243 95 2MB
German Pages 326 Year 2016
Judith Pfeiffer Christlicher Republikanismus in den Bibeldramen Sixt Bircks
Frühe Neuzeit
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Band 202
Judith Pfeiffer
Christlicher Republikanismus in den Bibeldramen Sixt Bircks Theater für eine ‚neu entstehende‘ Bürgerschaft nach der Reformation in Basel und Augsburg
Zugl. Diss. Universität Tübingen.
ISBN 978-3-11-044151-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043411-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043351-7 ISSN 0934-5531 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertationsschrift angenommen. Mein Dank gilt dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Tübinger Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800 – 1800)“ und seinem Sprecher Prof. Dr. Andreas Holzem, die diese Dissertation ermöglicht haben. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Ridder und dem Zweitbetreuer der Arbeit, Prof. Dr. Volker Leppin. Sie haben sich stets die Zeit genommen, mir wertvolle Hinweise für diese Arbeit zu geben. Ebenfalls danke ich Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, der mich unterstützt und motiviert hat. Das gleiche gilt für Prof. em. Dr. Wolfgang Harms, der mit seinem Interesse an meiner Dissertation deren Vorankommen maßgeblich gefördert hat. Prof. Dr. Jörg Robert und Prof. Dr. Ralph Häfner danke ich für ihre Tübinger Oberseminare zur Frühen Neuzeit. Für fachlichen Austausch zum Drama im 16. Jahrhundert bin ich Prof. em. Dr. Hellmut Thomke, Prof. Dr. Glenn Ehrstine, PD Dr. Heidy Greco-Kaufmann und Dr. Kai Bremer verbunden. Herzlich danke ich auch Prof. Dr. Martin Wallraff und Herrn lic. theol. Rainer Henrich von der Universität Basel, die den Briefwechsel von Oswald Myconius erschließen und die mir noch nicht edierte Briefe Bircks an Myconius zugänglich gemacht haben. Für wissenschaftlichen Austausch während meiner Promotion danke ich Dr. Christiane Ackermann, Dr. Herfried Vögel, Prof. Dr. Frieder von Ammon, Dr. Anette Syndikus, Dr. Cornelia Rémi und unserer Post-Doc Dr. Britta Bußmann. An den Korrekturen des Manuskripts haben sich dankenswerterweise meine Eltern, Inci Bozkaya, Dr. Astrid Dröse sowie Pascale Waskow beteiligt. Für ihre freundschaftliche Unterstützung während der Promotion bin ich neben bereits genannten Namen auch Dr. Jörg Widmaier, Dr. Milan Wehnert, Dr. Rebekka Nöcker, Dr. Beatrice von Lüpke, Dr. Susanna Hübschmann und Matthias Fütterer verbunden.
Inhalt Einleitung 1 . Einleitung und Fragestellung 1 . Methodisches Vorgehen 10
Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung – eine Biographie intellectuelle 17 . Schulbildung und Studium (1501 – 1523) 18 . Im Umfeld des Basler Humanismus vor Einführung der Reformation 20 (1524 – 1529) .. Die Vorstellung von einem christlich-humanistisch geprägten Gemeinwesen bei Erasmus von Rotterdam 26 28 .. Johannes Oekolampads Reformation in Basel . Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536) 33 .. Politisch-moralisches Theater in Basel vor und nach der 34 Reformation .. Die Aufführung von Heinrich Bullingers ‚Lucretia‘ 1533 in Basel 37 . Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554) 43 52 . Zusammenfassung Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31) 54 . Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias 55 (ca. 1530) .. Die biblischen Vorlagen: 2 Kön 18,1 – 19,37 und 2 Chr 29,1 – 32,23 56 .. Bircks Dramenadaptation 57 .. Zusammenfassung 72 . Die Reform des religiösen Lebens unter einer weisen und tugendhaften Obrigkeit: Das Zorobabeldrama (ca. 1531) 75 .. Die apokryphe Pagenerzählung 3 Esr 3 – 4 75 .. Bircks Dramenadaptation: Einleitung, Struktur und Interpretation des Dramas 79 Die Rahmentexte vor Beginn der Dramenhandlung Binnentext .. Zusammenfassung: Bearbeitungstendenzen des 96 Zorobabeldramas
VIII
Inhalt
Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna 99 (1532 und 1537) . DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532) 99 .. Die biblische Erzählung von Susanna und Daniel 102 103 .. Die reformatorische Basler Ehegerichtsordnung .. Bircks Dramenadaptation 107 Die Vorred dises spyls Szene Szene Szene Beschlußred .. Zwischenfazit 134 136 . Susanna Comœdia Tragica (1537) .. Rahmentexte I 141 .. Binnentext 145 Actus primus Actus secundi Actus tertius Actus quartus Actus quintus .. Rahmentext II: Epilogus 181 .. Zwischenfazit 182 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533) 186 . Einordnung und Forschungsstand 186 . Widmungsvorrede 187 . Prolog 188 . Epilog 191 .. Das Reich Gottes auf Erden: Das Gemeindeideal der Täufer in der Schweiz und am Oberrhein 194 .. Die Täufer in Augsburg 195 . Dramenhandlung 199 .. Erste Dramenhälfte: Josephs Aufstieg zum weltlichen Herrscher 199 .. Zweite Dramenhälfte: Joseph und seine Brüder in Ägypten . Zwischenfazit 224
217
Inhalt
Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534) 230 230 . Einleitung Das Buch Judith in der Vulgata und seine Übersetzungen in der Reformationszeit Die Bedeutung der Theologie im Buch Judith für die Türkenkriege im . Jahrhundert . Rahmentexte: Titelblatt, Figurenverzeichnis und die beiden Vorreden 235 Titelblatt Die Namen der Personen in diser Tragœdi Vorrede diser Tragœdi An ain junge Burgerschafft . Binnentext 239 Szene Szene Szene Szene Szene Szene . Beschlussred 275 278 . Zwischenfazit Fazit 281 282 . Die Dramen und ihre biblischen Vorlagen . Rahmentexte/Binnentexte 283 .. Die politische Praxis in der Respublica christiana 285 Konsensgestütze Herrschaft Die Aufgaben eines weltlichen Amtsträgers und das Verhältnis zu den Geistlichen .. Bildung 287 .. Antike Form, biblischer Inhalt 288 .. Die Dramen im Verhältnis zu anderen Theatertraditionen und zeitgenössischen Schauspielen 289 .. Differenzen der Augsburger Übersetzungen im Unterschied zu den Basler Spielen 289 290 . Résumé Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen
292
IX
X
Inhalt
Literaturverzeichnis 294 Bibelausgaben und Hilfsmittel Primärliteratur 294 Sekundärliteratur 299 Register
311
294
1 Einleitung 1.1 Einleitung und Fragestellung In einer Widmungsvorrede an den Augsburger Patrizier Johannes Welser aus dem Jahr 1546 beklagt sich Sixt Birck (*1501– 1551), damals Rektor des humanistischreformierten Gymnasiums St. Anna in Augsburg, über die Mühsal seines ihm von Gott zugewiesenen Amtes.¹ Als Schulmeister in einem christlichen Gemeinwesen (Respublica christiana) komme ihm die Aufgabe zu, die nach Einführung der Reformation neu im Entstehen begriffene Bürgerschaft (nascens civitas) zu Frömmigkeit und Sittlichkeit zu erziehen. Sein Trost bestünde in den Fortschritten, die seine Schüler machten, und wenn er sehe, dass seine Mühen dem christlichen Gemeinwesen zuträglich seien: Mihi certè benignissimus Deus functionem in Rep. nostra delegavit, laboriosam quidem satis honestissimam tamen, (et) episcopatui proximam. Non eam ex vulgi aestimo opinione, facilè agnoscens, quantu(m) operae ad Remp. Christianam adferat, qui nascentis civitatis mentes ad pietatem atq(ue) dexteritatem format. Dedit mihi pro sua bonitate Deus animum, ut hoc libenter faciam, (et) delecter in eo, quod plerique onus Aetna gravius esse videtur: dedit, inquam, ut in puerorum profectu acquiescam. Dedit ad hanc provinciam administranda(m) tantum praesidii, ut me facile intra meam mediocritatem contineam. Et profectò praeclarè mecum esse actum arbitror, cum video aliquid fructus ex meis laboribus in usum Reip. christianae enasci.² Gewiss hat mir Gott in seiner Gnade eine Aufgabe in unserer Republik übertragen, die mühsam genug, gleichwohl höchst ehrenhaft und ganz ähnlich dem Bischofsamt ist. Nicht nach der öffentlichen Meinung schätze ich diese Aufgabe so ein, sondern als einer, der weiß, wie viel Mühe der für die Respublica christiana aufwendet, der die entstehende Gemeinde in Frömmigkeit und Lebensführung bildet. Gott in seiner Güte gab mir den Sinn, dass ich dies gern tue und mich an dem erfreue, was sehr oft als Last, schwerer als der Ätna, erscheint. Er gab es, so möchte ich sagen, dass ich meine Ruhe im Fortschritt der Knaben finde. Er gab so viel Beistand zur Führung dieser Provinz, dass es mir leicht fällt, mit meiner Mittelmäßigkeit zufrieden zu sein. Und ich schätze mich wirklich glücklich, wenn ich sehe, dass aus meinen Mühen irgendein Ertrag zum Nutzen der Respublica christiana hervorwächst.³
Die lateinische Widmungsvorrede ist der von Sixt Birck erstellten Konkordanz zum Neuen Testament auf Griechisch vorangestellt, die in Basel gedruckt wurde: Sixt Birck: ΣΥΜΦΩΝΙΑΝ Η ΣΥΛΛΕΞΙΣ ΤΗΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΤΗΣ ΚΑΙΝΗΣ […] Novi Testamenti Concordantiae graecae, opus magno usui omnibus Sacrarum scripturarum vere studiosis futurum […]. Basel: Johannes Oporinus , Bl. a r. Abkürzungen in den lateinischen Zitaten werden in runden Klammern aufgelöst. Ebd., Bl. a r. Ich danke Dr. Herfried Vögel für seine Ratschläge bei der Übersetzung. DOI 10.1515/783110434118-001
2
1 Einleitung
Als Birck seine Aufgabe innerhalb des christlich-reformierten Gemeinwesens beschrieb, dachte er sicherlich auch an seine neun lateinischen und volkssprachlichen Dramatisierungen alttestamentlicher und apokrypher Stoffe, die er zwischen ca. 1530 und ca. 1544 verfasst hatte. Auch in den Bibeldramen steht die Frage im Mittelpunkt, wie die einzelnen Stände einer reformierten Bürgerschaft zum Nutzen der christlich-reformierten Respublica beitragen können. Seine ersten fünf volkssprachlichen Dramen (Ezechias ⁴, Zorobabel ⁵, Susanna ⁶, Joseph ⁷ und Judith ⁸) verfasste Birck zwischen ca. 1530 und 1536 in Basel, wo die Reformation 1529 offiziell eingeführt worden war. Bei einem weiteren Drama, Beel, wird Bircks Autorschaft in der jüngsten Forschungsliteratur bezweifelt – die Dramatisierung dieses apokryphen Stoffes wird in dieser Arbeit daher nicht berücksichtigt.⁹ Vermutlich wurden die Schauspiele nach den Gepflogenheiten des bürgerschaftlich getragenen Theaters in Basel öffentlich aufgeführt.¹⁰ Belegt ist die öf In dieser Reihenfolge werden die Dramen von Bircks Zeitgenossen und Biographen Johannes Nysaeus aufgezählt (Lucius Lactantius: L. Coelii Lactantii Firmiani Opera, quæ quidem extant omnia: […]. Accesserunt Xysti Betuleii Augustani pia ac erudite commentaria, nunc primum in lucem edita. Basel: Heinrich Petri , Bl. b v). Sixt Birck: Ezechias. Ain nutzliche kurtze Tragedi. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Ders.: Zorobabel. Ain Herrliche Tragoedi auß dem dritten Bch Eßdre gezogen. Jn wellichem on andere merckliche nutzbarkait/sonderlich erlernet würt/wie fürstendig es sey/so die Fürsten vnd Oberen die verthdinger der Gttlichen warhait erhalten/und das ain Gotsliger nach Ehren un(d) würdigkait stellen mge […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Ders.: DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna/ Im M.CCCCC.XXXII. Jar/ offentlich inn Mindren Basel/ durch die jungen Burger gehaltenn. Basel: Thoman Wolff . Ders.: Ioseph. Ain sundere lustige Comedy auß der herrlichen Hystori des Ersten bchs Mosi gezogen/ wie der von seinen brdern verkaufft/ da von seines Herren frawen deß Ehbruchs halbe(n) flschlich verklagt. Und endtlich von dem Künig inn hohe wirdigkait gesetzt ward. Mit vil nutzparlicher leeren außgesprayt […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Ders.: Iudith. Ain Nutzliche History/ durch ain Herrliche Tragoedi/ in spilßweiß für die augen gestelt/ Dienlichen/ Wie man in Kriegßleüffen/ besonders so man von der ehr Gots wegen angefochten wirt/ umb hilff z Gott dem Herren flehend rffen soll […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Siehe dazu: Henrike Lähnemann: Art. „Birck, Sixt“. In: VL (), Sp. – , hier Sp. . Nach Lähnemann spricht für die ebenfalls mögliche Autorschaft des Johannes Kolroß „das Reimschema der eingeschobenen Chorstrophen und die für B[irck] unübliche Gattungsbezeichnung“, ebd. Bereits Helene Levinger hat in ihrer Dissertation Argumente angeführt, die eher für Bircks Zeitgenossen Johannes Kolroß als Autor sprechen. Vgl. Helene Levinger: Augsburger Schultheater (= Theater und Drama ). Berlin , S. – . Zur Tradition des bürgerschaftlichen Theaters in Basel und anderer Städte in der Region siehe: Erich Kleinschmidt: Stadt und Literatur in der frühen Neuzeit.Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum (= Literatur und Leben, NF ). Köln [u. a.] , bes. S. f. Wie in Kapitel . noch genauer beschrieben wird, enthalten zwei Biographien Bircks Hinweise darauf, dass seine Dramen aufgeführt wurden.
1.1 Einleitung und Fragestellung
3
fentliche Darbietung eines Stückes allerdings nur für das volkssprachliche Susannadrama, das laut Titelblatt 1532 „von der jungen burgerschafft“ in Basel aufgeführt wurde.¹¹ Nachdem der Autor 1536 sein Amt als Rektor des 1531 gegründeten humanistisch-reformierten Gymnasiums St. Anna in Augsburg angetreten hatte, passte er seine Dramen den dortigen Anforderungen des protestantischen Schultheaters an: Zwei seiner in Basel entstandenen volkssprachlichen Stücke, Susanna ¹² und Judith ¹³, übertrug er selbst ins Lateinische und verfasste weitere Dramen nach apokryphen und antiken Stoffen, De vera nobilitate ¹⁴, Eva ¹⁵, Sapientia Solomonis ¹⁶ sowie das verlorene Stück Herodes sive innocentes ¹⁷, auf Latein.
Vgl. Anm. . Sixt Birck: Susanna. Comoedia Tragica. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Ders.: Iudith Drama Comicotragicum. Exemplum Reipublice rectè institutae. Unde discitur, quomodo arma co(n)tra Turcam sint capienda […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. o. J. Die lateinische Iudith erschien ebenfalls bei Philipp Ulhard d. Ä., allerdings ohne Jahresangabe. Sie wird meist auf – dem Erscheinungsjahr des volkssprachlichen Judithdramas in Augsburg – datiert (vgl. Henrike Lähnemann: Hystoria Judith. Deutsche Judithdichtungen vom . bis zum . Jahrhundert (= Scrinium Friburgense ). Berlin [u. a.] , S. ), obwohl ein Briefwechsel Sixt Bircks und Heinrich Bullingers auf eine jüngere Datierung des Druckes auf Ende /Anfang hinweist: Am . April schickte Birck Bullinger ein Exemplar der Judith nach Zürich mit dem Vorschlag, es dort von der Jugend aufführen zu lassen (vgl.: HBW II , Nr. , S. f.). Für diese spätere Datierung sprechen auch die Argumenta in Librum Iudith des Zürcher Theologen und späteren Dramenautors Rudolf Gwalther, die Bircks Dramentext abschließen, und die erst in Zürich erschienen waren (JuL S. – ; Rudolf Gwalther: Argumenta omnium tam Veteris quam Novi Testamenti capitum elegiaco carmine conscripta. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. , Bl. v-r. Vgl.: HBW II , Nr. , S. f.). Ders.: Iudith. Drama Comicotragicum. Exemplum Reipublice Rectè Institutæ. Unde discitur, quomodo arma co(n)tra Turcam sint capienda. In: Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae […] (tomus secundus). Basel: Johann Oporinus 1547. Ders.: De Vera Nobilitate Orationes Duae à duobus Iuvenibus nobilem puellam ambientibus apud Senatum Romanu(m) habitae, autore Bonagarso Pistoriense Iureconsulto, et suae aetatis Oratore clarißimo. Tota Rei Actio In Ludi […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. . Ders.: Eva. Mythologia Philippi Melanchthonis redacta in Actionem ludicram […]. In: Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […] (tomus primus). Basel: Johann Oporinus . Ders.: Sapientia Solomonis. Drama Comicotragicum […]. In: Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […] (tomus secundus). Basel: Johann Oporinus . Das Schauspiel, dessen Titel nur bei Johannes Nysaeus aufgezählt wird (Lactantius, Opera, Bl. b r), ist verloren (vgl. Herbert Walz: Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung. Darmstadt , S. ).
4
1 Einleitung
Bei diesen Dramen – insbesondere bei den noch in Basel verfassten bzw. von Birck selbst übersetzten Schauspielen – fällt der Bezug zu politischen Themen auf. Die Bearbeitungstendenz dieser sieben Dramenadaptationen wird von Fragen dominiert, die das öffentliche Leben eines christlich-reformierten Gemeinwesens, einer Respublica christiana, betreffen: Die militärische Bedrohung des Gemeinwesens von außen, die Frage nach einem gerechten Gerichtsprozess und die Rolle des Herrscherberaters, um nur einige Bezugspunkte vorweg zu nehmen. Die Beobachtung, dass in Bircks Dramen politische Fragen thematisiert werden, stellt an sich keine Besonderheit für das Theater in der Schweiz des 16. Jahrhunderts dar. Nachdem Bernd Moeller bereits den engen Zusammenhang zwischen den Strukturen spätmittelalterlicher Reichsstädte und der Einführung der Reformation, getrennt nach Luthertum und Zwinglianismus herausgearbeitet hat,¹⁸ schloss besonders Erich Kleinschmidt mit einer Habilitationsschrift über den Zusammenhang von Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit an diese Ergebnisse an.¹⁹ Das bürgerschaftliche Schauspiel in den eidgenössischen Städten war ein öffentliches Handeln mit „sozialkommunikativer Funktion“,²⁰ das in seiner gesellschaftlichen Qualität nicht hinter der allgemeinen oder berufsbezogenen, politischen Aktivität im städtischen Raum zurückgestanden haben dürfte²¹ – so das Ergebnis der Studie über den Zusammenhang von Stadt und Literatur im südwestdeutschen, elsässischen und Schweizerischen Städteraum. Dennoch ist die Omnipräsenz politischer Themen in den Bibeldramen Sixt Bircks auffällig. Nahezu alle Studien über Bircks Dramen weisen auf diesen politischen Schwerpunkt bei der Ausgestaltung der Stoffe hin: Wilhelm Creizenach hält in seiner Geschichte des neueren Dramas fest, dass in Bircks Theaterstücken „den moralischen Lehren so viel wie möglich ein Bezug auf die Verwaltung des Staates gegeben wird“.²² Heinz Kindermann betont in seiner Theatergeschichte Europas, Bircks Denken kreise konsequent „um den Staat und seinen Regenten“²³, und Herbert Walz stellt in seinem Überblick über die Deutsche Literatur der Reformationszeit Bircks „Neigung, biblische Themen im staatsbürgerlichen Sinne zu aktualisieren“²⁴ heraus.
Bernd Moeller: Reichsstadt und Reformation. Bearbeitete Neuausgabe. Berlin , bes. S. – . Vgl. Anm. . Kleinschmidt, Stadt, S. . Ebd., S. . Wilhelm Creizenach: Geschichte des neueren Dramas, Bd. . Halle/S. , S. . Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas, Bd. : Das Theater der Renaissance. Salzburg , S. . Walz, Literatur, S. .
1.1 Einleitung und Fragestellung
5
Wie Silvia Serena Tschopp in ihrem Aufsatz über Bircks protestantisches Schultheater und reichsständische Politik in Augsburg konstatiert, ist „[d]er offenkundig politische Charakter der meisten Birck’schen Dramen […] demnach erkannt worden“.²⁵ Allerdings bleibe bei den genannten Darstellungen offen, so Tschopp weiter, „in welcher Form und mit welcher Funktion Politik zur Sprache kommt“.²⁶ Die jüngeren Arbeiten zu Bircks Dramen haben gezeigt, wie erhellend jene Drameninterpretationen sind, die den historischen und geistesgeschichtlichen Kontext der Dramen miteinbeziehen. Dazu zählt etwa Jean Lebeau, der Bircks Judithdramen als Reaktion auf die Türkenkriege liest und darin eine Stellungnahme des Erasmus von Rotterdam zum Vorgehen gegen die Türken herausarbeitet.²⁷ Auch bei Horst Brunner werden das Ezechiasdrama und die beiden Judithdramen unter Einbeziehung der beiden „politischen Hintergrunderscheinungen […] Türkenabwehr und Konfessionskampf“ interpretiert.²⁸ Kai Bremer hat bei dem volkssprachlichen Judithdrama ebenfalls Bezüge zu Erasmus’ Schriften, insbesondere zu dessen Enchiridion militis christiani erkannt und hat zudem den Genderaspekt dieses Dramas untersucht.²⁹ Am weitesten geht Silvia Serena Tschopp selbst, wenn sie Bircks Dramen in den politischen und konfessionellen Kontext der freien Reichsstadt Augsburg einbettet und dabei zu dem Ergebnis kommt, im deutschsprachigen Raum sei Sixt Birck der erste Dramenautor gewesen, der sich an einer Synthese aus „ästhetische[r] Ordnung des antiken Dramas und […] [politisch-moralischer] Ordnung eines evangelisch begründeten Christentums“³⁰ versuchte. Das von Silvia Serena Tschopp formulierte Forschungsdesiderat, bisher sei offen geblieben, „in welcher Form und mit welcher Funktion Politik zur Sprache
Silvia Serena Tschopp: Protestantisches Schultheater und reichsstädtische Politik. Die Dramen des Sixt Birck. In: Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschichte einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg, hg. von Gernot Michael Müller. Berlin [u. a.] , S. – , hier S. . Tschopp schließt sich der Meinung früherer Literaturwissenschaftler an: „So gut wie alle seine Bühnendichtungen kreisen zentral um die Frage des guten Regiments“, ebd., S. . Ebd. Jean Lebeau: Sixt Bircks „Judith“ (), Erasmus und der Türkenkrieg. In: Daphnis (), S. – . Horst Brunner (Hg.): Dulce bellum inexpertis: Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des . und . Jahrhunderts (= Imagines medii aevi ). Wiesbaden , bes. S. – , Zitat S. . Kai Bremer: Religiöse Dimension, Geschlechtlichkeit und politisches Moment. Zu Sixt Bircks Judith. In: Daphnis (), S. – . – Ders.: Gottes Kraft und das „schwache Weib“. Judith auf der Bühne der frühen Neuzeit. In: Das Buch, ohne das man nichts versteht. Die kulturelle Kraft der Bibel, hg. von Georg Steins u. Franz Georg Untergaßmair (= Vechtaer Beiträge zur Theologie ). Münster , S. – . Tschopp, Schultheater, S. .
6
1 Einleitung
kommt“³¹, liegt m. E. darin begründet, dass das dramatische Œuvre bisher noch nicht ausreichend vor dem historisch-politischen und geistesgeschichtlichen Kontext seiner Entstehung interpretiert wurde. Abgesehen von den kontextualisierenden Interpretationen einzelner Dramen wurde bislang noch nicht systematisch untersucht, inwiefern und in welchem Maße reformierte Bibeldramen tatsächlich auf zeitgenössische Debatten und Ereignisse verweisen. Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, den idealen und damit utopischen christlichen Republikanismus zu beschreiben, den die Dramenadaptationen vermitteln sollten. Zum anderen sollen die Dramatisierungen vor dem historischen und geistesgeschichtlichen Kontext ihrer Entstehungszeit gelesen werden. ‚Kontext‘ meint hier die Fragen, wie sich eine dramatische Adaptation eines alttestamentlichen Textes zu ihrer Zeit verhält, oder anders gefragt: Welche Funktionen kamen solchen Schauspielen, abgesehen von der Verbreitung biblischer Geschichten unter Laien, im öffentlichen Diskurs noch zu? Unter ‚Republikanismus‘ in der Vormoderne wird anschließend an Wolfgang Mager „konsensgestützte[] Herrschaft […] im Unterschied zur Einherrschaft“ verstanden.³² ‚Konsensgestützte Herrschaft‘ meint das in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten übliche Ratsregiment, das sich durch (kollektive) Partizipation der Bürgerschaft und die Notwendigkeit eines consensus auszeichnet, der sowohl zwischen Herrschaftsbefohlenen und Regierenden als auch innerhalb des Regiments bestehen sollte.³³ Die hier erwähnten Begriffe werden bei der Darstellung der politischen Strukturen in Basel (Kap. 2.2) und in Augsburg (Kap. 2.4) anhand der beiden historischen Beispiele noch genauer erläutert. Die Benennung als ‚christlich-reformierter‘ Republikanismus weist auf die Spezifika der Schweizerisch-oberdeutschen Reformation im Unterschied zur Wittenberger hin, da die Lehren der humanistisch geprägten Schweizerisch-oberdeutschen Reformation stärker auf eine Erneuerung geistlicher und säkularer Institutionen auf
Ebd. Luise Schorn-Schütte (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des . und . Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft (= HZ, Beihefte NF ). München , S. . Siehe dazu: Wolfgang Mager: Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. In: ebd., S. – . Luise SchornSchütte bezeichnet den ‚vormodernen Republikanismus‘ dort als einen „Kunstbegriff“ zur Beschreibung heterogener Formen von konsensgestützter Herrschaft (vgl. ebd., S. ). Siehe dazu: Ulrich Meier/Klaus Schreiner: Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften. In: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von dens. (= Bürgertum ). Göttingen , S. – , bes. S. , S. u. S. .
1.1 Einleitung und Fragestellung
7
der Grundlage der Bibel sowie von Sittlichkeit und Moral zielte.³⁴ Während Martin Luther nicht auf eine politische und soziale Reform der Gesellschaft aus war, wurde die Schweizer Reformation von der Frage dominiert, wie sich der göttliche Wille auf Erden erfüllen lasse, der sich in der Heiligen Schrift offenbare.³⁵ Im Zentrum der Schweizerisch-oberdeutschen Reformationslehren stand die Frage, wie sich der göttliche Wille erkennen lasse und wie er im Diesseits realisiert werden könne, also „die Frage nach der objektiven Sache Gottes“.³⁶ Die Konsequenz aus der Frage, die die Schweizer Reformation stellte, lautete daher für den Menschen, er solle sich im Dienst für die göttliche Zielsetzung als Werkzeug gebrauchen lassen, um so zur „Durchsetzung seines universalen Willens in seiner umfassenden Herrschaft“³⁷ beizutragen. Dabei lief die Reformation in jeder Stadt anders ab. Mit den Worten Alister E. McGraths: „At times, it seemed as if there were as many reformations as there were cities.“³⁸ Die Besonderheiten der Reformation in Basel und Augsburg werden als Teil des Kontextes, in dem Bircks Dramen zu verorten ist, in Kap. 2.2.1, 2.2.2 und 2.4 beschrieben.
Der Begriff ‚oberdeutsch‘ folgt der Definition von Bernd Moeller: „Die zahlreichen evangelischen Reichsstädte in Südwestdeutschland […], die im schwäbisch-alemannischen Gebiet lagen […], von Eßlingen im Norden bis Konstanz im Süden, von Augsburg im Osten bis Straßburg im Westen, wie auch die großen freien Städte der Schweiz wurden, mit der einen Ausnahme der Reichsstadt Reutlingen, Anhängerinnen Zwinglis und Bucers“, Moeller, Reichsstadt, S. . Siehe dazu Alister E. McGrath, der das Wesen der Schweizerisch-oberdeutschen Reformation folgendermaßen beschreibt: „the movement′s visionaries realized that it was essential to ground it in the firm, unchangeable realities of the will of God as revealed in the Bible“, Alister E. McGrath: Christianity′s Dangerous Idea. The Protestant Revolution – A History from the Sixteenth Century to the Twenty-First. New York , S. . Den aktuellen Forschungsstand zu jenen Ausprägungen der Reformation, die McGrath in dem Kapitel „Alternatives to Luther“ abhandelt (ebd., S. – ), fasst Detlef Metz zusammen: Detlef Metz: Das protestantische Drama. Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter. Köln [u. a.] , S. – . Metz kommt zu dem Schluss, jenen Ausprägungen der Reformation, die u. a. in der Schweiz und in Oberdeutschland stattfanden, als „›reformierten Teil‹ oder als ›reformierten Bereich‹ der Reformation“ zu bezeichnen (ebd., S. ). Metz betont darin die Ergebnisse der jüngeren Forschungsliteratur, wonach die lutherische und die reformierte Kirche in der Theorie zwar eine klar zu unterscheidende Position vertraten, dass diese sich in der Praxis jedoch vermengten.Vgl. ebd., S. , siehe dazu u. a.: Helga Schnabel-Schüle: Der große Unterschied und seine kleinen Folgen. Zum Problem der Kirchenzucht als Unterscheidungskriterium zwischen lutherischer und reformierter Konfession. In: Krisenbewusstsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit, hg. von Monika Hagenmeier u. Sabine Holtz. Frankfurt/M. [u. a.] , S. – , hier S. . Olaf Kuhr: „Die Macht des Bannes und der Buße“. Kirchenzucht und Erneuerung der Kirche bei Johannes Oekolampad ( – ) (= Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie ). Bern [u. a.] , S. . Ebd. McGrath, Idea, S. .
8
1 Einleitung
Da Sixt Birck nicht nur in Augsburg geboren wurde, sondern dort ab 1536 auch als Rektor des humanistisch-reformierten Gymnasiums St. Anna sowie als Bibliothekar eine prominente Stellung innehatte, wurde er zumeist mit der Stadt Augsburg in Verbindung gebracht. Der politische Impetus seiner Dramen wurde ebenfalls im Augsburger Umfeld verortet, wie auch bei Silvia Serena Tschopp.³⁹ Diese Arbeit will zeigen, wie eng gerade die volkssprachlichen Dramen Sixt Bircks mit den politischen Verhältnissen in Basel um 1529 verwoben sind. Sie wird darstellen, inwiefern Bircks Adaptationen alttestamentlicher und apokrypher Stoffe als Dramen einer ‚neu entstehenden‘ Bürgerschaft in den Jahren nach der Einführung der Reformation bei der ‚Neuausrichtung‘ an der Heiligen Schrift Orientierung boten und wie die Bibel mit Hilfe der Dramen für eine christlich-reformierte Bürgerschaft handlungsleitend gemacht werden sollte. Da in den Bibeldramen immer wieder Formen konsensgestützter Herrschaft inszeniert und reflektiert werden, wird im Folgenden von einem ‚christlichen Republikanismus‘ gesprochen, der in den Interpretationen der einzelnen Dramen herausgearbeitet werden soll. Die jüngere (kirchen‐)historische Forschung war und ist zwar mehr darauf bedacht, Kontinuitäten über die Zeit der Reformation hinaus aufzuzeigen.⁴⁰ Doch deutet Bircks eigene Aussage, er wolle als Schulmeister in der ‚neu im Entstehen begriffenen‘ Bürgerschaft die Ausbildung von Sitten und Frömmigkeit fördern, darauf hin, dass die Zeitgenossen den Bruch mit der Zeit vor der Reformation subjektiv stärker wahrnahmen, als er aus heutiger historischer Sicht war. Diese Arbeit will zeigen, dass Sixt Birck den Bürgerschaften von Basel und Augsburg mit seinen Bibeldramen in den Jahren nach der Reformation Orientierung in Fragen bieten wollte, die die Konstitution des christlich-reformierten Gemeinwesens betrafen. Wenn im Folgenden von einer ‚neu entstehenden‘ Bürgerschaft gesprochen wird, bezieht sich der Begriff auf eine subjektive Wahrnehmung der Zeitgenossen, die auch Sixt Bircks dramatisches Werk geprägt hat. Ein Vergleich des volkssprachlichen Dramas Susanna mit der lateinischen Selbstübersetzung Sixt Bircks soll darüber hinaus zeigen, welche Änderungen der Autor vornimmt, die das biblisch legitimierte und republikanisch geprägte Gemeinwesen betreffen.⁴¹
Vgl. Anm. . Siehe dazu u. a. Volker Leppin: Martin Luther (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance). Darmstadt ; ebenso: Diarmaid MacCulloch: Die Reformation. – . Aus dem Englischen von Helke Voß-Becher/Klaus Binder [u. a.]. München . Das lateinische Judithdrama wurde gerade in der jüngsten Forschungsliteratur ausführlich behandelt, während das lateinische Susannadrama kaum Beachtung fand. Zu den Forschungsbeiträge zur lateinischen Iudith gehören: Lähnemann, Hystoria, S. – ; ebenso: Brunner, Bilder, S. – ; ebenso: Tschopp, Schultheater, S. – .
1.1 Einleitung und Fragestellung
9
Diese Arbeit schließt an ein Forschungsprogramm an, das zum Ziel hat, die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft auch aus der Geschichte des ‚religiösen Wissens‘ in der Vormoderne (800 – 1800) herzuleiten.⁴² Unter ‚religiöses Wissen‘ fallen all jene Adaptationen des schriftlich fixierten Offenbarungskanons und damit die Anpassung der im Kanon „formulierten Überzeugungen und Normen“⁴³ an die „sich historisch wandelnden sozialen Ordnungen und kulturellen Praktiken“,⁴⁴ die zu einer fortwährenden Aktualisierung des Offenbarungskanons beitragen. ‚Religiöses Wissen‘ in der Vormoderne bezeichnet demnach jenes Produkt einer Über-setzung [sic] des Offenbarungskanons, die den Kanon für soziale Gruppen handlungsleitend machte, ihnen Orientierung bot und dabei sozial integrierend wirken konnte.⁴⁵ Wie Luise Schorn-Schütte in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband schreibt, ging [d]ie Mehrzahl der Forschungen, die sich mit den zeitgenössischen Debatten um die Struktur des Zusammenhangs von Religion und Politik als der Grundfrage politischer Legitimität in diesen Jahrzehnten befaßten, von der Annahme aus, dass die Divergenz beider Bereiche die Richtung der frühneuzeitlichen Entwicklung bestimmt habe. […] ein anderer großer Bereich, der unter dem Stichwort der politica christiana weiterhin an der engen Verzahnung von Religion und Politik festhielt, blieb unbeachtet.⁴⁶
Anhand der Bibeldramen Sixt Bircks soll in dieser Arbeit ein Beispiel für ein Werk angeführt werden, das im Zuge der Reformation gerade nicht die Trennung des Politischen vom Religiösen forderte, sondern das genaue Gegenteil: Die Unterordnung alles Politischen unter das eine religiöse Ziel der Verwirklichung der Heiligen Schrift im Diesseits. Dieses Programm einer politica christiana sollte letztlich in eine utopische Respublica christiana münden, die in den Bibeldramen
An dem Forschungsprogramm sind u. a. das DFG-Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa ( – )“ und das „Zentrum vormodernes Europa“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen beteiligt. Zu dem Forschungsprogramm siehe: Andreas Holzem: Die Wissensgesellschaft der Vormoderne. Die Transfer- und Transformationsdynamik des ‚religiösen Wissens‘. In: Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität, hg. von Klaus Ridder/Steffen Patzold (= Europa im Mittelalter ). Berlin , S. – , hier S. . Ebd., S. . Ebd. Vgl. ebd. Schorn-Schütte, Aspekte, S. .
10
1 Einleitung
bereits in vollkommenem oder gerade in einem noch defizitärem Zustand vorgeführt wird, wie die folgenden Textinterpretationen zeigen sollen.⁴⁷
1.2 Methodisches Vorgehen Der Begriff des ‚Kontexts‘ wird in dieser Arbeit nicht unter textlinguistischen Gesichtspunkten behandelt, sondern unter historischen: Um auf eine Formulierung von Hans-Gert Roloff zurückzugreifen, im Sinne von „Der Text und seine Zeit“.⁴⁸ Die Frage nach dem Kontext, in dem die Dramen entstanden und aufgeführt wurden, zielt daher vor allem auf die Frage nach dem Einfluss⁴⁹, d. h. es soll nach den Beziehungen gefragt werden, nach denen „bestimmte Eigenschaften des Entstehungskontextes […] für die Erklärung oder Interpretation [der] Texte[] [relevant] sind.“⁵⁰ Wie Roloff in seinem Beitrag Zur Spannung von ‚Text‘ und ‚Kontext‘ in der Mittleren Deutschen Literatur festhält, stehen „die Texte der Mittleren Deutschen Literatur [mehr als in anderen Zeiten] in einem vieldimensionalen Koordinatensystem ihrer geschichtlichen Situation.“⁵¹ Diese Bedingung zeigt sich unter anderem in der „starken sozialdidaktischen Funktion“ mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Texte sowie in ihrer Eigenschaft, „dem Leser eine Botschaft, eine Lehre, einen Rat, eine Ermahnung, ein Verhaltensmuster“ zu vermitteln, um somit „in die Gesellschaft [zu] wirken.“⁵² Diese Arbeit fragt einerseits nach den ‚tatsächlichen‘ Einflüssen auf Sixt Birck und seine Dramen, gleichzeitig aber auch danach, welche Botschaften Birck mittels der Dramen in reformierten Städten verbreiten wollte. Der Begriff des ‚Einflusses‘ wird also sowohl in seiner rezeptiven Funktion als auch in seiner intendierten produktiven Funktion untersucht.
Die Tendenz frühneuzeitlicher Literatur, Dinge nicht realistisch abzubilden, sondern so, wie sie sein könnten oder sollten, wird bei Martin Opitz in seinem Buch von der Deutschen Poeterey beschrieben: „Das ferner die Poeten mit der warheit nicht allzeit vbereinstimmen / ist zum theil oben deßhalben Vrsache erzehlet worden / vnd soll man auch wissen / das die gantze Poeterey im nachffen der Natur bestehe / vnd die dinge nicht so sehr beschreiben wie sie sein / als wie sie etwan sein kndten oder sollten“, Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (). Studienausgabe, hg. von Herbert Jaumann (= RUB ). Stuttgart , S. , V. – . Hans-Gert Roloff: Zur Spannung von ‚Text‘ und ‚Kontext‘ in der Mittleren Deutschen Literatur. In: Text im Kontext. Anleitung zur Lektüre deutscher Texte der frühen Neuzeit, hg. von Alexander Schwarz/Laure Abplanalp (= TAUSCH ), Bern [u. a.] , S. – , hier S. . Siehe dazu: Lutz Danneberg: Art. „Einfluß“. In: RLW , S. – . Ebd., S. . Roloff, Spannung, S. . Ebd., S. .
1.2 Methodisches Vorgehen
11
Bei der Analyse sollen Einflüsse anderer Texte auf die Dramen nachgewiesen werden – dazu gehören singuläre Einflüsse durch einzelne Texte ebenso wie kollektive Einflüsse.⁵³ Fiktive Texte sollen ebenso berücksichtigt werden wie Sachtexte, zum Beispiel Gerichtsordnungen, zeitgenössische Texte ebenso wie antike. Daneben sollen auch kollektive Einflüsse herausgearbeitet werden, etwa literarische Normen antiker Literatur, historische Entwicklungen wie die Reformation oder das kulturelle und religiöse Wissen der Entstehungszeit, wobei Birck an der Generierung von letzterem ebenso beteiligt war, wie er selbst religiöses und kulturelles Wissen rezipierte. Bei den Analysen der Dramen werden sich unterschiedliche Grade des Einflusses und ihrer Kennzeichnung zeigen: Der Einfluss der Vorlagen auf die Dramentexte, die biblischen und apokryphen Erzählungen, werden zum integralen Bestandteil⁵⁴ der Dramen, da der Handlungsverlauf stets an sie gebunden ist. Daneben finden sich in den Texten Zitate ebenso wie Anspielungen und Verweise, wie auch in den Vor- und Nachreden. Der Nachweis dieser lokalen und globalen Einflüsse, wie einzelne Zitate und Gattungszuschreibungen, die den Text als Ganzes betreffen, trägt einerseits zur Erklärung der Entstehung des Textes und der Bildung des Autors bei. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch darauf, in der Summierung dieser Einflussbeziehungen die Lehren nachvollziehen zu können, die Birck mit seinen Dramen an seine Leserschaft und an seine Zuschauer vermitteln wollte. Dies trägt wesentlich zur Interpretation der Texte bei, deren vorderstes Ziel es war, „in die Gesellschaft [zu] wirken.“⁵⁵ Wie Roloff weiter festhält, sind die Texte der Mittleren Deutschen Literatur „engagierte Literatur⁵⁶, die im einzelnen Fall gewisse Mentalitäten forensisch kundtut. Jeder Text, so hat man den Eindruck, liefert einen Beitrag zu einem imaginären Forum und klinkt sich in ein vielstimmiges Diskurssystem ein.“⁵⁷ Die Auswertung der Einflüsse auf Bircks Dramentexte liefert somit entscheidende Hinweise, in welche Diskurssysteme sich der Text einschreibt. Dies ist die Voraussetzung, um Erkenntnisse über die Botschaften und Stellungnahmen zu gewinnen, die der Autor mit Hilfe der Dramen verbreiten wollte. Damit wird die Problematik dieser Herangehensweise deutlich: Im Idealfall müsste sich ein (Literatur‐)Historiker das gesamte „Weltwissen“⁵⁸ des historischen
Vgl. Danneberg, Einfluß, S. . Vgl. ebd., S. . Roloff, Spannung, S. . Ebd. Ebd, S. f. Jan-Dirk Müller gebraucht den Begriff, um zu untersuchen, „wie imaginäre Muster […] fiktive literarische Erzählungen generieren“ (Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen , S. ): „Bei der Produktion wie Rezeption ist immer ein Welt-
12
1 Einleitung
Autors aneignen, um der Interpretation seiner Texte gerecht werden zu können. In der Praxis stellt dies eine nicht zu bewältigenden Aufgabe dar. Es gilt somit, eine begründete Auswahl zu treffen, um sich dem ‚imaginären Forum‘ und dem ‚vielstimmigen Diskurssystem‘ anzunähern, in denen der Text zu verorten ist. Doch wie ermittelt man in einem ersten Schritt überhaupt das ‚Funktionsnetz‘ eines frühneuzeitlichen Textes als Voraussetzung für seine Interpretation? Da wir in der Frühen Neuzeit kaum einen Text finden werden, „der nicht mit der politischen und sozialen Ebene seiner Zeit kommuniziert, der nicht im Diskurs zum Bildungswesen seiner Zeit stünde“⁵⁹, soll in dieser Arbeit zunächst der Werdegang Sixt Bircks nachgezeichnet werden, um seinen Horizont abschätzen zu können und um eine Vorauswahl an Schriften und historische Ereignissen treffen zu können, die in sein dramatisches Werk eingegangen sein könnten. Erst wenn dieser Kontext erfasst ist, in dem sich der Autor bewegte, können die bei „der Textanalyse konstatierten Intentionen des Textes […] in ihrem Bezug“ auf diesen verstanden werden.⁶⁰ In diesem Kapitel wird einerseits Sixt Bircks Ausbildung und seine Bekanntschaft mit gelehrten Zeitgenossen berücksichtigt, um zu ermitteln, mit welchen literarischen und geistesgeschichtlichen Traditionen aus Antike, Mittelalter und Humanismus er vertraut war. Auf der anderen Seite stellt dieses Kapitel die historischen Ereignisse und geistesgeschichtlichen Strömungen in Basel und Augsburg rund um die Reformation dar. Dieses Kapitel stützt sich auf die bereits vorhandenen historischen Darstellungen der Reformationszeit in Basel und Augsburg und beschränkt sich auf wenige Jahre, Ereignisse und Veränderungen, die für Bircks Dramen relevant sind.Vor allem sollen in diesem Kapitel die Ideale, Prinzipien und Institutionen vorgestellt werden, auf denen ein christlichreformiertes Gemeinwesen gründen sollte. Die folgende Biographie intellectuelle bettet die Quellen zu Leben und Werk Sixt Bircks in ihren Kontext ein. Dazu gehören Gelehrte, Professoren und Personen des öffentlichen Lebens, mit denen Birck in Verbindung stand, wie etwa Prediger, Drucker und Vertreter der weltlichen Obrigkeit. Über solche Beziehungen geben v. a. der Biograph Johannes Nysaeus sowie die Briefwechsel Auskunft. Die Biographie intellectuelle will so das Umfeld rekonstruieren, in dem sich der Autor
wissen vorausgesetzt, das jedweder Erfahrung vorausgeht, sie ordnet und strukturiert. Dieses Weltwissen verknüpft die Elemente von Erfahrung zur Geschichte und interpretiert sie. Wie es bei der Produktion einer Geschichte im Hintergrund wirksam ist, muß es bei der Rezeption von Erzählungen, literarischen wie alltagsweltlichen, reaktiviert werden. […] Die Analyse jenes Weltwissens übergreift insofern Produktions- und Rezeptionsprozeß“ (ebd., S. ). Roloff, Spannung, S. . Ebd.
1.2 Methodisches Vorgehen
13
bewegte, das seinen Horizont beeinflusste und in dem zu Bircks Lebzeiten bestimmte politische, gesellschaftliche und konfessionelle Fragen und Konflikte schwelten, die Birck in seinen politischen Bibeldramen aufgriff und auf die er mit seinen Dramen reagierte. Am Beispiel der Städte Basel und Augsburg werden auch jene Fachtermini eingeführt, die zur Beschreibung eines konsensgestützten Republikanismus in den darauffolgenden Drameninterpretationen gebraucht werden. Ein zweiter Schritt, um die Schauspiele Sixt Bircks in ein Funktionsnetz einordnen zu können, ist die Berücksichtigung der Selbstaussagen des Autors über die Bestimmung seiner Texte. Wie Hans-Gert Roloff bemerkt, haben sich die Autoren der Mittleren Deutschen Literatur [nicht ohne Grund] expressis verbis dagegen gewehrt, man könnte ihre Intentionen in den Texten, d. h. die von ihnen gesetzten Zeichen in ihrer einmaligen Zielrichtung, durch Umdeuten mißverstehen. Fast alle Texte sind in ihrer Bedeutung und Wirkungsabsicht festgelegt. Prologe und Epiloge, Vorworte, Autorinserte in den Text, Begleitbriefe und ähnliches nennen den Lese-Code des Textes. Auch die rhetorischen Schreibtheorien und die Poetiken der Zeit legen die Finger auf Eindeutigkeit; allenfalls ist das Deutungssystem nach dem vierfachen Schriftsinn zulässig, um die moralische Tendenz des Exempels theologisch zu vertiefen.
Anders als in der modernen Hermeneutik nach Hans-Georg Gadamer weisen Anleitungen zur Textinterpretation bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts „ausdrücklich auf die Verbindlichkeit der auktorialen authentischen Auslegung für das Verständnis der Zeichen bzw. des Textes hin“.⁶¹ So etwa Georg Friedrich Meier, der in seinem 1757 erschienenen Versuch einer allgemeinen Auslegekunst der Selbstauslegung des Autors höchste Autorität zuspricht: Folglich ist er, durch die unmittelbare Erfahrung, gewiß, er habe denselben Zweck vor Augen gehabt, als er die Mittel gebraucht. Ein weiser und vernnftiger Autor erkennt also, mit der grßten Gewißheit, den Sinn seiner eigenen Rede. Kein endlicher Ausleger kan mit eben so grosser Gewißheit, den Willen und den Zweck des Autors erkennen, als der Autor selbst. Folglich ist ein jedweder der beste Ausleger seiner eigenen Worte.⁶² Die authentische Auslegung ist ein hermeneutischer Grund, §. 21. welcher zureichend ist. […] Wer also, wider die authentische Auslegung, eine Rede auslegt, ist ein unbilliger Ausleger, indem er voraussetzt, daß der Autor entweder ohne Verstand geredet und geschrieben, oder sich selbst nicht verstanden habe §. 130. Folglich muß ein Ausleger, die authentische Auslegung, fr wahr halten, bis erhellet, daß der Autor seinen Sinn gendert, und einen andern gehabt habe, als er geredet, und einen andern, als er seine eigenen Worte ausgelegt.⁶³
Roloff, Spannungen, S. . Georg Friedrich Meier: Versuch einer allgemeinen Auslegekunst. Halle , § . Ebd., § .
14
1 Einleitung
Bei der Interpretation der Dramentexte wird zwischen einem ‚Binnentext‘ unterschieden, der auf der Bühne performativ dargestellt wird, und jenen ‚Rahmentexten‘, die nicht Teil der Dramenhandlung sind und häufig Deutungshinweise des Autors enthalten, die auf den historischen Kontext der Dramen verweisen. Die Rahmentexte müssen nicht unbedingt auf der Bühne aufgeführt worden sein, insbesondere Widmungsvorreden in Prosa und Mottos, sie können aber auch auf der Bühne gesprochen oder gesungen worden sein, wie etwa Prologe und Epiloge in Versen oder Lobgesänge vor Beginn der Dramenhandlung.⁶⁴ Zur Unterscheidung dieser Textsorten bieten sich die Begriffe der von Erving Goffman entwickelten und von Werner Wolf speziell auf das Drama bezogenen frame theory an, wonach sich Dramentexte in Rahmen- und Binnentexte unterteilen lassen. Anders als im eng verwandten Konzept des Paratextes von Gérard Genette ist das Unterscheidungskriterium für Binnen- und Rahmentexte in der frame theory nicht, ob der Text bei einer Aufführung auf der Bühne gesprochen wird, sondern ob er zur Dramenhandlung beiträgt.⁶⁵ Damit zählen der Prolog und der Epilog nach Werner Wolf gleichermaßen zu den Rahmentexten wie das Titelblatt oder die Widmung, auch wenn sie wie der Binnentext dazu bestimmt waren, von einem Sprecher auf der Bühne vorgetragen zu werden. Als problematisch bei der Zuordnung zu Rahmen- oder Binnentexten erweisen sich die Chorgesänge zwischen einzelnen Szenen und Akten, da sie nicht direkt zur Dramenhandlung beitragen, durch ihre Position im Binnentext aber auch nicht zu den rahmenden Textelementen vor und nach dem Binnentext gezählt werden können. Sie müssen daher im Einzelfall auf die Frage hin untersucht werden, wie sie zur Charakterisierung der Exempelfiguren beitragen. Bei der Analyse der Binnentexte soll herausgearbeitet werden, an welchen Textvorlagen sich die Autoren orientierten und welche Figurenmerkmale sie aus dieser Vorlage übernahmen bzw. wo sie verändernd in die Stilisierung der Exempelfiguren eingriffen, um eine andere Charakterisierung der Feindbilder oder eine andere Vorgehensweise gegen die Angreifer zu vermitteln als in der Vorlage. Es wird angenommen, dass gerade an Stellen, die von der biblischen oder apokryphen Vorlage abweichen oder an denen der Autor von der Vorlage signifikant abweicht, auf zeitgenössische Kontexte verwiesen wird.
Vgl. Werner Wolf: Prologe als Paratexte und/oder dramatische (Eingangs‐)Rahmungen? ‚Literarische Rahmung‘ als Alternative zum problematischen Paratext-Konzept. In: Die Pluralisierung des Paratexts in der Frühen Neuzeit. Theorie, Formen, Funktionen, hg. von Frieder von Ammon/Herfried Vögel (= Pluralisierung & Autorität ). Berlin , S. – . Zu Gérard Genettes Konzept des Paratexts siehe: Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort v. Harald Weinrich. Aus dem Französischen v. Dieter Hornig. Frankfurt/M. .
1.2 Methodisches Vorgehen
15
Die Interpretationen der Dramen erfordern eine schrittweise Analyse der Rahmentexte und des Binnentextes. Dieser ist wiederum in Haupt- und Nebentext (Figurenreden bzw. explizite Regieanweisungen) unterteilt. Bei dieser schrittweisen Analyse kürzerer und längerer Textpassagen wird immer wieder der Bezug zu den in Kap. 2 beschriebenen Kontexten hergestellt. Dort, wo detailliertere Informationen zum Verständnis der Relationen erforderlich sind, werden diese in den Interpretationskapiteln ergänzt. Aus den einzelnen Ergebnissen ergibt sich ein Gesamtbild, das zeigt, inwiefern das jeweilige Drama Bezug auf gesellschaftspolitische Themen seiner Entstehungszeit nimmt und welche dramatischen und dramaturgischen Techniken dazu beitragen, die Aussagen an die Rezipienten⁶⁶ zu vermitteln. Da Sixt Birck in seinen Bibeldramen ausschließlich alttestamentliche Stoffe, bzw. mit dem Alten Testament überlieferte Erzählungen dramatisierte, soll in den Analysekapiteln u. a. nach einer Begründung für diese Auswahl der Vorlagen gesucht werden. Dabei wird auch gefragt, ob Birck einen Unterschied bei der Bearbeitung kanonischer und apokrypher Stoffe machte.⁶⁷ Die Kontextualisierung von Bircks Dramen erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise: Neben der Philologie, Literatur- und Theaterwissenschaft werden auch Theologie, Kirchengeschichte, Geschichtswissenschaften und Rechtsgeschichte einbezogen. Um die drängenden gesellschaftspolitischen Fragen zusammenfassen zu können, die die Bürgerschaft von Basel in den (Krisen‐)Jahren nach der offiziellen Einführung der Reformation beschäftigte, soll auch der Ablauf der Reformation in Basel knapp skizziert werden. Dazu gehören Konflikte innerhalb der Bürgerschaft, das Auftreten religiöser Splittergruppen sowie politische, legislative und institutionelle Neuerungen in den Jahren nach der Reformation.Veränderungen und Konflikte,
Wie Erich Kleinschmidt schreibt, lassen „[d]ie bruchstückhaften Belege einer zeitgenössischen Wertung der Aufführungen aus der Sicht des Publikums […] ein vorrangiges Interesse an den Inszenierungen und ihren Umständen erkennen, hinter das die Beachtung der Werkgehalte zurücktritt. Indes trügt der Eindruckt, da die häufige Drucklegung der gespielten Stücke doch auch ein Interesse am Text dokumentiert, der vielfach über Lektüre oder Vorlesung rezipiert wurde. Man kann darin Notlösungen sehen, die den Besuch von Aufführungen ersetzen mußten, doch dürfte insgesamt die Buchrezeption der frühneuzeitlichen Schauspiele eher als eine eigenwertige Form des literarischen Umgangs einzuschätzen sein“ (Kleinschmidt, Stadt, S. f.). Im Folgenden werden mit dem Oberbegriff ‚Rezipienten‘ sowohl die Zuschauer einer möglichen Aufführung als auch die Leser eines gedruckten Dramentextes zusammengefasst. Die Apokryphen zum Alten Testament sind in der Zürcher Bibel von in der Übersetzung Leo Juds abgedruckt. Am Beginn dieses Anhangs steht: „Diss sind die bcher die bey den alten unnder Biblischen geschrifft nit gezelt sind / ouch bey den Ebreern nit gefunden“, ZB, Bl. CCXLIv. Zu den Apokryphen des Alten Testaments siehe: Hans-Peter Rüger: Art. „Apokryphen – I. Apokryphen des Alten Testaments“. In: TRE (), S. – .
16
1 Einleitung
die für die Interpretation eines bestimmten Dramas von Bedeutung sind, wie etwa die Gründung eines Ehegerichts in Basel für das Susannadrama,werden in der Einleitung des jeweiligen Kapitels noch vertieft dargestellt (vgl. Kap. 4). Daneben soll auch die Theatertradition in Basel und Augsburg betrachtet werden. Zu fragen ist, welche zeitgenössischen Dramenaufführungen Birck selbst miterlebt haben könnte. Das Umfeld der Basler Humanisten und Reformatoren wird somit als ein Umfeld gesehen, in dem bestimmte Vorstellungen über ein ideales christliches Gemeinwesen kursierten und umgesetzt wurden. Die Biographie intellectuelle will anhand dreier Akteure in diesem Umfeld exemplarisch praktische und theoretische Überlegungen zu einem idealen (reformierten) christlichen Gemeinwesen aufzeigen, um gerade angesichts ihrer Gegensätze und Widersprüche Fragen zu ermitteln, mit denen sich die Bürgerschaft von Basel während der 1530er Jahre beschäftigte und auf die Birck mit seinen politischen Bibeldramen Antworten geben wollte: Der Humanist Erasmus von Rotterdam, der Basler Reformator Johannes Oekolampad und Heinrich Bullinger, der späteren Antistes von Zürich und Nachfolger Huldrich Zwinglis und ihre Lehren über das Ideal eines christlichen Gemeinwesens. Die Modelle der beiden prominentesten Gelehrten im Basel der 1520er Jahre und des späteren Reformators von Zürich, mit denen Birck in persönlichem Kontakt stand, weisen Überschneidungen und Gegensätze auf. Gerade aus den Gegensätzen der Idealvorstellungen lassen sich Fragen ableiten, zu denen sich Birck mit seinen Dramen positioniert hat.
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung – eine Biographie intellectuelle Zu Sixt Bircks Leben und Werk sind zwei posthum erschienene Viten überliefert. Die Ausführlichere ist in Bircks Laktanzkommentar von 1563 enthalten und wurde von seinem Zeitgenossen Johannes Nysaeus verfasst.¹ Die andere Biographie findet sich im sogenannten Heldenbuch des Heinrich Pantaleon von 1566, in das Birck als Ludimoderator (‚Spielleiter‘) eingegangen ist.² Biographische Angaben finden sich auch in der Hauschronik (1528 – 1600) des Augsburger Stadtschreibers Hieronymus Fröschel (1527– 1602), einem Schüler Sixt Bircks.³ Daneben sind einige Briefwechsel Bircks erhalten, u. a. mit dem Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer,⁴ mit den Schweizer Reformatoren Heinrich Bullinger⁵ und Oswald Myconius⁶ sowie mit dem Basler Rechtsgelehrten Bonifacius Amerbach.⁷ Diese Daten
Lactantius, Opera, Bl. b r-b v. Heinrich Pantaleon: Prosopographiae Herorum Atque Illustrium Virorum Totius Germaniae, Pars Secunda. In Hac Personarum Descriptione Omnium Tam Armis Et Autoritate, quàm literis & religione totius Germaniae celebrium virorum Vitae & res praeclarè gestae bona fide referuntur […]. Basel: Nikolaus Brylinger , S. . Das Porträt zu der Vita ist nicht von Birck und wurde auch für andere Personen verwendet, z. B. für Jakob Wimpheling, Beatus Rhenanus u. a.. Vgl. Richard Schmidbauer: Die Augsburger Stadtbibliothekare durch vier Jahrhunderte (= Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg ). Augsburg , S. . Hieronymus Fröschel: Hauschronik – ; Angabe nach Levinger, Schultheater, S. . Das unvollständige Manuskript wurde von Friedrich Roth ausgewertet. Siehe dazu: Friedrich Roth: Der markgräfliche Kanzler Dr. Hieronymus Fröschel und sein Bericht über seine Kämpfe gegen die Konkordie und die Ansbacher Konkordisten ( und ). In: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte (), S. – und S. – ; ebenso: Ders.: Der Augsburger Jurist Dr. Hieronymus Fröschel und seine Hauschronik von – . In: ZS des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg (), S. – . Die biographischen Angaben zu Sixt Birck hat Helene Levinger ausgewertet. Vgl. Levinger, Schultheater, S. – . Zu Leben und Werk des Hieronymus Fröschel siehe: http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/jancke-quellenkunde/verzeichnis/f/froeschel/ index.html, letzter Zugriff: . . . Ambrosius Blaurer/Thomas Blaurer [u. a.]: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer – , bearb. v. Traugott Schieß, hg. von der Badischen Historischen Kommission, Bd. : August –Ende . Freiburg i. Br. . Heinrich Bullinger: Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel, Bd. : Briefe des Jahres , hrsg. v. Zwingliverein Zürich, bearb. v. Hans Ulrich Bächtold/Rainer Henrich. Zürich . Seit Juni läuft an der Universität Basel ein Forschungsprojekt, in dem unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Wallraff der Briefwechsel von Oswald Myconius erschlossen und ediert wird. Die Fertigstellung und Publikation der Regestenausgabe soll im Jahr erfolgen. Zur bisherigen DOI 10.1515/783110434118-002
18
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
sowie weitere Quellen zu Sixt Birck und seinen Theateraufführungen wurden u. a. von Ernst Messerschmid,⁸ Richard Schmidbauer,⁹ Helene Levinger¹⁰ und Henrike Lähnemann¹¹ angeführt und ausgewertet.
2.1 Schulbildung und Studium (1501 – 1523) Sixt Birck wurde am 24. Februar 1501 in Augsburg als Kind der Weber Huldrich Birck und Anna Brenner geboren.¹² Mit acht Jahren begann er die Lateinschule, ab ca. 1514/15 besuchte er zwei Jahre lang die Domschule St. Maria zu Augsburg. Sein dortiger Lehrer, Johannes Voegelin, wurde später als Professor für Mathematik und Astronomie an der Universität Wien bekannt.¹³ Von 1518 bis 1520 diente Birck dem humanistisch gebildeten Augsburger Domkanoniker Matthäus Pappenheim, der dem 19-jährigen Birck später das Studium in Erfurt finanzierte.¹⁴ Zuvor empfing Birck noch vom Augsburger Bischof Christoph von Stadion die niederen Weihen – wie Nysaeus schreibt, hatten er und Pappenheim gehofft, sie könnten auf diese Weise verhindern, dass sich Birck – geblendet vom „Lutherischen Glanz“ – von der Klerikerlaufbahn entferne.¹⁵ Für das spätmittelalterliche Augsburg sind einige Aufführungen von geistlichen Spielen – Passions-, Oster-, Fronleichnams- und Legendenspiele – sowie von humanistischen Dramen belegt. Spielträger waren neben dem Klerus auch die Stadtbürger, die sich in Fraternitäten (Spielbruderschaften) und ‚cechas‘ zusam-
Erschließung der Bestände siehe: http://www.myconius.unibas.ch/projekt.html, letzter Zugriff: . . . Bonifacius Amerbach/Johannes Amerbach: Die Amerbachkorrespondenz, hrsg. v. Alfred Hartmann/Beat Rudolf Jenny, Bd. : Die Briefe aus den Jahren – . Basel . Ernst Messerschmid: Sixtus Birck ( – ). Ein Augsburger Humanist und Schulmeister zur Zeit der Reformation. Ein Beitrag zur Geschichte des höheren Schulwesens im Zeitalter der Reformation. [Diss. masch.] Augsburg . Schmidbauer, Stadtbibliothekare, S. – . Levinger, Schultheater, bes. S. – . Vgl. Anm. . Vgl. Lähnemann, Birck, Sp. . Siehe dazu: Günther: Art. „Voegelin, Johannes“. In: ADB (), S. f. http:// www.deutsche-biographie.de/pnd.html?anchor=adb, letzter Zugriff: . . . Siehe dazu: Klaus Graf: Art. „Marschalk von Pappenheim, Matthäus“. In: VL Humanismus (), Sp. – , hier Sp. . „Inde nobili viro è Marsalcis oriu(n)do, Doctori (et) Canonico, duos annos servit, qui dehinc Erphordiam misit cum nonnullo sumptu. At priusquam iret, à Christophoro Stadio, Episcopo, sacris initiatus. Sic voleba(n)t enim, quòd metuerent, ne Lutherana aura ipse mutaretur“, Lactantius, Opera, Bl. b r-b v.
2.1 Schulbildung und Studium (1501 – 1523)
19
menschlossen – „im späten Mittelalter bruderschaftsähnliche Gemeinschaften von Laien und Klerikern als eine Art Theaterverein“.¹⁶ Unterstützt vom Klerus verwirklichten sie v. a. die Aufführung von Spielen im Freien – etwa im Hof des Augsburger Benediktinerklosters. 1497 führte der Humanist Josef Grünpeck mit jungen Augsburger Patriziern das lateinische Fastnachtspiel Virtus et Fallacicaptrix vor Kaiser Maximilian I. auf.¹⁷ In dem Spiel tritt der Kaiser als Richter zwischen virtus (‚Tapferkeit‘) und fallacia (‚Täuschung‘, ‚Betrug‘) auf. Ebenfalls aus Anlass des Besuchs Maximilians I. führte Johannes Pinicianus seinen Dialog Virtus et Voluptas in Augsburg auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Birck selbst an dieser Aufführung mitwirkte oder ihr zumindest als Zuschauer beiwohnte, da das Streitgespräch, bei dem Carolus, der Fürst von Burgund, als Richter zwischen Sinneslust und Tugend auftritt, thematisch mit Bircks Dramatisierung des antiken Stoffes De vera nobilitate (1538) verwandt ist, wie Levinger gezeigt hat.¹⁸ Daneben gab es im 15. Jahrhundert in Basel eine teilweise vom Klerus, mehrheitlich jedoch von der Bürgerschaft getragene Spieltradition, die teilweise in die Zeit nach der Reformation fortwirkte.¹⁹ Vor den Gottesdienstbesuchern der Kathedralkirche bzw. der ihr zugeordneten Dompfarrei wurden im spätmittelalterlichen Augsburger Dom bis ins 16. Jahrhundert hinein geistliche Spiele aufgeführt, darunter u. a. das Augsburger Osterspiel. ²⁰ Es ist gut möglich, dass Birck als Schüler solche Aufführungen als Zuschauer miterlebte, oder als Domschüler gar selbst daran mitwirkte. In Erfurt studierte Birck bei einer Reihe von Humanisten, die auch zu den ersten Anhängern Martin Luthers zählten – bei Euricius Cordus²¹ und Eobanus
Klaus Wolf: Theater im mittelalterlichen Augsburg. Ein Beitrag zur schwäbischen Literaturgeschichtsschreibung. In: ZS des Historischen Vereins für Schwaben (), S. – , hier S. . Siehe dazu: Levinger, Schultheater, S. ; ebenso: Dieter Wuttke: Art. „Grünpeck, Josef“. In: NDB (), S. f., URL: http://www.deutsche-biographie.de/pndX.html, letzter Zugriff: . . . Siehe dazu: Levinger, Schultheater, S. . Ein von Klaus Wolf angeführtes Beispiel dafür ist ein Passionsspiel des aus Augsburg stammenden Reformationsanhängers Johann Hecht alias Lucius, der in Wittenberg bei Philipp Melanchthon studiert hatte. Dafür übernahm er etwa Verse aus dem spätmittelalterlich Augsburger Passionsspiel von Sankt Ulrich und Sankt Afra. Vgl. Wolf, Theater, S. . Vgl. ebd., S. . Euricius Cordus ( – ) entschloss sich selbst erst ab ca. aus Geldnot zum Medizinstudium, das er abschloss (vgl. Peter Dilg: Art. „Cordus Euricius“. In:VL Humanismus (), Sp. – , hier Sp. ). Birck dürfte seine nebenbei gehaltenen Poetikvorlesungen besucht haben. Während seiner Erfurter Jahre verfasste Cordus poetische, anfangs vorwiegend lyrische Werke, v. a. Casuallyrik, darunter einen anlässlich von Luthers Auftritt in Worms verfassten Jubelruf, der im Druck erschien. Vgl. ebd., Sp. .
20
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Hessus²² etwa hörte er Poetik und Rhetorik, Theologie bei Justus Jonas, einem engen Vertrauten Luthers.²³ Eobanus Hessus’ in Distichen abgefasstes und 1515 in Erfurt gedrucktes Werk De vera nobilitate mit einer Kritik am zeitgenössischen Adel, der nichts mehr mit früherem Seelen- und Tugendadel gemein habe, könnte Birck zu seinem gleichnamigen Prosadialog (gedr. 1538) inspiriert haben.²⁴ Die Thematik wird auch in anderen Dramen Bircks, etwa im Zorobabeldrama (Kap. 3.2) aufgegriffen. Als er sein zweites Jahr in Erfurt beendet hatte, breitete sich an der Universität die Pest aus²⁵ – vermutlich war auch das für Birck ein Grund, seine Studien an der Universität Tübingen fortzuführen, wo er sich am 19. April 1522 immatrikulierte.²⁶ Über seine Jahre in Tübingen gibt Nysaeus lediglich an, Birck habe die Zeit genutzt, um das Neue Testament zu studieren,²⁷ bevor er am 23. Februar 1523 das Baccalaureat erwarb.²⁸
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus vor Einführung der Reformation (1524 – 1529) Am 31. Dezember 1523 immatrikulierte sich Birck an der Universität Basel.²⁹ Zu diesem Schritt hatte ihm laut Nysaeus der Humanist und Augsburger Stadtver-
Helius Eobanus Hessus: De vera nobilitate. Et priscis Germanorum moribus […]. [Erfurt: Matthes Maler um ]. Zu Leben und Werk des Dichters siehe: Gerlinde Huber-Rebenich/Sabine Lütkemeyer: Art. „Hessus, Helius Eobanus“. In: VL Humanismus (), Sp. – . Zu Jonas’ Stellung innerhalb des „Fünferkreis[es] der Wittenberger Kollektivautorität – also Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Jonas und Kaspar Cruciger“ siehe: Eike Wolgast: Luther, Jonas und die Wittenberger Kollektivautorität. In: Justus Jonas ( – ) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, hg. von Irene Dingel (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie ). Leipzig , S. – (Zitat: S. ). Zu Jonas’ Verbindungen mit dem Erfurter Humanistenkreis siehe: Helmar Junghans: Justus Jonas und die Erfurter Humanisten. In: ebd., S. – . Vgl. Anm. . „Unctus igitur confert se Erphordia, quae tu(m) multis claris et doctissimis viris abundabat: inter quos Euricium primo, Cordum, et Nesenum, mox et Eobanum atque Iustum Ionam audit. Neque parum ibi promovisset, ni et longa febris eum tenuisset: et grassata lues, cum iam sequiannum exegisset, universam eam scholam dissipasset“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Vgl. Heinrich Hermelink: Die Matrikeln der Universität Tübingen, Bd. . Stuttgart , S. . „perque; totum eum annum, quo decubuit, nihil agere nisi Novum Testamentum cum ingenti ax(l)tatione legere, nosse, celebrare“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Ebd. Vgl. Hans Georg Wackernagel (Hg.): Die Matrikel der Universität Basel, Bd. : – . Basel , S. .
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
21
walter Conrad Peutinger geraten,³⁰ der selbst in Basel studiert hatte.³¹ Die Metropole am Oberrhein war der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1501 beigetreten.³² Seit 1521 wurde Basel von einem Zunftregiment regiert, das fast ausschließlich aus Vertretern der insgesamt 15 Zünfte, darunter vier Herrenzünfte und elf Handwerkerzünfte, bestand.³³ An der Spitze der Stadt standen die beiden Häupter, der Bürgermeister und der Oberzunftmeister.³⁴ Alle wichtigen legislativen und exekutiven Entscheidungen wurden von den beiden Häuptern und dem Kleinen Rat getroffen, der sich aus den Zunftmeistern und jeweils einem Ratsherrn zusammensetzte.³⁵ Der Große Rat bestand aus jeweils sechs Gesandten der Zünfte, den zwei vorsitzenden Richtern der beiden Stadtgerichte und zwölf Gesandten aus Kleinbasel.³⁶ Seine Funktion bestand im Wesentlichen darin, die Beschlüsse des Kleinen Rats zu bestätigen.³⁷ Die Ämter wurden jeweils für ein Jahr besetzt, doch wer einmal Rat war, blieb es normalerweise sein Leben lang – es sei denn, er trat freiwillig zurück. Eine Entlassung war grundsätzlich möglich, kam aber in der Praxis selten vor.³⁸ Basel wurde somit von einer überschaubaren Oberschicht regiert, deren Mitglieder die politischen Ämter besetzten. In der Forschungsliteratur ist häufig von einer ‚oligarchischen Elite‘ als Stadtobrigkeit die Rede.³⁹ Gegen
„Hoc potius, proficiscitur ille demum Basileam, idque; de consilio praestantissimi viri Domini Peutingeri, qui et suos eò miserat“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Vgl. Hans-Jörg Künast/Jan-Dirk Müller: Art. „Peutinger, Conrad“. In: NDB (), S. – , Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/pnd.html, letzter Zugriff: ... Vgl. Hans R. Guggisberg: Basel in the Sixteenth Century. Aspects of the City Republic before, during, and after the Reformation. St. Louis , S. . Siehe dazu: ebd., S. f. Die vier Herrenzünfte nannten sich „Schlüssel“ (für die Händler), „Hausgenossen“ (für die Bankleute und Geldwechsler), „Weinleute“ (für die Weinhändler) und „Saffran“ (für Ladenbetreiber, Textilproduzenten, Schreibwarenhändler und Buchdrucker). In ihren politischen Forderungen blieben die Herrenzünfte zumeist moderater als die Handwerkerzünfte. Vgl. ebd., S. ; ebenso: Beat R. Jenny: Humanismus und städtische Eliten in Basel im . Jahrhundert. In: Humanismus und höfisch-städtische Eliten im . Jh, hg. von Klaus Malettke/ Jürgen Voss. Bonn , S. – , bes. S. f. Vgl. Guggisberg, Century, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. . Hans Guggisberg etwa beschreibt die oligarchischen Züge der Basler Obrigkeit folgendermaßen: „The numerical size of the ruling elite in relation to that of the total population was roughly the same everywhere. The oligarchic structure of the governing bodies, the absence of free elections, and the general lack of regular rotation in office can also be observed in all the other [Swiss] towns“, ebd. – Ebenso schreibt Thomas A. Fudge über die politische Lage in der Eidgenossenschaft vor der Reformation: „The rural leagues resisted the overtures of the powerful urban
22
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Begriffe wie ‚Oligarchie‘⁴⁰ und ‚Ratsherrschaft‘ zur Beschreibung des Ratsregiments in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten haben u. a. Historiker wie Hagen Keller, Klaus Schreiner und Ulrich Meier Einwände. Solche Konzepte würden das Selbstverständnis der Bürger verkennen, in unterschiedlichen Formen an der politischen Entscheidungsfindung der Stadt als universitas civium zu partizipieren.⁴¹ Die Pflichten eines Bürgers – Gehorsam und Achtung der Gesetze – sowie die Handlungsspielräume politischer Partizipation waren im Bürgerrecht urkundlich verbrieft.⁴² Sie bewegten sich zwischen den beiden teils widersprüchlichen Prinzipien ‚Stadtregiment‘ und ‚Bürgerfreiheit‘.⁴³ Eine gute konsensgestützte Herrschaft nutzte dem Gemeinwohl (bonum commune), hatte die Zustimmung der Herrschaftsbefohlenen (consensus) und sorgte für Eintracht zwischen regierenden und gehorchenden Bürgern (concordia).⁴⁴ Eintracht herrschte dann innerhalb der Bürgerschaft, wenn „hinreichend viele überzeugt [waren], der Magistrat der Stadt handele im Sinne dieser regulativen Ideen […].War das nicht der Fall, herrschte Zwietracht“ (discordia).⁴⁵ Wie Klaus Schreiner und Ulrich Meier ausführen, blieb Herrschaft in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten stets angewiesen auf den Konsens der Herrschaftsbefohlenen. Dieser Konsens war jedoch in Stadtgesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit schwerer herzustellen als anderswo. Hier mußten gemeindliche Traditionen und vereinbarte Formen von Mitsprache selbst von den ‚oligarchischsten‘ Regimenten anerkannt und garantiert werden.⁴⁶
oligarchies, suspicious that behind the ideas of reform lay more sinister political motives“, Thomas A. Fudge: Icarus of Basel? Oecolampadius and the Early Swiss Reformation. In: Journal of Religious History (), S. – , hier S. f. Für Hagen Keller ist ‚Oligarchie‘ – ebenso wie andere Termini aus der aristotelischen Verfassungstypologie – kein geeigneter Begriff, um die politische Verfassung einer mittelalterlichen Stadt angemessen zu beschreiben. Das Selbstverständnis der Bürger werde in einem solchen Konzept ausgeblendet, denn „[m]an wollte, wie immer wieder betont wird, die Wahl der Besten, Geeignetsten, Nützlichsten. Niemand nahm Anstoß daran, daß dies […] oft zugleich Leute aus dem Kreis der Reichen und Reichsten waren“, Hagen Keller: „Kommune“: Städtische Selbstregierung und mittelalterliche „Volksherrschaft“ im Spiegel italienischer Wahlverfahren des . – . Jahrhunderts. In: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum . Geburtstag, hg. von Gerd Althoff/Dieter Geuenich [u. a.]. Sigmaringen , S. – , hier S. f. Vgl. Ulrich Meier/Klaus Schreiner: Einleitung zu: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von dens. (= Bürgertum ). Göttingen , S. – , hier S. . Vgl. ebd., S. f. Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Ebd.
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
23
Der Begriff der ‚konsensgestützten Herrschaft‘ trägt somit dem Umstand Rechnung, dass die in der Stadt ausgeübte Herrschaft nicht nur Gehorsam verlangte, sondern dass sie immer auf den Konsens freier Bürger angewiesen war.⁴⁷ Diese Zustimmung der Herrschaftsbefohlenen konnte sich in unterschiedlichen Formen äußern – von stillschweigender Zustimmung zu ‚richtiger‘ Politik und Verwaltung bis hin zu gesetzgeberischer Tätigkeit unter Beteiligung der Bürgerschaft.⁴⁸ Im 16. Jahrhundert war die Stadt eine Hochburg des Humanismus, zumal in den Jahren 1514– 1529, als Erasmus von Rotterdam mit Unterbrechung von 1517– 1521 dort weilte und zum spiritus rector der humanistischen Sodalitas Basiliensis wurde.⁴⁹ Die 1460 gegründete Universität zog Studenten aus den umliegenden Ländern an.⁵⁰ Die zahlreichen Druckereien der Stadt florierten und neben der humanistischen ‚Standardlektüre‘ – Klassiker der griechischen und römischen Antike, die Bibel und die frühchristlichen Autoren – wurden hier auch zahlreiche zeitgenössische Kommentare und (Neu‐)Editionen produziert und verlegt.⁵¹ So blieb es in Basel fast unausweichlich, die Diskurse jener Epoche, v. a. natürlich die Reformation, mitzuverfolgen. 1518 erschien in Basel die erste Edition von Luthers Schriften und um 1520 wurde Basel das größte Zentrum für den Vertrieb von Luthers Werken in Westeuropa.⁵² In den 1520er Jahren bestand die Professorenschaft der Basler Universität aus humanistischen Gelehrten ersten Ranges. Entsprechend lang ist die Liste berühmter Professoren, bei denen Birck studierte: Griechisch bei Heinrich Glarean, Philologie bei Johannes Sichardt, der eigentlich Rechtsgelehrter war, jedoch mangels Alternativen 1525 eine Rhetorikprofessur in Basel annahm und Vorlesungen über Cicero, Titus Livius und andere römische Klassiker hielt.⁵³ Mathematik bei Wolfgang Wissenburg, der schon in den 1520er Jahren an der Universität als Reformationsanhänger galt und als Prediger die Einführung der Reformation befürwortete, bevor er 1531 Professor der
Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. ; ebenso: Cornelis Augustijn: Erasmus – Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer (= Studies in medieval and reformation thought ). Leiden [u. a.] , S. . Siehe dazu: Sara Stöcklin-Kaldewey/Martin Wallraff (Hgg.): Schatzkammern der Universität Basel. Die Anfänge einer -jährigen Geschichte. Katalog zur Ausstellung. Basel . Vgl. Guggisberg, Century, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. ; ebenso: August Ritter von Eisenhart: Art. „Sichardt, Johannes“. In: ADB (), S. – , Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/pnd.html? anchor=adb, letzter Zugriff: . . . Nysaeus schreibt: „Hinc, ut nusquam aliàs, complures ibi praeceptores habuit, ut in Graecis Glareanum, in Hebreis Pellicanum, in Mathesi Vuissenburgium, in Philologia Sichardum“, Lactantius, Opera, Bl. b v.
24
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Theologie wurde.⁵⁴ Zivilrecht, d. h. antikes römisches Recht, studierte Birck bei dem berühmten Rechtsgelehrten Bonifacius Amerbach,⁵⁵ Theologie beim Basler Reformator Johannes Oekolampad. Letzterer erblickte in der Reformation die Chance, das Basler Gemeinwesen auf eine neue sittlich-moralische Grundlage mit der Heiligen Schrift als höchste Autorität zu stellen, was noch genauer beschrieben wird. Hebräisch studierte Birck bei dem Franziskanermönch Konrad Pellikan, der sich schon früh der Reformation anschloss und ab 1520 Nachdrucke von den Schriften des Reformators bei dem Drucker Adam Petri besorgen ließ.⁵⁶ Im Zusammenhang mit Bircks Dramatisierung alttestamentlicher Stoffe ist Pellikans Verständnis vom Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament erwähnenswert. Luthers Theologie war durch „die Gegensätzlichkeit von alttestamentlichem Gesetzes- und neutestamentlichem Erlösungsglauben“⁵⁷ geprägt; die Vorschriften des Alten Testaments betrachtete er unter dem Bund der Gnade als nicht bindend.⁵⁸ Auf die ablehnende Haltung des Erasmus zum Alten Testament wird noch in Kapitel 2.2.1 eingegangen. Dagegen sah Pellikan den Alten Bund „durch die Menschwerdung Christi nicht etwa aufgehoben, sondern bestätigt und vervollkommnet“.⁵⁹ Diese Einstellung zum Alten Testament, die signifikant von der Lutherischen abweicht, ist für die Schweizer Reformation charakteristisch und nicht unerheblich für die Beantwortung der Frage, wieso Birck ausschließlich alttestamentliche Stoffe dramatisierte. Um 1528/29 war Birck als Korrektor in den Offizinen bei Johann Froben, Andreas Cratander und Johann Bebel tätig und war zudem eng mit dem Drucker Johannes Oporinus befreundet.⁶⁰ Aufgrund ihres wissenschaftlichen Schwer-
Vgl.: http://www.unigeschichte.unibas.ch/materialien/rektoren/wolfgang-wissenburg.html, letzter Zugriff: . . . „In Theologia verò coluit Dominum Oecolampadium“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Konrad Pellikan ( – ) war in den Franziskanerorden seiner Geburtsstadt Rufach eingetreten; wurde er Lektor für Theologie im Basler Kloster des Franziskanerordens. Seine Sympathie für die Wittenberger Reformation sicherte ihm die Unterstützung des Basler Rates zu. nahm er eine Professur für Theologie an der Universität Basel an. Drei Jahre später trat er aus dem Konvent aus und nahm einen Ruf an die Prophezei in Zürich an, wo er Griechisch und Hebräisch lehrte. Auch wenn Pellikan in konfessionellen Fragen als tolerant galt, hegte er eine theologisch begründete Ablehnung gegenüber taufunwilligen Juden. Das Hauptmotiv für Pellikans Studium der hebräischen Literatur sollen polemische Absichten gewesen sein. Vgl. Walter Röll: Art. „Pellikan, Konrad“. In: VL Humanismus (), Sp. – , hier Sp. – . Christoph Zürcher: Konrad Pellikans Wirken in Zürich – (= Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte ). Zürich , S. . Vgl. McGrath, Idea, S. : „Luther, however, argued that such Old Testament regulations were not binding under the new covenant of grace.“ Zürcher, Wirken, S. . „Eo statu, cum domesticae parus essent opes, nec vacare ille assuevisset, ad Typographos, qui doctorum fuit portus, se convertit. Et Cratando quidem primo, post Frobenio, mox Bebelio quoque
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
25
punktes ähnelten sich die Verlagsprogramme von Johann Froben und Andreas Cratander stark. Beide unterhielten Beziehungen zu zeitgenössischen Gelehrten.⁶¹ Bei Froben erschien bereits im Oktober 1518 eine Gesamtausgabe der lateinischen Schriften Luthers, die von dort in ganz Europa vertrieben wurde.⁶² Erasmus von Rotterdam wohnte in Frobens Haus, wo viele seiner Werke verlegt wurden. Dies ist eine von vielen denkbaren Möglichkeiten, wie der enge Kontakt zwischen Birck und Erasmus zustande kam, der dazu führte, dass Birck im ersten Testament des Erasmus vom 22. Januar 1527 als Zeuge aufgeführt wird.⁶³ Bei Johann Bebel dürfte Birck wohl v. a. die Schriften des Reformators Johannes Oekolampads korrigiert haben, die dort zahlreich gedruckt wurden. Aufgrund seiner Tätigkeit als Korrektor bei den drei Druckern kann man annehmen, dass Birck Zugang zu einem großen Spektrum an lateinischer und griechischer Literatur hatte, die damals in der Hochburg des Humanismus erschien, v. a. zu griechischen und römischen Klassikern, den Kirchenvätern und den Schriften zeitgenössischer Gelehrter. Obwohl ihm diese Arbeit viel Freude bereitete, da er, wie Nysaeus sagt, ein βιβλιομανύς (‚Bücherwurm‘) war, gab er sie auf, als sein Sehvermögen schwächer wurde.⁶⁴ Das muss um 1529/30 gewesen sein, zu jener Zeit also, als die Reformation in Basel offiziell eingeführt wurde und als Erasmus sich gezwungen sah, seinen Wohnsitz ins altgläubige Freiburg i. Br. zu verlegen, um seine Eigenständigkeit bewahren zu können.⁶⁵
corrigendis libris adfuit“, ebd. Zur Bedeutung der Basler Druckereien als ökonomischer Faktor und für Basel als Stätte humanistischer Bildung siehe: Jenny, Humanismus, S. – . Vgl.: Josef Benzing: Die Buchdrucker des . und . Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen ). Wiesbaden , S. u. S. . Vgl. Johannes Froben und der Basler Buchdruck des . Jahrhunderts. Ausstellung im Gewerbemuseum, Basel aus Anlass der -Jahrfeier der Universität Basel; . Juni bis . Juli . Basel , S. . Erasmus von Rotterdam: Opus Epistolarum […], Bd. : – , hg. von Percy S. Allen/ Heathcote William Garrod [u. a.]. Oxonii , S. . „Neque ibi forsan destitisset, quòd natura esset βιβλιομανύς, ni visus imbecillitate, cum biennium præfuisset, cedere tandem, ne omnio cæcutiret, opus habuisset“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Vgl. Augustijn, Erasmus, Desiderius“. In: TRE (), S. – , hier S. .
26
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
2.2.1 Die Vorstellung von einem christlich-humanistisch geprägten Gemeinwesen bei Erasmus von Rotterdam Immer wieder gebrauchte Erasmus in seinem umfangreichen Œuvre den Begriff Respublica christiana. ⁶⁶ Was genau er darunter verstand bzw. wie dieses religiös definierte Gemeinwesen im Idealfall aussehen sollte, darüber geben insbesondere seine zwei Widmungen Auskunft: Zum einen seine Dedikation des griechischen Neuen Testaments an Papst Leo X.von 1516; zum anderen sein Brief an den Abt des Benediktinerstiftes Hügshofen, Paul Volz, als Vorwort zur Neuauflage des Enchiridion militis christiani aus dem Jahr 1518.⁶⁷ Im spätmittelalterlichen Verständnis des großen Humanisten meinte der Begriff Respublica christiana die als Einheit gedachte geistlich-weltliche Ordnung der einen universalen Kirche, das sichtbare Corpus Christi. ⁶⁸ Die ‚ganze Welt‘, d. h. die eine universale Kirche, stellte für ihn die äußere Erscheinungsform des Corpus Christi dar, das aus Christus als Haupt und den Gläubigen als seinen Gliedern bestand.⁶⁹ Zu dieser Kirche gehörte auch die weltliche Ordnung (hierarchia politica).⁷⁰ Die höchsten Werte innerhalb des Corpus Christi waren für Erasmus der Vorrang der göttlichen Autorität vor der menschlichen,⁷¹ der aufrichtige Glaube unter den Christen anstelle eines auf bloße Äußerlichkeiten bedachten Zeremonienwesens⁷² sowie die Eintracht (concordia) unter den Christen und die Einigkeit der Kirche.⁷³
Einen ausführlichen und gründlichen Überblick über die (spät‐)mittelalterliche Tradition des Begriffs und seinen Gebrauch im Werk des Erasmus bietet der Aufsatz von Otto Schottenloher: Erasmus und die Respublica Christiana. In: HZ (), S. – . Das Enchiridion militis christiani verfasste Erasmus bereits . Zwei Jahre später erschien es erstmals in einem Sammeldruck bei Theodor Martinus in Antwerpen, fand jedoch kaum Beachtung, ebensowenig wie die selbstständige Ausgabe von . Erst die bei Froben in Basel gedruckte Ausgabe mit der programmatischen Zusammenfassung im Vorwort verbreitete sich rasch und wurde allein bis zu Erasmus’ Tod in über fünfzig Ausgaben und Übersetzungen nachgedruckt. Vgl. EAS , S. XI. Vgl. Schottenloher, Respublica, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Im Brief an Paul Volz schreibt Erasmus: „Nec unquam peius agitur cum pietate Christiana, quam cum, quod est mundi, ad Christum detorquetur, cumque hominum auctoritas divinae praefertur“, EAS , S. . Dort schreibt Erasmus auch: „In affectibus est Christi perfectio, non in vitae genere; in animis est, non in palliis aut cibis“ („Die christliche Vollkommenheit liegt in der Regung des Herzens, nicht in der Lebensform, in den Gesinnungen, nicht in Speisen oder liturgischen Gewändern“), ebd., S. f. Vgl. Augustijn, Humanist, S. .
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
27
Dieses spirituale Corpus Christi war nach Erasmus’ Vorstellung seit der christlichen Antike aus unterschiedlichen Gründen in Verfall geraten, nicht zuletzt deshalb, weil das Gesetz Gottes immer mehr durch die Autorität der Geistlichkeit und der weltlichen Fürsten ersetzt worden war.⁷⁴ Am Zustand des Christentums seiner Zeit kritisierte Erasmus u. a. das auf Äußerlichkeiten bedachte Zeremonienwesen, das seiner Meinung nach von der Gottesfurcht ablenke.⁷⁵ Nachdem der wahre Glaube bei vielen Christen erstarrt sei, hätte vieles mit Konstitutionen, weltlicher Macht und Gewalt geregelt werden müssen.⁷⁶ Fürsten und Bischöfe strebten nach Besitz und Macht und verfügten über keinerlei Bildung.⁷⁷ Viele Christen, kritisierte Erasmus, seien wieder in die Zeit des Alten Testaments, „die Zeit und Religion der Sklaverei“⁷⁸ zurückverfallen, die eigentlich seit dem Erlösungstod Jesu Christi überwunden sein sollte. Neben den Missständen in der römischen Kirche war es der ‚Pharisäismus‘, der Erasmus ein Dorn im Auge war und mit seiner Ablehnung des Alten Testaments und des Judentums einherging.⁷⁹ Letztlich führte das dazu, dass das Gesetz Gottes durch menschliche Autorität, um nicht zu sagen durch menschliche Tyrannei, ersetzt worden war.⁸⁰ Die Türkenkriege im 16. Jahrhundert und das Versagen des christlichen Europa gegen diese ‚heidnische‘ Bedrohung waren Erasmus ein trauriger Beweis dafür, wie weit sich die Respublica christiana vom hehren Ideal der concordia entfernt hatte.⁸¹ Um die seiner Ansicht nach zu einer Hierokratie verkommene Respublica christiana wieder in ihren ursprünglichen spiritualen Zustand zurückzuführen, wollte Erasmus an einer umfassenden „restitutio der christlichen Religion“⁸² mitwirken. Das konnte seines Erachtens nur durch eine Rückkehr zu den ursprünglichen Quellen des Christentums – das Neue Testament und die Kirchenväter – und durch die Orientierung an der klassischen Antike erfolgen. Idealerweise sollte eine Theologie, die eng an der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern argumentiert, zu einer Erneuerung von Kirche und Gesellschaft beitragen.⁸³ Seine Ausgabe des griechischen Neuen Testaments von 1516 sollte dazu einen Beitrag
Vgl. Schottenloher, Respublica, S. . Vgl. Augustijn, Humanist, S. f. u. S. . Vgl. Schottenloher, Respublica, S. . Vgl. ebd., S. . Augustijn, Erasmus, S. . Vgl. Augustijn, Humanist, S. . Zu Erasmus kritischer Haltung gegenüber dem Judentum siehe das Kapitel „Erasmus und die Juden“ in: Augustijn, Humanist, S. – , und Martin H. Jung: Christen und Juden. Die Geschichte ihrer Beziehungen. Darmstadt , S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Schottenloher, Respublica, S. . Vgl. Augustijn, Erasmus, S. .
28
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
leisten. Mit diesen Maßnahmen sollten die drei verfallenen Werte des Christentums wiederbelebt werden: „die in mancher Hinsicht verfallene christliche Frömmigkeit, die teils verderbten guten Wissenschaften (optimae literae) [und] die öffentliche und dauerhafte Eintracht (concordia) in der christlichen Welt.“⁸⁴ Für die Übereinstimmung der Christen, ihre Verbundenheit im Geiste, gebrauchte Erasmus den Begriff des consensus. Der consensus war für ihn der beste Erweis für die christliche Wahrheit, da sich die Macht der Wahrheit an ihrer Wirkung zeige.⁸⁵ Er unterscheidet zwischen dem consensus menschlicher Klugheit und dem consensus des Glaubens. Der consensus des Glaubens setzt die ‚defizitäre‘ menschliche Vernunft wieder instand, die nicht zu einem ‚wahren‘ consensus fähig sei. Die Wahrheit der in der philosophia Christi gegebenen Prinzipien einer christlichen Gemeinschaft drücke sich daher in dem mit Glauben gepaarten Konsens aus, bei Erasmus in den beiden Schlagwörtern „fides et consensus“.⁸⁶ Dieser Punkt ist wichtig für die Frage, wie ein christliches Gemeinwesen, besonders aber dessen Obrigkeit zur Wahrheit im christlichen Sinne gelangen kann, um so kluge politische Entscheidungen zu treffen – eine Frage, mit der sich Birck in seinen Dramen immer wieder beschäftigte. Wie sich noch zeigen wird, verfolgte Birck mit seinen Dramen einige Ziele, die schon Erasmus formulierte: Bildung, insbesondere auch für die heranwachsende säkulare Obrigkeit, sowie Eintracht innerhalb einer christlichen Bürgerschaft. Obwohl Erasmus’ Reformbestrebungen in manchen Punkten durchaus mit den Forderungen Martin Luthers übereinstimmen, etwa die Kritik am Zeremonienwesen, überwarfen sich die beiden Gelehrten in einer ab 1524 geführten Diskussion über den freien Willen. Diese Positionen werden in Kap. 6 über die Judithdramen genauer dargestellt.
2.2.2 Johannes Oekolampads Reformation in Basel In Basel wurde die Reformation maßgeblich von dem Humanisten und Theologen Johannes Oekolampad (1482– 1531) vorangetrieben,⁸⁷ einem engen Freund Erasmus’.⁸⁸ Bereits 1515 hatte er einige Monate lang mit Erasmus von Rotterdam zusammengearbeitet, dem er bei der Herausgabe des griechischen Neuen Testa-
Schottenloher, Respublica, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. u. S. . Zu Oekolampads Leben und Werk siehe: Ulrich Gäbler: Art. „Oekolampad, Johannes ( – )“. In: TRE , S. – . Vgl. ebd., ebenso: Fudge, Reformation, S. .
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
29
ments zur Seite stand.⁸⁹ Kurze Zeit später wurde er als Prediger an den Augsburger Dom berufen, wo die Debatte um Luthers Forderungen in vollem Gange war. Auch Oekolampad kamen Zweifel an der Art der Ausführung seines Predigeramtes. 1520 zog er sich daher ins nahe gelegene Birgittenkloster Altomünster zurück, um sich in Ruhe eine Meinung zu Luthers Schriften zu bilden.⁹⁰ Noch im selben Jahr erklärte er in seiner Schrift Iudicium de Luthero, niemand lehre das Evangelium so klar wie Luther, und so schloss er sich dessen Ansichten und Forderungen an.⁹¹ Es war wohl diese intensive Beschäftigung mit Luther und dessen Obrigkeitsverständnis, die Oekolampad nach seiner Rückkehr nach Basel 1522 einen anderen Kurs einschlagen ließ als Zwingli in Zürich.⁹² Nachdem Zwingli den Zürcher Rat schon früh von seiner Sache überzeugen konnte, übernahm dieser mehr und mehr die Kontrolle über die Kirche, bis deren Eigenständigkeit de facto aufgehoben war. Diese Entwicklung führte in Zürich zur Errichtung eines Staatskirchentums, in dem der Glaube der Mehrheit zum Gesetz für die ganze Gemeinschaft wurde.⁹³ Religion und Gottesverehrung wurden so zu gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten eines jeden Bürgers.⁹⁴ Mit seiner Auffassung von einem idealen christlichen Gemeinwesen stand Oekolampad zwischen der Rigidität, mit der Zwingli in Zürich die Verbindung von geistlichen und säkularen Institutionen vorantrieb, und den radikalen Forderungen der Täufer, wonach kirchliche und weltliche Ordnung strikt voneinander getrennt sein sollten.⁹⁵ Der Basler Reformator strebte einen Kompromiss zwischen diesen beiden Modellen an: Hüter der Religion und damit der sittlich-moralischen Ordnung einer christlichen Bürgerschaft sollte der Kirchenrat sein.⁹⁶ Seine Vision war keine Trennung von Kirche und Staat, sondern eine bürgerliche Ordnung, die von der Kirche verwaltet wurde.⁹⁷ Nach Ansicht von Oekolampad fielen der Kirche andere Aufgaben und Ziele zu als dem weltlichen Regiment: „Die ‚Stadt‘, die bürgerliche Obrigkeit, müsse nämlich bestrafen, die Kirche hingegen ‚erziehen‘. Deshalb habe die weltliche Obrigkeit Strafen auszusprechen und zu vollstrecken,
Vgl. Fudge, Reformation, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. . Vgl. Kuhr, Macht, S. . Siehe dazu auch: Gäbler, Oekolampad, S. : „Dieser ekklesiologische Ansatz einer Unterscheidung von weltlichen und kirchlichen Aufgaben dürfte unter Luthers Einfluß gebildet worden sein.“ Vgl. Robert C. Walton: Zwingli′s Theocracy. Toronto , S. xiii. Vgl. ebd. Ebd., S. f. „For him religious discipline should be regulated by the community consistory“, ebd., S. . „His vision was not a church/state seperation, but rather civil order administered by the church“, ebd., S. .
30
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
während die Kirche den bußwilligen Christen mit Barmherzigkeit begegnen solle. „Die Stadt urteile zum Tode, die Kirche führe zum Leben.“⁹⁸ Aufgabe der weltlichen Herrscher sei es, die äußere Ordnung eines Gemeinwesens aufrecht zu erhalten, in dem auch Heiden, Juden und Exkommunizierte ihren Platz hätten, nicht aber in der Kirche, wo deswegen auch andere Regeln gelten müssten.“⁹⁹ Nach seiner Vorstellung sollten Laienpresbyter die Moral innerhalb der Bürgerschaft überwachen und ggf. angemessene Strafen verhängen – diese Forderung wurde allerdings vom Rat zurückgewiesen.¹⁰⁰ Oekolampad protestierte dagegen, dass kirchliche Autorität seiner Meinung nach von den Räten usurpiert wurde, da die Exkommunikation eine Angelegenheit der weltlichen Obrigkeit blieb.¹⁰¹ Gegenüber Zwingli beklagte er sich, Straftäter, die gegen das Kirchenrecht verstoßen hatten, an die weltliche Macht auszuliefern, komme einem Verrat gleich – die ‚zwei Schwerter‘ sollten seiner Ansicht nach nicht vermischt werden.¹⁰² Da das Verhältnis von säkularer und geistlicher Obrigkeit auch in den von Birck inszenierten Gemeinwesen immer wieder eine Rolle spielt – insbesondere in den Dramen Ezechias (Kap. 3.1), Joseph (Kap. 5) und in den beiden Judithdramen (Kap. 6) –, ist die Tatsache, dass diese Frage einen wesentlichen Aushandlungsprozess der Basler Reformation darstellte, nicht unerheblich für die Interpretation der politischen Aussagen in den Schauspielen. Wie auch Huldrich Zwingli verfolgte Oekolampad die Umsetzung des göttlichen Willens und der Herrschaft Gottes auf Erden nach dem Vorbild der Theokratie in Israel zur Zeit des Alten Testaments. Dies geht besonders treffend aus einer Vorrede Oekolampads zu seinem Jesaja-Kommentar hervor, der 1525 bei Andreas Cratander erschien und den er dem Rat der Stadt Basel widmete. Er beschreibt darin die nach seiner Vorstellung ideale Respublica christiana:
Gäbler, Oekolampad, S. . Ebd., S. . Vgl. ebd. Vgl. Fudge, Reformation, S. f. Vgl. ebd., S. . Die sogenannte Zwei-Schwerter-Lehre „entstand in der Frühphase des Investiturstreits durch typolog.-allegor. Exegese von Lk , “. Sie geht davon aus, dass es nach Gottes Willen zwei höchste Gewalten auf Erden gebe – eine „gladius spiritualis“ zur Bezeichnung der innerkirchlichen Straf- und Zwangsgewalt und eine „gladius materialis“, das der Papst dem Kaiser überlassen solle. Vgl. W. Goez: Art. „Zwei-Schwerter-Lehre“. In: LexMA (), Sp. f. (Zitat: Sp. ).
2.2 Im Umfeld des Basler Humanismus
31
Felices eni(m) civitates voco, quarum dominus est deus earum, in quibus praecipuus honor verbis spiritus sancti, in quibus non periclitatur libertas, quam Christus dominus noster inaestimabili sanguine suo mercatus est.¹⁰³ (Glücklich nenne ich solche Staatswesen, denen der Herr ihr Gott ist, in denen das Wort des heiligen Geistes die höchste Ehre ist, in denen die Freiheit nicht gefährdet ist, die uns Christus unser Herr mit seinem kostbaren Blute erkauft hat.¹⁰⁴)
Obgleich Oekolampad Wert auf die Unterscheidung zwischen Kirche und säkularer Obrigkeit legte, sollte die weltliche Obrigkeit im Vertrauen auf Gott handeln und nicht im Vertrauen auf weltliche Macht und das Volk nach Gottes Wohlgefallen leiten.¹⁰⁵ Eine Stadt, die von wahren Christen geleitet würde, sei gleichermaßen gegen Feinde von außen wie gegen Aufruhr im Innern gefeit. Denn wo Christi Gesetze in Kraft seien, die sich im Gebot der Liebe zusammenfassen ließen, da würde auch das Volk bereitwilliger gehorchen.¹⁰⁶ Die Art, wie Oekolampad die Reformation in Basel vorantrieb, war von hohem sittlichen Ernst geprägt. Bei der eigentlichen Durchsetzung der Reformation, die in Basel von den Zünften gefordert wurde, hielt er sich allerdings im Hintergrund. Die offizielle Einführung der Reformation forderten in Basel zuallererst die Handwerker, daneben auch einige Priester und Mönche, die sich der Reformation angeschlossen hatten.¹⁰⁷ Auf der konservativen Seite standen der Kathedralklerus und der Bischof, von dessen Einfluss sich Basel offiziell 1521 losgesagt hatte,¹⁰⁸ sowie die Mehrheit im Kleinen Rat und politisch einflussreiche, wohlhabende
Johannes Oekolampad: In Iesaiam prophetam hypomnematωn, hoc est, Commentariorum, Ioannis Oecolampadii, Libri VI. Basel: Andreas Cratander , Bl. a v. Übersetzung von Ernst Staehlin in: Ders. (Hg.): Das Buch der Basler Reformation. Zu ihrem vierhundertjährigen Jubiläum im Namen der evangelischen Kirchen von Stadt und Landschaft Basel. Basel , S. . „At nos incomparabiliter feliciorem asseveraverimus civitate(m), cui magistratus contingunt, qui non brachio humano, sed deo ipso vere fisi, plebem, ut deo placitum est, moderantur“, Oekolampad, prophetam, Bl. a v. („Aber dürfen wir nicht unvergleichlich glücklicher eine Stadt nennen, der Behörden gegeben sind, die im Vertrauen, nicht auf den Arm menschlicher Macht, sondern wirklich auf Gott selbst, das Volk nach Gottes Wohlgefallen leiten“, Staehlin, Buch, S. ). „Civitas aute(m) quam veri Christiani moderantur, (et) praesentis vitae, ac futurae promissione(m) habet : neq(ue) enim facile vel intestina seditione laborat, vel hostili perditur furore, id quod demonstratu neutiqua(m) difficile. Ubi enim Christianus principatus est, quae in uno charitatis praecepto recapitulantur, ibi (et) multo facilius, (et) promptius, alacriusq(ue), (et) sanctius obeditur, non coërcentium metu legum, nec simulato (et) involuntario servitio“, Oekolampad, prophetam, Bl. a v- a r. Siehe dazu: Guggisberg, Century, S. . Gaebler, Oekolampad, S. .
32
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Kaufleute, der Stadtadel und die Mehrheit der Universitätsprofessoren.¹⁰⁹ Die Obrigkeit von Basel versuchte lange, eine offizielle Entscheidung für oder gegen die Reformation hinauszuzögern und setzte stattdessen auf Vermittlung zwischen Altgläubigen und Evangelischen.¹¹⁰ Im Februar 1529 überschlugen sich die Ereignisse allerdings regelrecht, sodass der Rat eine Entscheidung treffen musste: Am 8. Februar 1529 konfrontierten die Zünfte den Kleinen Rat mit politischen Forderungen zur Erneuerung von Kirche und Politik.¹¹¹ Am 9. Februar 1529 brach ein Bildersturm los, bei dem alle Bilder in Basler Kirchen verbrannt oder übermalt und Kirchenausstattungen konfisziert wurden, was noch in Kap. 3.1.2 zu Bircks Ezechiasdrama genauer beschrieben wird.¹¹² Auch wenn Oekolampad die Gewalttätigkeit der Bilderstürmer ablehnte,¹¹³ begrüßte er sowohl die Entfernung der bildlichen religiösen Darstellungen aus den Basler Kirchen als auch die Einführung der Reformationsordnung am 1. April 1529.¹¹⁴ Oekolampad wurde im Zuge dieser Entwicklung nicht nur zum Antistes des Basler Münsters, sondern auch zum Superintendenten über die Geistlichen ernannt. Die Reformationsordnung von 1529 grenzte das reformatorische Kirchenwesen sowohl von der traditionellen Kirche als auch von den Täufern ab, auf die noch in Kap. 5.4 näher eingegangen wird.¹¹⁵ Zahlreiche Verordnungen wurden erlassen und es wurden neue Institutionen gegründet, mit denen die weltliche Obrigkeit in Zusammenarbeit mit den Evangelischen den hohen sittlichen Anspruch der Reformation in der Bürgerschaft durchsetzen wollte. Das prominenteste Beispiel hierfür ist das Basler Ehegericht, das die Regelungen des ehelichen Lebens in der Stadt durchsetzen sollte und das für die Interpretation der Susannadramen in Kap. 4 relevant ist.
Siehe dazu: Guggisberg, Century, S. ; ebenso: Stöcklin-Kaldewey, Schatzkammern, S. . Siehe dazu: Lee Palmer Wandel: Voracious Idols and Violent Hands. Iconoclasm in Reformation Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge , bes. S. . Eine genauere Ausführung des Zusammenhangs zwischen Ratspolitik, Bildersturm und der Einführung der Reformation in Basel bietet Kap. ... Vgl. Guggisberg, Century, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. Fudge, Reformation, S. . Auch wenn Oekolampad die Anwedung von Gewalt ablehnte, so war er doch mit den Resultaten des Bildersturms durchaus zufrieden: „Though personally opposed to the methodology employed, Oecolampadius was nonetheless thankful for the results. He asserted the wedge of the Lord had severed the difficult knot of popery. He expressed relief at the swift action and lack of bloodshed. A similar incident in Magdeburg had claimed lives“, ebd., S. . Emil Dürr (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren bis Anfang , Bd. : bis Juni . Basel , Nr. , S. ff. Vgl. Gäbler, Oekolampad, S. .
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536)
33
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536) Während der Reformation wurde die Universität Basel bis 1532 offiziell geschlossen – Lehrveranstaltungen fanden trotzdem gelegentlich statt, da Dozenten und Studenten sich weiterhin trafen.¹¹⁶ Sixt Birck trat um 1530 eine Stelle als Schulmeister an der Lateinschule St.Theodor in Kleinbasel an,¹¹⁷ die „vor der Reformation während Jahrzehnten eine bedeutende humanistische Bildungsstätte“¹¹⁸ gewesen war und die – so Beat R. Jenny – „mit dem Weggang von Sixt Birck stark in Abgang geriet.“¹¹⁹ Sie gehörte zu den drei Basler ‚Trivialschulen‘, die der Rat 1529 als „Unterbau der Universität“ bestehen ließ und deren Lehrinhalte sich an der Reformationsordnung von 1529 orientierten.¹²⁰ In dieser Funktion begann Birck auch, heilige Komödien („Comœdias sacras“) zu verfassen und vermutlich auch unter Beteiligung seiner Schüler aufzuführen („introduxit“).¹²¹ Von allen in Basel verfassten Spielen ist nur das deutsche Susannadrama dort auch im Druck erschienen; laut Titelblatt wurde es 1532 in Basel „von der jungen burgerschafft“ aufgeführt.¹²² Zur Chronologie der übrigen Dramen und ihrer Aufführungen äußert sich Nysaeus. Die Reihenfolge lautet bei ihm: Im ersten Jahr hat Birck Ezechias und Zorobabel aufgeführt („egit“), im zweiten dann Susanna, danach Joseph und Judith; diese hat er zuerst in heimischen Versen – gemeint ist die Volkssprache – verfasst, danach in lateinischen.¹²³ Die Vita von Heinrich Pantaleon stützt die Annahme, dass die Schauspiele in Basel öffentlich aufgeführt wurden: „In primis verò in Poësie exercitatus varias Comoedias, de Iuditha, Susanna, Iosepho, (et) alias huiusmodi scripsit, (et) Basileae publicè egit.“¹²⁴ Der Gebrauch des Verbs agere im Zusammenhang mit den Dramen weist auf eine Inszenierung der Schauspiele auf der
Vgl. Jenny, Humanismus, S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . „Nam et summa fide docuit, et Comœdias sacras primus, nisi fallor, scripsit atque introduxit“, Lactantius, Opera, Bl. b v. Laut Georges lässt sich ,introducere‘ mit ‚in der Rede vorführen‘, ‚den Satz vorführen, aufstellen, erklären‘ übersetzen, was stark auf eine Aufführung der Stücke, vermutlich unter Einbeziehung der Schüler Bircks, hindeutet. Karl Ernst Georges: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch. Aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel, Bd. [Nachdruck Darmstadt ], Sp. f. Vgl. Kap. , Anm. . „Primo anno egit Ezechiam et Zorobabelem, altero mox Susannam, post Iosephum et Iuditham: quas et partio versu primùm scripsit, post Latinas fecit“, Lactantius, Opera, Bl. b v. Pantaleon, Prosopographiae, S. [Hervorhebung: JP].
34
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Bühne hin, da es in der Antike gelegentlich in Verbindung mit ‚in scaena‘ für Darbietungen von Reden oder Liedern auf der Bühne gebraucht wurde.¹²⁵ Nach Angabe von Nysaeus wurde Bircks Begabung, heilige Geschichten („historias […] sacras“) auf die Bühne zu bringen, in Basel mit Beifall bedacht.¹²⁶ Sie dürften auch ein Argument dafür gewesen sein, dass Birck zum Rektor des Basler Pädagogiums ernannt wurde, das im ehemaligen Dominikanerkloster eingerichtet worden war, was ihm nach Angabe von Nysaeus Neid einbrachte und Intrigen bescherte.¹²⁷
2.3.1 Politisch-moralisches Theater in Basel vor und nach der Reformation Vor der Reformation hatte es in Basel wie auch in vielen anderen eidgenössischen Städten eine lebendige Theatertradition, insbesondere eine lebendige Fastnachtspieltradition gegeben. Um zu berücksichtigen, was ein Basler Publikum von den Bibeldramen Sixt Bircks erwartete, die vermutlich nach Einführung der Reformation in Basel aufgeführt wurden, sollen die Merkmale der vorreformatorischen Bühne in Basel hier knapp dargestellt werden. Auch scheint die 1533 in Basel aufgeführte Lucretia von Heinrich Bullinger – dessen Spielleiter unbekannt geblieben ist – Einfluss auf die dramatischen und dramaturgischen Techniken von Bircks Bibeladaptationen gehabt zu haben, wie die chronologisch angeordneten Drameninterpretationen noch zeigen werden. Daher sollen die Schauspieltechniken der Lucretia, die Emidio Campi in einem Aufsatz herausgearbeitet hat, ebenfalls zusammengefasst werden.¹²⁸ Die für Basler und andere Schweizer Städte charakteristische Tradition der politisch geprägten Fastnachtsspiele mit einer „ernsthaft-moralische[n] Ten-
Vgl. TLL (), Sp. : „in scaena (translate: in vita) vel certe oratione per gestum et modulationem amplificata: […] agere … significat … verbis indicare… quin etiam, si accessit gestus et vultus quidam décor, ut cum scaenici agere dicuntur. […] personas (proprie in scaena et in actionibus oratorum et declamatorum, translate in vita; significat verbis et gestibus facere ea, quae alicuius personae sunt […]“. „Eo verò pacto non historias modò sacras, sed et suas dotes in theatri plausum introduxit, seque mire suis cunctis approbavit“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b r. „Fit igitur Rector eius pædagogii, idque rursus sane magno cum emolumento, sed nonnulla tamen simul cum invidia. Nam et crescere videbatur, et severus erat custos disciplinæ“, ebd. Emidio Campi: Brutus Tigurinus. Aspekte des politischen und theologischen Denkens des jungen Bullinger. In: Geschichten und ihre Geschichte, hg. von Therese Fuhrer/Kaspar Howald. Basel , S. – .
