Cinéma Indochina: Eine (post-)koloniale Filmgeschichte Frankreichs [1. Aufl.] 9783839413647

Bereits lange vor der international erfolgreichen Verfilmung von Marguerite Duras' Roman »Der Liebhaber« Anfang der

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German Pages 256 Year 2014

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Table of contents :
INHALT
Vorwort
Topographien einer post/kolonialen Filmkultur
Zum Begriff der Topographie
Der post/koloniale Raum Indochina
Der Raum erzählt den Film
Filmische Geographien aus Indochina: imperial, dezentral, unsicher
Marginale Kolonie, marginale Kinematographie?
Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre für die Firma Lumière
»Les chasseurs d’images à la conquête du monde« – Reisebilder als Zeitdokument
Gabriel Veyre, Kameramann der Firma Lumière
Reisebilder aus Indochina
Gabriel Veyres Anti-Geographien des kolonialen Imaginären
Amateure auf Reisen II: Léon Busy für die Archives de la Planète
Albert Kahn und die Archives de la Planète
Die Ansicht, l’émerveillement de regarder
Léon Busys Ansichten aus Indochina
Busys intellektuelle Geographien der Kolonie
Koloniale Exotik im Spielfilm
Der Film, Medium der kolonialen Kulturpolitik
Mythos Angkor
Filmstudios Angkor: Sous l’oeil de Bouddha (A. Joyeux)
Jacques Feyder au pays du Roi lépreux
Die géographie ruinistique des kolonialen Spielfilms
Der Orient in der französischen Provinz
Documenteurs indochinois
Siedlungsnarrative im kolonialen Dokumentarfilm
La Croisière jaune: Asien ohne Indochina?
Die kolonialen Geographien des Dokumentarfilms
In der Peripherie des Kolonialkrieges – Pierre Schoendoerffer u.a
Die Indochinakriege am Rande der französischen (Film-)Geschichte
Der vergessene Krieg Frankreichs in Indochina
Von Silence, on ne tourne pas! zu Silence, on ne parle pas!
Pierre Schoendoerffer: gegen das Vergessen der Soldaten und ihrer Kriege
La 317e section: ein Kolonialkriegsfilm der Nouvelle Vague
Der Erinnerungsraum des Krieges – der Raum der Kriegserinnerung
Wanderung als Filmhandlung: die Geographie der Auflösung
Der Vietnamkrieg, mitten in Paris – Nouvelles Vagues
Loin du Vietnam – Der Vietnamkrieg erschüttert Paris
Intimistische Kriegsszenarien
Alain Resnais’ ästhetische Politik
Jean-Luc Godards politische Ästhetik
Resnais’ und Godards klaustrophobe Räume
Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard
Raoul Coutard, Regisseur
Die Politik des Melodramas
Saigon: Geographien eines Flaneurs
Die Revolution des europäischen Kinos
Indochina Songs – Marguerite Duras
Marguerite Duras, ihre Kindheit, ihr Kino
India Song: le désir-métis
Stimmen und Unstimmigkeiten
Indien in Indochina in Paris, la Durasie
Fazit
Kinematographie einer ›anderen‹ Kolonie
Filmische Geographien der kulturellen Unsicherheit
Anhang
Bibliographie
Filmographie
Dank
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Cinéma Indochina: Eine (post-)koloniale Filmgeschichte Frankreichs [1. Aufl.]
 9783839413647

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Beate Weghofer Cinéma Indochina

Beate Weghofer (Dr. phil.) promovierte am Institut für Romanistik der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Film-, Kultur- und Literaturwissenschaften.

Beate Weghofer Cinéma Indochina. Eine (post-)koloniale Filmgeschichte Frankreichs

Gedruckt mit Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Musée Albert-Kahn – Département des Hauts-de-Seine Lektorat & Satz: Beate Weghofer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1364-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

Vorwort

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Zum Begriff der Topographie Der post/koloniale Raum Indochina Der Raum erzählt den Film Filmische Geographien aus Indochina: imperial, dezentral, unsicher Marginale Kolonie, marginale Kinematographie?

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre fü fürr die Firma Lumière »Les chasseurs d’images à la conquête du monde« – Reisebilder als Zeitdokument Gabriel Veyre, Kameramann der Firma Lumière Reisebilder aus Indochina Gabriel Veyres Anti-Geographien des kolonialen Imaginären

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Amateure auf Reisen II: Léon Bu Busy sy für die Archives de la Planète Albert Kahn und die Archives de la Planète Die Ansicht, l’émerveillement de regarder Léon Busys Ansichten aus Indochina Busys intellektuelle Geographien der Kolonie

69 69 72 74 79

Koloniale Exotik im Spielfilm Der Film, Medium der kolonialen Kulturpolitik Mythos Angkor Filmstudios Angkor: Sous l’œil de Bouddha (A. Joyeux) Jacques Feyder au pays du Roi lépreux Die géographie ruinistique des kolonialen Spielfilms Der Orient in der französischen Provinz

81 81 85 88 92 94 95

Documenteurs indochinois Siedlungsnarrative im kolonialen Dokumentarfilm La Croisière jaune: Asien ohne Indochina? Die kolonialen Geographien des Dokumentarfilms

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In der Peripherie des Kolonialkrieges – Pierre Schoendoerffer u.a. 113 Die Indochinakriege am Rande der französischen (Film-)Geschichte 113 Der vergessene Krieg Frankreichs in Indochina 115 Von Silence, on ne tourne pas! zu Silence, on ne parle pas! 123 Kolonialkriege im französischen Film (1954-1962) Pierre Schoendoerffer: gegen das Vergessen der Soldaten und 134 ihrer Kriege 138 La 317e section: ein Kolonialkriegsfilm der Nouvelle Vague Der Erinnerungsraum des Krieges – der Raum der Kriegserinnerung 142 Wanderung als Filmhandlung: die Geographie der Auflösung 155 Der Vietnamkrieg, mitten in Paris – Nouvelles Vagues Loin du Vietnam – Der Vietnamkrieg erschüttert Paris Intimistische Kriegsszenarien Alain Resnais’ ästhetische Politik Jean-Luc Godards politische Ästhetik Resnais’ und Godards klaustrophobe Räume

163 163 168 170 173 177

Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard Raoul Coutard, Regisseur Die Politik des Melodramas Saigon: Geographien eines Flaneurs Die Revolution des europäischen Kinos

181 181 185 191 196

Indochina Songs – Marguerite Duras Marguerite Duras, ihre Kindheit, ihr Kino India Song: le désir-métis Stimmen und Unstimmigkeiten Indien in Indochina in Paris, la Durasie

201 201 205 211 214

Fazit Kinematographie einer ›anderen‹ Kolonie Filmische Geographien der kulturellen Unsicherheit

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Anhang Bibliographie Filmographie

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Dank

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VORWORT

Das ehemalige französische Protektorat Indochina, das heute die Länder Vietnam, Kambodscha und Laos umfasst, weist ein ambivalentes kinematographisches Gedächtnis auf, das ein signifikanter Bestandteil der Kulturgeschichte dieses Kulturraums ist. Für den Großteil der westlichen Zuschauer existiert die filmische Darstellung von Indochina und seinen Nachfolgestaaten außerhalb des Vietnamkrieges nicht. In der Tat ist der Großteil der filmischen Repräsentationen von außen dominiert, insbesondere durch US-amerikanische Produktionen. In Frankreich lässt sich vor allem in den 90er Jahren die Bebilderung der ehemaligen Kolonie für ein breites Publikum entdecken, die bis dahin als filmischer Text nur auf wenig Interesse gestoßen war. Sowohl französische Filmemacher – JeanJacques Annaud (The Lover, 1991), Régis Wargnier (Indochine, 1992), Pierre Schoendoerffer (Dien Bien Phu, 1991) – wie auch in Frankreich lebende Regisseure aus der südostasiatischen Diaspora – der Franko-Vietnamese Tran Anh Hung (L’odeur de la papaye verte, 1992) und der Franko-Kambodschaner Rithy Panh (Les Gens de la rizière, Frankreich/Kambodscha 1992) – widmen sich nun der südostasiatischen Kolonie und ihren Nachfolgestaaten bzw. den aus diesem Interdependenzverhältnis hervorgehenden, veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen. Diesen vor allem ab den 90er Jahre entstandenen Filmproduktionen und innerhalb der postcolonial film studies zumindest in Ansätzen diskutierten Arbeiten geht allerdings bereits eine Kultur des Filmens voraus, der bisher sowohl in der postkolonialen Filmforschung ungleich weniger Beachtung geschenkt wurde als auch innerhalb der französischen Filmgeschichte nur einen Platz am Rande einnimmt. Von Beginn an steht die Kolonie Indochina nicht nur aufgrund ihrer politischen Situation am Rande der Nation Frankreichs, sondern fungiert auch als Peripherie innerhalb des französischen Kolonialreichs. Die Vorgänge in Nordafrika drängen die historische Bedeutung der südostasiatischen Kolonie stets in den Schatten. Die koloniale Eroberung erfolgt spät, die große Distanz zum Kernland und die geringe Zahl der in Indochina lebenden Franzosen – sie

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Cinéma Indochina überstieg nie 34.000 Personen – bewirken ein geringes öffentliches Interesse der Metropole an den Vorgängen in der Kolonie. Auch das durch Indochina inspirierte Filmschaffen unterstreicht die Randposition der Kolonie. Der marginale Status der »Filmkolonie Indochina« überlagert sich mit dem Status der Kolonie innerhalb der gesellschaftlichen kolonialen Ordnung. Von einem ausgeprägten Interesse, wie es die französische und frankophone Filmproduktion für die koloniale und die postkoloniale Realität (Nord-)Afrikas bisher gezeigt hat, lässt sich im Falle Indochina bei weitem nicht sprechen. Während (Nord-)Afrika schon früh als Schauplatz zahlreicher Dokumentarfilme entdeckt wird und das Genre des fiktionalen Kolonialfilms der 30er und 40er Jahre entscheidend prägt, beläuft sich die Zahl der kolonialen Filme aus Indochina auf nur wenige Titel, beinahe ausschließlich im Genre des Dokumentarfilms.1 Für Indochina gibt es auch keinen Kolonialfilm aus der Hochphase des französischen Kolonialismus, wie es beispielsweise Julien Duviviers La Bandera (1935) und Pépé le Moko (1936) für Nordafrika darstellen. Dieses Buch widmet sich jener französischen Filmproduktion, die zwischen 1895 und 1975 in dieser ›anderen‹ Kolonie entstanden ist und durch diese ›andere‹ Kolonie inspiriert ist. Analyseleitend sind dabei Theoreme des spatial turn der Kulturwissenschaften. Auf der Basis von Topographien einer post/kolonialen Filmkultur, die im ersten Teil der Arbeit hergeleitet werden, wird untersucht, wie der post/koloniale Raum Indochina auf die filmischen Repräsentationen des Raumes zurückwirkt und wie die Filme an der Repräsentation dieses Raums beteiligt sind. Die in dieser Periode entstandenen Werke entwerfen ein differenziertes Bild der Region. Sie wurden in der überwiegenden Mehrheit von französischen Filmemachern realisiert, deren Lebenserfahrungen vom Wechselspiel zwischen einer zentralen und peripheren Kultur geprägt sind. In ihren Arbeiten verarbeiten sie ihre Reise-, Kindheits- und Kriegserfahrungen in Indochina und den postkolonialen Nachfolgestaaten. Diese spezifische biographische Verortungserfahrung ist nicht von formalen und ästhetischen Verfahren zu trennen.

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Gabriel Veyre filmte um 1900 die Kolonie für die Brüder Lumière, Léon Busy in den 10er und 20er Jahren für die Archives de la Planète des Bankiers Albert Kahn. Sous l’oeil de Bouddha (A. Joyeux, 1923) stellt den derzeit einzig erhaltenen und in Indochina gedrehten Spielfilm der kolonialen Epoche dar. Von den bis 2001 restaurierten dokumentarischen Kolonialfilmen der 30er bis 50er Jahre stammen nur 15% aus Indochina (vgl. Le Roy 2001, 57).

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TOPOGRAPHIEN OPOGRAPHIEN EINER POST/KOLONIALEN FILMKULTUR

L'époque actuelle serait peut-être plutôt l'époque de l'espace. Nous sommes à l'époque du simultané, nous sommes à l'époque de la juxtaposition, à l'époque du proche et du lointain, du côte à côte, du dispersé. Nous sommes à un moment où le monde s'éprouve, je crois, moins comme une grande vie qui se développerait à travers le temps que comme un réseau qui relie des points et qui entrecroise son écheveau. Michel Foucault: Des espaces autres (1967)

Zum Begr Begriff iff der Topographie DIE RÄUMLICHEN TURNS DER GEISTES-, KULTUR- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN Die übergreifende gegenwärtige kulturelle Debatte, zu der dieses Buch einen Beitrag leisten möchte, ist jene des Raums. Der EntUniversalisierung von Begriffen wie Erinnerung, Subjekt und Zeit folgt gegenwärtig jene des Raums, der als Hoffnungsträger dafür gilt, die evolutionistische Auffassung von Zeit im Sinne von Fortschritt und Entwicklung abzulösen. Der Raum, der »konzeptuelle Grenzgänger zwischen Physis (Materialität) und Idee (Mentalität)«, ist innerhalb dieser Diskussion nicht nur in der Geographie eine »Metapher für einen disziplinären Modernisierungswillen«, die als Ersatz für besonders in der deutschsprachigen Raumdiskussion durch die nationalsozialistische Ideologie diskreditierte und konnotativ belastete Beziehung von Geschichte und Geographie fungiert (vgl. Miggelbrink 2005, S. 80-82). Fragen zur Räumlichkeit stehen nun disziplinenübergreifend im Zentrum von theoretischen und methodischen Neuansätzen, welche sich nicht mehr mit ausschließlich geometrisch und physisch messbaren Gegebenheiten des Raumes 9

Cinéma Indochina befassen, sondern das Objekt in philosophischer, medienwissenschaftlicher, sozialer, politischer und ästhetischer Hinsicht diskutieren. Die Beschäftigung mit Fragen des Raums hat in den Geistesund Kulturwissenschaften bereits mehrere so genannte turns (Wenden) hervorgerufen. Dabei ist höchste Vorsicht geboten, um mit der Verwendung des Begriffs nicht einer methodologischen und theoretischen Oberflächlichkeit Vorschub zu leisten, die seit der Ausrufung der räumlichen turns vielerorts ihr Unwesen getrieben hat. Der Gefahr der Jargonbildung, der diesen durch die Metaphorisierung ihrer Analysekategorien innewohnt, ist Vorschub zu leisten. Für die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick liegt der Reichtum der seit den siebziger Jahren im Anschluss an den linguistic turn ausgerufenen kulturwissenschaftlichen turns gerade darin, der Verflachung der methodischen Ansätze der Kulturwissenschaften entgegen zu wirken (vgl. Bachmann-Medick 2006, S. 11). Dass ein cultural turn nicht eine Wende zu etwas Neuem im eigentlichen Sinne bedeutet, sondern vielmehr einen Rückgriff auf verdrängtes und vergessenes Wissen darstellt, wurde bereits an anderen Stellen bemerkt (vgl. Böhme 2005, S. XII; Günzel 2007, S. 14). Doch um einen turn zu markieren, der durch seine spezifischen Wahrnehmungseinstellungen, Analysekategorien und Methoden den etablierten Forschungskanon aufbricht, muss dieses Wissen zunächst neu kontextualisiert werden, indem es beispielsweise mit sozialen und interkulturellen Prozessen in Verbindung gebracht wird. »Von einem turn kann man erst sprechen, wenn der Forschungsfokus von der Gegenstandsebene neuartiger Untersuchungsfelder auf die Ebene von Analysekategorien und Konzepten umschlägt, wenn er also nicht mehr nur neue Erkenntnisobjekte ausweist, sondern selbst zum Erkenntnismittel und –medium wird (Herv. i.O.).« (Bachmann-Medick 2006, S. 26)

Die politischen Veränderungen seit Mitte der 80er Jahre fordern ein neues kritisches Raumverständnis, das den globalen Vernetzungen und Entwicklungen Rechnung trägt. Als Leitdisziplin und Auslöserin des neuen rationalen räumlichen Denkens gilt die postmoderne und postkoloniale Ausrichtung der Humangeographie, wie sie von David Harvey, Edward Soja, Derek Gregory, Doreen Massey u.a. vertreten wird. Sie markiert den Anfang der Auseinandersetzung mit räumlich produzierten Machtverhältnissen und begründet das kritische disziplinenübergreifende Raumverständnis, das den Raum als sozial produziert und veränderbar betrachtet. Ansätzen, die den gesellschaftlichen Konstruktcharakter von Raum aufzeigen, stehen allerdings nach wie vor solche gegenüber, die seine physischen und materiellen Aspekte betonen. Dieser Doppeldeutigkeit des Raumdiskurses ist auch sein Kreativitätspotential zu verdanken, denn gera10

Topographien einer post/kolonialen Filmkultur de die physische Beschaffenheit des Raumes ermöglicht die metaphorische Verwendung seiner Beschreibungskategorien für soziale Phänomene (vgl. Miggelbrink 2005, S. 88). Die wachsende Differenzierung in der Beschäftigung mit Raumfragen spiegelt sich in der Folge in der Ausrufung mehrerer räumlicher turns wider. Spatial turn, topographical turn und topological turn trennen nicht nur disziplinäre und kulturdeterministische Grenzen innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften, sondern unterscheiden sich auch in den Leitvorstellungen und Kategorien in der Annäherung an ihr Forschungsobjekt. Der in Anschluss an Edward Sojas Postmodern Geographies (1989) und Thirdspace (1996) in den angelsächsischen Sozialwissenschaften ausgerufene spatial turn versteht Raum und Mensch als sich aufeinander beziehende Faktoren. Die postkoloniale Perspektive, aus der dieser Ansatz schöpft, sieht Raum als zentrale Kategorie von Macht. Der Raumbegriff wird in einem transnationalen Zusammenhang theoretisiert, der auch Überschneidungen und Gleichzeitigkeiten heterogener Lebensbereiche sichtbar macht sowie seine imaginäre Aufladung diskutiert. Die Ansätze des spatial turn interessieren sich vor allem für raumkonstituierende Praktiken wie Raumerschließung und Raumbeherrschung sowie für weltweite Raumbeziehungen und Raumpolitik, für die, zumindest in der anglo-amerikanischen Diskussion, Globalisierung zu einer Leitperspektive geworden ist (vgl. Bachmann-Medick 2006, S. 301). Eine Abgrenzung zu dieser stark mit Machtverhältnissen in Beziehung stehenden Perspektive schlägt Sigrid Weigel mit dem Begriff des topographical turn vor (vgl. Weigel 2002, S. 151-165). Dieser sieht Raum als Ergebnis von bestimmten sozialen und technischen Praktiken der Kulturgeschichte an, welche zu einem bestimmten Raumverständnis geführt haben. Weigel betont die Differenzen in der räumlichen Theoriebildung der Cultural Studies für den spatial turn und der deutschen Kulturwissenschaften für den topographical turn. Während für erstere der Raum ein topographisches Dispositiv für einen theoretischen Diskurs repräsentiert, der Orte vor allem als Topoi in den Blick nimmt, widmen sich letztere der ›Graphie‹ des Raumes und ihrer (Be-)Deutung, wobei der Raum als eine Art Text gelesen wird, der Orte auch geographisch identifiziert (vgl. Weigel 2002, S. 158ff.). Die Analyse von Repräsentationstechniken und Repräsentationsformen von Raum zu bestimmten historischen Momenten soll hervorheben, wie diese eine Wirklichkeit konstruieren, gegenüber der sie vorgeben, nur sekundär zu sein. Die Spezifizität der Raumreflexion der deutschen Kulturwissenschaften ist der Aspekt der Historisierung von bildgebenden Verfahren, die als komprimierte Darstellung von äußeren Verhältnissen betrachtet werden.

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Cinéma Indochina »Was gleich bleibt, wenn man meint, etwas habe sich verändert« fragt der rezenteste unter den räumlichen turns. Der topological turn, der sich auf das aus der Mathematik stammende Konzept der Topologie beruft, ist ein vor allem in der Philosophie diskutierter Ansatz, der sich mit der Lagebeziehung von Körpern im Raum beschäftigt. Während der topographical turn eine Instanz annimmt, von der aus die semantische Aufladung eines Raums ausgeht, schließt der topological turn diese zugunsten einer dem Raum inhärenten Struktur aus. Raum wird als ein abstraktes Ordnungsschema verstanden, das kontextunabhängig funktioniert (vgl. Günzel 2007, S. 13-29). Im Vorwort seines einflussreichen Sammelbandes Topographien der Literatur (2005) weist der Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme zu Recht auf die Vorreiterrollen der Soziologie, der Geographie und der Architektur in Fragen der Raumforschung hin, während er einen »Nachholbedarf topographischer Diskursbildung« für die philologischen Disziplinen konstatiert (vgl. Böhme 2005, S. XI). Böhme schlägt eine für die Literaturwissenschaft adaptierte literarische Topographie vor, die durch Bewegungen des Körpers im Raum entsteht und diesen unter anderem in Form von Schrift, Druck und Kartographie erschließt und herstellt. Böhmes Raumverständnis, das den Raum als Ergebnis topographischer Kulturtechniken versteht, beweist – raummetaphorisch gesprochen – sicherlich »Bodenständigkeit« und ist wissenschaftlich »geerdet« (vgl. BachmannMedick 2006, S. 311). Allerdings kritisiert die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick an dieser eurozentrisch ausgerichteten Forschungsperspektive das Fehlen einer differenzierten interdisziplinären Öffnung gegenüber dem internationalen Raumdiskurs (vgl. ebd.). Der von Böhme versprochene, weit gefasste Literaturbegriff, der sich aus der Betrachtung der ihn begleitenden Medien-, Wissenschafts- und Technikgeschichte sowie in Zusammenhang mit den sozialen und politischen Rahmenbedingungen seiner Produktion und Rezeption ergibt, ist in der Tat in seiner praktischen Anwendung für die Arbeit der Kulturwissenschaften ein zu eng gefasster Textbegriff, der sich aus der topographischen Kulturtechnik der Schrift und der Inhaltsebene der Literatur nur selten herauswagt. Der für die Kulturwissenschaft vorgeschlagene und bisher vor allem in der Literaturwissenschaft praktizierte Ansatz des topographical turn muss also ausgeweitet werden, um ihn auch für kulturwissenschaftliche Fragestellungen und deren weiten Textbegriff verwendbar zu machen. In Abgrenzung und Ergänzung zu der für den spatial turn angenommenen Abstraktion des Raumes und seines Symbolcharakters ist dabei eine Verbindung mit konkreten soziokulturellen und kulturgeschichtlichen Phänomenen durchaus ein Aspekt, den es zu vertiefen gilt. Sich innerhalb der Analysekon-

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur zepte des topographical turn anzusiedeln, darf aber nicht bedeuten, eine Beschäftigung mit den theoretischen und methodischen Ansätzen des spatial turn auszuschließen. Gewisse Erkenntnisse seiner Untersuchungen, besonders in Bezug auf die postkolonialen kulturellen Praktiken, sind mittlerweile zu Voraussetzungen kulturwissenschaftlichen Denkens geworden. Dass sich kulturelle Identität und nationales Territorium nicht entsprechen, gehört ebenso dazu, wie das weite Bedeutungsspektrum der topographischen Figur des displacement, das unterschiedliche Migrationsbewegungen wie Exil, Diaspora, Tourismus und Austauschbeziehungen umfasst. Die Differenzen der Beschäftigung mit räumlichen Praktiken innerhalb der Cultural Studies und der europäischen Kulturwissenschaften folgen keiner strikten Trennung, wie dies gelegentlich grob vereinfacht dargestellt wird, sondern bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Zu Recht insistiert Sigrid Weigel in ihrem Grundlagentext Zum topographical turn (2002) allerdings auf einer genauen theoretischen, historischen und kulturellen Herleitung der jeweiligen analytischen Begriffe, damit diese nicht fälschlicherweise als »geschichts- und kulturneutrale Instrumente« Anwendung finden (vgl. Weigel 2002, S. 159).

TOPOGRAPHIE ALS TRAVELLING CONCEPT Der Begriff Topographie stammt zunächst aus der Geographie, in der er die »Erfassung und Wiedergabe des Geländes mit seinen Formen und Gewässern sowie den auf dem Gelände befindlichen Objekten, wie Gebäude, Wege u.a.«1 sowie »die Gesamtheit aller Erscheinungen des Geländes« bezeichnet. Aus der Definition der topographischen Vermessung, »der begrifflichen Erfassung der topographischen Gegenstände für deren Darstellung in topographischen Karten«, schöpft die Anwendung des Begriffes innerhalb der Kulturwissenschaften. Als travelling concept im Sinne Mieke Bals2 ›wandert‹ der Begriff seit den 90er Jahren in den Kulturwissenschaften, wo Untersuchungen mit seiner Hilfe verdeutlichen, dass die Beziehung des Raums zu seiner Benennung und seiner Darstellung eine vorläufige und veränderbare ist. Die Topographie deckt 1 2

Definitionen nach Brockhaus Enzyklopädie, 21. völlig neu bearbeitete Ausgabe, Leipzig, Mannheim 2006. Bal schlägt anstelle von Methoden Begriffe (concepts) vor, die wandern und in einem anderen historischen Kontext oder im Rahmen einer anderen Disziplin als der, der sie entstammen, aufgegriffen und verwendet werden können. Als Analyseinstrumente erhalten diese Begriffe vor allem dann Potential, wenn sie mit neuen Bedeutungen aufgeladen werden, indem sie beispielsweise in einem anderen historischen oder wissenschaftlichen Rahmen diskutiert werden (vgl. Bal 2002, S. 3-55).

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Cinéma Indochina hier gegenwärtig ein weites Bedeutungsspektrum ab, das räumliche Metaphorik, die Verräumlichung narrativer Verfahren, eine topisch organisierte Schrift, eine diagrammatische Anordnung von Daten und die kartographische Aufzeichnung und Interpretation von Räumen und Geschichte(n) umfasst (vgl. Weigel 2002, S. 157 sowie Siegert 2005, S. 3). In filmwissenschaftlichen Studien wird die Bedeutungsvielfalt des Begriffs Topographie, die durch seine Wanderung in unterschiedlichen disziplinären und historischen Kontexten entstanden ist, kaum ausgeschöpft. Claudia Liebrand definiert in ihren kulturwissenschaftlichen Lektüren von Hollywoodfilmen der 90er Jahre Topographien als Raumsemantisierungen, die durch Geschlechtszuschreibungen entstehen und spezifische Kartographien kultureller Repräsentationen zeichnen (vgl. Liebrand 2003, S. 7). Sie folgt in ihrer Arbeit der vor allem für Genrefilme wie den Western oder den Bergfilm etablierten Praxis, räumliche Gegebenheiten zu metaphorisieren und unabhängig von ihrem räumlichen und historischen Kontext zu analysieren. Der Filmwissenschaftler André Gardies stellt in seiner filmnarratologischen Analyse des Raums Topographie als Ordnungsparameter für die raumbezogenen Informationen vor, die durch den Film vermittelt werden (vgl. Gardies 1993, S. 107-122). Diese kann als Architektur des Films die räumliche Ordnung einer Erzählung in Form einer Karte darstellen. Gardies versteht die Topographie wortwörtlich als eine graphische Repräsentation des Raums, als einen kartographischen Vorgang, welcher vom Zuschauer entwickelt wird, indem dieser die verschiedenen räumlichen Bestandteile des Films zueinander in Beziehung setzt. In diesen sich als topographisch verstehenden Untersuchungen fehlt allerdings der Bezug auf konkrete, historisch identifizierbare Orte, wie ihn der topographical turn als Erkenntnisinteresse formuliert hat. Um von der vielfältigen Anwendbarkeit des Begriffs Topographie profitieren zu können und gleichzeitig der Gefahr der Unschärfe durch sein Nomadisieren in verschiedenen Kontexten und Wissenschaftstraditionen entgegen zu wirken, werden zunächst drei Definitionen des Begriffs erarbeitet, die anschließend in Verbindung mit einer Reihe von Theoriestücken als Basis für die Erarbeitung von Topographien der post/kolonialen Filmkultur Indochinas eingesetzt werden. Der Begriff der Topographie wird hier bewusst im Plural verwendet. Diese Entscheidung soll den konstruktiven Charakter dieses Konzepts verdeutlichen, seine interdisziplinäre Herkunft sowie seine vielfache, sich stets in Veränderung befindliche Bedeutung in Erinnerung rufen. Der marxistisch orientierte französische Philosoph Henri Lefebvre hat in seinem Werk La production de l’espace (1974) die Trias einer sozialen Raumpraxis vorgestellt, die sich zu einem wichtigen

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Bezugspunkt für räumliche Ansätze vor allem in den angelsächsischen Cultural Studies herausgebildet hat. Lefebvres Trias eignet sich allerdings auch als Ausgangspunkt für eine sich als topographisch verstehende Kulturwissenschaft, die sich mit sozialen und technischen kulturgeschichtlichen Praktiken im Kontext ›realer Orte‹ beschäftigt. Nach Lefebvre ist der Raum das Produkt einer sozialen Praxis, die sich auf drei verschiedenen, dialektisch miteinander in Verbindung stehenden Ebenen entwickelt. Er unterscheidet auf einer semiotischen Basis die »räumliche Praxis« (pratique spatiale) von der »Repräsentation des Raumes« (représentation de l’espace) und den »Räumen der Repräsentation« (espaces de représentation). Die räumliche Praxis entsteht durch die Gesellschaft, die einen Raum produziert, ihn beherrscht und sich aneignet. Lefebvre bezeichnet den durch diesen Vorgang entstehenden Raum auch als den »wahrgenommenen Raum« (l’espace perçu). Die Repräsentation des Raumes ist der in einer Gesellschaft dominierende Raumtyp, der sich aus einem System von Codes, Wissen und Zeichen bildet, welche sich aufgrund einer hierarchischen Ordnung durchgesetzt haben. Dieser wird durch den Terminus »konzipierter/vorgestellter Raum« (espace conçu), eingeführt. Er ist stark von wissenschaftlichen Kenntnissen und Ideologien geprägt. Die Räume der Repräsentation, die Lefebvre als »gelebter Raum« (l’espace vécu) definiert, sind die Räume der Benutzer, die diese mittels ihrer Einbildungskraft zu verändern versuchen, indem sie ihnen einen Symbolgehalt zuschreiben (vgl. Lefebvre 42000, S. 50f.). Durch die Einbeziehung des Körpers in die soziale Praxis der Raumkonstitution unterstreicht Lefebvre die Bedeutung der Topographie bei der Schaffung kultureller und sozialer Räume. Er folgt nicht der Kantschen Vorstellung von Raum, für den dieser ein Ergebnis von Anschauung ist, sondern betrachtet ihn als ein Produkt der Bewegungen des Körpers im Raum. Die soziale Praxis entsteht durch den Einsatz der Hände, der Gliedmaßen, der Sinnesorgane, der Gesten der Arbeit und anderer Tätigkeiten eines Mitglieds einer bestimmten sozialen Gruppe. Durch die kulturell bzw. wissenschaftlich verarbeitete Darstellung des Körpers in Bezug zu seiner ihn umgebenden Umwelt ergibt sich die Repräsentation des Raumes. In den Räumen der Repräsentation wird hingegen der Körper durch den Einfluss der gesellschaftlichen Tradition symbolisch verfremdet. Er wird zu einem affektiven Zentrum, in dem Handlungen, Leidenserfahrungen und Erinnerungen eines spezifischen Ortes innerhalb einer spezifischen Zeit zusammenlaufen (vgl. ebd.). Die Theoretisierung der Beziehung des Körpers zum Raum nach Lefebvre weist auf die unterschiedlichen Formen, Funktionen und Medien der Topographie bei der Konstitution einer Kultur hin. Die Aufsplitterung des Begriffs Topographie in Topographie als räumli-

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Cinéma Indochina che Praxis, Topographie als Repräsentation von Raum sowie Topographie als Raum der Repräsentation ruft die eigentliche Dreiteilung des sozial produzierten Raums in Erinnerung, der in den Kulturwissenschaften häufig auf zwei Ebenen reduziert und nur mehr metaphorisch verwendet wird.3 Offen und nur oberflächlich problematisiert bleibt in einzelnen Analysen oft die Art und Weise, wie die verschiedenen Ebenen miteinander in Verbindung stehen. Schon Lefebvre selbst beklagt die Praxis einzelner Disziplinen, die räumliche Praxis und die Räume der Repräsentation nur mangelhaft mit den Repräsentationen des Raumes in Beziehung zu setzen, räumt allerdings die schwierige Unterscheidung vor allem zwischen den Repräsentationen des Raumes und den Räumen der Repräsentation ein (vgl. Lefebvre 4 2000, S. 52).

Der post/koloniale Raum Indochina TOPOGRAPHIE ALS RÄUMLICHE PRAXIS Topographie als räumliche Praxis versteht Topographie als ein Produkt der Kultur. Diese wird wiederum durch erworbene und tradierte Kulturtechniken des Raums produziert. Zu diesen Kulturtechniken des Raums gehören all jene mit dem Körper und den Körperextensionen vollzogenen Handlungen. »Topographien sind Raumtechniken, durch die sich Kulturen verkörpern, abgrenzen, stabilisieren und ihren materiellen Stoffwechsel sowie ihren symbolischen Austausch organisieren.« (Böhme 2005, S. XXI) Der auf diese Weise organisierte Raum ist nicht nur eine Verzeichnung, sondern auch eine Vorzeichnung, das heißt, er ist eine Darstellung von etwas, das bereits existiert und das durch die Darstellung erst hervorgebracht wird (vgl. Böhme 2005, S. XIXf.). Für die kulturelle Organisation eines sich als geschlossen verstehenden Raums sind diese topographischen Kulturtechniken essentiell. Indochina steht als Synonym für eine Staatengemeinschaft, deren Identität erst durch den Einfluss der französischen Kolonialmacht konstruiert wird. Die Kulturtechnik der Topographie, die Einschreibung französischer Herrschaftsstrukturen auf der südostasiatischen Halbinsel, bringt neue räumliche Codes einer kolonialen Kultur hervor, deren Summe als ›Indochina‹ bezeichnet wird. Die französische Kolonialherrschaft greift für die Schaffung eines Hand-

3

Robert Stockhammer formuliert in der Einleitung seines Sammelbandes

TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen (2005) seinen Ansatz als Übergang von Repräsentationen des Raums in Räume der Repräsentation (vgl. Stockhammer 2005, S. 20).

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur lungsraums auf Kulturtechniken des Raumes zurück, mit denen sie den durch Deleuze und Guattari definierten glatten Raum des Nomaden, der Ereignisse, der Sinne in einen gekerbten Raum des Sesshaften, des Staatsapparates und der Maßeinheiten überführt (vgl. Deleuze/Guattari 2006, S. 434-440). Durch die räumliche Praxis der topographischen Einschreibung schafft die französische Kolonialherrschaft in dem als terra nullius betrachteten Raum der indochinesischen Halbinsel eine kulturelle Organisation. Der Mythos der terra nullius dient dabei ausschließlich der Legitimation einer kolonialen Mission. Tatsächlich ist der in der postkolonialen Forschung so oft zitierte ›leere Raum‹ nur eine »Arbeitsfiktion«, die den kolonialen Raum zwar als unbesiedelt beschreibt, keineswegs allerdings als kulturell unbearbeitet versteht (vgl. Honold 2005, S. 140). Gerade in seiner südostasiatischen Kolonie versucht Frankreich, die kolonialen Verräumlichungsstrukturen4 im steten Wechselspiel mit und in Anerkennung der präsenten Kulturen, Traditionen und natürlichen Gegebenheiten zu konstruieren. Die historischen Akteure der kolonialen Eroberung verwenden verschiedene Strategien, um eine koloniale Verräumlichung zu schaffen, die das als Chaos empfundene eroberte Territorium organisieren und so Orientierungslosigkeit und Identitätskrisen seitens der kolonialen Eroberer verhindern sollen. Der eroberte Raum muss markiert werden, damit Bewegung möglich wird und aus dem fiktiv angenommenen ›leeren‹ Territorium ein Handlungsraum geschaffen werden kann, über den koloniale Macht- und Kontrollfunktionen ausgeübt werden können. Im kolonialen Indochina erfolgt die Markierung u.a. über die politische Organisation als Zentralstaat, die Namensgebung, die Zeichnung von militärischen Karten, die Schaffung einer Infrastruktur, die Einführung einer europäischen Schrift und durch ein elaboriertes Bildungs- und Forschungswesen. Der post/koloniale Raum Indochina umfasst jenen Raum, der sich aufgrund historischer Wechselbeziehungen zwischen Frankreich und Indochina sowie dessen postkolonialen Nachfolgestaaten gebildet hat. Sowohl die Beschaffenheit der französischen Metropole als auch jene ihrer südostasiatischen Kolonie ist von jenem Verhältnis geprägt, für das Shalini Randeria mit dem Begriff der »geteilten Geschichten« eine Neukonzeptualisierung der Beziehungen zwischen westlichen und nichtwestlichen Gesellschaften entworfen hat (vgl. Randeria 1999, S. 90-92). Anstatt Kulturen als getrennte und geschlossene Einheiten aufzufassen und die Bedeutung historischer

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Dieser von Geppert/Jensen/Weinhold eingeführte, akteurszentrierte und relative Begriff bezeichnet jene Praktiken, mit denen Individuen räumliche Bezüge und Raummuster herstellen (vgl. Geppert/Jensen/Weinhold 2005, S. 208).

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Cinéma Indochina Interaktionen und Austauschprozesse für ihre Entwicklung zu negieren, wählt Randeria für die Beschreibungen der historischen Verknüpfungen den literaturwissenschaftlichen Terminus der Intertextualität, um die traditionelle Rhetorik des Einflusses und der Ausbreitung abzulösen. Diese Perspektive stellt »einen Versuch zur Überwindung der Dichotomie zwischen ›traditionellen‹ und ›modernen‹ Gesellschaften dar, der die verwobene Geschichte der Moderne in westlichen und nichtwestlichen Gesellschaften thematisiert, ohne hierbei die historischen Besonderheiten und wechselseitigen Abhängigkeiten aus dem Auge zu verlieren.« (Randeria 1999, S. 91) Im Fall des post/kolonialen Wechselverhältnisses zwischen Frankreich und Indochina bedeutet dies nicht nur die Ausbeutung der natürlichen und humanen Ressourcen der Kolonie seitens der Metropole, sondern auch die Nutzbarmachung der Kolonie als »Versuchslabor der Moderne«, in der wissenschaftliche, architektonische und administrative Ideen erprobt und durchgeführt werden (vgl. ebd., S. 93). Im Gegenzug stammen ideologische Grundlagen der nationalen Befreiungsbewegungen Indochinas aus Frankreich. Studenten aus der Kolonie – wie der spätere Ho Chi Minh – treffen dort auf gesellschaftspolitische Theorien, die bei ihrer Rückkehr die Basis für ihre Unabhängigkeitsbestrebungen darstellen.

LA PERLE D’EXTREME-ORIENT, EINE MODELLKOLONIE? Die ersten französischen Interventionen auf der indochinesischen Halbinsel erfolgen 1858 unter der Herrschaft Napoleons III., der unter dem Vorwand des freien Handels und des Schutzes christlicher Missionare französische Truppen entsendet.5 Jules Ferry, genannt Le Tonkinois, führt die von Francis Garnier 1873 begonnene Eroberung des Tongking zu Ende.6

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»Pour l’Eglise, cette option coloniale est vitale, elle répond aux graves difficultés que rencontre son action dans les sociétes de la nouvelle Europe industrielle: crise de la foi, menaces sur l’État pontifical, détérioration de l’alliance avec le régime impérial à partir de la guerre d’Italie de 1859, montée de l’anticléricalisme républicain.« (Brocheux/Hémery ²2001, S. 29)

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Als Politiker engagierte sich Jules Ferry nicht nur für eine Reform des Bildungswesens, sondern vertrat auch die koloniale Expansion vehement. Er konnte seine Landsleute zunächst jedoch von der Notwendigkeit einer Eroberung des Gebietes in Südostasien nicht überzeugen. In Frankreich entstand eine Polemik zwischen der Minderheit der Befürworter der kolonialen Expansion und der Mehrheit der Gegner. Die Eroberungsstrategie Ferrys stieß damals beim Großteil der Politiker noch auf Unverständnis. Nach einer Hetzkampagne der Presse im Anschluss an die retraite de Lang Son (März 1885), bei der das französische Expeditionskorps einen Rückschlag erlitt, wurde Ferry gestürzt.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Erst 1887 erfolgt die Gründung der französischen Indochinesischen Union, bestehend aus der Kolonie Cochinchina (Nam Bom erobert 1858-1867), dem Kaiserreich Annam-Tongking, Protektorat seit 1883/84, dem Königreich Kambodscha, Protektorat seit 1897, und dem seit 1893 als Protektorat geführten Laos, einem Territorium aus mehreren Fürstenhäusern. Cochinchina ist dabei das einzige als Kolonie geführte Gebiet, das von einem von Frankreich eingesetzten Gouverneur verwaltet wird. Kambodscha, Laos sowie Annam und Tongking werden als Protektorat gegenüber Siam – dem heutigen Thailand – geführt, d.h. diese Regionen besitzen einen eigenen Souverän, stehen aber unter französischer Vormundschaft. Die Monarchien Indochinas bleiben Schattenregierungen, denen das Kolonialministerium und der Generalgouverneur vorstehen. Während Kambodscha und Laos ihre Namen und ihre nationalen Grenzen nicht aufgeben müssen, negiert die Kolonialmacht die nationale Einheit Vietnams, die es 1802 unter dem Kaiser Gia Long erreicht hatte, indem es das Territorium in drei Gebiete teilt: Cochinchina mit der Hauptstadt Saigon, Tongking mit der Hauptstadt Hanoi und Annam mit der Hauptstadt Hué. Paul Doumer führt während seiner Amtszeit als gouverneur général von 1897-1902 die Verwaltung in Indochina in Form eines Zentralstaats nach französischem Muster mit Sitz in Hanoi ein. Die europäische Minderheit – maximal 34.000 Franzosen lebten unter 22.655.000 Autochthonen7 – lebt vor allem in den Städten und in den Küstenregionen. Das Landesinnere, Laos und Kambodscha werden kaum von Franzosen bewohnt. Der Großteil der in Indochina residierenden Franzosen sind Beamte, Militärangehörige oder Plantagenbesitzer, oft in Begleitung ihrer Familien (vgl. Férier 1993, S. 10). Die ethnische Zugehörigkeit bestimmt den sozialen Status, nicht Reichtum oder Bildungsstand, die europäische Minderheit behält die hierarchische Oberhand. Der durch die kolonialen Verzeichnungen geschaffene Aktionsraum nutzt die innerethnischen Spannungen als Basis für eine als einheitlich imaginierte Kolonie. Conquérir, pacifier et protéger sind die Stichworte der klassischen französischen Kolonialpolitik für Indochina. General Joseph Gallieni verfolgt für die Befriedung Tongkings vor allem zwei Strategien. Die Taktik der tache d’huile verlangt, dass neue Gebiete erst dann erobert werden dürfen, wenn bereits erworbene Gebiete befriedet worden sind. Die Politik diviser pour regner bzw. die politique des races instrumentalisiert die Widersprüche und Konflikte innerhalb der Gesellschaft für ihre eigenen Zwecke. Die indigenen Autoritäten werden in die Eroberung

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Im Vergleich: In Algerien lebten 1954 eine Million Europäer und neun Millionen Autochthone.

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Cinéma Indochina eingebunden, ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung auch mit Waffen ausgestattet. Die Karte ist dabei als Hilfsmittel dienlich. »Un officier qui a réussi à dresser une carte ethnographique suffisamment exacte du territoire qu’il commande est bien près d’avoir obtenu la pacification complète. […] S’il y a des moeurs et des coutumes à respecter, il y a aussi des haines et des rivalités qu’il faut savoir démêler et utiliser à notre profit, en les opposant les unes aux autres.« (Gallieni, zit. nach Brocheux 2003, S. 354)

Auswirkungen dieser Politik finden sich während des 20. Jahrhunderts noch in den Konflikten und Kriegen der postkolonialen Nachfolgestaaten, die ihre Wurzeln ebenfalls in der Betonung von kulturellen und ethnischen Differenzen innerhalb der Bevölkerung haben (vgl. Brocheux 2003, S. 354). Der Name Indochina bezeichnet einerseits einen geographischen Ausdruck für die zwischen Indien und China gelegene südostasiatische Halbinsel, andererseits die politische Einheit, die der Kolonialstaat Frankreich 1887 mit der Union indochinoise gegründet hat. Die Bezeichnung der Kolonie mit dem ursprünglich mit Bindestrich geschriebenen Namen Indo-Chine erinnert daran, dass die Region als eine Übergangsregion ohne eigene Identität betrachtet wird, deren Kulturen als Abweichungen der Kulturen Indiens und Chinas gelten. Konrad Malthe-Brünn, ein dänischer Geograph im Dienste Napoleons, hatte 1804 beinahe zeitgleich mit dem schottischen Philologen und Linguisten J. Leyden den Begriff Indo-Chine eingeführt, den er im Jahre 1813 als geographisches Konzept einschreibt. »Cette région ne porte aucun nom généralement reconnu. On la désigne quelquefois sous le nom de presqu’île au-delà du Gange, et, pourtant, ce n’est pas à proprement parler une péninsule. Plusieurs géographes l’ont nommée ›Inde extérieure‹; cette dénomination est plus caractéristique que la première. Mais, comme ces pays ont été quelquefois soumis à l’empire de Chine, et comme la plupart des peuples qui les habitent ressemblent beaucoup aux Chinois, soit par la physionomie, la taille et le teint, soit par les moeurs, la religion, le langage, nous avons proposé, il y a plusieurs années, de désigner cette grande région du globe sous le nom nouveau, mais clair, expressif et sonore, d’ ›Indo-Chine‹.« (K. Malthe-Brünn, zit. nach Brocheux ²2001, S. 12)

Die metaphorischen Benennungen der Region als Perle d’ExtrêmeOrient, als France d’Asie oder als balcon français sur le Pacifique (Albert Sarraut) betonen den Vorbildcharakter der Kolonie innerhalb des französischen Kolonialreichs und führen die Negierung einer eigenen Identität fort, die nun durch ihre Beziehung zur französischen Metropole definiert wird. Indochina ist keine Siedlerkolonie, sondern eine Kolonie der Ausbeutung (colonie d’exploitation). Die Metapher der Perle betont ihren Wert und ihren Nutzen für die Met20

Topographien einer post/kolonialen Filmkultur ropole, der Eroberungsgedanke gilt vor allem wirtschaftlichen und finanziellen Interessen. Frankreich entwickelt kaum neue Industrie in Indochina, sondern beutet vor allem die bereits produzierten Waren in großem Maße aus. Die Region ist reich an Bodenschätzen wie Kohle, an landwirtschaftlichen Produkten wie Reis, Tee, Kaffee und Pfeffer sowie dem Latex produzierenden Wolfsmilchgewächs Hevea. Diese Produkte werden von billigen qualifizierten Arbeitskräften großteils für die Ausfuhr nach Frankreich und den Export erwirtschaftet.8 Die Produktionsformen der Kolonialherrschaft steigern die Ausfuhr von Reis, Indochina wird zum weltweit zweitgrößten ReisExporteur. Kautschuk dient den Bedürfnissen der Fahrradindustrie sowie der vor allem in den USA aufkommenden Automobilindustrie der 30er Jahre. Michelin besitzt eigene Hevea-Plantagen, und im Norden der Kolonie werden in den Minen Kohle und Metall abgebaut. Die Namensgebung nach französischen Wertvorstellungen findet sich auch in den Bezeichnungen von Straßen und Bauwerken der Kolonie wieder, die für die Besiegten oft eine erniedrigende Wirkung gehabt haben muss. Die rue Cantinat, die breite Prachtstraße Saigons, ist nach dem Begleitschiff benannt, das als erstes das von den Franzosen Tourane benannte Na Dang bombardiert hat. In einem Plan Hanois aus den zwanziger Jahren finden sich in den Straßennamen all jene Namen wieder, die die koloniale Struktur Indochinas geprägt haben: darunter die rue Paul Bert, der boulevard Gambetta, der boulevard Félix Faure und die avenue Paul Doumer (vgl. Ruscio 1996, S. 160). Auch Bauwerke französischer Tradition prägen die Stadtbilder der Kolonie, so wurde die rosafarbene Kathedrale Saigons als Kopie der Kathedrale von Chartres errichtet. Das französische Interesse an Indochina war schon im 19. Jahrhundert davon bestimmt, ein Gegengewicht zu dem von England besetzten Indien zu schaffen. »Faire de Saigon un Singapour«, schlägt der Präsident der Handelskammer von Marseille 1859 vor. England hatte mit Ceylan (1813) und Singapur (1819) wichtige strategische Orte besetzt. Tongking scheint das Sprungbrett zu dem viel versprechenden chinesischen Markt zu sein, den sich wichtige französische Industrie- und Finanzgruppen als Einflussgebiet sichern möchten. Die Konstruktion von Infrastruktur wie Eisenbahnstrecken, Straßen und Hafenanlagen spielt dabei eine konstitutive Rolle. Dieses als programme Doumer bezeichnete Infrastrukturnetz sollte als Werkzeug für die Eroberung Chinas dienen, aber auch die ländlichen Gegenden in die neu gegründeten Industrialisierungs-

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Ein regionaler Handel existierte bis zur Weltwirtschaftskrise 1929, ab diesem Zeitpunkt überholte die Zufuhr zum Kernland die intraregionalen Ströme.

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Cinéma Indochina zentren und in den Außenhandel einbeziehen (vgl. Brcheux/Hemery ²2001, S. 127). Durch ihren besonderen Status als Kommerzbank (banque commerciale), Handelsbank (banque d’affaires) und Finanzgesellschaft (societé financière) kontrolliert die 1875 gegründete Banque de l’Indochine (BIC) die Wirtschaft Indochinas. Als Notenbank besitzt sie außerdem das Privileg, die Piaster, die Währung der Kolonie, auszugeben. »Ce monde des campagnes est dominé par les villes où règne la piastre qui demeure la clé du pouvoir. La ville de Saigon est l’exemple type de la ville pourvoyeuse de piastres. Cette monnaie se négocie dans les banques les plus renommées aussi bien que dans les officines les plus suspectes: elle est brassée par les Européens, les Vietnamiens, les Chinois; elle sert de référence pour évaluer la place de l’individu dans la société et détermine son pouvoir. Elle sert bien entendu à maintenir ou à encourager la francophilie des élites locales, mais elle sert aussi pour d’autres à encourager les mouvements hostiles au colonialisme.« (Férier 1993, S. 14)

Edward Said hat in Anschluss an Michel Foucault deutlich gemacht, dass die westliche Wissensordnung kein Instrument neutraler und wissenschaftlicher Beschreibung, sondern von den Mechanismen der imperialistischen Machtausübung nicht zu trennen ist. Akademische Disziplinen entwickeln sich als Begleiterscheinung der kolonialen Expansion und werden für die Beibehaltung und Festigung der Dominierung instrumentalisiert. Wissenschaftliche Expeditionen tragen dazu bei, die ›neue Welt‹ in eine europäische Ordnung zu integrieren und auf diese Weise verfügbar zu machen. Auch in der französischen Kolonie Indochina wird Wissen und Wissenschaft zu einem Kontrollmechanismus. In der Entwicklung einer europäisierten Schrift für die Kolonie Indochina, die die chinesischen Ideogramme ablösen sollte, sah Frankreich eine Gelegenheit, die traditionelle Verbindung mit der chinesischen Kultur zugunsten einer Annäherung an die französische aufzulösen. Alexandre de Rhodes, ein Jesuitenpfarrer, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts aus Avignon stammend im Namen des Papstes das Gebiet des heutigen Vietnams bereist, beginnt mit der Entwicklung des quôc-ngu, der Übertragung der vietnamesischen Sprache in lateinische Lettern, indem er sich auf Übertragungsversuche des Chinesischen stützt. Vietnamesisch ist heute die einzige Sprache im Fernen Osten, die ihre Zeichenschrift durch lateinische Buchstaben ersetzt hat. Auch das in Indochina etablierte Bildungswesen stellt einen Mechanismus für die Ausbreitung der französischen Doktrin in der kolonialen Peripherie dar. Während in der Anfangszeit der Kolonialisierung der Assimilationsgedanke im Vordergrund stand, der aus 22

Topographien einer post/kolonialen Filmkultur den Kindern Indochinas französische Bürger machen sollte, veränderte man in Anerkennung der alten asiatischen Bildungstraditionen – das neben dem französischen Schulsystem bestehende konfuzianische Bildungswesen wurde als Bedrohung für die französische Hegemonie betrachtet – das bildungstheoretische Prinzip zugunsten eines enseignement franco-indigène. Durch den von Albert Sarraut eingeführten Code de l’Instruction publique (1917) mussten die Regionen Indochinas der Kolonialmacht vollständig die Erziehung der autochthonen Kinder überlassen, die bisher zwischen dem traditionellen Bildungswesen und dem französischen Schulsystem wählen konnten. Sowohl auf sprachlicher Ebene – durch den Unterricht in den Sprachen der Länder der indochinesischen Union – wie auch auf inhaltlicher Ebene – durch die Propagierung indigener Werte und Traditionen – findet in Indochina eine Indigenisierung des Schulsystems statt. Den Kolonisierten wird so die Superiorität des Kolonialherren vermittelt und gleichzeitig der Zugang zur französischen Kultur gegängelt (vgl. Ha 2003). Die Abschaffung des konfuzianischen Schulsystems (1919), die die letzten Bande mit dem chinesischen Modell auflöst, mit dem die indochinesische Kultur verbunden war, wird von den Gelehrten ebenso wie die Einführung des quôc-ngu als Angriff auf die nationale Identität gewertet. Das Bildungswesen ist auch ein Beispiel für Wechselwirkungen der kolonialen Begegnungen auf Europa, deren Kenntnis auf die Forschungsarbeiten einer histoire croisée zurückgeht. Die Kolonien fungierten nicht nur als Empfänger der Errungenschaften der Metropole, sondern auch als Experimentierfeld für strategische Reformen, die in Europa noch auf Widerstand stießen (vgl. Conrad/Randeria 2002, S. 26f.). Das in Indochina etablierte Schulsystem stellt nicht nur ein koloniales Steuerungsinstrument dar, sondern erlaubt auch das Ausprobieren neuer Wege in der Pädagogik, die man in Frankreich (noch) nicht durchsetzen konnte (vgl. Léon 1991, S. 254f.). Während sich in den 40er und 50er Jahren das Bildungswesen in den anderen französischen Kolonien immer mehr den Strukturen der Metropole anpasste, fand dieser Assimilationsprozess in Indochina nicht mehr statt. Am 20. Januar 1900 wird die im Jahr 1898 in Saigon gegründete Mission archéologique d’Indochine zur École française d’Extrême Orient und verlegt ihren Sitz nach Hanoi. Dieser wissenschaftliche Arm der kolonialen Unternehmung ist eine Struktur, die der EinSchreibung der eroberten Region auch einen institutionellen Rahmen zur Verfügung stellt. Das Forschungsinstitut hat neben der archäologischen Exploration, der Sammlung von Handschriften, den Konservierungs- und Renovierungsarbeiten von Bauwerken und Monumenten auch die linguistische Erforschung der Sprachenvielfalt der Indochinesischen Union zur Aufgabe.

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Cinéma Indochina Der französische Staat war von Beginn an auch darum bemüht, seine koloniale Unternehmung mit einem naturwissenschaftlichen Rahmen zu versehen. Wissenschaftliche Experten aus dem Kernland werden nach Indochina entsandt, um dort spezifische Missionen auszuführen und die Rentabilität für die Metropole zu fördern. Forschungsinstitute wie das Institut Pasteur werden gegründet. Systematische Impfkampagnen gegen Malaria, Cholera und Pocken beginnen 1878 mit dem Ziel, die koloniale Industrie mit robusten, gesunden Arbeitskräften zu versorgen. Die Verbesserung des Gesundheitssystems hatte ein starkes Bevölkerungswachstum zur Folge, was vor allem im Deltatal Tongkings und in Nord-Annam zu Migrationsbewegungen in Richtung der Städte führte. Durch die topographischen Einschreibungen wird Indochina als Modellkolonie repräsentiert. Dieses Image wird selbst durch die Aufstände, die vor allem in den 30er Jahren in weiten Teilen der Kolonie stattfinden und den 1945 beginnenden Kolonialkrieg nicht beeinträchtigt. Wahrscheinlich ist, dass gerade das Festhalten an der Kolonie als »Illusionsheterotopie«, die Foucault als »espace d’illusion qui dénonce comme plus illusoire encore tout espace réel, tous les emplacements à l’intérieur desquels la vie humaine est cloisonnée« definiert, für das Scheitern der kolonialen Unternehmung Frankreichs in Südostasien verantwortlich ist (Foucault 1994 [1967], S. 761). Dass es sich bei der Perle d’Extrême-Orient um eine Illusion handelt, wird der französischen Kolonialverwaltung erst nach der Niederlage bei der Schlacht von Dien Bien Phu im Mai 1954 bewusst, der zahlreiche französische Soldaten zum Opfer fallen. Trotz der topographischen Einschreibung, als welche die militärische Festung in Dien Bien Phu bezeichnet werden kann, hält Frankreich den Angriffen der Vietminh nicht stand. Indochina wird zu einem Verdun de la brousse, zu einem Raum des Chaos, der selbst durch hohen finanziellen und militärischen Aufwand nicht mehr in die gewünschte Ordnung überführt werden kann. Nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft finden sich Indochinas Nachfolgestaaten als Länder der Revolutionskriege und als Schauplatz des Kalten Krieges in die internationalen Karten eingeschrieben. Durch den Fall der südostasiatischen Kolonie erhalten die Unabhängigkeitsbewegungen in den afrikanischen Kolonien moralische und ideologische Unterstützung (vgl. Ruscio 2004). De Gaulle spricht sich in seiner Rede von Phnom Penh von 1966 ausdrücklich gegen eine amerikanische Intervention in Vietnam aus, für die französische Studentenbewegung der späten 1960er Jahre wird der Widerstand gegen den Krieg der USA zu einem ihrer wichtigsten Anliegen. Ihre Bewunderung und Unterstützung gilt der nationalistisch-kommunistischen vietnamesischen Guerillabewegung.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur

Der Raum erzählt den Film TOPOGRAPHIE ALS REPRÄSENTATION VON RAUM Im Film artikuliert sich Räumlichkeit über narrative und visuelle Prozesse, mit denen Räume repräsentiert und konstruiert werden. Nimmt man als Untersuchungsobjekt die filmischen Räume des post/kolonialen Indochinas an, dann entsprechen diese nicht der Abbildung eines ›realen Raums‹, d.h. sie werden durch den Film nicht einfach repräsentiert oder nachgestellt, sondern durch ihn mittels intentionaler Strategien konstruiert. Nach Lefebvre wird eine Repräsentation des Raumes durch die räumliche Wahrnehmung historischer Akteure entworfen. Diese verarbeiten ihre räumliche Wahrnehmung kulturell-ästhetisch und produzieren auf diese Weise eine Erzählung des Raums. Topographie als Repräsentation von Raum bezeichnet das Verhältnis zwischen einer im Raum verkörperten Instanz – die in einem filmischen Kontext vom Filmemacher übernommen wird –, die diesen in Bezug zur Natur und zu seiner Umgebung künstlerisch verarbeitet, und einer einem bestimmten System inhärenten Struktur aus wissenschaftlichen, ideologischen und hierarchischen Codes. Die Topographie als Repräsentation des Raums entsteht durch das Zusammenwirken dieser beiden Ebenen. Vor allem die Cineasten selbst, darunter Sergej Eisenstein und Eric Rohmer, haben sich theoretisch mit dem Raum des Films beschäftigt.9 Damit zählen sie allerdings zu einer Minderheit, denn der Raum des Films ist ein bisher vernachlässigter Bereich der filmtheoretischen Forschung. Obwohl die Existenz des Raums für den Film grundlegend ist, sind wesentliche Fragen seiner Definition noch offen. Der Versuch, den Raumbegriff für den Film in exakt definierte Begriffsmuster zu stellen, ist problematisch. Die Räume des Films und die Räume im Film sind vielfältig.10

Eisenstein, Sergej: Le film: sa forme/son sens, Paris (1949)1976 und Maurice Schérer (Eric Rohmer): L’organisation de l’espace dans le ›Faust‹ de Murnau, Paris 1977. 10 L’espace au cinéma (1993) stellt einen der wenigen Versuche einer Synthese der Beziehungen zwischen Raum und Film dar. André Gardies unterscheidet darin den Raum, der innerhalb des räumlichen Dispositivs des Kinos entsteht – den kinematographischen Raum (Christian Metz) – , den filmischen Raum, der mit technischen Termini wie champ, hors-champ, grand-champ beschrieben wird, den diegetischen Raum, der der Geschichte zugehörig ist und von ihren Figuren etabliert wird, und den narrativen Raum, der durch die filmische Erzählung entsteht und untersucht, wie und wodurch sich der Raum am Erzählvorgang beteiligt. 9

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Cinéma Indochina Die filmische Narratologie unterscheidet in Anlehnung an die von der Neuen Kulturgeographie im Anschluss an David Harvey entwickelten Raumkonzepte innerhalb der raumbezogenen Begriffe zwischen Ort, Raum und Landschaft. Analog zu den Begriffen Saussures der langue und der parole unterscheidet André Gardies für den narrativen Raum des Films zwischen espace (Raum) und lieu (Ort). Der Ort ist ein Fragment des Raums, und der Raum besteht aus einem Gefüge von Orten, welches als Territorium des Films bezeichnet wird (vgl. Goliot 2002, S. 20). Während der Ort als Element der Äußerung (énoncé) klar ersichtlich und beschreibbar ist, ist der Raum ein Element der Äußerungsinstanz (énonciation) und somit verborgen und virtuell (vgl. Gardies 1993, S. 71f.). Der Raum ist ein Element der Erzählung, jenes narrativen Textes, der der Geschichte ihre Gestalt gibt und auf einen Erzähler verweist. Er unterscheidet sich damit vom Begriff des Ortes, der die physikalischen und mathematisch messbaren Formen von räumlichen Dimensionen definiert und kartographisch dargestellt werden kann. Der Ort ist ein Element der Geschichte und bezeichnet die topologische Position, in der sich die Darsteller situieren und in der die Ereignisse stattfinden. Die dem Begriff Landschaft zugeschriebenen semantischen Konnotationen – Beherrschung (domination), Umfang (ampleur) und Verschiedenheit (varieté) – verweisen auf ihre enge Beziehung zum Blick, durch den sie laufend definiert und Veränderungen unterworfen wird (vgl. Gardies 1999, S. 143). Der Begriff der Landschaft bezieht sich in der filmischen Narratologie also nicht ausschließlich auf die Natur und die Provinz, den Gegensatz zur Stadt, sondern bezeichnet das Erzählen des Raums durch eine narrative Instanz. Die Landschaft wird durch die narrative Instanz produziert, die ihren Blick auf einen Ort bzw. Raum im Film vermittelt, indem sie diese fokalisiert. Sie ist das, was man vom Land durch den Filter der Erinnerung, der Kultur und der Kamera sieht, eine individuelle Interpretation des Sichtbaren (vgl. Landrieux 2001, S. 5). Die Landschaft des Films kann allerdings nicht untersucht werden, ohne die Figuren miteinzubeziehen, die diese Landschaft durchwandern. Eine Analyse der Landschaft beschäftigt sich also auch mit der Analyse des Körpers im Raum. Das filmische Korpus des post/kolonialen Indochinas spiegelt die Schichten einer verflochtenen Geschichte wieder, in der die Landschaft als Medium für die Darstellung bestimmter gesellschaftspolitischer Inhalte fungiert und eine kulturhistorische Perspektive übermittelt. Die »solchermaßen emanzipierte Landschaft [wird] zu einem Kommunikationsmittel: weg von der Kulisse, hin zu einem ständig wandelbaren ›Ortsgefühl‹, das den Raum sichtbar macht und selbst erzählen lässt« (Pichler/Pollach 2006, S. 33). André Gardies hat für den Spielfilm sechs Erscheinungsformen der

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Landschaft skizziert, die als Ausgangspunkt für eine Erfassung und Darstellung dieser ›wandelbaren‹ Formen und Funktionen der filmischen Landschaft in einem heterogenen Filmkorpus gelten können (vgl. Gardies 1999, S. 144ff). Nach Gardies erscheint die Landschaft am häufigsten als paysage-fond, als Hintergrundbild, das der referentiellen Verankerung der diegetischen Welt dient. Ob diese Landschaft nun im Studio nachgestellt wird oder auf Aufnahmen aus der Natur beruht, ist für diese Funktion nicht wesentlich, »le paysage doit être vrai, du moins doit produire le sentiment de sa propre vérité« (Gardies 1999, S. 145). Auf einen Terminus von Christian Metz greift Gardies zurück, um den vor allem vom US-Kino zur Vollkommenheit ausgeführten paysage-exposant zu skizzieren. In dieser Funktion wird die Landschaft durch formale Mittel hervorgehoben, sodass sie sich in ihrer spektakulären Form zeigen kann. Die Interaktion zwischen der Landschaft und ihren Figuren bestimmt die folgenden vier Funktionen. Als paysage-contrepoint definiert Gardies eine Landschaft, die als Gegner der Protagonisten fungiert. Diese häufig in der Komödie verankerte Funktion verdeutlicht den Kontrast zwischen den Figuren und der Landschaft, der es den Figuren gleichsam unmöglich macht, sich mit ihr zu vereinen (entrer en phase). Die stärkste Verbindung der Landschaft mit den Menschen findet sich in dem paysage-expression, der Seelenlandschaft, in der sich die Gefühle der Figuren in der Landschaft spiegeln. Im paysage-catalyse wird die Landschaft zur Agentin einer Transformation der Protagonistinnen, sie ist ein Bestandteil der Diegese und kann ein anderes diegetisches Element verändern. Im paysage-drame besitzt die Landschaft eine narrative Funktion und wird zum Teil der diskursiven Strategien des Films. Innerhalb eines post/kolonialen Filmkorpus wird der Raum in der Regel selbst zu einem Handlungsträger, indem er die erzählte Welt beeinflusst, welche sich schließlich der Darstellung des Raumes unterordnet. Der Raum ist nicht Kulisse, sondern ein Handlungsträger, der eine eigene Erzählung produziert und so in die dramatische Inszenierung des Films eingreift. Er wird explizit dargestellt, nicht, weil in ihm eine Handlung stattfindet, sondern weil mit ihm eine Handlung durchgeführt wird (vgl. Bal ²1999, S. 136).

WER ERZÄHLT DEN RAUM IM FILM, WIE ERZÄHLT DER RAUM IM FILM? Untersucht man die Reflexion und Ausgestaltung von Verortung in einem post/kolonialen Filmkorpus (Topographie als Repräsentation von Raum) und nicht deren narrativen Inhalt (Topographie als Raum der Repräsentation), muss die Art und Weise des Erzählens (narration) im Zentrum stehen, jener Akt, der die Erzählung hervorbringt (vgl. Genette 1972, S. 72). Genette beruft sich bei der Untersuchung

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Cinéma Indochina der narrativen Instanz im Roman auf den Sprachwissenschaftler Emile Benveniste, der diese sichtbare Beziehung zwischen den Äußerungen (énoncés) und der diese Äußerungen produzierende Instanz als énonciation bezeichnet hat. Die narrative Instanz oder Äußerungsinstanz (instance narrative/instance énonciative) bezeichnet dabei jenen abstrakten Ort, von dem aus die Erzählung und die Geschichte des Films entstehen und somit auch seine Raum- und Landschaftsbilder. »The identity of the narrator, the degree to which and the manner in which that identity is indicated in the text, and the choices that are implied lend the text its specific character.« (Bal 1999, S. 19) Dieser narrativen Instanz wird Handlungsfähigkeit zugesprochen, sie besitzt die Fähigkeit, eine Erzählung zu produzieren, indem sie bestimmte Prozesse auswählt. Während sich das klassische Kino darum bemüht, die Zeichen der énonciation in der filmischen Äußerung zu tilgen, weist in den so genannten ›Autorenfilmen‹ die narrative Instanz mit bestimmten Strategien auf ihre Anwesenheit hin, »dont il n’est pas nécessairement le fondateur, mais bien plus souvent l’utilisateur« (Aumont ³1999, S. 78). Besonders die Freiheit bei der Verwendung dieser oft konventionalisierten Strategien unterscheidet den Autorenfilm vom klassischen Kino. In zahlreichen Filmen über das post/koloniale Indochina markiert die Äußerungsinstanz die filmische Äußerung. Dieser Vorgang kann als Hinweis auf die persönliche Erfahrung und die individuelle Verarbeitung der im Film repräsentierten Raumbilder interpretiert werden. Genette hat das Eingreifen der Erzählinstanz in die Erzählung und die Geschichte als mode bzw. voix definiert. Der mode behandelt die »modalités de la représentation narrative«, als voix bezeichnet Gerard Genette die Art und Weise, wie sich das Erzählen (narration) in die Erzählung (récit) einschreibt (vgl. Genette 1972, 75-76). Im Anschluss an die Kritik an Genettes Konzept von Seiten einer kulturwissenschaftlich-subjektorientierten Narratologie, besonders in Hinblick auf dessen fehlender Unterscheidung zwischen der Sicht auf bestimmte Elemente und der Stimme, die diese Sicht verbalisiert, werden mode und voix als Metaphern gelesen und auf diese Weise als formale und ideologisch geprägte Kriterien handhabbar gemacht. Während mit Hilfe der Fokalisierung die Frage Wer nimmt wahr? (mode) beantwortet werden kann, wird die voix mit der Frage Wer spricht? in Beziehung gesetzt (vgl. Bal 1999, S. 142f). Für die Analyse des double récit filmique, der auf der bildlichen wie auf der tonalen Ebene Erzählungen produziert, ist diese Differenzierung von hohem Wert. Sie ermöglicht sowohl eine Analyse der tonalen wie auch der bildlichen Topographie als Repräsentation von Raum.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Die Semantisierung von filmischen Räumen funktioniert sowohl implizit durch die Fokalisierung11 als auch explizit durch die Stimmen des filmischen Textes. Wem die Rolle einer Stimminstanz und einer Fokalisierungsinstanz zugesprochen wird, ist dabei eine Entscheidung, die von der Äußerungsinstanz getroffen wird. Sie ist ideologisch motiviert und an der Schaffung von Textsubjekten beteiligt. Birgit Wagner bezeichnet diese Zusammenführung einer zunächst formalen Kategorie mit ihrer kulturwissenschaftlichen Praxis in der Tradition Susan Lansers als »doppelten Status« (vgl. Wagner 2006, S. 144). Fokalisierung und Stimme stellen also nicht nur formale Analysekriterien dar, sondern fungieren als »langage virtuellement créateur de fictions« (Bal 2001, S. 19). Die Fokalisierung besitzt die Fähigkeit einer ideologischen Sinnbildung, die besonders für die Analyse von Machtstrukturen im post/kolonialen Kontext deutlich zum Tragen kommt (vgl. Bal ²1999, S. 144-161). Die unterschiedlichen Aneignungsformen der filmischen Landschaft durch die Fokalisierung vermitteln spezifische mentale Repräsentationen von Raum. Den verschiedenen Aufnahmetechniken durch die Kamera können Wahrnehmungs- und Erlebnisqualitäten zugeschrieben werden. Kirsten Wagner versteht die von Michel de Certeau in seiner Theorie der alltäglichen Handlungsweisen Arts de faire (1980) skizzierten Konzepte der Karte und des Parcours als konkrete räumliche Praktiken, die jeglicher Repräsentation von Räumen vorangehen und spezifische Wahrnehmungs- und Erlebnisqualitäten transportieren (vgl. Wagner 2005, S. 191f.).12 Dem Parcours, den Wagner als Wanderung übersetzt, entspricht eine körperliche Bewegung durch den Raum. Er findet seinen elementaren Ausdruck im Gehen und ist durch multimodale Wahrnehmung, Feldperspektive, Eingebundensein in die Welt, beweglichen Standpunkt, Bewegung und Sequentialität charakterisiert. Der Karte entspricht das Sehen mit den Eigenschaften Gesichtssinn, Vogelperspektive, Distanz zur Welt, fixer Standpunkt, Stillstand und Simultaneität (vgl. Wagner 2005, S. 199). Die Karte und der Parcours besitzen demnach als Formen der 11 In jüngerer Zeit kam es zu einer Differenzierung im Umgang mit Fokalisierung. Die anfängliche Privilegierung des Sehens wird durch andere Wahrnehmungsmodi ergänzt. Die Körperlichkeit der Raumerfahrung wird nun auch durch die Vermittlung multisensorischer Wahrnehmung wie Riechen, Schmecken, Hören und Tasten verstärkt (vgl. Würzbach 2001, S. 116). Auch die Bild- und Tonspur des Films können auf diese sinnlichen Wahrnehmungen hinweisen. 12 De Certeau unterscheidet zwei Raummodelle, Ort (lieu) und Raum (espace), durch die Kategorie des Gebrauchs. Während der Ort auf einer Karte dargestellt werden kann, entsteht der Raum erst durch seine praktische Verwendung, den Parcours.

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Cinéma Indochina Fokalisierung sowohl formale wie auch politische Implikationen. Die Karte hebt die unmittelbare Einbeziehung der Rezipienten auf, sie schafft eine räumliche und symbolische Distanz, die gleichzeitig einen Überblick über die räumliche Anordnung und über den eigenen Standpunkt ermöglicht. Dies erlaubt zwar Orientierung, schließt allerdings jede unmittelbare Erfahrung aus und führt zum Illusionsbruch. Diese Wahrnehmungsqualität vermittelt die Totale. Umgekehrt geht durch die unmittelbare Einbeziehung in eine Umgebung durch eine bewegliche Kamera – Kamerafahrt oder -schwenk – jede Distanz verloren, was zu Orientierungslosigkeit führt (vgl. Wagner 2005, S. 204). Auch die Stimme kann als ideologische Praxis der filmischen Erzählung betrachtet werden. Dem doppelten Status der Stimme als Index der Repräsentation und metaphorischer Träger der narrativen Äußerung und ihrem Potential bei der Verknüpfung von formalen mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen wurde bisher vor allem von der feministischen Narratologie Rechnung getragen (vgl. B. Wagner 2006, S. 145). Im Film ist die Stimme die instance reine der Tonspur. Sie ist jene Instanz, die die anderen Geräusche hierarchisiert und die Mehrdeutigkeiten der visuellen Äußerung reduziert. Als Forschungsobjekt war die Stimme im Film lange Zeit marginalisiert und ist erst durch psychoanalytische und feministische Ansätze wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. In der Tat wurde angesichts des so erwünschten und dann als gegeben hingenommenen Realitätseindruck des Films vergessen, dass der Ton keine natürliche Gegebenheit des Films ist, sondern eine »poétique ›techno‹« darstellt, die dem Bild von Beginn an hinzugefügt wurde (vgl. Bal 2001, S. 14).13 Für die Filmtheorie ist bei der Analyse der Stimme die zentrale Frage jene nach dem Verhältnis zwischen der Quelle des Tons (source sonore) und der Repräsentation seines Ausdrucksortes (émission du son). Machtverhältnisse werden über ein Stimmregime wiedergegeben, das die Zuordnung der Stimme zu einem Körper möglich oder unmöglich macht. Besonders die entkörperlichte Stimme verfügt über Überlegenheit, Wissen, Macht und Gesetz, sie gehört oft einem männlichen Sprecher (vgl. Silverman 1984, S. 131149 sowie Chions Begriff des »acousmêtre« in Chion ²1993 ). Wie die Erzählerstimme des Textes ist auch die Erzählerstimme des Films – sie charakterisiert sich durch den Rückgriff auf eine voice over – si13 The Jazz Singer (USA 1927) war der erste abendfüllende Tonfilm, d.h. der Ton wurde gemeinsam mit dem Bild aufgenommen und projiziert. In der Zeit des so genannten Stummfilms waren die Kommentare der conférenciers und der bonimenteurs, Zwischentitel, extradiegetische Musik und Geräusche für die sprachliche und tonale Einbettung des bewegten Bildes verantwortlich (vgl. Gaudreault/Jost ²2002, S. 63-71).

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur tuiert. Die Stimme ist zwar körperlos, weist jedoch auf eine eigene Persönlichkeit, eine eigene Identität hin. Roland Barthes hat durch die Rede von »le grain de la voix« auf ihre Situierung hingewiesen: »Le ›grain‹, c’est le corps dans la voix qui chante, dans la main qui écrit, dans le membre qui exécute.« (Barthes 1982, S. 243) Die Stimme ist jedoch nicht nur implizit sondern auch explizit an der Semantisierung des filmischen Raumes beteiligt. Der Begriff der Stimme (voice) wird im klassisch narratologischen Modell der Erzählinstanz zugesprochen. Unter dem Einfluss Michail Bachtins wurde es jedoch zu einer narratologischen Praxis, allen Agenten, die sich an den Leser des Textes wenden, eine eigene potentielle Stimme zuzugestehen. Diese Ausdehnung des Konzepts der Stimme ermöglicht eine qualitative und quantitative Untersuchung der Sprecher, die im Erzählprozess zu Wort kommen. Die von der Stimme transportierten Sprachen, ihre Varietäten und Übersetzungen erfüllen heterogene Funktionen, die von der Betonung der kulturellen Differenz bis zur Unterstreichung der kulturellen und sprachlichen Eigenständigkeit reichen (vgl. Birk/Neumann 2002, S. 144). Die Analyse der Erzähler- und Figurensprache gibt auch Aufschluss darüber, wer als sprechende Instanz zugelassen und in welcher Form der sprachliche Austausch in einer Erzählung wiedergegeben wird. Neben der Fokalisierung und der Stimme sind auch inter- und intramediale Verweise Verfahren der Äußerungsinstanz, denen ein doppelter Status zugeschrieben werden kann. Diese Kategorie ermöglicht eine Erschließung medial und kulturell verschiedenartiger Verweise innerhalb eines Textes. Innerhalb eines post/kolonialen Korpus wird diesbezüglich häufig die Praxis des writing backs untersucht. Das Umschreiben von Schlüsseltexten europäischer Klassiker durch postkoloniale Autoren aktiviert beim Rezipienten Deutungsmuster und Wahrnehmungsschablonen und lenkt seinen Blick auf produktive Abweichungen zu literarischen bzw. historischen Vorlagen (vgl. Birk/Neumann 2002, S. 142). Durch interund intramediale Verweise können auch im Film das kollektive Gedächtnis prägende Raumbilder verarbeitet werden. Die Verarbeitung literarischer Vorlagen, der Rückgriff auf kulturspezifische Filmgenres – wie z.B. den Western oder den Kriegsfilm – sowie Verweise auf die Filmgeschichte einer bestimmten Nation ermöglichen differenzierte Darstellungen des post/kolonialen Raums. Sie verweisen nicht nur auf gegenseitige politische und kulturelle Einflüsse, sondern verfremden oder fixieren medial transportierte imaginäre Geographien.

