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German Pages 102 Year 1937
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Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins En "
Heft 56
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Chronik von Alt-Westend mit Schloß Ruhwald, Spandauer Bo> und Fürstenbrunn Non
Willy Bark
Berlin 1937
Dru und Verlag von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW 68
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Den Freunden Alt-Westends!
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Zum Geleik. Das Jahr 1937 hat für die Reichshauptstadt eine ganz besondere
Bedeutung: in ihm wird sie ihr 700jähriges Bestehen feiern. Zum
ersten Male in ihrem Dasein begeht sie ein solches Fest der EGrinnerung, blickt sie bewußt auf eine jahrhundertelange, an wechselvollen Schidsalen reiche Entwi>klung zurü>k. Wen könnte dieses Gedenken mit größerer Freude erfüllen als unseren Verein! Ist es doch immer sein Bestreben gewesen, das schlummernde Bewußtsein von Berlins geschichtlicher Bedeutung durch Wort und Schrift zu erwe>en und Berlins Bürger mit Stolz auf ihre Vergangenheit zu erfüllen. Seine Freude will und soll unser Verein durch die Tat bewähren. Deshalb läßt er in diesem Jubeljahre das 56. Heft seiner „Schriften“ erscheinen, die reich mit Bildern ausgestattete „Chronik von AltWestend“ von Willy Bark. Mit vollem Bedacht haben wir die Gelegenheit ergriffen, eine Darstellung aus dem Bereiche von Groß-Berlin zu veröffentlichen. Denn
so wie die Reichshauptstadt ihren alten, zu eng gewordenen Rahmen gesprengt hat, so ist auc< unser Verein über Alt-Berlin hinausgewachsen. Viele unserer Mitglieder wohnen in den ehemaligen Vororten, und so mancher Aufsaß unserer Zeitschrift ist der Geschichte dieses oder jenes Vorortes nachgegangen. | Wir würden es von Herzen begrüßen, wenn die Beziehungen
zwischen unserem Verein und den Freunden und Förderern des Heimatgedankens in den Außenbezirken noch weit enger würden als bisher.
Einen zweiten Beitrag zur 700-Jahr-Feier soll ein Heft der „Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins“ bilden, das als Festschrift erscheinen wird. Wir hoffen, daß wir es als Sonderdru> durch den Buchhandel allen Freunden der Geschichte Berlins zugänglich machen können. Die Arbeit, die wir in 72 Jahren geleistet haben, gibt uns aber auch das Recht, gerade in diesem Jahre 1937 den Ruf an unsere Mitbürger zu richten: Tretet ein in den Verein für die Geschichte
Berlins, helft ihm seine Aufgaben erfüllen! Eine glücklich überwundene Zeit hat die Zahl unserer Mitglieder zusammenschmelzen lassen =- unsere Zeit ist berufen, diese Lücken wieder zu schließen.
Dr. Hermann Kügler,
Vorsikender des Vereins für die Geschichte Berlins.
5
Vorwort. Wer aus eigenem Erleben eine Geschichte Alt-Westends schreiben wollte, der müßte schon wie der alte Gärtner Weidauer in der
Rüsternallee die Neunzig überschritten haben. Sie ruhen alle längst
unter den schattigen Bäumen des Alten Luisenfriedhofes, die
Quistorp, Peters, Scheibler, Siewert, Ludewig, die den Mut hatten, hoch über der Stadt zwischen den Kusseln und Kiefern des Teltow ihr Haus zu bauen und den märkischen Sand in diese wundervollen Gärten zu verwandeln, die noch heute Westends Stolz und Freude
sind.
So ist es hohe Zeit, die wenigen Erinnerungen an jene Jahre der ersten Gründung zu sammeln und festzuhalten, wenn man ein
einigermaßen getreues Bild der Entstehung und Entwicklung AltWestends zeichnen will. Der Heimatfreund, der sic< mit dieser Aufgabe befaßt und sich nicht auf ganz trodenes Aktenmaterial beschränken will, sieht sich im wesentlichen auf die Durchforschung der Zeitungen und Zeitschriften der 60er und 70er Jahre angewiesen. Gewiß gibt es eine mündliche Überlieferung auch in Alt-Westend; aber die Erinnerungen der zweiten oder dritten Generation reichen selten bis in jene Jahre zurück, in denen Westend entstand, oder sie sind so unsicher und widerspruchsvoll, daß sie das Bild jener an sich schon unklaren Verhältnisse noc< mehr verschleiern. Als geschichtlich zuverlässige Quelle kommen sie nicht in Frage. Wohl aber geben gerade sie ein anschauliches Bild der markantesten Persönlichkeiten Westends, der Werdämeister, Quistorp, Siewert, die die jezt lebenden Westender vielfach noch gesehen und gefannt haben. Ein großer Teil meiner Arbeit hat daher darin bestanden, solche persönlichen Erinnerungen zu sammeln und aufzuzeichnen, und ich bin all denen, die mir dazu verholfen haben, herzlih dankbar: vor allem Frau Dr. Horn, Westend, für die Überlassung der Werc>meisterschen Schrift und des schönen Albums der ältesten Villen; Fräulein Johanna Schmidt für die wertvollen Aufschlüsse über Alt-Westender Scdhulverhältnisse; Herrn Baurat Violet für die Auskunft über die Wasserversorgung Westends; Herrn Reg.-Baumeister Hoffmann für die Mitteilungen über den Golf=pla; den Herren Schrobsdorff sen., Schroeder, Stendel, Siebert, Frl. Keller, Frau Holm und den Trägern des Namens Quistorp, die mir schriftlich so bereitwillig Auskunft gaben: Frau Dir. Jahn-
QLuistorp, Misdroy; Herrn Pastor Quistorp, Bielefeld; Herrn Vikar Quistorp,
Godesberg, und Herrn
Argentinien.
Robert
Quistorp,
Rosario,
Die Gründer Alt-Westends selbst haben schriftliche Aufzeichnungen
über ihr Unternehmen und seinen Fortgang nicht hinterlassen. Albert Werd>meister, dem wir die Broschüre „Das Westend und die Wohnungsfrage“ verdanken, zog sich zu früh von dem durch ihn ins Leben gerufenen Unternehmen zurück, und seine Nachfolger waren zu sehr Kaufleute und standen in zu scharfem Tageskampf, als daß
sie zum Schreiben Zeit gefunden hätten.
Die Verwaltungsberichte Charlottenburgs konnten von Westend natürlich erst Notiz nehmen, nachdem die Kolonie der Stadt einverleibt war, d. h. im Jahre 1878. Wiederholt aber beschäftigte das
Schi>sal Westends die Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat, deren Sißungs5berichte manchen Anhalt bieten. Gundlachs zweibändige Geschichte Charlottenburgs bringt auch über Westends Entstehung Grundlegendes, doc; muß sie sich naturgemäß auf das Wichtigste beschränken und konnte auf die weitere Entwi>lung nicht eingehen. Für die Geschichte der gemeinnüßzigen Anstalten und der Sportanlagen auf Westend standen mir die Bezirksakten zur Verfügung, wofür ich auch an dieser Stelle danken möchte. Der Voll-
ständigkeit halber erfolgte auch die Aufnahme der Geschichte des Schlosses Ruhwald, des Spandauer Bo>s und Fürstenbrunns, zu deren Darstellung die „Monatsblätter der Brandenburgia“ das Material boten.
Die Drucklegung der Chronik Alt-Westends ist dem Bezirksbürgermeister des Verwaltungsbezirks Charlottenburg und dem Verein für die Geschichte Berlins zu verdanken.
Leider mußte, um den Preis
des Werkmeistersche Plan -- Die Familie Werkmeister =- Erwerb
des Geländes auf dem Spandauer Bo> -- Gründung der Gesellshaft =- Der Parzellierungsplan =- „Das Westend und die Wohnungsfrage“ =- Schwierigkeiten mit dem Polizeipräsidium -Rücktritt Wer>meisters =“ Die neue Westend-Gesellschaft 5. Heinrich
Luissforp
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Seine Persönlichkeit =- Herkunft =- Übernahme der Gesellschaft =Mitarbeiter =- Gründung der Vereinsbank =- Besuch des Königs
auf Westend =- Grundsteinlegung des Denkmals -- Ruhige Ent-
wicklung der Kolonie in den Jahren 1869/70 6. Westend in den Gründerjahren .
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FF
30
Gewaltiger Auftrieb = Die ersten Villen und ihre Bewohner -Klubhaus Westend --- Die Pferdeeisenbahn bis Westend =“- Bau eines Wasserwerks -- Der Germania-Turm und das Belvedere =-
Spannung zwischen Kolonie und Stadt =- Erste Erschütterungen
-=- Quistorps Kampf gegen erwachendes Mißtrauen -- Neue Unter-
nehmungen -- Denkwürdige Geburtstagsfeier 7.
Zusammenbruch
der
Westkend-Gesellshaft
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Scheinerfolge =- Kampf gegen die Angstgerüchte -- Vergebliche
Stüßzungsversuche-- Vereinsbank, Westend-Gesellschaft und CentralBau-Verein stellen die Zahlungen ein -- Eröffnung des Konkursverfahrens -- Ablehnung eines Akkords -- Quistorps Kampf um sein Werk --- Die Wasserwerke unter neuer Leitung 8. Die Jahre des Übergangs
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Vernachlässigung durch die Altstadt -- Streit um die Beleuchtung -=- Verwahrlosung der Villen und Gärten -- Verlegung des Pferde-
marktes nach Westend 9
9. Wendung zum Besseren .
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Seite 44
Das erste Charlottenburg-Westender Adreßbuch --“ Das Klubhaus und das Morißsche Lokal --- Die Eingemeindung Westends 1878 ---
Verlängerung der Pferdeeisenbahn bis zum Spandauer Boc>k --+ Bau der Ringbahn und des Bahnhofs Westend =- Gründung des
Verschönerungsvereins
10. Geschichte des Germaniafurmes
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46
Quistorps Plan einer internationalen Ausstellung -- Ausbau des Turmes -- Gründung eines Aktienschußvereins -- Tod Henry Charles Quistorps -- Quistorps Abschied von Deutschland --
Unternehmen in Paraguay -- Heimkehr -- Verfall und Spren-
gung des Aquädukts -- Quistorps Tod 11. Westends Aufstieg
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DE
54
Beschleunigte Liquidation -- Lösung der Frage der Wasserversorgung -=- Kanalisation =- Abwehr eines neuen Bebauungs-
planes -- Regulierung des Spandauer Berges --- Der Branißer Pins -=- Das neue Kaiser-Wilhelm-Denkmal =- Bau der Westendasernen -- Die Hindernisrennbahnen -- Die Westender Trab-
rennbahn
12. Westend um die Jahrhundertwende .
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61
Die Ahornallee und ihre Anwohner --- Die inneren Alleen =-
Die Schulfrage -- Die höhere Mädchenschule von Johanna Schmidt -=- Mädchenpensionat Tanne> --- Der Ausbau der Kolonie =“
Das gesellschaftliche Leben 13. Gemeinnüßige Anstalten auf Westend .
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67
Günstige klimatische Verhältnisse =- Bau und Einrichtung des städtischen
Krankenhauses
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„Kuranstalten
Westend“
=“ Die
Augenklinik in der Nußbaumallee -- Das städtische Kinder- und Mütterheim in der Rüsternallee --“ Das Paulinenhaus -- Die Rudolf-Höhne-Stiftung -- „Luisens Andenken“ =“ Das Rentner-
Mietshaus in der Ulmenallee 14. Kir Haeselerstraße =- Der Schulbau zwischen Kastanienallee und Leistikowstraße -- Kriegs- und Inflationsjahre =- Kampf gegen die Wohnungsnot -- Das Siedlungswerk der BVG. 15. Die
neue
Zeit
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„HG 78
Der Umschwung 1933 -- Gesellschaftliches Leben --- Der Golfklub Berlin-Westend -- Die städtischen Sportpläße -- Das städtische
Volksbad Westend Shlußworf
Quellenangabe
Zeiklafel
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Berzeichnis der Abbildungen .
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1. Der Charlokkenburger Westen im 18. Jahrhunderk. Noch im Jahre 1708 führte die einzige Verbindung zwischen Berlin
und Spandau nördlich der Spree über den Nonnendamm, und mit Recht wiesen die neu anbauenden Handwerker und Kaufleute darauf
hin, daß kein Handel und Gewerbe aufblühen könne, solange die junge Stadt abseits von der Verkehrsstraße läge. Ihr Gesuch an den König hatte Erfolg. Noch in demselben Jahre verfügte er die Verlegung der Straße auf das südliche Spreeufer. Aber die Ausführung erfolgte erst unter Friedrich Wilhelm Il., der durch viele Bitten und Verhandlungen endlich dafür gewonnen wurde, 1718 den Tiergarten für den Verkehr zwischen Berlin und Spandau zu öffnen, und der
1723 sogar befahl, daß „keine Passage über die Jungsernheide mehr nach Spandow gelitten, sondern solche über Charlottenburg verordnetermaßen gelegt werden solle“ (Gundlach I. 89). Eine für Char-
lottenburg erfreuliche Folge war, daß nunmehr „die sämtlichen Postillions= und Extraführer“ angewiesen wurden, über Charlottenburg zu fahren; und diese Einbeziehung der Stadt in den Postverkehr wurde auch von den Einwohnern so hoch eingeschätzt, daß sie sich der als Gegenleistung geforderten Ausbesserung der Straße gern unterzogen. Sie führte aber nicht in der Richtung der heutigen Spandauer Straße am Schloß vorbei, sondern ging durch die heutige Scharrenstraße, Magazinstraße, schräg über den Friedrich-Karl-Plaß, Sophie-
Charlotten-Straße, Fürstenbrunner Weg, Ruhleben, umging also den
Spandauer Berg, über den nur ein alter, außerordentlich sandiger
Waldweg führte.
Vom Schloß bis etwa zum heutigen Bahnhof Westend, also zur Ringbahn hin, begann das unwirtliche Gelände sich in Feld zu verwandeln. Von da ab aber stieg die Straße langsam den Berg hinauf in die unberührte, stille Teltower Heide hinein. Von Köpenic> bis
zur Havel bei Spandau dehnte sie sich auf dem linken Spreeufer süd-
wärts, von Brüchen und Sümpfen durchsezt und von dem alten Spreearm durchzogen, der zwar damals schon an vielen Stellen ver» sumpft und verlandet war, aber zwischen seiner Ausgangsstelle an der Schloßbrüde und dem Ließensee einen breiten Graben bildete.
Von der Scharrenstraße ab bis zur Schloßstraße hin, etwa im Zuge der heutigen Hebbelstraße, erweiterte er sich zu einem großen
Karpfenteich, dessen Südspitze noch von der Schloßstraße auf einem 11 «u
Damm überquert wurde. Aber schon damals führte durch die Heide der „Kurfürstendamm“, den Joachim Il. zur Verbindung des Berliner Schlosses mit dem 1542 von ihm erbauten Jagdschloß „Zum grunen
Wald“ durch das sumpfige Gelände hatte aufschütten lassen, und schon längst war der Gürtel der Vororte der späteren Millionenstadt
angedeutet: Schmargendorf, Wilmersdorf, Schöneberg existierten schon, wenn auch nur als arme Acerbauerndörfer. Zur Wilmers-
dorfer Pfarrei gehörte auch die Kirche im alten Lüßow, und oft wanderte oder fuhr der Geistliche den alten „Priesterweg“ von
Wilmersdorf nach Lützow, die heutige Brandenburgische, Konstanzer
und Leibnizstraße (die Leibnizstraße hieß noch Ende des 19. Jahrhunderts Priesterweg), bis dann im Jahre 1708 Charlottenburg
seinen eigenen Prediger erhielt. Der Soldatenkönig hatte für Charlottenburg wenig übrig.
Während seiner ganzen Regierungszeit kam die Stadt kaum über
eineinhalbtausend Einwohner hinweg (1737: 1656 Einw.). Wohl erweiterte sie sic) nach Osten hin um einige Straßen, und die „Wilmersdorfische Straße“ wurde wenigstens als Feldweg bis nach Wilmersdorf durchgeführt, aber der Westen blieb im ganzen unverändert, wenigstens unbebaut. Hinter einer langen Reihe von
Scheunen im Zuge der heutigen Nehringstraße, die durch wüste Plätze voneinander getrennt waren, zogen sich die mageren, sandigen Felder den Berg hinan, die der König auf vieles Bitten 1717 der jungen Stadt als Stadtmark zugewiesen hatte (Faust, Teil 1, S. 29; Gundlach Beilage VIII). Sie reichte bis an den nahen Wald, der unser heutiges Westend damals noch ganz bede>te und im Norden bis Fürstenbrunn, im Süden bis über den Ließensee hinaus vorstieß.