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536)
35
denz“¹²⁹, die teilweise schon „mit aggressiv kämpferischem Gestus für die Reformation eintraten“¹³⁰, kam in Basel spätestens 1524 zum Erliegen. Anders als z. B. in Nürnberg war die Trägerschaft dieser Spiele in Basel und in anderen Städten der Eidgenossenschaft nicht auf den Handwerkerstand begrenzt, sondern auch das Patriziat und die gebildeten Schichten beteiligten sich daran.¹³¹ 1517 wurde Der Nollhart ¹³² des Basler Fastnachtspieldichters Pamphilus Gengenbach
Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne: Geschichte des europäischen Theaters, Bd. . Stuttgart , S. . Der bekannteste Vertreter dieser Gattung war der Berner Ratsherr Niklas Manuel (um – ). In seinen zur Fastnacht aufgeführten Stücken Vom Bapst und seiner priesterschafft, Unterscheid zwischen dem Bapst und Christum (beide ) und Der aplaß kremer () sparte Manuel nicht mit derb inszenierter Kritik am Klerus. Ebenfalls in Bern wirkte der Gerichtsschreiber Hans von Rüte, der in den er und er Jahren ähnlich wie Birck Bibeldramen nach der Vorlage alttestamentlicher Stoffe verfasste und aufführen ließ, darunter auch ein Josephsdrama (gedr. ). Siehe dazu: Glenn Ehrstine: Theater, culture, and community in Reformation Bern, – (= Studies in medieval and Reformation thought ). Leiden [u. a.] , und ders.: Performing the Protestant Reformation. In: Medieval Drama. Critical concepts in literary and cultural studies, hg. von John C. Coldewey. London , S. – ; ebenso: Cäsar Menz/Hugo Wagner (Hgg.): Niklaus Manuel Deutsch. Maler, Dichter, Staatsmann. Bern . Zur didaktischpolitischen Ausrichtung der Luzerner Fastnachtspiele als Beispiel für eine Stadt in der Schweiz, die am alten Glauben festhielt, siehe: Heidy Greco-Kaufmann: Inszenierte Politik? Versuch einer Verortung der Luzerner Fastnachtspiele im Kontext theatraler Aktivitäten in der frühneuzeitlichen Stadt. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, hg. von Klaus Ridder. Tübingen , S. – u. dies.: Vor rechten lütten ist guot schimpfen. Der Luzerner Marcolfus und das Schweizer Fastnachtspiel des . Jahrhunderts (= Deutsche Literatur von den Anfängen bis Bd. ). Bern [u. a.] . Vgl. Brauneck, Welt, S. . Pamphilus Gengenbach: Der Nollhart. Disz sind die prophetien sancti Methodij vnd Nollhardi. welche von wort z wort nach jnhalt der matery vnd anzeigu(n)g der figure(n) sind gespilt worden jm. xvc. vnd. xvij. Jor/ vff der herren fastnacht von ettlichen ersamen vnd geschickte(n) Burgeren einer loblichen stat Basel. Basel: Pamphilus Gengenbach . In dem revueartigen Fastnachtspiel beklagt der geistliche Bruder Nollhart, der mit seiner Kenntnis von der Astronomie schon vielen weltlichen Herrschern bis hin zum Kaiser die Zukunft vorhergesagt hat, den allgemeinen Sittenverfall unter allen Ständen. Im Laufe des Stückes kommen nacheinander der Papst, der Kaiser, der König von Frankreich, der Bischof von Mentz, der Pfalzgraf, ein Venezianer, ein Türke, ein Eidgenosse, ein Landsknecht und ein Jude zum Bruder Nollhart, zur Hl. Birgitta von Schweden und zu Method, um ihren Rat einzuholen. Dem Papst gegenüber beklagt der Bruder Missstände in der römischen Kirche. Dem König, Bischof und Pfalzgrafen sagt er eine düstere Zukunft voraus. Er hält sie an, zu Gott zu beten und der weltlichen Obrigkeit zu gehorchen, da Widerstand gegen die Obrigkeit als Todsünde zu betrachten sei. Dem Türken prophezeit er, er werde als siebenköpfige Bestie aus dem Meer steigen und zur Plage der Christenheit werden,wie in der Offenbarung des Johannes angekündigt. Den Eidgenossen warnt der Bruder, die Laster stellten die größte Gefahr für sein Gemeinwesen dar. Dem Juden entgegnet der Nollhart auf die Frage, wann denn der „Entcrist“ (V. ) kommen werde: „O wie ein schnder jud du bist / Weist nit das
36
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
aufgeführt, zwischen 1520 und 1524 sein Fastnachtspiel Die Gouchmatt¹³³, in dem die Unzucht der Basler Bürgerschaft angeprangert wird.¹³⁴ Um 1523/24 wurden drei antike lateinische Komödien inszeniert: Andria und Eunuchus von Terenz und Curculio von Plautus. Diese Aufführungen antiker Klassiker könnte Birck noch als Student miterlebt haben. Die einzige Aufführung eines Fastnachtspiels aus der eidgenössischen Theatertradition, die Birck in Basel noch selbst miterlebt haben könnte, ist die Gouchmatt von Pamphilus Gengenbach. Man kann Silvia Serena Tschopp daher nur zustimmen, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, „[d]er für so gut wie alle Dramen Bircks konstitutive ‚Republikanismus‘ erweis[e] sich dann […] nicht so sehr als Indikator für den in der Forschung bisweilen postulierten Einfluss der eidgenössischen Theatertradition“.¹³⁵ Tschopp führt den Republikanismus in Bircks Dramen stattdessen auf Martin Luthers und Philipp Melanchthons „Auffassung des Schuldramas als eines wirkungsmächtigen Instruments bürgerlicher Sozialisation“¹³⁶ und auf die Reformation in Augsburg zurück.¹³⁷ An die Tradition des Fastnachtspiels knüpfte wohl erst wieder Birck 1530/31 mit seiner Aufführung von Ezechias und Zorobabel an. 1532 führte auch der Schulmeister Johannes Kolroß sein Spil von Fünfferley Betrachtnussen in Basel auf.¹³⁸ Kolroß greift in diesem Jedermannspiel auch das neutestamentliche er lengst kom(m)en ist“ (V. f.). Zit. nach der modernen Textausgabe: Pamphilus Gengenbach: Der Nollhart. Genauer Abdruck des Textes von mit den Holzschnitten des Originals, bearb. v. Violanta Uffer (= Schweizer Texte ). Bern [u. a.] . Pamphilus Gengenbach: Die Gouchmatt. Ein schn kurtzweilig vnnd nutzlich Faßnachtspiel, gedicht zu ehren dem Ehestand, wider die snd des Ehebruchs, vnd Unkeuscheit. Etwan gespielt von etlichen Ehrsamen Burgern einer lblichen Statt Basel. Straßburg: Christian Müller d. J. (Erben) . Das Fastnachtspiel beklagt den Verfall der Sitten, insbesondere die zahlreichen vorund außerehelichen Verhältnisse in Basel. Durch das Laster der Unkeuschheit seien die Tugend und die Gesundheit der Bürgerschaft gefährdet. Die ‚Gouchmatt‘ ist die ‚Kuckuckswiese‘, da der Kuckuck als Buhler unter den Vögeln galt (vgl. Thomke, Spiele, S. ). Die Liebesgöttin Venus feiert dort mit ihren Begleiterinnen Circe und Palaestra, die Gengenbach in humanistischer Manier aus den Dichtungen Homers und Lukians entnommen hat, ein ausschweifendes Fest, an dem u. a. ein Jüngling, ein Ehemann, ein Krieger, ein gelehrter Arzt und Astrologe, ein alter Tor und ein Bauer teilnehmen (vgl. Thomke, Spiele, S. f.). Das Stück endet damit, dass der Bauer von seiner Ehefrau abgeholt wird und als ‚Gauch‘ bloßgestellt wird. Der Hofmeister der Venus ermahnt alle Zuschauer, sich vom Ehebruch fernzuhalten (vgl. Thomke, Spiele, S. ). Levinger, Schultheater, S. . Tschopp, Schultheater, S. . Ebd. Siehe dazu: ebd. Johannes Kolroß: Eyn schn spil von Fünfferley betrachtnussen den menschen zr Bss reytzende/ durch Joanne(s) Kolroßen/ vß der heyligen geschrifft gezogen. Basel: Thomas Wolff .
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536)
37
Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11– 32) auf, das häufig von evangelischen Bibeldramatikern adaptiert und als „Beleg für die alleinige Heilswirkung des Glaubens (sola fide) [sowie] als Prinzip der Rechtfertigung“ angeführt wurde.¹³⁹ In humanistischer Tradition fügte Kolroß wie auch Birck mehrere Chorgesänge in sapphischen Odenstrophen zur Szeneneinteilung ein.
2.3.2 Die Aufführung von Heinrich Bullingers ‚Lucretia‘ 1533 in Basel Ein weiteres Stück, das in den Jahren nach der Einführung der Reformation, genauer: am 2. März 1533, in Basel aufgeführt wurde, ist die Lucretia Heinrich Bullingers.¹⁴⁰ Der antike Stoff von der Vergewaltigung Lucretias und ihrem anschließenden Selbstmord gehört zum Gründungsmythos der römischen Republik nach der Vertreibung des tyrannischen Königsgeschlechts der Tarquinier und wurde erstmals von Titus Livius im ersten Buch Ab urbe condita (Kap. 58 – 60) dargestellt.¹⁴¹ Die Aufführung des Stückes in Basel wurde in der Forschungsliteratur mehrmals Sixt Birck zugeschrieben, ohne dass je ein Beleg für diese Annahme
Washof, Bibel, S. . Heinrich Bullinger: Ein schn Spil von der geschicht der Edlen Rmerin Lucretiae/ vnnd wie der Tyrannisch künig Tarquinius Superbus von Rhom vertriben/ vnd sunderlich von der standhafftigkeyt Iunij Bruti/ des Ersten Consuls z Rhom / vff Sontag den andern tag Mertzens / jm jar/ z Basel gehallten. Getruckt z Basel/ by Thoman Wolff. Anno M. CCCCC. XXXIII. In: Heinrich Bullinger/Hans Sachs: Lucretia-Dramen, hg. von Horst Hartmann. Leipzig , S. – . In seiner Prosavorrede Zum Lßer benennt Bullinger selbst die Quellen, die ihm für sein Drama als Vorlage dienten: Das vierte und fünfte Buch der römischen Geschichte des Dionysius von Halikarnassos sowie die ersten beiden Bücher Ab urbe condita (vgl. ebd., S. , V. – ), in denen Titus Livius die Vertreibung des tyrannischen Königs Tarquinius Superbus aus Rom um v. Chr. durch Lucius Iunius Brutus beschreibt, nachdem die keusche Lucretia vom Königssohn Sextus Tarquinius vergewaltigt worden war und Selbstmord begangen hatte. Nachdem die Tyrannenherrschaft des Monarchen beendet und die römische Republik ausgerufen war,wurden laut Angaben der beiden römischen Historiker Lucretias Witwer, Lucius Tarquinius Collatinus, und Brutus zu Konsuln gewählt. Unterstützt vom Patriziat und dem Etruskerkönig Porsenna ließen die aus Rom vertriebenen Tarquinier aber nicht davon ab, die Macht zurückzuerobern. An einer Verschwörung gegen die neue republikanische Obrigkeit waren sogar die beiden Söhne des Brutus beteiligt. Als die Verschwörung aufflog, griff Brutus rigoros durch und ließ seine eigenen Söhne zum Schutz der Republik hinrichten. Vgl. Campi, Aspekte, S. .
38
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
erbracht wurde.¹⁴² Bullinger verfasste die erste deutschsprachige Dramenadaptation eines antiken Stoffes während seiner Jahre als Lehrer am Zisterzienserkloster Kappel zwischen 1523 und 1528.¹⁴³ In einem Brief des Druckers Johannes Oporinus vom 11. Februar 1533 schrieb dieser an Bullinger, der bereits die Nachfolge Zwinglis in Zürich angetreten hatte, das Manuskript der Lucretia sei aus seiner Werkstatt entwendet worden und die Diebe hätten bereits angekündigt, das Stück öffentlich aufzuführen.¹⁴⁴ Im Namen der Druckergemeinschaft entschuldigte sich Oporinus für den Vorfall.¹⁴⁵ Tatsächlich erschien das Lucretiadrama ebenfalls am 11. Februar 1533 beim Basler Drucker Thomas Wolff, wo im Jahr zuvor auch Bircks Susanna und Kolroß’ Spil von Fünfferley Betrachtnussen gedruckt wurden.¹⁴⁶ Helene Levinger argumentiert, dass Birck sich von Bullingers Lucretia inspirieren ließ, seine volkssprachliche Susanna ebenfalls auf einer Bühne darzustellen, bei der zwei durch eine Straße oder einen Korridor verbundene Schauplätze nebeneinander zu sehen sind, die sich durch ihren rückwärtigen Abschluss von der mittelalterlichen Bühne des Geistlichen Spiels unterscheidet.¹⁴⁷ Levinger behauptet, Birck müsse Bullingers Drama schon um 1531/32 intensiv studiert haben, um die Bühnenform auf seine 1532 gedruckte Susanna übertragen zu können. Die Möglichkeit, Birck könnte die zweigeteilte Bühnenform von den antiken Komödiendichtern Terenz und Plautus übernommen haben, wird bei Levinger nicht berücksichtigt.¹⁴⁸ Da das Stück spätestens 1528 verfasst wurde, und
Erstmals schrieb L. August Burckhardt, Sixt Birck habe die Lucretia in Basel „auf die Bühne gebracht“, L. August Burckhardt: Geschichte der dramatischen Kunst zu Basel. Basel , S. . Obwohl Helene Levinger gegen diese Annahme argumentiert hat, die keinesfalls erwiesen ist, nahm Erich Kleinschmidt an, Birck habe die Aufführung in Basel geleitet, ohne dies zu belegen: Kleinschmidt, Stadt, S. ; ebenso: Walz, Literatur, S. . Walz gibt außerdem an, Birck habe den Dramentext ediert,verweist jedoch auf keine Quelle, die das belegen würde (ebd.). Vgl. Levinger, Schultheater, S. . Zur Biographie Heinrich Bullingers siehe: Peter Opitz: Art. „Bullinger, Heinrich“. In: VL , Sp. – , hier Sp. . Fritz Büsser: Art. „Bullinger, Heinrich“. In: TRE (), S. – , bes. S. – . „Me enim et nesciente et invito etiam transcriptum exemplar rapuerunt ex nostris hominibus quidam et agere publice instituerunt“, HBW II , Nr. , S. – , hier S. . „Praeterea excusatos nos apud te voluimus“, ebd. [Heinrich Bullinger]: Ein schn Spil von der geschicht der Edlen Rmerin Lucretiae/ vnnd wie der Tyrannisch künig Tarquinius Superbus von Rhom vertriben/ vnd sunderlich von der standhafftigkeyt Iunij Bruti/ des Ersten Consuls z Rhom / vff Sontag den andern tag Mertzens / jm jar/ z Basel gehallten. Basel: Thomas Wolff . Vgl. Levinger, Schultheater, S. . Die typische Bühnenform bei Terenz könnte Bircks ebenfalls inspiriert haben: „Die Bühne (scaena), von der – wenn nicht anders angegeben – stets anzunehmen ist, daß sie eine Straßenszene in Athen darstellen soll, nahm eine rechtwinklige Grundfläche ein; auf der (schmaleren)
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536)
39
sich seit 1531 in den Händen Oporinus’ befunden hatte,¹⁴⁹ mit dem Birck eng befreundet war, ist es denkbar, dass er auf diesem Weg Zugang zu dem Manuskript bekommen haben könnte. Dass Birck die zweigeteilte Bühnenform auf seine eigenen Dramen übertrug, ist für Levinger aber noch kein Beleg dafür, dass Birck der Dieb und spätere Spielleiter der Lucretia gewesen sein muss: In ihren Augen spricht die Freundschaft zwischen Birck und Oporinus, die noch mindestens bis Ende der 1540er Jahre fortbestand, dagegen, dass er das Manuskript aus der Werkstatt entwendet habe.¹⁵⁰ Die Option, dass Birck die zweigeteilte Bühnenform eigenständig für seine Susanna entwickelte und dann als Spielleiter auf Bullingers Schauspiel übertrug, ist weniger plausibel, da diese Bühnenform bereits im Dramentext angelegt ist. Denkbar ist allerdings, dass Oporinus den Dieb oder – wie er selbst schreibt – die Diebe doch kannte und ihnen dabei half, die Aufführung des Stückes in Basel zu realisieren, da Bullinger einer Aufführung möglicherweise abgeneigt war. Dieser Überlegung liegt die Annahme zugrunde, dass die Zahl der Personen, die eine solche Dramenaufführung überhaupt umsetzen konnten, überschaubar und die soziale Kontrolle einer Stadt wie Basel im 16. Jahrhundert sehr hoch war. Es ist daher schwer vorstellbar, dass Oporinus nicht wusste, wer hinter dem ungenehmigten Druck und der Aufführung steckte. Auch wenn aufgrund mangelnder Hinweise in den historischen Quellen wohl kaum eindeutig bewiesen werden kann, ob Sixt Birck das Schauspiel auf die Bühne brachte oder möglicherweise sein Schulmeisterkollege Johannes Kolroß, so zeigt ein Vergleich der Dramentechniken zur Vermittlung didaktischer Ziele und der politisch-theologischen Bearbeitungstendezen des antiken Stoffes, dass Birck noch deutlich mehr von Bullinger übernahm als nur die Bühnenform. Mit seiner Dramatisierung des Lucretiastoffes überträgt Bullinger den Gründungsmythos der res publica romana auf die Stadt Zürich kurz nach der Reformation, wie Emidio Campi und Erich Kleinschmidt gezeigt haben.¹⁵¹ In seinem linken und rechten Seite befanden sich Abgänge, die – in der Mehrzahl der Fälle – die Figuren nach griechischem Vorbild zum Hafen und zum Forum führen sollten. Den rückwärtigen Abschluß der scaena bildete die scaenae frons, eine prunkvoll ausgeschmückte Häuserfront. Diese wies zwei oder drei Haustüren auf, zwischen denen sich angedeutete Säulengänge befanden (die etwa für Lauscherszenen genutzt werden konnten). Auf der Bühne konnten sich weitere Aufbauten befinden, etwa ein Altar o. ä.“, Peter Kruschwitz: Terenz. Hildesheim , S. f. Vgl. HBW II , Nr. , S. . Vgl. Levinger, Schultheater, S. . Campi weist darauf hin, dass der antike Lucretia-Stoff bereits vor der Reformation auf die zeitgenössischen Umstände in der Schweiz übertragen wurde. So wurde der Stoff bereits zu Beginn des . Jahrhunderts im anonymen Urner Spiel von Wilhelm Tell dramatisch umgesetzt und auf die „Befreiungssage der Urschweiz“ übertragen (Campi, Aspekte, S. ). Auch Heinrich Glarean, bei
40
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
Aufsatz zu Bullingers Lucretia hat Campi beschrieben, wie Bullinger mit seiner Dramatisierung eine „Umstilisierung“ und Aktualisierung des antiken Stoffes vornimmt, sodass „das Drama aktuelle politische sowie religiöse Problemsituationen und deren Bewältigungsmöglichkeiten in antikem Gewande vermittelt“.¹⁵² Die Leitfrage bei der Transformation des Stoffes in ein Drama war, wie Bullinger selbst schreibt: „wie man die erobert fryheit behalten mg wider alle Tyranny und Oligarchi […] vnd das würt erlernet vß der ordnung Bruti“.¹⁵³ Dazu gehört auch, die Bürgerschaft dazu zu bewegen, „ihren Staat zu festigen und gegen innere und äussere Feinde zu verteidigen.“¹⁵⁴ Entsprechend legt Bullinger den Schwerpunkt auch nicht auf Lucretia als Vorbild für weibliche Keuschheit und Sittlichkeit, sondern auf „die Erkämpfung der Freiheit im Geist patriotischer Tugend“.¹⁵⁵ So umging Bullinger in seinem Drama auch die Inszenierung einer Vergewaltigung auf der Bühne und fügte stattdessen eine selbst erdachte Gerichtsszene ein, in der ein armer Bauer vom tyrannischen König Tarquinius Superbus und seinem Sohn Sextus um sein Recht gebracht wird.¹⁵⁶ Dieser eigenmächtige Einschub Bullingers inszeniert nach Ansicht Campis die Anlässe für die Bauernunruhen in der Landschaft Zürich vom Frühjahr und Sommer 1525, in denen die Bauern u. a. die Abschaffung der Leibeigenschaft und des ‚kleinen Zehnten‘ forderten.¹⁵⁷ Symbolisch würde an dem Bauern im Drama also vorgeführt, „wie ein gewissenloses Regiment das Volk vergewaltigt und seine willkürliche und brutale Gewalt die Vertreibung der Tyrannen auslöst“¹⁵⁸, so Campis Interpretation der von Bullinger frei erdachten Szene. Das Publikum wird dazu aufgefordert, sich mit dem römischen Volk kurz nach der Vertreibung der Tyrannen und nach der Gründung der Republik zu identifizieren, wenn Brutus in der Dramenhandlung am Ende des ersten Aktes neben Lucretias Leiche auf dem Marktplatz steht und das Volk dazu aufruft, „die Tyrannen zu vertreiben und selber die Verantwortung für das Land zu übernehmen. Mit der Einladung an die Stadtbürger, sich an der Gestaltung der Neuordnung zu beteiligen, schließt der erste Akt.“¹⁵⁹ Das städtische Publikum von Zürich wird dem Sixt Birck Griechisch studierte, sah in Wilhelm Tell den „einheimischen Brutus“, wie aus seiner Descriptio Helvetiae hervorgeht (vgl. Campi, Aspekte, S. ). Siehe auch: Kleinschmidt, Stadt, S. f. Campi, Aspekte, S. . Bullinger, Spil (Ausgabe Hartmann), S. f. Campi, Aspekte, S. . Ebd., S. . Bullinger, Spil (Ausgabe Hartmann), S. – . Vgl. Campi, Aspekte, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
2.3 Die Basler Jahre nach der Reformation (1530 – 1536)
41
somit angesprochen, als sei es das römische Volk. Mit dieser Technik wird es in die Handlung miteinbezogen und dazu aufgerufen, zu den Zielen der Dramenfiguren beizutragen, die ihre Entsprechung in den zeitgenössischen politischen Verhältnissen der Stadt Zürich bzw. Basel hatten.¹⁶⁰ Im zweiten Akt ermahnt ein Herold die römischen – und damit implizit auch die Zürcher – Ratsleute, immer gerecht zu bleiben, anschließend verkündet der ‚Schryber‘ Absatz für Absatz die Verfassung der neugegründeten Republik:¹⁶¹ An ihrer Spitze sollen zwei im Turnus amtierende ‚Consules oder Burgermeyster‘ stehen, welche dem Rat, der aus Vertretern der Zünfte zu wählen ist, Rechenschaft schulden; der Rat seinerseits hat über Fragen von grosser politischer Tragweite gemeinsam mit den ‚Burgern‘ zu entscheiden.¹⁶²
Letzteres soll die Eintracht innerhalb der Bürgerschaft sicherstellen und spielt wohl auf die Volksbefragungen an, die in Zürich „in den ersten Jahren der Reformation vom Rat durchgeführt wurden, um sich eines breiten Rückhalts beim Volk zu versichern.“¹⁶³ Unverkennbar wird hier die neue Konstitution für das reformierte Zürich verkündet, da es im antiken Rom weder Zünfte noch Bürgermeister gab. Auch Campi deutet die Stelle im Drama so: „Bullinger entwickel[e] ganz klar das Ideal eines ‚demokratisch‘ regierten Staates, das auf den Grundsätzen der römischen republikanischen Verfassung beruht, aber eindeutig die politische und soziale Ordnung Zürichs zur Reformationszeit widerspiegelt.“¹⁶⁴ Die Parallelen zwischen der Stadt Rom bei der Gründung der Republik und Zürich nach der Einführung der neuen Reformationsordnung ziehen sich somit wie ein Leitmotiv durch die gesamte Dramenhandlung. Eine weitere Technik zur Vermittlung der Ziele des Dramas ist die Stilisierung der Figuren zu positiven und negativen Exempelfiguren. Während Brutus das nachahmenswerte Beispiel eines gerechten Konsuls verkörpert, sind „die lautesten Schreier
Dieser Aufruf an ein Publikum, sich mit einer Menschenmenge innerhalb der Dramenhandlung zu identifizieren, findet sich auch in anderen spätmittelalterlichen Theaterspielen. Klaus Wolf beschreibt diese Technik bei seiner Analyse des Augsburger Georgspiels: „Der heilige Georg wird dann zum eindringlichen Katecheheten, der die Sakramente den Laien auf Deutsch erläutert. An anderer Stelle lehrt er die Heiden der Stadt das Glaubensbekenntnis in der Volkssprache. Das städtische Publikum des Drachentöters Georg und das in Augsburg tatsächlich vorhandene stadtbürgerliche Publikum (geht man von einer entsprechenden Aufführung aus) verschmelzen hier“, Wolf, Theater, S. f. Campi, Aspekte, S. . Ebd. Campi, Aspekte, S. . Ebd.
42
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
[…] die Söhne des Brutus, Titus und Tiberius, die, in Luxus und Müßiggang aufgewachsen, die Republik verfluchen.“¹⁶⁵ Den Zuschauern sollte so anhand überzeichneter Figureneigenschaften tugendhaftes und abschreckendes Verhalten vermittelt werden. Etwas anders funktioniert die Technik der Exempla bei den zwei Figuren Brutus und Collatinus, von denen letzterer wegen seines Verstoßes gegen das Pensionsverbot hingerichtet wird.¹⁶⁶ Die beiden ‚Consuln‘ verkörpern exemplarisch „zwei entgegengesetzte Obrigkeitsmodelle“¹⁶⁷, wobei der eine überspitzt das erstrebenswerte Modell des idealen Magistrats verkörpert, der andere wiederum das abzulehnende. Der Unterschied zum ersten Beispiel von Titus und Tiberius ist, dass sich die Exempla nicht auf den Charakter und die Tugend einzelner Dramenfiguren beziehen, sondern modellhaft unterschiedliche Typen eines bestimmten Amtes in der Obrigkeit darstellen. Durch diese dramatischen Verfahren gelinge es Bullinger, „die Zuschauer für seinen Standpunkt zu gewinnen, gegnerische Meinungen zu entlarven und abzuwehren.“¹⁶⁸ Die politischen Ziele des Lucretiadramas Heinrich Bullingers für ein ideales christlich-reformiertes Gemeinwesen lassen sich damit folgendermaßen auf den Punkt bringen: Eintracht innerhalb der Bürgerschaft, ihre Freiheit und damit Wehrhaftigkeit gegen innere und äußere Feinde. Konkret spricht sich Bullinger damit gegen das Reislauf- und Pensionenwesen aus, was die Bindung an fremde Herren zur Folge habe und was den politischen Hauptanliegen Hulrich Zwinglis entsprach.¹⁶⁹ Mit Blick auf den historisch-politischen Kontext der Reformation in Zürich kommt Campi somit zu dem Schluss: Bullingers Theaterstücke widerspiegeln einerseits diese Ereignisse ziemlich genau bis hin zu Einzelheiten und zeigen andererseits fast überall Aktualisierungsbemühungen im Sinne eines aktiven, konzeptionell geplanten Eingreifens in die sozialen und politischen Tagesfragen.¹⁷⁰
Die theologischen Ziele des jungen Bullinger, die in seinem Drama und in seinen programmatischen Schriften erkennbar sind, fasst Campi folgendermaßen zusammen: Als roter Faden zieht sich der Gedanke durch Bullingers Frühwerk, die von Gott geforderte Gerechtigkeit müsse im politischen Gemeinwesen ihre Erfül Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Dieses Motiv scheint auf den Fall des Zürcher Ratsherrn Jakob Grebel anzuspielen, der als Pensionenherr das verbotene Söldnerwesen unterstützt hatte und zur Strafe am Fischmarkt enthauptet wurde. Siehe dazu: ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. .
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554)
43
lung finden.¹⁷¹ Die Obrigkeit sei von Gott als „zweckmäßiges Organ der göttlichen Vorsehung“¹⁷² eingesetzt. Was die Frage nach dem Verhältnis von weltlicher und geistlicher Obrigkeit betrifft, die, wie bereits dargestellt, einen wesentlichen Unterschied zwischen der Basler und der Zürcher Reformation ausmachte, kommt Campi zu dem Schluss, eine nach christlich-reformierten Maßstäben handelnde weltliche Obrigkeit mache bei Bullinger eine „autonome Kirchenordnung“ überflüssig.¹⁷³ Die säkulare Obrigkeit sei nicht an die Weisungen der geistlichen Obrigkeit gebunden, sondern habe ihr Amt selbstständig, in voller Verantwortung vor Gott, auszuüben.¹⁷⁴ Die Magistraten seien daher „Diener Gottes“, wie Bullinger mit Verweis auf Röm 13 in seiner Schrift Eine freundschaftliche und ernste Ermahnung der Eidgenossen (1523) betonte.¹⁷⁵ Aus der Überzeugung, dass die Obrigkeit göttlichen Ursprungs sei, folgere Bullinger, „dass das ihr anvertraute Volk zum Gehorsam verpflichtet ist.“¹⁷⁶ Eine vom Rechtssinn erfüllte christliche Bürgerschaft sei lediglich dazu befugt, „Widerstand gegen die ungerechte Gewalt zu leisten.“¹⁷⁷ Die Ziele des Dramas stimmen somit mit den politisch-theologischen Zielen der Obrigkeit von Zürich überein. Diese Konvergenz sowie die Verwendung des „bekannte[n] historische[n] Material[s] zur Durchleuchtung der konkreten Situation der Reformation in den Krisenjahren 1525 – 1526“¹⁷⁸ unmittelbar nach der offiziellen Einführung der Reformation in Zürich, seien hier als weitere konstitutive Merkmale von Bullingers Lucretia genannt, die – das werden die nachfolgenden Kapitel zeigen – auch auf Bircks in Basel entstandene Dramen zutreffen.
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554) 1536 wurde Sixt Birck an der Universität Basel zum Magister der Philosophie und der Künste promoviert.¹⁷⁹ Kurz darauf erhielt er zeitgleich Rufe aus Tübingen und Augsburg und entschied sich zur Rückkehr in seine Heimat. In der Fuggerstadt
Vgl. ebd., S. . Ebd. Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd. Ebd. „Ibi cum prima artiu(m) fundamenta feliciter iecisset, sese ad academiam Basiliensem contulit, et ibidem artibus (et) linguis operam dedit. In iis etiam adeò profeit, ut omnium aclamatione artiu(m) et philosophiae Magister crearetur“, Pantaleon, Prosopographiae, S. . Siehe auch: Levinger, Schultheater, S. .
44
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
übernahm er die Leitung des 1531 gegründeten humanistisch-reformierten Gymnasiums St. Anna.¹⁸⁰ Birck übersetzte hier zwei seiner in Basel entstandenen Dramen – Susanna und Judith – ins Lateinische und wandte sich damit der Gattung des Schultheaters zu. Damit auch für diese Selbstübersetzungen Sixt Bircks die Frage beantwortet werden kann, zu welchen politischen Belangen die Dramen Stellung nahmen und wie Eingriffe in das Modell einer christlichen Republik begründet werden können, soll hier auch auf die politische Situation der Stadt Augsburg eingegangen werden. Als Ort für Reichstage, auf denen entscheidende konfessionelle Weichenstellungen beschlossen wurden, war Augsburg zu dieser Zeit ein bedeutender Schauplatz der Reformation.¹⁸¹ Verglichen mit dem politischen Selbstverständnis der eidgenössischen Stadt Basel unterschied sich Augsburg v. a. durch die immer wieder spürbare Präsenz Kaiser Karls V.. Abgesehen von diesem Umstand ähnelten sich die politischen Strukturen in Basel und Augsburg jedoch in vielerlei Hinsicht: Seit 1386 war in Augsburg eine Zunftverfassung in Kraft, die den institutionellen Rahmen für die politische Partizipation der Bürgerschaft bildete und die mit der Basler vergleichbar war.¹⁸² „Zentrale Elemente des Systems waren Kleiner Rat, Großer Rat, achtzehn bzw. siebzehn politische Zünfte und die Geschlechtergesellschaft.“¹⁸³ Eine Besonderheit des Augsburger Zunftregiments war die direkte Wahl der Zunftmeister und „Zwölfer“ durch die Augsburger Bürger.¹⁸⁴ Diese bildeten zusammen mit den zwölf Vertretern der Geschlechtergesellschaften den Großen Rat. Die neu gewählten Zunftmeister bestimmten zusammen mit den alten Mandatsträgern und den Vertretern der Geschlechter die neuen Ratsherren und Bürgermeister.¹⁸⁵ Begleitet wurde das Wahlprozedere von feierlichen Ritualen – Höhepunkt war der Schwur der gesamten Gemeinde nach der Ratserneuerung, der auch in Basel jährlich stattfand.¹⁸⁶ Die direkten Wahlen und der Bürgereid gehörten zur Partizipation und politischen Integration jener Bürger, die nicht selbst
„Magisterii gradum, qui decennium Basilæ delituerat, revocato eo more sumit: anno à nato Christo M. D. XXXVI“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Siehe auch: Levinger, Schultheater, S. . Vgl. Herbert Immenkötter/Wolfgang Wüst: Augsburg, Freie Reichsstadt und Hochstift. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession – , hg. von Anton Schindling [u. a.], Bd. : Nachträge, S. – , hier S. . Vgl. Ulrich Meier/Klaus, Schreiner: Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften. In: Dies. (Hgg.), Stadtregiment, S. – , hier S. . Immenkötter, Reichsstadt, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. f. Vgl. ebd., S. .
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554)
45
zur Führungsgruppe gehörten. Die regierenden Ratsherren wiederum mussten die Legitimität ihrer Amtsführungen immer wieder neu unter Beweis stellen.¹⁸⁷ Jede Verletzung des ‚consensus‘ – in der Realität kam das allerdings selten vor – zog die Proteste der Bürgerschaft nach sich, die im Extremfall auf den Straßen ausgetragen wurden.¹⁸⁸ Die Phase der von der weltlichen Obrigkeit gelenkten Reformation hatte in Augsburg im Januar 1531 begonnen, nachdem die Reformationsbefürworter bei den Ratswahlen mit acht neuen Zunftmeistern die Mehrheit gewonnen hatten.¹⁸⁹ 1534 übernahm der Rat formal die Hoheit über kirchliche Angelegenheiten und schränkte den altgläubigen Gottesdienst ein.¹⁹⁰ Vorbild für die Augsburger Kirchenordnung von 1537 wurde die Straßburger Reformationsordnung – man berief daher die beiden Straßburger Prädikanten Wolfgang Musculus und Bonifatius Wolfart nach Augsburg, damit sie der Reformation schweizerisch-oberdeutscher Prägung zum Durchbruch verhalfen.¹⁹¹ Obgleich Augsburg 1536 die Schmalkaldische Bundesakte unterzeichnet und sich damit zur Wittenberger Reformation bekannt hatte, war es inoffiziell zwinglianisch geblieben, nachdem Mitte der 20er Jahre Prediger besonders in der Barfüßerkirche die oberdeutsche Theologie und Frömmigkeitspraxis gepredigt hatten.¹⁹² Ähnlich wie in Zürich übernahm die weltliche Obrigkeit die Hoheit in kirchlichen, konfessionellen und ethischen Angelegenheiten. So erklärte die Zucht- und Polizeiordnung vom 14. August 1537 […] den Rat zur höchsten theologischen Instanz bei konfessionellen Streitfällen. Mitspracherechte der Geistlichkeit wurden weitgehend eliminiert, der Rat kontrollierte die Pfarreien über Kirchenpröpste, Kirchenpfleger und Zechpfleger, und die neu errichteten reichsstädtischen Ämter für Eherechtsfragen (Hochzeitsamt) und Druckzensur (Zensuramt) begrenzten die kirchliche Autonomie zusehends.¹⁹³
Zu den ersten Entscheidungen des 1531 gewählten, reformatorisch geprägten Rates gehörte die Gründung des Gymnasiums St. Anna im leerstehenden Karmeliterkloster.¹⁹⁴ Die städtische Gelehrtenschule war damit ein Aushängeschild der Reformation in Augsburg und stand symbolträchtig für den Unterricht nach der neuen evangelischen Lehre. Neben der Leitung des Gymnasiums war Birck seit
Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. . Vgl. Tschopp, Schultheater, S. . Vgl. Immenkötter, Reichsstadt, S. und S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. .
46
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
1537 zusätzlich mit der Gründung der Augsburger Stadtbibliothek betraut.¹⁹⁵ Von Augsburg aus unterhielt Birck regen Briefkontakt zu Humanisten und Reformatoren in der Schweiz und in Süddeutschland, u. a. zum Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer,¹⁹⁶ zu Heinrich Bullinger¹⁹⁷ und zu Oekolampads Nachfolger in Basel, Oswald Myconius.¹⁹⁸ Sein Engagement für das Theater führte Birck in Augsburg fort. Da das Aufführen von Theaterstücken an vielen protestantischen Gymnasien Bestandteil des Lehrplans war, dürfte es sogar zu Bircks Pflichten gehört haben, Dramen zu verfassen und mit seinen Schülern aufzuführen.¹⁹⁹ Er übersetzte zwei seiner Basler Dramen, Susanna und Judith, ins Lateinische, die 1537 bzw. ohne Jahresangabe bei Philipp Ulhard d. Ä. in Augsburg erschienen.²⁰⁰ In der Prosawidmung des lateinischen Susannadramas erwähnt Birck als Aufführungsort die „loci agendi quam spectandi opportunitas“²⁰¹, womit der Augsburger Schulhof gemeint ist, wie Helene Levinger und Wolfgang F. Michael gezeigt haben.²⁰² Zumindest die lateinischen Dramen wurden damit nicht wie in Basel auf einem öffentlichen Platz vor einem städtischen Publikum aufgeführt, sondern primär vor der lateinkundigen
Siehe dazu: Schmidbauer, Stadtbibliothekare, S. f. Den Grundstock für die Bibliothek bildeten die Bestände des Karmeliterklosters, des Dominikanerklosters und des Barfüßerklosters. Hinzu kam ein Etat von Goldgulden, mit dem Birck auf der Frankfurter Buchmesse neue Werke ankaufen lassen konnte. Vgl. Kap. , Anm. . HBW II, Bd. (), Nr. : und Bd. (), Nr. u. Nr. . In der Zentralbibliothek Zürich sind vier Briefe Sixt Bircks an Oswald Myconius erhalten, die zwischen und entstanden (Zürich ZB Ms. F , ; Zürich ZB Ms. F , ; Zürich ZB Ms. F , und Zürich ZB, Ms. F , ). Thema der Briefe ist vor allem Bircks Amt als Schulmeister und die Frage, welche Werke er mit seinen Schülern liest oder noch lesen wird. Genannt werden Terenz, Plutrach, Lukian, Aphthonius, Cicero, Erasmus von Rotterdam [?] und Quintilian (Zürich ZB Ms. F , ). Ich danke Herrn lic. theol. Rainer Henrich von der Arbeitsstelle Erschließung des Briefwechsels von Oswald Myconius an der Universität Basel für den Zugang zu den noch unpublizierten Regesten. Vgl. Tschopp, Schultheater, S. . Aufgrund eines Briefwechsels zwischen Sixt Birck und Heinrich Bullinger lässt sich der Druck des lateinischen Judithdramas auf Ende /Anfang datieren. Am . April schickte Birck Bullinger ein Exemplar der Iudith nach Zürich mit dem Vorschlag, es dort von der Jugend aufführen zu lassen. Das Stück enthält auch Rudolf Gwalthers erstmals gedruckte Argumenta in librum Iudith, was die späte Datierung dieses Dramas ebenfalls bestätigt. Vgl.: Heinrich Bullinger: Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel, Bd. : Briefe des Jahres , hg. von Zwingliverein Zürich, bearb. v. Hans Ulrich Bächtold/Rainer Henrich. Zürich , Nr. , S. f. SusL, S. , V. . Siehe dazu: Wolfgang F. Michael: Das deutsche Drama der Reformationszeit. Bern , S. , und Levinger, Schultheater, S. – .
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554)
47
Augsburger Oberschicht und Angehörigen des Gymnasiums – Schüler, Eltern und Lehrer. Die lateinischen Dramen Bircks sind damit – was den Rahmen der Aufführungen anbelangt – Schultheater,während die volkssprachlichen Dramen eher der Aufführungstradition des Schweizerischen ‚Bürgertheaters‘ entsprechen.²⁰³ In Augsburg gab Birck auch seine unveröffentlichten Basler Dramen in Druck, nachdem er sie sprachlich überarbeitet hatte, denn während die 1532 in Basel gedruckte Susanna noch von der alemannischen Schriftsprache beeinflusst ist, entsprechen die bei Ulhard d. Ä. erschienenen Stücke der Augsburger Druckersprache, dem ‚Gemeinen Deutsch‘.²⁰⁴ In diesen Stücken ist die neuhochdeutsche Diphthongierung bereits durchgeführt, nicht aber die Monophthongierung, so das Ergebnis Hellmut Thomkes.²⁰⁵ Die von Silvia Serena Tschopp aufgeworfene Frage, „was Birck dazu bewogen haben könnte, seine frühen Bühnendichtungen nicht nur zu latinisieren, sondern sie darüber hinaus in volkssprachlichen Ausgaben zu veröffentlichen“,²⁰⁶ lässt sich nicht mit Gewissheit beantworten. Einen möglichen Hinweis bietet aber ein Blick auf die u. a. von Klaus Wolf erforschte spätmittelalterliche Theatertradition in Augsburg. Wolf macht neben Innenraum- und Freiluftaufführungen auch das Lesedrama als „eine dritte Performanzmöglichkeit des geistlichen Spiels“ aus.²⁰⁷ Möglicherweise waren die Augsburger Rezipienten aus dieser Tradition heraus eher an Spieltexte in Leseform gewöhnt, während das Susannadrama in Basel allein zu dem Zweck gedruckt wurde, weitere Aufführungen des Stückes an anderen Orten bzw. mit anderen Spielleitern zu ermöglichen. Aufführungen der in Augsburg erschienenen volkssprachlichen Dramen (Ezechias 1538, Zorobabel, Joseph und Judith 1539), sind zwar nicht im Einzelnen
Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen politisch-moralischem Fastnachtspiel in der Schweiz und den protestantischen Bibeldramen hat Hellmut Thomke erforscht. Siehe dazu: Thomke, Fastnachtspiel. Vgl. Thomke, Spiele, S. . Siehe dazu: ebd. Während etwa im volkssprachlichen Susannadrama, das noch in Basel gedruckt wurde, das Verb ‚sein‘ im Infinitiv „sin“ (SusD,V. ) lautet bzw. „sy“ (. Pers. Sg.; SusD, V. ), wurde im Zorobabeldrama bereits die Diphthongierung durchgeführt: „sein“ (Zo V. ) bzw. „sey“ (Zor V. ); während im volkssprachlichen Susannadrama „wyb“ (SusD V. ) gebraucht wird, heißt es bei Zorobabel „weib“ (Zor V. ). Josef Franz Schöberl kam bereits zu dem Ergebnis, in den Birckʼschen Dramen sei „eben die Sprachform niedergelegt, die im . Jahrhundert in den gebildeten Kreisen Augsburgs herrschend war, vielleicht durch fremde Einflüsse, namentlich den Baseler Dialekt etwas modifiziert“, Schöberl, Quellen, S. . Tschopp, Schultheater, S. . Wolf, Theater, S. . Als Beispiel führt Wolf das in der Augsburger Bollstatter-Werkstatt entstandene Berliner Weltgerichtsspiel an, das in einer illustrierten Spieltexthandschrift überliefert und dessen Aufführung Wolf ausschließt (vgl. ebd.).
48
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
belegt, doch schrieb Birck am 1. Oktober 1544 an den Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer: Unsere Behörde und das Volk werden solche Dramen wenigstens einmal jährlich wünschen; sonst hätte ich nicht den Ehrgeiz, mit viel Mühe Streit zu stiften. Doch sieht das Volk darin eine gute Übung in der Sprache und Gewöhnung an die Öffentlichkeit, von anderem zu schweigen.²⁰⁸
Der Brief lässt darauf schließen, dass Birck auch seine volkssprachlichen Stücke für die Augsburger Bürgerschaft aufführen ließ. Wenn die Dramen, wie Wolfgang F. Michael für die lateinischen Übersetzungen ermittelt hat, im Schulhof von St. Anna aufgeführt wurden, dann dürfte auch das Publikum – mehr als in Basel – aus der städtischen Oberschicht bestanden haben. Mangels Belegen ist diese Frage aber ebenso offen, wie die, ob auch die in Kap. 2.1 beschriebenen Fraternitäten bzw. ‚cechas‘ an den Aufführungen beteiligt waren. Hugo Holstein nimmt ebenfalls an, dass Birck seine deutschen Dramen ebenso wie die lateinischen am St. Anna-Gymnasium aufführen ließ.²⁰⁹ Daneben verfasste Birck weitere Bibeldramen auf Latein (Eva und Sapientia Solomonis erschienen 1547 in dem Sammeldruck Dramata sacra bei Oporinus in Basel)²¹⁰ und eine Dramatisierung des antiken Stoffes De vera nobilitate. Das bei Nysaeus genannte lateinische Drama Herodes, sive Innocentes ist nicht überliefert.²¹¹ Bircks lateinische Dramenfassung orientiert sich im Aufbau am antiken Fünf-Akt-Schema, wobei die einzelnen Akte durch Chorgesänge, oft Psalmengesänge, voneinander getrennt sind, während die Dramenhandlung in der volkssprachlichen Fassung nach Art des Schweizerischen Bürgertheaters durch Chorgesänge in Szenen unterteilt ist.²¹²
Blaurer, Briefwechsel, S. f. In seinen Studien über „Die evangelischen Schulordnungen und das Schuldrama“ führt Holstein Sixt Birck als Beispiel für einen Schulmeister an, der mit seinen Schülern neben lateinischen auch deutschsprachige Stücke aufführte. Dies sei nach Holstein nur mit „Wissen des Herzogs und auf sein Gutachten“ gestattet gewesen. Bircks Nachfolger Hieronymus Wolf unterband jede Aufführung von Dramen an der Schule mit der Begründung, sie hielten die Schüler von ihren Studien ab. Vgl. Holstein, Reformation, S. . Sixt Birck: „Eva. Mythologia Philippi Melanchthonis redacta in Actionem ludicram“ und „Sapientia Salominis, Drama comicotragicum“ erschienen in dem Sammeldruck: Dramata Sacra. Comoediae Atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […] (tomus secundus). Basel: Johann Oporinus . Vgl. Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b r. Zur Tradition des volkssprachlichen Bürgertheaters in Basel siehe Brauneck, Welt, Bd. , S. – .
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554)
49
Für das Verständnis des politischen Kontextes von Bircks seit 1536 entstandenen Dramen ist die „exponierte Stellung“²¹³ der Stadt Augsburg während der Reformation von Bedeutung, die sie spätestens seit dem Reichstag von 1530 mit dem Verlesen des Augsburger Bekenntnisses innehatte.²¹⁴ Diese Kontrolle führte dazu, dass kaiserliche Edikte in Augsburg umgehend umgesetzt werden mussten.²¹⁵ Der politische Druck, den Sixt Birck als Schulmeister der protestantischen Gelehrtenschule von Beginn an spürte, gipfelte 1551 in der Aufforderung, das Augsburger Interim anzunehmen.²¹⁶ In der Kommission zur Durchsetzung des Interims, die am 31. August 1551 in der Ratsstube unter Leitung von Christoph Christoph [sic] Rehlinger und Hans Jakob Fugger tagte, bat Birck unter Berufung auf sein hohes Alter, das Interim nicht offiziell annehmen zu müssen, versicherte jedoch, nicht gegen das Interim handeln und lehren zu wollen.²¹⁷ Dass Birck bei einigen, nicht näher beschriebenen Zeitgenossen für die Akzeptanz von Dramenaufführungen kämpfen musste, während die „Behörde und das Volk“²¹⁸ die jährliche Aufführung eines Dramas regelrecht einforderten, belegen zwei Briefwechsel Bircks mit Ambrosius Blaurer und Heinrich Bullinger aus dem Jahr
Ebd., S. . Siehe dazu Luise Schorn-Schütte: Die Reformation. Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung (= C. H. Beck Wissen). München , S. – . Die exponierte Stellung Augsburgs in der Reformation zu Lebzeiten Sixt Bircks ist auf mehrere historische Ereignisse zurückzuführen, u. a. auf den Reichstag, der dort im Oktober stattgefunden hatte und bei dem Luther dem päpstlichen Legaten Kardinal Cajetan begegnet war. Siehe dazu ebd., S. . Vgl. Lähnemann, Hystoria, S. . Siehe dazu: Friedrich Roth: Die Maßregelung der Augsburger Schulmeister wegen des Interims am . . . In: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte (), S. – . Von der Kommissionssitzung ist ein Manuskript des Schulmeisters Wolfgang Merz mit dem Titel „Copei eines examens, welches alhie z Augspurg auff dem rathaus gehalten worden mit allen schlmeistern sind die examinatores Christoph Christoph [sic] Rehlinger, oberrichter. Actum anno “ erhalten, das bei Roth, Maßregelung, S. – abgedruckt ist. Nach diesem Protokoll lautete Bircks Stellungnahme: „Als nun nach solchem ain jeder nach dem andern insonders erfordert, hat anfangs Sixtus Petulejus, schlmaister bei St. Anna, anzaigt: er sei nicht der, der sich der kais. mt. gern widersetzen wollte, aber das interim anznemen und sein gewissen darmit z beschweren, bitt er mit wainenden augen umb Gottes und des jungsten gerichts willen, ine dessen z entheben, dann er nun mehr alt sei und ime beschwerlich fallen wölle, ain anders anznemen, weder er bisher glaubt und gelehrt habe. als nun hierauf mit im gar ernstlich gehandelt worden, da er noch zur zeit seins thails das interim nit annemen köndte, daß er doch seine schler dessen lehren und underweisen oder doch darwider nicht sein oder lehren wollte, hat er vermelt, er versehe sich, hab bisher wider das interim nichts gehandelt, wöll sich auch hinfurt dergleichen halten und wider dasselb nichts lehren“, Roth, Maßregelung, S. . Blaurer, Ambrosius/Blaurer, Thomas: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer – , bearb. v. Traugott Schieß, hg. von der Badischen Historischen Kommission, Bd. : August – Ende . Freiburg i. Br. , Nr. , S. f., hier S. .
50
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
1544.²¹⁹ In einem Brief vom 30. September 1544 forderte er Bullinger und seine Kollegen auf, „ihm ihre Meinung über Dramen zukommen zu lassen, da diese von einigen missbilligt werden, weil sie die Schüler vom Studium abhalten und die guten Sitten verderben.“²²⁰ In einem weiteren Brief vom 1. Oktober 1544 an Ambrosius Blaurer beklagt Birck die Geringschätzung des Lehrerberufs in seiner Heimatstadt und wendet sich schließlich mit einer Bitte an die beiden Brüder Blaurer: Manche meiner Widersacher sehen die Dramen, nicht nur des Terenz, sondern auch religiöse, als nachteilig für die Studien und die Sitten der Jugend an und würden sie gern verhindern, wenn sie Beistand fänden. Darum bitte ich um Dein und Deines Bruders Urteil, nicht um davon Gebrauch zu machen, – ein Angriff ist kaum mehr zu fürchten –, sondern weil ich die Ansichten von Gelehrten sammeln will, um selbst bestärkt oder eines Besseren belehrt zu werden.²²¹
Als möglicher Widersacher kommt der reformatorische Prediger Wolfgang Musculus in Betracht, dessen Feindseligkeiten Birck bereits in einem Brief an Ambrosius Blaurer vom 13. Mai 1544 beklagt hatte.²²² Der Brief zeigt aber auch, dass Birck es nur mit einzelnen Widersachern zu tun hatte, die ihn in seiner Meinung zum Drama verunsichert hatten, während die weltliche Obrigkeit und die Bürgerschaft Bircks jährliche Dramenaufführungen regelrecht forderten. Möglichweise reichte die Verunsicherung aber so weit, dass Birck sich in der zweiten Hälfte der 1540er Jahre entschloss, keine Dramen mehr zu verfassen, nachdem seine beiden letzten Dramen, Eva und Sapientia Solomonis, 1547 bei Oporinus in Basel gedruckt worden waren. Danach widmete sich Birck verstärkt der philologischen Arbeit an patristischen und antiken Autoren: Er kommentierte u. a. De officiis von Cicero²²³ und fertigte als Erster eine kritische Ausgabe von Laktanz’ Werken an, die sein Sohn Emanuel 1563 posthum mit der Vita Bircks von Johannes Nysaeus herausgab.²²⁴ 1546 erschien seine bereits erwähnte Konkordanz zum griechischen
Ebd. Heinrich Bullinger: Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel, Bd. : Briefe des Jahres , hg. von Zwingliverein Zürich, bearb. v. Hans Ulrich Bächtold/Rainer Henrich. Zürich , Nr. , S. f., hier S. . Ebd., S. f. [Übersetzung: Traugott Schieß]. Siehe dazu: ebd., Nr. , S. . Zu Wolfgang Musculus siehe: Rudolf Dellsperger: Art. „Musculus, Wolfgang“. In: NDB (), S. f.; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ pndX.html, letzter Zugriff: . . . Sixt Birck: In M. T. Ciceronis libros de Officijs, De Amicitia, De senectute, Commentaria longe eduditissima, nunc(que) in lucem edita. Basel: Johannes Oporinus [Nachdruck ]. Lactantius, Opera.
2.4 Am Gymnasium St. Anna zu Augsburg (1536 – 1554)
51
Neuen Testament bei Oporinus in Basel.²²⁵ Über den Nutzen dieser Arbeit gab Birck an, widerstreitende Ansichten versöhnen zu wollen, die sich an den bisherigen, aus Sicht der Wissenschaft überholten Konkordanzen entzündet hatten.²²⁶ 1545 wurde bei Oporinus in Basel seine Edition mit Anmerkungen zu den Weisheitssprüchen der sibyllinischen Orakel gedruckt.²²⁷ 1555 erschien beim selben Drucker eine weitere Ausgabe der Orakelsprüche, in der die Annotationes von Sixt Birck und die 1546 ebenfalls bei Oporinus gedruckte lateinische Übersetzung der Orakelsprüche Sebastian Castellios zusammengeführt wurden.²²⁸ Nach einer anonymen Sammlung von rund 4200 Hexametern aus älteren heidnisch-antiken, jüdischen und christlichen Prophezeiungsgedichten aus der Augsburger Stadtbibliothek, die Birck leitete, erschien hier der erste griechische Druck sämtlicher Weissagungen der Sibyllen. ²²⁹ In seiner Widmung an die Brüder Thomas und Ambrosius Blaurer begründet Birck die Arbeit mit dem erhellenden Nutzen für seine Laktanzerklärungen.²³⁰ Die Sprüche seien den jüdischen Propheten nahe, sie seien „nüchtern[e] Deuterinnen des Willens Gottes.“²³¹ Damit reiht sich die Edition in die Programmatik von Bircks Œuvre und seiner Leitfrage ein, wie man den Willen Gottes erforschen und auf der Erde realisieren könne. Anlässlich des Reichstags 1548 übersetzte Birck zusammen mit Andreas Diether, einem Lehrerkollegen am St. Anna-Gymanasium, den zweiten und dritten Amerikabrief des Hernán Cortés für den habsburgischen König Ferdinand I. ins Deutsche.²³²
Sixt Birck: ΣΥΜΦΩΝΙΑΝ Η ΣΥΛΛΕΞΙΣ ΤΗΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΤΗΣ ΚΑΙΝΗΣ […] Novi Testamenti Concordantiae graecae, opus magno usui omnibus Sacrarum scripturarum vere studiosis futurum […]. Basel: Johannes Oporinus . Vgl. Lähnemann, Hystoria, S. . Sixt Birck: ΣΙΒΥΛΛΙΑΚΩΝ ΧΡΗΣΜΩΝ ΛΟΓΟΙ ΟΚΤΩ. Sibyllinorum Oraculorum Libri octo, multis hucus(que) seculis abstrusi, nunc´(que) primum in lucem editi […]. Basel: Johannes Oporinus . Vgl.: En Basileia polei tēs Germanias: griechischer Geist aus Basler Pressen; Universitätsbibliothek Basel . Juli bis . August . Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – . Januar bis . März . Gutenberg-Museum, Mainz . Juni bis . August (= Publikationen der Universitätsbibliothek Basel ), Bd. : Nachträge. Basel , Nr. GG , S. . Vgl.: ebd., Nr. GG , S. f.. URL: http://www.ub.unibas.ch/cmsdata/spezialkataloge/gg/ higg.html, letzter Zugriff: . . . Siehe dazu: ebd., S. . Ebd., S. . Hernán Cortés: Ferdinandi Cortesii.Von dem Newen Hispanien / so im Meer gegem Nidergang / Zwo gantz lustige unnd fruchtreiche Historien […]. Transferiert/ in Hochteütsche sprach von Xysto Betuleio un(d) Andrea Diethero von Augspurg/ baiden daselbst gemainer Statt Lateinischen Schlmaistern. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. .
52
2 Sixt Bircks Dramen im Kontext ihrer Entstehung
2.5 Zusammenfassung Wie die Biographie intellectuelle gezeigt hat, stand Birck, wie für einen Gelehrten seiner Zeit üblich, ebenso unter dem Eindruck der humanistischen Bildung wie der Schweizerischen und der Wittenberger Reformation. Die politisch-theologischen Fragen, die damals in Basel kursierten, und auf die auch Birck vermutlich mit seinen Dramen reagierte, sollen hier im Vergleich mit den Lehren und Forderungen von Erasmus, Oekolampad und Bullinger ermittelt werden. Einigkeit herrschte zwischen Oekolampad und Erasmus beispielsweise in der Ablehnung eines Zeremonienwesens ohne einen wahren, inneren Glauben bzw. die Überbewertung menschlicher Autorität gegenüber der göttlichen Autorität. Beide unterscheiden zwischen dem Aufgabenbereich der Geistlichkeit und der weltlichen Obrigkeit, auch wenn dieser Anspruch nach der offiziellen Einführung der Reformation in Basel vom Rat nicht unbedingt gewahrt wurde. Hier stellt sich z. B. die Frage, ob sich Sixt Birck in seinen Bibeldramen für oder gegen eine Trennung von weltlicher und geistlicher Macht ausspricht. Auch bestand zwischen Erasmus und Oekolampad ein Dissens bei der Bewertung des Alten Testaments: Während Erasmus die Zeit des Alten Testaments als die Zeit und Religion der Sklaverei verachtete, diente sie Oekolampad wie auch Zwingli als Vorbild für eine Zeit der Gottesherrschaft auf Erden. Da Birck alttestamentliche (apokryphe) Stoffe als Vorlage für seine Bibeldramen wählte, wird sich anhand der Drameninterpretationen auch erweisen, wozu Birck bei der Adaptation der Stoffe als politische Beispiele für eine Respublica christiana tendierte. Da Helene Levinger bereits gezeigt hat, dass Birck die Bühnenform aus Heinrich Bullingers Lucretiaspiel übernahm, ist eine Frage für die folgende Analyse von Bircks Spielen, inwiefern er auch die von Emidio Campi dargestellten dramatischen und dramaturgischen Mittel übernahm, mit denen Bullinger am politischen Kommunikationsprozess der Krisenjahre nach der Reformation in Zürich partizipierte. Dabei kann Birck durchaus auch die politischen und theologischen Ziele aus Bullingers Lucretia übernommen haben, die sich teilweise mit Erasmus, noch enger aber mit Oekolampads reformatorischen Vorstellungen überschneiden. Diese bestehen in der Vorstellung, dass die weltliche Obrigkeit von Gott eingesetzt ist und dass die Ratsherren und Richter ‚Diener Gottes‘ seien. Die weltliche Obrigkeit sei bei ihrem Handeln Gott verpflichtet, weshalb sie nicht an die Geistlichkeit gebunden sei und eine autonome Kirchenordnung, d. h. die von Oekolampad geforderte Trennung von weltlichen und geistlichen Institutionen und ihrer Aufgaben obsolet mache. Ziel ist die Realisierung der von Gott geforderten Gerechtigkeit im Gemeinwesen und die Freiheit derselben von Tyrannen und Oligarchen. Das erfordert die Eintracht innerhalb der Bürgerschaft und ihre Wehrhaftigkeit gegenüber inneren und
2.5 Zusammenfassung
53
äußeren Feinde; ebenso die Tugendhaftigkeit und die Standhaftigkeit der Bürger sowie den Gehorsam des Volkes gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit. Weitere Fragen, Neuerungen und Probleme, die die Basler in den Jahren nach der Reformation beschäftigten, ergeben sich v. a. aus der Reformationsordnung von 1529: Dazu gehörten u. a. die religiöse Abgrenzung von der Alten Kirche und den Täufern. Unabhängig von der Reformation in Basel spielte auch die Abgrenzung von den Juden besonders unter Humanisten eine besondere Rolle, wie das Beispiel von Erasmus zeigt. Darüber hinaus wertete die neu geschaffene Institution des Ehegerichts die Aussagen von Frauen vor Gericht allein schon quantitativ auf, wie überhaupt das neue Eheideal in der Reformationszeit die Rolle von Frauen in der Gesellschaft nachhaltig veränderte. Da Birck sowohl die Wittenberger als auch die Schweizerisch-humanistischen Reformationslehren kannte, stellt sich auch die Frage, inwiefern er Position zum entscheidenden Streitthema zwischen Luther und Erasmus nimmt: Zu der Frage, ob der Mensch der Gnade Gottes durch sein Handeln aus freiem Willen heraus entgegenkommen könne oder nicht.
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31) Die beiden frühesten Bibeldramen Sixt Bircks aus den Jahren 1530/31 nehmen in gewisser Hinsicht eine Sonderstellung in dessen dramatischem Œuvre ein. Von den nachfolgenden Stücken unterscheiden sie sich durch ihre Kürze und ihre relativ geringe Zahl sprechender Figuren. Diese Merkmale sind wohl darauf zurückzuführen, dass Birck mit Ezechias und Zorobabel seine ersten Versuche unternahm, Theaterstücke mit seinen Schülern und den jungen Bürgern der Stadt Basel öffentlich aufzuführen. Bei den kurzen Stücken mit nur wenigen Sprechrollen ließ sich der finanzielle und organisatorische Aufwand der Inszenierungen auf ein geringes Maß beschränken. Helene Levinger hat in ihrer Untersuchung zu den Bühnenformen bei Sixt Birck herausgearbeitet, dass seine beiden Erstlingswerke, im Gegensatz zu den später verfassten Stücken, an der Einheit des Ortes festhalten.¹ Levinger begründet diese Regelhaftigkeit damit, dass Birck beim Verfassen seiner ersten Dramen noch mehr unter dem Einfluss „der humanistischen Sphäre der Universität“² stand und „ein streng humanistisches Drama“³ schaffen wollte. Tatsächlich verweist Birck in der Prosawidmung zu seinem 1538 in Augsburg gedruckten Ezechiasdrama auf Terenz, dem er mit seinen Spielen unter dem Namen eines deutschen Poeten, wie Birck in der Vorrede betont, („Germanici poëtæ nomen apud vestrates audio“, Ez, S. 8, V. 35 f.) nacheifern wolle. Der Humanist benennt damit selbst, was seine Bibeladaptationen so signifikant vom rein schulischen Theater unterscheidet: Die Aufführungen fanden in der Volkssprache und nicht auf Latein statt, wodurch sie eine Sprach- und Stilübung für Bircks Schüler gewesen wären. Auch hier, wenn er in der Volkssprache und nicht in der Gelehrtensprache Latein dichtet, eifert Birck seinem Vorbild nach, wie er in der Widmung an seinen ehemaligen Schüler Johann Friedrich Menzinger, den Sprössling eines einflussreichen Basler Patriziergeschlechts, zu erkennen gibt: Germanica sunt, Germanici poëtæ nomen apud vestrates audio. Terentius apud suos magis celebrabatur, quàm si Atticas (quod poterat) Romæ dedisset […]. Populi tum nobis, non doctorum tantum applausus demerendus erat. (Ez, S. 8, V. 35 – 39) Es ist Deutsch, und ich habe bei euch den Namen eines deutschen Poeten. Terenz wäre von seinen Landsleuten nicht so hoch gefeiert worden, wenn er – was er konnte – in griechischer
Vgl. Levinger, Schultheater, S. . Ebd. Ebd. DOI 10.1515/783110434118-003
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
55
Sprache gedichtet hätte […] Aber damals [in Basel] suchten wir ja den Beifall des Volkes und nicht nur den der Gelehrten. (Levinger, Schultheater, S. 10)
Birck schreibt somit selbst, er habe sich mit seinen Spielen nicht allein an ein gelehrtes Publikum in der Schule oder an der Universität gewendet, sondern er wolle mit seinen Aufführungen einen größeren Teil der Bürgerschaft erreichen. Möglicherweise, um auch Laien an „die neue bisher durch fremde Sprache unzugänglich gemachte ‚Klassik‘ der Form“⁴ heranzuführen, wie Levinger vermutet. Vor allem aber wohl, um den Laien die Bibel auf eine anschauliche Art zugänglich zu machen, was zu den wesentlichen Forderungen der Reformatoren gehörte. Die Wahl seiner Stoffe in den beiden ersten Dramen – ein alttestamentlicher und ein mit dem Alten Testament überlieferter apokrypher Stoff – sind repräsentativ für Sixt Bircks dramatisches Werk. Mit der Gattungsbezeichnung auf den Titelblättern der beiden 1538 erstmals gedruckten Dramen als „Tragedi“ bzw. „Tragoedi“⁵ grenzt sich Birck von der Gattung seines Vorbildes Terenz ab. Da der Grund für die Bezeichnung seiner beiden ersten Bibeldramen nicht im Tod des Helden liegen kann und der Held auch keinen tragischen Fehler (Hamartia) begeht, muss den Autor etwas anderes bewogen haben, die Stücke nicht als Komödien zu bezeichnen. Der Grund liegt wohl in dem Bestreben Bircks, sich von den lasterhaften Figuren, überhaupt von dem säkularen Theater des Terenz, abzugrenzen und dessen Stücke mit seinen ernsten biblischen – und damit ‚heiligen‘ Dramen – nicht bloß zu imitieren, sondern auch sittlich-moralisch zu übertreffen.⁶
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530) Nach der Aufzählung von Johannes Nysaeus war Ezechias das erste Drama, das Sixt Birck überhaupt verfasste. Es ist anzunehmen, dass der Beginn von Bircks literarischer Tätigkeit in Zusammenhang mit seinem Antritt als Lehrmeister an der neu gegründeten Lateinschule St. Theodor in Klein-Basel steht. Demnach schrieb er die „nutzliche kurtze Tragedi“⁷ um 1530 und führte sie wohl im selben Jahr mit seinen Schülern und den Bürgern der Stadt auf. Es ist gut vorstellbar, dass Birck eine Auf-
Ebd. Ez, S. bzw. Zor, S. . Zu den ästehtischen Prinzipien der imitatio und der aemulatio siehe den von Anna Kathrin Bleuler/Fabian Jonietz u. a. herausgegebenen Sammelband: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild ( – ). (= Pluralisierung & Autorität ). Berlin [u. a.] . Ez, S. .
56
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
führung des Stückes in Augsburg mit seinen Schülern wiederholte. Einen Hinweis darauf gibt das Titelblatt des Augsburger Drucks, wo mit Verweis auf den Psalter als Motto steht: „Herr auss der jungen kinder Mund / Wiltu das werd dein lobe kund.“⁸ Das kürzeste aller Bibeldramen Sixt Bircks wird durch zwei Chorgesänge in drei Akte unterteilt. Vorlage für die Handlung sind die beiden alttestamentlichen Chroniken 2 Kön 18,13– 19,37 und 2 Chr 29,1– 32,23. Aufgrund der Namensvariante ‚Ezechias‘ ist die Vulgata als Textvorlage für das Drama auszumachen.
3.1.1 Die biblischen Vorlagen: 2 Kön 18,1 – 19,37 und 2 Chr 29,1 – 32,23 In den beiden Geschichtsdarstellungen wird Hiskia, der König von Juda, als Reformer des religiösen Lebens beschrieben. In 2 Chr 29,4– 11 bemängelt der Monarch den Verfall des Tempels und das zum Erliegen gekommene religiöse Leben und beauftragt die Leviten mit dem Wiederaufbau. Dabei werden auch zahlreiche kultische Gegenstände entfernt, u. a. die Eherne Schlange des Moses (2 Kön 18,4). Zusammen mit den führenden Männern der Stadt bringt Hiskia dem Herrn Opfer dar (2 Chr 29,20 – 30) und sorgt für eine Neuordnung des Tempeldienstes (2 Chr 31,2– 21). Als die Erneuerung des religiösen Lebens in Juda bereits abgeschlossen ist, nimmt Sanherib, der König von Assur, alle befestigten Städte des Landes ein (2 Chr 32,1). Anstatt sich zu ergeben, lässt Hiskia die Mauern von Jerusalem befestigen und das städtische Umland verdorren, um der assyrischen Streitmacht die Einnahme der Stadt zu erschweren (2 Chr 32,2– 5). Seinem Volk spricht er Mut zu: Gegen die Macht Jahwes würde die weltliche Macht Sanheribs nicht ankommen (2 Chr 7 f.). Als der assyrische König mit seiner Streitmacht vor Lachisch, südlich von Jerusalem, steht, handeln Hiskias Boten zunächst einen Friedensvertrag aus: Gegen 300 Talente Silber und 30 Talente Gold kann der König von Juda seine Freiheit bewahren (2 Kön 18,14– 16). Dennoch entsendet der Assyrerkönig Boten nach Jerusalem (2 Chr 32,9 und 2 Kön 18,17). Im Namen des Königs befragen sie den Palastvorsteher und die Judäer, wie sie sich so sicher sein könnten, in Jerusalem zu bleiben (2 Chr 32,10). Der eine Bote, der Rapschake, warnt das Volk, Hiskia würde sie in die Irre führen, wenn er ihnen Gottes Hilfe in Aussicht stellte – am Ende würden sie alle an Hunger und Durst sterben (2 Chr 32,10 f.). Gerade Hiskia habe sich nicht um Gottes Beistand verdient gemacht, als er Gottes Kultstätten und Altäre beseitigen und anordnen ließ, nur vor dem Altar im Tempel des Herrn dürfe man sich niederwerfen und opfern (2 Chr 32,12). Sanherib lässt seine Boten ausrichten, kein Gott habe sein Volk jemals vor der assyrischen Streitmacht bewahren
Ez, S. .
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
57
können (2 Chr 32,15). Mit der Aussicht auf Land und Nahrung lockt er das jüdische Volk, zu Sanherib überzulaufen (2 Kön 18,32). Um Hiskia seine militärische Unterlegenheit deutlich zu machen, fordert der Bote dessen Palastvorsteher auf, mit Sanherib eine Wette einzugehen, wonach Hiskia nicht in der Lage sei, 2000 Pferde mit Reitern zu besetzen. Der assyrische König lässt ausrichten, Jahwe selbst habe ihm befohlen, gegen Juda zu ziehen und es zu verwüsten (2 Kön 18,23 f.). Als Hiskia von der Rede des Boten erfährt, schickt er den Palastvorsteher Elijakim, den Stadtschreiber Schebna und die Priesterältesten zum Propheten Jesaja, um Rat zu erbitten. Jesaja trägt ihnen auf, dem König diese Worte des Herrn zu übermitteln: Er solle sich nicht vor Sanheribs Worten fürchten. Er werde dafür sorgen, dass der Feind in sein Land zurückkehren könne, dort werde Gott ihn durch das Schwert zu Fall bringen (2 Kön 19,1– 7). Sanherib schickt ein zweites Mal Boten zu Hiskia und lässt ihn durch ein Schreiben warnen, er solle nicht auf seinen Gott vertrauen. Der König von Juda geht mit dem Schreiben Sanheribs ins Haus des Herrn und betet zu Gott: Die Götter der übrigen Völker seien verwundbar gewesen, weil sie keine wahren Götter, sondern Götzen aus Holz und Stein waren. Er bittet Gott, sein Volk zu retten, damit alle Reiche erkennen, dass allein Jahwe der wahre und einzige Gott sei (2 Kön 19,14– 19). Jesaja schickt Hiskia eine Prophezeiung mit dem Wort des Herrn, in dem Gott Rache gegen Sanherib ankündigt, der seine Macht verspottet habe (2 Kön 19,20 – 34). Kurz darauf zieht der Engel des Herrn aus und erschlägt 185 000 Mann im Lager der Assyrer (2 Kön 19,35 und 2 Chr 32,21). Sanherib zieht sich daraufhin nach Assyrien zurück und wird im Tempel von Ninive von zwei seiner Söhne erschlagen (2 Kön 19,36 f. und 2 Chr 32,21).
3.1.2 Bircks Dramenadaptation Ezechias – eine abgewandelte Namensform von Hiskia in der Vulgata – ist nicht nur das kürzeste von Bircks Bibeldramen, sondern mit nur 13 Sprecherrollen auch das mit der kleinsten Besetzung. Die Namen des Hofmaisters Eliakim und des schreibers Sebna sind der Bibel entnommen. Hertzog Pedarius ist durch seinen Namen als niederer Herzog, bzw. als Herzog zweiten Ranges gekennzeichnet. Hertzog Bulephorus ist nach der Figur des Erasmus von Rotterdam in dem berühmten Dialogus cui titulus Ciceronianus sive de optimo dicendi genere (1528) benannt. Hier vertritt Bulephorus Erasmus’ Ansichten über paganes Latein. Bis auf Graf Phrazomenus sind die übrigen Figuren nach ihrem Amt am Hof des Königs Ezechias bzw. nach ihrem weltlichen Amt benannt: der Kamerer, Marschalck, Marggraf, Banerherr, Cantzler und Kriegßman.
58
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Vor Beginn der Dramenhandlung wendet sich der Ernhold an das christliche Publikum.⁹ Gerade in Momenten, in denen ein Abfall vom „Creütz“ (V. 4), d. h.vom rechten Glaube droht, solle König Ezechias ihnen ein Vorbild („ain bildtnuß“,V. 14) sein. Ebenso wie der alttestamentliche König sollten die christlichen Zuschauer bereit sein, Gott anzuflehen, auch wenn der Feind bereits die Stadt belagert.¹⁰ Da Ezechias dazu beigetragen habe, „Gottes ehr“ (V. 9) zu mehren und „Abgtterey“ (V. 11) auszurotten, könne er auch einer zeitgenössischen christlichen, d. h. einer reformierten Bürgerschaft als Vorbild dienen. Die Dramenhandlung setzt ein, nachdem der Gesandte Sanheribs, Hauptmann Rapsagen, bereits mit Hofmaister Eliakim gesprochen und das judaïsche Volk aufgefordert hat, sich dem assyrischen König zu ergeben. Der Gesandte selbst oder andere assyrische Figuren treten nicht auf, obwohl ein Dialog mit dem Hofmaister auch unter der Prämisse, den Ort zu wahren, am Königspalast möglich wäre. Birck hatte bei seiner Dramatisierung demnach kein Interesse, die ‚heidnischen‘ Exempelfiguren darzustellen. Gerade weil es sich um Bircks erstes Bibeldrama handelte, das kurz nach der Einführung der Reformation in Basel entstand, war er möglicherweise unsicher, ob negative Exempelfiguren nicht doch zur Nachahmung auffordern könnten – eine Diskussion, die seit den Kirchenvätern auch im Mittelalter immer wieder geführt wurde. Zu Beginn der Dramenhandlung überbringt der Hofmaister dem König von Juda einen Brief des Assyrerkönigs, den Ezechias von seinem Schreiber Sebna verlesen lässt. In dem Brief beschuldigt Sanherib den König, gegen den mit Gold und Silber erkauften Freundschaftsbund verstoßen zu haben, indem er sich „z weer gerüst“ (V. 44) habe. Er fragt Ezechias, auf welche Macht er sich denn verlasse, dass er sich gegen den Assyrerkönig zur Wehr setze, und ob er auf den ägyptischen König, auf „sein wgen / und sein pferd“ (V. 53), vertraue. Wie in 2 Kön 18,21 prophezeit Sanherib dem König von Juda, sich in diesem Fall mit der Hand auf ein Schilfrohr zu stützen, das brechen und seine Hand durchbohren werde (V. 55 – 57). Mit einem höhnischen Beiklang fragt der Assyrerkönig Ezechias, ob er etwa auf den Beistand Gottes vertraue, wo gerade er doch „[d]ie Bildstck und die hhin all“ (V. 63) habe fortschaffen lassen und damit nach Auffassung des Assyrerkönigs gezeigt habe, dass er bei Gott keine Gunst habe erwerben können.¹¹ Um Ezechias weiter einzuschüchtern und ihn zur Aufgabe zu bewegen, führt er weiter an, dass es bislang „[k]ain Gttlich krafft“ (V. 69) noch „menschen list“ (V. 70) geschafft habe, seiner Streitmacht standzuhalten. Er versucht, Ezechias weiter zu verunsichern, indem er
„So merckend hie ir Christen all“ (Ez, V. ). „wie sollen sein zum bett berait | Wie der Küng Ezechias that | da im der feind lag vor der stat“ (Ez, V. – ). „Mainst das dir dein Gott helffen werd | den du also vor hast ungehrt“ (V. f.).
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
59
behauptet, sein Volk würde nicht geschlossen hinter ihm stehen. Am Ende des Briefes droht er, Juda durch seinen Hauptmann Rapsagen einnehmen zu lassen. Hier zeigt sich, dass Birck die alttestamentliche Vorlage nach dem Kriterium ausgewählt haben muss, wie sich eine reformierte Bürgerschaft, vor allem aber die weltliche Obrigkeit einer reformierten Bürgerschaft, kurz nach Einführung der Reformation in ihr wiederfinden konnte. Besonders der Hinweis, König Ezechias habe nicht nur das religiöse Leben in Juda wiederbelebt, sondern auch der Hinweis, dass er „[d]ie Bildstck und die hhin all“ (V. 63) ebenso wie „die Erin schlang | die Moses in der wiestin hanckt“ (V. 113 f.) entfernen ließ, muss den Basler Rat an den Bildersturm vom 9. Februar 1529 erinnert haben.¹² Anders als in der alttestamentlichen Vorlage war in Basel nicht die Obrigkeit für das Entfernen und die Zerstörung von Bildern und sakralen Ornamenten aus den Kirchen verantwortlich. Die etwa 200 Beteiligten an dieser gewalttätigen Aktion waren mehrheitlich Zunftmitglieder, die vom Rat die Einführung der Reformation forderten, während der Rat noch hoffte, evangelisches und altgläubiges Bekenntnis könnten koexistieren.¹³ Sowohl der Rat als auch die Evangelischen riefen zu Friede und Einheit in der Bürgerschaft auf, aber sie verstanden nicht dasselbe darunter: Die Evangelischen meinten, Friede und Eintracht seien in einer einheitlich reformierten Christenheit zu finden, in der die Messe nach römischem Ritus die Laien nicht länger spalten, sondern sie im reformierten Glauben vereinen würde. Der Rat wiederum war zwar bereit, die Autorität des Bischofs und des Domkapitels zu beschneiden, aber nicht, die Kontrolle über das religiöse Leben und die Praxis in der Stadt zu übernehmen und darüber zu bestimmen, welches der beiden Bekenntnisse in der Stadt nun das ‚richtige‘ sei.¹⁴ Wie mehrere Zeitgenossen aus jeweils unterschiedlicher Perspektive bezeugten, zog die Menschenmenge zunächst hinauf zum Münster, wo sie Lettner, Altarbilder, Tafelbilder, Statuen, Kruzifixe, Reliquien, Monstranzen, Patenen, Abendmahlskelche und Lichter zerstörten.¹⁵ Anschließend setzten sie den Bildersturm in den übrigen Kirchen von Großbasel fort, wo die Messe noch nach altgläubigem Ritus gefeiert wurde: St. Ulrich, St. Alban und St. Peter.¹⁶ Johannes Oekolampad unterstützte die gewalttätigen Ausschreitungen nicht. Zwar hatte
Zum Basler Bildersturm siehe: Lee Palmer Wandel, Kap. , Anm. ; ebenso: Sergiusz Michalski: Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht. In: Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Bob Scribner (= Wolfenbütteler Forschungen ). Wiesbaden , S. – . Siehe dazu: Palmer Wandel, Idols, bes. S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd.
60
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
auch er bereits 1528 eine ablehnende Einstellung gegenüber bildlichen religiösen Darstellungen entwickelt und befürwortete ihre Entfernung – seiner Ansicht nach sollte dies aber auf Anordnung der Obrigkeit in einer geordneten Aktion geschehen.¹⁷ Am ausführlichsten schildert der Basler Weber und Reformationsanhänger Fridolin Ryff, wahrscheinlich selbst aktiv Beteiligter, die Ereignisse.¹⁸ Ryff betont in seiner Darstellung, bei den Bilderstürmern habe es sich weder um Aufständische noch um übermütige Jugendliche, sondern um rechtschaffene Basler „Burger“, um verantwortungsbewusste und erwachsene Mitglieder des städtischen Gemeinwesens gehandelt.¹⁹ Den Grund für die Ausschreitungen sah Ryff in der Weigerung des Rates, auch das Regiment über die Kirchen und das sittliche Leben der Stadt zu übernehmen, wie es die Anhänger der Reformation forderten. Angesichts dieses ‚untragbaren‘ Zustands sei die evangelische „Gemeinde“²⁰ zum Handeln gezwungen worden.²¹ Die veränderte Wahrnehmung der Beziehung zwischen politischer Autorität und religiöser Praxis, die zu der Forderung führte, der Rat solle die Verantwortung auch über das religiöse Leben übernehmen, wird in keiner anderen zeitgenössischen Chronik so deutlich wie in der von Fridolin Ryff.²² Eine andere Perspektive auf den Bildersturm offenbart der Maler Konrad Vgl. Anm. ?. Fridolin Ryff: Chronik des Fridolin Ryff – . In: Basler Chroniken, Bd. , hg. von Wilhelm Vischer und Alfred Stern. Leipzig , S. – , bes. S. – ; siehe auch: Palmer Wandel, Idols, S. . Palmer Wandel, Idols, S. ; ebenso: Ryff, Chronik, S. , Z. . Der Begriff der ‚Gemeinde‘ proklamierte in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten ein politisches Ideal, nämlich die Stadt als einzige, in der concordia fest verwurzelte Gesamtkorporation. Gleichzeitig wird ‚Gemeinde‘ aber auch als Gegenbegriff zum Herrschaftsträger der Stadt, zum Magistrat gebraucht. (vgl. Meier, Spannungsverhältnis, S. ). Bezogen auf Köln als das größte Gemeinwesen mit einem Zunftregiment nördlich der Alpen stellen Meier/ Schreiner fest: „Ebenso wie der Freiheitsbegriff an Emphase gewann, wenn mit äußeren Herrschaftsträgern gerungen oder gegen Tyrannen im Innern gekämpft wurde, so artikulierte sich im Konfliktfall zwischen Rat und Bürgerschaft das Selbstverständnis der einfachen Leute im Gemeindebegriff. In ihm blieb die korporative Wurzel der Kölner Stadtverfassung stets präsent und abrufbar“ (ebd.). Wenn Ryff für die aktiven Teilnehmer des Basler Bildersturms den Begriff ‚Gemeinde‘ wählt, dann weist er einerseits auf das Spannungsverhältnis zwischen den evangelischen Herrschaftsbefohlenen und dem ihres Erachtens nach ‚untätigen‘ Rat hin. Gleichzeitig betont er aber auch die Geschlossenheit und Eintracht unter der Gruppe der Evangelischen, die die Stadt Basel als Gesamtkorporation repräsentierten. Siehe dazu: Palmer Wandel, Idols, S. und S. . Lee Palmer Wandel schreibt dazu: „According to his [Ryff′s] account, the evangelical iconoclasts of that date forced an unwilling town council to seize direction of lay religious life. By setting the iconoclasm of February within a political context, Ryff also suggested something of
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
61
Schnitt, selbst Anhänger der Reformation, der die Gewalt des Bildersturms verabscheute und die evangelischen Stadtprediger dafür verantwortlich machte.²³ Die Ausschreitungen ereigneten sich an einem Datum, an dem in vielen anderen eidgenössischen Städten – nicht aber in Basel – Faschingsdienstag gefeiert wurde.²⁴ Nach Ansicht von Lee Palmer Wandel war dieses Datum bewusst gewählt, da sich die aufständische evangelische „Gemeinde“ somit nicht nur die Deutungshoheit über die Datierung des Faschingsdienstags vom Bischof zurückeroberte. Das Fest, an dem vor Anbruch der Fastenzeit noch einmal alles ‚Fleischliche‘ gefeiert wurde, machte auch auf den weltlichen Charakter der Bilder und Devotionalien aufmerksam – und damit auch auf ihre vermeintliche Bedeutungslosigkeit im Vermittlungsprozess zwischen Gott und den Menschen.²⁵ Gemessen an der Zahl der Beteiligten und am Ausmaß der Zerstörung gehörte der Basler Bildersturm zu den schlimmsten seiner Zeit.²⁶ Im Vergleich zu ähnlichen Vorkommnissen, etwa in Bern, zeichnete sich die Zerstörungswut in Basel vor allem dadurch aus, dass sie von keiner Autorität, weder geistlicher noch säkularer,
the changing popular perception of the relation between political authority and the practice of religion among laypersons“, ebd., S. f. Vgl. Palmer Wandel, Idols, S. und S. und Konrad Schnitt: Die Chronik des Konrad Schnitts – . In: Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren bis Anfang , hg.von Emil Dürr, Bd. : bis Juni , S. – . Zum Leben Konrad Schnitts siehe: Frank Hieronymus: Art. „Conrad Schnitt“. In: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D.php, letzter Zugriff: . . . Seit dem Erlass von Papst Gregor dem Großen im Jahr gab es zwei Arten, die Länge der Fastenzeit zu berechnen. Nach der älteren Berechnungsweise begann die Fastenzeit am Dienstag nach Invocavit, Karneval endete damit am Montag nach Invocavit. legte Gregor der Große fest, dass Sonntage als ‚Tage des Herrn‘ nicht zu den Tagen der Fastenzeit gezählt werden sollten. Aus der Tage dauernden Fastenzeit wurde so eine insgesamt Tage dauernde Fastenzeit, da die sechs Sonntage nicht dazu zählten. Nach dieser Berechnung musste das Fasten bereits am Mittwoch vor Invocavit beginnen, am sogenannten ‚Aschermittwoch‘. Im Volksmund wurde die alte Berchnungsweise als „Bauernfastnacht“ bezeichnet, während die neuere Berechnungsweise „Herrenfastnacht“ genannt wurde – sie war vom höher stehenden Klerus festgesetzt worden. Der Basler Bischof folgte traditionell der alten Rechnungsweise, wodurch Karneval in Basel sechs Tage später endete als in vielen anderen eidgenössischen Städten, die Gregors Reform gefolgt waren. Lee Palmer Wandel interpretiert die gewalttätigen Ereignisse am . Februar , dem Tag, an dem nach der neueren Berechnung in vielen anderen Städten Faschingsdienstag gefeiert wurde, auch als ein Aufbegehren gegen den Basler Bischof, den Klerus und den als konservativ und traditionell erachteten Kalender. Indem sie ihr Unwesen an diesem Tag trieben, eroberten sie sich die Deutungshoheit, wann das Fest der Laien und das Fest der Fleischlichkeit stattzufinden habe. Vgl. Palmer Wandel, Idols, S. f. Vgl. Palmer Wandel, Idols, S. . Vgl. ebd.
62
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
gebilligt wurde – sie war illegal.²⁷ Der Rat, der selbst aus Evangelischen und Altgläubigen bestand, hatte bis dahin auf Ausgleich und Mäßigung zwischen den Parteien gesetzt; immer wieder hatte er die Entscheidung hinausgezögert, die Reformation einzuführen und die Messe nach römischem Ritus zu verbieten. Die Anhänger der Reformation empfanden die Koexistenz mehrerer Bekenntnisse hingegen immer mehr als Zumutung. Ihrer Ansicht nach konnten mehrere Lesarten der Bibel nebeneinander nur zu Verwirrung unter den Laien führen.²⁸ Die weltliche Obrigkeit, die sich bis zum Ausbruch der Gewalt am 9. Februar 1529 geweigert hatte, die Kontrolle über das religiöse Leben der Stadt zu übernehmen und nur noch das reformierte Bekenntnis zuzulassen, sah sich zum Handeln gezwungen.²⁹ Nur eine Stunde nach Ende des Bildersturms genehmigte der Rat alle Forderungen der „Gemeinde“, d. h. der Reformationsanhänger:³⁰ Alle Pfarrkirchen in Basel sollten evangelische Prediger bekommen, der Rat selbst solle ‚restrukturiert‘, d. h. alle altgläubigen Mitglieder sollten durch evangelische ersetzt werden.³¹ Da der Rat bereits am 1. April 1529 die Reformationsordnung nach dem Entwurf Johannes Oekolampads erließ, wurde der Bildersturm von Zeitgenossen und späteren Historikern als ‚Katalysator‘ bei der Einführung der Reformation betrachtet.³² Der Basler Obrigkeit, die sich nur widerwillig und nach langem Zögern der Kontrolle, Reformation und Vereinheitlichung des religiösen Lebens in der Stadt annahm, wird im Ezechiasdrama ein alttestamentlicher König mit seinen Rhten entgegengesetzt, der in Jerusalem selbst die Initative ergiffen hatte, (Götzen‐)Bilder zu entfernen und eine Reform des Kultes – ganz im Sinne der Reformatoren: Zurück zu den ‚Ursprüngen‘ – durchzuführen. Der Vorwurf einer ‚heidnischen‘, militärisch überlegenen Streitmacht im Drama, die in der Entfernung der Bilder aus Tempeln und Kirchen einen Abfall der Obrigkeit von Gott erblickte, dürfte die Verunsicherung mancher Basler Ratsherren widerspiegeln, ob
Vgl. ebd., S. . Auch der Zürcher Bildersturm war von der Obrigkeit verfügt worden: „In June , the city of Zurich ruled that all religious imagery was to be removed from churches“, McGrath, Idea, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Vgl. ebd., S. . Siehe als Beispiel für einen modernen Historiker u. a.: Guggisberg, Century, S. . Thomas A. Fudge nennt den Bildersturm einen von mehreren katalytischen Faktoren: „Following the example of popular movements at Wittenberg, Zwickau, Zurich and Waldshut, the people of Basel engaged in iconoclastic practices. There were a number of catalytic factors. Several of Karlstadt′s tracts had been printed and circulated. Gerhard Westerburg and Karlstadt visited the city, as did Müntzer and Hübmaier“, Fudge, Reformation, S. .
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
63
sie mit der Reformation gottgefällig gehandelt hatten. Die biblische Vorlage enthält somit einen Konflikt, der auf die Situation in Basel um 1530 übertragbar war, und die Birck entsprechend akzentuierte. Nachdem Sanheribs Brief verlesen ist, muss Ezechias entscheiden, ob er weiterhin auf Gottes Beistand vertrauen und den Kampf gegen die militärisch überlegene Streitmacht der Assyrer aufnehmen will, oder ob er sich Sanherib ergeben soll. Der König trifft diese Entscheidung nicht allein, er beratschlagt vielmehr „mit seinen Rhten“ (vor V. 93), das sind die Höflinge, die Grafen und der Herzog, insgesamt elf Figuren. Das von Ezechias formulierte Ziel der gemeinsamen Beratung ist die Freiheit der Gläubigen: „[a]uff das [sie] nit in gfangenschafft | gefrt werden durchs feindes krafft“ (V. 95 f.). Der Reihe nach geben alle Rhte ihre Stimme ab – mit dem Kamerer, dem Schreiber Sebna, dem Marschalck und dem Hertzog Pedarius zunächst vier Rhte, die nicht auf Gott vertrauen und Zweifel an Ezechias Reform des religiösen Lebens haben. Der Kamerer spricht sich dafür aus, Ezechias solle sich den Assyrern ergeben, weil diese Art von Frieden „kain ungmach hat“ (V. 106). Der Schreiber und der Marschalck betrachten dagegen die Reform des Kultes als einen fatalen Fehler, der das Land von Gott weggeführt und von außen angreifbar gemacht macht habe. Sebna beklagt: „So wir behalten hetten har | die Bildstck hhin und altar | Wie unser elter hond gebt | ließ uns Senacherib on trbt“ (V. 109 – 112). Auch der Marschalck sieht in der Reformation des Kultes, insbesondere in der Zerstörung der Ehernen Schlange des Moses, den Anfang vom Ende für das Volck: Vor zeyten bracht die Erin schlang Die Moses in der wiestin hanckt Dem volck vil hail und nutzbarkait Die hond Herr Küng ir weg gelait Zebrochen die / bringt yetzung vil Ungmach so man das dencken wil. (V. 113 – 118)
James A. Parente sieht in jenen Rhten ein von Birck hinzugefügtes Beispiel, um die Fehlbarkeit jedes politischen Systems zu demonstrieren, das von ‚gefallenen‘, sündigen Menschen geleitet wird. Dass König Ezechias die Kraft aufbringe, sich von solchen Fehltritten nicht beirren zu lassen, zeige nach Ansicht von Parente, dass Menschen Unglück mit Geduld und Gebet überwinden könnten, d. h., indem sie christliche Grundsätze berücksichtigten.³³
Vgl. James A. Parente: Religious Drama and the Humanist Tradition. Christian Theater in Germany and in the Netherlands – . Leiden [u. a.] , S. .
64
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Der Marggraff hält dagegen, seinen Vorrednern zähle der „Gtzen dienst mehr […] dann Gttlich ehr“ (V. 123 f.). So wird die Frage, wie sich die Freiheit des judaïschen Volkes behaupten lasse, zu einer Abstimmung darüber, ob die Reformation das Volk zu Gott hingeführt oder eher von ihm entfernt habe. Eine Frage, die zur Aufführungszeit des Dramas in Basel um 1530 leicht auf die Einführung der Reformation zu übertragen war. Der Ansicht des Marggraffen, der die Reformation verteidigt, schließt sich auch der Banerherr an, der befindet, dass der Kult vor Ezechias’ Reform nicht mehr dem Gesetz entsprach, das Moses ihren Vorfahren gegeben habe (V. 131 f.). Birck betont mit dieser Figurenrede, dass es sich bei der Jerusalemer Reformation um eine Rückkehr zu den ursprünglichen religiösen Praktiken gehandelt habe, bei der über die Zeit hinweg entstandene ‚Auswüchse‘ beseitigt worden seien. Damit betont der Autor die Parallele zwischen der Reformation des Ezechias und der Einführung der Reformation in Städten wie Basel und Augsburg, wo die Reformer ebenfalls zu einer ‚ursprünglichen‘ Form des Christentums zurückkehren wollten. Auch Graf Phrazomenus spricht sich dafür aus, weiterhin auf Gottes Beistand zu vertrauen. Er zweifelt zwar nicht an der Richtigkeit von Ezechias Reformen, wohl aber an der Loyalität des Volkes im Kriegsfall: „So wir uns gend in krieges leüff | so ist unser volck gantz nit steiff“ (V. 135 f.).³⁴ Eine bisher nicht genannte Deutung des drohenden Angriffs von den Assyrern bietet Hofmaister Eliakim: Er bezieht sich auf den Ausspruch des weisen König Salomon, wonach Gott die Seinen von Zeit zu Zeit bestrafe (V. 143 – 146), um so ihren Glauben auf die Probe zu stellen. Der Cantzler stimmt dieser Auffassung zu und führt „Moses / Abraham | David und ander alle sam“ (V. 149 f.) als Beispiele an, „[d]ie dann auch waren Gottes leüt | warden angefochten mit dem streit“ (V. 151 f.). Hertzog Bulephorus leitet daraus die Konsequenz ab, der König solle zu Gott beten, um die auferlegte Prüfung zu bestehen (V. 153 – 156). Die Spaltung der Rhte in Befürworter und Gegner der Reformen im Drama sollte vermutlich die Uneinigkeit des Basler Rates vor der Einführung der Reformation und seine Zusammensetzung aus sowohl altgläubigen als auch evangelischen Mitgliedern widerspiegeln. Die Uneinigkeit der Ratsmitglieder kann aber auch als pars pro toto den Dissens innerhalb der Basler Bürgerschaft über den Bildersturm und die Einführung der Reformation verstanden werden: Die Ablehnung der Reformation durch die Altgläubigen liegt auf der Hand. Wie das Beispiel von Konrad Schnitt gezeigt hat, herrschte aber selbst unter den Anhängern der Reformation Uneinigkeit bei der Bewertung des
‚steiff‘ meint hier ‚beständig‘ i. S. v. ‚constans‘. Siehe dazu: Grimm, DWb , Sp. – , bes. Sp. .
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
65
Bildersturms, dessen Gewalttätigkeit auch von Evangelischen nicht unbedingt gutgeheißen wurde. Der Erenhold rät dem König schließlich, seine „Legation“ (V. 159) zu Jesaja, dem „Gotts man“ (V. 160) zu senden, um dessen Rat einzuholen. Nachdem sich der Erenhold praktisch enthalten hat, lehnen vier von den Rhten die Reformation des Ezechias ab, nur eine knappe Mehrheit von fünf Rhten vertraut auf die Reformen und auf Gottes Beistand. Der König nimmt den Vorschlag des Erenholds an und schickt Eliakim mit dem Auftrag zu dem Propheten, er möge dabei helfen, Gott in der Not um Beistand zu bitten (V. 173 f.). In Anlehung an 2 Kön 19,14– 19 folgt darauf das Gebet Ezechias’, in dem er Gott anfleht, seine Macht auf Erden zu demonstrieren, auf dass er von jedermann gepriesen und angerufen werde (V. 195 f.). Den Zuschauern wird mit dem Gebet des Ezechias noch einmal verdeutlicht, dass dieser ein gottesfürchtiger und deshalb letztlich siegreicher König ist.³⁵ Damit geht der erste Akt zu Ende. Der Chor hebt zu einer vierstrophigen Vertonung des 125. Psalms durch den Straßburger Organisten Matthäus Greiter an, die 1524 unter dem Titel Qui confidunt in Domino in Straßburg erschienen war.³⁶ Der Psalmgesang preist jene als beständig und als „unwanckelbar“³⁷, die ihre Hoffnung auf Gott den Herrn legen und stellt diesen „in aller not“³⁸ den Beistand Gottes in Aussicht. Der Chor kommentiert damit die Dramenhandlung. Er deutet den glücklichen Ausgang des Stückes an und fasst zusammen, welche Eigenschaften dem König zum Sieg verhelfen. Damit ist der Chor auch eine Aufforderung an die Zuschauer und möglicherweise auch Leser des Dramas, in der Not auf Gottes Beistand zu vertrauen.
Vgl. Tschopp, Schultheater, S. . Matthäus Greiter ( – ) war als Mönch Vorsänger am Münster und Seelmesser an der Stephanskirche in Straßburg. Mit seinem Freund Wolfgang Dachstein trat er aus dem Kloster aus und schloss sich der Reformation an. Gemeinsam lieferten die beiden „die Tonstücke zu der und geschaffenen evangelischen Gottesdienstordnung in Straßburg“, Art. „Greiter, Matthäus“. In: Friedrich Wilhelm Bautz (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (), Sp. f. Bircks Zorobabeldrama endet mit Wolfgang Dachsteins Vertonung des . Psalms „An wasser flüssen Babylon | da sassen wir mit schmertzen“ etc. (siehe dazu S. ). Das vollständige Lied ist bei Wackernagel ediert: Philipp Wackernagel (Hg.): Das deutsche Kirchenlied: von der ältesten Zeit bis zum Anfang des XVII. Jahrhunderts. Mit Berücksichtigung der deutschen kirchlichen Liederdichtung im weiteren Sinn und der lateinischen von Hilarius bis Georg Fabricius und Wolfgang Ammonius, Bd. : Die Lieder des ersten Geschlechts der Reformationszeit bis zum Tode Martin Luthers: – . Leipzig [Nachdruck Hildesheim u. a. ], S. . Siehe auch: Irmgard Scheitler: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit, Bd. : Materialteil (= Würzburger Beiträge zur Musikforschung .). Tutzing , S. . Wackernagel, Kirchenlied, Bd. , S. , Nr. , Strophe . Ebd., Strophe .
66
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Der Chorgesang überbrückt in der Dramenhandlung die Zeit, bis Hofmaister Eliakim „sampt den eltern“ (vor V. 199) von ihrem Besuch beim Propheten Jesaja zurückkehren und dem König dessen Prophezeiungen in Form eines Briefes überreichen (V. 217 f.). Der Hofmaister fasst die wichtigsten Botschaften des Propheten vor dem Verlesen des Briefes zusammen: Man solle in seinem Glauben an Gott nicht wanken (V. 200). Gott werde die Gewalt des ‚Thyrannen‘ (V. 202) bald brechen und ihn durch das Schwert umkommen lassen (V. 209 – 212).³⁹ Im Drama hängt die Legitimität eines Herrschers – die ein ‚Tyrann‘ im Sprachgebrauch des 16. Jahrhunderts nicht hat – von der Frage ab, ob er Gottes Macht anerkennt oder ob er in seiner Vermessenheit seine weltliche Macht über die göttliche stellt.⁴⁰ Das wird im Brief mit der Prophezeiung des Jesaja deutlich, in dem das Wort Gottes nach der Vorlage von 2 Kön 19,20 – 34 in einem Monolog in der Ich-Form wiedergegeben wird, in dem der Assyrerkönig noch dreimal als „Tyrann“ bezeichnet wird (V. 229,V. 251 u. V. 267). In dem vom Propheten empfangenen Wort Gottes klagt dieser Sanherib an: „Thyrann du redst vermessenlich“ (V. 251). Den Knechten Sanheribs wirft er vor, den Herrn aus Israel verwiesen zu haben (V. 232– 234).Wie in der Bibel verkündet Gott im Drama durch die Stimme des Cantzlers, der den Brief des Propheten verliest, er habe Sanherib nach Israel geführt, damit er als Gottes „rte“ (V. 272) dort wüte.⁴¹ Er werde Nachdem die Wortfamilien ‚tyrannos‘ bzw. ‚tyrannus‘, ‚tyrannis‘ im Griechischen und Lateinischen ursprünglich wertneutral einen unumschränkten Herrscher bezeichneten, gewann „das Wort [in der politischen Theorie seit Platon] pejorative Bedeutung, da der ‚tyrannos‘ im Gegensatz zum ‚basileus‘ einen losgelöst von den Gesetzen herrschenden Regenten bezeichnet.“ In seiner im Lateinischen vorherrschenden pejorativen Bedeutung ‚gewaltherrscher‘, ,despot‘ wurden ‚Tyrann‘ und seine Derivative dann in die deutsche Volkssprache entlehnt, wo es häufig in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Diskussion um Legitimität von Herrscherschaft verwendet wird. Vgl. Klaus Kipf: ›Tyrann‹ und ›Tyrannei‹. Die Einbürgerung eines politischen Diskurses in die deutsche Sprache und Literatur (. – . Jahrhundert). In: Wort – Begriff – Diskurs. Deutscher Wortschatz und europäische Semantik, hg. von Heidrun Kämper u. Jörg Kilian (= Sprache – Politik – Gesellschaft ). Bremen , S. – , hier S. . Besonders ab häufen sich die Belege für die Verwendung des Begriffs, insbesondere in der literarischen Antikenrezeption, zu der auch Bircks Dramen zu zählen sind. Vgl. ebd., S. . Zur Rezeption antiker Lehren von Herrschaftsformen, siehe u. a.: Quentin Skinner: The foundations of modern political thought, Bd. : The Renaissance. Cambridge [u. a.] , bes. S. – . Dass der Angriff der Assyrer eine „rte“ (V. ) zur Bestrafung der Sünden ist, wird in der biblischen Vorlage so nicht gesagt. Zur Zeit der Dramenaufführung wurden die Angriffe der Osmanen gängigerweise als eine Geißel Gottes zur Bestrafung der Christen für ihre Sünden angesehen. Mit diesem Argument setzten sich auch Luther und Erasmus in ihren Stellungnahmen zu den Türkenkriegen auseinander. Auch wenn die beiden Gelehrten der Auffassung waren, die Türken seien als eine Geißel in Gottes Hand zur Bestrafung der Christen für ihre Sünden bzw. als ein Aufruf Gottes zur Bekehrung zu verstehen, zogen sie unterschiedliche Konsequenzen, wie auf die Angriffe zu reagieren sei. Während Luther die Ansicht vertrat, man müsse diese Strafe Gottes
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
67
die Assyrer nun wieder wegführen und fordert den „Küng mit der Burgerschafft“ (V. 277) auf: „verlond euch nun auff Gottes krafft“ (V. 278). Nach der Vorlage von 2 Kön 19,29 prophezeit Jesaja dem König, man werde in diesem Jahr die Früchte essen, die der Feind abgeschlagen hat, im Jahr darauf die Früchte, die wild wachsen und im dritten Jahr werde man wieder säen und ernten, dann werde Gott den Feind auf dem Weg zurücktreiben, auf dem er gekommen ist. So werde Gott seine „glori“ (V. 317), d. h. seinen Ruhm und seine Ehre retten und das Versprechen an seinen „knecht“ (V. 318) David halten, „das sein reich nimmer soll zergan“ (V. 320).⁴² Jesaja stellt dem judaïschen Volk nicht nur „die freyhait werd“ (V. 297) vor Augen, sondern auch die Expansion des ‚hailigen reiches‘.⁴³ Da dies die einzige Stelle in der Prophezeiung des Jesaja ist, an der sich Birck nicht auf die biblische Vorlage bezieht, scheinen Freiheit und die Ausbreitung des ‚hailigen reichs‘ Wünsche der Bürgerschaft von Basel und/oder Augsburg widerzuspiegeln. Mit der Expansion kann in diesem Kontext die Verbreitung des reformierten Glaubens in die umliegenden Städte und Territorien gemeint sein. Nachdem die Prophezeiung des Jesaja und damit das Wort Gottes auf der Bühne verlesen wurde, fordert Ezechias alle Umstehenden auf, sich zu freuen und Gott zu loben (V. 321 f.). Daraufhin kommt ein Kriegssman auf die Bühne, der laut Regieanweisung „[d]as Botten brot bringt“ (vor V. 323) und dem König nach der Vorlage von 2 Kön 19,35 und 2 Chr 32,21 berichtet, ein Engel habe im Lager der Assyrer eine große Anzahl Soldaten getötet, woraufhin der Hauptmann zu seinem König zurückgekehrt sei.⁴⁴ Wohl um im Drama die Einheit der Zeit zu wahren, tritt der Bote gleich nach der Verlesung der Prophezeiung von Jesaja auf. Bei einer Aufführung entstand so der Eindruck, der Engel müsse die Assyrer während der Verlesung der Prophezeiung umgebracht haben.⁴⁵ Auf den Botenbericht folgt im Ezechiasdrama ein Chorgesang, Martin Luthers Vertonung des 124. Psalms.⁴⁶ Da der Text offensichtlich allgemein bekannt war, sind im Dramentext nur die ersten beiden Verse abgedruckt. In der Vertonung singen die Choreuten in der 2. Person Plural, wie sie einer drohenden Gefahr entgingen, weil Gott „nicht zu gab / das yhr schlund uns annehmen, indem man sie über sich ergehen lasse, sah Erasmus darin eine Anfechtung Gottes, gegen die man sich tätlich zur Wehr setzen müsse. Siehe dazu Kap. ., bes. S. f. Die Vorlage dafür ist Kön ,. „Sonder ir werden schnelligkleich | außbreiten weit das hailig reich“ (V. f.). „Der Hauptman z seim Küng hin zeücht | ich waiß nit wa der selbst hin fleücht | Er ist von Libna gzogen ab | sy sagen das der Engel hab | Ertdtet dort in seinem heer | ain gten hauffen oder meer“ (V. – ). Die dramaturgische Technik, während eines Chorgesangs einen Zeitraum von teilweise mehreren Jahren verstreichen zu lassen, um die Dramenhandlung so gemäß der biblischen Vorlage wiederzugeben, wendet Birck erst im ca. drei Jahre später verfassten Josephsdrama an. Vgl.: Scheitler, Schauspielmusik, S. .
68
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
mcht fangen“.⁴⁷ Der Inhalt des Chorgesangs reflektiert die Situation der Dramenfiguren aus der Perspektive jener, die die Gefahr bereits überstanden haben. Der dritte und letzte Akt besteht einzig in der Verlesung eines königlichen Mandats durch den Ernhold, das keine biblische Vorlage hat. In dem Mandat wendet sich der König an seine „Burger“ (V. 339) aller Stände: „ir seyen groß stands oder klain | Oder ir seind arm oder reich“ (V. 340 f.). Das vom König erlassene Mandat fordert von den Bürgern im Wesentlichen, keinen Götzen zu dienen, da Gott diesen Dienst bestrafe.⁴⁸ Die Tatsache, dass es für dieses Mandat keine Vorlage gibt, legt nahe, dass mit diesem Monolog im Sinne der Dramenhandlung zwar das Volk von Juda angesprochen wird, auf einer zweiten Funktionsebene wendet sich der Erenhold aber im Namen des Königs, d. h. der Obrigkeit, an das ständisch gemischte Publikum einer reformierten Stadt wie Basel oder Augsburg, um die Lehren des Stückes auf den Alltag der Bürger zu übertragen. Birck bediente sich damit derselben dramaturgischen Technik wie Heinrich Bullinger in seinem Lucretiadrama, wo das städtische Publikum von Zürich in der ‚Rolle‘ des römischen Volkes angesprochen wird und die Lehren verinnerlichen soll, mit denen sich Brutus auf der Ebene der Dramenhandlung an die Römer wendet.⁴⁹ In ihrer ‚Rolle‘ des Volkes Israel lobt der König in seinem Mandat auch die Basler bzw. Augsburger Bürgerschaft, „das wir allain hond unser hertz | auff ihn [Gott] gesetzt“ (V. 351 f.), was im Kontext der Dramenaufführung sicherlich die Einführung der Reformation meinte. Für die Zukunft ist das „gebott“ (V. 355), das vom König an die Bürgerschaft ergeht, „das ir nit weichen hie von Gott“ (V. 356), d. h. an diesem Reformationskurs festzuhalten. In seinem Mandat preist der König die Macht Gottes auf Erden. Als Beispiel dafür, wie leicht es Gott falle, eine mächtige Streitmacht zu vernichten, führt er den Tod Pharaos im Roten Meer an, der dem Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten gefolgt war.⁵⁰ Der Verweis auf Ex 14 zeigt, wie Birck beim Anführen weiterer biblischer Exempla in der alttestamentlichen Chronologie bleibt und keine Exempla anführt, die erst nach der Zeitspanne stattfinden, die in 2 Kön 18 f. und 2 Chr 29 – 32 beschrieben wird. Noch einmal wird – deutlicher – betont, dass Gott den Menschen einen „Thyrannen“ (V. 378) als eine „rte[]“ (V. 377) sendet, wenn sie von Gottes Gesetz abgefallen sind (V. 375 f.). Diese Deutung wird in Kap. 6.3 zum lateinischen
Martin Luther: Die deutschen geistlichen Lieder, hg. von Gerhard Hahn. Tübingen , Nr. , S. , V. f. Vgl. Brunner, Bilder, S. . Siehe Kap. ... „Also hat er den Pharaon | ertrenckt mit mengem stoltzen man | Dort in des roten Mres grund | hat dardurch gfrt ewr elter gsund | Durch den Jordan auch deß geleich | da er in eingab dises reich“ (V. – ).
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
69
Judithdrama relevant, wo Birck den Tyrannenmord an Holofernes mit den Türkenkriegen in Verbindung bringt. In Anlehnung an das zweite und vierte Gebot (Ex 20,5) beschreibt der König den Herrn in seinem Mandat als einen „eyferige[n] Gott“ (V. 381), der es nicht gern sehe, „das man von seim bott | Weich ab / und bett ain andern an“ (V. 382 f.).⁵¹ In letzter Zeit – damit kann die Zeit vor der Reformation des alttestamentlichen Königs Ezechias ebenso gemeint sein wie die Jahre vor der Einführung der Reformation in Basel oder Augsburg – sei „mengen man | Umb sein abfall in trawren gsetzt | biß das man sich wider z letzt | In rewen wider z im wendt | und in allain für Gott erkendt“ (V. 384– 388). Angesichts der Situation in Basel etwa ein Jahr nach dem Bildersturm, in dessen Folge der Rat die Reformation einführte, wurden die Zuschauer einer Aufführung sicherlich an die Zeit vor dem Bildersturm in Basel erinnert, als Kirchen noch – im Vokabular der Evangelischen – mit „götzen oder bilder[n]“⁵² ausgestattet waren. An dieser Stelle wird deutlich, wie die historische Parallele vom Alten Testament auf den zeitgenössischen Kontext des Dramas übertragen und die Einführung der Reformation gleichzeitig im positiven Sinne als eine Rückkehr zum wahren Glauben gedeutet wird. Da eine solche Umkehr in Reue (V. 387) aber nicht in der Bibel beschrieben wird, liegt es nahe, dass sie aus dem Erfahrungshorizont des Autors gegriffen war. Neben der Bestärkung der Zuschauer, mit einem Bekenntnis zum reformierten Glauben richtig gehandelt zu haben, mahnt der König, den ‚rechten‘ Glauben auch in Zukunft beizubehalten: Darumb ist das der wille mein das ir euch laßt empfolhen sein Die Gottes ehr z aller zeit an allen orten und so weit Mein reiche langt / mein Zepter gaht wie yedlicher in seinem staht Geadlet ist / nit widerstreb sonder in dem gebott Gotts leb Wie wir vor jaren gordnet hand überal in dem gantzen land (V. 391– 400).