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DER FILMEMACHER, EIN ERZÄHLER ›GETEILTER GESCHICHTEN‹ Im Kontext der filmischen Repräsentationen des post/kolonialen Indochinas sind die historischen Akteure jene, die den post/kolonialen Raum innerhalb eines Films verarbeiten. Sie produzieren mittels einer Topographie als Repräsentation von Raum eine Topographie als Raum der Repräsentation. Die meisten Autoren der topographischen Filme über Indochina teilen die Erfahrung des displacement14, das auf die post/koloniale Beschaffenheit der sie umgebenden Welt zurückzuführen ist. Das von Shalini Randeria entworfenen Konzept der »geteilten Geschichten« (auch entangled histories) ermöglicht die Einbeziehung der Erfahrungen dieser Gruppe. Es beruht darauf, dass zentrale Erfahrungen von verschiedenen Kulturen geteilt werden, woraus sich ein Ensemble von Verflechtungen innerhalb der Geschichte ergibt (vgl. Conrad/Randeria 2002, S. 17f). Diese relationale Perspektive gesteht der Interaktion zwischen Europa und der außereuropäischen Welt eine entscheidende Rolle für die Konstituierung der jeweiligen gesellschaftlichen Realität zu. Die zweifache Konnotation des Begriffs geteilt – gemeinsam und getrennt – betont im Deutschen sowohl historische Gemeinsamkeiten wie auch Differenzen und Brüche. »Das Paradigma der Interaktion darf nicht dazu verleiten, die Reziprozität von Beziehungen zu einem Ideal von Gleichberechtigung und Äquivalenz zu stilisieren. […] Im Gegenteil: Die Mehrzahl der Kontakte erfolgte unter ungleichen Voraussetzungen, Interaktionen waren häufig hierarchisch oder gar repressiv. Die Betonung der Verwobenheit sagt zunächst noch nichts über die Modalitäten der Interaktion aus, die von erzwungener Übernahme, freiwilliger Assimilation, gewaltsamer Zerstörung bis zu wechselseitiger Umstrukturierung reichen können.« (Conrad/Randeria 2002, S. 18)

Die Elemente dieser geteilten Geschichte ergeben sich aus dem jeweiligen Forschungskontext, der von konkreten Problemen und Verbindungen ausgeht und weniger Totalitäten postuliert als vielmehr Fragmente dieser Geschichte. Die infolge der (De-)Kolonisierung entstehende Verortung von gesellschaftlichen Gruppen – kolonisierenden wie kolonisierten – kann als ein Fragment

14 Der Begriff des displacement ist in den Cultural Studies an die Stelle konventioneller Migrationskonzepte wie Exil oder Diaspora getreten, hat eine Bedeutungserweiterung erfahren und bezeichnet in diesem Kontext nun »any ethnic enclave in a nation-state that defines itself, consciously or unconsciously or because of the political self-interest of a racialized nationstate, as a group that lives in displacement«. (Mishra 1996 zit. in Birk/ Neumann 2002, S. 137)

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur dieser französisch-indochinesischen Verflechtungsgeschichte betrachtet werden. Innerhalb des Indochina und seine Nachfolgestaaten verarbeitenden Filmkorpus gibt es zahlreiche Filmemacher, die spezifische Verortungserfahrungen innerhalb des post/kolonialen Raums erlebt haben. Die Reiseerfahrungen des Lumière-Kameramannes Gabriel Veyre, die philantropische interkulturelle Begegnung des ehemaligen Offiziers des Kolonialkorps Léon Busy, Pierre Schoendoerffers und Raoul Coutards Erfahrungen als Kameraleute der französischen Armee während des französischen Indochinakriegs und als Reporter während des amerikanischen Vietnamkriegs, das Erleben eines »inneren Exils« im Zuge der die Kolonialkriege begleitenden Zensur von Filmemachern wie Alain Resnais und Jean-Luc Godard, die persönliche Kindheitserinnerung der Marguerite Duras, die Exilerfahrung diasporischer Subjekte wie Trinh Minh-ha, Tran Anh Hung und Rithy Panh stellen Fragmente einer geteilten Geschichte dar, die die gemeinsame Erfahrung des displacement in einem post/kolonialen Kontext fokussiert. Selbstverständlich sind diese Erfahrungen keineswegs homogen, sondern entsprechen den unterschiedlichen Erfahrungen der in einem post/kolonialen System lebenden gesellschaftlichen Gruppen. Diese hybriden Individuen, die der postkoloniale Diskurs auch als Grenzgänger bezeichnet, weil sie strikte Grenzen unterminieren können, zeichnen für ein spezifisches Genre verantwortlich, das die Erfahrung des displacement narrativ umsetzt. Als International Transnational Cinema (ITC) bezeichnet Hamid Naficy das filmische Genre, das die post/koloniale Verortungserfahrung von Subjekten verarbeitet (vgl. Naficy 2003, S. 203-209). Dieses wird von transnationalen Filmemachern produziert, die in transnationalen Räumen bzw. in Exilräumen verortet sind, auf die ihre dualistische Sicht auf die gesellschaftliche Realität zurückzuführen ist. »Freed from old and new constraints, they are ›deterritorialized‹. Yet, they continue to be in the grips of both the old and the new, the before and the after. Located in such a zone, they become interstitial creatures, liminars suffused with hybrid excess. […] As partial subjects and undecidable multiple objects, these filmmakers are capable of producing ambiguity and doubt about the absolutes and taken-for-granted values of their home or host societies.« (Naficy 2003, S. 208)

Die nationale Zugehörigkeit und die Art und Weise der erlebten Diasporaerfahrung ist in diesem Genre sekundär, denn »any cultural space […] is capable of generating films that inscribe at a fundamental level their markers’ station in life and their location in culture, marking their films with narrative and iconographic hybridities, doublings, and splittings« (ebd., S. 211). 33

Cinéma Indochina Die Filme des ITC sind also besonders von einer autorschaftlichen Sichtweise, politischen Zusammenhängen und bestimmten kinematographischen Praxen geprägt und müssen als cine-writing und self-narrativization gelesen werden. Auch hinsichtlich seiner Produktionsweisen folgt das Genre des transnationalen Films spezifischen Charakteristika. Die Filmemacher sind die Autoren ihrer Texte, ihre Biographie ist nicht nur implizit ihren Filmen eingeschrieben, sondern sie stellt die Basis und die Struktur ihrer Werke dar. Als Autoren sind sie verantwortlich für die Finanzierung ihrer Arbeit, oft ergibt sich diese aus Förderungen von (verschiedenen) Staaten, Institutionen und Medienanstalten. Aufgrund eines geringen Budgets übernehmen sie häufig auch Rollen in ihren Werken oder greifen auf Laienschauspieler zurück. Sie produzieren für eine marginale Öffentlichkeit, auch ihr Schaffen besteht nur aus wenigen Werken. In dem überschaubaren Filmkorpus, der von den im post/kolonialen Indochina verorteten Subjekten produziert worden ist, lassen sich zahlreiche Eigenschaften des ITC finden. Die (wenigen) Filme werden in der Regel mit geringem finanziellen Aufwand produziert, häufig greifen die Autoren auf Laienschauspieler zurück, setzten Personen als Darsteller ein, die ebenfalls auf eine Erfahrung des displacement zurückblicken oder übernehmen selbst Rollen in ihren Filmen. Auch thematisch verarbeiten diese Filme die persönlichen Erfahrungen der Autoren. Für die frühen Aktualitätenfilme Gabriel Veyres und Léon Busys gilt dies ebenso wie für die in Vietnam gedrehten und Indochina thematisierenden Kriegsfilme, darunter jener Pierre Schoendoerffers (La 317e section, 1964), der politische Episodenfilm Loin du Vietnam (1967), in dem sich die Arbeiten Alain Resnais’ und Jean-Luc Godards finden, das Familienmelodrama Hoa Binh (Raoul Coutard, 1969), das filmische Werk der Marguerite Duras wie beispielsweise India Song (1975) und nicht zuletzt auch die Arbeiten der Filmemacher aus der südostasiatischen Diaspora, Rithy Panh und Tran Anh Hung.

Filmische Geographien aus Indochina: imperial, dezentral, unsicher TOPOGRAPHIE ALS RAUM DER REPRÄSENTATION Topographie als Raum der Repräsentation zeigt, wie der Raum als Ergebnis topographischer Einschreibungen symbolisch und imaginär immer wieder neu hergestellt werden kann. Dieser Begriff beschreibt die Entstehung eines relationalen Raums, welcher sich aus

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur den affektiven und symbolischen Zuschreibungen eines darin handelnden Körpers ergibt. Die Reformierung der Raumbedeutung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zieht den heute für die europäischen Kulturwissenschaften gültigen Textbegriff des Raumes nach sich. Der Raum wird in diesem Sinne nicht mehr als Rahmen und Ausgangspunkt von Ereignissen und Erzählungen gesehen, sondern als Text, der durch eine Topographie entsteht, eine (Ein-)Schreibung eines konkreten Ortes in den Text (vgl. Weigel 2002, S. 160). Der gemeinsame Ausgangspunkt dieser Ansätze ist die Annahme eines ›realen Raums‹ – einer Topographie als räumlicher Praxis – als Thema und Voraussetzung für die Produktion narrativer Texte. Dieser ›reale Raum‹ entspricht keiner objektiv wahrnehmbaren Realität, sondern stellt spezifische Weisen der Aneignung und der Repräsentation derselben dar. Er entsteht aus einer Topographie als Repräsentation des Raums. Besonders der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte der Kolonisierung ist zu verdanken, dass sich der Raum zu einem zentralen Konzept für die Analyse kultureller Konfigurationen herausgebildet hat. Die Texte und Filme selbst sind nun Orte, die als Medium für interkulturelle Wechselbeziehungen wirken, indem sie sich selbst ver- und entorten, d.h. auf einen Ort beziehen oder sich von einem Ort distanzieren. Sie fungieren auf diese Weise als Medien einer »imaginären Geographie« (vgl. Bachmann-Medick 1996, S. 63). Dieses aus der postkolonialen Theorie nach Edward Said stammende Konzept verweist auf den Konstruktcharakter von Geographie. Said resümiert unter diesem Begriff die koloniale und imperiale Machteinschreibung in Kulturen und Landschaften, wie sie von den literarischen Texten eines orientalistischen Textkorpus reflektiert werden.15 Er sieht diese Einschreibungen vor allem strategisch-geopolitisch motiviert und drängt die daran beteiligten psychoanalytischen Mechanismen an den Rand. Als »Topographie der Sehnsucht« bezeichnet Derek Gregory bei seiner Erkundung der Saidschen imaginären Geographie Aspekte wie Angst, Sehnsucht und Phantasie, denen der Verfasser des Gründungstexts des postcolonial turn bei der Bildung einer imaginären Geographie kaum Bedeutungspotential zugesteht (vgl. Gregory 1995, S. 384). Said nimmt die imaginäre Geographie als einen abstrakten Raum an und suggeriert somit eine Übertragungsmöglichkeit auf verschiedene koloniale und neokoloniale Kontexte. In der Tat sind die imaginären

15 Das von Said eingeführte kritische Konzept des »Orientalismus« ermöglicht eine Untersuchung jenes hegemonialen Diskurses, mit dem westliche Projektionen ihre Orientvorstellungen als Form kolonialer Ideologie und in enger Verknüpfung mit Wissen und Macht einschreiben (vgl. Said 1978).

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Cinéma Indochina Geographien jedoch nicht nur durch die Macht der Metropole beeinflusst, sondern auch durch die historischen, politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Länder. Deshalb müssen die Orte, aus denen sich die imaginären Geographien des Orientalismus bilden, zwar in ihrer Partikularität erfasst, aber auch als spezifische Spatialität einer geographischen Topographie verstanden werden (vgl. ebd., S. 396). »Sie [Saids imaginäre Geographien, Anm.] können nicht einer ›wahreren und realeren‹ Geographie gegenübergestellt werden, deren objektive Fixierung – zum Beispiel – durch die naturwissenschaftlichen Technologien enthüllt wird, weil diese Technologien immer und überall TechnoKulturen sind: Sie sind ebenfalls in distinkte Regime (und Geographien) der Wahrheit eingebettet, und ihre Repräsentationen sind ebenso partiell und situiert (Herv. i.O.).« (Gregory 1995, S. 419f)

Imaginäre Geographien sind also gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen von Landschaften und Orten, die subjektiv aufgeladen und mit spezifischen Werten, historischem Gedächtnis und Gefühlen assoziiert werden (vgl. Bachmann-Medick 1996, S. 71). Etwas verallgemeinernd kann gesagt werden, dass die Literaturwissenschaft bei diesen Verarbeitungen von interkulturellen Begegnungen bisher vor allem zwischen einer Täter- und einer Opferperspektive unterschieden hat. Edward Said widmet sich in seinem Buch Kultur und Imperialismus (1994) vor allem den kolonialen und imperialen geographischen Einschreibungen. Doris BachmannMedick ergänzt Saids Projekt der »Geographie imperialer Herrschaft« um eine »dezentrierende Geographie globaler Herausforderungen«, die sich in den Texten der postkolonialen Migrationsliteraturen findet und in denen vor allem die literarische Verarbeitung der konkreten Exilerfahrung zu Tage tritt (vgl. ebd. S. 67). Als »imaginäre Räume« bezeichnet Bernhard Teuber die diachron aufeinander folgenden Bilder eines spezifischen Raums, von denen ein jedes als ein spezieller Raum innerhalb einer spezifischen Zeit situiert ist (vgl. Teuber 2001, S. 190). Auch der post/koloniale Raum Indochina wird zu bestimmten Zeitpunkten des 20. Jahrhunderts als ein charakteristischer Raum modelliert. Das Korpus der filmischen Verarbeitungen des post/kolonialen Raums Indochina zeichnet ästhetisch-ideologisch verarbeitete Karten der post/kolonialen Realität.

IMPERIALE GEOGRAPHIEN: JEAN-JACQUES ANNAUD UND REGIS WARGNIER Die imperialen Geographien finden sich vor allem in den großen französischen bzw. internationalen Spielfilmproduktionen ab den 90er Jahren. Das Fehlen einer bedeutenden Kolonialfilmproduktion

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur aus den 1930er und 1940er Jahren scheint eine Lücke in der Filmgeschichte gelassen zu haben, die der französische Film nun schließt. Sowohl die Verfilmung von Marguerite Duras’ Bestseller L’Amant durch Jean-Jacques Annaud (1991) als auch Régis Warniers Oscar-gekröntes Kolonialepos Indochine (1992) sind filmische Erinnerungen an die imperiale Vergangenheit Frankreichs in Indochina. Diese Arbeiten zeichnen Bilder des Kolonialreiches der 20er und 30er Jahre, in denen sich zwar Elemente der Kritik finden lassen, vordergründige Wirkung erzielen diese Filme allerdings durch eine nostalgisch ästhetisierte Evozierung einer vergangenen Epoche sowie durch eine stereotype Darstellung der involvierten Figuren. Die Drehorte evozieren Indochina als einen Raum, der dem im Frankreich der Kolonialzeit vermittelten Bildrepertoire entspricht. Bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts wurden fremde sowie durch die Kolonialmacht eroberte Gebiete, darunter auch Indochina, nicht als wissenschaftlich untersuchtes Gebiet präsentiert, sondern durch populäre Medien als Spektakel inszeniert und auf diese Weise zum integralen Bestandteil des öffentlichen Lebens. Poster, Werbungen und Postkarten transportieren vor allem ab 1860 phantasmatic images der Kolonie Indochina, die durch moderne Reproduktions- und verbesserte Farbgebungstechniken einen wesentlichen Beitrag zur Popularisierung dieses Territoriums leisten (vgl. Norindr 1996, S. 3 sowie S. 18). Diese Bildkorpora fixieren die kolonisierten Kulturen, welche im Gegensatz zur historisch gewachsenen, kolonisierenden Kultur als statisch und unveränderlich angesehen werden. Obwohl Indochina ab dem Jahr 1887 als politische und administrative Einheit existiert, dominiert die Region die Perspektive der französischen Betrachter als imaginäres Territorium, als »phantasmatic Indochina«, dessen kulturelle Realität durch koloniale Phantasien eine spezifische Umstrukturierung erfährt. »The phantasmatic Indo-Chine is difficult to locate precisely or represent accurately because it extends beyond the purely administrative and political boundaries of the Union indochinoise.« (Norindr 1996, S. 18) Mit dem aus der Psychoanalyse16 entlehnten Begriff des phantasmatic bezeichnet Panivong Norindr eine Fiktion, eine Fantasie oder eine geografische Romanze, die innerhalb des französischen kolonialen Diskurses geschaffen wurde, um ein Begehren für la France d’Asie entstehen zu lassen. 16 Norindr stützt sich bei seiner Definition des erstmalig von Freud für die Psychoanalyse konzipierten Begriffes auf den von Jean Laplanche und J.-B. Pontalis im April 1964 in Les Temps Modernes veröffentlichten Aufsatz Fantasme originaire, fantasme des origines, origine du fantasme sowie auf feministische Ansätze, wie sie beispielsweise Elizabeth Crowe und Cora Kaplan vorgeschlagen haben (vgl. Norindr 1996, S. 16f.).

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Cinéma Indochina In den filmischen Großproduktionen der 90er Jahre, die nicht nur Produktionskosten in außergewöhnlicher Höhe gemeinsam haben – sie gehören zu den teuersten Produktionen der französischen Filmgeschichte (vgl. Norindr 1996, S. 133) –, herrscht die Inszenierung Indochinas als voyeuristisches Spektakel vor. Um eine stärkere Glaubwürdigkeit zu erzielen, wurden Annauds und Wargniers Film in Vietnam gedreht. The Lover17 und Indochine besitzen postkartenähnliche Referenzen aus dem kolonialen Imaginären Indochinas. Die hohen Produktionskosten von The Lover lassen sich vor allem auf die hohen Ausgaben für die Exaktheit der Requisiten und die Konstruktions- und Renovierungsarbeiten im sozialistischen Vietnam zurückführen. Sylvie Blum-Reid vergleicht Jean-Jacques Annauds Vorgehen mit jenem der ersten kolonialen Siedler, da dieser bei den Dreharbeiten über die örtlichen Gegebenheiten hinwegsieht und einen Raum nach seinen Vorstellungen der südostasiatischen Kolonie konzipiert und konstruiert (vgl. Blum-Reid 2003, S. 27). Régis Wargniers filmische Raumdarstellung ist ebenfalls nicht von Zurückhaltung geprägt. Die von Wargnier in seinem Film dargestellten Orte skizzieren mittels der Bucht von Halong, Kautschukplantagen, Opiumhöhlen und kolonialen Villen eine koloniale Geographie Indochinas, die ebenfalls aus dem kolonialen Imaginären schöpft. Wargnier findet sogar in Paris eine geeignete Kulisse für das von ihm evozierte und imaginierte Indochine. Einen Teil der Dreharbeiten führt er im Festsaal der Maison des étudiants de l’Asie du Sud-Est in der Cité internationale universitaire in Paris durch, einem 1930 unter dem Namen Maison de l’Indochine errichtete Studentenwohnheim. In diesen die Kolonialzeit reflektierenden filmischen Texten wird das koloniale Verhältnis und sein Ende durch die Schlacht von Dien Bien Phu im Jahre 1954 als »passionate romance or [a] stormy love affair« verklärt, zu deren Ende die Trauer über eine verlorene Liebe vorherrscht (vgl. Norindr 1996, S. 132). Der Andere erscheint vor allem in seiner Wirkung auf die Weißen in der Kolonie, auf die er sexuelle Anziehungskraft ausübt. Erst das Verbot der interethnischen Beziehung macht die (erotische) Spannung der Handlung aus und nährt den Voyeurismus des Publikums18. Auffällig ist in diesen 17 Annaud wählt zwecks der internationalen Vermarktung seines Films zwei anglophone Protagonisten, Jane March und Tony Leung, und dreht seinen Film in Englisch. Das französische Publikum kann zwischen einer Synchronfassung und einer Originalfassung mit Untertitel wählen. 18 In The Lover nehmen die amourösen Handlungen zwischen Jane March und Tony Leung einen breiten Raum ein und verdrängen die kritische Haltung gegenüber der Kolonialmacht, die der literarischen Vorlage inhärent ist. Marguerite Duras hat sich von Annauds Verfilmung distanziert (vgl. BlumReid 1997, S. 62). In Indochine verliebt sich Camille, die vietnamesische

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Filmen die geschlechtliche Zuschreibung, mit der die koloniale Beziehung zwischen Frankreich und Indochina in Verbindung gebracht wird. In den Filmen The Lover und Indochine dominieren weibliche Attribute. In The Lover soll eine Off-Stimme, gesprochen von Jeanne Moreau, die weibliche Erzählerstimme der Marguerite Duras darstellen und suggerieren, dass das Gezeigte autobiographisch sei. Die ebenfalls weibliche Erzählstimme aus Indochine – sie gehört der von Catherine Deneuve verkörperten Protagonistin Eliane, deren Rolle Norindr mit der einer beschützenden Mutter vergleicht (vgl. Norindr 1996, S. 136) – verstärkt die neo-koloniale Perspektive des Films, in dem die Geschichte aus Elianes Erinnerung erzählt wird. Beide Filme setzten sich nicht, wie es zu Anfang der 90er Jahre gesellschaftspolitisch bereits möglich wäre, mit den negativen Seiten der kolonialen Vergangenheit auseinander, sondern verklären unter dem Aspekt der Sehnsucht und Wehmut nach einer verloren gegangenen Epoche die Anwesenheit französischer Kolonisten in Indochina. Imperiale Geographien finden sich jedoch nicht ausschließlich in Filmen, die sich mit kolonialen Realitätskonstruktionen befassen, sondern können auch auf einen postkolonialen Kontext übertragen werden. Bertrand Tavernier widmet sich in seinem Film Holy Lola (2004) einer modernen Variante der Verortung, der Adoption. Vietnam und Kambodscha sind bedeutende Zielländer für adoptionswillige Eltern aus ganz Europa und den USA. Géraldine und Pierre – ein kinderloses, französisches Ehepaar – reisen nach Kambodscha, um dort ein Kind zu adoptieren. Bürokratie, Korruption, die Fremdheit des von Krankheiten und Armut gebeutelten Landes und Institutionen, die den Prozess erschweren, machen die Reise zu einem Hindernislauf, an dessen Ende eine glücklich vereinte Familie steht: Géraldine und Pierre können ein Baby mit nach Frankreich nehmen. Der Film entwirft eine Schwarz-Weiß-Zeichnung der (kambodschanischen) Institutionen, die diesen Prozess erschweren, und der (französischen) Eltern, die in Erwartung eines erfüllten Familienlebens psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt sind. Die Adoption, eine Praxis der westlichen Welt, wird als ein durch Liebe motivierter Vorgang nicht in Frage gestellt. Das Kind wird zu einer Ware, das ausgewählt, gekauft und nach Frankreich transportiert wird. Seine Neu-Verortung scheint legitim, da sie einem Paar zu seinem Glück verhilft.

Adoptivtochter der französischen Plantagenbesitzerin Eliane, in deren Liebhaber.

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Cinéma Indochina

DEZENTRALE GEOGRAPHIEN: TRAN ANH HUNG UND RITHY PANH Die sich aus der globalen Weltordnung ergebenden, dezentrierenden Geographien entwerfen vor allem die Arbeiten der französischen Filmemacher aus der südostasiatischen Diaspora. Die Migrationsbewegungen der südostasiatischen Bevölkerung nach Frankreich beginnen während der Kolonialzeit und dauern bis heute an. 1930, 1945, 1954 und 1975: die bedeutenden Daten der vietnamesischen Geschichte gliedern auch die Einwanderungswellen nach Frankreich19. Es ist schwierig, ein einheitliches Bild der franko-südostasiatischen Gemeinschaft zu skizzieren. Die verschiedenen Daten ihrer Ankunft in Frankreich sowie die Gründe ihrer Ausreise bzw. Flucht sind unterschiedlich und hinterlassen eine ideologisch und kulturell vielfältige Diaspora. Dennoch hält sich die Fiktion der Homogenität der asiatischen Bevölkerungen, die vielschichtigen Bedingungen der Migration werden kaum im Detail betrachtet. Die Immigration aus Südostasien als komplexes Phänomen wird nur von vergleichsweise wenigen Wissenschaftlern untersucht (vgl. Le Huu Khoa 1995). Während die Migrationsbewegung aus (Nord-)Afrika nach Frankreich und die daraus entstehende Situation der beurs bereits zum Thema für französische Spielfilmproduktionen wurden, ist die asiatische Migration im Spielfilm bis heute kaum bebildert worden.20 Das journalistische Klischee der vorbildlichen Integrationsfähigkeit der südostasiatischen Migranten aufgrund von ethnischen

19 Historisch gesehen beginnt die asiatische Immigration in Frankreich mit Gruppen chinesischer und vietnamesischer Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während des Ersten Weltkriegs kommt es zu der ersten großen Einwanderungswelle, 1916 erreichen 100.000 Chinesen aus der Provinz Zhenjiang und 50.000 Vietnamesen aus der Provinz Tongking die Metropole, um Frankreich bei seiner Kriegsführung zu unterstützen. Der Großteil von ihnen kehrt nach dem Krieg wieder in sein Heimatland zurück, nur etwa 3000 Personen siedeln sich in Frankreich an. Die Landbevölkerung aus dem Tongking-Delta und aus Nord-Annam macht den Großteil der Migranten aus, deren Zahl zwischen 1915 bis 1919 auf insgesamt 90.000 Personen ansteigen wird (vgl. dazu Le Huu Khoa 1995). 20 Rithy Panhs für Arte produzierter Fernsehfilm Que la barque se brise que la jonque s’entrouve (2000) stellt eine Ausnahme dar. Der Film schildert die Liebesgeschichte zweier Exilanten in Paris. Bopha, vor der Herrschaft der Roten Khmer geflüchtete Kambodschanerin, und Minh, mit den boat people aus Vietnam geflüchtet, verbindet eine Spielleidenschaft und die Schwierigkeit, den Alltag und die Beziehung in der Fremdsprache Französisch meistern zu müssen. Rithy Panh gelingt es, kambodschanische und vietnamesische Erfahrungen zu verweben und so die gemeinsame Geschichte zweier von Diaspora und Exil gezeichneter Nationen darzustellen.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur Netzwerken und der daraus resultierenden geringen Anfälligkeit für wirtschaftliche Krisen scheinen auch die Filmemacher als gegeben hinzunehmen. Die Darstellung der Migrationsrealität aus dem ehemaligen Indochina beschränkt sich demzufolge auf Produktionen für das Fernsehen. Der beobachtende Blick von außen auf die Gesellschaft der Immigranten, der diese Realität anfänglich wiedergibt, wird nach und nach von einer filmischen Verarbeitung abgelöst, die die Interaktion zwischen der Ankunfts- und der Herkunftskultur ins Zentrum ihres Interesses stellt.21 Der Begriff des cinéma beur hat in der internationalen Diskussion die kinematographische Repräsentation von diasporischen Erfahrungen im Kontext des französischen (Post-)Kolonialismus bis heute für sich beansprucht. Dieser Name fasst jene Filmströmung zusammen, die die Identität von nordafrikanischen Migranten und ihren Nachfolgegenerationen im Wechselspiel zwischen französischen und maghrebinischen Kulturen in Frankreich thematisiert. Sowohl die ethnische Zugehörigkeit der Filmemacher als auch die Darstellung der beur-Identität sind Kennzeichen dieser Produktion. Auch französische Filmemacher ohne Migrationshintergrund beschäftigen sich mit dieser gesellschaftlichen Realität und liefern eine Außenseiter-Perspektive auf das Phänomen. Im Gegensatz dazu verweisen die Filme der französischen Autoren aus der indochinesischen Diaspora auf die Existenz postkolonialer Individuen, indem sie vorwiegend die gegenwärtige Realität ihres Heimatlandes22 repräsentieren. Obwohl diese Filmemacher den Großteil ihrer Sozialisation in der westlichen Welt erlebt haben und ihren Geburtsort oft erst im Erwachsenenalter besser kennen gelernt haben, schaffen sie mittels Geschichten, Orten und Sprachen eine filmische Bebilderung von bisher nur unter neo-kolonialer Perspektive bekannten Regionen. Der Franko-Kambodschaner Rithy Panh und der FrankoVietnamese Tran Anh Hung sind wohl die bekanntesten Namen23 von Filmemachern der indochinesischen Diaspora24, beide sind als Jugendliche nach Frankreich immigriert. 21 Saigon sur Seine (F. Debré/J. Kaprielan, 1980), Double je (L. Ernct/B. Ly Cuong, 1991), Quand on navigue sur un fleuve (S. Gadmer, 1997). 22 Heimat wird hier als der Ort verstanden, an dem man seine Kindheit verbracht hat. 23 Diese Namen sucht man dennoch im Dictionnaire du cinéma vergeblich (vgl. Tulard, Jean [Hg.]: Dictionnaire du cinéma. Paris 2003). 24 Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch der frankophone vietnamesische Filmemacher Lam Lê, der bereits in den 80er Jahren in seinen Spielfilmen die Geschichte seines Geburtslandes Indochina aus kritischer postkolonialer Perspektive erzählt. Sowohl der in Paris gedrehte Film Rencontre des nuages et du dragon (1979) als auch der in Vietnam gedrehte Poussière d’Empire (1983) zeichnen sich durch einen hohen Symbolcharakter aus.

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Cinéma Indochina Vor allem Rithy Panhs dezentrale Perspektive verfremdet die weitläufigen Landschaften und Kulturdenkmäler Kambodschas und entwickelt eine postkoloniale Geographie für die für ein breites Publikum bisher vor allem als Spektakel der imperialen Einschreibung inszenierten Räume der Kolonie. Er beschäftigt sich von Beginn seiner Laufbahn an vor allem im Dokumentarfilm mit der jüngeren Vergangenheit Kambodschas, die seine Autobiographie geprägt hat (Site 2, 1989, Cambodge, entre terre et paix, 1991, Bophana, une tragédie cambodgienne, 1997, S 21 – La machine de mort khmère rouge, 2002). Die Einflüsse der Globalisierung auf Kambodscha in Form von neuen Technologien und Tourismus schildert er am Beispiel von menschlichen Schicksalen in Cambodge, la terre des âmes errantes (2000) und Les gens d’Angkor (2003). So folgt er in La terre des âmes errantes Wanderarbeitern in Kambodscha, die ein Telefonkabel für den französischen Konzern Alcatel verlegen. Panhs Kamera folgt im Stil des cinéma vérité diesen Nomaden der Moderne – Frauen, Männern und Kindern –, die ohne Obdach durch ein vermintes Land ziehen und ihre Körper und Leben einem Projekt zur Verfügung stellen, dessen Sinn sich ihnen entzieht. Auch in Les gens d’Angkor sind es nicht die jahrhundertealten Tempelanlagen, die den Filmemacher interessieren und auch nicht die Tiger, für die Angkor in Deux frères (Jean-Jacques Annaud, 2003) einen Lebensraum darstellt, sondern die Menschen, die im entstehenden Massentourismus in und um diese Anlagen ihr Auskommen suchen. Panh experimentiert mit Traditionen des Dokumentarfilms, Inszenierungen und direkte Aufnahmen im Stil des cinéma vérité ergänzen einander. Un soir après la guerre (1997), einer seiner wenigen Spielfilme, widmet sich der Nachkriegssituation in Kambodscha, in der als Antwort auf Armut und Zerstörung Gewalt und Prostitution herrscht. In Les Gens de la rizière (1992) greift Panh auf eine Drehbuchvorlage zurück, die außerhalb der Kriegserfahrungen Kambodschas steht und an ein Land mit Traditionen und Mythen erinnert.25 Ein großes mediales Interesse wird Rithy Panh zuteil, als er sich Marguerite Duras’ Roman Un barrage contre le Pacifique (2007) zuwendet. Panhs Verfilmung des Klassikers kann als Praxis des filming back bezeichnet werden. Seine Arbeit stellt nicht nur eine filSein Einfluss auf die jungen franko-vietnamesischen Filmemacher ist bedeutsam (vgl. zu Lam Lê auch Blum-Reid 2003, S. 39-58). 25 Zusätzlich zu dem Bemühen um eine Individualisierung seines Heimatlandes durch die Vermittlung seiner Geschichte an ein westliches Publikum engagiert sich Rithy Panh um die Entwicklung Kambodschas zu einer eigenständigen Filmnation, indem er bei seinen Dreharbeiten in Kambodscha Filmtechniker ausbildet und Filmprojekte produziert (vgl. Blum-Reid 2003, S. 117ff.).

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur mische Interpretation von Duras’ Roman – einem Klassiker der kolonialen Erfahrung – durch einen postkolonialen Filmautor dar, sondern auch ein Gegenentwurf zu Jean-Jacques Annauds Romanverfilmung von L’Amant. Als Drehort für Sadec, die Stadt im Mekongdelta, in der Duras’ Protagonistin Suzanne ihre Jugend verbringt, wählt Panh den Nationalpark Ream im Süden Kambodschas. Suzanne lebt hier im Kreise der indigenen Bevölkerung und am Rande der kolonialen Gesellschaft, Saigon und die Zentren des kolonialen Lebens sind ihr nur durch Postkartenbilder in schwarzweiß vertraut. Panhs Erzählung betont die Härte und die Willkür der Kolonialverwaltung gegenüber ihren französischen und indochinesischen Untertanen. Die Vertreibung der indigenen Bauern und die Zerstörung ihrer Siedlungen zwecks kolonialer Landgewinnung nehmen in Panhs Un barrage contre le Pacifique breiten Raum ein, während die Filme der imperialen Geographien die indigene Perspektive auf die Kolonisierung meist aussparen. Auch Suzannes Beziehung zu dem reichen Chinesen Monsieur Jo verliert bei Panh an Ästhetik und Romantik und gewinnt jene Ambiguität zurück, die auch die Texte der Schriftstellerin transportieren. L’odeur de la papaye verte (1992), Cyclo (1995), A la verticale de l’été (1999) sind von Tran Anh Hung gedrehte Spielfilme, in deren Zentrum die junge Generation Vietnams steht. Im Gegensatz zu Rithy Panh ist in Tran Anh Hungs Filmen ein »mental Vietnam« zu sehen, das, inspiriert von Metaphern und Sinneseindrücken, eine traumhafte Version seiner Heimat darstellt (vgl. Blum-Reid, S. 83). L’odeur de la papaye verte wurde aus Gründen des Budgets sogar in Pariser Studios gedreht. Der Filmemacher umgeht eine direkte Auseinandersetzung mit der politischen Situation des gefilmten Raums, die koloniale Vergangenheit erscheint nur am Rande. Wenn auch Tran Anh Hung sein Bild von Vietnam künstlich verfremdet, indem er sich beispielsweise auf Motive französischer Filmemacher bezieht, westliche Musik verwendet und seine Darsteller aus der franko-vietnamesischen Gemeinschaft wählt, verarbeitet er thematisch Elemente der postkolonialen Realität Vietnams. Die Figuren seiner Filme stehen in ihren persönlichen Beziehungen im Spannungsfeld von Tradition und Moderne, sie erleben Verortungs- und Exilerfahrungen und einen Raum, der sie durch den Einfluss der Kolonialisierung und der Globalisierung von ihrer Tradition entfremdet.

GEOGRAPHIEN DER KULTURELLEN UNSICHERHEIT: MARGUERITE DURAS U.A. Doch neben den von Said und Bachmann-Medick definierten spezifischen post/kolonialen Geographien und den darin zum Vorschein kommenden spezifischen Topographien existieren für Indochina topographische Filmtexte, die sich in deren Zwischenraum situieren.

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Cinéma Indochina Es handelt sich dabei um die Werke von Subjekten der kolonisierenden Gesellschaft, für die die Kolonisierung zu einer konkreten biographischen Erfahrung geworden ist. Im Korpus der post/kolonialen Filme aus Indochina existieren viele Arbeiten von Autoren, für die die post/koloniale Realität nicht nur ein gesellschaftliches Imaginäres darstellt, eine mit Hilfe unterschiedlicher Texte und Zuschreibungen im und für den Westen konstruierte Epoche, sondern eine durch Reise, Kindheits- und Kriegserfahrung erlebte Realität. Die langjährigen Reiseerfahrungen, die infolge der Dekolonisierung erfolgte Neukartierung ihrer Heimat, die für einzelne Subjekte traumatische Verlusterfahrung der Kolonie müsste analog zu den kulturellen Topographien im Kontext kolonialer und globaler Weltordnungen ebenfalls spezifische Topographien geschaffen haben, die Ver- bzw. Entortung der kolonisierenden Subjekte reflektieren. Die als Französin in Indochina geborene Marguerite Duras ist wohl das bekannteste Beispiel für eine Autorin einer solchen spezifischen Wahrnehmung. Ihre Werke, die vor allem nach dem Ende der Kolonialherrschaft entstanden sind, verarbeiten auf inhaltlich und ästhetisch komplexe Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse der französischen Kolonialherrschaft in Indochina und sind an der Schaffung neuartiger Topographien beteiligt. Als »Geographie der kulturellen Unsicherheit« soll nun in Anlehnung an J.M. Coetzee die Topographie als Raum der Repräsentation bezeichnet werden, die sich aus den Filmtexten jener Autoren gebildet hat, deren Biographie von der französischen Kolonialherrschaft in Indochina geprägt ist. Coetzee hat in White Writing die Unsicherheit des Künstlers europäischer Tradition hinsichtlich seiner Position in der afrikanischen Landschaft beschrieben (Coetzee 1988, S. 62). Als »erkenntnistheoretischen Wendepunkt, [der] die ersten Risse im westlichen Kanon zum Vorschein kommen [lässt]« reflektiert die in Johannesburg lehrende Filmwissenschaftlerin Jyoti Mistry Coetzees These in ihrem Aufsatz über die Bedeutung der Landschaft im afrikanischen Kino (vgl. Mistry 2006, S. 166). Diese Unsicherheit zeigt sich laut Mistry vor allem in jenem Moment, in dem sich der Künstler bewusst wird, dass er als gesellschaftliches Mitglied der herrschenden Klasse eine Teilverantwortung für die historischen und politischen Umwälzungen des kolonialisierten Landes trägt. Es ist also das existentielle Unterwegssein und die damit einhergehende Reflexion des Fremd- und Eigenbildes, die diese imaginären Geographien entstehen lassen. Die Geographie kultureller Unsicherheit deutet die Perspektive einer verflochtenen Geschichte an, in der nicht nur indigenen Subjekten die Entwicklung einer dezentralen Geographie zugestanden wird, sondern auch die ›Täter‹ an der Entwicklung einer Geographie beteiligt sind, die die imperialen und kolonialen Einschreibungen verfremden und dekonstruieren.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur

Marginale Kolonie, marginale Kinematographie? ZUM FORSCHUNGSSTAND Sowohl in der Geschichtsschreibung als auch in der post/ kolonialen Filmwissenschaft steht Indochina stets im Schatten der Vorgänge rund um die (De-)Kolonisierung in (Nord-)Afrika. Erst in den 70er Jahren als Folge des Vietnamkriegs (deuxième guerre d’Indochine), an dem die USA auf Seiten Süd-Vietnams in den Bürgerkrieg der Halbinsel eingreifen, der in der Folge eine Öffentlichkeit in noch nie zuvor gekannten Ausmaßen erreicht, erwacht das Interesse der Geschichtsschreibung an Indochina. Auch die Politik Charles de Gaulles, insbesondere die Rede von Phnom Penh im Jahre 1966, in der er die Intervention der Vereinigten Staaten in den Vietnamkrieg anklagt und die Souveränität der dekolonisierten Staaten verteidigt, sowie der Sieg der Kommunisten auf der gesamten Halbinsel (Vietnam, Laos, Kambodscha) sind Phänomene, die bei den Historikern neue Fragestellungen hervorrufen.26 Mit der Öffnung bedeutender französischer, amerikanischer, englischer und vietnamesischer Archive in den 80er und 90er Jahren weiten sich die Untersuchungsfelder und gewinnen an Tiefe und Spezifik. In den späten 90er Jahren wird Indochina im Anschluss an die Aufarbeitung der (De-)Kolonisation in (Nord-)Afrika auch von den französischen Geschichtswissenschaften in den Blick genommen. Vor allem der Historiker Pierre Brocheux – selbst vietnamesischer Herkunft – ist bemüht, die Vorgänge um die (Ent-)Kolonialisierung in Indochina in den Kontext einer histoire croisée einzubetten, die die historischen Realitäten Frankreichs und des post/kolonialen Indochinas zueinander führt und einander gegenüberstellt. Auch innerhalb der Filmwissenschaften stellt der Kulturraum Indochina einen Bereich dar, der in der ersten Hochphase der postcolonial studies, den 90er Jahren, nur wenige Forschungsarbeiten hervorgebracht hat. Mit Indochina beschäftigen sich ab den 90er Jahren vor allem Wissenschaftler an anglo-amerikanischen Universitäten. Panivong Norindr liefert unter dem Titel Phantasmatic Indochina eine Arbeit, die sich mehreren kulturellen, Indochina thematisierenden Texten widmet, darunter der französischen Filmproduktion der 90er Jahre. In Vorbereitung ist ein Buch Norindrs über die koloniale Filmproduktion Indochinas, einzelne Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden geben darauf bereits einen Vorge-

26 Interview mit Pierre Brocheux anlässlich einer Arte-Sendereihe über Indochina. http://www.arte.tv/fr/histoire-societe/les-mercredis-de-l-histoire/ Les-deserteurs-du-vietnam/1051350,CmC=1051338.html vom 01.07. 2007.

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Cinéma Indochina schmack (vgl. u.a. Norindr 2008). In dem von Dina Sherzer herausgegebenen Sammelband Cinema, Colonialism, Postcolonialism (1996) findet sich das Filmkapitel von Panivong Norindr wieder. Erfreulich ist, dass in Sherzers Einleitung auch auf Filmemacher der indochinesischen Diaspora sowie auf Pierre Schoendoerffer verwiesen wird. Mehrere Beiträge nehmen die postkolonialen französischen und französisch-kambodschanischen bzw. französisch-vietnamesischen Filme der 90er Jahre in ihr Analysekorpus auf (vgl. Greene 1996 sowie Portuge 1996). Die einzige Studie, die sich ausschließlich der kinematographischen Begegnung zwischen Frankreich und den post/kolonialen Staaten Indochinas widmet, ist East-West Encounters (2003) von Sylvie Blum-Reid. Die Autorin fokussiert darin vor allem die Arbeiten der in Frankreich lebenden Filmemacher aus der indochinesischen Diaspora seit den 80er Jahren, nicht ohne jedoch immer wieder in Exkursen auch auf die Arbeiten französischer Filmmacher zu verweisen. Im französischen Wissenschaftsbetrieb ist die filmische Repräsentation des Kulturraums Indochina bisher nicht in einer Einzelstudie verarbeitet worden. Anfang der 90er Jahre findet an der Cinémathèque de Toulouse ein Kolloquium statt, das sich mit dem von der Kolonie inspirierten Filmschaffen beschäftigt. Die Tagungsveröffentlichung stellt eine grundlegende Publikation für weiterführende Recherchen zu diesem Thema dar, die erste Filmographien, einführende Analysen zum kolonialen Stumm- und frühen Tonfilm (vgl. Baldizzone 1992), zu Pierre Schoendoerffer (vgl. de la Brétèque 1992) sowie zu Spielfilmen über die Dekolonisation (vgl. Delmeulle 1992) versammelt. Überhaupt lässt sich zu Beginn der 90er Jahre ein gesteigertes Interesse für die Filmproduktion aus Indochina in den französischen Filmzeitschriften feststellen, das als Begleiterscheinung der französischen Großproduktionen Indochine, The Lover und Dien Bien Phu (Pierre Schoendoerffer, 1991) sowie als Reaktion auf die Anerkennung der Kolonisation und ihres Endes innerhalb des französischen kollektiven Gedächtnisses gelesen werden kann. Im Jahr 1993 besucht François Mitterrand als erster französischer Staatschef nach dem Indochinakrieg Vietnam und Kambodscha. Auf seiner Reise begleitet ihn neben zahlreichen anderen Persönlichkeiten auch Pierre Schoendoerffer. Wenige Tage nach seiner Rückkehr weiht der Präsident in Fréjus den Mémorial des Guerres en Indochine ein. In der französischen Filmwissenschaft werden Filme aus dem Kontext der (De-)Kolonisierung häufig als historisches Material betrachtet, das dahingehend untersucht wird, ob das darin repräsentierte Geschichtsbild mit der historischen ›Realität‹ korrespondiert oder nicht. Frédéric Delmeulle verfährt unter diesem Gesichtspunkt in seiner unveröffentlichten mémoire de maîtrise Les représentations

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur de l’empire colonial dans le cinéma français: 1954-1958, in dem er auch die wenigen Indochina betreffenden Spielfilme in sein Korpus aufnimmt. Benjamin Storas Studie zu den Imaginaires de guerre (1997) stellt die amerikanische Film- und Bildproduktion des Vietnamkriegs den französischen Repräsentationen des Algerienkrieges gegenüber. Dass hier Indochina einmal mehr nur im Einführungskapitel erwähnt wird, lässt sich meiner Ansicht nach nicht historisch argumentieren, worum der Autor bemüht ist, sondern hängt schlicht mit den Forschungsinteressen des Historikers zusammen. Dass auch in Frankreich ein post-koloniales Filmschaffen existiert, beweist Caroline Eades mit ihrer Monographie zum Cinéma post-colonial français (2006), deren Analysekorpus 50 Filme umfasst. Die in Maryland/USA tätige französische Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sich unter dem Fokus der amerikanischen postcolonial und feminist film studies mit nach dem Zerfall des französischen Kolonialreichs von französischen Filmemachern produzierten Filmen, die als historisches Thema die Kolonialzeit sowie ihr Ende verarbeiten. Sowohl das Filmschaffen der Marguerite Duras als auch jenes von Pierre Schoendoerffer ist Teil ihres Korpus’, das Caroline Eades zwar ausführlich analysiert, dessen Umfang jedoch eine fundierte Darstellung der Filme vermissen lässt, die einem größeren Publikum bisher noch unbekannt sind. Obwohl also vor allem im gegenwärtigen Jahrzehnt Indochina allmählich einen Platz in der Filmwissenschaft einzunehmen scheint, existiert noch keine Monographie, die sich ausschließlich mit dem Filmschaffen dieses Kulturraums beschäftigt. Während vor allem das Filmschaffen der diasporischen Subjekte und der französischen Filmemacher der 90er Jahre immer wieder in Einzelstudien aufgenommen wird, stellen der koloniale Film und der postkoloniale Film bis 1975 kulturelle Texte dar, die bisher zwar als Randerscheinungen des Filmschaffens erwähnt wurden, einer detaillierten Analyse im Kontext der südostasiatischen Kolonie jedoch nicht unterworfen wurden.

FOKUS UND KORPUS Diese Forschungsarbeit hat zum Ziel, ein Kapitel französischer Filmgeschichte zu schreiben. Auf der Basis der Überlegungen des topographical turn der Kulturwissenschaften, dessen Forschungsinteresse sich vor allem Repräsentationstechniken- und Repräsentationsformen von Raum zu bestimmten historischen Momenten widmet, untersucht sie die filmischen Repräsentationen des post/kolonialen Kulturraums Indochina von 1895-1975. Bereits lange vor den französischen Großproduktionen der 90er Jahre existiert also eine durch die (ehemalige) südostasiatische Kolonie inspirierte

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Cinéma Indochina Filmproduktion. Allerdings hat diese – ähnlich der Kolonie Indochina im französischen Empire – nur eine Randposition in der Filmforschung inne. Indem die Arbeiten nun in ein Filmkorpus eingegliedert werden, das sie als Medien der topographischen Darstellung des post/kolonialen Indochinas vereint, können einzelne Filme, die bisher als Sondergebiet der Filmforschung betrachtet wurden – z.B. Frühfilmforschung, Dokumentarfilmanalyse, Experimentalfilmanalyse – aus ihrer Sonderstellung herausgeholt werden. Im ständigen Wechselspiel mit unterschiedlichen Disziplinen leistet diese Arbeit damit auch einen Beitrag zu einer medienhistorischen Forschung, die das Filmkorpus in Verbindung mit soziokulturellen, kulturgeschichtlichen Phänomenen und die durch diese hervorgebrachten Raumbilder in Zusammenhang mit kulturellen, ästhetischen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen betrachtet. Die differenzierte kinematographische Aneignung des Kulturraums Indochina lässt das Bilderrepertoire als subjektiv aufgeladenes Erinnerungsmaterial zurück. Viele Arbeiten zur post/kolonialen Filmgeschichtsschreibung sparen den frühen Film in ihren Analysen aus.27 Erwähnung findet er allenthalben im Vorwort, wo rasch eine als oberflächlich angesehene Lumière-Produktion überflogen und entsetzt über propagandistische Dokumentarfilme der Kopf geschüttelt wird. Offensichtlich bedarf die inhaltliche Tendenz dieser Filme keiner weiteren Argumentation. Als Propaganda-, Kolonialfilme und Instrumente einer Herrschaftsstruktur situieren sich diese Filme eindeutig in einem kolonialen Diskurs. Auch die spezifische Annäherung, die eine Aus27 Wenn auch der FIAF (Féderation Internationale des Archives du Film)Kongress von Brighton im Jahre 1978 ein wesentliches Moment für die Neubewertung des frühen Films darstellt, der die Filme aus dem Zeitraum von 1900 bis 1906 nicht mehr unter dem Aspekt der teleologischen Entwicklung des narrativen Films bearbeitet, sondern in ihren sozialen und ökonomischen Zusammenhang einbettet, finden sich Arbeiten in dieser Richtung bedauerlicherweise häufig nur am Nischenplatz der Early Cinema Studies veröffentlicht und gehen somit an einem größeren Publikum vorbei. Ausnahmen dieser Regel gibt es bisher allerdings nur für das koloniale Filmschaffen aus dem Maghreb oder aus Afrika südlich der Sahara. François Ramirez’ Dissertation Histoire du cinéma colonial, au Zaire, au Rwanda et au Burundi (1982) fällt darunter ebenso wie Guido Convents’ A

la recherche des images oubliées. Préhistoire du cinéma en Afrique 18971918 (1986). Jüngere Arbeiten wie Abelkader Benalis komplexe Studie über den Cinéma colonial du Maghreb (1998) und David Henry Slavins Colonial cinema and imperial France, 1919-1939: white blind spots, male fantasies, settler myths (2001) stellen ihr filmisches Material bereits unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den postkolonial orientierten Filmwissenschaften vor, doch fokussieren auch diese Arbeiten vor allem die Filmproduktion der französischen Kolonien in Afrika.

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Topographien einer post/kolonialen Filmkultur einandersetzung mit dem frühen Filmschaffen erfordert, scheint eine Barriere darzustellen. Doch gerade ein detaillierter Blick auf die Filmproduktion aus der ehemaligen französischen Kolonie Indochina lädt dazu ein, mit der filmhistorischen Darstellung des Kolonialfilms als homogenem Projekt der Propaganda und der Manipulation zu brechen. Das Filmschaffen der Kolonialzeit ist hinsichtlich seiner Produktionsbedingungen und seiner politisch-ideologischen sowie ästhetischen Umsetzung von Heterogenität gekennzeichnet. Beispielgebend dafür sind die Arbeiten von ›unabhängigen‹ Filmemachern wie jene des Lumière-Kameramannes Gabriel Veyre und jene des für die Archives de la Planète des Albert Kahn arbeitenden Léon Busys, deren Verortungserfahrung auf ihre formalen und ästhetischen Verfahren zurückwirkt. Im Gegensatz dazu steht die offizielle Spiel- und Dokumentarfilmproduktion der Kolonialzeit – die entgegen anders lautenden Meinungen existiert –, welche Aufschluss darüber gibt, wie der staatlich geförderte Film die ›Modellkolonie‹ Indochina inszeniert, oder besser, inszenieren möchte. Auffällig ist an den im Anschluss an die Dekolonisation entstandenen Filmen, dass dafür vor allem Filmemacher verantwortlich zeichnen, für die die (De-)Kolonisation ein wesentlicher Moment ihrer Biographie darstellt, der sich auf die inhaltliche und ästhetische Konzeption ihrer Arbeit auswirkt. Ehemalige Angehörige des Expeditionskorps wie Claude Bernard-Aubert, Pierre Schoendoerffer und Raoul Coutard, von der die Kolonialkriege begleitenden Zensur geprägte Filmemacher der Nouvelle Vague wie Alain Resnais und Jean-Luc Godard sowie Marguerite Duras, die 18-jährig die Kolonie verlässt, um nie wieder dorthin zurückzukehren, thematisieren in ihren Filmen nicht nur die historische Bedeutung des Kolonialismus in Indochina, sondern auch ihren persönlichen Bezug zu dieser Realität. Ihre persönliche Situierung als Grenzgänger während der historischen Epoche der (De-)Kolonialisierung lässt in ihren Arbeiten die Anwesenheit der »Geographie der kulturellen Unsicherheit« vermuten, die sich sowohl mit dem kulturellen Material des kolonialen Imaginären auseinandersetzt als auch Ansätze seiner Dekonstruktion und Verfremdung beinhaltet. Anhand einzelner Arbeiten, die für diese erlebte Verortungserfahrung repräsentativ sind, wird diese spezifische Topographie analysiert. Es ist allerdings nicht möglich, die Spezifik dieser Topographien zu betonen, ohne die Arbeiten jener Filmemacher zu berücksichtigen, die sich außerhalb dieser Geographien bewegen. Sowohl die imperialen Filmarbeiten als auch die postkolonialen Filme von Filmemachern aus der südostasiatischen Diaspora werden immer wieder in die Analyse einbezogen.

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AMATEURE AUF AUF REISEN I: GABRIEL VEYRE FÜR DIE FIRMA LUMIÈRE

Tu vois que mon travail n’est guère pénible. Il consiste surtout en courses, en visites, en dîners, etc. Gabriel Veyre in einem Brief an seine Mutter (1899)

»Les chasseurs d’images à la conquête du monde« m onde« Reisebilder als Zeitdokument Der Film entsteht in jenem Moment, als die westliche Welt gerade auf dem Höhepunkt ihrer imperialistischen und kolonialistischen Unternehmung ist. Die Bildsprache eines Werbeplakats der Produktionsfirma Pathé der Jahrhundertwende zeigt, wie nahe sich Krieg, Kolonialismus und Kino stehen: die Kameraleute gehen im Gleichschritt, ihre Kamera tragen sie wie eine Waffe vor sich her. Begleitet werden sie von einem Hahn, als Symbol der französischen Nation Rechtfertigung für die koloniale Unternehmung und gleichzeitig Markenzeichen der Filmproduktionsfirma Pathé. Der über der Zeichnung zu lesende Werbeslogan scheut den Vergleich der abenteuerlustigen Kameraleute mit Angehörigen des Kolonialkorps nicht. A la conquête du monde sind die Operateure der Firmen Lumière, Pathé und Gaumont. Sie durchdringen die terra nullius der Kolonien, begleiten die koloniale Unternehmung und illustrieren sie mit Bildmaterial von Alltagsleben, offiziellen Besuchen, Militärparaden und sportlichen Ereignissen. Die Kamera wird auf diese Weise zu einem der ersten mobilen Objekte, das die als statisch vorgestellte Fremde durchdringt und das dort vorgefundene vor-bildliche Ereignis als Abfolge von Bildern repräsentiert. Das Objektiv besitzt in dieser Hinsicht eine zweifache Funktion: das Bild fremder Kulturen aufzunehmen und zu konservieren und gleichzeitig den Prozess des Verschwindens der Fremde zu dokumentieren. »Le processus de la découverte est dialectiquement lié à celui de la disparition: si le ci-

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Cinéma Indochina néma apparaît comme un dispositif de sauvegarde, il est en même temps un symptôme d’effacement généralisé [...].« (Michaud 1996, S. 9)

Affichette von Adrien Barrère (1906)

Die Kinoindustrie in ihren Anfängen braucht Platz, die Vororte der großen Städte und das Ausland werden zu charakteristischen Topoi für die Entwicklung des frühen Films. Die Studios siedeln sich in den Vororten der großen Städte an1, Aufnahmen aus der Fremde werden zum Markenzeichen der Firma Lumière2, das Genre der Außenaufnahmen (plein-air-Filme), auf das sich ihre Produktion spezialisiert, begründet den Erfolg des Unternehmens. Sobald es die technische Entwicklung erlaubt, ziehen die Kameraleute der Firma Lumière aus, um die neue Erfindung in der Welt bekannt zu machen. Es handelt sich zunächst primär darum, in der Ferne Bilder zu zeigen und nicht, sie dort aufzunehmen (vgl. Michaud 1996, S. 8). Der Reisefilm entsteht nur als Nebeneffekt der Ausbreitung der

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Siehe zu der Verbindung Banlieue/Cinéma die Dissertation von Valéry Landrieux: Les représentations de la banlieue dans le cinéma français de fiction et documentaire, des frères Lumière jusqu’à la fin du muet. (unveröffentlichte Dissertation, Strasbourg 2002). Algerien und Tunesien waren in ihrem Auftrag schon Anfang des Jahres 1897 von Eugène Promio als bewegtes Bild festgehalten worden. Trotz der kolonialen Bindungen Frankreichs sind allerdings Russland, Schweden und China jene Länder, die am stärksten im Lumière-Katalog vertreten sind. Nur 60 der insgesamt 1500 im Lumière-Katalog von 1905 aufgelisteten Filme stammen aus dem Maghreb (vgl. Astier Loutfi 1996, S. 20).

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre Kinoindustrie und wird zu einem der populärsten Genres, das der frühe Film zu Tage gebracht hat. Die Kameraleute begeben sich bei der Etablierung dieses Genres an Orte, die dem Publikum durch die Reiseliteratur bekannt waren und filmen diese, um sie anschließend im Rahmen unterschiedlicher Dispositive zu zeigen. Sie dienen als Hintergrundbilder für die beliebten Reiseerzählungen und tragen zu deren fortdauernder Popularität bei (vgl. Gauthier 2004, S. 35). Auch narrative Filme beziehen Reisefilme in ihre Darstellung mit ein, indem sie als Dekor und Hintergrund für die Handlung gelten; sie finden sich ebenfalls als Sequenz innerhalb vermischter Programme aus verschiedenen ›Genres‹ des frühen Films sowie in speziellen Aufführungskontexten, die in ihrer Gesamtheit ein Reiseerlebnis darstellen (vgl. Gunning 1995a, S. 22)3. Die Vorführung von Aufnahmen aus den Kolonien wird meist von laut vorgelesenen Texten begleitet, die das koloniale Projekt würdigen. Die frühen Filme waren ja bekanntlich nur in wenigen Fällen wirklich stumm (vgl. Gaudreault/Jost ²2000, S.63-71). Das bewegte Bild der entstehenden Kinoindustrie spielt eine wesentliche Rolle in der Propaganda, die die Kolonialisierung begleitet. Via Film sollen die Kolonien der Bevölkerung der Metropole näher gebracht werden. Den Reisefilmen gelingt es, den neuen Durst nach fernen Ländern zu stillen, den kolonialen Unternehmungen zu Popularität zu verhelfen, indem sie dem Publikum das Gefühl geben, die Welt sei zugänglich, möglicherweise als Ort seiner nächsten Ferien. In der Tat können die Reisefilme nicht unabhängig vom entstehenden bürgerlichen Massentourismus betrachtet werden. Ihre Qualität und ihre Beliebtheit steigen mit dem Potential, die eingeholten Bilder auch bereisen zu können. Der Konsum von Bildern lässt touristische Neugier entstehen, die Aneignung eines fernen Ortes wird vorstellbar und nährt vor allem die Unternehmer- und Reisephantasien des männlichen Klein- und Mittelbürgertums (vgl. Burch 1991, S. 57). Die Filme werden in Sälen gezeigt, die für das populäre Publikum aufgrund der hohen Preise nicht zugänglich sind. Auch die bürgerliche Kinopresse programmiert dieses Sehverhalten, indem sie Dokumentar- und Erziehungsfilmen eindeutig mehr Platz einräumt als Unterhaltungsfilmen (vgl. ebd., S. 54). Die Bilder strukturieren eine eventuelle Reise oder stellen einen Ersatz für die anvisierten Ziele dar. Die Distanz überwindenden Technologien des Zeitalters der Moderne wie Eisenbahn und Dampfschiffe 3

Die US-amerikanische Kinokette Hale’s Tour ist federführend in der Verbindung von Transportwesen und Filmvorführung. Ihre Spezialität war die Aufnahme von Bildern von Fahrzeugen aus, die anschließend in einem Projektionssaal in Form eines Eisenbahnwaggons vorgeführt wurden. Ein Schaffner entwertete die Eintrittskarten (vgl. Gunning 1995a, S.22).

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Cinéma Indochina ermöglichen Massentourismus. Reisen wird erschwinglich, und das Versorgen der Bevölkerung mit Reisebildern verhilft diesen Wirtschaftszweigen zu einem Aufschwung. »I would claim that rather than simply acting as underlying causes of this industry of travel images, a base to this superstructure, these forces are clearly visible within these images. In other words, travel images are more than an effect; they supply essential tools in the creation of a modern world view underlying all these transformations.« (Gunning 1995a, S. 25)

Auch die frühen Filmemacher sind Touristen, die in ihrer Rolle als Fokalisierungsinstanz eine touristische Sichtweise auf die bereisten Orte einnehmen. Die bewegten Bilder fungieren als Beweis, an einem anderen Ort gewesen zu sein. Der Film besitzt hier Ähnlichkeit mit der Postkarte, die – wie zahlreiche Zeitzeugenberichte beweisen – nicht nur als Souvenir der Reise gilt, sondern oft auch als ihr eigentliches Ziel. Die Aufnahme der Reisebilder steht somit nicht nur in der Tradition der Fotografie, sondern genau genommen in der der professionellen Postkarten-Aufnahme. Die reisenden Kameraleute der beginnenden Filmindustrie4 machen die vorhandenen technischen und materiellen Beschränkungen zu einem Organisationsprinzip ihrer Arbeiten und präsentieren auf der von der Firma Lumière entwickelten 17 Meter langen Filmrolle nicht einen zufälligen Ausschnitt des wirklichen Lebens, sondern inszenieren dieses Leben raffiniert und präzise (vgl. Elsässer 2002, S. 57). Die Flüchtigkeit der Reisebilder – auf der Filmrolle haben gerade 50 Sekunden Film Platz – geben eine spezifische Erfahrung von Moderne wieder. Sie zeichnen »les contours de la topologie visuelle de la modernité, un environnement fragmenté et atomisé, un regard qui, au lieu de contempler le paysage, semble être sollicité de toutes parts, bousculé, intensifié, et qui perd par conséquent sa cohérence et son ancrage« (Gunning 1994, S. 134). Das Reisebild reflektiert diese Erfahrung der Moderne jedoch nicht nur, sondern stellt auch eine ihrer Methoden dar. Es verweist auf die neue Konsumkultur, die durch das Sehen ein Verlangen entstehen lässt. Es ist mittlerweile in den Forschungsarbeiten zum frühen Film eine allgemein akzeptierte Vorgangsweise, sich bei seiner Untersuchung vom linearen, teleologischen Entwicklungsmodell der kinematographischen Narrativität zu lösen und dem frühen Film eine spezifische Form zuzugestehen (vgl. Elsaesser 2002, S. 21). Die »Reisebilder« (travel images, Gunning 1995a) sind Teil der bis ungefähr 1906/07 sowohl in fiktionalen Filmen als auch in Aktualitäten-

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Nach Elsaesser dauert diese erste Periode bis 1907 (vgl. Elsaesser 2002, S. 96).

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre filmen5 dieser Zeit dominierenden Ästhetik, die Tom Gunning als »Kino der Attraktionen« bezeichnet (vgl. Gunning 1996, S. 27). Der Akt des Zeigens und des Ausstellens ist zentral für dieses Filmschaffen. Im Gegensatz zum narrativen Kino, das Christian Metz als voyeuristisch bezeichnet hat, ist das Kino der Attraktionen exhibitionistisch, es widmet sich auf seine Weise ebenfalls der Skopophilie, der Schaulust des Publikums, indem es sich direkt an den Zusehenden wendet, seine Aufmerksamkeit und seine Neugier durch den Akt des Zeigens erweckt. Es repräsentiert jedoch nicht nur ein vor-bildliches Motiv als aufregendes Spektakel, sondern es zeigt sich selbst, bricht die Realismusillusion des Films und reißt so das Publikum aus seiner diegetischen Versunkenheit (vgl. ebd., S. 30). Thomas Elsässer kritisiert an vielen Avantgarde-Lesarten der frühen Filmdokumente deren fehlende Einbeziehung historischer, sozialer und ökonomischer Gegebenheiten (vgl. Elsässer 2002, S. 60). Gunnings Konzept des Reisebildes als Teil des »Kinos der Attraktionen« betont hingegen geradezu kulturhistorische Referenzen, die er als Voraussetzung für formale und ästhetische Elemente der Filmsprache einer bestimmten Periode der Filmgeschichte wertet.

Gabriel Veyre, Kameramann der Firma Lumière Die erste Aufnahme aus Indochina ist mit 30. Dezember 1896 datiert. Constant Girel filmt auf seinem Weg nach Japan Coolies à Saigon, ein rasches Bild auf der Durchreise, das sich einigen coolies widmet, die eine Straßenwalze ziehen.6 Das Publikum muss an-

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Die Forschung zum frühen Film bevorzugt für den Bereich des non-fictionFilms der Vorkriegszeit den Begriff »Aktualitätenfilm«. Dieser unterläuft während des Ersten Weltkriegs bedeutende Transformationen und wird erst ab diesem Zeitraum durch den Terminus »Dokumentarfilm« abgelöst (vgl. Gunning 1995b, S. 112). Coolies waren Arbeiter, deren Migration aus den Hochplateaus Zentralvietnams nach Kambodscha, auf die Hebrideninseln und nach Neu-Kaledonien organisiert wurde, wo sie in den Plantagen und Minen harte Arbeit leisteten (vgl. Brocheux 2003, S. 362). Im Gegensatz zu den ›freien‹ Arbeitern waren sie für drei Jahre vertraglich an ihren Arbeitgeber gebunden. Das koloniale Imaginäre reduzierte die Bedeutung des Begriffs coolie vor allem auf einen Tagelöhner, dem die Reisenden in den Städten vor allem als Träger begegnen. Als solcher scheint er als exotistisches Motiv regelmäßig in der Reiseliteratur auf. Für die Exposition coloniale in Vincennes von 1931 ließ man sogar coolies aus Indochina kommen, um das Publikum zu den verschiedenen Veranstaltungen zu transportieren. Ihr Dienst vermittelte der Bevölkerung der Metropole ein Bild der asiatischen Bevölkerung als unterwürfig: »[...] la position de supériorité du voyageur colonial s’exerce

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Cinéma Indochina schließend eine Weile auf weitere Bilder aus dieser Kolonie warten. Die Firma Lumière entsandte erst im Jahr 1899 mit Gabriel Veyre einen weiteren Kameramann nach Indochina, von dessen zehnmonatigem Aufenthalt heute an die 40 Aufnahmen – Vues d’Indochine – aus der Kolonie erhalten sind. Seine Filme stammen zum Großteil aus den Zentren Saigon, Hué und Phnom Penh und ähneln einem Reisetagebuch. Sie stellen den im Aufbau befindlichen modernen Kolonialstaat vor und fangen Straßenszenen, touristische Attraktionen sowie Alltagsmomente ein. Schon zuvor war der Lumière-Kameramann weit herumgekommen. Aus Kanada, Mexiko, Venezuela, Guadeloupe und schließlich auch aus Japan und China existieren Aufnahmen7 von Veyre. Sein Nachlass ermöglicht die Beschreibung seiner Reiseroute und die Personifizierung der anonymen Kamera-Instanz der Firma Lumière (vgl. Jacquier/Pranal 1996). Seine Beobachtungen und Erfahrungen, die er mit Witz und jugendlichem Charme sehr anschaulich und präzise in Briefen an seine Familie schildert, geben nicht nur Aufschluss über die Arbeit eines Lumière-Kameramannes und die von ihm bereisten Länder, sondern skizzieren den Charakter eines jungen Mannes seiner Epoche. Gabriel Veyre ist ein typischer Vertreter seiner Gilde, als Absolvent der medizinisch-pharmazeutischen Fakultät von Lyon besitzt er die notwendigen chemischen Kenntnisse, um von der Firma Lumière rasch zum Kameramann ausgebildet und in die Welt geschickt zu werden, wo er einerseits Filme vorführt, andererseits auch neue Filme aufnimmt. Von Cinephilie kann man bei Veyre wie auch bei seinen Kollegen noch nicht sprechen. Die Leidenschaft für das Filmen ist nicht vorherrschend, vielmehr ist diese Tätigkeit eine Möglichkeit, die Welt zu entdecken, Abenteuer zu erleben und Geld zu verdienen – Veyre möchte mit seinen Einkünften später eine Apotheke in Lyon erwerben. Doch anders als seine Kollegen ist Veyre mehr als ein chasseur d’images8. Er interessiert sich für die Kulturen und Traditionen der von ihm bereisten Länder, stürzt sich in das Abenteuer Reisen, lernt die Sprachen sei-

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dès la montée dans un pousse à Vincennes; tous les sens y sont impliqués: image visuelle du dos d’un homme penché dans l’effort de servir et puisque le voyageur regarde droit devant lui, ce dos reste dans la partie inférieure de son champ optique; sensations tactiles des heurts et mouvements du siège contre le corps et du vent dans le visage; sensation auditive des pieds qui courent sur le tarmac, etc.« (Radar 2008, S. 284) Auf http://www.gabrielveyre-collection.org kann einen Blick auf die Arbeiten Veyres geworfen werden. Dieser Begriff des ›Bilderjägers‹ stammt aus den Memoiren des LumièreKameramannes Félix Mesguich (vgl. Mesguich, Félix: Tours de manivelle. Souvenirs d’un chasseur d’images. Paris 1933.)

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre ner Gastländer und ist um genaue Kenntnis der Sitten und Bräuche bemüht (vgl. Rittaud-Hutinet 1985, S.125-135). Gabriel Veyre erreicht Indochina zu der Zeit, als Paul Doumer, Generalgouverneur von 1897 bis 1902, die Indochinesische Union mit einer kolonialen Administration versieht. Doumers Amtszeit9 gilt als Gründungsperiode des modernen Kolonialstaats (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 84ff). Auf ihn geht die Einrichtung der zentralistischen Verwaltung der Indochinesischen Union zurück sowie wesentliche Wirtschaftsunternehmungen, begleitet von Hygienekampagnen und bildungspolitischen Initiativen. Er führt auch ein strenges Steuersystem ein, das Kreditrückzahlungen an das Kernland erlaubt. Die Kolonie sollte der Metropole keine zusätzlichen Kosten verursachen, sondern dieser vor allem Gewinne bringen.10 Doumers Steuersystem stützte sich besonders auf indirekte Steuern. Er errichtete auf Salz, Opium und Reisalkohol – der Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung – ein staatliches Monopol, das bis zum Zweiten Weltkrieg einen Großteil des Finanzhaushaltes der Kolonie bestritt11. Zwar produzierte der Staat diese Waren nicht selbst, jedoch hatte er die Kontrolle über die Raffinerie, die Destillation und den Verkauf derselben inne. Gegen die belastende Steuergesetzgebung, die neben den indirekten Steuern auf Waren auch direkte Steuern, wie Grundstückssteuer und Kopfsteuer beinhaltete, erhob sich mehrmals – 1908, 1930/31, 1937/38 – die Landbevölkerung in den Provinzen, worüber allerdings in der Öffentlichkeit nur wenig berichtet wurde. Paul Doumer, Schatzmeister der Freimaurerloge Grand Orient de France, glaubt an Fortschritt durch kulturelle und wissenschaftliche Unternehmungen (vgl. Lorin 2008, S. 108-121). Er ist es auch, der bei Gabriel Veyre 500 Aufnahmen aus der Kolonie in Auftrag gibt und ihm die notwendige Unterstützung für die Dreh- und Fotografiearbeiten entgegenbringt. »Le gouverneur de l’Indochine a été très gentil avec moi. Il a fait donner des ordres pour me faciliter tous mes voyages et m’a prié de prendre le plus grand nombre de vues possibles pour l’Exposition [universelle de 1900, Anm.] de Paris afin de faire connaître à la France le Tonkin tel qu’il est.« (Veyre in einem Brief an seine Mutter vom 26. Mai 1899)

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Doumer macht anschließend Karriere in der Metropole und wird 1931 französischer Staatspräsident. Ein Jahr darauf erliegt er einem Attentat. 10 Selbst die Kosten für die aufwändigen Gebäudereproduktionen auf der Pariser Weltausstellung von 1900 werden durch den budget général de la colonie finanziert. 11 Die Steuern auf Reis, Alkohol und Opium machten 1942 noch 29% des Finanzhaushaltes Indochinas aus (vgl. Brocheux 2003, S. 361).

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Cinéma Indochina Regelmäßig veranstaltet Veyre auch Filmvorführungen in Indochina. Die aus Frankreich mitgebrachten Bilder erwecken beim Publikum nostalgische Erinnerungen an die Heimat. L’avenir du Tonkin vom 6. Mai 1899 berichtet ausführlich über eine Filmvorführung Gabriel Veyres: »Hier soir, au Cercle de l’Union, M. G. Veyre a donné la séance annoncée. L’affluence était nombreuse, des dames et des enfants se pressaient dans une des salles du cercle aménagée pour la circonstance. [...] Les scènes qu’a déroulées ensuite le cinématographe ont beaucoup intéressé. Il est cependant à regretter que l’écran ait été placé aussi bas et que la brise l’ait fait remuer un peu trop fréquemment; l’installation était faite à la hâte de telle sorte que le haut des personnages était projeté en dehors de l’écran, mais ce sont là des questions de détails auxquelles il sera facile de remédier dans les prochaines séances. [...] Citons au hasard, parmi ceux qui ont excité le plus d’intérêt : [...] L’Arrivée d’un train, tableau classique que nous avons tous présent à la mémoire et qui nous rappelle le pays ; les voyageurs sont tous pâles comme s’ils avaient eu le mal de mer; on reconnait non les personnes mais des modèles connus; la petite bonne; le garçon boucher, le jeune homme en quête d’emploi qui émigre de son village avec son modeste baluchon; peut-être vient-il chercher fortune au Tonkin, les mouvements gauches des enfants sont parfaitement rendus. […].«

Reisebilder aus Indochina Gabriel Veyre improvisiert seine Routen vor Ort. Er wählt das Motiv seiner Aufnahmen selbst aus, wobei ihm Kontaktpersonen in Indochina sowie zwei ›boys‹12 behilflich sind. Seine Filme reflektieren die Entwicklungen des frühen Films und dessen Verschmelzung mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strömungen der Moderne. In den 40 aus Indochina stammenden Filmen finden sich mehrere inhaltliche Schwerpunktsetzungen. Der Großteil stellt den charakteristischen Bild-Kanon der Kolonie vor. Viele Filme Veyres zeigen Arbeitsprozesse in der Kolonie, oft aufgenommen in Fabriken 12 »J’ai cinq cents vues de cinémato à prendre et à développer, ce qui représente un fort travail. J’ai pris pour m’aider deux garçons qu’on appelle ici des ›boys‹. Ce sont deux Annamites dont l’un s’occupe surtout de ma chambre, de mon linge, mes vêtements, etc. L’autre s’occupe principalement de la photographie. En outre, comme il parle très bien le français (étant resté deux ans à Paris), il me sert d’interprète lorsque je vais dans la brousse (campagne) où les paysans ne comprennent pas un mot de français. Il leur explique ce qu’il y a à faire pendant que je prends mes vues. Celui-là s’appelle Nam. Quant à l’autre, il a un nom si difficile à prononcer. Aussi je l’appelle simplement Jean. [...].« (Gabriel Veyre in einem Brief an seine Mutter vom 9. Oktober 1899)

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre französischer Unternehmer (La ferme Vaudelet et Faraud: Sortie de l’étable, Sortie de la briqueterie Meffre et Bourgoin à Hanoi, Les mines de charbon de Hongay, Faucheurs annamites, Déchargement du four à briques). In den Fabriken leisten indigene Frauen, Männer und Kinder schwere körperliche Arbeit, während die Kolonialherren die Vorgänge überwachen und den Lohn ausgeben. Daneben finden sich touristische Attraktionen (Danseuses Cambodgiennes du roi Norodom), traditionelle Feierlichkeiten (Promenade du Dragon, Fête des fleurs), offizielle Anlässe wie Königsprozessionen (Le roi de Cambodge se rendant au Palais) und Militärparaden (Défilé de l’infanterie de marine) sowie sportliche Ereignisse (Courses d’ensemble des régates). Er inszeniert und imitiert klassische Motive der LumièreProduktion (La sortie de l'Arsenal) und Situationen, die sich auf das Imaginäre der Kolonie berufen (Fumerie d'opium, Repas annamite). Die Filme der vie quotidienne machen Veyres Bemühen um die persönliche Er-fahr-ung der Kolonie deutlich. Der Zuschauer begleitet ihn auf seiner Reise, einige Aufnahmen zeigen, wie sich der Kameramann im Land fortbewegt (A bord du ›Tonkin‹ – le saut à la corde, Passage en chaises à porteurs au col des Nuages, Descente en charrettes à boeufs de la jetée d’Angkor Vat13), wie die Bevölkerung außerhalb der von kolonialer Bautätigkeit geprägten Städte lebt (Au village de Namo – Panorama pris d’une chaise à porteurs) und durch welche Mechanismen das Zusammenleben zwischen kolonialer und kolonialisierter Gesellschaft geprägt ist (Enfants annamites ramassant des sapèques devant la Pagode des Dames). Gabriel Veyres Aufnahmen entsprechen jedoch nicht nur inhaltlich, sondern auch formal den Ansprüchen der Lumière-Reisebilder des endenden 19. Jahrhunderts. Als eine im Raum verkörperte Instanz – Veyre ist sowohl die Erzähl- als auch die Fokalisierungsinstanz – schafft er eine Topographie als Repräsentation von Raum in Indochina. Für die Untersuchung der Erzählinstanz der Lumière-Filme schlägt Livio Belloï einen Terminus vor, der sich sowohl von der bisherigen biographischen Beschreibung der Kameraleute im Anschluss an Rittaud-Hutinet unterscheidet, als auch der Nichtbeachtung dieser Instanz in zahlreichen Analysen trotzt. Diese sprechen in der Regel verallgemeinernd von Lumière-Filmen und beziehen sich immer wieder auf die ersten, von Auguste und Louis Lumière aufgenommenen vues. Belloï verwirft die Betrachtung des opérateurs als Individuum und schlägt stattdessen den narratologisch geprägten Begriff der »Operator-Instanz« vor, die die von Baudelaire

13 Der Originaltitel lautet Descente en charrettes à boeufs de la jetée d’OeugKor-Wat. Die Orthographie der Eigennamen bereiten den französischen Lektoren noch bis zum französischen Indochinakrieg Probleme.

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Cinéma Indochina beschriebenen Eigenschaften des Flaneurs trägt (vgl. Belloï 1995, S. 27). Wie der Flaneur Baudelaires wandelt auch Gabriel Veyre als spectateur passionné und peintre de la vie moderne durch die Landschaft des kolonialen Indochinas. »La foule est son domaine, comme l’air est celui de l’oiseau, comme l’eau celui du poisson. Sa passion et sa profession, c’est d’épouser la foule. Pour le parfait flâneur, pour l’observateur passionné, c’est une immense jouissance que d’élire domicile dans le nombre, dans l’ondoyant, dans le mouvement, dans le fugitif et l’infini. Être hors de chez soi, et pourtant se sentir partout chez soi; voir le monde, être au centre du monde et rester caché au monde, tels sont quelques-uns des moindres plaisirs de ces esprits indépendants, passionnés, impartiaux que la langue ne peut que maladroitement définir.« (Baudelaire 1976, S. 691f.)