Zwei lange „Gestelle“ (Schneisen) durchschnitten ihn, das „Erste
Stell“, wie es auf der alten „Carte von Charlottenburg“ heißt, die
Anno 1719 auf „Seiner Majestät Specialbefehl“ angefertigt wurde,
begann am „Lütsche See“ und führte in schnurgerader Linie über den heutigen Kaiserdamm (etwa an der Adlerbrücke) hinter dem Alten Luisenkirce des Krankenhauses vorbei nach dem heutigen Fürstenbrunn hinab, wo schon damals ein kleiner Springbrunnen war.
Das „Andere Stell“ kam vom „hole See“
(Halensee) aus der Schmargendorfischen Feldmark und durchschnitt die Heide in leichtem Bogen auf den heutigen Spandauer Bo> hin. Um nicht immer bis zum Kurfürstendamm fahren zu müssen, wenn er das auch von ihm geliebte Jagdschloß Grunewald besuchen wollte, legte der König die heutige Potsdamer Straße an und führte diesen „Weg nach Potsdam“ durc< von der Schloßstraße nach Westen über
die heutige Ringbahn hinweg etwa am Südrande des Alten Luisen-
kircke nach Tegel und Schönhausen. Auch die heutige Berliner und die Bismarcstraße waren damals stille Alleen. Aber der Osten und Südosten Charlottenburgs bot bis zum Tiergarten hin einen so weiten Raum, daß auch in der nun einsezenden etwas lebhafteren Entwicklung der Stadt der Westen noch auf Jahr-
zehnte hinaus fast unverändert blieb. Von der stillen Höhe des Spandauer Berges schauten damals zwei Windmühlen auf die Stadt hinab. Der König hatte sie auf dem Gelände Westends zu beiden Seiten der neuen Landstraße nach Spandau aufbauen lassen, weil die einzige Wassermühle am Tiergarten die Arbeit nicht mehr schafste. Beim Tode des großen Königs zählte Charlottenburg 2000 Einwohner, die aber schnell auf 3000 anwuchsen, als in den Jahren 1798/1799 die schlechte Landstraße zwischen Berlin und Charlottenburg in eine Chaussee umgewandelt wurde.
Sie endete am
heutigen Luisenplaß, der damals noch schlechtweg der Schloßplatz hieß, dort, wo heute Frankes Hotel liegt und erst wenige Jahre vorher der sumpfige „Schwarze Graben“ zugeschüttet worden war, der die Spree mit dem Karpfenteich verband. Der Schloßplatz selbst glich bis zum Jahre 1806 nach den Worten des damaligen Char-
lottenburger Chronisten, des Pfarrers Dressel, „einer wahren Wüstenei“. „In dem tiefen Sande, der beständig durch Kutschen und Gardedufkorps-Pferde durchwühlt und durchknetet ward, wuchs kein Halm Gras; außer einigen Lindenbäumen, der Wache gegenüber, war kein Schatten auf dem Plaz, kurz, jeder Fremde, der zum ersten Male über diesen Plaß den Weg nach dem Schloß oder Garten machen mußte, konnte nicht anders, als über diesen wüsten Plag vor einem so schönen königlichen Schlosse erstaunen.“ Auch
das wurde anders, als im Jahre 1806 der König, um seine von einer
Reise zurükkehrende Gemahlin zu erfreuen, den Plaz mit Rasenfläßen und Blumenschmu> versehen ließ. Fortan hieß er
„Luisenplatz“.
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2. Der Spandauer Berg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Unglü>, das im Spätherbst 1806 über Preußen hereinbrach,
traf auch Charlottenburg schwer. Wenige Tage nach Jena und
Auerstedt, am 26. 10. 1806, verlegte Napoleon sein Hauptquartier in unsere Stadt, und zwei Jahre lang litt Charlottenburg unter der
französischen Besezung. Zwar hielten die Truppen im allgemeinen
gute Manneszucht. Aber es kamen doch immer wieder Übergriffe vor, und besonders drückte die hohe Kriegsabgabe, die mit 17 500 Talern für die Jahre 1806 bis 1810 ausgeschrieben war, die noch arme Bevölkerung der Stadt. Zu dieser allgemeinen Einquartierung fam im Mai 1808 noch eine neue Belastung. Der damalige französische Gouverneur von Berlin, Herzog von Belluno, befahl die
Errichtung eines Feldlagers auf der Charlottenburger Gemarkung, das 7000 Mann aufnehmen sollte.
Es wurde dazu das Gelände
am Mühlenberge ausersehen, der Höhenrand zwischen Liegensee und dem Spandauer Wege, der damals viel stärker hervortrat als heute, und das Gebiet unseres heutigen Westend, auf dem der Wald schon stark gelichtet war. Die Verhandlungen zwischen den Franzosen und der Königlichen Kammer führte der zum Lagerkommissar bestellte Kriegsrat von Bassewig. Ihm und dem Pfarrer Dressel verdanken wir eine genaue Beschreibung der ganzen Anlage. Mit fieberhafter Eile wurde gearbeitet. In dem kurzen Zeitraum von vier Wochen entstand eine richtige kleine Lagerstadt, der niemand ansah, daß sie nur vier Monate bewohnt werden würde. Den Hauptteil des Lagers, dessen Front der Stadt zugekehrt war, bildete
eine ganz regelmäßig angelegte Baradenstraße, die in der Nähe des Ließensees begann und in der Richtung des früheren ersten Waldgestells, etwa über die heutige Epiphanienkirche, auf das Krankenhaus Westend zulief. Eine Viertelmeile lang stand hier, zu beiden Seiten nur durch schmale Zwischenräume getrennt, Baracke neben Baracke, jede einer kleinen festen Wohnlaube gleichend, aus Stämmen junger Kiefern erbaut, mit Lehm beworfen und mit Kalk angestrichen. Ein Bretterdach bede>te die Hütte, deren Vorderwand eine Tür und links und rechts davon je ein Fenster hatte. Das Innere war ein einziger Raum, in dem auf Pritschen an den Seitenwänden 20 Mann schliefen; 380 solcher Baracken zählte die Straße,
je 190 auf jeder Seite.
Hinter dieser Hauptstraße lagen die
64 größeren Baracken, die den Soldaten als Küchen- und Speiseräume dienten. Zwischen ihnen waren Ziehbrunnen ausgegraben, die zum Teil bis 20 Meter tief waren. Hinter diesen Küchenräumen folgte wieder eine Straße mit zwei Reihen Baracken. Sie waren
etwas besser eingerichtet und sollten die Unteroffiziere und Spielleute aufnehmen. (Die höheren Offiziere hatten sich in der Stadt einquartiert). Im Rüden des Lagers, in dem schmalen Raume bis iA
zum Walde hin, hatte sich ein buntes Gewimmel von Zelten, Bretter-
buden, Strauchhütten angesiedelt; hier standen die Marketenderwagen und die Buden der Restaurateure. Hier waren die Equipagen
der Offiziere aufgefahren und die Wagen der eleganten Welt Berlins, die zahlreich hinausströmte, um sich dieses Schauspiel anzusehen und selbst mitzuspielen. Lärmende Musik und lautes Lachen schallten durcheinander. Am Eingang des Waldes hielten die Landleute mit ihrem Zugvieh für den Dienst des Lagers. Vor der Front des Lagers standen im Zentrum und an den beiden
Flügeln hohe Mastbäume ganz mit grünem Strauch umkleidet, von deren Spißen die französische Fahne mit dem goldenen Adler wehte. In der Mitte des Baumes zeigte ein großes rundes Schild unter den Kriegsattributen, Heklm und Lorbeerkranz, den Namen des
Lagers: „Napoleonsburg“.
Auf einem Hügel vor der Mitte der Front, etwa zwischen Kaiserdamm und Friedhof, war der Artilleriepark aufgefahren. Drohend blickten die Kanonen hinab auf die Stadt. Wo heute die Bahn fährt, standen die Strauchhütten der Feldwachen. Um das Lager zu versce mit 4 Tannenbäumen an den E>en umstellt, so daß sich künstliche Alleen durch das ganze Lager zogen, die das künftige Gesicht Westends wie im Traumbild vorauserscheinen ließen. Alle diese Bäume wurden im nahen Walde geschlagen, der dadurch arg verwüstet wurde. Die Belegschaft
des Lagers wechselte wiederholt. Ihre Naturalverpflegung mußte gegen geringe Vergütung die Bürgerschaft der Stadt aufbringen, der
dadurch ein Schaden von 70 000 Talern entstand. Unerwartet schnell, am 2. 11. 1808, wurde das Lager abgebrochen, und unser Westend versanf wieder in den Zustand der Einsamkeit, der hier vorher ge-
herrscht hatte, und erwachte erst nach einem halben Jahrhundert wieder zu neuem Leben.
In dieser ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb der Westen der Stadt fast ganz unverändert. Wie 100 Jahre vorher, begann westlich
vom Schloßgarten die Feldmark. Aber der ohnehin schlechte Boden
wurde nur notdürftig mit Roggen und Kartoffeln bebaut, während in der Umgebung von Spandau schon längst eine einträgliche Gartenund Gemüsewirtschaft betrieben wurde. Charlottenburg war und blieb eine arme Kleinstadt und vergrößerte sich in dieser Zeit nur von
3000 Einwohnern im Jahre 1800 auf 8000 im Jahre 1850. Die Gastwirtschaft und das Fuhrwesen waren fast die einzigen Erwerbs5quellen (Faust, Teil 11, S. 28 usf.; Gundlach, S. 444; Krieger, S. 370 und 450). Aber auch sie blühten nur im Sommer, wenn die Berliner
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hierher ihre Landpartien machten oder für ein paar Wochen in die Sommerfrische kamen. Zwei Ereignisse brachten etwas Leben in die Stadt: die Anlage der
Charlottenburg--Spandauer Chaussee und die Separation.
Seit 1798 war die früher oft grundlose Fahrstraße, die vom Bran-
denburger Tor durch den Tiergarten nach Charlottenburg führte,
gepflastert. Sie endete auf dem Luisenplag. Die Straße von Charlottenburg nach Spandau begann in der Schloßstraße und führte durch die Magazinstraße. Es entstand also ein richtiger Kni>, der die gerade Verbindung zwischen Berlin und Spandau sehr hinderte. Auf Anregung der Potsdamer Regierung wurde im Jahre 1822
diese Unterbrechung beseitigt und die Chaussee in gerader Linie am
Schloß vorbei nac Spandau durchgeführt (Gundlach, S. 399;
Faust Il, S. 25 u. S. 38: Aufschüttung des Schloßhofes). So ent-
standen Spandauer Straße und Spandauer Berg. In derselben Zeit, 1821, begann die Aufteilung der Charlottenburger Feldmark, soweit sie im Gesamtbesige der Gemeinde war, zugleich mit der Aufhebung des Flurzwanges (Faust, S. 20--22). Sie
fand nicht geringen Widerstand bei der Bürgerschaft, so daß ihre Durchführung über 40 Jahre dauerte. Die Verteilung geschah so, daß 3 B. jeder Anlieger der Schloßstraße 1. ein Stü> Kohlland nach Ließensee und Schöneberg zu erhielt, 2. Weideland jenseits der Spree und 3. Bergland am Spandauer Berge mit der Verpflichtung, es zu AFerland zu machen. Es war so schlecht, daß man „vom Scheffel zwei Meßen“ erntete. Man gab es ohne Pacht an die Handwerker ab, Maurer, Zimmerleute, Tischler, die dort, wo sie arbeiteten, sich die
„Appartement-Gruben-Abfuhr“ ausbedangen, diesen Dünger auf das
Bergland brachten und dort Kartoffeln pflanzten. War der Boden
hinreichend verbessert, so nahm der Besizer ihn zurü> und säte
Roggen, was meistens schon im zweiten Jahre geschah. Ein Stück Land am Spandauer Berge, das besonders sandig war, hatte bei dieser Gelegenheit keinen Besitzer gefunden und blieb einstweilen im Besige
der Stadtgemeinde. Hier (hinter dem jezigen Bahnhof Westend) lagen
die Sandgruben der Stadt. Als im Jahre 1831 die Cholera ausbrach, entstand hier ein Cholerafriedhof. 1867 überließ die Stadtgemeinde der Kirche an dieser Stelle etwa 20 Morgen Land, auf denen der jeßige Alte Luisenkirchhof angelegt wurde. Zu ihm führte ein besonderer Kirc fand. Als großer Naturfreund benutzte Schäfer seine freie Zeit, um die Umgegend abzustreifen, und hatte mit feinem Geschmad> bald jenen schönen Punkt am Spandauer Berghang entde>t, von dem aus man das ganze Spreetal und die
ganze Jungfernheide überschaute. Hier saß er oft auf dem mitgebrachten Feldstuhl und genoß den schönen Bli> und die wundervolle Waldesruhe. Damals stand auf der Nordseite der Spandauer Chaussee von den Charlottenburger Mühlen bis zum Spandauer Bo> hin noch kein Haus. Der „Bo>“ selbst hatte gerade erst seinen Namen erhalten, und ihm gegenüber war die „Zibbe“ im Entstehen. Beider Begründer war Conrad Bechmann, ein Braumeister aus der Bamberger Gegend, der 1827 von dem Rittergutsbesizer Amtsrat Schüß nach dessen Gut Grüntal bei Biesenthal berufen wurde, um dort nach bayerischem Muster die erste Lagerbierbrauerei in der Mark zu begründen. Das „Grüntaler Unterhöhler“ fand bei allen Bierfreunden eine gute Aufnahme. Die Lagerkeller sind noch heute in Grüntal zu sehen. 1840 390g Conrad Bechmann nach Spandau, machte sich selbständig und kaufte hier für 12 000 Taler die Spandauer Brauerei, die das sogenannte „Königsbier“ herstellte. Er erwarb am heutigen „Bo>“, südlich der Chaussee, eine Waldparzelle und legte hier einen Lager- und Eiskeller an mit kleinem Ausschank, für den er die Genehmigung durch
eigene Fürsprache der bayerischen Königin Elisabeth erhielt, die im Bierausschank ein Kampfmittel gegen den Alkohol sah. Bechmann, ein ebenso tüchtiger Geschäftsmann wie Braumeister, erfreute seine Gäste im Frühjahr durch ein richtiges „Bo>bier“ nach Eimbe>ker Art und Namen (Eimbo>), das großen Anklang fand und dem ganzen Wirtschaftsbetriebe den Namen gab. „Ihm gegenüber, also nördlich der Chaussee, lag ein einzelnes Gehöft, dessen Besier Hennig auch einen kleinen Ausschank unterhielt. 1847 faufte Bechmann auch diesen, baute einen großen Saal und verlegte 1854 seine ganze Brauerei hierher. So entstand die „Spandauer Bergbrauerei“, deren Direktor lange Jahre Conrad Bechmanns Sohn war, und der wißige Berliner hatte damit seine „Zibbe“. 2
Bark, Chronik von Alt-Westend.
17?
Beide Spißnamen wurden niemals klar auseinandergehalten und selbst von eingeborenen Berlinern oft verwechselt. Die Frage: wo liegt denn nun der „Bo>“ und wo die „Zibbe“? ist sogar in den
Monatsblättern der Gesellschaft für Heimatkunde wiederholt behandelt, aber unter Berufung auf den Fontane-Führer des TouristenKlubs für die Mark Brandenburg, Teil IV, im obigen Sinne enitschieden*). Beide Lokale spielten in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine große Rolle und gehörten zu den be-
liebtesten Ausflugsorten nicht nur der Charlottenburger, sondern auch der Berliner; denn sie waren leicht mit dem vom Brandenburger Tor
nach dorthin fahrenden Torwagen zu erreichen, und schon der damalige Berliner opferte gern „zwee jute Jroschen“ für die Landpartie. An jedem Sommertag herrschte dort großer Jubel und Trubel, und zwar wurde die nördliche Seite mehr von den besseren Kreisen besucht, die
auch die „sechs Dreier“ für das Konzert noch übrig hatten, während der kleine Mann mehr die südliche Seite bevorzugte, wo schon von
11 Uhr mittags ab „kein besezter Stuhl mehr“ zu haben war. Hier entwidelte sich nun eine ungeheure Gemütlichkeit mit Gesang, Tanz,
Kegelschieben, Karussellfahren, Kaffeekochen und einer allgemeinen Kneiperei, die für manchen erst in völliger Bewußtlosigkeit ihre Grenzen fand. Ein „illuminierter Abschiedsumzug“ beendete den feucht-fröhlichen Tag, und der Torwagen, von dem jungen Volk „Verlobungsjondel“ genannt, brachte die Berliner wieder in ihre Heimat
zurück**). Diese übermäßige Ausgelassenheit herrschte späterhin merkwürdiger- und bedauerlicherweise an dem dazu am wenigsten geeigneten
Tag des Jahres, dem Karfreitag.
1874 brannte der „Bo>“ ab, 1875 wurde er wieder aufgebaut.
- Auch heute noch sind beide Lokale gut besucht. Man trinkt abseits vom Lärm der Straße unter den schönen alten Bäumen seine Tasse Kafsee und läßt den Bli> über die Spreewiesen schweifen bis zur Jungfernheide und dem nahen Spandau. Man gut auch als Er-
wachsener noch durch die bunten Scheiben, die die ganze Gegend in ein melancholisches Braun oder Grün oder Rot oder Lila tauchen.