In der Zürcher Bibel lauten das zweite, dritte und vierte Gebot: „Du solt kein andere Gtter vor mir haben. Du solt dir keyn gegrabne bildtnuß machen / noch yhenen ein gleychnuß machen / weder des das im him(m)el von obe(n) hrab / noch des das unden auff erden: oder des das in dem wasser under der erden ist. Eer sy nit / und dien jnen nit: dann ich der HErr dein Gott bin ein starcker eyfrer […]“ (ZB, Ex ,A). Der Zeitgenosse, Reformationsanhänger und möglicherweise aktive Teilnehmer des Basler Bildersturms bezeichnet die zerstörten Bilder und Ornamente in seiner Chronik als „götzen oder bilder“, Ryff, Chronik, S. .
70
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Eine weitere Ankündigung des Königs über den Ausschluss aller, die forthin gegen die neue Ordnung verstießen, hat ebenfalls kein Vorbild im biblischen Text und ist damit als Warnung an den zeitgenössischen Bürger zu verstehen, die Reformationsordnung zu achten. Andernfalls drohe ihm der Ausschluss aus dem Gemeinwesen, bis er wieder zum ‚rechten‘ Glauben zurückgekehrt sei: Wer darwider fürhin würt thon Oder den underwegen lon Der soll hie wissen wissigkleich Das er fürhin in unserm reich Kain gnad oder statt finden sll So lang biß das er wider wll Sich schicken recht nun in die sach Dann würt er haben wider gmach (V. 404– 411).
Mit dieser Passage in dem vom König erlassenen Mandat befürwortet das Drama ausdrücklich die Kontrolle der weltlichen Obrigkeit über das religiöse Leben der Untertanen und die Religionspraxis des Einzelnen. Übertragen auf den Basler Kontext fordert Birck wie die Mehrheit der Evangelischen, der Rat dürfe nur das eine ‚wahre‘ Bekenntnis zulassen und müsse die Messe nach römischem Ritus verbieten. Nachdem der Rat dieser Forderung infolge des Bildersturms nachgegeben hat, wird bei einer Aufführung des Dramas bestätigt, dass er richtig gehandelt habe und den eingeschlagenen Kurs fortsetzen solle. Am Mandat des Königs zeigt sich auch, dass sich Birck ebenso wie Bullinger der Dramentechnik bediente, das Publikum so anzureden, als sei es das römische bzw. das Volk Israel der Dramenhandlung. Die Lehren und Ermahnungen, mit denen sich die Obrigkeit im Drama an die Bevölkerung von Rom bzw. Juda richtet, sollen vom Theaterpublikum verinnerlicht werden, das sich so mit der antiken Bürgerschaft identifizieren und die historische Parallele auf seine eigene Lebenswelt übertragen sollte. So konnten die Bibeldramen in einer Phase des kollektiven Umbruchs Orientierung durch biblische Beispiele geben und die gesamte Bürgerschaft darin bestärken, dass sie mit der Reformation des religiösen Lebens auf dem ‚richtigen‘ Weg sei. Ein Vergleich mit dem Alten Testament konnte zudem dazu beitragen, der zeitgenössischen Situation mehr Gewicht zu verleihen und ihr einen Platz im Heilsgeschehen zuzuweisen, was ebenfalls bestärkend wirken sollte. Das Drama spricht hierbei vom Standpunkt einer idealen weltlichen Obrigkeit zu der Bürgerschaft, die die Reformation des Glaubens und des sittlichen Lebens konsequent vorantreibt. Auf diese Weise trägt das Drama dazu bei, die Reformation in allen Ständen einer städtischen Bürgerschaft durchzusetzen und zeigt der Stadtobrigkeit gleichzeitig das Rollenmodell, das ihr dabei zukommen soll.
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
71
Anders ist die Sprechsituation im Rahmentext der Beschlußred. Hier spricht die Jugend der Stadt,vermutlich Bircks Schüler, die an der Aufführung mitwirkten, zur Obrigkeit („ir liebsten vtter gt“, V. 428). Im Unterschied zum Binnentext, in dem alle Aussagen in die Zeit des Alten Testaments eingebettet sind, fasst der Epilog die Lehren des Schauspiels für die zeitgenössischen Christen, insbesondere für die christliche Obrigkeit, zusammen. Die Sprecherfigur redet in der Wir-Form stellvertretend für die Jugend der Stadt und thematisiert auch die hierarchische Differenz,wenn die Schüler die Obrigkeit ermahnen: „Darumb ir liebsten vtter gt | fassend unser leer wol z mt | Das wir nit alt seind achtent nitt | sonder volgend hie unser bitt“ (V. 428 – 431). Wie zuvor das Publikum im Drama vom alttestamentlichen König ermahnt wird, am reformierten Glauben festzuhalten, so ermahnt der Epilogsprecher nun auch die weltliche Obrigkeit von Basel, weiterhin die Kontrolle über das religiöse Leben der Stadt auszuüben und ausschließlich das ‚einzig wahre‘, reformierte Bekenntnis zuzulassen: „Das nun allzeit die Gottes ehr | bey euch erwachs ye lenger mehr | Lond euch allzeit befohlen sein“ (V. 416 – 418). Damit befürwortet Birck mit seinem Drama den von der evangelischen „Gemeinde“ in Basel geforderten Politikwechsel des Rates, die Kontrolle über die Kirchen in der Stadt zu übernehmen und nur mehr ein einziges Bekenntnis zu dulden. Wie bereits beschrieben, hatte der Rat bis zum Bildersturm versucht, in dieser Frage neutral zu bleiben und zwei Bekenntnisse nebeneinander bestehen zu lassen. Die Erkenntnis, zu der die Dramenhandlung führen soll – dass Gottes Beistand selbst den militärisch weit unterlegenen Ländern zum Sieg verhelfen könne – dürfe nicht missverstanden werden, ein reformiertes und damit gottesfürchtiges Gemeinwesen könne leichtfertig einen Krieg beginnen. Wer sich einen wahren Christen nennen wolle, der solle sich den Gottessohn selbst zum Vorbild nehmen, denn „Christus kain Herr des kriegens ist“ (V. 420). Den wahren Christen fordert der Epilogsprecher hingegen auf: „Tracht du nach frid und ainigkait | auch fg niemandts nit z kain laid“ (V. 422 f.). Die Lehre, die die Obrigkeit aus dem Stück ziehen solle, sei, dass man im Kriegsfall, „[w]a aber dir würt botten an | der krieg“ (V. 424 f.), auf Gott vertrauen solle, denn „der feind gwalt [bricht] mit seim willen“ (V. 427). Über die Aussagen zum Krieg hinaus wollten die jungen Schauspieler mit ihrem Stück ganz allgemein zum „gmain nutz“ (V. 436) beitragen und zählen auch auf, welche Tugenden dazu beitragen würden: „das ist erbarkait | Gotts forcht / frid / rhatschlag / dapfferkait“ (V. 436). Zum Abschluss wird „Christus unser Herr“ angerufen, „dem sey allzeit lob / preiß und ehr“ (V. 438 f.).
72
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
3.1.3 Zusammenfassung Mit seiner Dramatisierung des Hiskiastoffes in Basel, ein bis zwei Jahre nach der Einführung der Reformation, bestätigte Birck vor allem die von ihm erachtete Legitimität der vergangenen Ereignisse – die Entfernung sämtlicher Bilder und Devotionalien aus den Basler Kirchen. Ebenso befürwortete er die von den Reformationsanhängern geforderte Kontrolle des religiösen Lebens durch das weltliche Regiment und den Ausschluss der Altgläubigen von den Gottesdiensten. Das Drama richtete sich an die Obrigkeit, die in ihrem bisherigen Kurs bestätigt und zur Fortsetzung desselben aufgefordert wird. Gleichzeitig forderte er die Bürger der Stadt auf, dem ‚Götzendienst‘, d. h. in diesem Kontext dem altgläubigen Ritus, fernzubleiben. Die Wahl eines alttestamentlichen Stoffes als Vorlage für sein erstes Drama ist bereits charakteristisch für Bircks nachfolgende Stücke – zumal sich der biblische Stoff leicht auf die Situation einer Bürgerschaft kurz nach der Einführung der Reformation übertragen lässt. Auch wenn das Stück kürzer ist, weniger Sprechrollen hat als spätere Dramen und aufgrund der zahlreichen langen Monologe noch relativ handlungsarm ist, lassen sich bereits einige Merkmale erkennen, die als typisch für Bircks Schauspiele gelten können. So treten die ‚heidnischen‘, negativen Exempelfiguren wie Sanherib nicht selbst auf. Der Schauplatz ist allein die reformierte Stadt Jerusalem, wodurch der Schwerpunkt der Bearbeitung auf dem bedrohten Gemeinwesen und seinen Prozessen zur Entscheidungsfindung liegt. Birck nutzte diese negativen Exempelfiguren folglich auch nicht, um zeitgenössische Feindbilder wie etwa den römischen Klerus oder die Täufer darzustellen und vermied damit jede Form von Polemik und das Schüren von Konflikten in der Stadt der Aufführung. Die Monologhaftigkeit, die das Schauspiel kennzeichnet, war wahrscheinlich ein von Birck bewusst eingesetztes Stilmittel, um der Theaterskeptik mancher Zeitgenossen zu begegnen: Die Darstellung der Handlung in teils langen Monolgen der Schauspieler sorgte statt für Lebendigkeit für Starrheit und Ernst, sie lenkten die Aufmerksamkeit nicht auf die Handlung und ihre Spannungen, sondern auf die Verbreitung einer reformierten Sicht auf die Welt. Wie Brunner bereits konstatiert hat, wird der drohende Angriff der Assyrer in der Dramenhandlung nebensächlich behandelt. Die Bedrohung von außen gilt als Prüfung, ob Gott dem Gemeinwesen beisteht und ob sich die Bürgerschaft mit der Einführung der Reformation Gott angenähert oder ob sie sich von ihm entfernt hat. Die Dramenhandlung soll den Zuschauern verdeutlichen, dass bei dieser Frage ein Zusammenhang mit der eigenen Lebensführung bestehe.⁵³ Das Ezechiasdrama
Vgl. Brunner, Bilder, S. .
3.1 Das weltliche Regiment als Hüter des religiösen Lebens: Ezechias (ca. 1530)
73
weist einen deutlichen Bezug zu den späteren Judithdramen auf, da auch hier der drohende Krieg im Schauspiel genutzt wird, um die Basler Bürger zum „Verharren im rechten Glauben und im Gottesdienst“⁵⁴ anzuhalten. Wie Brunner bereits richtig festgestellt hat, kann bei diesem Drama – anders als in den Judithdramen – kein direkter Zusammenhang zu den Türkenkriegen, die mit der Belagerung Wiens 1529 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten, ausgemacht werden.⁵⁵ Als weiteres typisches Merkmal kann angeführt werden, dass Ezechias als oberster Regent seine Entscheidung zur Aufgabe oder Verteidigung der Stadt nicht selbst fällt, sondern dass er sie an seine zwölf ‚Rhte‘ weitergibt, die sich der Reihe nach äußern. Nur in diesem Rahmen werden ‚falsche‘ Meinungen derer geäußert, die an der Richtigkeit der religiösen Reformen zweifeln und die Stadt daher angreifbar wähnen. Diese ‚falschen‘ Ansichten werden jedoch von den übrigen ‚Rhten‘ widerlegt, die auch zahlenmäßig knapp überlegen sind. Endgültige Gewissheit bringt die Prophezeiung des Jesaja, der dem Land rät, auf Gott zu vertrauen, was letztlich zum Sieg führt. Die Figurenrede wird von langen Monologen dominiert, in denen u. a. das Schreiben Sanheribs vorgetragen wird. Lediglich die Beratung Ezechias mit seinen Vertrauten und die Abstimmungsrunde bringen Abwechslung in das Schauspiel. An diesem frühen Drama zeigt sich besonders deutlich die ursprüngliche Absicht des Autors, das Theater zu nutzen, um die Bibel in der Basler Bürgerschaft zu verbreiten, die biblischen Erzählungen bekannt zu machen. Die Aufführung alttestamentlicher Stoffe sollte sie auch dem nicht lesekundigen Publikum zugänglich machen und sie im Medium der Aufführung anschaulich werden lassen, ähnlich wie die mittelalterlichen Osterspiele in der Kirche. Erst in seinen späteren Dramen bemühte sich Birck, die Identifikation der Zuschauer mit bestimmten Dramenfiguren zu erzeugen. Im Ezechiasdrama geht es noch darum, alle Zuschauer gleichermaßen an das Festhalten am ‚rechten‘ Glauben anzuhalten. Birck setzt die dramatischen und dramaturgischen Mittel so ein, dass eine christliche Republik mit Gott als oberstem Regenten nach alttestamentlichem Vorbild dargestellt wird, an dem sich auch reformierte Städte wie Basel und Augsburg orientieren sollten. Auf der Ebene des Binnentextes trägt dazu vor allem die Auswahl des biblischen Stoffes bei, die auf eine gerade reformierte Bürgerschaft übertragbar war,
Ebd. Brunner führt dazu an, Basel sei vom Kriegsschauplatz Wien zu weit entfernt, als dass die Baseler befürchteten, selbst bald unmittelbar in Kriegsereignisse verstrickt zu werden. Vgl. ebd., S. . Die Erwägung Brunners, Birck sei „wie Erasmus oder Luther vor der Belagerung Wiens […] nicht zwingend davon überzeugt, daß militärisches Vorgehen gegenüber den Türken die richtige Maßnahme [sei]“, kann daher in dieser Arbeit nicht bestätigt werden, da sich in dem ganzen Drama keine Bezugnahme auf die Türkenkriege findet.
74
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
wozu Birck auch entsprechende Parallelen hervorhob. Im Binnentext wird die Identifizierung einer reformierten Bürgerschaft mit dem Volk Israel besonders durch die Verlesung des königlichen Mandats am Ende der Dramenhandlung erzeugt, das kein Vorbild in der Bibel hat, und mit dem Birck Lehren an sein Publikum richtete. Die Bürgerschaft solle demnach nach dem Gebot Gottes leben und die Reformation des religiösen Lebens und des Kultes unterstützen. Der Zusammenhang zwischen den Reformen des Hiskia im nachexilischen Jerusalem und in Basel kurz nach Einführung der Reformation liegt auf der Hand: Das Drama soll die Uneinigkeit der Gemeinschaft über die durchgeführten Reformen – die Entfernung der ‚Götzenbilder‘ – reflektieren und die Unsicherheit, ob diese die Gemeinschaft nun näher zu Gott geführt hätten oder von ihm weg. Die Bedrohung der Gemeinschaft durch Krieg ist bei diesem Konflikt nebensächlich, an ihm erweist sich lediglich, ob Gott der Stadt beisteht oder nicht. Der Auftritt des assyrischen Königs wird dadurch überflüssig. Auch wenn sich Birck mit dem Drama nicht dazu äußert, ob die Gewalt des Bildersturms in Basel gerechtfertigt war – was selbst Anhänger der Reformation bezweifelten – so befürwortet das Ezechiasdrama doch deutlich die Entfernung der als „götzenbilder“ erachteten Kirchenausstattungen und die Aufsicht der weltlichen Obrigkeit über das religiöse Leben in der Stadt. Wie die Dramenhandlung zeigt, steht Gott dem Volk Juda bei, nachdem der König Hiskia als oberster Herrscher die Reform des Kultes, die Entfernung der Bilder und der Ehernen Schlange des Moses durchgeführt hat. Damit soll das alte Jerusalem dem zeitgenössischen Basel als Vorbild dienen und der Bürgerschaft, vor allem aber dem Rat, bestätigen, ‚richtig‘ gehandelt zu haben. Während der Binnentext streng in der Chronologie des Alten Testaments bleibt, werden in den Rahmentexten, gemäß dem Aufführungskontext, die zeitgenössischen Christen angesprochen – in der Vorrede zunächst das ganze christliche Publikum, im Epilog speziell die christliche Obrigkeit. Durch den Mund der Jugend, die an der Aufführung beteiligt war, richtete Birck seine Lehren an den Rat der Stadt. Dieser sollte sich ein Beispiel an Ezechias nehmen, dass ein Gemeinwesen nur dann in Frieden und Freiheit leben könne, wenn es an den Reformen der Religion festhalte und Gottes Willen auf Erden erfülle. Dabei solle das Beispiel nicht missverstanden werden, leichtfertig einen Krieg zu beginnen. Diese Lehren aus der alttestamentlichen Theokratie des Landes Juda sollten so bei einer Drameninszenierung – kontrolliert – auf eine reformierte Stadt übertragen werden.
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
75
3.2 Die Reform des religiösen Lebens unter einer weisen und tugendhaften Obrigkeit: Das Zorobabeldrama (ca. 1531) Das alttestamentliche Buch Esra beschreibt das Ende der Babylonischen Gefangenschaft und den Beginn des Wiederaufbaus des Tempels in Jerusalem. Zentrales Thema des Buches ist „die Konstituierung der reinen Jhwh-Gemeinde, die sich unter Bewahrung grundlegender jüdischer Identitätsmerkmale in der heiligen Stadt Jerusalem um den Jhwh-Tempel als den Mittelpunkt kosmischer Ordnung und religiösen Lebens versammelt.“⁵⁶ Am Beginn des Esrabuches erhalten die im Babylonischen Exil lebenden Judäer vom Perserkönig Cyrus die Erlaubnis, nach Jerusalem zurückzukehren und den von den Idumeern zerstörten Tempel wiederaufzubauen (1 Esr 1– 6).⁵⁷ In diesem Abschnitt wird der Davidide Zorobabel oder Serubbabel bereits als der von Cyrus eingesetzte Statthalter von Juda erwähnt. Zusammen mit dem Hohepriester Josua (Jeschua) baut er den Altar im Zweiten Tempel wieder auf (1 Esr 3,2 f.). Als die Konstituierung der jüdischen Gemeinde ins Stocken gerät, wird der Schriftgelehrte Esra vom persischen König nach Jerusalem entsandt, um am Wiederaufbau mitzuwirken und das Gesetz des Moses in der neuen Gemeinde durchzusetzen (1 Esr 7– 10).⁵⁸ Auch der hohe persische Beamte Nehemia beteiligt sich am Wiederaufbau der Mauern von Jerusalem und an der Reform und Festigung des religiösen Lebens (Neh 7– 13).⁵⁹
3.2.1 Die apokryphe Pagenerzählung 3 Esr 3 – 4 Neben dem kanonischen Buch Esra und Nehemia gibt es noch weitere auf Griechisch und Latein überlieferte Esrabücher, die in der Septuaginta als Esdras α, in der lateinischen Tradition als 3 Esr gezählt werden.⁶⁰ Die apokryphen Esrabücher wurden in die 1531 erschienene Zürcher Bibel aufgenommen, nicht aber in Luthers Vollbibel von 1534. Sixt Birck könnte bereits vor Erscheinen der Zürcher Bibel die Apokryphenübersetzung Leo Juds gekannt haben, die 1529 bei Christoph Froschauer d. Ä. in Zürich gedruckt wurde und die Die zwey letsten bcher Ezra
Jan Christian Gertz (Hg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. Göttingen , S. . Vgl. Die Bibel/Einheitsübersetzung, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Gertz, Grundinformation, S. . In der Vulgata befindet sich Esr , – , im Anhang: Biblia Sacra. Iuxta Vulgata Versionem, Stuttgart , S. – .
76
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
enthält.⁶¹ Den Namen ‚Zorobabel‘ übernahm Birck wohl aus der Vulgata, die ihm als Vorlage diente.⁶² Auch der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus nahm die ‚Pagenerzählung‘ mit Ζοροβάβηλος als Hauptfigur in die Antiquitates Judaïces auf, jedoch ohne nennenswerte Unterschiede zur Vulgata.⁶³ In der sogenannten ‚Pagenerzählung‘⁶⁴ 3 Esr 3 – 4 rufen drei Leibwächter des Großkönigs Darius einen Wettstreit aus, bei dem der König entscheiden soll, wer von ihnen die weiseste Rede hält. Ihre Ansichten überreichen sie Darius zunächst schriftlich: Der erste Page schreibt auf, der Wein habe die größte Macht auf Erden, der zweite, der König sei stärker als Wein, der dritte Page, Zorobabel, meint, die Frauen seien stärker als der Wein und der König, am stärksten auf dieser Welt aber sei die Wahrheit. Als der König die Ansichten der drei gelesen hat, beruft er die obersten Machthaber aus allen Ländern seines Großreichs, um mit ihnen die Entscheidung über die weiseste Rede zu treffen. Die drei Wachmänner tragen ihre Argumente vor der Versammlung vor (3 Esr 4). Der erste argumentiert, der Wein verführe und überwältige alle Menschen gleichermaßen, den Armen ebenso wie den König, den Freien ebenso wie den Leibeigenen. Er bringe sie alle gleichermaßen um den Verstand, mache sie sorglos und fröhlich und lasse sie ihren Kummer, ihre Schuld und ihr Amt vergessen. Der zweite Page vertritt die Ansicht, der König übertreffe den Wein an Stärke, da in seinem Land alle Untertanen seinem Befehl gehorchten. Niemand wage es, sein Gebot zu übertreten. Er allein entscheide über Leben und Tod und alle Kriegsbeute würde zu ihm gebracht. Der dritte Leibwächter, Zerubabel, führt dagegen an, die Frauen hätten den König und alles Volk geboren und erzogen, ihre Stärke sei daher größer. Zudem würde ein Mann alle weltlichen Kostbarkeiten für eine schöne Frau aufgeben, er würde seine Heimat für eine Frau verlassen und sich nicht weiter um seinen Vater und seine Mutter sorgen. Daraus folgert Zerubabel, dass Männer in Wahrheit von Frauen beherrscht und manchmal sogar an ihnen wahnsinnig würden, wie das Beispiel eines großen Königs und seiner Konkubine Apame zeige (3 Esr 4,29). Apame, die Tochter des Bezacus, habe sich mit der einen Hand die Krone des Königs aufgesetzt und ihn mit der anderen Hand ins Gesicht geschlagen, während ihr der König treu ergeben gewesen sei. Zerubabel fragt angesichts
Leo Jud: Disz sind die bcher Die bey den alten vnder Biblische gschrifft nit gezelt sind/ auch bey den Ebreern nit gefunden. Neüwlich widerumb durch Leo Jud verteütschet […]. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. . Zu dem Ergebnis kommt auch Josef Franz Schöberl, der allerdings keinen Vergleich mit der Apokryphenübersetzung Leo Juds vorgenommen hat. Vgl. Schöberl, Quellen, S. . Flavius Josephus: Jewish Antiquities Books IX-XI with an English Translation by Ralph Marcus. London [Nachdruck Cambridge u. a. ], S. – . Vgl. Washof, Bibel, S. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
77
dieser Argumente den König und seine Fürsten rhetorisch, ob nicht die Frauen stärker als Wein und der König seien. Anschließend beschwört er die Macht der Wahrheit. Sowohl der Himmel als auch die Erde riefen die Wahrheit an, bei der es nichts Unrechtes geben könne. Im Gegensatz zur Wahrheit seien der Wein, der König, die „Weiber“ und alle Menschen ungerecht, ebenso wie ihre Werke. Und in dieser Ungerechtigkeit würden alle verderben und umkommen, die Wahrheit aber überdauere und sei stark bis in die Ewigkeit. Auch mache die Wahrheit keinen Unterschied zwischen reich oder arm, mächtig oder einfach. Sie verhelfe allen Menschen zu Gerechtigkeit, seien sie böse oder gut. Jeder würde bei der Wahrheit nach seinen Werken beurteilt. Als Zerubabel mit seiner Rede fertig ist, bricht das Volk in Jubel aus. Darius erklärt ihn zum Sieger des Wettstreits und macht ihn zum zweiten Mann des Großreichs nach ihm. In dieser Funktion erinnert Zerubabel den König an sein früheres, vor Gott abgelegtes Versprechen, Jerusalem und den Tempel wiederaufzubauen und die Kriegsbeute zurückzubringen. Der König Darius verfasst daraufhin einen Brief an alle seine Verwalter und Vögte, dass sie die Juden bei der Rückkehr nach Jerusalem begleiten und mit Zedernholz für den Wiederaufbau ausstatten sollten. Daraufhin zieht Zerubabel nach Babylon und verkündet den Juden, sie sollten hinaufziehen nach Jerusalem, um den Tempel wiederaufzubauen. Sie loben und preisen Gott und feiern sieben Tage lang ein Fest mit Saitenspiel und Gesang (3 Esr 4,63). Die Thematik der kanonischen und der apokryphen Bücher Esra ließ sich ohne weiteres auf die Jahre nach der Reformation übertragen. Nachdem Martin Luther die Praxis der Alten Kirche schon 1520 mit der Babylonischen Gefangenschaft der Juden verglichen hatte,⁶⁵ die er durch seine Reformbestrebungen im übertragenen Sinne beenden wollte, ließ sich auch das Buch Esra leicht an diesen Vergleich anschließen. Für die Schweizer Reformatoren mögen die Darstellungen über den Wiederaufbau einer gottesfürchtigen Gemeinde von besonderem Interesse gewesen sein.⁶⁶ Heinrich Bullinger etwa erwähnt das Buch Esra in seiner 1527/28 verfassten Studiorum ratio im Kapitel über die Lektüre der geschichtlichen (d. h. der alttestamentlichen) Bücher mit
Martin Luther: De captivitate Babylonica ecclesiae. In: WA , S. – . Darin schreibt Luther: „scio nunc et certus sum, Papatum esse regnum Babylonis, et potentiam Nimroth robusti venatoris“, ebd., S. . („[…] so weiß ich nun und bin mir sicher, dass das Papsttum das Reich von Babylon ist, das Herrschaftsgebiet Nimrods, des gewaltigen Jägers“, Martin Luther: LateinischDeutsche Studienausgabe, Bd. : Die Kirche und ihre Ämter, hg. von Günther Wartenberg/Michael Beyer. Leipzig , S. . Heinrich Bullinger: Studiorum ratio – Studienanleitung, hg. von Peter Stotz (= Heinrich Bullinger Werke/ Sonderband), Teilbd. : Text und Übersetzung. Zürich , S. f.
78
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
dem Hinweis: „Ezras populum resipiscentem reducit et bonitatem Dei enarrat“⁶⁷ („Esra führt das Volk, das wieder zur Besinnung kommt, zurück und verkündigt Gottes Güte“). Peter Stotz gibt in seinem Kommentar zu dieser Stelle an, nicht die äußere Ursache, sprich: das Edikt des Kyris von 538 (I Esr. 1,1– 4) habe bewirkt, dass Esra das Volk aus der Gefangenschaft zurückführen konnte, sondern die „geistige Gesundung“ des Volkes. Die Wiederherstellung des staatlichen Lebens und Gottesdienstes sei ein sichtbares Zeichen für die Wiederbelebung des Bundes zwischen Gott und seinem Volk.⁶⁸ Damit waren die zentralen Aussagen der Bücher Esra auf den Kontext von Bircks Dramen in Basel, aber auch in Augsburg, kurz nach Einführung der Reformation übertragbar. Für den Kontext einer möglichen Aufführung des Zorobabeldramas in Basel kurz nach Einführung der Reformation ist es nicht unerheblich, dass dieser apokryphe Stoff ein typisches Motiv des vorreformatorischen Fastnachtspiels u. a. in Basel aufgreift: Die Verkehrung des Status einer Person während der Fastnachtzeit. Wie Lee Palmer Wandel schreibt, war Karneval auch eine Zeit der sozialen Durchlässigkeit, die Zeit, in der das hierarchische Gefüge der Stadt weniger fest oder ganz aufgehoben war.⁶⁹ Gerade auch das Fastnachttheater bot sich dazu an, Rollen anzunehmen, die hierarchisch über dem Status angesiedelt waren, den die Schauspieler normalerweise innerhalb der Stadtgesellschaft einnahmen.⁷⁰ Wie Palmer Wandel schreibt: In those plays, moreover, principles other than birth or wealth determined one′s status, one′s social place. Most often, relations among men were defined by either character, the willingness or ability to abide by a simple and accessible moral code, or wit; by these, one could alter one′s place in the stratified society of the town. Moreover, as the plays made explicit, wit and character could be found in a wife, in an apprentice, in a weaver or shoemaker, as well as in a miller or a merchant; indeed, in the plays, the wife, the apprentice, and the weaver or shoemaker were more likely to possess mental and moral gifts than were the miller or merchant.⁷¹
Ebd., S. , Z. . Vgl. Heinrich Bullinger: Studiorum ratio – Studienanleitung, hg. von Peter Stotz (= Heinrich Bullinger Werke/Sonderband), Teilbd. : Einleitung, Kommentar, Register. Zürich , S. . Vgl. Palmer Wandel, Idols, S. : „Carnival was also a time of social fluidity. The social and political arrangements of persons, the hierarchies of status and authority in which each person in Basel found his or her ‚place‘, became less determine; they might be temporarily displaced, even lifted“. Vgl. Palmer Wandel, Idols, S. : „Carnival plays turned on that fluidity. The different roles within society were represented in the plays, but the men who „played“ them did not hold them normally, in non-Carnival time.“ Ebd.
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
79
Die apokryphe Erzählung vom Aufstieg des weisen Leibpagen zum zweiten Mann im Königreich war dafür prädestiniert, ein beliebtes Motiv des vorreformatorischen Fastnachttheaters aufzugreifen.
3.2.2 Bircks Dramenadaptation: Einleitung, Struktur und Interpretation des Dramas In der Dramenadaptation Sixt Bircks stehen die Fürsorge der weltlichen Obrigkeit für die Geistlichen sowie die Eigenschaften des guten Beraters im Mittelpunkt und machen die ‚Pagenerzählung‘ so zu einem politischen Exempel.⁷² Das Drama wurde nach Angabe von Johannes Nysaeus nach Ezechias und vor Susanna (1532) von Birck verfasst und vermutlich auch aufgeführt („egit“).⁷³ Das Spiel erschien 1538 bei Philipp Ulhard in Augsburg, bereits im Jahr darauf folgte eine zweite Auflage. Vermutlich wurde der Text in Augsburg sprachlich überarbeitet und der Augsburger Druckersprache, dem ‚Gmeinen Deutsch‘ angepasst.⁷⁴ Da kein Druck oder Manuskript des Basler Spiels überliefert ist, kann auch eine inhaltliche Überarbeitung des Textes und die Bezugnahme auf den Augsburger Kontext nicht ausgeschlossen werden. Der Dramenhandlung sind neben dem Titelblatt auch ein Figurenverzeichnis (Personen des Spiels), eine Widmung in Prosa (Dem Christenlichen leser) und ein in Versen abgefasster Prolog als Rahmentexte vorangestellt. Die Dramenhandlung besteht aus drei Akten, die durch zwei Chorgesänge, beides Psalmgesänge, voneinander getrennt sind. Am Ende steht eine beschlußred, die wie der Prolog vom Ernhold vorgetragen werden soll, und auf die ein weiterer Psalmgesang folgt. Ein Augsburger Schüler Bircks, Johannes Entomius, der nicht weiter als Literat in Erscheinung trat, übersetzte das Schauspiel ins Lateinische. Diese Übertragung wurde in die 1547 bei Oporinus in Basel erschienene Sammelausgabe der Dramata sacra aufgenommen.⁷⁵ Wie sich bereits aus dem Titel schließen lässt, steht auch in
Siehe dazu auch: Tschopp, Schultheater, S. . Nach Ansicht von Silvia Serena Tschopp stehen im „Zentrum von Bircks Dramen […] nicht nur kluge und gottgefällige Fürsten, sondern auch und vor allem weise Ratgeber. So geht es in Zorobabel weniger um die Notwendigkeit einer in Einklang mit göttlichem Gesetz befindlichen fürstlichen Herrschaft als vielmehr um die Bedingungen ihrer Verwirklichung. Wer regiert, bedürfe der Unterstützung durch moralisch integre und mit Weisheit begabte Diener“. „Primo anno egit Ezechiam et Zorobabelem, altero mox Susannam, post Iosephum et Iuditham: quas et partio versu primùm scripsit, post Latinas fecit“, Lactantius, Opera, b v. Vgl. Thomke, Spiele, S. . Vgl. ebd.
80
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
der lateinischen Übertragung das politische Beispiel des guten Herrschers im Vordergrund: Zorobabel, Drama Sacrum comicum, ex Esdræ libro. In quo typus est regni feliciter constituti: unde monarchæ discant, virtutibus et prudentiæ præmia esse constituenda. Primum vernaculo Rhythmo olim Basilæ, à Xysto Betuleio scriptum, nunc per Ioannem Entomium Augustanum Latinis numeris redditum.⁷⁶
Die Rahmentexte vor Beginn der Dramenhandlung Bereits im Titel werden die zwei Bearbeitungsschwerpunkte von Bircks Dramatisierung benannt. Zum einen könne man daraus lernen, „wie fürstendig es sey / so die Fürsten und Oberen die verthdinger der Gttlichen warhait erhalten“⁷⁷, d. h. der Nutzen, den es bedeute, wenn die weltliche Obrigkeit die geistliche schütze und fördere. Zum anderen könne man lernen, welchen Nutzen es habe, wenn „ain Gotsliger“ – gemeint ist Zorobabel – „nach Ehren und würdigkait stellen mge“.⁷⁸ Das Verb ‚stellen‘ kann u. a. ‚regieren‘, ‚lenken‘⁷⁹ bedeuten, was Zorobabels Funktion als Berater des Königs betonen würde. Auf dem Titelblatt ist außerdem das Motto abgedruckt, das Birck für alle seine bei Ulhard in Augsburg erschienenen Drucke verwendete: „Iustus ut palma florebit“⁸⁰ – die Gerechtigkeit wird blühen wie die Palme. Das Verzeichnis Personen des Spiels (S. 29 f.) zählt 35 Sprechrollen in der Reihenfolge ihrer ersten Figurenreden auf. Die beiden Pagen neben Zorobabel erhalten die für humanistische Dramen üblichen sprechenden Namen ‚Oenocrates Trabant‘ (der weinmächtige⁸¹ Diener) und ‚Kolax Trabant‘ (der schmeichelnde⁸² Diener), jener, der vor dem König dessen Gewalt und Macht auf Erden rühmt. Neben den in der Apokryphe und bei Flavius Josephus genannten Statthaltern, Grafen und Landvögten gibt es noch mehrere Sprechrollen für Hofbedienstete (ein Trucksß, ein Herold namens Ceryx, ein Marschalck, ein Hoplites, dazu ein Schatzherr, Boten, zwei Kriegsmänner usw.). Die Prosawidmung an den „Christenlichen leser“ wurde höchstwahrscheinlich erst in Augsburg verfasst.⁸³ Dafür spricht die bevorstehende Drucklegung des
Angabe des Titels nach: Brauneck, Dramen, Bd. , S. . Zor, S. . Ebd. Vgl. Grimm DWb , Sp. . Zor, S. . Vgl. Washof, Bibel, S. . Vgl. ebd. Zor, S. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
81
Textes, mit der überhaupt erst ein Leser angesprochen wird, sowie der Verweis auf Joseph und Daniel.⁸⁴ Da Birck sein Josephdrama nach der Aufzählung von Nysaeus erst nach Zorobabel um 1533 verfasst hatte und auch das Drama Beel erst um 1535 in Basel aufgeführt wurde, fügte Birck die Widmung vermutlich erst später hinzu. Bemerkenswert ist die Gattungsbezeichnung einer „Histori“⁸⁵, zumal auf dem Titelblatt noch eine „Tragoedi“⁸⁶ angekündig wird. Vor Beginn der Dramenhandlung kommt noch eine weitere Gattungsbezeichnung hinzu: Zorobabel ain Künigklichen Comœdy oder spyl (vor V. 47). Die vier verschiedenen Gattungszuweisungen zeigen lediglich, dass die Kriterien für diese Kategorienbildung noch nicht feststanden, zumal lateinische Gattungsbezeichnungen aus der Antike und volkssprachliche Theatertraditionen hier aufeinandertreffen und simultan verwendet werden. Im 16. Jahrhundert wurden das Alte Testament und seine Apokryphen üblicherweise als historische Darstellungen gelesen, die den Menschen als Exempla für nachahmenswertes bzw. abschreckendes Verhalten dienen sollten.⁸⁷ Wie auch die beiden anderen, solle die ‚Histori‘ von Zorobabel zeigen, wie wichtig es für eine weltliche Obrigkeit sei, „Got weiß mnner“⁸⁸ zu haben, die ihr bei der Regierung zur Seite stünden. Das politische Beispiel dieser Dramatisierung besteht demnach nicht primär in der Frage, wie eine Obrigkeit gottgefällig handeln solle, sondern wie der richtige Berater sie dazu anleiten könne. Die allgemeine Ausführung über die Notwendigkeit eines guten Beraters für eine gottesfürchtige weltliche Obrigkeit geht daraufhin in Kritik an den zeitgenössischen Verhältnissen über: An den zeitgenössischen „Fürsten hfen“⁸⁹ sei zum großen Schaden der Christenheit nicht der hier vorgestellte Idealtypus eines gottesfürchtigen Herrscherberaters zu finden, sondern in der Mehrheit solche, „die ire Herren mit falschem wahn / und eytler schmaichlerey verwenen“.⁹⁰ Als negative Exempelfigur für diesen sünd-
Ebd., V. . Ebd. Ebd., S. . Heinrich Bullinger schreibt in seiner Studiorum ratio im Kapitel De lectione historiarum – gemeint sind die Bücher des Alten Testaments – der Sinn ihrer Lektüre bestünde darin, zu erkennen, welches Schicksal gottesfürchtige Menschen ereilt hätte. Man könne aber auch einzelne Umstände heranziehen „mit dem Zweck, zu ergötzen, bisweilen, zu erbauen, bisweilen um der Anschaulichkeit willen“, vgl. Heinrich Bullinger: Studiorum ratio – Studienanleitung, hg. von Peter Stotz (= Heinrich Bullinger Werke/Sonderband), Teilbd. : Text und Übersetzung. Zürich , S. – (Zit. S. ). Zor, V. . Ebd., V. . Ebd., V. – .
82
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
haften Typus soll hier der schmeichlerische Page Kolax dienen.⁹¹ Das positive und damit nachahmenswerte Gegenbeispiel ist die Titelfigur des Dramas, Zorobabel, „wellicher ain eben bild aller Gottsligen Rhten ist“⁹² und der dafür gesorgt habe, dass die Wahrheit öffentlich bekannt wurde. Damit habe er das Ende der Babylonischen Gefangenschaft erwirkt.⁹³ Es stimmt also,wenn Wolfram Washof zu dem Schluss kommt, im Zorobabeldrama Sixt Bircks gebe es, anders als sonst im Bibeldrama der Reformationszeit üblich, „keinen eigentlichen Konflikt zwischen Gottesfürchtigen und Gottlosen, keinen Kampf auf Leben und Tod“.⁹⁴ Wie die Vorstellung der beiden Pagen Kolax und Zorobabel in der Widmung aber zeigt, wird die eine Figur im Drama bewusst mit negativen Attributen ausgestattet, um ein Gegenbeispiel zur positiven, gottesfürchtigen Exempelfigur Zorobabel darzustellen. Dieser Gegensatz zwischen den Pagen ist in den genannten Quellentexten nicht enthalten und stellt, wie bereits der Blick auf Heinrich Bullingers Lucretia gezeigt hat, eine beliebte dramatische Technik im (Bibel‐)Drama des 16. Jahrhunderts dar, um dem Publikum ‚richtiges‘ Verhalten zu vermitteln. Am Ende seiner Widmung reflektiert Birck über die Zielgruppe seines Dramas und die Kriterien für die Wahl des Mediums Theater für die Adaptation des Stoffes. Da die Definition eines gottgefälligen Regiments, so Birck, „durch kain ander mittel für die oren der Potentaten kommen mag“,⁹⁵ wolle er es nun „durch spylweiß und kurtzweil“⁹⁶ probieren. Mit seinem didaktischen Bibeldrama wendet sich Birck also direkt an die (weltlichen) Machthaber. Die unterhaltsame Form der Darbietung als Schauspiel soll dazu dienen, die Lehren des Stückes anschaulich zu vermitteln. Zu Beginn des Prologs verkündet der Ernhold die wichtigste Lehre des Spiels, nämlich, dass die Obrigkeit Gottes Gebot befolgen solle.⁹⁷ Dieses Postulat wird am Ende des Prologs spezifiziert: Um „der Christenhait“ (V. 41) Nutzen zu bringen, müsse die Obrigkeit entweder selbst weise sein oder den Rat der Weisen befolgen (V. 42 f.). Es ist gut möglich, dass Birck hier auch auf die Frage eingeht, ob ein Gemeinwesen von Philosophen gelenkt werden sollte, die in Platons Politeia erörtert wird – zumal Birck Platon auch an anderen Stellen als Autorität für Moral „wie allhierinn Kolax / ich waiß nit was unüberwindligkait / zinden damit an die ehrgeytigen hertzen sich wider die warhait Gottes aufzulaynen“, ebd., V. – . Ebd., V. . „Doch entlich mß Zorobabel […] ain fürgang gewinnen / die warhait frey offentlich bekandt / und die Babylonisch gefengknuß ledig gelassen werden“, ebd., V. – . Washof, Bibel, S. . Zor V. f. Ebd., V. . „Kain ding ist das die Gttlich ehr | Auff erden mg erhalten mehr | Dann so ain Oberkait z Gott | gefrt würt / lendt sich auff sein gbott“ (Zor, S. , V. – ).
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
83
und Tugend anführt.⁹⁸ Als Autorität für die Richtigkeit dieser Lehre wird die „gschrifft“ (V. 6) – gemeint ist die Bibel – angeführt. Dies solle das folgende Beispiel zeigen, bei dem König Darius von seinem Berater Zorobabel „zum rechten Gott gezogen ward“ (V. 12). Auch die positiven Eigenschaften des Königs werden aufgezählt: Er achte „die weißhait mehr | […] dann ander eytel ehr“ (V. 13 f.). Statt auf adelige Herkunft und Besitztümer achte er allein auf die Weisheit, wodurch er auch den Nutzen seines Knechts erkennen konnte (V. 13 – 19). Der Ernhold fasst die Handlung des Stückes zusammen; der Redewettstreit der drei Pagen wird dabei nicht erwähnt. Im Vordergrund steht die Tatsache, dass der König den wahren Gott anerkannt und das jüdische Volk aus der Babylonischen Gefangenschaft entlassen hat (V. 24– 27). Dass die Handlung des Stückes bereits im Prolog zusammengefasst wird, zeigt, dass die Lehre im Vordergrund steht und gerade nicht die gespannte Aufmerksamkeit der Zuschauer. Wie auch beim spätmittelalterlichen Geistlichen Spiel üblich, fordert der Ernhold die Zuschauer vor Beginn des ersten Aktes auf, nun ruhig zuzuhören.⁹⁹
Binnentext Der erste Akt des Dramas stellt den Redewettstreit der drei Leibpagen und die Ernennung Zorobabels zum obersten Berater des Königs dar. Die Handlung setzt ein, als die drei Pagen den Wettstreit bereits ausgerufen und dem König Darius ihre Meinungen schriftlich überreicht haben. Dieser hat seine vier Höflinge, den Trucksss, den Ceryx, den Marschalck und den Hoplites, bei sich versammelt und fasst in einem Monolog zusammen, wie es zu dem Rhetorikwettstreit kam. Anlässlich seines Geburtstags („Auff unsern Jarßtag“, V. 57) solle dieses Mal neben den üblichen höfischen Wettkampfformen – „Turnieren / stechen / rennen […] | mit wgen / pferden umb ain kron“ (V. 63 f.) – nun „ain newe art | z kempffen“ (V. 73 f.) hinzukommen, bei der es nicht um körperliche Stärke gehe, sondern allein um „weyßhait“ (V. 77). Birck gestaltet die apokryphe Vorlage so aus, als markiere die Einführung des Redewettstreits eine Wende, weg von einer überkommenen sinnen- und körperfreudigen Festkultur, hin zu einer höheren Wertschätzung der Rhetorik, die ihre Wurzeln in der Antike habe, und der Weisheit, die v. a. auf
Platon: Politeia, Buch II und III. In: Platon: Sämtliche Werke, Bd. : Lysis, Symposion, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros. Übers. v. Friedrich Schleiermacher, hg. von Ursula Wolf. Reinbeck bei Hamburg , S. – . Auch in seiner Augsburger Vorrede zum volkssprachlichen Judithdrama An ain junge Burgerschafft führt Birck Platons Politeia als Autorität für rechte Tugend an. Vgl. Kap. ., Anm. . „Darumb seind still und losend z | und machend uns hie kain unrh“, Zor V. f.
84
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
göttliche Inspiration zurückzuführen sei.¹⁰⁰ Der König verkündet damit die neue Kardinaltugend des weltlichen Herrschers: Sei bislang hohe Geburt und körperliche Überlegenheit das Merkmal des weltlichen Herrschers gewesen, so zeichne sich ein guter Amtsträger von nun an durch Tugend und eine von Gott verliehene Weisheit aus. Auch hier liegt ein Vergleich mit Platons Politeia nahe, in dem Sokrates kritisiert, der beste Herrscher für ein Gemeinwesen lasse sich nicht bei „Tänzen“, nicht bei „Hetzen und Jagden und Wettkämpfen zu Fuß und zu Pferde finden“.¹⁰¹ Stattdessen plädiert er dafür, „aus den übrigen Wächtern solche Männer aus[zu]wählen, von denen sich uns bei näherer Beobachtung am meisten zeigt, daß sie in ihrem ganzen Leben, was sie der Stadt förderlich zu sein erachten, mit allem Eifer tun“.¹⁰² Nachdem sich das Stück vornehmlich an die weltlichen Herrscher und besonders an die „Fürsten“¹⁰³ richtete, wie Birck selbst in der Widmung angegeben hat,¹⁰⁴ sollte offenbar dieses Umdenken in der Festkultur von König Darius als Vorbild für zeitgenössische Herrscher dienen. Der König berichtet weiter, wie den drei jungen Männern, seinen „gwarde knecht“ (V. 85) – also seinen Leibwächtern – diese Idee gekommen sei, während er schlief, und die ihm, wie in der Apokryphe, ihre drei Ansichten schriftlich überreicht hätten. Er fordert seinen Cantzler auf, die „Supplicatz“ (V. 87) der drei Pagen zu verlesen. In ihrer Bitte an den König begründen die drei Pagen ihre Idee, einen Wettstreit über die Frage auszurufen, wer von ihnen der weiseste sei. Nichts erhalte die „Küngklich ehr | und Regiment […] mehr | Dann so weißhait hoch gachtet würt“ (V. 103 – 105) – so ihre Erklärung, weshalb die Weisheit am königlichen Hof mehr beachtet werden solle. Mit dieser Begründung fordern sie ebenfalls eine geringere Bewertung von körperlichen und dynastischen Kriterien für die Verleihung eines weltlichen Amtes. Danach erklären sie, wie es komme, dass sie als einfache Knechte einen Wettkampf austragen wollen, um sich in ihrer Weisheit zu messen. Weisheit und niederer Stand seien kein Widerspruch: „Man lißt von mangem schlechten man | das die vil weyßhait haben ghan“ (V. 123 f.). Die drei Leibwächter gehen so weit, die Weisheit eines Menschen höher zu bewerten als eine adelige
Auch im Prolog „An ain junge burgerschafft“ zum volkssprachlichen Judithdrama werden „Tantzen / Rennen / stechen“ (JuD, V. ) als typische, aber nicht der Tugend förderliche Betätigungen zur Fastnachtzeit aufgezählt, von denen das Bibeldrama bewusst abgegrenzt wird: „kain sollichs spyl wirt hie gespylt ǀ Darinn mcht Gott werden geehrt ǀ und tuget mcht wol werden geehrt“ (JuD, V. – ). Platon, Politeia, S. , b. Ebd., S. f., d. Zor, S. , V. . Ebd., V. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
85
Abstammung und äußerliche Anzeichen von Rang und Würde, denn: „Der recht Adel ist die weyßhait, dann weyßhait steckt in kainem klaid“ (V. 125 f.). Anders als Genealogie und Besitztümer eröffne Weisheit auch dem ‚schlechten‘, d. h. dem einfachen Mann Zugang zu „ehren“ (V. 129). Aus der bloßen Idee der drei Pagen in der Apokryphe, einen Redewettbewerb auszutragen, wird in der Dramatisierung eine Programmatik, die den König zum Umdenken aufforden soll. Der Cantzler verliest die Meinungen, die die drei Pagen während des Wettstreits mit ihrer Redekunst darlegen wollen: Wie in der Apokryphe will der erste dafür plädieren, der Wein habe die größte Macht auf der Welt (V. 135 f.), der zweite plädiert für die „Küngklich gnad“ (V. 138), der dritte schreibt den Frauen eine noch größere Macht zu, will aber eigentlich davon überzeugen, „[d]as warhait für all ding behalt | den syg mit irem starcken gwalt“ (V. 143 f.). Den Sieger des Wettstreits möge das „Küngklich Barlament“ (V. 147), d. h. die vom König einberufene Versammlung, bestimmen.¹⁰⁵ Anders als in der apokryphen Pagenerzählung, wo der König seine Fürsten nur zur Beratung bei der Urteilsfindung einberuft, soll die Entscheidung im Drama von der ganzen Versammlung getroffen werden.Wie auch in der Apokryphe soll der Sieger mit einem purpurnen Kleid, seidenen Gewändern und Schmuck ausgestattet werden (V. 165 – 168),¹⁰⁶ den zweiten Platz nach dem König einnehmen und dessen „freünd“ (V. 174) genannt werden. Nachdem die Bittschrift verlesen worden ist, kündigt Darius an, sich ihre Reden anzuhören und sich nach dem Mehrheitsbeschluss seiner Fürsten zu richten, „waß mehrtayl acht“ (V. 200). Wie sich noch in den weiteren Interpretationen zeigen wird, ist es ein typisches Merkmal von Bircks Dramen, dass der oberste Machthaber – in diesem Fall der König – selbst keine Entscheidungen trifft, sondern an das Urteil von Entscheidungsträgern gebunden ist bzw. sich freiwillig an deren Rat bindet, wie in diesem Drama. Der erste Redner, Oenocrates („Weinherrscher“¹⁰⁷) trägt dieselben Argumente vor wie in der Apokryphe: Die Macht des Weines treffe alle Stände gleichermaßen, den König wie den Knecht (V. 231), den Fürsten wie den Hirten (V. 242). Antithetisch beschwört er zunächst die Tugendhaftigkeit des Weines¹⁰⁸, bevor er seine zerstörerische Kraft schildert, mit der sich der Wein über alle menschlichen Bin-
Zur Bedeutung von „Parlament“ siehe: Grimm, DWb, Bd. , Sp. . In der Vulgata lautet diese Stelle: „et cuiuscumque apparuerit sermo sapientior alterius, dabit illi Darius rex dona magna et epinicia magna, purpura cooperiri et in auro bibere et super aurum dormire et curum aureo freno et cidarim byssinam et torquem circa collum, et secundo loco sedebit a Dario propter sapientiam suam et cognatus Darii vocabitur“ (Vul, Esr – ). Washof, Bibel, S. . „Sih was mag doch auff erden sein | das gleich an tuget sey dem wein | Dann wa der wein hat oberhand | da ist all ehr / da ist kain schand“, V. – .
86
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
dungen hinwegsetze: „Kain brder gilt bey im kain ding | all liebe achtet er gering“ (V. 281 f.). Der zweite Redner, Kolax (der „Schmeichler“¹⁰⁹) beschwört wie in der Apokryphe die Macht des Königs. Gemäß der Vorlage führt er an: „Sein wort das leben gibt und nimpt“ (V. 331). Alle würden den König verehren und ihm dienen, der Bauer mit seiner Steuer (V. 325 – 329), der Soldat mit der Kriegsbeute (V. 322– 324). Auch Zorobabel geht in seinem Redebeitrag vor wie in der Apokryphe, wenn er zunächst argumentiert, „das weiplich gschlecht“ (V. 360) überträfe sowohl den Wein als auch den König an Macht (V. 357 f.), denn auch die Könige seien von Frauen geboren und erzogen worden (V. 361– 366). Zudem würden Männer „alle schtz und alles gt“ (V. 376) geringschätzen und „Vatter und mter“ (V. 378) zurücklassen, um mit einer Frau zusammenzuleben. Er kommt daher zu dem Schluss, „[d]ass weiber herrschen alle mann“ (V. 385), wie zahlreiche Beispiele zeigten (V. 396). Er führt das Exempel aus 3 Esr 4,29 – 31 von Apame und dem König an, um so die Argumente seiner beiden Vorredner zu widerlegen. Im zweiten Abschnitt kommt er jedoch auf „das aller hchste gt“ (V. 426) zu sprechen, nämlich die Wahrheit, die von Gott komme: „Groß ist die erd / der himel hoch | mit irem schein die Sonne doch | Das als umblaufft in ainem tag | der ware Gott das als vermag | Von dem die warhait fliessen tht | die ist das aller hchste gt“ (V. 421– 426). Im Gegensatz zum Wein, zum König und zu den Frauen sei die Wahrheit weder ungerecht noch „vol unbilligkait“ (V. 436) oder verlogen wie alle menschlichen Dinge (V. 437). Die Wahrheit sei dagegen gut und gerecht (V. 443) und behandele alle Menschen gleich („auff person hats kain achtbarkait“,V. 440), sie sei Gott „preiß und ehr“ (V. 447). Auch Birck übernimmt den in der Apokryphe gemachten Unterschied zwischen dem Wein, dem König, den Frauen und der Wahrheit: Die ersten drei seien irdisch und damit unbeständig und fehlbar, die Wahrheit aber komme von Gott und sei daher beständig und gerecht. Wie zuvor angekündigt, fällt der König selbst kein Urteil, sondern er fordert seine „Fürsten“ (vor V. 449) auf, ihre Meinung kundzutun. Insgesamt geben daraufhin 19 Figuren ihre Stimme ab: Statthalter, Grafen, Höflinge und Landvögte stimmen unisono für Zorobabel und seine Ansicht, dass die (göttliche) Wahrheit die höchste Macht auf der Welt habe. Immer wieder bekunden die Fürsten auch ihr Erstaunen darüber, „das gwardiß knecht | von klghait kündten reden recht“ (V. 461 f.). Diese Erkenntnis widerlegt ihre bisher gültige Überzeugung, nur mächtige Männer in prächtigen Kleidern könnten weise sein, wie der Cantzler sagt: Ich maint die weißhait stnd allein bey denen so ain grossen schein Frend des gwalts und herrligkait
Washof, Bibel, S. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
87
ich maint sy steckt allein im klaid Ich sich wol das ain schlechter man Von klghait auch wol reden kan. (V. 515 – 520)
Die Ansicht des Cantzlers hat sich somit als falsch erwiesen, wie auch alle anderen Fürsten bestätigen. Die Höflinge fordern daher, dass Zorobabel „wird gnendt deß Künigs gsell“ (V. 472). Der Marschalck verkündet gar, der Page zeichne sich „von tuget und weißheit“ (V. 475) so sehr aus, dass er ohne Unterschied zum „Adel“ (V. 475) gehöre. Er fordert außerdem: „Ich wolt das alle Fürsten gleich | mit solcher weißhait in dem reich | Begabet werden / wie der man“ (V. 491– 493). Da diese beiden Forderungen ebenso wie die Stellungnahmen der zahlreichen Fürsten nicht in der Apokryphe vorkommen, stellen sie eine Bearbeitungstendenz Sixt Bircks dar, der in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Forderungen diese Thematik in anderen Dramen behandelt oder weiter ausarbeitet.¹¹⁰ Die Weisheit Zorobabels ist für den Marschalck ein Anlass, sich den Juden anzunähern, da von ihrem Gott die Weisheit komme: „mein lebtag ich den Juden will | Genaigter sein / z irem glück“ (V. 498 f.). Als Beispiel dafür, dass die Weisheit vom Gott der Juden sei, führt er den König Cyrus an, den Gott nach 1 Esr 1,1– 2 inspiriert hatte, die Prophezeiung Jeremias zu erfüllen und die Babylonische Gefangenschaft der Juden zu beenden, damit sie den Tempel in Jerusalem wiedererrichteten. Dass Cyrus bereits Zorobabel als Statthalter von Juda eingesetzt hatte, ist dem Marschalck ein Beweis dafür, „das Cyrus was der weißheit vol | So fleüsset von der Juden Gott“ (V. 504 f.). Diese Aussagen des Marschalcks sind bemerkenswert, da das Judentum im 16. Jahrhundert von der Mehrheit der Gelehrten abgelehnt wurde, wie etwa Erasmus von Rotterdam zeigt.¹¹¹ Dabei ist zu berücksichtigen, dass Birck daran gelegen war, die Apokryphe als eine historische Parallele zu den zeitgenössischen Verhältnissen darzustellen. Daher müssen Aussagen über Juden zunächst innerhalb ihres historischen Kontexts verstanden werden. In der historischen Darstellung zählt der Jude Zorobabel zu den Rechtgläubigen, der mit seiner Weisheit die Heiden beeindruckt. Auf die Gegenwart von Sixt Birck übertragen, stellten die Reformierten die Rechtgläubigen dar, die – so die Forderung des Dramas – die noch nicht Bekehrten, also Heiden, Altgläubige, möglicherweise auch die Täufer, mit ihrer Weisheit überzeugen sollten. Mit der Die Ansicht, Tugend und Weisheit würden einen Menschen ebenso zum Adel gehören lassen wie die hohe Geburt, ist das Hauptthema von Bircks in Augsburg verfasstem Drama De vera nobilitate (). Siehe dazu: A. W. Reed: Sixt Birck and Henry Medwall: De vera nobilitate. In: The Review of English Studies , Nr. (), S. – , bes. S. . Zu Bircks Vorstellungen über ein gutes Bildungswesen, insbesondere was die Ausbildung der säkularen Amtsträger betrifft, siehe die Prosavorrede zum lateinischen Susannadrama. Siehe dazu: Jung, Christen, S. .
88
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Dramenadaptation der Apokryphe konnte Birck vorsichtig und verdeckt Stellung zur Reformation nehmen, ohne dabei in den Verdacht zu geraten, konfessionelle Polemik zu betreiben. Auch der Rentmayster sieht in Zorobabels Weisheit einen Beweis dafür, dass der Gott der Juden (!) der wahre Gott sei: Man spürt wol daß die Juden hand allzeit den waren Gott erkandt Und wer daß nit gelauben wll der seh an hie Zorobabel Dann ich sag daß on allen spott sein weißhait fleüßt vom waren Gott. (V. 543 – 548)
Auch der ‚Landvogt auss Phœnicia‘ und der ‚Landvogt auss India‘ preisen Israel und seine Weisheit: „Die weißhait schmeckt nach Israel | mit der ist vol Zorobabel“ (V. 567 f.). Ein weiterer ‚Lanvogt auss Aethiopia‘ wünscht sich, „das auch im Moren land | wurde der Juden Gott erkandt“ (V. 569 f.). Auch dieser Wunsch des Landvogts macht deutlich, dass Birck sein Drama als Bearbeitung eines historischen Stoffes betrachtete und darauf achtete, dass Hinzufügungen zur biblischen Vorlage sich an die Chronologie hielten. Eine kritische Haltung gegenüber den Juden nimmt dagegen der Schatzherr ein, der sagt: „Ob er schon ist vom Juden gschlecht | die warhait kann er loben recht“ (V. 541 f.). Für ihn ist die jüdische Abstammung Zorobabels kein Beweis dafür, dass seine Weisheit von Gott kommt, sondern die überraschende Erkenntnis ist, dass er die Wahrheit spricht, obwohl er Jude ist.¹¹² Dieser Seitenhieb auf das Judentum als eine Glaubensgemeinschaft, die normalerweise die Wahrheit verkenne, zeigt, dass in diesem Drama ein historischer Vergleich mit den zeitgenössischen Verhältnissen dargestellt wird. In dieser historischen Parallele stellen die Juden die Rechtgläubigen dar, was nichts mit der zeitgenössischen Beurteilung des jüdischen Glaubens zu tun haben muss. Der Landvogt „auss Macedonia“ betont, dass sich Zorobabel für ein politisches Amt eignet und berührt so die wichtigste Bearbeitungstendenz des Dramas: Die Erkenntnis, dass sich ein weiser, von Gott inspirierter Mann unabhängig von seinem Stand zum Berater des Königs eigne und daher in Amt und Würden zu befördern sei:
Zur Übersetzung von „Ob“ mit ‚wenn auch‘, ‚obgleich‘, ‚obschon‘, ‚wiewol‘ siehe: Grimm, DWb , Sp. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
89
Er solt nit sein ain gwardiß man Er solt han vil ain hhern stand er solt regieren auch ain land Er solt ain Fürst gantz gwaltig sein mit hoher ehr begabet fein Aim weisen man gezympt groß ehr aim narren kert ain kolben mehr Es ist nit billich und nit recht das der soll sein ain gwardiß knecht Der sollich grosse weißhait hat er solt die aller nchste statt Haben nach Künigklicher kron und ander herrligkait auch schon. (V. 552– 564)
Nachdem alle Fürsten ihre Meinung geäußert haben, tritt zum ersten Mal der Chorus mit einem Reimpaarvers auf und preist die Wahrheit, die von Zorobabel als die stärkste Macht auf Erden beschrieben wurde.¹¹³ Wer die Choreuten sind, ist nicht angegeben. Nachdem im Figurenverzeichnis keine Choreuten genannt werden, traten vermutlich einige Dramenfiguren auch als Chorsänger auf. Auch der König lobt Zorobabels „weyßhait“ (V. 575) und befördert den Pagen, wie von den Fürsten seines Großreichs gefordert, auf den Platz neben ihm selbst.¹¹⁴ Sogleich erinnert Zorobabel den König, wie in der Apokryphe vorgegeben, an sein bei Amtsantritt vor Gott abgelegtes Gelübde, die Juden aus der Gefangenschaft zu entlassen, damit sie den Tempel in Jerusalem wiederaufbauen können (V. 589 – 600). Gemäß der expliziten Regieanweisung steht der König auf und küsst Zorobabel (vor V. 609), bevor er seiner Bitte stattgibt. Er fordert seinen nun engsten Berater auf, ihm in die „Cantzeley“ (V. 611) zu folgen, um den entsprechenden Befehl zu erlassen. Die Fürsten sollen unterdessen an ihren Plätzen warten. Damit endet der erste Akt. Der Chor hebt zu einem Gesang des 112. Psalms¹¹⁵ an, der nach dem ersten Vers „Laudate pueri dominum“ (vor V. 617) betitelt ist. Da die Übersetzung der Zürcher Bibel bei diesem Psalm stark von der Vulgata abweicht, ist die Vulgata leicht als Bircks Quelle auszumachen. Vermutlich geht der
„Die warhait allhie bhalt den plan | Zorobabel die loben kann“ (V. f.). Mit ‚plan‘ kann der Raum des Himmels oder der Erde oder auch ein öffentlicher Platz gemeint sein. Vgl. Grimm, DWb , Sp. . „Es soll auch sein z gaignet dir | das sein sitz sey znchst neben mir“ (V. f.). In Bircks Drama ist irrtümlich angegeben „Psalmus CXXII.“ (vor V. ).
90
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Psalmgesang auf eine Übersetzung und Dichtung von Sixt Birck selbst zurück.¹¹⁶ Dabei hielt er sich an die von Martin Luther für seine Psalmdichtungen verwendete volkstümliche Strophenform, die später den Namen „Reformations-“ oder „Lutherstrophe“ erhielt und bei der sich jambische Vierheber mit männlicher Kadenz und jambische Dreiheber mit weiblicher Reimkadenz abwechseln.¹¹⁷ Die entscheidende Stelle im Psalm(‐gesang), die sich auf die Dramenhandlung übertragen lässt, ist Ps 112,6 – 8: Chorgesang V. ( – )
Ps , –
Im himel und auf erd erhalt Und rettet hie den armen Mit seinem Gttlichen gewalt Tht er sich sein erbarmen Er setzt in z den Fürsten hoch Seines volcks hoch in ehren
humilia respicit in caelo et in terra suscitans de terra inopem et de stercole elevat pauperem ut eum sedere faciat cum principibus cum principibus populi sui
Das Motiv, Gott erhöhe die Armen und setzte sie neben die Fürsten, greift die Ernennung des Juden Zorobabel zum zweiten Mann im Königreich auf. Indem der Psalmgesang die Handlung des Dramas reflektiert und als eine von Gott initiierte Handlung begründet, übernimmt der Gesang die kommentierende Funktion des Chors im antiken Drama. Auch hier setzt Birck wiederum sein Vorhaben konsequent um, die Form des klassischen Dramas auf der Ebene der Dramenhandlung, wie auch des Chors nach biblischer Stoffvorlage zu gestalten. Der kurze zweite Akt hat keine Vorlage in der Apokryphe und wurde von Birck frei erfunden. In Abwesenheit des Königs, wie die Regieanweisung vor V. 643 angibt, unterhalten sich die Fürsten über Zorobabels Beförderung zum zweiten Mann im Königreich. Der Fürst Tacticus missbilligt die Beförderung des Leibpagen – obwohl er zugibt, seine Rede habe ihm gefallen, bleibt er skeptisch.¹¹⁸ Der Hofmayster fürchtet angesichts der Geschehnisse um sein eigenes ehrwürdiges Amt: „Ain gfangner Jud sein an dem brett | dann unser pracht kain bstand mehr hett“ (V. 652 f.). Am Beginn des Dialogs unter den Fürsten stehen somit zwei Figurenreden, die Zorobabels Beförderung kritisieren oder gar unverhohlen ihren
Josef Franz Schöberl hat bei seinem Abgleich des Psalmgesangs mit anderen geistlichen Liedern aus der Epoche keine Übereinstimmungen gefunden. Daraus schlussfolgert er, dass die Bearbeitung auf Birck selbst zurückzuführen ist. Siehe dazu: Schöberl, Quellen, S. . Siehe dazu: Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom . bis zum . Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker NF ). Berlin [u. a.] , S. . „doch so ich das bekennen sol | So wurt das entlich nit thn gt“ (V. f.).
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
91
Neid und ihre Missgunst zeigen. Nach Art der offenen Antithese¹¹⁹ wird diese ‚falsche‘ Einstellung im weiteren Verlauf des Aktes von allen anderen Fürsten mit Gegenargumenten widerlegt. So versichert der ‚Landvogt auss Babylonia‘, wenn „ain frembd man in dem reich | Zur würde kumpt / und achtbarkait“ (V. 655 f.), dann geschehe „den frummen“ (V. 657) dadurch kein Leid. Der ‚Graf Nomophylax‘ geht noch weiter und erkennt in der Ablehnung der Fremden selbstkritisch „ain underbunst“ (V. 658), d. h. schiere Missgunst.¹²⁰ Der einzige Grund für den Hass sei, dass man ihnen ihre Tugend neide. Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis zieht Nomophylax ebenfalls: Man solle sich die Tugend der Anderen zum Beispiel nehmen und ihnen nacheifern.¹²¹ Auch der Marschalck pflichtet ihm bei und grenzt die Angst gegenüber Fremden auf die Angst gegenüber dem „Juden volck“ (V. 667) ein. Als weitere Argumente, die die Zweifel an Zorobabels Herrschaft als unbegründet entlarven sollen, führen die Fürsten historische „exempel“ (V. 682 f.) an. Nie sei es Medien, Babylon, Persien und Ägypten besser ergangen als zu der Zeit, während der Daniel bzw. Joseph dort regierten.¹²² Der Rentmayster sieht in diesen historischen Exempeln den Beweis dafür, dass „[s]y [die Juden] hond den waren rechten Gott“ (V. 692), der die „ghrechten“ (V. 695) bevorzugt behandle und ihnen zum Sieg verhelfe (V. 697). Der Marschalck gibt neidlos zu, Zorobabel verdiene „mit witz und dapfferkeit“ (V. 705) das Ehrenamt viel mehr als er selbst (V. 704 f.), obwohl er selbst von hoher Abkunft sei (V. 706). Er betont daher noch einmal: „der Adel in der tuget stat | Man soll die tuget sehen an | ob ainer sey ain Edelman“ (V. 707– 709). Am Ende des zweiten Akts bittet der Kriegsmann Diadochus den Phrurier, also den Wachmann am Hof, in das Leibwächteramt von Zorobabel aufzurücken und versichert: „Ich wil mich halten dapfferlich | daß sond Fidel Rädle führt in seinem Aufsatz über Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit die „offene Antithese als eine didaktisch wirksame Methode der Wertekontrastierung im Drama an. Bei dieser Methode finde eine „eindeutige[] und meist blamierende[] Falsifizierung der ungültigen Werte“ statt, wie es auch in diesem Akt des Zorobabeldramas vorgenommen wird. Fidel Rädle: Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit. In: Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, hg. von Christel Meier/Heinz Meyer [u. a.] (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme ). Münster , S. – , hier S. . Zur Bedeutung von ‚underbunst‘ vgl. das Lemma ‚unterbunst‘ in Grimm, DWb , Sp. . „Wir sollten uns befleissen mehr | wie sy / in tuget z der ehr“ (V. f.). Trucksss: „Ich bdarff daß auch bey meinem aid | sagen / doch ewer kaim z laid | Daß nie stnd baß in Media | z Babylon / und Persia | Dann weil der theür man Daniel | der gfangnen was auß Israel | Das schwerdt deß reichs in henden hat | da grnt warlich deß reiches statt“ (V. – ). Der Banerherr vergleicht Zorobabel mit Joseph in Ägypten: „So man History lesen wil | so frt man der exempel vil | Als Joseph in Egypten land | hat nach dem Küng den hchsten stand | Er hat groß gwalt / er hat groß ehr | ye lenger und ye lenger mehr | Was mag das für ain ursach sein | das wundert mich im hertzen mein“ (V. – ).
92
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
ir glauben sicherlich“ (V. 730 f.). Der Phrurier versichert ihm, sein Gesuch im Kopf zu behalten. Auch der zweite und dritte Akt werden durch einen Chorgesang getrennt, der wie der erste auf eine Übersetzung Bircks von Psalm 46 nach der Vulgata zurückgeht. Dass Luther diesen Psalm in seiner Übersetzung streng nach der hebräischen Vorlage als 47. Psalm zählte, während Hieronymus ihn dafür abweichend (und der Septuaginta folgend) als 46. Psalm nummerierte, spricht ebenfalls für die Vulgata als Vorlage für Bircks Chorgesang.¹²³ Wie auch beim ersten Chor übernimmt Birck den Auftakt des Psalms „Omnes populi plaudite“ (Vul Ps 46,2) mit einer Änderung als Regieanweisung für die Darbietung des Gesangs: „Omnes gentes plaudite“ (vor V. 734). Diese Abänderung traf offenbar besser auf das homogene Publikum einer reformierten Stadt zu als die Aufforderung aller ‚Völker‘ zum Applaus. Der mit 49 Versen längste Chor des Stückes ist ein Lobpreis Gottes als größter Herrscher auf Erden: „Den Herren Gott ir vlcker all | Mit schall / und auch mit jubilieren | Frolockend auch mit heller stimm | Dann im / soll man allzeyt hofieren | Dann der der aller hhest ist“ (V. 734– 738). Für die Handlung des Dramas sind besonders V. 761– 769 von Bedeutung, in denen die Fürsten als die von Gott erhöhten und in seinem Auftrag handelnden Amtsträger beschrieben werden: Chorgesang V. –
Ps , f. (VUL)
Die Fürsten aller vlcker sampt Zhand seind schon in gnad auffgnommen Gott hat sein gnad auff sy gewant Sy seind zum volck Abrahe kommen Gott hat im grosse gnad gethan Das sy sein ehr veriehen Sy sond sein ehr im schirem han Die soll im wol sein glegen an Drumb tht er sy erhhen
Deus sedet super thronum sanctum suum principes populorum congregate sunt populus Dei Abraham quoniam Dei scuta terrae vehementer elevate sunt
Im Anschluss folgen noch acht Verse, die keine Vorlage in Psalm 46 haben und in denen auch Jesus Christus und der Heilige Geist erwähnt werden: Gott vatter in der ewigkait Berayt seind wir allzeyt dich ehren Mit dir den herren Jesum Christ Stat unser gird z preisen
Vgl. Schöberl, Quellen, S. .
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
93
Den gaist der unser trster ist Jetzund und auch z aller frist Thnd wir sein lob beweisen (V. 772– 778).
Womöglich wird hier ein zeitgenössisches Kirchenlied übernommen. Bemerkenswert ist, dass in diesen Versen des Chorgesangs der dreifaltige Gott besungen wird, während sich die übrigen Chorgesänge und die Dramenhandlung streng an alttestamentliche Vorlagen halten. Im dritten Akt, der wiederum seine Vorlage in der Apokryphe hat, wird das Mandat des Königs verlesen, das die Rückkehr der Juden und die Rückgabe des Tempelschatzes anordnet. Zunächst dankt Zorobabel Gott dafür, dass er ihn mit „Adel und mit weyßhait vil“ (V. 781) begabt hat und benennt damit die Eigenschaften, mit denen er zum zweiten Mann im Königreich aufsteigen konnte. Während ihm die Weisheit von Gott verliehen wurde, hat er sich die Tugend ohne göttliches Zutun, also durch Handeln aus eigenem Antrieb, erworben. Der König kündigt die Verlesung des Mandats an, in dem in Anlehnung an das kanonische Buch Esra angeordnet werden soll, „das nun Zorobabel | den gwalt wider in Israel | Soll haben wie er vor hat ghan“ (V. 803– 805). Der Ernhold ruft daraufhin zum Schweigen auf und verliest das Mandat, in welchem alle Anordnungen des Königs aus 3 Esr 4,EF enthalten sind. Darin verkündet der König, dass die Juden ihrem Gott zu Ehren den Tempel in Jerusalem wiederaufbauen sollen, „[d]er on zweyfel der recht Gott ist | das bkenn wir frey on argen list“ (V. 847 f.). Der König erlässt den Befehl, dass sie „[s]ond han die freyhait / bsoldung gng | daß fronen soll nach allem fg“ (V. 873 f.) und auch das „Kirchen gt“ (V. 879) solle zurückgegeben werden. Die Umwandlung des ‚Tempelschatzes‘ von der Apokryphe ins ‚Kirchen gt‘ in der Dramenadaptation zeigt, wie das historische Beispiel aus der Zeit des Alten Testaments auf den christlichen Kontext der Dramenaufführung im 16. Jahrhundert bezogen wird. Das Publikum wird hier nicht – ähnlich den Reden in der Lucretia von Heinrich Bullinger – in der Rolle des Volkes Israel angesprochen. Wenn das Stück aber tatsächlich – wie bei Nysaeus angegeben – um 1530 in Basel aufgeführt wurde, also etwa ein Jahr nach der offiziellen Einführung der Reformation, so konnte der Aufruf, die Juden aus der Babylonischen Gefangenschaft zu entlassen und sie beim Wiederaufbau ihres Tempels zu unterstützen, von den Zuschauern auf ihre gegenwärtige Situation übertragen werden. Die beabsichtigte Wirkung sollte wohl sein, dass sich die Zuschauer angesprochen fühlten, am Wiederaufbau der ‚Kirche‘ und an der Rückkehr zum ‚rechten‘ Glaubens mitzuwirken. Dabei bleibt Birck in seinem dritten Akt sehr eng an der Vorlage und greift nur an wenigen Stellen ein. Das zeigt, wie überlegt er den apokryphen Stoff seiner Vorlage auswählte und dass das Kriterium ausschlaggebend war, die Vorlage müsse auf den zeitgenössischen Kontext des Dramas übertragbar sein.
94
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Nach dem Verlesen des königlichen Mandats werden im Drama Boten nach Babylon, in den Libanon und nach Palästina entsandt, um Briefe mit dem königlichen Mandat zu überbringen. Kurz vor Ende der Dramenhandlung wird noch der Kriegsmann ins Leibwächteramt von Zorobabel befördert. Wie versprochen macht der Phrurier dem König den Vorschlag, Diadochus in „das Trabanten Ampt“ (vor V. 929) zu befördern. Er versichert, es handle sich bei ihm um „ain dapffern man“ (V. 932), dessen „trew“ (V. 933) er oft gespürt habe. Als der König der Beförderung zustimmt, liest der Cantzler dem Kriegsmann den „Ayd“ (vor V. 947) vor, den er für das Amt leisten muss. Damit schwört er, den Leib des Königs mit größter Treue zu bewachen und eher sein eigenes Leben zu geben, als das des Königs zu gefährden (V. 957– 961). Nachdem Diadochus den Eid angenommen hat und von den umstehenden Figuren beglückwünscht wird, versichert er zum Ausgang der Handlung: „Die tuget findt allzeyt gt platz | die tuget ist ain grosser schatz“ (V. 977 f.). Der Aufstieg des Kriegsmanns soll den Zuschauern und Beteiligten, insbesondere wohl auch Bircks Schülern, vermitteln, dass tugendhaftes Verhalten und Treue sich lohnen und mit einem Aufstieg in der Gesellschaftsordnung bedacht werden. Die Voraussetzung für dieses Prinzip ist, dass die weltliche Hierarchie nach oben hin durchlässig ist, und dass weniger die familiäre Herkunft als Begabung und tugendhaftes Handeln zum Aufstieg führen. Zum Abschluss der Dramenhandlung steht eine beschlußred, die wiederum vom Ernhold vorgetragen werden soll. Dass diese Figur ein Kind oder Jugendlicher, vermutlich ein Schüler von Sixt Birck ist, zeigt sich in V. 1016 und V. 1019, wo sich der Epilogsprecher offenbar im Namen der jungen Schauspieler an die Obrigkeit wendet: „Ir frend yetz das regiment | wyßt das wir ewre kinder send“ (V. 1015 f.). Die Lehre, die das Stück vermitteln soll, benennt der Ernhold gleich zu Beginn des Epilogs: Das Schauspiel soll zeigen, welchen Nutzen eine gelehrte Obrigkeit „aim gantzen land“ bringe (V. 981), da eine gelehrte Obrigkeit den Willen Gottes verstehen könne, was die Voraussetzung dafür ist, ihn auf Erden zu verwirklichen.¹²⁴ Als Kritik an den zeitgenössischen Verhältnissen bemängelt der Ernhold, dies würde in der Gegenwart nicht beachtet, worauf das Drama hinweisen wolle.¹²⁵ Die entscheidende – typologische – Deutung des Dramas nimmt Birck im Epilog selbst vor: „Wer Petrum wol glesen hat | die haimligkait hie wol verstat“ (V. 995 f.). Übertragen auf den Kontext der Dramenaufführung, so der Epilogsprecher, sei mit der Rückkehr der gläubigen Juden nach Jerusalem und dem Wiederaufbau des Tempels nicht „das staine hauß“ (V. 998) gemeint.¹²⁶ Die „Mencklich hat yetz verstanden wol | wie das man weyßhait pflantzen sol | Was nutzes bringt aim gantzen land | so wol glert ist die oberhand | Und kan verston den willen Gott“ (V. – ). „Man soll die sach verachten nit | wie dann bey uns ist yetz der sitt“ (V. f.). „Deß tempels und des gantzen bawß | man maint nit hie das staine hauß“ (V. f.).
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
95
„haimligkait“ (V. 999) des Tempels sei, dass er hier in einem typologischen Sinne für „lebendige stain | der frummen Christen hertzen rain“ stehe.¹²⁷ Der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem im Buch Esra wird somit in ein Verhältnis zum ersten Brief des Petrus gesetzt, in dem er die Gläubigen auffordert: „Und auch jr / als die lbendigen steyn / bauwend euch zum geystliche(n) hauß / un(d) zum heyligen priesterthm(m) z opferen geystliche opfer / die Gott angenm sind durch Jesum Christu(m).“¹²⁸ In der Zürcher Bibel, die in jenem Jahr im Druck erschien, in dem Birck das Drama vermutlich verfasste und in Basel aufführen ließ, ist 1 Petr 2 eine kurze Einleitung vorangestellt, die dem Leser erklärt: „Petrus vermanet dy als die neügebornen zneüwe und reynigkeit deß lbens“.¹²⁹ Da Birck seine Dramen, wie er selbst an der anfangs zitierten Stelle schreibt, für die „nascens civitas“¹³⁰ nach Einführung der Reformation verfasste, um am Aufbau der ‚neu entstehenden‘ Bürgerschaft mizuwirken, ist es gut nachvollziehbar, warum ihm diese Stelle in den neutestamentlichen Episteln geeignet erschien. Der typologische Vergleich eines alttestamentlichen und eines teilweise apokryphen Buches mit einer neutestamentlichen Epistel wird hier um eine weitere Zäsur, die Reformation, fortgeführt. Wenn der Wiederaufbau des steinernen Tempels von Jerusalem der Typos ist, der nach dem Erscheinen des Gottessohns auf Erden im geistlichen Sinne erfüllt werden soll, wie Petrus in seiner Epistel schreibt, so wiederhole sich diese typologische Erfüllung im Kontext der Dramenaufführung ein zweites Mal: Nachdem das Christentum wie die Juden im Alten Testament unter der verdorbenen römischen Kirche eine zweite Babylonische Gefangenschaft erlebt hätte, so die Erklärung Bircks, sollen ‚Tempel‘ und alter Glauben nach Einführung der Reformation zum zweiten Mal im geistlichen Sinne wiederholt werden. Die „ausserwlten Christenleüt“ (V. 1000) – gemeint ist die reformierte Bürgerschaft – werden daher mit dem Drama aufgefordert, als lebendige Steine am Bau „zum geystlichen hauß“ (ZB, 1 Petr 2,A) mitzuwirken. Der Epilogsprecher bleibt noch in der Baumetaphorik, wenn er weiter ausführt, bei einem „baw“ (V. 1004) komme es besonders auf das Fundament an (V. 1004). Dieses „fundament [ist] die tuget“ (V. 1007). Aus dieser Voraussetzung leitet der junge Sprecher seine Mahnung an die Obrigkeit ab, ein besonderes Augenmerk auf die Jugend zu haben, denn diese sei das „pfulment […] | das in zkünfftig tragen sol | Den baw / das Kirchen gt dahin“ (V. 1025 – 1027). Im Namen der ganzen Jugend erinnert der Epilogsprecher die, die
„Des tempels haimligkait bedeüt | all außerwlten Christenleüt | Verstond hie lebendige stain | der frummen Christen hertzen rain“ (V. – ). ZB, Petr ,A. ZB, Petr , vor A. Vgl. Kap. ., S. .
96
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
[i]r frend yetz das regiment wyßt das wir ewre kinder send Wir tretten all an ewer statt wie yeden Gott geordnet hat […] Wir seind die saat des gmainen stands die hofnung auch des gantzen lands (V. 1015 – 1022).
Die gegenwärtige Obrigkeit würde so ihrer Pflicht nachkommen, über ihre eigene Amtszeit hinausschauend für die „Gttlich ehr“ (V. 1029) in der Bürgerschaft zu sorgen. Noch einmal wird eine Frage aufgegriffen, die schon in der Dramenhandlung gestellt wurde: Sollten Amtsträger und Berater auch aus der ‚Fremde‘ kommen dürfen? Die Antwort, die der Epilog auf diese Frage gibt, ist eindeutig: „Man darff hernach auch glerter leüt | hie und in allen landen weyt | Drumb trachtent wol den gmainen stand | das wll wir euch yetz han ermant“ (V. 1031– 1034). Der Sprecher erklärt die Aufführung für beendet und ermahnt alle Zuschauer: „denckend was wir euch hond ermant“ (V. 1036). Nach dem Ausgang des Stückes („Finis“ nach V. 1036) folgt noch ein musikalisches Nachspiel, ein „epicitharisma“, das wohl auch vom Chor gesungen wurde. Es handelt sich um die Bearbeitung des 137. Psalms¹³¹„An wasser flüssen Babylon | da sassen wir mit schmertzen […]“ (V. 1037 f.) von dem Straßburger Organisten Wolfgang Dachstein.¹³² Dachstein (um 1487– 1553) war an der Ausarbeitung der evangelischen Gottesdienstordnung in Straßburg beteiligt.¹³³ Seine Vertonung des 137. Psalms mit einer von ihm komponierten Melodie ging in den dritten Teil des Teutschen Kirchenampts 1525 ein.¹³⁴ Offenkundig war das Lied auch in Basel bzw. Augsburg so bekannt, dass Birck in seinem Dramentext nur die ersten vier Verse des Psalmgesangs aufzuzählen brauchte.
3.2.3 Zusammenfassung: Bearbeitungstendenzen des Zorobabeldramas Wie die Dramenanalyse gezeigt hat, war Sixt Birck bei seiner dramatischen Adaptation des teils alttestamentlichen, teils kanonischen Buches Esra besonders daran gelegen, der Respublica christiana ein neues Ideal von einem Herrscher(‐berater), nach dem Vorbild des Philosophenherrschers in Platons Politeia
In Bircks Drama ist irrtümlich angegeben „Psalmus CXXVIII“ (vor V. ). Vgl. dazu Schöberl, Quellen, S. . Siehe dazu: Art. „Dachstein,Wolfgang“. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, hg. von Friedrich Wilhelm Bautz (), Sp. . Vgl. ebd.
3.2 Die Reform des religiösen Lebens
97
und einer nach oben hin durchlässigen Hierarchie, zu vermitteln. Darin sollten nicht Abstammung und Stand ausschlaggebend sein, nicht Reichtum und körperliche Überlegenheit sollen die Attribute des Adels und der Obrigkeit sein, sondern allein Tugend und Weisheit sollen den Aufstieg in die gesellschaftliche Elite ermöglichen. Während Weisheit von Gott verliehen wird, muss ein Mensch Tugend – dazu gehören u. a. Treue und Tapferkeit – durch Handeln aus eigenem Antrieb erwerben. Der Mensch kann somit der göttlichen Gnade in Form von Begabung durch sein Handeln zumindest entgegen kommen. Das Herrscheramt bzw. das des Herrscherberaters wird somit auch als Ausdruck göttlicher Gnade verstanden: Der Amtsträger handelt im Auftrag Gottes. Daher nutzt die Beförderung dieser von Gott Begabten auch besonders dem religiösen Leben eines Gemeinwesens, wie bereits im Titel des Dramas. Die dramatischen und dramaturgischen Techniken, die Birck zur Vermittlung dieser Lehre anwendet, zeigen, dass es notwendig war, diese Modelle von anderen, älteren Vorstellungen über Hierarchie und Herrschaft abzugrenzen. Mehrmals vollziehen Figuren im Drama ein Umdenken, wodurch die Zuschauer und Leser aufgefordert werden, ‚überkommene‘ gesellschaftliche Vorstellungen zu überdenken und die Vorteile der ‚neuen‘ Ideale anzuerkennen. Neben den Geburtsadel tritt mit Zorobabel der Tugendadel, der mit seiner Beratung des Königs die Rückkehr der ‚Rechtgläubigen‘ zum ‚wahren‘ Glauben ermöglicht. Auch der Cantzler vollzieht auf der Bühne ein Umdenken, wenn er nicht nur die Weisheit Zorobabels bestaunt, sondern auch bekundet, der Auftritt des Leibpagen widerlege seine bisher gültige Überzeugung, nur der betuchte Adel von Geburt könne weise reden. In seiner Vorreiterrolle fordert der Cantzler damit das Publikum und auch die Leser auf, diese als überholt geltende Meinung ebenfalls abzulegen und sich dem neuen Ideal des weisen und tugendhaften Regenten anzuschließen. Der Cantzler gehört damit auch zu einer Reihe von positiven Exempelfiguren, die die Zuschauer von ihren Ansichten überzeugen und sie zum Nachahmen anregen sollen. Dieser Gruppe stehen die negativen Exempelfiguren gegenüber, deren Äußerungen sich durch Neid, Missgunst und Vorteilsdenken auszeichnen. In offenen Antithesen werden diese ‚falschen‘ Ansichten von den übrigen Dramenfiguren bloßgestellt und sollen so eine abschreckende Wirkung haben. Diese Passagen sind nicht in der apokryphen Vorlage enthalten und wurden von Bircks eigens zu dem Zweck eingefügt, den Zuschauern ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Einstellungen exemplarisch vorzuführen. Auch das Nachrücken des treuen und tapferen Kriegsmanns Diadochus auf Zorobabels frei gewordenes Pagenamt wurde von Birck erfunden, um den Vorteil einer nach oben offenen gesellschaftlichen Hierarchie anschaulich zu machen: Der Tugendhafte wird für sein vorbildliches Handeln belohnt und soll ebenfalls zur Nachahmung anregen.
98
3 Die ersten Bibeldramen: Ezechias und Zorobabel (ca. 1530/31)
Die wohlwollenden Äußerungen über Juden im Drama sind im Kontext der historischen Parallele zu bewerten, an denen sich die reformierte Basler bzw. Augsburger Bürgerschaft ein Beispiel nehmen sollte. In der Dramatisierung sind die Juden die Rechtgläubigen unter den Heiden, die zu ihrem alten Glauben zurückkehren und damit den Reformierten im 16. Jahrhundert ein Vorbild sein sollten. Birck wählte die mit dem Alten Testament überlieferte Apokryphe aus, um zu zeigen, wie wichtig eine von Gott eingesetzte und Gott zu Ehren handelnde Regierung für das religiöse Leben einer Glaubensgemeinschaft sei. Die reformierte Bürgerschaft, die mit dem Drama angesprochen wurde, sollte bei einer Aufführung ermuntert werden, sich am Wiederaufbau des religiösen Lebens zu beteiligen. Der Wiederaufbau des Tempels soll in einem geistigen Sinne wiederholt werden. Als Vorlage dient dafür der Aufruf in 1 Petr 2. Die Obrigkeit wird besonders ermahnt, diesen ‚Wiederaufbau‘ zu ermöglichen und zu fördern und sich außerdem um die Ausbildung der nachwachsenden Elite zu bemühen, damit auch die nächste Generation die Reform des religiösen Lebens fortsetzen möge. Mit seinem Drama wollte Birck auch an das vorreformatorische Fastnachtspiel anknüpfen, in dem das normale soziale Gefüge auf der Bühne verkehrt wurde und in dem Weisheit gerade bei Vertretern sozialer Gruppen ausgemacht wird, die außerhalb der Karnevalszeit nicht für ihre Weisheit bekannt sind. Birck imitiert und christianisiert diesen Fastnachtbrauch, indem er die Motivik auf der Grundlage einer Apokryphe aufgreift. Ihm geht es jedoch nicht um eine bloße fastnächtliche Verkehrung von Ordnung, sondern um die dauerhafte Implementierung eines neuen Herrscherideals, wie besonders auch sein ca. ein Jahr später entstandenes Josephsdrama zeigt (Kap. 5).
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna (1532 und 1537) 4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532) Sixt Bircks volkssprachliches Susannadrama und dessen lateinische Übersetzung müssen seine beliebtesten Spiele gewesen sein. Dafür spricht neben mehreren Nachdrucken und Hinweisen auf Inszenierungen auch die Tatsache, dass das volkssprachliche Stück als erstes von Bircks Dramen gedruckt wurde. Es ist das einzige seiner in Basel verfassten Dramen, das noch in Basel erschien. Damit ist das volkssprachliche Susannadrama auch das einzige überlieferte Schauspiel, bei dem eine Überarbeitung für das Augsburger Publikum ausgeschlossen werden kann. Daraus konnte Hellmut Thomke die Erkenntnis ableiten, dass Bircks in Basel entstandene Stücke, wie das Susannadrama, in alemannischer Schriftsprache abgefasst gewesen sein müssen, bevor er sie in Augsburg vor der Drucklegung sprachlich überarbeitete.¹ Die Sprache des Basler Susannadrucks von 1532 ähnelt der von Bircks Basler Vorgänger Pamphilus Gengenbach (1480 – 1524/25), wobei Birck sogar die Formen der oberdeutschen Literatursprache vermied, die bei Gengenbach zu finden ist.² Das kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass sich Birck mit dem Schauspiel nicht nur an eine gebildete Oberschicht wenden wollte, sondern an ein breites, ständisch gemischtes Publikum. Bei der Vermeidung oberdeutscher Wendungen hatte er wohl die identitätsstiftende Funktion des Dramas für ein eidgenössisches Gemeinwesen im Blick. Als erstes seiner volkssprachlichen Stücke übersetzte Birck das Spiel auch ins Lateinische. Laut Titelblatt wurde „DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna / Im M.CCCCC.XXXII. Jar/ offentlich inn Mindren Basel/ durch die jungen Burger gehaltenn“ und noch im selben Jahr bei Thoman Wolff in Basel gedruckt.³ Sixt Birck war zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren Schulmeister an der Kleinbasler Lateinschule St. Theodor und es ist anzunehmen, dass seine Schüler
Vgl. Hellmut Thomke (Hg.): Deutsche Spiele und Dramen des . und . Jahrhunderts (= Bibliothek der frühen Neuzeit ). Frankfurt/M. , S. . Thomke hat gezeigt, dass die alemannische Schriftsprache des Basler Susannadrucks von den Werken seines Basler Vorgängers Pamphilus Gengenbach ( – /) ähnelt, wobei Birck sogar die Formen der oberdeutschen Literatursprache vermeide, die bei Gengenbach zu finden sei (vgl. ebd., zu Gengenbachs Leben und Werk siehe ebd., S. – ). Vgl. ebd., S. . Vgl. Anm. . DOI 10.1515/783110434118-004
100
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
an der Aufführung des Spiels als Schauspieler mitwirkten. Anders als die später in Augsburg gedruckten deutschen und lateinischen Spieltexte enthält das Susannadrama von 1532 keine Textteile, die sich ausschließlich an ein Lesepublikum richten, wie eine Widmungsrede, einen Prolog oder ein Epilog in Prosa, auch kein Figurenverzeichnis für die von Birck hinzugefügten sprechenden oder anspielungsreichen Figurennamen. Die Szenen sind nicht nummeriert, aber durch Chorgesänge voneinander getrennt. Ein von Birck „gemeert[er]“ und „gebessert[er]“ Nachdruck des volkssprachlichen Spieltextes erschien 1545 bei Augustin Frieß in Zürich.⁴ 1537, ein Jahr nachdem Birck als Schulmeister nach Augsburg gegangen war, erschien die lateinische Übersetzung und Bearbeitung bei Philipp Ulhart in Augsburg. Die lateinische Fassung wurde schon ein Jahr später in Zürich und Köln nachgedruckt, in Köln ein weiteres Mal 1539⁵; 1564 folgte ein weiterer Druck in Wittenberg mit einem Gedicht Johann Stigels, der bis 1547 in Wittenberg als Professor für Latein tätig gewesen war.⁶ Aus dem Briefwechsel Sixt Bircks mit Heinrich Bullinger geht hervor, dass Susanna am 1. Januar 1538 in Zürich von Schülern aufgeführt wurde.⁷ Ob es sich dabei um das lateinische oder um das volkssprachliche Schauspiel handelte, wird nicht erwähnt. Das Einladungsschreiben von Heinrich Bullinger, Konrad Pellikan und Georg Binder an Sixt Birck, der Aufführung beizuwohnen, erhielt der Dramenautor erst am Tag der Aufführung. In seinem Antwortschreiben führt Birck an, aufgrund der schweren Krankheit seiner Frau wäre eine Reise nach Zürich für ihn ohnehin nicht in Frage gekommen, er bedanke sich aber bei den Schülern für die Aufführung des Dramas und freue sich zu sehen, dass seine ‚Possen‘ von den Guten und Gelehrten nicht missbilligt würden.⁸
Sixt Birck: Ein schn geystlich Spyl/ von der from(m)en vnd Gottsfrchtigen Frouwen Susanna/ Gott z lob/ vnd allen frommen Frouwen vnd Jungfrouwen z eeren vnd bestendigkeit jrer küschheit. Yetzund gemeert/ gebessert/ vnd mit vil schnen figuren gezieret. Zürich: Augustin Fries . Nach Angabe von Baechtold wurde diese erweiterte Fassung sogar ins Rätoromanische übersetzt. Vgl. Jakob Baechtold: Geschichte der Deutschen Literatur inn der Schweiz. Frauenfeld , S. . Ders.: Susanna Comoedia Tragica […]. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. . – Ders.: Susanna Comoedia Tragica […]. Köln: Johann Gymnich I., [Nachdruck ]. Ders.: Susanna Comoedia Tragica […] additum est in fine Carmen […] Iohannis Stigelij piae et foelicis memoriae de ordinatione Magistratus. Wittenberg: Peter Seitz d. J. . Zu Johann Stigel siehe: Karl Hartfelder: Art. „Stigel, Johann“. In: ADB (), S. – . HBW II, Bd. (), Nr. : Sixt Birck an Bullinger, Konrad Pellikan und Georg Binder. Augsburg, . Januar [], S. – , hier S. . „Placere nunc demum mihi aliquantulum incipio, cum video nugas meas bonis et doctis non improbari“, ebd.
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
101
Der Literaturwissenschaftler Jakob Baechtold erwähnt ohne Quellenbeleg eine Wiederaufführung des Schauspiels 1544 in Basel⁹, die auch Ernst Messerschmid – ebenfalls ohne Quellennachweis – nennt.¹⁰ In den zeitgenössischen Tagebüchern des Basler Bürgers Johannes Gast wird von einer Aufführung der Susanna im Mai 1546 auf dem Basler Fischmarkt berichtet. Vermutlich handelte es sich dabei um Bircks deutsches oder lateinisches Susannadrama.¹¹ Als Schauspieler wirkten hier die Schüler des Schulmeisters und Spielleiters Ulrich Coccius mit, lediglich die Susannafigur wurde von der Braut des Coccius, Margarete Merian, gespielt.¹² Die Erzählung von Susanna und den beiden Alten im 13. Buch Daniel zählt zu jenen biblischen Stoffen, die häufig für die Bühne der Reformationszeit adaptiert wurden, wobei Bircks Dramatisierung die erste nachreformatorische Bearbeitung darstellt. Aufgrund seiner innovativen Metrik erfuhr das Susannadrama des Zwickauer Dramenautors Paul Rebhun am meisten Beachtung in der Forschungsliteratur.¹³ Dazu kommen die anonym verfasste Nürnberger Susanna, gedruckt um 1535¹⁴, das Susannadrama Nicodemus Frischlins von 1578¹⁵ und mit dem Stück von Matthaeus Kreutz auch eine katholische Bearbeitung des Stoffes.¹⁶ Für sein volkssprachliches Drama diente Sixt Birck in jedem Fall die Apokryphenübersetzung Leo Juds aus der Zürcher Bibel von 1531 als Vorlage, wie zahlreiche wörtliche Übereinstimmungen zeigen. Luthers Vollbibel mit den Übersetzungen der Apokryphen
„Gleich die nächste [Dramatisierung des Susannastoffes] rührt von Sixt Birk her und gelangte durch die jungen Bürger in Klein-Basel zur Aufführung ( wiederholt)“, Baechtold, Geschichte, S. . Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. . „Die Knaben führten auf dem Fischmarkt das Spiel von der Susanna vortrefflich und sehr hübsch auf; sie hatten schöne Kostüme und eine zierliche und passende Ausstattung, die ihnen sehr gut stand“, Johannes Gast: Das Tagebuch des Johannes Gast. Ein Beitrag zur Schweizerischen Reformationsgeschichte. Im Auftrag der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft in Basel, bearb. v. Paul Burckhardt. Basel , S. . Vgl. ebd., S. ; ebenso: Kleinschmidt, Stadt, S. . Erstdruck: Paul Rebhun: Ein Geistlich spiel/ vo(n) der Gotfurchtigen un(d) keuschen Frawen Susannen/ gantz lustig und fruchtbarlich zu lesen. Zwickau: Wolfgang Meyerpeck d. Ä. . Anonymus: Ein kurtz und seer schön spil / von der Gotfrchtigen und keuschen frawen Susanna. Nürnberg: Kunigunde Hergot [um ]. Nicodemus Frischlin: Susanna, Comoedia nova, sacra et lectu iucunda at(que) utilis: in qua foeminei pudoris exemplum proponitur: scripta à Nicodemo Frischlino Poëta Coronato, Comite Palatino Caesareo. Tübingen: Alexander Hock . Matthaeus Kreutz: Ein kurtzweilige und lustige Comedi / uß der Historien Susanne: Darynn angezeigt wyrt wie ma(n)cherley list der Theufel braucht das er Ehleuten leydt zufüge. Alle(n) liebhaberen des Ehestands nutzlich zu lesenn. Köln: Jaspar von Gennep .
102
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
erschien erst zwei Jahre nach dem Dramentext und kommt somit als Vorlage nicht in Betracht.
4.1.1 Die biblische Erzählung von Susanna und Daniel Die Handlung des 13. Buchs Daniel spielt im Babylonischen Exil, Hauptfigur ist die schöne und gottesfürchtige Jüdin Susanna, die Ehefrau des vornehmen und angesehenen Juden Joakim, in dessen Haus sich die babylonischen Juden regelmäßig zu Beratungen versammeln. Nachdem zwei von den Ältesten aus dem babylonischen Volk zu Richtern ernannt wurden, nehmen auch diese an den Versammlungen bei Joakim teil. Schon die Vulgata und auch die Übersetzung der Zürcher Bibel weisen bei der Charakterisierung der beiden Richter darauf hin, dass sie ihre Aufgabe, das Volk zu regieren, mit bösen Taten unterlaufen: „de quibus locutus est Dominus quia egressa est inquitas de Babylone a senibus iudicibus qui videbatur regere populum“ (Vul, Dan 13,5), bzw. „vonn denen redt der HERR also: Alle bberey die in Babel fürgadt / entspringt nun vonn den Elteren / das ist von den Richtern / die man vermeint sy regierind das volck.“ (ZB Sus,A).¹⁷ Eines Tages lauern die beiden Richter Susanna auf, als diese für einen kurzen Moment allein im Garten ist. Sie stellen sie vor die Wahl, sich ihren sexuellen Begierden hinzugeben, andernfalls, so drohen sie, werden sie Susanna des Ehebruchs mit einem jungen Mann anklagen. Da Susanna sich weigert, gegen die göttlichen Gesetze zu verstoßen, entscheidet sie sich angesichts dieses Dilemmas für den Tod, der ihr bei einer Anklage vor Gericht droht. Am darauffolgenden Tag wird Susanna im Haus ihres Mannes von den alten Richtern des Ehebruchs angeklagt und im Beisein ihrer Familie vor Gericht gestellt. Um sich an Susannas Schönheit zu ergötzen, erwirken die beiden Ankläger, dass Susanna ihren Schleier ablegen muss. Das „gemeyn volck“ (ZB Sus,E) glaubt den beiden Ältesten und verurteilt Susanna zum Tode. Trotz des Urteilsspruchs vertraut Susanna weiter fest auf Gottes Gerechtigkeit und ihr Gebet wird erhört. Als sie zur Hinrichtung abgeführt wird, erweckt Gott den Geist des Knaben Daniel, der laut ausruft: „Ich bin reyn von disem blt.“ Daniel klagt die Juden an, eine „Tochter Israel“ zum Tode verurteilt zu haben, ohne die Wahrheit über ihr Vergehen zu kennen, da ein falsches Zeugnis wider sie ausgesagt worden sei (ZB Sus,F). Die Ältesten fordern Daniel daraufhin auf, sich zwischen sie zu setzen, da Gott ihm die gleiche Ehre verliehen habe wie ihnen.
In der Apokryphenübersetzung der erschienenen Vollbibel Martin Luthers fällt der Nebensatz zur Regierungsfunktion der beiden Richter weg: „von welchen der HERR gesagt hatte, Ire Richter uben alle bosheit zu Babylon“ (WA DB Sus, V. ).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
103
Daniel erteilt die Anweisung, die beiden Kläger sollten getrennt voneinander verhört werden. Gegen den ersten Richter erhebt er schwere Anschuldigungen wegen Amtsmissbrauchs und wirft ihm vor, er habe Fehlurteile gesprochen und die Unschuldigen unterdrückt, die Schuldigen dagegen frei gesprochen. Dabei habe er auch gegen das göttliche Gebot verstoßen „Du solt den unschuldigen unnd frommen nit umbbringen“ (ZB Sus,F). Daniels Verhör des Richters gipfelt in der Frage nach dem Baum, unter dem Susanna mit einem Jüngling Ehebruch begangen haben soll. Jener antwortet in der Zürcher Bibel „Under einem maulbeerbaum“ (ZB Sus,F; in der Vul: „sub scino“, Dn 13,55; in der Lutherbibel „Unter einer Linden“, Sus V. 54). Daniel bezichtigt ihn daraufhin der Lüge und droht ihm mit der Todesstrafe. Er lässt den zweiten Richter hereinführen und befragt ihn ebenfalls, unter welchem Baum sich der Ehebruch ereignet haben soll. Dieser antwortet: „Und(er) einem Granatpffelbaum“ (ZB Sus,G). Damit sind die beiden Alten des Meineids überführt. Die Gemeinde bricht angesichts des enttarnten Komplotts gegen Susanna in Klagen aus und preist Gott, weil er diejenigen stets errette, die auf ihn vertrauen. Das Volk verfährt nach dem Talionsprinzip und fordert für die beiden meineidigen Richter dieselbe Strafe, die diese für Susanna gefordert hatten. In der Bibel heißt es: „Ja sy handleten nach dem gsatz Mose / unnd brachtend sy umb“ (ZB Sus,G). Das Kapitel von Susanna und Daniel schließt mit einem Bericht über den Lobpreis Gottes und über das große Ansehen, das Daniel von diesem Tag an im Volk genossen habe.
4.1.2 Die reformatorische Basler Ehegerichtsordnung Der Großteil der reformatorischen Dichter nutzte die biblischen Vorlagen dazu, um mit der Susannafigur das Ideal einer protestantischen Ehefrau auf die Bühne zu bringen, wie Robert Pilger bereits 1879 konstatierte: Vor allem enthielt sie an moralisch und religiös erbaulichen momenten einen reichen stoff: das bild einer frommen, keuschen hausfrau, umgeben von einem glücklichen familienleben, ihre unbesiegbare standhaftigkeit, ihr unerschütterliches gottvertrauen und den herlichen lohn ihrer frömmigkeit. Im gegensatz dazu zwei ungerechte, unkeusche greise, deren bosheit, von den leichthin urteilenden richtern unentdeckt, an das tageslicht gebracht wird durch die weisheit eines gotterweckten jungen knaben.¹⁸
Robert Pilger: Die Dramatisierungen der Susanna im . Jahrhundert. In: ZfdPh XI (), S. – , hier S. .
104
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Das Ideal „einer frommen, keuschen hausfrau, umgeben von einem glücklichen familienleben“¹⁹ als die höchste für Frauen zu erstrebende Lebensform war im 16. Jahrhundert ein Novum, das die Reformation mit sich brachte. Waren die Attribute von Keuschheit und damit sexueller Reinheit gemäß dem vorreformatorischen Ideal bis dahin allein dem Stand der Kleriker vorbehalten, die „dadurch in spezifischer und einzigartiger Weise als Vermittler zu Gott fungieren konnte[n]“, so plädierten die Reformatoren im Zuge der Negierung einer exklusiven Vermittlerfunktion von Klerikern für eine Stärkung der Ehe als neuen gesellschaftlichen Ort von Keuschheit.²⁰ Die Trennlinie zwischen sexueller Reinheit und Unreinheit verlief nun nicht mehr zwischen der zölibatär lebenden Klerikerkaste und den übrigen Teilen der Gesellschaft, sondern zwischen Ehestand und nichtehelichem Geschlechtsverkehr.²¹ Um letzteren zu unterbinden und um das eheliche Leben gemäß christlicher Vorgaben zu regulieren, brachte die Reformation neue Gesetze und Institutionen mit sich. Als wichtigste Einrichtung, um die Ehe als neues ideales Lebensmodell in der Stadt zu kontrollieren und Verstöße dagegen zu sanktionieren, wurde mit der Reformationsordnung vom 1. April 1529 das Basler Ehegericht eingeführt. Bereits im späten Mittelalter hatte der Baseler Rat gemeinsam mit der Kirche über die Ordnung der ehelichen und geschlechtlichen Verhältnisse in der Stadt gewacht und Ehebruch grundsätzlich unter Strafe gestellt.²² Im Zuge des Konzils von Basel (1431– 1449) fürchtete der Rat um die öffentliche Sittlichkeit und richtete um 1442 eine eigene Behörde zur Bekämpfung von Ehebruch und Konkubinat ein, die „drei über den Ehebruch“.²³ Dennoch war das Strafmaß verhältnismäßig milde: Beide Delikte wurden mit Geldbußen oder Verbannung geahndet, nur bei besonders schweren Fällen wurde eine Bestrafung „an Leib und Gut“ vorgenommen.²⁴ Bis weit ins 15. Jahrhundert hinein war die weltliche Rechtspraxis bei Ehevergehen eher nachsichtig – die einfache Unzucht, der Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten, zog abgesehen von kirchlichen Sanktionen keine strafrechtlichen Folgen nach sich. Ausnahmen waren Verstöße gegen die Sittlichkeit an Feiertagen und der Geschlechtsverkehr zwischen Christen
Ebd. Susanne Burghartz: Geschlecht – Körper – Ehre. Überlegungen zur weiblichen Ehre in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Basler Ehegerichtsprotokolle. In: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiber/Gerd Schwerhoff (= Norm und Struktur ). Köln [u. a.] , S. – , hier S. . Vgl. ebd. Siehe dazu: Hans-Rudolf Hagemann: Basler Rechtsleben im Mittelalter, Bde. Basel u. , hier: Bd. , S. – . Ebd., S. . Ebd.
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
105
und Juden, der als Verleugnung des christlichen Glaubens geahndet wurde. Die gängigen Strafen für diese Verbrechen bestanden in der öffentlichen Anprangerung im Halseisen und in der Verbannung aus der Stadt, bei mittelschweren Vergehen für einige Jahre, bei notorischen Wiederholungstätern gar für immer.²⁵ Mit der Einführung der Reformation 1529 erhielten der Rat und die neue reformierte Kirche die Jurisdiktion über Eheangelegenheiten. In der Reformationsordnung vom 1. April 1529 wurde dazu die Einrichtung eines Ehegerichts beschlossen, das fortan für Fälle wie Ehebruch, Ehescheidung und außerehelichen Geschlechtsverkehr zuständig war. Die Reformationsordnung legte fest, dass das Gericht aus sieben „gelehrten, frommen und erbaren mnnern“ bestehen sollte, nämlich aus zwei Leutpriestern, drei Ratsherren und zwei Zunftvorstehern aus dem Großen Rat.²⁶ Diese Mitglieder des Ehegerichts wurden „urthelsprecher“ genannt.²⁷ Daneben bestand das Ehegericht aus „schreiber[n] und amptleüt“ und einem „richter“, wie in der ausführlicheren Ehegerichtsordnung vom 27. Oktober 1533 angegeben wurde.²⁸ Bereits in der Reformationsordnung von 1529 war festgelegt worden, dass die Posten der beiden geistlichen Eherichter vorzugsweise mit den Ordinarien der Heiligen Schrift zu besetzen waren, um sicherzustellen, dass das eheliche und geschlechtliche Leben „nach den Geboten des göttlichen Wortes gestaltet und beurteilt werden sollte.²⁹ So waren denn auch die beiden Professoren der Theologie, Johannes Oekolampad und Paul Phrygio, die Eherichter der ersten Amtsperiode von Mai 1529 bis Juni 1530.³⁰ Der am 26. September 1532 erlassene „Entwurf einer Ehegerichtsordnung“, der in etwa zur gleichen Zeit wie Bircks Susannadrama entstanden sein muss, reiht das Ehegericht in das umfassende Bestreben der Stadt Basel „z uffnung und fürderung der eere gottes“ ein.³¹ Dass der Ehestand von Gott angeordnet und von Jesus Christus bestätigt worden sei, erfordere, „das man inn eesachenn nach dem wort und bevelch gottes handle“.³² Indem es „die geschwinden und unzleszlichen pracktickenn, so geverlichen zwüschen den eelüten, inn sachen die ee berrennt“ abstellen und verhüten sollte, sollte das Ehegericht zur „pflantzung einigkeit und burgerlichen wsens“ in der Bürgerschaft
Vgl. ebd., S. . Vgl. Reformationsordnung vom . April , zit. nach Johannes Schnell: Rechtsquellen von Basel. Stadt und Land, Bd. ,. Basel , S. f. AGBR , S. . Ebd. Ernst Staehlin: Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte ). Leipzig , S. . Ebd. AGBR , S. . Ebd.