Während der Blick des Flaneurs trotz seines Eintauchens in die Menge einen gewissen Abstand zu dem Ereignis bewahrt, ist der Blick der Operator-Instanz ein interessierter, da sie auf ein wirkungsvolles Ergebnis seines Blicks in Bildform abzielt. Auf der Suche nach einem geeigneten Standplatz für die Kamera, einem passenden Bildausschnitt und immer darauf bedacht, dass die Dauer des Ereignisses der Länge der Filmrolle entspricht, ändert die Operator-Instanz ihre Position. Sie wird von einem vorübergehenden Flaneur zu einem im Hintergrund der Menge befindlichen Beobachter (vgl. Belloï 1995, S. 29). Belloï bezeichnet diesen für die Lumière-Filme charakteristischen Vorgang als eine »völlig intuitive[n] Erforschung des zwischenmenschlichen Raums und seiner Riten […]« (Belloï 1995, S. 46). Allein mit Intuition kann für Reisebilder jedoch keine Attraktion geschaffen werden. Um in der Fremde eine Attraktion zu produzieren, muss sich die Operator-Instanz zumindest in geringem Maße mit den dortigen Riten, Praktiken und Bräuchen vertraut machen und dafür spezifische Aufnahmemodi entwickeln. Gabriel Veyre tut dies vor allem in jenen Filmen, die das Alltagsleben der Kolonie abseits von öffentlichen Veranstaltungen darstellen. Diese Szenen sind charakteristisch für Veyres Bemühen um eine persönliche Sicht auf die von ihm bereiste Umgebung, bestehende ästhetische und ideologische Codes fließen dennoch in die Aufnahmen ein. In A bord du ›Tonkin‹ – le saut à la corde sieht man europäische Reisende auf einem Dampfer. Vier weitere vues wurden auf diesem Dampfer gedreht, die ebenfalls die Passagiere bei verschiedenen Spielen zeigen. Der mit einer statischen Kamera aufgenommene Bildausschnitt versammelt französische Zivilisten – neben der lebhaften Bewegung eines Springschnur springenden Kindes eine Frau und einen älteren Herrn –, aber auch einen Offizier und einen Poli-

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre zisten als Vertreter der kolonialen Autorität. Diese Aufnahmen stammen wahrscheinlich von Veyres eigener Schiffsüberfahrt nach Indochina. Die durch Reiseerzählungen konventionalisierte Ankunftsszene auf dem Dampfer verweist nicht nur auf die Reise Veyres, sondern stellt den Rahmen und den Ausgangspunkt für Kontaktbeziehungen her (vgl. Siegert 2004). Veyre befindet sich zum Zeitpunkt dieser Aufnahme noch nicht in der Kolonie, die Reise mit dem Schiff ist ein Moment der Transition, das Meer repräsentiert einen Zwischenraum, der überwunden werden muss. Michel Foucault stellt in seinen Überlegungen zur Heterotopie ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der Kolonie und dem Schiff her, indem er beiden Räumen die Funktion einer Illusionsheterotopie zuschreibt. »Maisons closes et colonies, ce sont deux types extrêmes de l’hétérotopie, et si l’on songe, après tout, que le bateau, c’est un morceau flottant d’espace, un lieu sans lieu, qui vit par lui-même, qui est fermé sur soi et qui est livré en même temps à l’infini de la mer et qui, de port en port, de bordée en bordée, de maison close en maison close, va jusqu’aux colonies chercher ce qu’elles recèlent de plus précieux en leurs jardins, vous comprenez pourquoi le bateau a été pour notre civilisation, depuis le XVIe siècle jusqu’à nos jours, à la fois non seulement, bien sûr, le plus grand instrument de développement économique (ce n’est pas de cela que je parle aujourd’hui), mais la plus grande réserve d’imagination.« (Foucault 1994 [1967], S. 762)

Für Foucault ist das Schiff eine Heterotopie par excellence, die eng mit dem Abenteuer verbunden ist: existiert in einer Gesellschaft kein Schiff mehr, gibt es auch keine Abenteuer (vgl. ebd.). Indem sich Veyre in einigen Filmen den Ereignissen auf dem Dampfer zuwendet, spiegelt auch er die Schiffsreise als kolonialen Topos, der seine abenteuerliche Reise in die Kolonie ankündigt. In Fumerie d’Opium und Repas annamite arbeitet Veyre mit intermedialen Verweisen. Fumerie d’Opium zeigt in statischer Aufnahme zwei liegende, traditionell gekleidete Männer. Einer der Männer stopft eine Opiumpfeife, die er anschließend an sein Gegenüber weiterreicht und anzündet. Anschließend wird auch ihm die Pfeife gereicht. In Repas annamite sieht man zwei Männer beim Essen von Reis. Fumerie d’Opium und Repas annamite weisen ein identisches Dekor auf. Im Bildhintergrund befinden sich eine Pflanze, eine Uhr und ein Bild mit asiatischen Schriftzeichen. Das Dekor ist offensichtlich arrangiert, wir befinden uns wie bei allen LumièreFilmen unter freiem Himmel. Anzunehmen ist also auch, dass die Szenen nachgestellt sind. Sie erinnern an Postkartenaufnahmen der Jahrhundertwende, die bei der Konstituierung eines imaginären Indochinas für die Bevölkerung der Metropole eine bedeutende Rolle eingenommen haben (vgl. Yee 2004, S. 5-19). Trotz der Präsenz französischer Missionare ab dem 17. Jahrhundert wurden für Indo61

Cinéma Indochina china keine bildlichen Codes geschaffen, wie es der Malerei für Afrika, Indien und Südamerika gelungen ist. Für die Perle de l’Empire fehlt es an vorgegebenen Referenzen, so dass durch den durch die Postkartenindustrie plötzlich steigenden Bedarf an ikonographischen Darstellungen bekannte Klischees wiederverwertet werden. Diese schöpfen aus dem exotistischen Diskurs, der in Frankreich über Nordafrika und China herrschte, sowie aus der europäischen Portraitfotografie und konstruieren Indochina aus bildlichen Codes der anderen Kolonien und der Metropole, die als Massenware von einer geographischen Region zur anderen weitergegeben werden (vgl. Yee 2004, S. 17). Die beiden Filme erinnern auch daran, dass Veyre ein Beobachter von außen ist, ihm bleibt der Zugang zur Intimität der indochinesischen Gesellschaft verwehrt, er muss sich mit Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum begnügen oder die indigene Lebensart nachstellen. Gabriel Veyre folgt in seinen Aufnahmen den Erwartungen seines Publikums und seiner Auftraggeber. Diese verlangten vor allem Bewegung, und Veyre entwickelte vielfältige Bewegungsabläufe vor der Kamera und mit der Kamera, die er gekonnt auf den Filmstreifen bannt. Dafür greift er selbstverständlich auch auf die typische Lumière-Aufnahmetechnik zurück, bereits in Gang befindliche Ereignisse zu filmen. Er wählt für diesen Vorgang vor allem touristische Attraktionen, Arbeitsvorgänge in Fabriken, Straßenumzüge und das bekannte Lumière-Motiv der sortie d’usine. Livio Belloï hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch diese Aufnahmen nicht zufällig produziert werden, sondern auf einen interaktiven Prozess zwischen Beobachter und Beobachtetem zurückgeführt werden können. »Als Flaneur ist der Lumière-Operateur eins geworden mit der Menge, in die er eingetaucht ist; nichts unterscheidet ihn von ihr, nichts hebt ihn aus ihr heraus. Wenn er dann zum Beobachter wird, der sich in einigem Abstand und etwas zurückgezogen hinter der Aufnahmeapparatur aufstellt, so bewirkt dies eine tiefgreifende Veränderung: Er zieht nun seinerseits die Aufmerksamkeit und den Blick der Gaffer auf sich. […] War er [der Gaffer, Anm.] zuvor zerstreut, in Bewegung und für alles offen, so wird sein Blick nun ›fixiert‹, er richtet sich auf den Operateur und seine Kamera, die so zu einem Attraktionspol werden, zu einem Brennpunkt der visuellen Aufmerksamkeit.« (Belloï 1995, S. 30)

Belloï unterscheidet drei Formen, mit denen der Gaffer auf den souveränen Blick der anwesenden Kamera reagiert (ebd., S. 41-44). In einem kolonialen Kontext ist dieser Blick nicht nur der Ausdruck einer Interaktion, sondern besitzt auch eine politische Komponente. Veyres Filme dominiert vor allem das »indirekte Erkennen des Aufnahmeapparats«. Die Leute gehen an der Kamera vorbei und tun so, als ob sie sie nicht sähen. In Sortie de la briqueterie Meffre et Bour62

Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre goin à Hanoï verdeckt einer der indigenen Arbeiter sein Gesicht hinter seinem Hut. Belloï bezeichnet ein Verhalten dieser Art als »negatives Erkennen der Apparatur«. Jemand misstraut der Kamera und möchte von ihr nicht gesehen werden. Dieses Misstrauen gegenüber der Kamera wird zu einem Attraktionsmotiv des frühen Films. Auch zahlreiche fiktionale Filme aus der Frühzeit des Kinos thematisieren diese Weigerung, sich fotografieren zu lassen (vgl. Belloï 1995, S. 42). Der Arbeiter der Fabrik Meffre et Bourgoin könnte mit seiner Weigerung auf den Eigentumscharakter seiner Abbildung hinweisen wollen, ein kulturelles Bilderverbot existiert in Indochina nicht. Veyre wird hier als neugierigem Betrachter ein Widerstand gegen die Herrschaft des kolonialen Blicks entgegengebracht. Das »positive Erkennen der Kamera«, bei dem der Blick offen auf die Kamera gerichtet wird – ebenfalls ein Motiv der fiktionalen Attraktionsfilme –, findet sich in den vues des Gabriel Veyre nur zwei Mal, in Au village de Namo und Enfants annamites ramassant des sapèques. Es muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Instrumentalisierung der Kamera, um körperliche Bewegung hervorzurufen, besonders in Zusammenhang mit Reisefilmen aus der Kolonie, kein rein technischer Vorgang ist. Dieses Genre bebildert die Interaktion zwischen Kolonisten und Kolonisiertem und betont die Trennung zwischen der Fokalisierungs- bzw. Operatorinstanz und dem Subjekt der Fokalisierung. Fatimah Tobing Ronys Untersuchung über die Ikonographie ethnischer Zugehörigkeit (race) in den Filmen des Physikers Félix-Louis Regnault von 1895 bietet interessante Ansatzpunkte für die Analyse der inszenierten vor-bildlichen Bewegung der indigenen Bevölkerung in Veyres Aufnahmen. Tobing Rony erläutert in ihrem Artikel, wie während der Jahrhundertwende in der Repräsentation von race das wissenschaftliche mit dem populären Imaginären korreliert (vgl. Tobing Rony 1992, S. 265). Für Regnault ist die Art der Bewegung repräsentativ für die ethnische Zugehörigkeit. Das Medium Film betrachtet er als ideales positivistisches Medium, um diese Bewegung für anthropologische Studien zu konservieren. Regnault negiert in seinen Filmen das Sprachvermögen der ›primitiven Völker‹. Diese sprächen vielmehr mit ihrem Körper, sie verwenden le »langage par gestes« (ebd., S. 275). In seinen Filmen spricht Regnault dem indigenen Subjekt Stimme und Individualität ab, indem sein Gesicht kaum sichtbar, sein angedeuteter Blick in die Kamera nur ein indirektes Erkennen des Apparats erlaubt und durch die Fokussierung auf die Bewegungsformen sein Körper abstrahiert wird. »Thus humanity was divided not only into those who sit and those who squat, but those who have language and those who gesticulate.« (Tobing Rony 1992, S. 276) In Au village de Namo – Panorama pris d’une chaise à porteurs laufen indigene Kinder der Kamera hinterher, während die Erwach-

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Cinéma Indochina senen am Rand des Bildausschnitts stehen und die Szene beobachten. Zwei Träger befinden sich ebenfalls im Bildrahmen. Das Verhalten der Kinder lässt ein positives Erkennen der Aufnahmeapparatur vermuten, lachend verfolgen sie die Kamera. Die Erwachsenen, die stehend im Bildrand zu sehen sind, blicken ebenfalls direkt in die Kamera. Ihren Blick würde man vielleicht am ehesten als skeptisch bezeichnen. Veyres Entscheidung, Kinder in Großaufnahme festzuhalten und somit ihre Darstellung als Individuen zu unterstreichen, folgt dem kolonialen Diskurs. »Doublement enfant, donc doublement soumis. Tout était dans l’ordre.« (vgl. Ruscio 1996, S. 61) Den Kindern wird mit Sympathie begegnet, die erst durch den Eintritt in das Erwachsenenalter zu Subjekten werden, die in der Lage sind, die koloniale Ordnung zu stören. Außergewöhnlich für Au village de Namo ist jedoch vor allem die Aufnahmetechnik. Veyre verwendet eine Kamerafahrt nach rückwärts, um die Stimmung in der Stadt einzufangen. Die Kamerafahrt hat ihren Ursprung im Reisefilm, wo sie den oberflächlichen Blick des Reisenden auf das bereiste Land wiedergibt.14 Ausgehend von Aufnahmen von Schiffen aus wurde die sogleich travelling genannte Kamerabewegung auf verschiedenen beweglichen Unterlagen technisch weiterentwickelt und zu einer Attraktion der Reisebilder, mit der der Kameramann seine Gewandtheit im Umgang mit dem filmischen Material zur Schau stellte. »Le travelling, figure stylistique originelle du voyage, est aussi la figure de l’introspection: avec l’apparition du défilement latéral, la représentation du mouvement venait coïncider avec l’opération filmique, de sorte que dans une grande boucle, en produisant des images du lointain, les cinéastes décrivaient leur propre activité.« (Michaud 1996, S. 9)

Das vor-bildliche Ereignis ist für Veyre also in dieser vue sekundär, es geht ihm vor allem um die Darstellung seines eigenen Handwerks. Die Faszination für die Technik der Filmaufnahme und ein Verweis auf Veyres Filmarbeit befinden sich auch in La sortie de l’Arsenal. Das klassische Lumière-Szenario des Fabriksauszugs wird hier um eine Attraktion erweitert. Vor den Toren befindet sich ein Mann – vermutlich der Assistent Veyres –, der mit seiner Kamera eine Aufnahme simuliert. Die Aufnahme der Kamera erinnert an die Begeisterung, auf die die Technik des Films bei seinem frühen Publikum stieß. Anfänglich waren ja Besucher zahlreich, die nur 14 Bis heute ist allerdings nicht geklärt, ob die Erfindung auf Eugène Promios Venedig-Aufnahme Panorama du Grand Canal pris d'un bateau (1896) zurück geht oder doch eher Constant Girels Köln-Panorama Panorama pris d'un bateau (1896) zugeschrieben werden soll. Vgl. http://www.victoriancinema.net/promio.htm vom 08. 07. 2008.

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre kamen, um die kinematographische Technologie zu bestaunen. Die Simulation der Aufnahme wurde von den Kameraleuten sogar zum Zwecke der Werbung benutzt. Die sich vor der Kamera befindenden Menschen kamen oft in die Vorstellung, um sich auf der Leinwand ›verewigt‹ zu sehen (vgl. Rittaud-Hutinet 1985, S. 157). Veyre selbst scheint auch mit diesem Motiv seine Anwesenheit in der Kolonie dokumentieren zu wollen. Deutlicher wird der politische Aspekt der vor-bildlichen Bewegung in Enfants annamites ramassant des sapèques15 devant la Pagode des Dames. Der Film zeigt, wie sich indigene Kinder beeilen, Münzen aufzusammeln, die ihnen von zwei in hellen Farben gekleideten Damen zugeworfen werden. Die beiden Damen sind Mlle und Mme Paul Doumer, Tochter und Ehefrau des Gouverneurs. Nicht nur die forcierte Bewegung der Kinder macht diesen Film zu einem, dessen Filmsprache sich auf die Seite des Kolonialherren schlägt. Obwohl sich die Kinder im Vordergrund bewegen, sind Mme und Mlle Paul Doumer durch ihre erhöhte Position das zentrale Thema der Aufnahme und jene, die die Bewegung der Kinder dirigieren. Sie stehen erhöht auf einer Treppe, von der sie auf die Kinder herabblicken. Die Frauen stehen aufrecht, während die Kinder gebückt nach Münzen suchen, sie geben etwas, während die indigene Bevölkerung etwas von ihnen nimmt. Die annamitischen Kinder definieren sich in diesem Film durch die Gestik, die Münzen einzusammeln, sie sehen nicht in die Kamera, ihre Gesichter sind verschwommen. Außerdem verlässt keines der Kinder während der Aufnahme den vom Bild vorgegebenen Rahmen, der Vergleich des Bildrahmens mit einem Käfig liegt nahe. Der direkte Blick der gefilmten Personen in die Kamera, ein Merkmal des Kinos der Attraktionen, das der Kontaktaufnahme mit dem Publikum dient, ist in dieser Aufnahme Doumers Frau und Tochter vorbehalten. Ihr Blick adressiert allerdings nicht nur die Kamera, sondern den Beobachter, der sich hinter ihr befindet, also Gabriel Veyre. Der Blick der Frauen drückt Freude darüber aus, einen vertrauten Apparat und eine ihnen bekannte Person zu sehen.

15 Mit den sapèques genannten Zinkmünzen bestritt die Landbevölkerung von Annam und Tongking ihren Handel, die Steuern wurden allerdings in Piastern eingehoben, deren hoher Wechselkurs die von Subsistenzwirtschaft und Tauschhandel lebende Landbevölkerung zwang, einen Überschuss zu produzieren, um die Steuern bezahlen zu können (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 134f). Für die Vertreter der Kolonialherrschaft waren die sapèques wertlos.

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Cinéma Indochina

Gabriel Veyres AntiAnti - Geographien des kolonialen Imaginären Aus der Sicht eines postkolonialen Textverständnisses schreiben sich die Aufnahmen Gabriel Veyres zunächst sowohl inhaltlich als auch filmsprachlich in einen kolonialistischen Diskurs ein. Indochina ist ein Blickobjekt, ein – teilweise inszeniertes – Spektakel, dessen Bilder zu populären Topoi werden, die nach kolonialen ›Importen‹ wie Tourismus und Industrie verlangen. In Veyres Filmen lässt sich der koloniale Diskurs aus der Zeitbezogenheit seiner Aufnahmen herauslesen. Sie widmen sich großteils der – von Albert Sarraut 1921 programmatisch festgeschriebenen – mise en valeur der Kolonie16, ihrer Entwicklung in Hinblick auf kolonialen Profit und Rentabilität. Die Aufnahmen der Arbeitsvorgänge sind an die Metropole gerichtet, Veyre filmt sie als ›Pflichtprogramm‹ ohne Raffinesse. Die indigene Bevölkerung ist vorwiegend bei der Arbeit in französischen Unternehmen zu sehen, Paul Doumer und seine Familie treten mehrmals als Motiv in Erscheinung. Vor allem wenn es sich um repräsentative und symbolische Momente handelt, wählt Veyre einen fixen Aufnahmemodus, der die kolonisierte Kultur als unbeweglich vorstellbar macht. Die landschaftlichen und architektonischen Besonderheiten der Kolonie scheinen meist nur als Hintergrund differenzierter Bewegungsabläufe auf, sie besitzen die Funktion des paysage-fond. Der Elefantenmarsch und die Ochsenkarren vor der Tempelanlage Angkor Wat sind dafür wohl das überzeugendste Beispiel. Der in den Filmen der Firma Lumière vorherrschende fixe Kamerastandpunkt, den auch Veyre hauptsächlich einnimmt, unterstreicht die Stabilität der fremden Kultur und folgt somit der sozialkonventionellen Semantisierung der Epoche. Veyres Indochina besitzt aus dieser Perspektive die Eigenschaften einer Karte, über den fixen Kamerastandpunkt erscheint die Kolonie in räumlicher und symbolischer Distanz. Außerhalb des ›Pflichtprogramms‹ reflektiert der komplexere Aufnahmemodus der Kamerafahrt das Bemühen um eine geeignete filmsprachliche Verarbeitung für das Raumerleben des operateur. Auf diese Weise fokussiert der Kameramann auch seine persönliche Beziehung zu den Figuren dieser Landschaft. Indochina erhält in diesen Aufnahmen Veyres als paysage-drame die Funktion eines Handlungsträgers, der die Kolonie als einen Ort der Begegnung der westlichen mit der fernöstlichen Kultur darstellt. Die räumliche und symbolische Distanz wird in jenen Aufnahmen aufgehoben, die auf eine Interaktion zwischen der Fokalisierungsinstanz und dem Foka-

16 1920 veröffentlichte Albert Sarraut seinen Entwicklungsplan für die Kolonien (Plan Sarraut) unter dem Titel La mise en valeur des colonies.

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Amateure auf Reisen I: Gabriel Veyre lisierungsobjekt verweisen sowie in jenen, die mittels der Kamerafahrt die Wahrnehmungsqualitäten eines Parcours – das durch die Bewegung durch den Raum entstehende Eingebundensein in die Welt – vermitteln. Veyre semantisiert als Erzählinstanz die Landschaft in diesen Fällen über eine interne Fokalisierung subjektiv. Die Blicke in die Kamera sind gleichzeitig auch Blicke auf Veyre. Sie sind vor allem Angehörigen der kolonialen Autorität und Kindern vorbehalten. Der Einsatz der Kamerafahrt dient der Wiedergabe einer räumlichen Erfahrung, durch die der Kameramann seine Anwesenheit in der Kolonie dokumentiert. Es handelt sich bei dieser Bewegung vor allem um eine autoreflexive Bewegung der OperatorInstanz. Auch die Simulation einer Filmaufnahme fügt sich in dieses autoreflexive Schema ein. Veyre versucht in seiner inhaltlichen Wiedergabe der Kolonie nur selten der exotistischen Neugier des frühen Publikums gerecht zu werden, seine Sicht auf Indochina ist von Realismus geprägt17, so sehr, dass seine Aufnahmen bei ihrer Ausstrahlung auf der Weltausstellung von Paris im Jahre 1900 nur wenig Beachtung finden.18 Beim Publikum finden Japonaiseries und Chinoiseries mehr Anklang als die von Veyre mitgebrachten Filme, die ein zu armseliges Bild von Indochina zeigen (vgl. Jacquier/Pranal 1996, S. 19). Das Publikum der Weltausstellung ist stark von den Medien des Exotismus beeinflusst, die Darstellung des von Veyre selbst erlebten, ›realen Ortes‹ kann dem in der Phantasie geschaffenen Bild der Kolonie nur ein blasses Abbild gegenüberstellen. Nach dieser beruflichen Enttäuschung und angesichts privater Probleme – sein Nachlass vermittelt den Eindruck, als ob ihm nach der langen Zeit der Abwesenheit die Reintegration in Frankreich

17 Die vues d’Indochine unterscheiden sich in dieser Hinsicht von Veyres Aufnahmen aus Kanada. Diese zeigen nicht nur eine überproportionale Anzahl von Indianern, sondern geben auch ihre Lebensbedingungen nicht adäquat wieder. So filmt Veyre die Indianer vor ihren Zelten, als diese längst in Häusern wohnen (vgl. Gauthier 2004, S. 14). 18 Indochina wird bei der Weltausstellung auf einem Flächenraum von zwei Hektaren ausgestellt, auf dem fünf Hauptgebäude der Veranschaulichung der Region dienen. Ein annamitischer Tempel birgt Kunsterzeugnisse aus der Kolonie, eine Pagode aus Saigon stellt Waren aus, das Privathaus eines reichen Bewohners aus dem Mekongtal stellt Schnitzereien vor. Tänzerinnen des Schattenkönigs Norodom führen ihre Einlagen in einem indochinesischen Theater vor. Der größte Bau des Pavillons ist Phnom, die Nachbildung des Hügeltempels, der der Hauptstadt Kambodschas ihren Namen gegeben hat – Phnom Penh (›Hügel Penh‹) – und in dessen Untergeschoss Dioramen und kinematographische Projektionen vorgeführt werden (vgl. Nicolas 1900, S. 3-13).

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Cinéma Indochina schwer gefallen sei – zieht sich der Kameramann der Firma Lumière an den Hof des marokkanischen Sultans Abd el Aziz zurück. Als dessen Leibkinematograph bleibt er auch nach der Blütezeit des Kinematographen dem Film treu. 1905 veröffentlicht er Au Maroc, dans l’intimité du sultan, einen Text, der die französische Kolonialunternehmung mit einer bewaffneten Invasion vergleicht, die die marokkanische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert hat. Die Reisebilder aus Indochina, obwohl nicht frei von kolonialem Gedankengut, können in ihrer Weigerung, das Imaginäre der Metropole zu nähren, auch als Dokumente auf dem Weg zu seiner Erkenntnis gelesen werden. Gabriel Veyre stirbt 1936 in Casablanca.

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AMATEURE AUF REISEN II: LEON BUSY FÜR DIE

ARCHIVES DE LA PLANETE

La vie, il faut aller saisir la vie partout où elle se trouve, en tous lieux, à tous moments…. Pour déchiffrer la vie et la portée des événements, les faits ont un langage puissant, irrésistible, incorruptible. Foyers inépuisables de renseignements, ils rayonnent sans cesse une lumière qui illumine l’espace et le temps. Albert Kahn: Des droits et des devoirs des gouvernements (1918)

Albert Kahn und die Archives de la Planète Albert Kahn (1860-1940), ein in Paris ansässiger Bankier aus dem Elsass, gilt, nachdem er 1892 zum Hauptgesellschafter der Bank Goudchaux wurde, als einer der wichtigsten Finanzmänner Europas der Jahrhundertwende. Spricht man in wissenschaftlichem Zusammenhang von ihm, ist allerdings meist weniger das Individuum Albert Kahn gemeint, als die intellektuelle Institution, die er verkörpert. Zu Kahns Freundeskreis zählen zahlreiche Intellektuelle seiner Zeit, darunter Henri Bergson, Auguste Rodin und Mathurin Michaut, unter deren Einfluss er die Idee einer fraternité universelle entwickelt, die auf der genauen, wahrheitsgetreuen und objektiven Kenntnis des Alltags der Länder der Welt beruht. Kahns Lebenswerk ist durch die republikanischen Werte der gauche réformiste geprägt. Humanismus, Rationalismus und der Fortschrittsgedanke gehören zu den gesellschaftspolitischen Grundlagen des »pragmatisme utopique« seines Werks (vgl. Beausoleil 2002, S. 8f.). Kahns Ziel einer weltweiten Völkerverständigung beruht auf der genauen Kenntnis des Alltagslebens der Menschen, dessen Dokumentation und Diskussion zum Verständnis der verschiedenen Nationen führen soll. Im Jahr 1893 erwirbt der Bankier ein Anwesen in Boulogne-Billancourt, das, inmitten eines Parks gelegen, bis 1931 Treffpunkt der französischen und internationalen 69

Cinéma Indochina Intelligenzija wird. Der von Kahn gestaltete Park repräsentiert die Vielfalt der Ideen und Geistesrichtungen, die an diesem Ort zusammenkommen: ein Mosaik aus englischen, französischen und japanischen Gärten mit Pflanzen aus aller Welt wird zum Zentrum seines Schaffens. Beobachtung, Synthese und Analyse sind die methodischen Grundlagen von Kahns philanthropischem Lebenswerk. Er bemüht sich um die praktische Verwirklichung seines Friedensgedankens, indem er ab 1898 ausgewählten jungen Universitätsangehörigen und -absolventen mit einem Autour-du-Monde-Stipendium eine zwölfmonatige Weltreise ermöglicht, deren Eindrücke und Erkenntnisse anschließend im Cercle Autour du Monde, einer wissenschaftlich-intellektuellen Gemeinde, vorgestellt und diskutiert werden. Regelmäßige Veröffentlichungen in Form von Bulletins (1916-1931) und Publikationen des von ihm gegründeten CNESP (Comité national des Études sociales et politiques) wenden sich an Entscheidungsträger und beinhalten Vorschläge zur Lösung weltumspannender Konflikte (vgl. Beausoleil 2002, S. 9). Kahn glaubt an den messianisme filmique, an eine allgemein verständliche Sprache der Bilder. Dem Film gesteht er das Potential zu, für eine weltweite Annäherung der Völker zu sorgen (vgl. Amad 2002, S. 23). Dieses Verständnis von der Bedeutung des Films ist ein praktisches, beeinflusst von der Philosophie Henri Bergsons (vgl. Michel 2003, S. 10). Der Film ist für Kahn ein Mittel zum Zweck, Zeitgenossen über das Leben anderer Nationen aufzuklären und auf diese Weise Andersartigkeiten akzeptieren zu lernen. Durch Unkenntnis entstehende Ängste und Vorurteile könnten so abgebaut werden. Die Reise des Bankiers nach Japan und China im Jahr 1910 stellt den Beginn seiner Sammlung von Autochromen1 aus der ganzen Welt dar, die gemeinsam mit kinematographischen Aufnahmen die Archives de la Planète bilden. 72.000 Autochrome und 183.000 Meter Zelluloid werden bis 1931 in dem Archiv zusammengetragen (vgl. Lenk 1992, S. 120). Die Bilder stammen aus 48 Ländern, alle Kontinente, außer Ozeanien, sind darin vertreten. Unterschiedliche Aufnahmetechniken sollen die verschiedenen Facetten der Realität wiedergeben. Autochrome dienen der Farbwiedergabe, der Film der Wiedergabe von Bewegung und die Stereographie, jene getrennt für jedes Auge erzeugten Halbbilder, wird zur Vermittlung der Tiefe eingesetzt (vgl. Amad 2002, S. 22). In seinem Bemühen um eine filmische Dokumentation der ganzen Welt ist die von Teresa Castro vor-

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Autochrome werden Glasplatten genannt, die nach einem von der Firma Lumière auf der Basis der Arbeiten von Louis Ducos du Hauron entwickelten Farbverfahren belichtet wurden. Sie waren ab 1907 im Handel erhältlich (vgl. Beausoleil 1986, S. IX).

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Amateure auf Reisen II: Léon Busy geschlagene Bezeichnung des Archivs als »kinematographischer Atlas« durchaus gerechtfertigt. Es stellt nicht nur eine systematische Sammlung von Bildern dar, sondern entspricht auch einer besonderen Form des Wissens und seiner Vermittlung sowie einer spezifischen Art der Anordnung (vgl. Castro 2006).2 »It [the inventory of the world, Anm.] also drew on the possibility of symbolically dominating and grasping the world through vision, constituting an important episode in a history that went from global reach (the so-called Age of ›Discoveries‹) to that of global domination. As visual devices, atlases beg a number of important of questions concerning the role and power of images in the context of this particular history: the disciplining of the globe as a space of knowledge, subject of different types of control and domination.« (Castro 2006)

Der Humangeograph Jean Brunhes wird zum wissenschaftlichen Leiter des Archivs ernannt. Brunhes ist als Lehrstuhlinhaber am Collège de France die Einheitlichkeit der Aufnahmen wichtig, da diese nur so als wissenschaftliche Dokumente verwendet werden können. Die Kameraleute sollen anonyme Instanzen in einem gemeinschaftlichen Werk bleiben. Von Brunhes, in enger Zusammenarbeit mit Kahn, erhalten die fünf Kameramänner die Direktiven für ihre Aufnahmen, nämlich die Welt so aufnehmen, wie sie ist. Als techniciens et artistes bezeichnet sie Brunhes, da sie neben den formalen Vorgaben der Archives, die sie unter anderem dazu anhalten, ihren Aufnahmen ein Dokument mit Datum, Motiv und Ort der Aufnahme beizulegen3, auch auf ihre Intuition bei der Auswahl und Aufnahme der Motive zurückgreifen sollen (vgl. Amad 2002, S. 27). Kahn lässt zu Beginn seiner Bildersammlung zunächst, ähnlich wie die Lumières, Amateure für die Aufnahmen ausbilden – darunter seinen Chauffeur –, deren Aufnahmen auch der Ästhetik Lumières folgen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Betrauung des ehemaligen Gaumont-Kameramanns Lucien Le Saint, bekommen die Filme einen spezifischen Charakter, der sich sowohl in die humanistische Philosophie Kahns einschreibt als auch in die Ästhetik des dokumentarischen Films jener Zeit.4 1931 muss Albert Kahn

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Gunning spricht von einer »vollendeten kinematographischen Weltausstellung« (Gunning 1995a, S. 116). Diese Vorgabe ist in der Theorie des Archivs verankert, wird allerdings praktisch nicht immer umgesetzt, wie die Aufnahmen Léon Busys zeigen. Für die genaue Lektüre der Kahn-Filme sind auch außerfilmische Dokumente von Bedeutung, wie die Bulletins und das vergleichende Sichten anderer Filme der Sammlung. Diese Arbeit interessiert sich jedoch für die Ikonographie des kolonialen Raums Indochina, die genauen Entstehungs-

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Cinéma Indochina aus finanziellen Gründen sein Werk beenden. Er stirbt 1940, aufgrund der Weltwirtschaftskrise von 1929 und ihren Folgen völlig verarmt, in Boulogne.

Die Ansicht, Ansicht , l’émerveillement l’ém erveillement de regarder Obwohl der non-fiction-Film einen Großteil des Korpus des frühen Films ausmacht, wird er bei der Neubewertung des frühen Kinos lange Zeit ausgeklammert. Während das narrative Kino im Zeitraum von 1903 bis 1917 eine dynamische Entwicklung erfährt, entspricht das nicht-fiktionale Kino dieses Zeitraums einem statischen Bild. Die Ziele und Zwecke des Genres verändern sich nur wenig, die bestehenden Stilformen scheinen für die verschiedenen damals vertretenen Gattungen ausreichend effizient (vgl. Gunning 1995b, S. 114). Eine genaue Betrachtung der non-fiction-Filme ergibt allerdings, dass sehr wohl Unterschiede zwischen den frühen non-fictionFilmen und der späteren Dokumentarfilmproduktion existieren. Zwischen dem schnelllebigen, als Moment des Blicks funktionierenden Reisebild und dem interpretierenden Modus des Dokumentarfilms, dessen Bildmaterial als Beweismittel in einen argumentativen Diskurs eingebettet wird, steht die »Ansicht«, die zwischen 1906 und 1916 die Ästhetik des non-fiction-Films dominiert (Gunning 1995b, S. 117).5 Die Filme der Ästhetik der Ansicht zeigen insofern eine gefilmte Realität, als das Gefilmte bereits vor der Aufnahme existiert hat und auch ohne die Anwesenheit der Kamera so stattgefunden hätte. Im Unterschied zum Kino der Attraktionen, dem es vor allem um die Betonung der Zurschaustellung und die Befriedigung der Schaulust geht und das dafür auch künstlich Inszeniertes präsentiert, wählt die Ansicht ein in der Natur oder in der Gesellschaft bereits existierendes Motiv aus. Wie so häufig bei Dokumentarfilmen ist allerdings auch hier der Unterschied zwischen Arrangement und einfacher Wirklichkeitswiedergabe nur schwer nachzuweisen. Wenn auch der Zeitraum der Produktion über die von Gunning festgelegte Zeitspanne hinausgeht, stehen die Aufnahmen der Kameraleute der Archives formal in der Tradition der Ansicht. Im Ge-

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bedingungen der Aufnahme und ihr Platz im Werk Albert Kahns ist in diesem Rahmen nicht von weiterem Interesse. Bis 1914 dominieren beschreibende Filme, die sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Richtung eines interpretierenden Modus verändern. Griersons Definition spricht vom Übergang von einfachen (oder phantasievollen) Beschreibungen eines natürlichen Materials hin zu dessen Anordnung, Neuanordnung und kreativer Gestaltung (vgl. Grierson 1947 zit. in Gunning 1995b, S. 113).

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Amateure auf Reisen II: Léon Busy gensatz zu den Filmen der Produktion Lumière, die Aufnahmen einer bestimmten Gegend in nur einer Einstellung festhalten, bemüht sich die Ansicht um mehrere Einstellungen. Ihre Aufnahmen stehen für eine neue Art des Sehens, ein beschreibendes Sehen, für das die Kameraleute die Position von Touristen, Forschern oder Betrachtern einnehmen. »Der implizite Voyeurismus des Touristen, des Kolonialisten, des Filmemachers und des Zuschauers erscheint in diesen Filmen ohne die naturalisierende Vermittlung einer dramatischen Struktur oder einer politischen Argumentation. Diese ›Ansichten‹ inszenieren für uns den für die Moderne so wichtigen Impuls des ›bloßen Schauens‹; doch die Studien zur visuellen Kultur aus den letzten Jahren haben uns gelehrt, dass es beim ›bloßen Schauen‹ niemals bloß ums Schauen geht.« (Gunning 1995b, S. 119f.)

Die Montage der Ansichten ist ein »montage mental«, sie erfolgt nach räumlichen Gesichtspunkten für Landschaftsaufnahmen und ist zeitlich-logisch, wenn es um Filme geht, die einen Prozess darstellen, wie beispielsweise handwerkliche Arbeitsvorgänge, lokale Bräuche oder Feste (vgl. ebd.). Kahns Filmproduktion hat Gemeinsamkeiten mit der LumièreProduktion (vgl. de la Brétèque 2002, S. 138). Die Technik der Fotografie steht bei beiden Unternehmungen im Zentrum, der Film sollte zunächst nur eine Ergänzung darstellen. Im Gegensatz zu den Lumière-Filmen, bei denen die Faszination für die verwendete Technik noch vorherrschend war, ist bei Kahn der Zweck allerdings außerhalb des Dispositivs angesiedelt. Die Aufnahmen beider Projekte reflektieren den herrschenden Anspruch eines sich als Elite verstehenden europäischen Bürgertums. Bei Lumière ist der globalisierende Blick einer, der den Eroberungsgedanken Frankreichs mitträgt, was sich an der Häufung symbolischer und repräsentativer Momente zeigt. Kahn begreift die Unterschiede der Zivilisationen als vorübergehend, die schließlich durch eine universelle Annahme des westlichen Modells aufgelöst werden sollen. Anstelle des Blicks des Flaneurs der Lumières auf ein punktuelles Ereignis steht bei Kahn der Blick eines Humangeographen auf das Leben der gewöhnlichen Leute in ihrem alltäglichen Umfeld. Die Aufnahmetechnik ist bei Kahn nicht fix, wie es jene der Lumières ist, um die Stabilität der fremden Kultur im Gegensatz zur westlichen Kultur zu unterstreichen, sondern entspricht oft einem Schwenk, der sich gegen die vermeintliche Objektivität der Aufnahme stellt. Die kommerzielle Ausrichtung des Lumièreschen Unternehmens ist Kahns humanistischer und politischer Ausrichtung ebenfalls fremd. Die Filme der Kameraleute Albert Kahns unterscheiden sich auch von jenen ihrer Zeitgenossen Flaherty, Ruttmann, den englischen Dokumentarfilmern und Vertov. Während für letztere der 73

Cinéma Indochina Film ein Ziel darstellt, das sie auch mit theoretischen Schriften untermauern, ist für Kahns Projekt der Film ein Mittel zum Zweck. Er dient dazu, eine Sammlung von Wissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu konstituieren, um dieses Wissen schließlich weiterzugeben und eine bestimmte Konzeption der Welt vorzustellen, die dem positivistischen Zug der Zeit folgt (vgl. Baldizzone 2002, S. 135f.).

Léon Busys Ansichten aus Indochina In den filmtheoretischen Forschungen zu den Archives de la Planète überwiegen bisher jene Lesarten, die sich unter dem Gesichtspunkt des Dispositivs mit Kahns Projekt auseinandersetzen. Sowohl Paula Amad (2002) als auch Teresa Castro (2006) untersuchen den politischen Aspekt des totalisierenden Anspruchs der Archives. In der Betrachtung der Gesamtheit der Filme als historisches Archiv oder kinematographischer Atlas steuert die diesen eigene materielle und strukturelle Anordnung die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Bildern. Die einzelnen Filme des Korpus werden in den Analysen von Amad und Castro vor allem zur Untermauerung dieses Ansatzes einbezogen. Tatsächlich verfolgen sowohl Kahn als auch Brunhes die idée d’exhaustivité (Amad), doch die Filmemacher vor Ort widmen sich nicht der Geschichte, sondern vielmehr den kleinen Geschichten des Alltags, die im Fall Indochinas von Léon Busy geschrieben wurden. Busy lebt seit 1898 in Tongking. Der Absolvent der technischen Eliteuniversität École Polytechnique in Paris entscheidet sich für eine Karriere in der Armee und tritt als Offizier in das französische Kolonialkorps ein. Als Mitglied und Preisträger der prestigereichen Societé française de Photographie schlägt er Albert Kahn seine Dienste vor. Die von Busy aufgenommenen Autochrome und Filme aus Indochina, so genannte rushes6, gehören zu den ältesten der Sammlung. Er stellte sie während der zehner und zwanziger Jahre7 des 20. Jahrhunderts im Cercle Autour du Monde vor. Busys Filme,

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Die Filme des Archivs werden aufgrund der fehlenden Bearbeitung durch Montage und Textinserts als rushes bezeichnet. Nur in jenen Filmen, die Brunhes für seine Vorträge am Collège de France einsetzte, existiert eine Montage. In dem Korpus Léon Busys befindet sich nur ein didaktisch ›montierter‹ Film. Die meisten Aufnahmen Léon Busys aus Kambodscha stammen aus dem Jahr 1921, bei seinen Vietnam-Aufnahmen oszilliert die Datierung zwischen 1914-1921, eine genauere Angabe ist selbst den Archives de la Planète nicht möglich.

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Amateure auf Reisen II: Léon Busy die schon aus mehreren Einstellungen bestehen, entwerfen ein differenziertes Bild der Kolonie. Die Aufnahmen Léon Busys stammen aus der Periode von 19141921, während der in Indochina eine relative Ruhe herrschte. Albert Sarraut hatte als Generalgouverneur (1911-1914, 1916-1919) einige Reformen in Angriff genommen, die einerseits eine indochinesische Elitenbildung förderten, indem er die indigene Bevölkerung an Wirtschaftsunternehmungen teilhaben ließ, andererseits die Ausbeutung der Rohstoffe der Kolonie durch das Kernland intensivierte (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 84-86). Das Indochina der rushes Léon Busys ist eine von Traditionen geprägte Region. Die Motive der mise en valeur der Kolonie existieren in seinen Filmen nicht. Es dominieren traditionell strukturierte Wirtschaftsformen wie Fischfang und Reisanbau. Im Gegensatz zum Publikum der Lumières, das einen schnellen Effekt und ein kurzes Vergnügen begehrte, wendet sich Busy an Intellektuelle, die sich für die ›Besichtigung‹ des Landes mehr Zeit nehmen. Die Filme – 16 Aufnahmen aus Vietnam und elf aus Kambodscha – weisen unterschiedliche Längen auf; sie dauern von einigen Sekunden bis zu über 15 Minuten. Sie zeigen Arbeitsprozesse im Detail (Village du papier, Culture et commerce du riz), traditionelle Tanz- und Theatervorführungen (Scènes légendaires, interprétées par des acteurs du Théâtre saigonnais), familiäre und religiöse Zeremonien (Cérémonie de mariage), sie sind kontemplativ, geduldig in ihrer Herangehensweise und auch um die Wiedergabe der Stimmung der Kolonie bemüht. Busy geht es nicht um die rasche Vermittlung fragmentarischer Eindrücke, sondern um die Annäherung eines Kenners der Region, Busy spricht fließend Vietnamesisch. Seine Filmsammlung begleitet eine Autochromsammlung, deren zahlreiche Innen- und Nahaufnahmen beweisen, dass ihm in die Intimität der kolonisierten Gesellschaft Einlass gewährt wurde. Deutlich wird Busys Bemühen um den Zugang zu dieser Intimität beispielsweise bei den Filmen aus der Ruinenstadt Angkor und ihrer Umgebung. In nur zwei Filmen widmet sich Busy der Architektur der Tempelanlage. In Le temple d’Angkor-Vat nimmt er den Tempel in einer kontinuierlichen Plansequenz von 360° auf. Paula Amad interpretiert diesen Kameraschwenk als »un regard archivistique, anonyme, distancié et objectif« (Amad 2002, S. 22). Die Wahrnehmungsqualitäten dieses Films widersprechen jedoch den von Amad festgestellten Eigenschaften. Busy ist hier als teilnehmender Beobachter am Werk, der mit dem Kameraschwenk den Akt seines subjektiven Sehens nachstellt. Als Fokalisierungsinstanz wählt er den beweglichen Blick als Symbol seines Eingebundenseins in die Realität des Landes. Für den Zuschauer vermittelt dieser Schwenk nicht mehr das Gefühl des Überblicks und der Distanz, wie dies die

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Cinéma Indochina vorwiegend statischen Aufnahmen Gabriel Veyres tun, sondern erzeugt den Eindruck der Orientierungslosigkeit. Angesichts der gewaltigen Größe des Bauwerks wirkt dieser Schwenk als anerkennender Blick und stellt einen Gegenentwurf zu jenen Aufnahmen dar, die Angkor bisher in einer Postkartentradition festgehalten haben. Wie schon Gabriel Veyre wählt auch Busy das königliche Ballett als Motiv. Die Tänzerinnen werden in der Tempelanlage Angkor Vat gefilmt, wo Busy versucht, sie in die Architektur der archäologischen Stätte einzugliedern. Busys Kamera spielt dabei mit der Ähnlichkeit der Tänzerinnen mit den Skulpturen der Ruinenstadt. »Mais elles [les images, Anm.] ne pouvaient échapper au ›leurre de l’objectivité‹ car si les danseuses royales sont filmées dans leur cadre ›originel‹, c’est aussi pour mieux mettre en valeur et retracer leur filiation avec les danseuses célestes qui ornent les parvis et les temples d’Angkor et l’histoire prestigieuse des anciens Khmers.« (Norindr 2008, S. 139)

Doch Busy interessiert nicht vorrangig die Tanzaufführung, sondern vor allem ihre Entstehungsweise. Dies erklärt auch die – selbst für Busys Verhältnisse – (Über-)Länge des Films; er dauert 16 Minuten. Neben der Vorführung filmt Busy auch die Proben und das Schminken der Tänzerinnen und widmet sich dem Nachwuchsballett, was einen Verfremdungseffekt des touristischen Motivs zur Folge hat. Wenn auch Panivong Norindr in der Aufnahme eine Ästhetik feststellt, die die Kolonie einer bereits vergangenen Epoche zuschreibt, interessiert sich Busy vorrangig nicht für die touristischen Sehenswürdigkeiten in Angkor. Er filmt vor allem das alltägliche Leben, wie es rund um die Tempelanlage vor sich geht. Aus der Umgebung des Sees Tonlé Sap (Kambodscha) stammen die meisten dieser Aufnahmen, aber auch aus Angkor selbst, wo er den Riten der buddhistischen Mönchen folgt und Renovierungsarbeiten unter der Leitung der École française d’Extrême Orient beobachtet. Busys Dokumente konzentrieren sich in der Regel auf die indigene Bevölkerung. Die Vertreter der kolonialen Gesellschaft erscheinen nur selten im Bild, oft wirken sie durch ihre Eingriffe in das vor-bildliche Ereignis störend. Diese Aufnahmen reflektieren allerdings die Kolonie Indochina als eine colonie d’encadrement, in der ein dichter Verwaltungsapparat an die europäische Überlegenheit erinnert und in der die paix française nur unter ständiger Überwachung bewahrt werden kann. Diese Art des Eingriffs, in der ein Vertreter der kolonialen Autorität das vor-bildliche Ereignis dirigiert, darf nicht mit der Ästhetik der Inszenierung verwechselt werden, die der Ansicht zu eigen ist, und in der sich die Menschen ›von selbst‹

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Amateure auf Reisen II: Léon Busy

mit ihren Tätigkeiten der Kamera zuwenden, indem sie einen Arbeitsvorgang oder einen Brauch vorführen. Die Aufnahme Pêche à Roulos, die mit Februar/März 1921 zeitlich eingeordnet wird, zeigt mehrere Fischer am See von Tonlé Sap. Busy filmt nicht nur die Techniken der Fischer, sondern auch einige Kolonisten, die diese Szene vom Ufer aus beobachten. Im Unterschied zu den Fischern im See sind diese bekleidet. Sie tragen Hemd und Hose sowie Schuhe, ihren Hut haben sie auf einem nahe liegenden Ast aufgehängt. Busys Kamera steht außerhalb dieser Szene, die Kolonisten werden von hinten in einem Kameraschwenk aufgenommen. Gegen Ende bekommt die Szene einen inszenierten Charakter, der den anderen rushes Busys über Arbeitsprozesse fehlt. Stolz halten die Fischer ihren Fang in die Kamera. Dabei sehen sie rechts an der Kamera vorbei und im rechten Bildrand erscheinen der Stiefel und der Arm eines der Kolonialherren. Sogleich halten die Fischer ihre Beute noch ein wenig höher, ein mögliches Indiz dafür, dass die Szene von den Siedlern für die Aufnahme inszeniert wurde. Die Szene Travaux à Angkor Thom, vermutlich ebenfalls 1921 entstanden, beobachtet einen Arbeitsprozess unter der Leitung der École française d’Extrême-Orient, bei dem einer Statue ihr Kopf aufgesetzt wird. Ein indigener Kolonialbeamter dirigiert den Vorgang, die Arbeiter widmen sich ihren Aufgaben, und manchmal greift auch der Beamte in die Tätigkeit ein. Wie schon in Pêche à Roulos unterscheidet sich der Beamte von den indigenen Arbeitskräften durch seine Kleidung. Dass auch in diesem Film die koloniale Autorität eine Kontrollfunktion einnimmt, lässt die nicht anhaltende Aktivität aller im Bildrahmen anwesenden Personen vermuten. In Cérémonie pour demander le bonheur beobachtet Busy eine Prozession. Fast komisch wirkt die Agitation des Mannes, der versucht, den Weg der Prozession zu koordinieren. Als die Prozession aus dem Bild ist, geht er aufgeregt auf Busy zu, an seiner Gestik kann man seine Verzweiflung angesichts der Prozession erkennen, die offensichtlich nicht nach seinem Plan vonstatten gegangen ist. Village du papier zeigt in einer chronologischen Montage den Prozess der Papierherstellung. In diesem Film ist kein Vertreter der kolonialen Autorität zu sehen, auch der Arbeitsprozess unterscheidet sich deutlich von den vorher beschriebenen. Zwar gibt es in dieser Szene Menschen, die an der Papierproduktion arbeiten, doch auch einige, die dabei zuschauen. Kinder sitzen um die Maschinen herum und beobachten den Vorgang des Filmens und der Arbeit. Nach vollbrachter Arbeit werden sogar Süßwaren an die Anwesenden verkauft. Eine der bekanntesten Aufnahmen Busys ist Déshabillage et habillage d’une jeune femme vietnamienne. Eine junge Vietnamesin

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Cinéma Indochina entkleidet sich vor der Kamera und enthüllt die verschiedenen Schichten ihrer Tracht, wobei sie auch einen Moment lang nackt zu sehen ist. Die Position der Kamera ist fix, Busy hat sich jedoch entschieden, diese Szene absichtlich unscharf aufzunehmen. Die postkoloniale Filmkritik übt an dieser Aufnahme heftige Kritik (vgl. Blum-Reid 2003, S. 13f). Die Information über die indigene Kleidertradition sei nur ein Vorwand, um die Frau nackt zeigen zu können. Die statische Kameraposition unterstreiche die Verwerflichkeit der Intention und den Objektcharakter der Frau. Ethnographisches ›Anschauungsmaterial‹ dieser Art erlaube einen Zugang zu dem, was in der westlichen Gesellschaft verpönt sei. Die Zuschauer können sich über die Distanz des Films und des Anderen schamlos der Skopophilie und dem Spektakulären der Nacktheit hingeben (vgl. Tobing Rony 1992, S. 273). Busys Bemühen, Respekt gegenüber der Frau zu wahren, indem er die Szene verschwommen aufnimmt, hebt den pornographischen und voyeuristischen Charakter der Aufnahme nicht auf. Der weibliche Körper des Anderen hat bereits eine Funktion im westlichen Imaginären, die er auch in medialen Darstellungen des post/kolonialen Indochinas in Zukunft bewahren wird. Speziell im Fall Busys gehen jedoch wichtige Erkenntnisse verloren, wenn dieser Film isoliert betrachtet wird. Im Vergleich zu anderen Filmen seiner Epoche, z.B. der offiziellen Dokumentarfilmproduktion, ist Busys Geste, die Aufnahme absichtlich verschwommen darzustellen, als Bemühen um eine respektvolle Repräsentation des Anderen zu werten. Hier könnte eingewendet werden, dass das Verschwommene die Faszination und das Spektakuläre der Aufnahme noch verstärkt. Stellt man dem Film jedoch einen weiteren der Sammlung gegenüber, kann der Vorwurf entkräftet werden, dass Busy in seinen Aufnahmen die indigene Frau auf ihre erotische Komponente reduziert. In Trois jeunes Saigonnaises dans le jardin botanique folgt die Kamera zunächst dem Spaziergang dreier Frauen im botanischen Garten von Saigon, der an einem Kiosk endet, an dem sich die Frauen stärken. Schon die Tatsache, dass diese Frauen bei einem Freizeitverhalten, dem Spaziergang, und nicht bei Arbeitsprozessen gefilmt werden, macht deutlich, dass Busy der indigenen Bevölkerung nicht nur im Rahmen der kolonialen Ausbeutung eine Funktion zugesteht. Ungefähr in der Mitte der Aufnahme befindet sich eine lange Einstellung, in der eine der Frauen im linken Bildrand zu sehen ist. Sie nimmt über die Kamera Blickkontakt mit Busy auf und ihre Lippenbewegung zeigt, dass sie sich mit ihm in einer Gesprächssituation befindet, was durchaus möglich ist, da ja Busy des Vietnamesischen mächtig ist. Diese Sequenz hat Ähnlichkeit mit heutigen Interviewsituationen aus Film und Fernsehen. Die Person

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Amateure auf Reisen II: Léon Busy tritt aus ihrer passiven Rolle des beobachteten Objekts hinaus und bekommt durch ihre Rolle als Gesprächspartnerin eine aktive Rolle zugesprochen. Busys Aufnahme betrachtet nicht nur die Kolonie Indochina, sondern tritt mit ihr über die Frau auch in einen Dialog.

Busys intellektuelle Geographien der Kolonie Busys Filme entsprechen formal der Ästhetik der Ansicht. Die Landschaft wird in dieser Ästhetik durch die Fokalisierungsinstanz Léon Busy subjektiv semantisiert. Die Kamera wird nicht mehr indirekt oder negativ, sondern meist positiv erkannt; die Gefilmten reagieren auf den Aufnahmeapparat und wenden sich durch Blicke und Gesten an ihn. Diese Komplizenschaft ist in Busys Filmen nicht mehr nur den kolonialen Autoritäten vorbehalten. Im Gegenteil, quer durch die Gesellschaft Indochinas existiert das Recht auf den Blick in die Kamera, auf eine Stimme – wenn sie auch nicht zu hören ist – und auf eine Identität. Der koloniale Raum ist nicht nur durch die Einschreibungen der Kolonialmacht charakterisiert, sondern besteht aus unabhängig von dieser existierenden Menschen, die selbst an der Gestaltung von Objekten und Traditionen teilhaben. Die Konzentration auf die indigene Bevölkerung und die relative Abwesenheit kolonialer Autoritäten gesteht auf vor-bildlicher Ebene der Kolonie eine Existenzberechtigung außerhalb der kolonialen Ordnung zu. Busy verzichtet auf die Bebilderung der Kolonie Indochina als colonie d’exploitation. Wenn er Arbeitsvorgänge filmt, sind dies in die indigene Gesellschaft eingebundene Tätigkeiten. Die vorgeführten Aktivitäten treten dann aus der von Busy gewählten Ästhetik des teilnehmenden Beobachtens heraus, wenn Autoritäten im oder außerhalb des Bildrahmens anwesend sind. Die Landschaft besitzt in den Aufnahmen Busys vorwiegend die Funktion eines paysage-drame, die mit den Konnotationen der Tradition und der Aktivität versehen ist. Als paysage-exposant betont er vor allem die Tempelanlagen Kambodschas, in deren ausführliche und anerkennende Betrachtung er die Zuschauer mittels differenzierter Kamerabewegungen einbezieht. Léon Busy als narrative Instanz zeigt durch die Länge der Aufnahmen, die wiederholte Beschäftigung mit einem Motiv und die Varietät der Aufnahmetechniken ein Bemühen um eine intellektuelle Verarbeitung des erlebten Raumes. Der Filmemacher strukturiert auf diese Weise die von ihm wahrgenommenen Phänomene. Die fixe Kameraposition mit den Wahrnehmungsmodalitäten der Karte wird zunehmend durch den Kameraschwenk abgelöst, der die Orientierungsfähigkeit Busys in der Kolonie unterstreicht, allerdings dem Zuschauer auch vereinzelt das Gefühl vermittelt, den Boden unter

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Cinéma Indochina den Füßen zu verlieren. Da es sich bei den Aufnahmen Léon Busys um rushes handelt, existiert in seinen Filmen keine Montage im Sinne einer Nachbearbeitung des Bildmaterials. Als »montage mental« hat Tom Gunning die differenzierte Ästhetik der Aneinanderreihung der Aufnahmen bezeichnet. Im Kontext der Filmaufnahmen Busys bedeutet dies, dass es sich um eine Folge von Plansequenzen handelt, in der der Filmemacher die Chronologie der Arbeitsvorgänge bzw. seine Wahrnehmung der Landschaft wiedergibt. Panivong Norindr bezeichnet Busys Filme über die Arbeitsvorgänge in der architektonischen Stätte Angkor Wat als überzogen (vgl. Norindr 2008, S. 140). In Norindrs Vergleich der Filme Busys mit Rithy Panhs Les gens d’Angkor (2003) gesteht der Kulturwissenschaftler erst letzterem zu, den anonymen Arbeitern – unter ihnen auch Kinder und Frauen – in Angkor ein Gesicht und eine Stimme verliehen zu haben. Als wissenschaftlicher Vorgang ist meines Erachtens Norindrs anachronistischer Vergleich jedoch bedenklich. Anstelle eines Vergleichs mit einem 80 Jahre jüngeren Film müssten Busys Filme den filmischen und bildlichen Darstellungen Angkors seiner Epoche gegenübergestellt werden. Dies bietet sich am Beispiel der Filme Sous l’œil de Boudha (A. Joyeux, 1923) und Au pays du Roi lépreux (Jacques Feyder, 1927) an, die bemüht sind, die Tempelanlage Angkor Wat als topographisches Symbol Indochinas in den Spielfilm einzuschreiben.

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KOLONIALE EXOTIK IM SPIELFILM

De méconnaissables débris d’architecture apparaissent un peu partout mêlés aux fougères, aux cycas, aux orchidées, à toute cette flore de pénombre éternelle qui s’étale ici sous la voûte des grands arbres. Quantité d’idoles bouddhiques, petites, moyennes ou géantes, assises sur des trônes, sourient au néant. Ce sont des constructions humaines, ces hauts rochers qui maintenant font corps avec la forêt et que des milliers de racines enveloppent, étreignent comme des pieuvres. Pierre Loti: Un pélerin d’Angkor (1912)

Der Film, Medium der kolonialen koloniale n Kulturpolitik Die Filme Gabriel Veyres und Léon Busys können aufgrund ihres persönlichen Zugangs und ihrer Nähe zum Amateurfilm als Nischenprodukte des kolonialen Dokumentarfilms betrachtet werden. Ihre filmischen Topographien oszillieren zwischen einer subjektiv und einer sozialkonventionell semantisierten Raumdarstellung. Diese hybride Form ist einerseits auf die persönliche räumliche Verortung der beiden Filmemacher zurückzuführen, die beide relativ lange Zeit eine Raum-Erfahrung in der Kolonie gemacht haben, andererseits auf die große Distanz zum ›Mutterland‹ und zu ihrer jeweiligen ›Produktionsfirma‹. Dieser Entfernung und dem Fehlen anderer kinematographischer Referenzen verdanken der Lumière-Kameramann und der Filmemacher im Dienste der Archives de la Planète eine künstlerische Freiheit, die für die Entwicklung ihrer individuellen filmischen Topographie in der Kolonie förderlich ist. Auch seitens des französischen Staates gibt es Bemühungen mittels einer von offizieller Seite geförderten Filmproduktion, die oeuvre coloniale in Indochina in der Metropole vorzustellen. Sowohl der Dokumentarfilm als auch der Spielfilm sind an der Produktion einer kolonialen Ikonographie Indochinas beteiligt. Die wider-

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Cinéma Indochina sprüchlichen Anforderungen von Kultur und Wirtschaft und ihr enges Zusammenspiel in diesem speziellen politischen Kontext prägen ihre Strukturen und Produktionsweisen. Albert Sarraut, gouverneur général de l’Indochine von 1911 bis 1914 und von 1916 bis 1919, und, zurück in Frankreich, Kolonialminister in mehreren Kabinetten der Zwischenkriegszeit, führte 1920 mit dem Plan Sarraut eine koloniale Doktrin ein, die aus einer humanistischen Vision des Kolonialismus bestand und wirtschaftliche Entwicklung eng mit moralischen, politischen, intellektuellen, erzieherischen und sozialen Werten verknüpfte. Die agences économiques waren das zentrale Element des Plan Sarraut. Diese dem Kolonialministerium untergeordnete Institution wurde in Paris eingerichtet mit dem Ziel, alle Informationen aus den Kolonien zu sammeln und zu archivieren, um schließlich dieses Wissen an die Bevölkerung weitergeben zu können. Für Sarraut war der Film ein ideales Medium, um eine pro-koloniale Propaganda in der Metropole durchzuführen, der Unwissenheit ihrer Bevölkerung über die Kolonien entgegenzuwirken und Verantwortungsgefühl und Interesse für das Kolonialreich hervorzurufen. »Il est absolument indispensable qu’une propagande méthodique, sérieuse, constante, par la parole et l’image, le journal, la conférence, le film, l’exposition [...] puisse agir dans notre pays sur l’adulte et sur l’enfant. Nous devons améliorer dans nos écoles [...] l’enseignement trop succint qui leur est donné sur notre histoire coloniale et la composition de notre domaine colonial. Il faut que cet enseignement soit plus vivant, plus expressif, plus pratique, que l’image, le film, la projection renseignent et amusent le jeune Français ignorant de nos colonies.« (Albert Sarraut am 27. Februar 1920, zit. nach Bloom 1997, S. 23)

Im Rahmen der mission cinématographique de l’Indochine sollte die südostasiatische Kolonie eine Vorreiterrolle bei diesem Projekt übernehmen. Sarraut war sich der Macht des Films bewusst und bestrebt, diesen für die Schaffung eines nationalen Bewusstseins einzusetzen. Der Film wurde von privaten Initiativen produziert, der Staat – vor allem das Kolonialministerium – unterstützte diese und behielt sich dabei das Recht der nicht-kommerziellen Aufführung vor; die Filme wurden in Bildungseinrichtungen gezeigt oder als Vorprogramm zu Spielfilmen ausgestrahlt (vgl. Le Roy 2001, S. 56). Diese in der Kolonie produzierten Aufnahmen waren für das Publikum der Metropole gedacht bzw. für ihre in der Kolonie lebende Bevölkerung.1 1

Am Beispiel des kolonialen Dokumentarfilms in Algerien zeigt allerdings François Chevaldonné die Grenzen dieser ehrgeizigen Projekte auf. Der Propagandaeffekt dieser Filme ist gering, da ihre Zahl im Verhältnis zur

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Koloniale Exotik im Spielfilm Die Jahre von 1924 bis 1927 sind der Höhepunkt der mission cinématographique de l’Indochine, ein groß angelegtes Archiv mit Filmen aus der Region steht dem Publikum zur Verfügung. Auch in Indochina selbst werden ab 1926 Filme als didaktisches Medium in Bildungseinrichtungen eingesetzt (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 228). Doch Sarrauts Projekt scheitert aufgrund zu hoher Produktionskosten, verursacht durch die für die Filmarbeit schwierigen klimatischen Bedingungen und die große Distanz zur Metropole. »La chaleur torride qui fait fondre la gélatine sur la pellicule et incommode les Européens non acclimatés ne permettrait aucun travail profitable [...]«, berichtet Jacques Feyder von seinen Dreharbeiten zu Au pays du Roi lépreux (Feyder 1927, zit. nach Oms 1992, S. 15). Sarrauts ehrgeizige Filmpolitik ist vermutlich auch für die wenigen Spielfilmprojekte in Indochina verantwortlich, deren Existenz gegenwärtig mit zwei Beispielen belegt werden kann. Von französischen Filmemachern außerhalb Frankreichs gedrehte Spielfilme werden erst von 1914 bis 19302 zum eigenständigen Genre, ihre Handlung ist vorwiegend in Nordafrika und im östlichen Mittelmeerraum angesiedelt. Obwohl in kolonialen Regionen gedrehte Spielfilme nur 5,5% aller in der Zwischenkriegszeit produzierten Filme ausmachen, spielen diese Filme eine bedeutende Rolle bei der Konstituierung der ›Filmnation Frankreich‹. Eine Generation von jungen Filmemachern – darunter Jacques Feyder, Jacques de Baroncelli und Léon Poirier – bricht mit der Imitation des amerikanischen Filmstils und beginnt trotz der Gefahr zu hoher Kosten und der klimatisch für das Filmmaterial schwierigen Bedingungen kulturell spezifische Filme in den Kolonien zu produzieren (vgl. Slavin 2001, S. 58). Vor allem Afrika erfreut sich als Drehort großer Beliebtheit. In Paris hatten Josephine Baker und afro-amerikanischer Jazz Sympathien für den afrikanischen Kontinent geweckt, auf welche sich nun die Filmemacher stützten. So konnten französische Filme über Afrika selbst mit den US-amerikanischen Studioproduktionen konkurrieren, durch deren wachsenden Aufschwung ab 1914 die europäischen Filmnationen in ernstliche Bedrängnis geraten waren (vgl. Jeancolas ²2000, S. 19-26). Gemeinsam ist diesen Filmen eine fehlende Auseinandersetzung mit der sozialen und politischen Situation Afrikas. Die Schauspieler sind meist französischer Abstammung, geschminkt und verkleidet in der Art, wie man sich

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Summe der Filmproduktionen vernachlässigenswert ist. Zwar betonen die Zeitschriften der Filmproduktionsfirmen immer wieder das Potential dieser Filme, doch diese Lobeshymen dienen vor allem der an die koloniale Verwaltung gerichteten Werbung. Faktum ist, dass der Zugang zu Filmaufführungen nur von einer Minderheit der Bevölkerung in der Kolonie wahrgenommen wird (vgl. Chevaldonné 1997, S. 27). Filme dieser Art findet man bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs.

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Cinéma Indochina die Bewohner der Kolonien in Frankreich vorstellt. Die Filme ignorieren die Debatten, die die koloniale Unternehmung bereits in Frankreich hervorruft sowie die Aufstände, die in der Kolonie gegen die herrschende Macht stattfinden. Nordafrika wird als leerer Raum dargestellt, in dem sich der französische Held den zerstörerischen Mächten wie Alkohol, tropischen Krankheiten, indigenen Frauen und Gefahren der Natur stellen muss. Die afrikanische Kolonie, die meist über die topographische Symbolik der Wüste oder der Casbah dargestellt wird, ist eine Projektionsfläche für die Ängste westlicher männlicher Helden, ihre filmische Geographie nur eine annähernde Ortsbeschreibung, ein ›Casablancirca‹3, wie Birgit Wagner die Filmkulissen Afrikas in Casablanca und Pépe le Moko beschreibt (vgl. Wagner 2002). Auffällig ist der Unterschied zwischen dem fiktionalen Kolonialfilm der 20er Jahre und jenem der 30er Jahre. Während sich die Filme der 20er Jahre wie beispielsweise L’Atlantide (1921) von Jacques Feyder in einer unbestimmten Vergangenheit ansiedeln, spielt L’Atlantide (1932) von Georg Pabst in der Gegenwart. Die Veränderung dieser Situierung beschreibt Marc Ferro als die Umwandlung von einer exotistischen in eine kolonialistische Perspektive (vgl. Ferro 2003, S. 112). Auch Abelkader Benali definiert in seiner Studie über den Kolonialfilm aus dem Maghreb das exotistische Kino der 20er Jahre als ein cinéma du passé, das in den 30er Jahren vom eigentlichen Kolonialfilm in Form eines cinéma du présent abgelöst wird (vgl. Benali 1998, S. 40f.). Die zeitliche Nähe zwischen der filmischen Diegese und ihrem Konsum auf dem Bildschirm erlaubt die Existenz des kolonisierten Raumes nur in Beziehung zur kolonialen Ordnung. Der fiktionale Kolonialfilm der dreißiger Jahre ist wohl eines der best erforschten Themen der postkolonialen Filmwissenschaft. Jedoch finden sich in jenem Genre, welches so publikumswirksam die nordafrikanischen Kolonien abgebildet und in einem kollektiven Gedächtnis verankert hat, keine Abbildung Indochinas4. In den 3 4

Dieser sehr treffende Neologismus geht auf Daniel Winkler zurück. Ihm sei an dieser Stelle dafür gedankt. Sorlin erwähnt nur einen in Indochina gedrehten Film in den 30er Jahren, nennt allerdings keinen Namen (Sorlin, Pierre: The Fanciful Empire: French Feature Films and the Colonies in the 1930s, in: French Cultural Studies 2 [1991], S. 135-151). Slavin zitiert Ramuntcho (René Barberis 1937) als einzigen in Indochina gedrehten Film, bestätigt dies allerdings nur durch ein offizielles Dokument, was für den wirklichen Dreh vor Ort keinen Beweis darstellt (vgl. Slavin 2001, S. 60). Boulangers Studie über den französischen Kolonialfilm beschränkt sich auf den Maghreb und Zentralafrika, Indochina findet darin keine Erwähnung (vgl. Boulanger, Pierre: Le Cinéma colonial: De l’Atlantide à Lawrence d’Arabie, Paris 1975).

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Koloniale Exotik im Spielfilm 20er Jahren gibt es allerdings Bestrebungen, die Tempelanlage Angkor zu einem Symbol Indochinas auch in den Film einzuschreiben.

Mythos Angkor Die ehemalige kambodschanische Hauptstadt Angkor (›unsere Stadt‹) wurde in mehreren Bauphasen zwischen dem 9. und dem 13. Jahrhundert errichtet und war Sitz mehrerer kambodschanischer Königshäuser, bevor diese nach Plünderungen Siams im Jahr 1430 den Ort verlassen, um sich im Süden des Landes anzusiedeln. Von der sich auf 300 km² ausdehnenden Anlage sind heute nur mehr die aus Stein errichteten Tempel erhalten. Zu den bekanntesten zählen Angkor Wat, der Bayon, Angkor Thom, Ta Prom, Ta Keo, Prah Khan, Banteay Chmar sowie weitere entlegene Tempel wie der durch Malraux zu Bekanntheit gelangte Banteay Srei, Beng Mealea, Pranh Khan, Sambor Prei Kuk u.v.a.m. Die quadratische Anlage von Angkor Thom (›die große Stadt‹) stellt, umgeben von Mauern und 5 Toren, das Zentrum der Anlage dar. Der Mittelpunkt der Stadt ist der buddhistische Tempel Bayon, dessen Außenmauern die lächelnden Gesichter buddhistischer Erleuchtungswesen zieren. Außerhalb dieser Stadt befindet sich der Tempel Angkor Wat (›ein Kloster in Form einer Stadt‹), welches bis heute das Symbol Kambodschas darstellt. Emmanuelle Radar erinnert an die Inkorrektheit des aus dem Sanskrit stammenden Begriffs Angkor, den die Franzosen für die Anlage gewählt haben. Für die Khmer trug dieser Ort bereits den Namen Yasodharapura, benannt nach der ersten Stadt, die in dieser Region gegründet worden war (vgl. Radar 2008, S. 500). Frankreich und der Rest Europas hingegen verwenden den Begriff Angkor als Überbegriff für alle Ruinen dieser Gegend. Angkor wird zu einer der Säulen der Argumentation, die den französischen Kolonialismus in Südostasien stützen werden und um die sich der Mythos Indochina konstituiert. Für Bruno Dagens ist die Tempelanlage das wesentliche Element einer kolonialen Kommunikationsstrategie, die die koloniale Eroberung Indochinas in der Metropole rechtfertigen soll (vgl. Dagens 2008, S. 94). Auch Emmanuelle Radar liest den französischen Umgang mit Angkor als Allegorie auf das koloniale Unternehmen, für das auch die Geschichte der Ruinen neu geschrieben wird. »L’histoire des ruines, résumée en langage colonial, se limite à trois phases: sommeil dans la jungle siamoise, découverte par la France et résurrection/protection coloniale.« (Radar 2008, S. 518) Frankreich konstruiert Angkor als vergessene Stadt, obwohl bereits spanische und portugiesische Missionare als erste Europäer die Stadtbefestigung bei ihrem

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Cinéma Indochina Besuch des Königs von Kambodscha zu Ende des 16. Jahrhunderts erwähnen. Die Stadt war in der Tat nie vergessen und noch weniger verloren. Wenn auch das Königshaus Angkor verlassen hatte, waren einige Tempel immer Orte buddhistischer Kulthandlungen geblieben, und Angkor Wat hat weiterhin ein Kloster beherbergt. Noch nach der so genannten Angkor-Periode haben sich kambodschanische Könige in Angkor niedergelassen, siamesische Truppen errichteten dort ihr Quartier, Reisende, Missionare sowie japanische, thailändische, chinesische und Khmer Pilger besuchten den Ort in regelmäßigen Abständen (vgl. Lorin 2008, S. 109). Angkor war jedoch nicht nur der lokalen Bevölkerung bekannt, auch der Westen wusste um die Existenz der Stadt. Allerdings ist sein Interesse an der Stätte gering (vgl. Dagens 2004, S. 25). Erst in den 60er Jahren des 19. Jahrhundert wird Angkor von Frankreich zur ›Seele‹ Indochinas deklariert und zum elementaren Bestandteil des fernöstlichen Imaginären der Metropole. Die im Jahr 1863 veröffentlichten Reisetagebücher des Naturkundlers Henri Mouhot, der 1860 für botanische Recherchen drei Wochen in Angkor verbracht hatte, werden zum durchschlagenden Erfolg, ihr Autor, mit 35 Jahren in Laos verstorben, zum Helden Asiens (vgl. ebd., S. 27)5. Mouhot folgen andere individuelle Entdeckungsreisende, bis schließlich 1866 eine offizielle Expedition nach Angkor führt. Auf ihrer Expedition des Mekong-Flusses machen Francis Garnier, Marineoffizier und Eroberer Tongkings, und sein Vorgänger Doudart de Lagrée einen Umweg über Angkor. Das Foto der Expeditionsgruppe auf den Stufen eines Tempels ist eine der ersten Abbildungen der Anlage, die sich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Gebiet Siams befindet, das im Jahr 1794 Angkor und die benachbarte Provinz Battambang annektiert hat. Angkor entwickelt sich ab dem Moment seiner ›Entdeckung‹ zum Symbol mehrerer spezifisch kolonialer Identitäten (vgl. Radar 2008, S. 514). Auf lokaler Ebene begründet es eine imaginäre Identität Indochinas, die bisher nur als eine ›Bindestrich-Identität‹ der Kulturen Indiens und Chinas angenommen wurde. Auf nationaler Ebene unterstützt es das französische Empire bei der Schaffung einer »identité française coloniale«, die Reproduktionen der Umrisse der Tempelanlage werden gleichsam ein »drapeau de la France coloniale« (ebd., S. 515). Seit 1867 werden einzelne Gebäude der Ruinenstätte auf Weltausstellungen und Kolonialausstellungen nachgebildet.6 Dank dieser Reproduktionen wird Angkor zum nationalen 5

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Für die Mythisierung des Henri Mouhot war es verständlicherweise nebensächlich, dass nicht er es war, der Angkor entdeckt hatte und auch er selbst diese Entdeckung nicht für sich beanspruchte (vgl. ebd.). Bei der Weltausstellung 1867 bezeichnete man das nachgebildete Gebäude noch als »moulages d’une mosquée [sic!] du Cambodge«, 1878 fand sich

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Koloniale Exotik im Spielfilm Monument und zum Element eines populären, kolonialen Imaginären. Auch auf internationaler Ebene hilft die Tempelanlage die Macht des französischen Empires zu festigen. Die Erforschung Angkors versieht das französische Empire mit einer kulturellen Legitimation, ähnlich dem Britischen Empire und den Niederlanden, die in Birma Pagan und in Java Borobudur als ihr kulturelles Erbe vorführen (vgl. Lorin 2008, S. 114). Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird die Tempelanlage auch zu einer Sehenswürdigkeit für Touristen in Indochina. Pierre Lotis Un Pélerin d’Angkor (1912) markiert ihren Eintritt in die französische Reiseliteratur7. Schriftsteller wie André Malraux, Roland Dorgelès, Pierre Benoit, Henriette Célarié, Paul Claudel, Élie Faure, Guy de Pourtalès, Jérome et Jean Tharaud, Antoine de Saint Exupéry, Pierre Loti, Villiers de l’Isle-Adam sowie die Reiseschriftstellerin Titaÿna gehören zu den bekanntesten Autoren, die die Tempel in ihren Arbeiten verewigt haben. Dass Angkor von der lokalen Bevölkerung und buddhistischen Mönchen niemals vergessen worden ist, widerspricht dem Mythos der kolonialen Aneignung. Für die Metropole wird deshalb Angkor als ein von der Natur eingenommenes kulturelles Relikt einer großen Zivilisation inszeniert, das erst durch die französische Einverleibung seinen ihm zustehenden Ruhm erlangt. In Indochina fehlen architektonische Monumente, die in französischen Augen kennzeichnend für eine moderne Zivilisation sind. Das, was die Metropole als wertvollen Bestandteil der ›anderen‹ Zivilisation betrachtet, wurde von dieser vernachlässigt, ein offensichtlicher Beweis für die Unfähigkeit der Halbinsel, ein kulturelles Erbe zu bewahren. »For them [french political figures, Anm.], colonizing Southeast Asia also meant salvaging the cultural vestiges of a vanished world, one that had been reconquered by nature and could now be salvaged through their concerted action.« (Norindr 1996, S. 5)

eine Reproduktion der Chaussée des Géants von Prah Khan von Angkor Thom auf der Weltausstellung. Auf der Kolonialausstellung in Marseille (1906) dient eine Nachbildung von Angkor Wat als Pavillon für Kambodscha. Die größten Reproduktionen können auf der Kolonialausstellung von Marseille (1922) und auf der Éxpostition coloniale von Vincennes (1931) besichtigt werden (vgl. Dagens 2008, S. 103f.). 7

Für Emanuelle Radar ist Lotis Reisebericht nicht nur eine Einladung diese Stätte zu besichtigen, sondern unbewusst auch eine Aufforderung zur Plünderung. Nicht nur André Malraux thematisiert seinen missglückten Handel mit gestohlener Khmer Kunst (La Voie royale, 1927), auch bei Guy de Pourtalès, Pierre Benoit und anderen Reiseschriftstellern der Zwischenkriegszeit findet sich das Motiv des Diebstahls und des Handels mit Objekten aus der Tempelanlage (vgl. Radar 2008, S. 503).

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Cinéma Indochina Bereits 1898 hatte Paul Doumer die Mission archéologique permanente en Indo-Chine gegründet, die im Jahr 1900 in École française d’Extrême-Orient (Efeo) umbenannt wird. Als integraler Bestandteil der kolonialen Verwaltung übernimmt sie die Aufgabe der archäologischen und linguistischen Erforschung der indigenen Kulturen. Als im Jahr 1907 mit dem traité franco-siamois dem französischen Protektorat Kambodscha von Siam die besetzten Gebiete zurückerstattet werden, siedelt sich die Efeo vor Ort an und übernimmt die Aufgabe der Erforschung und der Renovierung der historischen Befestigungsanlage Angkor. Angesichts dieser Bedeutung Angkors für das französische Empire verwundert es nicht, dass auch der Film immer wieder auf diese Stätte Bezug nimmt. JeanJacques Annaud erzählt in seinem Spielfilm Deux Frères (2003) die Geschichte zweier Tiger in der Ruinenanlage während der Jahrhundertwende und erinnert an Angkor als Symbol einer kolonialen Epoche. Bereits erwähnt wurde auch Rithy Panhs postkolonialer Dokumentarfilm Les gens d’Angkor (2003). Doch bereits lange zuvor bemühten sich Spielfilmprojekte im Einklang mit dem kolonialen Diskurs um die filmische Aufbereitung der Tempelanlage. Vor allem in den 20er Jahren finden sich Spuren ehrgeiziger Spielfilmprojekte in Indochina, teilweise Umsetzungen von Albert Sarrauts mission cinématographique.