Oder manfreut sich mit der Jugend, die hier ihre Kinderfeste feiert *) C. Riesel, Das romantische Havelland. Bd. 1 (Berlin 1869), S. 97 sagt: „Rechts (nördlich) von der Charlottenburg-Spandauer Chaussee auf dem Abhang des Spandauer Berges liegt die Spandauer Spiße (Kreis Teltow, eine Stunde südöstlich von Spandau und auf der Mitte von Charlottenburg nach Spandau). Die Berliner nennen das Etablissement den Spandauer Boc>.“ Dazu macht er
die Anmerkung: „Das Lokal rechts auf der Höhe heißt im Volksmunde „die Zibbe“ und nur der südlich von der Chaussee in der Tiefe gelegene Ausschank „der Bo>“*; es ist dies ein volkstümlicher Name, welcher vom Bockbier herrührt, das alljährlic hier im Frühjahr verzapft wird.“ (Freundlicher Nachweis von Herrn
Dr. Hermann Kügler.)
**) In dem Roman von Julius Stinde, „Die Familie Buchholz“, wird das Treiben auf dem Spandauer Boc> geschildert. (Freundlicher Hinweis von Herrn
Dr. Hermann Kügler.) IS
und entzückt ist, wenn der Kasper seine Späße macht und die vielgestaltigen Papierballons steigen, und die doc< mit Sehnsucht. den Abend erwartet, um in bunten Müßen ihren Fackelzug zu machen und die prächtige Illumination der künstlichen Burgruine zu bestaunen. Der ganze „Spandauer Bock“ gehört heute dem Scultheiß-Konzern, der ihn an die Firma Kahlbaum verpachtet hat.
Östlich der Brauerei besaß der Fiskus noch einiges Waldgelände, das er gern veräußern wollte. Er veranlaßte Bechmann, hier noch 40 Morgen zu 400 Talern zuzukaufen. Da erschien im Jahre 1865 Ludwig Schäfer im Büro der Brauerei und wollte einen Teil dieses neuen Geländes für sich erwerben. Er wurde abgewiesen, kaufte aber dicht daneben 24 Morgen (später noch mehr) von einem Ackerbürger
Sasse und errichtete hier 1867/1868 das Schloß Ruhwald. Da der Bau von der Poststraße aus zu sehen war und auffallend großzügig
angelegt wurde, fehlte es nicht an bissiger Kritik. Selbst Wilhelm 1.
gab jeiner Verwunderung lebhaften Ausdru>: „Welcher verrücte Mensch will denn da bauen?“ Er war aber später entzü>t von der
Anlage des Ganzen. In späteren Jahren vergrößerte Schaeffer-Voit
seinen Landbesitz ganz enorm, indem er einen breiten Streifen wüsten Jeldes erwarb, der über die Chaussee hinweg von Ruhwald nach Süden. das ganze heutige Neu-Westend umfaßte und fast bis zum
Jorsthause reichte, das gegenüber dem heutigen Schillers Waldhaus lag. Von der großen Besizung konnte Schaeffer-Voit sogar noch 80 000 Quadratruten an die „Westend-Gesellschaft“ abgeben. Vor-
sichtigerweise schloß er sich diesem Unternehmen nicht an, und so blieb sein Vermögen bei dem großen Krach intakt; ihm gehörte auch der Garten Ahornallee Nr. 52/53, in dem bis vor einem Jahrzehnt ein
Teehäushen mit „Voliere“ stand. Mit der größten Liebe baute er nun sein Ruhwald aus. 30 Zimmer
zählte das Schloß und 40 das danebenliegende Kavalierhaus. Die Deden sind oft mit dem Wappentier des Besizers, dem Schwan, gescmeister auf. Angeregt durch das Vorbild Londons, wollte er im Westen der Stadt in gesunder Lage und abseits von allem
Straßenlärm einen Villenvorort schaffen, der wohlhabenden Familien die Möglichkeit bot, in Einzelhäusern mit Garten zu wohnen, von Denen aus die Väter ihren Arbeitsplatz in Charlottenburg bzw. Berlin
leicht erreichen konnten. Die Familie Wer>meister stammte aus Schmiedeberg in Schlesien,
wo sie reich begütert war. Die Söhne Albert, Emil, Friedrich,
Wilhelm, wie schon ihre Eltern, hatten einen starken künstlerischen Zug, wohl von ihrer Großmutter her, die eine geborene Kopisch und die Nichte des Dichters Kopisch war. Alle Wer>meisters waren sehr unternehmungslustige Menschen, am meisten wohl der älteste, Albert =- eine rechte Gründernatur in gutem Sinne. Bereits an vielen
Berliner Unternehmungen führend beteiligt (Aufstellung von Litfaßsäulen und Selterwasserhäuschen, Erbauung der Straßenbahn), gründete er in Verbindung mit Friedrich Werd>meister im Jahre 1862 den Kunstverlag der Photographischen Gesellschaft am Dönhoffplaß, in den 1866 auch der aus Frankreich zurückkehrende Emil
Werc>meister eintrat, während Albert ihn wieder verließ.
Bald
darauf wurde die Filiale an der Schloßfreiheit im sogenannten Roten
Schloß gegründet, die heute noch besteht und von Karl Wer>meister, einem Sohne Wilhelm Werd>meisters, geleitet wird. Zu den Kunden der Photographischen Gesellschaft gehörten auch Bismarc> und Moltke. Emil Werkmeister ist derjenige der Brüder, Dessen Andenken sich noch am meisten in Charlottenburg erhalten hat, schon dadurch, daß er der finanzielle Begründer unserer Volksbibliothek und Lesehalle ist, zu deren Einrichtung er 23 000 Mark spendete. Ihm gelang es,
das Unternehmen der Photographischen Gesellschaft bedeutend zu vergrößern. 1893 erbaute er das Photographische Atelier am Kaiser-
Damm neben dem Adolf-Hitler-Plag, bald Darauf die kleine Villa am Plaz und zuleßt das große dazwischenliegende Gebäude. Der
eigentliche Landbesig der Wer>meisters lag aber in der Ahornallee und erstre>te sich von dort aus in einem breiten Streifen bis an die
Spandauer Bahn, etwa in der Gegend des jezigen Schillers Wald59
haus, dem gegenüber zur Zeit der Gründung Westends ein altes Forsthaus lag. Hier in der Ahornallee hatte auch Albert Wer>meister seine Villa. Es ist das Haus Nr. 49, in dem noch vor kurzem das Herrmannsche Restaurant war. Vor einem Jahrzehnt noch zeigte die Fahnenstange ein A. W. 1. 4. 1869. Heute erinnern nur noch ein paar Reliefs römischer Rennen an der Giebelseite und im Flur an den Erbauer. Am anderen Ende der Allee liegt die Gausesche Villa, erbaut von Emil Werd>meister, eine der sogenannten Sklarekvillen
unrühmlichen Angedenkens.. Von den Festen der Wer>meisters sprach Westend, sprach ganz Charlottenburg. Aber ihre Hände waren rein, und an ihrem Gelde haftete kein Makel. Eine Photographie zeigt Emil Wer>meister im Kostüm des Don Quixote. Alle Jubiläen seiner Angestellten wurden festlich begangen. Kremserpartien an die Havel, in Kostümen von Ferc< und Flotow, mit Aufführung heiterer und ernster Szenen und frohe Feste bei Moritz lohnten treue Arbeit des Personals. Wer 25 Jahre in der Photographischen Gesellschaft tätig gewesen war, bekam 1000 Mark und (aus einer Sammlung der
Angestellten) eine goldene Uhr. Emil Werd>meister 3o9g sic< aus seinen Berliner Unternehmungen
mehr und mehr zurück und starb 1923 in seiner schlesischen Heimat Schmiedeberg. Albert Werc>meister starb am 31. 10. 1871, bald nach seinem Ausscheiden aus der Westend-Gesellschaft, und liegt auf dem
Jacobikircmeister in Aussicht genommen hatte, erfüllte alle Bedingungen. Es lag hoch und frei, unmittelbar am Rande des Grunewaldes in angemessener
Entfernung von der Stadt und doch in guter Verbindung mit ihr; denn die Weiterführung der Straßenbahn war nur eine Frage der
Zeit. Der Grund und Boden gehörte Charlottenburger Bürgern, die mit dieser Wüstenei nichts Rechtes anzufangen wußten und hier eine
günstige Gelegenheit sahen, ihn für einen annehmbaren Preis (300
bis 500 Taler je Morgen) loszuschlagen. Ein großer Teil des soge-
an erlin. Robertgutes war Eigentum des Hoftischlers Arnold in Da das ganze Unternehmen troß des hohen Bodenpreises ein gutes Geschäft zu werden versprach, fanden sich leicht die nötigen Interessenten, die am 1. 5. 1866 als Kommandit-Gesellschaft auf Aktien
„Westend“ zusammentraten, außer Albert Wer>meister, der allein persönlich haftete, der Bankier Eichborn, Kommerzienrat Johann Quistorp in Stettin, General-Lotteriedirektor Tuchen und Baumeister Gropius. Nach dem Statut vom 1. 5. war vorgesehen, ein Kapital von 500 000 Talern durch Ausgabe von 2500 Aktien zu je 200 Talern auf-
zubringen und dafür etwa 250 Morgen Land zu erwerben, das in etwa 400 Baustellen aufgeteilt werden sollte, von denen die kleineren
zwischen 60 und 80, die Randparzellen im Osten und Westen zwischen 3
150 und 200 Quadratruten groß waren. Jede dieser Baustellen sollte ein Wohnhaus erhalten, das entweder von der Gesellschaft oder vom
Eigentümer selbst nach bestimmten Vorschriften zu errichten war. Der in der Kartensammlung der Staatsbibliothek enthaltene und hier wiedergegebene Parzellierungsplan von Westend zeigt schon jämtliche Längs- und Queralleen, die der Nordoste>e, mit der man
anfangen wollte, mit Namen, dazu die Größe der einzelnen Parzellen in Quadratruten. Da häufig von einem Käufer mehrere Parzellen erworben und zu einer größeren vereinigt wurden, zählt das heutige Westend bei ursprünglich auf dem ersten Plan vorgesehenen 395 Baustellen nur etwa 250 Villen, hat dafür aber den herrlichen Schmuck der Gärten.
Mancherlei Hindernisse hatte das junge Unternehmen zu über-
winden, ehe es richtig in Gang kam. Noch ehe man mit dem Bauen
begonnen, kam der Deutsch-Österreichische Krieg dazwischen. Erst im September 1866 konnte der erste Prospekt erscheinen, unterzeichnet von Mentel, Wirkl. Geh. Kriegsrat; Tuchen, 1. Dir. der General-
Lotteriedirektion; Gropius, Kgl. Landbaumeister und Prof. i. Fa.
Gropius & Schmieden; L. Eichborn, Kaufmann und Lotterie-Ober-
einnehmer; C. Engel, Fabrikbesiger; A. Werc>meister, Fabrikbesiger,
als Gründungskomitee. Am 1.1.1867 folgte die „Einladung zur
Beteiligung“. Bald darauf veröffentlichte Werd>meister eine Broschüre: „Das Westend und die Wohnungsfrage“, in der er seinen Plan ausführlicher darlegte und mit ideellen und finanziellen Gründen rechtfertigte. Er beruft sich darin auf eine Reihe von Artikeln in der „Vossischen“, die die Wohnungsfrage ganz in dem Sinne der neu-
begründeten Gesellschaft behandelten und dem Westender Unternehmen einen guten Fortgang prophezeiten: „Unter der Leitung so fachkundiger, geschäftserfahrener Männer, wie sie an der Spiße des
Unternehmens stehen, läßt sich hoffen, daß dasselbe gedeihen wird,
und es wäre dies in der Tat höchst wünschenswert, da dadurch wirk-
lich der Anstoß zu einer durchgreifenden Wohnungsreform gegeben
werden kann. Daß dieselbe nötig ist, leugnet man nicht; aber man ignoriert es. In zehn oder fünfzehn Jahren wird man auch dies nicht können, und mancher wird sich dann glücklich preisen, der sich beizeiten
vorgesehen hat.“ Zugleich benußt er die Gelegenheit, die ersten im „Bublizist“ und in der „Gerichtszeitung“ erschienenen Angriffe gegen sein Unternehmen zurückzuweisen. Mit einigem Stolz konnte er darauf hinweisen, daß die ersten Baustellen schon mit zehn Taler für die Quadratrute verkauft waren, während der Erwerbspreis 2 Tir.
26 Gr. 3 Pf. betrug und der Selbstkostenpreis nach Ausführung der
Chaussierung, Entwässerung, Wasserleitung, Gasanlage usw. auf
5 Tir. 20 Sgr. je Quadratrute zu stehen kam. Nun begannen Schwierigkeiten mit dem Polizeipräsidium, das die Bauerlaubnis zu erteilen hatte. Es verlangte eine genauere Bestimmung des eingereichten Bauplanes hinsichtlich der Straßen. Werc>meister gab ihre Breite mit 42 Fuß (etwa 14 Meter) an, von denen “A
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in Händen. Ist nur der erste Wurf getan, So kann es niemand wenden.
Auch stärkt die Arbeit Mark und Bein, Und jeder steht selbst für sich ein.
„Hier wurde manches Geschäft abgeschlossen und mancher Betrug“,
sagte ein alter Westender. Bei den Häusern gegenüber aber erhob sich breit und wuchtig, wie der Besitzer selbst, die Villa Quistorps, damals das Glanzstü> der Ahornallee. Der Name „Ibrox“, den er ihr gab, war eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in England. Dort hatte er seine Frau, eine geborene Lumb, aus Wakefield-Yorkshire, kennengelernt, mit der er sich in Glasgow, im Stadtteil Ibrox-Terrace, niederließ. Welchen Eindruck der Bau gemacht haben muß, geht wohl daraus hervor, daß Hauptmann Rhoeden ihn zum Vorbild für sein an der E>e der
Platanenallee gelegenes Haus nahm.
Eine Reihe Berliner Kaufleute waren Quistorps Einladung und Beispiel gefolgt und hatten hier ihre Villen erbaut: Rommel, jetzt Ahornallee 7, der Besizer einer großen Tapetenhandlung in der 30
Brüderstraße; Venettisch, Ahornallee 14, der --- wie er selbst gern erzählte -- als armer Handwerksbursche durch das Brandenburger
Tor gekommen war und durch seine Tüchtigkeit auf dem Gebiet des Reklamewesens ein Vermögen erwarb; C. Kühn, Ahornallee 47, aus
der berühmten Neuruppiner Familie der Bilderbogenhersteller. Erst ein Jahrzehnt später folgten ihnen die Künstler und Gelehrten: die Hofshauspieler Arnold und Ludwig, der Harfenist Poenizß, der
berühmte Bazillen-Koch (im später Professor Roetheschen Hause,
Ahornallee 39), Du Bois-Reymond und Wilhelm Foerster. Diese ersten Anwohner Westends fühlten sich als eine Familie und gaben dem auch Ausdruc>k durch die Gründung eines „Westend-Clubs“, der natürlich auch ein entsprechendes Heim haben mußte. So wurde denn das neue „Klubhaus“ Kastanienallee 1 gebaut und im September 1872 durch ein großes Fest unter Mitwirkung des Domsänger-
hors eingeweiht. Die reiche und elegante Einrichtung, besonders die
Dedenmalereien und Stuckaturen, die Salons für Damen und Herren, die Blumenhalle und vor allem die Warmwasserheizung lösten allgemeine Bewunderung aus. Dieses neue Klubhaus wurde nun auch Endpunkt der Pferdeeisenbahn, und Westend erhielt damit die ihm schon lange zustehende Verbindung mit der Stadt und mit Berlin. Der Bahnhof Westend bestand noch nicht. Der Ring war zwar schon im Bau; aber es fehlte noc< das Stü> von Schöneberg über Wilmersdorf, Charlottenburg,
bis zum Vereinigungspunkte mit der Berlin-Lehrter Bahn, also Bahnhof Jungfernheide. Der Betrieb auf dieser Berliner Pferde-
eisenbahn und besonders auf der Verlängerungsstre>e nach Westend hinauf hatte etwas unendlich Gemütliches. Am heutigen Straßenbahnhof mußte man aus der sogenannten „Großen“ in die „Kleine“
umsteigen, die in der Sophie-Charlotten-Straße wartete. Während jene Wagen mit offenem Aufbau hatten, die von zwei Pferden gezogen wurden, waren die Wagen der „Kleinen“ nur einstöckig und fuhren
für gewöhnlich auch einspännig. Nur den Berg hinauf wurde noch ein zweites Pferd vorgelegt. Die fehlende Heizung wurde im Winter durch eine Strohschütte erset. Und doch war es eine Lust, in späteren
Jahren alle Morgen diese Bahn vollbesezt von Westend den Berg hinabfahren zu sehen. Ein durchgehender Wagen holte die jungen Mädchen der Pension Tannec> ab, die zur Crainschen Erziehungsanstalt in der Keithstraße fuhren. Lästerzungen nannten diesen den „Gänsewagen“. Sie machten sich auch über die drei Beherrscher Westends lustig: Quistorp, Büsing und Siewert, die alle Morgen aus der Stadt heraufkamen, und prophezeiten, das Bähnle würde um-
kippen, wenn die drei einmal zufällig auf einer Seite ständen. Büsing war der Direktor der Straßenbahn. Ihm gehörte die Villa Nußbaumallee 1, die nach dem traurigen Auszug des jüngeren Büsing gänzlich umgebaut wurde. Wichtiger noc< als die Frage der Verkehrs5verbindung, ja entscheidend war für die junge Kolonie das Problem der Wasserversor31
gung. Seine Lösung stand am Anfang und am Ende des Quistorp-
schen Unternehmens. Sie sollte sein Ruhm werden und wurde sein
Untergang.