106
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
beitragen.³³ Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass die „unzleszlichen pracktickenn“³⁴ Einzelner das Gemeinwesen im Ganzen gefährdeten. Damit wird deutlich, dass der Ehestand keineswegs als privater Lebensbereich angesehen wurde, sondern dass die Obrigkeit im Interesse der gesamten christlichen Gemeinschaft Kontrolle über das Eheleben ausübte. Der Entwurf einer Ehegerichtsordnung von 1532 enthält mehrere Vorschriften über Voraussetzungen, den Ablauf, Urteilsfindung und die Strafmaße eines Prozesses vor dem Ehegericht. Nach § 2 der vorläufigen Ehegerichtsordnung sollten beide Parteien vor Gericht das „juramentum calumnie, das ist den eyd fur geverd“ schwören, und sich damit verpflichten, sich an die Wahrheit zu halten und das Verfahren nicht zu behindern.³⁵ Anschließend sollten die Parteien getrennt voneinander vom Richter oder Schreiber verhört werden³⁶, wie § 8, „Wie man kuntschafft vassenn und verhrenn soll“, noch genauer ausführt.³⁷ Die Bestimmung, beide Parteien vor Gericht zu vereidigen, führte dazu, dass nun vermehrt Frauen im Zeugenstand vereidigt wurden, da Frauen am Ehegericht im Vergleich zu allen übrigen Kleinund Großbasler Gerichten ungleich häufiger an den Verfahren beteiligt waren und den Diskurs vor Gericht mitbestimmten.³⁸ Sowohl die klagende als auch die beklagte Partei mussten nach der Ehegerichtsordnung von 1533 den sogenannten Gefhrdeeid schwören, „damit dann von iemanden der partheyen, so unser ehegericht brauchen und dem biß z entlichem entscheid nachkommen wllen, kein gfar oder betrgnuß gescht oder fürgenommen werde“.³⁹ Anschließend wurden die Zeugen, d. h. beide Parteien, ge-
Ebd. Ebd. Ebd., S. . „unnd dannenthin durch den richter oder den geordneten schriber etc. mit geprenden fragstuckenn eigenen unnd wol verhrt unnd examiniert werden“, ebd., S. . „Wann sich zutragenn, das die parthien sich im rechtenn kuntschafft oder bybringens bermen, alsdann sol der schriber soliche kuntschafftenn inn bysin der parthienn inn eyd nehmen, sy die parthienn […] anzüg zu beydenn siten an die gesteltenn kuntschafften und züge offennthlich thn und darnach die parthienn abtrettenn lassenn, und also die kuntschafftenn je eine nach der anderen alleinig und insonders verhrenn, gewonliche fragstück thn, ire sagen eigennthlichen uffschribenn, und wann es dahin komen, das man sy vor recht losenn sol, alsdan sollenn der richter unnd urteilsprecher solicher kuntschafftenn und zügen sag, vor und eer ob sy den parthienn vorgelesenn, allein verhörenn“, ebd, S. f. Siehe dazu auch: Susanna Burghartz: Ehen vor Gericht. Die Basler Ehegerichtsprotokolle im . Jahrhundert. In: Eine Stadt der Frauen. Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (.–. Jh.), hg. von Heide Wunder. Basel [u. a.] , S. – , bes. S. . Basler Ehegerichtsordnung vom . Oktober , § (Schnell, Rechtsquellen, Bd. , S. ).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
107
trennt verhört.⁴⁰ Gleichermaßen wurden die nicht unmittelbar am Vorfall beteiligten, auswrtigen Zeugen zunächst vereidigt und anschließend einzeln verhört. Eine Appellation gegen beschlossene Urteile des Ehegerichts war nicht möglich.⁴¹ Die Verfahren vor dem im Zuge der Reformation gegründeten Ehegericht spielten eine wichtige Rolle für die obrigkeitliche Sittenaufsicht: Im Interesse des christlichen Gemeinwesens sollte diese Institution zur Disziplinierung des Basler Kirchen- und Staatsvolkes beitragen.⁴² Die Strafen für Ehevergehen waren gestaffelt. Diejenigen, die vom neu eingerichteten Ehegericht des Ehebruchs für schuldig befunden wurden, sollten „verbant und von des herren nachtmal abgetriben werden, z allen erlichen stnden als burgmeistern, zunfftmeistern, kleinen noch grossen rats, noch gerichtsherren, predicanten, leutpriestern oder helffern oder z andern eerlichen mptern nit erwlt noch genommen werden.“⁴³ Für den ersten Vorfall war eine Geldbuße vorgesehen, für den zweiten und dritten Vorfall zusätzlich bis zu neun Tage Gefängnis.⁴⁴ Männer und Frauen, die sich nach der dritten Verurteilung einen weiteren Ehebruch zuschulden kommen ließen, wurden aus Stadt und Land Basel verbannt und mussten für ihre Rückkehr ein Zeugnis über ihren sittlichen Lebenswandel erbringen. Nur bei denen, die nach der Rückkehr aus der Verbannung rückfällig wurden,war eine Bestrafung „an lyb und leben“ vorgesehen, die bis zum Tod durch Ertränken reichen konnte.⁴⁵
4.1.3 Bircks Dramenadaptation Die Vorred dises spyls Die in Versen verfasste Vorrede des Susannadramas wurde von einem Herold auf der Bühne gesprochen. In ihr werden die drei Anliegen dieses Stückes angekündigt: Als erstes die Überzeugung, die Beachtung der göttlichen Gebote ziehe
Reformationsordnung vom . Oktober , § : „Wann sich ztragen das die partheyen sich im rechten kundtschaft oder beybringends bermen, alsdann soll der schreiber solche kundtschaft in beisein der partheyen in aid nemmen, sy die partheyen abtreten lassen, und also die kundtschaften ie eine nach der andern alleinig und insonders verhren, gewonliche fragstückh thn, ire sagen aigentlich uffschreiben und wann es dahin kommen, das man sy vor recht lesen soll, alsdann sollen der richter und urtelsprecher solcher kundtschaften und zeugen sag, vor und ehe ob sy den partheyen vorgelesen, allein verhren“, zit. nach: Schnell, Rechtsquellen, Bd. , S. . Vgl. Burghartz, Ehen, S. . Vgl. ebd. AGBR. , S. . Ebd. Ebd., S. .
108
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
immer auch die Verbesserung der Sitten und der Tugend nach sich. Zweitens kündigt Birck an, mit seinen Theateraufführungen an die Tradition des antiken Theaters anzuknüpfen. Drittens fordert er alle Zuschauer, insbesondere die Obrigkeit, auf, dem Stück aufmerksam zu folgen, da hierin der Wille Gottes erkannt und somit auch erfüllt werden könne. Dies sei die wichtigste Pflicht einer christlichen Obrigkeit. Birck beginnt seine Vorred mit der Ermahnung, die beiden christlichen Tugenden fides und charitas zu beachten, die Jesus als die wichtigsten Gebote bezeichnete (Matth 22,36– 40). Das erste und oberste Gebot sei die Gottesfurcht: „Zum meysten ihn vor ougen han | Erkhennen ouch / und rffen an“ (V. 3 f.). Als zweites wird die Nächstenliebe genannt: „Demnach er uns bevolhen hat | Den nchsten lieb / in synem pfad | Zewandlen hie uff erdtrich“ (V. 5– 7).Wer diese beiden Gebote, Gottesfurcht und Nächstenliebe, beachte, dem gehöre das „himmelrich“ (V. 8). Die Tugend stelle sich als eine direkte Folge der Gottesfurcht ein: „Dann so ein mensch z Gott würt kert | Die tugent allenthalb gemert | Die laster khumend inn ein hass | Die grechtigkeit ye lenger ye bass | Geliebet wird von yederman“ (V. 19 – 22). Dieser Gedanke steht in engem Zusammenhang mit der Ekklesiologie Johannes Oekolampads, bei der das Begriffspaar fides et charitas eine zentrale Rolle einnimmt. Da der christliche Glaube nach Oekolampad seine Gestalt im Ethischen annehmen müsse, sei die Nächstenliebe, neben dem Glauben, eine der zentralen Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur christlichen Kirche.⁴⁶ Es folgt ein Abschnitt über Herkunft und Legitimierung von Theateraufführungen. Birck knüpft an die antike Theatertradition an: Die Inszenierung von Theaterspielen sei keine neue Erfindung, sondern die Wiederbelebung eines alten, in Vergessenheit geratenen Brauches.⁴⁷ Die öffentliche Aufführung von Fastnachtspielen war in Basel keine Seltenheit, doch wollte sich Birck von dieser Art des Schauspiels wohl dezidiert abgrenzen und bewusst an die Theatertradition der griechischen und römischen Antike anknüpfen, mit der er während seines Studiums vertraut geworden war.⁴⁸ Der Ursprung des Theaters liegt laut Vorred bei den Heyden (V. 33). Gemeint ist die Theatertradition der Griechen und Römer, wo das Theater Bestandteil religiöser und kultischer Feste gewesen sei: „In iren festen dann zur zeyt | Haben sy erlich spil bereyt | Denn abgttern z einer Eer“ (V. 35 – 37). Ihre Funktion sei gewesen, eine Lehre zu vermitteln und den Menschen als Spiegel zur
Vgl. Kuhr, Macht, S. . „Ein zytlang haben sllich spil | Bißhar by uns ist gschwigen stil | Was ursach sig / das weyß ich nit“ (V. – ). In Basel war Pamphilus Gengenbach der prominenteste Verfasser von Fastnachtspielen, die bis zu seinem Tod in Basel aufgeführt wurden. Siehe dazu: Brauneck, Welt, Bd. , S. – .
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
109
Selbstreflexion zu dienen.⁴⁹ Die Erklärung, Theateraufführungen hätten ihren Ursprung in der antiken Tradition, deckt sich mit der Ansicht Paul F. Caseys, die Inszenierung von Bircks history sei mehr als eine bloße Übung für seine Schüler gewesen. Birck habe mit seiner Aufführung das Ziel verfolgt, den Zuschauern eine volkssprachliche Form des noch nicht lange wiederentdeckten antiken Dramas darzubieten.⁵⁰ An der antiken Theatertradition kritisiert Birck, dass dort die Laster im Vordergrund gestanden hätten, während in der zeitgenössischen Dramenaufführung vor allem Gottesfurcht vermittelt werden solle: „Dorinn zeigt man die laster an | Tugent kham selten uff die pan | Aber by uns der ware Gott | Würt glernet recht on alle spott“ (V. 43 – 46). Birck bedient sich dabei der humanistischen Denkweisen der imitatio und der aemulatio. Obgleich er formal, z. B. mit Chorgesängen, an die Dramentradition der Antike anknüpft, setzt sich Birck schon mit der Wahl seines Stoffes von seinen antiken Vorgängern ab. Wie Regina Toepfer am Beispiel von Thomas Naogeorgs Hamanus-Tragödie gezeigt hat, konnte auch Sixt Birck die antiken Dramenautoren mit seiner Wahl eines biblischen Stoffes leicht übertreffen, da der alttestamentliche Stoff „hinsichtlich des Anspruchs auch historische Wahrhaftigkeit und heilsgeschichtliche Bedeutsamkeit“ den mythologischen Stoffen der griechischen Tragiker nach zeitgenössischer Auffassung von vornherein überlegen gewesen sei.⁵¹ Den Unterschied zwischen Laster und Tugend, zwischen Gottesfurcht und Gottlosigkeit werde nun Susanna in der folgenden Darbietung lehren. Die in dem Stück enthaltene „vil nutzbarliche[] leer“ (V. 55) zeige nicht nur, „wie ein Christ sich haltten sol“ (V. 58), was also für jeden Bürger von Basel Geltung hatte. Birck richtet sich auch noch einmal explizit an die Obrigkeit, denn das Stück zeige gleichfalls „[e]in Oberkheit inn Rath und recht | Das sy mg sin ein Gottes knecht“. Die Vorred endet mit der Aufforderung an die christlichen Zuschauer, dem Stück aufmerksam zu folgen, „[d]ass üch der will Gotts werd erkhant“ (V. 62), da die Erfüllung des göttlichen Willens das oberste Ziel des Menschen auf Erden sein sollte.
„Die hatten doch inn etwas leer | Darumb man die ein spiegel nempt | Dar inn der mensch syn lben khent“ (V. – ). Vgl. Paul F. Casey: The Susanna Theme in German Literature. Variations of the Biblical Drama (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft ). Bonn , S. . Regina Toepfer: „Feci novum!“ Zur Poetik von Thomas Naogeorgs Hamanus-Tragödie und ihrer deutschen Übersetzung von Johannes Chryseus. In: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild ( – ), hg. von Anna Kathrin Bleuler/Fabian Jonietz [u. a.]. (= Pluralisierung & Autorität ). Berlin [u. a.] , S. – , hier S. .
110
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Szene 1 Die Szene bis zum ersten Chorgesang beschränkt sich auf das Geschehen im Garten von Joakims Haus und hält sich eng an die alttestamentliche Vorlage. Sie diente Birck als Exposition, um zu seinem Bearbeitungsschwerpunkt, der Gerichtsverhandlung, hinzuleiten. In der ersten Szene wird den Zuschauern und Lesern die Problematik aufgezeigt, die im Mittelpunkt von Bircks Dramatisierung des Stoffes steht. Diese besteht in der Unmöglichkeit eines gottgefälligen Lebens auf Erden unter einer gottlosen weltlichen Obrigkeit. Das zeigt das Drama anhand von Susannas Dilemma, nur zwischen dem gemeinsam mit der Obrigkeit verübten Gesetzesverstoß und der Todesstrafe wählen zu können. Den beiden namenlosen alten Richtern der alttestamentlichen Erzählung gibt Birck mit „Achab“ und „Sedechias“ die Namen zweier gottloser Könige des Nordreiches Israel bzw. des Südreiches Juda.⁵² Die Szene beginnt mit dem unverhofften Zusammentreffen der beiden Richter Achab und Sedechias im Garten von Joakims Haus. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit gestehen sie sich gegenseitig, dass sie Susanna begehren. Gemeinsam warten sie darauf, dass Susanna wie gewohnt zum Brunnen im Garten kommt, um sich zu waschen, sobald alle Versammelten das Haus Joakims verlassen haben (V. 93 – 95). Dass Susanna die Bühne betritt, geht aus einer impliziten Regieanweisung in der Figurenrede Achabs hervor: „Schouw / drt khumpt sy gezogen har“ (V. 103). Die beiden verstecken sich hinter einem Busch; Achab schlägt vor, dort zu warten, bis sie ihre beiden Mägde fortgeschickt habe und sie dann zu „überlouffen […] Uff das sy sich gb willigklich | Inn unser lieb / und lustbarkeit“ (V. 108 – 111). Wie in der biblischen Vorlage charakterisiert Birck die Susannafigur als eine keusche Ehefrau, die sichergehen will, dass sie beim Baden unbeobachtet bleibt und daher ihren beiden Mägden aufträgt, den Garten abzuschließen, wenn sie losgehen, um die Badeutensilien zu holen.⁵³ Nachdem Susanna die beiden Mägde von der Bühne geschickt hat (V. 130), zeigt Achab in seiner Figurenrede an, dass sie sich der allein zurückgebliebenen Susanna nähern: „Farhin / ich louff / ich yl / ich spring“ (V. 132). Diese ahnt beim Erblicken der beiden Männer das Unheil, das sie als keusche Ehefrau in Bedrängnis bringen wird: „Die schelck die stellen noch mym lyb“ (V. 134). Die beiden Richter versuchen, sie zunächst ohne Gewalt zu überreden, dass sie sich ihnen hingebe, und berufen sich dabei auf die Liebe, die sie antreibt: „Khein fyndtschafft hat uns tragen har | Die liebe tht es gantz und
Vgl. Washof, Bibel, S. . Susanna: „bschliessend die thür | Den rigel stossend eben für | Domit khein falscher klapper man | Schlich innhar / th mir ungmach an“ (V. – ).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
111
gar“ (V. 137 f.). Susanna lässt sich davon jedoch nicht beirren und umschreibt die Gefahr, in der sie sich befindet, mit Hilfe von Tiermetaphorik: „Allso der wolff zum schooff ouch sagt | Wenn er ihm uff syn lben jagt“ (V. 141 f.). Paul F. Casey deutet den Einsatz von Figuren aus der Tierepik, der im volkssprachlichen Susannadrama häufiger vorkommt, als Hinweis darauf, dass Birck mit dem Drama ein breites und mehrheitlich ungebildetes Publikum ansprechen wollte, da Tierfabeln zum volkstümlichen Wissensbestand gehörten.⁵⁴ Dagegen spricht, dass sich auch das lateinische Susannadrama Sixt Bircks an dieser Stelle der Tiermetaphorik bedient, da Tierepik, insbesondere Fabeln, im Spätmittelalter zum üblichen Kanon der Schullektüre gehörte und auch sonst weit verbreitet war. Die beiden Richter versuchen zunächst erneut, Susanna mit den Argumenten ihrer wahren Liebe zu ihr (V. 148 f.) und der Einsamkeit des Gartens zu überzeugen, in der niemand ihren Ehebruch bemerken werde, wenn sie ihren Forderungen nachgebe (V. 153 – 158). Als Susanna das unmoralische Angebot weiter standhaft zurückweist, droht Achab ihr mit Gewalt und Verleumdung: Jo / wo du uns nit volgest baldt So würstdu spüren grossen gwalt Wir wllen louffen an das thor Und sagen do all offenbor Wie das ein jüngling gwsen sy Hab mit dir triben vil bbry (V. 163 – 168).
Dafür sind sie bereit, die Autorität ihres Richteramtes zu missbrauchen: „Das würt uns glouben menigklich […] Dann unser herrligkeit und gwalt | Ist ansichtig vor manigfalt“ (V. 171– 174). Susanna beklagt das Dilemma, in dem sie sich angesichts des Versagens der Obrigkeit befindet und benennt damit jenes Grundsatzthema, das Sixt Birck in diesem Bibeldrama am Beispiel der Causa Susanna behandeln wollte: Die Unmöglichkeit, unter einer gottlosen Obrigkeit ein gottgefälliges Leben auf Erden zu führen: So ich üch volg / hab ich verlorn Das lben / und fall in Gotts zorn So ich üch aber widerstand Empflüch ich hie nit üwer hand Dann uff erd gilt khein billigkeit Wo ungerecht ist die Oberkeit (V. 179 – 184).
Casey, Theme, S. .
112
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Vor die Wahl gestellt, ob sie vor Gott sündigen oder die Todesstrafe in Kauf nehmen solle, entscheidet sich Susanna ohne zu zögern für den Tod: Aber vyl wger ist / das ich Inn tod yetzundt ergbe mich Dann das ich vor den ougen Gott Sünd / und wich ab von sym gbott Ach / stand mir by du Gottes handt Schaff das myn unschuld werd erkhant (V. 185 – 190).
Aus einer impliziten Regieanweisung in Achabs Figurenrede geht hervor, dass Susanna zu schreien beginnt (V. 191), woraufhin die beiden Richter ihren Plan zur Verleumdung Susannas in die Tat umsetzen. Die Aufforderung Sedechias an die „burger […] / frouw und man“ (V. 195), herbeizulaufen, um zu sehen, wie „[d]er vogel inn dem nest hie lyt“ (V. 197), sollte wohl bei einer Aufführung das Publikum miteinbeziehen. Diese Aufforderung an die „burger“ lässt auf die Beschaffenheit des Aufführungsplatzes schließen, da das Stück vermutlich nicht auf einer erhöhten Bühne aufgeführt wurde, sondern auf einem öffentlichen Platz, auf dem die Zuschauer rings um die Schauspieler standen. Die beiden aufgrund von Susannas Geschrei herbeigeeilten Hausknechte reagieren ungläubig auf die Vorwürfe der Richter gegen ihre Hausherrin, sei diese doch bisher „[k]üsch“ (V. 220) und „[e]in eben byld der tugent“ (V. 221) gewesen. Ihre beiden zurückgekehrten Mägde trösten Susanna mit der Aussicht auf Gottes Beistand: „Gott würt üch retten üwer eer“ (V. 224) und schicken sie ins Haus (V. 225), „[b]iß das die sptter kumment hin“ (V. 226). Damit zeigt Birck, dass nicht nur Joakim und Susanna, sondern auch die Mägde und damit der ganze Hausstand auf Gott vertrauen und wie in der biblischen Vorlage von Susannas Keuschheit überzeugt sind. Nachdem sich Susanna bereits ins Haus zurückgezogen hat, bleiben ihre Angehörigen noch mit den beiden Alten zurück und liefern sich ein Wortgefecht mit Beleidigungen und Beschimpfungen. Zunächst verteidigen Susannas Geschwister sie gegen die Vorwürfe der beiden Alten. Das ‚schwesterle Susanne‘ macht ihnen ihre „stoltzkeit und der bracht“ (V. 228) zum Vorwurf und dass sie „mit der frowen frum | Jetzund so schandtlich gangen umb“ (V. 229 f.). Abweichend von der Bibel droht die Schwester den beiden Alten mit der Aussicht auf eine gerechte Strafe, wenn sie nicht von ihren Vorwürfen gegen Susanna abließen.⁵⁵ Sedechias kontert mit dem Hinweis auf ihre Macht: „Das du also redst frevenlich | Wider uns herren gewaltigklich | Uber dich und dyn gantzes geschlecht“ (V. 243– 245). Das ‚Brüderle Susane‘ [sic] warnt Sedechias davor, sich auf ihre diesseitige Macht zu verlassen: „Du würst nit handlen wider recht |
„Ich sag üch lond ir nit darvon | So würt üch werden üwer lon“ (V. f.).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
113
Wltstu dich uff dyn gewalt verlon“ (V. 246 f.) und antizipiert den Ausgang des Dramas: „Von eim kind soltu gewarnet syn“ (V. 253). Susannas Schwester ist weiterhin fest von der Falschaussage der beiden Alten überzeugt, vertraut aber ebenso darauf, dass Gott den Meineid bestrafen werde, solange die Seinen auf ihn vertrauen. Das Gottesbild entspricht dabei dem strafenden und rächenden Gott des Alten Testaments: Dann Gott lpt noch / das sag ich dir Er hat die synen nie verlan So man ihn hat vor ougen ghan […] Doch ich das yetz fry sagen wil Welcher ein frouwen schenden tht Mß endlich zaalen mit sym blt Oder doch lyden glyche schmoch Dann also walttet Gott syn roch Er khumpt nit on gschend ab der welt So anders nit das gsatz Gotts velt (V. 268 – 278).
Susannas Schwester kündigt den darauffolgenden Psalmengesang an: „Aber ich yetzund schlagen wil | Das David uff sym harpffen spil | Im geyst worlich hat gsungen fry | Wie unschuldigkeit gsinnet sy“ (V. 279 – 282). Der Psalmengesang wurde laut Dramentext von einem Chorus vorgetragen. Wie aus der Ankündigung der Schwester hervorgeht, wurde er auf der Bühne gesungen, nicht gesprochen. Wer außer der Schwester Susannas zum Chorus gehörte, ob er aus einer Gruppe von Schauspielern bestand, etwa den Angehörigen Susannas als Repräsentanten des Guten und der Gerechtigkeit oder ob der Chor aus Figuren bestand, die sonst nicht in die Handlung involviert waren, geht aus dem Dramentext nicht hervor. Der Gesang besteht aus vier sapphischen Odenstrophen, in denen Birck auch den Paarreim der Figurenrede beibehält und stellt eine Transformation des 119. Psalms (Abschnitt )שder Zürcher Bibel dar.Wie schon aus der Ankündigung der Schwester Susannas hervorgeht, ist das Thema passend zur Dramenhandlung „[w]ie unschuldigkeit gsinnet sy“ (V. 282). Der Psalmgesang hat eine kommentierende Funktion und greift die zentralen Probleme der Exposition wieder auf. Birck ahmt hier bewusst den Chor des antiken Dramas nach, wo der Chor als „eine Gruppe von nicht individualisierten Figuren, die kollektiv als eine Person sprechen“, auftritt.⁵⁶ Ein ‚Ich‘ besingt dort die Not eines schuldlos von der Obrigkeit Verfolgten („Vergeben hassen mich die Fürsten grimm“, V. 283), der trotz oder gerade wegen der
Georg Michael Schulz/Klaus Weimar: Art. „Chor“. In: RLW. , S. – , hier S. .
114
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Anfechtung weiter an Gottes Wort und Gesetz festhält, welche die Gerechtigkeit Gottes verkörperten.⁵⁷ Der Chorgesang zeigt, was Birck mit seiner Ankündigung meinte, an die antike Dramentradition anknüpfen zu wollen. Obwohl der Dramentext noch nicht in Akte und Szenen gegliedert ist, unterteilen die beiden Chorgesänge die Handlung deutlich in drei verschiedene Abschnitte. Der Chorgesang reflektiert das Handlungsgeschehen auf der Grundlage einer biblischen Textvorlage – der Psalmen – auf einer Metaebene. Damit imitierte Birck einen zentralen Bestandteil des antiken Dramas, auch wenn er die sapphische Odenstrophe mit biblischem Inhalt füllte.
Szene 2 Die zweite Szene eröffnet den Gerichtsprozess gegen Susanna. Sie informiert die Zuschauer über die Zusammensetzung des Gerichts und die Regeln, nach denen das Verfahren vonstattengehen soll. Das Gericht besteht aus einem Richter und acht Urtelsprechern, denen Birck die aus dem Griechischen entlehnten sprechenden Namen Paredrus (ein Beisitzer in jeder Art von öffentlichem Gremium), Pedarius (von πεδάω, ,fesseln‘, ,binden‘), Diorthotes (Verbesserer, Korrektor), Hyposemus (hyposemeio: ,nach und nach niederschreiben‘, hyposemeino: ,den Abschluss machen‘), Sophron (,der Weise‘), Synedrus (Synhedrus: ,der Beisitzer‘, eher selten gebraucht und speziell für Beisitzer eines Rates) und Anadicus (,nochmal, wieder anfangen‘, ,etw. neu aufrollen‘; ein Begriff, der häufig im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren verwendet wurde) gegeben hat. Mit der Anzahl der Gerichtsmitglieder und der Bezeichnung als Urtelsprecher rekurriert Birck vermutlich auf die Verhältnisse im Basler Ehegericht, das ebenfalls aus neun Mitgliedern bestand, wobei es im realen Ehegericht neben den beiden geistlichen Richtern nur sieben Urtelsprecher gab. Der Richter selbst hat keine Entscheidungsgewalt, er ist lediglich der vorsitzende Leiter des Prozesses. In dieser Szene werden die Bedingungen und Voraussetzungen des Verfahrens gegen Susanna ausgehandelt. Die erste Frage, über die zu Beginn des Prozesses beraten wird, ist die, ob die Angeklagte selbst bei Gericht anwesend sein soll oder nicht. Der Richter eröffnet die Gerichtssitzung mit der Bitte um Anzeige des Delikts, woraufhin Achab beantragt, Susanna solle zum Gericht gebracht werden, damit er und Sedechias vor allen Anwesenden zeigen können, „[w]as ungeschickts sy ghandlet hat“ (V. 309).
„Dyn gesatz tht mir allzyt wol gefallen | Dyn gerechtigkeit z ben was ich bereit | Alltag z prysen“ (V. – ).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
115
Im Dramentext meldet sich auch Joakim zu Wort, von dem es in der Apokryphe lediglich heißt, dass er bei dem Prozess anwesend ist. Er versichert bei seinem Leben, dass sich in seinem Haus nichts Unrechtmäßiges ereignet habe (V. 314– 316) und dass seine Frau sich nie etwas habe zuschulden kommen lassen.⁵⁸ Auch Susannas Vater Helchias versichert, dass seine Tochter immer in Ehrbarkeit gelebt habe.⁵⁹ Die Vorwürfe der beiden Alten weist er als frei erfunden zurück (V. 334). Seinen Schwiegersohn Joakim fordert er auf, sich mit ihm gemeinsam zurückzuziehen und die Urteilsfindung den Richtern zu überlassen (V. 335 – 337). Es werden nun die Bedingungen des Verfahrens ausgehandelt. Der Richter ermahnt die acht Urtelsprecher, sich den Fall genau anzusehen, um ermessen zu können, ob es gerechtfertigt sei, das Unglück des Joakim mit Schmach noch weiter zu mehren (V. 355 f.) und ermahnt sie, bei der Urteilsfindung gerecht zu sein. Keinesfalls solle man sich überstürzt dazu hinreißen lassen, jemandem Ungemach zu bereiten: „Das wir uß begird keim fgen z | Dadurch er kem in unrw“ (V. 363 f.), und er fordert die im Gericht Anwesenden zu einer Stellungnahme auf, wie das Verfahren gegen Susanna zu gestalten sei: „Darumb so lond uns besechen wol | Sagt ir uns wie mans halten sol“ (V. 365 f.). Der erste Redner, Paredrus, beantragt, dass die beiden Ankläger in ihrem Amt als Richter von der Verhandlung ausgeschlossen werden. In diesem ersten Plädoyer fordert er also zunächst das Verbot einer Doppelrolle als Ankläger, Zeuge und Richter, bei der die Befangenheit offensichtlich ist. Auch die übrigen sieben Urtelsprecher schließen sich der Forderung an (V. 375 f. und V. 377 f.). Der Richter folgt dem Antrag und schließt die beiden alten Richter aus der Gerichtsverhandlung aus (V. 385 f.). Die Urtelsprecher fordert er auf, nun unbefangen ihre Meinung zu der Anklage zu äußern. Sophron, der Weise, spricht sich dafür aus, die Anklage der Alten durchaus zu hinterfragen und Susanna nicht von Anfang an als Sünderin zu betrachten. Als Argument dient ihm – wie auch Susannas Verwandten – die Tatsache, dass „[s]y hat sich allzyt gehalten har […] In aller zucht und erberkeit“ (V. 411– 413). Man solle die Vorwürfe daher genau prüfen, bevor man Susanna verurteile, weshalb sie als freie Angeklagte vor das Gericht gestellt werden soll und noch nicht als Gefangene.⁶⁰ Auch der nächste Urtelsprecher, Synedrus, schließt sich dieser Forderung an und fordert, Susanna noch nicht als Gefangene ins Gericht zu bringen, sondern zunächst bloß als Angeklagte: „Darumb sag ich das ist myn sin | Das man sy
„Ich weyß / das ich ein frouwen han | Die nye khein übels hat gethan | Hand ihr dann etwas wider sye | Erdicht / will ich üch sagen hie | Felet ir ich würd felen nit | Ich warnen üch by gter zyt“ (V. – ). „Ir leben lang z keiner zyt | Von erberkeit eins fingers wyt | Getretten hab“ (V. – ). „Solt man sy denn umb üppigkeyt | Fürstellen gfengklich allhie dar | Sam wer die that yetz offenbar | Kan ich by allen trüwen myn | Slichs nit achten billich syn“ (V. – ).
116
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
bschickt / nit gfencklich bring | Dann warlich das ist nit gering | Freflen do noch kein argwon ist | Kein bses gschrey / kein arger list“ (V. 428 – 432). Auch Sintonus schließt sich der Forderung nach der Unschuldsvermutung an. Der erste, der ein Gegenargument ins Spiel bringt, ist Anadicus. Sein Name kann als Omen für sein Plädoyer gelesen werden, da das Präfix „an-“, als Synonym von „ambi-“, „an beide Seiten gerichtet“ bedeutet. Anadicus lobt zunächst die „bescheidenheit“ (V. 435) der vorherigen Richter, die Unschuld der Angeklagten anzunehmen. Er gibt aber auch zu bedenken, wer Susanna angeklagt hat und erinnert an die Amtsautorität der beiden Richter: Har gegen dencken hie darby Wie deren ouch ein yeder sy Erkant vor menigklich all sand Die dise hie anklaget hand So ir gedenckend wer sy send Werden ir in dann volgen bhend (V. 443 – 448).
Paredrus ist der erste, der allein für die Glaubwürdigkeit der Alten plädiert, da diese fromm seien: „Die zwen die haben gloubens vil“ (V. 449). Hätte ihr Vorwurf keinerlei Bestand, so würden sie sicherlich schweigen (V. 450 – 452). Ähnlich argumentiert Pedarius. Diorthotes führt als Beweis für die Glaubwürdigkeit der beiden Alten an, „[d]as sy sich also hetten gschampt“ (V. 458), als sie Susanna anklagten. Hyposemus will, dass Susanna „gfengklich“ (V. 464), also bereits unter Tatverdacht, vor das Gericht geführt wird. Der Richter lässt per Handzeichen darüber abstimmen, ob Susanna als Gefangene vor Gericht gebracht werden soll, was die Mehrheit bejaht. Daraufhin schickt der Richter die beiden amptlüt los, um Susanna gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. In der Apokryphe wird diese Frage nach der Unschuldsvermutung ebenso wenig behandelt wie die nach der Doppelrolle der beiden Alten als Richter und Ankläger. Dies zeigt, dass Birck die apokryphe Vorlage an diesen Stellen erweiterte, um Fragen zu verhandeln, welche ihn aufgrund seines Studiums der Rechte beschäftigten, oder die damals in Baseler Gerichten behandelt wurden. Wie sich auch im weiteren Verlauf der Dramenhandlung zeigen wird, gestaltete Birck diese Debatte zur Gerichtsordnung nach folgendem Muster: Eine Minderheit der Urteilssprecher im Stück plädiert für eine ‚gerechte‘ Verfahrensregelung, wie sie wohl auch der zeitgenössischen Gerichtspraxis als Vorbild dienen sollte. Meistens sind die Namen dieser ‚gerechten‘ Urteilssprecher positiv konnotiert, wie in diesem Fall Sophron, der Weise, oder der Urteilssprecher selbst weist sich als Rechtsgelehrter aus, wie später Andadicus. Mit diesem Verfahren bleibt Birck einerseits der apokryphen Vorlage treu, in der Susanna unschuldig zum Tode verurteilt wird, und zeigt gleichzeitig die alternativen Verfahrensregeln auf, die dieses Fehlurteil hätten verhindern können.
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
117
Insgesamt kann die zweite Szene als Erweiterung der Exposition in der ersten Szene betrachtet werden, in der die Bedingungen des Gerichtsverfahrens ausgehandelt werden: die Frage nach der Zusammensetzung des Gerichts, nach der Anwesenheit der Angeklagten während des Prozesses, die Frage nach der Unschuldsvermutung der Angeklagten, der Ausschluss der Ankläger von ihrem Amt als Urtelsprecher in diesem Fall und die Frage, ob das Gewicht ihrer Anklage per se aufgrund ihrer hohen Ämter schwerer wiegt als die Aussage einer Frau. Manche Prozessfragen werden sofort geklärt, andere werden im weiteren Verlauf der Dramenhandlung bzw. des Prozesses gegen Susanna behandelt. Es ist bezeichnend, dass die Regeln noch nicht feststehen, sondern dass über alle Punkte einzeln verhandelt werden muss. Es scheint, als würde das Drama hier Fragestellungen aufgreifen, die – wohl im Zusammenhang mit der Gründung eines neuen Gerichts – damals in Basel der Klärung bedurften. Überträgt man die Fragen, die auf der Ebene der Dramenhandlung ausgehandelt werden, auf den Kontext der Stadt Basel, so wird hier die Frage verhandelt, nach welchen Regeln ein Gerichtsprozess in einer humanistisch-reformierten Respublica christiana ablaufen sollte. Inwiefern Bürger jenseits des Gerichtspersonals eine solche Diskussion mitverfolgten und ob sie diese in der Dramenhandlung wiedererkannten, kann hier nicht vollständig geklärt werden. Während die Rechtskundigen unter den Zuschauern die Debatte im Drama um ein gerechtes Verfahren gegen Susanna sicherlich aufmerksam verfolgten und auf zeitgenössische Diskussionen übertrugen, konnten andere Zuschauer mit den Regeln eines Gerichtsverfahrens vertraut gemacht werden. Bei Prozessfragen, die im Drama verhandelt werden – etwa die Zusammensetzung des Gerichts, der Ausschluss der Ankläger von ihren Ämtern als Urtelsprecher und die Entscheidung, dass die Angeklagte dem Prozess beiwohnen soll – wurde den nicht rechtskundigen Zuschauern der Sinn dieser Regelungen deutlich. Wie sich im weiteren Verlauf der Dramenhandlung zeigt, wurden nicht alle Regelungen ‚richtig‘, im Sinne eines gerechten Verfahrens, getroffen. Wie der erste Psalmgesang wird auch der zweite von einer einzelnen weiblichen Dramenfigur, der Junckfrow, vorgetragen. Auch sie kündigt an, den Psalm zu singen und mit Orgelspiel zu begleiten, um damit den Gerichtsprozess im Drama auf einer höheren Ebene durch Gott kommentieren und reflektieren zu lassen: Gott hatt eüwr gericht hübsch conterfeyt So er in psalmen also seyt Wie ich yetzunder singen will Von hertzen uff dem orgel spil (V. 483 – 486).
Dass der Psalmgesang auf der Bühne von Orgelspiel begleitet wurde, zeigt die Funktion des Bibeldramas als eine Erweiterung des Gottesdienstes mit einem
118
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
deutlichen Plädoyer für das Singen von Kirchenliedern.⁶¹ Auffälligerweise übernimmt Birck die Zählweise für die Psalmen aus der Lutherbibel bzw. aus dem hebräischen Psalter und nicht aus der Vulgata oder aus der Zürcher Bibel.⁶² Dennoch scheint Birck auch die Zürcher Bibel als Vorlage gebraucht zu haben, wie einige wörtliche Übereinstimmungen zeigen. Der Psalm („Eyn psalm Assaph“) besteht in Luthers Psalterübersetzung von 1524 aus acht Versen. Der erste Vers besagt, Gott sei Richter unter den Göttern. Mit „Göttern“ sind hier die Menschen gemeint, wie in V. 6 gesagt wird, wo Gott spricht: „Ich sage, das yhr gtter seyt“. In den Versen 2– 7 spricht Gott abwechselnd in rhetorischen Fragen, Klagen und Befehlen in der zweiten Person Plural zu den Menschen, aber auch in der dritten Person Plural über die Menschen. Hier ermahnt Gott die Menschen, gerecht zu richten und den Armen und den Waisen zum Recht gegen die Gottlosen zu verhelfen (V. 2– 4). Im fünften Vers beklagt Gott die Blindheit der Menschen, im sechsten erinnert er sie daran, dass sie Götter seien und „kinder des aller hhisten“. Im letzten Vers wird Gott selbst angerufen und aufgefordert, in der Welt zu richten, da er Herr über alle Heiden sei. Der Psalm enthält zahlreiche Motive, die für die Dramenhandlung relevant sind. In seinem sechsstrophigen Chorgesang transformiert Birck die Struktur des Verses als eine Abwechslung aus Lobpreis, rhetorischer Frage, Ermahnung und invocatio dei. Auch dieser Psalmengesang ist in sapphischen Odenstrophen abgefasst, für die Birck um des Versmaßes willen Begriffe aus den Psalmenübersetzungen Luthers und der Zürcher Bibel gegen Synonyme austauscht: z. B. gebraucht er „dunckelheit“ (V. 501) dort, wo Luthers Psalter und die Zürcher Bibel „finstern“ (WA DB 10,1, Ps 82,5) bzw. „finsternuß“ (ZB, Ps 81, B) verwenden.Wie der erste Vers des Psalms ist die erste Strophe des Gesangs ein Lobpreis Gottes als höchster Richter. Bemerkenswert ist, dass der im Präsens abgefasste und Allgemeingültigkeit beanspruchende Psalmvers so adaptiert wird, dass er die vorausgegangene Dramenhandlung kommentiert. Im Drama lautet er: „Im gericht vor allen stat hie gott zegegen“ (V. 487). Den weiteren Verlauf der Dramenhandlung antizipierend, folgt als Einschub Bircks ohne biblische Vorlage der Vers „Im thnd
Zur homiletisch-katechetischen Funktion protestantischer Bibeldramen siehe: Wolfram Washof: Drama als Gottesdienst. Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit. In: Meier, Theater, S. – ; ebenso: Fidel Rädle: Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte (), S. –. Im hebräischen Psalter und in Luthers Psalterübersetzung von bzw. ist der . Psalm die Vorlage für den Psalmengesang im Drama,wie Birck selbst schreibt: „Chorus uß dem . Psalm“ (nach V. ). In der Vulgata und in der Zürcher Bibel entspricht dies dem. . Psalm, wobei die Zürcher Bibel anmerkt: „Hebre. LXXXII. Psalm“ (ZB, S. ).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
119
nit gefallen urteyl so ir geben“ (V. 488) und weist damit auf die Minderwertigkeit des menschlichen Urteils gegenüber dem göttlichen im weiteren Verlauf der Dramenhandlung voraus. Die allgemeingültige Aussage im Psalm „[Gott] ist richter unter den gtten“ (LB 82,1) wurde von Bircks ins Futur gesetzt und bezieht sich ebenfalls auf den weiteren Verlauf der Dramenhandlung: „Der herr wirt richten und die sach all schlichten“ (V. 489). In der zweiten Strophe transformiert Birck zunächst den zweiten Teil der rhetorischen Frage des Psalms „Wie lange wollt yhr unrecht richten, Und nemet an die person der gottlosen?“ (LB, 82,2). Die zweite Hälfte der Strophe ist ein Einschub Bircks ohne Vorlage im Psalm, der eine der wichtigsten Botschaften des Susannadramas benennt: „Mer uff das prachten stat allzyt üwer achten | Dann uff die warheit“ (V. 493 f.). Die dritte und vierte Strophe, Gottes Befehl, den Armen und den Waisen rechtlichen Beistand zu leisten und Gottes Klage über die Menschen, die in Dunkelheit und Verblendung leben, hat Birck ohne nennenswerte Veränderungen aus Ps 82,3 – 5 übernommen. In der fünften Strophe, einer weiteren Klage Gottes über die Menschen, ersetzt Birck die Anspielung auf den Sturz des (tyrannischen) Herrschers aus dem Psalm („Doch werdet yhr […] fallen wie eyner unter den fursten“, Ps 82,7) mit dem Hinweis auf die Sterblichkeit des Menschen seit Adam („Wie Adam mach ich das ir sigen sterblich“, V. 505). Auch in der letzten Strophe gibt es einen Einschub Bircks mit einer Ermahnung, die in mehreren seiner Dramen zu finden ist. Auf die invocatio dei folgt der Optativ „Ir pracht soll werden gantz und gar zenichten“ (V. 508). Mit „pracht“ ist Prunk, Luxus und Hoffart gemeint, die in Bircks Dramen den Gegensatz zu Tugendhaftigkeit und dem Streben, Gottes Willen zu erfüllen, darstellen.⁶³ Der Gebrauch des Wortes „heyden“ in V. 510 ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Birck die Lutherbibel als Vorlage gebrauchte, da die Vulgata und die Zürcher Bibel an dieser Stelle von „in omni terra“ (Ps 82,19) bzw. „alle vlcker“ (ZB Ps 81,B) sprechen.
Szene 3 Die dritte Szene beginnt damit, dass die beiden Amtlüt Susanna in ihrem Haus abholen, wie aus der Regieanweisung vor der Figurenrede von Susannas Mutter hervorgeht: „als man sy uß dem huß fret“ (vor V. 511). Da der Hauptteil der dritten Szene im Gericht spielt, spricht der Ortswechsel innerhalb einer Szene dafür, dass das Stück auf einer Simultanbühne aufgeführt wurde, auf der Joakims Haus, der Garten und das Gericht über die gesamte Dauer der Aufführung zu sehen waren.
Zur Semantik von „pracht“ siehe Grimm DWb , Sp. f.
120
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Susannas Mutter wünscht sich angesichts von „jamer / kummer / angst und not“ (V. 511) den Tod. Sie bittet Gott um Beistand und „das frumbkeit nit wird geschend“ (V. 514). Die Kinder Susannas, ein Tchterlin und ein Kneblin, die in der Bibel nur am Rande erwähnt werden, haben im Drama Sprechrollen. Birck fügte diese Sprechrollen wahrscheinlich hinzu, um seine Schüler miteinzubeziehen und um den Zuschauern im Kindes- und Jugendalter Identifikationsfiguren zu bieten. Gleichzeitig kann die Darstellung vom Leiden der Kinder dazu gedient haben, Mitleid und Anteilnahme der Zuschauer für Susanna zu steigern. Inzwischen ist Susanna mit ihren Angehörigen im Gericht angekommen – wie der Richter betont, nicht aufgrund seiner eigenen Entscheidung, sondern aufgrund des Mehrheitsbeschlusses: „Uff meer anlagen stot sy hie“ (V. 531). Der Richter befiehlt nun, auch die beiden Alten hereinzuführen. Er fordert sie auf zu schildern, „was oder wie | Sy gsündet hab by eydes pflicht“ (V. 532 f.). Danach wolle man Susanna befragen, ob sie sich zu den Anschuldigungen bekenne (V. 534 f.). Der Richter ermahnt die Alten, die Wahrheit zu sagen und damit den eyd zu wahren, „[d]en ir myn herren gschworen hand“ (V. 539). Achab versichert, unter Eid nichts als die Wahrheit zu sagen (V. 543 f.). Da der vermeintliche Rechtsbruch verlange, dass sich der Täter öffentlich zeige, fordert Achab wie in der apokryphen Vorlage, dass sich Susanna vor aller Augen entschleiern müsse: Der rechts bruch aber ouch vermag Das stand der thter an dem tag Und nit also vermuchlet sy Das man sy recht mg sehen fry (V. 549 – 552).
Er beantragt außerdem, dass niemand im Gericht ohne Aufforderung reden dürfe. Der Richter gibt dem Antrag statt und fordert den Amptman auf, ihn durchzusetzen, „[d]as nyemant red mer on ein gleyt“ (V. 558). Abermals fordert der Richter Achab auf, von Susannas Sünden zu berichten und erinnert ihn erneut an die schweren Strafen, die auf Falschaussagen unter Eid stehen: „Ir wissen was stat druff für pen | So man tht falsche kuntschafft gen“ (V. 571 f.). Achab erhebt daraufhin seine schweren Vorwürfe gegen Susanna in einem ausführlichen Monolog, der rhetorisch durchdacht gegliedert ist: Die Anklage beginnt damit, dass Achab Verbrechen im Allgemeinen und die Anklage gegen Susanna im Besonderen bedauert: Uns wer von gantzem hertzen lieb So man nit fünde mrder dieb Eebrecher / wie die schnde frow Die yetzund stot z gegen do (V. 585 – 588).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
121
So sehr Achab und Sedechias das Fehlverhalten Susannas auch bedauerten, ihr Gewissen („conscientz“, V. 591) und das „gsatz gottes“ (V. 592) hätten sie dazu gezwungen, allen die „warheit“ (V. 594) kundzutun. Darauf folgt der Bericht der vermeintlichen Geschehnisse, wie er auch in der Zürcher Bibel enthalten ist: Beim nachmittäglichen Spaziergang im Garten hätten die beiden Alten Susanna gesehen, wie sie mit zwei Jungfrauen hinzugekommen sei, die sie bald wieder weggeschickt und die Tür des Gartens verschlossen habe. Kurz darauf sei ein junger Mann gekommen. Als Zusatz in Bircks Drama habe die Vertraulichkeit zwischen ihm und Susanna den Eindruck erweckt, die Angeklagte habe den Ehebruch zum wiederholten Male begangen (V. 613 f.), wodurch die Schwere des Vorwurfs gegen Susanna hier noch einmal gesteigert wird. Im Gegensatz zur Bibel habe Susanna laut der Anklage in Achabs Monolog jedoch nicht mit ihrem „bl“ (V. 610) geschlafen, als sie von den beiden Alten beobachtet wurden. Die Richter seien dazwischen gegangen, als „sy im fiel umb sinen hals“ (V. 618)⁶⁴, der junge Mann sei geflohen und Susanna habe seinen Namen „[w]eder von trewen noch von bit“ (V. 630) preisgeben wollen. Birck vermeidet hier anscheinend jede Form von Anzüglichkeit auf der Bühne, und sei sie nur verbal in der Figurenrede beschrieben. Achab beschließt seine Anklage gegen Susanna mit der Aufforderung an Sedechias, die Wahrheit seiner Aussage zu bezeugen (V. 633 f.). Auch die Figurenrede Sedechias entbehrt einer Vorlage in der Apokryphe. Sedechias bittet darum, zusammen mit Achab vom Gericht vereidigt zu werden, um so auch letzte mögliche Zweifel des Gerichts an der Wahrheit ihrer Schilderung zu beseitigen: „So das ein gericht nit glouben wil | So mag man uns geben den eyd | Den selben zethn sind wir bereyt“ (V. 636 – 638). Um diese Möglichkeit zu erhalten, beruft sich Sedechias auf die „gerichts ordnungen“ (V. 639) und fordert den Vorsitzenden des Gerichtsprozesses auf: „Herr richter fragend darumb bald“ (V. 640). Dieser Einschub macht deutlich, wie Birck die Basler Gerichtsordnungen seiner Zeit in der biblischen Erzählung eines Gerichtsprozesses widerspiegelte, die er während seines Studiums beider Rechte in Basel kennengelernt hatte. Der Richter entscheidet nicht selbst über den Antrag auf Vereidigung, sondern er gibt die Entscheidung an die acht Urteilssprecher weiter. Namentlich fordert er Anadicus zu einer Stellungnahme auf. Anadicus macht seinem Namen als einer, der Prozesse neu aufrollt, alle Ehre. Indem er sein Wissen aus dem Studium in die Verhandlung einbringt, wirft er eine ganz neue Frage auf: Ob neben den beiden Alten auch der Angeklagten die Möglichkeit gewährt werden soll, unter Eid auszusagen.
In der Zürcher Bibel lautet die entsprechende Stelle: „Im selbigen tritt ein junger gesell herfür z ir / der da verborgen lag / unnd beschlaafft sy“, ZB, Bl. CCCXLIr,,E.
122
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Diewyl ich noch ein student was Hab ich gstudiert im rechten hie Erlernet das nit billich ye Gewesen sy so bieten dar Einer sin eyd meint gantz und gar Das man dem selben gleben sol Meint nit das ouch ein ander wol Der in der sach z wider ist Mg schweren wol on argen list Sin unschuld mit des eydes pflicht (V. 658 – 667).
Da selbst der Eid für Falschaussagen missbraucht werden könne, spricht sich Anadicus am Ende dafür aus, „das der eyd | Uß billigkeit wird zgeleyt | Der frowen allhie fürgestelt | Das sy ouch schwr so sy das welt“ (V. 669 – 672). Alle anderen Urtelsprecher nehmen Stellung dazu, ob auch der Angeklagten zugestanden werden soll, vereidigt zu werden. Auch der nächste Redner, Paredrus (ein ‚Beisitzer‘), argumentiert für die Vereidigung Susannas, da „die billigkeit das gemein | Lert das dem thter eben das | […] das ouch dem klger was | Syg gemeyn“ (V. 676 – 679), da also gleiches Recht für Ankläger und Angeklagten gelten solle. Mit Diorthotes, dem ‚Verbesserer‘, der bereits in der vorausgegangenen Runde die Glaubwürdigkeit der beiden Alten betont hatte (V. 459), beginnt die Fraktion derer zu sprechen, die den Eid aufgrund ihrer Autorität lediglich den beiden Alten und nicht der Angeklagten zugestehen wollen. Sie begründen diese Haltung damit, dass Frauen generell weniger vertrauenswürdig seien als Männer: „Den alten gib ich glouben vil | Darumb ich in hie truwen will“ (V. 689 f.), weshalb man sie der Ehren halber auch einen Eid schwören lassen könne. „Die wyber“ dagegen „stecken vol bbery | Darff sy ein by ir ligen lon | So darff sy ouch ein eyd hie thn“ (V. 694– 696), womit Diorthotes meint, einer ehebrechenden Frau sei auch unter Eid nicht zu trauen. Eindeutiger formuliert diese Haltung sein Nachredner Hyposemus: So sy sich nit geschemet hat Begon ein solch schentlich that So schempt sy sich ouch frylich nit Z schweren hie z keiner zyt (V. 699 – 702).
Am Ende stimmen fünf der acht Urtelsprecher dafür, dass der Eid allein den beiden Alten gewährt werden soll (V. 731 f.) – die Vereidigung wird gleich im Anschluss vollzogen. Der Richter weist Achab und Sedechias an, ihre Hände aufs Haupt zu legen und ihm „die glerten wort“ nachzusprechen, „[w]ie ist der bruch an disem ort“ (V. 739 f.). Daraufhin wird die Eidesformel vom Richter verlesen:
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
123
Das alles wie wir vorgsagt hand Bekennen wir hie alle sand Sagen das also geschehen sy Nicht ußgenomen bezügen fry Bym grossen eyd / wie unser recht Schweren wir hie gestracks und schlecht Bym hchsten gott den ziehen wir an Zum zügen das sy slchs hat than (V. 741– 748).⁶⁵
Im Anschluss an die Vereidigung der beiden Alten erinnert der Richter, der die Entscheidung missbilligt, Susanna den Eid zu verweigern, die Urtelsprecher an die ‚heidnische‘, d. h. an die antike römische Rechtslehre. Danach müssen beide Parteien eines Verfahrens angehört werden, da nur so die „billigkeit“ (V. 763) und die „grechtigkeit“ (V. 764) eines Verfahrens gewahrt werden könne: „Der heyden gsatz die leren wol | Das man glych beyd theil hren soll“ (V. 765 f.).Wahrscheinlich dachte Birck hier an den Kalumnieneid (iuramentum calumniae), der seinen Ursprung im antiken römischen Recht hat, und bei dem immer Kläger und Beklagter dem Richter versicherten, nicht mutwillig zu klagen, bzw. sich in gutem Glauben zu verteidigen.⁶⁶ Der Richter eröffnet eine weitere Abstimmungsrunde über die Frage, ob auch Susanna angehört werden soll. Synthonus eröffnet die Abstimmungsrunde mit einem Plädoyer, Susanna den Eid nicht zu gewähren. Er beruft sich darauf, die Urtelsprecher seien an ihr zuvor ergangenes Urteil gebunden, da ein Abweichen vom vorausgegangenen Mehr-
In der Ehegerichtsordnung vom . Oktober ist der Gefhrdeeid („Juramentum calmuniae“) nach § im Wortlaut angegeben: „Ir als die clagende parthey schweren, das ir nit anders achten noch glauben, dann das ir ein billiche sach haben z clagen. Hinwider ir als antwurter schweren, das ir bey euch selbs anderst nicht schetzen noch meinen, dann das euwer antwort seye worhaft und haben ein redliche ursach, darum ir euch im rechten wehren. Weither so schweren ir beide cleger und antwurter sampt und sonders, das ir in dieser sach kein falsch, betrug noch arglistigkeit brauchen, sonder uffrecht und redlich mit dieser handlung umbgan wllen und namlich die warheit sagen, worauf ir gefragt werden. Sodann, das ir euch beiderseits keiner falschen kundtschaft noch bewerung wllen behelfen noch gebrauchen, sonder alle gefrlicheit wllen vermeiden. und zm letsten, das ir diese sach einandern mtwilliglich nit wllen verziehen noch mit keinen geverden verlengern, sonder allem euwrem vermgen nachkommen lassen zm entlichem ußtrag und entscheid.“, zit. nach: Schnell, Rechtsquellen, Bd. , S. f. Da es keine wörtliche Übereinstimmung zwischen der Rechtsquelle und dem Eid im Drama gibt, kann nicht behauptet werden, Birck habe sich an der schriftlich fixierten, aber möglicherweise schon zuvor mündlich gebrauchten Eidesformel orientiert. Ein Blick auf die Reformationsordnung von führt aber zumindest zu dem Ergebnis, dass im reformierten Basler Ehegericht bei einer Vereidigung bei Gott geschworen wurde, was in Bircks Eidesformel nach der Beteuerung der Wahrheit durch die beiden Ankläger durchaus geschieht (V. f.). Vgl. Wolfgang Sellert: Art. „Kalumnieneid“. In: HRG (), Sp. – .
124
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
heitsbeschluss das Ansehen des Gerichts unter den rechtschaffenen Bürgern schmälern würde: Dann das stnd uns gar übel an Wann sagen würt ein biderman Das wir vom urtl wichen ab Wie uns das meer die vormals gab (V. 773 – 776).
Stattdessen solle man „verdammen sy zum todt | Wie gott im gsatz bevolhen hat“ (V. 777 f.). Damit stellt Synthonus die Wahrung seiner Reputation über seine Aufgabe, die Wahrheit zu ergründen. Wie sich im weiteren Verlauf der Handlung zeigen wird, trifft er aufgrund seiner Selbstherrlichkeit, die in Kontrast zur Gottesfurcht steht, eine falsche Entscheidung. Den gegenteiligen Standpunkt vertritt Anadicus, der im Wesentlichen seinen bereits in vorherigen Abstimmungsrunden geäußerten Standpunkt wiederholt, einer Frau in einem Rechtsverfahren müsse man die gleiche Stimme gewähren wie zwei Männern in öffentlichen Ämtern: „Den eyd wlt ich ir geben han | Als wol als einem alten man […] Man soll hierinn nit sehen an | Ob sich ein wyb oder ein man“ (V. 787– 794). Auch den beiden Alten sollte man trotz ihres Ansehens in der Gemeinschaft zutrauen, dass sie gegen das Recht verstoßen haben, was man mit Amtsenthebung ahnden müsse: „Die frowen schender solt man schlecht | Hinweg thn uß gricht und recht“ (V. 795 f.). Paredrus (‚der Beisitzer‘) schließt sich seinem Vorredner Anadicus an. Die Hoffnung auf ein Verfahren, in dem es um Wahrheit und Gerechtigkeit geht, hat er bereits aufgegeben: „Kein billigkeit gilt gar nit do | Aber was red ich in den wind | Diewil unschuld kein bystand findt“ (V. 806 f.). Gleichermaßen pessimistisch blickt Pedarius auf das Verfahren, in dem er keine Aussicht mehr auf ein gerechtes Urteil sieht und sich deshalb seiner Stimme enthält: „Wenn ich der sach knt nützlich sin | Wolt ich sagen die meinung min | So aber gilt kein billigkeit | Bin ich z schwigen mer bereyt“ (V. 811– 814). Dennoch bekundet er deutlich seine Solidarität mit der Angeklagten: „An disem blt wil ich nit sin | Schuldig / das wiss gott herre min“ (V. 815 f.). Diorthotes (der ‚Verbesserer‘) wirft seinen Vorrednern vor, Susanna zu sehr gewogen zu sein und beharrt darauf, dass der Urteilsspruch nach dem Mosaischen Gesetz schnell vollzogen werden müsse: Mich duncket das die vor geredt hand Der frowen syend mer verwand Dann z stat einem biderman […] Man sols zum todt hinfren bald Wie es dann Moses gsatz innhalt (V. 819 – 821 und V. 829 f.).
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
125
Hyposemus (der ‚Schreiber‘) schließt sich Synthonus an und fürchtet ebenfalls einen Ehrverlust, sobald man vom zuvor gefällten Urteil abweiche. Deshalb soll die Strafe gemäß dem Mosaischen Gesetz bald an Susanna vollstreckt werden (V. 841– 846). Auch Sofron (der ‚Weise‘) schenkt den beiden Alten mehr Glauben als einer Frau („Denn glouben ich den alten gib“, V. 849) und preist den Wert des (Mosaischen) Gesetzes: „Das gsatz sind wort der grechtigkeit | Domit wird gstrafft die üppigkeit“ (V. 851 f.). Susanna trage selbst die Schuld daran, dass sie die Konsequenzen des Gesetzes nun zu spüren bekomme: „Hett sy von iren sünden glan | Wer sy dem gsatz nit underthan“ (V. 853 f.). Auch Synedrus (der ‚Beisitzer im Rat‘) teilt diese Ansicht und lobt das Gesetz Gottes – gemeint ist das alttestamentliche Mosaische Gesetz als Quelle aller Sittlichkeit: „Das man die sünd straff alle zyt | Das pflanzet wird die erberkeit | Der halben uns befolhen hat | Das gsatz der aller hchste gott“ (V. 859 – 862). Der Richter fordert angesichts der geteilten Meinungen zu einer Mehrheitsabstimmung per Handzeichen auf und kommt zu dem Ergebnis, dass sich nur drei Urtelsprecher für Susannas Vereidigung aussprechen. Die Mehrheit von fünf stimmt für den sofortigen Vollzug der Todesstrafe gemäß dem Mosaischen Gesetz, ohne dass die Angeklagte zuvor noch einmal gehört wird. Damit ist das Todesurteil über Susanna besiegelt: „Die frowen nach dem lut deß gsatz | Z fren dannen uff den platz“ (V. 873 f.). Wie in der Apokryphe folgt auf das Todesurteil Susannas Gebet. Für die Botschaft der Erzählung hat das Gebet eine zentrale Bedeutung, zeigt es doch Susannas unerschütterlichen Glauben an Gott selbst in der tiefsten Verzweiflung. In der Bibel markiert das Gebet den Beginn vom Eingreifen Gottes ins Handlungsgeschehen, wenn es am Schluss heißt: „Der HERR aber erhret ir gebtt“ (ZB Sus,E). Im Unterschied zur Apokryphe hebt Birck noch stärker Gottes Funktion als Herrscher über Himmel und Erden hervor: „Ewiger gott der du allein | Regierst den hymel / erd gemeyn“ (V. 875 f.). In der Zürcher Bibel lautet die Anrede: „O Allmchtiger Gott“ (ZB Sus,E). Wie in der Bibel preist Susanna Gottes Allwissenheit, durch die er ihre Unschuld erkennen könne, und kündigt an, sich ihrem Schicksal zu fügen: „Das will ich hie mit minem todt | Bezügen in der grossen not | Das ich unschuldig aller sach | Bin […]“ (V. 883 – 886). Schließlich bittet sie Gott darum, ihr in der Not beizustehen (V. 888). Die impliziten Regieanweisungen in der Figurenrede des Richters geben an, dass Susanna nun von den beiden Amptlüt auf den Hinrichtungsplatz geführt wird. Susannas Ehemann Joakim wendet sich in der Not ebenfalls allein zu Gott und fleht um Rache an Susannas Henkern: „Ach dir allein du grechter gott | Befilch ich yetz hie unser not | Rich / wider gilt herr du die schand | So diese uns ufftrochen hand“ (V. 897– 900). Auf Joakims Bitte um Gottes Rache folgt die Prophezeiung Daniels in Anlehnung an die Zürcher Bibel, die Daniel an die „alten knecht“
126
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
(V. 901) richtet: „Ir hand in dieser sach nit recht | Gericht sag ich uß fryem mt | Ich bin unschuldig an dem blt“ (V. 902– 904). Nachdem Sophron, der Weise, die Menge dazu aufgefordert hat, dem „knblin“ zuzuhören, fährt Daniel fort, die Obersten Israels gemäß der Bibel zu schelten: „Ir thoren groß von Israel“ (V. 907). Daniel wirft den Richtern vor, ihr Urteil – gemessen an dem Wert eines Menschenlebens – zu schnell gefällt zu haben: „Deß menschen leben ist nit ring | Es wachst nit wie ein pfifferling“ (V. 909 f.). Die Richter beschuldigt Daniel, verblendet gewesen zu sein, weshalb sie die Wahrheit nicht von der Lüge unterscheiden konnten (V. 911– 913). So sei es gekommen, dass „ein frowen frum“ (V. 915) aus Israel verdammt worden sei. Daniel fordert das Gericht daher auf, noch einmal zusammenzutreten (V. 916). Wie in der biblischen Vorlage erkennt der Richter die göttliche Inspiration Daniels und fordert ihn auf, das Richteramt an seiner statt zu übernehmen, da Gott ihm „miltigkeit“ (V. 919) und „eer“ (V. 928) verliehen habe. Vor dem Verhör der beiden Alten hält Daniel eine Rede vor dem Volk und dem Gericht und zeigt darin einen der wesentlichen Aspekte der Lehre auf: Die Voreingenommenheit der Richter aufgrund von Erscheinung und Würde der Ankläger und Zeugen: Merckend ir mnner Israel Das man nit all weg sehen sll In handlung uff das kleyd und bart Dardurch man offt betrogen ward Es mag wol syn das ouch ein herr Der sitzet hoch in grosser eer Mit synem bracht ein schelmen deck Das ungrechtigkeit in im steck Es ist nit gng das eyd thnd schweren Man sol sich drumb daran nit keren Man sol inn handel sehen baß Das man ein rechte kuntschafft faß (V. 929 – 940).
In dieser Rede des von Gott inspirierten Daniel häufen sich mehrere Verhaltensnormen für die Bürger einer humanistisch-reformierten Respublica christiana, insbesondere für deren Obrigkeit. Am Negativbeispiel der Urtelsprecher, die nach dem Mosaischen Gesetz richten, warnt Daniel die zeitgenössischen Richter, nach der inneren,verborgenen Wahrheit zu suchen, statt sich von weltlichem Ruhm und Äußerlichkeiten wie ‚kleyd und bart‘ blenden zu lassen. Auch in einem ehrwürdigen Herrn könne ein Schelm stecken, weshalb es gelte, immer genau hinzusehen und sich nicht täuschen zu lassen. Auch der Eid wird als bloße Äußerlichkeit kritisiert, die leicht missbraucht werde und kaum etwas über die innere Haltung eines Menschen preisgebe (V. 937 f.). Eine rechte ‚kuntschafft‘ i. S. v. Kunde,
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
127
Zeugnis, Offenbarung⁶⁷, müsse sich in der Handlung eines Menschen zeigen, d. h. eine fromme innere Haltung solle im Ethischen Gestalt annehmen und habe nichts mit äußerem Prunk und Würde zu tun. Auch wenn dieser letzte Grundsatz natürlich für alle Bürger einer Respublica christiana gelten sollte, wird hier in erster Linie die Obrigkeit angesprochen, für die die Richter aus alttestamentlicher Zeit als exemplum horrendum dienen sollen, um sich von ihnen abzugrenzen. Wie in der Bibel befiehlt Daniel, die beiden Alten voneinander zu trennen und einzeln zu befragen, da sie sonst bloß ihre gemeinsam erdachten Lügen vortrügen. Obwohl der richter der Vorsitzende des Gerichts bleibt, der den Amplüt Anweisungen erteilt, wird dem von Gott erleuchteten Knaben Daniel die alleinige Entscheidungsgewalt übertragen (V. 958). Von den Amplüt als Gefangener abgeführt, beruft sich auch Achab auf Gott, um ein Aufrollen des Gerichtsprozesses zu verhindern: „Das wll gott nit das diser knab | Gwalt über uns zerichten hab“ (V. 963 f.). Der in Gottes Namen richtende Daniel macht ihm zunächst sein gotteslästerliches Verhalten von Kindheit an und seine Bestechlichkeit im Richteramt zum Vorwurf: „Die unschuld hast gantz und gar | Hinunder truckt / die schuldigen | Die dir vil schenckung hatten gen | Dir gholffen ouch z der bbery | Dieselben hast erkennet fry“ (V. 980 – 984). Daraufhin stellt Daniel Achab die berühmte Frage: „Sag an was was [sic] daß für ein boum | Dorunder der knab z ir kam“ (V. 993 f.). Achab antwortet darauf gemäß der Zürcher Bibel: „Ein mulberboum im gartem was | Dorunder ich han gesehen das“ (V. 995 f.). Nach dieser Aussage prophezeit Daniel ihm bereits die ganze Härte göttlicher Bestrafung an, da das Urteil bereits ergangen sei, „[v]om richter in dem hchsten tron | Der würt dir gen der sünden lon“ (V. 999 f.). Die Strafe soll von einem Diener Gottes vollstreckt werden, womit das weltliche Gericht, also die gottesfürchtige Obrigkeit, gemeint ist: „Sin diener würt verdammen dich | Das gloub du mir gantz sicherlich“ (V. 1001 f.). Auf Anweisung des Richters wird nun Sedechias vorgeführt. Auch ihm stellt Daniel die Frage nach dem Baum, unter dem Susanna den Ehebruch begangen haben soll. Wie in der Zürcher Bibel antwortet Sedechias: „Ein granatapffel boum so ich mich bsinn | Ist ir schand deckmantel gsin“ (V. 1019 f.). Die Wahl der zwei Baumarten ist ein starkes Indiz dafür, dass Birck die Zürcher Bibel als Vorlage für seine Dramenadaptation verwendete. In Luthers Vollbibel werden eine Linde und eine Eiche als Ort des Geschehens genannt (WA DB 12, Sus V. 54 bzw.V. 58), in der Vulgata ein Pistazienbaum („Sub scino“, Dn 13,54) und eine Eiche („Sub prino“, Dn 13,58). Dem beschuldigten Richter prophezeit Daniel die Strafe Gottes durch einen Engel: „Der engel würt dich mit dem schwert | Verderben hie uff dieser erd“
Vgl.: Art. „Kundschaft“. In: Grimm, DWb , Sp. – .
128
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
(V. 1023 f.). Der Meineid der beiden Alten ist damit offenkundig, der richter befiehlt, die noch immer gefesselte Susanna frei zu binden, „[d]er gott z gsprochen hat den lyb | Das leben hie durch dises kind | Er liebt die tugent / hast die sünd“ (V. 1026 – 1028). Noch einmal wird hier betont, dass Gott der Richter über das Verfahren ist und der Knabe Daniel als Mittler des Urteils eines gerechten Gottes handelt. Der richter ergreift wieder das Wort und fragt die Urtelsprecher nach einer gerechten Strafe für die beiden Meineidigen. Die Strafe wird nicht bloß gegen die zwei Angeklagten verhängt, sondern ist allgemein als ein „urteil gots wider die sünd“ (V. 1040) zu verstehen, das „gangen ist durch dises kind“ (V. 1039), womit noch einmal deutlich wird, dass Daniel bloß eine Mittlerfunktion zukommt und keine aus eigenem Antrieb handelnde Figur darstellt. Der richter interpretiert das von Gott vorgesehene Urteil als Todesstrafe: „So man gots urteyl gleben wil | Der in den todt yetz hat erkant | Durch das kind / das er uns hat gsandt“ (V. 1042– 1044). Nach dieser Einschätzung, wie Gottes Eingreifen in den Prozess zu verstehen sei, fordert er die Urteilssprecher auf, ihr Votum abzugeben (V. 1048 – 1050). Anadicus eröffnet die Abstimmungsrunde, indem er das vom Richter interpretierte Gottesurteil – die Todesstrafe gegen die beiden Alten – bestätigt und an die uneingeschränkte Gültigkeit des göttlichen Urteils erinnert: „Man sol gott in syn urteyl nit | Jetz reden / noch z keiner zyt | Zum todt von gott send sy verdampt | Das wist ir mencklich alle sand“ (V. 1053 – 1056). Es folgen vier Verse, in denen das Verhältnis von weltlicher und göttlicher Obrigkeit thematisiert wird: Gott glassen hat der oberkeyt So hie des engels namen treyt Das schwert / sag ich / das ist der gwalt Und wyß / dadurch die straffe falt (V. 1057– 1060).
Danach hat Gott der weltlichen Obrigkeit die Gewalt des Richteramtes übertragen, um im Auftrag Gottes zu handeln und den göttlichen Willen im Diesseits durchzusetzen. Die Stelle erinnert an die Auslegung des Propheten Jesaja durch Johannes Oekolampad: Die Richter handeln als „dei ministri“ in göttlichem Auftrag, um die Gerechten mit dem Schwert zu befreien und die Gottlosen zu verbannen und zu vernichten.⁶⁸ Auch im Drama symbolisiert das Schwert die von Gott im Diesseits verliehene Macht, die dem Vollzug der Strafe dienen soll. Nach Anadicus’ Gesetzesauslegung soll ein Ankläger, dessen Anschuldigungen sich vor Gericht als haltlos erweisen, die geforderte Strafe selbst erhalten:
Johannes Oekolampad: In Iesaiam Prophetam Hypomnemato(n) / hoc est/ Commentatorium/ Ioannis Oecolampadii, Libri VI. Basel: Andreas Cratander , Bl. v.
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
129
„Die gsatz die leren aber das | So einer hat erdichtet was | Wider syn nechsten / bringts nit by | Das er in syn statt trette fry | Darumb sag ich das dise wicht | Slichs kündtlichen hand erdicht | Das sy versteynigt werden snd | Wie sy gantz wol verdienet hand“ (V. 1061– 1068). Diese Forderung stellt einen Sonderfall des Talionsprinzips dar, da das Opfer, Susanna, zwar noch keinen Schaden erlitten hat, dennoch soll an den Tätern jene Strafe vollzogen werden, die Susanna aufgrund des Meineids unmittelbar bevorstand. Da die Talion antithetisch zur Programmatik von Christi Bergpredigt (Mt 5,38 f.) steht, gilt sie im Christentum normalerweise als Kennzeichen eines an Rache orientierten alttestamentlichen Rechtsund Gottesbegriffs.⁶⁹ Dass Anadicus den Vollzug des Talionsprinzips an den beiden Alten fordert und dass diesem stattgegeben wird, ist eine deutliche Befürwortung des alttestamentlichen Rechts im Drama. Die übrigen sieben Urtelsprecher stimmen dem von Anadicus geforderten Todesurteil gegen die beiden Alten geschlossen zu. Auch Paredrus beruft sich auf „das gttlich gsatz“ (V. 1074), das dafür sorge, „[d]as den lügnern hie würt der lon | Wie sy dann wol verdienet hand“ (V. 1072 f.). Diorthotes dankt Gott für die Offenbarung seines Willens durch Daniel, in dem sich seine Gerechtigkeit gezeigt habe. Synedrus preist ebenfalls die Gerechtigkeit des Herrn, der stets den Frommen beistehe: Das urteil gots ist allweg grecht Hatt acht uff das gottselig gschlecht Die frommen hangen stts an gott Die lügner werden all zespott So dem gottseligen stellen nach Die kommen selbs in schand und schmach Der selben ist ein grosse zal Die frommen werden grochen all (V. 1099 – 1106).
Er betont, dass man Gottes Beistand nur aus göttlicher Gnade (sola gratia) erlangen könne: „Es ist nit not das man ein zyl | Gott steck / man weist nit wenn er will | Syn ougen der barmhertzigkeit | Wenden uff die gerechtigkeit“ (V. 1107– 1110). Synthonus, der in der vorherigen Runde aus Angst vor dem Ehrverlust des Gerichts die Todesstrafe für Susanna gefordert hat, gesteht nun die Fehlerhaftigkeit dieses Urteils ein und fordert dieselbe Strafe für die beiden Alten: „Wie ich myn meer vor geben han | Wil ich yetz widerrffet han | Wil das man die straff uff die wend | So Susannam allhie hand gschend“ (V. 1115 – 1118). Der Richter zieht aus dem zuerst ergangenen Fehlurteil die Schlussfolgerung, dass sich der Mensch in seinem Ur-
Vgl. Eckart Otto: Art. „Talion – III. Deutungen“. In: RGG (), Sp. f.
130
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
teilsvermögen leicht beirren lassen könne. Er warnt die Urtelsprecher daher eindringlich, sich vom Äußeren der Prozessbeteiligten blenden zu lassen: Ich kann fürwar yetz spren wol Das niemant sich verlassen soll Uff syne wyßheit / sunderlich Das sehen wir hie schinbarlich Sond nit z seer uff die person Unser achtung und duncken lan Das plend das gmt fast so man wil Uff das ansechen achten vil (V. 1119 – 1126).
Die unbegründete Verurteilung Susannas zum Tode hat die Unzulänglichkeit der menschlichen Urteilskraft und des Mosaischen Gesetzes deutlich gemacht. Gott wirkt in diesem Fall komplementär: Indem er Daniel inspiriert und so die Wahrheit ans Licht bringt, wird die unschuldige Susanna vor dem falschen Urteil bewahrt. Der von Gott gesandte Daniel soll in höchsten Ehren stehen, weil er „[e]in geist […] eins propheten hat“ (V. 1133). Für das lateinische Susannadrama hat James A. Parente aus dem Eingreifen Gottes in die Handlung den Schluss gezogen, Birck vermittele hier, anders als noch in der Vorrede angekündigt, das Handeln der Obrigkeit sei letzten Endes unwirksam, da Susanna ohne das Eingreifen des Propheten Daniel hingerichtet worden wäre.⁷⁰ Dem ist entgegenzusetzen, dass Birck – wie gezeigt – eine Minderheit der Richter Alternativen aufzeigen lässt, wie das Gerichtsverfahren gerechter hätte ablaufen können. Mit diesen Prinzipien ließe sich die Wahrheit herausfinden, was das Eingreifen des Propheten obsolet machen würde. Die Fehlbarkeit jener Richter, die sich von Amt und Erscheinung der beiden alten Richten blenden lassen, diene – wie die ‚überkommenen‘ Verhandlungverfahren des Gerichts zur Zeit des Alten Testaments – als abschreckendes Beispiel, aus dem die Zuschauer das ‚rechte‘ Gegenteil ableiten sollten. Damit sich die Gottesfürchtigen in Zukunft wieder auf die göttliche Gerechtigkeit verlassen können, soll der Meineid nun mit der ursprünglich für Susanna geforderten Todesstrafe gerächt werden. Der Richter weist daher die bisher noch nicht genannte Figur Dikurgus, also den Rechtsvollstrecker, an: „Darumb dicurge fr sy hin […] Darumb das fürthin mg der grecht | Z gott ein gten hoffnung han | Das er in nyemer wll verlan“ (V. 1138 – 1142). Susanna dankt allein Gott für ihre
„Contrary to Birck’s pronouncements in his preface, the politicians were ultimately ineffectual, for without the intervention of the young prophet Daniel, Susanna would have been executed. Birck’s trial scene had doubtless contributed to the political education of the audience“, Parente, Drama, S. .
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
131
Rettung und fordert ihre Familie zur Gottesfurcht auf.⁷¹ Die Familie folgt ihrem Aufruf mit einer Lobpreisung Gottes für seinen Beistand. Noch vor der Bestrafung der beiden Alten führt Joakim seine Frau wieder nach Hause und lobt sie für ihren „küschen lyb“ (V. 1170). Susanna gelobt ihm auch weiterhin die Treue und ermahnt auch ihre Tochter, sich ein Beispiel an ihr zu nehmen: „Kum du mit mir myn dchterlin | Halt dich ouch eerlich / küsch und fyn“ (V. 1175 f.). Dikurgus droht den beiden Alten mit ihrer baldigen „blonung“ (V. 1177), erteilt ihnen zuvor aber noch einmal das Wort, damit sie sich an die Gemeinde wenden können. Die beiden zum Tode Verurteilten nutzen diese Gelegenheit, um mahnende Worte an die umstehende Gemeinde zu richten. Sedechias bezeichnet sich und seinen Komplizen sich als Negativexempel und warnt die Gemeinde davor, vom rechten Weg abzukommen: All die ir send von Israel […] Ich wil ouch mengklich gwarnet han Das nem von uns hie yederman Ein eben bild z sünden nit (V. 1181– 1185).
Er preist Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde und bittet ihn darum, dem Satan seine Macht zu nehmen (V. 1187 u. V. 1191). Sedechias richtet sich mit seiner Mahnung explizit an die Urtelsprecher und warnt sie vor den Lastern der Gier und des Neides.⁷² Besonders eindringlich mahnt er all jene, die ihre „glyßnery“ (V. 1211) und „bbery“ (V. 1212) erkannt hätten und davon profitieren wollten und folgert daraus noch einmal für alle: „Ich wil üch hie ermanet han | Z einer letz daß yederman | Uß unserm schaden bessern wll | Das er nit werde unser gsell“ (V. 1219 – 1222). Die Antwort Dikurgus’ auf diese späte Einsicht lautet, die Gerechtigkeit verlange nun, dass die beiden Sünder von ihm und seinen Helfern, den „diener[n] der gerechtigkeit“ (V. 1240) den Tod empfangen müssten (V. 1235 – 1237). Die Regieanweisung vor V. 1241 gibt an, dass Achab daraufhin auf der Bühne gesteinigt wird und während der Steinigung aus dem 38. Psalm rezitiert. Dass die Todesstrafe in Form einer Steinigung vollstreckt wird, geht auf eine Interpretation Bircks zurück. Folgt man dem Bibeltext, müssten die beiden Verurteilten mit dem Schwert hingerichtet werden. Nachdem Daniel den zweiten Richter der Lüge überführt hat, sagt er in der Zürcher Bibel zu ihm: „Wol / also lügst auff deinen kopff hinauf. Hie
„Ach vatter / mter / gemahel myn | Land uns allzyt gotsfrchtig syn“ (V. f.). „Ir richter ich üch hie ouch bit | Lond üch nit bewegen yener in | Kein gyrlichkeit / kein bsen sinn | Die gunst land farn und den nyd“ (V. – ).
132
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
harret deß HERREN bott mit dem schwrdt das er dich inn zwey zerschneyde / unnd euch beyd um(b)bringe“ (ZB Sus,G). Die „gmeynd“ verurteilt die beiden Alten darauf zum Tode: „und [sy] giengend eben mit inen um(b) / wie sy mit irem nchsten übel woltend um(b)gange(n) sein: Ja sy handletend nach dem gsatz Mose / unnd brachtend sy umb.“ (ZB Sus,G). Da die Steinigung im (Spät‐)Mittelalter und in der Reformationszeit weder in der Eidgenossenschaft noch im Reich praktiziert wurde, stellt sie einen bewussten Verweis auf die alttestamentliche Form der Todesstrafe dar.⁷³ Möglicherweise dachte Birck hier an die neutestamentliche Perikope von Jesus und der Ehebrecherin (Joh 7,53 – 8,11), in der Jesus die Steinigung einer Ehebrecherin durch die Pharisäer und Schriftgelehrten verhindert. Aus der Regieanweisung geht nicht hervor, ob der anschließende Chor „[m]it David schry ich herr z dir“ (V. 1241) gesungen oder gebetet werden sollte,während die Steinigung auf der Bühne inszeniert wurde. Auch bei dieser Psalmdichtung übernimmt Birck die Zählweise aus Luthers Psalterübersetzung und nicht die der Zürcher Bibel. Das Gebet Achabs stellt eine sehr freie Nachdichtung des 38. Psalms dar, in dem ein Ich unter den Qualen göttlicher Strafen reuevoll zum Herrn ruft, seine körperlichen Schmerzen und die Abwendung der Freunde beklagend. Anders als im Psalm akzentuiert Birck hier noch stärker die Reue des Sprecher-Ichs, in diesem Fall Achabs, wie etwa in V. 1261 f.: „O wee / o wee mir armen man | Das ich ye wider gott hab than“. Mit Blick auf die Aufführungssituation sind die beiden letzten Verse nicht wie im Psalm eine Bitte um Gottes Beistand („Eile mir bey zu stehen, HERRE meine Hlffe“; WA 10,1 Ps 38,23), sondern sie zeigen im Drama den Tod Achabs an, der Gott nur noch darum bitten kann, sich seiner Seele anzunehmen: „Min geyst / min geyst yetz in mym end | Befilch ich herr in dine hend“ (V. 1273 f.). Die Umstehenden kommentieren die Steinigung als gerechte Strafe für die „üppigkeit“ (V. 1275) und als Beweis dafür, dass die Frömmigkeit am Ende siegt: „Die frumbkeit würt nit ewig gschmecht“ (V. 1278). Die Dramenhandlung endet mit einem von Birck hinzugefügten Dialog zweier Figuren, die nicht in der Bibel vorkommen: Gasterodes, wie der Name schon sagt, ein verfressener Günstling, der von der Korruption der beiden Richter profitiert
In der Baseler Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Reformationszeit wurden diverse Formen der Todesstrafe praktiziert, die je unterschiedlichen Verbrechen zugeordnet waren. Die Steinigung ist hier jedoch nicht vertreten. Siehe dazu: Hagemann, Rechtsleben, Bd. , S. f. In der auf dem Reichstag zu Regensburg verabschiedeten peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina), die auf der beschlossenen Constitutio criminalis Bambergensis aufbaut und dazu dienen sollte, landesgebräuchliche Rechtspraxen im Reich mit römisch-kanonischem Recht zu verbinden, ist die Steinigung als Form der Todesstrafe ebenfalls nicht enthalten. Siehe dazu: Friedrich-Christian Schroeder (Hg.): Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von (Carolina). Stuttgart , S. .
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
133
hat, und Misetius, der Gasterodes deswegen zur Rede stellt und ihm sein „schlechten eer“ (V. 1292), also eine sittliche Verderbtheit, zum Vorwurf macht. Gasterodes führt seine Armut als Grund für seine Verfehlungen an, wenn er beklagt: „Ich wer gng frum / wer ich nur rych“ (V. 1296), um Misetius in Anlehnung an die Perikope von Jesus und der Ehebrecherin (Joh 8,7) aufzufordern: „Bistu leer aller sünden gar | So wirff ein stein yetz uff mich dar“ (V. 1299 f.). Misetius beendet den Dialog als moralisches Vorbild mit dem Satz: „Ob ich zun zyten fall in sünd | So bin ich doch den sünden find“ (V. 1301 f.) – und macht damit deutlich, worauf es ankommt: Während Gasterodes meint, nur ein Reicher könne es sich leisten, frei von Sünde zu sein, weist ihn Misetius zurecht, es komme vor allem auf die innere Haltung an. Wer diese erlangt habe, dem könne gelegentlich auch eine lässliche, menschliche Sünde unterlaufen, ohne dass er um sein Seelenheil fürchten müsse. Diese von Birck erfundene Schlussszene hatte den Zweck, der alttestamentlichen Vorlage christlich-reformierte Grundsätze kommentierend entgegenzusetzen: Demut angesichts der eigenen Sünden statt erbarmungslose Vollziehung des Mosaischen Gesetzes, Vergebung und der Wille, keine Sünde auf sich zu laden, statt Reichtum. Damit werden der Basler Bürgerschaft in einem komischen Dialog am Schluss der Dramenhandlung die Kernlehren dieses Stückes verständlich wiederholt und zusammengefasst.
Beschlußred Der Sprecher der Beschlußred fragt zunächst, welchen didaktischen Nutzen man nun aus der Geschichte Susannas ziehen könne und kündigt an „[d]as yeglicher hie leren kan | Sin leben / wo im sige wee“ (V. 1312 f.), d. h. für jeden „Christen mensch“ (V. 1314) sei eine Lehre für sein Leben enthalten. Der Zweck beim Betrachten einer Aufführung des Stückes sei nicht „[d]as man wll letzen einen man“ (V. 1316), also dass man einem Mann Schaden zufügen wolle, sondern, dass man daraus „frum“ werde (V. 1318). Darum werde man sich nun nach und nach „alle stnd“ (V. 1319) ansehen, die in dem Stück vorkommen. Zunächst werden die beiden wichtigsten Exempelfiguren des Stückes beschrieben: auf der ‚guten‘ Seite „ein küsches wyb“ (V. 1321), das eher bereit sei, sein Leben zu opfern als Gottes Gebot zu brechen und damit gegen seinen Willen zu handeln. Auf der ‚bösen‘ Seite die „[z]ween alt“ (V. 1325) mit einem „verkerten sinn“ (V. 1326), deren Aufgabe eigentlich sein sollte, im Auftrag der Gerechtigkeit zu richten, die bei ihnen jedoch nichts galt. Aus diesem exemplum horrendum leitet der Prologsprecher die Lehre für die „oberkeit“ (V. 1329) ab. Dieser „gezymmet wol | Das sy sich brlich halten soll“ (V. 1329 f.). Als Leitfaden für „yederman“ (V. 1331) gelte, dass niemand aus Gier heraus die Ehre seines Nächsten anfechten solle, „[s]onder die selben retten mer“ (V. 1336).
134
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Wohl an Bircks Schüler gerichtet fährt der Epilogsprecher fort, die Figur Daniels zeige, „[d]as gott ouch einem jungen kan | Geben wyßheit sam wer er alt“ (V. 1338 f.); „David [gemeint ist der alttestamentliche König] spricht das der kinder mund | Deß herren lob werd machen kund“ (V. 1343 f.). Abschließend wird von allen Zuschauern – als pars pro toto den Bürgern von Basel – gefordert, das Gottvertrauen zum obersten Leitprinzip zu erheben: Z disem allem hrn wir hie Das gott allzyt begnade die So in in hoffen alle zyt Und wichen von sym willen nit Gott wll uns geben syn genad Wie er Susanne geben hat (V. 1345 – 1350)
4.1.4 Zwischenfazit Es stellt sich nun die Frage, inwiefern das Susannadrama Sixt Bircks an Diskurse über eine Respublica christiana, speziell an die neue reformatorische Ehegerichtsordnung in Basel, anknüpft. Einer der wichtigsten Aspekte im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist die Differenzierung zwischen „[d]er heyden gsatz“ (V. 765), d. h. dem antiken römischen Recht, dem „gttlich gsatz“ (V. 1074) und „Moses gsatz“ (V. 830). Während das Gesetz des Moses das gesamte – und als überholt dargestellte – Recht des antiken Judentums meint, beruft sich die fromme Susanna auf die ‚göttlichen Gesetze‘, wenn sie den Ehebruch kategorisch ablehnt. Mit den ‚göttlichen Gesetzen‘ sind hier wohl die zehn Gebote gemeint, also jene alttestamentlichen Gebote, die auch für das Christentum Geltung haben. In Fragen der Prozessführung ist das (spät‐)antike römische Recht, so die Erkenntnis auf der Ebene der Dramenhandlung, dem Mosaischen Gesetz überlegen. Das alttestamentliche, jüdische Gesetz, der Hochmut der Richter und ihre nicht hinterfragte Autorität führen im Drama zum Fehlurteil gegen Susanna. Da eine Minderheit der Urteilssprecher sich bei jeder Verfahrensfrage für die ‚gerechtere‘ Möglichkeit ausspricht, sie aber nicht gegen die Mehrheit durchsetzen kann, bleibt Birck in seiner Dramenadaptation der apokryphen Vorlage treu, wonach Susanna unschuldig zum Tode verurteilt wird. Die alttestamentliche Apokryphe mit ihrem mosaischen Gesetz stellt damit eine Negativvorlage eines Gerichtswesens dar, das nur von jenen überwunden werden kann, die sich auf das antike römische ‚heydnisch gsatz‘ oder auf jenes ‚göttlich gsatz‘ berufen, das auch für das Christentum verbindlich ist. Eine zentrale Aussage des Dramas ist somit, dass das jüdische Gesetz des Moses mit antikem römischen Recht und den christlichen Tugenden überwunden werden müsse. Dies zeigt, dass die alttestamentlichen
4.1 DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna (1532)
135
Apokryphen, die Birck als Vorlage für seine Dramen dienten, nicht in jeder Hinsicht als Vorbilder dienen sollten, die es galt nachzuahmen, sondern auch als Negativvorlage, um sich von Missständen abzugrenzen. Die Dramenfiguren zeigen dabei selbst Perspektiven auf, wie sich diese überwinden lassen. Es liegt nahe, dass Birck mit der Wahl des apokryphen Stoffes Stellung zum Basler Ehegericht und der im Zuge der Basler Reformation neu geschaffenen Ehegerichtsordnung nahm, da die Aufwertung der Ehe und die Verstöße gegen das Eherecht eine wichtige Rolle bei der Errichtung eines reformierten christlichen Gemeinwesens spielten. Dafür spricht u. a. die Anpassung der Anzahl an Urtelsprechern in Bircks Drama an die des zeitgenössischen Ehegerichts. Wie in § 8 der Basler Ehegerichtsordnung festgeschrieben war, bringt im Drama erst das getrennte Verhör der beiden Kläger Susannas Unschuld ans Licht. Die Dramenhandlung bestätigt damit eine Vorschrift in der kurz zuvor verabschiedeten Ehegerichtsordnung und zeigt den Bürgern ihre Legitimität auf. Auch die Bestimmung, beide Parteien sollten vor Gericht vereidigt werden, was bei einer Realisierung am Basler Ehegericht zwangsläufig zu einer weitreichenden Aufwertung der Aussagen von Frauen führen musste, wird im Susannadrama unter den Urtelsprechern diskutiert. Dass Susanna der Eid als Frau verweigert wird, führt dazu, dass sie unschuldig zum Tode verurteilt wird, ohne vorher vom Gericht gehört worden zu sein. Hätte sich jene Minderheit von Urtelsprechern durchgesetzt, die Argumente für eine Vereidigung von Frauen vorbringen, hätte die Angeklagte womöglich früher die Gelegenheit bekommen, ihre Unschuld darzulegen. Da die Basler Ehegerichtsordnung von 1533 vorsah, dass sowohl die klagende als auch die angeklagte Partei den sogenannten Gefhrdeeid schwören musste – was eventuell schon vor 1533 praktiziert wurde – würde die Dramenhandlung auch in diesem Fall die zeitgenössische Ehegerichtsordnung begründen und bestätigen. Das Schauspiel richtete sich mit seinen Lehren in erster Linie an die weltliche wie an die geistliche Obrigkeit, wie sie zur Aufführungszeit um 1532 im Basler Ehegericht vertreten waren. Mit den exempla horrenda von den beiden alten Richtern, die ihre Amtsautorität für den Meineid missbrauchen, und den Urtelsprechern, deren Mehrheit sich von den Alten blenden lässt, appelliert das Drama an die Stadtobrigkeit. Zum einen soll sie sich im Umkehrschluss von Amtsmissbrauch und Bestechung fernhalten, zum anderen soll sie sich im Richteramt nicht vom falschen Schein blenden lassen, sondern bei allen Prozessbeteiligten gleichermaßen nach Gottesfurcht suchen. Positiv wird das Richteramt in der Rede des Anadicus definiert: Die Richter sollen wie Engel im Auftrag Gottes richten. Das Schwert symbolisiert dabei die von Gott im Diesseits verliehene Macht. Als positive Exempelfigur für alle Zuschauer diente Susanna, die eher die Todesstrafe auf sich nimmt als gegen das ‚gttlich gsatz‘ zu verstoßen und die auch angesichts der drohenden Steinigung weiter fest auf Gottes Beistand vertraut.
136
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Gerade der tiefe Glaube an Gott, der in ihrem Gebet nach der Verkündigung des Todesurteils zum Ausdruck kommt, erklärt die große Beliebtheit des Apokryphenstoffes auf der protestantischen Bühne. Während die Darstellung von Susanna als Ideal einer protestantischen Ehefrau nach der Ehelehre Martin Luthers den Stoff für die Dramendichter aus dem Wittenberger Umkreis so beliebt machte, bestand der Reiz für den Humanisten und Reformierten Sixt Birck neben der ehelichen Keuschheit auch in dem Eingreifen Gottes ins Weltgeschehen. Im Zuge der Reformation in Basel, die eine sittlich-moralische Erneuerung der Gesellschaft auf der Grundlage der Heiligen Schrift zum Ziel hatte, bot sich die Erzählung dazu an, die Errichtung des göttlichen Gesetzes auf Erden und den Vollzug göttlicher Gerechtigkeit im Diesseits zu demonstrieren, wofür Bircks Susannadramen das beste Beispiel sind. Die beiden Psalmgesänge, die jeweils von einer einzelnen Figur mit Orgelbegleitung auf der Bühne vorgetragen wurden, und das Psalmengebet des Achab während seiner Steinigung gaben dem Schauspiel Züge einer liturgischen Feier. Die Aufführung eines solchen Stückes konnte daher als eine Ergänzung zur Predigt betrachtet werden.Wie die Predigt verfolgte sie das Ziel, das Wort Gottes in der Stadt zu verkündigen. Mit den Exempelfiguren als Identifikationsfiguren stand dem Schauspiel im Gegensatz zur Predigt ein Instrumentarium zur Verfügung, das die Eindringlichkeit der vermittelten Lehren an die einzelnen Zuschauergruppen erhöhen konnte, und das das Ziel der Reformatoren, in Basel eine Respublica christiana zu errichten, anhand eines ‚historischen‘ (Negativ‐)Beispiels darzustellen vermochte.
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537) Sixt Bircks lateinische Übersetzung des Susannadramas wurde, anders als sein volkssprachliches Stück, mehrfach nachgedruckt. Der Grund dürfte wohl sein, dass andere Schulmeister das Stück ebenfalls mit ihren Schülern aufführen wollten, um so auch ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, wie ein Beispiel aus Schaffhausen zeigt. Die Übersetzung erschien erstmals 1537 bei Philipp Ulhard d. Ä. in Augsburg in einem Sammeldruck zusammen mit einer Edition der Paulusbriefe von François Bonade.⁷⁴ Bis 1564 wurde es sechsmal nachgedruckt, neben Augsburg auch in Basel⁷⁵, Zürich⁷⁶ und Wittenberg⁷⁷ sowie im überwiegend alt Sixt Birck: Susanna Comœdia tragica. Per Xystum Betulium. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. [Nachdruck ]. Ders.: Comoediae ac Tragoediae aliquot ex novo et Vetere Testamento desumptae […] Susanna Comœdia Tragica. Per Xystum Betulium Augustanum. Basel: Nikolaus Brylinger .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
137
gläubigen Köln.⁷⁸ Im August 1537 schickte Birck seinem Professor Bonifacius Amberbach, bei dem er in Basel antikes römisches Recht studiert hatte, ein Exemplar des gerade erschienenen lateinischen Susannadramas. In seinem Begleitbrief bedankte er sich bei Amerbach für seinen Unterricht und schrieb, er könne seinem Lehrer zwar kein Honorar zahlen, schicke ihm aber als Zeichen seiner Dankbarkeit ein Exemplar seines Susannadramas, bei dessen Lektüre er sich oft an Amerbachs Unterricht erinnert habe.⁷⁹ Wie schon am volkssprachlichen Susannadrama deutlich wurde, hatte Birck also auch bei der lateinischen Übersetzung ein besonderes Interesse an dem Gerichtsprozess. Nach Paul F. Casey bestand für Birck ein Grund zur Übersetzung des Stückes ins Lateinische darin, dass biblische Schauspiele in Augsburg nicht angemessen gewesen wären, da die Stadt einer Theaterkultur entbehrte, wie sie in den eidgenössischen Städten zu finden war. In Augsburg habe es dagegen neben den mittelalterlichen Passionsspielen lediglich einige ‚humanistische Experimente‘ mit Dramen gegeben. Das lateinische Stück findet Erwähnung in einem Brief des Schaffhausener Schülers Daniel Ehinger an seinen Taufpaten, den Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer, vom 9. Februar 1539. Der Schüler berichtet darin von seinen Studien an der Schaffhausener Lateinschule unter dem Lehrer Hans Fehr, der die Schule von 1530 bis 1541 leitete. Ehinger schreibt, Fehr habe mit ihnen das Neue Testament auf Griechisch und Latein durchgenommen, die Grammatik des Glarean sowie Terenz und Vergil. Nun aber nähmen sie statt Terenz die comoedia tragica von Susanna durch: „Sed nunc pro Terentio legit comœdiam tragicam de Susanna, et quando
Ders.: Susanna Comoedia Tragica. Per Xystum Betuleium Augustanum. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. . Ders.: Susanna Comoedia Tragica. Per Xystum Betulium Augustanum. Additum est in fine carmen […] Iohannis Stigelij piae et foelicis memoriae de ordinatione Magistratus. Wittenberg: Peter Seitz d. J. . Ders.: Susanna Comoedia Tragica. Per Xystum Betuleium Augustanum. Köln: Johann I. Gymnich [Nachdruck ]. „En temeritas meae foeturam, ex qua velut ex ungibus leonem aestimabis, scilicet quantum per sesquiannum iureconsultum feceris! ‚Quod dedi, datum nollem.‘ Habes praeterea non quidem δίδαχτρον, sed quoddam tamen gratitudinis indicium, quod cum scirem à studiis tuis abhorrere minime et tua bibliotheca non indignum, malui à me quam aliunde tibi primum advolaret. […] Est praeterea, quod praecibus abs te contendo. Unus aut alter in Susanna locus manula signatus est; quos ut memini saepius pro cathedra abs te citatos, ita, ex quibus autoribus vel autorum locis, non bene recordor. Rem gratissimam feceris, si meam negligentiam tua liberali promptitudine sarciveris et uno aut altero verbo allegations signaveris“, Amerbach, Amerbachkorrespondenz, Bd. (), S. f. (Nr. ), hier S. .
138
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
finivit, iterum incipiet Terentium et Vergilium.“⁸⁰ Johannes Fehr aus Stauffen im Allgäu immatrikulierte sich 1523 – im selben Jahr wie Sixt Birck – an der Universität Basel. Es ist daher gut möglich, dass sich beide persönlich kannten und dass Fehr den Druck des lateinischen Susannadramas in Augsburg 1537 oder den Zürcher Neudruck von 1538 auch aufgrund eines solchen Kontaktes zur Kenntnis nahm.⁸¹ Andere Quellen bezeugen, dass Hans Fehr mit der Lektüre und der Aufführung von Dramen den Zorn des Schaffhausener Rates auf sich zog, der solches Tun missbilligte. Als Fehr 1541 ohne die Erlaubnis des Rates ein lateinisches Spiel von der Erweckung des Lazarus zur Aufführung vor der Synode vorbereitete, wurde er aus dem Schuldienst entlassen.⁸² Daran konnten auch Fehrs Bittschriften nichts mehr ändern, in denen er das Aufführen von Theaterstücken in der Schule als Übung für die Schüler verteidigte, die auf diese Art ihre Lateinkenntnisse und ihre Redegewandtheit verbessern sollten.⁸³ Wie auch in Basel rückten die Ehe und ihre Kontrolle durch die Obrigkeit mit der Reformation in Augsburg ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, auch wenn ein Ehegericht dort erst 1537 eingerichtet wurde.⁸⁴ Die Ehe stand im Mittelpunkt der wirtschaftlichen, moralischen und sozialen Ordnung, die die Anhänger der Reformation in Augsburg anstrebten.⁸⁵ Lyndal Roper hat herausgearbeitet, warum die Forderungen der Reformatoren nach einer Sakralisierung der Ehe gegenüber allen anderen Lebensformen in der Stadt am Lech den entscheidenden Impuls zur Einführung der Reformation gab: In Augsburg teilten sich die Patrizier und die Zünfte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die weltliche Macht.⁸⁶ Schon lange vor der Reformation war das Leben in einer Ehe fest in der
Ambrosius Blaurer/Thomas Blaurer: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer – , bearb. v. Traugott Schieß, hg. von der Badischen Historischen Kommission, Bd. : August –Ende . Freiburg i. Br. , S. . Vgl. Jakob Wipf: Ein Schulmeisterschicksal aus der Reformationszeit. Hans Fehr, lateinischer Schulmeister in Schaffhausen – . In: Zwingliana IV/ (), S. – , hier S. . Vgl. ebd. S. . „Dann was ist höhers und loblichers an denen, die rheden sollen in beiden geistlichen und weltlichen sachen, den ein gut usssprechen, wie Quintilianus meldt. Darum, L.H., lass einer das och etwas sein, so ein khnab von jaren ungevarlich,vorab mit einer frömbden, als Lateinischen, zungen lernt, verstandt und zu gedechtnus vasst dry oder vierhundert verß und dieselben mit verstand, bi eim wörtli, wie es in der schrift verfasst, kann und darf usswendig rheden, ane alles entzitzen ab mengklichem“, zit. nach ebd., S. f. Vgl. Lyndal Roper: The Holy Household.Women and Morals, in Reformation Augsburg. Oxford , S. . Ebd., S. : „The moralism of reformed Augsburg places marriage at the heart of economic, moral, and social ordering it wished to establish.“ Vgl. ebd., S. : „In Augsburg, politics was played out within a careful equilibrium of patrician and guild power. With their seventeen guilds, each sending twelve representatives to the Great
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
139
Werteordnung der Zünfte verankert.⁸⁷ Ein Zunftmeister führte in der Regel gemeinsam mit seiner Frau einen Haushalt, in dem Wohnort und Werkstatt an einem Ort zusammenkamen. Nur vor diesem Hintergrund ist ersichtlich, warum die Zünfte so empfänglich für die Forderungen der Reformatoren nach einer Begünstigung der Ehe vor allen anderen Lebensentwürfen war: Sie entsprach längst nicht nur ihrem Ideal, sondern sie war gelebte Praxis, die mit der Reformation zur einzig ‚richtigen‘ Lebensform ausgerufen wurde. Evangelische Moralvorstellungen und die Ideale der Zünfte verschmolzen somit in Augsburg zu einer mächtigen Allianz, deren Inbegriff der protestantische, verheiratete Haushalt war.⁸⁸ Die Tatsache, dass sich die Ehe als maßgebliche Lebensform durchsetzte, ist nicht allein darauf zurückzuführen, dass die Obrigkeit diese Politik durchsetzte, indem sie Dissidenten wie Ehebrecher, Prostituierte und Lasterhafte im Allgemeinen nach der Einführung der Augsburger Zuchtordnung 1537 rigoros verfolgte und bestrafte. Die Ehe als angesehenste Lebensform setzte sich nicht zuletzt auch deshalb durch, weil sie beiden Partnern eine erhebliche Verbesserung ihrer Stellung in der Gesellschaft brachte. Die Eheschließung markierte eine soziale Abgrenzung im Hinblick auf gesellschaftlichen Status und Funktion und brachte wirtschaftliche Vorteile für die Ehepartner mit sich.⁸⁹ Das galt für Männer gleichermaßen wie für Frauen. Der Meister eines Handwerkbetriebs musste verheiratet sein, um das Image seiner Produkte aufzuwerten.⁹⁰ Ein unverheirateter Meister war ein Widerspruch in sich, da seine Führungskompetenzen und männliche Reife in Zweifel gezogen wurden.⁹¹ Nur ein arrivierter, verheirateter Meister hatte bei der Wahl seines Zunftvertreters ein Stimmrecht oder durfte städtische Amtsträger mitbestimmen.⁹² Die Ehefrau des Handwerksmeisters bürgte somit für dessen Reife und Männlichkeit. Mit seinem Betrieb verkörperte ein verheirateter Meister somit finanzielle Unabhängigkeit, öffentliches Ansehen, sexuelle Reife und politisches Wahlrecht in einer Person.⁹³ Selbstverständlich brachte die Ehe nicht nur den Männern einen höheren Status in der Gesellschaft und wirtschaftliche Vorteile ein. Auch wenn es für unverheiratete Frauen Möglichkeiten gab, Handel zu treiben, war der Rahmen hier Council, the guilds had a clear majority over the patricians in the widest assembly. This majority was whittled down in the Small Council which held more actual power, for there one or two representatives from each guild (the guild masters) were balanced against eight patricians.“ Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd.
140
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
sehr begrenzt. Für Frauen brachte die Heirat materielle Absicherung und ein komfortableres Auskommen, als dies für unverheiratete erreichbar war. Die Ehefrau war im Haushalt mit angeschlossener Werkstatt zuständig für die Mahlzeiten, die Betten, Licht, Wärme, Wasser und alle anderen Bedürfnisse, die in Haushalt und Werkstatt anfielen.⁹⁴ Die Abhängigkeit in einer Ehe, die beiden Partnern erhebliche materielle und soziale Vorteile einbrachte, basierte damit auf Gegenseitigkeit. Die Ehe war in einer reformierten Stadt die wichtigste Möglichkeit, um innerhalb der Gesellschaft aufzusteigen.⁹⁵ In einer mehrkonfessionellen Stadt wie Augsburg kam noch ein weiterer Aspekt hinzu, weshalb dem Ideal eines ‚göttlichen Haushalts‘, der von einem verheirateten Paar geführt wurde, bei der Einführung der Reformation eine solch zentrale Bedeutung zukam: Bei allem Dissens, der zwischen Reformierten und Lutheranern in Augsburg bestand, von radikaleren Strömungen wie etwa den Täufern ganz abgesehen, war das geordnete Leben im Stand der Ehe ein Ideal, auf das man sich einigen konnte. Die Bevorzugung der Ehe gegenüber anderen Lebensformen ohne Trauschein diente somit auch der Herstellung von Konsens und Frieden innerhalb der Stadt.⁹⁶ Die Ehe spielte somit im öffentlichen Diskurs eine gleichermaßen große Rolle wie in Basel, ihre Kontrolle wurde spätestens 1537 von der Kirche auf die weltliche Obrigkeit übertragen,⁹⁷ dem Jahr, in dem auch Bircks lateinisches Susannadrama in der Stadt gedruckt wurde. Das Ehegericht, das schon 1546 wieder ausgesetzt wurde, verstand sich weniger als Autorität mit disziplinierendem Auftrag, denn als Zivilgericht, das die kirchliche Autorität in Zeiten des Machtvakuums nach der Reformation ersetzte.⁹⁸ Es beschäftigte sich vor allem mit Scheidungsgesuchen, Unterhaltszahlungen für uneheliche Kinder und nicht eingelösten Eheversprechen.⁹⁹ Dem kleinen Rat der Stadt diente diese Institution dazu, ein protestantisches Verständnis von Ehe zu fördern und durchzusetzen und wirkte damit auch weit über die Schließung des Ehegerichts neun Jahre nach seiner Eröffnung hinaus.¹⁰⁰ Inwiefern diese Institution in der lateinischen Dramenübersetzung Sixt Bircks reflektiert wird, soll das folgende Kapitel zeigen.
Vgl. ebd. Ebd, S. : „[Marriage] was also the most important route for social advancement. […] Those who married had clear material advantages over those who did not.“ Vgl. ebd., S. : „Even a religiously fractured citizenry could unite around that powerful vision of an ordered, godly household.“ Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd.
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
141
4.2.1 Rahmentexte I In Anbetracht der Fragestellung dieser Arbeit besteht die wichtigste Änderung des lateinischen Susannadramas gegenüber dem volkssprachlichen Baseler Stück darin, dass das Gemeinwesen hier keine reine Republik mehr ist, sondern den König Nebucadnezer als obersten Regenten hat, dessen Hofstaat ebenso wie das Gericht trotzdem nach republikanischen Mehrheitsprinzipien funktioniert. Das Drama ist nach dem Vorbild der klassischen Antike in fünf Akte mit unterschiedlich vielen Szenen eingeteilt. Jeder Akt endet mit einem Chorgesang, der Adaption eines Psalms, teilweise sind auch die Choreuten im Drama angegeben. Im Gegensatz zum volkssprachlichen Drama sind hier auch mehrere Paratexte überliefert: eine Prosawidmung an den ‚hochberühmten Senat von Augsburg‘, ein Lobgesang „Pueri in Laudem Patriae“, ein Figurenverzeichnis, ein „Prologus“ und ein „Argumentum“ sowie ein „Epilogus“. Die Menge der Paratexte, die nicht auf der Bühne vorgetragen wurden, legt nahe, dass das Spiel von Anfang an für eine Drucklegung vorgesehen war. Über die ausführliche Widmungsvorrede in Prosa an den Rat der Stadt Augsburg gibt es eine Zusammenfassung von Ernst Messerschmid: Eine breit angelegte ‚Epistola dedicatoria‘ von über neun seiten gibt dem ‚Senatui clarissimo Augustano‘ darüber Aufschluss wie Betulius die Komödie in den Dienst der Jugend und damit auch der Allgemeinheit stellen will. Die Hauptgedanken sind etwa folgende: Nach Aristoteles sei es die vornehmste Pflicht der Gesetzgeber über der Erziehung der Jugend zu wachen. Schwerwiegende Gründe liessen eine richtige Erziehung gleich von Jugend an als gebieterische Notwendigkeit erscheinen. Eine richtige Erziehung verlange er und zugleich eine öffentliche, weil das Wohl des Staates alle angehe. Denn jeder sei nicht nur im Mannesalter, sondern auch in seiner Jugend ein Glied des Staates. Wie nun jeder einzelne Vater für seine Kinder zu sorgen habe, so müsse es auch das Gemeinwesen, die grosse Familie des Staates, es sich angelegen sein lassen, dass die ganze Bürgerschaft nicht in ihren jungen Trieben Schaden erleide. Immer wieder werde der Staat darauf sehen müssen, dass die zarten Keime sich zur herrlichen Blüte entfalten und zu ihrer Zeit reiche Früchte tragen.¹⁰¹
Sixt Birck bezieht sich in diesem Abschnitt der Widmungsvorrede auf das achte Buch der „Politik“, in dem Aristoteles ausführt, die Erziehung und Bildung der Jugend sei Sache des Staates und nicht der privaten Interessen der Bürger. Da der Staat nur einen Zweck habe, müsse er die Jugend auch darauf vorbereiten und ihnen Tugend und die beste Lebensführung angedeihen lassen.¹⁰² Im Folgenden transferiert Birck das Bildungsideal des Aristoteles in seine Gegenwart und er-
Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. . Vgl.: Aristoteles: Politik. Übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes. Mit einer Einleitung von Günther Bien. Hamburg , S. f.