Filmstudios Angkor: Sous l’œil de Bouddha (A. Joyeux) 1923 entsteht unter dem staatlichen Service cinématographique du gouvernement général de l’Indochine ein Spielfilm, der bis heute weder in Anthologien des kolonialen Spielfilms noch in kulturwissenschaftlichen Arbeiten über die franko-indochinesischen Begegnungen Eingang gefunden hat.8 Bei Sous l’œil de Bouddha (1923) handelt es sich um einen vierzigminütigen Stummfilm, der in Kambodscha in der Tempelanlage Angkor Wat und ihrer Umgebung gedreht wurde. Regisseur und Drehbuchautor ist André Joyeux, der im Vorspann als peintre indochinois vorgestellt wird. R. Tétart, ein Mann im Dienste des Service cinématographique de l’Indochine, ist für die

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Das CNC besitzt eine Fassung des Films, die gesichtet werden kann. Womöglich ist es der singuläre Status des Films (der einzig erhaltene koloniale Spielfilm aus Indochina), der ihn bisher in noch keiner Publikation erscheinen ließ. Der Film dürfte vor noch nicht allzu langer Zeit archiviert worden sein. Es überrascht allerdings doch, dass selbst in rezenten Publikationen über die Filmproduktion in und aus dem ehemaligen Indochina dieser Film keine Erwähnung findet (vgl. Norindr 2008).

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Koloniale Exotik im Spielfilm Kamera verantwortlich. Über den Produktions- und Aufführungskontext dieses Films ist heute nichts mehr bzw. noch nichts bekannt. Dass er wie die Mehrzahl der Filme der mission cinématographique nur in einem nicht-kommerziellen Rahmen gezeigt wird, lässt seine aufwändige Gestaltung bezweifeln. Die Aufnahmen sind von hoher Qualität. Der filmische Raum wird vor allem durch eine heterodiegetische Fokalisierung von postkartenähnlichen Landschaftsaufnahmen in Besitz genommen, deren differenzierte Viragierung9 auf die unterschiedlichen Tageszeiten verweisen. Diese Farbgebung erinnert daran, dass besonders bei Filmen aus den Kolonien schon früh großer Wert auf raffinierte Kolorierung gelegt wurde. Der Film erzählt die Geschichte des jungen Mannes Ly, der sich einer Theatertruppe anschließt. Er tut dies gegen den Willen seines Vaters, denn Ly soll Holzschnitzer bleiben wie er selbst. Vier Jahre später kommt Ly mit seiner Truppe in seine Heimatstadt zurück, wo er sich bei der Aufführung in die Tochter des Präfekten verliebt. Ihre nicht-standesgemäße Beziehung wird verraten, und Ly muss ins Exil gehen. Dem Hungertod nahe irrt er im Wald umher, als er schließlich von einem Elefantenjäger gerettet wird. Dieser ist auf der Suche nach einer Person, die ihr Leben für den Führer der annamitischen Truppen geben würde, der vom kambodschanischen König Sisiphong gefangen gehalten wird. Ly, der ohnehin den Tod herbeisehnt, erklärt sich einverstanden und dringt in den Palast des kambodschanischen Königs ein, wo er den Führer befreit. Er verweigert allerdings den Befehl des Königs, sich in seine Dienste zu begeben, und wird zum Tode verurteilt. Gerade rechtzeitig ereilt den König die Nachricht, dass sein Sohn entführt wurde und nur im Gegenzug zur Befreiung Lys freigelassen würde. Der Tausch wird vollzogen, Ly bekommt vom General der Annamiten den Titel Mandarin verliehen und kann so um die Hand der Präfektentochter anhalten. Wie bei vielen exotistischen Filmen aus den maghrebinischen Kolonien der 20er Jahre ist es auch bei diesem Film schwierig, die Handlung einer spezifischen historischen Epoche zuzuordnen. Dass die archäologische Stätte Angkor als von einem Königshaus bewohnt dargestellt wird, verweist auf die Periode vor dem 16. Jahrhundert. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass für die Zeit der Handlung eine unbestimmte Vergangenheit angenommen wird. Wie der dem Film in einem Insert vorangestellte Text zeigt, ist die genaue historische Situierung auch zweitrangig.

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Als Viragierung wird jene frühe Technik der Farbgebung bezeichnet, mit der der Filmstreifen gänzlich eingefärbt wird. Ganze Szenen sind so in ein bestimmtes farbliches Licht getaucht.

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Cinéma Indochina »Le drame asiatique que nous présentons ici a pour but de faire connaître les moeurs, les coutumes, la vie des races annamite et cambodgienne qui guerroyèrent entre elles pendant des siècles et vivent maintenant dans le calme d’une paix laborieuse sous la haute protection de la France, mère des peuples. Pour que la documentation soit encore plus précise et plus sincère, en plus des costumes, des armes, des meubles, des habitations qui sont rigoureusement conformes à la réalité, nous avons voulu que les interprètes fussent de race annamite et cambodgienne, depuis le héros jusqu’au dernier figurant. Quelle que soit la violence des passions qui animent nos personnages, ils le dissimulent sous l’impassibilité du visage et les marques de la politesse la plus raffinée. En amour, l’annamite ignore le baiser10.«

Der Film wendet sich an das Publikum der Metropole. Sowohl die Wahl der Tempelanlage als Schauplatz sowie die historische Situierung und die Repräsentation der indigenen Bevölkerung verfolgen vor allem das Ziel, das koloniale Imaginäre der Metropole zu nähren und die Notwendigkeit des französischen Protektorats für Kambodscha sowie für Annam zu rechtfertigen. Der Konflikt, der in Sous l’œil de Bouddha zwischen der Bevölkerung Annams und dem kambodschanischen König besteht, verweist auf die Zeit vor der französischen Eroberung. Die Gefangenschaft des Führers der annamitischen Truppen ist auf die historischen Konflikte zwischen Dai Viet, wie sich das Königreich Vietnam vom 10. bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts nannte, und dem Königreich der Khmer zurückzuführen. In der kolonialen Propaganda ist die paix française für den Erhalt der Tempelanlage wesentlich, denn durch sie wird Annam in seiner historischen Hegemonialbestrebung eingeschränkt und Kambodscha vor seinen eroberungshungrigen Nachbarn beschützt. Der Tempel von Angkor Wat ist das Schloss des kambodschanischen Königs, eine Verfolgungsjagd erlaubt dem Publikum das Bauwerk kennen zu lernen, einzelne architektonische Besonderheiten wie beispielsweise die steile Treppe in die zweite Ebene des Gebäudes werden für die Handlung instrumentalisiert. Die auftretenden Personen tragen traditionelle Kleidung, einzelne Szenen sollen als typisch angesehene Verhaltensweisen der Bevölkerung illustrieren. Berufsgruppen und Spezifika ihres Tätigkeitsbereiches werden in die Handlung eingegliedert. Dass Ly und sein Vater Kunsthandwerker sind, ist kein Zufall. Die Bedeutung des indigenen Kunsthandwerks war unter dem Einfluss des französischen Geschmacks marginalisiert worden, die Zahl der in diesem Sektor arbeitenden

10 Die Reaktion des indigenen Publikums bei Kuss- und Liebesszenen im Film ist dem Generalgouverneur sogar einen Aktenvermerk wert: »Le public indigène accueille certains passages un peu libres par une bruyante hilarité fort pénible pour les spectateurs européens.« (zit. nach Brocheux/Hémery ²2001, S. 228)

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Koloniale Exotik im Spielfilm

Menschen sank. Die Kolonialherrschaft bemühte sich angesichts dieses dramatischen Rückgangs um die Wiederbelebung und Anerkennung des ästhetischen Werts des indigenen Kunsthandwerks. 1924 wurde zu diesem Zweck auch die École des beaux-arts de l’Indochine gegründet (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 225f.). Der kambodschanische König trägt den Namen Sisiphong de Cambodge und ist eine fiktive Figur, jedoch beruft sie sich sowohl hinsichtlich ihres Namens wie auch hinsichtlich ihrer Charakterisierung auf die Persönlichkeit eines historischen Monarchen. Sisowath11 heißt der König von Kambodscha, der nach dem traité franco-siamois in einer großen Zeremonie in Angkor seinen Thron besteigt, allerdings nur als Schattenkönig unter dem ›Schutz‹ Frankreichs. Der fiktive König Sisiphong ist Elefantenliebhaber und wird so gezeichnet, dass auch er sich als zukünftiger Schattenkönig eignet: oberflächlich, sich mit einfachen Dingen beschäftigend, naiv. Historisch inkorrekt ist die Anwesenheit der Figur des Präfekten. Der préfet und der sous-préfet sind vom Innenministerium bestellte Vertreter des französischen Zentralstaates in den französischen départements (Verwaltungsbezirken). Außerhalb der Metropole war nur Algerien ein von einem Präfekten verwalteter département. Für die indochinesischen Protektorate hat Paul Doumer die Funktion des résident supérieur geschaffen sowie jene des lieutenant-gouverneur für die Kolonie Cochinchina. Ihr Aufgabengebiet ist mit jenem der Präfekturen der Metropole vergleichbar. Die Anwesenheit des Präfekten in Sous l’oeil de Bouddha lässt sich durch sein Identifikationspotential für das Publikum der Metropole erklären. Dieser Amtsträger wird vom französischen Publikum als Autorität des Zentralstaates geachtet. Seine (fiktive) Anwesenheit in Indochina hat möglicherweise den Zweck, die durch geographische Distanz charakterisierte Kolonie dem Publikum der Metropole anzunähern. Sous l’oeil de Bouddha ist ein sowohl für die koloniale Filmproduktion im Allgemeinen als auch für jene Indochinas im Speziellen in mehrerer Hinsicht außergewöhnliches Dokument. Der Film ist der einzig bisher vollständig erhaltene Spielfilm aus Indochina für diesen Zeitraum. In der Terminologie André Gardies’ ist hier die Kolonie kein paysage-fond, kein landschaftlicher Hintergrund, der unausgeschöpft bleibt. In der Situierung der Handlung in Angkor zeigt sich die Landschaft als paysage-exposant in ihrer spektakulären Form, was sich filmsprachlich in der Kolorierung und den statischen Aufnahmen und inhaltlich in der Repräsentation diverser Gebäudeelemente äußert. Angkor hat in Sous l’œil de Bouddha auch die Funktion eines paysage-drame. Die Ruinenstadt besitzt eine narrative Aufgabe, die Geschichte der Stätte wird als ein we-

11 Sisowath (1840-1927), König von Kambodscha 1904-1927.

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Cinéma Indochina sentliches Element der Diegese miteinbezogen, die Handlungsweisen der Figuren zeigen sich ebenfalls von den gesellschaftlichen Normen der hier imaginierten Angkor-Epoche geprägt. Eine Besonderheit dieses Films ist auch die durchgehende Besetzung der Rollen mit indigenen Darstellern, eine Entscheidung, die für Filmproduktionen aus den Kolonien in Afrika nie getroffen wurde (vgl. Leprohon 1945). Auf diese Besetzung weist auch das dem Film vorangestellte Insert ausdrücklich hin. Die archäologische Stätte Angkor wird in Sous l’oeil de Bouddha als von einem kambodschanischen König bewohnt dargestellt und auf diese Weise mit der Geschichte und einer traditionellen Kultur in Zusammenhang gebracht. Wenn auch das durch den Film vermittelte Geschichtsund Kulturbild stark mit den kolonialen Interessen Frankreichs in Indochina in Zusammenhang steht, reflektiert der Film mit seiner Anstrengung, die Ruinen in – vulgarisiertes – lokales Wissen einzubinden, den Respekt, den Frankreich den traditionellen Kulturen der südostasiatischen Halbinsel entgegenbrachte.12

Jacques Feyder au pays du Roi lépreux Auch ein berühmter Vertreter des französischen Films versucht sich im Rahmen der mission cinématographique in der Be-Bilderung der Kolonie. Jacques Feyder, der 1921 mit der Romanverfilmung von Pierre Benoits L’Atlantide ein Referenzwerk für den Kolonialfilm geschaffen hat, bricht gemeinsam mit dem Kameramann Maurice Foster, seinem Assistenten Henri Chomette, dem Bruder René Clairs, und in Begleitung seiner Frau Françoise Rosay, die die Hauptrolle übernehmen soll, im Januar 1927 nach Indochina auf. Auf der Basis eines weiteren Romans Pierre Benoits - Au pays du Roi lépreux soll auch Indochina für das cinéma colonial inszeniert werden. Das Publikum in Frankreich wartet gespannt auf Feyders neuen Film, die Filmzeitschrift Cinémagazine steht mit dem Regisseur in Briefkontakt und berichtet regelmäßig über den Fortgang des Projekts (vgl. Oms 1992, S. 15). Feyder ist zu Beginn seiner Reise nach Indochina voller Begeisterung und Tatendrang. »Le pays est d’une insoupçonnable beauté. Quels extérieurs admirables, insoupçonnés jusqu’à ce jour, n’allons-nous pas découvrir ici! Tout est neuf, tout est inconnu des cinéastes qui marchent dans les ruines du vieil Angkor comme 12 La colonisation ambiguë ist der Titel der historischen Darstellung des kolonialen Indochinas von Pierre Brocheux und Daniel Hémery. Die beiden Historiker begründen darin das zwiespältige Verhältnis, das die Kolonialmacht Frankreich gegenüber ihrer Kolonie hegt, mit dem Respekt für deren alte Traditionen.

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Koloniale Exotik im Spielfilm au milieu d’un rêve oriental. Notre Roi lépreux aura, certes, un cadre digne de l’importance du film: on y verra ce que, jusqu’à présent, on n’a vu qu’à la faveur de documentaires assez vagues, et c’est parmi les splendeurs millénaires que se déroulera la merveilleuse histoire imaginée par Pierre Benoit.« (Feyder im Februar 1927 in einem Brief, zit. nach Oms 1992, S. 15)

Doch Feyder scheitert mit der Verfilmung des Romans kläglich. Au pays du Roi lépreux (1927) bleibt nicht mehr als ein film de repérage, ein Kurzfilm in der Ästhetik der Ansicht, das »hors d’oeuvre« (Marcel Oms 1992, S. 15) zu Feyders Prestigeprojekt. Die Gründe für das Scheitern sind vom heutigen Standpunkt aus schwer nachzuvollziehen. Auch über den Inhalt des unvollendet gebliebenen Spielfilms können nur mehr Spekulationen angestellt werden. Feyder gibt diesbezüglich selbst in seiner Autobiographie keine Erklärungen. Mehrere Quellen berichten, dass der potentielle Geldgeber, die mächtige Banque de l’Indochine, schließlich doch vor den hohen Produktionskosten zurückgeschreckt sei (vgl. u.a. Slavin 2001, S.60). Michel Igout macht den Untergang der Produktionsfirma Indochine Films aufgrund finanzieller Misswirtschaft, welche gerade für die Kolonie Indochina sehr typisch war, für den Abbruch des Projekts verantwortlich (vgl. Igout 1998, S. 114). Oms vermutet, dass diese ausgerechnet für Feyders Großprojekt gegründet worden war (vgl. Oms 1992, S. 18). Tatsächlich war bereits am 15. April 1924 ein Fünf-Jahres-Vertrag zwischen dem gouverneur général und Indochine Films geschlossen worden (vgl. Bloom 1997, S. 23). Das entstandene Filmdokument Au pays du Roi lépreux, note du voyage au Cambodge, gleicht einer von Feyder geleiteten Reiseführung durch die kambodschanischen Tempelanlage Angkor Wat. Didaktisch formulierte Inserts stellen die Besonderheiten der Architektur Angkors und die Umgebung der Ruinenstadt vor. Man sieht Apsara, die gottähnliche Tänzerin, den Tempel Bayon und die Terrasse des Leprakönigs, dem Benoit den Titel seines Romans gewidmet hat. Jacques Feyders langsame Annäherung an den Tempel erläutert die Fremdheit und Undurchdringlichkeit der anderen Zivilisation und reflektiert damit jene Eigenschaften, die lange Zeit ein Charakteristikum dieser Filmkultur bleiben werden. In seinem film de repérage erhält der die Tempelanlage umgebende Wald einen bedeutenden Stellenwert. Die Aufnahmen der vom Wald eingeschlossenen Tempelanlage lassen den Menschen machtlos erscheinen angesichts der Macht der Natur. Auf diese Weise wird auch die Ruine der Natur zugerechnet, über heterodiegetische Fokalisierung wird diese Information als objektiv vorgestellt. Durch seine filmische Topographie scheint Feyder seinen persönlichen Misserfolg den landschaftlichen Gegebenheiten der Kolonie gegenüberzustellen. Aus dem Topos, den die Ruine in Feyders Filmarbeit hätte darstellen sollen, werden eine Allegorie auf seine 93

Cinéma Indochina Ohnmächtigkeit, in Indochina sein ehrgeiziges Filmprojekt durchzuführen sowie eine Rechtfertigung für seinen Misserfolg. Die Repräsentation der vom Wald eingeschlossenen Ruine wird das Symbol für die Seelenlandschaft (paysage-expression) des Filmemachers. Die vom Wald umgebene Tempelanlage ist nicht nur für den Menschen undurchdringlich, auch Dreharbeiten können in der Kolonie nicht realisiert werden. In Feyders Scheitern manifestiert sich die Diskrepanz zwischen dem als heterotop konzipierten kolonialen Imaginären, das Indochina in der Metropole dominiert, und dem ›realen Ort‹, mit dem sich der Filmemacher Jacques Feyder bei seinen Dreharbeiten vor Ort konfrontieren muss.

Die géographie ruinistique des kolonialen Spielfilms Ein bedeutender, wiederkehrender Topos, der sich in den frühen Filmen über Indochina findet, ist jener der Ruine. Den Tempel von Angkor Wat nehmen Gabriel Veyre, Léon Busy, A. Joyeux und Jacques Feyder als Symbol Indochinas in ihre Filme auf. Für Gabriel Veyre ist Angkor nur der Hintergrund differenzierter Bewegungsabläufe – Angkor war bei Veyres Besuch auch noch in Besitz Siams. Busy bebildert eine von Mönchen, Tänzerinnen und Arbeitern belebte Ruinenstadt und widerspricht damit dem kolonialen Diskurs des ›leeren Raums‹, der das Bauwerk als von der lokalen Bevölkerung vergessen darstellt. Als »écriture ruinistique« hat Emmanuelle Radar das Korpus der von Angkor inspirierten Reiseliteratur der Zwischenkriegszeit bezeichnet, das mehrheitlich aus lyrischen Beschreibungen der Ruinenlandschaft besteht (vgl. Radar 2008, S. 505). Die literarische Verarbeitung der Ruinenstadt Angkor produziert eine autoreferentielle Schreibweise in einem Moment, in dem sich im Anschluss an Oswald Spengler eine ganze Generation der Sterblichkeit ihrer Zivilisation bewusst wird. In ihrem Buch Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses hat Aleida Assmann Ruinen als Gedenkorte beschrieben, die an eine abgebrochene Geschichte erinnern. Der Gedenkort entsteht durch eine Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, er »ist das, was übrigbleibt von dem, was nicht mehr besteht und gilt« (Assmann ²2003, S. 309). Die Ruine ist die Form, in der sich dieser Bruch materialisiert. Sie löst die Beziehung zum Leben der Gegenwart auf und materialisiert sich in Fragmenten eines verlorenen oder zerstörten Lebenszusammenhangs, dessen Bedeutung nun durch zusätzliche Dokumente gesichert werden muss.

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Koloniale Exotik im Spielfilm Sous l’oeil de Bouddha und Au pays du Roi lépreux laden Angkor mit einem neuen Gedächtnis auf. Joyeux’ Epos Sous l’œil de Bouddha löscht die Bedeutung Angkors für die lokale Bevölkerung. Der Film evoziert die Ruinen ohne Bezug zum Leben der Gegenwart, diese verweisen auf eine Geschichte, die nicht nachträglich wiederhergestellt werden kann. Der Film konstruiert ein neues Gedächtnis für die Ruinen, indem er sie mit Erklärungen versieht, durch die sie Bezugspunkte für ein neues kulturelles Gedächtnis werden können. Dieses Gedächtnis ist vom französischen kolonialen Geschichtsbild geprägt. Der Film aktiviert die Erinnerung an das historische Königreich der Khmer und bringt Angkor Wat mit einer Geschichte und einer Kultur in Zusammenhang. Die Geschichte Kambodschas wird aus kolonialer Perspektive überliefert, die Ruine zur Stütze dieser Erzählung. Feyders Darstellung von Angkor in Note de voyage au Cambodge ist autoreferentiell. Die Ruinen erinnern in ihrer Form an das Scheitern seines prestigereichen Filmprojekts Au pays du Roi lépreux. »Hier ist noch etwas anwesend, aber dies verweist vor allem auf Abwesenheit; hier ist noch etwas gegenwärtig, aber es signalisiert in erster Linie dessen Vergangensein.« (Assmann ²2003, S. 309) Angkor ist in Feyders Film ein Element der Natur und wird von der Geschichte getrennt dargestellt. Laut Assmann reflektiert die Auflösung der Beziehung zwischen Ruinen und ihrer Geschichte den Umgang mit diesen Bauwerken in einer von Industrialisierung gekennzeichneten Epoche (vgl. Assmann 2003, S. 315). Durch fehlende historische Kontextualisierung werden Ruinen besonders in jenen Epochen zu Monumenten des Vergessens. Auch in den 20er Jahren, der letzten Blütezeit der französischen Kolonialherrschaft in Indochina, kontrastieren die Ruinen mit dem Fortschrittsgedanken der kolonialen Ideologie. In Au pays du Roi lépreux werden die Ruinen jedoch nicht nur mit einer politischen Bedeutung aufgeladen. Gerade das Scheitern des Prestigeprojekts lässt die Ruinenlandschaft als Metapher auf Feyders Film zurück.

Der Orient in der französischen Provinz Außerhalb der oben genannten Beispiele findet sich der geographische Raum Indochina in den französischen fiktionalen Filmen der zwanziger und dreißiger Jahre nicht repräsentiert, allerdings wird er in einzelnen Fällen in Frankreich nachgestellt. Bei den im Fernen Osten angesiedelten Filmen ist es oft schwer, zwischen den einzelnen Nationalstaaten zu unterscheiden. Glücksspiel, Opium, illegaler Handel und hinterhältige Grausamkeit: Bilder aus den populären China-Zuschreibungen des Hollywoodkinos der Zwanziger Jahre

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Cinéma Indochina dehnen sich auf den gesamten asiatischen Kontinent aus (vgl. Jeancolas 1992, S. 87). Die Dreharbeiten zu den Spielfilmen über den ›Orient‹ finden in Frankreich bevorzugt an der Côte d’Azur statt. Ein französischer Orient findet sich beispielsweise in der Canner Villa Champfleuri, deren drei Hektar großer Garten die Kontinente Afrika, Europa und Asien darstellt und die Jean Delannoy als Kulisse für seinen Abenteuerfilm Macao, enfer du jeu (1939) gewählt hat. Hier ist allerdings nicht im eigentlichen Sinne von Indochina die Rede. Die Wahl des Titels Macao lässt sich als Beispiel für die diffuse Zuschreibung lesen, die der Ferne Osten im Film erlebt. Indochina ist selten eine eigenständige geographische Einheit, vielmehr findet sie sich integriert in einen asiatischen Raum, der neben Japan und der Mongolei vor allem China umfasst. Macau, die ehemalige portugiesische Kolonie und die heutige Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China, dient als Rahmen für einen Abenteuerfilm, in dem Gefahren um Krieg und Glücksspiel die Vertreter der westlichen Welt – unter ihnen Erich von Stroheim – bedrohen. Die Rolle des Casinobesitzers wird mit dem Japaner Sessue Hayakawa besetzt, der in den USA und Frankreich für Rollen aus dem gesamten asiatischen Raum eingesetzt wurde.13 Die übrigen Darsteller sind europäischer Herkunft. Um sie asiatisch aussehen zu lassen, genügt ein verlängerter Lidstrich, ein asiatischer Schnurrbart oder typische Kleidung. Doch Menschen asiatischer Herkunft gibt es in Macao kaum... Selten wird Indochina in den Spielfilmen die Hauptrolle überlassen. Obwohl die südostasiatische Kolonie für einzelne Charaktere eine existentielle Rolle spielt, hat das Land im Film nur eine periphere Bedeutung. Bewohner der südostasiatischen Kolonie sind in französischen Filmen nur in einzelnen Fällen zu sehen. Meist zeichnen sie sich durch ihre Rollen als gefahrbringende, verschlagene, bösartige Männer aus, die mit einer mehr für den Nachspann als für das Herkunftsland gewählten Bezeichnung nur vage als le jaune bezeichnet werden (vgl. Baldizzone 1992, S. 10).

13 Sessue Hayakawa wird als erster ›echter Japaner‹ in Hollywood zum Star der Stummfilmzeit. Er verlässt 1922 Hollywood und realisiert Theater- und Filmprojekte in New York, England, Frankreich und Japan. Mit dem Tonfilm, der Hayakawas starken japanischen Akzent hervorhebt, sowie mit dem Anstieg antijapanischer Ressentiments endet seine Karriere in den USA. In Frankreich allerdings besteht die Faszination für den Orientalismus weiter und Hayakawa erfreut sich großer Popularität. Die Dreharbeiten zu Max Ophuls Yoshiwara (1937) stellen den Beginn seines zwölfjährigen Pariser Exils dar (vgl. Gong 2001, S. 48-57).

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Koloniale Exotik im Spielfilm Louis Feuillade, in dessen fiktionalem Werk der Orient einen wichtigen Stellenwert besitzt14, wählt nicht nur für Tih-Minh (1918) die Landschaften um Nizza zum Drehort. Auch die fantastischorientalischen Szenen in Barabas (1919) und Le Stigmate (1924) wurden an der Côte d’Azur gedreht. Der von Louis Feuillade in der Ästhetik seiner Epoche inszenierte Orient informiert über die geheimen Wünsche sowie über die durch den herrschenden Diskurs geschürten Ängste des Autors (vgl. Brétèque 1987/88, S. 67). TihMinh fügt sich als Genre in eine Unterkategorie des Kolonialfilms ein, die den Übertritt kolonialer Subjekte in die Metropole thematisiert.15 Der Ciné-Roman in 12 Episoden handelt von den Integrationsbemühungen einer jungen Eurasierin in Frankreich. Die Schandtaten eines kriminellen Netzwerks, in das Tih-Minh verwickelt wird, füllen die Handlung bis zum Ende, der Hochzeit TihMinhs mit Jacques, dem Sohn ihrer französischen Adoptivfamilie. Die Serie widmet sich inhaltlich den Beziehungen zwischen Frankreich und seinen Kolonien im Fernen Osten, als Rahmen dienen auch die europäischen Kräfteverhältnisse, die dem Ersten Weltkrieg vorangehen. »Plaidoyer pour l’Entente Cordiale, ce film défend aussi la cause de la réconciliation colonisé-colon et projette dans un univers colonial fantasmagorique le ressentiment anti-germanique, prêtant à l’Allemagne des ambitions coloniales en Extrême-Orient largement inventées.« (Brétèque 1987/88, S. 68) Der Orient wird in diesem Ciné-Roman nur in einem Flashback gezeigt, in den anderen Referenzen auf Tih-Minhs Heimat wird er in Form von Möbeln und Dekorationsgegenständen in Frankreich vorstellbar gemacht. Das Bild der indochinesischen Bevölkerung, die sich in Frankreich aufhält, zeigt sich im Fall der Frauenrollen differenzierter, doch auch für sie gibt es typische Zuschreibungen. In Tih-Minh ermöglicht die familiäre Situation der Waise – Tih-Minhs Vater war französischer Beamter, ihre aus Tongking stammende Mutter starb früh – die Stereotypisierung als unschuldige, unwissende Kindfrau, deren bloße Existenz ihr selbst und ihrer Umgebung Leiden zufügt. Im Gegensatz zur europäischen Frau, die sich zu emanzipieren beginnt, wird die Annamitin im Spielfilm als untergeordnet und fragil repräsentiert. 14 Feuillade selbst hat Zeit seines Lebens nur eine Auslandsreise nach Spanien unternommen (vgl. de la Brétèque 1987/88, S. 67). 15 Dieser Übertritt erfolgt für Subjekte aus Indochina sowohl in der Realität als auch im Film ab dem Ersten Weltkrieg. Während des Ersten Weltkriegs war es zu einer ersten großen Einwanderungswelle aus Indochina gekommen, 50.000 Vietnamesen aus der dem Protektorat Tongking erreichen das französische Festland, um Frankreich als Arbeitskräfte und Soldaten (linh tho) bei seiner Kriegsführung zu unterstützen.

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Cinéma Indochina Auch in Louis Dellucs Fièvre (1919) spielt eine Kindfrau eine entscheidende Rolle. Dellucs Film Fièvre16 basiert auf seiner Kurzgeschichte mit deutlichen Zügen eines Drehbuchs, die er unter dem Titel Tulip’s Bar 1919 in der Zeitschrift Fantasio veröffentlicht hat. Die Dreharbeiten, die Delluc in seiner Skizze Huit Jours de Fièvre beschrieben hat, finden im Winter 1921 in den Gaumont-Studios der Buttes-Chaumont statt. Die dramatische Struktur des Drehbuchs ist einfach, die Einheit der Zeit und der Handlung ermöglichen chronologische Dreharbeiten. Die Handlung erfordert mehr als 20 Darsteller, Dellucs Gattin, die Schauspielerin Eve Francis, spielt neben Professionalisten, Debütanten und Amateuren die Hauptrolle der Barbesitzerin Sarah, die Russin Elena Sagrary die zweite weibliche Hauptrolle der (namenlosen) orientale. Der Film zählt 427 Einstellungen. Tulip’s Bar ist eine Bar im Hafenviertel der französischen Mittelmeerstadt Marseille, die Seeleuten und heruntergekommenen Stadtbewohnern als Aufenthaltsort dient. Sie wird von Topinelli und seiner Ehefrau Sarah geführt, die einer verflossenen Liebe nachtrauert. Die anfängliche Stille der Karten spielenden Gäste wird durchbrochen, als ein Dampfer im Hafen anlegt und dessen Besatzung in die Bar einfällt. «Ils arrivent de Chine, de l’Inde, d’une Orénoque fabuleuse, ce pays dont le nom seul est une fanfare nostalgique», schreibt Pierre Scize in seiner Filmkritik für Bonsoir (zit. in Delluc 1923, S. 114). Die eingetroffenen Gäste breiten stolz die mitgebrachten Schätze aus, unter denen sich neben Affen, Waffen und Stoffen auch ein Karton befindet, den Militis, ein Matrose, der sich als der Besitzerin Sarahs unvergessener Liebhaber herausstellt, sogleich öffnet. In dem Karton befindet sich ein Souvenir in Form einer Frau. Via Schriftinsert erklärt Militis: «C’est une femme Annamite, japonaise, chinoise... une petite orientale que j’ai achetée là-bas et épousée devant un bonze convenable.»17

16 Der Film trägt zunächst den Namen La Boue, der auf den realistischen Charakter der Erzählung hinweisen soll. Die Zensur nimmt an dem Film Anstoß: der Rahmen einer boue sei kein angemessener, einige Einstellungen stellten zu offen Gewalt und Erotik zur Schau. Dellucs gute Kontakte zu Entscheidungsträgern der Dritten Republik sowie zur Pariser Intelligenzija erreichen jedoch einen Kompromiss, pikante Szenen werden entschärft und der Titel durch Fièvre ersetzt (vgl. Delluc 1990, S. 53). 17 Delluc charakterisiert die Figur detaillierter in der Erzählfassung seines Films, Tulip’s Bar: »Ça quoi, mon tout joli?« Ça, c’est une adolescente au visage de cuivre qui se cache derrière Militis. Engourdie, effrayée, emmitouflée dans une veille capote bleue, elle regarde ces étrangères qui la regardent. Elle tremble. Son mari la rassure et rit en posant la main sur sa tête. »C’est une Japonaise? C’est une Hindoue?« Militis conte télégraphiquement. Sa femme, bel et bien. Achetée, avec contrat

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Koloniale Exotik im Spielfilm In drei Rückblenden sieht man die Szenen des Kennenlernens und der Hochzeit sowie den Moment der Abreise auf dem Dampfer. Vom Alkohol beeinflusst nimmt der Abend seinen Lauf. Aus dem zunächst fröhlichen Tanz der Gäste entwickelt sich eine blutige, alkoholgetränkte Eifersuchtsszene zwischen einem Beamten, der ein Auge auf Sarah geworfen hat, Militis und Topinelli, Sarahs Ehemann. Die Frauen stürzen sich auf die junge Annamitin und reißen ihr die Kleider vom Leib. Erst die ankommende Polizei bringt Ruhe in die Rauferei, l’orientale zieht sich mit den wenigen ihr verbleibenden Kleidungsstücken unter einen Tisch zurück. Der Film endet mit einer Großaufnahme dieser Figur, wie sie enttäuscht lächelnd eine künstliche Blume in den Händen hält. Wie Tih-Minh ist auch die asiatische Heldin Dellucs ein Opfer, das sich der todbringenden Kraft seines Charmes nicht bewusst ist und auf die westliche Bevölkerung eine verbotene Anziehungskraft ausübt. Der Spielfilm ermöglicht eine Individualisierung der kolonialen Figuren, um die sich der koloniale Dokumentarfilm nicht bemüht. »Les populations colonisées ne sont plus ici des enfants turbulents à éduquer. Elles s'individualisent en personnages complexes. Elles sont un ›autre‹ inquiétant, attirant, étrange.« (Baldizzone 1992, S. 11) Diese Individualisierung der weiblichen indigenen Figuren in Fièvre und Tih Minh hat auch eine Umkehrung der typisierenden Repräsentationen des Anderen zur Folge. In beiden Filmen haben französische bzw. europäische Protagonisten die Rollen des Bösen. Auch filmsprachlich werden die kolonialen Herrschaftsverhältnisse unterminiert. Delluc erlaubt in seinem Film einen Rollentausch. Es ist hier nicht die europäische Bevölkerung, die ihre Faszination und ihre Abgestoßenheit angesichts der Sitten der fremden Welt deutlich zeigen darf, sondern ein Bewohner, sogar eine Bewohnerin derselben, die das Recht auf ebendiesen Blick auf das Handeln der westlichen Zivilisation besitzt. In Fièvre ist l’orientale mehrmals als Fokalisierungsinstanz zugelassen, die das seltsame Treiben in der Bar beobachtet. Der Blick einer fremden Frau auf ein für das bürgerliche Kinopublikum kulturell entferntes Milieu verdeutlicht die Illusion des ›unschuldigen‹ Blickes. Sprachlos – sie spricht auch nicht via Insert – folgt die Annamitin mit ihren Blicken dem Treiben in der Bar, das sie als eine Abfolge von Handlungen wahrnimmt. L’orientale entdeckt bei ihrer Grenzüberschreitung nicht kulturelle Errungenschaften und Reichtümer der mère patrie, sondern eine heruntergekommene Bar der Hafenstadt Marseille, einen Ort, der selbst für die Franzosen der Metropole von einer unsichtbaren Grenze umgeben ist. Das Symbol der Blume kann als Ausdruck für

réglementaire, 85 francs. Céremonie complète. Bonzes et tambourins. Annamite. Quatorze ans. (Delluc 1990, S. 67)

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Cinéma Indochina diese enttäuschte Erwartungshaltung gelesen werden. Die Faszination der orientale für die auf der Bar stehende Blume mündet in Enttäuschung, als sie bemerkt, dass diese aus Papier ist. Auch TihMinhs Grenzüberschreitung führt an einen verbotenen Ort, in das kriminelle Milieu der Provinz. Die französische Landschaft stellt sich für die indochinesischen Subjekte als ein paysage-contrepoint dar, zu dem keine Verbindung hergestellt werden kann. Auch Jacques Becker beschreibt in seinem Film Goupi Mains Rouges (1942) eine Grenzüberschreitung. Er hat mit Goupi Tonkin, einem aus der Kolonie heimgekehrten Soldaten des Expeditionskorps, eine Figur geschaffen, die nach ihrer Rückkehr aus Indochina die ländliche Landschaft des Poitou ebenfalls als paysagecontrepoint empfindet. Goupi Tonkin lebt in einer Hütte, in der Bambus und Hängematte ein von Stereotypen geprägtes Indochina nachbilden, um seiner Sehnsucht nach der verlassenen Kolonie Ausdruck zu verleihen. Die sinnliche Wahrnehmung der Kolonie und die leidenschaftliche Erinnerung daran beherrschen Goupi Tonkin. Sein Heimweh nach Indochina führt schließlich zu seinem Tod in der Provinz Poitou. Schon in frühen fiktionalen kinematographischen Repräsentationen der Kolonie findet sich also das Thema der Indochina-Nostalgie und der leidenschaftlichen Beziehung zu diesem Land, wie sie in den Filmproduktionen der 90er Jahre institutionalisiert wurden.

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DOCUMENTEURS INDOCHIN INDOCHINOIS OIS1

Ainsi, nous avons apporté dans toute l’Indochine la richesse et, avec la richesse, la paix. Une paix qui fut sans doute troublée parfois, mais toujours par des agitateurs professionnels, étrangers fréquemment. La paix engendre cette sécurité indispensable et ce droit au travail qui furent jadis le don magnifique qu’avaient fait à leur pays les très grands empereurs annamites, dont le dernier fut l’empereur Tu-Duc. […] En Indo-Chine, comme au Maroc, moins vite et moins triomphalement, mais avec un succès finalement égal, nous avons apporté la paix française. Et, aujourd’hui, nous avons là non seulement une exploitation agricole et industrielle en plein rendement, mais un empire – je ne dirai pas vassal, je dirai – ami de la France! Claude Farrère: Extrême-Orient (1924)

Siedlungsnarrative im kolonialen Dokumentarfilm Während die dokumentarischen Filme des Gabriel Veyre und des Léon Busy formal und inhaltlich deutlich subjektiv geprägt sind, entwickelt sich der koloniale Dokumentarfilm ab der Zwischenkriegszeit zu einem eigenen Genre, das hinsichtlich seiner Produkti-

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Documenteur (1981) ist der Titel eines Dokumentarfilms von Agnès Varda. Dass dieser Filmtitel hier als Kapitelüberschrift Erwähnung findet, hängt nicht so sehr mit dem Inhalt von Vardas Film zusammen, als mit ihrer kritischer Einstellung gegenüber der Wahrheitshoheit, die diesem zugeschrieben wird. Varda erinnert in ihrem Wortspiel daran, dass jeder Dokumentarfilmer auch ein Lügner (menteur) ist. Besonders in der Ästhetik des kolonialen Dokumentarfilms werden diese Strategien der Lüge und der Manipulation deutlich.

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Cinéma Indochina onsbedingungen sowie seiner inhaltlichen und formalen Verarbeitung bestimmten Normen folgt. Innerhalb der kolonialen Dokumentarfilme Frankreichs stellt der Maghreb mit 45% den geographischen Schwerpunkt der Filmproduktionen dar, gefolgt von Produktionen aus Afrika südlich der Sahara (26%) und Indochina (15%).2 Dass der Prozentsatz an Filmen aus Indochina so gering ist, verwundert angesichts der spezifischen Entwicklung des Films in Indochina im Rahmen der mission cinématographique de l’Indochine, mit der Albert Sarraut versucht hat, den Film für koloniale Propagandazwecke in der Metropole einzusetzen. Im Allgemeinen widmen sich nur wenige Produktionsfirmen dem kolonialen Dokumentarfilm. France-Outremer Film und L’Agence Économique des Territoires Africains beschäftigen sich ausschließlich mit diesem Genre, neben der Firma Lumière haben auch Pathé, Éclair, Actualités françaises, FrancolFilm und J.K. Raymond Millet eine Schiene, die sich dem cinéma touristique widmet. Für ein Viertel der Filme sind Produktionsfirma und Regisseur heute nicht mehr nachzuvollziehen. Nur zehn Cineasten, darunter Georges R. Manue und Charles Fasquelle (dit Jean Francoux) haben sich mit mehr als zehn Filmtiteln für das Thema spezialisiert, die meisten sind jedoch unbekannte bzw. anonyme Regisseure und für die französische Filmgeschichte kaum von Bedeutung (vgl. Le Roy 2001, S. 59). Für den Zeitraum von 1896 bis 1955 machen Filme über tourisme3 und exotisme den Großteil des aktuellen Archivbestands zum kolonialen Dokumentarfilm aus, gefolgt von jenen über la vie quotidienne und le développement économique sowie den films hygiénistes und d’expéditions und jenen über missions religieuses und défilés militaires. Je nach der Bedeutung der Kolonie im kollektiven Imaginären und in der realen Politik sind die Schwerpunkte der Filme unterschiedlich. Auch die jeweilige politische Situation der Metropole verstärkt die Produktion eines bestimmten Genres. Die Zwischenkriegszeit und die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs bzw. in der Periode vor der Dekolonisation sind Höhepunkte der kolonialen Filmproduktion (vgl. ebd. S. 56). 2

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Aus dem Zeitraum von 1896 bis 1955 besitzen die Archives françaises des CNC 820 Dokumentarfilme. Bis zum Jahr 2001 konnten 44% restauriert werden, so dass 364 koloniale Dokumentarfilme heute gesichtet werden können (vgl. LeRoy 2001, S. 55-59). Neben dem Archivbestand des Kolonialfilms in den Archives du film et im Depot legal du CNC existiert auch eine bedeutende Sammlung an kolonialen Dokumentarfilmen im Fonds cinématographique des Archives d’Outre-mer in Aix-en-Provence, der seine Sammlung allerdings beinahe ausschließlich aus dem Service de diffusion cinématographique de l’Algérie bezieht. Die Bezeichnungen entstammen den Katalogen der Entstehungszeit und werden hier im Original zitiert.

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Documenteurs indochinois Der Großteil der bisher restaurierten Filme über Indochina ist touristisch-exotisierend und stellt Regionen und Städte vor (NamDinh – Le centre indigène [Regisseur unbekannt, 1912], En Indochine [Regnault Sarasin, 1925], Aux environs de Hanoi [Regisseur unbekannt, 1930], Huê – ville impériale [René Thomasset, 1942], Voici l’Indochine [Charles Fasquelle, 1948], La Cité engloutie [Adolf Sylvain, 1947]). Eng damit verbunden sind Filme, die eher anthropologisch-ethnologischen Charakter besitzen und über die dort lebenden Menschen und ihre Traditionen aufklären sollen (Village annamite [G.-E. Monod-Herzen, 1932], Artisans tonkinois [Charles Fasquelle, 1939], Images indochinoises [Géo Kelber, 1939]). Daneben finden sich Filme, die sich dem technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Kolonie widmen (Les Travaux d’établissement du chemin de fer de Tanap à Thakher [Regisseur unbekannt, 1904], Aux greniers d’Extrême-Orient [Georges R. Manue, 1937], Harmonieux ombrages d’Indochine [Georges R. Manue, 1938], La Route de la Reine Astrid au cœur du Laos [Charles Fasquelle, 1939]). Der US-amerikanische Avantgardefilmspezialist Scott Mac Donald unterscheidet ausgehend von drei Kategorien, die für die literarischen Werke des 16. bis 18. Jahrhundert über die europäische Expansion nach Nordamerika etabliert wurden, bei der Beziehung zwischen Film und Landschaft zwischen sechs Erzähltypen, die er sowohl durch inhaltliche als auch stilistisch-ideologische Merkmale charakterisiert (vgl. Mac Donald 2001, S. 89-123). Das Entdeckungsnarrativ (discovery narrative) befasst sich mit der der Entdeckung anschließenden Haltung. Eine kindliche Freude dominiert angesichts der Großartigkeit der entdeckten Landschaft, deren Charakteristika als Antwort auf die Frage What is there? in einer einfachen Aneinanderreihung von Landschaftsbildern aufgelistet werden. Gabriel Veyres Aufnahmen können diesem Typus zugeschrieben werden. Im Erforschungsnarrativ (exploratory narrative) wird die Landschaft bereits inhaltlich als dem Menschen untergeordnet dargestellt, indem ihre Details in durch Menschen gestaltete Objekte umgewandelt werden. Diese Phänomene werden auch durch eine komplexere filmsprachliche Struktur organisiert. Léon Busys Ansichten für die Archives de la Planète folgen inhaltlich und formal diesem Typus. Auch die Spielfilmprojekte Au pays du Roi lépreux und Sous l’oeil de Bouddha lassen sich dieser Form der Raumerzählung zuordnen. Der koloniale Dokumentarfilm der offiziellen Filmproduktion entspricht dem von Mac Donald definierten Siedlungsnarrativ (settlement narrative), in dem versucht wird, die zunächst staunende Landschaftserfahrung mit den Problemen der Landschaftsbesiedlung zu konfrontieren. Das Bewusstwerden dieser Schwierigkeiten und ihre Benennung sind die Herausforderungen, der sich die Filmemacher bei ihrer ästhetischen Verarbeitung stel-

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Cinéma Indochina len müssen. Mac Donald hat das Siedlungsnarrativ vor allem inhaltlich charakterisiert, als eine Erzählung, die das Bewusstwerden der Probleme und Schwierigkeiten der Besiedelung thematisiert und den Widerspruch zwischen der als widerspenstig empfundenen landschaftlichen Realität und dem Begehren nach ihrer produktiven Zähmung verarbeitet (vgl. Mac Donald 2001, S. 123)4. Für den kolonialen Dokumentarfilm muss zunächst vorangestellt werden, dass darin nie über Probleme in der Kolonie gesprochen wird. Eine Sichtung der bis zum Jahr 2005 restaurierten kolonialen Dokumentarfilme über Indochina zeigt vielmehr, wie weit diese inhaltlich von der realen (problematischen) politischen Situation entfernt sind. Sogar als die Yen-Bai-Rebellion5 1930 Indochina ins Zentrum der medialen Berichterstattung stellt, findet der russische Schriftsteller Ilya Ehrenburg auf der Leinwand keinen Hinweis auf Aufstände in der Kolonie, im Gegenteil »on screen, live is as pretty as the paintings in the neighbouring galleries« (Ehrenburg, zit. nach Slavin 2001, S. 60). Selbst in politisch turbulenten Zeiten beschreiben diese Aufnahmen die Kolonie als eine ruhige und stabile Gesellschaft, als Rohstoffreservat für die Metropole, das der in Mitleidenschaft geratenen Wirtschaft der Zwischenkriegszeit wieder auf die Beine helfen soll. Glaubt man dem Diskurs der kolonialen Dokumentarfilme, läuft in Indochina alles so, wie es die koloniale Verwaltung vorsieht. Sowohl die Bild- als auch die Tonebene übermitteln ohne Umschweife die Inhalte der kolonialen Sozial-, Wirtschafts- und Kulturpolitik. In zahlreichen Filmen werden Lösungsvorschläge für – selbstverständlich existierende – Probleme vorgestellt, die auf die Schwierigkeiten bei der Besiedelung hinweisen. In den Heveaplantagen sind Ärzte und Krankenpfleger bei der lutte antimalarienne zu sehen, einige Filme zeigen in Bau befindliche Kran-

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Von diesen drei Erzählformen unterscheiden sich das Wiederentdeckungsnarrativ, das Wiedererforschungsnarrativ sowie das Wiederbesiedlungsnarrativ (re-discovery, re-exploratory bzw. re-settlement narratives), die sich mit der spezifischen Geschichte und der daraus resultierenden Beschreibung eines Ortes auseinander setzen. Scott Mac Donald entdeckt die letztgenannten räumlichen Erzählstrategien vor allem in den Arbeiten unabhängiger und experimenteller Filmemacher der 80er und 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, die diese Orte nun in all ihrer Komplexität wiederbeleben. Sie übertragen die Erfahrungen und Emotionen der ersten Entdecker, Erforscher und Siedler auf ihre persönliche Umwelt und werden sich dabei der moralischen und politischen Implikationen dieses räumlichen Kontakts bewusst (vgl. MacDonald 2001, S. 91). Im Februar 1930 töten in der Garnison Yen Bai 200 tirailleurs tonkinois, Mitglieder einer revolutionären nationalistischen Gruppierung, fünf französische Offiziere und Unteroffiziere und verletzen sechs weitere (vgl. Brocheux 2008, S. 70-73).

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Documenteurs indochinois kenhäuser. Der Schulbesuch ist rege. Reis- und Kautschukproduktion erfahren dank kapitalistischer Wirtschaftsformen einen Aufschwung (Aux greniers d’Extrême-Orient, Harmonieux ombrages d’Indochine). Rebellenaufstände existieren in Indochina nicht, dafür ein mächtiger Repressionsapparat aus garde indigène, infanterie coloniale indigène und französischen Militärs (La Route de la Reine Astrid). Diese Filme zeigen nicht mehr die Eroberung einer terra nullius, sondern propagieren eine wirtschaftliche Entwicklung dank kolonialer Politik und stellen die indigene Bevölkerung als Empfängerin westlicher Zivilisation in Form von Arbeit, medizinischer Versorgung und Bildung vor. Sie zeichnen sich durch eine enge Verbindung zwischen kolonialer Expansion und Volksbildung aus, eine Eigenheit des kolonialen Dokumentarfilms französischer Tradition, der in der III. Republik seine besondere Prägung erhielt, und die sich beinahe unverändert bis zur Dekolonisierung findet (vgl. Gauthier 2004, S. 91). »Faire connaître les colonies à la France n’était plus fondé sur la foi et la volonté de conquérir mais reposait désormais sur une objectivation de l’Empire et la ›mise en place‹ d’une image mondiale mécanisée afin de créer et de nourrir la famille de l’humanité ›en évolution‹. Juste au moment où la conquête s’éclipsait, ce qui était déjà conquis devint classifié, identifié et par conséquent transformé. Ce nouveau royaume, un empire à intégrer est conçu et saisi comme représentation, une ›image structurée‹ à la fois réifiée et capable d’être réformée.« (Bloom 1997, S. 23)

Peter Bloom hat hinsichtlich des kolonialen Dokumentarfilms der Zwischenkriegszeit auf dessen Zusammenspiel mit erzieherischen, gesundheitsfördernden und industriellen Maßnahmen hingewiesen (vgl. Bloom 1997). Filme über medizinische Hygiene stellen den ersten inhaltlichen Schwerpunkt erzieherischer Filme dar, die in der Folge mit kolonialer Propaganda ergänzt werden. Für Bloom ist allerdings der Terminus Propaganda für diese Filme zu eng gefasst, denn »[...]le terme propagande est la plupart du temps employé de façon péjorative pour décrire des techniques de persuasion qui cherchent à imposer un consensus politique[...]« (Bloom 1997, S. 16). Der nach dem Ersten Weltkrieg in der Kolonie aufgenommene Dokumentarfilm wird bei seiner Ausstrahlung in der Metropole und in der Kolonie vor allem als erzieherische Strategie eingesetzt. Nach Bloom dominiert darin die Funktion der propagation, der Verbreitung kolonialer Werte. Erzähltechnisch arbeitet das koloniale Sieldungsnarrativ aus Indochina vor allem mit den Strategien der kolonialen Raumaneignung wie naming und mapping, die sich bereits als politisch und ethisch konnotierte Erzählstrategien topographischer Literatur 105

Cinéma Indochina durchgesetzt haben. In der filmischen Siedlungserzählung erfolgt das Benennen (naming) der Landschaftsaufnahmen durch eine voice over. Es liegt nicht mehr am Zuschauer, die gezeigten Ereignisse zu interpretieren. Eine männliche Kommentarstimme »aux liaisons impeccables« – nach Barthes besitzt diese also le grain de la voix des Kolonialherren – gibt nun dem Publikum vor, was es zu hören und zu sehen hat (vgl. Chavaldonné 1997, S. 32). Dieser kinematographische Prozess betont nicht nur die Vormachtstellung der französischen Sprache. Die voice over-Stimme spricht über ein Volk, das mittels dieser Filmtechnik zum Schweigen gebracht wird. In Harmonieux ombrages d’Indochine wird gleich zu Beginn des Films die Diskrepanz zwischen dem beschaulichen Titel und einem aggressiven kolonialen Diskurs deutlich. Der Film widmet sich der Kautschukproduktion Indochinas. Die Kamera nähert sich zunächst via Vogelperspektive den Rodungsarbeiten der zukünftigen Plantage. Militärische Marschmusik setzt ein. »Les Moï sont des bons bouchers qui depuis des siècles attaquent la forêt pour libérer le terrain«, erklärt die Kommentarstimme aus dem off. In der Tat wurden viele Moï6 in den Kautschukplantagen der in Indochina angesiedelten französischen Firmen beschäftigt. Diese Tätigkeit verrichteten sie allerdings nicht seit Jahrhunderten. Diesen Nomadenstämmen wurden erst durch die kolonialen Wirtschaftsformen ihre Wohngebiete genommen, was sie zur Arbeit in den Unternehmen zwang (vgl. Brocheux 2003, S. 360). Verweigert eine der gefilmten Personen der Kamera ihr Ebenbild, indem sie sich von der Kamera wegdreht, interpretiert dies die Stimme positiv. In Indochina lebt »un peuple aimable, mais timide« (La Route de la Reine Astrid). Gayatri Chakravorty Spivak führt in ihrem Aufsatz Can the subaltern speak zwei semantische Konnotationen des Begriffs Repräsentation ein, mit denen sie darauf hinweist, dass Repräsentation nicht nur ein Vorgang der Darstellung, sondern immer auch ein Akt der Vertretung ist (vgl. Spivak 1999, S. 256). Repräsentation besitzt einerseits eine politische Dimension in seiner Bedeutung von für jemanden sprechen, jemanden vertreten (»to speak for«), andererseits eine künstlerische Dimension in seiner Bedeutung von darstellen (»to re-present«). Birgit Wagner hat das von Spivak eingeführte Begriffspaar für eine narratologische Analyse der (Erzähl-)Stimmen eines literarischen Textes in »Sprechen-für« (»Repräsentation-als6

Moï bedeutet auf Vietnamesisch ›Wilde‹ und bezeichnet die Bergvölker. Für die Europäer waren die Frauen, die ihre Brust nicht verdeckten und die magischen Bräuche dieser Stämme eine Quelle für Imaginationen jeglicher Art (vgl. Brocheux/Hémery ²2001, S. 193). Die Stämme der Moï sind beliebte Motive der Reiseromane (vgl. André Malraux: La Voie royale) und der Dokumentarfilmer. Waschen und Fischen sind die typischen Gelegenheiten, die das Zeigen der nackten Brust der Moï-Frauen erlauben.

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Documenteurs indochinois Vertretung«) und »Sprechen-über« (»Repräsentation-als-Darstellung«) differenziert und auf diese Weise das Problem thematisiert, »dass ›Sprechen-für‹ und ›Sprechen-über‹ oft als identische Praktiken präsentiert werden, ohne dass Autoren oder Autorinnen ihr ›Sprechenfür‹ als Positionalität markieren und reflektieren würden« (Wagner 2006, S. 146). In den Siedlungsnarrativen des Dokumentarfilms formuliert die männliche voice over das Gezeigte sowohl in der Dimension der Repräsentation-als-Darstellung als auch in der Dimension der Repräsentation-als-Vertretung. Der Kommentar spricht in der dritten Person über das vor-bildliche Ereignis und kontextualisiert dieses für den französischen Zuschauer, sein Diskurs wird sowohl zu einer Geste der Anmaßung als auch zu einer Geste der Aneignung. Die Beschreibung der Orte (mapping) erfolgt über Skizzen und Karten, die für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden. Nach dem Vorspann findet sich regelmäßig eine Landkarte, die vage die gezeigte Landschaft verortet. Für Abelkader Benali liegt die Funktion der Karte im Kolonialfilm allerdings nicht primär in der Wiedergabe einer Realität. Die Karte ist Trägerin und Quelle einer Phantasievorstellung, sie multipliziert den Grad der Entfernung und verstärkt dadurch den heroischen Charakter der Eroberung (vgl. Benali 1998, S. 76-79). Regelmäßig finden sich auch solche Landkarten an den Anfang der Filme gestellt, auf denen eine weiße bewegliche Linie die Reiseroute des Filmteams nachzeichnet (La Route de la Reine Astrid au coeur du Laos). Die koloniale Penetration des Raums wird über die imaginäre Bewegung im Raum der Karte sichtbar. Der Zuschauer erhält so das Gefühl, an diesem Ort zu sein und sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Diese Linie, deren Ursprung Peter Bloom in den Hygienefilmen der Zwischenkriegszeit verortet, erinnert an den engen Bezug zwischen Volksbildung und kolonialer Unternehmung. »Semblable à la circulation du sang, l’envahissement de ce fluide symbolise l’oeuvre de pacification, de purification et d’appropriation d’un corps géographique exsangue. Une dose d’énergie vitale est ainsi insufflée aux territoires de l’Empire.« (Bloom 1997, S. 21) Graphisch untermauert wird der koloniale Diskurs auch durch Skizzen, deren Aufgabe es ist, die Produktionssteigerung durch den Eingriff des Kernlandes zu beweisen. Diese Diagramme stellen eine spezifische Form der Kartographierung dar, in der mittels Zeitkoordinaten die wirtschaftliche Produktionssteigerung als Ereignis kartographiert wird (vgl. Siegert 2005, S. 27). Filme wie Artisans tonkinois und Images indochinoises ›mappieren‹ den Raum durch verschiedene traditionelle Berufs- (Glasbläser, Holzschnitzer, Teppichknüpfer u.a.) und Bevölkerungsgruppen (Mandarins, buddhistische Mönche, alte Leute, nackte Moï-Frauen). Im Unterschied zu den Aufnahmen Léon Busys dienen diese Auf-

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Cinéma Indochina nahmen allerdings weniger der Zuschreibung einer eigenen Identität als vielmehr der Darstellung von Objekten einer Sammlung. Die komplizenhaft mit einem französischen Publikum sprechende voice over vermittelt ebenso diesen Eindruck, wie die auf Französisch geschriebenen Geschäftsschilder. Ein Desinteresse herrscht sowohl an den Arbeitsbedingungen als auch an den Funktionen und (historischen) Bedeutungen der einzelnen Bürger für die traditionelle Gesellschaft Indochinas. In der Regel wird das als wichtig Interpretierte am Schluss durch die männliche Kommentarstimme in wenigen Worten zusammengefasst. Im Beispiel der Harmonieux ombrages d’Indochine ist dies folgender Text: »L’Indochine peut garantir à la France ses besoins en caoutchouc et les dépassera dans l’avenir prochain. Entre toutes les oeuvres d’outre-mer, le caoutchouc en Indochine occupe déjà une place assignée. Nulle part l’économie et le social ont trouvé par la volonté des Français une union si harmonieuse.«

La Croisière C roisière jaune : Asien ohne Indochina? Die offizielle Dokumentarfilmproduktion stellt ausschließlich das in Indochina herrschende französische Credo der paix française vor. Sie zeigt, wie unter französischer Herrschaft die masses indigènes in Frieden leben, wie sie für die von Frankreich gebrachte Kultur, die Ruhe, den Frieden und den Fortschritt dankbar sind. Davon, dass diese Ruhe unter Zwang zustande gekommen und äußerst zerbrechlich ist, zeugen weniger die realisierten Filme als vielmehr die, die nicht fertig gestellt werden konnten. Der koloniale Dokumentarfilm bekam in den zwanziger Jahren eine wertvolle Unterstützung von Seiten der Automobilindustrie. Die Produktionskosten für aufwändige, im Ausland gedrehte Filme wurden im Rahmen gehalten, indem man sich europäischen Expeditionen anschloss. Citroën finanzierte eine Expedition durch Afrika (La Croisière noire, Léon Poirier 1924/25), deren großer Erfolg eine Fortsetzung des Unternehmens auf dem asiatischen Kontinent beinahe zu einer Notwendigkeit machte. La Croisière jaune (1932), eine Expedition von Peking nach Beirut mit Citroëns Expeditionsfahrzeugen, den Autochenilles7, wird zum Nachfolgeprojekt und zu einem – von menschlichen Tragödien überschatteten – spektakulären Erfolg.

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Die bei der Croisière Jaune zum Einsatz gelangten Autochenilles des Typs P(ropulseur)14, P17 sowie P21 waren Militärversionen der auch für zivile Zwecke gebauten Halbkettenfahrzeuge.

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Documenteurs indochinois Bei der Vorführung des Films in der Oper von Paris am 18. März 1934 sind die wesentlichen Protagonisten der Expedition abwesend. Der Expeditionsleiter Georges-Marie Haardt war während der Reise an Lungenentzündung gestorben, und der Regisseur André Sauvage, der Léon Poiriers Nachfolge für die Asien-Expedition angetreten hatte, verweigert die Teilnahme an der offiziellen Veranstaltung. Der Tod des Expeditionsleiters, die sich zuspitzende Lage in China und die ins Unermessliche steigenden Kosten hatten Citroën gezwungen, die Teilnehmer der Expedition zurückzurufen. Die Durchquerung Indochinas, die einen Höhepunkt der Expedition hätte darstellen sollen, erfolgt nicht. Der kolonialen Repression, die von 1916 bis 1926 für eine gespannte Ruhe in Indochina gesorgt hatte, gelingt es bis zu Anfang des Zweiten Weltkrieges nicht, der zahlreichen Aufstände Herr zu werden. In Indochina führen 1928 Kursstürze von Reis, Kohle und Kautschuk zu Massenentlassungen. Die Lage zu dem für die Expedition vorgesehenen Zeitpunkt – Anfang 1932 – ist unsicher. Die Gefahr von Anschlägen liegt nahe, Indochina ist stark von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Das Exportvolumen ist beträchtlich zurückgegangen, der Piaster stark entwertet. Die filmische Darstellung von Indochina als Perle de l’Empire scheint zu diesem Moment unmöglich. Für den glorreichen Abschluss der Expedition in Indochina waren die Expeditionsfahrzeuge schon nach Hanoi verschifft worden, fuhren allerdings von dort nach Saigon, von wo aus direkt der Schiffstransport nach Frankreich erfolgte. Der Tod von Haardt bot einen Anlass, die Expedition abzubrechen, ohne das Gesicht zu verlieren. André Sauvage, der für seinen poetischen und avantgardistischen Zugang bekannte Filmemacher und Schriftsteller der zwanziger Jahre, machte dennoch auf der Heimreise über Indochina einige persönliche Aufnahmen der Moï, die einer Ästhetik folgen, die er anlässlich der öffentlichen Vorführungen seiner Études sur Paris (1928) definiert hat. »Vous savez que je ne travaille pas dans le sensationnel. En ce qui me concerne, il ne s’agit que de découvrir, par un travail méthodique et sévère, la cinégraphie d’une ville dont la présence nous charme inlassablement.« (André Sauvage, zit. nach Gauthier ²2003, S. 200) Die Montage des filmischen Materials durch André Sauvage enttäuscht Citroën (vgl. Marinone 2008). Sauvage konzentrierte sich auf Riten, Traditionen und Landschaften, seine Bilder transportieren Respekt für die besuchten Völker und eine tiefe Bewunderung für die Schönheit der Landschaften. Citroën verlangt vermehrt Soldaten, offizielle Persönlichkeiten, lokale Autoritäten und Aufnahmen der Fahrzeuge im Bild. Als sich Sauvage weigert, die Änderungen durchzuführen, kauft die Automobilfirma Pathé-Nathan, der ver-

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Cinéma Indochina antwortlichen Filmproduktionsfirma, das Bildmaterial ab und betraut Léon Poirier mit der Montage nach ihren Vorstellungen. »Peut-être y a-t-il aussi de la part du poète des retards et des hésitations. Quoi qu’il en soit, le 25 novembre 1933, le cinéaste Léon Poirier, sur décision de justice, vient à Joinville, au nom de Monsieur André Citroën, légataire universel de Georges Haardt, faire cacheter de cire et enlever les caisses qui contiennent l’intégralité des matériels, soit 150 000 mètres de négatifs, positifs, images et sons.« (Esnault zit. nach Gauthier 2004, S. 90)

Der von Sauvage favorisierte und mit seinem äußerst modernen Material auch realisierte synchrone Ton8, für den er vorwiegend Untertitelung vorgesehen hat, wird durch eine männliche over-Kommentarstimme ersetzt. Einer chronologischen Montage werden Karten, Pläne und erklärende Teile eingefügt, ein großer Teil des Films widmet sich den Fahrzeugen und anwesenden Militärs. Der von Poirier gestaltete Kommentar über die indigenen Bevölkerungsgruppen ist abwertend. Sein fehlendes geographisches, architektonisches und ethnologisches Wissen aufgrund seiner Abwesenheit bei der Expedition versucht er hinter Tieraufnahmen zu verstecken. Nach Léon Poiriers Montage bleibt von der humanistischen Intention des André Sauvage nichts mehr übrig. André Sauvages Version von La Croisière jaune existiert heute nicht mehr9. Auch seine Filmästhetik ist in dem Endprodukt kaum noch zu erkennen. Sauvages persönliche Aufnahmen aus Indochina, an denen sich noch am ehesten seine philanthropische Intention nachvollziehen lässt, wurden unter dem Titel Dans la brousse annamite an Poiriers Fassung angehängt. Sauvage verlässt nach dieser beruflichen Enttäuschung die Welt des Films und zieht sich als Landwirt und Schriftsteller in die französische Provinz zurück. Selbst ein so bedeutendes Filmprojekt wie jenes der Firma Citroën scheitert an der politischen Realität Indochinas. Die südostasiatische Kolonie der dreißiger Jahre reflektiert Symptome einer Krise. Bauern- und Arbeiteraufstände, Massendemonstrationen und Streiks sind die Reaktion auf die französische Politik des repli sur l’Empire, mit dem Frankreich versucht, die durch die Weltwirtschaftskrise angeschlagene Wirtschaft der Metropole wieder in den Griff zu bekommen. Die persönliche Erfahrung des André Sauvage macht deutlich, wie wenig das Talent der Cineasten gegenüber der Intention der Ko8 9

Sauvages Film ist einer der ersten, der mit einer 35mm-Kamera und synchronem Ton aufgenommen wurde (vgl. Gauthier 2004, S. 91). 1995 hat Agnès Sauvage, die Tochter des Cineasten, der Cinémathèque de Toulouse die von Sauvage herausgeschnittenen rushes zukommen lassen (vgl. Gauthier 2004, S. 91 und Marinone 2008).

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Documenteurs indochinois lonialpolitik und ihrer Lobby zählt. Nicht einmal das vom Regisseur verwendete neuartige technische Material zur Aufnahme von synchronem Ton stößt auf Respekt. Vielleicht, weil damit die als stumm herbeigesehnte Kolonie zu sprechen begann…? Sauvages Bemühen, die Repräsentation-als-Darstellung des kolonialen Dokumentarfilms um eine Repräsentation-als-Vertretung zu ergänzen, indem er nicht nur die authentische Tonaufnahme beibehält, sondern auch der argumentativen Montage im Stil des kolonialen Dokumentarfilms eine chronologische Montage vorzieht, die seinen Blick auf die Riten, Traditionen und Landschaften der Region wiedergibt, wird von seiner Produktionsfirma verweigert. Sauvages dezent vorgenommene Postproduktion verweist allerdings darauf, dass das »Sprechen-für« nicht ein »vielleicht genuin literarischer« Vorgang ist, wie dies Birgit Wagner vermutet, sondern auch in einem dokumentarischen Film jemand für jemand anderen sprechen kann (vgl. Wagner 2006, S. 147). Der Autor markiert seine Position des Außenstehenden, indem er den Film im Rahmen der damaligen technischen Möglichkeiten und entgegen der filmsprachlichen Konventionen als Aufzeichnungsmedium belässt und bei der Postproduktion auf grobe Eingriffe in das Material verzichtet. So kann seine Arbeit als ein Versuch angesehen werden, die Repräsentation-als-Vertretung von einer Repräsentation-als-Darstellung zu trennen.

Die kolonialen Geographien des Dokumentarfilms Anders als in den Filmtiteln Gabriel Veyres und Léon Busys, die immer wieder auf konkrete indigene Orts- und Personennamen verweisen, bleibt Indochina in den kolonialen Dokumentarfilmen eine nur vage bezeichnete Region. Sie dient als paysage-fond für die koloniale Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik. Für Caroline Eades ist diese Nicht-Benennung der Orte nicht ein Zeichen von Unwissenheit und Distanz. Sie ist vor allem ein Indiz für den Willen Frankreichs, die Expansion fortzusetzen und die Kontrolle der Länder zu sichern, denn »[…] réduire l’individualité du lieu, c’est aussi agrandir le territoire français, prolonger au niveau du symbolique l’action d’appropriation géographique, affirmer la réussite de la politique d’assimilation« (Eades 2006, S. 125). Die kurzen Ausschnitte aus dem indigenen Alltagsleben werden durch eine männliche Kommentarstimme immer wieder auf die Metropole bezogen. Sie ist omnipräsent, denn sie stellt die Basis für das Funktionieren der Kolonie nach ihren Maßstäben dar. Auch der vulgarisierende Kommentar adressiert das Publikum der Metropole, indem er das vorbildliche Ereignis häufig vergleichend und wertend darstellt. Die argumentative Montage des Bildmaterials unterstützt

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Cinéma Indochina die dirigistische Funktion der Kommentarstimme. André Sauvages formale Annäherung an die Kolonie reflektiert hingegen sowohl durch die chronologische Montage als auch durch die voice in eine persönliche, unabhängig von kolonialen Strukturen existierende Verarbeitung der Fremde. Seine Arbeit kann allerdings heute nur mehr theoretisch nachvollzogen werden.

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IN DER PERIPHERIE DES KOLONIALKRIEGES – PIERRE SCHOENDOERFFER U.A.

Depuis quatre jours, la forêt. Depuis quatre jours, campements près des villages nés d’elle comme leurs bouddhas de bois, comme le chaume de palmes de leurs huttes sorties du sol mou en monstrueux insectes; décomposition de l’esprit dans cette lumière d’aquarium, d’une épaisseur d’eau. […] Ils auraient dû être arrivés depuis trois heures… La forêt et la chaleur étaient pourtant plus fortes que l’inquiétude: Claude sombrait comme dans une maladie dans cette fermentation où les formes se gonflaient, s’allongeaient, pourrissaient hors du monde dans lequel l’homme compte, qui le séparait de lui-même avec la force de l’obscurité. Et partout, les insectes. André Malraux: La Voie royale (1930)

Die Indochinakriege am Rande der französischen (Film(Film - )Geschichte Mehrere Kriege beherrschen die indochinesische Halbinsel während des 20. Jahrhunderts, »elle [la guerre, Anm.] constitue le cadre, la configuration dans laquelle les États et les populations ont évolué pendant deux générations« (Tertrais 2004, S. 5). Die französische Terminologie unterscheidet zunächst zwischen la première und la deuxième guerre d’Indochine und bezeichnet damit den französischen Indochinakrieg (1945-1954) zwischen der Vietminh und dem französischen Expeditionskorps, der mit den Verträgen von Genf endet und den amerikanischen Vietnamkrieg (1960-1975), an dem die unabhängigen postkolonialen Staaten Nord- und Südvietnam sowie die Königreiche Laos und Kambodscha beteiligt sind. Diese Kriege sind in den Kalten Krieg eingebettet und führen zur direkten

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Cinéma Indochina und indirekten Intervention ausländischer Mächte (USA, China, UdSSR). Sie haben bisher die historische Forschung dominiert und andere postkoloniale Konflikte in den Schatten gedrängt, die bis in die 90er Jahre auf der Halbinsel geführt wurden. Diese können jedoch nicht losgelöst von der französischen Kolonialpolitik in Indochina analysiert werden. »La pax gallica avait assuré une cohabitation paisible des populations d’Indochine mais elle n’avait pas effacé la mémoire des guerres et des dominations passées. Bien au contraire, l’oeuvre coloniale fut grosse de paradoxes.« (Brocheux 2000, S. 17) Für die Bedürfnisse der kolonialen Wirtschafts- und Verwaltungspolitik hatte Frankreich die Migrationen von Vietnam nach Laos und Kambodscha intensiviert und Staatsgrenzen gezogen, »afin de faire correspondre, au moins théoriquement, territoire, peuple et État et qui devint, par la suite, la base contestée des nouveaux États« (Brocheux 2000, S. 17). Diese Nationalisierung wurde von französischen Wissenschaftlern durch archäologische Forschungsarbeiten unterstützt; Künstler, Lehrer und Verwaltungsbeamte förderten die traditionellen Kunsthandwerksbetriebe, mit dem Ziel, die Identität der einzelnen Volksgruppen zu fixieren. Nach dem Abzug Frankreichs werden schließlich politische Kräfteverhältnisse freigesetzt, die unter der Kolonialmacht unterdrückt worden waren und die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Auseinandersetzungen um die Vormachtstellung in der Region führen. Die Krise in Laos (1958-1962), der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden Vietnams (1960-1975), der sich während der Amtszeit Nixons auf Kambodscha (1970) und Südlaos (1971) ausdehnt und schließlich das Jahr 1975, in dem kommunistische Regime die Macht in ganz Indochina übernehmen (Rote Khmer in Kambodscha im April, die Wiedervereinigung Vietnams unter dem kommunistischen Norden, der Sturz der Monarchie in Laos durch einen Staatsstreich Souphanouvongs), stehen im Spannungsfeld von kommunistischen und nationalistischen Ideologien. Eine troisième guerre d’Indochine folgt von 1979 bis 1989 zwischen Kambodscha und Vietnam, unterstützt von China bzw. der UdSSR. Diese regionalen postkolonialen Konflikte haben bisher die französischen Filmemacher kaum beschäftigt.1 Hingegen wurde von französischen Filmemachern für den französischen Indochinakrieg und den amerikanischen Vietnamkrieg eine spezifische bildliche

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Rithy Panh stellt hier eine Ausnahme dar. In seinen Filmen Site 2 (1989), Cambodge, entre terre et paix, (1991), Bophana, une Tragédie Cambodgienne (1997), S 21 – La machine de mort khmère rouge (2002) setzt er sich nicht nur mit seinen persönlichen Erinnerungen als Flüchtling des Roten Khmer-Regimes auseinander, sondern auch mit der jüngeren Geschichte seines Landes.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Verarbeitung entwickelt, die eng mit der Kriegsrealität und ihrer Wahrnehmung in der Metropole verbunden sind.

Der vergessene Krieg Frankreichs in Indochina Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 herrscht in Indochina eine durch strenge koloniale Repression herbeigeführte Ruhe. Frankreichs Haltung ist defensiv gegenüber Japan, das als Alliierter Deutschlands nach der Niederlage Frankreichs immer wieder Angriffe auf die militärische und wirtschaftliche Souveränität Indochinas tätigt. Die von Japan vorgenommene antiwestliche und projapanische Indoktrinierung der indigenen Bevölkerung wird von dieser mehrheitlich abgelehnt. Die imperialistischen Ziele und die Brutalität, mit der diese durchgesetzt werden sollen, sind zu offensichtlich. Die steigenden Rohstoff- und Lebensmittelforderungen bedingen Nahrungsmittelengpässe, eine im Winter 1944/45 im Norden Tongkings ausgebrochene Hungersnot kostet mehr als einer Million Menschen das Leben (vgl. Frey 2006, S. 62). Der von Vichy-Frankreich eingesetzte Generalgouverneur Admiral Decoux leistet gegenüber Japan kaum militärischen Widerstand. Der militärischen Stärke Japans kann Frankreich in Indochina nur mit schlecht ausgerüsteten Soldaten trotzen. Decoux führt eine politique de la cohabitation non violente und muss sich – trotz seines Versuchs, sich in den letzten Kriegsmonaten de Gaulle anzunähern – nach Kriegsende dem Vorwurf der Kollaboration stellen.2 Erst ein gaullistisches Netzwerk informiert die amerikanischen und englischen Alliierten im Detail über die Kriegsführung der Japaner und ermöglicht gezielte Attacken. Japan, das einen Angriff der Alliierten auf Indochina fürchtet, stürzt im März 1945 – für Frankreich völlig überraschend – das Kolonialregime unter Decoux. Nach der Kapitulation Japans in Folge der US-Atombombenabwürfe und der durch das Kriegsende entstandenen politischen Leere ruft am 2. September 1945 Ho Chi Minh (›der das Licht bringt‹) die unabhängige Demokratische Republik Vietnam aus. 1941 hatte er unter seinem Pseudonym Nguyen Ai Quoc (›der Patriot‹) im chinesisch-vietnamesischen Grenzgebiet die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, Viet Nam Doc Lap Dang Minh (Vietminh), ge2

Die Strategie Decoux’ wird allerdings aus heutiger Sicht differenzierter betrachtet. Decoux’ verbale antisemitische Angriffe und sein unerbittliches Vorgehen gegen die Mitglieder der Résistance und die Befürworter eines unabhängigen Frankreichs beweisen seine ideologische Nähe zu Petain. Aus militärischer Sicht jedoch lässt sich Decoux’ Strategie der cohabitation aufgrund der Isolierung Indochinas inmitten eines von Kriegen gebeutelten Asiens erklären (vgl. Ruscio 1992, S. 27f.).