Schon in dem Wer>meisterschen Plane finden wir Kastanienallee
E>e Rüsternallee, wo heute das kleine Einfamilienhaus liegt, ein Grundstü> vorgesehen für ein kleines Wasserwerk, bestehend aus
Maschinenhaus, einem oder mehreren Tiefbrunnen und Wasserturm. Daneben, Kastanienallee E>e Platanenallee, sollte dann später die Gasanstalt errichtet werden. Diese kleine Anlage genügte für die junge Kolonie. Aber mit der Übernahme der Leitung durch Heinrich Quistorp kam auch hier die gefährliche Kühnheit des erfolgreichen Unternehmers sofort zum Ausdruck. Seine Pläne gingen weit über das kleine Westend hinaus. Im Geiste sah er es schon sich entwiceln, nicht zur stillbescheidenen Villenkolonie, sondern zum glänzenden Vorort der Hauptstadt selbst, zu einem von Charlottenburg vollkommen
unabhängigen Stadtteil, dessen vornehme Eleganz alles bisher
Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Bezeichnete er doch sogar schon die Stelle für einen großartigen Tempel, in dem nach seinen Worten „Protestanten und Katholiken, Juden und Mohammedaner in ungetrübter Einigkeit ihren Gott verehren sollten“ (Sculß, Chronik, S. 237). Diesen hochfliegenden Plänen entsprechend, wurde denn auch das neue Wasserwerk angelegt, das nicht nur Westend, sondern ganz Charlottenburg und die südlichen Vororte versorgen sollte und -- aller-
dings auf ganz anderer Grundlage -- versorgt hat.
Die weitere Anlage von Tiefbrunnen auf Westend erschien nicht angängig, da das Gelände 26 Meter über der Stadt lag und der Grundwasserstand entsprechend tief war. Mitten im Grunewald, am Teufelssee, entstand in den Jahren 1871/72 das Werk, das den neuen
Stadtteil mit „reinem, gesundem und unerschöpflichem Wasser“ versehen sollte. Eine eigene Chaussee im Zuge der verlängerten und nach
Südwesten abgebogenen Eschenallee (heute Bundesallee) wurde erbaut, sogar ein „Telegraph“ angelegt. Das Hauptstü> der ganzen Anlage aber war der Wasserturm auf Westend, der „Germaniaturm“, den Quistorp zu einer Sehenswürdigkeit ersten Ranges ausgestalten wollte. Er wurde nach dem Entwurf des Potsdamer Architekten Pegholz als gewaltiger Rundbau von 60 Meter Durchmesser und 80 Meter Höhe aufgeführt und stand an der Eschenallee, zur Hälfte
in der heutigen Platanenallee und halb auf dem Grundstück des Säuglingsheimes. Im Untergeschoß, das einen Rundgang mit doppelten Säulenstellungen hatte, war ein riesiger Rundsaal vorgesehen, der zu Restaurationszwe>en benutzt werden sollte. Darüber wölbte sich die ungeheure Halle des Mittelgeschosses, das von 24 korinthischen Säulen getragen wurde. Darüber lag, etwas kleiner, der eigentliche Wasser-
behälter, so daß ein Rundgang entstand, auf dem -- wie alte Westender voll Stolz versichern -- ein vierspänniger Wagen hätte fahren können. Das Ganze sollte von einer Germania in ungeheuren Ausmaßen
gefrönt werden. 39 133;
MOE 4m.
Tafel 2.
Heinrich Quistorp.
Villa Marguerite, Ahornallee 49.
(Albert Werkmeister.)
Villa Ibrox, Ahornallee 6. (Heinrich Quistorp.)
„Der Bau wird“, wie es in einer Zeitungsankündigung vom
30. 7. 1872 hieß, „mit größter Energie troß der schwierigen Beschaffung einzelner Baumaterialien gefördert, und wird die Voll-
endung desselben durch etwaige Strikes nicht gehindert werden.“
Eine Versicherung, die 14 Tage später durch einen kleinen Streik der Brunnenbauer beantwortet wurde. Am 31. 8. fand die feierliche Grundsteinlegung zu diesem Riesenwerk statt, dem „Aquadukt“, wie es merkwürdigerweise in allen
Zeitungsankündigungen hieß. Equipage auf Equipage rollte zum
neuen Klubhause, wo sich die Ehrengäste versammelten. Alle die
glücklichen Aktionäre, die im letzten Jahre 16 Prozent Dividende erhalten hatten, die Mitglieder der „Hautefinance“, Landrat Prinz Handjery, ein reicher Damenflor. Es folgte die Fahrt zum Bauplatz und die Feier mit vielen Reden und Denksprüchen: „Feststehend immer, stillstehend nimmer.“ Souper und Ball im Klubhause bildeten
den Schluß.
Von nun ab finden wir in den „Charlottenburger Nachrichten“ fortlaufende Berichte über den Stand der Arbeiten an diesem Bauwerk. Der Aquädukt wurde zu einem Barometer für das ganze
Westender Unternehmen, bedenklicherweise aber auch für die Quistorp-
schen Finanzen: Ging alles gut, d. h. liefen die Gelder pünktlich und in gewünschter Höhe ein, so wurde am Turm fieberhaft gearbeitet, flossen die Quellen etwas weniger reichlich, so sto>te der Bau. Das Jahr 1872 bezeichnet den Höhepunkt aller Quistorpschen Unter-
nehmungen.
Anfangs April erwarb die Westend-Gesellschaft für 1 Mill. Taler
Schloß Ruhwald mit Park und etwa 500 Morgen Land, weil --- wie eine Zeitungsnotiz besagte =- „auf Westend nicht eine Villa und nicht eine Rute Landes mehr zu verkaufen war“.
Unmittelbar darauf gründete Quistorp den Baltischen Lloyd,
eine Stettin-Amerika-Dampfschiff A. G., mit einem Kapital von 1 350 000 Taler.
Anfangs Mai wurde das Aktienkapital der Westend-Gesellschaft um 1 500 000 Taler vermehrt, der Gewinnanteil von 40 auf 50 Prozent
erhöht; einen Monat später erfolgte eine weitere Erhöhung um
300 000 Taler.
„Westend wird ein Gegenstand allgemeiner Bewunderung“, schreibt
die Zeitung, und um den zahlreichen Besuchern etwas Besonderes zu bieten, wurde =- da der Bau des Germaniaturmes sich doch etwas
länger hinzuziehen drohte -- in wenigen Wochen im Verlauf der neuen Parkstraße, etwa vor dem heutigen Hildegard-Krankenhause,
das „Belvedere“ errichtet. Gin 60 Fuß hoher Holzturm, von dessen
umgittertem Dach aus man „das herrlichste Panorama bewundern
konnte, welches in der Umgegend von Berlin zu finden war“. Vor sich sah man in der Ferne das Brandenburger Tor mit der weiten Bogenlinie der Kaiserstadt zu beiden Seiten. Wandte man sich rü>3
Bark, Chronik von Alt-Westend.
33
wärts, so schweifte der Bli über den Grunewald bis Potsdam und zu den Höhen jenseits der Havel. Ein Kriegsinvalide bewachte den Turm und zog das geringe Eintrittsgeld ein, das dem Kirchen- und Schulfonds von Westend zufloß. Dieser hölzerne Turm stand bis zur Mitte der achtziger Jahre. Ein junger Taugenichts, Sohn eines Malermeisters H. aus der Wall-
straße, ste>te ihn in Brand. Der Herbst 1872 brachte auch für das Westender Unternehmen wie für tausend andere die ersten szuweisen und ver34
anlaßten die Gerichte zu einer schärferen Kontrolle aller Unter-
nehmungen. Sofort begann sich in der Bürgerversammlung das Miß-
trauen auch gegen die Westender „Spetkulations-Gesellschaft“ zu regen, die „auswärts mehr interessiert als am hiesigen Ort, und die sich nicht zu einem Abschluß eines Vertrages über die Wasserversorgung eignet, weil sie keine genügenden Garantien zu bieten imstande ist“. =- Man
neigt zur Mitbenutzung der Berliner Wasserwerke. Vergebens legte Quistorp als Antwort eine glänzende Bilanz in der Aufsichtsratssigung vor und begann mit der Röhrenlegung nach Berlin. Vergebens warb er für arbeitschaffende Kapitalvermehrung. Alle Zeitungen schienen am Ende des Jahres auf denselben Ton gestimmt: „Die Spekulation in Grundstücken hat ihre Grenzen gefunden. Die Nachfrage läßt nach. Die spekulativen Käufer, die lediglich in der Absicht des Wiederverkaufs Häuser und Baupläße erworben haben, sind in großer Sorge. Die Häuserpreise sind unsinnig
in die Höhe getrieben, die Mieten verteuert, von 400 bis 500 Taler auf 800 bis 1000 Taler. Auch wohlhabende Leute fangen an, bescheidenere Quartiere zu nehmen. Es besteht eine Überproduktion an neuen Häusern und teuren Wohnungen. Die Parzellen fallen im Wert.
Restkausgelder werden fällig, und zahlreiche Subhastationen stehen vor der Tür.“ (Charlbg. Nachrichten vom 14. 12. 1872.)
Der plößliche Verkauf Schloß Ruhwalds, das die Westend-Gesell-
schaft erst im Frühjahr 1872 erworben hatte, an den Kommissionsrat
Johann Hoff redete eine deutliche Sprache. An allen europäischen Börsen seßzte die Baisse-Spekulation ein.
Zum Jahresabschluß brachten die Charlbg. Nachr. eine Schägzung
der Dividenden von allen durch die Vereinsbank Quistorp & Co. ins
Leben gerufenen Unternehmungen, deren Geschäftsjahr mit dem 31. Dezember abschloß. Die vollständige Wiedergabe wird auch heute noc< dem Leser einen Eindru> von der rapiden und geradezu
gigantischen Ausdehnung verschaffen, die das Quistorpsche Unternehmen in den drei Jahren seines Bestehens erreicht hatte, einer Ausdehnung, die troß der scheinbaren Solidität aller Einzelgründungen nur beängstigend wirken konnte:
31. Dezember 1872, Charlbg. Nachr. Nr. 115: „Wir geben im folgenden eine Schäzung der Dividende von den-
jenigen durch die Vereinsbank Quistorp & Co. ins Leben gerufenen Unternehmen, deren Geschäftsjahr mit dem 31. Dezember abschließt: Aktiengesellschaft für Feilenfabrikation (sonst C. Schaaf & Co.) . 10%
Aktiengejellschaft für Tabakfabrikation (vorm. George Praetorius) Baltischer Lloyd,
Stettin-Amerika-Dampfschiff A.G.
Chemische Fabrik auf Aktien (vorm. E. Schering). Continental A. G. für Wasser- und Gasanlagen .
.
.
. . .
Facon-Schmiede und Schrauben-Fabrik A. G. . Pommerscher Industrieverein (Stettin) ...... Potsdamer Holzfaktorei auf Aktien (früher Gebr. Saran) , Schlesische Aktienbrauerei in Breslau. u... Vereinsbank Quistorp
& Co...
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Westend-Gesellschaft H. Quistorp &Co.
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Westend-Stettin, Bauverein auf Aktin.
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Wolfswinkel, Papierfabrik auf Aktien und Rathenower Optische Industrieanstalt (vorm. Emil Busch) schließen ihr Geschäftsjahr am 31. März a. k., Central-Bazar für Fuhrwesen, Deutscher CentralBauverein, Verein für Faßfabrikation (sonst E. Wunderlich) am 30. Juni a. kf. Die anderen Gesellschaften sind kürzlich entstanden, so
daß ihre geschäftlichen Resultate erst später bemessen werden können.“
Diese Veröffentlihung kann nur als ein verzweifeltes Mittel
Quistorps angesehen werden, seine Gläubiger, die schon anfingen seine
Gegner zu werden, unter allen Umständen von dem Gedeihen seiner Unternehmungen und von ihrer Sicherheit zu überzeugen. Und sie schienen überzeugt zu sein, als er am 25. Januar in der Generalver-
sammlung einen glänzenden Abschluß vorlegte, der 17 Prozent Dividende ergab und damit alle ihre kleinen Bedenken zerstreute. Diesem
Abschluß entsprach auch der pompöse Kassenbericht, der „Vereins-
banf“, der den alten Quistorpschen Grundsatz „Unity is strength“ zitierte, den wir noch heute auf dem verwitterten Wappen des Klubhauses lesen, am Schluß sich aber doch nicht eines etwas sorgenvollen Ausbli>s erwehren konnte: über den gewaltsamen Aufschwung von Handel und Industrie, die andauernde Geldknappheit im Lande trog der erhaltenen 5 Milliarden französischer Kriegsentschädigung und die enorme Produktion schlechter und imaginärer Werte. Das neue Jahr begann mit einer neuen Ausdehnung der Quistorp-
schen Unternehmung: die Westend-Gesellschaft legte die Villenkolonie
Adlershof bei Köpeni> an und übertrug die Ausführung der Bauten dem Deutschen Central-Bauverein, der auch eine Gründung Quistorps war. Sie fühlte sich anscheinend so stark, daß sie auch die Bestrebungen
wieder aufnahm, die Kolonie Westend aus dem Kommunalverbande von Charlottenburg zu lösen und die Erhebung derselben zu einem
eigenen Gemeinde- und Amtsbezirk durchzusezen. „Wir bauen, unter-
halten, reinigen, besprengen, entwässern, beleuchten unsere Straßen aus eigenen Mitteln, wir tragen allein die Kosten für die nächtliche
Bewachung, für das Feuerlöschwesen usw. und sehen daher nicht ein,
weshalb wir, ohne eine Gegenleistung zu empfangen, der Gemeinde Charlottenburg Steuern zahlen sollen, welche wir zur Bestreitung jener Kosten besser selber verwenden können.“ So argumentierten die Westender, und der Kreistag, besonders Landrat Prinz Handjery,
befürwortete ihr Gesuch. Erst angesichts des Zusammenbruches konnte
sich die Potsdamer Regierung zu einer glatten Ablehnung entscheiden. Inzwischen war auch der Bau des Wasserturms stark gefördert worden. Quistorp versäumte nicht, alle Welt über den Fortschritt dieses seines Lieblingswerkes immer auf dem laufenden zu halten, sei es, daß er zur Besichtigung des nun im Rohbau fertiggestellten Unterbaues nebst Arbeitsmodell des ganzen Bauwerks einlud oder von Bernsteinfunden berichtete oder von dem 20 Zentner schweren
Stein, den Taucher bei den Arbeiten am Teufelssee gehoben hätten. Seine Pläne nahmen in dieser Zeit ein Ausmaß an, seine Unternehmungen häuften sich in einer Weise, daß sie nicht zu einem guten Ende führen konnten. 26
Nach Erwerb der Wolgaster Farbholzmühle und Gründung einer ganzen Reihe von Unternehmungen, darunter auch eines „Westend“ in Frankfurt a. Main, wandte er sich einem Gebiet zu, das bis dahin
der berüchtigte Dr. Strousbergh (ursprünglich Bethel Heinrich Straus-
berg aus Neidenburg), der „Eisenbahnkönig“, bearbeitet hatte. Er
gründete mit Kapital seiner Vereinsbank die „Germania-Eisenbahnwagen-Leihanstalt“, ein Unternehmen, das nach dem Vorbild Amerikas, Englands, Belgiens und Österreichs als Aushilfe für die Staatsbahnen gedacht war, die den Güterverkehr der wachsenden Industrie nicht bewältigen konnte. Das Aktienkapital betrug 1 Mill. Taler. Der Wagenpark zählte 700 Wagen. Die Leitung hatte
der Direktor der Facon-Schmiede und Schrauben-Fabrik A. G. Albert
Lueg: dessen Namen wir noch heute an der Villa Rüsternallee 18 esen. Auch dieses Unternehmen kam gut in Gang und arbeitete mit 15 Prozent Dividende.