142
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
kennt den einen Sinn des Staates in der Verbreitung des Evangeliums als Norm für alle Bereiche des Lebens. Nun, die Lenker der Geschicke seiner geliebten Vaterstadt hätten die Zeichen der Zeit verstanden und diese pädagogisch-politische Aufgabe richtig erfasst, nicht vielleicht deshalb, weil es der Philosoph so gesagt habe, sondern weil sie gesehen hätten, dass es zum allgemeinen Nutzen ausschlage, auf göttlichen Antrieb hin und zugleich auf Grund der Klugheit, die ihnen zuströme aus der Kenntnis des Evangeliums.¹⁰³
Mit Blick auf die vorreformatorische Zeit kritisiert Birck die Art, wie die Kleriker vormals die Erziehung der Jugend betrieben hätten, da der gebildeten Jugend der Weg in den Staatsdienst verstellt worden sei, was schlimme Konsequenzen für das Gemeinwesen gehabt habe: Da hätten die Pfaffen mit schlauen Worten die Patricier betört, es sei für das Staatsleben nicht gut, wenn die jungen Leute wissenschaftliche Studien betrieben, ausser sie wollten Kleriker werden. Denn man fürchtete, es könnten einst Gebildete zu Ratsherren gewählt werden. Und wirklich habe man es durch geschickte Manöver dahin gebracht, dass dem Gebildeten der Weg zu allen anderen Stellungen ausser zur Priesterwürde versperrt blieb. So konnte der Klerus auf seinen fetten Pfründen sitzen unter dem Deckmantel der Religion ein behagliches und angesehenes Leben führen und die Welt beherrschen. Das haben sie alle weidlich ausgenützt. Aber nachdem jetzt die Finsternis der Unkenntnis durch den Glanz der reinen göttlichen Lehre verjagt und ihr Trug aufgedeckt wäre, was müssten alle anders tun als nach dem Wunsch des Allerhöchsten die Regierung zu führen? Jedes Gemeinwesen blühe in dem Masse, als seine Regierung sich mit Weisheit und dem kostbaren Gut der Wissenschaft erfülle. Früher habe der Gelehrtenstand wegen des damit verbundenen Geruches der Trägheit als verrufen gegolten und wenn ein begabter Sohn einer reichen Familie sich zum Studium habe verleiten lassen, so sei er schon für mehr als „frugi“ [= rechtschaffen] angesehen worden. Das sei die blinde Meinung der Welt gewesen, die sich lange Zeit auf eine verfälschte Religion stützen konnte; selbstverständlich sei die Religion göttlichen Ursprungs, aber entartet sei sie im Laufe der Jahrhunderte und die Priesterlandschaft des Mittelalters habe auf pfiffige Weise für die entsprechende έμφυτέωσιν […] Kollegien und Schulen, aus denen wie aus einer Baumpflanzung eine üppige Saat von Klerikern erwachsen sei. Durch die Aussicht auf ein bequemes, genussreiches Leben hätten sie die wandelbare Jugend und noch mehr die Eltern angelockt; wie wenige seien aus dieser Unzahl zum Dienste in Staat und Kirche geeignet und berufen gewesen. Dieses ganze System höre sich jetzt auf, seitdem das wahre Wort Gottes gelte. Den Schulen, welche wie die Augsburger zum Schutze der evangelischen Wahrheit gegründet seien, obliege eine schwere Aufgabe, der sie, wie er zu befürchten allen Anlass habe nicht ganz gerecht werden könnten. Die Gründe lägen auf der Hand. Es sei die Schwierigkeit des Lehrberufes und die Schwierigkeiten hätten sich gegen früher nicht gemindert. Wer denn wolle seine Söhne Lehrer werden lassen, sie der Tretmühle des beschwerlichen Schulbetriebes überantworten? Er wolle hier vom Berufe des Predigers schweigen und nur von seinem eigenen sprechen, der mindestens ebenso wichtig sei, wie der des Juristen und Mediziners. Eines freilich hätten die Lehrer voraus, sie
Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. f.
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
143
hätten keine grosse Konkurrenz, nur allgemeines Mitleid und Bedauern. Das müsse anders werden. Sein Vorschlag gehe dahin, wie es auch der Heide Nabuchodonosor getan habe, für geeigneten Ersatz und Nachwuchs dafür zu sorgen, dass man begabte Jünglinge auf Staatskosten ausbilden lasse. In ähnlicher Weise sei Pharao aus Aegypten und Potiphar verfahren, der den Josephus unterrichten liess zum Vorteil des ganzen Landes. Doch er wolle nicht fremde Beispiele häufen gegenüber einem Rate, der – er dürfe es getrost aussprechen ohne in den Verdacht niederer Schmeichelei zu geraten – es mit seinen Pflichten der Schule gegenüber so ernst nehme wie kaum einer sonst. Und diejenigen, die sonst für Kirche und Klerus so verschwenderisch hergaben, sollten jetzt auch für einen so guten Zweck wie es die Schule und Bildung sei, ihren Teil bereit halten. Ja Birk fordert in diesem Zusammenhang aus den katholischen Kirchengütern den Schulfonds zu stärken. Freilich halte es schwer von diesen Schätzen etwas abzubekommen. Aber für sich selbst zu sorgen sei erste Pflicht und wenigstens von den Anhängern der wahren Kirche solle jeder nach Kräften, aus Liebe zum christlichen Gemeinwesen spenden ohne viel nach Belohnung zu fragen, die doch den Katholiken immer in so reichem Masse in Aussicht gestellt werde. Diese Angelegenheit gehe jeden und gehe alle an. Die heran wachsende Jugend müsse man zu der Ueberzeugung erziehen, dass jeder für den andern und für die grosse Familie des Staates zu wirken und zu leben habe. Damit werde die Forderung des grossen Aristoteles erfüllt, der sich so sehr um den Nachwuchs gesorgt habe, dass er auch Spiel und Scherz, eine Auswahl von geeigneten Stücken und Fabeln verlangte, wenn einmal der Geist sich vom ernsten Studium erholen wolle.¹⁰⁴
In der lateinischen Prosavorrede seines Susannadramas entfaltet der Schulmeister eine disciplina publica, um Schüler durch gute Erziehung auf eine Laufbahn im Staatsdienst vorzubereiten. Es ist möglich, dass sich Birck hier bewusst Philipp Melanchthon anschloss, der in der kursächsischen Schulordnung von 1528 betont hatte, dass „man nicht allein zu der kirchen, sondern auch zu dem weltlichen regiment, das Gott auch wil haben“¹⁰⁵ gut ausgebildete Männer brauche. Birck beruft sich zu Beginn auf Aristoteles und das achte Buch seiner „Politik“.Wie auch Aristoteles fordert Birck, dass die Jugend von frühester Kindheit an die Respublica herangeführt werden sollte. Was die konkrete Ausgestaltung einer disciplina publica anbelangt, so fordert Birck die gleiche Erziehung für Staatsdiener und Geistliche. Er wettert gegen die Bischöfe und andere Kirchenvorsteher früherer Zeitalter, die mit allerlei Listen zu verhindern gewusst hätten, dass die Schriftgelehrten auch in die Reihen des Senats gewählt würden. Das Studium der Schriften sollte nach Ansicht der Bischöfe zu keinem anderen Beruf führen können als zu den Weihen des Priesteramtes. Nun, da die Betrügereien der Bischöfe entdeckt seien, könnten auch die gebildeten Männer des Senats jene
Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. – . Reinhold Vormbaum (Hg.): Die evangelischen Schulordnungen des sechszehnten Jahrhunderts (= Evangelische Schulordnungen ). Gütersloh , S. .
144
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Staatsgeschäfte verwalten, die ihnen durch Gottes Willen zugeteilt seien. Messerschmidt fasst den Epilog folgendermaßen zusammen: Um den jungen Leuten Geschmack am Rechtsstudium beizubringen, habe er [Birck], soweit es die Vorlage des hebräischen Stückes zulasse, allgemeine Rechtssätze an geeigneten Stellen eingestreut. Nur der Streitsüchtige und ewige Nörgler werde diesen Bemühungen die innere Berechtigung absprechen können. Sein Streben sei daraufgerichtet auch im Spiel seinem Berufe treu zu bleiben. In diesem Sinne wolle der Rat der Stadt sein Stück in Gnaden annehmen.¹⁰⁶
Darauf folgt ein Gesang der Knaben „in laudem patriae“ (S. 177), zum Lob der ‚berühmten Stadt Augsburg‘ des ‚Germani imperii‘. Ihr zu Ehren werde dieses heilige Stück („sacra“, V. 4) aufgeführt. Gott habe das Widrige – gemeint ist wohl die Lehre der Alten Kirche – aus ihr entfernt und begehre nun, dass der allmächtige König über alles herrsche (V. 5 – 8). Es folgt der Aufruf an die Stadtoberen, die Bitten der Jugend zu erhören (V. 13 – 16). Im Prologus (S. 179) begründet Birck seine Wahl biblischer Stoffe anstelle der Komödien des Terenz und Plautus. Zwar bringt er seine Bewunderung für Terenz, den ‚überaus humoristischen Dichter‘ zum Ausdruck, doch schildert Birck auch, was mit einem sehr zarten Knaben geschehe, der Christus ergeben ist, aber nicht von der zarten Milch der keuschen Jungfrau gestillt wurde (V. 6 – 11). Er wird grollen („Ringitur“, V. 10), er schlägt um sich („Se prodit ictus“, V. 11). Es sei die Schroffheit des Terenz, die Birck dazu veranlasst habe, die heiligen Dinge statt der Fabeln des antiken Komödiendichters aufzuführen (V. 13 – 15). Er zählt einige Beispiele für die Schroffheiten auf, die dem ‚zarten Knaben‘ bei Terenz und Plautus nicht gefallen würden: der im Luxus zugrunde gehende Aeschinus (einer der beiden Brüder aus den Adelphen), ein kleines Mädchen, das an Schmerzen leidet und ein schmeichelhaft lächelnder Acolastus (V. 11– 27). Im Prolog wird gefragt, ob die Herrschaft Christi ewig sei; der Kreuzestod Jesu wird als die grausamste Strafe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet – nicht einmal Sophokles habe ein schlimmeres ersonnen und auch die Skythen hätten kein schlimmeres Verbrechen begangen. Allerdings könnten sich auch die Schändlichkeiten des Alten Testaments durchaus an den Komödien des Terenz messen, der sich keine schamlosere Dirne hätte ausdenken können, als etwa Sephirach, die Frau des Potiphar, eine war. Was nun folge, sei aber eine heilige Komödie („En, habes sacram Comoediam“, V. 41 f.). Im Argumentum wird wie üblich die Handlung in wenigen Worten zusammengefasst. Wichtig ist der Aufruf am Schluss: „Tu planius populo dicas Ger-
Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
145
manice“ (‚Du, Germane, mögest dem Volk deutlicher Recht sprechen‘, V. 55). Hier wird deutlich, wen Birck mit dem Drama erreichen wollte, und was er vermitteln wollte: Die (amtierenden und zukünftigen) Richter des Kaiserreichs sollen aus dem Stück lernen, gerecht zu richten.
4.2.2 Binnentext Actus primus Der erste Akt findet im Garten des Hauses Ioakims statt und stellt in fünf Szenen die Verschwörung der beiden Alten gegen Susanna, den gescheiterten Überfall auf die Schöne und das Herbeieilen der Hausbediensteten dar. Im Vergleich zur ersten Szene des volkssprachlichen Susannadramas ist der erste Akt mit mehr Details und Zusätzen versehen, die in der Apokryphe nicht vorkommen. Der Überfall auf Susanna wird genauer geplant und auch ausführlicher motiviert als im volkssprachlichen Stück und die Figuren erhalten ein schärferes individuelles Profil. Bemerkenswert ist ein Unterschied im Glauben der Protagonisten:Während Achab und Sedechias ausschließlich die antiken Götter zu kennen scheinen, die sie i. d. R. bei ihren römischen Namen nennen, preisen Susanna und ihre Mägde den Ruhm des einen Gottes, der sich für sie im Erscheinungsbild der Natur manifestiert. Die erste Szene besteht in einem Monolog des Presbyters Sedechias, worin der unglücklich Verliebte seine körperlichen Liebesqualen in bildreicher Rede schildert: Das blinde Feuer lodere in seiner Brust und werde ihn noch verbrennen,¹⁰⁷ es brenne aus seinen Augen hervor und der ungewisse Schmerz werfe seine Glieder hin und her.¹⁰⁸ Er beklagt, dass allein die Frau, die er begehrt, sein Leiden lindern könne¹⁰⁹ und wundert sich, wie ihn alten Mann ein solches Los ereilen könne, wo er doch nicht gezwungen worden sei, den Himmel und die Sternbilder zu betrachten.¹¹⁰ In einer impliziten Regieanweisung teilt Sedechias mit, seinen Kollegen Achab auf der Bühne zu erblicken und geht auf ihn zu.¹¹¹ In der zweiten Szene begegnen sich die im Garten umherwandelnden Alten.¹¹² Achab stellt Sedechias in freundschaftlicher Verbundenheit zur Rede, was der
„caecus ignis ardet imo pectore, | Miserum me amor vaesanus urit.“, SusL, S. – , V. f. „Erumpit oculis ignis“, SusL, V. ; „Artusque varie iactat incertus dolor“, V. . „Nisi haec mulier medebitur mihi, | Spes nulla tantum posse leniri malum, | Finisque flammis nullus insanis erit“, SusL, V. – . „Miror magis quomodo hoc seni fiat mihi, | Non ausus sum coelum intueri, et sydera“,V. f. „Sed videon’ collegam? At ipsus est. Eo“, V. . Achab: „Quis est, solum procul quem conspicor | Deambulantem in horto?“, SusL, V. f.
146
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Grund für seine häufigen Spaziergänge im Garten sei und welche Seufzer ihn plagten.¹¹³ Nach einigem Zögern gibt Sedechias sein Geheimnis preis, Cupidos Amtsdiener habe veranlasst, dass er die heimliche Liebe in seiner Brust trage, durch die er nun unglücklich hin und her schwanke.¹¹⁴ Daraufhin gesteht Achab, von der gleichen Raserei befallen zu sein, die ihm Tag und Nacht keine Ruhe mehr lasse.¹¹⁵ Unter dem Siegel der Verschwiegenheit offenbart nun Achab auf Drängen Sedechias’ als Erster, auf wen seine Begierde abzielt – auf die Frau des Ioakim, bei dem sich regelmäßig das ‚Forum‘ versammele,¹¹⁶ die selbst Venus und Cynthia, ein Beiname der Artemis, „die Schönste“ und Göttin der Jagd, die von einer Schar Nymphen umgeben wird,¹¹⁷ noch an Schönheit übertreffe.¹¹⁸ Sedechias stimmt Achab zu, niemals zuvor einen solchen Anblick wahrgenommen zu haben.¹¹⁹ Er wird nun zur treibenden Kraft mit seinem Vorschlag, eine passende Gelegenheit zu finden, bei der sie sich beide ihrer Begierde hingeben könnten.¹²⁰ Da beide bereits bemerkt haben, dass Susanna häufig im Garten ein Bad nehme und dafür ihre beiden Mägde wegschicke, schmiedet Sedechias den Plan, ihr bei dieser Gelegenheit aufzulauern. Die Option der Gewaltanwendung gegen Susanna ist von vornherein ein Bestandteil des Plans: „erumpere | Conemur, atque hanc obruamus territam, | Nil tale suspicantem, et anxiam nimis | Adoriamur, omnibus modis eam | Tentabimus, preces minis miscebimus“ (V. 162– 165).¹²¹ Achab billigt das geplante Vorgehen und zeigt sich zuversichtlich, Venus, die römische Göttin der Liebe und
Achab: „Per dextram amice obtestor, et fidem tuam, | Habeas ne clam me, quod tuum diu tenet | Animum anxium? solumque te hic quod conspicor | Iam saepius modo huc, modo illuc lumina | Suspiriis volventem?“, SusL, V. – . Sedechias: „Cupidinis face | Accensus, et furtivum amorem in pectore | Meditor, ferorque, adeoque fluctuo omnium | Miserrimus“, SusL, V. – . Achab: „Oestro eodem percitus miser | Nunquàm quiesco, sed furore perpetim | Noctes diesque carpor, Is per ossa abit, | Augetque morbum“, SusL, V. – . Sedechias: Dicísne Ioakim, quò confluit forum?“, SusL, V. . Vgl. Art. „Artemis“. In: Michael Grant/John Hazel: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. Aus dem Englischen von Holger Fließbach. Berlin , S. – , hier S. . Achab: „Sed [Ioakim] est foelicior nunc omnibus, | Qui coniugem domi suae pulcherrimam | Habet. Nec est prior Venus, nec Cynthia | Formosior formosa“, SusL, V. – . Sedechias: „Credo, tibique mi | Achab ego consentio: nunquàm meis | Oculis imago talis obversata. Ego | In ea ardeo“, SusL, V. – . Sedechias: „Quid? omnium | Primum, ut libidini satisfiat, neque | Quicquàm nobis sit omnium rerum prius“, SusL,V. – ; Sedechias: „Tempus est, et apta occasio | Oblata, qua fieri id potest quàm maxime“, SusL, V. f. „nachdem sie ihren Mägden befohlen haben wird, gemäß der Sitte zu gehen, versuchen wir, aus dem Hinterhalt hervorzustürzen und wir drücken diese hier zur Erde nieder. Wir werden die Argwöhnende und Ängstliche solchermaßen allzu sehr angreifen, wir werden sie mit allen Mitteln erproben, mit drohenden Bitten werden wir sie verwirren“ [Übersetzung: JP].
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
147
des erotischen Verlangens, begünstige den Plan.¹²² Die Figurenrede Sedechias’ enthält die implizite Regieanweisung, Susanna schreite nun einher, umringt von einer Schar Nymphen.¹²³ Die dritte Szene stellt zunächst Susannas Ankunft im Garten mit ihren beiden Mägden dar. Das Thema ihrer Figurenrede ist die Herrlichkeit des einen Gottes, die sich in der Natur offenbare, wie Susanna bereits in ihrer Rede verkündet: „Mirabilis Dei bonitas, puellulae, | In omnibus rebus lucet“¹²⁴ (V. 168 f.). Die Magd Promptula stellt die Allmacht Gottes in Gegensatz zu der Bels oder eines anderen ‚Abgottes‘: „Sanctum Deum populi Israël, qui condidit | Polum, mare, atque terrae molem maximam. | Non Bel queat, non ullum Idolum gentium“ (V. 171– 173). Gleichzeitig steht der monotheistische Gott Israels damit aber auch im Gegensatz zu den paganen Göttern der römischen Antike, die von Sedechias und Achab so häufig genannt werden. Susanna lobt daraufhin König David, der mit seinen Psalmen, den späteren Chorgesängen des Stücks, die Vortrefflichkeit Gottes besungen habe.¹²⁵ Die Herrlichkeit Gottes manifestiere sich in der Dynamik der Natur, so Susanna und ihre Magd Promptula, etwa in der umherschweifenden Sonne („sol vagus“, V. 182) und im Wechsel der Jahreszeiten, wenn die Westwinde die Schneemassen in die Flucht schlagen, der Sommer den Frühling ablöse und nach dem obstreichen Herbst die Winterkälte zurückkehre.¹²⁶ Auch Promptula spricht von Phoebus als jenem, der krumme Bögen („curva cornua“,V. 184) in den Himmel eingefügt habe, sodass der Himmelskreis nun die ganzen Nächte hindurch leuchte.¹²⁷ Die Passage soll zeigen, dass sich ‚rechter‘ christlicher Glaube und die Anerkennung der antiken Gottheiten nicht ausschließen müssen, obwohl der monotheistische Gott klar übergeordnet ist. Angesichts der angebrochenen Mittagshitze erteilt Susanna ihren Mägden Anweisungen, ihr Öle und Salben zum Baden aus dem Haus zu holen und die Türen fest zu verriegeln, um falschen Anschuldigungen vorzubeugen, wenn jemand Zeuge davon werde, Susanna unverhüllt zu sehen, und ihr damit Schaden
„Suades bene. Venus secundet omnia“ (SusL, V. ). „Incedit, en stipata nympharum agmine“ (SusL, V. ). Susanna: „Die Vortrefflichkeit des wunderbaren Gottes, zarte Mädchen, leuchtet in allen Dingen.“ Susanna: „Bene admodum Psaltes David res Israël | Psalmis sacris cecinit Dei praestantiam“ (SusL, V. f.). Promptula: „Fugiunt nives zephyro fugante frigora, | Ver Aestas proterit, campisque gramina | Virent, opesque large Autumnus pomifer | Effundit. Inde Bruma iners revertitur“, SusL, V. – . Promptula: „Phoebe facit nunc coelo curva cornua, | Nunc orbe pleno lucet totis noctibus“, V. f.
148
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
verursache.¹²⁸ Wie an dieser Stelle, finden sich im lateinischen Drama häufiger Andeutungen auf den weiteren Verlauf der Handlung. Vorbildlich treiben sich die beiden Mägde gegenseitig an, die Wünsche der Herrin noch schneller und gewissenhafter auszuführen. Aus ihrem Versteck heraus beobachten die beiden Alten, wie Susanna ihre Kleider ablegt: „En crura nudat vinculis“ (V. 215). Die Teichoskopie in ihrer Figurenrede ist ein Hinweis darauf, dass dieser Teil der Handlung nicht auf der Bühne zu sehen war, sondern den Zuschauern des Schauspiels nur in der Figurenrede Achabs vermittelt wurde. Als die beiden Mägde verschwunden sind, beginnen die beiden Alten, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Birck nutzte diesen Teil der Handlung für einen humoristischen Einschub, wenn sich die beiden senes gegenseitig zur Eile antreiben, was offensichtlich misslingt: Sedechias: Quid nunc moramur? approperemus ocyus. Quid, odium, cessas gradu testudinis? Quin te moves? Achab: Moveo. Sedechias: Tamen nil promoves. Achab: Studio gradum celero senili maxime. (Sedechias: Was zögern wir nun? Lass uns flink hinzueilen.Was Widerwille, du zögerst im Schritt einer Schildkröte.Warum bewegst du dich nicht? Achab: Ich bewege mich. Sedechias: Dennoch bewegst du dich nicht vorwärts. Achab: Ich bemühe mich, ich eile im Schritt des besten Gealterten.) [Übersetzung: JP]
Ein solcher komischer Einschub, der offensichtlich der Belustigung des Publikums dienen sollte, stellt nach Hellmut Thomke ein Relikt des reformatorischen Fastnachtspiels dar, dem chronologischen Vorgänger des reformatorischen Bibeldramas zumindest auf den schweizerischen Bühnen des 16. Jahrhunderts. Wie Thomke am Beispiel von Hans von Rütes Josephsdrama zeigt, verbannten die Autoren dieser Gattung das Lachen nicht vollkommen, stellten seinen Wert im Vergleich zu der Vermittlung einer bestimmten Lehre jedoch klar hinten an.¹²⁹ Dennoch zeigt die dezente Komik, dass auch die Bibeldramen nicht bloß unterweisen, sondern auch unterhalten sollten. Zugleich kommt Birck mit einem solchen Einschub der Forderung des Horaz nach prodesse et delectare bzw. ridende dicero verum sowie des von ihm selbst im Prologus desselben Dramas genannten Aristoteles nach¹³⁰, der „auch Spiel und Scherz, eine Auswahl von geeigneten
Susanna: „Abite, festinate, et ocyus mihi | Oleum fragrans, et smegma ferte, et insuper | Studiose quaeso pessulum ostio obdite, | Ne me obruat, posito meo velamine, | Testis calumniator, aut hic qui struat | Meo pudori vel dolum, aut technas malas“, SusL, V. – . Vgl. Thomke, Fastnachtspiel, S. f. SusL, S. , Z. – .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
149
Stücken und Fabeln verlangte, wenn sich der Geist einmal vom ernsten Studium erholen wolle.“¹³¹ Susanna ahnt das Schicksal, das ihr droht, kaum dass sie die beiden Alten erblickt, wie aus ihrer Figurenrede hervorgeht: „Perii, Procul dubio meus pudor male | Pericliatur. Heu mihi miserae. Deus“ (V. 221 f.).¹³² Nachdem sich Sedechias im Stillen Mut zugesprochen hat, den begonnenen Plan auch weiter auszuführen (V. 223 – 227), versuchen die beiden Männer, Susanna zu beruhigen und sie zu überzeugen, sich ihnen unentdeckt hinzugeben: „Secreta cum sit culpa, quis testis siet?“ (V. 2323).¹³³Achab beruft sich auf den ‚heiligen Amor‘ und fordert ihn auf, seinen Willen auszuführen („Morem gere | Amor sacer“, V. 234 f.), Susanna solle diesem auf die Art und Weise Christi gehorchen („si tu modo Christi cupis | Fieri parens“, V. 235 f.); und auch Sedechias lockt sie mit der Unschuld ihrer Begierde: „Opus facies pium“ (V. 239).¹³⁴ Susanna lässt sich von den Überredungsversuchen nicht beeindrucken. Standhaft beruft sie sich auf ihre Treue zu Gott, bezichtigt die beiden Alten der Schamlosigkeit und fordert sie auf, sich von ihrem keuschen Körper fern zu halten.¹³⁵ Da sie sich strikt weigert, auf die Verlockungen und Verheißungen der senes einzugehen, droht ihr Sedechias mit Gewalt: „Vim senties, ni sponte morem gesseris.“ (V. 248).¹³⁶ Angesichts ihrer Lage sieht Susanna den einzigen Ausweg in Gottes Beistand: „Miseram malum undiquaque me | Concludit, et nusquam salus comparet. heu, | Quò nunc, Deus, me vertam? Nanque solus es | Qui ferre opem miseris potes“ (V. 256 – 259).¹³⁷ Sie beschreibt ihr Dilemma, sich zwischen dem Leben und der Treue zu Gott und ihrem Ehemann entscheiden zu müssen, bevor sie die Unmöglichkeit eines gottgefälligen Lebens unter einer gottlosen Obrigkeit darlegt:
Messerschmid, Humanist, Kap. III, S. . Susanna: „Ich bin verloren, ohne Zweifel ist mein Ehrgefühl in schlimmer Gefahr. Ach weh, ich Arme, Gott!“ Susanna: „Wenn die Schuld geheim ist, wer mag der Zeuge sein?“ Sedechias: „Du wirst ein frommes Werk tun.“ Susanna: „Meus pudor, | Meaque fides manebit usque, dum Deus | Volet. meoque coniugi castissimo | Servabo, proin valete, abite perfidi, | Procul impudicos corpore à casto amove | Tactus“, (SusL, V. – ); „Ich schäme mich meiner, und meine Treue wird immerfort bestehen, solange Gott will. Ich werde meinem überaus gescheiten Ehemann gefällig sein, also lebt wohl, geht weg, ihr Treulosen, entfernt die Berührung weit vom Körper der Keuschen, ihr Schamlosen.“ Sedechias: „Du wirst die Kraft spüren, wenn du die Sitte nicht freiwillig ausführst.“ Susanna:„Und das Unheil schließt mich Arme von allen Seiten ein und nirgends erscheint Rettung. Ach weh, Gott, wohin wende ich mich nun? Denn du allein bist es, der du das Werk von dem armen Menschen wegtragen kannst. Mögest du es mir wegschaffen.“
150
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
„Quia | Quum praesides iniqui, et omni criminum | Genere implicat subditos suppresserint, | Non aequitas ibi valet, non castitas | Est tuta. sed leges silent, Ius languidum est“ (V. 268–272) („Denn wenn die Vorsteher ungerecht sind, werden alle, die in Verbrechen verwickelt sind, die Untergebenen unterdrückt haben. Keine Gerechtigkeit gilt dort, die Sittlichkeit ist nicht gesichert. Dafür schweigen die Gesetze, das Recht ist träge.“) [Übersetzung: JP]
Angesichts ihrer Lage entscheidet sie sich, der ‚verdorbenen Begierde‘ zu widerstehen und den Tod in Kauf zu nehmen im Vertrauen, Gott kenne ihr Innerstes und wisse um ihre Unschuld: Satius vero est libidini vestrae malae | Resistere, et subire nunc periculum | Vitae, necemque fortiter feram, modo | Sciat Deus, qui corda cuncta, et viscera | Rimatur, esse me extra noxiam.“ (V. 273 – 277) („Besser ist es wahrhaft, eurer verdorbenen List zu widerstehen und nun die Todesstrafe und den brutalen Mord auf die Schultern zu nehmen; auf diese Art wisse Gott, dem alle Herzen gehören und der das Innere erforscht, dass ich außerhalb der Schuld bin.“) [Übersetzung: JP]
Während Sedechias und Achab noch versuchen, Susanna mit dem Wohlwollen der Venus auf ihre Seite zu ziehen, hält diese am alttestamentlichen Gott als ihrem Zeugen, Richter, Beschützer und letztem Rächer fest¹³⁸ und beruft sich auf ihr ‚rechtes Gewissen‘.¹³⁹ Aus der Rede Sedechias geht hervor, dass Susanna daraufhin um Hilfe ruft, was Sedechias erfolglos zu unterbinden versucht: „Nil efficis | Clamore“ (‚Du bewirkst nichts mit dem Geschrei‘, V. 291 f.), gleichzeitig weist er seinen Mitverschwörer an, die Bürger zusammenzurufen, um das vermeintliche Verbrechen ans Licht zu bringen.¹⁴⁰ Der Aufruf Achabs an die Volksmenge (‚populares‘), herbeizutreten und sich die angeblich auf frischer Tat ertappte Ehebrecherin, die einst ein Vorbild der Sittlichkeit gewesen sei, aus der Nähe anzusehen, ähnelt der Passage im volkssprachlichen Stück (SD, V. 195 – 198).¹⁴¹ Alarmiert von dem Geschrei laufen die Sklaven und Mägde des Hauses im Garten zusammen. Der Sklave Herophilus schenkt den Anschuldigungen Sedechias keinen Glauben und nennt ihn einen Rechtsverdreher („Nugas agis | Calumniator“, V. 314 f.), Sedechias beruft sich jedoch auf Gott als Agitator dieses
Susanna: „Testis Deus | Et arbiter, Vindex, et ultor eripe“ (SusL, V. f.). Susanna: „Modo sim mihi bene atque recte conscia: | Modo tu scias secreta pectoris mei“ (SusL, V. f.). Sedechias: „Curre ad hostium, atque concita | Tumultum. Ego observabo eam, et custodiam. | Ut hoc scelus videat hic omnis Israel“ (SusL, V. – ). Achab: „Heus vos voco populares, heus accurrite“ (SusL, V. ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
151
Verbrechens: „O, Deus faxit“ (‚Oh, Gott hat gehandelt‘,V. 315). Als Herophilus auch weiter Susannas Gottesfurcht und Sittsamkeit rühmt und die beiden Alten der Lüge bezichtigt („Haec confingitis“, ‚Ihr erdichtet dies‘, V. 321), beruft sich Achab auf sein Gewissen als die zweitwichtigste Bezeugung von Glaubwürdigkeit nach Gott („Ni conscientiae“, ‚Nicht beim Gewissen‘, V. 322). Dennoch hält das Hauspersonal an seinem Vertrauen auf Susannas Ehrsamkeit fest und führt sie zurück ins Haus, womit der erste Akt beschlossen wird. Zwischen den beiden Akten wird ein Psalmchor gesungen „sub persona Susannae“.
Actus secundi Der zweite Akt ist in fünf Szenen unterteilt und stellt dar, wie das Forum – und somit das Gericht – im Haus des Ioakim zusammenkommt. Birck nutzte diesen Akt, um eine rechtschaffene, gottesfürchtige und eine verdorbene, gottlose Auffassung vom Amt des Staatsdieners gegenüberzustellen. In der ersten Szene treffen Sedechias und Achab zusammen und beschließen, zunächst in Achabs Haus über das weitere Vorgehen vor Gericht zu beraten. Als sie Ioakim und Susannas Vater Chelkias sehen, eilen sie – die Rachegöttinnen Megara und die Erynies fürchtend – ins Haus, damit man ihnen nicht unterstellt, sie würden sich in konspirativer Absicht treffen.¹⁴² Die Angst vor den Furien ist einerseits ein weiteres Beispiel dafür, dass die beiden Alten unter sich ausschließlich auf die antike Mythologie Bezug nehmen, zur Bezeugung von Susannas vermeintlicher Schuld vor weiteren Figuren hingegen auf Gott, weshalb es als Heuchelei zu werten ist, wenn sich die beiden in der Öffentlichkeit auf Gott berufen. Chelkias trifft auf Ioakim und erkundigt sich nach dem Eheleben mit seiner Tochter Susanna. Ioakim offenbart dem Schwiegervater seine Sorge, dass Susanna anders als sonst in höchstem Maße betrübt sei, den Grund dafür jedoch nicht nennen wolle (V. 393 – 396). Gleichzeitig versammeln sich die Obersten von Babylon in Ioakims Haus. In einer Teichoskopie berichtet Chelkias, Achab und Sedechias würden ‚ernste Sitzungen‘ („seria | Colloquia“, V. 402 f.) vorbereiten. Ioakim seufzt daraufhin, er beneide diejenigen, die ihr Leben fernab von öffentlichen Verhandlungen führen und ihr Leben ganz Gott widmen könnten.¹⁴³
Achab: „Patrem. | Virumque foeminae. Megera haec, aut Erynnis est. | Eamus hinc, ne quisquam id ex dolo malo | Dicat geri“ (V. – ). Ioakim: „O beatum, qui suam | Vitam seorsim ab omnibus forensibus | Negociis agit sibique victitat, | Deoque.“ (V. – ) – Ioakim: Oh glücklich, wer sein Leben fernab von allen öffentlichen Verhandlungen führt und von sich selbst zehrt und von Gott.
152
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Die dritte Szene widmet sich der Darstellung, wie ein öffentliches Amt richtig auszuführen sei. Die beiden Presbyter Hedioth und Histiob unterhalten sich über ihr Befinden. Auf Hedioths Frage, was Histiob umtreibe, entgegnet dieser: Histiob:
„Quid? quaeris? an pectus tuum curis vacat? Qui iudicis munus geris tute ipse. Quem Non addecet solidam quiete absumere Noctem, sed alta nocte somnum frangere. Fraudare tete, ut publicum queas bene Prospicere commodum. Tibi non natus es.“ Hedioth: Cui nam? Histiob: Rogásne? singulis mortalibus (V. 413 – 419) (Histiob: Was? Du fragst? Ist denn dein Herz frei von Sorgen? Wie führst du selbst das Richteramt aus? Wem geziemt es nicht, die ganze Nacht ruhig zu verbrauchen, aber in der tiefen Nacht den Schlaf zu brechen. Bringe dich um dich selbst, damit du vermagst, gut für den öffentlichen Nutzen vorzusorgen. Nicht dir selbst bist du geboren. Hedioth: Wem denn? Histiob: Du fragst? Den einzelnen Sterblichen.) [Übersetzung: JP]
Histiob fährt fort, Gott würde die rechte Ausführung des Richteramts in seinem Gesetz („legem“,V. 425) lehren. Auf Hedioths Bitte, ihm die Pflichten eines Richters beizubringen, antwortet Histiob, er habe zwar einen Nachteil, da er weit jünger sei als die übrigen Richter, doch gehöre es zu der ehrenhaften Aufgabe des Richteramtes, gemäß den lehrreichen Schriften der (Kirchen‐)Väter und gemäß dem höchsten Gesetz, nämlich die Prophezeiung bzw. die Hl. Schrift (‚oraculum‘), zu sprechen.¹⁴⁴ Rhetorisch fragt er, wieso er nicht so urteile, dass das Unrecht verhindert werde und warum er in einer Respublica lebe, um dort nicht zu erhalten, was das (überkommene) Recht dort immerfort behaupte.¹⁴⁵ Für diese Figur, den idealen Beamten in einem Staat, der sich auf die Heilige Schrift und die Lehren der Väter stützt, ist die Respublica also das Ideal eines Staates, in dem nicht an überkommenem Recht festgehalten und das Unrecht durch rechtschaffene Richter beseitigt wird. Der Gegenentwurf zu diesem Modell einer gottesfürchtigen Respublica wird in der darauffolgenden vierten Szene dargestellt. Nach den beiden frommen Presbytern haben hier die beiden Richter Agira und Maloco sowie der vorsitzende Richter, der Quaesitor Dadan ihren Auftritt. Agria führt an, er wisse um den Dienst
Histiob: „sed maxime | Libenter his concesserim locum, et meas | Aures eorum vocibus hic arrigam, | Si quis queat dignis modis de iudicis | Munere secundum scripta partum dogmata | Disserere, tum secundum legem maxime, | Quam censeo esse oraculum“ (SusL, V. – ). Histiob: „Quin iudico | Nefas morari, et vivere in Republica, | et non tenere, quod ius dictitat ibi“, (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
153
und das Amt des stets guten Mannes, welches darin bestehe, die Tätigkeit den Seinen zu widmen und den eigenen Klienten und guten Freunden gefällig zu sein, wenn diese wegen ihrer Angelegenheiten in Gefahr seien oder vom Schicksal verleugnet würden.¹⁴⁶ Bereits hier wird deutlich, dass diesem Richter wohl kaum daran gelegen ist, die Wahrheit aufzudecken, sondern den Freunden und Angehörigen mit seinem Amt Vorteile zu verschaffen. Als Maloco das bestätigt, fährt Agira mit seinen Ausführungen fort und kritisiert die Institution des Forums, das politische Zentrum eines republikanischen Gemeinwesens: Vor den Aufgaben des Forums schaudere er zurück, da er dort den Befürworter des Guten und Gerechten genauso gegen sich aufbringen könne wie den besten und vertrautesten Freund. Der Richter Dadan ergänzt, ‚Epiειces‘, das griechische Adjektiv für „nachsichtig“ (επιεικής), sei die Nachbesserung des Gesetzes,wie auch die ‚Lesbia norma‘ für die Gerechtigkeit angewendet werde.¹⁴⁷ Die sogenannte Regula lesbia wurde zuerst von Aristoteles beschrieben als eine Art der Gesetzesanwendung, bei der das Gesetz nicht starr und rigide auf den Tatbestand angewendet wird, sondern bei der eine gewisse Flexibilität zugelassen wird, sodass das Gesetz den Umständen angepasst wird und nicht umgekehrt.¹⁴⁸ Erasmus von Rotterdam hingegen verstand die Regula lesbia im negativen Sinne als eine Art der Rechtsauffassung, bei der Gesetze zu lax und zu flexibel ausgelegt würden.Wo das Gesetz eigentlich dazu dienen solle, verdorbene Sitten zu korrigieren, würde das Gesetz durch die Regula lesbia stattdessen den schlechten Gewohnheiten angepasst, wie Erasmus in den Adagia (I, 93) ausführt.¹⁴⁹ Birck gebraucht die Lesbia regula ebenfalls in einem negativen Zusammenhang, da sie dem korrupten Richter Dadan ein Mittel zur Rechtsbeugung ist. Dieser kümmert sich weniger um das Wohl des Staates als um den Vorteil des einzelnen Richters und möchte seine eigenen Anträge zum Wohlgefallen einbringen, denn der Eifer, bzw. die Parteilichkeit (‚studium‘) siege und es nütze dem Lohn.¹⁵⁰
Achab: „Hominis scio officium, et boni semper viri | Munus, suis operam dare, atque tum obsequi | Clientibus, bonisque amicis omnibus, | Cum de suis rebus periclitantur, aut | Cum fama controvertitur“ (SusL, V. – ). Dadan: „Sed aequitate, Lesbia norma solet | Uti“, SusL, V. f. Siehe dazu: Matthew Decoursey: Three interpretations of the lesbian rule in early modern Europe. In: Notes and Queries (), S. – , hier S. . Erasmus von Rotterdam: Desiderii Erasmi Roterodami Opera Omnia. Emendatiora et auctiora, ad optimas editiones, praecipue quas ipse Erasmus postremo curavit, summa fide exacta, doctorumque virorum notis illustrata. Recognovit Joannes Clericus, tomus : Complectens Adagia, Leiden [Nachdruck Hildesheim ], S. ,D. Dadan: „Sed ille fert suas sententias | Ad gratiam. Studium valet. Conducitur | Mercede“, SusL, V. – .
154
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Agira beschließt diese Szene, indem er sich zur Bestechlichkeit bekennt. Er fährt fort, Achab sei gerecht, er wolle den Beginn des Prozesses nun nicht länger verzögern.¹⁵¹ Dass die Richter schon vor Prozessbeginn von Achabs ‚Gerechtigkeit‘ überzeugt sind, zeigt neben Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft und willkürlicher Gesetzesauslegung auch noch die Parteilichkeit der Gerichtsmitglieder. Somit steht diese Szene in direktem Kontrast zur vorausgegangenen, in der das ideale Bild eines gottesfürchtigen Staatsdieners beschrieben wurde. In der letzten Szene des zweiten Aktes treten noch die beiden Amtsdiener (‚Apparitores‘) auf und unterhalten sich über ihre Pflichten. Cleter ermahnt seinen Kollegen vor allem zum Gehorsam gegenüber den Amts- und Würdenträgern: „Apparitoris publici officium est boni, | Adesse, et apparere semper praesidi. | Nos sumus executi, vir dexterrime [Dadan], | Quae dignitas praeceperat nobis tua“ (V. 491– 494).¹⁵² Zunächst betet Cleter zu Aeacus und Rhadamantus, zwei Totengötter aus der antiken Mythologie, die sich zu Lebzeiten durch ihre Rechtschaffenheit ausgezeichnet hatten, damit sie sein Urteil mit strahlender Klugheit und anderen Gaben ergänzen.¹⁵³ Dennoch sollen den Amtsdienern und wohl auch den Richtern Figuren aus dem Alten Testament als Vorbilder dienen, etwa Salomon mit seinen vortrefflichen und klugen Ratschlägen, während David mit seinem Vorbild zeige, wie man in jede noch so schwerwiegende Angelegenheit die Güte zurückbringen könne. Auch Ezechias und Iosua sollten im einen oder anderen Fall zur Orientierung dienen.¹⁵⁴ Es ist bezeichnend, dass mit David und Salomon den Amtsdienern zwei israelische Könige als Beispiele eines weiteren berühmten Ehebruchs aus dem Alten Testament ausgewählt werden, von dem in 2 Sam 11– 12 berichtet wird: Während israelische Heere die Stadt Rabba belagerten, ging König David eines Abends in Jerusalem auf dem Dach seines Palastes spazieren und entdeckte dabei Batseba, die Frau des Urija, der an der Front kämpfte, beim Baden. David lässt sie zu sich bringen und begeht mit ihr Ehebruch, wobei Batseba schwanger wird (2 Sam 11,1– 5). Der König lässt Urija daraufhin nach Jerusalem zurückkehren und weist ihn an, zu seiner Frau zu gehen, damit er das Kind als sein eigenes annehme. Urija weigert sich jedoch, solange das Heer noch Krieg führt,
Agira: „Autoritate plurimum | Aurum valet, Nam illius aestimatio | Animum diu devinxit. Achab iustus est.“, SusL, V. – . Cleter: „Es ist die Aufgabe des guten öffentlichen Amtsdieners, anwesend zu sein und sich immer nach dem Vorsteher zu richten. Wir sind bestrebt, äußerst rechtschaffener Mann, die uns dein Amt/deine Würde befohlen hatte.“ Cleter: „Aeacus, Rhadamantus, aut | Nostratium quisquam, mea sententia, | Integritate, candida prudentia, | Aliisque dotibus, eis nec est prior, | Nec conferendus“, SusL, V. – . Cleter: „Salomonem eius sapiunt bona ac prudentia | Consilia, pectus in gravi causa David | Refert […] Tum et aemulus pius, | Ezechias in hoc, in illo is Iosua est“, SusL, V. – .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
155
und kehrt zurück an die Front (2 Sam 11,6 – 13). Daraufhin erteilt David die Anweisung, Urija an die vorderste Front zu stellen, wo er im Gefecht stirbt, und nimmt die Witwe Batseba zur Frau, sobald die Trauerzeit vorbei ist (2 Sam 14– 27). Da Gott über David erzürnt ist, lässt er den von Batseba geborenen Sohn sterben. Der zweite von Batseba geborene Sohn, Salomon, wird jedoch zum Liebling des Herrn (2 Sam 12,15 – 25). Dass Birck diese zwei Könige des Alten Testaments auswählte, kann als Beispiel für seine Intention gesehen werden, seinen Schülern die Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem beizubringen, da sowohl David als auch Salomon durch ihre ambivalente Darstellung im Alten Testament durchaus auch als positive Exempelfiguren wahrgenommen werden könnten. Die Brisanz ihrer Nennung in diesem Zusammenhang erschließt sich nur in Verbindung mit der Thematik des Ehebruchs. Der Akt wird wiederum mit einem Chorgesang beschlossen, eine freie Adaptation des achten Kapitels im Buch der Sprüche. Das Lied wird nicht wie beim ersten Chor von einer Dramenfigur gesungen, sondern von einer im Figurenverzeichnis nicht aufgelisteten allegorischen Verkörperung der Weisheit (‚sub persona Sapientiae‘), die wie in der Bibel in der Ich-Form spricht. Die Gedanken von Spr 8,1– 21 sind in dem Chorgesang wiederzufinden, anfangs auch in ihrer chronologischen Reihenfolge. Die Weisheit erhebt ihre Stimme: In der ersten Person Singular fordert sie die Törichten auf, Vernunft anzunehmen und preist ihre Vorzüge: Redlichkeit und Wahrheit. Als Zusatz nennt Birck die Törichten aus der biblischen Vorlage die ‚Sprösslinge Adas‘.Womöglich ist hier Ada, die Gemahlin des Abgottes Beel gemeint, wodurch Birck die Torheit in erster Linie mit Abgötterei verbindet: Die Weisheitslehre übertreffe jeden materiellen Wert, wie Gold, Silber und Edelsteine, wobei Birck das lateinische Wort für Bildung aus der Vulgata, „disciplina“ (Proverbiorum 8,10) durch die Latinisierung des griechischen Wortes νουθεσία („Nuthesiae meae“, V. 514) ersetzt. Dies lässt sich nicht auf einen Abgleich mit dem achten Kapitel der Sprüche in der Septuaginta zurückführen, wo das Wort νουθεσία‘ nicht verwendet wird. Vielmehr wird das Wort mehrmals im griechischen Neuen Testament gebraucht, etwa in den beiden für die Reformation so bedeutenden Briefen 1 Kor 10,11 und Eph 6,4. Im letzten Abschnitt rühmt die Weisheit ihren Nutzen für die Mächtigen, die Staatslenker und die Rechtssprecher, wobei sie sich von der Ungerechtigkeit, dem Übel und der List der Torheit abgrenzt. Birck stellt der Gottesfurcht zudem die ‚listigen Streiche aus dem Tartarus von todbringendem Übel‘ (‚Technas laetiferi tartareas mali‘, V. 525) gegenüber. Damit kontrastiert er einmal mehr die rechtschaffene Gottesfurcht mit der negativ besetzten antiken Mythologie; hier verkörpert durch den Tartarus.
156
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Nachdem im zweiten Akt eine rechtschaffene, gottesfürchtige Auffassung vom Richteramt und eine verdorbene, gottlose vorgestellt wurden, nutzt Birck die Metaebene des Chores dazu, ein Plädoyer für das ‚rechte‘ Verständnis vom Richteramt darzubieten. Dabei greift er auf den passenden Ausschnitt aus dem Buch der Sprüche zurück, wo sich die Allegorie der Weisheit als Verbündete der guten Machthaber und der gerechten Richter vorstellt.
Actus tertius Der dritte Akt besteht aus insgesamt sechs Szenen und einem Chorgesang, wobei die erste Szene dazu dient, die Sitzung des Forums – und zwar zunächst den nichtöffentlichen Sitzungsteil – offiziell zu eröffnen. Der Quaesitor Dadan weist den Praeco an, dem Forum gemäß der Sitte die Stille zu befehlen.¹⁵⁵ Der Praeco gebietet der Versammlung darauf dreimal hintereinander, nun zur Ruhe zu kommen und die Worte des Richters nicht zu unterbrechen. Wer gegen diese Regel verstoße, der solle mit zwei Silberlingen bestraft werden.¹⁵⁶ Es konnte zwar keine zeitgenössische Gerichtsordnung ausgemacht werden, die ein solches Prozedere zur Eröffnung des Gerichtstages vorschreiben würde, doch macht die Stelle deutlich, welchen Stellenwert der Gerichtsprozess und jedes einzelne Detail seines Ablaufs in Bircks Drama einnimmt. Es liegt nahe, dass er seine Schüler, die zukünftigen Staatsdiener, nicht nur mit den Pflichten der einzelnen Ämter, sondern auch mit allen praktischen Ritualen und Regeln vertraut machen wollte. Nachdem der Amtsdiener für Ruhe gesorgt hat, fordert Dadan den Nomenclator auf, jene Parteien anzuführen, über die an diesem Sitzungstag verhandelt werden solle. Der Nomenclator berichtet von einem Angeklagten, dessen Prozess vertagt worden sei, und der nun, das Erscheinen vor Gericht und die Gefahr für ihn fürchtend, den Prozesstermin nicht wahrgenommen habe bzw. nun desertiert sei (‚deseruit‘).¹⁵⁷ Sonst habe er keinen weiteren Beschuldigten ins Gericht geladen, es herrsche „Pax undique“ (V. 550). Auch Ioakim spricht wohl als Gastgeber der Versammlung eine Eröffnungsformel: „Laus Optimo atque Maximo Deo siet, | Cui pacis et concordiae studium placet“ (V. 551 f.).¹⁵⁸ Nach diesen Worten eröffnet der
Quaesitor: „Praeco, fori ritu manda silentium“(SusL, V. ). Praeco: „Primo silentium vobis mandaverim. | Rursus secundo: et tertio, ne iudicum | Quis verba tentet murmure interrumpere, | Cui nulla fandi copia est à iudice. | Siclis duobus sentiet mulctarier, | Qui contumax nunc hicce contrà fecerit“ (SusL, V. – ). Nomenclator: „Haiab reus vestra ampliatus maxime | Clementia, vadimonium, periculum | Causae timens deseruit“, SusL, V. – . Ioakim: „Lob sei dem besten und höchsten Gott, dem das Bemühen um Friede und Eintracht gefällt.“
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
157
Quaesitor den öffentlichen Teil der Sitzung,¹⁵⁹ bei dem im Gegensatz zum nichtöffentlichen Teil jeder der Anwesenden seine Rechtsfälle einbringen kann. Der Übergang zum öffentlichen Sitzungsteil wird durch den Beginn der zweiten Szene markiert. Ioakim eröffnet diesen Teil der Versammlung mit einer längeren Rede über das Wesen der Respublica, die den Sterblichen einst vom Himmel herabgeschickt worden sei.¹⁶⁰ Allerdings seien die Herzen der Sterblichen vom Übel und vom Schlimmsten ergriffen worden – dies treibe den Aufruhr an und bewirke, dass das Forum in Streitigkeit und schweren Zänkereien lärme.¹⁶¹ Da es nun gar keine Rechtsfälle mehr gebe, sei die Gelegenheit günstig, sich mit den heiligen Vorzeichen wieder den „Ruinen der Gesetze“ in der Heimat (‚legum ruinas patrio‘) und dem früheren Glanz zuzuwenden.¹⁶² Es spricht einiges dafür, dass damit das antike römische Recht gemeint ist, das – obwohl auch das mittelalterliche Recht eine fortwährende Rezeption des römischen Rechts darstellt – zu Lebzeiten Bircks wieder verstärkt gelehrt und angewendet wurde.¹⁶³ Im volkssprachlichen Susannadrama sind dies „der heyden gsatz“ (V. 765). Die Forderung, sich diesem heimischen Recht wieder zuzuwenden (‚reddere‘), weist darauf hin, dass hiermit nicht die zeitgenössische spätmittelalterliche Rechtspraxis der Städte und Fürstentümer gemeint ist, sondern das römische Recht. Da sich die Gelehrten des Spätmittelalters und des Humanismus noch immer in einer Traditionslinie mit den antiken römischen Gelehrten sahen, verwundert es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nicht, die antiken Rechtscodices als in Vergessenheit geratene heimatliche Gesetze zu bezeichnen. Auch die Metaphorik der Ruinen (‚ruinas‘) rief
Quaesitor: „Secede, Consultabimus nun publica“ (SusL,V. ) – „Entferne dich.Wir werden nun öffentlich tagen.“ Ioakim: „Quae coelitus demissa olim est mortalibus, | Quae cum viget, florebit et Resp | Quam quisque prudens recte comprobaverit“ (SusL, V. – ). Ioakim: „Sed alteram genuit profunda nox, malum | Deterrimum, mortalium quod pectora | Diversa corripit, furorem concitat, | Facitque quod forum contentionibus | Strepit subinde, et iurgiis gravissimis“ (SusL, V. – ). Ioakim: „Proin cum sit opportunitas percommoda | Oblata nunc, ne tempus extraxerimus | Incassum, et nunc percommode nobis vacat | Dispicere, quî legum ruinas patrio, | Et pristino nitori, et amplitudini | Queamus auspiciis divinis reddere“ (SusL, V. – ). Einschlägig hierfür war die Verabschiedung der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) auf dem Reichstag zu Regensburg, die wesentlich auf der römisch-kanonischen Rechtssammlung, dem Corpus iuris civilis von , fußt. Siehe dazu: Schroeder, Gerichtsordnung, bes. S. – . Die Carolina galt fortan für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, von dem sich Basel auch nach dem Beitritt zur Eidgenossenschaft noch nicht losgesagt hatte; dies geschah erst mit dem Westfälischen Frieden (Vgl. Hagemann, „Basel“, Sp. ). In Basel studierte Birck zudem bei Bonifacius Amerbach römisches Recht.
158
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
wohl schon zu Bircks Zeiten Assoziationen mit der Antike hervor. Als gottesfürchtiger Jude im babylonischen Exil ruft Ioakim die Versammlung der Juden dazu auf, sich wieder der vernachlässigten Heiligen Schrift – d. h. dem Alten Testament – zuzuwenden. Bei einer Aufführung des Stückes in Augsburg bzw. Basel sollte der Monolog Ioakims wohl eine Engführung zwischen dem jüdischen Exil in Babylon und dem (reformierten) Publikum einer Stadtgesellschaft herstellen. Die Rezipienten des Stückes wurden so aufgefordert, die Heilige Schrift und insbesondere das Alte Testament als ihre ursprüngliche, heimatliche Gesetzesgrundlage anzuerkennen, die über lange Zeit von Dissens und discordia überlagert wurde, was den Forderungen insbesondere der humanistischen Reformatoren entsprach. Der Vorsitzende Richter stimmt Ioakim zu und fordert Achab auf, als Erster zu sprechen.¹⁶⁴ Dieser zögert zunächst, beruft sich dann jedoch auf sein bedrängtes Gewissen (‚arcta conscientia‘), hier ein Verbrechen anzuzeigen. Heuchlerisch sorgt er sich dabei um Ioakim, das Haupt des öffentlichen Standes (‚publici status caput‘), dessen schlimmer Sturz nun betrieben werde. Damit gehe auch eine Gefahr für das gesamte Gemeinwesen einher, „[n]am caput si langueat, | Quid quaeso erit sperandum in omni corpore?“ (V. 587 f.).¹⁶⁵ Auf die Aufforderung des Richters, offen zu sprechen, beruft sich Achab auf das Gesetz und auf das Amt des Richters, was ihn verpflichte, Verbrechen abzuwenden. Daher wolle er bei den Göttern (im Plural!), seine Aussage machen und beschuldigt Susanna öffentlich des Ehebruchs. Er fordert, sie nach dem Gesetz zu bestrafen und die Angeklagte vor Gericht zu stellen, damit sich jeder ein Bild machen könne.¹⁶⁶ Ioakim weist die Vorwürfe gegen seine Ehefrau entschieden zurück und fordert den Ankläger auf, er möge seinen Geist und sein Gewissen prüfen, damit er aus dem Affekt heraus keine anderen Ziele verfolge als die Suche nach der Wahrheit.¹⁶⁷ Er fleht Achab an, die falsche Anklage zurückzuziehen und warnt ihn redensartlich, aber auch in Antizipation des Schlusses: „Si fossam fodis dolo mihi, |
Quaesitor: „Suades probe,vir omnium sanctissime, | Proin quisque pro se dicat ordine. | Ubinam domus vitium gravissimum facit? | Achab tuam sententiam dicas prior“ (SusL, V. – ). Achab: „Denn wenn das Haupt ermattet, frage ich: was ist zu erwarten im ganzen Körper?“ Achab: „Patres Israel, ach | Invitus hoc dico. Tamen lex dictitat | Id esse Iudicis boni, nec ordinis | Rationem habere, dignitatisve, aut loci: | Sed iudicare aequum, scelusque avertere. | Proin pace Ioakim tua indicium deis | Faciam. | Patres vobis opinor omnibus | Susanna pulchra cognita est, quae Ioakim | Amabilis coniux Chelkiae filia est. | Commisit haec scelus nefandum, adultera | Deprensa cum suo est adultero […] Quae poena sit illi irroganda, lex docet“ (SusL, V. – ). Ioakim: „Procul domo mea | Sit haec calumnia. Senex mentem tuam, | Et conscientiam tuam paulo altius | Examines velim, ne affectibus magis | Rem nunc agas, quàm sancta veritas tibi | Studio siet“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
159
Ne tute in ipsam primus iurras, cave“ (V. 613 f.).¹⁶⁸ Da das göttliche Gebot verlange, dass die Angeklagten selbst keine Plätze im Forum einnehmen, legt Ioakim sein Richteramt nieder und denkt angesichts der Listen, die gegen ihn gebraucht werden, laut darüber nach, mit seinem Hausstand in die Ferne zu ziehen.¹⁶⁹ Dass Ioakim sein Richteramt freiwillig aufgibt, stellt eine Abweichung Bircks von der apokryphen Vorlage und auch eine Erweiterung gegenüber dem volkssprachlichen Drama dar, wo Ioakim zwar nicht zu den Urteilssprechern gehört, das Amt jedoch nicht offiziell niederlegt. Im lateinischen Drama zeugt dieser Beschluss von dem Gerechtigkeitssinn Ioakims und seiner Gewohnheit, dem göttlichen Gebot (‚fas‘) ohne Umschweife zu folgen, während die beiden anklagenden Ältesten erst in der darauffolgenden Szene auf Beschluss aller Richter ihrer Ämter enthoben werden müssen. Die Szene endet mit einem Dialog Chelkias’ und Ioakims, in dem sie ihre Hoffnung, ihre Unschuld möge erkannt werden, ganz in Gott, den obersten Richter, setzen (V. 621– 628). In der dritten Szene werden zum ersten Mal alle anwesenden Richter, ausgenommen Achab und Sedechias, aufgefordert, ihre Meinung zu dem Fall abzugeben. Der Quaesitor beklagt zunächst die Bürde seines Amtes, sich eines so schwerwiegenden Falles annehmen zu müssen, wenn sein eigener Freund vor Schmerzen schwarz gekleidet sei.¹⁷⁰ Er fordert die Versammlung auf, in dieser Angelegenheit umsichtig und klug zu handeln und bittet als erstes den ‚weisen Agira‘(‚Sapiens Agira‘), seine Meinung über die Anklage vorzutragen. Agira konzentriert sich auf die formale Frage, ob auch Achab und Sedechias auf der Richterbank sitzen sollten, was Agira ablehnt: „Tum non puto satis | Consultò agi, si partibus permittitur | His assidere iudicum subselliis.“¹⁷¹ Die übrigen sieben Richter schließen sich nacheinander dem Antrag an, sodass der Quaesitor verkündet, die Übereinkunft aller („[c]onsensus omnium“, V. 690) habe beschlossen, dass die beiden Alten abtreten müssten. Nachdem die beiden Richter das Votum akzeptiert und ihr Amt niedergelegt haben, sendet der Quaesitor die beiden Amtsdiener in einer eigenen Szene aus, um die Angeklagte herbeizuholen. Die Aussage der beiden Zeugen würde einen solchen Schritt notwendig machen, da Ioakim: „Wenn du mir aus List eine Grube gräbst, pass auf, dass du nicht selbst als erster hineinstürzt.“ Ioakim: „O mi pater, vides nobis technas strui, | Nunc ilicet, procul domum me conferam: | Nam fas non est, reos fori sedilia | Capessere. Atra vestis heu magis decet. | Abdico munus iudicis, sortem meam | Capessat is, qui digne possit fungier“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Quam onus grave et molestum, vach nunc imminet | Humeris meis. Quidvis, Deus, magis velim. | Quàm quaestionis istius iudex modo | Esse, atque luctu sordidus, doloribus | Meo cum amico atratus esse“ (SusL, V. – ). Agira: „Dann meine ich, es werde nicht genug für die Entscheidung verhandelt, wenn es den Abteilungen der Richter erlaubt ist, auf diesen Gerichtsbänken zu sitzen.“
160
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
sich diese durch ihren guten, starken Glauben und ihr bedeutendes politisches Handeln auszeichneten.¹⁷² In einer weiteren Szene eilen die beiden Apparitores Cleter und Abed los, um den Auftrag zu erfüllen. Wie im zweiten Akt gefordert, kommen sie dabei gewissenhaft ihrer Amtspflicht nach, da sie dem vorsitzenden Richter bedingungslos gehorchen. Dennoch widerstrebt es dem einen Amtsdiener, Cleter, den Auftrag auszuführen. Er stellt sich die Frage, woher der große Schmerz in seiner Brust rühre und hofft, weiterhin Gottes Liebe zu genießen.¹⁷³ Die Zweifel und der Schmerz werden von seinem Kollegen Abed als Vorzeichen gewertet („Praesagium est“, V. 723), eine weitere Vorausdeutung auf die weitere Entwicklung der Dramenhandlung. Als Letzter gibt der Quaesitor in einer weiteren Szene bekannt, dass vier alte Männer, Galaad, Ierobal, Arradan und Besasan, gerufen worden seien, um die Plätze der ausgeschlossenen Richter einzunehmen. Der vorsitzende Richter bittet den Nomenclator daher, eine Zahl an Richtern zu nennen, um die die Bänke aufgefüllt werden sollen.¹⁷⁴ Der dritte Chorgesang, ein weiterer Psalmengesang, beschließt den zweiten Akt. Die Regieanweisung gibt keinen Hinweis darauf, welche Figur das Lied auf der Bühne singt, doch ist es ein Auschnitt „[e]x psal. Beati immaculati“, d. h. aus dem 118. Psalm in der Vulgata und in der Zürcher Bibel bzw. Psalm 119 in der Lutherbibel von 1545, der Abschnitt „principes persequuti“ (vor V. 729). Der Chor kommentiert die Situation der von der gottlosen Obrigkeit schuldlos Angeklagten auf einer Metaebene. Die Wahl des Abschnitts eines Unschuldigen, der von den Fürsten verfolgt wird, zeugt einmal mehr von Bircks genauer Kenntnis des Psalters, die es ihm möglich machte, aus diesem Fundus souverän die exakt passende Stelle zur Kommentierung der Dramenhandlung auszuwählen. Andersherum wird dem Rezipienten besonders aus einem historischen Standpunkt heraus deutlich, welche Thematik an dem biblischen Stoff Birck durch die Kommentierung im Chorgesang akzentuierte: Die Verfolgung der Unschuldigen durch die gottlose Obrigkeit. Wie bei den vorausgegangenen Chorgesängen bildet der biblische Psalm nur eine grobe Orientierung für den Abgleich mit dem Chorgesang. Wörtliche Übernahmen findet man kaum, Birck hat die Gedanken in einer sehr freien Form transformiert.
Quaesitor: „bonis | instructa testimoniis, fide bona | Validis, et amplis factionibus suis“ (SusL, V. – ). Cleter: „Dolor magnus meum | Nunc pectus occupat, ni muneris modo | Necessitas iuberet, nunc absisterem. | Repugnat, an deus me amet, pectus meum, | Abhorret, atque nescio quibus modis | Fiat, quis id genius faciat“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Moras tu rumpe, quo frequens forum | Siet, vocato Galaad, Ierobaal, | Arradan atque Besasan, Viro sense. | Numerumque iudicium dicas quò compleant“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
161
Wie im Psalm klagt ein ‚Ich‘ über die unrechte Verfolgung (V. 729 f.). Es kann sich aber an Gottes erhabenem Wort und an seiner Segen spendenden Rede erfreuen (V. 731 f.). Das ‚Ich‘ beschließt damit, sich von Betrügereien fernzuhalten und den Gesetzen folgen zu wollen (V. 737 f.).
Actus quartus Der vierte Akt gehört zu den umfangreicheren des Dramas und stellt in acht Szenen das Geschehen im Gericht bis zu Daniels Eingreifen dar: den Abschied Susannas von ihrer Familie, den Antrag der beiden Alten, ihren Schleier abzulegen, die Anklage durch Achab und Sedechias, deren Vereidigung, die Abstimmung der Urteilssprecher und Susannas Verurteilung sowie die Vorbereitung der Steinigung. Darin wird Susanna vom Gericht schuldig gesprochen und zum Hinrichtungsplatz geführt, wo sie von der Volksmenge gesteinigt werden soll. In der ersten Szene erscheinen die vom Nomenclator herbeigeholten Ältesten Galaad, Ierobal, Arradan und Besasa vor Gericht. Der Quaesitor fordert sie auf, im Prozess um das Kapitalverbrechen („Capitalis est heîc causa“,V. 746) die Plätze der ausgeschlossenen Richter Achab und Sedechias bzw. der freiwillig zurückgetretenen Richter Ioakim und Chelias einzunehmen – wobei der Rücktritt des letzteren nicht explizit bekannt gegeben wird, aber wohl mit Ioakims Amtsniederlegung einhergeht. Wie im volkssprachlichen Susannadrama wird die Angeklagte von ihrer Mutter und ihren beiden Kindern zum Gericht begleitet, wobei diese Figuren nur im lateinischen Drama Namen haben: Susanna filia, Benjamin filius und Rachel mater. Die zweite Szene stellt Susanna mit ihren Angehörigen dar. Nachdem Birck in den vorherigen Akten stets die Einheit des Raumes innerhalb eines Aktes gewahrt hat, ist davon auszugehen, dass diese Szene das Eintreffen Susannas und der Familie im Gericht darstellt und nicht etwa den Weg dorthin. Der Vater Ioakim nimmt die beiden Kinder an sich (V. 754). Gemeinsam beklagen sie die Vorwürfe gegen Susanna, an deren Unschuld – wie in der Bibel – keiner der Angehörigen zweifelt. Sie erinnern daran, wie sittsam Susanna sei („Modestius“,V. 757) und von welch hoher Abstammung („Cain genus“, V. 757). Promptula, die ‚eilfertige‘ Magd Susannas, klagt, die Gefangenschaft sei leicht zu ertragen gewesen verglichen mit der falschen Anklage gegen ihre Herrin und fügt hinzu, kein Tyrann vermöge grausamer zu handeln als die beiden Alten, selbst wenn er wolle.¹⁷⁵ Ioakim lobt
Promptula: „Ferenda erat captivitas. […] | Tyrannus haud queat crudelius, si maxime | Volet“ (SusL, V. – ).
162
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
seine Ehefrau, die trotz der Anfechtungen bisher ihre keuschen Sitten und ihren reinen Glauben bewahrt habe, und gelobt, ihre Unschuld über das Blutvergießen hinaus bezeugen zu wollen.¹⁷⁶ Der Quaesitor weist den Nomenclator an, er solle nun die beiden Alten auffordern, ihre Beschuldigungen darzulegen, womit die dritte Szene eingeleitet wird. Er richtet zunächst einige Worte an die beiden Ankläger: Susanna sei nun ins Gericht geholt worden, damit die richterliche Untersuchung in ihrer Anwesenheit durchgeführt werden könne. Er ermahnt die beiden Alten, dass der Prozess gegen Susanna rechtmäßig ablaufen möge, fern von frevelhaftem Betrug und fern von Mutwillen, schlimmen Affekten und Hinterlist.¹⁷⁷ Achab und Sedechias versichern, nur dem öffentlichen Wohl zu dienen und fordern, um das begangene Verbrechen anzeigen zu können, müsse die Angeklagte ihren Schleier ablegen und ihr Äußeres zu erkennen geben.¹⁷⁸ Rachel, Susannas Mutter, weist diese Forderung mit der Begründung zurück, für rechtschaffene Richter zieme es sich, die Augen von aller Begierde freizuhalten und fragt Sedechias ironisch, ob er seine unsittliche Begierde etwa noch nicht genug gesättigt habe.¹⁷⁹ Hier wird deutlich, dass Birck sämtliche Vorgaben aus der apokryphen Vorlage für die Dramatisierung der Frage unterstellte, ob sie einem gerechten Gerichtsprozess grundsätzlich zuträglich seien oder nicht. Dient der Antrag der beiden Ankläger auf die Entschleierung Susannas vor Gericht in der Apokryphe zur Demonstration der Lüsternheit der beiden Alten, so bleibt diese Funktion im Drama zwar erhalten. Jedoch wird die Vorgabe zu der grundsätzlichen Warnung ausgeweitet, das Gericht und der Magistrat sollten sich für einen gerechten Urteilsspruch nicht von optischen Reizen einnehmen lassen. Dies zeigt einmal mehr, dass der Ablauf eines ordentlichen Gerichtsverfahrens das Hauptinteresse Bircks darstellt. Sedechias’ Aufforderung, nun zu schweigen, entgegnet Rachel, ihre Tochter werde eher ihr
Ioakim: „Sicut tuam castissimam semper fidem | Hucusque castis moribus servaveris: | Sic sentries comitem necis tractarier, | Constanter heus tuam nunc innocentiam | Testabor heîc profusion sanguinis“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Ream viri indicastis, hincque iudices | Id disputantes censuere singuli, ut | Suscepta cognitio scrutetur optime […] Legitimus esto contra eam processus, et | Absit dolus malus, ne per proterviam | Videamini obsequi malis affectibus, | Causamque vestram facere velle callide“ (SusL, V. – u. – ). Sedechias: „Condecet, ut haec modo detecta fronte sit, | Quo vos queatis ex oculis versantibus, | Videre, quae sit frontis conscientia, | Non facile erit crimen non vultu prodere“ (SusL, V. – ). Rachel: „Hem proditor, scelus, furor libidinis, | Non patrius illud ritus dictitat, scelus, | Nescis magistratum decere non modo | Manus habere continentes? Quin decet | Etiam vacare oculos omni cupidine“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
163
Leben opfern als ihre Keuschheit.¹⁸⁰ Angesichts des Tumultes, der nun im Gericht ausbricht, fordert der Quaesitor den Amtsdiener Praeco auf, erneut für Ruhe zu sorgen, worauf dieser bis aufs Wort genau jene Silete-Formel wiederholt, die bereits zu Prozessbeginn ausgesprochen wurde.¹⁸¹ Zu Beginn der vierten Szene fordert der Quaesitor Achab auf, er möge nun seine Anklage gegen Susanna vorbringen (V. 820). Die übrigen Figuren ermahnt er, sich zu beruhigen, damit sich der Ankläger nicht durch den Lärm beeinflussen lasse¹⁸² und ermahnt Achab: „Simplex veri est oratio“ (‚schlichte ist die Rede von der Wahrheit‘, V. 822). Es bleibt offen, ob der Lärm, gegen den immer wieder vorgegangen werden muss, allein von den Figuren auf der Bühne erzeugt wurde, oder ob auch das Publikum bei einer zeitgenössischen Aufführung so erregt war, dass es den Verlauf der Handlung lautstark kommentierte und deswegen von den Schauspielern immer wieder zu Ruhe aufgefordert werden musste. Entsprechende Regieanweisungen, die Aufschluss darüber geben könnten, wer genau den Lärm verursachte und warum, fehlen. Achab kommt der Aufforderung des Richters nach und setzt zum Monolog mit der Anklage gegen Susanna an. Nach einer rhetorischen Beteuerung, einen gerechten Prozess anzustreben und der Angeklagten nicht aus negativen Affekten heraus Schaden zufügen zu wollen,¹⁸³ schildert Achab die angeblichen Geschehnisse des vorausgegangenen Tages vom Frühstück an über die Unterbrechung der Versammlung des Forums aufgrund der drückenden Hitze, bis zum gemeinsamen Spaziergang mit Sedechias im Schatten der Bäume, wobei sie Susanna mit ihren beiden Begleiterinnen, den Nymphen, haben einherschreiten sehen (V. 840 – 848). Der Kläger gibt vor, er habe Susannas geplantes Verbechen bereits geahnt: „Sublata mox suspicio“ (‚Ich beargwöhne die Überheblichkeit sogleich‘, V. 854) sowie mit Formulierungen, die Achabs Betroffenheit angesichts des Gesetzesverstoßes zum Ausdruck bringen sollen, wie: „Caetera pudet viros dicendo promere, | Quae foeminam scelestam facere non pudet“ (‚Im Übrigen schämt es den Sprechenden, den Männern öffentlich vorzuzeigen, was die frevelhafte Frau nicht schämt, zu tun‘, V. 862 f.). Als ein junger Mann aus einer Ecke des Gartens hervorgestürzt sei, hätten die beiden die ver-
Rachel: „Nondum satis satiastis hem nequissimi | Libidines?“ (SusL, V. f.). Praeco: „Primo silentium vobis mandaverim. | Rursus secundo: et tertio, ne iudicum | Quis verba tentet murmure interrumpere, | Cui nulla fandi copia est à iudice. | Siclis duobus sentiet mulctarier, | Qui contumax nunc hicce contra fecerit“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Strepitus silet, ne quid nimiis affectibus | Indulgeas“ (SusL, V. f.). Achab: „O Quaestionis iudex, atque caeteri | Viri patres, non indigemus, credite, | Monitu, sed aestimate nos eos magis, | Quibus bonum studio sit, atque aequum, velut | Vos conscii bene estis, nos potissimum | Operam dedisse, quò reis clementia | Praestetur, atque contumeliis Dice | Vacet, nedum cuiquam ex malis affectibus | Damnum struamus, absit hoc nobis procul“ (V. – ).
164
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
meintliche Leere des Gartens genutzt, denn „der leere Platz ist frei von jedem Urteil“ („locus ab omni liber arbitrio vacat“, V. 857). Dass sie sich ‚ohne Verzögerung‘ ihrer Leidenschaft hingegeben haben, führt Achab als Beweis dafür an, dass die beiden sich nicht nur dieses eine Mal, sondern dass sie sich ‚überaus zahlreich besucht haben müssen‘¹⁸⁴ (V. 858 – 865), was die Schwere des Vorwurfs gegenüber der biblischen Vorlage noch steigert. Als sie näher an das Liebespaar herangetreten seien, habe der junge Mann, da er schneller und kräftiger gewesen sei, fliehen können und Susanna habe ‚weder durch das Bitten noch durch irgendwelches Geld‘¹⁸⁵ ein Geständnis ihrer Tat ablegen wollen (V. 866 – 882). Am Ende dieser Anklage fordert Achab seinen Mitankläger auf, die Wahrheit seiner Schilderungen in einem eigenen Zeugenbericht zu bestätigen (V. 883 f.). Sedechias bestätigt den geschilderten Tathergang (V. 885) und bietet dem Gericht an, wenn das Vertrauen in sie nicht ausreiche, seien sie bereit, den Eid zu schwören.¹⁸⁶ Er ermahnt die Richter, nicht allzu milde zu walten, damit die Sterblichen nicht denken, auch ein erzürnter Gott Israel würde seinem Volk beistehen.¹⁸⁷ Als die Anklage der beiden einzigen Zeugen gegen Susanna abgeschlossen ist, fordert der Richter Susanna, die er noch immer hochachtungsvoll als „matronarum amplissimum decus“ (‚größte Zierde aller ehrbarer Frauen‘,V. 893) anspricht, zur Rede auf. Die Angeklagte kündigt an, das Verfahren abzukürzen, wodurch es keine ‚exceptio‘, ein juristischer Fachterminus für die ‚Einrede‘ in Gerichtsverfahren, geben werde.¹⁸⁸ Sie verneint in Gänze, was die beiden Ankläger gegen sie ausgesagt haben und setzt ihr ganzes Vertrauen auf Gott, der das ‚böse Handwerk der Hinterlist‘ durchschaut habe. Sie beruft sich darauf, dass diejenigen, die die falschen Anklagen gegen sie geführt hätten, diese nicht mit Zeugenaussagen belegen könnten. Es reiche aus, dass der Geist, bzw. das Gewissen, Mitwisser sei.¹⁸⁹ In der fünften Szene eröffnet der vorsitzende Richter die erste Abstimmungsrunde unter den Urteilsprechern, indem er zusammenfasst, es stehe nun
Achab: „Hinc, hinc patres videre consuetudinem | Potestis hanc fuisse illi creberrimam“ (V. f.). Achab: „Ipsam tenentes, Ecquis hic, quaesivimus, | Sed nec precando, quis siet fidifraga | Confessa, nec ullis minis extorsimus“ (V. – ). Sedechias: „Si non fides satis valet, Iurabimus“ (V. ). Sedechias: „Deliberate, o incorrupti iudices | Statuite, ne quis vestra clementia locus | Queat videri apertus. Exemplum modo | Sit caeteris in posterum mortalibus, | Ne vindicet Deus commotus Israël, | Quapropter ô Iudex fiat anacrisis“ (V. – ). Susanna: „Praecido eo modo, quo nulla exceptio | Siet“ (SusL, V. f.). Susanna: „nego praecise quae dicunt senes. | Novit Deus doli perversam fabricam.| Nec quicquam eorum, quae calumniis malis | Dixere, testimoniis queunt bonis | Probare. sufficiat mentem esse consciam“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
165
Aussage gegen Aussage (V. 904 – 906) und die Urteilssprecher der Reihe nach auffordert zu sagen, wie es nun weitergehen solle. Maloco, der noch in Akt III,4 auf der der Seite der unsittlichen Richter stand, kündigt nun an zu sagen, was ihm die Gerechtigkeit befohlen habe („Dicam tamen, quod aequitas me iusserit“, V. 912). Er verlangt daher, dem Kläger eine stärkere Beweislast aufzuerlegen, sei es mit Indizien oder mit wahrscheinlichen Annahmen.¹⁹⁰ Für den nachfolgenden Redner dagegen, Ierobaal, genügt die Autorität der beiden Kläger, um die Sache zu entscheiden: ‚Und wenn es an hochbetagter Reife der Männer nicht genug hat für das Menschenalter der Kraft, dann möge es wenigstens die Treue von dem überaus heiligen Eid sein, den die beiden Alten angeboten haben.‘¹⁹¹ Hedioth enthält sich eines eigenen Votums und kündigt an, sich der Meinung anzuschließen.¹⁹² Für Arradan ist klar, dass eine Frau unglaubwürdig ist, wenn zwei alte Männer von hoher Autorität in übereinstimmender Zeugenschaft gegen sie aussagen.¹⁹³ Der junge Ehebrecher habe es vermutlich nicht geschafft, den leidenschaftlichen Impulsen zu widerstehen (V. 942– 944). Wenn jemand es mit dem Gewissen vereinbaren könne, dem Ehepartner nicht die heilige Treue zu halten, so werde er oder sie auch nicht davor zurückschrecken, den göttlichen Willen zu hintergehen.¹⁹⁴ Wenn die Glaubwürdigkeit der Kläger noch nicht hinreichend gegeben sei, so solle man auf die hören, bei denen sie geschworen haben.¹⁹⁵ Arradan spricht sich damit klar gegen eine Vereidigung Susannas aus, da eine Frau von vornherein unglaubwürdiger sei als ein Mann in einem ehrwürdigen Amt und weil einer Ehebrecherin, für die er Susanna aufgrund der Zeugenaussage hält, auch vor dem Meineid nicht zurückschrecken würde. Dagegen gesteht er den beiden Alten die Vereidigung zu, falls noch nicht alle von der Glaubwürdigkeit ihrer Zeugenaussage überzeugt seien. Der Urteilssprecher Dibon ist der erste, der eindeutig Partei für Susanna ergreift. Er stellt als erster die Frage, ob nicht auch die Autorität der beiden Alten der
Maloco: „Quapropter ô patres actori censeo | Incumbat ut probation robustior. | Tecmeriis [von griech. Τεκμήριο] et coniectationibus“ (SusL, V. – ). Ierobaal: „Atqui si maturitas virûm | Grandaeva, non satis pro aetate roboris | Habet, fides saltem siet sanctissimo, | Quod obtulere, iuriiurando senes“ (SusL, V. – ). Hedioth: „Probatur id quod caeteris placet“ (SusL, V. ). Arradan: „Hinc sunt senes concordi testimonio, | Autoritatis amplae, et huius ordinis | Primarii, quibusque religio siet, | Quod obtulerunt, Iusiurandum fallere. | Econtra liquet foeminam esse fragilem“ (SusL, V. – ). Arradan: „Si non delinquere illi religio fuit, | Atque temerare sacram coniugi fidem, | Multo minus verebitur nunc fallere | Numen?“ (SusL, V. – ). Arradan: „Fero Iudex meam sententiam, | Si non fides actoris testimonio | Habetur, at valeant iurata numina“ (SusL, V. – ).
166
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
zutiefst unschuldigen Keuschheit den Weg versperren könnte.¹⁹⁶ Als Argument zugunsten Susannas führt er deren hervorragende Herkunft und ihre Klugheit an, für die sie berühmt sei, und die sie auf eine Stufe mit den Anklägern stelle.¹⁹⁷ Er mahnt zur Umsicht, wenn der hervorragende Ruf einer Person ins Gegenteil verkehrt werden soll, was zum Todesurteil führen könne. Den beiden Alten den Eid anzubieten, ist für ihn unredlich, solange er nur der anklagenden Partei zugestanden wird und nicht auch der angeklagten.¹⁹⁸ Das Geschlecht sollte keine Rolle bei der Frage spielen, welcher Partei der Eid zugestanden wird und welcher nicht, weshalb auch Susanna die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter Eid auszusagen.¹⁹⁹ Im Wesentlichen stehen sich nun Arradan und Dibon mit ihren Urteilssprüchen gegenüber. Während Arradan die Autorität der beiden Alten in Opposition zu der Bedeutungslosigkeit stellt, die die Aussage einer Frau – zumal einer von Zeugen eines Verbrechens angeklagten Frau – im öffentlichen Diskurs hat, und daher fordert, nur die beiden Alten zu vereidigen, fordert Dibon im Gegenzug, Mann und Frau vor Gericht gleichzustellen und setzt sich dafür ein, auch Susanna zu vereidigen. Die restlichen sieben Urteilssprecher schließen sich nun je einer dieser beiden Meinungen an. Drei Richter stimmen Arradan zu, einer Dibon (V. 977– 993). Dabrani greift Dibon für seine Forderung nach einer Gleichstellung der Geschlechter an und unterstellt ihm, die Affekte und die Liebe, die einem Richter fern sein sollten, hätten ihn zu einer solchen Annahme verleitet.²⁰⁰ Agira, der in Akt III,4 auf der Seite der korrupten Richter stand, schwankt nun in seiner Urteilsfindung. Mitgefühl mit Susanna stünde der Autorität der beiden Alten gegenüber, zwischen denen er abwägen müsse. Auf die Bedeutung ‚geistlicher Buchstaben‘ (‚litterae mysticae‘) verweisend, wägt Agira zwischen seinem Gewissen (‚conscientia‘, V. 998) und der Gnade ab. Während sich das Gewissen bedauernswerterweise immer wieder für „θήτα“, das Zeichen der zur Todesstrafe Verurteilten,²⁰¹ ausspreche, dränge die Milde oder Gnade (‚clementia‘,V. 1000) auf
Dibon: „Si autoritas grandaeva vobis tam valet, | Valetque tam senilis aestimatio, | Ut haec pudicitiae queat castissimae | Officere, nescio“ (SusL, V. – ). Dibon: „sed hoc scio, patrem | Et coniugem splendere tam natalibus, | Tamque esse claros et graves prudentia | Quàm quisquam eorum, qui haec intentant crimina“ (SusL, V. – ). Dibon: „Tacebo, Iusiurandum esse improbum | Offerre, ne sit uspiam adversario | Condicio“ (SusL, V. – ). Dibon: „Nec sexus, ut non ipsa iuret impedit, | Quapropter ut nunc conditio detur reae | (Quod arrogat sibi actor) aequum censeo, | Id ipsum et aequitas matronae adiudicat“ (SusL,V. – ). Dabrani: „Haec quae Dibon dixit strepunt affectibus, | Qui longe abesse debent sancto iudici. | Amor facit, amori condonanda sunt, | Quae dixit“ (SusL, V. – ). Klaus Schreiner: Abecedarium. Die Symbolik des Alphabets in der Liturgie der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchweihe. In: „Das Haus Gottes, das seid Ihr selbst“. Mittelal-
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
167
„ταυ“, das Gott zu einem symbolischen Zeichen der Rettung und Erwählung machte (Ez 9,4), „als er einem Engel befahl, die Stirn derer mit einem „thau“ zu bezeichnen, die über die in der Stadt Jerusalem begangenen Greueltaten seufzten und stöhnten und deshalb gerettet werden sollten.“²⁰² Zwar seien Chelkias und Ioakim seine Freunde, doch die größte Freundin sei die Wahrheit, die für Agira offenbar darin zu finden sei, dass Susanna Ehebruch begangen habe.²⁰³ Bei dieser Argumentation ist der Gegensatz zwischen ‚conscientia‘ und ‚clementia‘ bemerkenswert – das Gewissen steht so als der unnachgiebige und kühl berechnende Gegensatz im Unterschied zur Milde. Galaad steht ebenfalls auf der Seite der Ankläger, drückt dies jedoch nicht explizit aus, sondern betont stattdessen die große Bedeutung von Zeugenaussagen, da sich die Wahrheit, wie das heilige Gesetz fortwährend sage, im Munde zweier oder dreier behaupte: „In ore vel duûm triumve veritas | Consistit, idque lex divina dictitat“ (V. 1008 f.). Zudem betont er die Bedeutung des Eides für das Recht und dass der Eid helfe, zur Wahrheit zu finden, wenn der Prozess verworren sei: „Valetque Iusiurandum in iure plurimum. | Medetur hoc iuri, si est lis perplexior“ (V. 1009 f.) Als Letzter gibt Histiob, einer der gottesfürchtigen Richter, seine Stimme ab und kritisiert in einer längeren Rede den Prozess der Wahrheitsfindung in der Gerichtsverhandlung. Er beklagt die allgemeine Verkommenheit des Rechtsverständnisses bei den Kollegen: Der eine schlachte seinen Freund ab, der andere missbrauche die Gesetze und wende die ‚Norma Lesbia‘ an.²⁰⁴ Zwar habe sich Agira auf sein Gewissen berufen, als er die Angeklagte zum Tode verurteilen wollte, jedoch hinterfragt Histiob kritisch, wie dieser überhaupt zur vermeintlichen Wahrheit in dieser Sache gefunden habe.²⁰⁵ Indem er den späteren Einspruch Daniels antizipiert, erklärt Histiob, wenn er es nicht vermöge, die Angeklagte mit seiner Aussage zu beschützen, so möge es wenigstens fern von ihm sein, seine Hand mit dem unschuldigen Blut zu besudeln: „Si non queo salvare castam, innoxiam, | Piamque foeminam mea sententia, | Absit tamen manus foedare sanguine | Innoxio“ (V. 1027– 1030). terliches und barockes Kirchenverständnis im Spiegel der Kirchweihe, hg. von Ralf M.W. Stemmberger/Claudia Sticher [u. a.]. Berlin , S. – , hier S. . Ebd. Agira: „Amicus est Chelkias, atque Ioakim, | Sed amica certe veritas nobis magis. | Amicus hic viris ad aras extiti, | Sed veritas mihi modo praeponderat“ (SusL, V. – ). Histiob: „Trucidat alter amicus, alter legibus | Abutitur, facitque normam Lesbiam“ (SusL, V. f.). Histiob: „Agiran urget stricta conscientia, | Ut sit necesse tristem impigni litteram, | O Conscientiam? Quid? Ampliatio | Occlusa erat, dum non constabat veritas?“ (SusL, V. – ).
168
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Die sechste Szene zeigt die Vereidigung Achabs und Sedechias. Wie im volkssprachlichen Drama fasst der Richter zunächst das Ergebnis der Abstimmungsrunde zusammen, wonach nur die beiden Kläger vereidigt werden sollen, nicht aber die Angeklagte (V. 1031– 1034), und bedauert diesen Entschluss (V. 1034 – 1036). Dennoch ruft er sich seine Pflicht in Erinnerung, die ihm seine ‚prätorische Autorität‘ gebiete, und die ihn zwinge, auch die ‚falschen‘ Beschlüsse auszuführen, d. h. die beiden Alten zu vereidigen. Dass sich der Quaesitor auf seine Autorität als ‚Prätor‘ beruft, dem höchsten Justizbeamten im antiken Rom, zeigt, dass Birck mit der antiken Rechtsgeschichte vertraut war, die er bei Bonifacius Amerbach in Basel studiert hatte. Der Quaesitor geht zur Vereidigung über und erklärt den Alten, was sie zu tun haben. Wie im volkssprachlichen Drama sollen sie ihre jeweils rechte Hand auf Susannas Haupt legen, wie es Sitte sei („Ut mos habet“, V. 1043). Er werde die gelehrten Worte des Eides vorsprechen, der ‚sehr bekannt‘ sei, die beiden Männer sollten alle Silben nachsprechen, sodass kein Gemurmel in der Aussprache sei. Der vorsitzende Richter spricht die Eidesformel vor, die Achab und Sedechias jeweils wiederholen. Sie schwören darin bei Gott, die Wahrheit zu sagen (V. 1052 f.) und geloben, gemäß den mosaischen Gesetzen und gemäß den Prophezeiungen (V. 1079 – 1084) als Verbannte von Babylon zu sterben (V. 1059 f.) und dem Volk ein Paradigma des Meineids zu sein (V. 1086 f.), wenn ihre Aussagen nicht in allem übereinstimmen sollten (V. 1058), womit auf den weiteren Verlauf der Handlung angespielt wird. Nach der offiziellen Vereidigung fordert das Volk die baldige Vollziehung der Steinigung Susannas, damit das ‚Haus Israel von Verbrechen rein sei‘.²⁰⁶ Durch diesen Auftritt des Volkes hält Birck die Vorgabe der Apokryphe ein, dass Susanna vom Volk zum Tode verurteilt wird, welches den Ältesten und den Richtern mehr Glauben schenkt als der Angeklagten.²⁰⁷ Da das lateinische Susannadrama nicht mehr wie das volkssprachliche in einer reinen Respublica christiana nach antikem Vorbild spielt, sondern in einer Monarchie (obgleich der Begriff ‚Respublica‘ allgemein im Sinne eines ‚Gemeinwesens‘ weiterhin gebraucht wird²⁰⁸), erwähnt der Quaesitor hier zum ersten Mal den König. Wenn Susanna gegen die Verfügungen keinen Einspruch einlege, so solle die Todesstrafe vollstreckt werden und Susanna vom rasenden Volk mit Steinen bedeckt werden, damit auf diese Weise
Populus: „Rapiatur ad poenas. Scelesta nunc luat. | Lex mandat ut domus Israel à crimine | Sit munda. Labes ista nunc ferenda erit? | Tollatur ergo haec è medio. Lex obrui | Saxis iubet. Isthanc decet mulctarier“ (SusL, V. – ). „credidit eis multitudo quasi senibus populi et iudicibus et condemnaverunt eam ad mortem“ (Vul Dn ,). Siehe u. a. V. .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
169
ihre Schuld gesühnt werde.²⁰⁹ Lege sie aber innerhalb von drei Tagen, die ihr gewährt werden, Widerspruch ein, dann könne durch die Richter eine Appellation („appellatio“, V. 1101) an den König gewährt werden, denn der ‚Sieger‘ Nabuchadonosor nehme nun die gerichtliche Gewalt in Anspruch, nachdem das besiegte Volk das ganze Recht auf ihn übertragen habe: Nisi ad acta provocaveris, vel termino Nunc constituto (nam hoc triduum tibi damus) Ad sceptra regis per nos appellatio Concessa sit, cui summa iurisdictio est, Quam victor ipse sibi Nabuchadonosor Nunc vendicat, populusque victus omnia Sua iura in ipsum transtulit. (V. 1099 – 1105)
Susannas Heil hänge somit gänzlich von der Milde des Königs ab.²¹⁰ Diese Ankündigung ist bemerkenswert, da das römisch-kanonische Rechtsmittel der Appellation nach § 95 des Augsburger Reichsabschieds zumindest an das Reichskammergericht ausdrücklich verboten war, nachdem auf dem sensibelsten aller Rechtsgebiete keine Zentralisierung erfolgen sollte.²¹¹ Bereits im Entwurf der Carolina von 1521 war eine Klage vor dem Reichskammergericht zwar vorgesehen, jedoch nicht bei einem Kapitalverbrechen, wie es im Susannadrama verhandelt wird („capitalis est heîc causa“, V. 746). Dass Birck in seinem Drama dennoch einer wegen eines Kapitalverbrechens verurteilten Figur die Möglichkeit einer Appellation an die oberste gerichtliche Instanz, d. h. an den König gab, kann durchaus als ein Affront gegen geltendes Recht gesehen werden. In der siebten Szene nimmt Susanna Abschied von ihren Angehörigen, vertraut fest auf Gott und wird noch einmal in ihrer Rolle als vorbildliche Ehefrau und Mutter inszeniert. Die Hoffnung von Susannas Vater Chelkias liegt nun in Nabuchadonosor, an den es nun erlaubt sei zu appellieren und der seiner Tochter gewogen sei.²¹² Susanna beschwört auch angesichts der nahenden Todesstrafe ihren unerschütterlichen Glauben an Gott. Die Treue zu ihrem Ehemann werde sie
Quaesitor: „iam nil amplius | Restat, nisi quod summum ius dictitaverit, | Et ut satis fiat populi furoribus, | Ut morte culpam praestes diram foemina“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „salus tua | Nunc pendet omnis ex Regis clementia“ (SusL, V. f.). Vgl.: Christian Szidzek: Das frühneuzeitliche Verbot der Appellation in Strafsachen. Zum Einfluß von Rezeption und Politik auf die Zuständigkeit insbesondere des Reichskammergerichts (= Konflikt,Verbrechen und Sanktionen in der Gesellschaft Alteuropas, Fallstudien ). Köln [u. a.] , S. . Chelkias: „Aequissimus gnata est Nabuchadonosor | Ad hunc licet nunc appellare“ (SusL, V. f.).
170
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
mit ihrem Blut bezeugen. Ihren beiden Mägden, denen sie auch ihre beiden Kinder anvertraut, gibt sie zum Abschied mit auf den Weg: „Nil valebit ultra castitas“ (‚Nichts wird sich bewähren jenseits der Keuschheit‘, V. 1138) und zeigt sich fest überzeugt, dass Gott mit seinem ‚wunderbaren Verstand‘ („Ratione […] mirabili“, V. 1160) eingreifen werde. In der achten Szene darf Susanna ihren Einspruch vortragen. Sie beginnt ihre Rede an die Richter von Israel mit der Erinnerung, dass sie und ihr Ehemann ihre Lebensaufgabe als Eltern erfüllt hätten, indem sie bereits Kinder gezeugt hätten.²¹³ Dies ist das stärkste Argument, das Susanna für die Integrität ihrer Person hervorbringen kann. Geschickt appelliert Susanna an jenen, der das höchste Szepter hält, von dem die Macht des Rechtssprechens über die Übrigen ausgeht und der auch den schlechten Herrschern verzeiht, der die Gemüter erkennt und die Herzen der Menschen erforscht.²¹⁴ Zuversichtlich fügt sie hinzu: „Erroribusque nullis est obnoxius, | Is vindicans iustam feret sententiam“ (‚Der ist durch keine Fehler schuldig, der befreiend die gerechte Meinung verbreiten wird‘, V. 1176 f.). Susanna appelliert nicht, wie von ihr erwartet wird, an den König Nabuchadonosor, sondern an Gott, der für Susanna – im Gegensatz zu den beiden heuchlerischen Alten – eindeutig über dem König steht. Der Quaesitor verweigert ihr daraufhin die Appellation an den König und befiehlt den beiden Amtsdienern, den acribodicaei (V. 1179), die Verurteilte mit der Härte des Gesetzes zu bestrafen und sie mit Steinen zu überschütten.²¹⁵ Die beiden Amtsdiener Cleter und Abed entschuldigen sich bei Susanna dafür, nun die Strafe an ihr vollziehen zu müssen, und führen als Erklärung an, sie, die ‚öffentlichen Diener von Themis‘, zwinge die Pflicht („nos necessitas | Themistos urget hoc ministros publicos“, V. 1184 f.). Jakob Baechtold merkt zu dieser Stelle (ohne genauen Quellenverweis) an: „Diese [die Amtleute] bitten sie ganz nach den Formen der peinlichen Halsgerichtsordnung um Verzeihung, daß sie den Spruch an ihr vollziehen müssen.“²¹⁶ Mit einer emphatischen Rede treibt Susanna an dieser Stelle den Spannungsbogen kurz vor dem Eingreifen Daniels auf den Höhepunkt. Themis, eine antike Titanin der Gerechtigkeit und Ordnung,²¹⁷ beschimpft sie als ‚verkehrt‘ („Corrupta vor urget Themis“, V. 1186) – Susanna: „Vos Israëlis arbitri, iam contuli | Charo meo cum coniuge, ac parentibus | Vitae negotium“ (SusL, V. – ). Susanna: „Quid prodest appellatio? | Mos provocationis est curare maxime, | Ne in appellatione sit error malus, | Appello eum, qui summa sceptra concutit, | A quo potestas iudicandi caeteris, | Etiam malius conceditur potentibus, | Is corda novit, et scrutatur viscera“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Nunc acribodicaei fiat executio. | Iuris rigor Susanna saxis obrui | Nunc te iubet. apparitores prendite“ (SusL, V. – ). Vgl. Baechtold, Geschichte, S. . Vgl. Grant, Lexikon, S. f.
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
171
sie wünsche sich nichts von ihr („nihil imprecor“, V. 1186). Ironisch fleht sie Themis an, den Prozess auf sich zu nehmen ohne sich dabei von den falschen Zeugnissen und den dröhnenden, affektvollen Reden täuschen zu lassen, sondern nur auf den Glanz des reinen Herzens zu achten,²¹⁸ und appelliert an das Volk: „Gentiles, heus advertite, | Babyloniique Cives, hoc potissimum | Studium siet vobis, quo salva castitas | Tum uxoribus, tum filiabus floreat.“ (‚Hört her, wendet euch um, ihr Nicht-Juden und Bürger von Babylon, dies sei euch das gewaltigste, eifrigste Streben, wo die unversehrte Keuschheit bald bei den Ehefrauen, bald bei den Töchtern blühe‘, V. 1198 – 1201). Ein Chorgesang ex Psal. LXXXII. beschließt den vierten Akt. Wer ihn singt, ist nicht angegeben. Der 82. Psalm, bzw. in der Vulgata der 81. Psalm, ist ein Psalm Asaphs – eine Bitte um Gottes Eingreifen als Richter, den Armen und Unterdrückten beizustehen und sie aus der Hand der Frevler zu befreien. Dass sich Birck nicht an die Zählweise der Vulgata hält, lässt darauf schließen, dass er eine andere Vorlage verwendete. Möglichweise übersetzte er eine griechische oder hebräische Vorlage ins Lateinische.Verglichen mit anderen Chorgesängen in dem Drama hält sich Birck hier recht eng an den angegebenen Psalm. Die Gedanken des jeweiligen Verses wurden nahezu vollständig in den Chorgesang transfomiert. Bemerkenswert ist die Aufforderung in V. 1220 f.: „Iniusti eripias bonos | Censoris violentia“ (in der Vulgata: „salvate inopem et pauperem de manu impiorum liberate“, Ps 81,4). Im antiken Rom verwalteten die ‚censores‘ u. a. das Sittengericht. Birck konnte mit dieser Vokabel einen Bezug zur besungenen Dramenhandlung herstellen. Ein weiteres Beispiel für den Bezug des Chors auf die Dramenhandlung ist in V. 1214 f. zu finden: „Quantisper facies praevalet impii? | Pompas magnificas respicitis foro?“ (in der Vulgata: „usquequo iudicatis iniquitatem et facies impiorum suscipitis“, Ps 81,2). Die Frage im Psalm, wie weit man noch die Art der Gottlosen unterstützen wolle, wird im Drama in die Frage umgewandelt, wie lange man noch den prahlerischen Reihen im Forum, d. h. den gottlosen Richtern, Beachtung schenken wolle.
Actus quintus Auf den Psalmengesang folgt der Beginn des fünften Aktes, der mit dem Ausruf Daniels anhebt: „Ehem, Domus seniores Israël patres, | Immunis en sum ab in-
Susanna: „Causam meam Themis divina suscipe, | Tuum tribunal, atque sceptrum dexterum | Imploro, te non fallunt testimonia | Adulterata, nil affectibus strepens | Oratio, nil lata legis fimbira, | Sed candor, atque pectus integrum bene | Tibi valent. nil te fugit reconditum, | Tu scis, quibus me technis circumvenerint | Senes, Suis cum nollem ego acquiscere | Votis libidinosis“ (SusL, V. – ).
172
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
nocenti sanguine“ (‚Sieh da, Haus und alte Väter Israel, ich bin frei von dem unschuldigen Blut‘, V. 1234 f.). Agira, der zu den gottlosen Richtern gehört, versucht sogleich, Daniels Einspruch zu entkräften und ihn zum Schweigen zu bringen, indem er ihm die Autorität des Richteramts abspricht: „Puer senes hic insimulat calumniae. | […] Irritam | Rem iudicatam factitans, infaminae | Eximere nota satagit“ (‚Der Knabe beschuldigt die Alten fälschlich der Rechtsverdrehung. […] Er übt die ungültige Angelegenheit des Richteramts aus; man hat genug zu tun, die Erfahrungen der Schande zu beseitigen‘, V. 1240 – 1243). Auch der Quaesitor fragt den Knaben argwöhnisch: „Tibíne intercessori cedere | Senes cupis?“ (‚Begehrst du, dass die Alten dir Protestierendem weichen?‘, V. 1244 f.). Daraufhin belehrt Daniel die Versammlung der Richter über das Rechtsverständnis Gottes, des Überbringers der Gesetze: „Imò Deus generis sator mortalium, | Legisque lator odit iusticiam nimis | Duram, atque plus satis rigidam, neque | Humana vita res Deo leviuscula est, | Ut lusus esset in periclo sanguinis“ (‚Allerdings hasst Gott, der Schöpfer der Sterblichen und der Überbringer des Gesetzes die allzu schroffe Gerechtigkeit und noch mehr die unbiegsame, und niemals ist ein menschliches Leben Gott eine unbedeutsame Angelegenheit, dass es eine Spielerei wäre im Wagnis des Blutes‘, V. 1247– 1252). Er beschuldigt die Richter, Susanna fälschlicherweise zum Tode verurteilt zu haben (V. 1255 f.) und fordert sie auf, zum Tribunal zurückzukehren und die ‚ehrenwerte Frau‘ in den ‚unverletzten Rechtszustand‘ zurückzubringen.²¹⁹ Damit überzeugt Daniel den Quaesitor, er sei durch ‚göttliche Fügung‘ als Richter eingesetzt worden. Gegen den Widerstand Agiras wird ihm das Richteramt übertragen.²²⁰ Der Quaesitor fordert Daniel auf, das Amt des Richters zu ergreifen und kündigt an: „Quod spiritus dictabit, id ratum siet“ (‚Was der Geist vorschreiben wird, das gelte‘,V. 1271). Die Richter sollen auf ihre Plätze zurückkehren (V. 1272), Susannas Hände sollen von den Fesseln befreit werden (V. 1273) und der Quaesitor führt sie offiziell in den ‚unverletzten Rechtszustand‘ zurück.²²¹ In der zweiten Szene übernimmt Daniel das Richteramt und beginnt seine Ansprache an die übrigen Richter mit einer Belehrung, dass es nicht die äußerlichen Anzeichen von Autorität seien, die einen würdevollen Presbyter ausmachten: Nicht der lang herabhängende Bart und der breite Saum bringe dem
Daniel: „hem gradum ad tribunal vertite, | Restituite hanc matronam honestam in integrum“ (SusL, V. f.). Agira: „In integrum? Num ius suum non obtinent? | Aut unde tanta autoritas puellulo?“Quaesitor: „Divinitus puto. | Nam qui prudentiam | Tantam dedit, tamque admirabilem, Deus, | Idem dabit ius vindicandi innoxiam. | Quapropter ô patres honorem iudicis | Huic deferemus“ (SuL, V. – ). Quaesitor: „Restitute hanc matronam honestam in integrum“ (SuL, V. ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
173
Senat fähige Männer hervor und auch nicht die bunte Troddel des Gesetzes.²²² Allein der feste Entschluss der Herzen, dass die Gesetze gehalten werden, mache die guten Presbyter aus und Gerechtigkeit stehe oberhalb der einzelnen Rechtsvorschriften: „Animis teneri iura certum est argui. | Sed aequitas praestabit iura singula“ (‚Ich habe dargelegt, es ist der feste Entschluss der Herzen, dass die Gesetze gehalten werden. Aber Gerechtigkeit zeichnet sich aus vor den einzelnen Gesetzen‘, V. 1283 f.). Um den Prozess nicht weiter aufzuhalten, erteilt Daniel die Anweisung, die beiden Alten zu trennen. Der eine solle vor Gericht gestellt werden, während der andere draußen festgehalten werde, damit aus den klaren Aussagen die Wahrheit offenbar werde (V. 1290 – 1293). Dieses Verfahren sei von größerem Gewicht als das ‚Durcheinander der Richter‘, bei dem die abgegebenen Stimmen gezählt wurden und nicht, wie Daniel fordert, sorgfältig gegeneinander abgewogen.²²³ Der Quaesitor gibt Daniels Befehle an die beiden Amtsdiener weiter und bestimmt, dass Achab als erster in den ‚tosenden Halbkreis‘ („In hemicyclum sistite Achab fervidum“, V. 1305) gestellt werden soll. Die dritte Szene ist dem Verhör Achabs gewidmet. In einem ausführlichen Plädoyer befragt Daniel den Angeklagten Achab, den er von vornherein als einen ‚gewaltigen nichtsnutzigen und frevelhaften Schelm‘ anspricht (V. 1313 f.). Daniel wirft ihm vor, über Jahre hinweg die Schuldlosen verurteilt und die schuldigen Gefährten und Amtsträger mit weißen Stimmsteinchen geschont zu haben.²²⁴ Wieder einmal bedient sich Birck der Tiermetaphorik, wenn er Daniel die Worte in den Mund legt: „Censura vestra agit columbas simplices, | Veniam et quietem dat corvis rapacibus“ (‚Eure Sittenkontrolle jagt einfache Tauben, und gewährt Gunst und Ruhe den reißenden Raben‘, V. 1333 f.). Er beschimpft Achab als einen „vitilitigator“ (‚einen Splitterrichter‘, V. 1344), der sich keine Sorgen darüber mache, was der „Summus nomotheta, atque imperator maximus“ (von ‚υομοθέτς‘, ‚höchster Gesetzgeber und größter Imperator‘, V. 1343) vorschreibe.²²⁵ Auf die entscheidende Frage, unter welchem Baum er Susanna und den jungen Mann
Daniel: „Audite paucis, quidnam in hac re sentiam, | Nec Barba praesbyteros facit propendula, | Nec latus efficiet clavus Senatui | Aptos viros, nec picta lege fimbria“ (SusL,V. – ). Daniel: „Quae ponderis plusquam confusa iudicum, | Nec ponderata recte habent suffragia, | Nam ponderandas, non numerandas dixerim | Sententias, fallitque disquisitio“, (SusL, V. – ). Daniel: „Damnastis usque innoxios, et innocens | Pessundatus poenas luit, te iudice, | Pravissimis albos ferebas calculus, | Et ex reis tu noxios exemeras, | Videlicet consortes, et per munera, | sententiam tuam expugnantes, perfide, | Id ille qui mundum quatit, non perferet“ (SusL, V. – ). Daniel: „Sed est tibi parum curae quod praecipit | Summus nomotheta, atque imperator maximus?“ (SusL, V. f.).
174
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
beobachtet haben will, antwortet Achab wie in der Vulgata: „Schinus fuit“ (V. 1347).²²⁶ Der Quaesitor stellt fest, Achab sei mit sehr sicheren Beweisen der Rechtsverdrehung überführt worden und ordnet an, ihn abzuführen und stattdessen Sedechias herbeizuholen (V. 1352 f.). Der Deutung dieser Szene von James A. Parente, die Rettung Susannas durch den Propheten Daniel vermittele den Rezipienten, dass das Handeln der Obrigkeit letztlich wirkungslos sei,²²⁷ ist entgegenzuhalten, dass die Minderheit der Richter sich in den Abstimmungsrunden für ‚bessere‘ Verfahrenregeln in Anlehung an das antike römische Recht ausspricht. Die Aussage des Dramas besteht also auch darin, dass ein Gerichtswesen mit effektiven Verfahrensregeln zur Wahrheitsfindung das Eingreifen Gottes ins immanente Geschehen – wie zur Zeit des Alten Testaments – überflüssig mache. Würden sich die Richter nicht von Amtsautorität und Äußerlichkeiten blenden lassen, sondern wären sie darauf bedacht, die Wahrheit herauszufinden und nach den ‚besseren‘ Verfahrensregeln des antiken römischen Rechts zu urteilten – so die Aussage des Dramas – dann bräuchte Gott zur Durchsetzung seines Willens auf Erden keinen Propheten zu senden. Die Wahrheit zu ergünden und damit das göttliche Gesetz durchzusetzen, gehört zu den Aufgaben einer weltlichen Obrigkeit, die sich als Diener Gottes versteht. Die Voraussetzung hierfür ist, dass die Obrigkeit gewillt ist, den Willen Gottes auf Erden zu verwirklichen – ein zentrales Merkmal der von Birck in seinen Bibeldramen dargestellten christlichen Republik. Die vierte Szene mit dem Verhör Sedechias ist nach dem gleichen Muster aufgebaut wie die dritte: In einem längeren Plädoyer beschuldigt der junge Richter den Angeklagten, die jüdischen Jungfrauen und Ehefrauen verführt und vergewaltigt zu haben (V. 1370 – 1377), kommt aber zu dem Schluss, von Abstammung seien die Juden stärker und ihre Seelen rechtschaffener als die der Nicht-Juden.²²⁸ Er beschreibt die jüdische Gemeinschaft als eine ‚eherne Mauer‘, die von den beiden Alten mit Mineneinschlägen torpediert worden sei, doch sei sie am Schluss als Siegerin aus dieser Attacke hervorgegangen (V. 1380 – 1382). Zur Beschreibung von Susannas Verhalten bedient er sich der Schwertmetaphorik: Mit göttlichen Kräften habe die Keusche das in Honig eingetauchte Schwert zerbrochen und die Listen der beiden Frevler vertrieben, weshalb Daniel ihm prophezeit: „Gladio peribis ipse tuo nequissime“ (‚Mit deinem Schwert wirst du selbst umkommen, du überaus Nichtsnutziger‘ V. 1386). Damit der Angeklagte nicht glaubt, er werde aus Willkür verurteilt, fragt Daniel auch ihn, unter welchem Baum er die beiden Vul, Dn ,: „qui ait sub scino“. Vgl. Kap. , Anm. . „Ast nata stirpe Iudae fortior fuit, | Animus probus probis quadrat natalibus“, (SusL, V. f.).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
175
Liebenden im ‚hortus amoenus‘ überrascht habe.²²⁹ Wie in der Vulgata antwortet Sedechias auf diese Frage: „arbor prinus est“ (V. 1390; Vul Dn 13,58: „qui ait sub prino“). Daniel verurteilt die beiden daraufhin zum Tod durch ‚das Schwert des schützenden Dieners Gottes‘, damit sie die Rache der Talion treffe.²³⁰ Der Quaesitor ordnet an, die beiden Männer gemeinsam vor Gericht zu stellen, wo nun über ihre Seelen beraten würde (V. 1397 f.). Zum Abschluss des Verhörs stimmt das Volk einen zweistrophigen Gesang – eine Adaptation des achten Psalms – an. Die fünfte Szene stellt den Übergang zur letzten Abstimmungsrunde aller Urteilssprecher dar. Das Volk scheint auf der Bühne wild durcheinander zu reden, ungläubig über die Ereignisse, die sich gerade zugetragen haben (V. 1406 – 1411), sodass der Amtsdiener Praeco unter Androhung einer Strafe von zwei Silbermünzen zur Ruhe auffordern muss. Auf Anordnung des Quaesitors stehen nun beide Beschuldigten vor dem Tribunal (V. 1416 – 1419). Die sechste Szene ist der letzten Abstimmungsrunde des Gerichts gewidmet, bei der die beiden Alten von den Urteilssprechern zum Tode verurteilt werden. Der Quaesitor eröffnet die Sitzung mit der Feststellung, obgleich die beiden Angeklagten bereits durch Daniel von Gott ,dem höchsten Richter, verurteilt worden seien und die Wahrheit klar aufgedeckt worden sei, müsse das Urteil letztlich nach den Sitten des Forums beschlossen werden.²³¹ Jene Urteilssprecher, die Susanna zuvor zum Tode verurteilt hatten, sind inzwischen zur besseren Einsicht gelangt und ändern nun ihre Meinung. Für Arradan, der zuvor befand, zwei Männern sei mehr Vertrauen zu schenken als einer Frau, sind die äußerlichen Anzeichen von Autorität wie Alter, Bart und Troddel als nutzlos enttarnt (V. 1427– 1429). Aus dieser neuen Perspektive, gibt er zu, könne auch ein Ziegenbock in der Reihe der Richter sitzen und ein Wolf von seinen Sünden reingewaschen werden.²³² Statt die Glaubwürdigkeit einer Frau in Frage zu stellen wie zuvor, singt er nun eine ‚Palinodia‘ der ehrbaren Frau.²³³ Für die beiden falschen
„Sed ne putes forte hoc ex composito geri, | Dic quaeso qua sub arbore ipsos mutuò | Deprenderis in horto amoeno colloqui?“ (SusL, V. – ). „Gladio dei minister vindex imminet | Πρίσαισε nunc medium. Nam haec iusta est ultio | Si talionis poena hanc vindicaverit, | Adiudicaveritque vos dignae neci“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Quamvis Deus iudex supremus omnium | Per pusionem vatem sic sententiam | Certam tulit, ne sit, qui nunc id ambigat, | Quin veritas rei clare detecta sit: | Iuris tamen processus hic ritu fori | Servetur“ (SusL, V. – ). Arradan: „Caper sic esset iudicum ordine | Numerandus, atque lupus hirsuto tergore“ (SusL, V. f.). Arradan: „Palinodiam pudicae foeminae cano“ (SusL, V. ). Die ‚Palinodia‘ ist im juristischen Sinne ein Widerruf, mit dem „der Beleidiger zu erklären [hat], daß er des Andern Ehre auf unwahre Weise gekränkt habe“, Art. „Injurie“. In: Pierer’s Universal-Lexikon, Bd. . Altenburg , S. – , hier S. .