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Cinéma Indochina gründet. Der Wechsel des Pseudonyms sollte bei der Suche nach politischen Verbündeten seine kommunistische Vergangenheit kaschieren. Vor allem in den 20er und 30er Jahren hatten sich in Indochina zahlreiche nationalistische Widerstandsgruppen gebildet, die von der Kolonialherrschaft unterdrückt und gegängelt worden waren, auf deren Netzwerke und breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung sich Ho Chi Minh nun stützen kann. Sie alle hatten auf die occasion favorable gewartet sich von jeglicher Fremdherrschaft zu befreien. Ho Chi Minh gründet eine Regierung, in der Kommunisten neben bürgerlichen Nationalisten und Katholiken vertreten sind, die im Januar 1946 bei relativ freien Wahlen demokratisch legitimiert wird. Frankreich weigert sich, diesen Staat anzuerkennen und versucht, seine Souveränität in Indochina wiederherzustellen. Im Oktober 1945 kehrt die französische Kolonialmacht unter General Leclerc nach Indochina zurück. Sie verlangt eine Restitution des Kolonialbesitzes, den sie für den Wiederaufbau in der Metropole benötigt und hält an privilegierten Wirtschaftsbeziehungen mit der ehemaligen Kolonie fest. Noch vor Kriegsende hat de Gaulle eine aus fünf Verwaltungseinheiten bestehende Indochinesische Föderation als Teil der Französischen Union vorgeschlagen, ein Etikett, mit dem Frankreich versucht, das alte Kolonialreich zu bewahren. China, das Laos, das nördliche Annam und Tongking besetzt hatte, sollte zum schnellen Abzug bewegt werden.3 Aus diesem zunächst gemeinsamen Interesse Frankreichs und der Vietminh folgen schließlich aufgrund der Unvereinbarkeit der Positionen bewaffnete Auseinandersetzungen. Die Bombardierung des Hafens von Haiphong durch die französische Marine am 23. November 1946 und der Vergeltungsschlag der Vietminh in Hanoi stellen den Beginn des Indochinakrieges dar, einem beinahe zehn Jahre dauernden Kampf zwischen der als Guerilla agierenden Vietminh und dem Corps Expéditionnaire Français en Extrême Orient, für den sich Soldaten aus der gesamten französischen Union und Indochina verpflichtet hatten. 1948 setzt Frankreich den im Vergleich zu Ho Chi Minh wenig populären Kaiser Bao Dai als Staatschef eines geeinten, unabhängi3

Nach Kriegsende besetzt das nationalistische China Tongking unter dem Vorwand, die Entwaffnung Japans zu kontrollieren, zieht sich allerdings schließlich nach zahlreichen wirtschaftlichen Zugeständnissen aus der Region zurück. Chinas Expansionsbestrebungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzen sich mit der Herrschaftsübernahme von Mao Tse Tung nicht fort, das Land interessiert sich jedoch für den neu gegründeten Staat Vietnam als politisches Bindeglied für die Ausdehnung des Kommunismus in Richtung Thailand, Pakistan, Burma, Indonesien und der Philippinen.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. gen Vietnams im Rahmen der Französischen Union ein und erkennt diesen Staat an. Bao Dais Regime mangelt es jedoch an Legitimation und Autorität, er selbst wird als schwach und phlegmatisch sowie als Lebemann und Playboy charakterisiert (vgl. Frey 2006, S. 158). Frankreich und die USA begrüßen und unterstützen den Aufbau einer autochthonen Armee unter Bao Dai als stabilisierenden Faktor des Regimes und als institutionellen Kern eines neuen Staates. Dass diese Armee allerdings Frankreich als Kanonenfutter dient und der Krieg das Land lähmt, kann die Bao Dai-Regierung nicht akzeptieren. »Angesichts der Abhängigkeit des Regimes von der französischen Kolonialherrschaft blieb Bao Dai nichts anderes übrig, als seinen zivilen Ungehorsam, seine Inaktivität zu einer Strategie zu vervollkommnen, die auf eine finale Krise zielte, eine Krise, die der im konfuzianischen Denken verwurzelte Ex-Monarch mit Zusammenbruch und Neubeginn assoziierte.« (Frey 2006, S. 163)

Indochina wird ab 1949 zum Schauplatz des Kalten Krieges, beide kriegführende Parteien können sich auf militärische Verbündete stützen. Anfang 1950 erkennen China und die UdSSR die Regierung Ho Chi Minhs an, während die USA und Großbritannien das von Frankreich eingesetzte Bao Dai-Regime unterstützen. Mao-Tse Tung erklärt 1949 öffentlich die materielle Unterstützung der Vietminh. Die Sowjetunion unterstützt Antikolonialisierungsbewegungen im Westen ideologisch und hilft bei der Ausbildung der Führungspersönlichkeiten der Vietminh. In den Jahren 1952 bis 1953 steigen auch die Waffenlieferungen aus der UdSSR, der DDR und der Tschechoslowakei. Die Rolle der Vereinigten Staaten in der Region ist ambivalent. Sie tritt unmittelbar nach der Besetzung durch Japan und nach dessen Fall als Unterstützer der kolonialisierten Völker – also auch der Vietminh – auf, ändert ihre Haltung jedoch Anfang der 50er Jahre. Die kolonialismuskritische und liberale Politik weicht dem Kampf gegen die Ausbreitung des Kommunismus. 1950 greifen die USA auf Seiten Frankreichs in den indochinesischen Konflikt ein, 1952 werden bereits 80% des Krieges durch die USA finanziert (vgl. Frey 2001, S. 361). Die Politik der französischen Regierungen gegenüber der question indochinoise ist von Inkohärenz und Fehlentscheidungen geprägt. In der instabilen Vierten Republik (1946-1958) lösen sich im Zeitraum von 1945 bis 1954 19 Regierungen ab, von denen mehr als die Hälfte eine Regierungszeit von weniger als sechs Monaten umfasst. Die Vervielfachung der Entscheidungsträger durch die häufig wechselnden Regierungen erschwert die Politik der Kriegsführung ebenso wie die große Entfernung des Kriegsschauplatzes zu den zentralen Entscheidungsinstanzen. Die Hoffnung Frankreichs, durch ihre Kolonie die Metropole nach dem Zweiten Welt117

Cinéma Indochina krieg wiederaufzubauen, erfüllt sich nicht. Der Krieg zieht auch die vietnamesische Wirtschaft stark in Mitleidenschaft. Aufgrund der Unterbesetzung des französischen Militärs und des Fehlens militärischer Ausrüstung gelingt der Kolonialmacht die Wiederherstellung der französischen Autorität nicht. Ihre Truppen müssen sich mit der Besetzung strategischer Orte zufrieden geben, was eine starke Mobilisierung der Truppen und hohe Verluste zur Folge hat. Die französische Seite unterschätzt die Ausdauer der Vietminh und die Solidarität, die die Bevölkerung dieser entgegenbringt. Auch in der französischen Öffentlichkeit mangelt es an Verständnis für den Einsatz der Armee in einem Konflikt, der 12.000 km entfernt stattfindet. Der Krieg wird außerdem von Berufssoldaten, Freiwilligen und autochthonen Söldnern geführt, die in schwierigen Situationen von Fallschirmspringer-Einheiten und der Légion étrangère – in der nach dem Zweiten Weltkrieg viele Soldaten der Deutschen Wehrmacht Unterschlupf gefunden haben – unterstützt werden. Ihre Zahl steigt zwischen 1946 und 1954 von 89.000 auf 204.000 an, wobei die Armee vor allem in den überseeischen Gebieten der Französischen Union rekrutiert (vgl. Ruscio 1992, S. 156).4 Der Großteil des Expeditionskorps besteht nicht aus französischen Staatsbürgern, er setzt sich aus Soldaten aus Nordafrika5, aus Afrika südlich der Sahara, und aus autochthonen Söldnern der Indochinesischen Union zusammen, die nicht Angehörige der Armee Bao Dais waren (vgl. ebd.). Der Ruf, der die in Indochina kämpfenden französischen Soldaten begleitet, trägt nichts zu der Verbesserung der öffentlichen Meinung über den Konflikt bei. »Le Retour d’Indo où le permissionaire était considéré comme un marginal, une tête brûlée, un baroudeur amateur de sensations fortes et de violences, voire de jouissance (opium, les cong hai) [...].« (Ruscio 1992, S. 165) Von 13. März bis 7. Mai 1954 kommt es zum entscheidenden Kampf, mit der Intention Frankreichs, der Vietminh einen letzten Schlag zu versetzten. In den Augen der Weltöffentlichkeit nimmt der Kampf um Dien Bien Phu, ein Dorf inmitten eines Tals im gebirgigen Nordwesten Vietnams, 300 Kilometer nordwestlich von Hanoi gelegen, den Charakter einer Entscheidungsschlacht an. Die Schlacht in Dien Bien Phu wird zum Symbol nationaler Bewegungen gegen den Westen, zum nationalen Mythos und zur Säule der kommunistischen Macht in Vietnam sowie zu jenem Moment, der 4

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1947 stammen 38% der Soldaten aus outre-mer, 1952 sind es 60%, 1954 55% (vgl. Brocheux 2001, S. 362). Von den 1954 im Einsatz befindlichen 204.000 Mann kommen nur 80.000 aus der Metropole (vgl. Ruscio 1992, S. 156). In Algerien mussten viele Bauern ihr Land an die Kolonialmacht abgeben, für sie war das Engagement im Expeditionskorps eine Überlebensmöglichkeit (vgl. Stora 1997, S. 56).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. die französische Kolonialherrschaft in Südostasien beendet und den Fall der Französischen Union einleitet (vgl. Frey 2001, S. 358). Henri Navarre, ein Veteran zweier Weltkriege und die Verkörperung des elitären Geists französischer Kavallerieoffiziere, wird mit dieser heiklen Mission betraut. Es ist seine – positiv formuliert – Unvoreingenommenheit gegenüber der Situation, die ihn für dieses Amt in Frankreichs Augen zu qualifizieren scheint. Von seinem klimatisierten Hauptquartier in Saigon aus steuert er die Operationen Castor, Condor und Albatross, die zum Verlust Indochinas führen. Dien Bien Phu wird zu einer strategischen Basis ausgebaut, die die Aufmerksamkeit des Feindes fokalisieren und Laos vor der Vietminh schützen sollte. »Im Inneren der Festung und auf den Hügeln war jegliche Vegetation verschwunden, die Weiler der T’hai ausradiert. Ein Straßensystem verband das Hauptquartier mit den befestigten Hügeln. Um diese legten sich Gürtel von Stacheldraht und elektrischen Minen. […] Die aus den Reisfeldern und Dschungeln geschnittene Festung schien wie ein technisch perfektes, uneinnehmbares Bollwerk westlicher Moderne.« (Frey 2001, S. 366)

Die militärischen Strategen Frankreichs schätzten jedoch die Lage im Hinblick auf Terrain, Klima und Gegner falsch ein. Der Ort verfügte über eine Flugpiste, die die französische Versorgung sicherstellen sollte. Die schlechten Straßenverbindungen sollten einen Angriff der Vietminh unmöglich machen. Einzelne Navarre untergebene Offiziere kritisierten seinen Plan als unzulässige Übertragung europäischer Konzepte auf südostasiatische Verhältnisse. Die Vietminh unter dem Historiker General Giap bereiteten sich indessen mit chinesischer Hilfe auf eine französische Luftlandeoperation im Nordwesten vor. Schon am Jahresende 1953 hatten die Vietminh um das Tal herum einen Belagerungsring geschlossen, sodass die Festung nur mehr über den Luftweg erreicht werden konnte. Sie verfügten dank der öffentlichen Berichterstattung über eine genaue Kenntnis der französischen Positionen und schossen von einem 100 Kilometer langen Grabensystem, das um die Festung ausgehoben worden war, auf die Befestigungen. Die inhumane Situation der Kämpfe erinnern französische Zeitungen an den Ersten Weltkrieg: Verdun de la brousse, Verdun de la jungle, Verdun tropical sind die Metaphern, mit denen die dramatische Situation der Kämpfe beschrieben werden (vgl. Ruscio 1992, 197). Sowohl die Vietminh als auch die französischen Truppen müssen dramatische Verluste hinnehmen. Diesen folgten Desertionen vor allem seitens der für Frankreich kämpfenden Vietnamesen und (Nord-)Afrikaner, die den Dienst für die Kolonialmacht nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten oder aus anderen Grün119

Cinéma Indochina den die Gelegenheit zum Desertieren nutzten. Doch auch die militärische Führungsebene war psychologisch schwer angeschlagen und zählte mehrere Fälle von Suizid und Nervenzusammenbrüchen. Der Forderung nach Verstärkung wurde von Paris nachgegeben, hatte jedoch nur begrenzte Erfolge. Der amerikanische Verbündete, Präsident Eisenhower, machte sein Einverständnis zu einem Einsatz in Dien Bien Phu von der Zustimmung des Kongresses und von der Beteiligung Großbritanniens abhängig. Doch die Volksvertreter waren nicht bereit, sich auf die Seite der Kolonialmacht zu stellen, und Großbritannien fürchtete mit dem Einsatz, einen dritten Weltkrieg auszulösen (vgl. Frey 2006, S.165f). Bereits am 1. Mai, an dem die Vietminh den Tag der Arbeit gefeiert hatten, war den Eingeschlossenen klar, dass die Schlacht in ihre Endphase trat. »17:30 – kein Radiokontakt mehr mit Dien Bien Phu«, vermerkt der französische Nachrichtendienst am 7. Mai 1954. Bereits einen Tag nach der Kapitulation der französischen Truppen in Dien Bien Phu wird die Genfer Indochinakonferenz eröffnet, an der Großbritannien, die Sowjetunion, Frankreich, China, Laos, Kambodscha, zwei vietnamesische Delegationen und die USA als Beobachter teilnehmen. Der Termin der Konferenz, bei der nach einer friedlichen Lösung des Konflikts gesucht werden sollte, war bereits im Februar 1954 festgelegt worden. Sie markiert das Ende des französischen Krieges in Indochina. Unter der Führung des französischen Präsidenten Pierre Mendès-France gehen die Friedensverhandlungen schließlich in ihre entscheidende Phase und enden am 20. Juli 1954 mit dem Genfer Abkommen, das den Abzug der französischen Truppen aus Vietnam, den Abzug der Vietminh aus Laos und dem Süden des Landes sowie eine vorübergehende Teilung des Landes entlang des 17. Breitengrades verfügt.6 Beide Teile Vietnams sollten sich der Neutralität verpflichten und durften keinem Militärbündnis beitreten. Der nördliche Teil Vietnams, mit der Hauptstadt Hanoi, blieb in den Händen der Vietminh, dem Süden, mit der Hauptstadt Saigon, stand der Kaiser Bao Dai mit seinem Premierminister Ngo Dinh Diem vor. Freie Wahlen und eine mögliche Wiedervereinigung waren für das Jahr 1956 vorgesehen.

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In der Tat waren nur die Waffenstillstandsvereinbarungen von den Teilnahmestaaten unterschrieben worden. Die politischen Teile des Abkommens waren völkerrechtlich nicht bindend. Die USA und die Bao DaiDelegation unterzeichneten nicht, nahmen die Vereinbarung allerdings zur Kenntnis (vgl. Frey 2006, S.168).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a.

LA SALE GUERRE, EIN FRANZÖSISCHES TRAUMA Über die Zahl der Todesopfer und der Vermissten unter den Soldaten variieren die Angaben.7 Viele Vietnamesen starben in der Kriegsgefangenschaft der Vietminh, weil sie Frankreich und dem Bao-Dai Regime gedient hatten. Darüber hinaus forderte der Krieg das Leben von zahlreichen Zivilisten, über deren Zahl nur Schätzungen angestellt werden können. Die französische Öffentlichkeit war über den Verlust kaum enttäuscht, Kolonialherren und Wirtschaftsspekulanten waren als Kritiker in der Minderheit, das Militär schrieb den Verlust nicht Mendès-France, sondern der Vielzahl der Entscheidungsträger der Vierten Republik zu. Die Niederlage von Dien Bien Phu wird eher als politischer Verrat angesehen als ein militärisches Scheitern (vgl. Stora 1997, S. 100). Die Verluste innerhalb des Militärs waren hoch, viele unter ihnen hatten den Eindruck, für ein armseliges Resultat einen hohen Preis bezahlt zu haben. Die ausbleibenden Siege, der Mangel an Personal und Material in den entscheidenden Kampfmomenten, das Unverständnis der politischen Entscheidungsträger erklären die Enttäuschung des französischen Militärs (vgl. Férier 1993, S. 70). Ihre Rückkehr nach Frankreich erfolgte in gleichgültiger, sogar feindlicher Atmosphäre, wie ein französischer Offizier berichtet. »L’arrivée à Marseille était bien ce qu’on attendait. Remarques déplaisantes des dockers, mauvaise humeur des chauffeurs de taxis, insultes parfois des personnels des transports urbains, enfin tout ce qui peut contribuer à réconforter et à réjouir un combattant qui vient de faire quelques pénibles mois de guerre.« (zit.nach Férier 1993, S. 70)

Viele ehemalige Indochinakämpfer schließen sich der OAS (Organisation Armée Secrète) an, einer militärischen Geheimorganisation, die sich Anfang der 60er Jahre mit terroristischen Anschlägen gegen eine mögliche Autonomie Algeriens stellt, ihre ehemaligen alge-

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Ruscio zählt mehr als 75.000 Opfer auf französischer Seite, darunter 20.000 aus der Metropole Frankreich stammende Soldaten. 17.500 sind für die Bao Dai-Armee gestorben (vgl. Ruscio 1992, S. 158). Brocheux schätzt die Zahl der für die französische Armee Verstorbenen und Vermissten auf ca. 60.000, darunter 2000 Offiziere, macht allerdings keine Angaben zur Nationalität der Opfer (vgl. Brocheux/Hémery 2001, S.362). Férier schätzt die Zahl der Toten und Vermissten auf 47.000, macht aber ebenfalls keine Angaben zu ihrer Herkunft (vgl. Férier 1993, S. 70). Laut Stora sind 80.000 Soldaten auf französischer Seite in Indochina verstorben bzw. vermisst, und er differenziert dabei ungefähr 45.500 indochinesische Opfer (d.h. Vietnamesen, Kambodschaner und Laoten) und 32.800 französische (d.h. Legionäre, Franzosen, [Nord-]Afrikaner) (vgl. Stora 1997, S. 39).

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Cinéma Indochina rischen Kameraden führen ihren Kampf auf Seiten der Armée de libération nationale (FLN) für die Unabhängigkeit Algeriens weiter. Als sich im April 1961 in Algerien vier Generäle gemeinsam mit mehreren Fallschirmjägertruppen gegen de Gaulles’ Politik der algerischen Selbstbestimmung auflehnen, findet sich darunter auch der ehemalige commandant en chef in Indochina, General Salan. Der Krieg in Indochina bleibt im kollektiven Gedächtnis Frankreichs ein vergessener Kolonialkrieg, für den Algerien zur Referenz wird. In der französischen Gesellschaft dominiert bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Algerienkrieg das Bild einer gewaltsamen Dekolonisierung. Dass das Ende der Kolonialherrschaft in Indochina gleichzeitig das Ende der Kolonialmacht Frankreichs einläutet, wollen die französischen Autoritäten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben. Der Indochinakonflikt wird sowohl im französischen als auch im amerikanischen Gedächtnis verdrängt, die politischen und militärischen Führungskräfte der beiden Länder leiden unter Schuldgefühlen, »l’Indochine sera transformée en une histoire difficilement reconnaissable, longtemps défigurée et refoulée« (Stora 1997, S. 39). Nicht zuletzt durch die dramatischen Verluste der Schlacht von Dien Bien Phu und dem Verschwinden zahlreicher Soldaten in Umerziehungslagern der Vietminh wird der Krieg in Indochina für die französischen Soldaten und Entscheidungsträger zu einem Trauma. In der Definition von Aleida Assmann bezeichnet ein Trauma eine körperliche Einschreibung, die nicht in Sprache und Reflexion übergeführt werden kann und deshalb nicht den Status von Erinnerung gewinnen kann (vgl. Assmann 2003, S. 278). Während Gedenkorte im mythischen, nationalen und historischen Gedächtnis einen bedeutenden Stellenwert einnehmen, weil an ihnen eine vorbildliche Leistung erbracht wurde, können traumatische Orte nicht für eine persönliche oder kollektive Sinnstiftung in Anspruch genommen werden (vgl. ebd., S. 328). Soziale Tabus in der Gemeinschaft und psychischer Druck verhindern die Erzählung dieser Geschichte, die stattdessen durch »Deck-Begriffe« Unaussprechliches abwehrt und unzugänglich macht. Der Krieg in Indochina geht als sale guerre in das kollektive Gedächtnis der französischen Nation ein. Aus der Bezeichnung question indochinoise, mit der der Konflikt während seines Stattfindens bezeichnet wird und die zumindest theoretisch auf einen dialogischen Charakter, eine Debatte, hinweist, ist die sich im Anschluss an den Krieg durchsetzende Bezeichnung der sale guerre ein Deck-Begriff, der eine Hinterfragung der Umstände der Dekolonisierung abwehrt und eine nationale Amnesie in Kraft setzt – oder vielleicht sogar setzen soll. Mit den Novemberaufständen in Algerien 1954 nehmen der Algerienkonflikt und der ab 1960 unter amerikanischer Führung fortdauernde Krieg

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. in Vietnam den zentralen Platz in den öffentlichen Debatten der französischen Gesellschaft ein.

Von Silence, on ne tourne pas! zu Silence, on ne parle Kolonialkrie ge im französischen Film pas! Kolonialkriege (1954(1954 - 1962) Bis heute hält sich in der Filmgeschichte die Meinung, dass die französische Filmproduktion die Kolonialkriege ignoriert hätte. Filme über die kolonialen Konflikte Frankreichs sind lange Zeit sujets maudits. Nur wenige Filme werden über die Kolonialkriege produziert, als diese noch geführt werden. Bis 1962, dem Jahr der algerischen Unabhängigkeit, verbietet auch die Zensur, den jeweils herrschenden kolonialen Konflikt auf der Leinwand darzustellen. Gemeinhin wird daher die Idee vertreten, dass das Ende der Kolonialherrschaft in der zeitgenössischen französischen Filmproduktion nicht aufscheint. Diese Vorstellung wird allerdings auch durch den immer wiederkehrenden Vergleich mit den US-amerikanischen Filmen über den Korea- und Vietnamkrieg genährt, welche unsere Vorstellung einer filmischen Kriegsdarstellung bis heute prägen.8 Dabei gibt es einige, vor allem von Filmemachern der Nouvelle Vague während oder kurz nach dem Ende der Kolonialherrschaft gedrehte Filme, die Kolonialkriege thematisieren. Die Verarbeitung der Kriegsrealität des Algerienkrieges unterscheidet sich dabei deutlich von jener des Indochinakrieges. Erstere wird in den meisten Fällen nicht im Genre des Kriegsfilms repräsentiert. Die den Algerienkrieg verarbeitenden Filme verweisen zwar auf den Krieg in Algerien9, sind jedoch in der Metropole Frankreich angesiedelt und spiegeln die Art und Weise wider, wie der Krieg dort aufgenommen wird. Die Gesellschaft nimmt diesen nämlich nicht als Krieg wahr, sondern als ein Zusammentreffen beunruhigender Ereignisse, die Personen, Interessen, eine Lebensweise, eine Handlungsethik und Illusionen der Nachkriegszeit in Gefahr bringen (vgl. Frodon 2004, S. XVIII). Der Algerienkrieg ist politisch ein Krieg ohne Namen – die französische Regierung wählt dafür den Deck-Begriff événement –, als welchen ihn schließlich Bert-

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Benjamin Stora erinnert daran, dass auch die USA den Vietnamkrieg vor allem nach dem Kriegsende filmisch verarbeitet haben (vgl. Stora 1997, S. 208-222). Mit der Insurrection de la Toussaint beginnt im November 1954 der Krieg der FLN (Front de la Libération Nationale) gegen die französische Kolonialmacht. Der Krieg endet im März 1962 mit den Accords d’Evian und der Unabhängigkeit Algeriens.

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Cinéma Indochina rand Tavernier und Patrick Rotman 1991 als Dokumentarfilmtitel festschreiben (La guerre sans nom, 1991). Auch der Spielfilm verweigert die Bennennung der Ereignisse in Algerien als Krieg, indem er auf eine realistische Kriegsdarstellung verzichtet. Das Thema der meisten Filme über den Algerienkrieg ist nämlich nicht der Krieg selbst, sondern die Trauer und die Schuldgefühle, die die Betroffenen mit sich tragen. Den Kriegsereignissen wird der Status des Unbeschreibbaren, des Abwesenden zugeschrieben. »Dans le cinéma français, de l’avant et de l’après-1962 existera longtemps ce refus de filmer temps et lieux, de saisir par une technique la guerre d’Algérie, la restituant comme telle. Cela produira de l’›infigurable‹: absence de l’Autre (les Arabes), absence des armes, absence d’aires géographiques.« (Stora 1997, S. 104)

Die Handlung von Jean-Luc Godards Le Petit Soldat – gedreht 1959, von der Zensur erst 1963 freigegeben10 – spielt in Genf im Jahr 1958. Godards Film ist einer der wenigen, der diesen unausgesprochenen Krieg während der Kriegshandlungen zu seinem zentralen Anliegen macht. Ein junger Deserteur bekämpft als Mitglied der rechtsextremen OAS (Organisation Armée secrète) die FLN und beginnt an seinem Engagement zu zweifeln, als er einer Aktivistin der FLN begegnet. Folterhandlungen in beiden politischen Lagern im Inneren von Gebäuden des Stadtzentrums, die von den Nachbarn scheinbar unbemerkt bleiben, sind Allegorien auf den Krieg und seine Wahrnehmung in der Metropole. Godards Protagonist wird sich allmählich der Widersprüche seines Engagements bewusst und entsagt schließlich seinen Idealen. In Agnès Vardas Cléo de 5 à 7 (1961) gibt ein Fronturlauber aus Algerien der Protagonistin Cléo die Kraft, sich dem Ergebnis ihrer Krebsuntersuchung zu stellen. In Alain Resnais’ Muriel ou le temps d’un retour (1962, freigegeben 1963) erhält der Algerienkonflikt einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Metropole. Er ist ein Geheimnis, das jeder aus bestimmten Gründen für sich behalten möchte. Ein vom Krieg heimgekehrter Soldat, der an Folterungen in Algerien beteiligt war, wird von seiner traumatischen Erinnerung verfolgt. Ebenfalls von Alain Resnais stammt L’Année dernière à Marienbad (1960), in dem der franko-algerische Konflikt metaphorisch in einer Vergewaltigungsszene dargestellt wird. Der Algerienkrieg provoziert also bereits während seines Stattfindens kritische Stellungnahmen in den Arbeiten französischer, zeitgenössischer Filmemacher, eine Annäherung an eine Kriegssituation, die für Indochina erst spät stattfindet.

10 Der Abgeordnete Jean-Marie Le Pen fordert anlässlich dieser Arbeit so-

gar die »expulsion du cinéaste suisse« (vgl. Douin 1998, S. 206).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Der französische Krieg in Indochina wird erst nach seinem Ende in Spielfilmen auf der Leinwand dargestellt. Sowohl die strengen Zensurmaßnahmen durch die Vierte Republik, als auch das Desinteresse der Bevölkerung, die den Krieg in Indochina als lointain wahrnimmt, beeinflussen die ihn begleitende Spielfilmproduktion. Für Benjamin Stora zählen allerdings nicht nur (film-)politische Argumente, um die mangelnde Verarbeitung des Indochinakonflikts und das Vergessen dieser Filme zu erklären. Die in den 60er Jahren einsetzende Bilderflut, die den Algerien- und den Vietnamkrieg begleitet, prägt das kollektive Gedächtnis über den Indochinakrieg nachhaltig. Dem Krieg in Indochina wird aufgrund geringer audiovisueller Dokumentation eine wesentlich geringere historische Bedeutung zugeschrieben. Laut Stora ist »[…] cette longue absence de l’Indochine [est] révélatrice du chaos des images visibles, qui s’installe à partir des années soixante. La mémoire des images peut devenir trafic de l’apparence, être propagée dans toutes les directions de l’espace et du temps.« (Stora 1997, S. 42) Auf dem Schatten Indochinas konstruiert sich in den 60er und 70er Jahren die Assoziationskette Algerien-Vietnam, auf der Benjamin Stora seine Analyse der amerikanischen und französischen filmischen Kriegsverarbeitungen aufbaut (vgl. Stora 1997). In der Tat unterscheiden sich die französischen und die amerikanischen Interventionen in Südostasien sowie die französische Intervention in Algerien hinsichtlich der Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Krieg. Im Gegensatz zur nationalen und internationalen Wahrnehmung des Vietnamkrieges als so genannten living room war, der als erster Krieg quasi zeitgleich in die Wohnzimmer der Weltöffentlichkeit übertragen wird, ist die mediale Berichterstattung aus Indochina dürftig und das Interesse der französischen Öffentlichkeit gering. Bis 1949/50, dem Zeitpunkt des Eingreifens Chinas in den Kolonialkrieg, durch das Indochina ein Schauplatz des Kalten Krieges wird, diskutiert die französische Öffentlichkeit vorwiegend die Aktualitäten der Metropole11. Die Medien verhalten sich bei der Berichterstattung über den Indochinakrieg im Allgemeinen zurückhaltend. Die Presse ist die Hauptinformationsquelle für die question indochinoise. Die kommunistische Tageszeitung Humanité ist die Anführerin der antikolonialen Berichterstattung, in dem sie Gräueltaten des Expeditionskorps und Finanzskandale aufdeckt, während Le Monde und Le Figaro den Feldzug in Indochina als Kampf gegen den Kommunismus verteidigen. Die Öffentlichkeit interessiert sich während

11 Die Abdankung von Charles de Gaulle (1946), der Ausschluss der kommunistischen Minister (1947), die Krisen des Kalten Krieges, die Neudefinition der Position Frankreichs im Nachkriegseuropa und wirtschaftliche Probleme dominieren die medialen Berichterstattungen (vgl. Férier 1993, S. 49f).

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Cinéma Indochina des Krieges vor allem für spektakuläre Ereignisse wie militärische Operationen und Skandale, während tief gehende Analysen der Kriegsrealität auf der Strecke bleiben. Die Informationsbeschaffung ist schwierig, der Richtigkeit und der Verlässlichkeit der Informationen von beiden kriegführenden Parteien kann kein Vertrauen geschenkt werden. »Caractéristiques sont, durant cette période, les distorsions orthographiques que font subir aux noms vietnamiens les journaux français: Ho Chi Ming, Ha Chi Minh, Hichi-Minh, Hochiming, Hochinine...« (Ruscio 1985, zit. nach Férier 1993, S. 49) Dazu kommt, dass es für Indochina keine unabhängigen Korrespondenten gibt, sondern Informationen über die propagandistischen Dienste der französischen Streitkräfte übermittelt werden. Das Radio hat sich zum Zeitpunkt des Krieges als Informationsmedium in Frankreich noch nicht durchgesetzt, aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten und der Zensur gibt es kaum Direktreportagen (vgl. Férier 1993, S. 46). Das Fernsehen spielt als Informationsquelle kaum eine Rolle.12 Diese Funktion übernimmt es erst während des Algerienkrieges und erreicht seine Hochphase während des Vietnamkrieges.

FILMISCHE (GEGEN-)PROPAGANDA Gibt es Bilder vom Kriegsgeschehen vor dem Ende des Kolonialkrieges in Indochina, dann sind dies vor allem solche, die von offizieller Seite, dem Service cinématographique des Armées (SCA) aufgenommen werden, unabhängige Kriegsreporter sind in diesem Krieg nicht zugelassen. Die Identität der Kameraleute ist meist bekannt, unter den Reportern befinden sich spätere Spielfilmregisseure wie Pierre Schoendoerffer und Claude Bernard-Aubert. Der Großteil dieser Dokumente stammt aus dem Zeitraum von 1946 bis 1954, sie stehen nie unkommentiert als rushes, sondern sind nach unterschiedlichen Schwerpunkten in einen Zusammenhang gebettet. Bis zum Jahr 1953 zeigen diese Filme allerdings keine Kriegshandlungen, sondern vorwiegend militärische Zeremonien und verweisen auf die Rohstoffreichtümer der Kolonie in Form von Kautschukplantagen, Salz- und Kohleminen. Die Kameraleute müssen sich mit im Kriegshintergrund gedrehten Themen wie Verschiffung von Truppen und Material, Aufmärschen und Ordensverleihungen zufrieden stellen (vgl. Douin 1998, S. 202). Diese im Kino gezeigten Dokumentarfilme waren darum bemüht, ein besänftigendes Bild des Konflikts zu zeigen: Offizielle Empfänge, Paraden und Alltagsszenen herr-

12 Erst im Jahr 1954 war ganz Frankreich vom ersten nationalen Sender abgedeckt worden, 1955 waren erst 125.087 Fernsehgeräte angemeldet (vgl. Jeancolas 1992, S. 86).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. schen vor, Kampfaufnahmen werden vom Service cinématographique des Armées nicht verbreitet. Einzelne Aufnahmen provozieren dennoch in den Sälen Krawalle, sodass das Licht während der Vorführungen eingeschaltet bleiben muss (vgl. Férier 1993, S. 47). Aus diesen armeeinternen Dokumentarfilmen werden nach Kriegsende auch themenspezifische Reportagen geschnitten, die sich beispielsweise mit der Situation in Vietnam zu Kriegsende 1954 befassen (vgl. Jeancolas 1992, S. 86). Die vom SCA montierten Filme wurden in dieser Form nie der Öffentlichkeit vorgeführt, allerdings waren Ausschnitte in zivilen Dokumentarfilmen der Produktionsfirmen Actualités françaises, Pathé, Gaumont, Éclair und Fox-Movietone zu sehen. Vor allem ab 1951, als sich General Jean de Lattre de Tassigny13 um eine Mediatisierung des Konflikts bemüht, erhalten die Kriegsaufnahmen aus Indochina einen bedeutenden Platz in den Wochenschauen der Metropole. Die Zensur verhindert eine Polemik innerhalb der Filme, die in ihren Aussagen keine Abweichungen gegenüber der offiziellen Meinung feststellen lassen. Der Filmhistoriker Jean-Pierre Jeancolas erinnert sich an die Eindrücke, die diese Filme beim Kinopublikum hinterlassen haben: »Je me souviens d’un sujet (court, ils l’étaient tous) où on voyait décoller des bombardiers B 26, au plan suivant des avions mal identifiables survolaient un paysage, le troisième plan était celui de DC 3 lourdauds qui larguaient des parachutistes. Crédibilité zéro. On voyait beaucoup d’images d’étoiles penchés sur de grandes cartes, des poignées de mains, et des ›soldats de la boue‹ crapahutant dans d’obscures rizières. Ces images, comme celles qui cautionnaient l’existence des ›États associés‹ (Bao Dai, cadré le plus souvent dans un casino que dans son palais imperial, Norodom Sihanouk, vaguement exotiques, et leurs troupes toutes neuves paradant, encadrées par des officiers français), passaient généralement dans l’indifférence des spectateurs.« (Jeancolas 1992, S. 86)

13 Paris hatte de Lattre Ende 1950 als neuen Oberbefehlshaber und Hochkommissar – der Titel gouverneur général aus der Kolonialverwaltung wurde im Rahmen der Französischen Union in haut-commissaire umgewandelt – in Personalunion nach Indochina entsandt. De Lattre räumt der Kommunikation mit der Presse eine gewichtige Rolle ein, seine Führungsqualitäten und seine klaren Ziele motivierten sowohl die Armee als auch die amerikanischen Verbündeten. Er trieb den Aufbau einer nicht-kommunistischen Armee voran und konnte so die Anzahl der Kriegsopfer unter den französischen Soldaten verringern. Bei Gesprächen in Washington im September 1951 zeigte er sich optimistisch, den Krieg innerhalb von zwei Jahren siegreich zu beenden. Sein plötzlicher Tod im Januar 1952 erschütterte die Moral der französischen Truppen. Von seinem in Washington geäußerten Plan war die Situation allerdings weit entfernt, seine Erfolge gegen die Vietminh konnten deren Vormarsch nicht bremsen (vgl. Ruscio 1992, S. 150-155).

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Cinéma Indochina Wie in den Dokumentarfilmen der dreißiger Jahre war es auch beim Bildmaterial der Armee die Aufgabe des Kommentars, Kohärenz in die diffuse Komposition der Aufnahmen zu bringen. Das Fehlen fundierter Kriegsberichterstattung und die Unglaubwürdigkeit der vor Beginn der Spielfilme im Kino gezeigten Reportagen begründen nicht zuletzt das Desinteresse der Bevölkerung, die gegenüber diesem Krieg kaum Stellung bezieht. 30% der Bevölkerung geben noch 1954 an, zum Kolonialkrieg in Indochina gar keine Meinung zu besitzen (vgl. Ruscio 1992, S. 102). Die Vielfalt der Entscheidungsträger, die sich ständig verändernden Strategien, die Polemik, die um diesen Krieg zwischen konservativen und linken politischen Gruppierungen entsteht, hinterlassen in der französischen Bevölkerung nicht nur das Gefühl der Unwissenheit, sondern auch das Gefühl der Unsicherheit, wie mit dieser Kriegsrealität umgegangen werden soll. Filme gegen den Indochinakrieg zirkulieren nur in den internen Kreisen der kommunistischen Partei, welche von den staatlichen Autoritäten streng kontrolliert wird. Im Frankreich der 50er Jahre fürchtet man den Kommunismus und verfolgt seine Anhänger unbarmherzig (vgl. Douin 1998, S. 196). Der PCF hatte nur geringe Mittel zur Produktion und zur Verbreitung seiner Filme zur Verfügung. Seinen Widerstand gegen den Krieg zeigte er vor allem in Form von Ereignissen im Kernland wie den Streiks der Hafenarbeiter der Häfen, in denen das Kriegsmaterial verladen wurde.14 Es ist wiederum eine sale guerre, die durch den Kommentar verdammt wird. Robert Menegoz filmt in diesem Rahmen heimlich die aus Indochina kommenden Särge (Vivent les dockers, 1951). Zum ersten Mal in einem Spielfilm verweist Le rendez-vous des quais (1955) von Paul Carpita in Form von Anspielungen auf den Konflikt. Seine prokommunistische und pazifistische Aussage ist wohl die bekannteste politische Stellungnahme zum Indochinakrieg. Die Geschichte des Films ist ein Spiegel des Umgangs des französischen Nationalstaats mit politisch-künstlerischen Äußerungen im Kontext der Kolonialkriege. Unter anderem lässt der auf eine Wand geschriebene Slogan »Paix en Indochine« den Film für 35 Jahre aus der Öffentlichkeit verschwinden. Erst zum Zeitpunkt seiner Wiederentdeckung und aufführung im Jahr 1988 ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialkrieg möglich. Die Arbeit Carpitas wird plötzlich aus

14 Der PCF (Parti communiste français) hatte vor allem von 1950 bis 1952 auf den Grands Boulevards der Hauptstadt Demonstrationen abgehalten, die schließlich aufgrund der zunehmend schwierigen Organisation in die Häfen und Bahnhöfe verlegt wurden, wo sie vor allem von den in Gewerkschaften organisierten Dockern und Bahnarbeitern getragen wurden (vgl. Férier 1993, S. 51f.).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. filmhistorischer Perspektive zwischen Neorealismus und Nouvelle Vague gefeiert (vgl. Winkler 2007, S. 125-131).

ABENTEUER INDOCHINA Erst nach dem Untergang Indochinas als France d’Asie entsteht im Spielfilm ein spezifisches Bilderrepertoire für Indochina. Für Indochina fehlen Filme aus der Blütezeit des französischen Kolonialfilms der dreißiger und vierziger Jahre, die die spezifischen Mythen dieser Kolonie bildlich verarbeitet haben. Nach dem Ende der Kolonialherrschaft übernehmen das Genre des Abenteuerfilms und dessen Subgenre, der Kriegsfilm, die filmische Einschreibung kolonialer Mythen für eine Region, die bisher nicht publikumswirksam im Rahmen eines Kolonialfilms verarbeitet wurde. Sowohl durch den Rückgriff auf spezifische filmsprachliche Mittel als auch durch die thematische Verarbeitung inszenieren die Abenteuerfilme Indochina als Spektakel. Einzelne Filmemacher stürzen sich zunächst auf die neuen technischen Innovationen wie Cinemascope und Technicolor, um aus der ehemaligen Kolonie einen gefälligen Rahmen für Abenteuer zu schaffen (La Rivière des trois jonques, André Pergament 1956; Les aventuriers du Mékong, Jean Bastia 1957). »La couleur comme le scope s’affichent comme des garanties supplémentaires de la qualité visuelle du film, mais participent en fait d’une surenchère gratuite et superficielle dans l’exotisme, d’autant que ces coups d’essais ne sont pas des coups de maître.« (Delmeulle 1993, S. 73) Bis in die 60er Jahre existieren Nachfolgewerke dieses Genres, in denen ein naiver Exotismus dominiert, weit weg von jeglicher historischer oder moralischer Auseinandersetzung mit dem Kolonialreich und seinem Ende (Transit à Saïgon, Jean Leduc 1962). Es ruft das Abenteuer in Form von Schatzsuchen und Spionage. Indochina und seine Nachfolgestaaten werden durch einen undurchdringlichen Dschungel, eine verwirrende Großstadt, gefährliche Krankheiten und eine hinterhältige Bevölkerung repräsentiert. Das Land ist arm, seine Bevölkerung dem Frevel zugetan. Hexerei, Alkohol, Glücksspiel, Drogenhandel, Prostitution und Verrat dominieren die negativ konnotierten narrativen Kontexte, in denen sich indigene Figuren als Individuen behaupten dürfen. Es gibt in diesem Korpus allerdings zwei Filme, die den Beginn einer differenzierteren Erinnerungsarbeit über den französischen Kolonialismus in Indochina darstellen. Claude Bernard-Aubert (Patrouille de choc, 1956) und Marcel Camus (Mort en fraude, 1956) verarbeiten den Guerillakrieg der Vietminh gegen die französischen Kolonialherren als realen Hintergrund für Spielfilme in schwarzweiß. Sie begleiten die Dekolonisierung mit filmischen Repräsenta-

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Cinéma Indochina tionen kolonialer Mythen, jedoch mit bereits kritischem Blick auf Frankreichs Position in der Kolonie. 1957 erreicht Claude Bernard-Aubert mit Patrouille de choc einen beachtlichen Publikumserfolg (vgl. Delmeulle 1992, S. 67). Der ehemalige Kameramann der französischen Armee15 erzählt in seinem ersten Spielfilm den verzweifelten Kampf einer französischen Kompanie gegen Angriffe der vietnamesischen Guerilla. Die Zensur nimmt an der pessimistischen Darstellung des Konflikts Anstoß. Sie greift sowohl in den Titel als auch in den Inhalt des Films ein. Aus dem ursprünglichen Titel Patrouille sans espoir soll Patrouille de l’espoir werden, bevor man sich schließlich auf Patrouille de choc einigt (vgl. Douin 1998, S. 205). Auch in den Schluss des Films wird von der Zensur eingegriffen. Anstelle der von Bernard-Aubert gewünschten Zerstörung des französischen Stützpunktes bleibt es nun dem Zuschauer überlassen, ob er die Soldaten gerettet wissen will. Die Repräsentation einer militärischen Niederlage wird von der Zensur selbst nach dem historischen Fall der Kolonialmacht in Indochina nicht akzeptiert. Der 26-jährige Bernard-Aubert versammelt in der Perspektive der Soldaten seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse als Kameramann in Indochina. Bernard-Auberts Kriegsverarbeitung folgt der Repräsentation eines Krieges, der von Soldaten in einer weit entfernten Kolonie geführt wird und die französische Zivilbevölkerung im Unterschied zum Algerienkrieg, wo viele Wehrdienstleistende zum Einsatz kamen, nicht berührt (vgl. Stora 1997, S. 73). Die Dreharbeiten finden mit Unterstützung der französischen Armee, die dort – zwei Jahre nach den Friedensverhandlungen von Genf – noch über Kriegsmaterial verfügt, auf den Originalschauplätzen in Südvietnam statt. Als Darsteller wählt Bernard-Aubert Amateure, Angehörige des corps expéditionnaire und die indigene Bevölkerung. Seine Sympathie gehört den Soldaten, die von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen wurden, Aufnahmen auf Menschenhöhe und Nahaufnahmen setzen diese Identifikation mit der französischen Armee filmisch um. Eine prinzipielle Kritik am Krieg und am französischen Kolonialismus in Indochina findet sich in Bernard-Auberts Film nicht. Die Anwesenheit des französischen Korps rechtfertigt sich mit der Verantwortung, ein Dorf zu pazifizieren, das von der Vietminh bedroht wird. Während die Handlungen der Armee als positiv und produktiv dargestellt werden – sie lehrt der indigenen Bevölkerung den Umgang mit der Waffe und baut eine Schule – sind die Taten der Gue-

15 Bernard-Aubert war mit 18 Jahren als Kameramann nach Indochina gekommen und hat sechs Jahre lang Kriegsreportagen für Fernsehen und Kino gefilmt.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. rilla destruktiv. Bernard-Aubert setzt sich in Ansätzen bereits kritisch mit der Rolle Frankreichs als Kolonialmacht auseinander. Am deutlichsten erfolgt dies durch den Satz »Nos ancêtres les gaulois avaient des cheveux blonds«, der von einem senegalesischen Soldaten beim Unterricht in einer Klasse Autochthoner an die Tafel geschrieben wird. Für Delmeulle sind diese kritischen Anspielungen auf die zivilisatorische Mission des Kolonialregimes allerdings zu platt, um als fundierte Kritik gelten zu können (vgl. Delmeulle 1992, S. 67). Tatsächlich wird die französische koloniale Pädagogik in diesem Film historisch inkorrekt wiedergegeben, wenn man bedenkt, dass für Indochina der enseignement franco-indigène entwickelt wurde, der die Traditionen und Kulturen der südostasiatischen Kolonie in das koloniale Bildungswesen einbezieht. Möglicherweise spielt Bernard-Aubert durch diese Kritik auf die Kolonien in (Nord-) Afrika an, deren Unabhängigkeitsbestrebungen zu dieser Zeit im Gange sind. Bernard-Aubert widmet sich in zwei weiteren Filmen der Brutalität der Kriege in Indochina und Vietnam (Le facteur s’en va-t-en guerre, 1966 und Charlie Bravo, 1980), die allerdings sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik nur wenig Anklang finden. Bernard-Aubert wird sich in den folgenden Jahren unter dem Pseudonym Burt Tranbaree für ein anderes Männerkino spezialisieren, den Pornofilm. Marcel Camus entschließt sich erst im Alter von 44 Jahren für seine erste Regiearbeit. Mort en fraude (1956) beruht auf der Romanvorlage Jean Hougrons, für dessen sechsteiligen Romanzyklus La nuit indochinoise – bestehend aus Tu récolteras la tempête (1950), Rage blanche (1951), Soleil au ventre (1952), Mort en fraude (1953), Les Portes de l’aventure (1954), Les Asiates (1954) – Indochina als Handlungsort den roten Faden bildet. Wie Bernard-Aubert kündigt auch Camus die sich verändernde Filmsprache an, dreht außerhalb der Studios in einer vietnamesischen Dorfgemeinschaft in Kambodscha und setzt großteils auf Nicht-Professionalisten und indigene Darsteller als Schauspieler. Auf inhaltlicher Ebene schreibt jedoch auch Mort en fraude die kolonialen Mythen Indochinas in den Spielfilm ein. Die Handlung des Films siedelt sich außerhalb des bewaffneten Konflikts an. Der französische Geschäftsmann Horcier flüchtet vor Gaunern aus dem Saigon der 50er Jahre und kann sich mit Hilfe der Eurasierin Anh in einem vietnamesischen Dorf verstecken. Die Ausgangssituation des Films ähnelt damit jener zahlreicher erfolgreicher Kolonialfilme der dreißiger Jahre. Auch Julien Duviviers La Bandera (1935) und Pépé le Moko (1936) muss der französische Held aus der Metropole Frankreich fliehen und findet sich in der

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Cinéma Indochina Kolonie in ein kriminelles Netzwerk verstrickt (vgl. Ferro 2003, S. 112f.). Erst im Dorf lernt Horcier die indigene Landbevölkerung kennen, die vom Krieg der Vietminh gegen das französische Kolonialkorps in Mitleidenschaft gezogen ist. In dieser Stilisierung der indigenen Bevölkerung als Opfer folgt Camus dem kolonialen Diskurs. Auch in Horciers Augen ist die indigene Bevölkerung fremdbestimmt und leidet unter einem Konflikt, der nicht der ihre ist. Wie in französischen Politikentwürfen spielt auch in Mort en fraude die vietnamesische Zivilbevölkerung eine Statistenrolle, die an den Kriegshandlungen der Vietminh nicht beteiligt ist. In den Augen Frankreichs ist die Vietminh durch ausländische Mächte gesteuert und selbst ein Fremdkörper innerhalb der vietnamesischen Bevölkerung. Mort en fraude folgt einer dualistischen Darstellung der indigenen Bevölkerung. Während Horcier bei seiner Ankunft im Hafen Indigenen begegnet, die durch westliche Einflüsse korrumpiert sind und dem Stereotyp des untertänigen, verschlagenen und hinterhältigen Asiaten entsprechen, zeigt sich die Landbevölkerung gegenüber Horcier offen. Anhs Großvater wird als Archetyp der konfuzianischen Kultur repräsentiert, als weiser Vorfahre, der noch dazu frankophon ist. Bei Camus ist es nicht mehr der Indigene, der die Rolle des Bösen übernimmt, indem er die koloniale Ordnung stört, sondern es sind die Kriegshandlungen der Kolonialmacht und der Vietminh, die den friedlichen Rhythmus der Landbevölkerung stören. Diese Übertragung der strukturellen Eigenschaften der Metropole – hier der Gegensatz zwischen Stadt und Land – auf einen exotischen Ort stellt ein wesentliches Merkmal des Kolonialfilms dar (vgl. Eades 2006, S. 139)16. Horcier ist um ein Verstehen der Landbevölkerung bemüht, sie erhält auch eine eigene Stimme, mit der sie auf die Probleme ihres Alltags hinweisen darf. Horciers Handlungen entsprechen jedoch überwiegend jenen der französischen Kolonisten. So lehrt er Anhs kleinen Bruder Französisch, kümmert sich um die medizinische Versorgung der Dorfbevölkerung, hilft ihr bei der Optimierung des Reisanbaus und bei Bauarbeiten zur Stabilisierung der Hütten. Auch sein Blick auf den Alltag der Autochthonen ist jenem der frühen kolonialen Zeugen sehr ähnlich. In interner Fokalisierung durch Horcier zeigt der Film beispielsweise den nackten Körper

16 »[…] l’antagonisme entre la ville et la campagne, la solitude, la délinquance et les tentations d’une société de consommation en développement, tous ces thèmes propres à une nation industrielle sont transposés dans un lieu exotique qui ne sert que de décor en carton-pâte.« (Eades 2006, S. 139; vgl. auch Wagner 2002)

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Anhs unter der Dusche und folgt mit diesem sexualisierten Portrait dem kolonialen Mythos der indigenen Frau.17 Die Filme Bernard-Auberts und Camus’ folgen in wesentlichen Zügen dem kolonial-paternalistischen Diskurs des Kolonialfilms, versteckt hinter einem humanistischen Diskurs der Verbundenheit zwischen den Völkern. Die Probleme, die sich für die französischen Soldaten und Horcier bei ihrer Landschaftsbesiedelung ergeben, sind das zentrale Element ihrer Erzählung. In beiden Filmen versuchen die französischen Protagonisten, sich die Kolonie als neue Heimat anzueignen, ob es nun das Militärlager in Patrouille de choc oder das vietnamesischen Dorf von Mort en fraude ist. Sie handeln selbstständig nach eigenem Ermessen, verändern das Leben der dort lebenden Bevölkerung und scheitern schließlich in ihrem Unternehmen. Wir schreiben schließlich das Jahr 1957, der Kolonialfilm in seinen traditionellen Formen (film de légionnaire, film de colon) stößt beim Publikum aufgrund seiner Unglaubwürdigkeit bereits auf Desinteresse (vgl. Delmeulle 1993, S. 88). Auf die Komplexität des Indochinakrieges verweist der Kriegsfilm noch lange nicht. Vor der Kulisse des französischen Indochinakrieges werden noch nach der Auflösung des französischen Kolonialreichs persönliche Schicksale von Soldaten thematisiert (Fort du Fou, Léo Joannon 1962 sowie Les Parias de la gloire, Henri Decoin 1963). Der Drehort dieser Filme ist Frankreich, der Name Indochina wird als Metapher für den Ort einer unbestimmten Kriegshandlung gewählt. Die Details des französisch-indochinesischen Kolonialkonflikts sind nur von peripherer Bedeutung. Indochina ist eine Kulisse für individuelle Auseinandersetzungen, ein Hintergrund für Extremsituationen, in denen sich das Individuum behaupten muss. Der Krieg in Indochina wird zwar im Spielfilm verarbeitet, allerdings nicht auf jene kritische Weise, wie dies für den Algerienkrieg geschieht. Der Kolonialkrieg ermöglicht zunächst eine Wiederbelebung des Genres Kolonialfilm, das während der endenden 50er und beginnenden 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für den nordafrikanischen Raum bereits auf Unglaubwürdigkeit stößt. Der Krieg des Expeditionskorps gegen die Guerilla der Vietminh rechtfertigt die Anwesenheit der französischen Kolonialmacht, die Repräsentation der indigenen Bevölkerung folgt kolonialen Mythen und westlichen Politikentwürfen. Nur Claude Bernard-Aubert, ein Veteran des Indochinakrieges, deutet auf die Isolation der Soldaten in einem von der Metropole geographisch und gesellschaftlich weit entfernten Krieg hin. Diese Entfernung und die damit einhergehende Isolation kann als transparentes Zeichen des Krieges in Indochina

17 Vgl. dazu auch die Figur der Frankovietnamesin Léa in Martin et Léa (Alain Cavalier, 1978).

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Cinéma Indochina definiert werden. Als »transparente Zeichen« definiert Jan Diestelmeyer in Anlehnung an Rick Berg dominante Fiktionen und präferierte Muster einer bestimmten Kriegsdarstellung, die für das Publikum als Erkennungszeichen eines bestimmten Krieges und des Landes gelten, in dem dieser stattfindet (vgl. Diestelmeyer 2005). Patrouille de choc ist zwar hinsichtlich seiner Entstehungszeit ein postkolonialer Film, angesichts der herrschenden Zensur sind jedoch sowohl die heroische Darstellung der Soldaten und der paternalistische Diskurs des Films Kennzeichen für einen Kolonialfilm. Während die filmische Verarbeitung des Algerienkrieges in der Filmgeschichte als Exempel für eine kritische politische und moralische Reflexion des Kolonialismus’ und des Kolonialkrieges statuiert wird, ist Indochina noch nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft und bis in die filmischen Verarbeitungen der 90er Jahre die andere der Kolonien. »Elle est autre, coloniale et exotique, prête pour les regrets et les idéalisations.« (Ramirez/Rolot 1992, S. 42) Erst im Jahr 1965 stellt Pierre Schoendoerffer mit La 317e section eine erste kritische Betrachtung des Kolonialkrieges in Indochina vor. Der Film verarbeitet sowohl inhaltlich als auch formal die Auflösung des französischen Kolonialreichs.

Pierre Schoendoerffer: gegen das Vergessen der Soldaten und ihrer Kriege Seine persönlichen Erfahrungen als Kameramann der französischen Armee in Indochina und Korrespondent und Reporter während des darauffolgenden Vietnamkrieges haben Pierre Schoendoerffers Lebenswerk stark beeinflusst. Der aus einer von Kriegsereignissen geprägten, elsässischen Familie stammende18 Schoendoerffer heuert zunächst bei der Marine an, bevor er sich 1952 freiwillig zum Einsatz im Indochinakrieg meldet, wo er als Kameramann des Service cinématographique de l’Armée eine Ausbildung als Filmemacher erhält. Bei der Schlacht von Dien Bien Phu gerät Schoendoerffer in viermonatige Gefangenschaft der Vietminh. Er bleibt auch nach dem Ende des Kolonialkrieges in Vietnam, verlässt allerdings die Armee und arbeitet als Reporter für französische und amerikanische Magazine wie Paris Match, Paris-Presse, Time, Life und Look. Seinen ersten Spielfilm La Passe du Diable (1956) dreht Schoendoerffer in Afghanistan nach einem Drehbuch des Kriegskorrespondenten, Reporters und Schriftstellers Joseph Kessel, dessen Be-

18 Sein Großvater mütterlicherseits fällt im Ersten Weltkrieg, sein Vater stirbt an den Folgen des Zweiten Weltkriegs (vgl. Langlois 1989).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. kanntschaft er 1955 in einer Opiumhöhle in Hongkong gemacht hat und dessen Werk seinen Hunger nach Abenteuern zumindest in seinen Jugendjahren vorübergehend gestillt hat. Schoendoerffer wird in diesem Film Jacques Dupont als Regisseur zu Seite gestellt, das übrige Drehteam wird ihn auch in Zukunft begleiten und bettet Schoendoerffer in die Erneuerungsbewegung des französischen Films ein, die von 1958 bis 1962 als Nouvelle Vague in die französische und internationale Kinogeschichte eingegangen ist (vgl. Marie ²2001). Der Produzent Georges de Beauregard19 und der Kameramann Raoul Coutard20 arbeiten mit Schoendoerffer zusammen, bevor sie – beginnend mit Jean-Luc Godards À bout de souffle (1959) – zu bedeutenden Trägern der Bewegung werden. Schoendoerffer nähert sich in seinen Spielfilmen thematisch schon früh Indochina an. Nach seinem in Indochina gedrehten Kurzfilm Than le pecheur (1958) wählt er zwei Romane des exotistischen Schriftstellers Pierre Loti als Vorlage für seine ersten in Indochina lokalisierten, sehr konventionell in Cinemascope und Farbe gedrehten Abenteuerfilme: Ramuntcho (1958) und Pêcheurs d’Islande (1958). La 317e section (1964) ist der erste einer Reihe von Filmen, in denen sich Schoendoerffer mit den Kolonialkriegen in Indochina und Nordafrika auseinander setzt und zugleich eine sehr persönliche Verarbeitung des Krieges. Für das Drehbuch wird Schoendoerffer 1965 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Ihm folgt der Spielfilm Objectif 500 Millions (1966), in dem Bruno Cremer einen ancien d’Indo21 spielt, der seine traumatischen Erinnerungen nicht vergessen hat. Die Reportage über die Section Anderson (1967) begleitet eine US-Truppe bei ihren Kampfhandlungen in Vietnam und wird 1968 mit dem Oscar für den besten Do-

19 Georges de Beauregard, 1920 in Marseille geboren, ist ab À bout de souffle der Produzent sechs weiterer Filme Jean-Luc Godards. In seiner schillernden Filmographie findet sich neben Jacques Demy, Claude Chabrol, JeanPierre Melville, Agnès Varda, Jacques Rivette, Eric Rohmer auch Pierre Schoendoerffer (vgl. Marie ²2001, S. 58f). 20 Raoul Coutard, ebenfalls Kameramann der französischen Armee, begegnet Pierre Schoendoerffer in Indochina, wo ihn dieser für seine LotiAdaptionen engagiert. Über Georges de Beauregard wird Coutard zum Kameramann Jean-Luc Godards, für den er für zahlreiche seiner Filme die Kameraarbeit übernimmt (vgl. Marie ²2001, S. 79). 21 Der ancien d’Indo ist eine wiederkehrende Figur des französischen Films, die durch Louis Malles Ascenseur pour l’échafaud (1957) mit Maurice Ronet aus dem Schatten der (Film-)Geschichte getreten ist. Der IndochinaVeteran ist vom Krieg gezeichnet, hat nichts mehr zu verlieren, auch in Friedenszeiten führt er seinen Kampf in der Unterwelt oder schlägt sich mit undurchsichtigen Geschäften durch. Bruno Cremer spielt auch in Raoul Coutards La légion saute sur Kolwezi (1979) einen ancien de la coloniale.

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Cinéma Indochina kumentarfilm ausgezeichnet. Indochina scheint auch in Schoendoerffers späterem Werk als Kulisse oder Hauptthema auf. In Le Crabe-tambour (1977) begibt sich der schwer kranke Kapitän eines Nordseedampfers auf die Suche nach einem ehemaligen Kameraden aus dem Indochinakrieg, der auch anderen Mitgliedern der Besatzung bekannt ist. Jacques Perrin spielt diesen ›Haudegen‹ – dies ist auch der deutsche Filmtitel –, dessen Lebensweg im Film durch Flashbacks aus der Perspektive mehrerer Figuren nachgezeichnet wird. L’honneur d’un capitaine (1982) behandelt die Frage der Folter durch die französische Armee während des Algerienkrieges und bezieht in den erzählten Erinnerungen der Soldaten persönliche Reportagefilme Schoendoerffers aus Indochina sowie einen Ausschnitt aus La 317e section mit ein. Mit dem Titel Diên Biên Phu (1991) zeichnet Schoendoerffer schließlich sein Hauptwerk, das die vergessene Geschichte der letzten Schlacht in Indochina erzählt. Là-haut (2001), sein rezentester Film resümiert schließlich die persönliche Geschichte Schoendoerffers, wie er sie als Cineast und Soldat erlebt hat. Schoendoerffers filmisches Werk kann durch seine ästhetische, erzähltechnische sowie thematische Verarbeitung als Gesamtwerk betrachtet werden. Wie in der Comédie humaine kommen und gehen die Figuren von einem Film zum anderen. So ist der adjudant Willsdorff aus La 317e section der Bruder des Crabe-tambour, der souslieutenant Torrens aus La 317e section ist im Flashback von L’honneur d’un capitaine zu sehen. Auch durch den Rückgriff auf komplexe Erzähltechniken sowie durch den Einsatz der immer wieder selben Schauspieler – Jacques Perrin, Bruno Cremer, Claude Rich – und Techniker – Raoul Coutard – entsteht der Eindruck eines homogenen Werks. Thematisch widmet sich Schoendoerffer vor allem den Kriegserlebnissen der Soldaten und ihren Erinnerungen. Obwohl Schoendoerffers filmisches wie literarisches Werk mehrfach ausgezeichnet wurde, ist für dieses eine wissenschaftliche22 Vernachlässigung festzustellen, deren Konsequenz überrascht. Die Studien zu filmischen Kriegsverarbeitungen beschäftigen sich sowohl im englisch- als auch im deutsch- und französischsprachigen Raum vor allem mit der US-amerikanischen Kriegsfilmproduktion. 22 Bis zu der Veröffentlichung von Caroline Eades’ Studie Le cinéma postcolonial français (2006), die die Arbeit Schoendoerffers innerhalb dieses Kontextes würdigt, finden sich Analysen zu Schoendoerffers Filmen vorwiegend in den Filmzeitschriften aus der Zeit der Veröffentlichung der jeweiligen Filme. Selbst Benjamin Stora verweist in Imaginaires de guerre für eine Analyse von Schoendoerffers Werk nur auf den kurzen Artikel François de la Brétèques in den Cahiers de la cinémathèque (1992). Die Filme selbst und auch Schoendoerffers literarisches Werk wurden allerdings vielfach ausgezeichnet.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Auch in den wenigen Veröffentlichungen zu den post/kolonialen Beziehungen Frankreichs und Indochinas findet Schoendoerffers Werk gar keine oder nur entre autres Erwähnung. Sylvie Blum-Reid streift den Film La 317e section in ihrem Einführungskapitel A Return – Boosting the interest in the colony (vgl. Blum-Reid 2003, S. 21f.), um sich schließlich vorwiegend der französischen Kinoproduktion der vietnamesisch-kambodschanischen Diaspora zu widmen. Panivong Norindr beschäftigt sich in seiner filmischen Analyse des Phantasmatic Indochina ausschließlich mit den rezenteren Produktionen der 90er Jahre, darunter auch mit Schoendoerffers Kriegsepos Diên Biên Phu. Norindr kritisiert die monologische Perspektive des Regisseurs, die den Ängsten und Befürchtungen der für Frankreich kämpfenden Soldaten einen breiten Raum zugesteht, sich allerdings nicht mit den Gründen und Umständen des Krieges und der vietnamesischen Perspektive auf die Kämpfe beschäftigt (vgl. Norindr 1996, S. 145-154). »It simply memoralizes without addressing larger political issues. It never questions, for instance, the logic behind the presence of the French in Southeast Asia. What were the French fighting for? Why did the French underestimate the strength and determination of the Vietnamese (traces of their arrogance)? Was war the only remaining alternative to resolve political disputes? What does ›Indochine française‹ mean in the fifties?« (Norindr 1996, S. 149)

In der Tat verweigern Schoendoerffers Filme in der Regel eine Hinterfragung der politischen und historischen Umstände der Kriegssituationen. Seine Empathie gilt den Soldaten, deren Zweifel, Überzeugungen und Erfahrungen in seinen Filmen die zentrale Position einnehmen. Diese Vorgehensweise konnotiert sein Werk negativ in den Augen einer Kritik, die bis zum heutigen Zeitpunkt auf ein seriöses und multiperspektivisches Werk zum französischen Kolonialismus in Indochina wartet (vgl. Frodon 2004). Die folgende Analyse widmet sich Schoendoerffers erster filmischer Verarbeitung des Kolonialkrieges in Indochina, dem 1965 veröffentlichten Film La 317e section. Bereits der Titel des Films legt den thematischen Fokus auf die Perspektive nur einer am Krieg beteiligten Gruppe, der Soldaten. Der Filmemacher lädt als ehemaliger Akteur des Kolonialkrieges in Indochina das Land und den dort stattfindenden Krieg nicht nur mit spezifischen Werten, historischem Gedächtnis und persönlichen Gefühlen auf, sondern wählt dafür auch eine spezifische Ästhetik, jene der Nouvelle Vague.

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Cinéma Indochina

La 317 e section : ein Kolonialkriegsfilm der Nouvelle Vague La 317e section beschreibt den Weg der 317. Sektion zu einem französischen Wachposten im kambodschanischen Dschungel. Die Einheit besteht anfänglich aus 40 Männern, unter denen sich neben 36 laotischen Soldaten vier Franzosen befinden. Die Erzählzeit umfasst mit dem Zeitraum von 4. bis 10. Mai 1954 einen historischen Moment, die letzten Tage der Schlacht von Dien Bien Phu, die das Ende der französischen Präsenz in Indochina und die beginnende Auflösung des französischen Kolonialreiches markiert. Doch die Soldaten der 317. Sektion befinden sich nicht innerhalb der Festung im Visier der Weltöffentlichkeit. Stationiert auf ihrem Posten Luong Ba im kambodschanisch-laotischen Grenzgebiet erhalten sie die Order, ihren Stützpunkt aufzugeben und durch den Dschungel nach Tao Tsai, 150 Kilometer weiter südlich zu marschieren. Auf ihrem siebentägigen Marsch wird die Einheit durch die Kämpfe gegen die Vietminh zerstört. Nur vier Mann, der adjudant Willsdorff und drei laotische Ergänzungssoldaten23 werden überleben. Bereits mit dem Genre »Kolonialkriegsfilm« entscheidet sich Schoendoerffer für ein hybrides Genre, das die strikte Trennung der filmischen Repräsentation zweier Kriegsrealitäten auflöst. Während der Stellungskriegsfilm (film de guerre de bataille) einen ›guten‹ Krieg repräsentiert, in dem die Helden glücklich, die Uniformen sauber und die taktischen Manöver lesbar sind, beschreibt sein Gegenstück, der Spionagekriegsfilm (film d’espionnage de guerre), einen Krieg im Schatten, manchmal ohne Uniformen, ohne Moral, durch Attentate und Bürgerkrieg gekennzeichnet (vgl. Aumont 2001, S. 113f). »Cela fait donc deux genres cinématographiques distincts, le ›film de guerre de batailles‹, pleinairiste, schématique et bipolaire, ce qui explique sa porosité avec des genres voisins tels le western ou l’aventure africaine, tandis que le ›film d’espionnage de guerre‹ est toujours un itinéraire personnel, donc une histoire forcément initiatique où les valeurs sont plus douteuses, les espaces, physiques et moraux, plus confinés.« (Aumont 2001, S. 113)

Der Kolonialkriegsfilm vermischt diese Genres. Diesen Krieg teilt der Soldat aus Überzeugung, aber ohne Freude. Sein Kämpfer trägt zwar Uniform und folgt strategischen Ordern, ist jedoch auf sich selbst und auf sein moralisches und politisches Bewusstsein gestellt. Sein Krieger ist individuell, er kann nur auf sich zählen, denn 23 Ab 1946 wird der Begriff partisan (Partisan) in Indochina durch den Begriff soldat supplétif (Ergänzungssoldat) ersetzt, um die nicht-regulären Truppen Bao Dais oder der Vietminh zu bezeichnen (vgl. Venesson 2005, S. 24).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. das Kollektiv ist immer weit entfernt. Ihm fehlt eine Sicht auf das Ganze, seine Gesamtsicht ist absurd, nichts deckt sich noch mit seinem vorbestimmten Sinn. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Ideal hält noch eine gewisse Zeit, aber der Verlust dieses Ideals ist möglich und sogar wahrscheinlich. Der Krieger wird sich bewusst, dass es keinen gerechten Krieg gibt. Seine Welt ist nicht die gewöhnliche Welt, sondern eine Welt am Rande der Gesellschaft und der Menschheit. Eine Welt, die zum Beispiel den Namen Indochina trägt. Pierre Schoendoerffer wählt für den Beginn seines Filmprojekts einen denkbar ungünstigen Moment. Als er im Jahr 1963 für sein Drehbuch zu La 317e section einen Abnehmer sucht, erklärt sich dazu niemand bereit, sodass er es zunächst als Roman veröffentlicht. Das Ende des französischen Kolonialkrieges in Algerien und der beginnende Krieg der USA in Vietnam – im Januar 1963 finden die ersten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Vietcong und amerikanisch-südvietnamesischen Truppen statt – haben über den Kolonialkrieg in Indochina bereits eine historische Amnesie gelegt. Frankreich ist in diesem Moment zu einer Aufarbeitung seiner Geschichte noch nicht bereit. Für den Eintritt in die Konsumgesellschaft und den wirtschaftlichen Aufschwung der beginnenden 60er Jahre soll das Bild der Grande Nation ein unbeflecktes bleiben. Die gesellschaftliche Debatte, die sich mit der historischen Rolle des Landes in den von ihm geführten Kriegen des 20. Jahrhunderts beschäftigt, entwickelt sich erst durch die gesellschaftlichen Umwälzungen in Folge der Unruhen von Mai 1968. Allerdings widmet sich diese zunächst der Rolle Frankreichs während des Zweiten Weltkrieges und nicht der rezenten kolonialen Vergangenheit, die Frankreich beinahe an den Rand eines Bürgerkrieges gedrängt hat. Es ist auch nicht die französische Armee, die Schoendoerffer bei seinen Dreharbeiten in Kambodscha unterstützt, sondern der cinephile König Sihanouk24, der Schoendoerffer für seinen Film sogar die Forces royales de l’Armee khmer zur Verfügung stellt. 24 König Sihanouk betätigt sich bereits ab 1940 als Filmemacher. Seit den 60er Jahren (Apsara, 1966) leistet er unter Verwendung professionellen Materials auch einen persönlichen Beitrag zur Konstitution der Filmnation Kambodscha außerhalb kommerzieller Produktions- und Diffusionswege. Sihanouk konzentriert sich in seinen Filmen auf traditionelle Riten und Traditionen Kambodschas und setzt sich selbst sowie Familienmitglieder als Darsteller ein. Als Aufführungsort seiner Arbeiten wählt er asiatische Filmfestivals, auf denen er sich eine Anerkennung seiner filmischen Betrachtung Kambodschas erhofft. Das westliche Publikum betrachtet diese in der Regel allerdings als überholt und sentimental und respektiert sie bestenfalls als »chronique royale […] pour communiquer certaines réalités et véhiculer certains messages à son peuple et aux étrangers« (vgl. Nordinr

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Cinéma Indochina Auch die französische Kinolandschaft befindet sich – wieder einmal – im Umbruch. Das französische Kino und seine Nouvelle Vague genannte Erneuerungsgruppe stecken in der Krise. Als Wende- und Endpunkt der Nouvelle Vague bezeichnet Michel Marie in der Tradition der französischen Filmgeschichtsschreibung den Beginn des Jahres 1963 (vgl. Marie ²2001, S. 16). Tatsächlich verdrängen der sich verändernde Geschmack des Publikums und die wechselnden Interessen der Medien die Filme der Nouvelle Vague allmählich aus dem Zentrum der Filmöffentlichkeit, die sich fünf Jahre lang beinahe ausschließlich um sie gedreht hat; das Fernsehen übernimmt zunehmend seine Funktion als Medium der Zeit. Jüngere Forschungsarbeiten sehen die Nouvelle Vague mit dem Jahr 1963 allerdings keineswegs als beendet an (vgl. Grafe 2003, S. 9-27). Frieda Grafe erinnert beispielsweise an den Schulterschluss ihrer tragenden Persönlichkeiten im Mai 1968 bei dem Engagement gegen die Absetzung des Leiters der Cinémathèque, Henri Langlois. Auch Jean-Michel Frodon schlägt eine Charakterisierung der Nouvelle Vague vor, die sich von der traditionellen hagiographischen Geschichtsschreibung um ihre führenden Persönlichkeiten löst (vgl. Frodon 2002). Keine zeitliche Periodisierung, sondern drei Phänomene kennzeichnen nach Frodon diese Bewegung, von denen der club de cinq der Filmkritiker der Cahiers du cinéma nur ein Element darstellt. Sie ist vielmehr ein cinéma de la jeunesse, im Rahmen dessen in den 50er und 60er Jahren zahlreiche junge Regisseure ihre ersten Filmarbeiten liefern, die zum Teil noch Elemente des cinéma de papa tragen. Als cinéma de la modernité arbeiten die Produktionen der Nouvelle Vague mit einem neuen kinematographischen Blick auf Themen und Motive, die bisher von der Filmproduktion ausgeschlossen waren. Von einem so frühen Ende der Nouvelle Vague zu sprechen, ist demnach nicht angebracht, denn viele Regisseure liefern noch über das Jahr 1963 hinaus Filmarbeiten, deren Filmsprache diese filmische Moderne fortführt. Schoendoerffer selbst zählt im engeren Sinne nicht zu den Filmemachern der Nouvelle Vague. Er ist weder ein Kritiker der Cahiers du cinéma wie der club de cinq mit Chabrol, Godard, Rivette, Rohmer und Truffaut, noch ein Filmemacher der rive gauche wie Resnais, Varda, Demy und Marker. Raoul Coutard, der die Nouvelle Vague als mafia bezeichnet, erinnert explizit daran, dass Schoendoerffer ihr nicht angehört (vgl. Coutard 2007, S. 73). In den Nouvelle Vague-Jahren 1958 und 1959 dreht Schoendoerffer noch im Stil des cinéma de papa in Farbe und Cinemascope auf der Basis der literarischen Vorlagen Pierre Lotis. Dennoch findet der Regis-

2008, S. 141-145 sowie die Homepage Norodom Sihanouks http://www. norodomsihanouk.info)

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. seur in Michel Maries (²2001) und Jean-Pierre Jeancolas’ (²2000) Anthologien zur französischen Filmgeschichte in diesem filmhistorischen Kontext Erwähnung aufgrund seines Films La 317e section, an dem wichtige Persönlichkeiten der Nouvelle Vague wie der Produzent Georges de Beauregard – der sich schließlich zur Produktion von La 317e section bereit erklärt – und der Kameramann Raoul Coutard beteiligt sind. Folgt man der offenen Nouvelle VagueDefinition Jean-Michel Frodons, schreibt sich der Film jedoch nicht nur in dieser Hinsicht in diese Epoche ein. Schoendoerffer ist ein junger Filmemacher, der sich mit seinem Film als Träger einer thematischen und filmsprachlichen Moderne behauptet. Im Gegensatz zu Schoendoerffers vorherigen und späteren Filmen steht La 317e section formal und inhaltlich den experimentellen und unabhängigen Erzählungen der Nouvelle Vague sehr nahe. Demnach ist La 317e section der einzige Film, der rückblickend den französischindochinesischen Krieg und seine Protagonisten, das französische Kolonialkorps, aus der Sicht eines Filmemachers thematisiert, der sich inhaltlich, ästhetisch sowie hinsichtlich seiner Produktionsweise der Nouvelle Vague anschließt (vgl. dazu Marie ²2001, S. 63). Wie die Filmemacher der Nouvelle Vague besitzt auch Schoendoerffer eine Vorliebe für die intime und autobiographisch gefärbte Darstellung der zeitgenössischen Jugend. Anders als seine Pariser Kollegen widmet er sich jedoch nicht der sozial und kulturell privilegierten jeunesse parisienne, deren Wertvorstellungen ihrer Zeit weit voraus sind, sondern formuliert anhand eines autobiographisch geprägten historischen Motivs eine Erzählung von Männern, deren Jugend von Krieg und Desillusion geprägt ist. Typisch für die inhaltliche Verarbeitung im Stil der Nouvelle Vague ist auch die Entscheidung Schoendoerffers zu betrachten, sich aus den politischen Debatten der Zeit herauszuhalten. Die Dialoge schematisieren nicht die französische Politik, seine Aufmerksamkeit gilt dem individuellen Schicksal der französischen Soldaten. Als auteurréalisateur zeichnet sich Schoendoerffer nicht nur für die Regiearbeit, sondern auch für die Verfassung des Drehbuchs verantwortlich. Wie in zahlreichen Arbeiten der Nouvelle Vague ist auch in La 317e section die Anwesenheit der Äußerungsinstanz deutlich zu erkennen. Schoendoerffers berufliche Erfahrung als Kriegsreporter schreibt sich in die Ästhetik des Films ein, die Grenzen zwischen Reportage und Spielfilm sowie zwischen Amateurfilm und professioneller Kinoproduktion vermischen sich. Die von ihm gewählte Produktionsweise verweist auf die enge Verbindung der Nouvelle Vague zum cinéma direct, jene im Anschluss an das Dokumentarfilmgenre des cinéma vérité auch auf den Spielfilm übertragene Ästhetik (vgl. Prédal 1999, S. 216). Eine sehr sensible Filmrolle ermöglicht den Verzicht auf zusätzliche künstliche Beleuchtung. Raoul Coutard ar-

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Cinéma Indochina beitet mit der 10 kg ›leichten‹, tragbaren Caméflex-Kamera25, die Arbeiten bei natürlichem Licht erlaubt, jedoch aufgrund ihres hohen Lärmpegels keine synchrone Tonaufnahme (vgl. Coutard 2007, S. 340). Schoendoerffer verzichtet auf eine Nachstellung des Ortes im Studio und begibt sich für die zwei Monate dauernden Dreharbeiten nach Kambodscha. Sein Drehteam folgt dem Grundsatz der équipe légère, es besteht aus nur 12 Personen. Als Darsteller wählt er bevorzugt junge und relativ unbekannte Gesichter (Jacques Perrin und Bruno Cremer) sowie Laien. Eine chronologische Aufnahmetechnik macht die physische Erschöpfung der Soldaten sichtbar. Ihre zunehmende körperliche Ausgezehrtheit entsteht nicht zuletzt durch die von Schoendoerffer gewählten Drehbedingungen, die nur die notwendigste Nahrung erlauben sowie die mangelnden Hygienebedingungen für den Film nutzen (vgl. Schoendoerffer 1965, S. 54f.). Schoendoerffer arbeitet ohne script, was Raum für Improvisation lässt. Wie seine Kollegen der Nouvelle Vague ist auch Schoendoerffer stark vom amerikanischen Kino beeinflusst. Während besonders die Filme Godards und Melvilles eine Bewunderung für das B-Movie Hollywoods und den film noir reflektieren (vgl. Marie ²2001, S. 40f.), beeinflusst seine Arbeit eine fundierte Kenntnis der amerikanischen und japanischen Kriegsfilmproduktion der 40er, 50er und 60er Jahre, die sich in den Film durch zahlreiche intramediale Verweise integriert.

