort von Dorothea Gebauer

Dieses Buch ist eine einzige Erfahrung des Coworkens und des Colearnings, der Zusammenarbeit und des Miteinanderlernens. Wäre da nicht etwa Jürgen J. Kehrer gewesen, der mit Beharrlichkeit und strukturierender Energie Inhalten zur Durchsetzung verholfen hätte. Schließlich der Verlag: Hätte er nicht sein kooperierendes Ja gegeben, wäre es bei einer sehr schönen, aber für niemanden sichtbaren Idee geblieben. Sie läge in der Schublade und nicht dort, wo sie hingehört: Bei den Menschen, die etwas bewegen wollen. Und vor allem: Ohne die freundlichen und klugen Autor*innen. Die Macher*innen und Metadenker*innen, die Gründer*innen und Grundlagenleger*innen in Sachen Theologie. Sie alle sicherten auf ihre Art und Weise Vielfalt und besonders Einheit in dem Anliegen, der Welt der Arbeit neue und frische Chancen einzuräumen. Sie opferten Ferienmomente, schoben hier und da Nachtschichten ein, riskierten, ihre Namen unter ein Produkt zu setzen, das sie nicht kannten. Stellvertretend für viele andere seien an dieser Stelle einige Namen erwähnt. Die Gastfreundschaft des Coworking-Space Kairos13 Karlsruhe mit Daniel Paulus, der uns zum ersten Mal als Redaktionsteam ermöglichte, einen Coworking-Tag einzuräumen. Eine Zoomsitzung, in der mehrere Theolog*innen, die Gründer*innen sind, gemeinsam darum ringen und Worte für das suchen, das sie in Bezug auf das Thema bewegt. Ermutigende Worte und Nachfragen von Maria Hermann oder Tobias Faix. Sie sagen immer wieder: »Das wird gut!« Genau zur rechten Zeit, als der Frust aufgrund von Zeitdruck groß war. Geduldiges Hinhören und Fragen-Beantworten meiner Interviewpartner*innen Daniel Hediger, Dr. Sabrina Müller und vieler anderer, die halfen, den roten Faden zu behalten und mutige Antworten riskierten. Eine Einladung von Maks Hofmann kurz vor Redaktionsschluss, Texte gegenzulesen. Sein Hinweis auf die noch aktiveren Verben im Buchtitel, die sich mit lauerndem

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Ein Nachwort von Dorothea Gebauer

Nominalstil rieben. Kritische Rückfragen zum Coverbild von Menschen weit außerhalb, reichliches Bravo in den sozialen Netzwerken. Die spontane Bereitschaft meiner Schwester Claudia, beim Korrektorat zu helfen oder die Übersetzung für einen englischen Text zu übernehmen. Ein Spaziergang im Wald mit Marco Jakob und die Frage: Was meint denn die Berufung zu Coworking? Aufeinanderhören, als Jana Harle Anliegen des Verlags formuliert. Ihr Verstehen und Kooperieren beim Wunsch, den Elfenbeinturm zu verlassen und sprachliche Anschlussfähigkeit zu wahren. Meine Schwester Gudrun, die mir ihre Berliner Wohnung zur Verfügung stellt, um dranbleiben zu können. Ausflüge ins Berliner Umland mit ihr und Kultur, um den Kopf freizukommen. Der Coworking-Space Hirschengraben im schweizerischen Luzern be­ findet sich in »Corelations« mit vier anderen Coworkings in Zürich, Basel, Bern und Zofingen. Bei Entscheidungsprozessen oder anstehenden Innovationen geht man zu seinen »Relations«, die Familienbeziehungen ähneln, hört aufeinander und fragt: »How does this sound? Is it sound?« Auf informelle Weise kann man sich so weiterentwickeln, lernt voneinander und ist gleichzeitig ganz bei sich. Der Ablauf eines Soundings ist wie folgt: Die Person, die das Sounding gewünscht hat, erzählt zuerst von der anstehenden Entscheidung. Die anderen hören aktiv zu. Anschließend beantworten sie zwei Fragen: 1. How does it sound? (Wie klingt es?) 2. Is it sound? (Ist es ehrenhaft und bleibt die Person ihren Werten treu?) »Die Wahrheit beginnt zu zweit«, sagt ein Ehebuch. »Die Wahrheit beginnt im WIR«, sagen neue Formen der Zusammenarbeit. Nun gehen die Erzählungen dieses Buches auf die Reise: How will they sound? Are they sound? Können über diese Inspiration Arbeitsbeziehungen und Haltungen dem Menschen gegenüber gesunden, kann Erneuerung geschehen? Wir werden voneinander hören und (weiter-)lernen. How does this sound? Is it sound?

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»Hoffnung ist die Fähigkeit, die Musik der Zukunft zu hören. Glaube ist der Mut, in der Gegenwart danach zu tanzen.« (Peter Kuzmic)7 Dorothea Gebauer ist Kommunikationsbera­ terin, Fundraiserin und baut gerade mit anderen einen Coworking-Space in Südbaden auf.

7 Twitter-Nachricht vom 03.06.2015: »Hope is the ability to hear the music of the future. Faith is the courage to dance to it in the present.«

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Ein Nachwort von Dorothea Gebauer

Literatur

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