176
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Zeugen fordert er die Strafe der Talion (V. 1432 f.), fügt jedoch hinzu, das letzte Wort liege beim König Nebucadnezar, bei dem die Rechtsprechung für Kapitalverbrechen liege.²³⁴ Auch Dibon, der sich schon in der ersten Abstimmungsrunde für Susanna eingesetzt hatte, will beim Strafmaß ganz auf den König vertrauen: „Age exequatur rex quod iste protulit“ (V. 1449). Dabrani, der nun seine Meinung ändert und Susannas Unschuld anerkennt, bittet seine Kollegen für seinen Wankelmut um Verzeihung und verweist auf eine Redensart, wonach man meinen könnte, er sei wankelmütiger als Euripos, die engste Meerenge der Welt zwischen Boiotien und Euboia, die aufgrund der Gezeiten viermal am Tag ihre Flussrichtung ändere.²³⁵ Doch zwinge ihn die Notwendigkeit nun, die Segel zu wenden und die ‚Palinodia‘ auf die Unschuld Susannas zu singen. Agira ist der einzige unter den Urteilssprechern, der sich kritisch über Daniel als eingesetzten Richter äußert und dessen Legitimierung und damit auch den Urteilsspruch anzweifelt. Er bemängelt, dem Quaesitor hätte es gar nicht zugestanden, die Rechtsprechung vollständig auf Daniel zu übertragen, da der Quaesitor selbst an die Stimme des Volkes und an die Stimmsteinchen der Presbyter gebunden sei. Daher kommt er zu dem Schluss, dass Daniels Rechtsprechung ungültig sei.²³⁶ Histiob hält dagegen, niemand sei besser legitimiert, das Richteramt zu übernehmen als Daniel. Zum einen sei die Übertragung des Amtes mit der Zustimmung und mit dem Beifall des Volkes geschehen. Zum anderen – was noch mehr ins Gewicht falle – habe der ‚Monarcha summus‘, der höchste Alleinherrscher, von dem alle Macht ausgehe, das Amt auf denselben übertragen.²³⁷ Die beiden letzten Urteilssprecher, Maloco und Ierobaal, üben sich in Anbetracht ihres vorausgegangenen Fehlurteils in tiefer Demut und Selbstkritik und folgen nun dem ‚göttlichen Tribunal‘ (V. 1500 – 1515). Der Quaesitor kommt zu dem Schluss, dass die beiden Alten nun durch die abgegebenen Stimmen verurteilt
Arradan: „Sed rex minister est, | Si quis facit capital, tum iurisdictio | Penes Nebuchadnézer est, non pessimum | Regem, nisi quod incircuncisus imperat“ (SusL, V. – ). Dabrani: „Solet | Proverbio dici, Quod sit oratio | Eiusmodi, cuiusmodi est, qui protulit, | Hanc deprecor suspitionem, fratres pii, | Possem videri esse Euripo inconstantior“ (SusL, V. – ). Agira: „Parum liquet num quae gerantur sint satis | Rata, aut puer legitime ius subiverit | Impuber. Atque recte iurisdictio | Transfertur, unde fluxit dignitas ea, | Verum bonus Quaesitor hancce transtulit, | Quam non habebat propriam, suffragiis | Populi, atque presbyterorum calculis, | Quibus ipse iudex noster constitutus est. | Oportuit mandari. Sic puto esse id irritum“ (SusL, V. – ). Histiob: „Quid? ambigísne, an quid momenti | Sanctio pueri sit habitura? Crede, plurimum. | Translatio est consensu facta maximo | Populique applausu, et quod tibi sit amplius, | Monarcha summus hanc in ipsum transtulit. |A quo venit potestas omnis omnibus“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
177
seien.²³⁸ Wer diesen Stimmen nicht vertraue, dem möge die Weissagung („Oraculum“, V. 1519) – vermutlich die des Daniel – Gewissheit geben.²³⁹ Es stehe nun noch die „executio“ (V.1520) aus, d. h. die Vollstreckung des Urteils, für die der Richter zu sorgen habe. Da er den Befehl dazu scheinbar nicht ohne die Einwilligung des Königs Nebucadnezar geben kann, kündigt er an, die Sache nun an jenen ‚Diener des höchsten Königs‘ weiterzugeben.²⁴⁰ Der weltliche König wird hier zum Diener des höchsten Königs, d. h. Gottes, gemacht. Aus der Rede des Quaesitors geht hervor, dass der König bereits von seinem Hofstaat, bestehend aus einem Feldherrn, zwei Statthaltern, zwei Provinzvorstehern, zwei Anführern, einem Lehrer, einem ‚Symbulus à consiliis‘ und einer Figur namens ‚Dethabraaeus‘ umringt, auf der Bühne zu sehen ist. Die siebte Szene ist seinem Auftritt und seiner letztgültigen Urteilsverkündung gewidmet. Der König erkundigt sich bei seinem Gefolge, was es mit dem Knaben auf sich habe, der entgegen der Sitte im Forum als Richter eingesetzt worden sei. Aspenax, der „Magister Eunuchorum“ (vor V. 1525) führt aus, der Knabe heiße ‚Belthaschazar‘ und gehöre dem Fürstenhof an. In Dn 1,7 gibt der „oberest kmerling“ (in der Vulgata der „praepositus eunuchorum“) Daniel den Namen „Beltaschazar“, in der Vulgata „Balthasar“ (ZB, Dn, A bzw.Vul Dn 1,7). Er, Aspenax, habe den Jungen von ausgezeichneter Begabung in seine Obhut genommen, wo er sich als der beste Schüler von Babylon bewährt habe. Dem König werde er daher noch große Dienste erweisen können: „Columen, decusque regni longe maximum“ (V. 1542). In den monarchischen Zusätzen, die Birck dem volkssprachlichen Susannadrama in der lateinischen Fassung hinzufügte, greift Birck nicht nur auf das Buch Daniel zurück, er fügt auch das Bildungsideal ein, das er in seiner Widmung beschrieben hat: Der talentierte Knabe Daniel wurde am Fürstenhof in den Wissenschaften unterrichtet und konnte so zum idealen Herrscherberater heranwachsen. Diese Rolle erfüllt er nun, indem er das gottgefällige Urteil gegen die beiden meineidigen Alten ausspricht, das der König als höchste weltliche Instanz der Jurisdiktion bloß noch zu bestätigen braucht. Der König zieht nun mit seinem Hofstaat ein. Die beiden gefesselten Alten werden zu ihm geführt und auch die Urteilssprecher und der Quaesitor, der Daniel an seiner rechten Hand hält, laufen dem Monarchen entgegen und heißen ihn willkommen (V. 1545 – 1549). Auf Nebucadnezars Frage, was es mit den beiden Gefangenen auf sich habe, berichtet der Quaesitor von der schamlosen Begierde
Quaesitor: „Collecta nunc damnant senes suffragia“ (SusL, V. ). Quaesitor: „Si quod quibusdam non fidei satis queat | Oraculum praebere“ (SusL,V. f.). Quaesitor: „Restat amplius | Nunc executio. En Nabuchadonosor | Rex, en stipatus, en satellitum agmine | Multisque Satrapis, illi mandabimus | Negotium, Minister summi regis est“ (SusL, V. – ).
178
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
der beiden Alten gegenüber Susanna, dass sich die Richter durch die große Autorität der beiden Männer habe täuschen lassen und dass Daniel, der sich an Weisheit vor allen Richtern auszeichne, die beiden falschen Zeugen mit seiner prophetischen Eingebung überführt und Susanna gerettet habe.²⁴¹ Er fährt fort, dass das Gesetz Gottes für diesen Fall befehle, die beiden Alten nach dem Talionsprizip zu bestrafen und bittet Nebucadnezar, nun das letzte Urteil in dieser Rechtssache zu sprechen: „O Rex? tibi est in nos nunc Iurisdictio | Capitalis, hoc tua aestimabit aequitas“ (V. 1567 f.). Nun zeigt sich, dass Nebucadnezar und sein Hofstaat im Drama nach dem gleichen Muster Entscheidungen treffen wie das Gericht mit seinem Quaesitor und den Urteilssprechern. Obwohl der König das letzte Wort hat, fordert er zunächst alle seine neun Aristokraten auf, ihre Stimme abzugeben. Keiner von ihnen äußert Einwände gegen Daniels Urteil. Achschedar bekräftigt: „[q]uin rata sint, quaecunque dixit Balthasar“ (V. 1574). Dass Birck an dieser Stelle nach der Vulgata „Balthasar“ und an anderer Stelle nach der Zürcher Bibel „Belthaschazar“ (V. 1532) schreibt, ist ein Hinweis darauf, dass er mit beiden Vorlagen arbeitete. Wie Signaeus sagen einige Mitglieder des Hofes Daniel eine glänzende Zukunft voraus: „Spes magna Rex relucet in puellulo. | Ornabit haud dubie regnum Babylonicum“ (V. 1577 f.). Nebucadnezar verkündet den Richtern von Israel daraufhin die Bestätigung des von Daniel vorgeschlagenen und von ihnen angenommenen Urteils, dass die beiden Schuldigen nach dem heimischen Gesetz und nach dem Gesetz des Moses mit der Talion zu bestrafen seien.²⁴² An die beiden Verurteilten gerichtet, ordnet der König an: „Nunc executio vobis commissa sit. | Nos hic necis spectabimus spectaculum“ (V. 1593 f.). In dieser Figurenrede Nebucadnezars wird ein Anliegen Bircks greifbar, das er mit seinen Dramen zu vermitteln suchte: Die Integration von ‚heimischen Gesetzen‘, wohl jenen Gesetzen, die zur Zeit der Aufführung in Augsburg bzw. Basel galten, und dem Gesetz des Moses, sprich des Alten Testaments. Die achte Szene ist dem Lobpreis Susannas und Gottes als dem ‚wahren‘ vorsitzenden Richter sowie Susannas Familie gewidmet, bevor die beiden Alten in der neunten Szene gesteinigt werden. Der Quaesitor und Susanna selbst erblicken in der Gefahr eine Prüfung („Examen“,V. 1596) Gottes bezüglich ihres Glaubens, in
Quaesitor: „O Rex Nabuchadnézer victor maxime, | Hi testimoniis confictis, et dolo | Malo pudicitia memorabilia, et probis, | Castisque moribus hanc mulierem, quia pia | Non obsequi voluit pravae libidini, | Satagunt ream facere, Sed tanta autoritas | Virûm fefellit, hancque condemnavimus, | Ut adulteram. Sed en Deus comparvit, | Cum nulla spes salutis esset, foeminae. | Misit puellum vatem qui prudentia | Excellit omnes Israëlis arbitros. | Convicit hos culumniae“ (SusL, V. – ). Nabuchadonosor: „O Israëlis arbitri, nobis placet. […] Probo. | Calumnias maneto digna talio, | Quam patria lex statuit, Moses’ve dictitat“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
179
der sich Susanna mit ihrer Standhaftigkeit bewährt hat. An ihre Familie gerichtet leitet Susanna aus dem glücklichen Ausgang ihrer Geschichte die allgemeine Lehre ab: Freti tuae benignitati firmiter, Nunquam peribunt, quin submersae funditus Tantis miseriis porrigens manum tuam, Precor Deus ne me tentationibus Gravioribus posthac velis committere, Quin viribus validis mollem suffulcias, Si tam tuae laudi sum accommodum organon (V. 1610 – 1616) („Die auf deine Freigebigkeit Vertrauenden sind stark, niemals werden sie zugrunde gehen, ja sogar die völlig Untergetauchten in solch großen Leiden Versunkenen strecken nach deiner Hand aus, ich bitte dich, Gott, du verlangst von nun an nicht mehr, dass ich schwere Spannungen aushalte, ja du unterstützt sogar den Sanften mit starken Kräften, wenn ich dann deinem Lob ein geeignetes Werkzeug bin“, Übersetzung: JP)
Die beiden letzten Verse weisen eine Parallele zu der Lehre aus Bircks deutschem und lateinischem Judithdrama auf, wo sich eine Witwe aus eigenem Antrieb entscheidet, den übermächtigen Feind zu bekämpfen und dabei von Gott unterstützt wird. Auch Susanna steht nun als Exempel für eine ‚zarte‘ Frau, die sich mit ihrer Standhaftigkeit Gottes starke Kräfte verdient und so zu einem Werkzeug Gottes zu dessen Lobpreisung wird. Als Beniamin sich bei Daniel für die Bewahrung seiner Mutter vor dem Tod bedankt, verweist dieser auf Gott als Urheber der Rettung, dessen Stellvertreter auf Erden Daniel sei.²⁴³ Auch Susanna lobpreist Gott, den ‚Urheber aller guten Dinge‘, als ihren alleinigen Retter.²⁴⁴ Rachel, die Mutter Susannas, sieht im Gott Zion denjenigen, der mit seiner ‚höchst rechtschaffenen Hand die Regierung der Welt durch alle Krümmungen lenke‘, also den höchsten Regenten des Diesseits.²⁴⁵ Ioakim dankt seiner Frau, ihn durch die gemeinsamen Nachkommen zum Vater gemacht zu haben und kündigt für die Zukunft an: „Deo vivam, charaeque coniugi“ (‚Ich werde für Gott leben und für die liebe Ehefrau‘, V. 1678). Susanna geht von einer Nachwirkung ihres Falles für die keuschen Frauen und Mädchen in der Zukunft aus, wenn sie sagt: „Sic deinceps, futurum iudico | Castis locum matronis, ac puellulis | Periculo tutum meo fore“ (V. 1691– 1694).
Daniel: „Domino Deo tuo | Debes tuam matrem, Cuius vices gero“ (SusL, V. f.). Susanna: „Deus vires dabat conatibus. | Quod iactitem nihil est, stadium boni Deus | Autor bonorum pectoribus mortalium | Larga sua bonitate inspirat“ (SusL, V. – ). Rachel: „Tu tu Deus Sion, tu inquam rectissime | Dextra administras mundi gubernacula, | Tu flexuosa cuncta recte dirigis“ (SusL, V. f.).
180
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
Nicht klar ist dabei, ob Susanna selbst für die Zukunft das Amt einer Urteilssprecherin anstrebt, als die sie die keuschen Ehefrauen und jungen Mädchen schützen will, oder ob ihr Fall als mahnendes Exempel für die Richter und Urteilssprecher nachwirken soll. Was die Erziehung ihrer Tochter anbelangt, so kündigt Susanna einen strengen Umgang mit ihr an, um sie vom Müßiggang fernzuhalten und sie an die Beschwerlichkeiten des Lebens zu gewöhnen, damit sie sich niemals selbst in eine solche Gefahr bringe.²⁴⁶ Sie selbst möchte der Hinrichtung ihrer beiden Falschankläger nicht beiwohnen, auch wenn Andere aus diesen Dingen etwas lernen könnten. Zudem fürchtet sie, von jemandem gesehen zu werden, der für die Befreiung der beiden Alten sei und fordert daher ihre Familie auf, sich nun zurückzuziehen.²⁴⁷ Die neunte und letzte Szene des Stückes gleicht dem Ausgang des volkssprachlichen Stückes. Abed, einer der apparitores, mahnt, die Zeit dränge nun, dass die beiden Verbrecher für ihre Vergehen bestraft würden. Sedechias bittet ihn, zuvor noch einmal zum Volk sprechen zu dürfen. Als Abed dieser Bitte stattgibt, richten die beiden Alten zunächst ihre Mahnreden an die Zuhörer, in denen sie als exempla horrenda davor warnen, ihrem Beispiel zu folgen und durch eine ‚verkehrte Begierde‘ in den Abgrund zu stürzen.²⁴⁸ Reuevoll gibt Sedechias zu, nun die gerechte Strafe für seine Untat zu erhalten.²⁴⁹ Danach beten die beiden Geläuterten zu Gott und erkennen an, dass Gott der höchste Vorsteher des israelischen Gemeinwesens und der höchste Richter ist.²⁵⁰ Der Quaesitor gibt nun den Befehl zur Steinigung, wie sie das Gesetz des Moses vorschreibe.²⁵¹ Wie auch im volkssprachlichen Drama werden die beiden Todgeweihten allen Anzeichen nach auf der Bühne gesteinigt und rufen nacheinander zu Gott, um ihm nun ihre Seelen anzuvertrauen (V. 1787 f.). Cleter, der zweite der apparitores, beendet die Hinrichtung, als er konstatiert: „Habent satis lapidum“ (V. 1789). Der Quaesitor gibt die Anweisung zur Bestattung der Leichname nach der heimatlichen Sitte:
Susanna: „Natam meam hanc puellulam volo | Meo periculo laboribus consuescere. | Si tu sapis, cavebis dein’ ab ocio, | Ne te in tantum periculum praecipitem duis“ (SusL,V. – ). Susanna: „Beatus ille certe qui ex aliis sapit, | Sed hinc eamus, ne videam hoc foedissimum | Spectaculum, aut ne cui videar vindicate amans“ (SusL, V. – ). Sedechias: „Cavete ne fraus ulla, nec dolus malus | Corda occupet vestra, aut prava libidine | Ruatis in praeceps“ (SusL, V. – ). Sedechias: „Facinori dignam poenam pendimus“ (SusL, V. ). Sedechias: „Salvabis Israël, | O si salus communis haec divinitus | Mihi scelesto iam queat contingere“ (SusL, V. – ); Achab: „Tremiscere tribunalia | Possum tua, sed ea haud possum vitare, Vae | Misero mihi. Iustam tuam sententiam | Non sustinere possum, ni miseratio | Plus ponderis meis habeat nequitiis“ (SusL, V. – ). Quaesitor: „Quamvis meum caput peccatis obrutum | Sit, attamen mos urget, ut exordiar. | Patres domus Israël è medio malum, | Ut dictitat lex Moseωs, hinc tollite“ (SusL, V. – ).
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
181
„Ponantur hinc exanima virûm cadavera | Terraeque mandentur pro more patrio“ (V. 1793 f.), ein weiterer Hinweis darauf, dass tatsächlich vorgesehen war, die Hinrichtung auf der Bühne zu inszenieren. An das Publikum gerichtet verkündet der Praeco die Anweisung: „Nunc domum se quisque conferat, | Exempla statuite ante oculos sibi | Quilibet. Adulteris sic fit in Israël“ (‚Nun trage sich jeder nach Hause, jeder einzelne stelle sich die Exempla vor die Augen. So geschieht es den Ehebrechern in Israel‘ V. 1795 – 1797). Im letzten Chorgesang wird eine leicht veränderte Adaptation des ersten Psalms gesungen. Es ist ein allgemeiner Aufruf, der reinen Lehre zu folgen und sich fern zu halten von allen Gottlosen und ihren Irrlehren.
4.2.3 Rahmentext II: Epilogus Der Epilog besteht aus drei Abschnitten: Zunächst geht Birck – mit Tullius Romanus alias Cicero als Gewährsmann – darauf ein, was das Wesen des Theaters überhaupt sei. Unter Berufung auf den römischen Rhetoriker führt er aus, die Bühne sei nichts ‚als ein klarer Spiegel des Lebens der Sterblichen, der das Gesicht eines verdorbenen Jahrhunderts zeigt‘.²⁵² In einem zweiten Abschnitt wird die Lehre aus dem gerade betrachteten Stück deutlich gemacht: Die beiden Alten seien das exemplum horrendum, sie zeigten, wie weit sie sich von ihrem Amt und von der persona des Richters entfernt hätten.²⁵³ Susanna dagegen diene eifrig ihrem „πρέπον“, d. h. ihrem angemessenen Betragen. An ihr könne man alle von einer Frau zu fordernden Sitten sehen.²⁵⁴ Damit das Volk diese Lehre verstehe, werde sie mit ‚einheimischen Zitherstäbchen‘ – gemeint sind wohl die Chorgesänge – vermittelt.²⁵⁵ Zum Schluss nimmt Birck die Aufführung der Dramen vor möglichen Kritikern in Schutz und kommt insbesondere dem Vorwurf zuvor, diese dienten allein der Belustigung und hielten die Schüler von ihren Studien ab. Der Autor beruft sich auf ein ‚Sprichwort‘, wohl Horazens prodesse et delectare oder ridende dicero verum, und führt an, die Tragödien seien für sie ‚Belustigungen, die „Nil quicquam aliud est scena, Praestantissimi | Viri, patresque consultissimi, mea | Quidem sententia, quàm lucidum | Mortalium vitae speculum, quod exhibit | Faciem maligni saeculi, Sic Tullius | Romanus ille orator pulchre comparat, | Cum disserit, quid sit decorum singulis“ (SusL, V. – ). „Senes scelesti dum decorum sedulo | Custodiunt, docent senes longissime | Cessisse ab officio, ac persona iudicis“ (SusL, V. – ). „Sωsanna contrà sedulò servat suum | πρέπον,Videbit hinc matrona moribus | Petulantibus, se iam cessisse longius | Suo decoro“ (SusL, V. – ). „Ex paucis his sic caetera | Vos aestimate, dum is plectro vernaculo | Sonabit, ut cunctus populous intelligat“ (SusL, V. – ).
182
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
ernst sind und zum Nutzen der Sterblichen‘, auch wenn darin ‚kleine Scherze‘ gemacht würden.²⁵⁶ Das Hauptargument, um dem Vorwurf der nutzlosen Unterhaltung zuvorzukommen, besteht für Birck jedoch darin, dass sie ihren Eifer immer eher an ‚Spielen aus der Republica‘ ausgerichtet hätten, als dass sie sich albernen und nutzlosen Dingen hingegeben hätten.²⁵⁷ Das Streben nach dem Wohl der ‚Republica‘ scheint nicht nur für Birck, sondern auch für die angesprochenen Stadtvädter von höchster Relevanz zu sein. Das Eingeständnis, dass dieses Streben durch ‚kleine Scherze‘ aufgelockert sei, unterstützt die These Hellmut Thomkes, dass Späße im Bibeldrama gegenüber den früheren Fastnachtspielen zwar in den Hintergrund traten, jedoch immer noch in kleinen Dosen vorhanden waren und dem Zweck dienen sollten, die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht zu erhalten und so die im Vordergrund stehende Lehre besser vermitteln zu können.²⁵⁸ Nach Birck liege es an den bei einer Aufführung wohl anwesenden Ratsherren („Patres Conscripti“, V. 1856 f.), dafür zu sorgen, dass dieses ‚Heilmittel‘ der Scherze nicht ausarte, sodass die öffentliche Ordnung keinen Schaden nehme. In diesem Sinne ruft er die ‚Guten und die Gerechten‘ auf: „facite isthaec puerilia“ – ‚Macht diese Kindereien!‘ (V. 1861).
4.2.4 Zwischenfazit Welche autoreflexiven Aspekte und Fragestellungen wurden nun in der lateinischen Dramenadaptation des Susannastoffes behandelt und wer sollte was daraus lernen? Wie schon aus dem Argumentum hervorgeht,verfolgte Birck mit dem Stück das Ziel, dass die Obrigkeit im Germanium imperium gerecht über das Volk richten sollte (V. 55). Um diese Intention zu verfolgen, sind in dem lateinischen Drama wiederum Momente und Besonderheiten des politisch-theologisch-pädagogischen Programms zu finden, das der Autor mit seinen Bibeldramen zu vermitteln suchte. Wie Birck selbst in seiner Widmung schreibt, dienten dem Binnentext und den Psalmgesängen wohl eine hebräische Ausgabe als Hauptvorlage – bei den Psalmen weist die Zählweise des hebräischen Psalters darauf hin. Die aus dem Buch Daniel übernommenen Namen weisen zudem auf die Vulgata und die Zürcher Bibel als Vorlagen hin.
„Haec nobis sunt ludicra | Quae sunt gravia atque utilia mortalibus. Visum id satius, acsi nugas Tragoediis | Agamus. hoc enim culpat paroemia“ (SusL, V. – ). „Nos nostra sic studia semper paramus, ut | Lusus sit è Repub idque honestius | Nos iudicamus, quàm si rebus frivolis | Indulgeamus, in quibus non commodi | Quicquam est“ (SusL, V. – ). Siehe dazu: Thomke, Fastnachtspiel, besonders S. und S. .
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
183
Die auffallendste Änderung gegenüber dem volkssprachlichen Drama und der biblischen Vorlage ist die Änderung des Schauplatzes Babylon von einer Respublica in eine ehemalige Republik, die vom siegreichen König Nebucadnezar unterworfen wurde, und dem das besiegte Volk seine Macht übertragen hat (V. 1103 – 1105). Bei der Ausgestaltung des Hofstaates mit seinen elf sprechenden Figuren orientiert sich Birck am Buch Daniel, d. h. er bleibt in der Geschichte des Alten Testaments. Die Tatsache, dass dieses 1537 gedruckte Drama in einer Monarchie angesiedelt ist, statt wie zuvor in einem republikanischen Stadtstaat, ist als Anpassung an die Geschichte des Aufführungsortes Augsburg zu betrachten, da Augsburg als Freie Reichsstadt anders als die eidgenössische Stadt Basel dem Kaiser unterstellt war. Dennoch überträgt Sixt Birck seine Ideale für eine Respublica christiana so weit wie möglich auf die Monarchie von Babylon, dem Schauplatz des lateinischen Susannadramas. Teilweise verwendet er auch das Wort Respublica allgemein im Sinne einer Gemeinschaft, etwa wenn Ioakim anführt, die Respublica sei gottgegeben, weshalb in der Obrigkeit Eintracht statt Zwietracht herrschen sollte (V. 563 – 567). Im Drama nimmt selbst der Hofstaat republikanische Züge an, wenn die Fürsten, Statthalter und die militärischen Befehlshaber genau wie die Urteilssprecher ihr Votum darüber abgeben, ob die beiden Alten nach dem Talionsprinzip bestraft werden sollten oder nicht. Wie auch im deutschen Drama ist die Obrigkeit hier ein Diener Gottes. Das trifft auch auf den obersten Monarchen zu, der als „Minister summi regis“ (V. 1524) bezeichnet wird. Die Rechtsgrundsätze, die für diese monarchische Respublica gelten sollten, sind dieselben wie im volkssprachlichen Drama: Zum einen das Gesetz Moses’, also das Alte Testament, zum anderen die Wiederentdeckung der ‚Ruinen der Gesetze in der Heimat‘ (V. 574), d. h. des antiken römischen Rechts, im volkssprachlichen Drama „[d]er heyden gsatz“ (V. 765 f.). Indem Birck einen alttestamentlichen Stoff mit einem Gerichtsverfahren auswählte und diesen Prozess nach den Regeln des antiken römischen Rechts und der zeitgenössischen Gerichtsordnung ausgestaltete, die sich als Rezeption des römischen Rechts verstand, kann er diese beiden Rechtsordnungen gleichzeitig vermitteln. Dass Birck den Gerichtsprozess in allen Details inszenierte – mit einem öffentlichen und einem nicht-öffentlichen Sitzungsteil, mit Formeln, die der Amtsdiener gebrauchte, um für Ruhe zu sorgen, mit dem Ausschluss der Prozessbeteiligten aus dem Kreis der Richter und ihre Ersetzung, mit der Inszenierung der Zeugenvereidigung durch eine Eidesformel in einer ganzen Szene u.v. m. – zeigt, wie sehr das Gerichtsverfahren im Mittelpunkt des Dramas steht, und dass Bircks Schüler daraus den Ablauf eines solchen Prozesses kennenlernen sollten. Der Autor kann so in seinem Spiel das in der Widmung referierte Bildungsprogramm des Aristoteles umsetzen: Die Knaben werden von klein an auf ihre Rolle im Staatsdienst vorbereitet, üben ihre lateinischen Sprachkenntnisse und ihre rhetorischen Fä-
184
4 Die Begründung einer neuen Gerichtsordnung im Drama: Susanna
higkeiten. Noch deutlicher wird die Umsetzung des von Birck beschriebenen Bildungsideals auf der Binnentextebene anhand der Figur Daniels. Es ist eine erhebliche Abweichung von der biblischen Vorlage und dem deutschen Susannadrama, dass Daniel im lateinischen Stück nicht allein durch göttliche Inspiration von Susannas Unschuld überzeugt ist, sondern auch durch seine Begabung und die hervorragende Erziehung am Fürstenhof zum idealen Berater der Obrigkeit ausgebildet wurde. Der Eingriff zeigt, wie stark die Thematik der richtigen Erziehung und Bildung für das lateinische Drama in den Vordergrund rückte. Selbstverständlich konnte nur ein gebildetes Publikum solch einer Aufführung folgen. Im theologischen Programm schlägt sich dies durch die Aufnahme der antiken Götter nieder, was für einen alttestamentlichen Stoff bemerkenswert ist. Zum einen könnte er auf das humanistisch gebildete Publikum eingegangen sein – die Mehrheit der Zuschauer bei einer Aufführung in Basel dürfte mit dem pagan-antiken Götterkult wohl nicht vertraut gewesen sein. Zum anderen traute Birck seinem Augsburger Gelehrtenpublikum wohl zu, zwischen dem Bildungsgut ‚antike Götter‘ und dem alttestamentlichen Gott zu differenzieren. Die (Un‐)Fähigkeit, diesen Unterschied zu erkennen, wird auch im Binnentext den positiven bzw. negativen Figuren als Attribut beigegeben. Während die beiden gottlosen Alten unter sich nur von den antiken Göttern sprechen und sich nur vor anderen Dramenfiguren auf den Gott des Alten Testaments berufen, um ihre Glaubwürdigkeit zu steigern, können Susanna und ihre Mägde zwischen dem monotheistischen Gott und den antiken Göttern unterscheiden. Susanna selbst spricht nie von den antiken Göttern, sondern preist allein die Herrlichkeit des einzig wahren Gottes in der Natur. Auch die zahlreichen gelehrten Anspielungen und das juristische Fachvokabular im Dramentext lassen darauf schließen, dass den Aufführungen nur gebildete Zuschauer beiwohnen. Sein Ziel, den Schülern mittels seiner Dramen spielerisch beizubringen, zwischen Wahrem und Falschem zu unterscheiden, versuchte Birck zu erreichen, indem er etwa in zwei direkt aufeinanderfolgenden Szenen die gottesfürchtigen, rechtschaffenen Staatsdiener und die gottlosen, korrupten und die Vetternwirtschaft befürwortenden Staatsdiener auftreten lässt. So konnten die Schüler die guten Grundsätze der Beamten kennen lernen und gleich darauf das abschreckende Beispiel der schlechten Staatsdiener erfahren. Die Fähigkeit, zwischen Wahrem und Falschem zu unterscheiden, ein Lernziel, das in der Widmungsvorrede formuliert ist, sollten die Schüler wohl anhand der Argumentationen der Urteilssprecher üben. Auch die Urteilsbegründungen, die sich nach Daniels Auftreten als falsch erweisen, werden argumentativ und rhetorisch durchdacht hervorgebracht. Nachdem Daniel ausführlich dargelegt hat, warum man sich von äußerlichen Zeichen nicht täuschen lassen dürfe, reflektieren jene Urteilssprecher, die zuvor gefehlt hatten, die Lehre in ihren Argumentationen und kommen aufgrund der neuen Erkenntnisse zu
4.2 Susanna Comœdia Tragica (1537)
185
einem Urteilsspruch zugunsten Susannas. Die Dramenfiguren machen so auf der Bühne jenen Prozess des Erkenntnisgewinns durch, den Bircks Schüler verinnerlichen sollen, um in ihrer vorgesehenen späteren Laufbahn als Staatsdiener genau jene Fehler gar nicht erst zu begehen. Die Verkleinerung und Spezifizierung der Zielgruppe beim lateinischen Susannadrama gegenüber dem deutschen Drama – humanistisch gebildete Staatsdiener und solche, die es werden sollen – zeigt sich auch in der Ausgestaltung des Dramas: u. a. in den zahlreichen gelehrten Anspielungen, in der noch ausführlicheren Argumentation der Urteilssprecher in den Abstimmungsrunden und in der Darlegung eines Ausbildungsprogramms für Staatsdiener in den Rahmentexten. Dieses Bildungsprogramm wird in der Figur des Daniel exemplarisch aufgeführt. Vom politischen Standpunkt her ist der Wandel von einer Republik zu einer Monarchie mit republikanischen Zügen zweifelsohne die markanteste Veränderung gegenüber dem deutschsprachigen Stück, das offenbar dem Wechsel des Entstehungs- und Aufführungsortes von Basel nach Augsburg geschuldet ist.
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533) 5.1 Einordnung und Forschungsstand In seiner Biographie des Sixt Birck gibt Johannes Nysaeus an, das Josephdrama sei nach dem deutschen Susanna- und vor dem deutschen Judithdrama entstanden.¹ Danach müsste Birck die ‚Comedy‘² ca. 1533/34 in Basel verfasst haben. Hinweise auf eine Aufführung derselben in Basel oder in Augsburg sind nicht bekannt. Der Dramentext ist in nur einem Druck von 1539 aus der Offizin Philipp Ulhard d. Ä. in Augsburg überliefert; eine Überarbeitung des Textes in Augsburg ist damit sehr wahrscheinlich. Titelblatt, Figurenverzeichnis, eine Auflistung der Brüder Josephs und die Prosawidmung an den damaligen Bürgermeister von Augsburg, Symprecht Hoser,wurden sicher erst in Augsburg für die Drucklegung angefertigt. Dass auch historische Quellen aus der klassischen Antike sowie zeitgenössische Quellen und literarische Adaptationen des Josephsstoffes in Bircks Drama eingingen, hat Jean Lebeau gezeigt, der nachgewiesen hat, dass Birck sich bei der Gestaltung der Josephsfigur an den Antiquitates Judaïces von Flavius Josephus orientierte. Vor der Überarbeitung des Stückes für die Drucklegung rezipierte der Autor vermutlich auch das 1536 gedruckte lateinische Josephsdrama des niederländischen Humanisten Cornelius Crocus, da er u. a. die Figur eines Hausknechts aus diesem Stück in sein Drama aufnahm und wie Crocus den Präfigurationsgedanken mit Joseph als Typos Christi ausarbeitete, wie ebenfalls Jean Lebeau feststellte.³ Die Gattungsbezeichnung „Ain sundere lustige Comedy“ wählte Birck vermutlich aufgrund des glücklichen Ausgangs der Dramenhandlung – wie Lebeau vermutet, könnte Birck auch die Gattungsbezeichnung aus Crocus’ Josephsdrama übernommen haben.⁴ Im Folgenden sollen zuerst die Rahmentexte
„Primo anno egit Ezechiam & Zorobabelem, altero mox Susannam, post Iosephum & Iuditham: quas & patrio versu primùm scripsit, post Latinas fecit“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Vgl. Kap. , Anm. . Vgl. Jean Lebeau: Salvator Mundi. L′exemple de Joseph dans le Theatre allemand au XVIe Siècle. Bde. Nieuwkoop , Bd. , S. u. S. f. „Le terme qui apparaît ensuite est celui de ‚comédie‘. Crocus fut le premier à l′utiliser (n′oublions pas en effet que la pièce de Birck ne fut imprimée qu′en ). Or Crocus, dans l′épître dédicatoire qui precede son Joseph, rappelle à Nivenius que la notion de genre, au theatre, depend essentiellement de la manière dont se conclut la pièce: ‚Il suffit au poète comique, écrit-il, de conduire l′action vers un dénouement heureux’. Complétons: or l′histoire de Joseph finit bien, donc je puis appeler ma pièce comoedia“, Lebeau, Salvator, Bd. , S. f. DOI 10.1515/783110434118-005
5.2 Widmungsvorrede
187
des Stückes, d. h. Widmung, Prolog und Epilog, analysiert werden, in denen Birck die Lehren seines Dramas zusammenfasst. Anschließend soll die Interpretation der Dramenhandlung zeigen, wie Birck die alttestamentliche Erzählung in eine klassische Komödie mit dem politischen Beispiel eines idealen reformierten Herrschers transformiert.
5.2 Widmungsvorrede Gewidmet ist das Spiel dem Bürgermeister von Augsburg in seiner Funktion als Patron des Schulwesens.⁵ Birck warnt in seiner Widmung vor all jenen, die die Lehre Christi missbrauchen, was zum Verderben des Gemeinwohls führe, da diese „under dem schein der überflüssigen sorgfeltigkait auch die fürsichtigkait in den Policeyen und Regierungen auffheben“ wollten.⁶ Warum eine weltliche Obrigkeit für das Gemeinwohl unverzichtbar sei, welche Eigenschaften ein weltlicher Amtsträger haben sollte und wie er diese erlange, darüber solle nun die ‚historische Person‘ Joseph, der einst Ägypten und dem Volk Israel großen Nutzen brachte, Aufschluss geben.⁷ Dass der Schauplatz des Stoffes – Ägypten zur Zeit Moses’ – in der Dramenadaptation exponiert ist, ist für die Interpretation des Stückes nicht unerheblich. Die Verhältnisse in der zeitgenössischen römischen Kirche wurden gelegentlich im negativen Sinne mit den Verhältnissen in Ägypten zur Zeit des Alten Testaments verglichen. Das geht aus der Antrittsvorlesung von Bircks Hebräischprofessor Conrad Pellikan 1526 in Zürich hervor: Obgleich Pellikan schon zuvor in Basel der reformatorischen Lehre zugeneigt gewesen war, legte er die Mönchskutte des Franziskanerordens erst bei seinem Wechsel an die Universität Zürich an und verkündete: „[I]ch danke meinem Herren, daß er mich aus Aegypten, aus der ägyptischen und päpstlichen Gefangenschaft befreit und das Rothe Meer glücklich hat durchschreiten lassen.“⁸ Wie sich noch in der Behandlung der Beschlußred und in der Dramenhandlung zeigen wird, spricht sich Birck an mehreren Stellen des Dramas dafür aus, dass gottesfürchtige Christen am besten dafür geeignet seien, weltliche Ämter auszufüh-
„ewer E F W welcher der schl handel von ainem E Rhat befolhen“, S. , V. – . S. , V. – . „Welliches widerspil hierin in Joseph sonder klarlich und haiter gesehen wirt. Wellicher nit allein mit Gtlicher fürsehung theürung / so vil müglich fürkommen hat / sonder von seinem Herren zur Studierung (dieweil er ainer gten art war) gezogen / solliches entlich dem gantzen Egypten / und fürnemlich seinem volck z gtem gedient hat“ (S. , V. – ). Konrad Riggenbach: Art. „Pellikan, Conrad“. In: ADB (), Onlinefassung: http://www.deut sche-biographie.de/pnd.html?anchor=adb, letzter Zugriff: . . .
188
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
ren. Damit wies er seinerzeit die Forderung der radikalen Täufer zurück, ein gläubiger Christ dürfe keine weltliche Macht ausüben. Da die Täufer von ihren Gegnern als Bedrohung für jede weltliche Obrigkeit wahrgenommen wurden, wie später noch genauer ausgeführt wird, beginnt Birck seine Argumentation gegen die Täufer bereits in der Widmung des Dramas, die auch in den übrigen Rahmentexten und in der Dramenhandlung weitergeführt wird. Joseph sei durch das Studium, das ihm sein Herr Potiphar ermöglichte, zum guten Herrscher erzogen worden, weil „er [Joseph] ainer gten art“, d. h.von hoher Geburt war.⁹ Das Drama soll den Bürgermeister daran erinnern, dass es in seiner Hand liege, „das wir in künfftig zeit / in unser Stat auch Joseph zum verstand Christelicher religion haben mgen“ (S. 77, V. 14– 17). Er soll damit ermahnt werden, sich seiner Verantwortung für das Schulwesen bewusst zu sein,wo nach dem Vorbild von Joseph die zukünftigen Regenten der Stadt ausgebildet werden sollten. Die im Figurenverzeichnis aufgelisteten 46 Sprechrollen deuten darauf hin, dass das Stück für eine Aufführung mit Schülern geeignet war, auch wenn es wahrscheinlich ist, dass die Hauptrollen, d. h. Joseph, Potiphar und seine Frau sowie der König Pharao, wie damals üblich, von Bürgern gespielt wurden.
5.3 Prolog Der in Versen verfasste Prolog, der von Philotimus Eernhold, wohl eine Latinisierung des griechischen Substantivs φιλοτιμία (Ehrgefühl), auf der Bühne vorgetragen werden soll, schwört die Zuschauer einer Inszenierung auf eine feste Gruppe von ‚Rechtgläubigen‘ ein. Der Eernhold spricht seinen „liebe[n] meiner“ (V. 55) an; damit kann theoretisch ein Zuschauer ebenso wie ein Leser gemeint sein.¹⁰ Im Prolog ist jedoch ein Zuschauer gemeint, der kurz vor Beginn der Dramenhandlung vom Eernhold aufgefordert wird, nun ruhig zuzuhören (S. 80, V. 55 – 60). Das spricht dafür, dass der überlieferte Dramentext als Vorlage für eine Aufführung dienen sollte, bzw. eine Aufführung dokumentierte. Der Prolog unterscheidet zwischen gottlosen Ignoranten der Tugenden und denen, die Gott in Ehren halten und die Heilige Schrift befolgen. Die Tatsache, „[d]as ungleich seind der menschen sin“ (S. 79, V. 9) führe dazu, dass jeder an etwas anderem seine Freude habe (S. 79, V. 1– 6). Von denjenigen, die ein tugendloses und gottloses
Ebd., V. – . Nach Grimms Wörterbuch ist ein Meiner einer, „der da meint […]; der eine auffassung von etwas hat: die leser und meiner, die mir dein letzter brief vorführt, mögen zu den gesellen in Auerbachs hof gehören […]“, Jacob Grimm/Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. , Sp. .
5.3 Prolog
189
Leben „in bbrey und in yppigkeit“ (V. 16) führten¹¹, grenzt der Eernhold sich und seinen meiner ab: Uns glustet vil ain andre freüd Die in ir hat vil Erbarkeit Die in ir hat Gttliche ehr Die Gttlich gschrifft uns frwet mehr. (V. 21– 24)
Der Bezug auf die Gttlich gschrifft ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass mit ‚wir‘ die reformatorisch Gesonnenen gemeint sind, die sich u. a. dadurch definierten, dass die Heilige Schrift für sie die alleinige Norm in Glaubensfragen darstellte. Diese im Drama mit ‚wir‘ angesprochene Gruppe wird im Dramenprolog von allen Gottlosen abgegrenzt. Die Freude an der Bibel und der göttlichen Ehre diene – im Gegensatz zu den lasterhaften Vergnügen – nicht bloß dem Einzelnen, sondern dem Gemeinwesen, dem „gmainen stand | […] nützlich unser Statt und land“ (V. 25 f.). Hier zeigt sich die humanistisch-reformierte Prägung des Autors, da er sich der Forderung der Schweizer Reformatoren anschloss, man müsse eine sittlich-moralische Erneuerung des Gemeinwesens anstreben. Aus dieser „freüd“ (V. 27) – gemeint ist das Bibeldrama – könne jeder einzelne das passende Exempel für sein Leben finden und sich darin wie in einem Spiegel betrachten, „das er nemme war | Wa sein Teüfel verborgen sey | mag finden da wol artzeney“ (V. 30 – 32). Hier findet sich der in Bircks Rahmentexten mehrfach verwendete Topos, das moralische Fehlverhalten des Einzelnen gefährde die gesamte Gemeinschaft, was eine verbreitete Auffassung unter den Basler Reformatoren war.¹² Birck verteidigte sich in dem Prolog auch gegen kritische Stimmen, die die Inszenierung biblischer Stoffe auf der Bühne generell ablehnten. Zur Apologie einer Aufführung des Josephsstoffs als Theaterstück führt der Eernhold an, „das gschicht“ sei „nit nur ain fabel dicht“ (V. 35 f.), sondern „[a]ll unser freüd stat hie in Gott“ (V. 39).Wie schon in der Vorrede zum volkssprachlichen Susannadrama soll die Tatsache, dass der Stoff den nach zeitgenössischer Auffassung historisch verbürgten
„Aim gfalt wol das er hab sein freüd | in bbrey und in yppigkeit | Aim gfalt nur wol unfltig sein | dem andren tag und nacht beim wein | Aim andren wieten / toben / gschrey | aim spilen / hren / bberey“ (V. – ). Ein Beispiel dafür sind die im Kapitel über Bircks Susannadramen ausführlicher thematisierten Reglementierungen des außerehelichen Geschlechtsverkehrs in Basel nach der offiziellen Einführung der Reformation. Susanne Burghartz schreibt dazu: „Nicht nur der Einzelne, sondern auch die Gemeinschaft geriet demnach durch die unreine, nichteheliche Sexualität in Gefahr.Von daher erhielt die eindeutige Unterscheidungsmöglichkeit zwischen gültigen Ehen, die legitime sexuelle Beziehungen ermöglichten, und nichtehelichen Verhältnissen, in denen nur unreine Sexualität möglich war, neue Bedeutung“, Burghartz, Geschlecht, S. .
190
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Erzählungen des Alten Testaments entnommen ist, seinen Wert gegenüber einer erfundenen Dichtung steigern.¹³ Mit dem Hinweis, dass der Dramenstoff der Bibel entnommen ist, wollte Birck sicher auch verhindern, dass seine ‚Comedy‘ in den Verdacht geriet, unsittliche Inhalte darzustellen oder von geringem literarischen Niveau zu sein, wie etwa die Kirchenväter Tertullian und Laktanz kritisierten.¹⁴ Der Eernhold bemerkt angesichts dieses Vorzugs des Stoffes mit Blick auf potenzielle Kritiker: Noch dannocht findt man etlich leüt die hond so grosse heit Bey denen würt das gantz vernicht obs schon auß gtem eyfer gschicht Sy schreyen das die Biblisch leer inn Kirchen auff die Cantzel gher Die gschrifft die werd also veracht man braucht sy nun z eytlem bracht. (V. 43 – 50)
Hinter der Initiative, die alttestamentliche Erzählung von Joseph und seinen Brüdern öffentlich aufzuführen, verbirgt sich die Auffassung, die Heilige Schrift solle nicht nur von der Kanzel aus verkündet werden, wo sie „z eytlem bracht“ (S. 80, V. 50) missbraucht würde, sondern durch die Aufführung eines Dramas mitten unter die Gemeinde gebracht und somit ‚lebendig‘ gemacht werden.¹⁵ In-
Dort wird auch bereits auf die Funktion des Theaters als Spiegel in der Antike hingewiesen: „In iren festen dann zur zeyt | Haben sy erlich spil bereyt | Denn abgttern z einer Eer | Die hatten doch inn etwas leer | Darumb man die ein spiegel nempt | Dar inn der mensch syn lben khent | Aber das / was alls fabel dicht | Zun zytten ouch ein waar geschicht | Dorinn zeigt man die laster an | Tugent kham selten uff die pan | Aber by uns der ware Gott | Würt glernet on alle spott“ (SD,V. – ) [Hervorhebung: JP]. Auch wenn für die Spätantike weit weniger Aufführungen von Komödien als von Tragödien bezeugt sind, erwähnen Tertullian und Laktanz in ihren Polemiken gegen das zeitgenössische Schauspielwesen auch Komödieninszenierungen. Vgl. Heiko Jürgens: Pompa Diaboli. Die Bekanntschaft der lateinischen Kirchenväter mit dem antiken Theaterwesen. Stuttgart , S. . Die Auffassung der Bibeldramatiker, das Theater als den „besseren Ersatz“ für die Kanzel zu betrachten, erwähnt Volker Leppin in einem Aufsatz über den Theaterbegriff bei Lessing und Birck. Lessings bemerkte gegenüber seiner Freundin Elise Reimarus in Zusammenhang mit seinem Drama Nathan der Weise, er betrachte das Theater als seine Kanzel. Beim Vergleich einer Passage aus dem Prolog zum Drama Beel mit einer Äußerung Hans Sachs’ kommt Leppin zu dem Schluss, dass sowohl Birck als auch Sachs als Vertreter des Reformationstheaters die Bühne beide als Ort der Verkündigung betrachten, wenn auch Sachs eher um christliche Erbauung bemüht ist, als um einen Ersatz zur Kanzel. Siehe dazu: Volker Leppin: Das Theater als Kanzel. Beobachtung zu einer absichtsvollen Bemerkung Lessings. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche (), S. – , bes. S. – (Zitat S. ). Die Ähnlichkeit zwischen der von Leppin zitierten Stelle im Prolog des
5.4 Epilog
191
dem das Schauspiel jeden einzelnen Bürger zur kritischen Reflexion über sein eigenes Verhalten anregen und ihm Wege zur Besserung aufzeigen soll,¹⁶ würde es, so die Hoffnung des Autors, dazu beitragen, die biblischen Lehren im Diesseits zu verwirklichen. Die vom Eernhold als „falscher gaist“ bezeichnete Einstellung, die Heilige Schrift nicht im Exempel für das Leben des Einzelnen und des Gemeinwesens aufleben zu lassen, sondern nur „z eytlem bracht“ in den Kirchen zu behalten, werde nicht bloß dazu führen, „[d]as alle liebe wird zertrent“ (S. 80, V. 53), sondern auch dazu, „das ehrlich gselschafft nemb ain end“ (S. 80, V. 54). Dass die biblischen Lehren öffentlich, auch außerhalb der Kirche, vermittelt und beherzigt werden sollen, wird hier als Voraussetzung für das Zusammenleben einer Gemeinschaft im christlichen Sinne betrachtet. Daher fordert der Eernhold seinen lieben meiner auf, nun gut zuzuhören und keine Unruhe zu stiften (S. 80, V. 55 – 59). Wenn der Zuschauer dem Stück aufmerksam folge, werde die Tugend verbreitet und die „Erbarkait“ implementiert werden (S. 80, V. 61 f.).
5.4 Epilog Im Dramenepilog fragt der Eernhold zunächst rhetorisch, welche Lehre ein Christ für sich aus der biblischen Erzählung von Joseph und seinen Brüdern ziehen könnte. Der Epilogsprecher gibt selbst zu, der Sinn dieser Erzählung habe ihm nicht sofort eingeleuchtet, da er meinte, Gott habe Joseph Unrecht getan, als er von seinen Brüdern verkauft wurde. Daher habe er sich ganz unchristlich nach Rache an Josephs Brüdern gesehnt.¹⁷ Der Epilogsprecher erklärt sodann, wieso Joseph eine alttestamentliche Präfiguration Jesu Christi sei, da er die „handlung“ Josephs nicht nur bei Christus wiederfinde, sondern bei jedem Christen, auch bei sich selbst.¹⁸ In beiden, Typos und Antitypos, Joseph und Christus, habe der Epilogsprecher den göttlichen Willen erkannt, „[d]as er [Gott] wolt also wunderleich | außpraiten weit sein Gttlich reich“ (V. 2014 f.). Der „Gttlich rhat“ sei nun „haimlich“ im Sinne von ‚heimisch‘, ‚vertraut‘. Dies kann als eine Chiffre für die Durchsetzung der Reformation verstanden werden. Daher solle man die Heilige
Beeldramas und dem Prolog zum Joseph lässt darauf schließen, dass Birck an der Vorrede zum Beel mindestens beteiligt, wenn er nicht gar der alleinige Autor des Prologs war. „Wa sein Teüfel verborgen sey | mag finden da wol artzeney“ V. f. „Bey mir die mainung gstanden ist | wiewol ich maint ich wer ain Christ | Ich kündt die sach nit recht verstan | ich maint Gott hett unrecht gethan | Dem Joseph / darnach was mir schlecht | als sam den brdern gschech unrecht“ (Jos, V. – ). „Sich Christ / so ich bey mir betracht | die handlung fleyssig tag und nacht | So find ich eben das bey dir | die sachen ston / wie auch bey mir“ (Jos, V. – ).
192
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Schrift nun als Exempel für alle Bereiche des Lebens ansehen und darin auch erkennen, „wa unsers lebens fler send“ (V. 2023). Die Exempel dürften jedoch nur „zur tuget“ dienen, keinesfalls dürfe man einen „hailgen“ heranziehen, um „sünd und […] myssethat“ zu entschuldigen (V. 2026 – 2031).Während die Brüder Josephs das exemplum horrendum der schlechten weltlichen Herrscher verkörperte, stellt Joseph den vorbildlichen, gottesfürchtigen Amtsträger dar. Mit Blick auf die Gegenwart beklagt der Eernhold: Der brder untrew finstu bald die regiert yetz mit gantzem gwalt Kain Joseph finstu liederlich der wider handle brderlich Der bß mit gtem hie vergelt ja das ist in der gantzen welt Gemain / das man tht umb das gt untrew / mit neyd / mit rach / mit blt. (V. 2032– 2039)
Zu den positiven Eigenschaften, die Joseph von der ‚untrew‘, der Habgier, dem Neid und der Blutrache seiner Brüder unterscheidet (V. 2038 f.), gehören vor allem Vergebung und Nächstenliebe. Eine weitere Eigenschaft des vorbildlichen Herrschers sei, dass er statt stupider Gelehrsamkeit von ‚Gttlich weyßhait‘ erfüllt sei, weshalb diejenigen blind seien, „[d]ie sich auff ir weyßhait verland | und hond von Gott sunst kain verstand“ (V. 2060 f.). Diese Ausführung, wahrer ‚verstand‘ könne nur durch Gottes Gnade verliehen werden, ist wichtig für die Kernaussage des Stückes: Die Notwendigkeit einer christlich motivierten weltlichen Obrigkeit für ein Gemeinwesen. Gleichzeitig kann die Kritik an jenen, die sich auf eine nicht von Gott inspirierte, stupide Gelehrsamkeit verlassen, als Seitenhieb auf den Klerus der Alten Kirche verstanden werden, von dem sich ein humanistisch-reformierter Gelehrter wie Sixt Birck abgrenzen wollte. Mit Blick auf den nicht-öffentlichen, familiären Lebensbereich warnt der Epilogsprecher auch die Schüler, die das Stück wahrscheinlich aufführten, noch schlimmer als die „untrew“ der Brüder Josephs sei ihre Missachtung des göttlichen Gebotes,Vater und Mutter zu ehren.¹⁹ Weiter warnt er vor dem „Ehbruch“, der viel Ungemach mit sich bringe und für einen Unschuldigen, in diesem Falle Joseph, den Tod bedeuten könne.²⁰ Damit macht der Eernhold seinen Zuschauern deutlich,
„So du denn das verzeyhen wildt | du findst ain sünd die noch mehr gilt | Das man fgt z den eltern laid | die sehr belaiden ist man bhrait“ V. – . „Und nimm das ander auch für hand | so sichstu wie der Ehlich stand | Mit Gleichßnerey veruntrewt würt | Das man yetz laider offt wol spürt. | Der Ehbruch ist ain schnde sach | er bringt
5.4 Epilog
193
dass sich ein idealer weltlicher Amtsinhaber nicht nur in seinem öffentlichen Wirken, sondern in allen Bereichen des Lebens fromm zu verhalten habe. Als weitere Beispiele für nachahmenswerte Amtsträger werden Daniel und Zorobabel genannt, die mit ihrer christlichen Regentschaft „damitten in der Haydenschafft“ viel „nutz geschafft“ hätten (V. 2072 f.). Da das Danieldrama, bei dem Bircks (Ko‐)Autorschaft nicht eindeutig geklärt ist, um 1535 in Basel entstand, scheint es, als habe Birck die Beschlußred möglicherweise erst um 1539 in Augsburg und nicht schon 1533/34 in Basel verfasst. Die wichtigste Botschaft, die der Josephsstoff in dramatischer Form vermittelt, wird erst am Ende der Beschlußred genannt: An die Obrigkeit gerichtet, erklärt der Epilogsprecher, die politische Intention des Stückes richte sich gegen Gruppen, „die yetzund an z diser zyt | Glat gantz kain Oberkait wend han“ (V. 2079 f.) mit der Begründung: „sy wend nit das ain Christen man | Das werlich schwerdt in henden hab“ (V. 2081 f.). Die Ansicht, ein ‚guter‘ Christ solle das weltliche Schwert führen, war in den 1530er Jahren gerade in der Eidgenossenschaft, wo die Täuferbewegung ihren Ausgang nahm, und in Augsburg, einem Zentrum der Täufer, nicht selbstverständlich. Die ersten Täufer gab es in Zürich, wo Zwingli die politische Führungsschicht für sein reformatorisches Anliegen gewonnen hatte.²¹ Dafür erntete er Kritik von einigen „humanistisch gebildeten Laien“²², die dem Rat kritisch gegenüber standen und in Zwinglis Vorgehen einen „Verrat der Kirche an den Reichen und Mächtigen“²³ sahen. Aufgrund ihrer ethisch ausgerichteten Frömmigkeit blieben die Täufer dogmatisch eng mit der humanistisch geprägten Schweizer Reformationsbewegung und später mit der Reformierten Kirche verbunden.²⁴ Aufgrund der zwei möglichen Aufführungsorte von Bircks Dramen, Basel und Augsburg, müssen für das Josephsdrama zwei historische Kontexte berücksichtigt werden: Zum einen die Schweizerisch-oberdeutschen Täufer, zum anderen die süddeutsche Täuferbewegung mit ihren jeweiligen Forderungen bezüglich des Christentums, der Obrigkeit und der weltlichen Macht.
mit im vil ungemach | Die unschuld bringt er auch in not | zun zeyten auch biß in den tod“ (Jos, V. – ). Vgl. James M. Stayer: Art. „Täufer“. In: TRE , S. – , hier S. . Ebd. Namentlich handelt es sich bei den „humanistisch gebildeten Laien“ um „Konrad Greben (ca. – ) und Felix Mantz (ca. – ) sowie […] Simon Stumpf, Wilhelm Reublin (ca. – nach ) und Johannes Brötli (gest. ), die ein tiefer Argwohn gegenüber dem herrschenden Rat verband.“ Ebd. Vgl. ebd., S. .
194
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
5.4.1 Das Reich Gottes auf Erden: Das Gemeindeideal der Täufer in der Schweiz und am Oberrhein Wie der Täufer Martin Sattler in der ‚Brüderlichen Vereinigung etlicher Kinder Gottes‘ mit den sogenannten ‚Schleitheimer Artikeln‘ von 1527 deutlich machte, forderten die Schweizer Täufer die strikte Trennung von Kirche und weltlicher Macht. Ein Staatskirchentum, wie es Huldrich Zwingli in Zürich errichtete, lehnten sie ab. „Im Sinne dieser Absonderung von der Welt und ihrer Gottlosigkeit war den Täufern jeder Eid, jeder Waffengebrauch und jede Übernahme von obrigkeitlichen Ämtern untersagt.“²⁵ Das Schwert, Symbol für weltliche Macht, war nach Ansicht der Täufer nur für die Aufrechterhaltung der Ordnung außerhalb der Kirche notwendig.²⁶ Innerhalb der Kirche, in der die Vollkommenheit Christi erlangt werden sollte, sollten Abweichler nach Ansicht der Täufer mit den Mitteln der Kirchenzucht und dem Bann bestraft und bei schweren Vergehen von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.²⁷ Unter Berufung auf Christus und die Apostel lehnten die Täufer es ab, dass ein Christ weltliche Gewalt anwende, ein obrigkeitliches Amt bekleide oder den Beruf eines Richters ausübe.²⁸ Sie führten dagegen das Argument an, auch Jesus sei den Bestrebungen des Volkes, ihn zum König zu erheben, aus dem Weg gegangen.²⁹ Von der weltlichen Obrigkeit, die sie als einen Teil göttlicher Ordnung anerkannten, forderten die Täufer, sie solle allein innerhalb
Ebd., S. . Vgl. Urs B. Leu/Christian Scheidegger (Hgg.): Das Schleitheimer Bekenntnis . Einleitung, Faksimile, Übersetzung und Kommentar. Zug , S. u. S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Siehe dazu den iv. Artikel der Schleitheimer Bekenntnisse, „Absundrung von greweln“: „Also werden nun auch von uns ongezweifelt die unchristliche auch teufelischen wafen des gewalts fallen / als da seind schwert / harnascht / Und dergleichen / und aller jrer prauch / frfrnde / oder wid die feind / in krafft des worts Christi / Jr sollend dem ubel nit widerstan“, Leu, Bekenntnis, S. f. Siehe dazu Artikel vi. des Schleitheimer Bekenntnisses über das Schwert: „Zm dritten / Wirt gefragt des schwerts halben / Sol das eyn oberkeyt sein / so eyner darz erwelt wirt? Dem wirt also geantwurt: Christus hat sollen gmacht werden z eynem könig / und er ist geflohen / und hat nit angesehen die ordenung seins vatters / also sollen wir ihm auch thn / und jm nachlauffen / so werden wir nit in der finsternuß wandlen / Dan(n) er sagt selbs / welcher nach mir komen wl / der verleugne sich selbest / unnd nem sein creutz uff sich und volg mir nach / Auch so verbeut er selbst den gewallt des schwerts / und sagt: Die weltlichen Fürsten herschen etc. Jr aber nitt also. Weiter sagt Paulus: Welche Gott versehen hat / die hat er auch verordnet / das sie gleichvertig sein sollen dem ebenbild seines suns etc. Auch sagt Petrus: Christus hat gelitten (nitt geherschet) unnd hat uns eyn(n) ebenbild gelassen / das jr solt nachvolge(n) seinen fßstapffen“, Bl. A v, zit. nach Leu, Bekenntnis, S. .
5.4 Epilog
195
des von Gott gesetzten Rahmens, d. h. außerhalb der Kirche, agieren.³⁰ „Damit lehnten sie auch die christlich motivierte Obrigkeit ab.“³¹ Obwohl dieser radikale Flügel der Reformation zwar die Obrigkeit selbst als eine Ordnung Gottes außerhalb der Kirche akzeptierte und nur deren Kontrolle über die Kirche kritisierte, wurden die Anabaptisten von den Obrigkeiten von Anfang an als Gefahr für die bestehende Ordnung wahrgenommen und als Häretiker verfolgt. Johannes Oekolampad, der um 1525 persönliche Kontakte zu Täufern gepflegt und sich ernsthaft mit ihren Argumenten auseinandergesetzt hatte, gelangte bereits Mitte März 1527 in den Besitz einer Abschrift der Schleitheimer Artikel.³² Er stimmte den übrigen eidgenössischen Reformatoren zu, dass die Positionen der Täufer abzulehnen seien und bekämpft werden müssten.³³ Die tätliche Verfolgung der Täufer begann in Basel noch im selben Jahr. Die Brutalität im Vorgehen gegen die Bewegung erreichte 1530/31 einen Höhepunkt, als alle Anhänger der verhältnismäßig kleinen Gruppe in Stadt und Landschaft Basel verfolgt oder vertrieben wurden.³⁴
5.4.2 Die Täufer in Augsburg In Schwaben, Bayern, Franken und Österreich bildeten sich Gemeinschaften von Täufern, die u. a. von der spiritualistischen Lehre Hans Dencks³⁵ und von den Endzeitprophetien Hans Huts geprägt waren.³⁶ Erst durch den wandernden Buchhändler Hans Hut erhielt die Augsburger Täufergemeinde eine feste Organisation.³⁷ In den
Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Siehe dazu Artikel vi. des Schleitheimer Bekenntnisses: „Zletst wirt gemerckt / das es dem Christen nit mag zimen eyn oberkeyt z sein in den stcken / Der oberkeyt regiment ist nach dem fleysch / so ist der Christen nach dem geyst / Jr heuser unnd wonu(n)g ist bleiblich in dieser welt / so ist der Christen im himel / Jr brgerschafft ist in dieser welt / So ist der Christe(n) brgerschafft im himel / Jres streits unnd kriegswaffen seind fleyschlich / und alleyn wider das fleysch; Der Christen waffen aber seind geystlich wider die bevestigung des teuffels / Die weltlichen werden gewapnet mit stahel und eisen / Aber die Christen seind gewapnet mit dem harnascht Gottes / mit warheyt / gerechtigkeyt / fried / glauben / heyl / unnd Mit dem wort Gotts“, Bl. A v – A r, zit. nach Leu, Bekenntnis, S. f. Siehe dazu: Fudge, Reformation, S. . Vgl. ebd., S. f. Der Basler Rat hatte bereits am . Juni bestimmt, alle aus der Stadt zu verbannen, die sich einer ‚Wiedertaufe‘ unterzogen hatten. Vgl. Fudge, Reformation, S. . Vgl. Guggisberg, Century, S. . Siehe dazu: Hans Guderian: Die Täufer in Augsburg. Ihre Geschichte und ihr Erbe. Ein Beitrag zur -Jahr-Feier der Stadt Augsburg. Pfaffenhofen , S. – . Ebd., S. . Ebd., S. f.
196
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Jahren 1527/28 war die Augsburger die am schnellsten wachsende Gemeinde im Hl. Römischen Reich und damit ein Zentrum des Täufertums.³⁸ Inspiriert von Thomas Müntzer predigte Hut in Augsburg einen Chiliasmus und kündigte das Jüngste Gericht für Pfingsten 1528 an.³⁹ Entsprechend beziehen sich die Äußerungen Huts zur weltlichen Obrigkeit auch nur auf die Zeit bis zu diesem Datum, weshalb Gottfried Seebaß Huts Lehre für die Zeit vor der Parusie Jesu Christi als eine ‚Interimsethik‘ bezeichnete.⁴⁰ Die süddeutschen Täufer unterschieden sich in ihrer Einstellung zur weltlichen Obrigkeit zunächst diametral von den Schweizerisch-oberdeutschen Täufern, da sie für vollen Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit eintraten.⁴¹ Um solche Differenzen mit den Positionen in den ‚Schleitheimer Artikeln‘ vom Februar 1527 zu debattieren, fand noch im August desselben Jahres die Täufersynode in Augsburg statt,⁴² die nachträglich aufgrund der zahlreichen Märtyrertode ihrer Teilnehmer als ‚Ausgburger Märtyrersynode‘ in die Geschichte einging. Hans Hut widersprach dort den Schweizer Täufern, indem er Eidesleistung und Waffendienst befürwortete.⁴³ Der wesentliche Unterschied in der Einstellung der Schweizer und der Augsburger Täufer um Hans Hut zur Obrigkeit besteht darin, dass Hut, anders als die ‚Brüderliche Vereinigung‘, bis zum Jüngsten Gericht, das seiner Überzeugung nach kurz bevorstand, „keine Vorwegnahme des eschatologischen Zustandes der Christenheit innerhalb der eigenen Gruppe versucht[e]“.⁴⁴ Wie auch die Schweizerisch-oberdeutschen Täufer die weltlichen Obrigkeiten anerkannten, verpflichtete Hans Hut seine Anhänger bis zum Anbrechen des ‚tausendjährigen Reichs‘ zu Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, auch in Bereichen, in denen die Schweizer Brüder ihre Folgsamkeit verweigerten, wie die Gerichtsbarkeit, die Eidesleistung, die Kriegssteuer und der Wehrdienst.⁴⁵ In Huts Augen war die weltliche Obrigkeit durch Röm 13,1– 4 legitimiert: Sie sollte die Guten schützen und die Sünder strafen, die das menschliche Zusammenleben gefährdeten.⁴⁶ Auch in ihren Einstellungen zur Obrigkeit und dem Alten Testament lässt sich eine Differenz zwischen dem Augsburger Täufer Hans Hut und der Schweizerischen ‚Brüderlichen Vereinigung‘ ausmachen: Die Schweizer verwarfen ein theokratisches Ob Vgl. Stayer, Täufer, S. . Vgl. Volker Leppin: Art. „Hut, Hans“. In: RGG (), Sp. f., hier Sp. . Siehe dazu: Gottfried Seebaß: Müntzers Erbe: Werk, Leben und Theologie des Hans Hut (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte ). Gütersloh , S. . Vgl. Seebaß, Erbe, S. . Vgl. Guderian, Täufer, S. . Vgl. Ebd., S. . Seebaß, Erbe, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. u. S. .
5.4 Epilog
197
rigkeitsverständnis im Sinne des Alten Testaments und versuchten, als ‚wahre‘ Gemeinschaft der Christen auf Erden, „die nova lex Christi aus der Bergpredigt zu erfüllen, ohne selbst an dem zwar gottgewollten und guten, aber eben doch sündigen Regiment teilzunehmen“.⁴⁷ Dagegen vertrat Hans Hut in Rückgriff auf die alttestamentliche Tradition ein theokratisches Verständnis von Obrigkeit. Für die Zeit vor dem Jüngsten Gericht unterschied Hut weder zwischen geistlichem und weltlichem Reich noch zwischen Aufgaben der weltlichen und geistlichen Obrigkeit.⁴⁸ Für ihn gehörte es zu den Pflichten der Obrigkeit, „allen falschen Gottesdienst abzustellen [und] alle Vergehen gegen Gottes Gebote zu ahnden“.⁴⁹ Huts Lehre über das Verhältnis der ‚Versiegelten‘ zur Obrigkeit war nicht ohne Widersprüche, da er den Täufern nie verbieten wollte, ein weltliches Amt zu übernehmen, in den ‚Artikel[n] der Widertäufer‘ aber zu dem Schluss kam: „Wer ainicher obrigkait verwandt ist, mag nit selig werden“.⁵⁰ Die zeitgenössische Obrigkeit kritisierte Hut, „weil sie die ihr zur Verfügung stehenden Machtmittel nicht zur Verchristlichung der Gesellschaft in seinem Sinn einsetzte“.⁵¹ Obwohl also auch die Augsburger Täufer keine Absichten hegten, die Obrigkeit zu stürzen, beobachtete der Rat sie mit Argwohn und verdächtigte sie, die Ruhe und Ordnung in der Stadt zu gefährden.⁵² Am 11. Oktober 1527, sechs Wochen nach der ‚Augsburger Märtyrersynode‘, erließ der Rat einen sogenannten ‚Beruf‘ mit einem offiziellen Verbot des Täufertums in der Stadt.⁵³ Aus dem ‚Beruf‘ geht hervor, dass
Ebd., S. . Der Begriff ‚Theokratie‘ kommt erstmals um n. Chr. in den Antiquitates Judaïces des Flavius Josephus vor. Bei seiner Aufzählung von Staatsformen gebraucht Josephus auch den Begriff der ‚Theokratie‘ zur Beschreibung der Regierungsform bei den Juden: „Das ganze Leben der Juden, schreibt Josephus, […] ist von Gottesverehrung durchwaltet und somit gottgeleitet; was aber die äußere Regierung angeht, so läßt Gott den Hohepriester in seinem Namen herrschen. Theokratie ist bei Josephus demnach nicht Bezeichnung einer neuen Staatsform, sondern beschreibt die Verfassung des (nachexilischen) Judentums als Religionsgemeinschaft, die über keine eigenen zivilen Autoritäten verfügt und innerhalb eines ‚heidnischen‘ – als Josephus schreibt: des römischen – Staates ihre inneren Angelegenheiten selbst regelt, und zwar vornehmlich durch die Priesterschaft. […] Theokratien hätte er überall dort finden können, wo sich ethnische Minderheiten nach Verlust politischer Selbständigkeit in religiösen Organisationsformen Ersatz schaffen“, Jacob Taubes (Hg.): Religionstheorie und politische Theologie, Bd. : Theokratie. München [u. a.] , S. f. Vgl. ebd., S. . Ebd. Karl Schornbaum (Hg.): Quellen zur Geschichte der (Wieder)Täufer , Markgrafentum Brandenburg (Bayern . Abt.), (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte ). Leipzig , S. , f., Nr. . Zit. n. Seebaß, Erbe, S. . Seebaß, Erbe, S. . Vgl. Guderian, Täufer, S. . Vgl. ebd., S. .
198
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
sich der Rat weniger für die theologischen Streitfragen der Täufer interessierte, als dafür, dass er in ihnen eine „gefährliche Sondergemeinschaft, ein Unruhepotential gegen ‚christliche Ordnung‘, gegen ‚ehrbare Polizei‘, letztlich gegen alle Obrigkeit“ darstellte.⁵⁴ Im Zuge dieses strikten Durchgreifens des Rates gegen die Täufer wurde auch Hans Hut noch 1527 in Augsburg verhaftet und verhört. Er starb im Dezember desselben Jahres bei einem Fluchtversuch.⁵⁵ Der Rat von Augsburg beauftragte den Humanisten und Stadtschreiber Conrad Peutinger mit der gerichtlichen Untersuchung der Täufer.⁵⁶ Peutingers Fragenkatalog war darauf aus, die von ihm und dem Rat vermuteten verschwörerischen Absichten der Täufer, geplante Anschläge und geheime Erkennungszeichen aufzudecken.⁵⁷ Ende 1527 forderte Peutinger in seinem Rechtsgutachten für den Rat ein noch härteres Vorgehen gegen die Täufer.⁵⁸ Auch das hatte zunächst keine Auswirkung auf den Fortbestand der Gemeinde. Anfang 1528 kam der Täuferführer Georg Nespitzer, auch Jörg von Passau genannt, nach Augsburg und betätigte sich aktiv als Täufer.⁵⁹ Ende der zwanziger Jahre hatte sich schließlich auch in Augsburg im Wesentlichen die Linie der Schleitheimer Artikel gegenüber der Lehre Hans Huts durchgesetzt.⁶⁰ Um 1535/37 verstärkten zwei Ereignisse noch einmal das Misstrauen der Augsburger Bürger gegenüber den Täufern: Zum einen verbreiteten sich die Nachrichten von der täuferischen Gewalt- und Schreckensherrschaft 1534/35 in Münster wie ein Lauffeuer und befeuerten „Mißtrauen und Argwohn gegenüber der Bewegung insgesamt“.⁶¹ Bis zum 17. April 1535 wurden die Täufer ohne Ausnahme aus der Stadt ausgewiesen; ihre Rückkehr nach Augsburg war ausgeschlossen.⁶² Damit wollte man dem Täufertum in Augsburg ein für alle Mal ein Ebd., S. . Dort heißt es: „Ein ehrbarer Rat dieser Stadt Augsburg hat … Bericht empfangen, daß etliche allhier, auch etliche Fremde, so an anderen Orten vertrieben, verjagt (sind) … die heilige und christliche Kindertaufe verachtet und vernichtet, die verbotene Wiedertaufe, neue Sekte, Bruderschaft und Verbindung, Versammlungen, Winkelpredigten, böse und verführerische Lehren an nicht wenigen Stätten und zu verdächtigen Zeiten vorgenommen, gemacht und getan (haben), was gegen Gott, christliche Ordnung, gute Sitten, ehrbare Polizei und zur Entzweiung, Spaltung, Widerwillen, Aufruhr, zum Abfall von der Obrigkeit … und im Grunde zu nichts Gutem reicht“. Chr. Meyer: Zur Geschichte der Wiedertäufer in Oberschwaben. I. (Anfänge), S. f., zitiert nach Guderian, Täufer, S. . Leppin, Hut, Sp. f. Vgl. Guderian, Täufer, S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. . Vgl. Stayer, Täufer, S. . Guderian, Täufer, S. . Vgl. ebd., S. .
5.5 Dramenhandlung
199
Ende setzen.⁶³ Mit der Einführung der Reformation und der Verkündung einer evangelischen Kirchenordnung 1537 verlor schließlich auch die Kirchenkritik der Täufer ihre Grundlage.⁶⁴ In der Interpretation der Widmung, des Prologs und des Epilogs ist deutlich geworden, welche allgemeinen Lehren Birck mit dem Schauspiel vermitteln wollte und was seine Vorstellung von einer idealen Obrigkeit war, womit er insbesondere den Forderungen der Anabaptisten in den Schleitheimer Artikeln von 1527 widersprach. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie Birck diese Vorstellungen über die Dramenhandlung vermitteln wollte, indem er die alttestamentliche Erzählung von Joseph und seinen Brüdern in acht Abschnitten, die durch nicht überlieferte Chorgesänge voneinander getrennt sind, als Drama adaptierte. Die gesamte Handlung spielt in Ägypten, am Hof des Königs Pharao, bzw. in den benachbarten Häusern Potiphars und Josephs. Es ist gut denkbar, dass das Drama auf einer Simultanbühne aufgeführt wurde,wo die Schauplätze gleichzeitig sichtbar waren, sodass die Figuren zwischen den Schauplätzen hin- und hergehen konnten, ohne dass ein Auf- oder Umbau der Bühnenkulisse nötig gewesen wäre.
5.5 Dramenhandlung 5.5.1 Erste Dramenhälfte: Josephs Aufstieg zum weltlichen Herrscher Die Dramenhandlung zerfällt in zwei Teile mit unterschiedlichen Schwerpunkten: In den ersten drei Abschnitten werden Josephs Aufstieg und Fall im Hause Potiphars und sein erneuter Aufstieg zum obersten Verwalter und zweiten Mann im Staat am Hof des Pharaos dargestellt. Diese drei Abschnitte beschäftigen sich mit den Fragen, die sich durch alle Dramen Sixt Bircks ziehen: Was macht einen guten weltlichen Herrscher aus und in diesem Fall auch, wie man zu einem solchen gemacht wird? Dazu gehört u. a. die Frage, welche Voraussetzungen ein Knabe mitbringen und welche Erziehung und Ausbildung er durchlaufen muss, um ein guter Amtsträger zu werden. Die drei Abschnitte nehmen gewissermaßen die Funktion einer langen Exposition der ‚eigentlichen‘ dramatischen Handlung – Josephs Brüder in Ägypten – ein, in denen Birck nicht am Aufbau eines dramatischen Spannungsbogens gelegen ist. Das ändert sich in den Abschnitten vier bis acht: Josephs Brüder kommen aus Kanaan nach Ägypten, um bei ihrem Bruder
Vgl. ebd. Vgl. ebd.
200
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Getreide zu kaufen, erkennen ihn aber nicht. Birck nutzte hier geeignete Elemente der Josephserzählung, um einen dramatischen Spannungsbogen aufzubauen, etwa die Tatsache, dass Joseph zwar seine Brüder erkennt, sie ihn aber nicht. Während der erste Teil des Dramas also auf ‚prodesse‘ abzielte und der Bürgerschaft das Ideal eines christlich-weltlichen Herrschers vor Augen führen sollte, schien Birck im zweiten Teil eher daran gelegen zu sein, sein Publikum mit einer spannenden Dramenhandlung zu unterhalten. Wie Jean Lebeau in seiner vergleichenden Studie über die Josephsdramen im 16. Jahrhundert gezeigt hat, orientierte sich Birck beim Aufstieg Josephs von einem kanaanitischen Sklaven zum zweiten Mann in Ägypten an Flavius Josephus’ Schilderung der Josephsgeschichte in den „Antiquitates Judaïces“.⁶⁵ Der junge Joseph wird hier im Haus des Potiphar in den freien Künsten ausgebildet. Dadurch ermöglicht dieser ihm ein besseres Leben als das eines Sklaven und bereitet ihn auf ein Verwaltungsamt in seinem Haus vor.⁶⁶ Nach Flavius Josephus bleibt der junge Joseph auch nach seinem Aufstieg den Tugenden treu und erweist sich als beständig und besonnen, selbst als sein Glück mit seiner Verleumdung durch Potiphars Frau und seiner Gefängnisstrafe ein jähes Ende findet.⁶⁷ Anders als bei Flavius Josephus ist die Ausbildung in den freien Künsten in Bircks Drama nicht die alleinige Voraussetzung für Josephs Aufstieg; der Junge von hoher Abkunft aus Kanaan bringt auch eine von Gott verliehene Begabung mit, mit der er sogar die weisesten Berater des Pharaos übertrifft: Er ist in der Lage, den göttlichen Sinn der zwei Träume des Pharaos zu entschlüsseln. Die Dramenhandlung setzt mit dem Verkauf Josephs an Potiphar ein. Der Hofmeister des Pharaos erkennt sofort, dass es sich bei dem von Ismael und Madian feilgebotenen Jungen um einen „redlich knab“ (V. 76) handelt. Ismael berichtet, wie er in Kanaan in Besitz von Joseph kam und integriert so Josephs biblische Vorgeschichte in die Dramenhandlung. Ismael beschreibt die „untrew“ (V. 82) der neun Brüder gegenüber Joseph, die ihren jüngsten Bruder eigentlich
Vgl. Lebeau, Salvator, Bd. , S. . Flavius Josephus, Antiquitates Iudaïces, Abschnitt : „Den Joseph aber, der von den Händlern feilgeboten wurde, kaufte Petefre, ein Ägypter, Aufseher der Köche Pharaos, des Königs; er hielt ihn hoch in Ehren und bildete ihn in den freien Künsten aus, und gestattete ihm, ein besseres Leben zu führen, als das Los eines Sklaven war; auch vertraute er ihm die Vorsorge seines gesamten Hauswesens an“, http://egora.uni-muenster.de/ijd/pubdata/Antiq_I-II.pdf, letzter Zugriff: . . . Ebd., Abschnitt : „Er genoss dies, ließ jedoch auch unter (dem Eindruck) des Umschwungs nicht von der Tugend ab, die ihn umgab, sondern erwies beständig eine Besonnenheit, welche die Rückschläge des Lebens zu bewältigen vermag, denen sie aufrichtig begegnet, und nicht in Anpassung an ein momentanes Wohlergehen“, http://egora.uni-muenster.de/ijd/pubdata/Antiq_III.pdf, letzter Zugriff: . . .
5.5 Dramenhandlung
201
töten wollten. Ein „redlich man“ (V. 84), gemeint ist Ruben, sei jedoch darunter gewesen, frommer als die übrigen, der Joseph vor dem Tod bewahrt habe. Ismael berichtet in seiner Figurenrede mehr, als er nach der Erzählung im Alten Testament selbst miterlebt haben kann, denn dort hält Ruben Ausschau nach neuem Weideland, während Joseph verkauft wird.⁶⁸ Dass der Kaufmann dennoch Josephs Vorgeschichte in allen Details wiedergibt, ist der Selbstverpflichtung Bircks geschuldet, die biblische Vorlage möglichst vollständig im Drama zu übernehmen. Dies gelingt, indem er alle Ereignisse, die sich nicht in Ägypten abspielen, in Figurenreden in die dramatische Handlung auf der Bühne integriert. Potiphar interessiert sich in erster Linie für die Genealogie des Jungen, wenn er zu Joseph sagt: „du dunckst mich nit von grober art | Sag uns dein namen und dein gschlecht“ (V. 96 f.). Joseph erklärt, von hoher Abstammung zu sein, da er als Sohn des namhaften Mannes Israel und nicht als Knecht geboren wurde.⁶⁹ Als Potiphar Joseph selbst fragt, woher der Neid seiner Brüder rühre (V. 106 – 109), beklagt dieser den gegenwärtigen Verfall der Tugenden überall in der Welt: Ir wißt wol wieß yetz in der welt Laider an allen orten stat so ainer kunst für ander hat Und tuget / gunst bey yederman den selben facht man hassen an. (V. 110 – 114)
Durch die Schlagwörter „yetz“ (V. 110) und „an allen orten“ (V. 111) wird eine Engführung zwischen der alttestamentlichen Erzählung und der Gegenwart der Inszenierung vorgenommen, wie wiederum hinterher im Epilog deutlich in Bezug auf die Gegenwart gesagt wird: „Der brder untrew finstu bald | die regiert yetz mit gantzem gwalt“ (V. 2032 f.). Da in der Bibel bloß steht: „Aber die Madianiter verkauffend in in [sic] Egypten dem Potiphar des Pharaons obersten hoff meister“ (ZB Gen 37,F) sind die Klage über den Verfall der Tugenden und die Äußerung über die hohe Abstammung Josephs Einschübe von Sixt Birck. In ihnen lässt er die Dramenfiguren Kritik am Tugendverfall seiner Zeitgenossen üben und deklariert eine gute familiäre Herkunft zur Voraussetzung von Jungen, die zum höheren Staatsdienst herangezogen werden sollen, was an der Josephsfigur exemplarisch vorgeführt wird. Josephs Aussage, von einem freien Mann abzustammen, überzeugt Potiphar, sodass er den beiden Kaufleuten Joseph zum doppelten Preis
Vgl. Zürcher Bibel von , Gen ,E. Joseph: „Vom stammen bin ich nit ain knecht | Mein vatter wont in Canaan | darinn ist er ain namhafft man | Israel ist sein rechter nam | sein großvatter was Abraham | Sein vatter Isaac wol bekandt | im gantzen Palestiner land | Joseph mein vatter nennet mich“ (V. – ).
202
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
abkauft (V. 135 – 137). Joseph selbst grenzt sich von dem Negativbeispiel seiner Brüder ab und gelobt Potiphar: ich [will] nit brechen ewer recht ich will thn das aim frummen knecht Gebürt / ich will nit sehen an untrew / so ich empfangen han Von meinen brdern durch gewalt (V. 145 – 149)
Indem sich der junge Joseph vom Negativbeispiel seiner Brüder abgrenzt und seine Absicht zeigt, ein ‚frummer knecht‘ zu werden, eignet er sich hervorragend als positive Exempelfigur für Bircks Schüler. Potiphar verkündet dem Jungen, dass er bei ihm nicht nur die Freiheit wiedererlangen soll, die seine Brüder ihm genommen haben, sondern dass er ihn auch in den „freyen künsten“ ausbilden lassen wolle, denen er sich ausschließlich widmen solle, damit er „ain glerter man“ werde.⁷⁰ Dass Joseph für eine solche Laufbahn geeignet ist, zeige sich daran, dass er „von gter art“ (V. 164) sei und seine „Physonomey“ (V. 165) lasse Potiphar erkennen, dass große Klugheit in ihm stecke (V. 165).⁷¹ Wie Jean Lebeau erkannt hat, übernimmt Birck die Angabe des Flavius Josephus aus den Antiquitates Judaïces, dass Joseph bei Potiphar in den freien Künsten ausgebildet worden sei. Nachdem das Drama zumindest in seinem Augsburger Druck von 1539 dem Bürgermeister in seiner Funktion als Patron des Schulwesens gewidmet ist, preist Birck damit auch die Vorteile einer humanistischen Ausbildung für den Staatsdienst. Als Rektor des humanistischen St. AnnaGymnasiums, in dem die Schüler für den höheren Staats- und Verwaltungsdienst ausgebildet werden sollten, wirbt Birck mit dieser Angabe also auch in eigener Sache für die von ihm geleitete Bildungseinrichtung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Abschnitt vergehen in der Dramenhandlung mehrere Jahre. Im Beisein des Kamerherrn und des Marschalcks lobt Potiphar Joseph überschwänglich für seine treuen Dienste, die dem Hausherrn „reichthumb | im veld / im hauß / und umb und umb“ (V. 187 f.) beschert hätten.⁷² Auch habe Potiphar Gefallen an Josephs „sitten / und […] gebrd“ (V. 197) gefunden, da in ihnen „kain btrug / kain vortail / kain gefrd“ (V. 198) sei. In der Bibel
Joseph: „Dein zeit soltu wol legen an | das du werdest ain glerter man | In freyen künsten soltu dich | furthin stts yeben treffenlich | Kains andren gschefft nymm dich nit an | du solt sunst nichts zschaffen han“ (V. – ). Auch in der Bibel ist angegeben: „Joseph was einer erberen gstalt und schnes angsichts“ (ZB, Gen ,B). Potiphar: „Du hast ain zeit gedienet mir | und redlich ghalten für und für“ (V. f.).
5.5 Dramenhandlung
203
wird Josephs Erfolg mit göttlichem Beistand begründet⁷³, im Drama wertet der Hausherr es als Beweis für die Macht des Gottes Israels: Ich red auch das on allen spott ich glaub das dein Gott sey der Gott Der als regiert durch sein gewalt. (V. 193 – 195)
Wie in allen Dramen Bircks wird Gott als höchster weltlicher Herrscher anerkannt. Im Fall Potiphars ist die Anerkennung von Gottes weltlicher Macht durch einen ägyptischen ‚Heiden‘ besonders ehrenwert. Zur Belohnung entlässt Potiphar Joseph aus seiner Gefangenschaft und verleiht ihm in einer zeremoniellen Feier mit der Übergabe eines Hutes als Zeichen seiner weltlichen Macht unter Zeugen die Freiheit.⁷⁴ Er befreit Joseph von allen niederen Arbeiten und betraut ihn mit der Verwaltung all seiner Güter und Hausangestellten.⁷⁵ Joseph soll nun zum ersten Mal ein weltliches „regiment“ (V. 219) übernehmen und wird von Potiphar zu guter Amtsführung ermahnt: „du solt über die herrschen recht“ (V. 228). Dass die Verleihung der Freiheit im Drama herausgestellt und mit einer eigenen Zeremonie bedacht wird, kann angesichts des Kontextes, in dem das Drama aufgeführt wurde, im übertragenen Sinne als Chiffre für die reformierte Gesinnung eines idealen zeitgenössischen Amtsträgers gewertet werden. Wie das Zitat Konrad Pellikans zeigt, wurde das Bekenntnis zur römischen Kirche und zum Papst einer Gefangenschaft gleichgesetzt, während sich die reformatorisch Gesonnenen in ihrem Selbstverständnis als in Freiheit Lebende verstanden. Dem Gesinde, das offenbar in diesem Moment die Bühne betritt, stellt Potiphar Joseph als seinen neuen „schaffner“ (V. 253), also als obersten Verwalter vor. Das Amt habe er sich selbst verdient, es sei „seins trewen diensts gewin“ (V. 254) und er ermahnt das Gesinde unter Androhung von Strafen: „Gehorsam sond ir laisten all“ (V. 255). Kaum sind Potiphar, Kammerherr und Marschall abgetreten, um zum Hof des Pharaos zu gehen (V. 240 u. V. 260 f.), regt sich der Neid der Hausangestellten gegenüber ihrem neuen Herrn Joseph. Der Haussknecht Gnato klagt, der Teufel hätte hier wohl seine Hände im Spiel, da er selbst schon zu alt sei, um noch die Freiheit zu erlangen (V. 263 – 268). Der Figurenname „Gnato“ scheint von lat. „natus“ abgeleitet zu sein, was ihn – wie er auch selbst sagt – als einen älteren Mann ausweist. Wie Jean Lebeau überzeugend darlegt, hat sich Birck bei
Siehe dazu: ZB, Gen ,A. Potiphar: „furtan solt nit sein mehr ain knecht | Du solt haben die freyhait gt | darumb setz auff yetzund den ht | Z zeügen nymm hie diese man | das ich dich ledig glassen han“ (V. – ). Potiphar: „All arbait soltu faren lan | dir will ich yetz befolhen han | Allain die sorg über mein gt | das soltu han in gter ht“ (V. – ).
204
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
dem Knecht Gnato von der Figur Magos in Cornelius Crocus’ Josephsdrama inspirieren lassen.⁷⁶ Mago beklagt in Akt I,1 von Crocus Drama die schlechten Bedingungen des einfachen Hausgesindes,⁷⁷ während „der Hebräer“ zum Verwalter erhoben wurde.⁷⁸ Voller Neid fragt auch Gnato in Bircks Drama: Sich ist es nit ain grosse schand das der erst auß aim frembden land Kumpt her ain junger leckers bb hat wenig arbait und unrh Im hauß getragen / wie ich han. (V. 269 – 274)
Gnato wirft Joseph vor, er habe sich sein Amt mit Schmeichelei („augendienen“, V. 274) erschlichen. Am Ende seiner Figurenrede wünscht er Joseph jedoch viel Glück für sein Amt und freut sich heuchlerisch über seinen Aufstieg.⁷⁹ Vermutlich soll Joseph in diesem Moment auf der Bühne in Gnatos Hörweite treten. Gnato erweist sich damit als das Gegenteil von einem treuen Knecht – ein Ideal, das Birck dem Publikum vermitteln will und das vom niederen Hausknecht bis zum obersten schaffner Joseph reichen kann, der seinem Herrn Potiphar ein treuer Diener ist.Wie im lateinischen Susannadrama, in dem die unvoreingenommenen, gottesfürchtigen Richter und Beamte den korrupten und gottlosen antithetisch gegenüber gestellt werden (Akt II, 3 und 4), wird dem neidischen, untreuen Haussknecht Gnato eine ideale Hausangestellte in der Figur von Eulalia Junckfraw entgegen gesetzt. Sie nimmt Potiphar und seine Entscheidung zu Josephs Beförderung gegenüber Gnato in Schutz, denn er habe ihr „nye kain laid gethan“ und sei „ain gtig man“ (V. 299 f.). Gnato warnt sie, man solle einen Knecht niemals zum Herrn machen, weil dies zu „übermt“ (V. 310) führe.⁸⁰ Er lässt dabei außer Acht, dass Joseph von Geburt her gar kein Knecht ist, sondern erst durch den Neid seiner Brüder zu einem solchen gemacht wurde. Sein Geschick und seine Treue gegenüber seinem weltlichen Herrn und die göttliche Begabung haben im Drama zu
Siehe dazu: Lebeau, Salvator, Bd. , S. f. Mago: „At olim heris, tum, quom meliora tempora | Fuere, humanitatis certamen fuit. | Non ut nunc servos eodem, quo mulos, habent | Loco“, Cornelius Crocus: Comoedia Sacra, Cui Titulus Ioseph: ad Christianae iuventutis institutione[m] iuxta locos inventionis, veteremq(ue) artem. Köln: Johann Gymnich , Bl. b v. Mago: Herus sed postquam liberius coepit suis | iam pridem inseruire officiis, domo frequens | Abesse, Hebraei fretus oeconomi fide, | Aut bile oportet, aut amore percitam“, ebd., Bl. b r. Gnato: „Bei meiner trew / ich sich das gern | Das ir seind kommen hoch z ehrn | Und lond mich euch befolhen sein | Herr schaffner liebster Herre mein“ (V. – ). Gnato: „So man ain knecht zum Herren macht | so lernet er gar bald den bracht | So man den stl setzt auff den banck | saumbt sich der übermt nit lanck“ (V. – ).
5.5 Dramenhandlung
205
einer Wiederherstellung seines ursprünglichen Zustandes als freier Mann geführt, was nun wiederum den Neid seines Knechts provoziert. Die Jungfrau Eulalia hält ihm denn auch vor, sein Neid auf Joseph sei unangebracht, da er zum schaffner völlig untauglich sei. Auch sein „lange[r] bart“ (V. 312), wie im Susannadrama ein äußerliches Zeichen von Alter und Würde, könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass er seinem Wesen nach nicht für das weltliche regiment geeignet sei. Potiphar hätte das schon erkannt, noch bevor Joseph in sein Haus kam.⁸¹ Sie entlarvt so Gnatos Kritik an Joseph als bloßen lasterhaften Neid.⁸² Während Gnato zum Gegenangriff übergeht, kommt Joseph zurück auf die Bühne. Gnato bricht seine Rede ab und bittet Eulalia, mit ihm wegzugehen und ihn nicht zu verraten. Daran zeigt sich, dass sich Gnato seines Unrechts durchaus bewusst ist.Von solchen Lastern grenzt sich Eulalia klar ab: „Mainst das ich th / wie ist dein sitt?“ (V. 326). Offensichtlich treten die Magd und der Knecht daraufhin ab. Ohne Unterteilung durch einen Chor o. ä. geht die Handlung in die Ehebruchszene mit Joseph und der Haussfraw Potipharis über (ZB Gen 39,C), in der Potiphars Ehefrau Joseph ihr Begehren offenbart (V. 329). Da die Frau als einzige im ganzen Haus nicht Josephs Macht untersteht,⁸³ versichert er ihr zunächst, ihr als treuer Knecht ergeben zu sein. Als die Frau seines Herrn deutlicher wird und ihn auffordert: „Kumb pflige der minn schaffner gt“ (V. 341), erweist sich Joseph als standhafter Diener Potiphars und fragt: „ach frawe mein sagend mir wie | Wolt ich gen meinem Herren das | verantworten? oder doch was | Solt ich da für ain außred han?“ (V. 368 – 371). Als die Frau Joseph auffordert, ihr in das „kmerlein“ (V. 373) zu folgen, wird Joseph deutlicher und weist die Aufforderung mit grober Umgangssprache ab: „ich will nit sein ain sollich man | Das ich wll meinen keüschen leib | bescheissen an meins Herren weib“ (V. 376 – 379). Die Verführerin bemerkt, dass ihre Bemühungen vergebens sind und ruft neben dem Knecht Gnato auch die Junckfraw Misandra – die qua ihres Namens als „Männerhasserin“ zu erkennen ist – herbei, um Joseph gemäß der biblischen Vorlage der versuchten Vergewaltigung anzuklagen (V. 384– 390). Potiphars Frau erwähnt auch, ein Teil von Josephs „klaid“ als Beweisstück des Übergriffs in den Händen zu halten, was der biblischen Vorlage entspricht (ZB Gen 39,D). Um die Hausangestellten von Josephs vermeintlicher Schuld zu überzeugen, schürt sie wie Gnato Vorurteile gegen den schaffner, der aus der Fremde als ein „frembd bb / ain verlauffner knecht | der lerer auß dem Hebreer gschlecht“ (V. 393 f.) zu ihnen kam. Zu der von Gnato bereits angeführten Kritik an
Eulalia: „Er hat dich langest wol erkandt | eh er den frembden knaben fand“ (V. f.). Eulalia: „Du günst dem knaben nit die ehr | drumb das er ist dein Oberherr“ (V. f.). Joseph: „Das gsind mß mir gehorsam sein | mß leben in dem willen mein | Ich hab den gwalt im gantzen hauß | allain hat er geschlossen auß | Euch sein Ehfrawen bhalten vor“ (V. – ).
206
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Josephs Aufstieg aufgrund seines zarten Alters, seiner fremden Herkunft und seines früheren Status als Knecht kommen bei Potiphars Frau noch Vorbehalte gegen das Volk der Hebräer hinzu.⁸⁴ Gnato und Misandra sehen in den Vorwürfen der Frau ihre eigenen Vorurteile gegen Joseph bestätigt. Auch Potiphar tritt nun hinzu und erkundigt sich nach dem Grund für das Geschrei. Seine Frau beschuldigt ihn, ihre bisherigen Warnungen vor Joseph ignoriert zu haben, weshalb sie nun die Leidtragende sei.⁸⁵ Sie schildert Potiphar den frei erfundenen Vergewaltigungsversuch und fordert erpresserisch Josephs Bestrafung: „Hond ir mich lieb / so straffend in“ (V. 427). Wie in der Bibel glaubt Potiphar seiner Frau und schwört Rache gegen Joseph (V. 428). In böser Absicht versichert seine Frau bei ihrem „aid“, lieber ihr Leben aufgeben zu wollen, als die Ehre einer keuschen Ehefrau zu verlieren.⁸⁶ Hier wird eine Situation auf der Bühne inszeniert, die der Situation Susannas vor Gericht diametral gegenüber steht. In beiden Dramen muss über den Vorwurf eines (versuchten) Ehebruchs verhandelt werden. Im Susannadrama nutzen die beiden Alten ihren Eid, um die unschuldige Susanna zum Tode verurteilen zu lassen.⁸⁷ Im Josephsdrama dagegen setzt die Frau des Potiphar ihren „aid“ (V. 442) ein, um den unschuldigen Joseph für einen erfundenen Vergewaltigungs- und Ehebruchversuch bestrafen zu lassen. Dieser intertextuelle Bezug wurde von Birck möglicherweise eingefügt, um seinen Schülern beizubringen, jede Anklage differenziert zu beurteilen, da der Missbrauch des Eides bei Männern in öffentlichen Ämtern ebenso vorkommen könne wie bei Ehefrauen. Während Potiphar den Amptman anweist, Joseph abzuführen, zeigt sich, dass er die von seiner Frau geschürten Vorurteile gegen Fremde bestätigt sieht: „der Teüfel traw aim frembden man“ (V. 464). Seine Konsequenz für die Zukunft besteht darin, sich von keinem Fremden mehr betrügen lassen zu wollen (V. 479 f.). Unterdessen versichert der Amptman, seiner Pflicht nachzukommen und Joseph zu bestrafen.
Fraw: „ob er nit sey ain grosser bb | Der frembd bb / ain verlauffner knecht | der lerer auß dem Hebreer gschlecht“ (V. – ). Fraw: „Ir wolten nie gelauben mir | Biß das ich mß die schlappen han“ (V. f.). Fraw: „bey meinem aid ich lieber wolt | Meins lebens furt beraubet sein | dann das ich soll die Ehre mein | Gen euch mein Herr verloren han“ (V. – ). Vgl. die Figurenrede Achabs bei der Anklage Susannas vor dem Gericht: „So das ein gericht nit glouben wil | So mag man uns geben den eyd | Den selben zethn sind wir bereyt“ (V. – ) und die anschließenden Zweifel des Urteilssprechers Anadicus an der Verlässlichkeit eines Eides, weshalb er dafür vortiert, auch Susanna unter Eid aussagen zu lassen: „das der eyd | Uß billigkeit wird zgeleyt | Der frowen allhie fürgestelt | Das sy ouch schwr so sy das welt“ (V. – ).
5.5 Dramenhandlung
207
Nachdem sein weltlicher Herr – wie so häufig in Bircks Dramen – versagt und den unschuldigen Joseph ins Unglück gestürzt hat, wendet Joseph sich Gott zu, damit dieser seine Unschuld erkenne: Ach Gott erkenn die unschuld mein laß mich dir yetz befolhen sein Ich leid yetzunder umb unschuld mir ist gng das ich hab dein huld. (V. 483 – 486)
Potiphar beschließt den Abschnitt mit einem Lob seiner gottesfürchtigen Ehefrau, ihrer Treue und Keuschheit.⁸⁸ Auch hier ist ein intertextueller Bezug auf das Susannadrama vorhanden, denn auch Joakim preist die Keuschheit und Gottesfurcht seiner Ehefrau.⁸⁹ Der Unterschied besteht jedoch darin, dass es sich bei der Ehefrau Susanna um eine positive Exempelfigur handelt, während Potiphar in verwandter Wortwahl seine sündige Ehefrau lobt. Mit dieser Stelle sollte wohl ebenfalls das Unterscheidungs- und Abstraktionsvermögen der Schüler und der übrigen Zuschauer geschult werden, die beide Dramen kannten, in jedem einzelnen Fall aufs Neue die tiefere Wahrheit einer Begebenheit zu ergründen. Wieder vergeht während des Chorgesangs in der Dramenhandlung eine längere Zeit, wenigstens zwei Jahre,⁹⁰ die Joseph nach der biblischen Erzählung im Gefängnis verbringt (ZB Gen 40). Josephs Gefangenschaft, in der er seinen Mithäftlingen, dem Bäckermeister und dem obersten Mundschenk des Pharaos, mit der Interpretation ihrer Träume die Zukunft richtig voraussagt, wird im Drama nicht dargestellt, aber in einem Botenbericht des inzwischen freigelassenen Mundschenks in die Handlung aufgenommen (V. 675 – 754). Der dritte Abschnitt spielt am Hof des Künig Pharao. Der orientalische Hof aus der alttestamentlichen Erzählung wird in der Dramenadaptation zu einem europäischen Königshof mit dem Künig Pharaon, vier Fürsten, d. h. einem Kamerherr, einem Marschalck, einem Hofmaister und einem Schenck, dem Narr Morio, vier Trabanten und vier Weysen. Zu Beginn des Abschnitts befinden sich nur der Künig und seine Fürsten auf der Bühne; die Weisen sind bereits einbestellt und ziehen auf die Bühne ein, wie aus der Figurenrede des ‚Kamerherrn‘ hervorgeht (V. 498). Die Namen der vier Weisen sind dem Corpus Hermeticum des fiktiven Autors Potiphar: „Beht dich Gott mein liebes weib | du hast dein rainen keüschen leib | An mir gehalten sttigklich | das soltu glauben sicherlich“ (V. – ). Joakim: Ich weyß / das ich ein frouwen han | Die nye khein übels hat gethan | Hand ihr dann etwas wider sye | Erdicht / will ich üch sagen hie | Felet ir ich würd felen nit | Ich warnen üch by gter zyt“ (SusD, V. – ). In der Bibel beginnt das . Kapitel der Genesis nach Josephs Traumdeutung in Gefangenschaft: „Und nach zweyen jare[n] hatt Pharao eine[n] traum“ (ZB, Gen ,A).
208
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Hermes Trismegistos entnommen, dessen Schriften zwischen dem 1. Jahrhundert v.Chr. und dem 4. Jahrhundert n.Chr. im hellenisierten Ägypten entstanden.⁹¹ Als eine griechische Handschrift des Corpus Hermeticum im 15. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, ging man bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts davon aus, die Texte müssten noch zur Zeit des Moses entstanden sein. Nachdem es bereits Zweifel an der Authentizität des Corpus Hermeticum gegeben hatte, wies Isaac Casaubon um 1614 anhand von textkritischen Erwägungen nach, dass es sich bei diesen Texten um hellenistische Traktate handeln müsse, die kaum vor dem 2. Jahrhundert n. Chr. geschrieben worden sein konnten.⁹² Birck könnte mit dem Corpus Hermeticum in Berührung gekommen sein, als 1532 und 1533 in Basel Teile davon in Sammeldrucken erschienen. Auch bei der Lektüre von Laktanz oder Augustinus könnte Birck bereits auf das Corpus Hermeticum gestoßen sein.⁹³ Beide Sammeldrucke enthalten philosophische, theologische und astronomische Weisheitslehren aus dem alten Ägypten. In dem 1532 bei Michael Isengrin erschienenen Sammeldruck⁹⁴ ist neben dem Corpus Hermeticum auch der Abschnitt aus dem lateinischen Asklepius über den Willen Gottes, den Kosmos und die Götter der irdischen Welt (§ 26 f.) enthalten, auf den Birck schon im lateinischen Susannadrama anspielt.Wie der Titel deutlich macht, wird hier von den geheimen Weisheiten der Ägypter, Chaldäer und Assyrer berichtet. Daneben findet sich neben Proklus’ Diadochus auch ein Auszug aus der Schrift De mysteriis Aegyptiorum des Neuplatonikers Jamblichos von Chalkis (ca. 240/245 – 320/325 n. Chr.).⁹⁵ Der ein Jahr später bei Johannes Herwagen d. Ä.
Vgl. Carsten Colpe/Jens Holzhausen (Hgg.): Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung, Darstellung und Kommentierung in drei Teilen, Bd. : Die griechischen Traktate und der lateinische ‚Asclepius‘. Übers. u. eingeleitet v. Jens Holzhausen (= Clavis Pansophiae .). Stuttgart [u. a.] , S. IX. Siehe dazu: Anthony Grafton: Protestant versus Prophet. Isaac Casaubon über Hermes Trismegistos. In: Das Ende des Hermetismus. Historische Kritik und neue Naturphilosophie in der Spätrenaissance. Dokumentation und Analyse der Debatte um die Datierung der hermetischen Schriften von Genebrard bis Casaubon ( – ), hg. von Martin Mulsow (= Religion und Aufklärung ). Tübingen , S. – . Vgl. Colpe/Holzhausen, Corpus, Bd. , S. bzw. S. . Mercurii Trismegistri Pymander: De Potestate et Sapientia Dei (Marsilio Ficino Florentino Interp.) Eiusdem Asclepius, de voluntate dei (L. Apuleio Maudarensi Philosopho Platoni Interprete.) […] Iamblichus de mysteriis Aegyptiorum, Chaldaeorum, (et) Assyrioru(m) […]. Basel: Michael Isengrin . Iulii Firmici Materni Iunioris Siculo […] Hermetis vetustissimi Astrologi centum Aphoris.Lib. I […]. Basel: Michael Isengrin, . Siehe dazu: John Dillon: Art. „Iamblichos de Chalkis“. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. , Paris , S. – .
5.5 Dramenhandlung
209
erschienene Sammeldruck⁹⁶ enthält zahlreiche astronomische und astrologische Schriften antiker, mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Gelehrter, darunter auch fünf jüdische bzw. arabische Astronomen und Astrologen. Bircks Wahl der Namen für die Weisen des Pharaos im Drama nach den Figuren im Corpus Hermeticum zeigt das historische Interesse des Humanisten an dem alttestamentlichen Stoff und seine Ambition, für seine Dramenadaptation ‚authentische‘ Zusatzquellen über das Ägypten zur Zeit des Moses zu konsultieren. Die Weisen heißen Doctor Hermes nach Hermes Trismegistos, der von Poimandres (im Drama Doctor Pymander), dem Geist, der die höchste Macht hat, über alles Seiende und Gott belehrt wird.⁹⁷ Auch der Sohn des Hermes Trismegistos tritt im Drama als Doctor Tatius auf. In seiner Figurenrede beschreibt er sich als den jüngsten aller vier Hofweisen (V. 647), was von Bircks genauer Kenntnis des Werkes zeugt. Doctor Asclepius hat seinen Namen von der Figur Asklepios, mit der Hermes im vierten Buch spricht oder vom lateinischen ,Asklepius‘, der Übersetzung eines griechischen Traktates mit dem Titel λόγος τέλειος (‚Vollkommene Lehre‘) aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr., das noch vor der Entstehung von De civitate Dei (413 – 426 n. Chr.) ins Lateinische übersetzt wurde und in der Renaissance häufig zusammen mit dem Corpus Hermeticum gedruckt wurde, wie der Basler Druck von 1532 zeigt.⁹⁸ Doctor Hermes sichert dem König im Namen aller Weisen zu, ihm mit ihrer „klg weißhait“ (V. 504) zu Diensten zu stehen. Der Künig Pharao berichtet ihnen daraufhin seine beiden Träume, die von den Weisen ausgelegt werden sollen. Zunächst preist er ihre einzigartige Weisheit und Gelehrsamkeit⁹⁹ und erklärt, er sei überzeugt, in seinen Träumen verberge sich ein „ghaimnuß“ (V. 534), da der Traum vollständig war und kein Teil davon fehlte, „wie sunst in trmen offt geschicht“ (V. 536).¹⁰⁰ Diese ‚verborgenhait‘ auszulegen, soll nun die Aufgabe der Weisen sein, die der althergebrachten Tradition der Traumdeutung in Ägypten kundig sind, wie der König erklärt.¹⁰¹ Nachdem das Drama im Prolog deshalb
Julius Firmicus Maternus: Lollianum Astronomicōn Lib.VIII. per Nicolam Prucknerium Astrologum nuper ab innumeris mendis vindicati. His accesserunt. Claudii Ptolemaei Pheludiensis Alexandrini apotelesmatōn, quod Quadripartitum vocant, Lib.IIII […] Hermetis vetustissimi Astrologi centum Aphoris.Lib.I […].Basel: Johannes Herwagen d. Ä., . Siehe dazu: Colpe/Holzhausen, Bd. , S. u. S. . Vgl. ebd., S. . Künig: „Ir seind sehr weyß / ir sein wol glert | der gleichen nit vil auff der erd“ (V. f.). Zur Vollkommenheit allen göttlichen Ursprungs vgl. Corpus Hermeticum, XI. Buch. Künig: „Ich maint ich hett auch ain verstand | der kunst / so in Egypten land | Von mngklich würt gantz hoch geacht“ (V. – ). Zum Zusammenhang von Träumen und ihren politischen Botschaften siehe: Ernst-Dieter Hehl: Politische Träume und Visionen im Mittelalter. In:Traum und
210
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
besonders angepriesen wurde, weil es sich bei dem Stoff „nit nur [um] ain fabel dicht“ (S. 79,V. 35 f.) handele, sondern um (Heils‐)Geschichte, ließ Birck bei seiner Adaptation auch historische Kontexte einfließen. Dabei griff er auf Weisheitslehren zurück, die im 16. Jahrhundert noch in der Zeit des Moses verortet wurden. Der König beschreibt seine beiden Träume von den sieben fetten Rindern, die von sieben mageren aufgefressen werden, und von den sieben großen Ähren, die von sieben dürren Ähren verschluckt werden (ZB Gen 41,A). Anschließend fordert er die vier Weisen auf, sie mögen ihm mit ihrer Kunst den verborgenen Sinn dieser Träume erklären. Dass die Weisen des Künig Pharao den Sinn des Traums nicht erkennen, wird in der Bibel bereits erwähnt: Unnd do es tag ward / was er beküm(m)eret / und schicket auß / und ließ berffen alle warsager in Egypten / und alle weysen / un(d) erzellet jnen seine trum. Aber da wz keiner der sy dem Pharao außlegen knd. (ZB Gen 41,A)
Birck weitet diese Bemerkung zu einer für seine Dramen typischen Runde von Stellungnahmen der vier Weisen aus, in denen sie ihr Unvermögen bekunden, den Traum zu deuten und damit die Defektivität ihrer Gelehrsamkeit preisgeben. Der erste Weise, Doctor Hermes, gibt zu, den Traum nicht deuten zu können, obwohl er „ain Doctor wol gelert“ sei, der beim König höchstes Ansehen genieße (V. 591 f.). Er erkennt, dass der Traum „ain Gttlich gsicht“ (V. 598), d. h. eine göttliche Weissagung ist,¹⁰² und glaubt deshalb nicht, „das ain mensch auff erd | mit weyßhait sey der massen glert | Der euch kündt geben hie ain bhricht“ (V. 595 – 597). Als der Weise die Unmöglichkeit beschwört, diese Träume zu deuten, wird die Spannung auf Josephs späteren Auftritt gesteigert. Dass die weisesten Männer bei der Deutung der beiden Träume resignieren, begründet Josephs Aufstieg zum höchsten Berater des Königs, nachdem es ihm als Einzigem gelungen ist, das Rätsel zu lösen. Auch der Doctor Pymander bekennt seinen „unverstand“ (V. 605), was die Auslegung der Träume angeht. Dieser zeigt sich noch unverständiger als sein Vorredner Hermes, da er durch seine „kunst“ (V. 607), d. h. durch seine Wissenschaft,¹⁰³ zu dem Schluss gekommen ist, der Traum enthalte gar keinen göttlichen Sinn. Die Ursache für das Träumen sei häufig die profane „tglich phantasey“ (V. 614). Pymander kann somit noch nicht einmal den Zusammenhang zwischen dem allegorischen Sinn der Träume und guter weltlicher Regentschaft erkennen und rät dem König: „Und aber doch ewr Maiestat | den tag anders z schaffen hat |
Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven, hg. von Annette Gerok-Reiter/ Christine Walde. Berlin , S. – . Vgl. Art. „Gesicht“. In: Grimm, DWb , Sp. – . Vgl. Art. „Kunst“. In: ebd. , Sp. – .