Der Erinnerungsraum des Krieges – der Raum der Kriegserinnerung Für Schoendoerffer ist die Erzählung der kolonialen Erfahrung vor allem die Rückkehr zu seiner persönlichen Erinnerung an die Niederlage der französischen Kolonialmacht in Indochina, die er selbst als Soldat erlebt hat. La 317e section kehrt an den Kriegsschauplatz Indochina zurück, für den Schoendoerffer als Handlungsort den indochinesischen Dschungel wählt. Nach Mieke Bal stellt die Erinnerung (memory) eine spezifische Form der Fokalisierung dar (vgl. Bal ²1997, S. 147). Die Fokalisierungsinstanz liefert im Fall der Erinnerung eine Sicht auf die Vergangenheit, situiert sich selbst allerdings in der Gegenwart. Im Falle eines Traumas, als das der Kolonialkrieg in Indochina aus der Perspektive eines Angehörigen des Expeditionskorps betrachtet werden kann, ist die Fokalisierungsinstanz zum Zeitpunkt des Auftretens der traumatischen Ereignisse nicht in der Lage, diese als Erzählung

25 Jean-Luc Godard drehte À bout de souffle ebenfalls mit einer Caméflex (vgl. Pinel ²2005, S. 54).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. zu formulieren. Die Erinnerung daran bleibt fragmentarisch. Erst im Modus der Erinnerung können diese Ereignisse zu einer Erzählung geformt werden. Durch den narrativen Akt der Erinnerung werden lose Elemente allerdings zu einer Erzählung verwoben, die mit dem Erlebten nicht identisch sind. Schoendoerffer zeichnet die historische Realität der Geschichte in einer fiktiven Nacherzählung dieser Geschichte nach und erarbeitet auf diese Weise ein komplexes Erinnerungsbild des Indochinakriegs. Der Film wird somit nicht ein Zeugnis der Geschichte, sondern »Teil der kulturellen Phantasiearbeit an der Imagination des Geschichtlichen« (Kappelhoff 2005). La 317e section schafft den Erinnerungsmodus zunächst auf der Ebene der narrativen Struktur in Form eines Flashbacks, durch das die Vergangenheit der Geschichte in die Gegenwart des Erzählens eingebettet wird. Die Erzählinstanz deklariert sich auf der Bild- sowie auf der Tonebene bereits in der Einstiegssequenz des Films als Erzählerin dieser Erinnerung, indem sie sich als Fokalisierungsinstanz designiert. Die erste Einstellung zeigt eine Nahaufnahme des Bodens, auf dem sich unzählige Insekten tummeln. Den Vorspann unterlegt eine Kamerafahrt aus einem Flugzeug über den Urwald und einen von der Flut geweiteten Fluss – möglicherweise den Mekong. Weiße Wolken und unbegleiteter Gesang betonen die traumhaft-zeitlose Eigenschaft dieser Sequenz. Caroline Eades weist auf die Ambiguität dieser zunächst extradiegetischen Kameraaufnahme hin, die sich filmsprachlich dem kolonialen Dokumentarfilm annähert. Dem Zuschauer ist es nicht möglich, diese Aufnahme zeitlich exakt zu situieren, da sie sowohl dem Erzähler als auch einem Zeugen der Niederlage von 1954 zugeschrieben werden kann (vgl. Eades 2006, S. 110). Schoendoerffer weist mit diesem Prozedere bereits auf die Doppelrolle der Erzählinstanz hin: Sie ist nicht nur die Erzählerin dieser Erinnerung, sondern auch ihre Trägerin. Die externe Fokalisierung der Kamerafahrt auf den Handlungsort vermittelt die Wahrnehmungsqualitäten einer Karte. Die Höhe, aus der der Wald aufgenommen wird, erzeugt eine Distanzierung des Ortes, welcher zunächst ohne Namen und ohne geographische Markierungspunkte repräsentiert wird. Die vergangene Geschichte schreibt sich durch Distanz und Stabilität in das kollektive Gedächtnis der französischen Nation ein. Die Kamerafahrt, die die Erzählung auch schließen wird, erzeugt ähnliche Effekte wie das Heben und Senken eines Theatervorhangs (vgl. de la Brétèque 1992, S. 80). Sie suggeriert zunächst, dass sich der indochinesische Dschungel wie eine Bühne verhält, auf der eine heroische Vorstellung in Form eines beobachtbaren, beschreibbaren Krieges dargeboten wird. Nach Jacques Aumont unterscheiden sich die filmischen

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Cinéma Indochina Kriegsverarbeitungen des Stellungskrieges und des Spionagekrieges vor allem in ihrer Sichtbarkeit. Während der heroische Stellungskrieg in externer Fokalisierung dargestellt wird, folgt die Repräsentation des Spionagekriegs einer internen Fokalisierung (vgl. Aumont 2001, S. 113). Dieser kartographische Blick von oben entspricht der Perspektive des französischen kollektiven Gedächtnisses auf den Konflikt in Indochina, der zum Zeitpunkt der Filmproduktion als historisches Ereignis bereits lange zurückliegt, der Raum stellt sich unter diesem Blickwinkel als unbelebt dar, denn »mastering, looking from above, dividing up and controlling is an approach to space that ignores time as well as the density of its lived-in quality« (Bal ²1997, S. 147). Die extradiegetische, männliche over-Kommentarstimme26 – die Schoendoerffers –, die während dieser Kamerafahrt einsetzt und über das Kriegsgeschehen in Indochina und die beginnenden Friedensverhandlungen von Genf informiert, scheint diesen distanzierten Wahrnehmungsmodus der kollektiven Erinnerung zunächst zu unterstützen. »Au début de mai 1954, les délégations russes, chinoises, anglaises, americaines, françaises, s’installent à Genève pour préparer la conférence sur la question indochinoise. Moins de deux mois plus tard l’Armistice sera signé. À Diên Biên Phu la bataille dure depuis plus de cinquante jours. Dans toute l’Indochine, le Viet-minh lance son offensive générale. Ce seront les derniers combats d’une guerre vieille de neuf ans.«

Die geographische und zeitliche Unbestimmtheit der Anfangssequenz wird schließlich durch die Erwähnung indigener Ortsnamen und einer genauen historischen Situierung aufgelöst. Die Fokalisierungsinstanz nähert sich allerdings nicht den historischen Kämpfen in Dien Bien Phu an, sondern Orten, die dem französischen Publikum aller Wahrscheinlichkeit nach unbekannt sind. Folgt man Bals Ausführungen zum narrativen Akt der Erinnerung, kann diese Deplatzierung des realen Ortes der Erfahrung an einen fiktiven Ort der Erzählung als eine rhetorische Überarbeitung der traumatischen Erfahrung gelesen werden. Die Handlung des Films situiert sich räumlich am Rand der historischen Ereignisse, die das kollektive Gedächtnis über den französischen Indochinakrieg markiert haben. Nicht im Kessel von Dien Bien Phu, sondern im laotisch-kambod26 Für den Film ist der Unterschied zwischen einer heterodiegetischen und einer homodiegetischen Erzählung nicht auf das Personalpronomen zurückzuführen, welches von einer voice off/over verwendet wird, sondern auf die Tatsache, ob eine Stimme im Film einen physischen Körper zugeordnet bekommt oder nicht. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist auch die Untersuchung der Fokalisierungsinstanz.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. schanischen Grenzgebiet, fern der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, befinden sich die Soldaten des Kolonialkorps. »Le 4 mai l’état major du secteur Nord Cambodge donne l’ordre d´évacuer le poste de Luong Ba, isolé de la frontière du Laos et de se plier sur Tao Tsai 150 kilomètres plus au sud. La 317e section supplétive en garnison à Luong Ba devra saboter ses installations et se frayer un chemin à travers la jungle détrempée par les pluies de la mousson.«

Die außerhalb der Ereignisse stehende Kommentarstimme stammt aus der Tradition des Militärs und kündigt eine Erzählung an, die sich an Soldaten richtet und somit an ein Publikum, das die Kriegserfahrung mit dem Erzähler teilt. »Ce qui est à l’oeuvre (chez Pierre Schoendoerffer), est la passion du récit. La tradition du conteur est souvent une tradition militaire. La littérature romanesque foisonne de ces vieux soldats en verve autour desquels le public fait cercle. On est entre soi, dans une position cérémonielle par rapport à celui qui prend la parole, raconte une histoire.« (Török zit. nach de la Brétèque 1992, S. 76)

Die Tatsache, dass der Erzähler auf Ereignisse vorgreift, entlädt zwar die Spannung der Zuschauer auf den Ausgang der Handlung – als der Zuschauer 1965 den Film sieht, kennt er bereits das Ende der Geschichte –, nicht allerdings die Aufmerksamkeit der Zuhörer seinesgleichen – Kameraden und Veteranen –, für die nicht die tradierte Geschichte – der Sieg oder der Verlust –, sondern die während des Krieges erlebten Geschichten Teil der Erinnerung sind. Die over-Stimme situiert sich auch sogleich als eine Trägerin einer Subjektsposition innerhalb der Figuren der Diegese, der Wahrheitsgehalt ihrer Erzählung wird durch ihre Anwesenheit während der Ereignisse legitimiert. »Nous sommes à Luong Ba, le 4 mai 1954. Il est 18 heures.« Die diesen Satz begleitende Einstellung bewirkt auch auf der Bildebene eine radikale Veränderung der Perspektive und einen Illusionsbruch. Der sous-lieutenant Torrens, der junge Absolvent der Militärakademie Saint-Cyr, zieht die französische Flagge des Stützpunkts ein. Dieser Vorgang steht von nun an exemplarisch für die subjektive Wahrnehmung der Erscheinungen dieses Krieges. Zwar wird die Erzählinstanz bis zum Schluss des Films nicht mehr über die Erzählstimme in die Erzählung eingreifen, sondern die Verbalisierung der Kriegsrealität den Soldaten überlassen, allerdings folgt sie ohne Unterlass mittels einer Kamera auf Menschenhöhe als anonyme Instanz dem Alltag der Soldaten. Die in externer Fokalisierung wiedergegebenen Großaufnahmen und einzelne Aufnahmen der gesamten Truppe nähern den Blick der Kamera dem des Kriegsreporters an, der die Sektion begleitet. Dieser nimmt am 145

Cinéma Indochina Alltag der Truppe teil, teilt ihre Risiken, ist allerdings niemals einer von ihnen, da er überleben und die Bilder von der Front an die Medien übermitteln muss. Auch die Schwarz-Weiß-Aufnahme des Films und die Schriftinserts, die in regelmäßigen Abständen genaue Auskunft über das Datum und die Uhrzeit der Handlung geben, weisen immer wieder auf die Anwesenheit der Erzählinstanz hin, die die traumatischen Erlebnisse der Truppe als Fakten ordnet und als Erinnerung rekonstituiert. Eine kommentierende Funktion übernimmt die Fokalisierungsinstanz auch über den Einsatz von Achsensprüngen, die Momente der Unsicherheit und der Uneinigkeit zwischen Torrens und Willsdorff betonen. Durch den Blick über ein Fernglas oder den Sucher des Gewehrs auf die Landschaft suggeriert der Film stellenweise eine interne Fokalisierung durch die Soldaten. Diese Perspektive erinnert an ein klassisches Dispositiv des frühen Films, das durch den Blick durch ein Sicht veränderndes Instrument wie die Lupe oder das Mikroskop mit der Skopophilie des Zuschauers spielt und die Anwesenheit einer Äußerungsinstanz markiert. Christian Metz hat diese Einschreibung der Äußerungsinstanz durch ein gewöhnliches Objekt als »Rahmen im Rahmen« bezeichnet. Der innere Rahmen ist im Gegensatz zum äußeren Rahmen diegetisch motiviert (vgl. Metz 1997, S. 57-60). »Dieses heimliche Ineinanderfließen bildet eines der zentralen Merkmale des narrativen Kinos, das nur unzulänglich zwischen dem Sagen und dem Gesagten unterscheidet und das beides manchmal zum Spaß (auch zu unserem) verwechselt.« (Metz 1997, S. 63)

In La 317e section setzt die Erzählinstanz diese Vermischung der Fokalisierungsmodi allerdings nicht zum Spaß ein. Sie vermittelt eine »in ihrer Widersprüchlichkeit seltsam zweischneidige Lesart, die gerade für den Kriegsfilm als ›ernsthaftem Nach-Spiel‹ historischer Kriegserlebnisse charakteristisch ist« (Brunken 2005). Der »Rahmen im Rahmen« ist ein Hinweis drauf, dass der Kriegsreporter die Erlebnisse der Truppe teilt und auf diese Weise der fiktiven Erzählung ein dokumentarischer Wert zugeschrieben werden kann. Die erwähnte spezifische Kombinatorik von Stilmitteln favorisiert einen dokumentarisierenden Lektüremodus (lecture documentarisante) des Films (vgl. Gaudreault/Jost ²2002, S. 33)27. Diese Lektüre des Films als Dokument lädt zu einer Betrachtung des Films als 27 Gaudreault/Jost beziehen sich in ihrer Terminologie auf Roger Odin, in dessen semio-pragmatischem Ansatz dem Zuschauer die Entscheidung überlassen wird, ob er bei der Sichtung eines Films einen dokumentarisierenden oder einen fiktivisierenden Lektüremodus einnimmt (vgl. dazu Odin, Roger: De la fiction. Brüssel 2000).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. ein Element der Vergangenheit ein. Der fiktivisierende Lektüremodus (lecture fictivisante) situiert hingegen den Film als ein Element der Gegenwart, als ein Ereignis, das in dem Moment stattfindet, in dem der Zuschauer den Film sieht.

La 317e section: Den Feind im Visier Indochina wird im kollektiven Gedächtnis Frankreichs durch den Deck-Begriff der sale guerre ›mappiert‹ und fixiert, der eine Hinterfragung der Umstände des Krieges und eine Verarbeitung der Kriegstraumata der Beteiligten untersagt. In La 317e section erhalten die Soldaten des französischen Kolonialkorps mit dem indochinesischen Dschungel einen Raum, um ihre persönliche Erinnerungsarbeit zu leisten. Als »spatializing memory« (›der Erinnerung einen Raum geben‹) bezeichnet Bal jenen Vorgang, bei dem ein bestimmter Raum einer spezifischen Erinnerungsarbeit zur Verfügung gestellt wird (vgl. Bal ²1997, S. 148). Indem die Landschaft Indochinas durch die Fokalisierung durch einen Angehörigen des Militärs mit Erinnerung versehen wird, erlangt dieser Raum als historisch und menschlich geprägt an Bedeutung, denn »providing a landscape with a history is a way of spatializing memory that undoes the killing of space as lived« (Bal ²1997, S. 147). In Schoendoerffers Film ist die Landschaft kein Objekt imperialistischer Nostalgie mehr, »sondern das, worin dieser Sehnsuchtsbezug zur Vergangenheit oder, weiter gedacht, Gedächtnis sich bildet« (Robnik 2006, S. 144). Die Landschaft Indochinas fungiert in La 317e section nicht als Objekt imperialistischer Nostalgie, sondern agiert selbst gedächtnishaft, in dem sie zu einem Raum wird, von dem ein neues Gedächtnis ausgeht, jenes der Soldaten. Indochina ist in der Erinnerung der Soldaten kein touristischer Ort, der über exotisierende 147

Cinéma Indochina Projektionen wahrgenommen wird. Die Erzählinstanz verzichtet auf die Einbindung der Helden in exotistische Postkartenbilder der Kolonie. In dieser Form existiert das Land nur in der Phantasie von adjudant Willsdorff. »Ça c’est vrai, quel pays! Vous pouvez pas savoir y a pas quinze jours que vous êtes là. Moi j’l’aime bien c’pays. Au dernier séjour au lieu de vingt-sept mois j’ai réussi à en tirer trente-trois et j’ai aucune envie de rentrer en France. Vous voyez, si je devais quitter l’armée je voudrais m’acheter une paillote sur la rivière. Kut me choisirait une fille, elles sont jolies ici, elles ont pas de ... on dirait des gamines, elles ont pas de poils, une peau, une peau élastique et pas de poils...«

Andere Szenen deuten zwar die Möglichkeit der Inszenierung eines imperialistischen Blicks an, werden jedoch verfremdet. Die indigenen Frauen beim Baden werden von Weitem aufgenommen. Sie werden von den Ergänzungssoldaten erspäht, bleiben allerdings in der Ferne. Die Erzählinstanz verzichtet auf die naheliegende Möglichkeit, diese über das Fernglas heranzuzoomen. Torrens selbst blickt beschämt zu Boden, als ihm die Tochter des Dorfältesten vorgestellt wird, der radio Perrin reagiert sichtlich erfreut auf den ›ihm gebotenen‹ Anblick, die filmische Wiedergabe dieser Freude geschieht allerdings über eine Großaufnahme seines Gesichtes und nicht über eine figurale Fokalisierung auf die Frauen. Die Darstellung der Frau als ›Erträgerin‹ des Blicks wird als filmische Möglichkeit des Erzählens nur angedeutet. Den Vorgang, die Frau als Fokalisierungsobjekt des Mannes zu fixieren und als feminisiertes Spektakel zu inszenieren, den Laura Mulvey in ihrem berühmten Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema als »to-be-looked-at-ness« definiert hat, wird in La 317e section allerdings vermieden (vgl. Mulvey 1975). Zum Transport der Kranken stellt ein Dorf seine Elefanten zur Verfügung. Bei Nacht erfolgen die Ladung der Tiere und der Weitermarsch. Die Elefanten können nur erahnt werden. In der nächsten Einstellung bei Tag sieht man den Weitermarsch der Elefanten, die Kamera fokalisiert jedoch nicht die Elefanten, sondern die Menschen, die sich auf ihnen befinden. Als die Medikamentenrationen bereits aufgebraucht sind, bereitet die Tochter des Dorfältesten dem sterbenden Roudier eine Opiumpfeife zu, um seine Schmerzen zu lindern. Coutards Kameraführung ästhetisiert den Vorgang der Zubereitung, über die Tonspur sind allerdings die Nachrichten von Radio France-Asie gelegt. Die Nachrichtensprecherin monopolisiert über die Stimme als instance reine des Tonfilms die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Weder die Bucht von Halong, noch die kolonialen Städte, die Reisfelder und Heveaplantagen, die buddhistischen Tempel oder die 148

Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Gebäude der französischen Verwaltung finden Eingang in die Erzählung des Films, wie sie dies beispielsweise in The Lover und Indochine tun werden. Ein dichter Wald, Hügel und Flüsse charakterisieren die Kolonie als uniformes Milieu eines Kriegsschauplatzes. »La mousson sur le Laos: une pluie drue, intarissable, qui ruisselle sur les paillottes et sur les hommes […]. Beauté aussi du ciel noyé de pluie, ou des gros nuages noirs menaçants, ou encore des échapes de brumes dans les collines, du brouillard dans le gris encore sombre du petit jour; parfois l’humidité semble surgir de la terre comme une transpiration.« (Gervais 1965)

Schoendoerffer nutzt den Dschungel nicht als dekorativen ästhetischen Spielraum, sondern als paysage-drame, als Handlungsträger, der aktiv in die Handlung eingreift und nicht nur den Ort der Geschichte darstellt, sondern als Auslöser für die Handlung fungiert. In dieser Funktion hat die Landschaft Auswirkungen auf die Kriegsführung der Truppe. Die Truppenstärke muss schwach bleiben, um ein rasches Weiterkommen in dem schwierigen Gelände des Dschungels zu sichern, die Fortbewegung erfolgt in einer Einserkolonne. Die Ausstattung erlaubt nur das Notwendigste, der Radioempfang kann nicht gewährleistet werden. Auch die Versorgung der Einheit ist problematisch und muss durch Fallschirmabwürfe gesichert werden. Es ist auch die Natur dieses Gebiets, die den Feind unsichtbar macht. Die feindselige Eigendynamik der Landschaft – ihr unwegsames Gelände, ihr unwirtliches Klima und ihre Fauna (Moskitos, Blutegel) – verantwortet die Auszehrung und die Schwäche der Einheit und stellt nicht mehr wie bei Bernard-Aubert, Camus und anderen in Indochina lokalisierten Abenteuerfilmen der 50er Jahre eine zusätzliche Komplikation des Handlungsfadens dar. Doch nicht nur die Landschaft Indochinas wird in La 317e section mit einem neuen Gedächtnis versehen. Auch die vier französischen Soldaten des Expeditionskorps, in denen Schoendoerffer Archetypen des Kolonialkriegs in Indochina zeichnet, werden in der Erinnerungserzählung von anonymen Armeeangehörigen, die ein schlechter Ruf begleitet, zu Individuen, zu von der Nation geopferten und vergessenen Kindern. Der Soldat des corps expéditionnaire ist nicht wie der Wehrdienstleistende des Algerienkrieges »un civil provisoirement déguisé en soldat, et dans lequel sans cesse perce la nostalgie du foyer, de la maison, de la vraie vie qui n’est pas guerrière, d’une profession que l’on a exercée et à laquelle on espère revenir« (Aumont 2001, S. 116), der Identifikationspotential besitzt, sondern ein rombier und ein baroudeur28, ein Berufssoldat oder ein 28 baroud (aus dem Berber des Südlichen Marokko), militärischer Argotausdruck für Kampf; baroudeur, der, der den Kampf liebt. Rombier (Dialektausdruck aus Lothringen, romber, grommeler, bougonner), militärischer

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Cinéma Indochina Freiwilliger, für den der Krieg eine Mission ist, deren Motive und Hintergründe zweitrangig sind, und der er aus militärischem Gehorsam folgt. In Zeiten, in denen es keinen gerechten Krieg mehr gibt, gibt es auch keine Helden, die Identifikation mit den Soldaten muss scheitern. Der sous-lieutenant Torrens (Jacques Perrin), der junge Absolvent der Militärakademie Saint-Cyr, ist erst seit 15 Tagen in Indochina stationiert und leitet die Sektion. Um den Hals trägt er eine Kette, die sein jungenhaftes Aussehen betont und dem Zuschauer eine emotionale Bindung suggeriert. Torrens wird beim Zähneputzen und mit nacktem Oberkörper beim Waschen gezeigt. In der Tradition der Kavallerie trägt er als Symbol seines Glaubens an ein militärisches Ideal Handschuhe. Torrens muss am Schluss des Films von seinen Kameraden verletzt zurückgelassen werden. Aus Angst vor den Tieren des Dschungels begeht er Selbstmord. In der Figur des Torrens erinnert Schoendoerffer an die jungen Offiziere, von denen in Indochina mehr fallen als es in den Eliteschulen der Armee Abgänger gibt (vgl. Ruscio 1992, S. 161). 29 »L’officier subalterne n’attend rien de plus que le soldat. Il est avec lui à la pointe du danger, pour l’en écarter et prendre sa place au besoin. Il donne l’assaut à ses côtés. Il passe les nuits de combat couché sur la terre, il patauge dans les marécages, il boit dans son casque la même eau polluée et mange les mêmes rations de l’intendance. Chaque jour, un officier subalterne du corps expéditionnaire tombe. Ce n’est pas qu’un lieutenant ou un capitaine de plus, bien sûr, jeté dans le gouffre.« (Roy 1953, S. S. 133)

Der adjudant Willsdorff (Bruno Cremer) verkörpert den baroudeur. Willsdorff ist der Mann der verlorenen Kriege. Als Elsässer kämpfte er malgré lui während des Zweiten Weltkriegs auf der Seite Hitlerdeutschlands in Russland30. Willsdorff erlebt den Krieg als ein Ereignis, auf das er keinen Einfluss hat. Der adjudant liebt Indochina, doch sein Traum, sich eines Tages mit einer indigenen Frau am Ufer des Mekong in einer Hütte niederzulassen, wird sich nicht erfüllen. Die over-Stimme des Kommentars greift am Schluss des Films auf seinen Tod voraus: »Le 7 décembre 1960, l’adjudant

Argotausdruck für Soldat, abwertend (vgl. Petit Robert. Dictionnaire de la langue francaise) 29 Unter diesen jungen Offizieren befindet auch der einzige Sohn des Generals de Lattre, Bernard, der mit 23 Jahren in Indochina stirbt. 30 Im Jahr 1942 beruft Hitler alle Elsässer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren zum Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht ein. Hitler betrachtete das Elsass nicht als besetztes Gebiet, sondern als integralen Bestandteil des Deutschen Reiches. Als malgré nous werden später jene 380.000 Männer bezeichnet, die auf Seiten Deutschlands kämpfen.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. Willsdorff sera tué lors d’un accrochage dans le djebel Amour, Algérie.« Perrin (Manuel Zarzo) ist eine tête brûlée, der Prototyp des freiwilligen Indochina-Kämpfers. Für ihn ist dieser Krieg ein Abenteuer, das es zu erleben gilt. Er weigert sich, die Haare zu schneiden, schießt auf den Feind, auch wenn er dazu keinen Befehl erhalten hat – er ist nach Roudiers Tod für den Radioempfang verantwortlich –, raucht die Wasserpfeife seiner laotischen Kameraden und amüsiert sich bei Geschicklichkeitsspielen selbst dann, als einer der Verwundeten im Sterben liegt. Die Charakterisierung seiner Figur lässt darauf schließen, dass er einer jener sozial Benachteiligten ist, von denen sich so viele unter den Freiwilligen befinden. »Il faudrait qu’on nous ait dit auparavant combien de chômeurs du textile du Nord figuraient alors parmi les ›engagés‹ dans le corps expéditionnaire, et combien de garçons de vingt ans, de dix-huit ans qui, traduits devant un tribunal pour une vétille, avaient été amenés à s’engager pour ›se racheter‹, pour éviter une condamnation trop lourde, combien de pauvres gosses dont l’existence avait été ratée, pour difficulté familiale, pour ne pas pouvoir supporter la tutelle abusive d’une famille mal équilibrée, pour avoir cédé aux promesses fallacieuses de l’armée.« (Cervoni 1965)

Der sergent Roudier (Pierre Fabre) wird gleich zu Anfang des Films verwundet und stirbt mangels medizinischer Versorgung, als sich die Truppe über Nacht in einem Dorf einquartiert. Seine letzten Erinnerungen gelten den Polizisten, die ihn bei der Abfahrt in Marseille vor den gegen den Indochinakrieg demonstrierenden Hafenarbeitern geschützt haben. Die Soldaten werden nicht als Helden gezeichnet, selbst wenn sie fern der Heimat für die Heimat ihr Leben lassen. Willsdorff kämpfte auf der Seite der Deutschen, Perrin ist ein Hitzkopf und Torrens erinnert an einen Pfadfinder, der Indianer spielt und von dem Krieg, den er führen muss, keine Ahnung hat.

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Cinéma Indochina

La 317e section: Militärische Brüderlichkeit Selbst wenn der Zuschauer über die laotischen Ergänzungssoldaten ungleich weniger erfährt als über die französischen Soldaten, herrscht in Schoendoerffers Erzählung militärische Brüderlichkeit, innerhalb der die Soldaten gleichberechtigt sind. Selbst kurz vor seinem Tod erhält ein Ergänzungssoldat noch eine Morphiumspritze, wenn auch die medizinischen Vorräte knapp sind. Die meisten Ergänzungssoldaten bleiben namenlos, nur einige werden durch ihre Vornamen individualisiert. Schoendoerffer scheint sich dem Code der imperialen Dominanz bewusst, die dieser Namenlosigkeit innewohnt und lässt diese im Film nicht unkommentiert. Mit »Thit Peng foutu« kommentiert Ty den Tod eines laotischen Ergänzungssoldaten, der bei der Überquerung eines Flusses mitgerissen wird. »Ah, il s’appelait Thit Peng…«, bemerkt Torrens nach kurzem Überlegen erstaunt. Auch die laotischen Ergänzungssoldaten werden mit distinktiven Merkmalen ausgestattet. Einige haben eine besondere Verbindung zu einem der französischen Soldaten, darunter Ba Kut, der sergent Willsdorffs und Ba Phalong, der Freund Roudiers, oder besitzen eine außergewöhnliche Fähigkeit wie der caporal Ty, der mit freiem Auge das sieht, was den französischen Soldaten selbst mit dem Fernrohr verborgen bleibt. In der Charakterisierung des Ty verweist der Film auch auf ein Element der gemeinsamen Geschichte der französischen und der laotischen Soldaten. Ty trägt wie Willsdorff ein weißes Tuch um den Hals und raucht Zigaretten, die er sich – wie Willsdorff – mit dem Zippo-Feuerzeug anzündet. Wie Willsdorff während des Zweiten Weltkriegs ist auch Ty während des Kolonialkriegs zum Kampf auf der Seite des Feindes eingesetzt. Am Beispiel des Vietnamkriegsfilms Platoon (Oliver Stone, 1986) stellt Diestelmeyer confusion (Verwirrung) als das zentrale Erken-

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. nungszeichen des Vietnamkriegs vor, welches inhaltlich über die Orientierungsprobleme und Ohnmachtserfahrung der im Einsatz befindlichen Soldaten und filmsprachlich über eine überforderte Kamera wiedergegeben wird, die keinen Überblick über das Kriegsgeschehen gewinnen kann. Mehrmals wurde bereits auf den Einfluss des europäischen Kinos und speziell der Nouvelle Vague auf Oliver Stones Arbeit hingewiesen (vgl. u.a. Mac Donald 2001, S. 112). Für die inhaltliche und formale Umsetzung der Vietnamkriegsrealität in Platoon scheint Stone an Pierre Schoendoerffers Kriegsverarbeitung im Stil der Nouvelle Vague Anleihen zu nehmen. Bereits Stones Filmtitel Platoon schließt an die Filmarbeiten des französischen Regisseurs La 317e section und La section Anderson an. Auch seine Aufnahmetechnik im Stil des cinéma verité, die Wahl des Schauplatzes vor Ort – Stone versuchte mit seiner Crew den Kriegszustand in Vietnam körperlich nachzuerleben – und sein Anspruch auf die Augenzeugenschaft einer Kriegsrealität machen den Einfluss von Schoendoerffer auf das mehr als zwanzig Jahre jüngere Werk wahrscheinlich.31 Als Schoendoerffers Film in die Säle kommt, interessiert sich Hollywood nur peripher für den französischen Krieg in Indochina, auch die filmischen Repräsentationen des Vietnamkriegs stehen erst in ihren Anfängen (Stora 1997, S. 126-134; 146-161). Auch in Frankreich findet sich der französische Kolonialkrieg noch verdrängt im historischen Bewusstsein der französischen Bevölkerung. Durch die Einbeziehung zahlreicher Muster des klassischen Kriegsfilms wird der Kolonialkrieg in Indochina als ›richtiger‹ Krieg präsentiert. Diese Darstellung steht nicht nur in starkem Kontrast zu der euphemistischen Bezeichnung des Krieges als question indochinoise, unter welchem er in der französischen Innenpolitik gehandelt wird, sondern auch zu den intimistischen Verarbeitungen des Algerienkrieges. Schoendoerffer beruft sich dabei vorwiegend auf jene filmischen Kriegsverarbeitungen amerikanischer Tradition, die ebenso ihren exemplarischen Ort im (Studio-)Dschungel – dem des Pazifikkriegs oder des Koreakriegs – haben.32 Auch hinsichtlich der Dra31 Auch der ausführliche und außerordentlich fundierte Eintrag zu Schoendoerffer in der englischsprachigen Version von Wikipedia erwähnt diese Gemeinsamkeiten. Er stellt zusätzlich intramediale Verweise auf Schoendoerffers Filme in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now Redux (1979/2001) fest, in dem Aurore Clément, die zuvor in Le Crabe-tambour zu sehen war, die Rolle einer französischen Kolonialistin übernimmt, sowie auf das von Coppola übernommene Zitat aus La 317e section »the White leaves but the Yellow stays«. http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Schoendoerffer vom 18. 08. 2008. 32 Aus dem World War II combat movie Objective, Burma! (1945) von Ra-

oul Walsh entlehnt Schoendoerffer die Situation, in welcher seine Hel-

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Cinéma Indochina maturgie situiert sich La 317e section in der Tradition der amerikanischen Kriegskinematographie, indem der Film auf der Handlungsebene die für den US-Kriegsfilm typischen »Transformationsstufen des Körperbilds einer männlichen Subjektivität« nachzeichnet (Kappelhoff 2005). »Die erste Stufe stellt sich als Initiationsritus dar, die Passage des Individuums vom Kind zum Träger des Symbols vollgültiger Subjektmacht, der Männlichkeit. Die zweite Stufe bezeichnet eben dieses Phantasma uneingeschränkter Subjektmächtigkeit; die dritte Stufe zeigt die Umkehr dieses Verhältnisses: die Erfahrung der Ohnmacht und des Ichverlusts.« (Kappelhoff 2005)

Doch für die transparenten Zeichen des Krieges übernimmt Schoendoerffer seine Anleihen nicht nur aus intramedialen Verweisen auf amerikanische Kriegsfilmtraditionen. Beim Versuch, Kontakt mit dem Posten Tao Tsai aufzunehmen, interferiert im Radio ein englischer Sender. Das Zitat aus Macbeth »Come, come, come, give me your hand. What’s done cannot be undone« verweist nicht nur thematisch auf das Drama Shakespeares um Ehrgeiz und Ver-

den den Krieg vorfinden. Auch in Walshs Film irrt eine Einheit im Dschungel Asiens (Birma) umher. In Samuel Fullers Rückblick auf den Pazifikkrieg in Merrill’s Marauders (1962) wird der Dschungel feindselig und eigendynamisch, Elemente die auch Schoendoerffer für seine Landschaftsdarstellung übernimmt (vgl. für eine Darstellung der Landschaften im US-amerikanischen Kriegsfilm Robnik 2006, S. 136-142). Auf Anthony Manns Koreakriegsverarbeitung Men in War (1956) bezieht sich Schoendoerffer in der Charakterisierung der beiden Protagonisten Willsdorff und Torrens. Zwar ist die Autoritätsfrage zwischen einem kürzlich einberufenen Offizier und einem erfahrenen Unteroffizier ein klassisches Muster des Kriegsfilms, doch die intramedialen Verweise auf Manns Film sind eindeutig in das Drehbuch eingeschrieben. Wie beim Anblick des brennenden Postens Tao Tsai der Unteroffizier Willsdorf seinem Offizier Torrens die Zigarette anzündet, gibt auch Sergent Montana in Manns Film seinem Offizier Benson, mit dem er während des Marsches Konflikte hatte, Feuer. Eindeutig wird der Verweis auf Manns Film in der Replik Torrens auf die Geste Willsdorffs, unter Roudiers Leichnam eine Granate zu verstecken. »Vous avez raison Willsdorff, vous avez toujours raison«. Benson antwortet Montana in der französischen Synchronfassung auf die gleiche Weise: »Tu as raison Montana, tu as toujours raison« (vgl. Gabaston 2005, S. 79f.). La 317e section verweist auch auf Michael Curtiz’ Filmtitel The Charge of the Light Brigade (1936), den Torrens vor einer Attacke als Schlachtruf zitiert. Doch seine Anleihen nimmt Schoendoerffer nicht nur aus der amerikanischen Kriegsfilmtradition. Auch in Nobi (Feux dans la pleine, 1959) des japanischen Regisseurs Kon Ichikawa Tchikawa verliert sich eine japanische Truppe im philippinischen Dschungel.

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. rat, sondern auch auf Throne of Blood (1957), die Verfilmung dieses Stoffes durch Akira Kurosawa, einem von Schoendoerffer sehr geschätzten Regisseur (vgl. Mihail/Silber 2004). Auch in der Referenz auf Godards À bout de souffle am Schluss des Films, als der schwer verletzt am Boden liegende Torrens »C’est dégueulasse« wimmert, zollt Schoendoerffer einerseits einem filmischen Monument der Nouvelle Vague Hommage und verweist andererseits auf ein transparentes Zeichen des Indochinakrieges. In seinen Verweisen auf Shakespeares Macbeth sowie auf Jean-Luc Godards À bout de souffle wählt Schoendoerffer Stoffe aus, die um das Thema ›Verrat‹ kreisen, ein Gefühl, das viele Soldaten aus Indochina im Anschluss an den verlorenen Krieg teilen. Schoendoerffers intramediale Verweise stammen aus der japanischen, der amerikanischen und der französischen Filmgeschichte. Ihre Funktion in diesem Film als persönliche kinematographische Präferenzen des Filmemachers zu betrachten, würde ihnen allerdings nur unzureichend gerecht werden. Liest man Schoendoerffers Film als self-narrativization, wie dies die Analyse der Arbeit eines transnationalen Filmemachers nahelegt, stehen diese filmischen Referenzen als Metaphern für Japan, die USA und Frankreich in Indochina, die nicht nur die Geschichte des Landes durch ihre militärische Anwesenheit prägen, sondern auch die Muster der filmischen Kriegsdarstellung dieses Landes übernehmen werden. Sie spiegeln Indochina auch als Land, das von der politischen Rivalität der Großmächte dominiert ist, ein Motiv für die Kolonialisierung, das der klassische Kolonialfilm in der Regel zugunsten ihres missionarischen Charakters ausspart (vgl. Eades 2006, S. 139).

Wanderung als Filmhandlung: Geographie phie der Auflösung die Geogra Laut de Certaus Definition von Erzählung als eine Arbeit, »qui incessament, transforme des lieux en espaces ou des espaces en lieux«, besteht eine Erzählung letztlich aus Bewegung, in der der durch »Gehen« (»aller (ce sont les actions spatialisantes)«) charakterisierte Raum in durch die Karte repräsentiertes »Sehen« (»voir (c’est la connaissance d’un ordre des lieux)«), übergeführt wird und umgekehrt (de Certeau 1980, S. 210f.). Schoendoerffer konstruiert die Handlung seines Films auf einem ständigen Ortswechsel im Dschungel, der von keiner sekundären Handlung abgelöst wird. Dennoch wird die von der 317. Sektion zurückgelegte Wegstrecke nicht Erzählung im Sinne de Certeaus, da das Gehen der Truppe durch den Dschungel nie in ein Sehen mündet bzw. dem Gehen nie ein Sehen vorausgeht. Während die Fokalisierungsinstanz der Erin-

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Cinéma Indochina nerungserzählung Indochina als einen stabilen Ort der Erinnerung markiert, ist die Fokalisierungsinstanz der als flashback angelegten ›Traumaerzählung‹ nicht in der Lage, die Kolonie als eindeutigen, stabilen Ort zu betrachten. Sie folgt dem Blick der Soldaten, für die der Dschungel ein sich verändernder, mehrdeutiger Raum bleibt. Mieke Bal hat darauf hingewiesen, dass sowohl auf der Ebene der Erzählung (story) als auch auf der des Erzählens (text) ein traumatisches Ereignis reflektiert werden kann: in der Erzählung »the subject cannot shape a story«, im Erzählen »the subject ›lacks words‹« (Bal ²1997, S. 147). Bereits der Posten Luang Ba, von dem aus die Soldaten ihren Marsch nach Tao Tsai antreten, wird nicht als stabiler Ort repräsentiert. Der Einzug der Fahne, die Zerstörung der Radioinstallationen, das Glas Pastis, das Willsdorff als Geste des Aufbruchs an der Wand zerschlägt sowie die (unsichtbare) Bedrohung, die den Posten umgibt, funktionalisiert Luang Ba als Ort der identitären Auflösung. »Il n’inscrit pas un moi, pourrait-on dire, affirmé, bien défini, qui inscrit les personnages dans une tradition, un héritage, un lieu qui auraient façonné leur identité, enraciné leur réalité psychique et sociale« (Gabaston 2005, S. 55). Nur der Kühlschrank – ein Geschenk der Frau des Generals de Lattre für die Weihnachtsfeier der Soldaten –, den die Sektion schon bald zurücklassen muss, stellt das letzte Objekt einer verlorenen Heimat dar. Von nun an gibt es keine befestigte Anlage mehr, der Außenraum übernimmt die Funktion eines ungeschützten Raumes (vgl. Bal ²1997, S. 137). Die Sektion kann sich nirgendwo mehr niederlassen, die Zivilisten flüchten aus Angst vor Repressionsschlägen der Viet Minh aus ihren Dörfern oder verweigern ihnen ein Quartier. Der Dschungel wird zu einem Labyrinth, in dem die Soldaten gezwungen sind, herumzuirren. Sie verlieren jeglichen zeitlichen und räumlichen Überblick über die Lage, wie folgendes Gespräch zwischen Torrens und seinen Untergebenen wiedergibt. »Torrens: On a pas pal marché, hein? Perrin: Peut-être 500 mètres, 600 à tout casser. Torrens: Ty, qu’est-ce que vous en pensez? Ty: Pas beaucoup marché, chef.«

Selbst für den Piloten Delpierre ist ihre räumliche Lage nicht feststellbar. Er wirft die für die Sektion bestimmte Ration zunächst im Gebiet des Feindes ab. Auch durch ihren Tod können die französischen Soldaten diesen Raum nicht als stabilen Ort aufladen. Ein Ort entsteht laut de Certeau auch durch die Anwesenheit von etwas Totem, durch einen reglosen Körper, der die Gestalt eines Grabes anzunehmen scheint

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. (vgl. de Certeau 1980, S. 209f). In Schoendoerffers Film wird nur für die laotischen Ergänzungssoldaten Indochina auch zu einer Grabesstätte. Die Kameraden heben für Ba Phalong ein Grab aus und beerdigen ihn im Rahmen einer kurzen Zeremonie, der Fluss reißt Thit Peng mit und wird für ihn zur Grabesstätte. Roudiers und Torrens’ tote Körper werden hingegen durch eine Granate aufgelöst und markieren die Kolonie nicht durch ihre Anwesenheit. Der als Zielort formulierte Posten Tao Tsai ist bereits zerstört, als ihn die Soldaten erreichen. Von einem Hügel aus erblickt die Truppe Tao Tsai als in Rauch aufgehende Ruine. Während Torrens noch an die Ortsgebung der Kolonialmacht glaubt und die Fortführung der Wanderung nach Kratié, einer Stadt am Mekong, vorschlägt, haben sich Willsdorff und Ty bereits mit der Auflösung der kolonialen Strukturen abgefunden und bevorzugen mit dem Stamm der Moï den indigenen Raum als Rückzugsort.33 Auffällig ist in Schoendoerffers Film auch das Fehlen von Karten, die im klassischen Kriegsfilm die Aufgabe besitzen, einen referentiellen Bezug zu einer historischen Ereignisrealität herzustellen und ein militärisches ›Weltbild‹ zu zeichnen, »eine entsprechend Logik und Logistik paradigmatisch gerichtete Kampfhandlung mit klarem Ziel, deren deutlichster Ausdruck eben diese Karte ist« (Brunken 2005). Für Brunken ist die Karte das Symbol für den Krieg auf dem Papier, der von der militärischen Führungsebene kommandiert wird, während die Wanderung den wirklichen Krieg repräsentiert, der von den Soldaten durchgeführt wird. »Das Verhältnis der Wegstrecke zur Karte, der Taktik im ortlosen Dschungel zur Strategie der virtuellen Kartenorte, der herumirrenden Soldaten zum Machtwissen der Kriegsmaschine, die sie entsandt hat und von der sie ein Teil sind, wird zu einer Abhandlung über Opferbereitschaft, Vertrauen, Glauben und Identifizierung des soldatischen Körpers mit dem techno-logischen Militärapparat, zu einer Frage der soldatischen Loyalität.« (Brunken 2005)

In Schoendoerffers Film ist die Absenz von Orten und die Dominanz des Raums ein ideologisches Motiv, das nicht nur an den Indochinakrieg als einen vom klimatisierten Hauptquartier der Generäle in Saigon geführten Krieg erinnert, der für die Soldaten undurch-

33 Hier folgt Willsdorf dem Vorschlag Perkens, dem dänisch-deutschen Abenteurer aus André Malraux’ La Voie royale. Bereits die Charakterisierung beider Protagonisten Torrens und Willsdorf erinnert an Malraux’ Romanfiguren Claude Vannec und Perken. Der junge und ehrgeizige Offizier Torrens spiegelt den ebenso skizzierten Archäologen Claude Vannec wieder, während Perken in dem Elsässer Willsdorff seine Entsprechung findet. Wie um Perken ranken sich auch um Willsdorff Legenden, die aus dieser Figur den Prototyp des Abenteurers machen.

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Cinéma Indochina schaubar ist, sondern auch auf den Niedergang des visuellen Regimes der Kolonialmacht verweist und die totale Niederlage symbolisiert. Die Dominanz der Bewegung macht die kartographische panoptische Präsenz der Kolonialmacht rückgängig, die nach und nach in ihren bildlichen Darstellungen der Kolonien die Praktiken der Bewegung eliminiert hatte, die der Zeichnung dieser Karten vorausgegangen sind. »La carte, scène totalisante où des éléments d’origine disparate sont rassemblés pour former le tableau d’un ›état‹ du savoir géographique, rejette dans son avant ou son après, comme dans les coulisses, les opérations dont elle est l’effet ou la possibilité. Elle demeure seule. Les descripteurs de parcours ont disparu.« (de Certeau 1980, S. 214)

Die körperliche Bewegung der Soldaten macht sie nun zu einem Teil des Raumes und vermittelt ihr Eingebundensein in diesen Raum, reflektiert allerdings auch ihren fehlenden Überblick über diesen Raum sowie über die Kriegslage. Die von den Soldaten zurückgelegte Wegstrecke erzählt vom Scheitern der kolonialen Siedlungserfahrung. Die Besiedelung des Landes ist für das Kolonialkorps nicht nur problematisch, sie wird unmöglich. Der Fall des Kolonialreichs repräsentiert sich als Auflösung jeglicher materieller Spuren. Auch die Sprache der Soldaten reflektiert diese Auflösung. Auf der Ebene der gesprochenen Dialoge dominieren Ausdrücke, deren Register und Semantik den Rückzug ankündigen. Sowohl die französischen wie auch die Ergänzungsoldaten sprechen im argot (»foutre le camp«, »la trouille«, »la chiasse«). Auch der von Torrens anfänglich verwendete Militärjargon wird nach und nach durch die saloppe Sprache seiner Kameraden abgelöst (»Les distances, bon Dieu, les distances!«).

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a.

La 317e section: Willsdorff, Perrin und Torrens Während das koloniale Blickregime durch die Auflösung der Orte in La 317e section als gescheitert betrachtet wird, funktionalisiert ein Stimmregime den Raum als »unité polyvalente de programmes conflictuels« (de Certeau 1980, S. 208). In einer Zeit, in der die synchrone Tonaufnahme technisch bereits möglich ist – allerdings nicht mit der Caméflex-Kamera – wird durch die Postsynchronisation in La 317e section durch den Einsatz entmaterialisierter Stimmen die Routine des Sehens aufgelöst. Die Erzählinstanz ergänzt die Synchronstimmen der Darsteller um weitere Stimmen und führt so zusätzliche Identitäten in die Erzählung ein, die sich auch am Erzählen des Konflikts beteiligen. Diese entmaterialisierten Stimmen aus dem off, die Michel Chion als »acousmêtre« und Bal als »Stimme aus dem Nichts« in die (filmische) Narratologie eingeführt haben, fungieren als Chiffren der Selbst-Autorisation bzw. der Selbst-Inthronisation, wenn sie »für jemanden sprechen« (vgl. Wagner 2006, S. 148). Allerdings besitzt ein fiktionaler Text auch die Möglichkeit, diese Stimme als mediales Phänomen einzuschreiben, das situiert ist, durch das sich also jemand für das Gesprochene verantwortlich zeichnet. In diesem Fall bleibt »ihr Dispositiv für die Leser erkennbar [bleibt], dass sie als mediales Phänomen wahrgenommen werden können und somit das Phänomen der Repräsentation-als-Vertretung im Modus des Erzählens thematisiert wird« (Wagner 2006, S. 148). In La 317e section schreiben sich fünf Körper(schaften) – die over-Stimme des Kommentars, die Stimme des Feindes, die Stimme der Radiosprecherin, die Hörspielstimme aus Macbeth sowie die Stimme des Piloten Delpierre – allein mittels ihrer Stimme in die Erzählung ein. Die objektive, allwissende Kommentarstimme ist extra-

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Cinéma Indochina diegetisch. Doch die Erzählinstanz gesteht der Kommentarstimme nicht die anmaßende Haltung zu, aus einer ›unsichtbaren‹ Perspektive zu erzählen. Als Stimme aus der Erzähltradition des Militärs ist sie nicht nur ein Index der Repräsentation, sondern auch ein metaphorischer Träger der narrativen Äußerung. Sie ist ein »mediales Sprachrohr«, das für die Erzählung einer Gruppe verantwortlich zeichnet, die selbst keine Stimme mehr besitzt (Wagner 2006, S. 148). Auf die Gefahr, die vom Feind ausgeht, verweist die Äußerungsinstanz ebenfalls durch eine körperlose Stimme, deren kulturelles Geschlecht durch eine männliche Stimme und eine durch den starken Akzent beinahe unverständliche Sprache markiert ist.34 Kaja Silvermans für die feministische Filmanalyse vorgestellte These, dass eine Frau dann besonders gefährlich ist, wenn sie sichtbar, aber nicht hörbar ist, ist auch für die Stimme des Feindes gültig. Die Gefahr, die vom Feind ausgeht, wird nicht nur durch seine körperlose Stimme betont, sondern auch durch den Blick, welchen dieser auf die französische Truppe besitzt, während er selbst für die Soldaten des Expeditionskorps unsichtbar bleibt. Indem die Erzählinstanz dem Feind sowohl eine Blick- als auch eine Stimmmächtigkeit einräumt, gesteht sie diesem die Position eines ebenbürtigen wenn nicht sogar überlegenen Gegners zu. In La 317e section ist die Unsichtbarkeit des Feindes im Dschungel nicht orientalisiert und rassistisch im Sinne von ›Hinterlist‹ gefasst. Die Truppe konnotiert den Anderen nicht negativ, sie zollt ihm als Gegner Respekt. »C’est degeulasse« meint Torrens resigniert, kurz bevor er seiner tödlichen Verletzung erliegt. Doch Willsdorf bleibt pragmatisch: »Qu’est-ce que ça veut dire: dégueulasse... c’est la guerre, ils savent la faire, les fumiers, chapeau!« Frauen als Handlungsträgerinnen existieren in Schoendoerffers Film kaum, sie gehören einer Welt außerhalb des Krieges an. Auch die weibliche Stimme der Nachrichtensprecherin des Radio-FranceAsie vermittelt durch ihre geschlechtliche Einschreibung eine Funktion, die sich außerhalb der von den männlichen Soldaten erlebten Ereignisse ansiedelt. Sie ist jedoch nicht nur der Index eines weiblichen Subjektes, sondern auch jener der Öffentlichkeit und der offiziellen Geschichtsschreibung, deren abstrakte Wahrnehmung eines Kriegsereignisses im starken Kontrast zu der konkreten Erfahrung der Soldaten steht. Als Roudier in der Nacht auf den 7. Mai in ei34 Die Rufe des Feindes in den Dschungel stellen das Vertrauen der Truppe auf eine Probe: »Frères Cambodgiens, rendez-vous. Frères Cambodgiens, tuez les Français et venez avec nous. Si vous restez avec les Français on vous tuera tous!« Bedrohlich wirkt die Aufforderung des vermeintlich allwissenden Feindes: »Soldats français, soldats français de Lima Bravo, vous êtes perdus, rendez-vous à l’Armée Démocratique du Viêt-Nam, vos blessés seront soignés comme les nôtres, cessez cette guerre ...«

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Kolonialkriegsfilme – Pierre Schoendoerffer u.a. nem Dorf seinen Verletzungen erliegt, scheinen die Nachrichten von Radio-France-Asie bereits auf seine Geschichte vorauszugreifen: Roudier wird ein weiterer unbekannter Soldat sein. »[...] sanglants se déroulent sur les collines à l’est de Diên Biên Phu où nos unités parachutistes se maintiennent au prix de lourdes pertes. [...] Le poste de Tao Tsai encerclé depuis deux jours tient toujours [...] Nouvelles du Monde. [...] Paris. Le neuvième anniversaire de la capitulation allemande sera marqué par un important défilé militaire aux Champs-Élysées. Le président de la République et les membres du gouvernement se rendront à l’Arc de triomphe déposer une gerbe sur la tombe du Soldat inconnu. Londres. Roger Bannister a battu hier à Oxford le record du monde du mile. Il a parcouru la distance en trois minutes cinquante neuf secondes... «

Die voice over des Piloten Delpierre vermittelt die Sicht auf die Truppe von außen. Er ist einer von ihnen, doch seine Position als Pilot, dessen distanzierter Blick von oben seine Kriegserfahrung bestimmt, schreibt ihn außerhalb der Erfahrungen der Sektion ein. Auch ist seine Erfahrung des Raumes Indochina noch kolonial sterotypisisert. Er trinkt Cognac chez Pellegrin in Luang Prabang und seine Erinnerung an die Tigerjagd ist lebendig. Die Hörspielstimme, vermutlich von einem englischen Radiosender aus Hongkong stammend, erinnert an die gemeinsame Geschichte zweier kolonialer Großmächte in Südostasien. »What’s done cannot be undone« verweist auf den Verlust der Kolonie als eine logische Konsequenz der Kolonisierung, auf eine zum Scheitern verurteilte, fehlgeschlagene Kolonialpolitik, der England bereits 1947 mit der Dekolonisierung Indiens ein Ende bereitet hat.

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DER VIETNAMKRIEG, MITTEN IN PARIS – NOUVELLES VAGUES

Lyndon Johnson told the nation »Have no fear of escalation I am trying everyone to please Though it istn’t really war We’re sending fifty thousand more To help save Vietnam from Vietnamese.« Tom Paxton: Lyndon Johnson Told The Nation Text und Musik: Tom Paxton

Loin du Vietnam – Der Vietnamkrieg erschüttert Paris Der Filmhistoriker Jean-Pierre Jeancolas unterscheidet innerhalb der Filme, die die Kriegssituationen in Vietnam begleiten und begleitet haben, zwei mögliche Kriegsfilmtypen. La 317e section entspricht dem »Kino der Erläuterung« (cinéma d’élucidation). Es kristallisiert sich nach Kriegsende heraus und beschäftigt sich auf mehr oder weniger kommerzieller Ebene mit dem Krieg als Ereignis und als persönlicher Erfahrung. Im Gegensatz dazu setzt sich das »Kino der Intervention« (cinéma d’intervention) mit einem gleichzeitig stattfindenden Krieg auseinander und vermittelt die sozial-politische Botschaft »Stop the war«. Diese filmische Verarbeitung bedarf sofortiger Ausstrahlung, um als Beitrag im zeitgenössischen Kriegsdiskurs wahrgenommen und debattiert zu werden. Für die Realisierung dieser Arbeiten zeichnen häufig nicht-kommerzielle Initiativen oder individuelle Kunstschaffende verantwortlich. Dies macht auch den Zugang zu diesen Filmdokumenten schwierig. Die untypischen Produktions- und Diffusionsprozesse lassen Aufspürungsversuche oft im Nichts enden, da viele dieser kulturellen Institutionen heute nicht mehr existieren und ihre Arbeiten auch nur unzulänglich dokumentiert sind (vgl. Jeancolas 2004). Laurent Veray, einem Filmwissenschaftler der Université Paris XNanterre, ist es zu verdanken, den Experimentalfilm Loin du Viet-

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Cinéma Indochina nam (1967) anlässlich eines Kolloquiums zum cinéma militant1 aus seiner Randstellung herausgeholt zu haben und in einer Veröffentlichung in der Reihe der Cahiers de Paris Expérimental eine Analyse der Konzeption, der Bedeutung und der Produktions- und Diffusionsweise dieses Films vorzustellen (vgl. Veray 2004). Verays Recherchearbeit wurde zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung zum Anlass, den Film nach langem wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen und zu diskutieren. Mehrere Filmvorführungen und Diskussionen mit dem Autor finden zu Ende des Jahres 2004 in Paris statt. Tatsächlich ist Loin du Vietnam nicht nur ein Dokument des französischen Protests gegen den US-amerikanischen Vietnamkrieg, sondern auch ein Film für Cinephile. Berühmte Namen der Filmgeschichte zeichnen die Beiträge dieses im Genre des Episodenfilms (film à sketches) der 60er Jahre gestalteten »Omnibus-Agitationsessays« (Drehli Robnik 2006, S. 146). Im Jahr 1966 versammelt sich eine große Zahl von Filmschaffenden unentgeltlich um das von Chris Marker organisierte Filmprojekt, um ihrer Ablehnung des USamerikanischen Vietnamkrieges innerhalb einer kollektiven Form des Protests eine Stimme zu verleihen. Die Beteiligung der USA am Krieg in Indochina hatte während des Jahres 1952 begonnen, 1954 finanzierten sie bereits zu 80% den französischen Kolonialkrieg. Während sich die Intervention der USA von 1954 bis 1964 auf Geheimdienstoperationen, militärische Ausrüstung und Ausbildung der Bevölkerung Südvietnams beschränkt, beginnt unter Präsident Johnson im August 1964 die offizielle US-amerikanische Militärintervention. 64 Prozent der Amerikaner unterstützen zu diesem Zeitpunkt den Truppeneinsatz in Vietnam. Ausgehend von Demonstrationen an US-amerikanischen Universitäten gewinnt der Protest gegen den Krieg zunehmend an Bedeutung. Im April 1967 demonstrieren 200.000 Menschen in den Straßen New Yorks und San Franciscos. Diese – vor allem jugendliche – Protestbewegung dehnt sich schließlich auch auf Japan und Westeuropa aus. »L’étincelle est venue des sit-in américains au printemps 1965, trois universitaires ont traversé l’Atlantique pour faire connaître leur mouvement. Ils ont aussitôt trouvé ici l’appui d’intellectuels comme Laurent Schwartz, le mathématicien, Kastler, le physicien prix Nobel, Ricœur, Vladimir Jankelevitch, qui appuyés par Sartre, ont entraîné des communistes membres du Comité central: Aragon et Garaudy. Ils avaient derrière eux un courant d’étudiants et un important collectif intersyndical universitaire pour la paix au Vietnam, où se regroupaient beaucoup de tendances.« (Dominique Desanti in Le Monde am 25. Januar 1973, zit. nach Férier 1993, S. 99)

1

Colloque international: Pour une histoire critique du spectacle militant. Théâtre et cinéma militant (1966-1980), du 21 au 24 mai 2003.

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues Die Situation in Vietnam wird auch für die französischen Studenten und Intellektuellen, die Träger der 68er-Bewegung, »un dénominateur commun de la contestation« (ebd.). Alain Resnais, Jean-Luc Godard, William Klein, Claude Lelouch, Agnès Varda, Joris Ivens und Michèle Ray sind nur einige der Filmemacher, deren im Laufe des Jahres 1967 gedrehte Arbeiten von bis zu 200 Technikern, Kameraleuten, Toningenieuren und Cuttern zu einem 115 Minuten dauernden Film montiert werden.2 Der Vorspann stellt die Intention der Filmemacher vor, nämlich mit dem Film ihre »solidarité avec le peuple vietnamien en lutte contre l’agression« zu zeigen. Jeder Teil des Films wird unabhängig von einem der Filmschaffenden gestaltet, beruht jedoch auf einer gemeinsamen Reflexion der Situation. Die Überflutung der Gesellschaft mit Fernsehbildern aus dem Krieg, die gleichzeitig das Verständnis der Ereignisse verhindert, ist ein Ausgangspunkt der Überlegungen des Kollektivs. Das leitende Prinzip der Filmproduktion basiert dabei auf einem von den teilnehmenden Filmschaffenden entwickelten Vokabular des Krieges, dessen nicht eindeutige Schlüsselwörter wie ›Unabhängigkeit‹, ›Verhandlungen‹, ›Bewusstsein‹, ›Vietcong‹, ›Amerikaner‹, ›Krieg des Volks‹, ›Kriegsverbrechen‹ zunächst diskutiert, um schließlich in den Arbeiten definiert und mittels Bild und Ton kommentiert zu werden (vgl. zu diesem Vocabulaire Veray 2004, S. 60ff.). Bereits diese Konzeption des Films diskutiert die klassischen Werte des Dokumentarfilms. Nicht nur inhaltlich, sondern auch filmsprachlich verweist diese Arbeit auf die gesellschaftlichen Umwälzungen des Jahres 1968. Auch hinsichtlich der Produktionsbedingungen wählt der Film einen Weg abseits der großen Produktionsachsen. Für seine Umsetzung fordert er eine komplette Unabhängigkeit von kommerziellen Institutionen ein, um so hinsichtlich seiner ideologischen und ästhetischen Ausrichtung weitestgehende Freiheit zu besitzen. Das Kollektiv schließt sich für die Produktion und Distribution ihrer Arbeit der Kooperative SOFRACIMA (Societé Franco-Africaine de Cinéma) an, die sich um die Subventions- und Distributionspolitik des Films kümmern wird (Veray 2004, S. 26f.). Angesichts der französischen Außenpolitik jener Zeit – Charles de Gaulle hatte sich in seiner Rede von Phnom Penh (1966) vehement gegen die amerikanische Hegemonie und die Intervention der USA in Südostasien aus-

2

Loin du Vietnam ist nicht der erste französische Film gegen den Krieg. Vorläufer des cinéma militant setzten sich bereits mit Dekolonialisierungskonflikten in Algerien und Indochina auseinander, jedoch waren die meisten dieser Filme aufgrund der Zensur nur einem kleinen, militanten Publikum zugänglich. Erst durch den Vietnamkrieg der USA entwickelt sich der Film als das Medium des Protestes gegen den Krieg.

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Cinéma Indochina gesprochen – verhält sich auch die Zensur gegenüber dem Film nachsichtig, nur wenige Textstellen müssen entfernt werden. Neben der Ästhetik der einzelnen Filme, die verschiedene Darstellungs- und Interpretationsmöglichkeiten der Kriegsrealität vorstellen und dabei Gegenwart und Vergangenheit, Dokumentarfilm und Fiktion, cinéma direct und subjektive Interpretation, Archiv und Reportage, 16mm und 35mm, Farbe und schwarz-weiß vermischen, ist die Geographie ein determinierender Faktor der Montage. Ein geographisches Schema stellt den Krieg und seine Auswirkungen an fünf verschiedenen Orten (Nordvietnam, Südvietnam, Kuba, USA, Paris) vor. Die elf Filmausschnitte reichen von einer Auseinandersetzung mit den Kriegsverhältnissen durch Aufnahmen aus Süd- und Nordvietnam (Joris Ivens, Michelle Ray), Pro- und Antikriegsdemonstrationen in den USA (William Klein) bis hin zu einer (fiktionalen) Inszenierung von gesellschaftlichen Stellungnahmen aus französischer Perspektive (Alain Resnais, Jean-Luc Godard) und einem im Originalton gesendeten Interview mit Fidel Castro (Roger Pic) über den Mechanismus des Guerillakriegs.

Filmplakat zu Loin du Vietnam Die sich aus den verschiedenen Beiträgen ergebenden Standpunkte werden von einer Erzählinstanz zu einer filmischen Erzählung montiert. Chris Marker »s’approprie et réagence des images tournées par d’autres, les soumettant à son sens critique, à son esthétique de la distance, dans le but de développer sa propre réflexion, de se remémorer l’histoire par rapport à lui même, à sa sensibilité« (Veray 2004, S. 4). Ein von diesem gestalteter Kommentar – gesprochen vom Schauspieler Maurice Garrel – und Inserts kontextualisieren und interpretieren die Aufnahmen. Der Film ist ein Beleg für Mar-

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues kers Glauben an die Möglichkeiten des Films als einflussreiches und mächtiges Medium, das hilft, die Welt genauer zu betrachten und Bilder aus den Medien ›richtig‹ zu interpretieren. In seiner Argumentation unterstützt er die Widerstandskämpfer von Südvietnam und greift den amerikanischen Imperialismus an, um so beim Zuschauer eine neue Perspektive auf den Konflikt zu erzeugen. Der Filmhistoriker und Spezialist des US-amerikanischen Kriegsfilms Drehli Robnik bezeichnet Loin du Vietnam als gegenhegemoniale Filmbearbeitung eines Konflikts, der bis dahin vorwiegend über ein bestimmtes »medienkulturelles Stereotyp eines Krieges kolonisiert« worden ist. In Robniks Untersuchung korrespondiert dem Vietnamkrieg in den meisten Kriegsfilmen aus Hollywood eine Landschaftsdarstellung in Form des Dschungels, die den Kriegsschauplatz als »Garten des Grauens« inszeniert. Loin du Vietnam besitzt als außerhalb Hollywoods entstandenes Filmdokument die außergewöhnliche Eigenschaft, andere Landschaften zu erschließen und dabei die Erinnerung ausgegrenzter, ungewohnter Kampf- und Lebensräume in sich zu vereinen (vgl. Robnik 2006, S. 146). Der Film beginnt mit einem Prolog, der inhaltlich und ästhetisch bereits die politische Aussage des Films vorwegnimmt. Es handelt sich um eine Parallelmontage von Bildern Claude Lelouchs der militärischen (Über-)Macht der USA – aufgenommen auf Flugzeugträgern der 7. Flotte – mit Aufnahmen von Joris Ivens, die vietnamesische Soldaten bei Tarnübungen zeigen. Diese Landschaftsdarstellung »entbehrt jeder Dämonie des prähistorischen Urwaldes oder unsichtbaren Feindes«, sondern transportiert »eine nüchterne Einstellung lang, eine andere Geschichtlichkeit und Sichtbarkeitspolitik« (ebd.). Diese von Drehli Robnik als »andere Sichtbarkeitspolitik« definierte Ästhetik ist wohl das zentrale Element, die prinzipielle Aussage des Films. Auch der Filmtitel Loin du Vietnam reflektiert diese veränderte Perspektive der beteiligten französischen Filmemacher. Sie trotzen der durch die US-Fernsehbilder3 suggerierten Nähe des Krieges und deren homogener und vermeintlich objektiver Repräsentation, die allerdings den Vietnamkrieg als »un produit spectacle« inszenieren (vgl. Stora 1997, S. 128). »La représentation des événements [des images de télévision, Anm.] a largement dominé la présentation des faits, véritablement ›réprimés‹. Ce nouveau ›langage‹ visuel, loin d’éclairer sur les enjeux profonds du conflit en cours,

3

Es ist vor allem das Fernsehen, das für die Entstehung der ersten transparenten Zeichen des Krieges verantwortlich zeichnet. The Green Berets von John Wayne und Ray Kellog, der erste Spielfilm über Vietnam, der auf eine erhebliche Aufmerksamkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit stößt, gelangt erst 1968 in die Kinosäle (vgl. Stora 1997, S. 127).

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Cinéma Indochina s’ingénie plutôt à retarder la lente édification d’une raison critique. Il contribue à renforcer la confusion entre monde réel et image: l’évident, c’est le visible. Sous prétexte de ›vérité‹, le visuel fonctionne comme opération de déstructuration mentale. La caméra sert moins à produire des images, avec volonté-miroir d’une réalité sensible, qu’à falsifier les dimensions réelles, géographiques.« (Stora 1997, S. 128f.)

Durch die Einbeziehung verschiedener Orte und Personen sowie durch unterschiedliche ästhetische Verarbeitungen vermittelt Loin du Vietnam eine heterogene Perspektive auf den Konflikt. Die durch die Fernsehbilder transportierten transparenten Zeichen des Vietnamkriegs werden durch eine multiperspektivische Realitätserfahrung abgelöst. Loin du Vietnam stellt somit einen Versuch dar, ein ›objektives‹ Bild dieser Kriegsrealität zu zeichnen. Dieser scheitert nicht zuletzt an den ideologischen Prämissen seiner politisch links stehenden Regisseure, die aus ihrer Perspektive ebenfalls ein Schwarz-Weiß-Bild der beteiligten Kriegsparteien zeichnen.

Intimistische Kriegsszenarien Am Beispiel zweier Filme, die sich in ihrer formalen Gestaltung vom Rest der Beiträge abheben, reflektiert Loin du Vietnam die Unmöglichkeit, einen Film über den Krieg in Vietnam zu drehen, der sich der Wahrheit annähert. Es handelt sich dabei um die Arbeiten von Alain Resnais und Jean-Luc Godard, die sich zwar in ihrer stilistischen Realisierung unterscheiden, sich jedoch in ihrer Herangehensweise an die Fragestellung ähnlich sind. Die beiden Filmemacher der groupe rive gauche bzw. der Nouvelle Vague entscheiden sich für eine Perspektive, die die Konsequenzen des Krieges auf die Pariser Intellektuellen repräsentiert. Nur wenige zeitgenössische Filmkritiken begrüßen den intimistischen Zugang Godards und Resnais’ als Reaktion auf ein welterschütterndes Ereignis. Sie beurteilen ihre Beiträge vorsichtig als »fort discutable« (Seguin 1968, S. 13) oder radikal, wie Roger Dadoun als »séance de masturbation« oder »intervention journalistique et exhibitionniste« (Dadoun 1968, S. 129). Nur Jean-Louis Comolli unterstützt ihre Arbeit in der Ausgabe der Cahiers du cinéma von Februar 1968, »il n’est pas possible à un cinéaste de parler du monde autrement qu’en le faisant sien«. Die formale und inhaltliche Verarbeitung des Themas durch die beiden Filmemacher kann auch als logische Konsequenz ihres gesellschaftlichen Arbeitsumfeldes betrachtet werden. Beide waren lange Zeit strengen Kontrollen seitens des französischen Staates ausgesetzt. Alain Resnais’ den französischen Kolonialismus thematisierende Filme unterlagen alle der Zensur (Les statues meurent 168

Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues aussi, Muriel etc.), unter der auch Jean-Luc Godards filmpolitische Aussagen (Le Petit Soldat) zu leiden hatten. Wenn sich auch die strenge politische Einflussnahme der beginnenden 60er Jahre allmählich lockert und sich das französische Kino um 1968 allmählich politisiert und aufhört, ein »cinéma hors du présent«, »cinéma du présent de convention« und »cinéma du contémporain vague« (vgl. Douin 1998, S. 199) zu sein, scheint sich die bisher streng reglementierte Verarbeitung von politischen und sozial aktuellen Themen in die Ästhetik einzelner Filmemacher eingeprägt zu haben. Die thematische und ästhetische Verarbeitung der beiden Beiträge spiegeln die von den Regisseuren erlebte Verortung in einem inneren, intellektuellen Exilraum wider, dessen Zwänge und Einschränkungen einen persönlichen kinematographischen Stil im Umgang mit der gesellschaftlichen Realität zur Folge haben. Die im Anschluss an 1968 erlangte künstlerische Freiheit scheint die Arbeit der beiden Filmemacher in ihren Grundfesten zu erschüttern. »Godard plonge pour de longues années dans le militantisme. Au faîte de sa popularité en 1967, Godard sera quasi oublié trois ans plus tard. [...] Alain Resnais ne peut rien concrétiser entre Je t’aime, je t’aime (1968) et Stavisky (1974) qui sont sans doute ses oeuvres les moins réussies; ensuite il ne tourne qu’un film en six ans (Providence, 1967) avant la reprise amorcée par Mon oncle d’Amérique (1980).« (Prédal 1996, S. 292 sowie S. 319)

Resnais und Godard sind nicht die einzigen innerhalb des Kollektivs, die sich aus der Perspektive der französischen Metropole mit dem Vietnamkrieg der USA beschäftigen. Die Arbeiten der rivegauche Filmemacherin Agnès Varda und Ruy Guerras finden sich allerdings aus der Endfassung des Films geschnitten. Die Gruppe beurteilt sie als zu verschieden vom Rest der Beiträge und schwer in den Film einzugliedern (vgl. Veray 2004, S. 14f.). Laurent Veray hat bei seiner Recherche Agnès Vardas Filmkonzept, dessen Ergebnis heute nicht mehr existiert, bei einem Telefongespräch erfragt. »Ainsi, selon Varda, son film était l’histoire d’une jeune femme vivant à Paris qui découvrait indirectement, presque métaphoriquement, la terrible réalité de la guerre au Vietnam en contemplant les destructions de maisons dans le XIXe arrondissement. A ces images d’écroulements, dans le cadre de la rénovation des vieux quartiers, venaient s’ajouter d’autres images d’égoutiers s’engouffrant sous terre, et cet ensemble, par une sorte de transfert de sens, renvoyait alors subitement ce qui se passait au même moment à Hanoï: des hommes et des femmes se dissimulant dans des abris souterrains pour échapper aux bombes américaines. Cette vision devenait alors obsessionnelle au point de grand désarroi, conduisant la jeune femme aux confins de la folie.« (Veray 2004, S. 15)

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Cinéma Indochina Auch der Beitrag Ruy Guerras wird aus der Endfassung des Films herausgenommen. Seine Arbeit stellt einen ehemaligen französischen Indochinakämpfer einem jungen amerikanischen Offizier gegenüber, die in einem Gespräch über die militärische Berufung eines Landes, die Niederlage Frankreichs als Kolonialmacht und die imperialistische Berufung der USA diskutieren. Der in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Mosambik geborene Guerra verarbeitet als einziger den Konflikt zwischen Frankreich und Indochina im Kontext des amerikanischen Vietnamkrieges. »D’après ce que je savais des films réalisés par les autres collaborateurs [...] je pensais qu’il fallait quand même aborder le problème des rapports entre la France et l’Indochine, je trouvais que c’était une lacune qu’un film français puisse parler du Vietnam sans cet aspect-là. De plus, je ne voulais pas faire un film sur le Vietnam vu que je ne suis pas Vietnamien, et que je ne connais pas le Vietnam.« (Guerra 1972 zit. in Veray 2004)

Dass die Beiträge Vardas und Guerras schließlich nicht in Loin du Vietnam eingegliedert werden, hat zunächst den ganz praktischen, auch von Guerra angeführten Grund, dass die Länge des Films bereits erreicht ist. Was Vardas Beitrag betrifft, könnte weiterhin angeführt werden, dass die metaphorische Übertragung einer Kriegsrealität auf die persönliche Umgebung auch in den Arbeiten Resnais’ und Godards zu finden ist, ihr Beitrag also nicht zu verschieden, sondern vielleicht den der anderen Paris-Vietnam-Verarbeitungen zu ähnlich ist. Außerdem war es 1967 wohl indiskutabel, Godard, den porte-drapeau des Autorenkinos, aus diesem Projekt auszuschließen, wenn auch dieser seinen Film erst auf Druck der restlichen Gruppe begonnen hatte, als die Montagearbeiten bereits begonnen hatten (vgl. Veray 2004, S. 23). Guerra argumentiert, dass er Vietnam nie besucht hat und deshalb nicht darüber sprechen kann. Diese Prämisse gilt auch für Godard, Resnais und Varda. Ihre Repräsentation des Raums Vietnam entsteht also nicht aus ihrem persönlichen Blick auf die Kriegslandschaft, sondern bereits aus einer kulturellen und medialen Verarbeitung dieses Blicks, wie er durch die US-amerikanischen Fernsehbilder und die gesellschaftlichen Diskurse des Westens transportiert wurde.

Alain Resnais’ ästhetische Politik Pol itik Das Drehbuch für Resnais’ Film Claude Ridder, Herman Kahn: De l’escalade, métaphores et scénarios stammt von Jacques Sternberg und Chris Marker und besteht aus dem Monolog eines linken Intel-

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues lektuellen namens Claude Ridder4, gespielt von Bernard Fresson. Die erste Einstellung zeigt Ridder in einer Pariser Buchhandlung beim Kauf eines Buches des US-Militärstrategen Herman Kahn5. Der Text der Kommentarstimme stellt die Figur Claude Ridder vor. »C’est un personnage déchiré, et il l’avoue! C’est donc un personnage imaginaire. Et bien que personne ne risque de se reconnaître en lui, il nous a paru nécessaire d’écouter pour un moment, contradictoire, pathétique, et à sa façon, honnête, la voix de la mauvaise conscience, c’est à dire de la mauvaise foi.«

Die Kommentarstimme distanziert sich ausdrücklich von dieser Figur und der von ihr geäußerten Überlegungen. Als die Stimme des schlechten Gewissens und der Unaufrichtigkeit bewertet sie ihren Monolog. In der Tat entfernen sich die Unsicherheit und die innere Zerrissenheit, die diese Stimme transportieren, von der schwarzweiß zeichnenden Intention des Projekts, das – wie die Einleitung bemerkt – une guerre de riches einer guerre de pauvres gegenüberstellt. Ridder erhält von einem Filmproduzenten den Auftrag, eine Rezension von Herman Kahns Buch Escalation (1965) zu schreiben, doch er ist angesichts des allgemeinen Aufschreis, der den Krieg in den Medien begleitet, nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Diese Ausgangssituation für Ridders Reflexion ähnelt jener des Regisseurs Resnais, der als Intellektueller vom Kollektiv um Loin du Vietnam dazu eingeladen worden ist, sich zum Vietnamkrieg zu äußern. »Qu’est-ce qu’ils voulaient les cons qui m’ont filé le bouquin. Je ne sais même pas lire le journal. Dès que ça raisonne, dès que ça explique, je n’entends plus rien. Je n’ai pas l’oreille accordée pour ça. Tout ce que j’entends, c’est le cri. Je ne sais pas comment vous faites, je ne sais pas comment vous pouvez négocier avec le cri.«

In einem Monolog hinterfragt Ridder nun sein politisches Bewusstsein, das durch den Krieg in Vietnam und dessen mediale und gesellschaftliche Aufarbeitung ins Wanken geraten ist. Ridder kriti-

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Den Namen Claude Ridder trägt auch der Protagonist in Resnais’ gleichzeitig gedrehten Film Je t’aime, je t’aime (1968). Herman Kahn, ein amerikanischer Militärstratege, führt während des Kalten Krieges Untersuchungen zur nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten durch. Sein Projekt der Doomsday Machine, das bei einer sowjetischen Attacke die automatische Generierung von Wasserstoffbomben ermöglicht, ist das Resultat seiner Überzeugung, dass die USA früher oder später auf die nuklearen Waffen zurückgreifen müssen.

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Cinéma Indochina siert die hohe Zahl ziviler Opfer, die Banalisierung des Krieges durch Fernsehbilder und die Auseinandersetzung mit wiederholt irreführenden Informationen, die den analytischen Geist lähmten. Doch Ridders Kritik wendet sich nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen die Verteidiger der Sache Vietnams. Die Opfer des Krieges in Vietnam sind für Ridder »à la mode«, der Konflikt »coté au plus haut à la bourse«, wichtiger als die Konflikte im Yemen, im Sudan und die der Kurden. Die Opfer des Vietnamkriegs besitzen laut Ridder deshalb ein so positiv konnotiertes Image, weil ihr Gegner, die USA, im herrschenden gesellschaftlichen Diskurs die Rolle des Bösen übernimmt: »[…] les Américains c’est des affreux, des pas comme nous, des pas cultivés, des tyrans, des colonialistes«. Ridder attackiert diesen widersprüchlichen Konformismus im französischen Antiamerikanismus. Diese Reflexion kumuliert in der sarkastischen Frage, wo denn die anlässlich der US-amerikanischen Intervention plötzlich auftretenden 40 Millionen französischen Antikolonialisten während des Algerienkrieges geblieben waren. Ridder bezeichnet die Position, aus der er seine Gedanken formuliert, als Glück (»Je juge les autres au nom d’une chance«), und sieht sich aufgrund dieser Position nicht in der Lage, den Freiheitskampf Vietnams zu unterstützen: »Je n’ai qu’une vie, ils n’ont qu’une vie. Et il faudrait que je sois drôlement sûr de savoir donner la mienne pour avoir le droit d’applaudir quand ils donnent la leur, autrement ça ressemble trop aux imbéciles du dimanche assis dans leur stade: ›allez Vietnam!‹« Für Ridder besitzt Vietnam nicht mehr den Status eines Landes und auch nicht den eines Symbols. Vietnam ist zu einer Erfahrung (»expérience«) der endlosen Spirale von Krieg, Grausamkeit und Gewalt geworden, in der es keine Kriegsbefürworter und Kriegsgegner mehr gibt, sondern in der eine »complicité monstrueuse« zwischen den beiden Seiten die Fortdauer des Krieges aus unterschiedlichen Gründen befürwortet.

Loin du Vietnam: Resnais' Figur Claude Ridder

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues Die (Kriegs-)Landschaft Vietnam wird in diesem Kurzfilm nicht repräsentiert, im Gegenteil, einen Blick jenseits der Wände des kleinen, dunklen Zimmers zu tätigen, in dem sich Bücher und Zeitungen stapeln, scheint unmöglich. Die Inszenierung dieses geschlossenen Raums drückt den Geisteszustand der Figur aus, der ein Gefangener seiner widersprüchlichen Überlegungen ist. Selbst der Krieg findet für Ridder »dans un meuble«, dem Fernsehgerät, statt. Der Monolog ist an eine stumme Zuhörerin (Karen Blanguernon) gerichtet, die seinem Monolog schweigend und unbewegt folgt. Die zeitgenössische Filmkritik hat Schwierigkeiten bei der Einordnung dieser schweigenden Figur. Den Ausdruck ihres Blicks bewertet sie als Bewunderung, ihr Schweigen als Einverständnis mit Ridders Aussagen (vgl. Dadoun 1968, S. 129). Eine postkoloniale Lektüre kann allerdings diese Interpretation nicht mehr teilen. Die postkoloniale Filmkritik hat unter Einbeziehung von Gendertheorien bereits die Repräsentation der Kolonie als feminisiertes Objekt betont. Die verbale und physische Handlungs(ohn)macht Ridders steht in starkem Kontrast zur physischen Passivität, zur Namenlosigkeit (»Tu ressembles vraiment à une chouette«) und zur Sprachlosigkeit der Frau. Ridders Monolog reflektiert die Position der französischen Intellektuellen, die ihr schlechtes Gewissen gegenüber der ehemaligen Kolonie offenbaren. Der trotzige Blick Karen Blanguernons und das ihr innerhalb der Diegese auferlegte Sprechverbot repräsentieren den Status Vietnams im medialen Diskurs des Westens, wo es angesichts der Inflation amerikanischer Fernsehbilder noch immer als passiver Spielball innerhalb der Weltpolitik gilt. Auch die Kamera gibt dieses Dominanzverhältnis wieder. Während die Frau von unten auf Ridder blickt, wird sein Blick auf die Frau in einer sehr dezent eingesetzten externen Fokalisierung aus einer leicht erhöhten Perspektive wiedergeben.