Quistorp schien auf der Höhe seiner Leistungen. Seinen Geburtstag
am 30. April benuzten seine Freunde zu einer Ehrung ganz großen Stils, die uns ein Bild von dem wahnsinnigen Luxus gibt, der in jenen kurzen Gründerjahren gang und gäbe war. Hier ist der Bericht eines Augenzeugen: „Die IJbrox-Villa, die Quistorp seiner Frau, einer Engländerin, geschenkt hatte, erstrahlte im Schmu> der Blumen und
Geburtstagsferzen. Von Stunde zu Stunde häuften sich kostbarste
Geschenke in Silber und andere wertvolle Gegenstände. Um 11 Uhr trat der Dom und weißer Binde an. Dann kam die
Schar der Gratulanten. Ein russischer Großfürst ließ eine Equipage mit zwei prachtvollen Orloffhengsten als Geschenk vorfahren, Frau Quistorp erhielt ein zierliches Ju>ergespann, und so ging es weiter durch den ganzen Tag.“ Drei Jahre später, am 3. 5. 1876, lesen wir im damaligen Char-
lottenburger Intelligenzblatt folgenden Artikel: „Am Sonntag, dem 30. April, feierte Herr Heinrich Quistorp auf Westend ein seltenes Jubiläum -- ein vierfaches =-, wenn wir es so
nennen dürfen. Erstens feierte derselbe seinen Geburtstag (Herr
Quistorp ist 40 Jahre alt), zweitens sein 25jähriges Jubiläum als Handlungsdiener, drittens waren es an diesem Tage drei Jahre, an
welchem ihm seine vielen Freunde (?) durch Geschenke von echten russischen Pferden und anderen Luxusgegenständen konfus zu machen suchten, und schließlich viertens waren es zwei Jahre nach Eintritt der Katastrophe, wo er durch richterlichen Spruch außer aller Ver-
bindlichkeit gesezt wurde. Wo sind die Freunde in der großen Mehr-
zahl geblieben, welche am 30. 4. 1873 unserem Westend-Begründer
die unerhörte Ovation brachten? Sie sind verschwunden, anstatt sich an dem Wiederaufbau des Quistorpschen Werks zu beteiligen, bei
welchem viele von ihnen doch früher goldene Früchte einheimsten.“
37
7. Zusammenbruch der Westend-Gesellschaft. Oktober 1873.
Am Tage nach dieser vielbesprochenen Geburtstagsfeier brachte die
Zeitung einen Bericht Quistorps über den glänzenden Stand seiner
jezt 25 Gesellschaften: Fabriken, Bauvereine, Fuhrgesellschaften, Eisenbahnunternehmungen, Brauereien in Berlin, Potsdam, Breslau,
Frankfurt a. Main, Stettin, Hagen sowie der Bergwerke im Harz. Die Westend-Gesellschaft zahlt 17 Prozent Dividende. Die Aktionäre sollen künftighin 5 Prozent des Aktienkapitals vorweg als Rente erhalten. Dafür erteilen sie die Genehmigung, das Aktienkapital =- wenn nötig -- bis auf 5 Mill. Taler zu erhöhen. Die Tantieme
des Aufsichtszrats wird von 15 auf 12*/, Prozent herabgesetzt, die Ersparnis für Beamte und Angestellte verwandt. So war es ihm ein leichtes, durc< sein Büro am Hegelplaßz 2 alle Befürchtungen öffentlich zurückzuweisen, und selbst die Verhandlungen mit der Stadt über die Wasserleitung standen nicht ungünstig. Mit Stolz schreibt er
am 18. 7. 1873:
„Zu den Annehmlichkeiten, mit welchen neuerdings Westend aus-
gestattet worden ist, gehört auch eine vollständig eingerichtete PBostexpedition im hohen Erdgeschoß des Klubhauses, die Verlängerung
der Pferdebahn von Westend bis Ruhleben (wobei leider die Pappeln
in der Spandauer Straße gefällt wurden), so daß auch die einzelnen Villen der Kirschenallee an den Verkehr angeschlossen sind. Ein provisorischer Betrieb der neuen Wasserleitung mit dem alten kleinen Kraftwerk macht eine stärkere Straßensprengung möglich, und -- der
Germaniaturm ist fast fertig.“
Am 19.7. brachte die Zeitung einen langen Artikel der Vereinsbank Quistorp & Co. gegen die Angstgerüchte. Die rü>gängige Bewegung sämtlicher Bank- und Industriepapiere seit zwei Monaten
wurde offen zugegeben. Welches sind ihre Gründe?
„Nach dem Frieden kam alle Welt zu der Einsicht, daß zu wenig Menschenhände, zu wenig Maschinen, zu wenig Wagen, zu wenig Häuser vorhanden seien, um alles Notwendige und bisher Zurücgestellte zu besorgen. Der Andrang des Kapitals batte ein Steigen der Preise und die Gründung zahlreicher Aktiengesellschaften zur
Folge. Auch heute gibt es noc< Arbeit genug; aber es regen sich Bedenken, ob die Bildung von Aktiengesellschaften sicher genug sei. Das Kapital beginnt, sich aus den Unternehmungen zurüczuziehen. Ein starkes Angebot von Aktien entwertet sie und ruft Beunruhigung
hervor.“
Und nun folgt eine dringende Mahnung zur Besonnenheit und die
Versicherung, daß Quistorps Unternehmungen vollständig solide und unberührt durch die Wiener Krise (Strousbergh) seien, weil sie sich von allen Börsenspekulationen ferngehalten hätten. Aber das große Publikum war unruhig geworden. Das Gerücht,
daß Johann Hoff aus Ruhwald, der für steinreich gehaltene Erfinder 38
des Malzextrakts, vor dem Konkurs, stände, und verschiedene hämische Artikel in den Zeitungen taten ihr übriges, und so sezten Ende September 1873 die ersten ernsten Schwierigkeiten bei der Vereinsbank ein, unmittelbar hervorgerufen durch die Festlegung der Gelder in
Aktiengesellschaften und durch zahlreiche Depotkündigungen. Vergebens machte die Preußische Bank einen Stüßzungsversuch, vergebens stellte sie fest, daß „unter den zahlreichen Gründungen nicht eine einzige ist, bei welchen das Emissionsinstitut oder dessen Leiter
persönliche Gründervorteile erzielt habe“. Der allgemeine Krach an der Börse Anfang Oktober rief eine solche Panik hervor, daß auch der erweiterte Sanierungsversuch der Preußischen Bank, Disconto-Gesellschaft, Bank für Handel und Industrie und ihrer Berliner Hilfsgesellschaften unter Bleichroeders Vermittlung scheiterte, weil die Wechselberechtigten nicht verlängern wollten. Am 14.10. 1873 veröffentlichten die Vereinsbank Quistorp & Co.,
die Westend-Gesellschaft Heinrich Quistorp & Co. und der Deutsche
Central-Bau-Verein folgende Mitteilung: „Zu unserem großen Bedauern sind wir durch den Drang der Zeit-
verhältnisse und durch den Umstand, daß uns troß ausreichender Unterlage die notwendige temporäre Unterstüßung zur Abwicklung unserer Engagements nicht in genügendem Maße gewährt wurde, genötigt, bis auf weiteres unsere Zahlungen zu suspendieren und haben wir, in Übereinstimmung mit unserem Aufsichtsrat, zur Beratung über die zur Befriedigung der Herren Gläubiger zu ergreifenden Maßnahmen, respektive Beschlußfassung über ein außergerichtliches Arrangement der Gesellschaft oder evtl. Wiederaufnahme der Zahlungen eine Versammlung auf Dienstag, den 14. Oktober, vormittags 11 Uhr, im Konferenzsaale, Hegelplat Nr. 2, anberaumt, zu welcher wir sämtliche Herren Gläubiger und Creditoren hiermit ganz
ergebenst einladen.“ Die Versammlung beschloß zwar ein Moratorium bis zum
31.12.1874, doke auch auf Westend zu erhoffen sei. Auch diese Verhandlungen mit der neuen Gesellschaft zeigen im Anfang die ganze Kleinlichkeit und Starrföpfigkeit der damaligen Charlottenburger Stadtväter, denen drei Eimer Mindestverbrauch je Tag und Familie zuviel schien, die -=- nachdem sie nur mit größtem Widerstreben in die Anlage einer Kanalisation gewilligt hatten =- es nun auf einen Prozeß ankommen
ließen, als die Gesellschaft mit der Legung der Wasserleitungsröhren beginnen wollte. Schließlich griff die Polizei ein, um den unhaltbaren Zuständen, dem Gestank und der ewigen Verstopfung der Abflußrohre, denen die Wässerspülung fehlte, ein Ende zu machen. Mit ihrer Genehmigung wurden die Rohre gelegt, und das Gericht bestätigte der neuen Gesellschaft das Recht zur erweiterten Anlage und zum 41
Betriebe der Wasserleitung, die sich nun (1879) neben der Berliner kräftig durchsezte und im Oktober 1884 auch zu einem endgültigen
Vertrag mit der Stadtgemeinde gelangte.
8. Die Jahre des Übergangs. Die Jahre 1879 und 1880 brachten auch der Kolonie Westend die Wendung zum Besseren, die ihr das Leben rettete.
Sie hatte furchtbar gelitten. Nicht durc< den Zusammenbruch allein;
denn noch im Jahre darauf (1874) wurden 135 000 Taler neuer
Aktien gezeichnet, und die Aussichten für eine gedeihliche Weiterentwi>lung waren durchaus gut und wurden durch den Bau einer
von Westend ausgehenden Chaussee nach Pichelsberge 1875, die Verlegung des Pferdemarktes nach Westend 1876 und die Vollendung der Ringbahn mit der Anlage des Bahnhofs Westend nur verbessert. Aber sie wurde in dieser kritischen Zeit von der Stadt vollkommen im
Stich gelassen. Eine unbegreifliche, auch durch das im Anfang allzu jelbstbewußte Auftreten der ersten Gründer und Bewohner nicht zu erflärende Abneigung der Altstadt gegen die kec> emporstrebende Kolonie führte zu einer vollständigen Vernachlässigung und zu den
kleinlichsten Schikanen.
Neben dem Kampf um die Wasserwerke lief der Streit um die
Beleuchtung Westends. Auch hierin war die junge Kolonie zunächst unabhängig von der Stadt, da sie Petroleumbeleuchtung hatte und mit 30 Laternen ausreichend versorgt war. Ein Vertrag zwischen der Westend-Gesellschaft und der Stadt, nach welchem die Stadt das Gas
für die öffentliche Beleuchtung Westends unentgeltlich hergeben und dafür aus den Westender Wasserwerken das für die Straßenreinigung und das Feuerlöschwesen nötige Wasser erhalten sollte, kam wegen des Zusammenbruchs der Gesellschaft nicht zur Ausführung, vielmehr wurde die Zahl der Laternen von der Konkursverwaltung auf dreizehn herabgesetzt, und in diesem Zustand verblieb Westend troß aller Betitionen zwei Jahre, bis endlich im Januar 1876 der Magistrat sich entschloß, elf neue Gaslaternen aufstellen zu lassen. Aber noch zwei Jahre später erhebt sich ein großer Streit in der Stadtverordnetenversammlung um eine Gaslaterne, die zu diesen elf hinzukommen soll. Das städtische Interesse hatte sich damals ganz einer anderen Gegend zugewandt, dem Gebiet zwischen Kurfürstendamm und Landwehrkanal, in dem auch eine Villenkolonie im Entstehen war und um
dessen Zugehörigkeit Berlin und Charlottenburg erbittert rangen. Diese ausgesprochen schlechte Behandlung Westends wurde damit begründet, daß die Straßen und Pläße der Kolonie noch immer nicht
von der Stadt übernommen wären. In der Einsicht, daß Quistorps
Verhalten in dieser Beziehung unklug gewesen war, hatte die Konkursverwaltung längst den entsprechenden Antrag gestellt und im April 1877 wiederholt. Seine Behandlung in der Stadtverordnetenver4.2
sammlung im August 1877 und die darauffolgende Zeitungspolemik läßt uns einen tiefen Bli> in die damaligen Westender Zustände tun.
Der ablehnende Beschluß der Linken wird sehr scharf kritisiert: „Es ist sehr unklug, jezt niht zu übernehmen, da die Verhältnisse noch einigermaßen klar sind, und da man später doch übernehmen muß, weil man die Steuern genommen hat. Es regt sich wieder in Westend.
Baukonsense werden verlangt, können aber nicht gewährt werden, weil die Verhältnisse noch nicht geklärt sind. Ein gut Teil der Villen liegt da als halbfertig gebaute Häuser, in die der strömende Regen Eingang findet, verwüstete oder nur halb kultivierte Gärten ringsum; aber doch dann auch wieder ganz wohl erhaltene und wohlbebaute
Straßen.“
Und ein Kolonist macht seinem empörten Herzen Luft in den Worten: „Schwinde hin in deiner Krankheit der ewigen Liquidation, jugendliche Schöne, fallt in Klumpen, ihr Gartenhäuser, bei diesen schwankenden Rechtsverhältnissen, bleibet unbebaut, ihr Straßen, nur eins bitten wir uns aus: Solange du noch atmest, zahle pünktlich deine Steuern für deine treue Mama Charlottenburg, pro Anno er. 15 000 M.“
In den unbewohnten Villen nistete sich allerlei Gesindel ein. Diebe machten die Kolonie zu ihrem Arbeitsfeld, Bettler und Strolche belästigten die Bewohner Westends, rissen die herrlichen Rosen in der Lindenallee ab und machten den ohnehin ganz verwilderten Kirchplazz, der damals nod nicht Braniker hieß, zu einem Ort des Schreckens
und der Angst für die Bäkerjungen und Dienstboten, die ihn früh oder spät passieren mußten. Auch die anfangs 1876 erfolgte Verlegung des Pferdemarktes aus der Spreestraße nach dem Spandauer Berg auf das Gebiet des heutigen Krankenhauses, das halb der Stadt und zur anderen Hälfte der Kirche gehörte, hatte für Westend =- obwohl der Verkehr dadurch bedeutend gesteigert wurde -- seine
Schattenseiten.
Diese Pferdemärkte -- von jeher eine Besonderheit Charlotten-
burgs -- hatten eine erstaunliche Ausdehnung genommen, so daß der Auftrieb im Jahre 1873: 16 400 Stück betrug. Sie fanden achtmal im Jahre statt und füllten nicht nur die Spreestraße, sondern auch die
ganzen Nebenstraßen, so daß der Magistrat gezwungen war, sich nach einem anderen Gelände umzusehen. Das fand sich oben am Span-
dauer Berge. Man kann sich denken, daß die Westender diese Verlegung mit sehr gemischten Gefühlen aufnahmen. Nur die wenigen Gastwirte und Kaufleute der Umgegend empfanden eine reine Freude. Auf dem neuen Plaß wurde ein größeres Restaurant errichtet: der „Pferdehimmel“, in dem nun alljährlich auch die Aushebungen für das Militär stattfanden. An den Marktagen herrschte hier ein tolles Treiben. Betrügereien und Schlägereien waren an der Tagesordnung.
Vor allem aber fanden sich im Gefolge der Marktleute auch Zigeuner in großer Zahl ein, und während die Männer ihrem Gewerbe als
Pferdehändler und nicht selten als Pferdediebe nachgingen, durch42
streiften Weiber und Kinder bettelnd, wahrsagend und stehlend das nahe Westend. Im August 1878 war hier ein Zigeunerlager von
acht Zelten.
Bis zum Jahre 1898 bestanden hier die Märkte; dann gingen sie ein, da das Gelände für den Bau des Krankenhauses gebraucht wurde und ein anderes jenseits der Spree sich als zu ungünstig erwies.
Diese Märkte trugen dazu bei, daß der Verkehr auf der nach Spandau führenden Straße sich sehr belebte. Er wurde so stark, daß
die herrliche Eichenallee von Westend bis zum Spandauer Bock ab= geholzt werden mußte, um den Weg zu verbreitern.
9. Wendung zum Besseren. In Westend war in diesen Jahren die Liquidation langsam fort= geschritten. Ein Teil der Villen, in denen sich unter der Wucht des
Zusammenbruchs manche Tragödie abgespielt hatte, war in kapitalfräftigere Hände übergegangen, andere hatten zahlungsfähige Mieter gefunden. Alles drängte zu Abschluß und neuem Anfang. Wie eine Bestandaufnahme mutet das erste CharlottenburgWestender Adreßbuch an, das 1877 im Verlag Adolf Friße (Buchund Musikalienhandlung) in der Stärke von ganzen 100 Großotktav-
seiten erschien, von denen Westend kaum eine Seite füllte. Es zählt die Bewohner von etwa 50 Villen auf, davon 21 in der Ahornallee, 15 in der Lindenallee, 5 in der Kastanienallee, 4 in der Platanenallee, 5 in der Akazienallee, 2 in der Eichenallee, 1 in der Eschenallee.
9 davon gehören noch der in Liquidation befindlichen Westend-Gesellschaft, 3 dem Central-Bau-Verein. Neben einer Reihe von Kaufleuten
wohnten damals auf Westend sechs höhere Offiziere, Ingenieure, Bankiers, Stadträte und Rentiers.