5.5 Dramenhandlung
211
Dann disen dingen sinnen nach | z des reichs nutz ist euch mehr gach“ (V. 617– 620). Der Geist Pymander, der im Corpus Hermeticum als Lehrer des Hermes auftritt, wird im Drama somit als der Weise mit dem geringsten Vermögen zur Gotteserkenntnis dargestellt. Für die Gelehrten unter den Rezipienten wollte Birck vermutlich Kritik an dem Lehrmeister der heidnischen, ägyptischen Gottesvorstellung und damit an der ganzen heidnischen Lehre als solcher üben. Auch der dritte Weise, Doctor Asclepius, weiß keinen Rat, welche Bedeutung sich hinter den Träumen verbergen könnte. Er kann noch nicht einmal einordnen, ob es sich um einen „traum“ (V. 634), „ain gsicht“ (V. 636) oder „ain stimm Gotts“ (V. 637) handelt. Anders als bei Hermes, der hinter dem Traum „ain Gttlich gsicht“ (V. 598) vermutet, ist das „gsicht“, also die Vision, bei Asclepius in Abgrenzung von der Stimme Gottes profan. Auch er verkennt somit den göttlichen Sinn der königlichen Träume. Obwohl oder gerade weil er „der jüngst“ (V. 647) unter den Weisen ist, durchschaut Doctor Tatius die vom König gestellte Aufgabe am besten. Für Tatius, der im Corpus Hermeticum als Sohn des Hermes vorkommt, ist unschwer zu erkennen, dass der Traum „der wille Gottes wr“ (V. 650), der eigentlich „nit also schwr“ (V. 649) zu deuten sein sollte. Tatius sieht als einziger, „das der Gttlich gewalt | Uns all sand hie verblendet hat“ (V. 654 f.). Gott wolle mit dem Traum „ain grosse that“ (V. 656) anzeigen, aber nicht durch sie, sondern „villeicht durch ainen andern man | Dem er die ehr gegunnet hat“ (V. 658 f.) und bereitet so ebenfalls Josephs Auftritt rhetorisch vor. Birck arbeitet hier die biblische Vorlage so aus, dass auf der Bühne eine Konkurrenz zwischen zwei Modellen von Gelehrsamkeit ausgehandelt wird – eine von Gott nicht inspirierte, heidnische Form von Gelehrsamkeit gegen die von Gott aus Gnade verliehene Begabung, einen allegorischen Sinn zu erkennen. Da die Erkenntnis des göttlichen Rätsels im Traum zu einer klugen und vorausschauenden Herrschaft über das Land befähigt, wie Joseph später zeigen wird, ist die göttlich inspirierte Weisheit eine wichtige Voraussetzung eines weltlichen Herrschers. Der Schulmeister fügt hier keine erfundene Handlung in sein Drama ein, er arbeitet nur einen Aspekt besonders ausführlich aus, der in der Bibel bereits angelegt ist. Als Joseph vom Bäckermeister und vom Mundschenk im Gefängnis gebeten wird, ihre Träume zu deuten, antwortet er ihnen: „Außlegen gehrt Gott z / erzellend mirs doch.“¹⁰⁴ Schon in der biblischen Erzählung ist also formuliert, dass Träume nur mit Gottes Hilfe zu verstehen seien und dass der Allmächtige Joseph diese Inspiration zukommen lässt. Nach Bircks humanistisch-reformiertem Verständnis ist Joseph mit diesem Talent zum idealen weltlichen Amtsträger
ZB Gen ,B.
212
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
bestimmt, da er die von Gott in die Welt gesandten Anweisungen zur Regierung eines Landes entschlüsseln und später auch umsetzen kann. Mit diesen Eigenschaften zeichnet sich Joseph in der Dramatisierung als idealer Herrscher einer Respublica christiana aus. Die bei einer Aufführung des Stückes anwesende Obrigkeit und die für den Staatsdienst vorgesehenen Schüler sollten mit dieser Unterscheidung von inspirierter und nicht inspirierter Herrschaft ermahnt werden, den Willen Gottes im Regieren auf der Welt umzusetzen und für göttliche Weisungen empfänglich zu sein. Da sich der Wille Gottes nach damaligem Verständnis in der Heiligen Schrift offenbart, gehörte es somit auch zu den Aufgaben des weltlichen Herrschers, die Bibel genau zu kennen – eine Forderung, der Birck mit der Aufführung seiner Bibeldramen entgegenkam. Nachdem die vier Weisen ihr Unvermögen eingestanden haben, die Träume zu deuten, wendet sich der König ratsuchend an seine Fürsten. Wie in der Bibel erinnert sich der Oberest schenck an den „jüngling“ (V. 680), der ihm und dem Bäckermeister ihre Träume in der Gefangenschaft gedeutet und ihnen die Zukunft richtig vorhergesagt hatte. Da der Mundschenk in einem Monolog auch die beiden Träume, Josephs Deutung und ihre Erfüllung schildert, integriert er das zunächst ausgelassene 40. Kapitel der Genesis als Botenbericht in die Dramenhandlung. Dieses Vorgehen sollte vermutlich der Reduktion von Schauplätzen, Bühnenbildern und eine Begrenzung der Aufführungslänge dienen und dabei gleichzeitig die vollständige Übernahme der biblischen Vorlage ermöglichen. Der König gibt dem Thürhter und dem Thurnmaister die Anweisung, Joseph aus dem Gefängnis herbeizuholen. Unterdessen sinniert er, sein Gewissen („Conscientz“,V. 787) zwinge ihn, die Bedeutung des Traumes zu erfahren, der nicht menschlich, sondern „von Gttern“ gekommen sei (V. 794 f.). Doctor Hermes stimmt ihm zu, dass die Bedeutung des Traumes „nit klain“ (V. 798) sei, obwohl er den Sinn nicht durchschauen könne. Bei den Höflingen regt sich daraufhin Kritik an den Fähigkeiten der Weisen. Der Marschalck tadelt, sie seien nur auf Äußerlichkeiten bedacht und würden nur durch ihre „faißten schauben“ (d. h. ein bis zu den Füßen reichendes Oberkleid¹⁰⁵), durch ihre breiten „Capp“ und ihrem „klaid“ (V. 803– 805) den Anschein erwecken, als seien sie weise (V. 806).¹⁰⁶ Die Kritik an den Weisen des Pharaos im Josephdrama ähnelt damit stark jener an den Richtern im Susannadrama:Trotz äußerlicher Anzeichen von Würde, seien sie nicht in der Lage, eine verborgene Wahrheit zu erkennen. Angesichts
Vgl. Grimm, DWb , Sp. . Marschalck: „Ir wllend nun groß Herren sein | in faißten schauben tretten rhein | Die Capp mß sein gantz weit und brait | ich maint ir trgent underm klaid | Die weißhait allzeit mit euch har“ (V. – ).
5.5 Dramenhandlung
213
ihres Versagens, den Traum des Königs zu deuten, fragt der Marschalck die vier Weisen: „Wa hond ir dann ewr witz hin than“ (V. 800). Der Narr treibt die Bloßstellung der Weisen noch weiter und behauptet: würde man ihren Hut in der Mitte zweiteilen wie eine Narrenkappe, dann gäbe es gar keinen Unterschied mehr zwischen den Weisen und seinem „geschlecht“ (V. 811).¹⁰⁷ Auch die Trabanten Tharsis und Lonchites stimmen in die Polemik gegen die Weisen ein; Lonchites lacht sie aus, da der Narr in seinem Narrenkleid mehr Weisheit habe als alle Gelehrten zusammen.¹⁰⁸ Der Narr kündigt den bevorstehenden Sturz und die Ablösung der Weisen durch Joseph an, wenn er ihnen prophezeit: „Er würt machen das du mst sein | ain zunfftgnoß in der gsellschaft mein“ (V. 818 f.). Der König bittet nun Joseph um Hilfe bei der Auslegung seiner Träume (V. 832– 834). Joseph verkündet jedoch, man solle Gott in dieser Sache „die ehr“ (V. 841) geben, der „die trm fürgsendet hat“ (V. 842). Gott werde die Bedeutung daher durch Joseph verkünden, der als vox dei sprechen werde.¹⁰⁹ Der König trägt Joseph seine beiden Träume vor und bittet den gerade erst frei gelassenen Häftling inständig um ihre Deutung, die ihm seine Weisen nicht zu geben vermochten.¹¹⁰ Joseph leitet die Auslegung der Träume in seiner Rolle als Stimme Gottes mit den Worten ein: „Gott will euch hie mit zaigen an“ (V. 892). Wie in der Bibel prophezeit Joseph Ägypten sieben ertragreiche Jahre, auf die sieben magere Jahre folgen werden (ZB Gen 41,D). Weiter rät Joseph dem Pharao – wie in der Bibel – sich nach einem „weisen man“ (V. 914) umzusehen, der diese Dinge verstehen könne. Dieser solle im ganzen Land so viel Macht haben, dass er vernünftige Maßnahmen für die bevorstehende „hungers not“ (V. 921) treffen und wie in der Bibel „[v]on aller frucht den fünfften tail“ (V. 926) zurückhalten könne (ZB Gen 41,E). Mit dieser Vorsorge solle auch ein drohender Volksaufstand gegen den König verhindert werden.¹¹¹ Zum Schluss ermahnt er den König, es zieme sich bei seiner Krone, „das künfftig auch bedencken schon“ (V. 934 f.). Providentia steht damit im Josephsdrama im Mittelpunkt der Eigenschaften eines guten weltlichen Herrschers, der die göttlichen Weisungen be-
Morio Narr: „Man sicht wol das ich bin ain narr | Sy wllen aber witzig sein | wer ir Capp tailt / wie ist die mein | So kündt man sy auch kennen recht | das sy ghorten in mein geschlecht“ (V. –). Lonchites Trabant: „Der narr hat in seim narren klaid | vil mehr dann dise all weißheit“ (V. f.). Joseph: „Herr Küng großmchtigister Herr | man soll Gott geben hie die ehr | Der euch die trm fürgsendet hat | der selb wirte ewer Küngklich gnad | On mich die sach wol machen kund“ (V. – ). Künig: „Das hab ich hie den weisen mein | erzelt nach ainer ordnung fein | Sy schwigend aber allsand still | ir kainer nit ain wrtlin will | Von disen trmen hie verstan | drumb hab wir dich berffen lan | Sag du uns allhie dein verstand | auffs hchst wll wir dich han ermandt“ (V. – ). Joseph: „Auff das so nun die zeyt verruckt | und alles volck die theüre truckt | Und nit das volck nach seiner art | ab euch Herr Künig klage hart“ (V. – ).
214
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
folgt. Die Furcht vor einem Volksaufstand gegen den König wird in der Bibel nicht erwähnt. Die Mahnung an den König, mit providentia ließe sich ein Volksaufstand vermeiden, war ein Anliegen Bircks, das er zusätzlich hinzufügte und das im deutschen Judithdrama, welches nach Angabe Johannes Nysaeus etwa ein Jahr nach dem Josephsdrama entstand, eine zentrale Rolle einnahm. Die Fürsten zollen Joseph Respekt für seine Weisheit, die sie zuvor bei den Hofweisen nicht erkennen konnten (V. 938– 940). Der Narr fordert, Joseph solle die Würde zuteilwerden, die im Moment noch die Weisen hätten: „Loß Küng er mß ain Doctor sein | gib im die ersten statt hie ein“ (V. 944 f.). Der König erkennt Josephs Traumdeutung an und verleiht ihm wie in der Bibel das Amt des obersten Verwalters, da ihm Gott „sovil genad“ verliehen habe, „[d]as du mehr witz hast / und verstand | dann alle Doctor in dem land“ (V. 955– 957). Joseph hebt sich somit im Drama von den Weisen des Königs ab, da Gott ihm aus Gnade den Verstand verliehen hat, seine verschlüsselten Regierungsanweisungen zu deuten. Er verkörpert damit die von Gott inspirierte Weisheit im Gegensatz zu der ‚uninspirierten‘, heidnischen Gelehrsamkeit der Hofweisen, die höchstens in der Lage sind, einen allegorischen Sinn zu konstatieren, ihn aber nicht entschlüsseln und in die Tat umsetzen können. In diesem Zusammenhang ist noch einmal an die Kopfbedeckung zu erinnern, die die Weisen bei einer Inszenierung des Stückes tragen sollten. Aus einer Bemerkung des Narren geht hervor, dass die Weisen spitze Hüte („spütz ht“,V. 817) tragen. An einer anderen Stelle beschreibt der Marschalck die Kopfbedeckung der Weisen als „Capp […] gantz weit und brait“ (V. 804). ‚Spitzhut‘ war im 16. Jahrhundert neben einer spöttischen Bezeichnung für geistliche Würdenträger auch für Verräter gebräuchlich.¹¹² Es lässt sich nur spekulieren, wie genau die Hüte der vier Weisen bei einer Inszenierung auf der Bühne aussahen und wie sie sich von dem Hut unterschieden, den Joseph als freier Mann von Potiphar verliehen bekommen hatte (V. 208). Die Hüte der Weisen sind für die Interpretation des Schauspiels relevant, da die Weysen des Königs das Gegenmodell zu Josephs göttlich inspirierter Weisheit darstellen und daher prädestiniert sind, religiöse und/oder politische Gegner der reformatorisch gesonnenen zu verkörpern. Es scheint, als habe Birck die Weisen im typischen Gewand von Astronomen am Hof des Künig Pharao auftreten lassen. Dafür konsultierte Birck die Schriften arabischer Astronomen und Astrologen sowie das Corpus Hermeticum mit seinen Verweisen auf ägyptische Mysterien. Dies unterstreicht einmal mehr Bircks Absicht, das Drama als historisches Geschehen zur Zeit des Alten Testaments darzustellen und die Ereignisse so authentisch wie möglich zu inszenieren. Wenn die
Vgl. Art. „Spitzhut“. In: Grimm, DWb , Sp. f.
5.5 Dramenhandlung
215
Weisen auf der Bühne also tatsächlich spitze Hüte trugen, so könnten diese die typischen Kopfbedeckungen von Astronomen darstellen. Wie der Vergleich Konrad Pellikans der ägyptischen mit der päpstlichen ‚Gefangenschaft‘¹¹³ zeigt, konnte mit den ägyptischen Weisen auch gut auf den römischen Klerus angespielt werden. Da die nicht inspirierten, auf bloße Äußerlichkeiten bedachten ‚Weisen‘ nicht in der Lage sind, die göttliche Weisung zu erkennen, verkörpern diese Figuren auch die gängigen Vorwürfe der Reformatoren gegen die römischen Kirche. Auf die Kennzeichnung der Weisen als römische Kleriker deutet auch die Benennung der Hüte als „Capp“ hin, da Kappen als Zeichen des Mönchtums galten.¹¹⁴ Joseph würde dann nicht nur das Ideal eines göttlich geleiteten weltlichen Herrschers darstellen, sondern sich dabei auch von den Altgläubigen abgrenzen. Der König lobt Josephs von Gott verliehene Weisheit (V. 968 f.) und überträgt ihm alle Macht in seinem Reich, allein der „Künig stl / das Zepter fron“ (V. 974) solle ihm vorbehalten bleiben. Zur Amtsübergabe und „bsttung [s]einer ehr“ (V. 986) übergibt ihm der König wie in der Bibel auch einen „finger ring“ (V. 984), ein „weyß Seydin gwand“ (V.989) und eine „guldin ketten“ (V.990) als äußere Zeichen seiner Macht und Würde.¹¹⁵ Nachdem Joseph offiziell in sein Amt als zweiter Mann nach dem König eingeführt wurde, vollzieht der Narr szenisch den endgültigen Sturz der Weisen von ihrem angestammten Platz nahe beim König, den nun allein Joseph einnehmen soll. Der Narr fordert die Weisen zum Abtreten auf: „Ruck Kappen hauß / gib dem die statt | dann er die wol verdienet hatt“ (V. 994 f.). Das Auftreten der nicht inspirierten Gelehrten auf der Bühne, die auf der semantischen Ebene der Figurenrede (‚Kappen‘) vorsichtig mit zeitgenössischen Mönchen in Verbindung gebrachten wurden, konnte Birck auch als Polemik gegen Altgläubige einsetzen. Wie in der Zürcher Bibel erhält Joseph vom König den Namen „Zaphnat Paena“ (V. 1006, bzw. ZB Gen 41,F) und wird auf seine Rolle als „Regent[]“ (V. 1004) über „das Küngreich / und das gantze land“ (V. 999) eingestimmt. Es folgt ein öffentliches „Mandat des Künigs“ (vor V. 1032) über Josephs Herrschaftsanspruch, das wie der Prolog und Epilog vom ‚Erenhold‘ Philotimus verkündet wird; das Publikum der Inszenierung wird dabei als Volk des ägyptischen Pharaos angeredet. Die Verkündigung des Mandats beginnt mit einer Fanfare („Hie zwischen soll man blasen“, vor V. 1030), danach fordert der Narr das Publikum auf, der Verkündung des Künig Pharao zuzuhören.¹¹⁶ Der ‚Erenhold‘ ruft die Erklärung des Königs aus,
Konrad Riggenbach: Art. „Pellikan, Conrad“, in: ADB (), Onlinefassung: http://www. deutsche-biographie.de/pnd.html?anchor=adb, letzter Zugriff: . . . Siehe dazu: Grimms DWb, Bd. , Sp. . Vgl. ZB Gen ,F. Morio: „Was mit euch redt Künig Pharaon | still schweigend losend eben schon“ (V. f.).
216
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
„Gttlich anweysung“ (V. 1044) dränge ihn, ein Fünftel der Getreideernte aufzusparen. Joseph wird in seinem Amt als Verwalter vorgestellt, dem das Volk Ehre zollen soll, „[w]ie man pflegt ainem Fürsten thn“ (V. 1054). Auch hier wird die Amtsbezeichnung Josephs den Gepflogenheiten des 16. Jahrhunderts angepasst. Das Volk respektive das Publikum wird auf seine Pflichten als treue Untertanen eingeschworen und zwar „jung [und] alt“ (V. 1035), der „stand sey groß / oder sey klain“ (V. 1038). Diese Anrede lässt erkennen, dass das Stück wohl auf einem öffentlichen Platz vor einem breiten Publikum aufgeführt wurde und nicht bloß im Schulhof vor Eltern, Lehrern und Mitschülern, worauf die Anrede der hohen und niederen Stände hindeutet. Dass sich eine Aufführung an ein eidgenössisches Basler Publikum richten sollte, zeigt die Ermahnung des ‚Erenholds‘ an die Zuschauer: „Darumb ir underthan allsand | denckend was euch der aid ermandt | Wer übertritt hie diß Mandat | die Küngklich gnad verloren hat“ (V. 1062– 1065). Die eidgenössischen Bürger im Publikum werden hier an ihren jährlichen Gehorsamseid erinnert, der pro forma bis ins 16. Jahrhundert gegenüber dem Basler Bischof geschworen wurde, der damals de facto schon längst keine Macht über die Stadt mehr ausübte.¹¹⁷ Da Joseph nun „der nchst nach Küngklich gnad“ (V. 1056) sei, soll ihm das Volk fortan gehorchen: Was der gebeüt / soll botten sein man soll dem ghorsam laisten fein In diser sach / und über all so sich ztragen wurd ain fal. (V. 1058 – 1061)
Auch der Narr schwört das Volk bzw. Publikum darauf ein, sich auf Josephs gutes Regiment zu freuen, bevor eine weitere Fanfare die öffentliche Erklärung des Königs beendet. Das Stück führt damit nicht bloß die Eigenschaften eines idealen weltlichen Herrschers vor, sondern auch die gehorsamer Untertanen, auf die das Publikum in der Rolle des Volkes während einer Inszenierung eingeschworen werden soll. Dies ist eine der wenigen Stellen in Bircks Bibeldramen, die sich offensichtlich nicht an die Obrigkeit, sondern explizit an das Volk richtet. Der Abschnitt endet mit dem Abgang Josephs und des Königs in einen „sahl“ (V. 1070) und dem üblichen Chorgesang (vor V. 1072).
Vgl. Stöcklin-Kaldewey, Schatzkammern, S. .
5.5 Dramenhandlung
217
5.5.2 Zweite Dramenhälfte: Joseph und seine Brüder in Ägypten Nachdem in den ersten drei Abschnitten das Idealbild eines guten weltlichen Herrschers am Beispiel von Josephs Aufstieg dargestellt wurden, legte Birck das Augenmerk bei den Abschnitten vier bis acht auf die Ausgestaltung eines dramatischen Spannungsbogens von der Ankunft der Brüder Josephs in Kanaan bis zur „Katastrophe“ (vor V. 1886). Im vierten Abschnitt werden zunächst die Erfolge von Josephs guter Herrschaft in Ägypten offenbar, da zwischen dem dritten und dem vierten Abschnitt mindestens sieben Jahre vergangen und in Ägypten bereits die mageren Jahre angebrochen sind. Zunächst wird Joseph in einem Dialog zwischen Potiphars Knecht Gnato und dem Gefängniswärter vom Vorwurf des Ehebruchs freigesprochen und rehabilitiert. Angesichts der falschen Anklage durch Potiphars Frau verbindet der Thurnmaister Josephs Rehabilitierung mit einer Klage über die „weiber“ (V. 1076), bei denen unerfüllte Liebe für gewöhnlich in „neyd“ (V. 1080) und „rach“ (V. 1082) umschlage. Gnato fürchtet nun Josephs Rache, da er damals Misstrauen gegen Joseph schürte und so an dessen Gefangennahme beteiligt war.¹¹⁸ Der Thurnmaister beruhigt ihn, Joseph sei „kain sollich man | Das er mit bsem bß vergelt | wie sunst der brauch ist in der welt“ (V. 1097– 1099). Indirekt wird Joseph auch hier als Typos Christi dargestellt, wie es auch der Epilogsprecher nach dem Ende der Dramenhandlung noch einmal deutlicher ausführt (V. 2002– 2004). Joseph überwindet die Rache als Merkmal des Alten Testaments und verzeiht seinen einstigen Widersachern. Dennoch tritt der Knecht ab, als er sieht, dass Joseph sich nähert (V. 1100 f.). Der Thurnmaister begrüßt Joseph und unterrichtet ihn über den Ausbruch der „groß hungers not“ (V. 1106), die alle Welt beklagt, und die daraus folgende „groß theüre […] in dem brot“ (V. 1107), die Joseph durch die richtige Deutung der Träume bereits sieben Jahre zuvor vorhergesagt hatte. Die beiden beschließen daher, den König aufzusuchen, der laut Regieanweisung gerade die beiden Vögte von On und Seys empfängt (vor V. 1110). Die Vögte bitten ihn um Korn für ihre „gemaind“ (ebd.). Dass Birck zwei Vögte auftreten lässt und nicht etwa Priester, die in der Bibel genannt werden, zeigt wiederum, dass er die Umstände seiner Zeit in die Dramenhandlung einfließen ließ, um dem Publikum Gelegenheit zur Identifikation mit der Dramenhandlung zu geben. In der Bibel wird Joseph bei seiner Amtseinführung mit der Tochter des Priesters zu On verheiratet (ZB Gen 41,F). Diese Hochzeit wird im Drama ebenso ausgelassen wie die Erwähnung der zwei
Gnato: „Ich bsorg er laß unghrochen nit | dann gmainklich also ist der sitt | Das man der zeit wol warten kan“ (V. – ).
218
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Söhne Josephs, was deutlich macht, dass Birck allein an der politischen Dimension der Josephsfigur interessiert war. Der Vogt von Seys scheint seinen Namen von der antiken ägyptischen Stadt Seys zu haben, auf die Birck leicht bei seiner Lektüre ägyptischer Weisheitslehren gestoßen sein könnte. Das zeigt, wie sehr Birck darum bemüht war, die Geschichte des Alten Testaments nach verschiedenen Quellen ‚authentisch‘ auf der Bühne zu inszenieren. Die beiden Vögte schildern die Not der Menschen im Land und den Auftrag ihrer Gemeinden, den König um Hilfe zu ersuchen. Einer der beiden Vögte erinnert den Pharao an seine „Küngklich ehr“, die ihm nicht automatisch zustehe, bloß da er „ain grosser Herr“ (V. 1149) sei, sondern die er sich verdienen müsse, indem er seiner königlichen Pflicht nachkomme, nämlich „das er sein underthan | soll stts in schutz und schirme han | Den nutz des lands bedencken wol“ (V. 1150 – 1152). Im Gegenzug sei das Volk dem König zu Gehorsam und Untertänigkeit verpflichtet (V. 1154). Der König verweist sie an seinen obersten Verwalter, Herrn Zaphnat, der für diese Sache zuständig sei. Die beiden Gesandten suchen das Haus des Joseph auf, aus dem zuerst Josephs schaffner und kurz darauf er selbst tritt. Der Vogt von Seys trägt Joseph sein Anliegen vor und appelliert an ihn, er möge seine „milte hand“ (V. 1205) ausstrecken, um den notleidenden Gemeinden beizustehen. Rückblickend stellt Joseph fest, dass er mit seiner nun sieben Jahre zurückliegenden Vorhersage der Teuerung richtig lag und betont die Bedeutung der Providentia als wichtige Eigenschaft des guten weltlichen Herrschers: Aim frummen Fürsten zymmet das das er soll fürsich sehen baß Dann was allain der mornig tag für handlung mit im bringen mag. (V. 1218 – 1221)¹¹⁹
Joseph greift noch einmal die „miltigkait“ (V. 1232) als gute Eigenschaft des Königs auf, die er seinem Volk nun erweisen werde. Die Ägypter sollten diese wiederum „in danckbarkait“ (V. 1233) aufnehmen. Nachdem Joseph die beiden Vögte verabschiedet hat, kündigt sein schaffner die Ankunft weiterer Männer aus Kanaan an, die bei ihm Getreide einkaufen wollten (V. 1252– 1254) – es handelt sich um Josephs Brüder. Nach ihrem Eintreten fallen die Brüder ihm zu Füßen. Aus Rubens Figurenrede geht hervor, dass sie ihn nicht erkennen: „Wir seind ewr diener / frembde man“ (V. 1262).Wie in der Bibel beschuldigt Joseph seine Brüder, in böser Absicht als „verrter“ (V. 1270) in sein Land gekommen zu sein, um einen Angriff vorzubereiten (V. 1272 f. und ZB Gen 42,AB). Ruben beharrt jedoch darauf, sie seien
Henrike Lähnemann führt diese Sentenz als Beispiel für die Omnipräsenz der Regierungslehre in Bircks deutschen Stücken an. Siehe dazu: Lähnemann, Hystoria, S. .
5.5 Dramenhandlung
219
überaus rechtschaffene Brüder aus Kanaan, „getrew / redlich / auffrecht“ (V. 1275) und Josephs „knecht“ (V. 1274). Ohne einen Hinweis auf seine Identität zu geben, beharrt Joseph auf seinem Verdacht: „Ewr handel ist verrterey“ (V. 1288). Um ihre Glaubwürdigkeit und Ehrhaftigkeit gegenüber Joseph zu behaupten, stellt Levi sich und seine Brüder genauer vor. Einst seien sie zwölf Brüder aus Kanaan gewesen, der Jüngste sei daheim beim Vater geblieben (V. 1298 f.), der andere – also Joseph – „ist nit verhanden mehr | das glaubend uns gnediger Herr“ (V. 1300 f.). Um die Wahrheit ihrer Angaben zu überprüfen, bestimmt Joseph gemäß der biblischen Vorlage, einer von ihnen solle nach Kanaan zurückkehren und den jüngsten Bruder Ben Jamin herbeiholen, der wie Joseph Rachel als Mutter hat. Die anderen sollten als Gefangene in Ägypten bleiben (V. 1312– 1314). Er ruft den Thurnmaister und den Amptman herbei, damit sie die „falsch kundtschaffter auß Canaan“ (V. 1331) auf der Bühne fesseln (V. 1327– 1330). Der kurze fünfte Abschnitt setzt die Ereignisse aus ZB Gen 42,BC dramatisch um, wonach Joseph alle Brüder bis auf Simeon, der als Pfand gefangen bleiben muss, mit Getreide ausgestattet nach Kanaan zurücksendet, um Ben Jamin zu holen. Dass er nun doch alle Brüder bis auf einen ziehen lässt und somit auch seine Familie in Kanaan vom Hunger befreit, dazu habe ihn sein „Conscientz“ (V. 1346) bewogen. Damit sollen die Brüder die Wahrheit ihrer Aussagen bezeugen und ihre Redlichkeit unter Beweis stellen. Birck legt den Schwerpunkt der dramatischen Ausgestaltung auf die Gewissensbisse und die Reue, die die Brüder angesichts der Aussetzung ihres Bruders Joseph empfinden. Auch in der Bibel stellen die Brüder einen Zusammenhang zwischen Simeons Geiselhaft in Ägypten und dem Verkauf Josephs her (ZB Gen 42,C). Im Drama beschwören die Brüder das Bild des alttestamentlichen, rächenden Gottes herauf, der nun ihre frühere Tat strafe: „Der zoren Gots richt yetz die sach | hie von kumpt unser ungemach“ (V. 1390 f.). Ruben führt die Bestrafung Simeons darauf zurück, dieser habe Josephs Aussetzung besonders vehement vorangetrieben.¹²⁰ Auch Dan beklagt sein „Conscientz“ (V. 1426), das ihn wie „ain nagends würmelin“ (V. 1428) umtreibe, nachdem er sich als Mitläufer an Joseph versündigt habe (V. 1430). Indem Birck den Schwerpunkt dieses Abschnitts auf die Reue der Brüder legt, setzt er das dramatische Mittel der Bekehrung und Umkehr gezielt ein, um den glücklichen Ausgang der Komödie mit der Versöhnung aller Brüder vorzubereiten. Da Birck die Einheit des Ortes wahrt und die Handlung nur in Ägypten spielen lässt, wird die Rückkehr der Brüder nach Kanaan und der erneute Aufbruch nach Ägypten aus ZB Gen 43,AB ausgelassen. Der sechste Abschnitt setzt mit der An-
Ruben: „ir woltend handlen frvenlich | Besonder hie der Simeon | darumb empfacht er yetz sein lon“ (V. – ).
220
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
kunft der Brüder und Ben Jamins bei Joseph ein. Nachdem die Brüder vom schaffner in Josephs Haus gebeten wurden, macht ihn Isaschar, wie in der Vorlage, auf den vermeintlichen Irrtum aufmerksam, der sich beim letzten Getreidekauf zugetragen habe: Als die Brüder zu Hause ihre Kornsäcke öffneten, hätte jeder sein gesamtes Geld obenauf wiedergefunden (V. 1488 – 1491). Um nicht für „bscheisser“ (V. 1493) gehalten zu werden, haben sie alles wieder mitgebracht und dazu noch mehr Geld, um bei Joseph neues Getreide zu erwerben. Die hier verwendete Umgangssprache deutet darauf hin, dass das Stück vor einem breiten Stadtpublikum und nicht bloß innerhalb der Schule aufgeführt wurde. Die punktuelle Derbheit der Sprache kann auch als Hinweis darauf gedeutet werden, dass das Josephsdrama, wie auch das deutsche Judithdrama, zur Fastnachtzeit aufgeführt wurde und daher auch hier und da typische Elemente des Fastnachtspiels aufgriff. In einer Analepse schildert Jacobs jüngster Sohn, wie schwer es seinem Vater gefallen sei, auch ihn nach Ägypten ziehen zu lassen, indem er Jacobs Abschied von ihm beschreibt und die (biblischen) Worte seines Vaters wiedergibt (V. 1536 – 1555).¹²¹ Somit wird auch die ausgelassene Erzählhandlung nachträglich ins dramatische Geschehen integriert. Die Beschreibung des emotionalen Abschieds des Vaters von seinem Sohn steigert einerseits die dramatische Spannung, da Jacob sein Lieblingskind ziehen lässt, um einen anderen Sohn aus der Gefangenschaft zu befreien; andererseits zeigen die vielen Analepsen mit ausgelassenen Erzählteilen aber auch Bircks Selbstverpflichtung, trotz einer stringenten Dramenhandlung der Vorlage treu zu bleiben und den epischen Stoff mit allen Nebenhandlungen auf der Bühne darzustellen. Auf Josephs Geheiß bereitet der schaffner den Brüdern einen freundlichen Empfang und kündigt ihnen ein gemeinsames Mittagessen mit Joseph an.¹²² Der Rest der sechsten Szene gibt die Angaben in ZB Gen 42 in Dialogform wieder: Der schaffner fordert die Brüder auf,
Ben Jamin: „Mein vatter hat gewaget mich | ob er mcht wider gwinnen dich | Loß brder / wol was im so schwr | es kümmert im sein hertz so sehr | Da es yetz an aim schaiden was | sein bart mit trhern macht er naß | Vil jamer seüfftzen ließ der man | das er mich yetz solt von im lan | Er küßt mich / truckt mich offt an in | ach mß ich dich lon von mir hin | Ach wol bin ich so weißlos man | wol grossen kummer mß ich han | Ben Jamin mein liebester sun | so ich dich yetz mß lassen nun | So uns tringt hie die grosse not | so glait dich recht der gtig Got | Ach mein sun bht dich Gott der Herr | ach das ir brechten mit euch her | Den Simeon den brder dein“ (V. – ). Schaffner: „also mein Herr mit mir verließ | Da er von hauß hie dannen gieng | das ich euch all freündtlich empfieng | Ich solt auch auff euch kochen lon | er wolt euch all z gast heüt hon“ (V. – ). Auch die Anweisung zur Gastfreundschaft ist eins zu eins aus der Bibel übernommen: „Do sach sy Joseph mit Ben Jamin / un(d) sprach z dem / der über sein hauß was: Fr diese mnner hineyn / und metzge / unnd richt z / dann sy sllend z mittag mit mir essen“ (ZB Gen ,C).
5.5 Dramenhandlung
221
ihre Füße zu waschen, da sie in Josephs Haus zu Mittag essen sollen (V. 1562– 1567) und erteilt dem Keller und dem Credentzer die Anweisung, drei Tische für die Brüder aus Kanaan herzurichten (V. 1574 f.).Wie in der Bibel empfängt Joseph seine Brüder freundlich und erkundigt sich sogleich nach dem Befinden ihres Vaters (V. 1636 f. u. ZB Gen 43,E). Die Brüder überreichen ihm die Geschenke ihres Vaters, den die Brüder „ewer knecht“ (V. 1640) nennen, mit dem der oberste Verwalter Ägyptens gnädig und milde gestimmt werden soll (V. 1650).¹²³ Nachdem Joseph seinen jüngeren Bruder Ben Jamin begrüßt hat, beginnt er zu weinen, was im Drama in einer der wenigen expliziten Regieanweisungen vermerkt wird: „Hie wendt sich Joseph / dann er kundt sich vor wainen nit mehr erhalten“ (vor V. 1659). Birck nutzt diese Angabe aus der Genesis, um die Spannung des Publikums zur Auflösung des Dramenkonflikts zu steigern. Auf Ben Jamins Verwunderung, dass der Verwalter ihn erst so freundlich begrüßt hat und sich dann abrupt abwendet, rätselt sein Bruder Nephtali: „Es mß han etwas haimligkait“ (V. 1662), dass Joseph ihnen nun so viel freundlicher begegnet als noch bei der ersten Reise nach Ägypten. Ben Jamin prophezeit die baldige Auflösung des Rätsels und steigert so die Spannung des Publikums: „Es würt noch kummen wol die stund | da uns das alles sampt wirt kund“ (V. 1668 f.). Nachdem das Mittagessen wie gewohnt mit den Ägyptern begonnen hat, erteilt Joseph seinem schaffner die Anweisung, auch „daß gsind“ hereinzubitten, „[d]as sy auch nemmen hie die speiß“ (V. 1687 f.). Damit berücksichtigt Birck den Umstand, dass die Hebräer in der alttestamentlichen Erzählung den Ägyptern hierarchisch untergeordnet sind, wie es auch in der Zürcher Bibel heißt: „Dan(n) die Egypter gethrend nit speyß essen mit den Ebreern / es ist ein greüwel vor jnen“ (Gen xliii,F). Auch im Drama beginnt daraufhin ein fröhliches Festmahl mit kühlem Wein (V. 1694) und – als Zusatz zur Bibel – „saytenspiel“ (V. 1698), für das Joseph eigens „die spylleüt“ (V. 1700) herbeirufen lässt. Es ist anzunehmen, dass der kurz darauf folgende, nicht überlieferte Chorgesang von diesen Spielleuten auf der Bühne vorgetragen wurde. Da der Szenenwechsel an dieser Stelle inhaltlich mit dem Ende des 43. Kapitels der Genesis zusammenfällt, wird deutlich, dass bei der Einteilung der Dramenhandlung in Abschnitte nicht bloß dramaturgische Überlegungen eine Rolle für Birck spielten, sondern dass er sich auch hier an der biblischen Vorlage orientierte. Der siebte Abschnitt stellt die Ereignisse aus ZB Gen 44,A dar und damit jenen Abschnitt des 54. Kapitels, der in Josephs Haus spielt. Der Hausherr löst die Tisch-
Die Geschenke, „den Balsam hie mit starckem gschmack | Honig / und Specerey gantz starck […] Hie Mandel / Dattel auch darbey“ (V. – ) sind aus der Bibel übernommen: „ein wenig balsam unnd honig / unnd gewürtz / unnd myrren / unnd datteln / unnd madel“ (ZB Gen ,B).
222
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
gesellschaft auf (V. 1717) und Ruben bittet den schaffner, weiteres Korn kaufen zu dürfen (V. 1730 f.).Wie in der Bibel erteilt Joseph seinem schaffner die Anweisung, das Geld der Brüder wie bei ihrem ersten Besuch in die Kornsäcke zurückzulegen und seinen eigenen Trinkbecker im Sack des jüngsten Bruders zu verstecken (V. 1750 – 1757). Der schaffner führt den Befehl selbst aus,wie aus seiner Figurenrede hervorgeht (V. 1762 f.), und verabschiedet die Brüder nach Kanaan (V. 1770). Als ein wenig Zeit verstrichen ist – die Kornmesser haben sich inzwischen dem Wein hingegeben – befiehlt Joseph seinem schaffner, wie im Alten Testament, den Männern nachzueilen, um ihnen „untrewe“ (V. 1787) vorzuwerfen und den vermeintlichen Diebstahl des Bechers durch Ben Jamin aufzudecken,welcher nicht nur „das liebest pfand“ (V. 1791) des Hausherrn sei, sondern den er angeblich auch – wie in der Bibel – zum Wahrsagen gebrauche (V. 1792). Der schaffner versichert Joseph, den Befehl rasch auszuführen. Anstelle der Verfolgung und Überführung der Brüder aus ZB Gen 44,B darzustellen, wird auf der Bühne ein nicht abgedruckter Chorgesang angehoben. Als dieser zu Ende ist, tritt der schaffner mit den Brüdern vor Joseph und berichtet ihm von der erfolgreichen Umsetzung seines Befehls: „Der Becher ist gefunden schon“ (V. 1798). Als Joseph die Brüder mit dem Diebstahl seines Bechers konfrontiert, bietet Judas anders als in der Bibel an, ihn und Ben Jamin, bei dem der Becher gefunden wurde, zu seinen Knechten zu machen.¹²⁴ Da Joseph das Angebot mit dem Hinweis ablehnt, er würde keinen Mann zum Knecht machen, „der kain schuld hat ghan“ (V. 1817), hebt Judas zu einem langen Monolog an. Nach der Vorlage der Abschnitte Gen 44,CD schildert er,warum es ihrem Vater so schwer gefallen sei, Ben Jamin ziehen zu lassen, wie er sich dennoch dazu durchrang und seinen eigenen Tod prophezeite, falls sein jüngster Sohn nicht aus Ägypten zurückkehren sollte. Judas berichtet, wie er für Ben Jamin mit seinem eigenen Leben bürgt (V. 1874) und bittet Joseph daher inständig, die Strafe seines jüngsten Bruders auf sich nehmen zu dürfen, damit dieser ziehen könne.¹²⁵ Als Judas fertig ist, fordert Joseph, wie in der biblischen Vorlage, alle Umstehenden bis auf seine Brüder auf, abzutreten (V. 1884).¹²⁶ Eine explizite Regieanweisung gibt an: „Joseph wirt überwunden mit wainen. Gibt sich seinen brdern z erkennen | Katastrophe“ (vor V. 1886). Dass Birck die Auflösung des dramatischen Konflikts eigens in einer Regieanweisung ankündigt und ihn in antiker Tradition als „Katastrophe“ bezeichnet, zeigt, dass Birck gut mit den Termini der antiken Dra-
Judas: „Secht Herr die sach ist offenbar | drumb geben wir euch gantz und gar | Bey dem der becher funden ist | und ich mit im / on argen list | Nemmend uns an für aigen knecht | die handlung sond wir bssen recht“ (V. – ). Judas: „Drumb bin ich hie z tragen bhrait | die burde / so dem auff würt glait | Ich will furthin ewr gfangner sein | lond nur den knaben ziehen heim | Das ich nut sech was jamers schmertz | meim alten vatter bsitz sein hertz“ (V. – ). Vgl. ZB Gen ,A.
5.5 Dramenhandlung
223
mentradition vertraut war und dass er sie – zumindest im Josephsdrama – als Vorbild zur Einteilung seines Dramenstoffs nahm. Die Bezeichnung der Anagnorisis-Szene als ‚Katastrophe‘ zeigt aber auch, dass Gattungskonzepte von den Bibeldramatikern des 16. Jahrhunderts nicht konsequent eingehalten wurden; anders ist es nicht zu erklären, warum die „lustige Comedy“¹²⁷ von Joseph und seinen Brüdern mit einer ‚Katastrophe‘ endet. Der Einschub eines Nebentextes fällt auch hier mit dem Beginn eines neuen Kapitels der Genesis zusammen. In der Zürcher Bibel steht als Inhaltsangabe des 55. Kapitels ebenfalls: „Joseph gibt sich seinen brderen ze erkennen“ (ZB Gen 45, vor A). Auch der letzte Abschnitt des Dramas hält sich streng an die Vorlage der Zürcher Bibel. In einer ausführlichen Figurenrede gibt sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen und erkundigt sich nach dem Befinden seines Vaters (V. 1886 – 1890). Seinen ungläubigen Brüdern versichert er, es gebe bei ihm „kain rachgirligkait“ (V. 1902) gegen sie, auch „kain zoren / kainen neyd“ (V. 1899). Vielmehr habe Gott ihn nach Ägypten gesandt, damit seine Brüder nicht der Hungersnot zum Opfer fielen (V. 1910 – 1913).¹²⁸ Die Betonung von Josephs Milde und Vergebung gegenüber seinen Brüdern und die Auffassung, er habe sein Amt Gott zu verdanken, ruft dem Publikum am Ende der Dramenhandlung noch einmal zwei entscheidende Merkmale von Josephs vorbildlicher weltlicher Herrschaft ins Gedächtnis und erinnert gleichzeitig an die Rolle Josephs als alttestamentliche Präfiguration Christi. Als oberster Statthalter von Ägypten fordert er seine Brüder auf, ihren Vater mit seinem ganzen Haushalt zu holen, da er die nächsten fünf Jahre der Hungersnot im Land Gosen verbringen soll (V. 1926 f.).¹²⁹ Wie in der biblischen Vorlage angegeben, dringt die Kunde von der Begegnung der Brüder rasch an den Hof des Künig Pharao (ZB Gen 45,E). Der König tritt zu Joseph und erkundigt sich nach dem frohen Ereignis. Gemäß der alttestamentlichen Erzählung fordert auch der Künig Pharao Joseph auf, er solle seinen Vater mit seiner ganzen Sippe nach Ägypten einladen (V. 1955 – 1962) und überträgt ihm hierfür „allen vollen gwalt“ (V. 1966). Joseph gibt entsprechende Anweisungen an seinen schaffner weiter. Mit seiner Versicherung, die Aufträge gehorsam ausführen zu wollen, endet die Handlung dieser ‚Comedy‘ und die Beschlußred lässt die Dramenaufführung enden.
Vgl. Kap. , Anm. . Vgl. ZB Gen ,AB. Vgl. ZB Gen ,C.
224
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
5.6 Zwischenfazit Die doppelte Bearbeitungstendenz des apokryphen Stoffes als klassische Tragödie und als politisches Beispiel¹³⁰, die Henrike Lähnemann bereits für das deutsche Judithdrama konstatiert hat – gilt auch für das ca. ein Jahr früher entstandene Josephsdrama. Auffallend ist bei der Dramatisierung des Josephsstoffes aber, wie die Dramenhandlung in zwei Hälften mit unterschiedlichen Schwerpunkten gegliedert ist: Zunächst wird Josephs Entwicklung zum idealen reformatorisch gesonnenen Herrscher und seine Amtsführung als vorbildliches politisches Exempel dargestellt, im zweiten Abschnitt überträgt Birck den alttestamentlichen Stoff in eine Komödie nach antikem Vorbild. Der Autor löst damit die Forderung des Horaz ein, Literatur solle belehren oder unterhalten oder beides zugleich und nutzt das Drama als Medium, um die reformatorische Idealvorstellung eines weltlichen Herrschers an ein breites Publikum zu vermitteln.¹³¹ Da Joseph als politisches Beispiel für die Thematik dieser Arbeit relevant ist, werden hier noch einmal die Merkmale seiner Entwicklung zum Herrscher und seiner Amtsführung in Abgrenzung zu den Täufern und den uninspirierten Gelehrten zusammengefasst, die vermutlich den römischen Klerus darstellen sollten. Die Merkmale, die Joseph als weltlichen Herrscher ausmachen, lassen sich systematisieren in Voraussetzungen, die der junge Joseph bereits mitbringt, seine Erziehung im Haus des Potiphar und seine Eigenschaften als Amtsträger: Der erste Aufstieg Josephs vom Knecht zum Verwalter in Potiphars Haus bis zur Verleumdung durch Potiphars Frau konzentriert sich auf die Voraussetzungen und die Vorbereitung eines jungen Mannes für die höheren Ämter. Im Drama macht Birck Josephs Abstammung von einem freien Mann zur Bedingung seines Aufstiegs, da Potiphar sich von diesem Argument überzeugen lässt, den Kaufleuten den hebräischen Jungen als Knecht abzukaufen. Ein guter Amtsträger muss aufgrund seines Wesens für die höhere Laufbahn prädestiniert sein. Diese Bestimmung zum weltlichen Herrn lasse sich u. a. in Josephs feinen Gesichtszügen erkennen, was auf die Klugheit des Jungen schließen lässt. Um seinen Plan zu realisieren, aus Joseph einen Gelehrten zu machen, der für die Verwaltungsämter geeignet ist, stellt ihn Potiphar von allen Aufgaben eines Knechts frei, damit er sich ganz den „freyen künsten“ (V. 169) widmen kann. Birck könnte diese Angabe von Flavius Josephus übernommen haben, er spricht sich damit in jedem Fall für ein humanistisches Bildungsprogramm aus, das die zukünftigen Staatsdiener Vgl. Lähnemann, Hystoria, S. . „Aut prodesse volunt aut delectare poetae | aut simul et iucunda et idonea dicere vitae“, Horaz: Ars poetica/ Die Dichtkunst, hg., übers. u. mit einem Nachwort von Eckart Schäfer. Stuttgart , V. f.
5.6 Zwischenfazit
225
bestmöglich auf ihre Aufgaben vorbereiten soll. Damit begründet er auch das Bildungsprogramm am Augsburger St. Anna-Gymnasium, das er selbst seit 1536 als Rektor leitete. Einige Jahre später hat sich Joseph bei seinem Herrn bewährt und bekommt von diesem die Freiheit geschenkt. Die Freiheit ist die Voraussetzung dafür, ein Amt ausführen zu können, in diesem Fall das des obersten Verwalters im Hause Potiphars. Als frommer Knecht pflegt Joseph ein Verhältnis zu seinem weltlichen Herrn, das sich durch bedingungslosen Gehorsam auszeichnet. Birck zeigte damit möglicherweise auch im Blick auf die Täufer, dass sich Gehorsam und Treue gegenüber Gott und gegenüber einem weltlichen Herrn nicht ausschließen – und dass Gott Joseph auch beisteht, nachdem sein weltlicher Herr versagt hat. Wie es für Bircks Dramen typisch ist, werden der positiven, vorbildlichen Exempelfigur des Joseph abschreckende Beispiele entgegengesetzt, von denen er sich selbst abgrenzt und die mittels Figurenreden von ihm abgegrenzt werden, etwa die untreuen Brüder Josephs, die Teil der alttestamentlichen Erzählung sind, und der missgünstige Knecht Gnato, der keine biblische Vorlage hat. Von seinen untreuen Brüdern will sich Joseph selbst abgrenzen; Gnato entlarvt sich selbst als neidisch, missgünstig und ungehorsam gegenüber seinem neuen Herrn Joseph, was ihm auch von der Jungfrau Eulalia vorgeworfen wird. Sie weist den Knecht zurecht und nimmt damit für die Zuschauer eine didaktische Rolle ein, indem sie Gnato vor Augen führt, warum er sich falsch verhält und warum er im Gegensatz zu Joseph nicht als Amtsträger in Frage kommt. So grenzt sie das vorbildliche Verhalten Josephs unmissverständlich von dem frevelhaften Verhalten des Hausknechts ab. Was Joseph als guten Herrscher auszeichnet, ist vor allen Dingen die Fähigkeit, die göttlichen Regierungsanweisungen zu entschlüsseln. Dies ermöglicht ihm nicht nur das Regieren nach dem Willen Gottes, sondern auch das vorausschauende Regieren, weshalb sich providentia als eine wesentliche Eigenschaft des guten Herrschers erweist. Da eine Respublica christiana im Verständnis des reformatorisch geprägten Humanismus auf der Grundlage der Heiligen Schrift regiert werden sollte, in der sich der göttliche Wille offenbare, trägt Birck mit der Verbreitung eines alttestamentlichen Stoffes durch das Medium des Theaters dazu bei, dass seine Schüler diese Grundlage ihrer späteren Amtshandlungen kennenlernten. Als Gegenmodell zu Josephs göttlicher Inspiration treten die vier Weisen des Königs auf. Bei der Ausgestaltung dieser Figuren orientierte sich Birck an vermeintlich authentischen Quellen über ägyptische Weisheitslehren zur Zeit des Moses. Dies zeigt, dass der Autor den alttestamentlichen Stoff als Geschichtszeugnis ernst nahm und in bester humanistischer Manier weitere Quellen hinzuzog, die er in seine Bearbeitung einfließen ließ.
226
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
Da die Gelehrsamkeit der Weisen nicht ausreicht, um die göttlichen Anweisungen für ein gutes weltliches Regiment zu entschlüsseln, verkörpern sie das Negativbeispiel heidnischer Herrscherberater, die kläglich versagen, um anschließend von einem göttlich erleuchteten Berater übertroffen zu werden. Mit ihrer Einschätzung, das Rätsel sei zu schwer, um von einem Menschen gelöst zu werden, wird Josephs späterer Triumph über sie rhetorisch vorbereitet und seine Weisheit somit aufgewertet. Dass die als spitze Hüte und breite Kappen beschriebenen Kopfbedeckungen der vier Weisen einen Hinweis darauf geben, dass mit ihnen Polemik gegen altgläubige Kleriker geschürt werden sollte, liegt auf der Hand. Die Weisen sollen in prunkvollen Gewändern als äußerliche Zeichen ihrer Würde und Gelehrsamkeit auftreten, für die sie angesichts ihres Versagens ins Lächerliche gezogen, kritisiert und schließlich von ihren Plätzen verjagt werden, die dann Joseph allein einnimmt. Wie im Susannadrama verkörpern die Weisen somit eine Gruppe, die ihre äußerlichen Anzeichen von Weisheit und Würde nicht einlösen kann, da sie nicht fähig ist, eine tiefere Wahrheit zu erkennen. Auch wenn die Täufer nicht beim Namen genannt werden, sind sie unschwer als Adressaten jener Kritik aus der Widmung und der Beschlußred auszumachen, wenn dort vor dem Missbrauch der christlichen Lehre und jenen gewarnt wird, die „die fürsichtigkait in den Policeyen und Regierungen auffheben“ (S. 77, V. 5) wollten und nicht akzeptieren wollten, „das ain Christen man | Das werlich schwerdt in henden hab“ (V. 2081 f.) und die „gantz kain Oberkait wend han“ (V. 2080). Wie bereits erwähnt, lehnten es die Täufer ab, dass ein Christ Gewalt anwende, ein obrigkeitliches Amt bekleiden dürfe oder den Beruf eines Richters ausüben solle, wie in den Schleitheimer Artikeln von 1527 festgehalten wurde.¹³² Obwohl die Täufer die weltliche Obrigkeit nicht per se ablehnten, sondern das Agieren der weltlichen Obrigkeit in kirchlichen Angelegenheiten und die Ausübung weltlicher Macht durch Christen, wurden sie von der Obrigkeit als Bedrohung für die bestehende Ordnung wahrgenommen und bekämpft. Während Birck also in den Rahmentexten relativ deutlich auf die Täufer anspielt und sich von ihren Forderungen distanziert, lassen sich in der Dramenhandlung andere Strategien erkennen, die bei den Rezipienten zu einer Ablehnung der Täufer führen
Vgl. ebd., S. f. Siehe dazu den iv. Artikel der Schleitheimer Bekenntnisse, „Absundrung von greweln“: „Also werden nun auch von uns ongezweifelt die unchristliche auch teufelischen wafen des gewalts fallen / als da seind schwert / harnascht / Und dergleichen / und aller jrer prauch / fr frnde / oder wid die feind / in krafft des worts Christi / Jr sollend dem ubel nit widerstan“, Brüderliche vereynigung etzlicher kinder Gottes / siben Artickel betreffen. Jtem / Eyn sendtbrieff Michel sattlerß / an eyn gemeyn Gottes / sampot kurtzem / doch warhafftigem anzeyg / wie er seine leer zuo Rottenburg am Necker / mitt seinem bluot bezeuget hat. O. O. u. Dr., , Bl. a ivr – a ivv, zit. nach Leu, Bekenntnis, S. f.
5.6 Zwischenfazit
227
sollten. Zudem inszeniert Birck mit Joseph als Typos Christi das Ideal eines göttlich inspirierten und im christlichen Sinne motivierten Politikberaters und Verwalters. Joseph ist von Gott begabt, den allegorischen Sinn seiner Regierungsanweisungen zu verstehen und umzusetzen. Indem er den Willen Gottes im Diesseits realisiert, handelt er weitsichtig und beugt so einem Aufstand des Volkes vor, der bei einer Hungersnot eingetreten wäre. Mit seiner Milde gegenüber dem Volk und der Vergebung der Tat seiner Brüder verkörpert er christliche Tugenden und stellt damit jenen Typus eines christlichen Herrschers dar, den die Täufer ablehnten. Mit den ‚Weisen‘, die bei der Interpretation eines allegorischen Sinnes versagen, führt Birck noch ein anderes Argument gegen die Anabaptisten an: Wenn der radikale Flügel der Reformation laut den Schleitheimer Artikeln eine christlich motivierte Obrigkeit ablehnte, gleichzeitig aber die Obrigkeit als eine Ordnung Gottes außerhalb der Kirche akzeptierte, stellte sich die Frage, wer dann die weltliche Macht ausüben sollte, wenn keine Christen. Die Antwort liegt auf der Hand: Die Heiden und Häretiker, die in Bircks Schauspiel von den vier Weisen am Hof des Königs dargestellt werden und die die göttliche Weisung nicht erklären konnten und die drohende Hungersnot nicht verhindert hätten. Birck stellt in seiner Dramatisierung also nicht nur das positive Exempel eines guten weltlichen Amtsträgers dar, sondern auch die abschreckende Alternative, mit der vermutlich auch implizit Ressentiments gegen altgläubige Kleriker geschürt werden sollten. Inwiefern konnte oder sollte sich die Comedy von Joseph und seinen Brüdern nun auf den politisch-theologischen Kontext einer reformierten Stadt wie Basel oder einer mehrkonfessionellen Stadt wie Augsburg auswirken? Wie bereits gezeigt, war Birck mit dem Schauspiel daran gelegen, die Heilige Schrift auch außerhalb der Kirche unter das Volk zu bringen und gleichzeitig für das Modell eines weltlichen Herrschers als politisches Beispiel – in Abgrenzung zu anderen Modellen – zu werben. Ein solches Schauspiel zielte wohl auf drei Gruppen: Die Obrigkeit, die Schüler und das breite Volk.Während für die beiden ersten Gruppen auch alle schriftlichen Medien zur Verbreitung der politischen Lehren in Frage kamen, eignete sich das mündlich vorgetragene Schauspiel besonders, um die Basler bzw. Augsburger Bürgerschaft zu erreichen. Allen drei Gruppen sollte die politische Lehre des Stückes in der unterhaltsamen ‚Comedy‘ mit einer stringenten Dramenhandlung und der Spannung bis zur glücklichen Wiedererkennung in der Katastrophe. Den drei Gruppen wurden die positiven und abschreckenden Beispiele richtigen und falschen Verhaltens anhand der Dramenfiguren vor Augen geführt, wobei sich die Gruppen mit jeweils anderen Figuren identifizieren konnten. Die Obrigkeit wird einerseits aufgefordert, sich an Joseph ein Beispiel für gute Regentschaft zu nehmen. Sie soll Josephs Fähigkeiten wie providentia übernehmen, und versuchen, für das Wohl des Gemeinwesens zu sorgen, indem sie Gottes Willen im Diesseits erfüllt. Das gilt auch für die Schüler, die Obrigkeit
228
5 Christentum und weltliches Amt: Joseph (ca. 1533)
von morgen. Dabei sollte sie auch bedenken, die zukünftige Obrigkeit mit entsprechenden Bildungseinrichtungen auf ihre zukünftigen Ämter vorzubereiten – das gilt insbesondere für den Augsburger Bürgermeister, dem das Drama gewidmet ist und dem als Vorsteher des Schulwesens eine besondere Verantwortung für den Nachwuchs und für die Finanzierung der Schulen zukam. Das Potenzial der Jugend für die Stadt wird der Obrigkeit und den Schülern auch vor Augen geführt, indem sich die jugendlichen Figuren im Drama durch besondere Klugheit und Gehorsam gegenüber ihren weltlichen Herren auszeichnen. Beispiele dafür sind der junge Joseph, der Potiphar am Ende des ersten Abschnitts bittet, ihn mit allen Mitteln zu einem „frummen knecht“ (V. 146) zu erziehen, und der jüngste der vier Weisen des Königs, der die Schwierigkeiten bei der Traumdeutung am besten beschreiben kann. Mit diesen Figuren sollten sich sicherlich auch Bircks Schüler identifizieren, die auf dem St. Anna-Gymnasium nach dem Vorbild der Josephsfigur auf den höheren Staats- und Verwaltungsdienst vorbereitet werden sollten. Da es dem Ideal der humanistischen Reformierten entsprach, ein Gemeinwesen auf der Grundlage der Heiligen Schrift zu regieren, lernten die Schüler mit dem Drama gewissermaßen spielerisch ein alttestamentliches Exempel für einen guten Herrscher(‐berater) kennen. Das galt auch für Zuschauer einer Aufführung aus anderen gesellschaftlichen Schichten. Da es zu den erklärten Zielen der Reformation gehörte, allen Christen die Heilige Schrift zugänglich zu machen, nutzte Birck das Medium des Theaters, um die Geschichten des Alten Testaments auch außerhalb der Kirchen anschaulich darzustellen. Auch für das breitere Publikum hatte das politische Beispiel Geltung, da das Volk u. a. lernen sollte, einen Herrscher nach dem Beispiel des Joseph zu akzeptieren und andere Herrschaftsmodelle wie etwa die der Täufer abzulehnen. Wie im vierten Abschnitt beim Besuch der Vögte von On und Seys betont wird, soll das ägyptische Volk dem guten Herrscher „in danckbarkait“ (V. 1233) verbunden sein. Der wichtigste Abschnitt zur Belehrung des Volkes war sicherlich die Interaktion der Schauspieler mit dem Publikum während der Verkündigung des Mandats vom Künig Pharao. Da das Basler oder Augsburger Publikum im Mandat des Königs als ägyptisches Volk angeredet werden sollte, gehörte auch eine Identifizierung von Bircks zeitgenössischem Publikum mit dem ägyptischen Volk, seiner Dankbarkeit und seinem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zu den Zielen des Josephsdramas. Darüber hinaus zielte Birck gerade in der Interaktion der Schauspieler mit dem Publikum sowie mit den Ansprachen in der ersten Person Plural in Vorrede und Beschlußred in der Aufführung einer solchen biblischen Komödie darauf ab, unter den ‚rechtgläubigen‘ Bürgern der jeweiligen Stadt ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Gerade mit den positiven Exempelfiguren konnte ein solches öffentlich aufgeführtes Schauspiel die Normen einer im Umbruch befindlichen Stadtgemeinschaft formen und festsetzen. Dagegen sollten
5.6 Zwischenfazit
229
die abschreckenden Beispiele und die didaktischen Reflexionen über dieselben auf der Bühne wohl den Effekt haben, dass sich die Gemeinschaft vereint gegen Missstände zur Wehr setzten sollte – eine weitere Möglichkeit zur Identitätsstiftung im Innern und Abgrenzung nach außen.
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534) 6.1 Einleitung Sixt Bircks volkssprachliches Judithdrama ist das erste Beispiel für eine Adaptation des Apokryphenstoffes aus der Feder eines Reformationsanhängers. Obwohl der Text erst 1539 bei Philipp Ulhard d. Ä. in Augsburg erschien, wurde das Stück nach Angabe von Johannes Nysaeus bereits um 1534 in Basel aufgeführt.¹ Anlass für die Aufführung war die Fastnacht, wie aus der Vorrede diser Tragœdi hervorgeht.² Für die Drucklegung 1539 überarbeitete Birck die volkssprachliche Fassung und fügte der Vorrede diser Tragœdi die Widmung An ain junge Burgerschafft hinzu. Seine lateinische Übersetzung entstand nach 1536 in Augsburg für die Schüler des humanistischen St. Anna-Gymnasiums.³ Ob und in welchem Rahmen die Dramen in Augsburg aufgeführt wurden, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden. Die Dramenhandlung ist nach Art des Schweizerischen Bürgertheaters durch Chorgesänge – die nur zum Teil abgedruckt sind – in sechs Szenen unterteilt.⁴
Das Buch Judith in der Vulgata und seine Übersetzungen in der Reformationszeit Das Buch Judith erzählt vom Rachefeldzug des Assyrerkönigs Nebucadnezer und seinem Feldhauptmann Holofernes gegen alle Völker, die seinen Aufruf missachtet hatten, ihm im Kampf gegen den Mederkönig Arphaxad beizustehen (Idt 1– 3). Während sich die übrigen Völker der militärischen Großmacht widerstandlos ergeben, verschanzt sich das erst kurz zuvor aus dem Babylonischen Exil zurückgekehrte Volk Israel hinter seinen Grenzen und bittet Gott um Beistand (Idt 4). Auf Holofernes’ Frage, was es mit dem kleinen Volk auf sich habe, fasst der Ammoniterhauptmann Achior die Geschichte Israels zusammen und warnt den Feldhauptmann, dieses Volk
„Primo anno egit Ezechiam et Zorobabelem, altero mox Susannam, post Iosephum et Iuditham“, Nysaeus in: Lactantius, Opera, Bl. b v. Nachdem das Drama Susanna laut Titelblatt aufgeführt wurde, sollte die Inszenierung des Judithdramas zwischen und , noch bevor Birck nach Augsburg ging, stattgefunden haben. „Das hab ich auch bey mir betracht | yetzund auff diese Fasenacht“, V. f. Vgl. Kap. , Anm. . Zur Tradition des volkssprachlichen Bürgertheaters in Basel siehe: Brauneck, Welt, Bd. , S. – . DOI 10.1515/783110434118-006
6.1 Einleitung
231
sei nur dann zu besiegen, wenn es sich gegen seinen eigenen Gott versündigt habe (Idt 5,1– 21).Um Achior für die Beleidigung seiner militärischen Macht zu strafen, lässt Holofernes ihn an die israelische Grenzstadt Bethulia ausliefern, der die Assyrer unmittelbar darauf die Wasserzufuhr abschneiden, um sie bald einnehmen zu können (Idt 6,1– 13). Angesichts der Verzweiflung der Bewohner von Bethulia verspricht ihnen Osias, einer der drei Anführer in der Stadt, sollte Gott nach fünf Tagen noch nicht ins Geschehen eingegriffen haben, so werde man sich den Angreifern ergeben (Idt 7,30). Diese Gott gesetzte Frist erzürnt die fromme und zurückgezogen lebende Witwe Judith. Ihrer Meinung nach dürfe man Gott keine Frist setzen, man solle vielmehr im Gebet verharren und von ganzem Herzen auf Gottes Beistand vertrauen (Idt 8,11– 36). Nach einem innigen Gebet, das in der Apokryphe ein ganzes Kapitel einnimmt (Idt 9), macht sie sich schön und zieht mit ihrer Magd Abra ins feindliche Lager, gibt sich dort angesichts der aussichtslosen Lage als Überläuferin aus und verführt den Feldhauptmann bei einem Trinkgelage (Idt 12,10 – 13,1). Judiths Befreiungsschlag, die Enthauptung Holofernesʼ mit seinem eigenen Schwert (Idt 13,6– 8), wurde gerade in der Reformationszeit zu einem beliebten Motiv in Malerei und Literatur zur Darstellung vom Sieg der Rechtgläubigen über die Heiden.⁵ Nach dem Mordanschlag auf den Heerführer der Assyrer haben die Israeliten leichtes Spiel, die Angreifer zu vertreiben (Idt 15,1– 7). Judith wird von den Würdenträgern wie vom Volk gefeiert und gelobt – sie spendet ihre Kriegsbeute dem Tempel in Jerusalem, auf dass sich alle Israeliten in Zeiten der Bedrohung daran trösten mögen (Idt 15,8– 11). Als Vorlage für sein Drama verwendete Birck – wie auch für seine übrigen Bibeldramen – die Apokryphenübersetzung Leo Juds aus der Zürcher Bibel und die Vulgata. Luthers Vollbibel mit der Anregung, die Apokryphe gebe „eine gute, ernste, dapffere Tragedien“⁶ erschien 1534 – etwa zeitgleich mit der Entstehung und Aufführung des Dramas in Basel, glaubt man der Angabe von Nysaeus. In der Vorrhede auffs buch Judith empfiehlt Luther die Aufführung dieser und anderer Apokryphen, da sie zum wahren Glauben erziehen könnten: Und mag sein, das sie [die Juden] solch geticht gespielet haben, wie man bey uns die Passio spielet, und ander heiligen geschicht, Damit sie jr volck und die jugent lereten, als jnn einem gemeinen bilde odder spiel, Gott vertrawen, from sein, und alle hlff und trost von Gott hoffen, jnn allen nten widder alle feinde etc.⁷
Siehe dazu u. a.: Adelheid Straten: Das Judith-Thema in Deutschland im . Jahrhundert. Studien zur Ikonographie, Materialien und Beiträge. München . WA DB , S. , Z. . Ebd., S. , Z. – .
232
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
In Folge dieser Anregung entstanden im deutschsprachigen Raum mehrere Dramatisierungen des Judithstoffes. Neben den zahlreichen Stücken evangelischer Autoren⁸ ist auch eine Bearbeitung des altgläubigen Dramenautors Wolfgang Schmeltztl erhalten.⁹ Da Bircks volkssprachliches Judithdrama erst fünf Jahre nach Luthers Vollbibel erschien, kommt diese ebenfalls als Vorlage in Betracht. Die Frage nach der Vorlage ist bedeutsam für die theologische Lehre in der Dramatisierung: Obwohl beide vom Vulgatatext als (Haupt‐)Vorlage ausgingen, unterscheiden sich die Übersetzungen Leo Juds und Martin Luthers in einigen wichtigen Punkten.¹⁰ In der Vulgata wie auch in der Zürcher Bibel wird Judiths Heldentat und Tapferkeit Männern und Frauen als Vorbild vorgestellt, wie der Prolog zum Buch Judith in der Vulgata ausdrücklich betont:
Zu den lutherischen Bearbeitungen gehören: Joachim Greff: Tragoedia des Buchs Iudith jnn Deudsche Reim verfasset durch / Ioachi. Greff.von Zwickaw / nuetzlich zu lesen.Wittemberg . In: Ronald William Walker: Joachim Greff′s „Tragoedia des Buchs Iudith“. Text Edition and Introduction to the Text. Diss. [masch.] Ohio , S. – . – Hans Sachs: Ein comedi, mit personen zu recidirn, die Judith, unnd hat fünff actus. In: Hans Sachs, hg. von Adelbert von Keller (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart ), Bd. . Hildesheim , S. – . – Samuel Hebel: Ein Spil von der Belegerung der Statt Bethulia / und wie sie Gott wunderlich durch ain Witfraw Judith genant / die Holofernem den bersten Hauptman im Lger umbracht / erlset hat / ntzlich und lustig zu lesen / in Reym beschrieben […].Wien: Caspar Stainhofer . In: Judith-Dramen des ./. Jahrhunderts nebst Luthers Vorrede zum Buch Judith, hg. von Martin Sommerfeld (= Literaturhistorische Bibliothek ). Berlin , S. – . Auch die sogenannte Straßburger Judith zählt zu den lutherischen Bearbeitungen, da ihr anstelle einer Vorrede Auszüge aus Luthers Vorrhede auffs buch Judith vorangestellt sind: Anonymus: Ein schn Biblisch Spyl / beide lehrhafft und lustig / Judith genent. Newlich z Strasburg durch ein Junge Burgerschafft z gemeiner besserung offentlich gespilet / im jar . Straßburg: Thiebolt Berger . Wolfgang Schmeltzl: Comoedia Judith gehalten z Wienn jn Osterreych […] Jn dem […]. Wien: Johann Singriener d. Ä. . Die Übersetzung des Buches Judith in Martin Luthers Vollbibel von ging sicherlich nicht auf den Wittenberger Reformator selbst zurück. Vorlage für die Übersetzung war allein der Vulgatatext (vgl. WA DB , S. LII: „daß ohne erkennbaren Grund bei der Judith, dem Tobias und dem Ersten Makkabäerbuch die Vulgata die einzige Vorlage bildete,während bei dem Baruch, dem Zweiten Makkabäerbuch und den Stücken in Daniel die Septuaginta bevorzugt wurde“). Nach Henrike Lähnemann war der Rückgriff auf die Vulgata als einzige Textvorlage Ausdruck von Luthers Geringschätzung gegenüber den Apokryphen, da ein philologisch sorgfältiger Abgleich mit dem griechischen Quellentext nicht für notwendig erachtet wurde (vgl. Lähnemann, Hystoria, S. ). „In der Zürcher Bibel war Judith nach der Vulgata übersetzt; nur die Namen waren teilweise an den übrigen biblischen Gebrauch angeglichen“ (ebd., S. ).
6.1 Einleitung
233
Hanc enim non solum feminis, sed et viris imitabilem dedit, qui, castitatis eius remunerator, virtutem talem tribuit, ut invictum omnibus hominibus vinceret, insuperabilem superaret.¹¹
Dagegen wird Judiths Tat in der Lutherbibel nicht als Beweis für ihre Tapferkeit dargestellt, sondern als Beleg für ihren vertrauenden Glauben an Gott, der nach Luthers Lehre zur Rechtfertigung führe.¹² Der Glaube allein – so die Darstellung in der Lutherbibel – habe die Witwe zu einem Instrument des göttlichen Willens auf Erden, zu einem „vivum organum divini spiritus“¹³ gemacht. In der Vulgata und in der Zürcher Bibel führt Judith die Enthauptung Holofernes eigenhändig aus: „stand acht auff die werck meiner henden“ (ZB, Idt 13,A) bzw. „respice in hac hora ad opera manuum mearum“ (Vul, Idt 13,7). Der Wortlaut der Vulgata, Judith handle mit ihrer eigenen Hand, hat immer wieder dazu verleitet, ihre Rolle zumindest als Mitbeteiligte aus eigenem Vermögen an der Rettung ihres Volkes zu interpretieren. Dass diese Angabe, Judith führe die Tat mit eigener Hand aus, in der Lutherbibel ausgelassen wird, zeugt davon, dass eine solche Mitbeteiligung Judiths bei der Interpretation rigoros ausgeschlossen wird, während die Zürcher Bibel Hinweise auf Judiths Beteiligung an der Rettung Israels aus eigener Kraft noch weiter ausbaut als die Vulgata. Ob Birck seine Titelheldin aus eigenem Antrieb oder als ein Instrument göttlichen Willens handeln lässt, soll die folgende Drameninterpretation – neben dem Konflikt um Eintracht und Zwietracht in der jüdischen Gemeinde von Bethulia – zeigen.
Die Bedeutung der Theologie im Buch Judith für die Türkenkriege im 16. Jahrhundert Die Frage, ob die Gläubigen angesichts einer Bedrohung ausschließlich durch Gott vor heidnischen Angreifern gerettet werden können, oder ob der Mensch mit seinem Handeln aus eigenem Antrieb dazu beitragen könne, spielte im 16. Jahrhundert eine Schlüsselrolle bei der Auseinandersetzung zwischen Lutheranern und Humanisten, wie man sich bei einem drohenden Angriff zu verhalten habe.¹⁴
Vul, Prologus Iudith, S. , Z. – . Vgl. Wolf-Dieter Hauschild: Art. „Gnade IV“. In: TRE , S. – , hier S. . EAS , S. . Siehe dazu: Martin Brecht: Luther und die Türken. In: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. von Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann (= Frühe Neuzeit ). Tübingen , S. – ; ebenso: Rudolf Mau: Luthers Stellung zu den Türken. In: Leben und Werk Martin Luthers von bis . Festgabe zu seinem . Geburtstag, hg. von Helmar Junghans. Göttingen , Bd. , S. – und Bd. , S. – .
234
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Der Antwort wurde großes Gewicht bei der Frage beigemessen, wie man die Expansion der heidnischen Osmanen in Südost- und Mitteleuropa aufhalten könnte. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren besonders die Schlacht von Mohács vom 29. August 1526, in der König Ludwig II. von Ungarn fiel, und die Belagerung Wiens vom 20. September bis zum 15./16. Oktober 1529 Ereignisse,¹⁵ die das christliche Europa in Furcht und Schrecken versetzten, zumal die Könige und Fürsten in Europa nicht geschlossen gegen die Türken vorgingen und daher wenig Hoffnung auf eine baldige Abwendung der Gefahr bestand.¹⁶ Ausgehend von ihren unterschiedlichen Auffassungen über den freien Willen des Menschen vertraten Martin Luther und Erasmus von Rotterdam unterschiedliche Ansichten darüber, wie sich ein Christ angesichts einer solchen Bedrohung zu verhalten habe.¹⁷ Die
Vgl. A. G. Weiler: Einleitung (zur Ultissima Consultatio De Bello Turcis Inferendo). In: ASD V., S. – , hier S. u. S. . Siehe dazu: ebd., S. . Für die Auseinandersetzung Luthers und Erasmusʼ über den freien Willen des Menschen siehe Erasmusʼ Abhandlung De libero arbitrio ΔIATPIBH sive collatio, in der er schreibt: „Nimirum istis visum est vehementer aptum ad Christianae mentis simplicem oboedientiam, ut totus homo pendeat a nutu dei, in illius promissis spem omnem ac fiduciam ponat et agnoscens, quam ipse ex sense sit miserabilis, miretur et amet illius immensam misericordiam, quae nobis gratis tanta largitur, illius voluntati se totum submittat, sive servare velit sive perdere, nihil laudis ex benefactis sibi arroget, sed totam gloriam ascribat illius gratiae, cogitans hominem nihil aliud esse, quam vivum organum divini spiritus, quod ipse sibi purgavit consecravitque sua gratuita bonitate, quod pro sua inscrutabili sapientia moderatur ac temperat, nihil hic esse, quod quisquam suis arroget viribus, et tamen certa fiducia ab illo speret praemium aeternae vitae, non quia suis benefactis promeruerit, sed quod eius bonitati visum sit promittere ipsi fidentibus; hominis partes esse assidue precari deum, ut impartiat et augeat in nobis spiritum suum, agere gratias, si quid per nos benegestum est, illius potentiam in omnibus adorare, sapientiam ubique mirari, bonitatem ubique amare.“ – „Zweifellos ist diesen Leuten zum schlichten Gehorsam christlicher Gesinnung als überaus passend erschienen, daß der Mensch ganz vom Wink Gottes abhängt, auf seine Verheißungen die ganze Hoffnung und sein ganzes Vertrauen setzt, aus der Erkenntnis, wie armselig er selbst aus sich ist, seine unermeßliche Barmherzigkeit bewundert und liebt, die uns so vieles umsonst gewährt, sich ganz seinem Willen unterwirft, ob er retten oder verderben will, sich kein Lob auf Grund von guten Werken anmaßt, sondern den ganzen Ruhm seiner Gnade zuschreibt, wenn er bedenkt, daß der Mensch nichts anderes ist als ein lebendes Werkzeug des göttlichen Geistes, das er sich selbst gereinigt und geheiligt hat durch seine ungeschuldete Güte, das er nach seiner unerforschlichen Weisheit lenkt und leitet, daß es aber dabei nichts gibt,was einer für seine eigenen Kräfte in Anspruch nehmen könnte, und doch mit sicherem Vertrauen von jenem den Lohn des ewigen Lebens erhofft, nicht,weil er es durch seine Wohltaten verdient hätte, sondern weil es seiner Güte gefallen hat, ihn denen, die an ihn glauben, zu versprechen; Sache des Menschen sei es, Gott eifrig zu bitten, seinen Geist mitzuteilen und in uns zu vermehren, Dank zu sagen, wenn etwas durch uns glücklich vollendet wurde, seine Weisheit überall zu bewundern, seine Güte überall zu lieben“, EAS , S. – . Erasmus stellte dieser Negierung des freien Willens die Frage entgegen „[a]ut cur cogimur sisti ad tribunal iudicis, si nihil ex nostro arbitrio, sed ex mera necessitate gesta sunt in nobis omnia?“ (ebd., S. ). Luther antwortete mit seiner Schrift De servo
6.2 Rahmentexte: Titelblatt, Figurenverzeichnis und die beiden Vorreden
235
unterschiedlichen Darstellungen von Judiths Tat in der Zürcher und in Luthers Vollbibel sind dafür paradigmatisch. Dies war sicher der Grund dafür, dass diese Apokryphe im 16. Jahrhundert so häufig von evangelischen wie altgläubigen Malern und Schriftstellern aufgegriffen wurde.
6.2 Rahmentexte: Titelblatt, Figurenverzeichnis und die beiden Vorreden Titelblatt Das Titelblatt entstand wahrscheinlich erst für die Drucklegung in Augsburg. Laut Titelblatt gibt diese Nutzliche History Anweisungen, „[w]ie man in Kriegßleüfften / besonders so man von der ehr Gots wegen angefochten wirt / vmb hilff z Gott dem Herren flehend rffen soll. Die Latinisierung des Autorennamens „Durch Xystum Betuleium Augustanum“ scheint ein Spiel mit der Übersetzung von ‚Birke‘ ins Lateinische, ‚betula‘, zu sein, womit sich Sixt Birck dem Namen nach als einen ‚Betuleischen‘ bezeichnet, also ein Mann aus dem Spielort Bethulia. Birck weist sich mit seinem Namen als Bürger aus, der sowohl im fiktiven Dramenspielort Bethulia, als auch im Aufführungsort Augsburg beheimatet zu sein scheint. Die Stadt Augsburg des Jahres 1539 und der biblische Ort werden so von Beginn an enggeführt; die Rezipienten fordert Birck auf, die Dramatisierung der Apokryphe auf ihre Stadt Augsburg 1539 zu übertragen. Dem Namen des Autors folgt das erste Motto, das wörtlich Psalm 113,9 (Vul) entnommen ist: „Non nobis domine, non nobis sed nomini tuo da gloriam.“ Indem Birck dieses Motto auf seinen Autorennamen folgen lässt, bringt er seine Bescheidenheit gegenüber dem Namen des Herrn zum Ausdruck, dem allein alle Ehre gebühre. Diesem Motto folgt die Angabe des Jahres der Drucklegung „Anno M. D. XXXIX“ und darauf das zweite Motto aus Ps 91,13 (Vul): „Iustus ut palma florebit“. Nachdem das erste Motto dem Topos der Bescheidenheit des Autors gedient hat und allen Ruhm dem Namen des Herrn zugesprochen hat, ist die Jahresangabe der Hinweis dafür, dass das zweite Motto sich auf die Gegenwart des Autors bezieht. Dort gilt, dass der Gerechte blühen werde wie eine Palme. Gleichzeitig verweist der Psalm bereits auf die Dramenhandlung: In dem Psalm, der ein hohes Lied auf den Sabbat ist, heißt es in Vers 10: „quoniam ecce inimici tui Domine: quoniam ecce inimici tui peribunt et dispergentur omnes qui operantur iniquitatem.“¹⁸ Die Lehre arbitrio (WA , S. – ), in der er seine von Erasmus kritisierte Haltung zum freien Willen bekräftigte. „Doch deine Feinde, Herr, wahrhaftig, deine Feinde vergehen; / auseinander getrieben werden alle, die Unrecht tun“, Die Bibel. Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag
236
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
des Schauspiels – dass alle Feinde des Herrn vergehen werden – wird somit bereits auf dem Titelblatt angekündigt.
Die Namen der Personen in diser Tragœdi Die Namen der israelitischen und die der assyrischen Figuren werden in zwei getrennten Spalten aufgelistet, wobei die israelitischen mit Judith den Anfang machen. Die Schreibweise der Figurennamen weist auf die Zürcher Bibel als Vorlage hin, da Birck zwischen dem Priester Eliakim zu Beginn und dem Hohepriester Joakim, der Judith am Ende der Dramenhandlung für ihre Heldentat dankt, unterscheidet. Aus der Schreibweise wird ersichtlich, dass Birck hier der Apokryphenübersetzung Leo Juds folgt und nicht der Vulgata, wo die Figuren sacerdos Heliachim (Idt 4,5) und Ioachim summus pontifex (Idt 15,9) genannt werden. Die Trennung der beiden Figuren zeigt auch, dass sich Birck bei der Überarbeitung der 1534 in Basel aufgeführten Dramenfassung für den Augsburger Druck 1539 nicht von der 1534 erschienenen Vollbibel Luthers beeinflussen ließ. Dort wird sowohl am Anfang als auch am Ende der Priester Joiakim (WA DB 12, Idt IV,5) bzw. Joiakim der hohe priester von Jerusalem (WA DB 12, Idt XV,10) genannt. Birck fügte seinem Drama einen zwölfköpfigen Rhat hinzu, der in keiner der um 1530 gebräuchlichen Bibelausgaben vorkommt, und der sich vermutlich vom Rat der Stadt Basel ableitet. Viele der von Birck hinzugefügten Namen, die sich nicht in der Apokryphe finden, sind sprechende und zugleich wertende Namen, deren griechische oder lateinische Bedeutung die Zugehörigkeit zu Israeliten oder Assyrern erkennen lassen. So wird der israelitische Bote Promptulus (‚der Eilfertige‘) genannt, während ein Wächter Holofernes mit dem Namen Gynecius (‚der Weibische‘) die Feigheit der Assyrer antizipiert.¹⁹ Die Bedeutung dieser sprechenden Namen hat Hellmut Thomke in seinem Kommentar aufgeschlüsselt.²⁰
Vorrede diser Tragœdi Die vermutlich noch in Basel entstandene Vorrede diser Tragœdi – und damit der ältere Prolog des volkssprachlichen Judithdramas – beginnt mit dem Aphorismus aus dem Buch Kohelet bzw. Liber Ecclesiastes: „Es spricht der Weyß man Salomon | das man der zeyt sol achtung hon“ (V. 9 f.).²¹ Diese Mahnung zielt auf die Fast-
der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen. Stuttgart , Ps ,. Vgl. Lähnemann, Hystoria, S. . Siehe dazu: Thomke, Spiele, S. . Ecc. ,: „omnia tempus habent“.
6.2 Rahmentexte: Titelblatt, Figurenverzeichnis und die beiden Vorreden
237
nacht ab, die offenkundig den institutionellen Rahmen für die Aufführung des Judithdramas in Basel darstellte: „yetzund auff dise Fasenacht“ (V. 54). Die Fastnacht sei nach der Vorrede „ain zeyt deß mts vnd freüd | vnd sey ain zeyt der traurigkeit“ (V. 51 f.).Wo bisher Fastnachtspiele derbe und obszöne weltliche Stoffe auf der Bühne darboten, plädiert Birck nach Einführung der Reformation für eine ernstere und stärker religiös ausgerichtete Fastnacht. In seiner Vorrede stellt die Einführung der Reformation eine Zäsur im Leben der „Burger“ (V. 83) dar, die die Macht der „Haidenschafft“ (V. 57) gebrochen und die Anbetung des Teufels beendet habe, woraufhin das „Gttlich liecht“ (V. 60) durchgedrungen sei.²² Zu dieser vorreformatorischen Zeit gehörte laut Vorrede auch das typische Treiben zur Fastnacht mit den Verkleidungen als Schreckgestalt und als Narr.²³ Die Reformation wird hier als ein bereits abgeschlossener Prozess dargestellt: Die „Haidenschafft“ (V. 57) habe nun ihre Macht verloren, damit sei sie und das vorreformatorische Fastnachttreiben überwunden. Mit seinem Bibeldrama knüpft Birck zwar an die Tradition des Fastnachtspiels an, die vormals weltlichen Stoffe werden aber nun vollständig durch biblische ersetzt – Dies zeigen die biblische Hauptvorlage, der Verweis auf Salomon als Autorität und die Chorgesänge, die zwar im volkssprachlichen Judithdrama nicht abgedruckt sind, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach wie in den übrigen Dramen Psalmgesänge waren. Vom teuflischen Treiben der Vorreformation will der Prologsprecher das ‚neue‘ Schauspiel abgrenzen. Auch wenn es alter Tradition gemäß „ain faßnacht spyl“ (V. 71) genannt wird, so unterscheide es sich durch seine Zielsetzung und seinen Stoff wesentlich von den vorreformatorischen Fastnachtsbräuchen: „So merckend was sey unser freüd | sunst nichts dann eytel Erbarkeit | Das Gottes handel auffrecht stand | und liebe z dem vatter land“ (V. 67– 70). Auffällig ist hier die Verknüpfung von rechtem Glauben und dem Dienst am „vatter land“ (V. 70), der auch in der Zusammenfassung der Handlung deutlich wird: „Ain redlich / mannlich dapffer weib | die hat gewaget iren leib | Z retten ir volck / statt vnd land“ (V. 73 – 75). Die Auffassung, der rechte Glaube müsse sich im Diesseits, besonders im Dienst am Gemeinwesen erweisen, zeigt bereits den Einfluss der humanistischen Reformationsbewegung in der Schweiz und in Oberdeutschland, während Luthers Theologie eschatologisch ausgerichtet war.
„Da ich bedacht den gmainen stand | wies yetz schier stat durch alle land | Hat Gott sey globt / die Haidenschafft | verloren garnach all ir krafft | Ist schier verblichen gantz und gar | so bald das Gttlich liecht trang har | Vor ward allain der Teüfel gehrt | die sach hat sich bey uns verkert“ (JuD V. – ). „Vor zeyten luff wir hin und har | der was ain butz / der was ain narr | Auß dem vil übels dann entsprang“ (JuD, V. – ); „butz“ bezeichnet eine vermummte Schreckgestalt (vgl. Thomke, Spiele, S. ).
238
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Bemerkenswert ist die Darstellung des apokryphen Judithstoffes als historische Begebenheit. In der Vorrede heißt es: „Fünff hundert und wol zwaintzig jar | eh das Christus geboren war | Ward sy mit irer dapfferkait | in gfrligkait sich zgeben bhrait“ (V. 77– 80). Henrike Lähnemann vermerkt zu dieser Angabe, die Dramenadaptation führe „nach dieser Sichtweise nicht mahnend einen besseren Zustand, sondern eine historische Parallele aus dem Jahre 520 v.Chr. vor Augen.“²⁴ Warum das eine das andere ausschließen soll, ist nicht ersichtlich.Wahrscheinlich ist, dass Birck die Apokryphe als Teil einer historischen Chronik verstand, die den zeitgenössischen Rezipienten als Vorbild für ihr eigenes Leben dienen sollte. Zum Schluss werden in der Vorrede zwei didaktische Ziele des Dramas formuliert. Das erste ist an die „trewen Burger“ gerichtet. Sie sollen lernen „in der gfrligkait | umb Gottes ehr willig sein bhrait“ (V. 85 f.). Das zweite Ziel richtet sich explizit an die „frumme Oberhand“ (V. 87) Die Obrigkeit soll lernen, für das „vatter land“ (V. 88) zu sorgen. Als Diener Gottes sollte ihre Frömmigkeit damit ihren Ausdruck im Dienst am Land und ihren Schutzbefohlenen finden.
An ain junge Burgerschafft Die Vorrede An ain junge Burgerschafft fügte Birck vermutlich erst bei der Überarbeitung des volkssprachlichen Dramas in Augsburg hinzu. Ein Indiz dafür ist, dass Birck die Rezipienten nicht bloß ermahnt „dem vatter land“ (V. 70) zu dienen, sondern von „meim vatterland“ spricht (V. 43) – eine Bezeichnung, die er wohl eher für seine Geburtsstadt Augsburg als für Basel gebrauchte. Die Tatsache, dass sich das Stück an die junge Burgerschafft richtet, lässt auf eine veränderte Aufführungssituation in Augsburg schließen: Offensichtlich fanden die Darbietungen hier im Rahmen schulischer Veranstaltungen auf dem Schulgelände selbst statt und nicht wie in Basel auf einem öffentlichen Platz vor einem städtischen Publikum. Doch auch in Augsburg scheint die Fastnacht Anlass einer Aufführung gewesen zu sein – und auch hier grenzt der Prologsprecher das Bibeldrama von allem Fastnachttreiben ab, das als tugendlos erachtet wird: Nur Tantzen / Rennen / stechen gilt²⁵ kain sollichs spyl wirt hie gespylt Darinn mcht Gott werden geehrt und tuget mcht wol werden glert (V. 33 – 36).
Lähnemann, Hystoria, S. . In Nürnberg veranstalteten die jungen Patrizier zur Fastnacht auf dem Hauptmarkt „in Nachahmung adliger Traditionen Turniere, sogenannte ‚Gesellenstechen‘, und fanden sich anschließend zum ‚Geschlechtertanz‘ auf dem Rathaus zusammen“, Ridder, Fastnachtstheater, S. . Offenbar spielt Birck hier auf ähnliche Bräuche unter der ‚jungen Burgerschafft‘ in Augsburg an.
6.3 Binnentext
239
Das Streben nach Tugend ist das beherrschende Thema des Prologs. Anschaulich wird in der Widmungsvorrede Platons Metapher von Reichtum und Tugend auf zwei Waagschalen angeführt. Gleich nach der anfänglichen Klage, dass „in unser statt | der bracht allmaist sein fürgang hatt“ (V. 3 f.) wird Platon als Gewährsmann für das Bildnis genannt, das sich in seiner Politeia findet. An die athenische Oligarchie gerichtet führt Platon dort aus, Reichtum und Tugend seien nur schwer in ein Gleichgewicht zu bringen, da meistens das eine das andere überwiege.²⁶ Dieses Ungleichgewicht greift Birck in seinem Prolog auf: „wa Reychtumb nimpt überhand | Da mg die Tuget han kain platz“ (V. 8 f.). Erstrebenswerter Idealzustand sei nach Birck, Reichtum und Tugend in ein Gleichgewicht zu bringen.²⁷ Die Forderung nach Einklang von Tugend und Geld scheint als Mahnung an die Söhne der betuchten, für ihren ausschweifenden Lebensstil bekannte Augsburger Oberschicht gerichtet gewesen zu sein und nicht an das ständisch gemischte Publikum in Basel.²⁸ Mit Platon als antiker, wenn auch ‚heidnischer‘ Autorität richtete sich Birck eher an die Angehörigen eines humanistischen Gymnasiums in Augsburg als an ein breites städtisches Publikum, sei es in Basel oder in Augsburg.
6.3 Binnentext Szene 1 Die erste Szene basiert vornehmlich auf Kapitel 4,11– 13 des Buches Judith und dient im Drama als Exposition zur Einführung des Handlungskonflikts. Dieser besteht in der Bedrohung der judäischen Grenzstadt Bethulia durch das Heer des Assyrerkönigs Nebukadnezar, der im Drama sowohl Nabuchodonozor als auch Cambyses genannt wird.²⁹ Die Szene trägt die Überschrift „Wie der Priester Eliakim
Platon, Politeia, Buch VIII, e – a: „Dann treiben sie es, sprach ich, immer weiter mit dem Gelderwerben, und je mehr sie auf dieses Wert legen, um desto weniger auf die Tugend. Oder verhalten sich nicht Tugend und Reichtum so, daß immer, als läge auf jeder Schale der Waage eines, sie sich gegenseitig einander in die Höhe schnellen? – Gar sehr, sagte er. – Wird also der Reichtum in einem Staat geehrt und die Reiche, so wird die Tugend minder geachtet und die Guten. – Offenbar.“ „Stahts inn / so stat es zymlich wol“ (V. ). „Augsburg […] galt als eine Metropole üppigen Glanzes, wo der reiche Geldmann sein Haus mit ‚asiatischem‘ Prunke einrichtete, prächtige Gärten mit ‚zierlichen Wasserkünsten‘ anlegte, die das Entzücken der Fremden waren, und bei festlichen Anlässen, wie Hochzeiten, Tänzen usw., mit ausgesuchter Pracht aufzutreten liebte“, Friedrich Roth: Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. . München , S. . Wie Henrike Lähnemann festgestellt hat, wird Nebucadnezer ‚Cambyses‘ genannt, wenn von dem gegenwärtigen Angreifer die Rede ist, wie in V. u. V. (vgl. Lähnemann, Hystoria, S. ). Hingegen steht der Name Nabuchodnonosor immer in einer Reihe mit anderen histori-
240
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
in einem geseßnen Rhat das gemain anligen denen von Bethulien anzaigt. Und sy z standthafftigkait / und zum bett ermanet. | Cap. IIII.“ (vor V. 89). Die Kapitelangabe bezieht sich auf Idt 4,14 f., wo der Priester Eliakim den Israeliten angesichts der Bedrohung durch das assyrische Heer versichert, Gott werde ihre Gebete erhören. Die Tatsache, dass Birck Kapitel 1– 3 der Apokryphe überspringt, in denen Nebukadnezar seinen Rachefeldzug führt, zeigt, dass Birck den Bearbeitungsschwerpunkt auf die Bedrängnis einer Stadt legt, deren Bewohner zugleich eine Gemeinschaft der ‚Rechtgläubigen‘ bilden. Offensichtlich hatte Birck kein Interesse daran, Nebukadnezar als Typus eines ‚heidnischen‘ Feindbildes auf die Bühne zu bringen. Auch die für das antike Drama geforderte Einheit von Ort und Zeit könnte für diese Entscheidung des Autors relevant gewesen sein. Wie in der Apokryphe stattet der Hohepriester Eliakim aus Jerusalem der strategisch wichtigen Grenzstadt Bethulia einen Besuch ab. Er unterrichtet die Obrigkeit über den Feldzug Nebukadnezars und fasst damit Idt 1– 3 in einem Botenbericht zusammen. Der Priester ermahnt die Obrigkeit von Bethulia, standhaft im Gebet und im Glauben auf Gottes Beistand zu verharren – die Entscheidung, ob Bethulia angesichts der Bedrohung auf Gott vertraut oder sich der überlegenen Streitmacht ergibt, liegt jedoch allein in der Hand der Stadtoberen. Dem Geistlichen aus Jerusalem kommt lediglich eine beratende Funktion zu. Er rät den Vorstehern von Bethulia, nicht zu verzagen, denn „Gott wirt erhren unser bitt | Wenn wir in werden rffen an | abpruch mit fasten werden han“ (V. 124– 126). Als Beweis führt Eliakim das Exemplum von Moses im Kampf gegen Amalech im Alten Testament an, aus dem er die Handlungsanleitung für die gegenwärtige Bedrohung ableitet:³⁰ Das gbett was stercker dann ir gwer darumb das in beystnd der Herr Also auch wenn wir werden bstan so wirt uns Gott auch nit verlan (V. 143 – 146).
Sie soll innerhalb der Dramenhandlung wie auch für die Zuschauer und Leser gelten – die Bürgerschaft einer reformierten Stadt wie Basel oder Augbsurg, insbesondere aber deren Vorsteher, die auch in der Dramenhandlung angesprochen werden. Ozias, Oberist von Bethulia, stimmt Eliakim zu, dass das Gebet für den Schutz der Gemeinschaft am wichtigsten sei: „Lond ab von Gott nit ewer bitt | das er uns
schen Angreifern des jüdischen Volkes wie Amalech (V. ) und den Philistern (V. ) oder allgemein alle Angreifer vor und nach Nabucadnezer (V. ). Auf den Namen Cambyses kann Birck bei Flavius Josephus aufmerksam geworden sein. Eliakim: „fürcht nit | Nabuchodonozor | Als lützel als vor Amelech | wiewol er trutzlich ist und frech“ (V. – ).
6.3 Binnentext
241
wlle straffen nitt“ (V. 163 f.). Die Priesterschaft des Volkes Israel und der Oberist von Bethulia stimmen in ihrer Ausdeutung der Heiligen Schrift und in der Ableitung des ‚richtigen‘ Verhaltens in der gegenwärtigen Bedrohung überein. Damit ist die wichtigste Voraussetzung zum Schutz der Glaubensgemeinschaft der Gläubigen jedoch noch nicht erfüllt. Diese liegt vielmehr in der Eintracht (concordia) der Obrigkeit von Bethulia mit der gemain. Wie in Kap. 2.2 und 2.4 beschrieben, partizipiert auch die Gemeinde der judäischen Stadt im Drama so weit an den politischen Entscheidungen, dass ihre Zustimmung zum Kurs der Obrigkeit entscheidend ist: Eliakim bittet daher um eine Einschätzung der Gesinnung der gemain: „ist sy unsauber / oder rain? | Was ist sy in dem gschray besindt? […] ist ir nit z dem abfall gach“ (V. 170 – 173). Eliakim betont die Bedeutung der Eintracht innerhalb der Gemeinschaft, insbesondere zwischen Obrigkeit und Herrschaftsbefohlenen zur Abwehr der Gefahr: Wa Rhat und gmaind zsamen sagt da darff man sein gantz nit verzagt So aber die seind gar zertrent die sach wirt haben kain gt end (V. 179 – 182).
Um zu Eintracht innerhalb der Gemeinschaft zu gelangen, komme der Obrigkeit jedoch eine höhere Verantwortung zu als dem gmainen man, da eine Obrigkeit, die „auffrecht“ (V. 185) stehe und Gott „ghorsam z laisten“ (V. 186) bereit sei, auch dem ‚liederlichen‘ gmainen man den rechten Weg weisen solle, wie der Hohepriester ausführt.³¹ Auf seine Frage antwortet Ozias ausweichend: In guten Zeiten sei auf die Gemeinschaft durchaus Verlass. Doch „[w]ann kumpt die sach in gfrligkait | da kann ich euch geben kain bschaid“ (V. 177 f.). Einer der beiden Ältesten, Chambri, äußerst sich noch besorgter über den Zustand der Gemeinde. Er hält es für unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Gemeinde bei Gefahr ebenfalls auf Gottes Beistand vertraue: „solt man machen hie das mehr | Sy drfften eh Kambysen han | und Gott den Herren faren lan“ (V. 204– 206). Der Dramenkonflikt spitzt sich damit auf die Frage zu, ob es der Obrigkeit von Bethulia gelingen werde, das Volk angesichts der drohenden Kriegsgefahr vom unbedingten Vertrauen auf Gottes Beistand zu überzeugen. Unverkennbar ist die Parallele zu Bircks erstem Drama Ezechias, wo der Assyrerkönig Sanherib dem König von Juda droht, er solle sich angesichts seiner militärischen Unterlegenheit ergeben, zumal sein Volk nicht geschlossen hinter ihm stünde (siehe S. 68).
Eliakim: „Wa auffrecht ist die Oberkait | ghorsam z laisten ist berait | Auch liederlich der gmaine man | so man die recht gezmen kan“ (V. – ).
242
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Die erste Szene wird mit einem nicht überlieferten Chorus beschlossen, der vermutlich,wie auch die Chorgesänge der übrigen Dramen, ein Psalmengesang war.³²
Szene 2 Die zweite Szene basiert auf der Vorlage von Idt 6 – der Auslieferung Achiors – wie auch im Dramentext vermerkt ist (vor V. 229). Holofernes’ Diener Demius und Desmon haben den Auftrag erhalten, Achior an Bethulia auszuliefern. Ihre Figurenrede während der Aktion offenbart ihre Ängstlichkeit, die später mit Judiths mannhaftem und tapferem Verhalten im feindlichen Lager kontrastiert wird.³³ In Bethulia wird Achior von den Israeliten Gnoster, Grygrous und Phylax gefunden. Auf seine Bitte, ihn vor „gmain und rhat“ (V. 265) sprechen zu lassen, sichert ihm der Wächter Phylax eine faire und unvoreingenommene Anhörung vor dem Rat von Bethulia zu: es ist nit in Israel sitt Das man mit ainem brauch gefar oder das man aim krümb ain har Eh und man wol erkundet hat ain sach vor ainem gantzen rhat (V. 276 – 280).
Die beiden Wächter erklären hier das oberste Prinzip politischen Handelns in Bethulia: Jede Handlung, die die Gemeinschaft ausführt, muss zuerst von einem Mehrheitsbeschluss des Rhates gebilligt werden. Die Entscheidungsfindung beruht damit auf dem einfachen Mehrheitsprinzip einer Gruppe von zwölf Ratsmitgliedern, die sich durch genaue Kenntnis der Heiligen Schrift auszeichnen. Dieses Prinzip der kollektiven Entscheidungsfindung in der judäischen Stadt Bethulia zur Zeit des Alten Testaments, das nicht in der Apokryphe vorkommt, soll im Drama vorbildhaft für ein christliches Gemeinwesen sein. Um über den Fall des von den Assyrern ausgelieferten Achab zu beraten, lässt Ozias eine Ratsversammlung einberufen.³⁴ Dort konfrontiert er den Gefangenen mit der Frage, was er sich habe zuschulden kommen lassen, dass er an den Gegner ausgeliefert worden sei (V. 297– 301). Als Achior verkündet, er habe dem Hauptmann aus seinem Mund „ewrs Gottes lob solt machen kund“ (V. 308), sichert ihm auch Ozias ein gerechtes Verfahren zu: „Sag an / dir soll sein zgesait | bey uns hie
Davon geht auch Hellmut Thomke in seinem Kommentar aus. Vgl. Thomke, Spiele, S. . Demius: „Harr gsell / harr / laß uns nit z weyt | laß uns umbkeren bey der zeyt“ (V. f.); Demius: „Machs nur nit lang / mach nur bald end“ (V. ); Demius: Heb nur den hindern fß auff bald | Das dir darunder wachs kain gras | warlich es uns so not nie was“ (V. – ). Ozias: „Schaff das er hie für Rhat yetz stand“, V. .
6.3 Binnentext
243
frey ain sicher glait“ (V. 313 f.). Das Beispiel Achiors zeigt, dass die Anerkennung Gottes die Voraussetzung für die Aufnahme in die Gemeinschaft von Bethulia ist. Auf diese Zusicherung Ozias’ folgt der Botenbericht Achiors, in dem er den Vorfall im feindlichen Lager schildert. Birck greift hier auf die Rede Achiors vor Holofernes im fünften Kapitel des Buches Judith zurück. Anders als in der apokryphen Vorlage stellt sich Achior im Drama als Buchgelehrter vor: „wie ich dann was durch Bcher bhricht | Von ewrem Gott / von ewrem gschlecht | das in Egypten was durchcht“ (V. 346– 348). Er referiert die Geschichte des Volkes Israel vom Auszug aus Ägypten über das babylonische Exil und kommt zu dem Schluss, dass die Israeliten nur dann besiegbar seien, wenn sie sich von ihrem Gott abgekehrt hätten. Deshalb habe er, Achior, Holofernes geraten, das Volk nur in diesem Fall anzugreifen: „Erkundend wie es umb sy stand | so ir dann diß habend erkandt | Das sy hond Gott erzürnet seer | so lond uns auff sein mit geweer | So darff es dann nit krieges vil“ (V. 387– 390). Die Darstellung Achiors als einen Schriftgelehrten im Drama unterstreicht, wie sehr die Kenntnis der Heiligen Schrift dabei helfe, ‚richtige‘ Entscheidungen zu treffen. Das zeigt sich an Achior, der aufgrund seiner Kenntnis der Geschichte Israels aus dem Alten Testament zu dem Schluss kommt, dieses Volk sei nur dann besiegbar, wenn es sich von Gott abgewandt hätte. Damit dient Achior auch der Obrigkeit und den Schülern als Beispiel, da bei ihnen die Kenntnis der Heiligen Schrift ebenfalls zu jenen politischen und administrativen Entscheidungen führen sollte, die dem göttlichen Willen entsprächen. Wie in Idt 6,14 angegeben, stimmen die Umstehenden, d. h. die Räte gemeinsam ein „gebett“ (vor V. 413) in Form eines Chorgesangs an, wie eine Regieanweisung angibt: „ist z singen / wie die Saphica“ (vor V. 413). Dieser Chorgesang, der Idt 6,15 der Vulgata wiedergibt, zeigt deutlich die Abhängigkeit des Dramas von der Apokryphenübersetzung Leo Juds, da besonders die beiden ersten Strophen von Bircks Chorgesang auf den Text der Zürcher Bibel zurückgreifen: Birck, JuD, nach V. –
Zürcher Bibel, Jdt vi,C:
[Hervorhebungen: JP] Herr so du herrschest himel und die erden laß iren hochmt hie zschanden werden Wllest betrachten / wllest nit verachten Herr unser schlechte Herr th bedencken deiner hailgen stande Herr beweyß auch gnad deinem hailgen lande Wllest nit lassen / so die boßhait hassen Sich deinen halten. Und Herr die stoltzen die auf sich selbs hoffen und iren hochmt / wllest du Herr straffen Wllest sy demmen / das sy sich erkennen Die also bochen.
[Hervorhebungen: JP] Herr Gott des him(m)els und der erden / sich an jren hochmt unnd unser schlchte / hab acht wie es umb deyne heyligen stande / und zeyg das du die nit verlassest / die sich deynen haltend / unnd wie du niderest die die sich jrer stercke haltend und rmend.
244
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Die Transformation der biblischen Gebetsverse in sapphische Odenstrophen ist Teil von Bircks Programm, die Form des antiken Dramas mit biblischem Inhalt zu füllen. Indem der Autor das kollektive Gebet in der Bibel in einen kollektiven Chorgesang im Drama umwandelt, integrierte Birck zudem eine größere Anzahl Schauspieler und/ oder Choreuten – dies waren möglicherweise seine Schüler – in eine Aufführung und gab dem Theater so auch den Charakter eines Gottesdienstes, bei dem zwischendurch gesungen wurde. Eine Partizipation der Zuschauer an dem Gesang ist jedoch schwer vorstellbar, da das dreistrophige Lied in sapphischen Odenstrophen nicht zum allgemeinen Liedgut gehörte, wie etwa in Ezechias und Zorobabel, wo zeitgenössische Psalmvertonungen als Chorgesänge abgedruckt sind.³⁵ Nicht auszuschließen ist, dass Birck die sapphischen Odenstrophen erst für das Augsburger Schultheater dichtete, wo noch in Basel möglicherweise volkssprachliche Kirchenlieder gesungen wurden, bei denen das Publikum einstimmen konnte.
Szene 3 Nachdem Achior seine Sache vor dem Rhat vorgetragen hat, nimmt Ozias Achior offiziell als „Burger“ (V. 442) in der Gemeinschaft auf (V. 439 f.). Er tröstet Achior, sein Lob Gottes werde sich für ihn auszahlen, da Achior die Macht Gottes auf der Welt anerkenne.³⁶ (V. 427). Achior antwortet darauf mit einem Bekenntnis, ein „Judeßgnoß“ (V. 445) werden zu wollen, was nicht nur bedeute, allein Gott zu verehren, sondern er beteuert gegenüber den Juden auch, er wolle „furtan in allem laid | euch dapffer beyston bey meim aid“ (V. 451 f.). Der Glaube wird im Drama eng an die Zugehörigkeit zum Gemeinwesen geknüpft: Wenn Achior ankündigt, den jüdischen Glauben annehmen zu wollen, dann nimmt er mit seinem „aid“ auch die Rechte eines Bürgers an und verpflichtet sich auf die bestehende Rechtsordnung und Obrigkeit, wie es auch in Basel oder Augsburg üblich war.³⁷ Ein Jude zu sein, besteht neben der theologischen Komponente der Gottesverehrung auch aus der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen – mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten, die soweit reichen können, „leib und gt“ (V. 453) für die Gemeinschaft zu opfern. Dieser Aspekt von Achiors Übertritt wird in der Dramatisierung – verglichen mit dem apokryphen Buch Judith – stark betont. Die Bearbeitungstendenz weist einen Zusammenhang mit der Forderung der Evangelischen z. B. in Basel auf, die Obrigkeit solle die Kontrolle über die Reli-
Vgl. Kap. ., Anm. . Ozias: „BIß nun getrstet Achior | dann unser Gott / sag ich fürwar | Des Reich und gwalt hat gantz kain end | des lob du dapffer hast bekendt | Des macht und gwalt du prysen hest | wll dir vergelten auff das best“ (V. – ). Für Augsburg vgl. S. .
6.3 Binnentext
245
gionsausübung innerhalb des Gemeinwesens ausüben und jedes Bekenntnis außer dem ‚richtigen‘ unterbinden.³⁸ Die Zugehörigkeit zu einer zeitgenössischen Rescpublica christiana, der Eintritt in den Status eines „Burger[s]“ (V. 442) ist so untrennbar mit dem Glaubensbekenntnis verbunden und umgekehrt, wie das Drama anhand eines alttestamentlich-apokryphen Stoffes vermittelt. Die Aussage Achiors, er wolle nun „ain Judeßgnoß“ (V. 445) werden, enthält keinen theologisch begründeten Antijudaismus, wie er zu Bircks Zeiten – besonders auch unter Humanisten – verbreitet war, sondern sie lässt im Gegenteil auf eine Identifikation der Evangelischen mit den Juden zur Zeit des Alten Testaments schließen.³⁹ Die Aufnahme Achiors wird überschattet vom drohenden Angriff der Assyrer. Auch unter den Wachmännern wird noch einmal thematisiert, dass die Gefahr die Gemeinschaft als Ganzes bedroht und dass daher jeder einzelne Bürger nun seiner Pflicht nachkommen müsse. Als sich der Torwächter Pylius über die Langeweile bei der Wache beklagt (V. 497 f.), wird er von dem Wachenden Grygorus ermahnt, er solle sich freuen, denn „du würst noch haben übler zit“ (V. 500). Pylius denkt jedoch nicht daran, dass es ihm selbst übel ergehen könnte, sondern bloß, dass er Mitleid für andere Gemeindemitglieder haben werde: „Wolan ich kan das dencken wol | das man mitleiden haben sol“ (V. 501 f.). Grygorus mahnt ihn, die Bedrohung betreffe die Gemeinde als Ganzes und nicht bloß Einzelne: „Es darff nit vil mitleidens sein | die sach ist gleich wol dein als mein | Die sach ist unser all geleich | wir seyen arem oder reich“ (V. 503 – 506). Die Frage, ob die Reichen angesichts der Gefahr privilegierter seien als die Armen, wird im Drama noch mindestens einmal thematisiert. Als die Assyrer die Brunnen vor der Stadt abgegraben haben, beklagt die Bethulierin Hydrophila die Not der Armen, „die reichen kommen wol darvon“ (V. 1046). Auch in Heinrich Bullingers Lucretia wird mehrfach kritisiert, wer arm sei, dem werde vom König kein Recht zugesprochen.⁴⁰ Neben der Einheit des Bekenntnisses fordert das Judithdrama somit auch die rechtliche Gleichbehandlung der Bürgerschaft über Standesgrenzen hinweg. Als die Wächter das feindliche Heer am Horizont erspähen, eilen sie zu Ozias, um zu erfahren, „wie man die sach sol greyffen an.“ (V. 530). Ozias lässt die Gemeinde zusammenkommen, damit jeder seinem „aid“ (vor V. 555) nachkomme
Vgl. Kap. .. Zur antijudaischen Haltung des Erasmus siehe: Jung, Christen, S. ; ebenso: Guido Kisch: Erasmus’ Stellung zu Juden und Judentum. Tübingen . Dass Antijudaismus auch unter humanistisch gebildeten Hebräisten verbreitet war, zeigt u. a. das Beispiel Conrad Pellikans, bei dem auch Birck in Basel studierte. Siehe dazu: Zürcher, Wirken, S. . So beklagt sich etwa Der arm erlßt Buhr bei Brutus über den König: „Das gellt by jhm all ding macht schlecht | Wer kein gellt brocht / der fand kein recht“ (Heinrich Bullinger/Hans Sachs: Lucretia-Dramen, hg.v. Horst Hartmann (= Textausgaben). Leipzig , S. ).