JeanGodards s politische Ästhetik Jean - Luc Godard Auch Godard entscheidet sich in seinem Beitrag Camera eye für einen Monolog in der ersten Person. Wie Resnais wählt er als thematischen Schwerpunkt seines Kurzfilms den Zwiespalt zwischen dem politischem Diskurs und seiner filmischen Umsetzung, der sich für den westlichen Künstler angesichts des Krieges in Vietnam ergibt. Allerdings überträgt Godard seine Reflexion nicht einer fiktiven Figur, sondern stellt in einer autobiographischen Erzählung sein persönliches Verhältnis zum Krieg in Vietnam vor. Anlässlich des Auftrags, ein Element für den Szenenfilm Loin du Vietnam zu gestalten, fragt sich Godard, wie die Situation in Vietnam von einem Filmemacher repräsentiert werden kann, der noch

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Cinéma Indochina nie in Vietnam gewesen ist. Godard, der bereits in Pierrot le fou (1965), Masculin Féminin (1966) und in La Chinoise (1967) direkt oder indirekt auf den Vietnamkrieg verwiesen hat, erklärt in Camera eye, dass ein von ihm gestellter, von Hanoi abgelehnter Einreiseantrag die Grundlage für seine Entscheidung war, nun vielmehr von Paris aus über Vietnam zu sprechen: »Et puis ce refus de Hanoï m’a montré, puisque je suis parisien, qu’il n y a pas de raison que je ne fasse pas de film à Paris, alors j’ai pris la décision, dans chaque film, de parler du Vietnam, à tort et à travers si on veut, mais disons à travers plutôt.« Godard verwirft eine mögliche abstrakte filmische Verarbeitung des Konflikts in Form eines von Bomben zerstörten Frauenkörpers, denn »ça me paraît difficile, de parler des bombes alors qu’on ne les reçoit pas sur la tête«. Der Filmemacher entschließt sich schließlich, der Aussage Che Guevaras zu folgen und »deux, trois, plusieurs Vietnams« zu schaffen. Er sieht den Krieg in Vietnam als ein allgemeines Symbol des Widerstandes und des Aufstands, das in die persönliche Erfahrung jedes Einzelnen einbezogen werden kann. »[…] donc ce que je peux faire de mieux pour le Vietnam je crois c’est, plutôt que d’essayer d’envahir le Vietnam par une espèce de générosité qui force forcément les choses, c’est laisser au contraire le Vietnam nous envahir et se rendre compte quelle place il occupe dans notre vie de tous les jours, partout.«

Godard versucht, nicht nur seine persönliche räumliche und kulturelle Distanz zu Vietnam zu überbrücken, sondern angesichts der Entfernung dieses Krieges für mehrere Bevölkerungsgruppen Erfahrungen des Widerstandes miteinander zu verbinden, die in anderen Teilen der Welt stattfinden – auch in Frankreich. Dieses Verfahren bezeichnet er als »créer un Vietnam en nous«. Godard leistet beispielsweise als unabhängiger französischer Filmemacher Widerstand gegen die Ästhetik und den wirtschaftlichen Imperialismus der US-amerikanischen Kinoindustrie. Als jemand, dessen nichtkommerzielle Filme sich nur an eine kleine Gruppe von Intellektuellen und nicht an ein Massenpublikum wenden, verortet sich Godard in einer »prison culturelle«, eine Position, die er mit der sich in einer »prison économique« befindlichen Situation der Streikenden von Rhodiaceta6 teilt. Mit dieser Identifizierung mit dem Anderen, dem Opfer, endet Godards Film. Eine Aufnahme der Streikenden von Rhodiaceta, denen sich auch Resnais’ Figur Claude Ridder an6

Rhodiaceta, eine französische Textilfabrik in Besançon, wird im März 1967 zum Symbol des Aufstandes der Arbeiter. Die Akteure des Kollektivs entschließen sich in Hommage an diesen Kampf die erste öffentliche Vorführung von Loin du Vietnam in Besançon durchzuführen (vgl. Veray 2004, S. 29f).

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues schließt, stellt den Zusammenhang zwischen dem Aufstand der Fabrikarbeiter, dem Widerstand der Intellektuellen gegen den amerikanischen Kulturimperialismus und der Unabhängigkeitsbewegung in Vietnam auch auf der Bildebene dar. Die Kampfhandlungen in der Dritten Welt stellen Modelle für interne französische Kämpfe dar, in Godards Vietnam-Reflexion sind kapitalistische und imperialistische Unterdrückung untrennbar miteinander verbunden. Sich auf einen Text André Bretons berufend, stellt Godard den Aufschrei schließlich als eine Möglichkeit jedes Einzelnen vor, sich an der Symbolik des revolutionären Kampfes zu beteiligen, bevor er den Film beendet: »Coupe!«

Loin du Vietnam: Godards ›Filmauge‹ Bereits in seiner visuellen und sonoren Form tilgt Godard die Illusion jeglicher Objektivität und verweist auf den künstlichen Charakter der Mechanismen des Filmens. Eine Stimme kündigt »Vietnam/Godard, un, première« an, bevor schließlich der Künstler selbst zu hören ist. Auf der Bildebene dominiert über weite Strecken eine Großaufnahme des Filmemachers hinter einer Mitchell BNCKamera7, vor deren Hintergrund sich stellenweise die Skyline von Paris abzeichnet. Godard ist nie in Vietnam gewesen, die große und schwere Mitchell-Kamera, für die er sich in seinem Beitrag entscheidet, reflektiert die Immobilität des Künstlers ebenso wie der Drehort, ein Hügel, der einen Blick über die Stadt Paris bietet. Indem er sich selbst bei der Tätigkeit der Aufnahme filmt, löst Godard den symbolischen Ort der Trennung auf, der durch den Kamera7

Die amerikanische Mitchell BNC-Kamera, die Godard bereits in der Anfangssequenz von Le Mépris (1963) in Szene setzt, wurde aufgrund ihrer hohen Bildqualität, ihrer Sperrigkeit und ihres Gewichts – sie wiegt 55kg – vor allem für Studioaufnahmen eingesetzt. Sie gilt lange Zeit als »la Rolls Royce de la prise de vues« (vgl. Pinel ²2005, S. 253).

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Cinéma Indochina standpunkt zwischen dem Filmenden und dem Gefilmten entsteht. Der Filmemacher, der sich mit der weltweiten gesellschaftlichen Unterdrückung solidarisiert, situiert sich auf diese Weise ebenfalls als marginalisiert, er inszeniert sich selbst als Objekt der Darstellung und nicht als Träger des Blicks. Nicht nur auf der Ebene des gesprochenen Textes reflektiert Godard also die Problematik der filmischen Darstellung eines entfernten Konflikts. Auch die Bildspur von Camera eye ist nicht auf das Autoportrait Godards und sein technisches Material zu reduzieren. Die von Godard gewählte Ästhetik der Montage beschäftigt sich ebenfalls mit der Entfernung, indem sie Dinge zusammenfügt, die nicht zusammengehören. In raschen Schnitten fügen sich in seinen Film Archivbilder der Kriegsrealität Vietnams, Szenen aus dem von Godard im Jahr 1967 gedrehten Film La Chinoise, Comicbilder und -schriften sowie dokumentarische Aufnahmen der Streikenden von Rhodiaceta ein. Da Godard (mehrheitlich) nicht selbst der Autor dieser Bilder ist, sondern diese ›nur‹ verarbeitet, sind nicht die Bilder zu interpretieren, sondern ihre Montage. Julien Pallotta bezeichnet die von Godard gewählte Form der Montage in Anlehnung an Jacques Rancière als »collage des hétèrogènes«, eine Collage, die das zusammenführt, was auf den ersten Blick keine Beziehung zueinander aufweist (vgl. Pallotta 2008). Neben der gemeinsamen Erfahrung des Widerstandes, die der Filmemacher Godard mit der Arbeiterklasse und der Nationalbewegung in Vietnam teilt, ist auch seine Montagepraxis ein Mittel, seine Entfernung zur Kriegsrealität Vietnams zugunsten einer Annäherung aufzuheben. Die Kombination zwischen den lachenden Figuren der Comicbilder, der Comicsprache (»Kill«, »Blast«) und den Archivbildern des Krieges zwingen den Zuschauer, eine Beziehung zwischen dem Bild des amerikanischen Glücks und der imperialistischen Aggression der USA herzustellen (vgl. ebd.). Godards zwangsläufige Entfernung versucht er durch eine Montagepraxis aufzulösen, deren Bildkombination die auf der Ebene des gesprochenen Wortes angedachte Möglichkeit unterstützt, die vietnamesische Widerstandsbewegung in jeden von uns eindringen zu lassen. Seine sprachliche sowie seine formale Umsetzung des Themas Loin du Vietnam basiert vor allem auf einer Übertragung der vietnamesischen Realitätserfahrung auf die Situation des Westens. Indem sich Godard in seinem Titel Camera eye auf Dziga Vertovs Konzept Kinoglaz (›Filmauge‹) beruft, betont er die kinematographische Praxis des Cineasten, die an der politischen Aussage des Films beteiligt ist. »Damit ist die Behutsamkeit der Filmkamera bei der Erkundung des Lebens gemeint, denn ihre Hauptaufgabe ist es nicht, sich im Chaos des Lebens zu verlieren, sondern sich in der Umgebung zurechtzufinden, in die sie geraten

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Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues ist. […] Wir nehmen Fakten auf, organisieren sie und bringen sie über die Filmleinwand in das Bewusstsein der Arbeitenden.« (Vertov [1924] 52003, S. 51f.)

Godard sieht sich als Filmemacher nicht nur als jemand, der Fakten aufnimmt, sondern als jemand, der diese Fakten durch eine spezifische Montagepraxis organisiert und dadurch zu einer ideologischen Reorganisation der Welt beiträgt.

Resnais’ und Godards klaustrophobe Räume In ihrer Verarbeitung des Vietnamkriegs folgen Resnais und Godard à la lettre dem Titel des Projektes. Sie befinden sich loin du Vietnam und verweigern in diesem Sinne eine Repräsentation dieses Raumes. Der Raum Vietnam wird nicht als Landschaft dargestellt, sondern als ein Gefühl evoziert. Claude Ridder erinnert sich an den Hass, den er als Kämpfer der résistance gegenüber den Deutschen empfunden hat und vergleicht diese Erfahrung mit jener der Vietnamesen (»les Américains sont les Allemands des Vietnamiens«). Doch er zögert, voreilige Schlüsse zu ziehen. Sein Versuch, eine Verflechtungsgeschichte der verschiedenen Kriegsschauplätze und ihrer Rezeption zu zeichnen, stürzt ihn in eine intellektuelle Unsicherheit, die ihm eine öffentliche Stimme versagt: »Je ne vais pas l’écrire leur texte, je vais rien leur dire, je vais venir près de toi et je vais te parler d’un pays qui n’est pas le Vietnam«. Er gibt seine Rolle des in der Öffentlichkeit stehenden Intellektuellen auf, um nur mehr im Privaten zu sprechen: »Je sais plus rien. Je vais leur dire que j’ai peur, que j’ai froid, que je les aime tous, que je les hais, que nous allons tous mourir, que nous aimons vivre. Je ne sais plus, je ne sais rien. Je n’écrirais rien«. Godard lässt Vietnam als Gefühl in sich eindringen, um anhand der Unterdrückungserfahrung der vietnamesischen Bevölkerung für andere Formen der gesellschaftlichen Unterdrückung sensibel zu sein. Die Figuren der Filme erkennen ihre Unfähigkeit (Ridder) und ihre Unmöglichkeit (Godard), die Landschaft und den in ihr stattfindenden Konflikt darzustellen. Die Konsequenz dieses Gefühls der Ohnmacht unterscheidet sich allerdings in den beiden Beiträgen. Während es bei Resnais’ Figur zur Verstummung führt, sind bei Godard der Aufschrei und die militante Aktion die logische Konsequenz ihrer Position. Vietnam stellt in beiden Filmen nicht den männlich konnotierten Raum des Indochinakrieges dar, wie ihn die männliche Erzählinstanz von Schoendoerffers La 317e section durch ihren hohen Grad an Sachlichkeit transportiert. Das Geschlecht der Erzählinstanz ist in den Beiträgen nicht mehr eindeutig festzustellen. Gewiss sind die Stimmen und die Figuren sowie der hinter diesen ste-

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Cinéma Indochina hende Cineast männlich, doch die evozierte Raumdarstellung ist ›weiblich‹ markiert. Distanznahme und Objektivität, die männlich konnotierte Haltung der Erzählinstanz werden in den Filmen durch Engagement und Empathie als ›weibliche‹ Kennzeichen abgelöst (vgl. Würzbach 2004, S. 65). Die beinahe ununterbrochene Nahaufnahme der Figuren reflektiert ihre Unmöglichkeit, über eigene Grenzen zu schauen und verweist auf das Gefangensein in ihrer eigenen kulturellen Umgebung. Als »phobic spaces« bezeichnet Hamid Naficy diese in den Arbeiten transnationaler Filmemacher häufig wiederkehrende spezifische Spatialität (vgl. Naficy 2003, S. 213). Godard und Resnais greifen auf den klaustrophoben Raum als eine Ausdrucksweise dieser phobischen Raumikonographien zurück. »A variety of strategies are used to create such spaces, including the following: closed-shot compositions, tight physical spaces within the diegesis, barriers within the mise-en-scène and the shot that impede vision and access, and a lighting scheme that creates a mood of constriction and blocked vision.« (Naficy 2003, S. 213)

Der klaustrophobe Raum stellt einen identitätsbildenden Wechselbezug zwischen den Figuren und dem Raum her, in dem sie sich befinden. Ihre Erfahrung von Vietnam reflektieren sie in Form eines paysage-expression, einer Seelenlandschaft, die ihre Eingeschlossenheit im Raum des westlichen Intellektuellen betont. Weder die Kamera noch die Figuren vermitteln Bewegung, sondern sind starr in ihren Raum eingeschrieben. Godard ist nicht in der Lage, den ihm zugehörigen Platz hinter seiner Kamera zu verlassen. Der erhöhte Standpunkt seiner Kamera, von der er einen panoramatischen Blick auf die Skyline von Paris besitzt, vermittelt nur beim ersten Hinsehen einen umfassenden Informationsstand und eine Überblicksperspektive. In Wahrheit reflektiert diese Erzählposition eine Enge, da der Filmemacher nicht in der Lage ist, seinen Blick extra muros zu richten. Ridders nervöses Umhergehen in seiner Wohnung täuscht nur eine Bewegung vor. Er kommt nicht vom Fleck und ist in seiner Wohnung eingeschlossen. Claude Ridder, Herman Kahn: De l’escalade, métaphores et scénarios und Camera eye formulieren die Beziehung der Filmemacher zum Kriegsschauplatz Vietnam. Nicht die Landschaft selbst ist das Zentrum ihrer Auseinandersetzung mit diesem Raum, sondern ihre persönliche Beziehung zu diesem Land, die sich aus ihrer Position der linken westlichen Intellektuellen ergibt, stellt den Fokus ihrer Betrachtung dar. Vietnam wird nicht als weit entferntes Land mit historischen Bedeutungen aufgeladen. Godard wählt den vietnamesischen Widerstand als mögliches Element einer geteilten Geschichte zwischen Frankreich und Vietnam. Resnais hinterfragt 178

Der Vietnamkrieg - Nouvelles Vagues durch die Figur Claude Ridder die als absolut und gegeben angesehenen (linken) Werte seines Milieus und verweigert binäre Oppositionen zugunsten einer Perspektive, die die historischen Erfahrungen verschiedener Nationen parallelisiert.

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VON HOA BINH NACH SAIGON – RAOUL COUTARD

Il était une fois un jeune homme qui habitait un village de la Haute Région avec sa soeur, âgée d’à peine six ans. Ils avaient perdu leurs parents lors d’une inondation à la saison des pluies. Désormais seuls au monde, ils ne vivaient plus que l’un pour l’autre. Il la protégeait avec tendresse, elle éclairait sa vie par ses rires, sa gaieté, les chants qu’elle égrenait à longueur de temps. Leur intérieur était pauvre et la vie difficile […] Le rocher de l’attente, Legende aus Vietnam, erzählt von Minh Tran Huy

Raoul Coutard, Regisseur Das Jahr 1968 stellt für die Filmindustrie einen kulturellen Bruch dar, in dem sich der Graben zwischen dem Kino als Kunst und dem Kino als Industrie verdeutlicht. Beginnend mit Costa-Gavras’ Z, ou l’anatomie d’un assassinat politique (1969) entwickelt sich »un cinéma politique de grande consommation«, ein Genre, das Unterhaltung, Information und kritische Reflexion vereint (vgl. Prédal 1996, S. 308f). Die Filme Costa-Gavras’ und die im Anschluss daran entstehenden Produktionen verarbeiten inhaltlich politisch links stehende Diskurse, greifen dabei allerdings auf eine Filmsprache zurück, die das Spektakuläre bevorzugt, worunter der Aspekt der Wahrscheinlichkeit zu leiden hat. Prédal bezeichnet diese Arbeiten als Verarbeitungen in Form eines western spaghetti, die den Prozess der Identifikation mit dem vor-bildlichen Ereignis auflösen und so ihre Thesen entschärfen (vgl. Prédal 1996, S. 312). Jene französischen Regisseure, die sich dieser Tendenz anschließen, »ne sont que les ›Américains‹ – ou peut-être les ›Italiens‹ – du cinéma français, bref ceux qui louchent vers les recettes étrangères et tentent de concilier les exigences du show-business avec les pulsions de leur conscience de gauche« (Prédal 1996, 313f.).

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Cinéma Indochina Auch der bisher als Kameramann tätige Raoul Coutard entschließt sich für seinen ersten Spielfilm zur Fiktionalisierung einer sozial-politischen Realität: »En voyant et entendant les projets de films autour de moi, il m’est venu cette idée, baroque, de réaliser moi-même un film. [...] Le sujet, je le savais, ne pouvait se situer qu’en Indochine, et devait retracer, bien sûr, l’histoire des enfants qui cavalaient dans les rues de Saigon.« (Coutard 2007, S. 296) Coutards Entscheidung für die Verarbeitung eines im postkolonialen Indochina angesiedelten sujet erstaunt nicht weiter. Geboren 1924 in Paris, war er bereits 1945 als Soldat der französischen Streitkräfte nach Indochina gekommen. Auf der Suche nach Abenteuern unterbricht er für diesen Einsatz seine Ausbildung als Chemiker, eine Entscheidung, die an die Biographie der frühen Filmemacher der Lumière-Produktion erinnert. Von 1951 bis 1955 arbeitet er als Pressefotograf und Kriegsberichterstatter für die französische Armee sowie für Zeitschriften wie Radar, Life und Paris Match, bevor ihn Pierre Schoendoerffer 1957 für seinen Spielfilm La Passe du Diable als Kameramann engagiert. Der Rest ist (Film-) Geschichte. Mit Jean-Luc Godards einzigem auch finanziellen Erfolg À bout de souffle (1959) wird Coutard berühmt. Er wird in den nächsten zwei Jahrzehnten zahlreiche weitere Produktionen der Nouvelle Vague und Erfolge der späteren französischen Filmproduktion mit seiner fotografischen Handschrift versehen. Als »celui que je devais faire«1 bezeichnet Coutard seinen Film Hoah Binh in einem Inteview2. Wenn er sich auch in den späten 50er Jahren beruflich wieder in Paris ansiedelt, bleibt er als jemand »qui était devenu un asiate« – nicht zuletzt auch durch seine Ehe mit einer Vietnamesin – mit dem nun Vietnam genannten Land in persönlicher Verbindung (vgl. Coutard 2007, S. 297). La Colonne de cendres (1954), ein von persönlichen Erlebnissen der in Indochina praktizierenden französischen Ärztin Françoise Lorrain geprägter Roman wird zur Grundlage des von Coutard unter Mithilfe von François Truffaut verfassten Drehbuchs. Es erzählt die Geschichte des 11-jährigen Jungen Hung im kriegsgeschüttelten Saigon der späten 60er Jahre. Als sich sein Vater dem Kampf der Vietcong anschließt und seine Mutter stirbt, muss sich der Junge alleine um seine jüngere Schwester Xuan kümmern. In der Schattenwirtschaft Saigons hält sich Hung als Schuhputzer und Zeitungsverkäufer über Wasser, bevor er Unterstützung von amerikanischem Pflegepersonal erhält und am Schluss, entgegen aller Erwartung, sein Va1

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Im Gegensatz zu seinen späteren Filmen La Légion saute sur Kolwezi (1979), »celui que je pouvais faire« und SAS à San Salvador (1982) »celui que j’aurais jamais dû faire«. Das Interview Retour à Saigon ist als Bonus auf der DVD-Edition der Regiearbeiten Raoul Coutards veröffentlicht.

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard ter aus dem Krieg heimkehrt. Coutards enger biographischer Bezug zu der ehemaligen französischen Kolonie ist auch in den Titel seines Films eingeschrieben. Der Filmtitel Hoa Binh bedeutet nicht nur ›Frieden‹ auf Vietnamesisch, wie Coutard seine Wahl begründet, sondern ist auch der Name einer Stadt in Nordvietnam, in der die französischen Streitkräfte unter de Lattre im Jahr 1952 eine bittere Niederlage gegen die Truppen der Vietminh hinnehmen mussten.3

Hoa Binh: Hung auf dem Markt von Cholon Trotz Coutards Renommee als führender Kameramann der Nouvelle Vague erweist sich seine Suche nach einem Produzenten als problematisch. Nach drei Jahren erfolglosem Bemühens sichern schließlich Gilbert de Goldschmidt gemeinsam mit Warner Brothers Coutard ihre Unterstützung zu. De Goldschmidt gibt rückblickend seine anfänglichen Vorbehalte gegenüber Coutards Projekt zu4. »Je me suis enthousiasmé pour ce projet, mais qui était effectivement très difficile à monter parce qu’ il n’était pas un sujet très commercial. Il était difficile parce qu’il n’y avait pas de vedette et il n’y avait pas un sujet que les gens avaient envie de voir surtout en temps de guerre parce que c’était justement pendant la guerre de Vietnam. Elle passait tous les soirs à la télévision, au journal de 20 heures.«

Zu de Goldschmidts Sorge um ein bereits von Kriegsbildern übersättigtes Pulikum kommt hinzu, dass Coutard für seine Figuren

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Coutard wollte zunächst den Romantitel als Filmtitel beibehalten. Der Produzent des Films regte – wie so oft in der Filmgeschichte – einen anderen, in diesem Fall einen ›exotischen‹ Titel an, worauf sich Coutard für Hoa Binh entschied. Das Interview mit Gilbert de Goldschmidt befindet sich ebenfalls auf der DVD-Edition der Regiearbeiten Coutards.

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Cinéma Indochina ausschließlich Darsteller vietnamesischer Herkunft wählt. Dieser fehlenden Identifikationsmöglichkeit für den westlichen Zuschauer hofft Coutard allerdings gerade durch die Besetzung der Hauptrollen mit Kindern vorzubeugen (vgl. Coutard 2007, S. 306). Mit dieser Taktik scheint er richtig zu liegen. Hoa Binh wird 1970 in Cannes mit der Goldenen Palme für den besten Debütfilm sowie mit dem Prix Jean Vigo ausgezeichnet. 1971 erhält der Film eine Oscarnominierung für den besten fremdsprachigen Film. Dass Coutards Protagonisten vietnamesischer Herkunft sind, ist Ende der 60er Jahre eine Ausnahme im französischen Filmschaffen. Erst die Filmemacher aus der vietnamesisch-kambodschanischen Diaspora werden indigene Protagonisten wieder ins Zentrum ihrer Darstellung rücken. Auch durch die Wahl von Kindern als Hauptdarsteller greift Hoa Binh bereits auf Elemente des postkolonialen Films der 90er Jahre voraus. Tran Anh Hungs L’odeur de la papaye verte (1992) sowie Cyclo (1995) schildern ebenfalls Indochina bzw. Vietnam aus der Perspektive eines Kindes bzw. eines Jugendlichen. Bereits die Unbefangenheit, mit der sich Coutard für die Rollenbesetzung mit indigenen Darstellern entscheidet, lässt vermuten, dass er tiefer in das Land eingedrungen ist als andere Filmemacher. Vietnam ist in seiner Wahrnehmung kein fremdes Land, in dem Franzosen mehr zufällig als beabsichtigt auf die indigene Bevölkerung stoßen, sondern ein Lebensraum für die vietnamesische Bevölkerung, den er im Rahmen seines Filmprojektes als solchen anerkennt. Sowohl zum Zeitpunkt seines Erscheinens als auch rückblickend nimmt die Kritik Hoa Binh als message politique wahr. Die ideologisch rechts wie auch links stehende Kritik wirft Coutard im Anschluss an die erste Filmveröffentlichung seine politische Nichtpositionierung vor (vgl. Blum-Reid 2003, S. 97). Auch eine postkoloniale Analyse des Films liest die Wahl des Handlungsortes in Südvietnam als politischen Subtext. Sylvie Blum-Reid untersucht diesbezüglich die Repräsentation der in Südvietnam lebenden Menschen. In ihrem Resümee kritisiert sie, dass »the film [does] not show a single good Vietnamese person besides the child and his mother and sister«, während die anwesenden Amerikaner als »benevolent creatures distributing gum to children« dargestellt werden (vgl. Blum-Reid 2003, S. 97f). Verortet man Raoul Coutard in einem transnationalen Raum und betrachtet man ihn – wie er sich selbst auch – als Grenzgänger zwischen zwei Kulturen, ist sein Film jedoch nicht hinsichtlich seiner pro- bzw. antikolonialen Einstellung kritisch zu begutachten, sondern auch unter dem Blickwinkel zu analysieren, ob und wie der Raum auf Coutards Filmarbeit zurückwirkt. Nicht nur in der Entscheidung für indigene Protagonisten kommt die persönliche räum-

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard liche Wahrnehmung Coutards in seiner Rolle als transnationaler Filmemacher zum Tragen. Diese ist sowohl in Coutards filmischer Verfremdung des Genres Melodrama zu beobachten als auch in der Raumerzählung des Films eingeschrieben. Eine weitere Reflexion dieser Rolle ergibt sich auch aus der Analyse der intramedialen Verweise auf den europäischen Western.

Die Politik des Melodramas Dass Coutard bei seiner Verarbeitung der Vietnamkriegsrealität auf das Genre des Melodramas zurückgreift, mag zunächst verwundern. Das radikale politische Kino (cinéma engagé) der 68er Generation, dem sich Coutards langjähriger Weggefährte Jean-Luc Godard anschließt, verlangt dem Film eine Kritik des Systems ab und verachtet die emotionale Involvierung des Zuschauers und die Betonung eines persönlichen, familiären Schicksals, wie es der Lektüremodus der Melodramen vorgibt.5 Kritisiert wird an Melodramen auch »their escapism and their incapacity to generate the kind of distantiation necessary to produce actively reflective spectators« (O’Shaughnessy 2007, S. 157). Godards Kriegsreflexion, die er in seinem Kurzfilmbeitrag zu Loin du Vietnam vorstellt, ist wohl ein sprechendes Beispiel für die von ihm favorisierte Form der filmischen Kriegsverarbeitung. Die thematische Ausrichtung des Melodramas beruht auf Handlungselementen, »qui nous amènent à éprouver de la compassion pour des personnages, victimes innocentes de forces qui les dépassent, à travers des scènes à sensation, des moments paroxystiques où se révèlent la vertu morale des personnages« (Moine ²2003, S. 153). Raphaëlle Moine weist allerdings in ihrer vergleichenden Analyse des amerikanischen und des italienischen Melodramas der 50er Jahre darauf hin, wie ungenügend der Genrebegriff des Melodramas seinen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammenden Bedeutungsinhalten und filmischen Codes gerecht wird (vgl. ebd., S. 147). Die von Linda Williams eingeführte begriffliche Unterscheidung zwischen melodramatischem Genre und melodramatischem Modus definiert das Melodrama nicht nur strukturell als Gattung, sondern auch als Schreibweise, die in unterschiedlichen Formen Eingang findet. Für den vietnamesischen Kontext wird das Melodrama als Genre vor allem für Nachkriegsverarbeitungen eingesetzt, die sich als Sub-

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Raoul Coutard und Jean-Luc Godards Wege trennen sich auch aufgrund persönlicher Differenzen im Anschluss an Mai 68. Erst bei Passion (1981) und Prénom Carmen (1983) werden sie wieder zusammenarbeiten.

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Cinéma Indochina

bzw. Intertext auf Puccinis Madame Butterfly beziehen. Berühmt geworden sind in diesem Zusammenhang vor allem die BroadwayMusicals wie M. Butterfly (1988) und Miss Saigon (1991) sowie der französische Spielfilm Indochine (1992). Als »maternal melodramas«, die eine mütterliche Selbstaufgabe inszenieren, führen diese Stoffe einen neuen Archetyp der indigenen Frau Asiens ein, die sich vom »hypersexualized icon« zum »hypermaternalized icon« entwickelt (vgl. Heung 1997, S. 158-183). »For the United States, the end of the Vietnam War represented a profound trauma to the collective national psyche. In particular, anxieties about military and masculine prowess coincided with a pervasive societal insecurity about maleness and paternal legitimacy that in turn mobilized an insistent, even obsessive, revalorization of the patriarcal nuclear familiy. In this context, the dominant trope that I call the ›familiy romance of Orientalism‹ allows for the ›rebinding‹ of wounded masculinity by reenacting the saga of recovering lost fathers.« (Heung 1997, S. 161)

Coutard übernimmt diese westliche Appropriation Vietnams nicht. Das Genre Melodrama ist in Hoa Binh politisch aufgeladen. Martin O’Shaughnessys Studie zu politischen französischen Filmen ab 1995 gesteht dem Melodrama in der politischen Repräsentation sogar eine Schlüsselrolle zu. Das Melodrama erlaubt zunächst inhaltlich, in seinem Fokus auf Individuen und Familien, eine bittere Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaftsordnung (vgl. O’Shaughnessy 2007, S. 3). In seiner Verquickung mit einer realistischen Darstellung »rather than merely generating emotional responses, melodrama has become an essential vehicle for restoring eloquence and ethical transparency to a real that [...] no longer seems to speak to us« (ebd., S. 157). In The Melodramatic Imagination (1976) legt Peter Brooks den Grundstein für eine funktionale Verbindung zwischen Melodrama und Realismus. Laut Brooks provoziert der Zusammenbruch einer sozialen Ordnung eine Wende zu melodramatischen Strategien in literarischen Werken. Brooks stellt für sein Korpus der realistischen Romane des 19. Jahrhunderts die französische Revolution als historischen Kontext vor, in Folge dessen der Schriftsteller die Aufgabe übernimmt, diese zunächst unbekannte und undurchschaubare Realität mit neuen Werten und Bedeutungen aufzuladen. »This (the French Revolution, Anm.) is the epistemological moment which it illustrates and to which it contributes: the moment that symbolically, and really, marks the final liquidation of the traditional Sacred and its representative institutions (Church and Monarch), the shattering of the myth of Christendom, the dissolution of an organic and hierarchically cohesive society, and the invalidation of the literary forms – tragedy, comedy of manners – that depended on

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard such a society. [...] It [melodrama, Anm.] comes into being in a world where the traditional imperatives of truth and ethics have been violently thrown into question, yet where the promulgation of thruth and ethics, their instauration as a way of life, is of immediate, daily political concern.« (Brooks 1976, S. 14f.)

Für das von O’Shaugnessy analysierte Korpus der französischen Spielfilme ab Mitte der 90er Jahre ist es die Krise der twentieth century left, auf die zahlreiche Filmemacher mit einem Rückgriff auf melodramatische Strategien reagieren (vgl. O’Shaugnessy 2007, S. 133). Raoul Coutards Entscheidung, sich im Jahr 1969 einer Darstellung des postkolonialen Indochinas in Form eines realistischen Melodramas zu widmen, kann ebenfalls historisch und kulturell verortet werden. Sie liegt möglicherweise in seiner persönlichen Erfahrung der Dekolonialisierung begründet, durch die der moralische Rahmen einer von ihm erlebten Epoche verloren geht. Durch den Zusammenbruch des Kolonialreichs verändert sich die Rolle Frankreichs innerhalb der politischen Weltordnung, in der nun die USA den einstigen französischen Kolonialkonflikt übernehmen und ihn als Kalten Krieg ›rekolonisieren‹. Diese geopolitischen Veränderungen prägen auch den Filmemacher. Coutard verlässt die Armee, wird Fotograf, dann Filmemacher und kehrt schließlich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre nach Paris zurück. Als Individuum und als französischer Staatsbürger steht Coutard nun einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gegenüber. Der mediale Diskurs beschäftigt sich nunmehr mit der amerikanischen Präsenz in Vietnam, die sowohl die Erfahrung der Soldaten des französischen Kolonialkorps wie auch die Kriegserlebnisse der vietnamesischen Bevölkerung in ein bedeutungsloses Schweigen drängt. Coutards Rekurs auf melodramatische Strategien, um Unsichtbares und Unausgesprochenes an die Oberfläche zu bringen, teilt er mit den filmischen post-war Vietnamverarbeitungen aus Hollywood. Auch das amerikanische Kino hat auf die militärische Niederlage der USA mit dem Einsatz melodramatischer Strategien reagiert. Wie Raphaëlle Moine am Beispiel von Rambo (Ted Kotchev, 1982) zeigt, übernehmen gerade filmische Verarbeitungen des Vietnamkriegs aus Hollywood häufig melodramatische Strategien mit dem Ziel, die Unschuld der Soldaten in einem verlorenen Krieg hervorzuheben, ihnen die Rolle des Opfers zuzuschreiben, um so die Sympathie des Zuschauers zu erlangen (vgl. Moine ²2003, S. 153). Laut Moine ist es ein historisch verwurzeltes Schuldgefühl, das dieses Bemühen um eine moralische Reinsprechung begründet: »Plus le fardeau de la culpabilité historique est lourd, plus le mélange de pathétique et d’action qu’opère le mélodrame est nécessaire pour restaurer une innocence perdue.« (Moine ²2003, S. 154)

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Cinéma Indochina Hoa Binh evoziert den Vietnamkrieg der USA nicht als Kriegsfilm, sondern als realistisches Melodrama. Der Film folgt nicht nur der Ästhetik des Realismus, die Welt zu spiegeln, sondern versucht durch den Einsatz melodramatischer Strategien auch das NichtSichtbare an die Oberfläche zu bringen. Folgt man Raphaëlle Moines These, kann diese Entscheidung Coutards als Verarbeitung der historischen Schuld eines ehemaligen Kolonialisten gewertet werden. Coutard, der als Kameramann der französischen Armee vor allem deren Einsatz in Indochina gefilmt hat, bezeichnet sich nun selbst als asiate, was eine gleichsam physische Identifizierung mit dem Anderen impliziert. In Hoa Binh nun die indigene Bevölkerung ins Zentrum seiner Aufnahme zu stellen, kann als Versuch gelesen werden, deren unschuldige Involvierung in die Kriege der Halbinsel zu betonen. Dies geschieht, indem in Coutards Film den Kämpfen der indigenen Bevölkerung ein breiter Raum gewidmet wird. Sowohl in der filmischen Verarbeitung der kolonialen Vergangenheit als auch in der zeitgenössischen Kriegsberichterstattung sind diese Kämpfe in der Regel durch Schweigen und Bedeutunglsosigkeit gekennzeichnet. O’Shaughnessy hat für sein Filmkorpus in Anlehnung an die Theoretisierung des Melodramas durch Peter Brooks eine Kategorisierung der realistischen und melodramatischen Eigenschaften des Films vorgenommen (vgl. O’Shaughnessy 2007, S. 135f.). Demnach entsprechen in Hoa Binh der realistischen Annäherung auf der thematischen Ebene die Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Themen wie den Konsequenzen des Krieges auf die Zivilbevölkerung, auf der stilistischen Ebene die Dreharbeiten vor Ort in Saigon während des Krieges und die Entscheidung für mehrheitlich Laien als Darsteller.6 Auf der narrativen Ebene dominieren scheinbar lose, episodische Handlungsstränge, die ebenfalls den Realismuseindruck des Films verstärken. Hungs Wanderung durch die Stadt, bei der er auf verschiedene Personen und Situationen trifft, die für seine unmittelbare Lebenswirklichkeit Bedeutung haben, ist die zentrale Handlung des Films. Bei den von O’Shaughnessy festgestellten melodramatischen Strategien dominieren in Hoa Binh vor allem die Momente der Konfrontation, die sprachliche Ausdrucksweise durch die von Brooks »text of muteness« genannten prälinguistischen Formen wie Schreie, Gestik und Mimik, die dieses melodramatische Schweigen begleiten und der Welt auch dann Ausdrucksmöglichkeit verleihen, wenn die

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Die Mutter Hungs wird von einer Chefsekretärin dargestellt, der Hung verkörpernde Schauspieler ist der Bekannte eines Angestellten des Hotels, in dem die Filmcrew nächtigt, »Xuan« eine Verwandte der vietnamesischen Ehefrau Coutards.

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard Sprache ihre Bedeutung verloren hat, sowie der emotionale Fokus auf Individuen (vgl. Brooks 1974, S. 62). Durch die Betonung von Momenten der Konfrontation wird Unterdrückung sichtbar und den Problemen einer marginalisierten Gruppe eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Um durch einen Film eine politische Botschaft zu vermitteln, genügt es nämlich nicht, eine bestimmte soziale Misere aufzuzeigen, denn »this in itself has little political use-value and is at best humanitarian and patronizing in its thrust, at worst voyeuristic, offering the suffering of the margins up for our horror and our pity« (O’Shaughnessy 2007, S. 134). Politisch wird ein Film erst dann, wenn die Unterdrückten Handlungsfähigkeit übernehmen und zu Subjekten werden und nicht Objekte bleiben, die den Sozialvoyeurismus des Zuschauers befriedigen. In Hoa Binh treten die indigenen Figuren durch ihr Handeln hervor. Sie werden nicht durch die existierende Realität immobilisiert, sondern scheinen gegen diese Realiät anzukämpfen. Hungs Vater schließt sich dem Kampf der Vietcong an. Die Mutter verweigert trotz ihrer ernsthaften gesundheitlichen Probleme den Krankenhausaufenthalt, den ihr das amerikanische Pflegepersonal nahelegt und versucht selbst, unter Verwendung traditioneller Heilmittel, gegen ihre Krankheit anzukämpfen. Auch Hung lehnt sich gegen die Realiät auf. Auf die Ausbeutung durch die ›Frau mit dem amerikanischen Auto‹ reagiert er, indem er Wache steht, damit die anderen Kinder gegen ihr Fahrzeug urinieren können. Er zögert auch nicht, sich bei einem seiner Kunden für die geringe Bezahlung für das Schuheputzen zu beschweren. Durch das Betteln vor luxuriösen Geschäften und Restaurants konfrontiert er auch die wohlhabende Bevölkerung mit seinem Schicksal. Die inhaltliche Informationswiedergabe erfolgt in Hoa Binh hauptsächlich über die Bildsprache. Dialoge sind spärlich gesät, die Aussagen referentiell. Die sich daraus ergebende Betonung der körperlichen Handlung sowie des mimischen Ausdrucks besitzt eine zweifache Funktion. Sie verweist einerseits auf den Verlust von Sprache und Transparenz in einer Welt, in der moralische Werte nicht mehr vermittelt und benannt werden können, andererseits kompensiert diese physische Ausdrucksweise auch diesen Verlust, indem sie der Welt eine stumme Eindringlichkeit zuschreibt. Eine dritte Funktion des »text of muteness« kann im Kontext eines postkolonialen Films aufgezeigt werden. Er vermeidet ein »Sprechen für« die indigene Bevölkerung im Sinne der politischen Bedeutung von Repräsentation, die nach Spivak diesem Begriff innewohnt (vgl. Spivak 1999, S. 256). Zwei lange Monologe fallen aus dem »text of muteness« der Protagonisten heraus. Beim Schuheputzen hört Hung das Gespräch eines amerikanischen Majors, der über die Rolle der USA in der Welt-

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Cinéma Indochina politik räsoniert. Die figurale Fokalisierung Hungs zeigt nur die Schuhe und die Kopfbedeckung des Majors, sein Gesicht ist nie zu sehen. Später folgt Hung einem kommunistischen Aktivisten in einen versteckten Versammlungsraum und lauscht innerhalb einer Gruppe erwachsener Anhänger dessen Rede. Die externe Fokalisierung stellt das Gesicht Hungs in Großaufnahme den Gesichtern, Mimiken und Gesten des Publikums gegenüber, was eine figurale Fokalisierung dieser Personen durch das Kind nahelegt. Die Kontrastierung zwischen dem politischen Diskurs und Hungs Konzentration auf Details seiner Umgebung suggerieren, dass er nicht wirklich zuhört. Für ihn bleibt der Vietnamkrieg nicht mehr als ein Stimmengewirr unterschiedlicher politischer Richtungen. Hungs Schweigen wird in beiden Szenen durch die Nahaufnahme der Kamera auf sein Gesicht immer wieder ins Zentrum der Szene gerückt. Die Sprache, die Hung umgibt, bleibt ihm unverständlich. »This alternation between amplified language and mute gesture suggests the underlying similarity of function of two forms of communication that might on the surface seem to be polar opposites. In a situation where there is no collective voice and struggle is denied a stage, both pantomime and heightened verbal expression serve to point to yet refuse its silencing and privatization.« (O’Shaughnessy 2007, S. 140)

Die unkommentierte Aneinanderfügung politischer Diskurse – sie wird übrigens auch noch durch das Gespräch zwischen Hungs Vater und seinem Vorgesetzten fortgesetzt – verweist auf eine fehlende gemeinsame Stimme innerhalb des Landes. Das politische Melodrama bringt durch den »text of muteness« diese innere Zerrissenheit ans Licht. Hoa Binh folgt auch in seinem Fokus auf Individuen den Strategien des Melodramas. Über die Repräsentation Hungs und seiner Familie wird der tragische Einfluss des Krieges auf die Zivilbevölkerung deutlich. Doch auch die das Land beherrschenden politischen Kräfte werden nicht nur als todbringende Systeme vermittelt, sondern als menschlich handelnde Individuen gezeigt. Amerikanische Militärs verteilen Kaugummi an die Kinder und Hung darf sogar den Helm eines Soldaten aufsetzen. Die Miliz des Vietcongs wird durch die aktive Mitgliedschaft des Vaters nicht nur als grausam mordende Bewegung, sondern auch in ihren Idealen vorgestellt. »Don’t forget, we are fighting for a better world«, wird Hungs Vater von seinem Vorgesetzten in Erinnerung gerufen.

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard

Saigon: Geographien eines Flaneurs Wenn sich Raoul Coutard auch durch seine Genrewahl auf den ersten Blick von den filmpolitischen Äußerungen der Nouvelle Vague abzugrenzen scheint, wird auf der Ebene des Erzählens ihr Einfluss auf den Filmemacher deutlich. Die Bewegung ist durch Hungs Wanderung in Saigon in Hoa Binh nicht nur ein zentrales Motiv der Handlung, sondern wirkt auch auf das Erzählen des Raums zurück. Für Karl Prümm ist ›Bewegung‹ in der Nouvelle Vague ein programmatischer Begriff, der »den Veränderungsimpuls und die Aufbruchstimmung, aber auch das energetische Zentrum der Filme, ihre Motorik und Nervosität [bezeichnet]« (Prümm 2004, S. 117). Raoul Coutards filmische Schreibweise ist nicht zuletzt durch die transnationale Erfahrung der Verortung in einem kolonialen Raum geprägt. Er war durch seinen Einsatz als Kriegsreporter in Indochina fern von der Studioästhetik und der traditionellen Produktionshierarchie zum Film gekommen. Selbst die ersten von Coutard in Paris gedrehten Aufnahmen reflektieren »die Entdeckungslust des Rückkehrers, dem die vertraute Umgebung fremd geworden ist, die folglich neu erobert werden muss« (vgl. Prümm 2004, S. 115). Es überrascht nicht weiter, dass sich Coutard in Paris Jean-Luc Godards abenteuerlicher Suche nach einer Neudefinition des Kinos anschließt, mit dem er die Lust an der Entdeckung neuer Bilder und neuer Bildräume teilt. Godards Ästhetik »avec son besoin de faire ›autrement‹« (vgl. Coutard 2007, S. 314) fungiert von nun an als Rahmen auch für die räumliche Wahrnehmung des angehenden Filmemachers. Auch in Hoa Binh wird diese Lust an der Entdeckung auf der Ebene der Erzählung und der des Erzählens deutlich. Das fundamentale Organisationsprinzip des Films ist die Präsentation zweier Wanderungen durch den Raum. Neben dem diegetischen Flanieren Hungs durch Saigon findet sich auch immer wieder die Wanderung und die dadurch entstehende Raumwahrnehmung der Äußerungsinstanz in die Erzählung eingeschrieben. Bereits die dokumentarische Einstiegssequenz, die das Kriegstreiben des amerikanischen Militärs zeigt, parallelisiert diese Äußerungsinstanz mit dem Filmemacher, der in eine Welt zurückkehrt, die sich durch den Einfluss der USA verändert hat. Diese Sequenz als Glorifizierung der USamerikanischen Präsenz in Vietnam zu beurteilen ist nur eine ihrer möglichen Lesarten (vgl. Blum-Reid 2002, 97). Zwar ist Coutard wie Schoendoerffer ein ancien d’Indo, der sich möglicherweise trotz seiner kritischen Annäherung an den Krieg seiner Ästhetisierung nur schwer entziehen kann, doch rechtfertigt er in seiner Biographie diese Sequenz mit seiner neuen räumlichen Erfahrung Vietnams: »À Saigon, on ne pouvait qu’être frappé par l’omniprésence des hélico-

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Cinéma Indochina ptères. Qu’ils soient de passage ou en vol de surveillance au-dessus de la ville, on entendait sans arrêt le claquement des rotors. J’avais donc envie d’ouvrir le film par une séquence hélico.« (Coutard 2007, S. 310) Durch die Fenster eines der Hubschrauber nimmt die Erzählinstanz in interner Fokalisierung die Landschaft Vietnams als paysage-exposant auf. »Il y a de l’emphase dans le paysage-exposant. Ce faisant il se donne à voir, se fait spectacle redoublant le spectacle. [...] C’est à son pouvoir de séduction, voire de sidération qu’il est fait appel. [...] La démesure qui le caractèrise prend son sens dans le pouvoir qu’il a de porter à la puissance supérieure la grandeur du récit qui l’accueille.« (Gardies 1999, S. 146)

Gardies hat die narrative Funktion des paysage-exposant als stark genremarkierend definiert. Deutlich wird diese Markierung, als ein Flug über den vietnamesischen Dschungel und den Mekong den im Vorspann gezeigten Zoom auf Vietnam auf der Weltkarte fortführt. Durch diese filmische Repräsentation der Landschaft verweist die Erzählinstanz auf die Codes des Kolonial- und des Kriegsfilms und somit auf die kinematographische Tradition, innerhalb der Indochina/Vietnam bisher überwiegend verarbeitet wurden. Die Karte und die von oben aufgenommene Landschaft stellen in diesen Textsystemen einen referentiellen Bezug auf eine geographische und historische Realität dar. Auch die farbliche und akustische Überladung der durch die militärische Präsenz geprägten Landschaft erinnert an jene des Kriegsfilms. Allerdings erhält der Zuschauer keine detaillierten Informationen über die Kriegslage, eine Aufgabe, die im Genre des Kriegsfilms häufig die over-Kommentarstimme übernimmt. Die Erzählinstanz scheint dem Wissen des Publikums zu vertrauen, das durch die mediale Berichterstattung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films ohnehin ausreichend über den Kriegsablauf informiert ist. Eine männliche over-Kommentarstimme wird hingegen eingesetzt, um Zitate über die Bildspur zu sprechen, die der literarischen Tradition Vietnams entstammen. Die Erzählinstanz verlässt nach dieser Einstiegssequenz das Kriegstreiben und begegnet auf der Straße Hungs Vater, den sie in das Haus seiner Familie begleitet. Durch diesen Wechsel der Fokalisierungsinhalte wird endgültig die Erwartungshaltung des Publikums auf einen Kriegsfilm gebrochen. Hungs Vater zieht in den Krieg und der Junge muss sich nun um seine kleine Schwester kümmern, damit die Mutter Geld verdienen kann. Sie verkauft auf den Straßen Saigons frisches Obst. Durch Hungs Flanieren durch die Großstadt lernt der Zuschauer die Orte und Situationen kennen, die für dessen unmittelbare Lebenswirklichkeit bedeutend sind. Die Anwesenheit der Mutter ermöglicht es Hung, sich die

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard Stadt anzueignen. Er beobachtet die Vorführung eines Straßentheaters und die Betel kauende Marktfrau auf dem Markt von Cholon und klettert unter dem wachsamen Blick seiner Mutter auf den Anlegestellen des Hafens von Saigon herum. Auch als die Familie im Haus einer Cousine Unterschlupf sucht, kann sich Hung seinen Freizeitvergnügen widmen. Er spielt mit anderen Kindern Fußball und fischt in einem nahe gelegenen Teich.7 Hungs Bewegung durch Saigon und sein Blick auf die Ereignisse vermitteln eine Lektüre der Stadt, die an jene des Flaneurs erinnert. Auch das filmische Erzählen betont diese Bewegungsform. Die Erzählinstanz überlässt es Hung, sich einen Weg durch den Dschungel der Großstadt zu bahnen. Sie markiert ihre Anwesenheit – ähnlich einem Reiseführer – nur dann, wenn sie es für notwendig hält, auf gewisse Dinge besonders hinzuweisen. Neugierig, in interner Fokalisierung, betrachtet Hung das große Angebot an Früchten, das der Markt von Cholon zu bieten hat. In fotografisch-kunstvoller Manier rhythmisiert eine Parallelmontage die Bewegung Hungs und die Waren des Marktes. Die Parallelmontage besitzt in diesem Kontext zwei Funktionen. Sie betont den der Wahrnehmung des Flaneurs eigentlichen »Augen-Blick« und überträgt diesen auf Hung. Gleichzeitig versucht der Einsatz dieser auffälligen Montagetechnik mit der Illusion der figuralen Fokalisierung zu brechen. Nicht nur Hung nimmt die Angebote des Marktes wahr, auch die ihn begleitende Erzählinstanz scheint von dieser exotischen Vielfalt beeindruckt zu sein und formuliert dies, indem sie die Wahrnehmung der Figur durch ihr Eingreifen betont. Die Kamera hält auch an, um die Zubereitung der Erfrischungsgetränke genau zu beobachten, die die Cousine vor ihrem Haus zum Kauf anbietet. Während die flânerie in den Skizzierungen der Figur des Flaneurs im Anschluss an Charles Baudelaire und Walter Benjamin vor allem den oberen Gesellschaftsschichten zugestanden wird, die dadurch ihre individuelle Aneignung des städtischen Raumes zum Ausdruck bringen, erlaubt Hoa Binh diese Bewegungsform auch einem mittellosen, indigenen Kind. Diese Übertragung lässt sich auch als Wiederaneignung bzw. als Rückerstattung dieses Raumes an seine Bevölkerung interpretieren. Der Film scheint nur auf den ersten Blick einen (stereo-) typisierten Raum einer kontemplativen Beobachtung durch den Zuschauer zur Verfügung zu stellen. Die bereits mit der Landschaft vertraut zu scheinende Erzählinstanz bricht immer wieder diese Illusion und betont, dass in dieser Landschaft ein Krieg stattfindet. Die militärische Präsenz der USA versperrt tagsüber immer wieder die Sicht auf die idyllische Landschaft und übertönt durch den Mo-

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Die Fischerszene Hungs erinnert an Léon Busys Aufnahme Pêche à Roulos.

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Cinéma Indochina torenlärm der Kriegsfahrzeuge die ›natürliche‹ Akustik der Umgebung. Diese intensive Geräuschwahrnehmung reflektiert eine körperlich-sinnliche Raumerfahrung. Die Erzählinstanz scheint sich über die Betonung der Lautstärke der Kriegsumgebung mit dem Protagonisten des Films zu identifizieren. Nach dem Tod der Mutter wird Hung in ein System neuer Kräfteverhältnisse gestoßen. Als er mit seiner Schwester nach Saigon zurückkehrt, hat sich die ihm vertraute Landschaft verändert. Aus Hungs Flanieren, dem Inbegriff des Müßiggangs, wird ein Nomadisieren. Sein Nomadisieren trägt hier nicht die positive Konnotation der Befreiung und der Freiwilligkeit, wie dies Mazierska und Rascaroli für die Repräsentation des Nomadentums im europäischen road movie festgestellt haben, sondern die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs im Sinne von Suche nach Nahrung und Obdach (vgl. Mazierska/Rascaroli 2006, S. 111ff.). Der Markt von Cholon ist leer, der Hafen ist nicht mehr Spielplatz, sondern Arbeitsstätte, Hungs Spaziergang durch die Stadt dient nicht mehr dem Zeitvertreib, sondern dem Broterwerb. Als »Ghetto-Flaneur« definiert Barbara Mennel jene männliche Figur, die sich aufgrund von Armut und Marginalisierung meist nur zu Fuß durch den urbanen Raum bewegt (vgl. Mennel 2008). Auch durch die Fokalisierung wird nunmehr die geschwächte Position des Kindes wiedergegeben. Hung besitzt nicht mehr den aufmerksamen und umfassenden Blick, mit dem er sich früher die Stadt aneignen konnte, sondern nimmt nun vermehrt fragmentarische Ausschnitte der ihn umgebenden Wirklichkeit wahr. Sowohl der Händler, dem Hung beim Ausladen seines Schiffes hilft, als auch der amerikanische Major, dem Hung die Schuhe putzt, werden durch die Perspektive Hungs fragmentarisiert dargestellt. Der Äußerungsinstanz ist es nun nicht mehr möglich, sich in die Perspektive des Jungen hineinzuversetzen und fehlende Elemente zu ergänzen oder auf ein Ereignis besonders hinzuweisen. Sie folgt zwar noch immer der Wanderung Hungs, doch distanziert sie sich zunehmend von der Figur. Charakteristisch für die Distanzierung ist die Szene, in der Hung vor den Fenstern eines von westlichen Gästen besuchten Restaurants um Geld bettelt. Die Kamera fokalisiert das Kind extern. Sie befindet sich im Inneren des Restaurants und beobachtet Hung von einem westlichen Raum aus, während der Junge auf der Straße, im Raum des Anderen, steht. Auch jene Szene, in der Raoul Coutard die Rolle eines Passanten übernimmt, dem eines der Kinder eine Zeitung verkaufen möchte, positioniert den Filmemacher nun außerhalb Hungs Raum. Der – auch in der englischen Synchronfassung des Films französisch sprechende – Passant reagiert auf das Angebot des Jungen aggressiv (»Je ne veux pas de ton journal américain de merde«). Diese Parallelisierung eines französischen Passanten mit dem Filmemacher Ra-

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard oul Coutard unterstreicht nicht nur das Argument, dass in Hoa Binh Coutards persönliche Raumwahrnehmung zum Tragen kommt, sondern bewirkt in weiterer Folge auch eine Parallelisierung von Hoa Binh mit der Tradition der Nouvelle Vague. Es war JeanLuc Godard, der in seinen Filmen die Idee, Regisseure als Schauspieler einzusetzen, zu ihrer Vollendung geführt hat (vgl. Jutz 1988, S. 140). Ebenfalls auf Jean-Luc Godard scheint die Zeitungsszene zu verweisen. Äußerst unwirsch lehnt auch Michel Poiccard in A bout de souffle den Kauf eines Exemplars der Cahiers du cinéma ab.

Hoa Binh: Raoul Coutard, ein Passant Allerdings ist für die jetzt unsichere Position der Äußerungsinstanz im Raum nicht der Tod der Mutter verantwortlich, sondern das Verschwinden des Einflusses der mère patrie in der Kolonie. Ein durch die wachsende Bedeutung von Kapital und Armut geprägter Raum scheint nun auch in ihrer Wahrnehmung, Saigon bedrohlich und undurchsichtig zu machen. Der monetäre Austausch nimmt einen zunehmend bedeutenden Platz in der Erzählung ein. Der Moment der Lohnauszahlung wird für alle Tätigkeiten Hungs in die Erzählung einbezogen. Auch wie Hung dieses Geld einsetzt, nämlich für Glücksspiel, Kinovorführungen und Süßigkeiten, beobachtet die Kamera genau, ebenso die Bezahlung der Cousine durch das amerikanische Pflegepersonal. Dieser Fokus auf Räume des Austauschs verweist auf die wachsende Bedeutung von Geld und Kapital im öffentlichen wie auch im privaten Raum Vietnams. Hier greift Coutards thematische und filmsprachliche Verarbeitung auf ein sujet des postkolonialen Films voraus. Auch Tran Anh Hungs Cyclo (1995) widmet sich in wirtschaftlicher Veränderung befindlichen Räumen, indem er die wachsende Handlungsfähigkeit des Kapitals

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Cinéma Indochina durch den Fluss von Körpern und Geld im städtischen Raum betont. In Cyclo »space looses its geographic and cultural specificity – its sense of being a ›place‹« (Narkunas 2001, S. 156). Während allerdings in Cyclo Saigon als Raum repräsentiert wird, der jegliche kulturelle Identität verloren hat, wird der Stadt in Hoa Binh der Charakter eines Ortes zugeschrieben. Am Schluss des Films wendet sich Hung den traditionellen Riten seiner Kultur zu, Saigon erhält seine kulturelle Spezifik zurück und stellt sich als Ort dar, der von den Traditionen und Bewohnern Vietnams belebt wird.

Die Revolution des europäischen Kinos Typisch für die filmische Verarbeitung durch einen Wegbegleiter der Nouvelle Vague sind die zahlreichen Auto-Repräsentationen des Kinos, die sich in Hoa Binh entdecken lassen. Sie eröffnen ein Netz von Konnotationen, die Hoa Binh nicht nur innerhalb der (Film-) Geschichte lokalisieren, sondern auch die ideologische Position der narrativen Instanz reflektieren und die filmpolitische Dimension dieser Arbeit unterstreichen.

Hoa Binh: Europäisches Kino in Saigon An die europäische Existenz erinnern in Saigon drei Spielfilmproduktionen der sechziger Jahre. Das Filmplakat eines Kinosaals, das Hung bei seiner Wanderung durch die Stadt betrachtet, kündigt Le temps du massacre (Lucio Fulci, 1966) an. Der Titel scheint zunächst auf die kurz darauf in dem Kino explodierende Bombe vorzugreifen, durch die selbst das Kino seine Bedeutung als Ort der Träume zu verlieren scheint. Die Kinder sehen schließlich auf der Straße einen Ausschnitt aus Dynamite Jack (Jean Bastia, 1961). Fernandel ist hier in einer Doppelrolle als Cowboy zu sehen, der durch seinen ungeschickten Umgang mit dem Revolver die Kinder

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard zum Lachen bringt.8 Als Hungs Vater von seinem Kriegseinsatz heimkehrt, streift sein Blick das Filmplakat zu Viva Maria (Louis Malle, 1965). Die Fokalisierung des Viva Maria-Kinoplakats durch Hungs Vater bewirkt eine Parallelisierung von letzterem mit der auf dem Plakat zu sehenden, durch Brigitte Bardot verkörperten Figur der Maria, einer Revolutionärin irischer Herkunft, die keine Waffengewalt scheut, um gegen die Ausbeutung der herrschenden Klasse vorzugehen. In einer ersten Lektüre verweisen diese intramedialen Verweise, die ihre Zugehörigkeit zum europäischen Kino gemeinsam haben, auf das Bemühen des europäischen Kinos, sich in einer von den USA dominierten (Film-)Welt durchzusetzen. Diese erste Bedeutungslinie wird um eine zweite ergänzt, wenn man das Genre berücksichtigt, das diesen Filmen gemeinsam ist, denn diese Filme teilen mehr miteinander als ihre europäische Herkunft. Sie stellen eine europäische Antwort auf den Western dar, ein tief in der Geschichte, der Geographie und der Ideologie der USA verwurzeltes Genre. Während allerdings der Western in den 60er Jahren in den USA in Ungnade fällt, um im darauffolgenden Jahrzehnt gänzlich zu verschwinden, erfährt er in Europa eine Neudefinition (vgl. Moine ²2003, S. 138). Die europäischen Westernproduktionen sprengen die Konventionen des Genres, indem sie die Codes und die durch den amerikanischen Western transportierten Werte verfremden. Die ersten erfolgreichen, auch Spaghettiwestern genannten Italowestern, platzen in eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs und des Umbruchs. In den intramedialen Verweisen auf europäische Verfremdungen des Genres greift Hoa Binh die rituelle Funktion des Western an. Die extreme Gewaltdarstellung sowie die dem Genre inhärenten Konventionen, die Lucio Fulci in seinem blutigen Western Le temps du massacre bis zum Äußersten übertreibt, karrikiert und parodiert, lösen die alten Strukturen des Genres auf und negieren seine rituelle und identifikatorische Funktion. Ebenso verfährt Jean Bastia in Dynamite Jack. Er erinnert in seiner Westernverarbeitung an das Komödienhafte und Burleske, das diesem bis zum Ende der 20er Jahre inhärent war und mokiert sich durch dieses Verfahren über die erst später erfolgende Einbindung der Historie in das Genre, wodurch dieses zur Ursprungserzählung der amerikanischen Nation wurde (vgl. Moine ²2003, S. 133). Am stärksten findet sich die revolutionäre Signifikation der Übernahme des amerikanischen Western durch die europäische

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Der versierte Zuschauer erinnert sich an Jean Bastia als einen Regisseur, der Indochina bereits 1958 in Form eines Abenteuerfilms in die französischen Kinos gebracht hat (Les aventuriers du Mékong).

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Cinéma Indochina Filmproduktion allerdings in der intermedialen Referenz auf Louis Malles »Revolutionswestern« Viva Maria. Die Handlung von Malles ursprünglich ohne politischer Aussage konzipierter, aufwändig gestalteter Komödie situiert sich in einem fiktiven Land Lateinamerikas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine in einem Zirkuswagen umherreisende Theatertruppe schließt sich dem Aufstand der ausgebeuteten Landbevölkerung an, um schließlich in Paris prunkvoll den davongetragenen Sieg zu feiern. Die (westliche) Filmkritik zeigte sich von diesem »pseudowestern mexicain et féministe« mit Brigitte Bardot und Jeanne Moreau in den Hauptrollen unbeeindruckt (Marie ²2001, S. 111). Sie reagiert ablehnend auf Malles kostenintensive, spektakelhafte Komödie, die gewohnte Sehgewohnheiten in Frage stellt, indem sie zwischen Western und fantastischer Abenteuergeschichte oszilliert und diese Genres – in europäischer Tradition – vor allem parodiert. Sowohl für René Prédal als auch für Michel Marie gilt Louis Malles Film als eine filmische Metapher auf das Ende der Epoche der Nouvelle Vague und als Auslöser für die bald darauf stattfindende ästhetische Neuorientierung des Filmemachers, beeinflusst durch die Ereignisse von 1968 und die Ästhetik des cinéma direct (vgl. Prédal 1996, S. 293 und Marie ²2001, S. 95). Louis Malle wird Frankreich im Januar 1968 in Richtung Indien verlassen (Calcutta, 1968), eine Entscheidung, die schließlich Malles persönliche Revolution innerhalb seiner Filmarbeit in Gang setzen wird.

Hoa Binh: Brigitte Bardot in Viva Maria

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Von Hoa Binh nach Saigon – Raoul Coutard Paco Prückner erinnert allerdings an den Publikumserfolg von Viva Maria in sozialistischen Ländern und vor allem innerhalb der Berliner Studentenbewegung. »Wenn auch unbeabsichtigt, so war Viva Maria tatsächlich der erste Film, der einem Teil der linken Szene eine Identifikation (in diesem Ausmaß) gab und bildlich das darstellte, was sich gesellschaftlich plötzlich ankündigte: sexuelle Befreiung, Emanzipation, Verhöhnen von Autoritäten, Handeln, Gewalt. Das alles präsentierte der Film effektvoll mit einer guten Portion Sarkasmus und einem enormen Schwung an Sexappeal und – wichtig – natürlich im Namen der Gerechtigkeit.« (Prückner o.J.)

Ende 1966 entsteht in West-Berlin die aus 20-30 Mitgliedern bestehende Viva Maria-Gruppe. Führende Köpfe und Initiatoren der Berliner 68er Bewegung – darunter Rudi Dutschke – sehen in dem Film den Schlüssel zum Verständnis der möglichen Rolle europäischer Intellektueller in der bevorstehenden lateinamerikanischen Revolution. Die unterhaltende und bunte Darstellung der Gewalt in Viva Maria unterstützt die Hinwendung zur bewaffneten Aktion einiger Studentenaktivisten. Indem die Erzählinstanz aus der Perspektive der späten 60er Jahre und in Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg in Hoa Binh die europäische Verarbeitung des Westerns evoziert, stellt sie einen Zusammenhang zwischen der Übernahme dieses Genres durch das europäische Kino mit der sich zunehmend auflösenden Identifikation der westlichen Bevölkerung in die Politik der USA her, deren Einfluss in Vietnam als destruktiv erlebt wird. Der Hinweis auf die Zirkulation und Verfremdung eines amerikanischen Genres in der europäischen Filmproduktion verweist auch auf Coutards eigene Filmarbeit. Sein Film ist ein Kriegsfilm ohne Kampfszenen, welche die amerikanische Kriegsdarstellung sowohl filmhistorisch auszeichnet als auch die Vietnamkriegsdarstellung im Fernsehen bestimmen. Die in Hoa Binh vorgestellte europäische Perspektive auf den Krieg fokussiert die Zivilisten, nicht die Soldaten, die Opfer, nicht die Täter, die indigene Raumorganisation Vietnams und nicht die Darstellung eines durch transparente Zeichen markierten Kriegsraums. Während der europäische Western eine Antwort auf den amerikanischen Western darstellt, gibt Raoul Coutard mit Hoa Binh eine europäische Anwort auf das ebenso amerikanisch geprägte Genre des Kriegsfilms. Jacques Mauduy und Gérard Henriet haben gezeigt, wie der Western an der Repräsentation des geographischen Raums des amerikanischen Westen beteiligt ist. Die géographies du western lösen die räumliche Organisation der Urbevölkerung des amerikanischen Westens zugunsten einer ›amerikanisch‹ historisierten Raumorganisation auf (vgl. Mauduy/Henriet 1989, S. 25-40). Der 199

Cinéma Indochina europäische Western parodisiert diese falsifizierte Raumdarstellung, indem er ihr einen gänzlich fiktivisierten und ahistorischen Handlungsraum gegenüberstellt. Auch im amerikanischen Kriegsfilm stellt Vietnam überwiegend den Handlungsraum für eine amerikanische Geschichte dar. In Coutards Antwort auf das Genre erhält die vietnamesiche Bevölkerung Saigon zurück. Besonders die Schlusssequenzen von Hoa Binh, in denen sich Hung wieder den traditionellen Elementen seiner Kultur zuwendet und sein Vater aus dem Krieg zurückkehrt, betonen dieses Bemühen um eine Rückerstattung des Raumes an die indigene Bevölkerung.

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INDOCHINA SONGS – MARGUERITE DURAS

Chanson, De ma terre lointaine Toi qui parleras d’elle Maintenant disparue Toi qui me parles d’elle De son corps effacé De ses nuits, de nos nuits De ce désir là De ce désir mort Jeanne Moreau: India Song (1975) Text: Marguerite Duras, Musik: Carlos D’Alessio

Marguerite Duras, ihre Kindheit, ihr Kino Marguerite Duras, 1914 in Giadinh, Südvietnam geboren, erlebt als zweites der drei Kinder von Marie und Henri Donnadieu ihre Kindheit in Indochina. Ihre Mutter ist Lehrerin, ihr Vater Mathematikprofessor, Verfasser eines Buches über Exponentialfunktionen und Direktor des Bildungswesens in Hanoi, Tongking und Kambodscha. Der berufliche und finanzielle Status der Eltern räumt der Familie einen respektablen Platz in der gehobenen kolonialen Gesellschaft ein, ihm verdanken sie privilegierte Wohnverhältnisse in den imperialen Villen der Kolonie. Als Marguerites Vater im Jahr 1921 an der Ruhr stirbt, entschließt sich Marie Donnadieu mit ihrer Tochter und ihren zwei Söhnen in der Kolonie zu bleiben und von der Kolonialverwaltung eine Konzession in der Provinz Kampot an der kambodschanisch-siamesischen Grenze zu erwerben. Das Land erweist sich jedoch als unkultivierbar, da es die Hälfte des Jahres von der Flut überschwemmt wird. Marie Donnadieu, die mit dem Erwerb des Landes all ihre Ersparnisse verloren hat, kehrt in ihren alten Beruf zurück und eröffnet eine Schule in Saigon. 1932 verlässt Marguerite Duras 18-jährig die Kolonie, kehrt zunächst in das Familienanwesen ihres Vaters nach Duras, in den Südwesten Frankreichs, zurück und übersiedelt dann nach Paris, wo sie bis zu ihrem Tod 1994 in der rue Saint-Benoit in Saint-Germain-des-Prés lebt. 201

Cinéma Indochina Mit dem Künstlernamen Marguerite Duras zeichnet sie schließlich ihr literarisches und kinematographisches Schaffen, in welchem sie ihre Erinnerungen an die Orte und Menschen aus der Kolonie verarbeitet und verfremdet.1 Nie wieder kehrt sie allerdings an diesen Ort ihrer Kindheit zurück. Es war nicht Marguerite Duras selbst, die ihren Erinnerungen aus Indochina die prägnantesten filmischen Bilder gegenüber gesetzt hat. Anders als ihre Bücher, mit denen sie weltweit als Autorin Erfolge feiert, sind ihre beliebtesten Filme jene, bei denen sie nicht Regie geführt, sondern nur die Drehbuchvorlage geliefert hat. Dazu gehören René Cléments Un Barrage contre le Pacifique (1956), Alain Resnais’ Hiroshima, mon amour (1958), Moderato cantabile (Peter Brook, 1960), Une aussi longue absence (Henri Colpi, 1961), Dix Heures et demie du soir en été (Jules Dassin 1965), Le Marin de Gibraltar (Tony Richardson, 1965), L’Amant (1991) unter der Regie von Jean-Jacques Annaud und Un barrage contre le Pacifique (2007) des Franko-Kambodschaners Rithy Panh. Erst mit Détruire dit-elle (1969)2, Jaune le soleil (1971), Nathalie Granger (1972), La femme du Gange (1973) wird Marguerite Duras mit mehr als fünfzig Jahren auch zur Regisseurin, wobei sie allerdings erst durch India Song (1974) auch für ihre kinematographische Arbeit den Ruhm erlangt, der ihr für ihre schriftstellerische Leistung bereits zuteil wurde.3 Obwohl Marguerite Duras erst spät beginnt, Filme zu machen, hat sie eine enge und bereits in ihrer Kindheit verankerte Beziehung zum Kino, möglicherweise4 vergleichbar mit jener Suzannes, der Protagonistin ihres Romans Un Barrage contre le Pacifique (1950). Suzanne und ihr Bruder verbringen im Saigon der 20er Jahre lange Abende in dem Kino, in dem ihre Mutter die Filme der Stummfilmära auf dem Klavier begleitet. Einige Jahre später besucht Suzanne tagsüber alleine die Filmvorführungen in der Stadt. Über die diegetische Versunkenheit vergisst Suzanne die Hierarchie der kolonialen Gesellschaft, die sie umgibt. Nur das Kino liefert Demokratie, Gleichberechtigung, Offenheit und Trost.

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Unter dem Namen Marguerite Donnadieu veröffentlicht sie nur ein Buch. 1940, während ihrer Arbeit im Kolonialministerium, erscheint in Zusammenarbeit mit Philippe Roques L’Empire français, eine Hymne an das Kolonialunternehmen Frankreichs (vgl. Adler 1998, S. 136). Bei den Dreharbeiten zu La Musica (1966) wurde Duras noch ein erfahrener Regisseur zur Seite gestellt, sie selbst fungiert als Co-Regisseurin. Für India Song wird Marguerite Duras 1975 in Cannes mit dem Preis der Association Française des cinémas d’art et d’essai ausgezeichnet. Auf die von Duras selbst inszenierte und immer wieder aufgelöste Verbindung der Personen und Orte ihrer Werke mit ihrer Biographie muss an dieser Stelle hingewiesen werden.

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Indochina Songs – Marguerite Duras »Le piano commença à jouer. La lumière s’éteignit. Suzanne se sentit désormais invisible, invincible et se mit à pleurer de bonheur. C’était l’oasis, la salle noire de l’après-midi, la nuit des solitaires, la nuit artificielle et démocratique, la grande nuit égalitaire du cinéma, plus vraie que la vraie nuit, plus ravissante, plus consolante que toutes les vraies nuits, la nuit choisie, ouverte à tous, offerte à tous, plus généreuse, plus dispensatrice de bienfaits que toutes les institutions de charité et que toutes les églises, la nuit où se consolent toutes les hontes, où vont se perdre tous les désespoirs, et où se lave toute la jeunesse de l’affreuse crasse d’adolescence.« (Duras 1950, S. 188)

Mit dieser literarisch verarbeiteten »visuellen Lust« (Laura Mulvey), die das Kino seinem Zuschauer bietet, wird Duras in ihren eigenen Filmen brechen. Im Unterschied zu ihren Romanen und den Romanverfilmungen anderer Regisseure – René Clément dreht in Malaysia, Jean-Jacques Annaud in Vietnam und Rithy Panh schließlich in der Provinz Kampot selbst – situiert Duras ihre Filme nicht in Indochina bzw. einem geographisch und klimatisch ähnlich beschaffenen Raum. Auf der Suche nach einer filmischen Ausdrucksform für den Ort ihrer Kindheit untergräbt sie die Mechanismen der kinematographischen Repräsentation. Im Gegensatz zu den Texten, deren Handlungsort Indochina ist und die das Leben in der französischen Kolonie detailliert beschreiben, lokalisieren ihre Filme Indochina intentional nicht.5 Nach der Devise »tout est partout« greift sie in ihrer kinematographischen Arbeit auf geographische Überlagerungen zurück (vgl. Duras ²1987, S. 137). »Ce n’est pas la peine d’aller à Calcutta, à Melbourne ou à Vancouver, tout est dans les Yvelines, à Neauphle. Tout est partout. Tout est à Trouville. Melbourne et Vancouver sont à Trouville. Ce n’est pas la peine d’aller chercher ce qui est sur place. Il y a toujours sur place des lieux qui cherchent des films, il suffit de les voir.« (Duras ²1987, S. 137)

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Nur in einem Film gibt es mehr als eine intellektuell verarbeitete Anspielung auf den wirklichen Ort Indochina. In Des journées entières dans les arbres (1976), einem verfilmten Theaterstück, kommt eine ältere Dame, geschmückt mit Juwelen, nach Paris, um dort ihren erwachsenen Sohn zu besuchen. In der Pariser Wohnung schwelgt sie vor ihm und seiner Freundin, einer Prostituierten, in Erinnerungen an die Kolonie. Sie evoziert die Unerträglichkeit des Klimas, das die Familie dazu veranlasste, ganze Tage unter den Bäumen zu verbringen. Eine – im Studio gedrehte – Einstellung, in der sich drei Kinder auf einer Veranda ausruhen, verbildlicht diese Erinnerung. Dieses Flashback wird von der Stimme der Mutter getragen, die im weiteren Verlauf über diesen Ort nie anders sprechen wird als über »die Kolonie« oder »dort«.

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Cinéma Indochina Sie dreht beispielsweise in den Villen der Metropole, um eine Beziehung zu den kolonialen Residenzen herzustellen, in denen sie als Tochter französischer Funktionäre lebte. Auch die Wasserläufe der Seine bewegen sich immer wieder parallel zu denen des Ganges und des Mekongs. Die konkreten Orte sind auf diese Weise zwar unsichtbar, aber nicht abwesend, denn gerade »l’entre-deux d’une désignation trompeuse peut donner aux lieux trop chargés d’affect une présence cinématographique supportable.« (Desbarats 1992, S. 87) Nicht nur dieser Bruch, den die politisch engagierte6 Duras in ihrer eigenen Filmarbeit mit der traditionellen Kinematographie vollziehen wird, kündigt sich bereits in Suzannes Beziehung zum Kino an. Auch das Bedürfnis nach Abgrenzung von der eigenen Familie – ein wesentlicher Schritt für die Annäherung der Duras an die indigene Kultur Indochinas (vgl. Bouthors-Paillart, S. 2002, S.112) – wird durch Suzannes Kinoerlebnis verstärkt. »Après le déjeuner elle quittait l’hôtel et se rendait directement dans un premier cinéma. Ensuite dans un second cinéma. Il y en avait cinq dans la ville et les programmes changeaient souvent. Carmen comprenait qu’on aime le cinéma et lui donnait de l’argent pour qu’elle y aille autant qu’il lui plairait. [...] Avant de faire l’amour vraiment, on le fait d’abord au cinéma, disait-elle. Le grand mérite du cinéma c’était d’en donner envie aux filles et aux garçons et de les rendre impatients de fuir leur famille. Et il fallait avant tout se débarrasser de sa famille quand c’était vraiment une famille.« (Duras 1950, S. 199)

Schon in ihrem ersten Filmtitel Détruire, dit-elle ist dieses von der 68er Bewegung ausgehende bonheur de la désobéissance präsent. Duras folgt in ihrer Filmarbeit zwar dem repräsentativen Schema des klassischen Kinos, dekonstruiert allerdings innerhalb dessen die Repräsentation. Begreift man Marguerite Duras als transnationale Filmemacherin, ist diese Dekonstruktion der filmischen Repräsentation jedoch nicht nur auf ihr politisches Engagement zurückzuführen. Die amerikanisch-vietnamesische Filmemacherin und (Film-)Theoretikerin Trinh T. Minh-ha greift ebenfalls dekonstruktive Mechanismen in der filmischen Repräsentation auf, um so im Filmemachen jenes »Grenzereignis«7 zu verarbeiten, das auch in ihrer Biographie eingeschrieben ist. Wie Duras realisiert auch Trinh

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Ein politisches Engagement wird Marguerite Duras auch in ihrem weiteren Leben immer wieder übernehmen. 1960 gehört sie zu den Unterzeichnerinnen des Manifeste des 121 gegen den Algerienkrieg, im Mai 1968 kämpft sie auf der Seite der Pariser Studenten. »Grenzereignisse: so kann ich mich vielleicht auf meine Arbeit und mich selbst beziehen« (Trinh 2001, S. 1).

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Indochina Songs – Marguerite Duras T. Minh-ha ihr filmisches Werk auf der Basis einer erlebten Wirklichkeit, für deren Darstellung sie nach einer geeigneten Form sucht. »Dabei bildet die Wirklichkeit in ihrer gesellschaftlichen und historischen Dimension nicht das Material einer künstlerischen Reflexion oder eines politischen Engagements; sie ist das, was einen kraftvoll zum Kino hinzieht und was, wenn ihm nicht mit Subtilität und Verletzbarkeit begegnet wird, nicht zu greifen ist, da sich ihr fragiles Wesen sonst auflöst.« (Trinh8 2001, S. 1)

Indem sie konventionelle Seh- und Denkgewohnheiten in Frage stellen, führen sowohl Trinh T. Minh-ha als auch Marguerite Duras in ihren Filmen in ein fremdes Land, »in dem sich die ZuschauerInnen oft verloren [fühlen], […] wo sie sich nicht mehr sicher sind, was sie eigentlich sehen oder hören« (Trinh 2001, S. 1). Besonders im »narrativen Raum des Filmemachens«, in dem traditionelle Erzählkonventionen an den Rand gedrängt und denaturalisierte Darstellungsräume entworfen werden, entsteht nach Trinh T. Minh-ha die kreative Verarbeitung von kultureller Differenz. Die von der Filmemacherin hier für ihr eigenes Werk entworfene Theoretisierung kann auch auf jenes der Marguerite Duras übertragen werden, das die identitäre Zwischenposition der Autorin ebenfalls im »narrativen Raum des Filmemachens« thematisiert.

désirIndia Song : le désir - métis Die postkoloniale Analyse hat den analytischen Fokus auf das Werk Duras’ weg von ihrer Repräsentation von Sexualität und Begierde geführt und die Verarbeitung der interkulturellen und politischen Position der Autorin ins Zentrum ihrer Untersuchung gestellt. In diesem analytischen Kontext lassen sich zwei gegensätzliche Traditionen feststellen (vgl. Waters 2003, S. 253). Während die eine in den Texten der Autorin eine kolonialkritische Haltung herauszulesen meint, versteht die andere ihre Arbeiten als Ausdruck imperialistischer Ideologie. Innerhalb dieser Debatte besitzt der Film India Song (1974) einen wichtigen Stellenwert. Die Filmtrilogie La femme du Gange (1973), India Song und Son nom de Venise dans Calcutta désert (1976) basiert auf dem cycle indien genannten Romantryptichon Le ravissement de Lol V. Stein (1964), Le Vice-consul (1965) und L’Amour (1971). Zwölf Jahre lang – von 1964 bis 1976 – beschäftigt sich Duras mit diesem Werk. Die 8

Im Vietnamesischen wird zuerst der Familien-, dann der Vorname genannt. Diese Reihenfolge wird in dem Buch beibehalten, eine Ausnahme stellen zwecks der Einheitlichkeit die bibliographischen Angaben dar.