Leise regte sich neue Unternehmungslust. Das Klubhaus in der Kastanienallee, dessen Pforten lange geschlossen waren, ging im Mai 1877 für 88 500 M. in den Besitz Sieberts, eines früheren Prokuristen von Bleichroeder, über. Ursprünglich nur für die geselligen Zwecke des Westend-Klubs bestimmt und deshalb ganz exklusiv, sollte es jekt
allgemeiner Sammelpunkt der guten Gesellschaft werden, fand aber
bald einen starken und erfolgreichen Konkurrenten in Moriß, der das bisher von der Westend-Gesellschaft gepachtete Restaurant im Januar 1877 für 81 000 M. kaufte, einen neuen Saal baute und nun -- be-
günstigt durch die E>lage und den wachsenden Verkehr -- nicht nur
die Westender an sich zog, sondern auch sein Lokal zu einem beliebten
Haltepunkt für Berliner Ausflügler machte. Seine Pfannkuchen und sein Frikassee waren berühmt; bei Festlichkeiten hielten die Kutschen in der Ahornallee in ununterbrochener Reihe bis zur Platanenallee,
so daß die Anwohner sich beschwerten.
In seinem Hause, und zwar in dem alten Teil, der heute die Volksfüche beherbergt, war in einem einzigen kleinen Zimmer, eine Treppe 4Ä
hoch, seit 1880 das erste Westender Postamt untergebracht mit Postvorsteher Schmidt und Briefträger Wendland. Als Postexpedition
1873 im Klubhause, Kastanienallee 1, eingerichtet, war es nach dessen
Verkauf für zwei Jahre in einem Nebenhause der Quistorpschen Villa,
Ulmenallee 3, untergebracht. Am 1. 4. 1886 wurde es in das Haus Nr. 18 am Spandauer Berg verlegt, in dem es noch heute besteht. Als um 1900 der Kaiserdamm und der Reichskanzlerplaßz und später
die Heerstraße angelegt wurden, 3og sich der ganze Verkehr dorthin, und das Morißsche Lokal geriet in Verfall. Heute sind seine Räume zu einem Kino umgebaut. Dasselbe Schi>sal ereilte das Klubhaus in der Ahornallee, das 1899 von Fabrikbesiger Rahn erworben wurde. Nach kurzer Blütezeit, in der es auch von der gegenüber-
liegenden Hindernisbahnprofitierte, mußte es seine Pforten als Gast-
siätte schließen und wird heute nur durch den darin wohnenden SA.-Sturm vor dem gänzlichen Verfall bewahrt. Im Oktober 1877 beschloß endlich die Stadtverordnetenversammlung die Übernahme der Straßen von Westend gegen unentgeltliche Entnahme von Wasser zu öffentlichen Zwe>ken aus dem Westender Wasserwerk. Am 12. März 1878 wurde der Vertrag perfekt, nach dem Westend als Villenvorort der Stadt angegliedert wurde, gerade noch rechtzeitig genug, um an der mit dem Ausscheiden Charlotten-
burgs aus dem Kreise Teltow (1877) einsezenden beispiellosen Entwiklung der Stadt teilzunehmen. Charlottenburg zählte 1875 25 000 Einwohner, 1880: 30 000, 1890: 80 000 und 1900: 190 000.
Mit dem Rücktritt Bullrichs und der Wahl Fritsches zum Bürgermeister war ein Mannan die Spitze der Stadtverwaltung getreten, der den Anforderungen der Zeit gewachsen war und allmählich einen anderen Geist und ein anderes Tempo in die Verhandlungen brachte. Alle jene Regungen eines neuen Lebens in unserer Kolonie bekamen nun Halt und Ziel. Die Berliner Pferdebahn-Gesellschaft löste den mit der Westend-Gesellschaft bestehenden Kontrakt, kaufte die von
den Westendern angelegte Schienenstre>e auf und verlängerte sie
anfangs 1879 bis zum Spandauer Bock, den dortigen Lokalen einen
großen Aufschwung bringend. Zur selben Zeit begann Siemens am Spandauer Berg mit seinen vielbespöttelten Versuchen einer „Elektrischen Bahn“, die nach wenigen Jahren doch zum Ziele führten, so daß schon 1883 diese Stre>e vom Straßenbahnhof bis Spandauer Bo> vorübergehend elektrisch betrieben wurde. Der Bau der Ringbahn nahm Charlottenburg für schweres Geld das fast unbenußte Gelände zwischen Spandauer Berg und SophieCharlotten-Straße, damals Fürstenbrunner Weg, ab, meistens noch im Enteignungsverfahren, da die glücklichen Eigentümer ihre Forderungen ins Maßlose steigerten. Mit der Eröffnung des Bahnhofs Westend am 15. 11. 1877 war die Kolonie Westend dem allgemeinen
Verkehr wieder etwas näher gerü>t. Fünf Jahre später, 1882, war
die Stadtbahn fertig.
45
Die Zahl der Villen war mittlerweile auf 79 gestiegen, in denen
680 ständige Einwohner und dazu eine Anzahl von Sommergästen wohnten. (Im Jahre 1887 waren es 90.) Man fing an, sich wieder
für das Gedeihen und Aussehen der Kolonie verantwortlich zu fühlen:
Im Frühjahr 1879 erfolgte auf Anregung von General von Streit
die Gründung eines Verschönerungsvereins auf Westend, der sich die Erhaltung der Schmucpläße und Anlagen zur Aufgabe machte. Der Jahresbeitrag war 10 M. Seine ersten Mitglieder, Ingenieur Oppermann, Stadtrat Holz, Major Bajensky, Direktor Lübke, Rechtsanwalt Munkel, Direktor Müller und Fabrikbesiger Rommel, waren es auch,
die das gesellschaftliche Leben Westends (damals noch im Klubhause, später bei Moritz) wieder in Gang brachten. Das stark beschädigte Kaiserdenkmal, eine Kolossalbüste mit acht Vasen, von denen ein Teil umgestürzt war, wurde zur goldenen Hochzeit des Kaisers wieder instandgesezt (im November 1890 wurde es
durch das neue Kaiser-Wilhelm-Denkmal ersetzt, eine Bronzebüste auf rotbraunem Granitsoccel).
10. Geschichke des Germaniakurmes. In diese Zeit des Aufräumens und neu erwachenden Lebens in Westend ragt nun aus der abgelaufenen Periode noch der unvollendete Hochbau hinein -- der große Wasserdom -- der „Tempel des
Wahns“, wie er von Quistorps Gegnern genannt wurde. Die neu
gebildete Aktiengesellschaft Charlottenburger Wasserwerke hatte ihn
nicht mit übernommen. Von allen Aktionären und Gläubigern der
Westend-Gesellschaft für den wertlosesten Teil der Konkursmasse gehalten, stand er nur noch da, weil man nichts mit ihm anzufangen
wußte, ein trauriges Denkmal verunglücter Spekulation, ein willfommener Zufluchtsort für allerlei Gesindel. Nur Quistorp selbst gab
die Hoffnung nicht auf, allem Unglü> trogend, hier wenigstens einen Teil seiner hochfliegenden Pläne noch zu verwirklichen. Ergreifend, wie er sic) an diese Hoffnung klammerte, wie er seine letzte Kraft für sie einsezte. Und fast wäre es ihm gelungen. Eines Tages, im Mai 1879, sah man wieder 50 bis 60 Arbeiter auf dem Grundstück des Germaniaturmes beschäftigt. Unter Ausnugung seiner noch immer
bestehenden Verbindungen mit hervorragenden Finanzmännern und sonstigen einflußreichen Leuten und unterstüßt von seinem Stettiner Bruder, war es Quistorp geglückt, noch einmal Geld flüssig zu machen. Sein Plan war -- angeregt durch die vorjährige Weltausstellung in Paris und die diesjährige Gewerbeausstellung in Berlin =, eine
„Bermanente internationale Patent-, Modell- und Musterausstellung“, eine Art fortlaufender Weltausstellung, in dem Riesenbau des WestendAquädukts einzurichten, und schon begann er mit den Vorbereitungen. Die Anpflanzungen um den Turm wurden in Ordnung gebracht und eine Fontäne angelegt. Am Eingang erhob sich das Denkmal Ernst 46
Moritz Arndts. In voller Figur stand er dort auf hohem Sockel, die
Rechte auf einen gespaltenen Eichenstamm gestüßt, den sie zusammen-
hält. Als Unterbau des Ganzen diente ein würfelförmiger Raum mit
diden Mauern, der praktischerweise gleich Aufenthaltsraum des Wärters war.
Eine sieben Fuß hohe Statue Wilhelms 1. auf marmoriertem So>el stand mitten in den unteren Räumen und war von einer Rotunde
mit „fast labyrinthisc, aber auch Fröbel und Lette, den Begründer des Lette-Hauses. 60 Stufen höher lag die
„Kaiser-Wilhelm- und Kaiserin-Augusta-Jubiläumshalle“ mit ihren 24 korinthischen Säulen, und auf noch 380 Stufen stieg man zur Riesenkuppel empor, um die herrlichste Aussicht Berlins zu genießen.
Als tüchtiger Geschäftsmann machte Quistorp in allen Zeitungen Reklame für seinen neuen Plan und lud vom ersten Tage an zu einer
Besichtigung der Ausstellungshallen und des Hochreservoirs, die für 20 Pf. von der Kastanienallee aus erfolgen konnte. An den Sonn-
tagen waren die Balkone bengalisc- und Kaiser-Wilhelm-Büste.
Andere berühmte Bildhauer hatten ihre Bereitwilligkeit erklärt auch auszustellen, so daß Quistorp sich seinem Ziele nahe jah, den Riesenbau
zu einer Art Ruhmeshalle umzuwandeln. Artikel gegen die vielen
Ausstellungen, die damals in den Zeitungen erschienen, schre>ten ihn nicht. Er befand sich sichtlich auf dem aufsteigenden Ast und ging daran, auch das Liquidationsverfahren zum Abschluß zu bringen. Schon im Dezember 1877 war auf seine Anregung hin ein Aktien-
Schußverein Quistorpscher Aktionäre unter dem Namen Westend-
Union Quistorp & Co. gegründet worden, der sein Büro in der Rüsternallee 27 hatte. Im Mai 1880 waren bereits mehrere bedeu-
tende Liquidationsabschlüsse vermittelt. Mit den Unternehmern der Germania wurde ein Abkommen getroffen, welches den Beteiligten einen Nuten von 150 000 M. hypothekarisch sicherte sowie die Hälfte der Betriebszüberschüsse daran gewährte. Im Mai 1881 vertrat die Westend-Union bereits die Vereinsbank Quistorp & Co., die Westend-
Gesellschaft Heinrich Quistorp & Co., den Deutschen Central-BauVerein und die Kommanditgesellschaft Westend-Berlin; und Quistorp
[lud alle anderen 27 bis 28 Gesellschaften zum Beitritt ein, der natürlich immer mit einem neuen nicht unbeträchtlihen Einschuß verbunden war.
Da warf das Schi>sal ihn von neuem zurück, indem es ihn in seiner eigenen Familie traf. Ende Februar 1882 erhielt er aus Kiel die
Nachricht, daß sein 18jähriger ältester Sohn bei einer Segelfahrt mit vier Gefährten verunglückt und ertrunken jei. Nur zwei wurden gerettet, darunter ein Sohn Werc>meisters. Am 6. 3. fand die Beerdigung des vom Vater Heimgeholten auf dem Alten Luisenkirchhof
neben der Kapelle statt. Fast sämtliche Bewohner der Villenkolonie nahmen daran teil. Nach dem englischen Pfarrer, der die Leiche herbegieitet hatte, sprachen Oberpfarrer Müller und der Pfarrer Quistorp aus Ducherow, ein Bruder Heinrich Quistorps. Am Grabe stand Frau Emma Quistorp mit den beiden jüngeren Söhnen. Henry Charles Quistorp,
Kadett der Kaiserlichen Marine, geb. Glasgow 7. 9. 1863,
ertrunken in Kiel 26. 2. 1882.
Ich habe dich je und je geliebet,
darum habe ich dich zu mir gezogen aus großer Güte.
So las man noch vor einem Jahre auf dem verwitterten und verfallenen Grabstein.
|
E5 scheint, als wenn dieser Schlag die Tatkraft des so robusten Mannes gelähmt und ihm die ganze Aussichtslosigkeit seiner
Westender Unternehmungen zum Bewußtsein gebracht habe. Das Verhältnis zu seiner Frau hatte sich schon früher gelodert, als sie -=- um den Aufregungen des geschäftlichen Zusammenbruches zu ent42
Tafel 3.
König-Wilhelm-Denkmal mit der Rhoedenschen Villa. (Im Hintergrunde das „Belvedere“.)
Klubhaus Kastanienallee 1.
Villa Tanneck.
Westend-Restaurant um 1880.
fliehen -=- mit den beiden Söhnen in ihre schottische Heimat zurücgekehrt war. Dort ist sie bald gestorben. Die Söhne gingen ins Ausland und wurden tüchtige Geschäftsleute. Quistorp nahm die Arbeiten am Germaniaturm nicht wieder auf. Das Jahr ging hin, ohne daß die geplante Ausstellung in Gang gekommen wäre, und um
die Weihnachtszeit verbreitete sich das Gerücht, daß Heinrich Quistorp die deutsche Heimat verlassen hätte und nach Südamerika gegangen wäre. Es fand seine Bestätigung durch einen in Stettin erschienenen
Abschiedsbrief.
Auch wer den Rechtfertigungsversuch, den dieser Brief darstellt, für mißglüdt ansieht, wer -- wie seine vielen Gegner -- nach wie vor in
dem Sdcreiber nur einen vom Größenwahn befallenen Abenteurer
sieht, wird mit Teilnahme das Bild jener denkwürdigen Gründerzeit betrachten, wie es sich in den Augen eines ihrer Vertreter darstellt, eines Mannes, dem man bei größerer Vertiefung in seinen Lebensgang den guten Glauben nicht absprechen kann. Neues Intelligenz-Blatt Nr. 18. 23. 1. 1883:
Heinrich Quistorps Abschied vom deutschen Vaterlande. In einer unter der Ägide des List-Clubs zu Stettin erscheinenden
Korrespondenz finden wir nachfolgendes Abschiedswort von Heinrich Quistorp vor seiner Abreise nach Paraguay (in Südamerika):
Zum Abschied. Als ich einem hervorragenden, mir auch im Unglü> treu gebliebenen Manne des öffentlichen Lebens mittheilte, daß ich gesonnen sei, als Bahnbrecher einer groß angelegten deutschen Ansiedelung meinen
Wohnsitz nach Südamerika zu verlegen und deshalb brieflich Abschied
von ihm nehmen wolle, antwortete er mir, daß ihn mein Vorhaben gerade im Interesse der deutschen Colonisationsbestrebungen zwar mit Freude und großen Erwartungen erfülle, daß er es aber bedauern
würde, wenn ich mich ohne öffentlichen Abschied und gleichsam wie
ein Dieb in der Nacht entferne. Was nun leßteres betrifft, so liegt dazu bei mir kein Grund vor. Iclung und der Großartigkeit unserer äußeren Welt- und Machtstellung, so beruhte dies Gefühl keineswegs bloß auf Anwandlungen des
nationalen Hochmuts. Deutschland war wirtschaftlich in der Tat zurücgeblieben und es konnte auf diesem Gebiete ganz gut einen großen und plößlichen Ru> nach oben vertragen, wie ja auch die
Steigerung unserer politischen Weltstellung auf einem großen, plößlicßen Ru> beruhte. Leider hatte Deutschland am Steuerruder seiner wirtschaftlichen Entwiklung keine vorshauende Genies gehabt, wie es deren am
Steuerruder seiner politischen und militärischen Entwicklung besaß.