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Cinéma Indochina Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Thema, das wiederholte Auftreten der Figuren an den gleichen Orten führen diese unterschiedlichen Texte zu einem Zyklus zusammen, dessen Zusammenhalt nicht durch Chronologie entsteht, sondern durch die zyklische Darstellung der Entwicklung untereinander verwobener Schicksale während bestimmter Ereignisse an spezifischen Orten. Im Zentrum des Zyklus’ steht der Ball in S. Thala (oder Tahla), bei dem Lola Valerie Stein von ihrem Verlobten Michael Richardson verlassen wird, der seiner Geliebten Anne-Marie Stretter nach Indien folgt. Hier knüpft die Handlung von Le vice-consul bzw. India Song an. In der französischen Botschaft von Kalkutta gibt das Ehepaar Stretter einen Ball. Zum Kreise der Eingeladenen gehören zahlreiche Bewunderer der Anne-Marie Stretter, darunter auch der Vizekonsul Frankreichs in Lahore, der in der kolonialen Gesellschaft in Misskredit geraten ist, nachdem er in Shalimar auf Leprakranke geschossen hat. Neben dieser innerhalb der europäischen Diplomatengesellschaft situierten Handlung existiert ein zweiter Handlungsstrang, der von der Wanderung einer Bettlerin aus Savannakhet (Laos) bei ihrer Suche nach Nahrung und Obdach erzählt. Christine Holmlund untersucht bereits Anfang der 90er Jahre drei Filme Marguerite Duras’ – India Song, Son nom de Venise dans Calcutta désert und Les mains négatives (1978) – unter dem Einfluss der Arbeiten Edward Saids und Homi Bhabhas. Holmlund schließt aus ihrer Analyse, dass auch in der kritischen Erzählhaltung der Autorin die Frauen und die nicht-europäischen Figuren den gängigen kolonialen Stereotypen entsprechen (vgl. Holmlund 1991, S. 3). Für Holmlund ist gerade India Song beispielhaft für die prokoloniale Aussage der Filmemacherin Duras. In diesem Film herrsche jene Repräsentation des Orients vor, die Said für die imaginären Geographien der imperialen Literaturen definiert hat. Der Orient stelle in India Song eine abstrakte und undifferenzierte räumliche Einheit dar, auch die vage historische Situierung der Handlung sei ein Hinweis auf die Zugehörigkeit des Textes zu dem von Said inhaltlich und formal skizzierten Korpus. Das Dekor des Films präsentiert die französische Botschaft in Kalkutta und das Hotel Prince of Wales in Form weiter Räume und luxuriöser Innenausstattung, als deren Drehort Frankreich deutlich erkennbar ist. Die Kostüme und der Schmuck der europäischen Figuren sind von edlem Material und exklusivem Design. Das Modehaus Cerrutti 1881 zeichnet für die Kostüme verantwortlich, wie im Abspann des Films zu lesen ist. Sowohl die Darsteller als auch der Raum und die von Carlos d’Alessio komponierte Filmmusik wecken die Sehnsucht nach einer imaginären Welt (vgl. ebd., S. 12). Holmlund erwähnt auch die Rollenverteilung zwischen kolonisierten und kolonisieren-

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Indochina Songs – Marguerite Duras den Subjekten. Während der einzige Inder in dem Film keine Stimme besitzt und die Rolle des Dieners einnimmt, besitzt wiederum die Bettlerin aus Savannakhet nur eine Stimme und keine bildliche Entsprechung (ebd., S. 11). Holmlund liest sowohl die Darstellung des kolonialen Raums als auch der kolonialen Gesellschaft in India Song als stereotypisiert, ohne die Möglichkeit zu bedenken, dass Duras diese Form der Darstellung instrumentalisiert, um diese gegen sich selbst zu wenden. Lucy Stone McNeeces Analyse Art and Politics in Duras ›India Cycle‹ (1996) schlägt diese Lektüre des stereotypisierten kolonialen Rahmens als Subtext vor. »[…] the atmosphere of indolence that surrounds Madame Stretter, instead of signifying the laze and luxury of colonial power, suggests oppression and the weight of the society's impotence. Her languid silence, traditionally associated with female passivity and helplessness, begins to signify indifference and disdain for the elaborate staging of colonial power.« (McNeece 1996, S. 8)

Die von Marguerite Duras in ihrem cycle indien vor allem den Frauen zugeschriebenen stereotypisierten Charakterzüge wie Wahnsinn, Sprunghaftigkeit und Promiskuität diagnostizieren nicht die Figuren als erkrankt, sondern verweisen in Stone Mc Neeces Analyse auf eine gänzlich krankhaft agierende Kultur. Catherine Bouthors-Paillart umgeht in ihrer Arbeit Duras la métisse diese oppositionellen Lesarten der Texte zugunsten einer, die der in der Biographie der Autorin eingeschriebenen kulturellen Zwischenposition (métissage) eine zentrale Bedeutung einräumt. Als Ausgangspunkt wählt Bouthors-Paillart, deren textanalytische Studie sowohl auf öffentlichen Äußerungen der Autorin wie auch auf ihren fiktionalen schriftstellerischen Arbeiten beruht, einen von Duras erst im Alter von 62 Jahren, im Jahre 1976, veröffentlichten Text Les enfants maigres et jaunes, in dem Duras à posteriori die Rationalisierung ihrer identitären Zwischenposition vornimmt. Catherine Bouthors-Paillart arbeitet anhand eines close reading dieses Textes ein spezifisches Konzept des métissage heraus, das sich – wie sie zeigen wird – als »poétique du métissage« durch das Werk der Duras zieht (vgl. Bouthors-Paillart 2002, S. 1-12). Bei Duras entspringt der métissage nicht einer biologischen Konstellation, in der zwei verschiedene ethnische Zugehörigkeiten in einem Individuum vereinigt sind, sondern entspricht vielmehr ihrem Begehren, sich der indigenen Bevölkerung anzunähern. Als »le fantasme de métissage« oder als »le désir-métis« präzisiert Bouthors-Paillart dieses Begehren nach einem métissage, das der Text durch das Verhalten der beiden Kinder illustriert. Sie bevorzugen Mangos und Reis der westlichen Nahrung, die die Mutter zubereitet, und unterhalten

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Cinéma Indochina sich auf Vietnamesisch, einer Sprache, die der Mutter unzugänglich ist. Die Sehnsucht nach einer métis-Identität ist nach BouthorsPaillarts psychologischer Analyse des Textes Les enfants maigres et jaunes zweifach begründet. Sie ist einerseits der Versuch, sich von der Autorität der Mutter zu befreien, andererseits die Verarbeitung eines Schuldgefühls gegenüber der indigenen Bevölkerung der Kolonie, für deren Unterdrückung und Ausbeutung sich Marguerite Duras als Mitglied der herrschenden Klasse verantwortlich fühlt. Auch auf den Holocaust wird Marguerite Duras durch ein Bedürfnis nach einer Identifikation mit den Opfern reagieren, in dem sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine (imaginäre) jüdische Identität zuschreibt (vgl. ebd., S. 105). Die Schuld, dem jüdischen Volk trotz ihrer Mitarbeit im Widerstand nicht geholfen zu haben, wird als weitere traumatische Erfahrung ihr Werk begleiten. »Ressentis comme deux trahisons dont elle ne s’est jamais remise, ces traumatismes semblent avec le temps s’être confondus en une seule et même faute, une seule et même douleur.« (Bouthours-Paillart 2002, S. 104) In Bouthors-Paillarts Analyse reflektieren diese Sehnsucht nach der identitären Mischung vor allem die von Duras entworfenen Figuren sowie die künstlich verfremdete Sprache der Autorin. Bouthors-Paillart beschreibt letztere als »travaillée, perturbée, parasitée par les soubresauts d’un idiome clandestin, celui de son enfance, le vietnamien« (ebd., S. 140). Am Beispiel der wiederkehrenden Verarbeitungen des Flusses und des Waldes in den Arbeiten der Autorin deutet Bouthors-Paillart an, dass sich auch durch die Durassche Raumdarstellung eine Poetik des métissage zieht (vgl. ebd., S. 89-104). Es wurde bereits angedeutet, dass sich die in der kolonialen Raumaufteilung verwurzelte kulturelle Zwischenposition der Autorin Marguerite Duras in der Filmästhetik der Cineastin Marguerite Duras wiederfindet. Sie prägt auch in besonderer Weise die filmische Raumdarstellung. India Song aufgrund seiner in Indien situierten Handlung nicht in das Korpus der postkolonialen Raumverarbeitungen Indochinas aufzunehmen, würde diesen um eine seiner wohl subtilsten filmischen Raumbeschreibungen reduzieren. Gerade in India Song ist die identitäre Zwischenposition der Autorin und die daraus resultierende spezifische Raumreflexion auf der Ebene des Erzählens deutlich sichtbar. Auffällig sind in dieser Hinsicht die Filmtitel, die allesamt auf konkret existierende Orte verweisen. Während die Titel der Romane des cycle indien die auftretenden Figuren oder Gefühlskonstellationen thematisieren, treten diese in den Filmtiteln zugunsten des Raumes in den Hintergrund. Nicht nur die Figuren wurden auf diese Weise, wie die Autorin bemerkt, »délogés […] et projetés dans des nouvelles régions narratives« (Duras 1973, S. 9),

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Indochina Songs – Marguerite Duras auch das von ihr als Handlungsort gewählte Land Indien kann als Übertragung und Projektion der ihr bekannten Kolonie Indochina betrachtet werden.9 »La meilleure façon de spécifier le cycle est décidément de recourir au ›nom de lieu‹, à la façon dont il occupe les titres durassiens (le cycle serait ›indien‹, comme L’Homme ›atlantique‹), c’est-à-dire sans traduire par la notation géographique une quelconque ambition mimétique. Cette mention doit davantage être comprise comme une mention d’univers qui donne en partage aux trois récits la qualité d’être de l’Inde, ou plutôt telle qu’on la rencontre, d’être ›des Indes‹ (avec le pluriel colonial qui chez Duras inclut l’Indochine).« (de Chalonge 2005, S. 18)

Marguerite Duras ist Indien, das sie als Handlungsort für einen ihrer bekanntesten Stoffe wählt, nur von einem eintägigen Aufenthalt während ihrer Rückreise von Indochina nach Frankreich bekannt (vgl. Duras ²1987, S. 209). Auch in der medialen Durchlässigkeit der Texte des Zyklus spiegelt sich der kulturelle métissage der Autorin wider. Neben den oben genannten Filmen und Romanen umfasst das Korpus des cycle indien auch zwei hybride Texte – La Femme du Gange (1973) und India Song (1973) – die als eigenständige Versionen die Filme begleiten. Die Transgression der Textsorten in letztgenannter Veröffentlichung, die Duras als »texte-théâtre-film« bezeichnet, löst jede Art von identitärer Grenze auch in der Textproduktion auf. Diese Verarbeitung von India Song versammelt nämlich nicht eine naheliegende découpage der Filmszenen, sondern liefert – neben Anmerkungen und Anweisungen der Autorin – eine neue Anordnung der intervenierenden Stimmen des Romans Le Vice-consul sowie des Films India Song. Der Titel India Song verweist ebenfalls auf die Benennung eines Grenzraums. Führt man den Titel auf den linguistischen métissage zwischen der französischen und der vietnamesischen Sprache Duras’ zurück, dann bedeutet India Song nicht ›das Lied aus Indien‹ (vgl. zum linguistischen métissage Bouthours-Paillart 2002, S. 143234). In der Bezeichnung les Indes steckt der koloniale Plural, der bei Duras Indochina einschließt (vgl. de Chalonge 2005, S. 18). Ebenso ist der englische Ausdruck für Lied nur einer der möglichen Bedeutungsinhalte des Wortes »song« (vgl. Desbarats 1992, S. 87). »Song« ist nicht nur der Name der letzten chinesischen Kaiserdynas-

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»Moi, c’est tout. Moi, c’est Calcutta, c’est la Mendiante, tout, c’est le Mékong, c’est le poste. Tout Calcutta. Tout le quartier blanc. Toute la colonie. Toute cette poubelle de toutes les colonies, c’est moi. C’est évident. J’en suis née. J’en suis née et j’écris.« (Duras/Noguez ²2001, S. 70)

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Cinéma Indochina tie in Vietnam, der Ausdruck bezeichnet in der vietnamesischen Sprache auch ›Verlauf des Wassers‹. Wie Catherine BouthorsPaillart zeigt, ist der Fluss ein explizites Thema in der Fiktion der Marguerite Duras’, da er das Begehren nach einem métissage zu verwirklichen in der Lage ist (vgl. Bouthors-Paillart 2002, S. 91). »Passer d’une rive à l’autre, avec ou sans passeur, revient à se dépouiller définitivement d’une identité et d’un mode de vie jugés inauthentiques parce que monolithiques, pour en inaugurer d’autres, radicalement multiples et décentrés.« (Bouthors-Paillart 2002, S. 90) Ebenso beruft sich das von Carlos d’Alessio komponierte Musikstück India Song in keinerlei Weise auf die musikalische Tradition Indiens, sondern wählt Indien als Metapher für eine gegenüber dem Westen peripher gelegene Musikkultur. Seine Annäherung an die Komposition erläutert d’Alessio in einem Gespräch mit der Filmemacherin: »J’avais imaginé une scène de bal comme celles que j’avais vécues dans une autre culture, périphérique par rapport à la culture occidentale. Pour moi, ce bal à Calcutta était l’équivalent des bals que j’ai vécus dans les années quarante en Argentine. Nous étions à la périphérie du centre du monde, Paris, Londres, New York.« (Duras/Noguez ²2001, S. 92).

Roberto Zemignan interpretiert auch die wiederkehrenden, unterschiedlichen Formen der Trennung zwischen der Bild- und der Tonspur in der Filmarbeit Marguerite Duras’ als formale Umsetzung der autobiographischen Trennung der Autorin vom Ort ihrer Kindheit (vgl. Zemignan 2004). Der Film India Song beruht auf einer konsequenten Trennung von Bild- und Tonspur. Die sprachlosen Körper der Bildebene – Anne-Marie Stretter im Kreise einiger Gäste während des Ballabends in der französischen Botschaft von Kalkutta – und die körperlosen Stimmen der Tonebene – sie beschreiben und kommentieren die Bilder –, die Jean-Pierre Esquenazi als »personnages-corps« und »personnages-voix« bezeichnet, hinterlassen beim Zuschauer ein Gefühl des Fehlens und der Leere (vgl. Esquenazi 2001, S. 446). Den Körpern fehlt die korrespondierende Stimme, und die Stimmen besitzen keine Körper. Die Tilgung der Synchronie von Bild und Ton, dieses wichtigen filmischen Realitätseffekts, scheint auf die Vergänglichkeit der Erinnerung und ihre nur lückenhaft mögliche Nachstellung hinzuweisen. Michel Foucault hat das von Duras geschaffene Universum als »Gedächtnis ohne Erinnerung« (»la mémoire sans souvenir«) beschrieben, als »une mémoire qui a été entièrement purifiée de tout souvenir, qui n’est plus qu’une sorte de brouillard, renvoyant perpétuellement à de la mémoire, une mémoire sur de la mémoire [...].« (Foucault 1994 [1975], S. 763). 210

Indochina Songs – Marguerite Duras

Stimmen und Unstimmigkeiten Durch die konsequente Trennung der Ton- von der Bildspur in India Song sind zwei Erzählinstanzen – eine verbale und eine bildliche – für die Topographie als Repräsentation von Raum verantwortlich, von der schließlich die Topographie als Raum der Repräsentation ausgeht. Diese Erzählinstanzen konstruieren Orte, von denen gesprochen wird, und Orte, die dargestellt werden. Die verbale Erzählinstanz (énonciation verbale) liefert die (räumliche) Erzählung durch die Gesprächssituationen stimmlicher Figuren (vgl. de Chalonge 2002, S. 131-157). Diese übernehmen das Erzählen der »histoire d’un amour, vécu aux Indes, dans les années 30, dans une ville surpeuplée du Gange«, die durch die körperlichen Figuren der Bildebene nachgestellt wird.10 Die Quellen für die Erzählung der Geschichte sind zahlreich: »Des voix – sans visage – au nombre de quatre (voix de deux jeunes femmes, d’une part, et voix de deux hommes, d’autre part) parlent de cette histoire. [...] L’histoire de cet amour, les voix l’ont sue, ou lue, il y a longtemps.«11 Die Gesprächssituationen der stimmlichen Figuren 1 und 2 sowie der stimmlichen Figuren 3 und 4 erzählen die Geschichte der AnneMarie Stretter als ein Ereignis der Vergangenheit, wobei erstere auf ein historisches Präsens zurückgreifen und letztere die Vergangenheit auch in der Tempusform markieren. Sie situieren sich außerhalb der Geschichte. Ihre heterodiegetische Erzählung erfolgt durch den Rückgriff auf eine voice over, welche deutlich macht, dass sie sich nicht in einem dem Bildausschnitt angrenzenden Raum befinden. Diese Vorgangsweise dient in der Analyse von Dominique Noguez dazu, eine Vergangenheit in einem Medium anzuzeigen, das sich spontan in der Gegenwart situiert. Die unabhängige Tonspur »donne au film la réverbération du passé, comme si la distance du son par rapport aux images creusait une autre distance, plus fondamentale, avec le présent de la projection. Ce qui se passe devant nous ›a déjà eu lieu‹« (Noguez 2001, S. 78f.). Die stimmlichen Figuren 1 und 2 sind »atteintes de folie«, »elles délirent«. Sie übernehmen die Aufgabe, die Bildspur zu beschreiben, ohne dass ein mimetisches Bild mit ihrer sinnlichen Wahrnehmung übereinstimmt (vgl. de Chalonge 2002, S. 142). Die stimmlichen Figuren 3 und 4 übernehmen das Erzählen des Fortgangs der Geschichte 10 Dominique Noguez weist darauf hin, dass die Figuren in India Song nicht verkörpert (incarné), sondern nur dargestellt (interprété) werden (vgl. Noguez 2001, S. 75). 11 Dass hier immer wieder auf das von Duras selbst geschriebene Resümee ihrer Arbeit rekurriert wird, folgt einer Anweisung der Autorin: »Ce résumé est le seul qui vaut pour la représentation d’India Song.« (Duras 1972, S. 147)

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Cinéma Indochina nach dem Empfang der Stretter. Sie wissen über die Geschichte genau Bescheid und werden im Film von den Stimmen Dyonisos Mascolos und Marguerite Duras’ getragen. Der Unterschied zwischen den stimmlichen Figuren 3 und 4 besteht in der Genauigkeit ihres Gedächtnisses. Während die Stimme 3 bereits die genaue Chronologie der Ereignisse vergessen hat, besitzt die Stimme 4 noch eine genaue Erinnerung daran. Sie übernehmen prologartig die Erzählung der letzten Momente der Anne-Marie Stretter, indem die Stimme 3 die Stimme 4 nach den Details der Geschichte fragt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Marguerite Duras selbst die Stimme übernimmt, die sie eigentlich einem männlichen Sprecher zugeordnet hat. »Par sa capacité à répondre, sans hésitations ni défaillance, d’un ton maîtrisé, cette dernière voix fait véritablement autorité« (de Chalonge 2002, S. 143). Während des Empfangs der Stretter übernehmen die stimmlichen Figuren der Gäste über eine voice off die Rolle der Erzählinstanz. Sie sind in der Diegese anwesend, ohne darauf durch eine körperliche Präsenz in Form einer körperlichen Figur hinzuweisen. Ihre Gesprächsthemen drehen sich um das für die Europäer durch die klimatischen, sozialen und hygienischen Verhältnisse als unerträglich wahrgenommene Leben in der Kolonie und kommentieren den Lebenswandel der Anne-Marie Stretter. Durch die Gesprächssituationen der Erzählerstimmen und der Stimmen der Gäste entsteht eine verbale Topographie Asiens, die als diegetisch bezeichnet werden kann, da sie neben dem Raum der Geschichte auch die dieser Geschichte assoziierte Umgebung einbezieht. Sie entsteht durch Toponyme (Calcutta, Ganges, Lahore, Birma, Bengale, Savannakhet, Laos, Venise, le Mékong, Peking, Mandalay, Bangkok, Rangoon, Sydney, Lahore etc.), die eine konkrete geographische Verortung der Diegese nahelegen. Durch die Erwähnung der klimatischen Bedingungen dieses Raumes (»la mousson«, »aucun vent«, »poussière«, »une odeur de fleur«, »la pluie«, »la fraîcheur«) wird dieser diegetische Raum mit spezifischen klimatischen Bedingungen in Beziehung gesetzt, welche die Angehörigen der diplomatischen Gesellschaft mit ihrer individuellen Wahrnehmung aufladen (»Ne supporte pas. Les Indes, ne supporte pas«). Gebäude und Anlagen (»l’ambassade de France à Calcutta«, »le parc de l’administration générale«, »le cimetière anglais«, »le jardin«, »les tennis, déserts«) verweisen auf den von den Figuren frequentierten Raum.

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Indochina Songs – Marguerite Duras

India Song: »les tennis, déserts« Neben den Stimmen der verbalen Äußerungsinstanz finden sich zwei weitere Stimmen auf der Tonspur, die ebenfalls durch ihre stimmlichen Äußerungen eine implizite Beschreibung des Raumes durchführen. Es sind dies die Stimmen der Bettlerin von Savannakhet und des französischen Vizekonsuls in Lahore, die als namenlose, nur durch ihre Klassenbezeichnung charakterisierten Figuren der Erzählung durch Schreie (»le cri«) auf die für sie unerträgliche Situation in der Kolonie aufmerksam machen. Die für das Werk der Marguerite Duras wesentliche und wiederkehrende Figur der Bettlerin – die übrigens sowohl in den Literaturverfilmungen The Lover als auch in Un barrage contre le Pacifique abwesend ist – verweist nicht nur durch ihre unverständlichen Schreie und den chant de Savannakhet auf ihre marginale Stellung innerhalb der diplomatischen Gesellschaft, sondern auch durch das Fehlen ihrer körperlichen Figur auf der Bildspur. Der Schrei des Vizekonsuls »dont l’écho résonne jusqu’au dernier film de la trilogie, à travers le titre même« (de Chalonge 2002, S. 147) ist hingegen verständlich. »Anna Maria Guardi!«, den Mädchennamen Anne-Marie Stretters, ruft er in die Nacht Kalkuttas und besitzt damit als einziger sowohl eine körperliche als auch eine stimmliche Figur. Durch diese Darstellung wird auch er als Außenseiter der diplomatischen Gesellschaft markiert, da er nicht fähig ist, sich dem Diskurs seines Milieus anzuschließen, sondern im Ausdruck körperlicher und stimmlicher Gewalt das diesen Raum umgebende Elend thematisiert. Die Dominanz der verbalen Äußerungen rückt in India Song die bildliche Erzählung in den Hintergrund. Bereits der Titel India Song scheint auch eher eine Hör- als eine Sehanweisung vorzugeben. Auch die Forschungsarbeiten zu dem als cinéma des voix begriffe213

Cinéma Indochina nen Filmschaffen Duras’ haben bisher den Äußerungen der bildlichen Erzählinstanz ungleich weniger Bedeutung geschenkt. Doch gerade durch die bildliche Erzählinstanz entsteht eine spezifische Raumreflexion, die den »fantasme de métissage« bzw. den »désirmétis« der Autorin zum Ausdruck bringt.

Indien in Indochina in Paris, Paris , l a Durasie Wenn sich auch zahlreiche Forschungsarbeiten immer wieder um die Gegenüberstellung einer geographischen Realität mit den – vor allem im literarischen Werk der Autorin anwesenden – konkreten Orten bemühen, hat Michelle Porte in ihrem Les lieux de Marguerite Duras betitelten Interviewband mit Marguerite Duras hervorgehoben, dass in deren filmischem Werk zwar die von ihr erwähnten geographischen Orte ihren Ursprung in einer Realität haben, es sich allerdings dabei vor allem um die mentale Verarbeitung ihrer Ortserfahrungen handelt (vgl. Porte 1977). Diesen aus der autobiographischen Trennung von ihrer Heimat in der Erinnerung der Duras entstehenden imaginären Raum, der eine reale Zuschreibung unmöglich macht, hat Claude Roy, ein Vertrauter der Schriftstellerin, als la Durasie bezeichnet. Marguerite Duras selbst führt ihre spezifische kinematographische Topographie nicht nur auf ihr Exil zurück, sondern vor allem auf die Tatsache, dass die französische Kolonie Indochina nicht mehr existiert. »[...] je n’ai jamais pu et je ne reviendrai jamais dans mon pays natal. Je suis complètement séparée de mon enfance [...] Je crois que les gens qui sont avec nous, ces amis, qui sont tous nés en France, dans des pays accessibles, ne peuvent pas comprendre cette situation-là, d’être sans pays natal.« (Duras ²1987, S. 193-221)

Auch in der Einleitung zum texte-théâtre-film India Song schließt die Autorin jegliche – mit Stéphane Patrice gesprochen – »biogeographische« Lektüre aus, die die Räume der Diegese mit ihren Kindheits- und Lebenserinnerung in Beziehung zu setzen versucht (vgl. Patrice 2003, S. 81). »Les noms des villes, des fleuves, des États, des mers de l’Inde ont, avant tout, ici, un sens musical. Toutes les références à la géographie physique, humaine, politique, d’India Song, sont fausses: Ainsi on ne peut pas, par exemple, aller en automobile de Calcutta à l’embouchure du Gange en un après-midi, ni au Népal. De même, l’hôtel de Prince of Wales ne se trouve pas dans une île du Delta, mais à Colombo.

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Indochina Songs – Marguerite Duras De même encore, c’est New Delhi qui est la capitale administrative de l’Inde et non pas Calcutta.« (Duras 1973, S. 9)

Der in India Song repräsentierte Raum ist demnach nicht als geographisch fixierter Raum anzunehmen, sondern als mentale Ortserfahrung, was vor allem auf der Bildebene des Films deutlich wird. Die Einleitung des texte-théâtre-film India Song wird im Film nicht gelesen, von der verbalen Äußerungsinstanz gibt es also keinen Hinweis darauf, dass sich die konkreten räumlichen Hinweise auf einen als einen nur verschwommen angenommenen Raum beziehen. Die bildliche Äußerungsinstanz hingegen unternimmt ein komplexes Verfahren, um diese Topographie zu vermitteln. Sie verarbeitet die Auslöschung einer Erinnerung, indem sie die Erinnerung an verschiedene Räume miteinander verwebt. Die in India Song auf der Bildebene entworfene Topographie folgt den von Michel Foucault als Signatur der Moderne vorgestellten Raumstrukturen, die er Heterotopien nennt. In dieser »rätselhafte[n] Restklasse von Räumen« (Bernhard Teuber), diesem »frustratingly uncomplete, inconsistent and incoherent concept« (Edward Soja) scheint Duras eine mögliche bildliche Form für ihre autobiographische Verortungserfahrung gefunden zu haben. Foucault entlehnt den Begriff der Heterotopie der Anatomie. In diesem Kontext bezeichnet er verschobene, fehlende, zusätzliche oder körperfremde Körperteile (vgl. Hetherington 1997, S. 42). Als travelling concept führt er ihn zunächst im Vorwort zu Les mots et les choses (1966) ein, bevor er in Des espaces autres12 ausführlicher auf den Begriff der Heterotopie eingeht. Nach Foucault organisieren Strukturen topologisch oppositionärer Räume moderne Kulturen und Gesellschaften, wobei diese Räume in Innen- und Außenräume getrennt werden können. Heterotopien definiert Foucault im Unterschied zu Utopien als »sortes d’utopies effectivement réalisées dans lesquelles les emplacements réels, tous les autres emplacements réels que l’on peut trouver à l’intérieur de la culture sont à la fois représentés, contestés et inversés« (Foucault 1994 [1967], S. 755). Nach der zunächst vagen Definition von Heterotopien als »des sortes des lieux qui sont hors de tous les lieus, bien que pourtant ils soient effectivement localisables« unternimmt Foucault die Beschreibung, die Erforschung und die Analyse einiger so beschaffener Orte, einen Vorgang, den er Heterotopologie nennt. In mehreren »principes« untersucht er in der Folge die Merkmale der Heterotopien. Heterotopien sind zwar konstant in der Hinsicht, dass sie in jeder Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt existieren, sind jedoch

12 Unter diesem Titel hält Foucault im Jahre 1967 einen Vortrag vor Architekten, seine Abschrift wird erst posthum in Dits et ecrits publiziert.

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Cinéma Indochina einem kulturellen Wandel unterworfen, indem sie auf die jeweiligen Bedürfnisse einer Gesellschaft reagieren. So stellt Foucault die Krisenheterotopie als Element der ›primitiven‹ Gesellschaften vor, die in der Moderne durch Abweichungsheterotopien abgelöst wird. Diese Heterotopien besitzen Anstaltscharakter, sie sind für Individuen vorgesehen, deren Verhalten von der gesellschaftlichen Norm abweicht (Gefängnisse, Erholungsheime, psychiatrische Kliniken, Altersheime etc.). Heterotopien können im Lauf der Zeit ihre Funktion wandeln, wie Foucault am Beispiel des Friedhofs erläutert. Sie besitzen auch die Möglichkeit, eigentlich unvereinbare Räume nebeneinander zu stellen, wie am Beispiel des Theaters, des Kinos und des Gartens vorgeführt wird. Heterotopien sind auch an eine zeitliche Dimension gebunden. Die gesellschaftliche Funktion von Museen und Bibliotheken liegt beispielsweise darin, »de constituer un lieu de tous les temps qui soit lui-même hors du temps, et inaccessible à sa morsure« (Foucault 1994 [1967], S. 759). Feriendörfer und Feste sind demgegenüber Heterotopien, die auf die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Zeit verweisen. Heterotopien sind keine offenen Räume, sondern setzen ein »système d’ouverture et de fermeture« (ebd., S. 760) durch bestimmte Rituale voraus. Schließlich besitzen Heterotopien gegenüber dem verbleibenden Raum die Funktion, für diesen eine Illusion oder eine Kompensation zu schaffen, wie Foucault am Beispiel des Bordells und der Kolonie erläutert. Innerhalb der Kulturwissenschaften wird Foucaults Konzept häufig als Metapher für periphere, paradoxe oder marginale Räume aufgegriffen (vgl. Hetherington 1997, S. 40f.). Edward Soja bewertet den Reichtum des Foucaultschen Ansatzes nicht in seiner Vorstellung anderer Räume, wie dies der Titel des Vortrags nahelegt, sondern in seinem Vorschlag, Räume anders zu denken: »T(t)he alternative envisioning of spatiality […] directly challenges (and is intended to challengingly deconstruct) all conventional modes of spatial thinking.« (Soja 1996, S. 163) In der Folge nimmt er den Foucaultschen Begriff der Heterotopie als eine der theoretischen Grundlagen für die Entwicklung des thirdspace-Konzeptes auf. Für Bernhard Teuber sind Heterotopien »Statthalterinnen des Draußen« im Drinnen, die auf das verweisen, was das Andere der Gesellschaft ist und was in früherer Zeit ihr Draußen gewesen ist. Heterotopien besitzen demnach die Fähigkeit, etwas in Wirklichkeit Abwesendes zu konstruieren, um innerhalb einer Ordnung die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zu erlauben (vgl. Teuber, S. 180181). Für die Entstehung von Bildern des Nordens greifen in der Darstellung Bernhard Teubers Kulturen, die sich selbst nicht als nördlich definieren, auf Heterotopien zurück, um in ihrer Kultur einen »inneren Norden« in Form von Landschaftsgärten, Weltausstellungen und Völkerschauen zu konstruieren. In dieser Lesart des

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Indochina Songs – Marguerite Duras Foucaultschen Konzeptes, in der Heterotopien dann verwendet werden, wenn es darum geht, eine »innere Geographie« in einem äußeren Raum nachzuzeichnen, liegt auch ihre Form und ihre Funktion in India Song begründet. Die bildliche Topographie, die durch eine externe Fokalisierung einer extradiegetischen Äußerungsinstanz entworfen wird, unterstützt die deskriptive Funktion der verbalen Erzählinstanz, ohne jemals mimetisch zu sein. Sie konstruiert ein Universum aus zwei oppositionellen Räumen, dem Raum des Innen und dem Raum des Außen, die sich in den konkreten Orten der Geschichte, der französischen Botschaft in Kalkutta, des Hotels Prince of Wales und der französischen Residenz im Gangesdelta und den diese Gebäude umgebenden Gartenanlagen manifestieren. Das durch die Geschichte evozierte Indien stellt bereits einen heterotopen Raum dar. Die Situierung der Geschichte in Indien verweist auf die nur lückenhafte Erinnerung an den kolonialen Raum der Kindheit Marguerite Duras’, den sie schließlich symbolisch durch die Villa und den Garten evoziert. Die Diplomatenvilla und ihre Gartenanlagen lassen sich demnach als zwei zentrale Elemente einer kolonialen Kultur lesen: die Zivilisation und die Wildheit, die Metropole und ihre Kolonie.

India Song: Der Vizekonsul und Anne-Marie Stretter Die Metropole wird in der bildlichen Topographie auf den Mikrokosmos der diplomatischen Gesellschaft übertragen, die sich im Innenraum der französischen Botschaft befindet. Der Großteil der Einstellungen repräsentiert diesen Innenraum, in dem die zentrale Handlung des Films, der Ball der Stretters, stattfindet. Das Dekor aus Kronleuchtern, edler Kleidung, einem Klavier und Kristallgläsern verweist auf die Künstlichkeit und die Langeweile der Kolonial217

Cinéma Indochina gesellschaft. Auch der indische Diener, der die Räumlichkeiten vorbereitet, stellt nur ein Dekor dieser Gesellschaft dar, die keinen sozialen Kontakt mit ihrer Außenwelt pflegt. Die Statik der Kameraaufnahmen betont diesen Stillstand und die Distanz der Äußerungsinstanz zu diesem Raum, in dem Bewegung vorwiegend durch den Tanz stattfindet. Die körperlichen Figuren erscheinen nur in Ausnahmefällen direkt. Sie werden meist durch Spiegelbilder mediatisiert wiedergegeben. Der Außenraum, die Kolonie, stellt auf der Ebene der Geschichte den Garten der Botschaft, des Hotels oder der französischen Residenz dar. Die extradiegetische bildliche Erzählinstanz situiert den Vizekonsul als einzigen Europäer im Außen und betont somit seinen gesellschaftlichen Ausschluss, der bereits durch seinen Versetzungsort Lahore (frz. là-hors, ›da draußen‹) sowie durch seine stimmliche und körperliche Anwesenheit in der Geschichte angedeutet wurde (vgl. Radelhof 2005, S.65). Auch die stimmliche Figur der Bettlerin befindet sich in diesem Außenraum. Die Kameraschwenks, mit denen aus dem Außenraum ein Blick auf die brüchige Fassade des Gebäudes geworfen wird, interpretiert Susanne Radelhof als Beobachtungen der kolonialen Gesellschaft durch den Vizekonsul und die Bettlerin (ebd.). Obwohl, oder gerade weil sie sich im Außen befinden, besitzen diese Figuren einen Blick, der ihr tatsächliches Eingebundensein in diesen Ort bestätigt. Über die Urwaldgeräusche der Tonspur, die häufig die Gartenaufnahmen begleitet, wird dieser Außenraum nicht nur zum Garten der Botschaft, sondern auch zum Außenraum der Metropole, zur Kolonie. Die im Park angesiedelten Tennisplätze rufen den französischen Kolonialbesitz in Indochina ins Gedächtnis.13 Auch der im Garten angelegte Teich und die Bäume verweisen auf die Geographie der französischen Kolonie in Südostasien. Auf die Beziehung, die in ihren Filmen zwischen dem Urwald ihrer Kindheit und dem Park besteht, hat Marguerite Duras in ihrem Gespräch mit Michelle Porte hingewiesen: »La forêt communique avec le parc. Le parc est le prémice de la forêt. Le parc l’annonce.« (Duras/Porte 1977, S. 15)

13 Tennis war der Sport der französischen Kolonialgesellschaft in Indochina, während die Herren im Maghreb Fußball spielten (vgl. Ruscio 1996, S. 157).

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Indochina Songs – Marguerite Duras

India Song: Der Vizekonsul im Park Durch die Vereinigung zweier Orte, der Villa und ihrem Garten bzw. der Metropole und ihrer Kolonie, gelingt Marguerite Duras in India Song die Herstellung einer verlorenen Einheit. Zwar verweisen Gitter und Zäune auf die unmögliche Durchdringung der jeweiligen Räume, doch zwei Figuren werden in beiden Handlungsräumen situiert. Die als Italienerin in Venedig geborene Anne-Marie Stretter befindet sich durch eine Metonymie im Außen: Ihr rotes Fahrrad lehnt am Zaun der Tennisplätze. Auch der Vizekonsul bewegt sich als kultureller Grenzgänger (»C’est moi Lahore«) vom Außen- in den Innenraum. Als Darsteller wählt Marguerite Duras für diese beiden Figuren Schauspieler, die ebenfalls die Erfahrung einer kulturellen Entwurzelung in ihrer Biographie eingeschrieben haben. Michael Londsdale ist Franko-Engländer, Delphine Seyrig stammt aus dem Libanon.14 Doch nicht nur die Protagonisten des Films sind Träger eines Gedächtnisses. Auch in der Wahl der Drehorte kommen Marguerite Duras’ Faszination und Anziehung für Orte zum Ausdruck, die Spuren der Geschichte besitzen und auf besondere Weise mit der Geschichte verbunden sind. Duras dreht nicht vor Ort, sondern wählt ihre Drehorte in Paris und seiner Umgebung. Das französi14 Diese Verortung prägt auch die Darstellung ihrer Figur, wie Delphine Seyrig in einem Gespräch mit Marguerite Duras erzählt: »Toi, tu parlais des Indes, de quelque chose que tu avais connu, d’un paysage qui n’était pas celui de la France, et que tu connaissais, et moi, je n’ai jamais été en Indochine, je n’ai jamais été aux Indes. [...] Moi, c’était le Liban, toi, c’était l’Indochine: mon enfance, ton enfance. Et j’ai épousé complètement ce que tu racontais, avec mes images à moi, avec mes personnages à moi [...]: mon paysage n’était pas le tien, mais c’était une équivalence [...].« (Duras/Noguez ²2001, S. 83f.)

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Cinéma Indochina sche Botschaftsgebäude situiert sie in der ehemaligen Villa15 der Familie Rothschild im Pariser Außenbezirk Boulogne-Billancourt, seine Innenräume im hôtel Pommereux in Paris. Für das Hotel Prince of Wales wählt sie ebenfalls ein in einem Pariser Vorort gelegenes Gebäude, das Luxushotel Trianon Palace in Versailles, in dem Clemenceau am 7. Mai 1919 die Bedingungen des Friedensvertrags von Versailles diktiert. In diese Räume des Drinnen (in der Republik Frankreich, in Paris im Jahre 1975) legt sie die Räume des Draußen (Indien, Kolonie in den 30er Jahren). Vor allem die Villa Rothschild wird für Duras zum räumlichen Zentrum von India Song. Die von James de Rothschild Mitte des 19. Jahrhunderts nahe Paris bei namhaften Architekten seiner Zeit in Auftrag gegebene Villa liegt in einer sich auf 15 Hektar ausdehnenden, vielfältigen Gartenlandschaft aus englischen, französischen und japanischen Gärten. Das Gebäude ist bis zur Okkupation eines der Zentren des mondänen Pariser Lebens, Aufführungsort eines groß-bürgerlichen Lebensstils, mit dem die Eigentümer ihre sozioökonomische und soziokulturelle Stellung in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen (vgl. Rooch 2005, S. 314). Während der Okkupation wird das Gebäude von deutschen Soldaten in Besitz genommen und geplündert. Auch die in der Villa einquartierten amerikanischen Soldaten der Libération tragen zur ihrer weiteren Verwüstung bei. Der Garten wird zum Parkplatz für Lastwagen und die Innenräume als Depot benutzt. Die Familie Rothschild übernimmt nach dem Krieg eine Ruine, die sie nie wieder bewohnen wird. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Zukunft der Villa ungewiss. Das Gebäude steht leer, es ist durch zahlreiche Brände einsturzgefährdet, Graffitis zieren seine Wände.16 »Ce lieu-là a marqué tout le tournage d’India Song. Si Delphine Seyrig n’a pas joué le rôle d’Anne-Marie Stretter, mais simplement l’a figuré, c’est à cause du lieu. Le décalage entre une véritable ambassade, une ambassade plausible, comme on l’aurait trouvée dans le commerce du cinéma et cette ambassade là, cet hiatus-là a marqué tout le film, il est dans tout le film. Je pense que c’est la fin du monde, oui, je pense qu’India Song est aussi un film sur la fin du monde. Je pense qu’on est là dans la fin du monde. [...] Ce n’est pas seulement la mort de l’histoire qui est écrite dans India Song, qui est dite dans India Song, c’est la mort de notre histoire. Parce que l’adhésion immédiate que j’ai eue à ce

15 Auch in Son nom de Venise dans Calcutta désert wird Marguerite Duras an diesen Drehort zurückkehren und die Tonspur von India Song mit der Bildspur von Aufnahmen einer immer mehr im Verfallen begriffenen Villa Rothschild kontrastieren. 16 Fotos gibt es auf http://fr.topic-topos.com/chateau-rothschild-boulognebillancourt und http://peintredecorateur.centerblog.net/5696346-LaDecoration-interieure-invention-des-annees-1850

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Indochina Songs – Marguerite Duras château Rothschild était telle que je n’aurais pas pu tourner ailleurs, j’aurais plutôt renoncé au film que d’y renoncer. Cette adhésion immédiate, elle ne peut pas seulement s’expliquer à partir d’un lieu de fiction. Autre chose parlait là. J’avais trouvé le lieu pour dire la fin du monde.« (Duras/Porte 1977, S. 77)

In India Song überlagert die historische Bedeutung der Villa Rothschild die nicht mehr existente und vergessene Kolonie Indochina. Gleich der jüdischen Familie Rothschild scheint sich auch die bildliche Erzählinstanz vor der Ruine ihrer Vergangenheit zu befinden. Diese existiert zwar noch im Gedächtnis – wie die Fassaden des Gebäudes –, aber nicht mehr in der Erinnerung, die – wie das Interieur der Villa – völlig ausgelöscht ist und nicht mehr hervorgerufen werden kann. Auch am Schluss des Films findet sich ein heterotoper Ort als Träger der Erinnerung an Indochina. Die graphische Nachstellung Südostasiens in Form einer Landkarte, die eine bewegliche Kamera in Nahaufnahme überfliegt, verliert die referentielle Bedeutung, die sie im Kolonialfilm besessen hat. Die Nähe der Aufnahme suggeriert die Auflösung jeglicher Orientierung in diesem geographischen Raum, der sich nur mehr aus lesbaren und nicht mehr aus lebbaren Orten zusammensetzt.

India Song: Kameraschwenk über Landkarte

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FAZIT Kinematographie einer ›anderen‹ Kolonie Das Erkenntnisinteresse dieses Forschungsprojekts lag zunächst in der Erfassung jener Filmproduktion, die vor der verstärkten kinematographischen Auseinandersetzung mit diesem geographischen Raum in den 90er Jahren die Repräsentation Indochinas im französischen Film geprägt hat. Dieses Korpus besteht im Gegensatz zu den filmischen Repräsentationen (Nord-)Afrikas aus nur wenigen Werken. Indochina interessiert die Bevölkerung Frankreichs, an die diese Filme gerichtet sind, kaum. Auch für den Film ist es schwierig, sich an die Kolonie anzunähern. Die geringe Zahl exotistischer Spielfilme, das Scheitern kinematographischer Prestigeprojekte wie Au pays du Roi lépreux und La Croisière jaune an der Realität der südostasiatischen Kolonie, das Fehlen eines in Indochina situierten kolonialen Spielfilms einerseits und die Verarbeitung von Erinnerungen an die Kolonie sowie die Wahl indigener (weiblicher) Figuren als Protagonistinnen von in Frankreich angesiedelten Spielfilmprojekten anderseits reflektieren Indochina bereits im Kolonialfilm als eine Kolonie, die sich der konventionalisierten zeitgenössischen filmischen Annäherungen an das französische Kolonialreich entzieht, sich einer Bestätigung des kolonialen Imaginären weitgehend verschließt und eine individuelle Auseinandersetzung mit dieser Realität einfordert. Diese Arbeiten können gleichsam als Gegenentwürfe zu der für die Metropole inszenierten Perle de l’Empire gelesen werden. Sogar der bisher noch nicht in den Kanon der exotistisch-kolonialen Spielfilme integrierte Sous l’oeil de Bouddha – eine Entdeckung, mit der diese Arbeit aufwarten kann – stellt eine außergewöhnliche Be-Bilderung der Kolonie dar. Koloniale Subtexte sind in diesem Film zahlreich, nicht zuletzt jener um die Tempelanlage Angkor, die in Sous l’oeil de Bouddha als Filmkulisse dient. Allerdings sind es indigene Darsteller in traditionellen Kostümen, die eine – wenn auch nur annähernd korrekte – Regionalgeschichte nachspielen. Albert Sarrauts mission cinématographique de l’Indochine, in der die Region eine Vorreiterrolle

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Cinéma Indochina für die koloniale Kulturpolitik einnehmen sollte, scheitert bekanntlich… Erst in den 90er Jahren wird das koloniale Imaginäre Indochinas in Spielfilmen rekonstituiert, das zuvor schon in einigen – großteils vergessenen – Kriegs- und Abenteuerfilmen der 50er und 60er Jahre als pittoresker Hintergrund gedient hat. Auch die späteren Arbeiten aus dem Korpus reflektieren Indochina nicht als eine periphere Kultur für den französischen Film sondern als eine zentrale, weil eigenständige. Zwar ist das in der Kolonie gedrehte und durch sie beeinflusste Filmschaffen überschaubar, die aus dem Aufenthalt in der Kolonie entstandenen Raumreflexionen beeinflussen jedoch nicht nur die französische Filmgeschichte maßgeblich. Die transparenten Zeichen des Indochinakrieges wird der Kriegsfilm über Vietnam bald übernehmen. Oliver Stone lehnt sich für Platoon an Pierre Schoendoerffers La 317e section an. Schoendoerffer selbst widmet der südostasiatischen Kolonie einen zentralen Platz in seinem Lebenswerk. Raoul Coutard wählt für Hoa Binh bereits indigene Protagonisten und dreht vor Ort, erst 25 Jahre später werden sich wieder Filmemacher diesem indigenen Raum widmen. Sie stammen allerdings aus der vietnamesisch-kambodschanischen Diaspora. Auch die intimistischen Vietnamkriegsverarbeitungen von Jean-Luc Godard und Alain Resnais lassen sich auf den gesellschaftlichen Umgang Frankreichs mit einer Kolonialkriegsrealität zurückführen. Die Zensur verpflichtet zum Schweigen, und dieser Zwang beeinflusst die Filme der Nouvelle Vague nachhaltig. Nicht zuletzt ist auch Marguerite Duras’ experimentelles Filmschaffen, das als Ergebnis ihrer Verortungserfahrung beurteilt werden kann, ein international anerkanntes, außergewöhnliche Werk.

Filmische Geographien der kulturellen Unsicherheit Trinh Minh-ha beklagt in When the moon waxes red (1991) die westliche kinematographische Repräsentationspraxis für Vietnam, die die Realität des Landes zugunsten eines vorgefertigten Blickes vernachlässigt. Diese trage in ihrer Betonung Vietnams als Revolutionsmodell und nostalgisches Objekt zur faktuellen Unsichtbarkeit des Landes in der globalen Weltordnung bei (vgl. Trinh 1991, S. 100). Forschungsarbeiten zum post/kolonialen Filmschaffen gehen davon aus, dass erst den postkolonialen Subjekten selbst die Auflösung dieser ›Unsichtbarkeit‹ gelungen ist, während in den Arbeiten französischer Filmemacher nach wie vor die Fortschreibung von »Geographien imperialer Einschreibung« überwiegt. Vor allem die in den 90er Jahren in Frankreich entstandenen Filmproduktionen

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Fazit

über Indochina situieren sich im Spannungsfeld dieser beiden Pole. Den romantisierend-nostalgischen Verarbeitungen der französischindochinesischen Kolonialbeziehung, wie sie von französischen Filmemachern evoziert werden, stellen zu dieser Zeit in Frankreich lebende Filmemacher aus der südostasiatischen Diaspora filmische Annäherungen entgegen, die diese Landschaft aus der Perspektive ihrer (indigenen) Bewohner und außerhalb eines kolonial-exotistischen Kontextes vorstellen. Mit der Vorstellung einer »Geographie der kulturellen Unsicherheit« hat diese Arbeit eine filmische Raumreflexion vorgestellt, die sich im Zwischenraum der imperialen und dezentralen Geographien ansiedelt. Es handelt sich dabei um die Raumreflexion französischer Cineasten, deren Leben von einer post/kolonialen Verortungserfahrung – wie beispielsweise Reisen, Militäreinsätzen, intellektuellem Exil und Migration – geprägt ist, welche in ihre filmischen Verarbeitungen der Kolonie einfließt und an der Entwicklung einer spezifischen imaginären Geographie beteiligt ist. Bereits für das Filmschaffen vor 1954 lässt sich anhand einzelner Arbeiten diese filmische Raumgestaltung ausmachen. In dem in Indochina gedrehten Korpus kolonialer Filme, welches mehrheitlich aus Dokumentarfilmen besteht, lösen sich vor allem die Aufnahmen Gabriel Veyres für die Firma Lumière, jene Léon Busys für die Archives de la Planète sowie das die Citroën-Expedition begleitende Dokumentarfilmprojekt André Sauvages von den konventionalisierten Aufnahmemodi für die Kolonien. Es ist in diesen Fällen nicht so sehr die Topographie als Raum der Repräsentation, die einen individuellen Zugang zu dem bereisten Land reflektiert, denn diese entspricht durchaus dem kollektiven Imaginären der Metropole. In Veyres Landschaftsbildern existiert Indochina vorwiegend in Abhängigkeit von Frankreich, dessen mission civilisatrice auf dem Bildmaterial zu sehen ist, Léon Busy widmet sich traditionellen Aktivitäten sowie dem berühmtesten Kulturgut der Region, der Tempelanlage Angkor Vat, und André Sauvages Bildmaterial über die Ethnie der Moï reflektiert nicht nur seine persönliche Faszination für dieses Bergvolk, sondern eine, die von vielen seiner Zeitgenossen geteilt wird. Der Aufenthalt der Filmemacher in Indochina wirkt in diesen Arbeiten vor allem auf die Filmsprache zurück. Die Topographie als Repräsentation von Raum verweist auf das Bemühen um die Suche nach einer geeigneten Ausdrucksform für diese neue räumliche Erfahrung. Bereits Veyre löst die Geographie imperialer Einschreibung stellenweise auf, indem er den fixierten Kamerastandpunkt, der den distanzierten Blick und die Stabilität der fremden Kultur betont, einer Interaktion mit dem vor-bildlichen Ereignis vorzieht. Die Kameraplatzierung als symbolischer Ort der Trennung wird aufgegeben

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Cinéma Indochina und Veyre in das vorbildliche Ereignis miteinbezogen. Eine ähnliche Vorgangsweise wählen Léon Busy und André Sauvage, die mit ihren Aufnahmetechniken ihrem subjektiven Sehen bzw. im Fall Sauvages auch dem subjektiven Hören der Kolonie gerecht werden wollen. Deutlich wird die Spezifizität der oben genannten Verfahren vor allem, wenn man diese Bilder mit den offiziellen kolonialen Dokumentarfilmen sowie den kolonialen Spielfilmprojekten dieser Zeit kontrastiert, in denen die imperialen Geographien dominieren. Darin verfolgt die Romantisierung agraisch-rückständiger Landschaften vor allem ideologische und politische Strategien, nämlich jene, die kolonisierte Bevölkerung vom Diskurs der Modernität auszuschließen. Das statisch-meditative Verweilen der Kamera, voyeuristische Fernansichten, eine argumentative Montage sowie filmische Strategien des naming und des mapping repräsentieren nicht Indochina selbst, sondern inszenieren ein ideologisch geprägtes Bild der Kolonie für das Publikum der Metropole, das sich in die koloniale Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik einfügt. Vor allem in den 60er und 70er Jahren entstehen von Cineasten aus dem Umfeld der Nouvelle Vague Filme, die sich mit deren persönlichem Verhältnis zu Indochina bzw. Vietnam beschäftigen. Militäreinsätze (Pierre Schoendoerffer, Raoul Coutard), intellektuelles Exil (Jean-Luc Godard, Alain Resnais) und Migration (Marguerite Duras) stehen als biographische Verortungserfahrungen am Anfang dieser filmischen Reflexionen. Drei der vier Langfilme widmen sich Vietnam als Kriegsschauplatz, wobei nur einer die militärische Perspektive auf den Krieg wählt. Die beiden anderen thematisieren das Kriegsgeschehen aus der Sicht französischer Intellektueller bzw. in seiner Rückwirkung auf die vietnamesische Zivilbevölkerung. Dass es sich bei den imaginären Geographien dieser Filme um »Geographien der kulturellen Unsicherheit« handelt, deuten bereits die neuartigen Annäherungen an eine (Kolonial-)Kriegsrealität an, die diesen Filmen gemeinsam ist. Pierre Schoendoerffer folgt für seine Darstellung des Indochinakriegs den transparenten Zeichen des amerikanischen Kriegsfilms, einem Verfahren, das das französische Kino bis zu diesem Zeitpunkt für keinen seiner Kolonialkonflikte gewagt hat, Godards und Resnais’ Kurzfilme transportieren die Unmöglichkeit jeglicher Repräsentation des amerikanischen Vietnamkriegs sowie die Schwierigkeit der Meinungsbildung zu diesem Konflikt, und Raoul Coutard schlägt mit dem ›europäischen Kriegsfilm‹ eine Alternative zu US-amerikanisch dominierten Kriegsbildern vor und widmet sich dem Leid der indigenen Bevölkerung Vietnams. Marguerite Duras verarbeitet in India Song weniger ihre Kindheitsund Jugenderfahrung im kolonialen Indochina, sondern thematisiert die Trennung von diesem geographischen Raum, den sie mit 18 Jahren verlässt, ohne je wieder zurückzukehren. Das Fehlen ei-

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Fazit ner Erinnerung an ein Land, das nicht mehr existiert, und die Unmöglichkeit ihrer Rekonstitution reflektiert India Song durch die Schaffung heterotoper Orte in Asien und Paris. Auch in diesen Arbeiten ist es allerdings weniger die Topographie als Raum der Repräsentation, die sogleich auf die Existenz einer »Geographie der kulturellen Unsicherheit« hinweist. Diese scheint zunächst durchaus im Einklang mit dem kolonialen Imaginären zu stehen. Schoendoerffers Soldaten kämpfen sich durch einen unwirtlichen Dschungel, die vietnamesische Familie in Hoa Binh wandert durch Saigon, Anne-Marie Stretter und ihre Liebhaber verbringen ihre Tage und Nächte in einer kolonial anmutenden Villa und ihren Gartenanlagen, und die Figuren Alain Resnais’ und JeanLuc Godards agieren – wie schon zu Zeiten der französischen Kolonialkriege – vor allem verbal und in Paris. Es ist wiederum über die Topographie als Repräsentation von Raum, über die diese Räume der Repräsentation mit dem persönlichen Erleben der Cineasten verknüpft werden. Dies geschieht zunächst über die Fokalisierungsinstanz, die in La 317e section mit der Sicht der Soldaten übereinstimmt und in Hoa Binh den indigenen Protagonisten folgt, wodurch der Eindruck vermittelt wird, dass die Erfahrungen der Fokalisierungsinstanz mit denen der Protagonisten übereinstimmen. Jean-Luc Godard, Alain Resnais und Marguerite Duras setzen sich mit der ›Unsichtbarkeit‹ Vietnams im westlichen Diskurs auseinander. Das Vietnam dieser drei Filmemacher entspricht einer aus Metaphern und Sinneseindrücken bestehenden imaginären Version des Landes. Sie beziehen sich auf einen nahen Ort bzw. ein ihnen familiäres Ereignis, um von einem fernen Ort und dem dort stattfindenden Krieg bzw. der dort stattfindenden Unterdrückung zu sprechen. In ihren Filmen wird Vietnam bzw. Indochina nicht mehr als fremdes Land mit ungewöhnlichen Sitten gezeichnet, sondern erhält im Rahmen einer franko-vietnamesischen connected history der Kriegserfahrung, der Armut, der Unterdrückung und der Barbarei einen Status, der Identifikation ermöglicht. Auch die Stimme wird in diesen postkolonialen Filmen zu einem Medium, das sich intensiv an der Raumreflexion beteiligt. Die verschiedenen in La 317e section anwesenden Stimmen verweisen auf die Auflösung des Kolonialreichs, der text of muteness in Hoa Binh auf ein ungehörtes Leid. Marguerite Duras und Jean-Luc Godard setzen den Schrei (le cri), als eine Möglichkeit der »expression douloureuse d’une intelligence et d’une souffrance trop aiguës« (Coureau 2006, S. 204) ein, während Alain Resnais als sprachliches Mittel der Revolte zwar nicht auf den (Auf-)Schrei zurückgreift, ihn aber als Ausdrucksform des Protestes von der Figur Claude Ridder diskutieren lässt.

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Deutlich grenzen sich die Filme auch durch den Rückgriff auf intramediale Verweise von stereotypen Annäherungen an die Landschaft Indochinas bzw. Vietnams ab. Bereits erwähnt wurde Pierre Schoendoerffers Vorliebe für US-amerikanische Kriegsfilmvorlagen, wodurch er sich von der intimistischen filmischen Verarbeitung der Kolonialkriege im französischen Kino abgrenzt. Auch Raoul Coutard beruft sich mit dem amerikanischen Western auf ein Genre Hollywoods, das er allerdings bereits in seiner europäischen Verfremdung verarbeitet, um auch seine Annäherung an den Vietnamkrieg als gegenhegemonial vorzustellen. Godard und Resnais berufen sich als Referenz vor allem auf ihre eigenen Filme. Anne-Marie Stretters entblößte Brust in India Song kann als Zitat eines Pornofilmmotivs gelesen werden, einem Genre, das sich in den 70er Jahren in Frankreich zu etablieren beginnt.1 Indem Marguerite Duras AnneMarie Stretter diese Freizügigkeit zuschreibt, kehrt sie die konventionalisierten Sehgewohnheiten aus der exotistisch-kolonialistischen Literatur- und Filmgeschichte um. Die »Geographien der kulturellen Unsicherheit« der postkolonialen Filme entfernen sich mit dem fortschreitenden Jahrhundert immer weiter von den imperialen Geographien, um sich den dezentrierenden Geographien anzunähern, die von den in Frankreich lebenden Filmemachern der südostasiatischen Diaspora in den 90er Jahren exemplarisch gezeichnet wurden. Die Repräsentation Indochinas als Raum, der sich seinem Beobachter nur in Ausschnitten zu sehen gibt, anstatt ihm in seiner Gesamtheit zur Verfügung zu stehen, die Zeichnung nur weniger Personengruppen sowie die Suche nach alternativen Modi der filmischen Repräsentation verweisen auf ein thematisch und formal eigenständiges Filmkorpus innerhalb des post/kolonialen Films, das die Handschrift transnationaler Filmemacher trägt. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde als Ausgangspunkt für die Diskussion filmischer Werke, die sich mit post/kolonialen Räumen beschäftigen, ein räumlicher Ansatz vorgeschlagen. Ohne den ständigen Bezug zur post/kolonialen Realgeschichte können allerdings die Raumbilder dieser Filme nicht adäquat erforscht werden. Ausgehend vom topographischen Ansatz der Kulturwissenschaften wurde mit dem für diese Arbeit entwickelten Begriff der Topographie ein Instrumentarium entwickelt, mit Hilfe dessen die ästhetischen, inhaltlichen und historischen Komponenten post/ kolonialer Arbeiten erfasst, dargestellt und analysiert werden können. Der topographische Ansatz der Kulturwissenschaften eröffnet nicht nur neue Zugänge, sondern auch neuartige Analysean-

1

Justin Jaeckin wird eine seiner Emmanuelle-Folgen ebenfalls in Vietnam situieren (vgl. dazu auch Blum-Reid 2003, S. 22-26).

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Fazit sätze für ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Der topographical turn ist vollzogen.

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Cinéma Indochina

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Cinéma Indochina Rüsen, Jörn/ Leitgeb, Hanna/ Jegele, Norbert (Hg.): Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung, Frankfurt/Main 1999. Said, Edward: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt/Main 1994. Said, Edward: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 1978. Schoendoerffer, Pierre: La 317e section. Interview, in: Cahiers du cinema Nr.168 (Juli 1965), S. 54-55. Seguin, Louis: L'art du scrupule (Loin du Vietnam), in: Positif 93, März 1968, S. 10-15. Sherzer, Dina (Hg.): Cinema, Colonialism, Postcolonialism: Perspective from the French and Francophone Worlds, Austin 1996. Shiel,Mark/ Fitzmaurice, Tony (Hg.): Cinema and the City: Film and Urban Societies in a Global Context, Oxford 2000. Shohat, Ella/Stam, Robert: Multiculturalism, Postcoloniality and Transnational Media, New Brunswick 2003. Siegert, Bernhard: »Ort ohne Ort«. Das Schiff. Kultur- und mediengeschichtliche Überlegungen zum Nomos des Meeres. Vortrag am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK), Wien, am 15. 11. 2004. Siegert, Bernhard: Repräsentationen diskursiver Räume (Einleitung), in: Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, Stuttgart, Weimar 2005, S. 3-11. Silverman, Kaja: Dis-Embodying the Female Voice, in: Mary Ann Doane, Patricia Mellencamp, Linda Williams (Hg.): Re-Vision. Essays in Feminist Film Criticism, Los Angeles 1984. S. 131149. Slavin, David: Colonial Cinema and Imperial France, 1919-1939. White Blind Spots, Male Fantasies, Settler Myths, Baltimore 2001. Soja, Edward: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory, London/New York 1989. Soja, Edward: Thirdspace. Journeys to Los Angeles and Other Realand-Imagined Places, Oxford 1996. Sorlin, Pierre: War and Cinema: interpreting the relationship, in: Historical Journal of Film, Radio and Television, Nr. 14 (4/1994), S. 357-366. Spivak, Gayatri, Chakravorty: A Critique of the Postcolonial Reason. Toward a history of the vanishing present, Cambridge/London 1999.

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Cinéma Indochina Sigrid Nieberle, Elisabeth Strowick (Hg.): Narration und Geschlecht. Texte – Medien – Episteme, Köln 2006, S. 141-158. Wagner, Kirsten: Im Dickicht der Schritte. »Wanderung« und »Karte« als epistemologische Begriffe der Aneignung und Repräsentation von Räumen, in: Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, Stuttgart, Weimar 2005, S. 177-206. Warning, Rainer: Der Chronotopos Paris bei den Realisten, in: Andreas Kablitz u.a.: Zeit und Text. Philosophische, kulturanthropologische, literarhistorische und linguistische Beiträge, München 2003, S. 269-311. Water, Julia: Colonial undercurrents: the motif of the Mekong in Marguerite Duras’s »Indochinese« texts, in: Charles Forsdick, David Murphy (Hg.): Francophone Postcolonial Studies. A critical introduction, New York 2003, S. 253-262. Weghofer, Beate: Repräsentationen der Indochina-Kriege in Filmen der Nouvelle Vague, in: Torsten König (Hg.): Rand-Betrachtungen: Beiträge zum 21. Forum Junge Romanistik (Dresden, 18.-21.5.2005), Bonn 2006, S. 69-82. Weigel, Sigrid: »Zum topographical turn« – Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik 2/2 (2002), S. 151-165. Winkler, Daniel: Transit Marseille. Filmgeschichte einer Mittelmeermetropole. Bielefeld 2007. Würzbach, Natascha: Fiktionaler Baustein, kultureller Sinnträger, Ausdruck der Geschlechterordnung, in: Jörg Helbig (Hg.): Erzählen und Erzähltheorie im 20. Jahrhundert, Festschrift für Wilhelm Füger. 2001, S. 105-129. Würzbach, Natascha: Raumdarstellung, in: Vera und Ansgar Nünning (Hg.): Erzähltextanalyse und Gender Studies, Weimar 2004, S. 49-71. Yee, Jennifer: Recycling the »Colonial Harem«? Women in Postcards from French Indochina, in: French Cultural Studies 15 (2004), S. 5-19. Zemignan, Roberto: Paris vu par Marguerite Duras, in: www. forumdesimages.net/collection/htm/LEPARISDE/DURAS/conte nt.htm vom 14.10.2004. Zielinski, Siegfried: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiel der Geschichte, Reinbeck bei Hamburg 1994.

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Anhang

Filmographie Filmographie 1 A bout de souffle (Frankreich 1959, R: Jean-Luc Godard) A la verticale de l’été (Frankreich 1999, R: Tran Anh hung) Archives de la Planète. Autochrome- und Filmsammlung Albert Kahn (Frankreich 1920 ff, R: Léon Busy) Artisans tonkinois (Frankreich 1939, R: Charles Fasquelle) Ascenseur pour l’échafaud (Frankreich 1957, R: Louis Malle) Au pays du Roi lépreux (Frankreich 1927, R: Jacques Feyder) Aux environs de Hanoi: à travers la campagne tonkinoise (Frankreich 1930 [?], R: unbekannt) Aux greniers d’Extrème-Orient (Frankreich 1939, R: Georges R. Manue) Bophana, une tragédie cambodgienne (Frankreich 1997, R: Rithy Panh) Calcutta (Frankreich 1968, Louis Malle) Cambodge, entre terre et paix (Frankreich 1991, R: Rithy Panh) Cambodge, la terre des âmes errantes (Frankreich 2000, R: Rithy Panh) Cargo (Frankreich 1935, R: G.-E. Monod-Herzen) Casablanca (USA 1942, R: Michael Curtiz) Charlie Bravo (Frankreich 1980, R: Claude Bernard-Aubert) Cléo de 5 à 7 (Frankreich 1961, R: Agnès Varda) Coolies à Saigon = Vues japonaises (Frankreich 1897, R: Constant Girel, Opérateur Lumière) Cyclo (Frankreich/Vietnam 1995, R: Tran Anh hung) Des journées entières dans les arbres (Frankreich 1976, R: Marguerite Duras) Deux frères (Frankreich/Großbritannien 2003, R: Jean-Jacques Annaud) Dien Bien-Phu (Frankreich 1991, R: Pierre Schoendoerffer) Double Je (Frankreich 1991, R: Louise Ernct/Béatrice Ly Cuong) Dynamite Jack (Frankreich 1961, R: Jean Bastia) En Indochine (Frankreich 1928 [?], R: Regnault Sarasin) Fidélité (Frankreich 1941, R: Yves Naintré) Fièvre (Frankreich 1921, R: Louis Delluc) Fort du fou (Frankreich/Italien 1962, R: Léo Joannon) Français voici votre empire (Frankreich 1942, R: Philippe Este) Gosses d’Indochine (Frankreich 1936, R: Joseph Braun) Goupi Mains-Rouges (Frankreich 1942, R: Jacques Becker)

1

Die Jahreszahl bezieht sich auf das in der Datenbank des Centre National de la Cinématographie bzw. der Bibliothèque du film angegebene Produktionsjahr (vgl. www.cnc.fr, www.bifi.fr).

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Cinéma Indochina Harmonieux ombrages d’Indochine (Frankreich 1938, R: Georges R. Manue) Hiroshima, mon amour (Frankreich 1958, R: Alain Resnais) Hoa Binh (Frankreich 1969, R: Raoul Coutard) Holy Lola (Frankreich 2003, R: Bertrand Tavernier) Huê et le col des Nuages (Frankreich 1934 [?], R: unbekannt) Huê, ville impériale (Frankreich 1942, R: René Thomasset) Images indochinoises (Frankreich 1939, R: Géo Kelber) India Song (Frankreich 1974, R: Marguerite Duras) Indochine (Frankreich 1992, R: Régis Wargnier) L’Année dernière à Marienbad (Frankreich 1960, R: Alain Resnais) L’Atlantide (Frankreich 1921, R: Jacques Feyder) L’Atlantide (Frankreich/Deutschland 1932, R: Georg Wilhelm Pabst) L’Honneur d’un capitaine (Frankreich 1982, R: Pierre Schoendoerffer) L’Inde fantôme (Frankreich 1968, R: Louis Malle) L’odeur de la papaye verte (Frankreich 1992, R: Tran Anh hung) La 317e section (Frankreich/Spanien/Italien 1964, R: Pierre Schoendoerffer) La Bandera (Frankreich 1935, R: Julien Duvivier) La Chinoise (Frankreich 1967, R: 1967) La Cité engloutie (Frankreich 1947, R: Adolphe Sylvain) La Cochinchine et les petites industries indigènes (Frankreich 1910, R: unbekannt) La Croisière jaune (Frankreich 1931, R: André Sauvage, Léon Poirier) La femme du Gange (Frankreich 1973, R: Marguerite Duras) La France est un empire (Frankreich 1939, R: Gaston Chelle u.a.) La guerre sans nom (Frankreich 1991, R: Bertrand Tavernier, Patrick Rotman) La légion saute sur Kolwezi (Frankreich 1979, R: Raoul Coutard) La Passe du Diable (Frankreich 1956, R: Pierre Schoendoerffer) La Rivière des trois jonques (Frankreich 1956, R: André Pergament) La Route de la Reine Astrid au coeur du Laos (Frankreich 1939, R: Charles Fasquelle) La Section Anderson (USA 1967, R: Pierre Schoendoerffer) Là-haut (Frankreich 2001, R: Pierre Schoendoerffer) Le Crabe-tambour (Frankreich 1977, R: Pierre Schoendoerffer) Le Facteur s’en va-t-en guerre (Frankreich 1966, R: Claude Bernard-Aubert) Le Petit soldat (Frankreich 1960, R: Jean-Luc Godard) Le rendez-vous des quais (Frankreich 1953, R: Paul Carpita) Le temps du massacre/Le Colt cantarono la morte e fu tempo die massacro (Italien 1966, R: Lucio Fulci) Les Aventuriers du Mékong (Frankreich 1957, R: Jean Bastia)

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Anhang Les gens d’Angkor (Frankreich 2003, R: Rithy Panh) Les Gens de la rizière (Frankreich 1992, R: Rithy Panh) Les Parias de la gloire (Frankreich/Spanien/Italien 1963, R: Henri Decoin) Les Statues meurent aussi (Frankreich 1953, R: Alain Resnais, Chris Marker) Les Travaux d’établissement du chemin de fer de Tanap à Thakhek (Frankreich 1904, R: unbekannt) Loin du Vietnam (Frankreich 1967, R: Alain Resnais, Joris Ivens, Claude Lelouch, Chris Marker, William Klein, Agnès Varda, Jean-Luc Godard, Michèle Ray, Marceline Loridan) Macao, l’enfer du jeu (Frankreich 1939, R: Jean Delannoy) Martin et Léa (Frankreich 1978, R: Alain Cavalier) Masculin féminin (Frankreich 1965, R: Jean-Luc Godard) Mort en fraude (Frankreich 1956, R: Marcel Camus) Muriel ou le temps d’un retour (Frankreich 1962, R: Alain Resnais) Nam-Dinh (Tonkin) (Frankreich 1915, R: unbekannt) Objectif 500 millions (Frankreich 1966, R: Pierre Schoendoerffer) Patrouille de choc (Frankreich 1956, R: Claude Bernard-Aubert) Pêcheurs d’Islande (Frankreich 1958, R: Pierre Schoendoerffer) Pépé le Moko (Frankreich 1936, R: Julien Duvivier) Peuples d’Indochine (Frankreich 1947, R: Charles Fasquelle) Pierrot le fou (Frankreich 1965, R: Jean-Luc Godard) Quand on navigue sur un fleuve, on doit suivre ses méandres (Frankreich 1997, R: Sylvie Gadmer) Que la barque se brise que la jonque s’entrouve (Frankreich 2000, R: Rithy Panh) Rambo (USA 1982, R: Ted Kotchev) Ramuntcho (Frankreich 1958, R: Pierre Schoendoerffer) S-21: La machine de mort khmère rouge (Kambodscha/Frankreich 2002, R: Rithy Panh) Saigon sur Seine (Frankreich 1980, R: François Debré/ Jacques Kaprielian) Site 2 (Frankreich 1989, R: Rithy Panh) Son nom de Venise dans Calcutta désert (Frankreich 1976, R: Marguerite Duras) Sous l’oeil de Bouddha (Frankreich 1923, R: A. Joyeux) Surname Viet Given Name Nam (Frankreich/USA/Vietnam 1989, R: Minh-Ha Trinh) The Lover (Frankreich/Großbritanien 1991, R: Jean-Jacques Annaud) Than, le pêcheur (Frankreich 1958, R: Pierre Schoendoerffer) Tih Minh (Frankreich 1918, R: Louis Feuillade) Transit à Saigon (Frankreich 1962, R: Jean Leduc)

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Cinéma Indochina Un Barrage contre le Pacifique/La Diga sul Pacifico (USA/Italien 1956, R: René Clément) Un barrage contre le Pacifique (Frankreich/Kambodscha/Belgien 2007, R: Rithy Panh) Un soir après la guerre (Frankreich/Schweiz/Belgien 1997, R: Rithy Panh) Viet Nam d’hier et d’aujourd’hui (Frankreich 1953 [?], R: Jeff Musso) Viêt-Nam Moi (Le Nouveau Viêt-Nam) (Frankreich/Italien 1951, R: Cao Uy Phu) Village annamite (Frankreich 1932, R: G.-E. Monod-Herzen) Viva Maria (Frankreich 1965, R: Louis Malle) Vivent les dockers (Frankreich 1951, R: Robert Menegoz) Voici l’Indochine (Frankreich 1948, R: Charles Fasquelle) Vues d’Indochine (Frankreich 1899/1900, R: Gabriel Veyre) A bord du ›Tonkin‹ I (Le saut à la corde) Courses d’ensemble des régates (rameurs assis) Courses d’ensemble des régates (rameurs debout) Danse d’Annam Déchargement du four à briques Défilé de l’infanterie de maine Embarquement d’un boeuf à bord d’un navire Enfants annamites ramassant des sapèques devant la pagode des dames Enterrement annamite Faucheurs annamites Fête des fleurs I Fête des fleurs II Fumerie d’opium La Foule après la revue des troupes La Sortie de l’arsenal Le Gouverneur général se rendant à bord de la ›Tamise‹ pour assister aux courses de régates Le Village de Namo: panorama pris d’une chaise à porteurs Les Mines de charbon de Hon Gay Les Tirailleurs Mandarins venant saluer le roi Passage en chaises à porteurs au col des Nuages (Annam) Promenade du dragon à Cholon I Promenade du dragon à Cholon II Promenade du dragon à Cholon III Promenade du dragon à Cholon IV Promenade du dragon à Cholon V Repas annamite Revue des troupes Sortie de la briqueterie Meffre et Bourgoin à Hanoi

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Anhang Tirailleurs annamites (bâton) Tirailleurs annamites (boxe)

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DANK Meiner Betreuerin, Birgit Wagner (Universität Wien), danke ich für die Hinführung zu den Forschungsbereichen Kultur- und Medienwissenschaften, für ihre Offenheit bei der Konzeption der Arbeit und ihre sorgsame Begleitung des Projekts. Meinem Zweitbetreuer, Jörg Türschmann (Universität Wien), danke ich für seine – für mich sehr motivierende – bekundete Neugier für das Thema dieser Arbeit. Die Universität Wien förderte meinen Forschungsaufenthalt in Paris mit einem Stipendium. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archives françaises du film im Centre national de la cinématographie, des Musée Albert Kahn in Boulogne-Billancourt, des Forum des Images, der Bibliothèque nationale de France sowie der Bibliothèque du Film (BIFI) danke ich für den zuvorkommenden Empfang und die angenehmen Arbeitsbedingungen. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Freundinnen haben mit konzeptuellen Anregungen und kritischen Anmerkungen das Gelingen der Arbeit gefördert. Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Dissertantenseminare von Birgit Wagner sowie im Besonderen Daniel Winkler (Universität Innsbruck) und Stefan Dollinger (University of British Columbia, Vancouver) für diese Denkanstöße. Bei der kritischen Lektüre früherer Versionen der Arbeit und einzelner Kapitel stand mir Waltraud Gros zur Seite, ihr sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Für anregende Gespräche über Film, Gefälligkeiten und Aufmunterungen danke ich Marianne Bauer, Ruth Peer, Katharina Petschnig und Marie-Laure Rodier.

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Film Bettina Dennerlein, Elke Frietsch (Hg.) Identitäten in Bewegung Migration im Film März 2011, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1472-5

Dagmar Hoffmann (Hg.) Körperästhetiken Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit August 2010, 352 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1213-4

Gesche Joost Bild-Sprache Die audio-visuelle Rhetorik des Films 2008, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-923-7

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Film Kay Kirchmann, Jens Ruchatz (Hg.) Medienreflexion im Film Ein Handbuch November 2010, ca. 404 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1091-8

Annette Simonis Intermediales Spiel im Film Ästhetische Erfahrung zwischen Schrift, Bild und Musik Oktober 2010, 234 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1520-3

Michael Wedel Filmgeschichte als Krisengeschichte Schnitte und Spuren durch den deutschen Film Dezember 2010, ca. 362 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1546-3

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Film Joanna Barck Hin zum Film – Zurück zu den Bildern Tableaux Vivants: »Lebende Bilder« in Filmen von Antamoro, Korda, Visconti und Pasolini 2008, 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-817-9

Maik Bozza, Michael Herrmann (Hg.) Schattenbilder – Lichtgestalten Das Kino von Fritz Lang und F.W. Murnau. Filmstudien 2009, 212 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1103-8

Catrin Corell Der Holocaust als Herausforderung für den Film Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie 2009, 520 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-89942-719-6

Daniel Fritsch Georg Simmel im Kino Die Soziologie des frühen Films und das Abenteuer der Moderne

Katrin Oltmann Remake | Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960 2008, 356 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-700-4

Sebastian Richter Digitaler Realismus Zwischen Computeranimation und Live-Action. Die neue Bildästhetik in Spielfilmen 2008, 230 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-943-5

Elisabeth Scherer Spuk der Frauenseele Weibliche Geister im japanischen Film und ihre kulturhistorischen Ursprünge November 2010, ca. 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1525-8

Catherine Shelton Unheimliche Inskriptionen Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm 2008, 384 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-833-9

2009, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1315-5

Thomas Weber Medialität als Grenzerfahrung Futurische Medien im Kino der 80er und 90er Jahre

Tina Hedwig Kaiser Aufnahmen der Durchquerung Das Transitorische im Film

2008, 374 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-89942-823-0

2008, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-931-2

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