Hier war für die Fundamente, für die vollendete Technik gesorgt, dort nicht. Noch heute zankt sich die deutsche Gelehrsamkeit über die Ursachen des Wirtschaftskrachs. Die einen machen den Freihandel und
die Goldwährung, wieder andere den Druc auf die Notenbanken und
die Creditrestrictionen zum Sündenboc>. Ganz roh ist die Diagnose,
welche den Krach lediglich in der Ueberspekulation und in der Ueberproduction, oder gar im Gründungsschwindel erblidt. Daß die Ursache hier nicht liegt, beweist schon ein flüchtiger Bli auf Frankreich, wo der Börsen- und Gründungsschwindel seit 4 Jahren viel toller war, als 1872 in Deutschland, wo der Krach aber kein allgemeiner wurde,
sondern ein auf enge Kreise beschränkter blieb. Für meine Auffassung unterliegt es keinem Zweifel, daß der gelinde Verlauf in Frankreich und der schwere in Deutschland in erster Linie mit der Zoll- und Münz-
politik beider Länder zusammenhängt. Deutschland hatte 1871 alles, was einer großen Aufschwungsperiode Erfolg und Dauer verbürgen mußte: Jst es gleichwohl anders gefommen, so liegt die Schuld an der wirtschaftlichen Verfassung, an dem Mangel einer den Anforderungen und Bedingungen der Lage angepaßten Organisation, mit einem Worte, an einer ähnlichen volkswirtschaftlichen Staatskunst, wie wir uns einer politischen und militärischen Staatskunst erfreuen. Das Laisser-faire kann in neuen Kulturländern, die arm an Menschen, aber reich an Naturschägen sind, zeitweilig Segen stiften; in einem alten Kulturlande, das arm an
Naturschäßen und arm an Kolonialbesigz ist, aber überreich an Menschen, wie Deutschland, ist es ein Fluch. Hier ist die höchste und aftivste Staatskunst zur Verhütung von Krisen und Preisrevolutionen,
6 ungesunden Aufschwüngen und ungesunderen Rückgängen unentehrlich. Das ist das Ergebnis von Erfahrungen, die so tiefgehend wie ich
wenige Personen zu machen Gelegenheit hatten. 0
Ich halte es für meine patriotische Pflicht, dieser meiner Ueberzeugung beim Abschied aus dem Vaterlande öffentlich Ausdruc>k zu
geben. Schließlich nehme ich noch ganz speziell Veranlassung, jede sittliche Verwechselung meiner „Gründungen“ mit den Vampyren der Gründungsspieler und der gewerbsmäßigen Entgründer zurückzuweisen. Meine Gründungen hatten stets die Belebung latenter Werthe behufs
Bereicherung Aller zum volkswirtschaftlihen Zwecke, nicht aber die Schaffung von Spielpapieren behufs Bereicherung Einzelner und zum Schaden der Vielen. Dieselbe Tendenz, sen und zum Nußen der Menschheit zu volkswirtschaftlichen lebendigen Werthen zu machen, führt mich auch nach Südamerika. Ich habe den heißen Wunsch, in diesem neuen Wirkungskreise durch Schaffung neuer Heimstätten für bedürftige Landsleute und neuer Absatgebiete für unsere Industrie am deutschen National-Vermögen nach Möglichkeit den Schaden wieder gutzumachen, den der wirtschaftliche Zusammenbruch wider meinen Willen verursacht hat. Berlin, Ende Dezember 1882. Mit diesem Abschied von der Heimat und dem Plan, als „Bahn-
brecher deutscher Kolonisation“ im Auslande zu wirken, griff Quistorp wieder einmal Ideen auf, die damals in der Luft lagen. Anfang Dezember 1882 war der deutsche Kolonialverein ins Leben gerufen. Einer seiner Vorkämpfer war jener List-Club, dem sich Quistorp in Stettin angeschlossen hatte, und der sich die Rettung wirtschaftlich gefährdeter Existenzen, die Reform des Kredit- und Bankwesens und die nationale Organisation der deutschen Auswanderung und Kolonisation zur Aufgabe machte. Im Mai 1883 wußten südamerikanische Zeitungen schon von der
rührigen Betriebsamkeit Quistorps zu berichten.
Er hatte sich
Paraguay zum Tätigkeitsfeld ausersehen. Großzügig, wie er nun einmal war, forderte er 13/, Millionen Morgen Staatsländereien und
verpflichtete sich, innerhalb zehn Jahren auf denselben 5000 Familien anzusiedeln. Für eine direkte Dampferlinie zwischen Deutschland und Paraguay beanspruchte er eine Staatssubvention von 15 000 Dollar
für die nächsten zehn Jahre. Das für das Unternehmen nötige Kapital
sct eilten die
Bewohner Westends auf die Straße. Eine ungeheure Staubwolke stand über der Platanenallee. Der Turm war nach Süden zu um-
gestürzt. Die nördlichen Säulen standen noch. Erschüttert sah Quistorp auf die Trümmer seiner glanzvollen Schöpfung hinab.“ (Neues Intelligenzblatt, 1892, Nr. 242.) Erst zwanzig Jahre später wurden beim Ausbau der Platanenallee und Bau des Paulinenhauses die lezten Reste beseitigt, darunter auch das Arndt-Denkmal, dessen Figur noch einige Zeit im Garten des Spandauer Bocks stand. Andere Gips- und Zementbüsten kann man wohl noch heute unter dem Gebüsch der umliegenden Gärten entdecken. Am 6. Dezember 1902 brachte die Neue Zeit eine Anzeige in aller-
schlichtetster Form:
Allen Freunden und Bekannten die traurige Nachricht, daß am 5. Dezember, morgens um 4 Uhr, der Direktor
Heinrich Quistorp im Alter von 67 Jahren sanft entschlafen ist. Dies zeigen hiermit an
Christian Wilke und Frau, Westend, Spandauer Berg 1.
Ein wechselvolles, schi>salsschweres Leben hatte seinen Abschluß
gefunden. Am 9.12. wurde Quistorp in dem Erbbegräbnis auf dem Alten Luisenkirchhof, das er in seiner Glanzzeit erworben, zur leiten Ruhe bestattet. Etwa 50 bis 60 Personen gaben ihm das Geleit.
„Der prächtige Sarg, der in der geschmückten Kapelle aufgebahrt stand, war mit Kränzen bede>t; aber keiner trug eine Widmung. Der Prediger führte aus, daß keiner berechtigt sei, einen Stein auf den Verstorbenen zu werfen.“ (N. Z., Nr. 288 vom 9. 12. 1902.) 83
Da ruht er inmitten einstiger Freunde: Peters, Scheibler, Ludewig, Bechmann. Nach drei Jahrzehnten erschien an dem verrosteten Gitter das bekannte Schildchen: „Grabstelle verfallen, Angehörige wollen sich
melden.“ -- Vor Jahresfrist wurde die ganze Grabstätte eingeebnet.
11. Westends Aufstieg. Mit der Angliederung Westends als Villenvorort an die Stadt im
März 1878 und der Ausdehnung des Straßen- und Ortsstatuts auf Westend war der Bann der Teilnahmslosigkeit gebrochen. Die Liquidation nahm ein lebhafteres Tempo an. Fast in jeder Zeitung dieser Jahre 1880 bis 1883 findet man die Anzeige einer
Versteigerung oder eines Zwangsverkaufs auf Westend. Nachdem eine Reihe der „Westend-Gesellschaft“ gehörender Villen in der Ahornallee verkauft worden war -- darunter auch die Frau Emma Quistorp
übereignete Villa Ibrox --, fand Ende Februar 1883 eine große Versteigerung von elf Grundstücken in der Akazien-, Ulmen- und Nußbaumallee statt, deren Eigentümerin die auch von Quistorp gegründete
Aktiengesellschaft Deutscher Central-Bauverein war. Berliner Kaufleute, höhere Beamte, Künstler und Gelehrte waren die Käufer. Namen wie Generalleutnant von Streit, von Lobental, Generalmajor
Zimmermann, Bildhauer Römer, Professor Liebreich tauchen auf,
und Ahornallee 14 (jezt 47) wohnt der Bilderbogen-Kühn aus Neuruppin. Die Stadt bewilligt 1000 M. für die Legung einer Granitbahn auf der Westseite der Ahornallee als Verkehrsader der Kolonie und einigt sich mit den Westendern über eine regelmäßige Sprengung
der Straße bis Moritz auf halbe Kosten (etwa 400 M. für jeden Teil). Die Frage der Wasserversorgung erfährt eine kräftige Förderung.
Der kleinliche Widerstand gegen die 1878 neu gegründete Aktiengesell-
schaft „Charlottenburger Wasserwerke“ hört auf. Im Oktober 1880
bringt das Neue Charlottenburger Intelligenzblatt einen sehr vernünstigen Artikel, der verlangt, daß die Stadt endlich mit der neuen
Gesellschaft einen Vertrag abschließe, damit jene nicht eines Tages
das Wasser sperre, wenn sie keine Bewilligung bekäme. Es wird vor-
geschlagen, die nachgesuchte Bewilligung auf 35 Jahre zu erteilen; aber unter folgenden Bedingungen: 1. Die Bäume vom Knie bis Moriß sollen zweimal in jedem Sommer getränkt werden (die damals wirklich noch schöne Allee war
der Stolz jedes Charlottenburgers).
2. Alle Einrichtungen der Wasserwerke, die heute zerstreut liegen, das Büro in der Akazienallee, die Ingenieurutensilien auf dem Robertsgut, der Wasserturm in der Rüsternallee und -- was ja nicht zu ändern -- das Maschinenhaus am Teufelssee, sind in einer Neu-
anlage zu vereinigen, die so praktisch, wenn auch nicht so komfortabel sein muß wie die der Berliner Wasserwerke. SA,
3. Der von Werdmeister nur für Westend erbaute Wasserturm ist längst zu klein. Es muß ein größeres Wasserreservoir erbaut werden, scstraße und der Kurfürstendamm voll ausgebaut sind. Für die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit des Ganzen würde es durchaus genügen, wenn von der Platanenallee ab ein übergang zu
den breiteren Straßen geschaffen würde. Vor allem aber würde durc< jede Verbreiterung der Straßen ein großer Teil der edelsten Bäume, Sträucher und Anlagen, die in zehnjähriger Arbeit herangezogen wären, vernichtet werden. Westend würde allen Reiz und alle Schönheit und damit jede Anziehungskraft verlieren. Die jetzt im Garten stehenden Häuser würden der Straße
so nahe gerückt, daß dadur< und durch die Einschränkung der Gartenanlagen der einheitliche Plan jedes einzelnen Besiztums verdorben
und sein Wert erheblich verringert würde.
Fast gänzlich entwertet würden die kleineren Villen, namentlich die E>grundstücd>e, die auf zwei Seiten betroffen würden.“ Westend, am 19. Mai 1886.
(Neues Intelligenzblatt, 1886, Nr. 123, 28. 5.) S6
Das Glü> kam ihnen zu Hilfe. Das unerwartet schnelle Wachstum der Stadt beschäftigte den Magistrat an anderen Siellen. Die Ver-
handlungen zogen sich in die Länge. Der Ausbau und die Verlängerung der Bismard>straße und schließlich der Bau der Heerstraße bewiesen aufs deutlichste, daß der Verkehr an Westend vorbeiging, und so begnügte sich der Magistrat mit der „Angleichung“, und unsere schöne stille Kolonie war gerettet und konnte sich in diesen achtziger und neunziger Jahren zu dem vornehm-ruhigen Villenviertel ent-
wickeln, das ihre Gründer geplant hatten. Nicht wenig trug dazu die immer besser werdende Verbindung mit der Stadt bei. Mit dem Bau der Ringbahn im Sommer 1877 ging die Regulierung des Spandauer Berg-Weges Hand in Hand. Es wurde die
Überführungsbrüd>e erbaut und nach beiden Seiten hin die Straße aufgeschüttet, wobei allerdings die schönen alten Pappeln, die den
Spandauer Berg hinaufgeführt hatten, die sogenannten Napoleons5-
pappeln, zum Opfer fielen. Die Straße wurde sofort wieder gepflastert und kam nun besonders auch der Pferdebahn zustatten, die nicht mehr wie früher Vorspann brauchte, um den Berg hinaufzukommen. Sie verkehrte seit 1879 bis zum Spandauer Bo>, an Sonn- und Festtagen sogar alle 12 Minuten. Aber zur gleichen Zeit begannen auf dieser
Stre>e die Versuche, die Pferdekraft durch Elektrizität abzulösen. Statt der einstigen Pappeln ragten nun. die Siemens-Masten empor. An der Oberleitung lief der kleine vierrädrige Kontaktwagen, der seinen Strom von der Kraftmaschine erhielt, die im ersten Hause der Lindenallee und später am Spandauer Bo> aufgestellt war und ihn
durch ein kurzes Verbindungsseil dem Wagen zuführte. Immer und immer wieder scheiterten die Versuche zum großen Vergnügen aller Spottvögel. Aber Siemens war nicht der Mann, der ein geste>tes Ziel aufgab. Vom Mai 1882 ab fuhr die Pferdebahn nur noch sonntags, und ein Jahr später war der ganze Betrieb auf dieser Versuchsstrecke elektrifiziert. Nach dem Gelingen wurden die Versuche eingestellt. Die alte Pferdebahn trat wieder in ihre Rechte ein, und erst am 1. Oktober 1897 wurde der elektrische Betrieb auf der ganzen Stre>e Kupfergraben--Spandauer Bo> eröffnet. Inzwischen war auch das
erste kleine Stationsgebäude auf Bahnhof Westend durch den roten Neubau ersetzt, der im Oktober 1883 eingeweiht wurde und noch heute
steht. Er war durch die Eröffnung der Stadtbahn 1882 notwendig geworden, die auch Westend zugute kam, - indem sie Berliner Kauf-
leuten ermöglichte, hier zu wohnen. Die Anlage der Ringbahn rief in der Gegend des Bahnhofs
Westend noch andere starke Veränderungen hervor. Sie durchschnitt zunächst den alten Kirchhofsweg, der im Zuge der Potsdamer Straße den Berg hinauf zum Luisenkirchhof führte. Die Kirche mußte 1877 das mittlere Stück dieses Weges an den Eisenbahnfiskus abtreten. Dadurch verlor er seine Bedeutung als Kirchhofsweg, und die Leichen-
züge mußten fortan den Umweg über die Spandauer Chaussee 87
nehmen. Hierfür zahlte die Bahn an die Kirche eine sogenannte „Umwegsentschädigung“ von 10 000 M,., die in der Verkaufssumme von 18 924 M. mit enthalten war und deren Zinsen den damals im Amt
stehenden Geistlichen zukamen. Da die Spandauer Chaussee aber nicht direkt an dem Friedhof vorbeiging, so mußte die Bahn auch den Verbindungsweg (heute ein Teil der Rognitstraße) noch herstellen, der 1885 von der Stadt übernommen wurde (Geschichte der Luisen-
gemeinde, S. 200). Sie durchschnitt aber auch den Alten Fürstenbrunner Weg und machte dadurch seine Anfangsstre>e, das Nordende der heutigen Sophie-Charlotten-Straße, zu einer Kopfstraße. Als Entschädigung legte die Bahn den Neuen Fürstenbrunner Weg an, der zu den Friedhöfen und der städtischen Baumschule führt, in seiner Fortsezung nach dem Spandauer Bo> aber eine stille Landstraße geblieben ist. Das ganze Gelände gehörte Kirche und Stadt gemeinsam. Die Stadt hatte hier alte Sandgruben, die nun eingeebnet wurden. Dabei verschwand wieder eine der Windmühlen, die am
Spandauer Berg gestanden hatten. Sie gehörte dem Müller Brandenburg, dessen Häuschen im Grunde abgebrochen wurde, um dem
Bahnhof Westend Plaß zu machen. Als sich inzwischen zeigte, daß der Alte Luisenkirchhof als alleiniger Begräbnisplag nicht ausreichen würde, legte die Luisenkirche 1891 hier einen neuen an, von dem sie ein Stüc> an die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche abtrat. Die nörd-
lich davon noch übrigbleibenden Kieslager verpachtete sie zur Ausnußung an die Stadt (Geschichte der Luisengemeinde, S. 202). Am
Spandauer Berg aber seßzte eine rege Bautätigkeit ein, so daß die
Häuserfront bis zur neuen Straße hin bald geschlossen war. In das
E>haus Spandauer Berg 18 30g im Jahre 1885 die Post ein. Westend hatte die Krisis überwunden. Neue Villen wuchsen empor; Alleen und Gärten prangten im schönsten Baumschmu>. Der Branitzer Platz -- bis dahin eine wüste Fläche mit verwildertem Gestrüpp -- erhielt seine heutige Form und seinen Namen in Erinnerung an den Fürsten Pückler, der in dem Dorfe Branitz bei Kottbus auch aus einer Einöde einen Park schuf, der damals weltberühmt und für alle Gartenbaukunst vorbildlich war. Unmittelbar am Plaße, etwa dort, wo heute die kleine Villa Brausewetters sich einschiebt, lud im Winter eine Eisbahn die Jugend Westends zu fröhlichem Treiben bei Punsch und Pfannkuchen. Das alte halbverfallene Denkmal Kaiser Wilhelms 1. am Anfang der Plantanenallee wurde durch ein neues, am Eingang zur Nußbaumallee erbautes, erseßt, das am 30.11.1890 feierlich enthüllt wurde. Die gewaltige Bronzebüste ist ein Abguß der alten von Beyerhaus geschaffenen und aus rotem pommerschen Zement hergestellten. Sie steht auf einem hohen Sockel aus rotbraunem schwedischen Granit, dessen Treppenfuß von schweren Ketten umfaßt wird. Die vom Denkmalsausschuß unterzeichnete Urkunde zeigt altbekannte Westender Namen: Justizrat Akermann, Direktor Dr. Holtz, ÖSkonomierat Carl Siewert, Kunstverleger Wer>meister. 19 000 M. kostete SS
die Anlage, zu der der Magistrat 6000 M. beisteuerte. Den Hauptanteil trugen die Bewohner Westends.
Wenige Jahre später ersuhr auch der nac) der Bahn hin gelegene
Ostrand der Kolonie eine durchgreifende Veränderung. Das noch aus
Vriedrichs des Großen Zeit herrührende Maulbeergestrüpp ver-
schwand; ein riesiger Bauplaß wurde angelegt, und in den drei Jahren von 1893 bis 1896 erstand hier der mächtige Gebäudekomplex der Königin-Elisabeth-Kaserne. Schon 1888, zu dem Einzug Kaiser Vriedrichs 111., waren Mannschaften des 3. Garde-Grenadier-Regiments Königin Elisabeth aus Spandau nach Charlottenburg zum Wachtdienst verlegt. Sie waren zuerst in Bürgerquartieren untergebracht, später bezog das Füsilier-Bataillon die Kasernen der Gardes du Corps in der Schloßstraße, die nach Potsdam übergesiedelt waren. Im Jahre 1896 kamen das 1. und 2. Bataillon aus Spandau nach
und bezogen die neuerbaute Kaserne zwischen Königin-ElisabethStraße und Soorstraße. Die Gebäude zeigen einfache Formen der deutschen Renaissance, hellrote Ziegelverblendungen mit Sandsteinverzierungen und hohe
Schieferdächer.
Hauptkaserne, Familienhäuser für Unteroffiziere,
Exerzierhaus und Wirtschastsgebäude umschließen einen großen
Kasernenhof, auf dem ein hübsches Bronzedenkmal zum Andenken an die Gefallenen der Jahre 1864, 1866, 1870/71 steht. Es stellt den bei der Erstürmung von Le Bourget gefallenen Fahnenträger Hübner
dar. Daneben liegt (Soorstraße 84/85) das Offizierkasino. Als größerer Übungsplaß der Elisabether diente noch um die Jahrhundertwende das
heutige Messegelände. Der Auszug unserer herrlichen Elisabether ins Feld wird allen Westendern wie ganz Charlottenburg unvergeßlich jein. Nach dem Kriege wurden die Innenräume der Kaserne zu einer
Polizeiunterkunft umgebaut. Auch die höhere Polizeischule und die Vestungsbauschule wurden hier untergebracht. Nach der Machtübernahme hielten hier die Landespolizeigruppen Göring und Wecke ihren
Einzug. Mit ihrer Umwandlung zum Regiment Göring wurde das Gebäude seiner ursprünglichen Bestimmung wieder zugeführt. Nur in einigen Räumen an der Soorstraße befindet sich noch das Polizeirevier 124. Wenige Jahre nach dem Bau der Kaserne um 1900 entstand am späteren Reichskanzlerplatz unter den ersten Bäumen des Grunewalds das Garnisonlazarett, das heutige Hildegard-Krankenhaus. Zum Militär der Sport! Westend hatte damals zwei große und vielbesuchte Rennbahnen, die den Ausbau der Kolonie förderten
und belebten, ohne doch ihre Ruhe zu stören. Alfred Siebert, einstiger Redakteur der „Sport-Welt“, weiß in seinen Tagebüchern und aus
seiner reichen Erfahrung als Rennberichterstatter Ausführliches dar-
über zu erzählen. Der am Anfang der achtziger Jahre gegründete Verein für Hindernisrennen war auf der Suche nach einem Ersatz für die zu entfernt gelegene Hoppegartener Bahn. Da entdeckte der Leutnant und spätere General Florentin von Schmidt-Pauli das Terrain zwischen den SO
Berliner Wasserwerken und Schloß Ruhwald. Es gehörte einem Westender Original, dem Juwelier Hirsch Walter, Besizer der von Rhoedenschen Villa an der E>e der Platanen- und Ahornallee,
der um so leichter auf einen Pachtvertrag einging, als er hoffte, seinem bei einem Kavallerieregiment einjährig dienenden Sohn die Offizierslaufbahn erschließen zu können. Aus dieser Sandwüste schuf nun Schmidt-Pauli in den Jahren 1883 und 1884 eine 285 Morgen große Rennbahn, wie man sie bisher nicht gekannt hatte. Die Mittel wurden durc eine Gegenstandslotterie von 150 000 Losen zu je 3 M. auf-
gebracht. Equipagen, Vollblutpferde, Reitpferde, Sättel, Zaumzeuge,
Beitschen waren die Gewinne. Für Abwechslung und Unterhaltung der Zuschauer auch während der Pausen war in reichstem Maße
gesorgt. In der Nähe des 50-Pf.-Plaßzes standen Karussells, Würfel-
buden, Schießbuden, Schnellphotographen, Schaubuden -- kurz alles,
was zu einem richtigen Rummelplaße gehört, und was damals von
einem weniger anspruchsvollen Publikum noc< mit naiver Freude genossen wurde. Es fehlte natürlich auch nicht das große Rennbahnrestaurant und das Sporthaus für die Stalleute, das den Spißnamen „Zu den weinenden Pferden“ erhielt, weil der Regen die beiden
friscwarte zu 60
errichten, unmittelbar vor seiner Ausführung stand. Er zerschlug sich, trozdem er von hervorragenden Bersönlichkeiten des Staatslebens
und der Wirtschaft unterstüßt wurde, und das Gelände blieb unbenußt, bis die Stadt einen großen Sportplatz dort anlegte. Noten an großen Renntagen eine Schar nichtzahlender großer wie kleiner Sportfreunde an. Der
alljährlich stattfindende Blumenkorso versezte ganz Westend in freudige
Aufregung. Die Wagen fuhren durch die Eschenallee, wo alle Fenster
und Balkone von begeisterten Zuschauern besezt waren. Im Vorstand des Rennkomitees waren: Rittmeister a. D. v. Auers5wald, Graf Kal>reuth, Kammerherr v. Levezow und eine Reihe von Offizieren. Trainer und Pferde kamen aus aller Herren Länder, ins-
besondere aus Rußland und Amerika. Mit Freuden erinnert sich noch der alte, jezt 93jährige Gärtner Weidauer aus der Rüsternallee des schönen Verdienstes, den er und seine Berufskollegen durch den
häufigen Fests der Bahn und der Gefährte hatten. Die Trainer waren zugleich seine besten Mieter. Glanzstü>ke der Bahn waren das große vierspännige Herrenfahren während der Gewerbeausstellung 1896 und die erste deutsche Traberschau vom Verein deutscher Trabrennstallbesizer und Traberzüchter, die gelegentlich der Jahresversammlung des Bundes der Landwirte in Berlin 1904 auf der Trabrennbahn Westend abgehalten wurde. Man kann auch als Laie es mitfühlen, daß der Traberklub diese so schön gelegene Bahn, der die neue Heerstraße und Untergrundbahn sicher eine zweite Blüte beschert hätte, nur ungern verließ. Die rapide
Entwi>lung Neu-Westends erzwang im Jahre 1908 ihre Verlegung
nach Ruhleben.
12. Weskend um die Jahrhunderlwende. Mit der Jahrhundertwende erreichte unsere Kolonie Westend einen
gewissen Abschluß und Höhepunkt in der Entwieklung. Noch war ihr
Villencharakter vollständig gewahrt; es galt für sie die Baupolizei-
verordnung vom 5. Dezember 1892, die für Westend landhausmäßige Besiedelung vorschrieb. Nur für den Außenrand war diese Verord-
nung etwas gelodert, so daß hier einige mehrstöckige Mietshäuser
entstanden, wie die von Schrobsdorff 1890 erbauten Häuser in der Eschenallee, Nr. 9, 11, 13, 13 3. Ein Teil der älteren Villen, soweit 51
sie bei ihrer Entstehung mehr als Sommerhäuser gedacht waren, hatte in dieser Zeit schon einen Ausbau bzw. vollständigen Umbau zufesten Mietshäusern erfahren. Neuere stattliche Gebäude waren Dazugefommen, wie Wilamowit-Möllendorff in der Eichenallee 12 und Wigankow am Branißer Plaz 4, so daß die Kolonie etwa 120 Villen zählte. Alleen und Gärten standen im schönsten Scgarten von Schaeffer-Voit, mit seinem Sommerhäuschen und der zierlichen japanischen Volisre. Vor wenigen Jahren
noch hatte man die Gräfin Wartensleben, Schaeffer-Voits Tochter, oft gesehen, wie sie im kleinen Korbwagen mit gelben Pferdchen den Spandauer Berg heraufgefahren kam undin die Einfahrt einbog, die an der heutigen Konditorei lag, um sich in dem schönen Garten zu
ergehen. Dann war das Sommerhäuschen verfallen. Ratten hausten darin und mit ihnen eine Zeitlang Zimmermeister Grüneberg, auch einer von den Gründern, der mit Quistorp seine große Zeit gehabt
und nun alles verloren hatte wie jener.
Um das neuerbaute Kaiser-Wilhelm-Denkmal herum wohnten die Offiziere: Ahornallee 2: Generalleutnant Graf Radensleben, Nr. 3: Generalmajor von Heineccius, Nr. 7: Schloßhauptmann Süß, weiter unten Nr. 21: Oberstallmeister von Lobenthal, von Goeze. Die Quistorpsche Villa Nr. 6 war längst in andere Hände übergegangen. Der damalige Besiger Markus ließ sie innen vollkommen erneuern
und gab ihr eine Veranda in demselben schweren Stil. Ihr Gegenstück, das Waltersche große Haus an der E>e der Platanenallee, war das Schmerzenskind der Kolonie. Der alte Hirsch Walter, den die Westender an Festtagen noch im Kaftan und mit langen Locken gesehen hatten, von dem sie erzählten, daß er die Diamanten im Taschentuch von seinem Geschäft nach Hause getragen hätte, war gestorben. Seine Söhne ließen das Haus so verwahrlosen, daß die Polizei ein-
schreiten mußte. Man dachte an Abbruch. Da erwarb 1902 in der Versteigerung der Bankier Friedländer die „Ruine von Westend“ und ließ sie umbauen und in zwei Villen teilen, so daß sie nun wieder
„eine Zierde Westends“ bildete wie früher (N. Z., November 1902). Auf dem südlichen Ende der Ahornallee hatten si Kunst und Wissenschaft angesiedelt. Hier wohnte Nr. 39 Professor Koch, dessen Entde>ung des Tuberkelbazillus in den neunziger Jahren eine un-
geheure Bewegung hervorgerufen hatte. Ein paar Häuser weiter,
Nr. 42 der Physiologe Du Bois-Reymond, Nr. 44 der Hofscmeisterschen Häuser: Nr. 34/35 (Gause) und Nr. 29 (Caro), und 527
ganz am Ende, von Waldbäumen umrahmt, entstand hier in diesen
Jahren Schloß Tanne>. Der Kaiserdamm zeichnete sich schon deutlich
ab, wenn er auch noch nicht reguliert war. Tanne> schräg gegenüber lag das 1883 erbaute Atelier der von Emil Wer>meister gegründeten
Photographischen Gesellschaft, und am heutigen Adolf-Hitler-Plag,
damals Platz B, dicht vor dem Neubau des Garnisonlazaretts, erhob sic der smeisterschen Villa, die im vorigen Jahr abgebrochen wurde, um einem Erweiterungsbau der
Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Plaß zu machen.
Mehr im Innern der Kolonie wohnten in der Eichenallee 12 von Wilamowiß-Möllendorf, Ebereschenallee 3 der Bildhauer Wolff und Nr. 4 die Gebrüder Schwarzlose, die Besizer der großen Parfümeriefabriken. In der Eschenallee Fabrikbesizer Steinlein, in der
Nußbaumallee Bildhauer Professor Siemering, der Schöpfer des
Haydn-Mozart-Beethoven-Denkmals
am
Goldfischteih
und
der
Heiligen Gertraud auf der Gertraudenbrüce, Professor Ansorge, der große Musiker, die Fabrikbesizer Shwechten, Barella und eine Reihe von Dffizieren. Noc< weist der „Übersichtsplan von Charlottenburg“ aus dem
Jahre 1899 im Süden und Westen des Branigzer Platzes große Lücken auf. Es war ja so natürlich, daß die Bebauung in der Gegend des Einfalltores im Nordosten der Kolonie am stärksten war. Westlich der
Kirschenallee besaß die Stadt Charlottenburg noch einen schmalen
Landstreifen, auf dem heute das Luisenandenken und das neue Kleinrentnermietshaus stehen; daran schloß sich, etwa bis zur heutigen Reichsstraße, das Grundstüc> der Bankier Meyerschen Erben, und das ganze übrige Gelände bis zur Bahn hin war damals 1899 noch im Besitz der Schaeffer-Voitschen Erben. Es umfaßte die ganze Kolonie auch im Süden, wo die Rennbahn lag, bis zum heutigen Adolf-HitlerPlag und wieder zur Ahornallee hin. Aber dieselbe Karte zeigt schon
die Aufteilung dieses Geländes, die Verlängerungen der Linden-, Kastanien- und Eschenallee und die Anlage der neuen Straßen:
Storm-, Halm-, Klaus-Groth-Straße, damals allerdings nur numeriert. Dem Fürstenplag, damals Platz A, schien eine größere Bedeutung zugedacht, als er sie heute hat, da der Plan der Heerstraße
noch nicht feststand. Südlich des Plazes B (des Adolf-Hitler-Plaßzes), über den heutigen Karolingerplaz hinaus bis zum Bahnhof Heerstraße, lag das Erbteil der Geschwister Wer>meister. Das gesellschaftliche Leben Westends hatte schon damals nicht mehr die Geschlossenheit der ersten Jahrzehnte. Deutlich begannen die einzelnen Klassen sich voneinander abzusegzen: die Industriellen und Kaufleute, die Akademiker, die Offiziere. Auch die Vergnügungen im Klubhaus verloren den Reiz und wurden fast nur noc< vom gut-
situierten Mittelstande und seinen Gästen aus der Stadt besucht, soweit sie nicht bei Moriz stattfanden. Eine gewisse Schwierigkeit hatte für die Bewohner Westends von jeher in der Schulfrage gelegen. Die nächsten Volksschulen lagen in 63
der Kirct wurden, stellte Quistorp einen sogenannten Schulwagen, der sie zur Cauerstraße bzw. in die Girardsche Privatschule in der Berliner Straße brachte. Später benutten sie auch wohl die Pferdeeisenbahn, die seit 1871 bis Westend ging. Im Herbst 1874 richtete ein Fräulein Agnes von Schmidt in der Villa Jania, Ahornallee 21, eine Privatschule ein, die sie aber bald wieder aufgab, um am Anhalter Bahnhof ein Pensionat für die Töchter des
Landadels zu eröffnen.
Bis 1891 war Westend ohne Schule. In diesem Jahre suchte Fräu-
lein Johanna Schmidt aus Pot5sdam beim Magistrat um die Kon-
zession nach, auf Westend eine sechsklassige Mädchenschule einrichten zu dürfen. Die Kolonie zählte damals etwa 1800 Einwohner, und
die Schule konnte auf etwa 100 Mädchen rechnen. Die Bewilligung wurde erteilt, und die Regierung gab ihre Zustimmung unter der Bedingung, daß Französisch und Englisch gelehrt würden. Noch im selben Jahre wurde die Schule im Hause des Berliner Rechtsanwalts Munkel, Ebereschenallee 7 E>e Lindenallee, eröffnet. Schon im Jahre darauf wurde auf Antrag der Westender eine Knabenvorschule damit verbunden, da die Wege zum Kaiserin-Augusta-Gymnasium, Berliner Straße 47, oder zum Realgymnasium in der Schillerstraße, für Sechsbis Neunjährige zu weit war.
Sieben Jahre später (1900) bekam die Schule ein neues Heim Kastanienallee 12 E>e Ulmenallee. Da für eine gesonderte Vorschule nicht Knaben genug waren, wurden gemischte Klassen eingerichtet. Bei der Kleinheit der Schule konnte das Honorar der Lehrerinnen nur klein sein. Es betrug 75, 60 und 50 M,., so daß nur Damen
beschäftigt werden konnten, die bei ihren Eltern lebten. Der Magistrat lehnte jede Beihilfe wie auch den beantragten Bauzuschuß von 1000 M. ab, obwohl die Schule inzwischen zehnklassig geworden war. Sie hielt sich bis zum Jahre 1913. Im Februar 1912 hatte der Westender Communal-Verein einen Antrag an den Magistrat gerichtet, sofort eine städtische höhere Mädchenschule auf Westender Gebiet zu eröffnen, da 135 schulpflichtige und 115 noch nicht schulpflichtige Kinder vorhanden wären. Dieser Antrag kam etwas post festum, beschleunigte aber die Ausführung
des schon ein Jahr früher gefaßten Gemeindebeschlusses, so daß am
1. 4.1912 in dem Gebäude der Gemeindeschule in der Leistikowstraße
die V. Höhere Mädchenschule mit den Klassen X--VI eröffnet wurde. Dadurch sah sich die Privatschule gezwungen, ihre Pforten zu schließen. Fräulein Schmidt wurde als ordentliche Lehrerin an die städtische
Höhere Mädchenschule übernommen, führte aber auf Wunsch des Magistrats die an ihrer Schule vorhandenen, allerdings sehr s