246
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
und für das „vatterland“ (vor V. 555) streite, wie der Soldat Classicus laut verkündet. Als alle Bürger versammelt sind, hält Ozias eine Ansprache, in der er die Bürger der Stadt ermahnt: „Ir trewen lieben Burger gt | seind dapffer / mannlich / kain unmt | Kain forcht soll bsitzen ewer hertz | den klainmt schlagend hinderwertz“ (V. 555 – 558). Das zeitgenössische Publikum wird so – in der Rolle der Bürger von Bethulia – an seine Pflicht erinnert, dem Gemeinwesen zu dienen. Gleichzeitig steigert die mehrmals wiederholte Ankündigung des herannahenden Heeres durch die beiden Wächter (V. 507– 536) die Spannung bei einer Inszenierung des Stückes. Ein Gespräch des Ozias mit Holofernes über die Stadtmauern hinweg, das Birck in Abweichung von der apokryphen Vorlage hinzugefügt hat, soll das Bild des Angreifers schärfer konturieren. Der Turmwächter Pyrgophylax beschreibt das Erscheinungsbild des Hauptmanns bei seiner Ankunft vor der Stadtmauer als „Tyrannisch mchtig saur“ (V. 578).⁴¹ Als Holofernes den Turmwächter anspricht, verweist dieser auf die strikte Trennung von Befugnissen innerhalb der Stadtgemeinde: „ich hab der antwort kain gewalt | Es ist selbs hie die Oberkait | die würt dir geben rechten bschaid“ (V. 582– 584) und ruft den Oberisten herbei. Ozias erkundigt sich bei Holofernes zunächst nach dem Grund für den Kriegsausbruch. Holofernes‘ Antwort auf diese Frage fällt eindeutig aus: „Frag nit vil nach der billigkait“ (V. 593), fährt der Feldhauptmann den Oberisten von Bethulia an. Damit wird die Illegitimität von Nebukadnezars Angriff und der seines Krieges offenkundig – die ‚Tyrannei‘ seiner Herrschaft und der seines Feldherrn wird deutlich. Holofernes selbst stilisiert sich zum Friedensstifter für die eingenommen Länder: „man hat mir gffnet alle thor | Man hat den friden gnommen an“ (V. 606 f.). Er bedauert, dass Bethulia sich selbst für das „ungmach“ (V. 613) der Belagerung entschieden habe. In einem Ultimatum bietet er Ozias an, sich seinem König zu ergeben (V. 616) und so Leib und Gut zu retten. Einzige Bedingung dafür sei, dass die Juden ihren Glauben an Gott aufgäben (V. 623). Ozias äußert sich zunächst skeptisch zur Rede des Holofernes, denn „die ist des stoltz und hochmts vol“ (V. 626). In wenigen Worten legt er Holofernes das besondere Verhältnis des jüdischen Volkes zu seinem Gott und die Ausrichtung des Staatswesens auf seine Autorität dar. Solange der Bund mit Gott bestehe, stehe sein auserwähltes Volk unter seinem besonderen Schutz und sei gegen Angriffe von außen gewappnet: Wir hond ain Gott / wir hond ain land darein seind wir von Gott gesandt Das er uns selbs versprochen hatt und geben bund und dies statt
Zur Semantik des Begriffs ‚Tyrann‘ im . Jahrhundert vgl. Kap. , Anm. .
6.3 Binnentext
247
Dieweil der unser Gott will sin so mgend ir wol ziehen hin Er würt die seinen nit verlon den seinen würt er starck beyston (V. 629 – 637).
In dem politischen System von Bethulia, wo Entscheidungen auf Konsens und Mehrheitsbeschlüssen des Rates beruhen, kann der Oberist Ozias nicht entscheiden, ob die Stadt das Ultimatum des Feindes annimmt oder nicht. Er selbst bezeichnet sich als „knecht“ (V. 637) des Rates, dessen Mehrheitsbeschluss er abwarten muss, bevor er Holofernes die Entscheidung über Widerstand oder Aufgabe der Stadt verkündet. Der Oberist hat damit keinerlei Entscheidungsbefugnis in der Gemeinschaft. Als repräsentatives Oberhaupt der Stadt steht es ihm lediglich zu, Ratssitzungen einzuberufen, den Gegenstand darzulegen und die Mehrheitsbeschlüsse zu verkünden. Innerhalb der Dramenhandlung stehen sich somit konsensgestütztes, republikanisches Stadtregiment in Bethulia und die Einherrschaft des Assyrerkönigs Nebukadnezar gegenüber, bei der man – wie sein Feldhauptmann Holofernes selbst zugibt – nicht viel nach der „billigkait“ (V. 593), d. h. nach der Legitimität der Entscheidungen fragen solle. Ozias beruft den „Rhat“ (vor V. 641) ein und unterrichtet ihn über Holofernes’ Angebot. Er bittet alle zwölf „Rhatsfreünd“ (ebd.) bzw. „Rhatsherren“ (vor V. 653), sich zu dem Friedensangebot zu äußern, was jedoch zur Folge hätte, Nebukadnezar als Gott zu verehren (V. 665 f.) und den eigenen Glauben aufzugeben, der für die Stadt identitätsstiftend ist. Die Ratssitzung wurde von Birck hinzugefügt. Sie hat kein Vorbild in der apokryphen Vorlage und erinnert an die Ratsversammlungen einer zeitgenössischen Stadt wie Basel oder Augsburg. Ohne selbst ein Votum abzugeben, übergibt Ozias das Wort an den Ältesten Chambri. Die Wortmeldungen der zwölf Rhatsherren sind von unterschiedlichen Gottesbildern geprägt, aus denen sich verschiedene Argumente für und wider den Widerstand gegen das feindliche Heer ergeben. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter des Widerstands begründen ihren Entschluss mit dem Willen Gottes, den beide Lager zu erfüllen meinen. Ausschlagebend ist die Frage, ob derjenige gottesfürchtig handle, der sich dem von Gott auferlegten Schicksal ergibt, oder der, der die Bedrohung als von Gott gesandte Prüfung des Glaubens verstehe und mit aktivem Handeln gegen sie vorgeht. Die Gegner des Widerstandes führen an, der göttliche Wille, die Gläubigen für ihre Vergehen zu bestrafen, stünde bereits fest, den Gläubigen bleibe keine andere Wahl, als sich diesem zu beugen. Diesen Standpunkt vertritt u. a. der Rhatsherr Mesech, der später den Aufruhr gegen die Obrigkeit anführt. Mesech sieht den Grund für die Verfolgung allein im göttlichen Willen, dem man sich ohne weitere Fragen beugen solle: „wir weren vorhin nie durchcht […] Wenn das nit wer Gotts
248
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
will gesein“ (V. 712– 715). Den Juden bliebe nun, da der Wille Gottes zur Verfolgung seines Volkes durch einen weltlichen Herrscher feststünde, lediglich die Wahl zwischen der Herrschaft Babylons und dem sicheren Tod: „Was uns nit weger Babylon | dann das wir solten sleben lon?“ (V. 717 f.). Damit zeigt Mesech von allen Ratsmitgliedern die geringste Bereitschaft, für Gott zu kämpfen und fordert stattdessen, sich der Herrschaft Babylons zu unterwerfen. Mesech gibt sich außerdem später als Lügner zu erkennen, da er, der spätere Anführer des Aufruhrs, trotz dieser leichtfertigen Haltung beteuert, den Mehrheitsbeschluss achten zu wollen: „Doch ist das allzeit mein beger | das man volg / was uns weißt das mehr.“ (V. 719 f.). Das Ratsmitglied Rasaias plädiert für eine Übergabe der Stadt an die Assyrer. Er sieht in Holofernes einen von Gott legitimierten Herrscher, da nur Gott allein weltliche Macht verleihen könne.⁴² Hingegen sehen die zahlenmäßig weit überlegenen Befürworter des Widerstandes eine Möglichkeit, den Willen Gottes mit ihrer Beständigkeit und ihrem Glauben zu beeinflussen und sich so Gottes Zuwendung zu verdienen. Dabei gehen die Befürworter von unterschiedlichen Gottesbildern aus. Für das Ratsmitglied Nathanias ist Gott zornig und rachsüchtig, weshalb sich die Juden davor hüten sollten, den Bund mit ihm zu brechen: Ja ich sag euch auch das darbey Das Gott kain grssern zoren faßt dann so man sein bund faren laßt (V. 768 – 770).
Wenn man sich gegen die Feinde zur Wehr setze, so könne man sich auf den Beistand Gottes zweifellos verlassen. Die beiden Ältesten Chambri und Charmi gehen von einem Gottesbegriff mit Gott als Eiferer aus, der jedoch auch milde, versöhnliche Züge hat.⁴³ Dennoch sei er gleichzeitig ein „ewig gtig Gott“ (V. 851), der, wie Chambri anführt, den Bund mit seinem auserwählten Volk immer wieder erneuert habe, obwohl dieses nach seiner „missethat“ (V. 684) dieser Gnade gar nicht würdig gewesen sei. Für Chambri resultiert daraus die Erkenntnis, die gegenwärtige Bedrohung sei eine Prüfung ihrer „bstendigkait“ (V. 842) durch Gott, in der sich der Gläubige, wenn er sich denn für die „dapfferkait“ (V. 849) entscheide, bewähren könne. Joseph steht mit seinem Redebeitrag exemplarisch für eine Reihe von Figuren, die fordern, der unablässige Glaube an Gott sei die einzige Möglichkeit, sich Gottes
Rasaias: „So wissen wir auch wol darbey | das niemandt gwaltig / mchtig sey | Er habe dann von Gott den gwalt | der all ding nach seim willen schalt | Darumb so lond uns jm ergeen | das wir nit leiden schwerer peen“ (V. – ). Charmi: „Gott ist ain grosser eyferer | er laßt niemandt sein Gttlich ehr“ (V. f.).
6.3 Binnentext
249
Beistand zu erwerben: „Der unglaub was allain die schuld | das wir verloren Gottes huld“ (V. 751 f.). Allein der Mangel an Glaube sei schuld daran, dass Juden von weltlichen Herrschern unterjocht würden, wie Joseph in den „Bchern“ (V. 758) – gemeint ist die Heilige Schrift – gelesen habe. Andere Ratsmitglieder stützen sich auf „Exempel glert“ (V. 788), auf die „vtter“ (V. 773) oder auf die zehn Gebote (V. 795) als Quellen, also auf von Gott offenbarte Handlungsanweisungen oder deren Umsetzung durch die Vorväter. Die Obrigkeit der Stadt Bethulia hat sich mit ihrem Entschluss, auf Gott zu vertrauen, statt sich dem weltlichen Herrscher zu ergeben, nach der Logik des Dramas für die Wahrheit entschieden, wenn sich die Befürworter des Widerstandes mit neun Stimmen am Ende klar gegen die drei Gegner durchgesetzt haben. Ozias beschließt die Ratssitzung, indem er den Mehrheitsbeschluss verkündet und als Konsequenz daraus plant, dass man nun die Wege der Stadt nach außen versperren und Gottes Beistand abwarten wird (V. 855 f.). Auch Holofernes, der noch immer vor den Toren der Stadt wartet, teilt der Oberist über die Mauer hinweg mit, die Stadt vertraue auf Gott, der „Uber tod / Teüfel / hell und gwalt“ (V. 885) regiere. Man wolle sich nicht wie „die Haidenschafft […] auff aigen krafft“ (V. 889 f.) verlassen. Die Argumente der Rhatsherren spiegeln theologische Standpunkte wider, die während der 1530er Jahre auch in der v. a. zwischen Luther und Erasmus geführten Diskussion vorgebracht wurden, ob und wie gegen die heranrückenden Osmanen vorzugehen sei.⁴⁴ Hintergrund dieser Debatte sind die unterschiedlichen Ansichten Luthers und Erasmus’ über den freien Willen, die um 1525 die Differenzen zwischen den beiden Gelehrten offensichtlich werden ließen.⁴⁵ Ausgehend von ihren unterschiedlichen Auffassungen über den freien Willen des Menschen vertraten Martin Luther und Erasmus von Rotterdam verschiedene Ansichten darüber, wie sich ein Christ angesichts einer Bedrohung zu verhalten habe.⁴⁶
Diese Diskussion war in höchstem Maße theologisch aufgeladen und spiegelte die unterschiedlichen Standpunkte Luthers und Erasmus’ wider. In seinem Vorwort zu Erasmus’ Consvltatio de bello Tvrcis inferendo […] schreibt A. G. Weiler: „Die Abhandlung über den Türkenkrieg ist von Anfang an von einem religiösen Zusammenhang aus entworfen worden. Der religiöse Standpunkt des Erasmus beherrscht die ganze Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auffassungen darüber, ob ein Krieg gegen die Türken möglich, erwünscht und erlaubt sei“, ASD V., S. – . Für eine Zusammenfassung der historischen Ereignisse bis siehe: ebd., S. – . Wie Volker Leppin schreibt, hatte Luther „[s]chon in der Disputation über die Kräfte des Menschen ohne Gnade […] die Existenz eines freien Willens im Menschen bestritten und dies in aller Vehemenz in der Heidelberger Disputation wiederholt. Dieser Satz war für Luther eine zwingende Folge aus der Auffassung, dass Gottes Gnade allein dem Menschen das Heil ermögliche und kein Tun des Menschen. Es hing also die gesamte Rechtfertigungslehre, die sich nun in den Mittelpunkt seines Denkens geschoben hatte, daran“, Leppin, Luther, S. . Vgl. Kap. , Anm. .
250
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Beide Gelehrten stimmten in der Auffassung überein, die Türken seien eine Geißel in Gottes Hand zur Bestrafung der Christen für ihre Sünden bzw. ein Aufruf zur Bekehrung zu Gott.⁴⁷ Während Erasmus in den Sünden der Christen die Ursache für die Bedrohung durch die Türken erblickte, deutete Luther den Papst und die von ihm beklagten Missstände in der römischen Kirche als Grund. In ihren Empfehlungen, wie der religiös gedeuteten Gefahr durch die Osmanischen Heere am besten zu begegnen sei, sind feine Unterschiede auszumachen, welche auf die Differenz in der Auffassung über den freien Willen des Menschen zurückzuführen sind. Wie später u. a. in Martin Luthers Vorrhede auffs buch Judith ⁴⁸ deutlich wird, vertrat dieser die Auffassung, der tiefe Glaube an Gott und das Gebet seien die wichtigsten Mittel im Vorgehen gegen einen Feind, da der Mensch Gottes Zuwendung allein im vertrauenden Glauben (sola fide) annehmen könne. Hingegen beharrte Erasmus darauf, dass Gottes Wohltat eine Belohnung für das Verdienst des Menschen („hominis meritum“⁴⁹) sei. Danach könne jeder Christ der göttlichen Gnade mit seinem Handeln aus eigenem Antrieb zumindest entgegenkommen.⁵⁰ Aus diesen Ansichten über die Erlangung der göttlichen Gnade kamen Luther und Erasmus zu unterschiedlichen Positionen darüber, warum die europäischen Christen den Angriffen der Osmanen ausgeliefert waren und mit welchen Mitteln diesen zu begegnen sei. Bis 1528 lehnte Luther jeden Widerstand gegen die Türken ab. Die im Sommer 1520 ergangene päpstliche Bannahdrohungsbulle führte unter den verworfenen Sätzen Martin Luthers als 34. Satz auf: „Gegen die Türken zu kämpfen, heißt dem Willen Gottes zu widerstehen, der unsere Ungerechtigkeit durch jene heim-
Vgl. dazu das Vorwort zu Erasmus Abhandlung Vltissima consvltatio de bello Tvrcis inferendo, et orbiter enarratvs Psalmvs XXVIII. In: ASD V. , S. – . Auch wenn Luther dieses Argument nicht so deutlich aussprach, wie die Bulle Exsurge Domine vom . Juni unter den verdammten Sätzen Luthers als . Satz aufzählte: „Proeliari adversus Turcas est repugnare Deo visitanti inquitates nostras“ (WA ., S. ), so verteidigte Luther den Satz in seinen schriftlichen Antworten auf die Bulle von / (vgl. ebd.). WA DB , S. – . Luther schreibt in der Vorrhede, die Erzählung von Judith sei schon zur Zeit des Alten Testaments bei den Juden aufgeführt worden, um das „volck vnd die jugent“ (WA DB , S. , Z. ) zu lehren „Gott vertrawen, from sein, vnd alle hlff vnd trost von Gott hoffen, jnn allen nten widder alle feinde etc.“ (WA DB , S. , Z. f.). EAS , S. . In seiner Schrift De libero arbitrio ΔIATPIBH sive collatio führt Erasmus die Heilige Schrift als Beweis dafür an „quod deus sua dona coronat in nobis ac suum beneficium iubet nostrum esse praemium“ (EAS , S. ) und fragt weiter: „Quomodo toties auditur praemium, ubi prorsus nullum est meritum?“ (ebd., S. ).
6.3 Binnentext
251
sucht.“⁵¹ Der Reformator aus Wittenberg begründete seine Ansicht damit, die Angriffe der Türken seien als eine Strafe Gottes für die Ungerechtigkeiten unter den Christen zu deuten.⁵² Sich den Angriffen zu widersetzen hieße damit, sich dem Willen Gottes zu widersetzen. „Wenn man überhaupt gegen die Türken kämpfen wollte, mußte man geistlich bei sich anfangen. Ein lediglich im Vertrauen auf die eigenen Kräfte geführter Krieg würde unglücklich enden.“⁵³ Ohne von seiner theologischen Deutung der Türkenkriege abzuweichen, gab Luther in seiner im Herbst 1528 begonnenen Schrift Vom Kriege wider die Türken seine Haltung auf, man dürfe sich nicht gegen die Angriffe wehren.⁵⁴ Unverändert betrachtet er die Aggressionen der Türken gegen das christliche Europa als Unrecht, als Strafe Gottes. ⁵⁵ Mit Verweis auf seine 1523 erschienene Grundsatzschrift Von weltlicher Obrigkeit sei der Widerstand gegen die Türken anders zu bewerten. Luther führt nun Argumente an, warum ein Krieg gegen die Osmanischen Heere unter bestimmten Bedingungen gerechtfertigt sei: Zu diesen Bedingungen gehört, dass ein ‚heiliger Krieg‘ gegen die Moslems abgelehnt wird. Die Aufgabe, die türkischen Angriffe abzuwehren, liege allein in der Hand der weltlichen Obrigkeit, die damit ihrer von Gott gebotenen Schutzfunktion gegenüber den Untertanen nachkäme.⁵⁶ Die angemessene Haltung eines Christen in diesem Krieg zeichne sich durch Demut und Gehorsam gegenüber Gottes Gebot aus.⁵⁷ Der ‚Christianus‘ müsse sich auf seine Art auf den Kriegsdienst vorbereiten, d. h. mit ernster Buße und vertrauendem Gebet, sonst sei jeder Widerstand gegen die Türken zwecklos.⁵⁸ Demgegenüber betonte Erasmus in seiner 1530 bei Froben in Basel erschienenen Stellungnahme Vltissima consvltatio de bello Tvrcis inferendo die Möglichkeit, der göttlichen Zuwendung durch Handeln im christlichen Sinne zumindest entgegenzukommen. Nach Erasmus müsse der Sieg über die Türken durch die Kraft der neuen christlichen Moral errungen werden.⁵⁹ Diese christliche Moral müsse sich im Gebet, aber auch in aktivem Handeln der Christen gegen die Angreifer ausdrücken, wenn sie nur mit einem Herzen, das frei von Sünde ist,⁶⁰ im
Zit. nach: Martin Brecht: Luther und die Türken. In: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. von Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann (= Frühe Neuzeit ). Tübingen , S. – , hier S. . Vgl. ebd. Ebd. WA ,, S. – . Vgl. Brecht, Türken, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. Weiler, Einleitung, S. . Vgl. ebd., S. .
252
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
bedingungslosen Vertrauen auf Gottes Beistand gegen die Feinde kämpfen könnten. Die Osmanen werden bei Erasmus, gleichermaßen wie bei Luther, als Instrument in Gottes Hand gesehen, um die Christen für ihre Sündhaftigkeit zu bestrafen. Ihnen müsse der Christ in einem ‚gerechten Krieg‘ (bellum iustum) entgegentreten, der sich durch zwei Dinge auszeichne: eine gerechte Ursache und eine religiöse Seele der Kämpfenden.⁶¹ Erasmus’ Äußerungen zu den Türkenkriegen stehen in engem Zusammenhang mit dem im christlichen Mittelalter sowie in der Frühen Neuzeit verbreiteten Ideal einer militia christiana, das Erasmus von Rotterdam in seinem erstmals 1503 erschienenen Enchiridion militis christiani (‚Handbüchlein eines christlichen Streiters‘) selbst aktualisiert hatte.⁶² Das Ideal hat seinen Ursprung im Brief des Apostels Paulus an die Epheser. Darin weist er seine „brder“ (ZB, Eph. vi,B), die er zum Kampf auffordert, an: inn allen dingen aber ergreyffend den schilt deß glaubens / mit welchem jr mgend außlschenn alle fheürige pfeyl des bßwichts / un(d) den hlm deß heils nem(m)end an euch / und das schwrdt deß geistes / welches ist das wort Gottes (ZB, Eph. vi,B).
Diese Aufforderung im Brief an die Epheser war „[n]eben dem Buch Hiob die bedeutendste Quelle für alle Entwürfe einer militia christiania, also einer christlichen Ritterschaft, die den irdischen Kampf mit den Waffen des Glaubens zu vereinen suchte.⁶³ Die Metaphorik dieser ‚christlichen Ritterschaft‘ setzte eine Teilung der Welt in Gut und Böse voraus, in Gott und Teufel, Christ und Antichrist.⁶⁴ Das Ideal bildete sich schon im frühen Christentum aus, als sich die Christen vom Römischen Reich abgrenzten, um ihre eigenen Glaubensgemeinschaften zu organisieren.⁶⁵ Erasmus’ Enchiridion Militis Christiani wurde erst während der Reformation äußert populär, da es ein vollkommenes Programm der Laienfrömmigkeit enthält, das die vermittelnde Funktion der Priesterschaft streng genommen überflüssig macht und sich an den einzelnen Christen richtet, wie es den Forderungen der Reformationsanhänger entsprach.⁶⁶ Erasmus vertrat dabei
Vgl. ebd., S. . Zum Ideal der militia christiana im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit siehe: Carl Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart ; ebenso: Andreas Wang: Der ‚miles christianus‘ im . und . Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit (= Mikrokosmos ). Frankfurt/M. . Vgl. EAS , S. XVIII u. S. XV. Vgl. Wang, Jahrhundert, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. Andreas Wang, Der ‚miles christianus‘ im . und . Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit (= Mikrokosmos ). Frankfurt/M. , S. .
6.3 Binnentext
253
die Ansicht, „daß der Christ nicht nur durch die Gnade Gottes, sondern vor allem auch durch sein eigenes tugendsames Handeln das Reich Gottes erlangen kann.“⁶⁷ Trotz ihrer übereinstimmenden Deutung der Türkenkriege als eine Strafe Gottes für die Sünden der Christen, mit denen er seine Gläubigen zur Besserung aufrufen wolle, kamen Luther und Erasmus zu unterschiedlichen Empfehlungen, wie den Angriffen zu begegnen sei. Der Aufruf zur Besserung des Lebens meint bei beiden Gelehrten eine Bekehrung zum christlichen Glauben, Gebet und Vertrauen in Gott. Bei Erasmus wie bei Luther soll dies den Zorn Gottes besänftigen, die eigentliche Ursache der Türkenkriege. Nach Luthers Verständnis sollen ernste Buße und vertrauendes Gebet dazu führen, dass Gott den Seinen zum Sieg verhilft, indem er sie als Instrument seines Willens einsetzt, als „vivum organum divini spiritus“, wie Erasmus in De libero arbitrio ΔIATPIBH sive collatio schreibt.⁶⁸ Die religiöse Deutung der Türkenkriege als eine Strafe Gottes für die Sünden der Christen wird u. a. in der Argumentation des Rhatsherrn Joseph aufgegriffen, der im Unglauben der Juden ebenfalls die Ursache für den Angriff der Assyrer erkennt.⁶⁹ Die Aufforderung Mesechs, keinen Widerstand zu leisten, da die drohende Babylonische Gefangenschaft auf Gottes Willen zurückzuführen sei, spiegelt Luthers Position zu den Türkenkriegen vor 1528 wider.⁷⁰ Dagegen entspricht Charmis Aufruf, den Assyrern mit „betten“ (V. 847) und „dapfferkait“ (V. 849) sowie dem Vertrauen auf Gottes Beistand (851 f.) zu begegnen, Erasmus’ Ansichten zu den Türkenkriegen.⁷¹ Nachdem die Ratsversammlung mehrheitlich für den Widerstand gegen die Assyrer gestimmt hat, bittet Ozias den Banerherrn und seine (Wach‐)Leute ebenso wie die Bürger, die Stadt gegen den Einfall der Feinde zu verteidigen. Sie sollen sich dabei sowohl profaner als auch geistlicher Waffen bedienen, wobei er insbesondere die Frauen und Kinder zum Gebrauch der geistlichen Waffe des Gebets auffordert:
Ebd., S. . EAS , S. . Joseph: „Der unglaub was allain die schuld | das wir verloren Gottes huld | So wir nit hettend Gott verlan | so wer bißher kain Jüdisch man | Auch von Nabuchadonosor | noch darnach oder auch darvor | Begwaltiget / deß seind gewiß | also in Bchern ich das liß“, JuD V. – . Mesech: „Wenn das nit wer Gotts will gesein | darumb ir lieben Herren mein | Was uns nit weger Babylon | dann das wir sollten sleben lon?“, JuD V. – . Charmi: „Also will ich euch hon ermandt | so wir die hertzen zamen hand | Vnd betten Gott ainhelligklich | darnach ain yeder selbs für sich | Die sach angreiff mit dapfferkait | ain yedlicher nach seim beschaid | Wirt uns der ewig gtig Gott | auch helffen yetz auß dieser not“, JuD V. – .
254
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Ich will euch auch gebetten han lond euch das bett sein glegen an Ich waiß kain besser gschütz noch gwer das widerston mg disem heer Also hond unser vtter dück im streyt zum sig ghan groß gelück Mit den gschütz sollend weib und kind stts tag und nacht ston widern find (V. 943 – 951)
Indessen ignorieren die Hauptleute des assyrischen Heeres die Rede Achiors und planen ihre Belagerung von Bethulia allein nach den geographischen und militärischen Umständen. Holofernes und seine Hauptleute beschließen daher, gemäß der apokryphen Vorlage, die Brunnen vor der Stadt zu besetzen, um den Tod der Bevölkerung herbeizuführen. Die beiden jüdischen Frauen, die als erste entdecken, dass den Brunnen das Wasser abgegraben wurde, beschwören einen Konflikt zwischen Armen und Reichen herauf, der in der apokryphen Vorlage nicht vorkommt: „Es ist nur umb die armen zthon | die reichen kommen wol darvon“ (V. 1045 f.), wettert die ‚Wasserliebende‘ Hydrophila. Damit kündigt sie am Ende der dritten Szene den innerstädtischen Konflikt an, der die vierte Szene bestimmen wird. Auch im 1533 in Basel aufgeführten Lucretiadrama Heinrich Bullingers wird der Konflikt zwischen Armen und Reichen thematisiert. Nach der Vertreibung des Königs beklagt ein arm erlßt Buhr die Rechtlosigkeit, die ihm unter der Königsherrschaft widerfuhr: Ich hoff man wird from(m) ghricht vnd rodt Bald setzen / das nit der arm man Stdts mß zwüschen wand vnd ross stan Mir ward kein recht dwyl er regiert Er hatt beyd ghricht / vnd rodt verfrt Myn widerparth / liess man inn dzellt Was machts? er brocht ein sack mit gellt Das gellt by jhm all ding macht schlecht Wer kein gellt brocht / der fand kein recht (Bullinger/Sachs: Lucretiadramen, S. 58 f.)
Nachdem dieser Konflikt in beiden Vorlagen nicht vorkommt, scheint er auf der zeitgenössischen Erfahrung der beiden Dramenautoren zu beruhen, bei denen immer wieder der innerstädtische Frieden – die Eintracht und der Konsens – bedroht wurden.
6.3 Binnentext
255
Szene 4 Dieser Aufstand des Volkes gegen die Obrigkeit weitet sich in der darauffolgenden vierten Szene aus, als die „Gemain“ (vor V. 1047) zum Haus von Ozias zieht und das übergelaufene Ratsmitglied Mesech im Namen aller Aufständischen seine Klage vorträgt. Mesech hält sich damit gerade nicht an die in der ersten Ratsversammlung ausgesprochene Beteuerung, den Mehrheitsbeschluss achten zu wollen, gleich wie er ausfalle (V. 719 f.).⁷² Gemäß der apokryphen Vorlage klagt Mesech Ozias an, dieser habe das Friedensangebot des Holofernes missachtet.⁷³ Er wirft dem Oberisten „vntrew“ (V. 1069) vor und fordert die Übergabe der Stadt an die Assyrer, da es besser sei, von den Feinden gefangen genommen zu werden als umzukommen. Auch Mesech begründet seine Forderung mit der Notwendigkeit, den Willen Gottes zu erfüllen, denn nur wer am Leben bleibe, könne Gott dienen.⁷⁴ Im Unterschied zu den übrigen Rhatsherren leitet er diese Interpretation des göttlichen Willens – die sich im Nachhinein als ‚falsch‘ erweist – jedoch nicht aus einem Exemplum der Heiligen Schrift ab. Wie in der Apokryphe vertraut die Volksmenge nicht auf den Beistand Gottes und fürchtet, mitsamt ihrem Gott zum Gespött der Heiden zu werden, sollten sie mit Pauken und Trompeten untergehen (V. 1105 f.).⁷⁵ Der Oberist weist wiederum darauf hin, dass die Entscheidung, Holofernes Widerstand zu leisten, auf einen Mehrheitsbeschluss des Rhates zurückgeht. Nachdem dieser Ratsbeschluss so offenkundig von der Mehrheit der Gemain missbilligt wird, kündigt Ozias an, einen weiteren Rhat einberufen zu wollen, um über das Anliegen der Gemeinde zu beraten.Vorbildlicherweise versteht sich Ozias selbst nicht als Herrscher, sondern als „knecht“ (V. 1120) der Gemeinde, der ihrem Wohl dient: Ir Burger gt verstond mich recht ich bin nit Herr / ich bin ewr knecht Ich habs nit auß mir selbs gethan
Auch hier ist der Figurenname mit Bedacht gewählt, wird das Volk Mesech im Alten Testament doch als Störer des Friedens genannt: In Ps , – beklagt der Psalmist, er lebe als Fremder friedlich in Mesech und bei den Zelten von Kedar; bei Leuten, die den Frieden hassten und bei jeder Gelegenheit Streit suchten. In Ez , wird Gog als Großfürst von Mesech und Tubal die Niederlage prophezeit. Mesech: „Da man uns frid hat botten an | hastu den nit gewlt nemmen an“, JuD V. f. Mesech: „Jst uns weger gelaub uns drumb | gefangen sein / dann kommen umb | Gott gleich wol in der dienstbarkait | z dienen allzeit sein berait“, JuD V. f. In der Zürcher Bibel lautet die Stelle: „dan(n) wger ists wir werdind gefangen / unnd lobind den HERREN bey lben bleybende / dann das wir erschlagen wurdind und umbkmind / und yederman zum gsptt unnd schand wurdind“, ZB, Jdt ,D.
256
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
des mgend ir gt wissen han Ich hab thon was ain gantzer Rhat ainhelligklich beschlossen hat Dem will ich ewr klag zaigen an das ir mgend ain antwort han (V. 1119 – 1126).
Mit dieser Ankündigung berücksichtigt Ozias das Prinzip von der (kollektiven) Partizipation der Bürgerschaft an politischen Entscheidungen, das die ‚konsensgestützte Herrschaft‘ in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten ausmachte.⁷⁶ In Anbetracht der mangelnden „Patientz“ (V. 1130) im Volk beruft Ozias eine weitere Ratssitzung ein, statt wie in der Apokryphe unmittelbar nach der Rede des Volkes und dem gemeinsamen Gebet die Frist von fünf Tagen für Gottes Eingreifen zu verkünden. Die Stimmabgabe der Ratsmitglieder erfolgt nun in veränderter Reihenfolge, wobei das Ratsmitglied Mesech der Sitzung als Anführer des Aufruhrs nicht mehr beiwohnt. Der Buchgelehrte Joseph eröffnet die Runde mit einem Plädoyer für die Beständigkeit und das Vertrauen auf Gottes Beistand. Gebet sei das richtige Mittel, der Gefahr zu entkommen, denn, so Joseph, wäre Gott daran gelegen, einen Aufstand im Volk zu provozieren, „[s]o hette Gott schon von uns gwendt | den kummer so er uns hat gsendt.“ (V. 1139 f.). Emanuel macht der Bedeutung seines Namens alle Ehre, wenn er seinen Beitrag mit der Feststellung einleitet: „Gott ist noch mit uns das ist gwiß | wann wir nur bettend stts mit flyß“ (V. 1141). Es gelte demnach, ein Mittel zu finden, um die „zagen leüte[]“ (V. 1146), den „gmaine[n] man | Mit gschickligkait“ (V. 1150 f.) „noch ain wenig tag | Mit betten Fasten“ (V. 1154 f.) hinzuhalten, damit Gott sie in dieser Zeit erretten möge. Hier kündigt sich das Versagen des Rhats als Obrigkeit einer Glaubensgemeinschaft an, deren oberstes Ziel es sein sollte, den göttlichen Willen auf Erden zu verwirklichen: Statt die Gemeindemitglieder in ihrem inneren (!) Glauben an Gott zu stärken, versucht Emanuel stellvertretend für den ganzen Rhat, sie mit Geschick zur äußeren Handlung des Gebets hinzuhalten. Dabei hält er sogar die Option einer Übergabe der Stadt an die Feinde als mögliche Notlösung offen, wodurch er sein eigenes Defizit an bedingungslosem Vertrauen auf Gottes Eingreifen offenbart. Nathanias stimmt diesem Vorschlag zu und begründet dies mit dem Argument: „Das volck will sein mit gt gezogen | z seim nutz also sein betrogen“ (V. 1161 f.). Auch Jechinan erweckt zunächst den Eindruck der Gottesfurcht, wenn er bekennt: „Es stat allain in Gottes gwalt | der all ding nach seim willen schalt | Dem mgen wir entrinnen nitt sunst durch kain mittel / dann durch bitt“ (V. 1177– 1180). Sein Fehler ist, dass er eine Ausnahme für den „gmaine[n] man“ (V. 1181) Vgl. Kap. , Anm. ; ebenso: Kap. ., Kap. . u. Kap. ..
6.3 Binnentext
257
macht, der „[z] seim nutz also [will] btrogen sein“ (V. 1183) und daher für die Frist stimmt. Damit verkennt Jechinan die Bedeutung der Eintracht in der Gemeinschaft. Ebenso spricht sich Jebanias für diesen Kompromiss aus, mit dem der „unwill“ (V. 1166), auf Gott zu vertrauen, nicht die göttliche Gnade gefährde: „auff das wir nit das aller lest | Abfallen von der Gottes gnad | so (als ich hoff) noch bey uns stat“ (V. 1168 – 1170). Er verkennt dabei, dass genau dieser unwill ins Verderben führt und nicht die äußere Handlung des Betens. Birck legt seinen Figuren hier Argumente für und wider die Frist in den Mund, um den Rezipienten zu zeigen, wie eng die bedingungslose Anerkennung der göttlichen Autorität aus innerer Überzeugung und die rein äußerliche Pflichterfüllung gegenüber Gott zusammen liegen. Besonders deutlich wird dies bei dem Ältesten, Chambri, der scheinbar auf Gottes Eingreifen vertraut, wenn er sagt: „die gnad Gotts sey yetz nimmer weit“ (V. 1196). Er empfiehlt ebenfalls, man solle noch „ain klaine zeit“ (V. 1195) warten, „[d]as man verharr nur an dem bett | daran Gott ain groß gfallen hett“ (V. 1197 f.). Der andere der beiden Ältesten, Charmi, vertritt hingegen genau die gegenteilige Meinung und ist bereit, für Gottes Ehre notfalls auch bis in den Tod zu gehen: „ich waiß wol das Gott ist mein Gott | Wann mein tod dient z seiner ehr | wider sein willen ich nit gehr.“ (V. 1190 – 1192). Dass die beiden Ältesten, die in der ersten Ratssitzung für den ‚richtigen‘ Beschluss stimmten, hier unterschiedlicher Auffassung sind, zeigt den Dissens nicht nur zwischen der Führungsschicht und den Herrschaftsbefohlenen von Bethulia, sondern bis zu den beiden Stadtältesten. Am Ende haben sich acht der nunmehr elf Ratsmitglieder für die Frist ausgesprochen, nur drei dagegen. Die Fehlentscheidung des Rhates, die diese Obrigkeit im Drama zu einem exemplum horrendum für eine zeitgenössische Respublica christiana werden lässt, beruht insbesondere auf der Tatsache, dass die Räte selbst nicht genug auf Gottes Beistand vertrauen. Dazu halten sie den gmainen man nicht zum inneren Glauben und zum Vertrauen auf Gott, sondern zu äußerlichen Handlungen an. Statt die Bürger an der politischen Entscheidungsfindung in Bethulia partizipieren zu lassen, sollen sie mit ‚trügerischen‘ Kompromissen zu ihrem eigenen Nutzen betrogen werden. Hier spiegelt das Drama Kritik an der zeitgenössischen römischen Kirche wider, der nicht nur Martin Luther, sondern u. a. auch Erasmus ein inhaltsloses Zeremonienwesen zum Vorwurf machte, das nicht von tiefem inneren Glaube erfüllt sei.⁷⁷ Gemäß der Apokryphe verkündet Ozias dem Volk im Anschluss an die Ratsabstimmung die Frist von fünf Tagen für Gottes Eingreifen – sollte Gott die Stadt bis dahin nicht gerettet haben, werde man sich den heidnischen Angreifern er-
Vgl. Kap. ...
258
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
geben. Ozias macht dabei deutlich, er selbst vertraue bedingungslos auf Gottes Eingreifen. Sollte dieses innerhalb der nächsten fünf Tage nicht eintreten, so werde man dem Willen des „volck[es]“ (V. 1053) nachgeben: Gott wirt uns warlich lassen nitt Dann Gott der ist also gesind so tobt zum allermaist der find Er maint er habe in der hand den sig / so wirt er gar zschand Also rett Gott gmainigklich sein ehr das man erkenn das er sey Herr Darumb ir lieben Burger min Ich bitt euch ziehend wider hin Fünff tag will ich geben z zil wa uns in solcher mittler will Kain hilff von Gott wirt uns zgstelt so wll wir handlen wie ir wlt (V. 1220 – 1232) [Hervorhebung: JP].
Anstatt die „Gmain“ (vor V. 1047) zu innerem Glauben, ernster Buße und vertrauendem Gebet zu ermuntern, versucht die Obrigkeit, sie noch weitere fünf Tage zum Gebet anzuhalten im Glauben, Gott ließe sich durch solch ‚halbherziges‘ Gebet ohne vertrauenden Glauben zum Eingreifen bewegen. So wird das Regiment von Bethulia zu einem abschreckenden Beispiel für eine von Birck angestrebte Respublica christiana. Während „yederman abzeücht“ (vor V. 1237), d. h. von der Bühne abtritt, wie eine explizite Regieanweisung im Dramentext angibt, hebt ein Chorus zu einem Gesang mit drei sapphischen Odenstrophen an. Auch der nachfolgende Chorgesang ist kein Psalmgesang, sondern eine freie Umdichtung einer Passage aus der Zürcher Bibel in sapphischen Odenstrophen. In der Bibel erfolgt dieses Bekenntnis zu den eigenen Sünden und der Hilferuf an Gott zwischen der Klage der Gemeinde vor Ozias und dessen Verkündung, sollte Gott die Stadt nicht innerhalb von fünf Tagen vor den Angreifern retten, werde man sich den Heiden ergeben. Indem der Chorgesang im Drama erst nach der Verkündung der Fristsetzung durch Ozias platziert ist, werden darin nicht nur die Sünden der Gläubigen vor dem Angriff der Assyrer beklagt, sondern auch die Frist für Gottes Eingreifen wird – auf der Metaebene des Chorgesangs – bereits zu den Sünden gezählt (V. 1237– 1240). Chorus, JuD V. –
ZB, Jdt vii,E
[Hervorhebungen: JP] Wir haben laider Herr vor dir gesündet das sich yetz laider under uns befindet Gleich wie die alten / hab wir uns gehalten
Wir habend gesündet mit unseren vttern / unrecht und übel habend wir thon. Du der du gndig bist / erbarm dich unser /
6.3 Binnentext
259
Fortsetzung Chorus, JuD V. –
ZB, Jdt vii,E
Sündtlich z wandeln. O Herr dein gte wllestu uns senden und deinen zoren Herr von uns hin wenden. Laß dir den schmertzen bhrren Herr dein hertze Sich unser ellend. Nit gib uns gfangen in der Haiden hende so wir dich preysen Herr die stts dich schenden Wenn wir verzagen wurden sy dann sagen Wa ist ir Gotte?
gib nit die die dich beken(n)end in die hend des volcks das dich nit erkennt / das man nit under den Heyden sprche: Wo ist jr Gott
Szene 5 Die 5. Szene, die Jdt, 8 – 10 adaptiert, hält sich inhaltlich und bis in den Wortlaut hinein sehr eng an die Apokryphenübersetzung Leo Juds. Die gottesfürchtige Witwe Judith hat hier ihren ersten Auftritt. Zunächst sei auf Unterschiede in der Übersetzung des Buches Judith in der Zürcher Bibel (1531) und in Luthers Vollbibel (1534) hingewiesen, die zu einem differenzierten Verständnis der Judithfigur unter lutherischen und reformierten Theologen geführt hat. Beide Übersetzungen der Apokryphe basieren auf der Vulgata als Hauptvorlage.⁷⁸ In allen drei Versionen der Apokryphe stellt die Hauptfigur, wie in Luthers Vorrhede auffs buch Judith beschrieben, den Typus einer frommen Witwe dar, da sie „keusch vnd heilig [ist], vnd bleibt rein vnd heilig im wort Gottes, vnd rechten glauben, casteyet sich vnd bettet“.⁷⁹ In der Vulgata wird die Enthauptung Holofernes als Judiths männliches und tapferes Handeln im Gottvertrauen dargestellt,
Die volkssprachliche Übersetzung vom Buch Judith in Luthers erschienenen Vollbibel stammt vermutlich nicht von Luther selbst und basiert ausschließlich auf der Vorlage der Vulgata (vgl. WA DB , S. LII: „daß ohne erkennbaren Grund bei der Judith, dem Tobias und dem Ersten Makkabäerbuch die Vulgata die einzige Vorlage bildete, während bei dem Baruch, dem Zweiten Makkabäerbuch und den Stücken in Daniel die Septuaginta bevorzugt wurde“). Nach Henrike Lähnemann weist die ausschließliche Orientierung an der Vulgata „auf eine gewisse Geringschätzung der Bücher [hin], für die eingehende Quellenstudien als überflüssig erachtet wurden“ (Lähnemann, Hystoria, S. ). Lähnemann kommt in ihrer Studie außerdem zu dem Schluss, die Übersetzung des Judithbuches durch Leo Jud habe allein die lateinische Übersetzung des Hieronymus zur Vorlage gehabt: „In der Zürcher Bibel war Judith nach der Vulgata übersetzt; nur die Namen waren teilweise an den übrigen biblischen Gebrauch angeglichen“, ebd., S. . WA DB , S. , Z. – .
260
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
wie bereits der Prologus Iudith in der Vulgata ankündigt.⁸⁰ Die Tat zeichne sich laut dem Prologus sogar durch eine solche Tapferkeit aus, dass sie Männern und Frauen zur Nachahmung dienen möge: „Hanc enim non solum feminis, sed et viris imitabilem dedit, qui, castitatis eius remunerator, virtutem talem tribuit, ut invictum omnibus hominibus vinceret, insuperabilem superaret“.⁸¹ Hingegen betont Luther in seiner Vorrhede auffs buch Judith, die Rettung des Volkes Israel gehe allein auf Gott zurück. Nicht Judiths männlich-tapferes Handeln soll hier zur Nachahmung anregen, wie im Prologus Iudith der Vulgata vorgeschlagen, sondern ihr unerschütterlicher Glaube an Gottes Eingreifen zur Rettung seines Volkes, so wie der Apokryphenstoff nach Luthers Vorrhede auffs buch Judith bereits bei den alten Juden dazu gedient habe, das „volck vnd die jugent“⁸² zu lehren „Gott vertrawen, from sein, vnd alle hlff vnd trost von Gott hoffen, jnn allen nten widder alle feinde etc.“⁸³ Sowohl in der Apokryphenversion der Vulgata als auch in der Übersetzung der Zürcher Bibel sind Stellen auszumachen, in denen Judiths tapferes Vorgehen akzentuiert wird. In beiden Texten spricht Judith über ihre Tat als „mein[] anschlag“ (ZB, Jdt 8,E) bzw. „consilium meum“ (Vul, Idt 8,31) als sie den Beschluss fasst, ins assyrische Lager zu ziehen, um Holofernes dort zu verführen und ihn zu enthaupten. Das Gelingen dieses Plans hängt in der Zürcher Bibel davon ab, ob Gott ihren „anschlag z gtem end vollfre“ (ZB, Jdt 8,E), also, ob Gott ihr bei der Ausführung ihres Vorhabens beistehe. In der Vulgata und in der Lutherbibel kann Judiths Vorhaben („so ich furhabe zu thun“, WA DB 12, Jdt 8,25) bzw. „consilium meum“ (Vulgata, Idt 8,31) nur gelingen, wenn es von Beginn an „aus Gott“ (WA DB 12, Jdt 8,25) ist bzw. „ex Deo est“ (Vulgata, Idt 8,31). Um dies herauszufinden, zieht Judith nach ihrem Gebet ins assyrische Lager. Judiths Gebet macht einen weiteren Unterschied in ihrem Plan deutlich. Während sie Gott in der Lutherbibel bittet: „Straffe jren hohmut durch jr eigen schwerd, Das er mit seinem eigen auge gefangen werde, wenn er mich ansihet, vnd durch meine freundliche wort betrogen werde“,⁸⁴ offenbart sie in der Vulgata und der Zürcher Bibel ihr Vorhaben, Holofernes mit ihren weiblichen Reizen zu verführen, um so die Enthauptung vorzubereiten: „Das er mit dem strick seiner eignen augen in mir gefangen werde / vnnd das du jnn schlahest mit den lfftzen meyner liebe“ (ZB 9,B).⁸⁵ Damit dieses
Vul, S. . Ebd., Z. – . WA DB , S. , Z. . Ebd., Z. f. WA DB , Jdt ,. In der Vulgata lautet die Stelle wie in der Zürcher Bibel: „capiatur laqueo oculorum suorum in me et percuties eum ex labiis caritatis meae“, Vul Idt ,.
6.3 Binnentext
261
Vorhaben gelingt, macht sich Judith nach ihrem Gebet schön, wobei sie in allen drei Apokryphenversionen selbst handelt, wenn sie legt von [sich] das hrin kleyd / thet ab die witwen kleyd / wsch jren leyb / salbet vnnd begoß sich mit kostlichen wolriechenden dingen: strlet vnnd zopffet jr haar / legt ein hauben auff jr haupt / vnnd legt kleyd an / die z fruden gehortend / sockelen an jr fß / armgezierd / spangen / orenbhencke / ring / vnd was z zierd dienet (ZB, Jdt 10,A).⁸⁶
Auch Gott trägt in allen drei Texten zu Judiths Schönheit bei; in der Vulgata und der Zürcher Bibel aufgrund der hehren Absicht ihres Vorhabens im Gegensatz zur gängigen Funktion von Schönheit, nämlich der Wollust: „Es gab jr auch Gott daruber ein schne vnnd hüpsche: dan(n) alle dise aufmützung geschach nit auß mtwill vnnd lust des fleyschs / sunder auß rechtem vrteyl vn(d) tugend“ (Zürcher Bibel, Jdt 10,A).⁸⁷ Die Lutherbibel verschweigt hier, dass Judith für ihr Vorhaben ihre weiblichen Reize einsetzen will, wenn sich ihre gottesfürchtige Absicht von der Neugierde („furwitz“⁸⁸) abgrenzt: „Vnd der HERR gab jr gnade, das sie lieblich anzusehen war, Denn sie schmcket sich nicht aus furwitz, sondern Gotte zu lob“.⁸⁹ Nachdem Judith mit ihrer Magd Abra ins assyrische Lager gelangt ist, wo sie nur ihre mitgebrachten koscheren Speisen verzehrt, um das göttliche Gebot zu wahren, enthauptet sie bei Nacht den betrunkenen Holofernes in seinem Zelt. In der Vulgata und der Zürcher Bibel wird dabei betont, dass sie die Tat eigenhändig im Vertrauen auf Gott ausführt, wenn sie kurz vor der Tat betet: O HERR ein Gott Jsraels / sterck mich / vnnd hab in diser stund acht auff die werck meiner henden […] verleych das ich durch dich das mge vollbringe(n) / das ich mir auß dem vertrauwen z dir fürgenommen hab (ZB, Jdt 13,A).
Auch die Vulgata betont an dieser Stelle, dass Judith mit ihren eigenen Händen handelt: „confirma me Domine Deus Israhel et respice in hac hora ad opera Die Abhängigkeit der Zürcher Bibel von der Vulgata ist hier klar erkennbar. Dort heißt es: „et exuit se vestimentis viduitatis suae et lavit corpus suum et unxit se myrro optimo et discriminavit crinem capitis sui et inposuit mitram super caput suum et induit se vestimentis iucunditatis suae induitque sandalia pedibus suis adsumpsitque dextraliola et lilia et inaures et anulos et omnibus ornamentis suis ornavit se“ (Vulgata, Idt , f.). Die Zürcher Bibel bleibt hier eng an der Vorlage der Vulgata: „cui etiam Dominus contulit splendorem quoniam omnis ista compositio non ex libidine sed ex virtute pendebat“ (Vulgata, Idt ,). Zur Wortsemantik vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig [Nachdruck: München ], Bd. , Sp. – . WA DB , Jdt ,.
262
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
manuum mearum […] et hoc quod credens per te posse fieri cogitavi perficiam“ (Vul, Idt 13,7). Hingegen erwähnt die Lutherbibel dieses Detail nicht, wenn Judith vor der Tat ihr Gebet spricht: „HERR Gott Jsrael, stercke mich, vnd hilff mir gnediglich, das werck volbringen, das ich mit gantzem vertrawen auff dich, hab furgenomen“.⁹⁰ Dafür fügt die Lutherbibel ein weiteres Stoßgebet Judiths kurz vor der Tat ein, das weder in der Zürcher Bibel noch in der Vulgata enthalten ist: „Vnd zoch es [das Schwert] aus, vnd ergreiff jn beim schopff, vnd sprach abermal, HERR Gott stercke mich jnn dieser stunde, Vnd sie hieb zwey mal jnn den hals“ (WA DB 12, Jdt 13,8 f.). In der Zürcher Bibel und der Vulgata wird Judiths Tat in Bethulia als ihr männliches und tapferes Handeln, ausgeführt mit göttlichem Beistand, gefeiert, wenn der Hohepriester Joachim Judith in seiner Rede vor dem Volk lobt: Du eer der statt Jerusalem / du frud des volcks Jsraels: du eer vnsers volcks / du hast mannlich gehandlet / vnd dein hertz ist gesterckt / deßhalb das du reynigkeit vnd künscheyt geliebet hast / vnd keins manns / dan(n) deß deinen schuldig worden bist: darum(b) hat auch dich die hand Gottes gesterckt / vnd hochgelopt solt du sein in ewigkeit (ZB, Jdt 15,C).⁹¹
Die Rettung Israels ist hier Judiths von Gott gestärkter Hand zu verdanken. Dieser göttliche Beistand ist die Folge ihrer keuschen und tugendhaften Lebensweise. In der Lutherbibel wird Judith für die Enthauptung Holofernes in Joakims Lobrede nicht mehr für ihr männliches Handeln, sondern für ihre „lbliche that“ (WA DB 12, Jdt 15,12) gedankt, die zur Rettung durch Gott geführt habe: „Du bist die krone Jerusalem, du bist die wonne Jsrael, du bist ein ehre des gantzen volcks, das du solch lbliche that gethan hast, vnd Jsrael so grosse wolthat erzeiget hast, das sie Gott widderumb errettet hat“ (WA DB 12, Jdt 15,12). Hier wird Judiths „lbliche that“ (WA DB 12, Jdt 15,12) gefeiert, mit der sie den Willen Gottes ausgeführt hat, sein Volk solle gerettet werden. Der Wortlaut, Judith handle mit ihrer eigenen Hand, hat in der Geschichte ihrer Exegese immer wieder dazu verleitet, ihre Rolle zumindest als Mitbeteiligte aus eigenem Vermögen an der Rettung ihres Volkes zu interpretieren.⁹² Dass diese Angabe in der Lutherbibel ausgelassen wird, zeugt davon, dass eine solche Mitbeteiligung Judiths bei der Interpretation ausgeschlossen werden sollte. Die Zürcher Bibel hingegen baut die Hinweise auf Judiths Mitbeteiligung an der Rettung
Ebd., Jdt ,. Auch hier wird die Abhängigkeit der Zürcher Bibel von der Vulgata deutlich, in der es heißt „tu gloria Hierusalem tu laetitia Israhel tu honorificentia populi nostri quia fecisti viriliter et confortatum est cor tuum eo quod castitatem amaveris et post virum tuum alterum non scieris ideo et manus Domini confortavit te et ideo eris benedicta in aeternum“ (Vul, Idt , f.). Vgl. Patrick Skehan: The Hand of Judith. In: CBQ (), S. – , hier S. .
6.3 Binnentext
263
Israels aus eigener Kraft im Vergleich zur Vulgata noch weiter aus. Das Gelingen von Judiths Plan hängt davon ab, ob Gott ihn „z gtem end“ (ZB, Jdt 8,E) führt, während der Plan in der Vulgata und der Lutherbibel nur gelingen kann, wenn es von Anfang an Gottes Plan ist. Das von Erich Zenger formulierte theologische Programm des Judithbuches, nach dem die Israeliten „inmitten gottfeindlicher Mächte durch ihn (!) [Jahwe] gerettet […] werden“,⁹³ bleibt damit auch in der Zürcher Bibel gewahrt, da die Rettung des Volkes ohne seinen Beistand bei der Ausführung von Judiths Tat nicht denkbar wäre. Ein Handlungsmoment, das gleichermaßen auf Judiths Tun und auf Gottes Wille zurückzuführen ist, ist die Verführung Holofernes durch Judith in der Vulgata und der Zürcher Bibel. Diese Betonung von Judiths Verführungsakt, in dem sie ihre von Gott gegebene Schönheit, die sie noch durch ihr eigenes Zutun betont, zur Vorbereitung ihrer Verführung einsetzt, fällt in der Lutherbibel vollkommen weg. Dadurch wird unterstrichen, dass die Rettung Israels allein auf Gottes Zuwendung zurückzuführen ist, eine Zuwendung, die Judith im vertrauenden Glaube empfängt. Mit diesen Unterschieden in den beiden zeitgenössischen Übersetzungen des Judithbuches verkörpert die Witwe Judith sowohl im humanistisch-reformierten als auch im lutherischen Verständnis die ideale Reaktion auf die Türkenkriege. Das dürfte ein gewichtiger Grund gewesen sein, weshalb sich der Stoff im 16. Jahrhundert einer so großen Beliebtheit erfreute, dass er sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst und Malerei häufig adaptiert wurde. Die folgende Interpretation soll zeigen, ob die Judithfigur in der Dramenadaptation dem humanistisch-reformierten Ideal entspricht, wie anzunehmen ist, oder ob sie eher dem lutherischen Ideal entspricht und allein als Werkzeug des göttlichen Willens gegen die Assyrer kämpft, nachdem Birck auch die Übersetzung des Buches Judith in Luthers Vollbibel spätestens bei der Drucklegung seines Dramas 1539 in Augsburg gekannt haben dürfte. Nachdem Judith im Drama der Ratsbeschluss zu Ohren gekommen ist, Gott solle für sein Eingreifen eine Frist von fünf Tagen gesetzt werden, lässt sie die beiden Ältesten Chambri und Charmi zu sich ins Haus rufen. Mit Judiths Vorwürfen konfrontiert, bedauert Chambri die Entscheidung des Rhates: „das gschray ist laider war“ (V. 1303), begründet diese aber gemäß dem allgemeinen Ratsbeschluss mit der Ungedult des „gmainen man[s]“ (V. 1309). Als auch noch Ozias zur Versammlung hinzustößt, hält Judith den drei Obersten der Stadt eine lange Mahnrede nach der apokryphen Vorlage. Sie vermittelt das dort vorgegebene Gottesbild, nach dem „der herr dultmtig ist“ (V. 1331) und dass man „[b]ey Gott […] kainen zoren find | wie sunst gmaingklich beym menschen kind“ (V. 1335 f.).
Zenger, Judithbuch, S. .
264
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Daher solle man sich „[m]it gantzen hertzen für in kern | Hilff / beystand / und sein gnad begern“ (V. 1333 f.).Wie in der Bibel mahnt Judith, man solle sich davor hüten, die gleichen Sünden zu begehen wie die Vorväter und sich nicht zum „Gtzendienst“ (V. 1346) verleiten lassen. Auf den zeitgenössischen Kontext der Dramenadaptation übertragen, kann dies als Warnung an die reformierten Christen verstanden werden, sich vor den Praktiken der römischen Kirche zu hüten. Judith fordert die beiden Ältesten und Ozias auf: „ir sollend dapffer mannlich sein“ (V. 1356). Ihre Aufgabe sei es, die Gläubigen zu trösten, zu mahnen und ihnen anhand der Vorväter aufzuzeigen, dass „bstendigkait“ (V. 1362) sich bewähre.⁹⁴ Hingegen hätten die Vorväter „offt durch ungedult | […] verloren Gottes huld | Wann sy durch undult gmumlet hand | so hat Gott inen plag gesandt“ (V. 1369 – 1372). Judith kontrastiert in ihrer Rede Verzagtheit zu männlichem, tapferem Handeln und „bstendigkait“ (V. 1362) mit „ungedult“ (V. 1369). Damit trennt die Witwe unmissverständlich zwischen ‚rechtem‘ und ‚falschem‘ Verhalten, das den zeitgenössischen Rezipienten zur Orientierung für sein eigenes Handeln anleiten sollte. Ihre religiöse Interpretation der heidnischen Angriffe erinnert sowohl an Luthers als auch an Erasmus’ Auffassung, die Türken seien eine von Gott gesandte Rute, die die Christen zur Besserung ihres Lebens aufrufen solle: dann alle straff so uns Gott hat Yetzunder laider gschicket z Ja glaubend auch das diß unrh Allain ain warnung sey und rht Dardurch mir werden wider gt (V. 1382– 1386).
Ohne genaue Details zu nennen, offenbart Judith den drei Stadtoberen, dass sie einen „anschlag wol“ (V. 1397) auf die Feinde plane. Dass sie dabei dem Wortlaut der Zürcher Bibel folgt,⁹⁵ ist ein erster Hinweis darauf, dass die Dramenfigur eher das humanistisch-reformierte Ideal im Umgang mit den heidnischen Angreifern erfüllt als das lutherische. Die Reaktion der Obrigkeit fällt wie in der Bibel wohlwollend aus: Ozias bekräftigt die Richtigkeit von Judiths Mahnrede. Er lobt ihre „Gottsforcht“ (V. 1391) und erklärt sich bereit, sie bei ihrem geplanten Anschlag zu unterstützen. Wenn Gott wolle, so Ozias, dann werde er sich mit seinem Beistand für Judiths Tat an seinen Feinden rächen: „O wollte Gott das es geschech | das er sich an den feinden rech | Gott wll euch hon in stehter ht“ (V. 1411– 1413).
Judith: „[m]it trsten / manen haltend an | und zaigend in die vtter an | Wie sy durch widerwertigkait | bewert worden ir bstendigkait“, JuD V. – . „mein[] anschlag“ (ZB, Jdt ,E).
6.3 Binnentext
265
Judiths Gebet, das in der Apokryphe das gesamte 9. Kapitel einnimmt, betont stärker als die Vorlage, dass Gott „[r]egieret über alle ding“ (V. 1435) und dass Gott mit dem „Assirer Küng“ (V. 1436) konkurriere, wenn er diesen schlagen solle (V. 1436). Damit wird Gottes weltliche Macht beschworen, indem ihm ein Platz neben den Königen und Pharaonen der heidnischen Völker zugewiesen wird. Wie auch in der Bibel fleht Judith zu Gott, er möge zeigen, dass seine Macht stärker sei als die derer, „die verliessen sich | Auff ire wgen / pferd und leüt | auff kolben / spieß / gschütz in dem streyt | Die dich nit wolten hon für Gott“ (V. 1446 – 1449). Judith betet, Gott möge den gegenwärtigen Feind durch sie besiegen und betont, dass sie die „Ritterschafft“ (V. 1468) nicht aus eigener Kraft bewerkstelligen könne.⁹⁶ Sie bittet Gott daher um seine „gtigkait“ (V. 1481), damit er ihr „mt und krafft“ (V. 1467) und „standhafftigkait“ (V. 1482) verleihe. Auch das Gebet Judiths bekräftigt die These, die Titelfigur erfülle in Bircks Drama das humanistisch-reformierte Ideal im Kampf gegen die Osmanischen Angreifer. In der Beschreibung ihres Anschlagsplans wird deutlich, dass sie nicht als Instrument des göttlichen Willens bittet, sondern dass sie im vertrauenden Glauben um seinen Beistand bittet, damit sie die von ihr geplante Tat umsetzen kann. Hier kommen die von Erasmus geforderten Reaktionen auf die heidnischen Bedroher zusammen: vertrauender Glaube, Gebet, die Initiative, in einen ‚gerechten Krieg‘ (bellum iustum) zu ziehen und sich so Gottes Beistand zu erwerben. Ozias, Charmi und Chambri treffen sich früh morgens am Tor, um Judith und ihre Magd Abra aus der Stadt gehen zu lassen. Sie bemerken, dass „[d]ie alt klag“ (V. 1503) noch immer im Volk umgehe. Ozias äußert gegenüber Judith die Hoffnung, „[d]as [Gott] mit seinem starcken gwalt | den anschlag nach seim willen schalt“ (V. 1541 f.). Auch Judiths Magd Abra hat vollstes Vertrauen in Gottes Beistand: „Mir zweyfelt gentzlich nit an Gott“ (V. 1555). Die Handlung setzt sich ohne Szenenwechsel im feindlichen Lager fort. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Drama für eine Simultanbühne vorgesehen war, auf der Judith und Abra vor den Zuschauern von Bethulia hinüber zu den Assyrern ziehen. Die beiden Frauen werden von den assyrischen Wächtern Demius und Desmon vor dem Lager abgefangen. Wie in der Apokryphe gibt Judith als Grund ihres Kommens an, sie rechne fest mit der Einnahme Bethulias durch Holofernes. Deshalb wolle sie rechtzeitig überlaufen und Holofernes Anweisungen geben, wie er die Stadt „[a]llain durch kundtschafft und durch spech“ (V. 1635) einnehmen könne, so „das seinem heer kain laid geschech“ (V. 1636). Geblendet von ihrer Schönheit schenkt der Wachmann Demius ihr Glauben. Er sichert ihr den Schutz der Assyrer zu, wie
Judith: „O Herr verleich mir mt und krafft | das ich begang ain Ritterschafft | Das wirt deim namen loblich sin | in ewigkait fürhin und hin“, JuD V. – .
266
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
dies zuvor die Bethulier gegenüber Achior getan haben, und kündigt an, sie vor den „Hertzog“ (V. 1647), gemeint ist Holofernes, zu bringen. Auch das elfte Kapitel der Apokryphe wurde ohne nennenswerte Veränderungen in das Drama aufgenommen. Darin befragt Holofernes Judith nach dem Grund für ihr Kommen. Judith begründet ihr Erscheinen im assyrischen Lager damit, die Juden hätten Gottes Huld verloren (V. 1726), die Niederlage der Israeliten sei daher besiegelt (V. 1731 f.). Gott habe Judith nun zu Holofernes geschickt, um den Assyrern kund zu tun, „wie man sll | Die sach erobren […] hin biß gen Hierusalem | das man all Stett und land einnem“ (V. 1758 – 1762). Aus diesem Grund bittet Judith um die Erlaubnis, das Lager zum Gebet verlassen zu dürfen und schafft so die Voraussetzung, um nach ihrer vollbrachten Tat unbehelligt nach Bethulia zurückkehren zu können. Nach ihrem Monolog loben Holofernes sowie der Amoniter und der Moabiter Hauptman ihre „hüpsche / zierd und […] waißhait […] tuget und […] gschickligkait.“ (V. 1775 f.). Der anschließende Chorgesang ist im Drama nicht abgedruckt.
Szene 6 Die sechste Szene ist die letzte und längste in Bircks Judithdrama. Sie beginnt mit der Planung des Gastmahls im assyrischen Lager. Holofernes trägt dem Kämmerling auf, Judith dazu einzuladen, die einwilligt und doppeldeutig ankündigt: „Was meinem Herren wolgefelt | das selb mir auch nit mißgefelt“ (V. 1879 f.), womit sowohl Holofernes als auch Gott der Herr gemeint sein können. Während des Trinkgelages fordert Holofernes seinen Spilman auf, ihnen ein fröhliches Lied zu spielen, dessen Text im Drama abgedruckt ist, jedoch kein Vorbild in der apokryphen Vorlage hat. Darin wird Judiths Glück besungen, die hoffnungslose Stadt verlassen und sich in die Hände des starken Holofernes begeben zu haben. In der ersten Strophe besingt der Spilman Holofernes’ Größe und Stärke: „Er ist ain held / vor aller welt / | Vor andern helden allen“ (V. 1973 f.). Judith solle sich glücklich schätzen, wenn es ihr gelänge, „sein genad [zu] erlangen“ (V. 1976). In der zweiten Strophe lobt der Spilman Judith dafür, ihre „Statt“ (V. 1979) und ihr Geschlecht verlassen zu haben, um die Gnade der Feinde zu erlangen: „Du hast gar recht / verlon dein gschlecht / | Du wirst des wol geniessen“ (V. 1983 f.). Die beiden ersten Strophen dieses Gesangs stehen im ironischen Gegensatz zum weiteren Handlungsverlauf, bevor Holofernes in der dritte Strophe ganz ohne Ironie vor der drohenden „Frawn list“ (V. 1987) der schönen Jüdin gewarnt wird:
6.3 Binnentext
267
Ob schon dein gwalt / ist manigfalt / Holofernes lieber Herre / Die Jüdin fein / wirt stercker sein / Das wirt sy wol beweren (V. 1991– 1994).
Im Anschluss an das Lied warnt auch der Herold Holofernes noch einmal vor der vermeintlichen Überläuferin: Herr trawend nit der Jüdin zvil in trewen ich euch rhaten wil Ich bsorg ir kennend noch nit recht Herr Hauptman mein das weiblich geschlecht Ir untrew seind all Bcher vol mich waißt mein ampt das ich euch sol Vor übel warnen alle zeyt kain schad mir sunst daran nit leyt. (V. 2003 – 2010)
Auch im feindlichen Lager erweist sich ein Buchgelehrter, der die Pflichten seines Amtes ernst nimmt, als derjenige, der die zukünftigen Ereignisse am besten voraussagt. Holofernes ignoriert jedoch die Warnungen und schickt die anderen Teilnehmer des Gelages fort, um mit Judith allein zu sein, mit der er sich in sein Zelt zurückzieht: „Ich bin des weins worden z voll | der kopff der ist mir worden toll“ (V. 2023 f.). Er bittet den Kämmerling Vagao, sein Zelt zu bewachen, in dem er mit Judith und Abra zurückbleibt, um zu schlafen. Vagao versichert Holofernes, sein Amt gut ausführen zu wollen: „meins Ampts will ich vergessen nit“ (V. 2028). Jedoch gibt die folgende Regieanweisung an: „in dem beschleüßt Vagao und geht hinweg“ (zw. V. 2028 u. V. 2029). Diese Missachtung der Amtspflicht bietet Judith die Gelegenheit, ihren anschlag auszuführen, während Abra vor dem Zelt wartet. Die Enthauptung Holofernes’ wird nicht auf offener Bühne inszeniert, sondern findet verdeckt in einem Zelt statt. Wie aus Abras Segenswunsch vor der Tat hervorgeht, wird Judith die „krafft“ (V. 2035) für ihren „anschlag“ (V. 2034) bzw. für ihre „freye[] Ritterschafft“ (V. 2036) im Drama von Gott verliehen.⁹⁷ Damit erfüllt die Judithfigur in Sixt Bircks Drama das Ideal eines christlichen Streiters im Kampf gegen die ‚heidnischen‘ Türken, wie es u. a. Erasmus beschrieb: Judith handelt mit einem selbst erdachten „anschlag“ (V. 2034) gegen den Feind, die Initiative geht auf sie zurück. Da sie mit einem ‚reinen‘ Herzen und im Vertrauen auf Gott handelt, wie ihr Gebet zeigt, unterstützt Gott das Vorhaben und verleiht ihr die notwendige „krafft“ (V. 2035).
Abra: „Der starck Gott der verleich euch krafft | z diser freyen Ritterschafft“, JuD V. f.
268
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Der Tatzeitpunkt wird durch ein Trompetensignal in der Stadt angezeigt, wie aus der Regieanweisung hervorgeht: „Hie zwischen sol man in der statt auch die wacht blasen“ (vor V. 2037). Aus dieser Regieanweisung geht hervor, dass Bethulia simultan mit dem assyrischen Lager für die Zuschauer sichtbar sein muss.Weiter heißt es in der Regieanweisung: „Judith tregt das Haupt Holofernis / | vnd gibts der Junckfrawen“ (vor V. 2037). Damit verkündet sie bereits den Sieg des Volkes und der Religionsgemeinschft Israel: „Seh Abra / seh auff eyletz schnell | den sig hat gwunnen Israel“ (V. 2037 f.). Während der Rückkehr der beiden Frauen nach Bethulia stellt Judith auf Abras Frage „Mein fraw wie hond irs griffen an | das ir hond mgen bston den man?“ (V. 2045 f.) den Tathergang in einem Botenbericht dar: Da er dort schnarchlet in dem wein erwuscht ich bald den thegen sein In zwayen straychen heüw ich ab den kopff den ich dir geben hab (V. 2047– 2050).
Als sich die beiden Bethulia nähern, verkündet Judith den beiden Wächtern: „Er [der Herr] hat erlset Israel | durch mich auß allem ungefell“ (V. 2053). Als Ozias die frohe Botschaft erfährt, läßt er die „gmain freüd“ (V. 2076) verkünden und alle Bürger Bethulias, einschließlich der Räte, versammeln. Umringt von den Bürgern Bethulias berichtet die Heldin der Stadt von ihrer Tat. Ihr Dank gilt dabei allein Gott, wenn sie die Menschen gleich zu Beginn auffordert: „Lobend den Herren all geleich | das er uns hat so gnedigkleich | Errettet / hat uns nit veracht“ (V. 2113 – 2115). Sie selbst schreibt sich bei der Rettung der Gemeinschaft demütig die Rolle seiner „dienerin“ zu, durch die Gott gewirkt habe (V. 2117). Er habe sie „all augenblick gelait“ (V. 2130) und „[s]ein Engel hat [ihr] gfrt die hand“ (V. 2131). Ozias bestätigt die Darstellung, der „gwaltig Gott“ (V. 2147) habe Judiths „weyblich hand z diser that [glaitet]“ (V. 2148). Der Mord an Holofernes sei „das lob so euch Gott hat gegeben“ (V. 2152). Er betont aber auch, Judith habe eine „Ritterschafft“ (V. 2156) begangen, die ir euch frey in gfrligkait Des leibs und keüschhait geben hand darmit ir unser vatterland Erhaltend mchtend in der nott das wurd die ehr Gots nit z spott (V. 2158 – 2162).
Damit betont Ozias, wie hoch es Judith anzurechnen sei, dass sie sich „frey“ (V. 2158) dazu entschlossen habe, sich für Gottes Ehre in Gefahr zu begeben und dabei fest auf den Beistand Gottes vertraute. Auch in der Lobrede des Ozias wird Judith nicht als ein Werkzeug zur Ausführung des göttlichen Willens (vivum or-
6.3 Binnentext
269
ganum divini spiritus) beschrieben, sondern als eine tapfere Gläubige, der Gott „gnad […] gethan“ (V. 2144) habe. Judiths Mangel an körperlicher Stärke ist der Beweis für Gottes Beistand während der Tat, wie Ozias fortfährt: „Der gwaltig Gott euch glaitet hat | ewr weyblich hand z dieser that“ (V. 2147 f.). Achiors Ohnmachtsanfall als Reaktion auf Judiths Sieg über Holofernes (Idt 13,6) wird im Drama zu einer humoristischen Szene ausgestaltet, in der ein Amptman Achior mit dem Duft von Nelken und „etwas starck Confeckt“ (V. 2177) wieder zu Bewusstsein bringt.⁹⁸ Mit diesem humoristischen Einschub sollte die Dramenhandlung für die Zuschauer anschaulicher gemacht werden. Judith erteilt den Männern von Bethulia Anweisungen für die endgültige Überwindung der Feinde. So soll das Haupt des Holofernes „auff der mauren“ (V. 2193) aufgespießt und ausgestellt werden, bevor man zu einem bewaffneten Angriff auf das assyrische Lager schreite, um mit aller Gewalt gegen die Feind vorzugehen: „Gott hat sy geben in ewr hand | z wirgen / jagen alle sand“ (V. 2211 f.). Nachdem sie ihre vorbildhafte Tat vollbracht hat, übergibt sie die Aufgabe der Verteidigung nach außen wieder an die Männer von Bethulia: „Seind mannlich für ewr vatterland | ir hond den sig schon in der hand | Ich hab mein raiß gerichtet auß | kumb Promptule / wir wend z hauß“ (V. 2229 – 2232). Die Ausnahmesituation, dass eine Witwe durch Gottes Beistand eine männliche „Ritterschafft“ (V. 1468, 2036, 2156) begangen hat, ist nun beendet, sie hat ihren Zweck erfüllt, den verzagten Bewohnern Bethulias zu demonstrieren, dass mit Gottes Beistand selbst eine Frau den Tyrannenmord begehen kann. Judiths Vorgehen nachahmend ruft Ozias die Männer vor der militärischen Aktion zum Gebet auf: „so knend also nider hie | Und rffend Gott an umb sein gnad | darnach gond manlich an die that“ (V. 2256 f.). Auch hier verleiht das Gebet den Soldaten neue Kraft, wie der Regieanweisung zu entnehmen ist: „So man von dem gebett auffgestanden ist / | so felt man mit aller ungestmigkait außhin“ (vor V. 2259). Ohne die Unterbrechung durch einen Chorgesang wird die Dramenhandlung im assyrischen Lager fortgesetzt, wo die Wachen Alarm schlagen. Bei der Suche nach Holofernes weist der Moabiter Hauptman den Kämmerer an: „Weck auff den Hertzog eyletz schnell | sag im von disem ungefell | Sy seind geschloffen auß dem hol | ich bsorg die statt sey bsetzet wol“ (V. 2273 – 2276). Kurz darauf verkündet der Kämmerer den Mord an Holofernes durch „[a]in bldes / schndes Jüdisch weib“ (V. 2285), die damit „[d]as gantz Nabuchadnedzaers reich | hat gschendet also lesterleich“ (V. 2283 f.). In Anbetracht des Todes ihres Feld-
„Achior geschwindt ab dem ansehen des haupts / und sincket nider. | Amptman: Hat niemandts hie kain ngelein | das man ims in den mund geb ein | Oder sunst etwas starck Confeckt | auff das er werde wider keck“ (JuD vor V. – ).
270
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
hauptmanns verlässt die Streitkräfte sogleich die Kraft. Der Kämmerling Vagao, der den Toten entdeckt hat, ruft aus: „er hat kain Haupt / ich hab kain mt“ (V. 2288), der Amoriter Hauptman zerreißt wie die anderen Capitenier („Hauptleute“⁹⁹) seine Kleider (vor V. 2289) und beklagt: „Jch bin verzagt / ich bin kain man“ (V. 2289). Die Resignation im assyrischen Heer soll den Rezipienten die Vorteile vor Augen führen, die Gott als höchste Macht eines Gemeinwesens hat: Während man sich auch nach einem Abfall vom ‚rechten‘ Glauben immer wieder zu Gott bekehren kann, bedeutet der Tod eines weltlichen Anführers unweigerlich die Niederlage des ganzes Heeres. Bei dem darauffolgenden Angriff der Israeliten auf das Lager der Assyrer wird in Bircks Drama keine Verletzung oder gar Tötung eines assyrischen Soldaten dargestellt. Vielmehr zeigt es die Bekehrung eines heidnischen Soldaten: Als der Herold von dem Israeliten Mesech mit dem Tod bedroht wird, fleht dieser: Ach nemmend mich gefangen an Ich will warlich bey meiner seel mich bschneyden lon in Israel Ich will auch allzyt ewren Gott anbetten halten sein gebott (V. 2300 – 2304).
Daraufhin wird er von Mesech nicht getötet, sondern gefangen genommen und abgeführt. Die Bekehrung wird demnach niemandem angeboten. Ein Soldat muss aus tiefer Überzeugung um die Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft von Bethulia bitten. Die Bekehrung der Feinde, die in der Apokryphe nicht vorkommt, stellt eine weitere Bearbeitungstendenz dar, die Erasmus’ Forderungen entspricht, die Türken zu missionieren.¹⁰⁰ Nach der endgültigen Vertreibung der Feinde beginnt die didaktische Aufbereitung der Ereignisse. Noch im feindlichen Lager hält Ozias eine Ansprache an die Bürger von Bethulia (vor V. 2307), in der er verkündet, Gottes Ehre sei nun bewiesen. Dass er sich dabei Zeit gelassen habe, habe verhindert, dass die Gläubigen ihre weltliche Stärke zu hoch einschätzten:
Thomke, Spiele, S. . „Die Türken, so schliesst er [Erasmus] seine Consultatio ab, sollen endlich sehen, dass Christentum nicht ein leeres Wort sei. Lasst uns christliche Prediger zu ihnen senden, die nur auf Christum bedacht sind, und nicht ihrem eigenen Interesse nachgehen. Die Türken könne man eine Weile unter ihren eigenen Gesetzen leben lassen, damit sie sich an die christliche Lebensart gewöhnen. In diesen Worten liegt der Kern des Ratschlages, den Erasmus über den Krieg gegen die Türken gibt: er solle mehr einer Missionstätigkeit ähnlich sein“, Weiler, Consvltatio (Einleitung), S. .
6.3 Binnentext
271
So er uns hett geholffen bald hett wirs z gmessen unserm gwalt Nun künden wir yetz wissen wol das man die ehr Gott geben sol (V. 2309 – 2312).
Bei der brüderlichen Verteilung der Kriegsbeute (V. 2320) verzichtet Ozias auf seinen Anteil und mahnt stattdessen, auch Judith nicht unbedacht zu lassen (V. 2324 f.). Judiths Teil der Kriegsbeute wird ihr kurz vor dem Ende des Dramas wie in der Apokryphe im Beisein des Hohepriesters Joakim und der vier Ältesten aus Jerusalem überreicht. Judith verspricht, die Trophäen ihres Sieges im Tempel von Jerusalem aufzuhängen, damit auch ein Fremder, der dorthin komme, sehe, „das all ding stnd in Gottes macht“ (V. 2570), um den zukünftigen Generationen mit diesen Realien Mut zur Selbstverteidigung gegen heidnische Angreifer zu machen. In Anspielung auf das im Mittelalter und Spätmittelalter verbreitete Ideal eines miles christianus werden Judith dabei die geistlichen Waffen, mit denen sie den Hauptmann des feindlichen Heeres bezwungen hat, symbolisch in ihrer irdischen Ausführung überreicht: „Der schilt und helem und das schwert | darmit sond ir von uns sein gehrt“ (V. 2549 f.).¹⁰¹ Kai Bremer hat bemerkt, dass die hier aufgezählten irdischen Waffen den im Epheserbrief genannten geistlichen Waffen eines christlichen Streiters entsprechen.¹⁰² Nachdem auch Judiths Tat im volkssprachlichen Drama Bircks wiederholt als „Ritterschafft“ (SB,V. 1467 f.) bezeichnet wird, die Judith durch ihr Handeln aus eigenem Antrieb mit dem göttlichen Beistand begangen hat, kann man annehmen, dass Birck bei der Stilisierung der Judithfigur in seinem volkssprachlichen Drama nicht nur die Männlichkeit von Judiths Tat betont, sondern auch das Bild einer christlichen Streiterin im Sinne von Erasmus Enchiridion Militis Christiani vor Augen hatte.¹⁰³ Diese führt die von Erasmus in seiner Vltissima consvltatio de bello Tvrcis inferendo geforderte Wehrhaftigkeit gegen die Osmanischen Heere beispielhaft vor. Die ‚richtige‘ Lehre der Geschehnisse verdeutlichen die Figuren selbst, wenn sie Judiths Tat reflektieren, wobei die Lehre einmal von zwei Frauen, Anhydria und
Zum Konzept der ‚militia christi‘ und des ‚miles christianus‘ im christlichen Mittelalter und in der Frühen Neuzeit siehe: Carl Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart ; ebenso: Andreas Wang: Der ‚miles christianus‘ im . und . Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit (= Mikrokosmos ). Frankfurt/M. . „inn allen dingen aber ergreyffend den schilt deß glaubens / mit welchem jr mgend außlschenn alle fheürige pfeyl des bßwichts / un(d) den hlm deß heils nem(m)end an euch / und das schwrdt deß geistes / welches ist das wort Gottes“, ZB Eph. vi,B. Vgl. Bremer, Dimension, S. f. EAS , S. – .
272
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Hydrophila, für die weiblichen Zuschauer gezogen wird und einmal von den Knaben Promptulus und Misael für die Kinder. Anhydria und Hydrophila, die in der dritten Szene das Austrocknen der Brunnen beklagten, diskutieren die Rettung der Gemeinschaft durch eine Frau. Anhydria polemisiert gegen die Trägheit der Männer im Vergleich zu Judiths Heldentat: Die mann seind bleyger dann kain weib Fraw Judith hatt ain helden leib Sy hat mit irer manligkeit uns weybern grosse ehr ein gleit (V. 2359 – 2362).
Hydrophila dagegen reflektiert das Ereignis selbstkritisch vor dem Hintergrund, dass alle Frauen außer Judith die Übergabe an die Feinde forderten und sich deshalb den Sieg nun nicht als kollektive Errungenschaft zuschreiben dürften: Wir weiber haben fast die art wann ainer ain glück widerfart So wll wir all tailhafftig sein wir seind vor sehr undultig gsein […] Ja so mann uns hett zwissen than das Judith vor im sinn hat ghan Wir hettend sy vermaledeyt so sich ztragen hat die zeyt (V. 2363 – 2372)
Die zweite, an die Gruppe der Schüler gerichtete Lehrmeinung vermitteln die beiden Knaben Misael und Promptulus. Promptulus ist im Hause Judiths angestellt, Misael hat an dieser Stelle seinen ersten Auftritt. Misael erkundigt sich bei Promptulus, was es mit dem „gschray“ (V. 2385) auf sich habe, worauf Promptulus antwortet, das ‚gschray‘ kümmere ihn „kain danth | allein das sey das vatterland | In allem friden wie vorhin.“ (V. 2387– 2389). Misael vergleicht die Tat Judiths mit den Exempeln der Vorväter, die er bereits gelesen hat: „ich sag dir gwiß | ob ich schon von den vttern liß | Doch find ich kaum so herrlich that | als dein fraw yetz begangen hat“ (V. 2391– 2394). Die Kinder sollen aus dem Theaterstück Lehren ziehen, die sie auf ihre spätere Rolle im Gemeinwesen vorbereitet: „wir seind noch all baid kind | Auß kinden werden aber leüt | es wirt noch kommen wol die zeyt | Das wirt der gwalt und Regiment | noch kommen auch in unser hend | So mg wir ain exempel han | wie man die sach soll greiffen an“ (V. 2396 – 2402). Auch Promptulus pflichtet ihm bei, „das man durch beyspil werd gelert“ (V. 2404), wie er schon oft von seinen Eltern gehört habe (V. 2403) und fordert Misael auf: „Laß uns auch nach der weyßhait stellen | das wir auch werden fürnem gsellen“ (V. 2407 f.). Die Kinder sollen an dem Drama lernen, wie man die Exempla aus den Bchern zur
6.3 Binnentext
273
Erfüllung des göttlichen Willens zu Rate zieht, um sich damit auf die Zeit vorzubereiten, in der sie „gwalt und Regiment“ (V. 1399) innehaben werden. Birck lässt das Drama nicht wie in der Apokryphe mit einem Gesang Judiths enden, sondern mit dem Besuch des Hohepriesters Joakim und der vier Ältesten aus Jerusalem. Dadurch erzeugt Birck eine Rahmenstruktur, in die das Geschehen von Bethulia eingebettet wird: Zunächst die Unterweisung über die Gefahr durch den Priester Eliakim und seinen Ratschlag, das Gebet als stärkste Waffe einzusetzen. Nachdem Judith die Waffe des Glaubens erfolgreich gegen den Feind eingesetzt hat, folgt die Siegesfeier. Joakim und Ozias beglückwünschen sich gegenseitig zum Frieden, den Gott den Gläubigen „[d]urch sein erbarmung / durch sein gnad“ (V. 2436) gegeben habe. Auch die vier Ältesten bekunden ihre Freude über den Frieden, zunächst Simeon und Judas, zwei Söhne Jakobs (Gen 35,23), dann Sachar, der in 1 Chr 26,4 zu den Abteilungen der Torwächter gezählt wird. Als Letzter bekundet Onias¹⁰⁴ seine Freude,
In dem Sixt Birck dieser Figur den Namen Onias gibt, integriert er einen größeren historischen Abriss in das Drama. Onias ist eine historische Person aus dem Bruderkrieg des Hohepriesters Hyrcanos gegen Aristobulos, der in Jerusalem das Amt der Hohepriester und des Königs ergreift, wie Flavius Joseph im . Buch, Kap. der Jüdischen Altertümer schreibt. Aretas belagert dort im Auftrag des Hyrcanus die Stadt Jerusalem, in der sich Aristobulus verschanzt hält. Nach den ersten Erfolgen des Hyrcanus läuft ein Großteil der Jerusalemer Bevölkerung zu Aretas über, nur die Priester, darunter Onias, bleiben loyal gegenüber Aristobulus. Als jedoch die fähigsten Juden beim Pessachfest nach Ägypten fliehen, nehmen die Leute des Aretas Onias gefangen und bringen ihn in das Lager des Aretas. Da Onias in dem Ruf steht, einmal in einer langen Dürreperiode zu Gott gebetet zu haben und dabei erhört worden sei, verlangen sie von ihm, Aristobulus zu verfluchen, um den Sieg über ihn erringen zu können. Onias jedoch stellt sich über die beiden kämpfenden Parteien und fleht zu Gott, sich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen, da die Belagerer Gottes Volk, die Belagerten dafür Gottes Priester seien: „dicens: Deus omnium rex, quoniam & hi qui mecum consistunt tuus existit populus, & qui obsidentur tui sacerdotes sunt. peto, ut neque istos exaudias contra illos petentes, neque illos contra hos orantes“, Josephus, Antiquities, S. . Daraufhin wird Onias von den umstehenden Juden gesteinigt, wofür sich Gott später mit einer Missernte rächt. Mehrere Gründe kommen in Frage, die Birck bewogen haben könnten, diesen Kontext in das Judithdrama aufzunehmen. Aufallend sind die Anhaltspunkte, dass Onias’ Gebet von Gott erhört wurde und er damit sein Volk vor dem Hungertod angesichts einer Dürreperiode bewahrte, wie auch Judith mit ihrem Gebet die Belagerer besiegte, die ihre Stadtgemeinschaft aushungern wollten. Onias, der später sein Leben lässt, um sich im Bruderkrieg nicht für eine Partei entscheiden zu müssen, bewundert in seiner Rede die „dapfferkait | In ainem weybßbild / die da ist | in gferd für Jacobs samen ghrist“ (V. – ). Darin ist bereits die zweite Parallele zum Judithdrama enthalten: der Bruderkrieg, der Dissens in einer Volks- und Glaubensgemeinschaft, womit Birck auf den Dissens innerhalb der Eidgenossenschaft im Zweiten Kappeler Krieg anspielen könnte und dabei, vor irrsinnigen Auswüchsen eines solchen Disputs warnend, zur Eintracht aufruft.
274
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
das Gott mit euch so gnedigklich Gehandlet hat in diser not es mß den feinden sein ain spot Vor Israel in ewigkait das soll sein sollich dapfferkait In ainem weybßbild / die da ist in gferd für Jacobs samen ghrist (V. 2456 – 2462).
Der Hohepriester Joakim stilisiert Judith in seiner Lobrede als eine „theüre Ritterin“ (V. 2463), die sich den Beistand Gottes in der Gefahr durch ihre „tuget vil“ (V. 2485) und ihre „rainigkait“ (V. 2487), d. h. Keuschheit nach dem Tod ihres Mannes, verdient habe: Darumb hat dich die hand Gotts gsterckt das man an deiner tuget merckt Dein lob das soltu ewig han das niemandts gng außsprechen kan (V. 2493 – 2496).
An dieser Stelle wird der entscheidende Unterschied zwischen den theologischen Programmen Luthers und Erasmus’ greifbar, der für die Interpretationen des apokryphen Buchs Judith so entscheidend ist: In den lutherischen Adaptationen ist Judith ein Instrument Gottes im Kampf gegen die Feinde. Sie hat keinen freien Willen, sondern im vertrauenden Glauben auf Gott allein – sola fide – lässt Gott ihr seine Gnade zukommen. Das andere, humanistisch geprägte Modell verkörpert die Judith von Sixt Birck paradigmatisch: Mit ihrer tugendhaften und keuschen Lebensweise hat sie sich die Gnade Gottes, seinen Beistand, aktiv verdient. Sie handelt aus eigenem Antrieb in gottesfürchtiger Absicht und wird dafür mit göttlichem Beistand beim Erreichen ihres Ziels – der Vertreibung der Angreifer, die von den Belagerten die Anbetung ihres Königs statt Gottesverehrung fordern – unterstützt. Dieses Programm hat Birck in seiner ganzen Dramenadaptation konsequent durchgehalten. Dass Judith am Ende der Dramenhandlung ihren eigenen Anteil am Sieg Israels über die Assyrer negiert und sich selbst demütig als ein Instrument des göttlichen Willens bezeichnet, tut dem keinen Abbruch mehr: Ich bin ain armes Instrument durch das die sach Gott hat volendt ich waiß wol das ich nit bin werdt das ich der maß von euch werd gehrt Den syg den haben wir von Gott (V. 2561– 2565).
Judith zeigt sich angesichts der Ehrung durch den Hohepriester weiter bescheiden und gottesfürchtig, wenn sie Gott weiterhin die alleinige Ehre zukommen lassen
6.4 Beschlussred
275
will: „Ach nain mein aller liebster Herr | man soll allain Gott gen die ehr.“ (V. 2497 f.). Demütig stellt sie sich selbst im lutherischen Sinne als Instrument dar, durch das Gott auf das irdische Geschehen eingewirkt hat: „Ich bin ain armes Instrument | durch das die sach Gott hat volendt | ich waiß wol das ich nit bin werdt | das ich der maß von euch werd gehrt | Den syg den haben wir von Gott“ (V. 2561– 2565). Die vom Obristen verliehenen Siegestrophäen, „der schilt und helem und das schwert“ (V. 2549), will sie gemäß der apokryphen Vorlage im Tempel von Jerusalem aufhängen, „das / so ain frembder dahin kem | Mcht wol auß disem nemmen acht | das all ding stnd in Gottes macht“ (V. 2568 – 2570). Nachdem die Witwe ausnahmsweise in das Geschehen der Stadtgemeinde eingegriffen hat, um die Ehre Gottes zu retten, ist ihr Wirken in der Öffentlichkeit offiziell beendet. Ozias und der Hohepriester kündigen an, sie wieder in ihr Haus zu begleiten, bevor Calliopus das Spiel für beendet erklärt (V. 2576). Die Regieanweisung gibt an, der Rhat und die Legation aus Jerusalem führten Judith nach Hause, „darz blaßt man z ainer herrligkait“ (nach V. 2576), d. h. ein feierlicher Gottesdienst wird einberufen, der möglicherweise nach Beendigung des Spiels tatsächlich stattfand.
6.4 Beschlussred Ob Birck die Beschlussred schon für die Aufführung in Basel verfasste oder erst für die Drucklegung 1539 in Augsburg hinzufügte, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Nachdem darin unterschiedliche Gruppen aus dem privaten und öffentlichen Lebensbereich angesprochen werden – die geistliche und weltliche Obrigkeit, die Hausväter, das Gesinde und die Soldaten – liegt die Annahme nahe, dass sie sich an eine breite Öffentlichkeit wandte, wie es sie in Basel mit großer Wahrscheinlichkeit bei einer Theateraufführung gab. Die Beschlußred gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden Schauspiele legitimiert und es wird der Vorwurf zurückgewiesen, sie würden zum Krieg treiben. Wer Theateraufführungen mit dem Argument der Kriegstreiberei verhindern wolle, der wolle auch „all erbar nützlich kurtzweil wern“ (V. 2580). Vielmehr zeige das Spiel, wie man sich gegen jede Art von äußerer Bedrohung wehren könne, was Birck in zwei Schritten zusammenfasst. Gemäß dem Enchiridion militis christiani und der Vltissima consultatio de bello Tvrcis inferendo fordert Birck als erstes, „[d]as man mit bett zum Herren ker | darnach z handen nemb die gwer“ (V. 2585 f.). Explizit spricht sich Birck gegen Angriffskriege zur Machterweiterung aus,¹⁰⁵ da Krieg weder gerecht sei, noch dem Willen Gottes entspräche: „In summa / kain krieg ist
„Man soll nit ziehen in den streyt | umb Kronen über ander leüt“, JuD, V. f.
276
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
gerecht | dann so würt Gottes ehr durchcht“ (V. 2589 f.). Die einzige Art der legitimen Kriegsführung sei die Verteidigung des Vaterlandes (V. 2593), wie im Drama gezeigt wurde.¹⁰⁶ In einem zweiten Abschnitt leitet der Herold die Lehre des Stückes getrennt für acht Gruppen aus der Bürgerschaft ab. Zunächst spricht er die Inhaber der öffentlichen Ämter an, die Priester, die frumme Oberhand, den Rhatsfreünd. Danach den gmainen man, der ebenfalls in das politische Geschehen eingreifen kann, wie im Drama soeben vor Augen geführt wurde. Danach kommen drei Gruppen aus dem privaten Lebensbereich, der Haußvatter, das weybßbild, das haußgesind und zuallerletzt der Kriegßmann. Dass der Kriegsmann auf der untersten Stufe erscheint, könnte dem schlechten Ruf geschuldet sein, den die eidgenössischen Soldaten als Söldner der italienischen und französischen Truppen in den 1520er und 30er Jahren hatten. Die Reihenfolge der Aufzählung macht nicht nur die Hierarchie deutlich, in die Birck die einzelnen Gruppen untergliederte, sondern vor allem auch die Aufgaben, die ihnen im Gemeinwesen zukamen. Birck unterteilt die drei öffentlichen Ämter zwar in geistliche Obrigkeit (Priester) und weltliche (die frumme Oberhand und der Rhatsfreünd), die weltlichen Teile der Obrigkeit werden jedoch beide ermahnt, stets Gott vor Augen zu haben (V. 2615) bzw. „die Gttlich ehr“ zu bedenken (V. 2624). Die wichtigste Lehre für die Ausführung des Amtsgeschäfts soll für die frumme Oberhand sein, keinen Ratsbeschluss zu missachten, „so der auß gtem eyfer gschicht“ (V. 2618), d. h. sofern er dem Willen Gottes entgegen komme. Der Rhatsfreünd wird ermahnt, sich bei der Mehrheitsabstimmung nicht von „forcht noch gunst“ (V. 2625) beeinflussen zu lassen, sondern die Ehre Gottes als Leitfaden für die Stimmabgabe zu nehmen (V. 2623 f.). Der Priester wird ermahnt, nicht ‚zum Blut zu treiben‘ und die verzagten Gemüter mit der Lehre Gottes zu stärken (V. 2604 f.). Er soll auch darüber wachen, dass die Gläubigen Gott als höchste Autorität anerkennen, die über Sieg und Niederlage entscheidet: „So Gott den sig verlyhen hatt | das du z land und auch z statt | Stts treibest z der danckbarkait“ (V. 2607– 2609). Dem gmainen man, der nicht als Akteur in der offiziellen politischen Entscheidungsfindung vorgesehen ist, aber indirekt mit einem Aufruhr Einfluss nehmen kann, wie das Judithdrama gezeigt hat, soll das Drama vornehmlich ein Exempel für die Standhaftigkeit sein: „Biß standhafft / nit leichtfertig gsindt | laß dich nit ainen yeden wind | Hin when / wa sich lendt das glück“ (V. 2631– 2633). Zudem wird er ermahnt, sich um Eintracht (concordia) in der Gemeinde zu be-
Bircks Pazifismus, der in dieser Beschlussred deutlich wird, zeigt vermutlich eine weitere Parallele zum Werk des Erasmus auf, wie z. B. in der Friedensschrift Querela pacis.
6.4 Beschlussred
277
mühen, denn „[w]a ist die gmain also zertrendt | da darff man hoffen kain gt end“ (V. 2635 f.). Nach dem gmainen man wendet sich Birck dem familiären Lebensbereich zu. Der Haußvatter wird ermahnt, sein Amt richtig auszuführen.Versage er darin, so solle er sich nicht schämen, sich Judith als Vorbild zu nehmen: „Die wirt dir ain Exempel sein | das du recht zeüchst das haußgsind dein | Sy leert dich haben auch ain hertz | es sey z ernst oder z schertz“ (V. 2641– 2644). Während Judith denjenigen unter den Zuschauern, die ein geistliches oder weltliches Amt bekleiden, als Ideal für gottfürchtiges Handeln dienen soll, so dient sie für den privaten Lebensbereich als Ideal einer Bürgerin, die für den „gmainen nutz“ (V. 2646) eintritt.¹⁰⁷ Diametral entgegengesetzt sollen sich die Frauen gerade nicht an Judith orientieren, da die Gefahr bestehe, sie könnten an Judiths Tapferkeit als Vorbild übermütig werden: „Hertz / mt / und manhait ist bey ir | es stat bey ir nit wie bey dir“ (V. 2649 f.). Es scheint, als habe Birck hier den Prolog zum Buch Judith in der Vulgata vor Augen gehabt, in der die Tapferkeit der Heldentat Männern wie Frauen als Vorbild dienen soll: „Hanc enim non solum feminis, sed et viris imitabilem dedit, qui, castitatis eius remunerator, virtutem talem tribuit, ut invictum omnibus hominibus vinceret, insuperabilem superaret“ (Vul, Prologus Iudith, Z. 10 – 12). Jedoch könnten sich die Frauen insofern an Judith ein Beispiel nehmen, als ihre Aufgabe darin bestehe, ihre Männer mit Mahnen zu stärken, „[w]ie Judith hat Ozie thon“ (V. 2657). Das haußgesind solle seinen Herrschaften gegenüber Gehorsam leisten, wie es beispielsweise Abra vorführe, während sich der Kriegßman im Lager vor Trunkenheit und vor den Frauen hüten solle. Der gedruckte Dramentext endet mit dem lateinischen Distichon „Haud nostris viribus tribuas quae minima summi largiter effundunt, munera larga Dei“ (nach V. 2670).¹⁰⁸ Mit diesem Schlusswort verdeutlicht Sixt Birck noch einmal sein Anliegen, Gott als höchste Autorität für das weltliche Geschehen anzuerkennen. Seiner Gnade kann der Gläubige lediglich mit vergleichsweise geringfügigen Taten entgegenkommen. Heinrich Bullinger vergleicht in seiner in Zürich gedruckten Schrift Anklag und ernstliches ermanen Gottes Allmaechtigen z eyner gemeynenn Eydgenossenschafft das sy sich vonn iren Sünden z jmm keren die Ämter der Obrigkeit mit dem des Hausvaters, der sich mit väterlicher Fürsorge um die Belange der Hausgemeinschaft kümmert: „Jr im regiment, soltend üch nit alles gwalts vnderwinden als Landsfürsten, üwer lannd ist nit ein Oligarchia, sunder ein Democratia, ein Commun. Darumb sltennd jr üwers armen volcks Patres (das ist vtter) sin: üwer volck soltend jr halten wie mittburger, ja sy lieben wie kind,vor schaden vergoumen,versehen das weder sy noch jr annmind, von dannen mitt der zyt ein schad entston mchte“ Zit. nach Campi, Aspekte, S. . Hellmut Thomke übersetzt den Zweizeiler folgendermaßen: „Nicht unseren Kräften schreibe zu die großen Gaben Gottes, die ‚selbst‘ die Begabtesten zwar reichlich, ‚aber doch nur‘ in unbedeutender Weise, hervorbringen“, Thomke, Spiele, S. .
278
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
6.5 Zwischenfazit Auch wenn das volkssprachliche Judithdrama thematisch eng mit Ezechias verwandt ist – in beiden Dramen wird das Volk Israel von den militärisch weit überlegenen Assyrern bedroht und kann nur bestehen, wenn die Bürgerschaft einträchtig im Vertrauen auf Gottes Beistand zusammensteht –, so stellt das später entstandene Judithdrama die Respublica christiana facettenreicher dar. Neben der Eintracht (concordia) muss im Judithdrama auch Konsens sowohl innerhalb der Führungsschicht als auch zwischen Obrigkeit und der Gmaind erreicht werden. Im Judithdrama wird eine zu Israel gehörende freie Stadt von den Truppen eines Tyrannen bedroht. Birck macht jedoch kaum Gebrauch von der Gelegenheit, die Assyrer als negative Exempelfiguren auszugestalten. Wie auch in seinem Ezechiasdrama liegt der Fokus auf den innen- und außenpolitischen Belangen der Stadt Bethulia, die eine zeitgenössische Respublica christiana darstellen soll. Bei der Frage, welches Vorgehen gegen die Angreifer das ‚richtige‘ sei, steht der geistliche Stand den Vorstehern des Stadtstaates Bethulia beratend zur Seite. Wie auch in früheren Dramen Bircks liegt die Entscheidungsgewalt jedoch bei der weltlichen Obrigkeit, genauer gesagt beim zwölfköpfigen Rhat. Dessen Vorsitzender, der Oberist Ozias, hat selbst keine Stimme – seine Aufgabe besteht darin, die Abstimmungsrunden des Rates abzuhalten, die Beschlüsse zu verkünden und die Stadt nach außen zu vertreten, wie bei den Verhandlungen mit Holofernes. Die Bürgerschaft von Bethulia zeichnet sich auch sonst durch eine enge Verbindung von Säkularem und Geistlichem aus, wie das Beispiel des ausgelieferten Achiors zeigt. Sein Bekenntnis zum Gott Israels und sein Wunsch, ein Judeßgnoß zu werden, ist die Voraussetzung dafür, Bürger von Bethulia zu werden. Vor Judiths Eingreifen steht das ‚rechte‘ Vorgehen gegen die Feinde zweimal aufgrund von Zwietracht innerhalb der Bürgerschaft zur Disposition: Zunächst bei der ersten Ratsversammlung, bei der nur eine knappe Mehrheit der Rhatsherren dafür votiert, auf Gott zu vertrauen und den weltlichen Angreifern Widerstand zu leisten. Die knappe Abstimmung im Rat ist als Vorbote für den Dissens zwischen Rat und Gmaind zu verstehen. Der Aufruhr gegen die Obrigkeit von Bethulia wird angeführt vom abtrünnigen Ratsherrn Mesech, der spätestens hier zum exemplum horrendum wird, da er noch in der Abstimmungsrunde angekündigt hatte, den Mehrheitsbeschluss respektieren zu wollen, wie es sich für einen ‚guten‘ Ratsherrn gezieme. Das Versäumnis der Regierenden, das Judiths Eingreifen erst notwendig macht, besteht darin, dass die Vorsteher der Stadt keinen Versuch unternehmen, die Gmaind mit einem tiefen, inneren Glauben an Gott zu motivieren. Stattdessen versucht der Rhat, das volck noch weitere fünf Tage hinzuhalten, in der Hoffnung, seine Gebete würden Gott bis dahin zum Eingreifen bewegen. Das halbherzige Vertrauen auf Gottes Beistand und der Versuch, die Einwohner von Bethulia mit
6.5 Zwischenfazit
279
zeremoniellen Äußerlichkeiten hinzuhalten, das nicht auf tiefem, innerem Glauben beruht, machen das Versagen der Obrigkeit im Judithdrama aus.¹⁰⁹ Das Regiment kommt seiner Pflicht nicht nach, das religiöse Leben in der Stadt so zu kontrollieren, dass alle Bürger einträchtig und im tiefsten Inneren an Gott glauben und ihm vertrauen. Dieses Versagen wird durch Judiths Eingreifen wieder wett gemacht. Bei der Darstellung der Judithfigur folgt Birck der Vulgata bzw. der Zürcher Bibel, die im Gegensatz zur Lutherbibel die Tapferkeit und die Mannhaftigkeit ihres Vorgehens gegen den Feind betonen und die angeben, Judith habe die Enthauptung eigenhändig ausgeführt. Birck übernimmt diese Darstellungsweise nicht bloß, er betont darüber hinaus, die Titelheldin habe ihre Tat zur höheren Ehre Gottes aus eigenem Entschluss ausgeführt und sich so Gottes Beistand verdient. Wie Kai Bremer besonders anhand eines Zitats aus dem Epheserbrief festmachen konnte, wird die Hauptfigur bei Birck mit den Attributen der christlichen Ritterlichkeit (militia christiana) ausgestattet. Damit nimmt Bircks Schauspiel unter den Judithdramen des 16. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein, da andere evangelische Autoren bei ihrer Darstellung der Lutherbibel folgen. Sowohl in der Übersetzung als auch in den Dramatisierungen erwirbt Judith Gottes Zuwendung nicht durch ihr Handeln, sondern allein im vertrauenden Glauben (sola fide) und wird so zum Instrument von Gottes Willen auf Erden.¹¹⁰ Einen weiteren konkreten Bezug des Judithdramas zu seinem zeitgenössischen Kontext fügte Birck in Augsburg hinzu, wie die erst dort verfasste Widmungsvorrede An ain junge burgerschafft zeigt: Hier werden die angreifenden Assyrer der alttestamentlichen Apokryphe mit den Türken verglichen, einer Bedrohung, die in Augsburg vermutlich stärker wahrgenommen wurde als in Basel. Der Bezug zu den Türken wird in der ebenfalls erst in Augsburg entstandenen lateinischen Übersetzung des Dramas noch ausführlicher dargestellt. Mit Judith als mannhaft, tapfer und aus eigenem Antrieb handelnder Frau erfüllte sie bereits idealtypisch die Ratschläge, die Erasmus von Rotterdam in seiner 1530 gedruckten Vltissima consvltatio de bello Tvrcis inferendo zum Vorgehen gegen die Türken gab: In Anlehung an die militia christiana sollten die Christen einträchtig mit Gebet, vertrauendem Glauben auf Gott und weltlichen Waffen gegen die Osmanen vorgehen. Die abtrünnigen Ratsmitglieder, die sich im Drama für eine Übergabe der
Das Zeremonienwesen der römischen Kirche wurde sowohl von den Reformatoren als auch von zahlreichen Humanisten kritisiert. Zur Kritik des Erasmus siehe Kap. ... Zwei Beispiele für diese Bearbeitungstendenz sind die Judithdramen Joachim Greffs und Samuel Hebels. Siehe dazu: Judith Pfeiffer: Exempelfiguren in den Judithdramen des . Jahrhunderts.Verhalten im Bedrohungsfall zwischen der Konfessionalisierung und den Türkenkriegen bei Sixt Birck, Joachim Greff und Samuel Hebel [Mag.-Arb.]. München .
280
6 Die ‚richtige‘ Reaktion auf die Türkenkriege: Judith (ca. 1534)
Stadt an die heidnischen Feinde aussprechen, berufen sich auf Argumente, die Martin Luthers Positionen zu den Türkenkriegen vor 1528 entsprechen, und die somit als ‚falsch‘ dargestellt werden. Für Bircks Dramen ist es bemerkenswert, dass der Autor einen zeitgenössischen Bezug seiner Dramen überhaupt so deutlich formuliert wie in seiner Vorrede An ain junge burgerschafft. Allerdings trennt Birck hier strikt zwischen Rahmenund Binnentexten: Während er das Drama in dem vorangestellten Rahmentext auf die bevor stehenden Türkenkriege bezieht, ist der Binnentext frei von Vergleichen der Assyrer mit den Osmanen. Der Binnentext bleibt so variabel kontextualisierbar und kann durch Nennung eines anderen Feindbildes in den Rahmentexten aktualisiert werden.
7 Fazit Die Interpretationen der von Sixt Birck in Basel und Augsburg verfassten Bibeldramen haben gezeigt, dass der Autor in seinen Adaptationen von alttestamentlichen und apokryphen Stoffen Stellung zu solchen politischen und gesellschaftlichen Themen bezog, die die Bürgerschaften dieser beiden Städte damals beschäftigten. In seinen Schauspielen entwarf Birck anhand von positiven und negativen Beispielen ein ideales christlich-reformiertes Gemeinwesen, eine – wie er selbst schreibt – Respublica christiana, deren Gelingen davon abhängt, ob die Einwohner den göttlichen Willen ‚richtig‘ aus der Heiligen Schrift ableiten und erfüllen. Die Schauspiele sollten einen Beitrag dazu leisten, einzelne Erzählungen der Bibel bekannter zu machen und zeigen, wie sich der göttliche Wille darin erkennen lasse. Mit letzterem richteten sich die Dramen vor allem an die Obrigkeit und an die Schüler humanistischer Bildungsstätten, die für Ämter im Staats- und Verwaltungsdienst vorgesehen waren. Da der weltlichen Obrigkeit in einer Respublica christiana eine besondere Verantwortung bei der Verwirklichung des göttlichen Willens zukam, sollten sie über eine besonders gründliche Kenntnis der Heiligen Schrift verfügen, wozu Birck mit seinen Bibeldramen beitragen wollte. In einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels, nach Einführung der Reformation, sollten diese Dramatisierungen biblischer Stoffe den Rezipienten bei einer Inszenierung oder als Lesedramen Orientierung in gesellschaftlichen Fragen bieten. Um diesen Anspruch zu erfüllen, gehen die Dramen auf zeitgenössische historische Ereignisse und Entwicklungen ein, die entweder eine Bedrohung darstellten oder die als Neuerung noch der Akzeptanz in der Bürgerschaft bedurften. Dazu zählen u. a. die Bilderfeindlichkeit der reformatorisch Gesonnenen, die Gründung eines Ehegerichts, die Türkenkriege, die Täuferbewegung sowie das veränderte Ideal eines weltlichen Amtsträgers und seiner Ausbildung. Diese Bezüge zeigen einmal mehr, wie eng der Zusammenhang zwischen Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit war. Gleichzeitig unterstützte Birck mit seinen Stücken die Forderungen der humanistisch geprägten Reformatoren in der Schweiz und in Oberdeutschland, die Gesellschaft in moralischer Hinsicht zu erneuern und das öffentliche und private Leben auf die Grundlage der Heiligen Schrift zu stellen. Die Dramen folgen im Aufbau dem Schweizerischen Bürgerschauspiel oder dem antiken römischen Fünf-Akt-Schema, ihr Inhalt basiert ausschließlich auf biblischen Texten. In die Bearbeitungen ließ Birck seine humanistische Bildung einfließen; der Bezug zu den Schriften mancher zeitgenössischer Gelehrter, mit denen Birck in Kontakt stand, ist entweder aufgrund wörtlicher Übernahmen belegbar, oder liegt aufgrund historischer und geistesgeschichtlicher Verbindungen nahe. Ebenfall DOI 10.1515/783110434118-007
282
7 Fazit
flossen zu jener Zeit von den Humanisten wiederentdeckte Schriften aus der griechischen und römischen Antike in die Dramen ein. In der Folge stellte die Respublica christiana Sixt Bircks in ihren politischen Prinzipien ein Modell dar, das Elemente aus dem Alten Testament, dem antiken römischen Rechtswesen sowie der politischen Praxis spätmittelalterlicher Städte vereinte. Im Folgenden werden die wichtigsten Merkmale und politischen Mechanismen dieses idealen Gemeinwesens sowie die dramatischen und dramaturgischen Mittel, mit denen sie bei Birck vermittelt werden sollten, zusammengefasst.
7.1 Die Dramen und ihre biblischen Vorlagen Birck hielt sich in seinen Dramenadaptationen eng an die biblischen Vorlagen und ließ keine größeren Abweichungen von der Handlung zu. Um dennoch auf politische und gesellschaftliche Fragen im Kontext der Dramenentstehung eingehen zu können, musste eine eine Antwort auf bestimmte politische Fragestellungen bereits im biblischen Text vorhanden sein. Die Tatsache, dass Birck ausschließlich alttestamentliche und apokryphe Stoffe als Schauspiele adaptierte, ist auf die Rolle Gottes als höchste Instanz in den Gemeinwesen des israelitischen Volkes zurückzuführen. Das Volk Israel sollte den zeitgenössischen christlich-reformierten Gemeinwesen als Vorbild dienen. Wie im Alten Testament sollten diese darauf ausgerichtet sein, den in der Heiligen Schrift offenbarten göttlichen Willen zu erkennen und zu verwirklichen. Damit kamen die Bibeldramen den Forderungen der Reformatoren in der Schweiz und in Oberdeutschland entgegen, das ganze Leben auf die Erfüllung des göttlichen Willens auszurichten. Der Bearbeitungsschwerpunkt von Bircks Dramen liegt auf der Darstellung eines religiösen Gemeinwesens und seinen innenpolitischen Angelegenheiten. Entsprechend wählt er aus den alttestamentlichen und apokryphen Stoffen jene Teile aus, die hierfür geeignet sind, und sparte andere Teile entweder aus oder ließ sie in Botenberichten zusammenfassen. Der Unterschied zwischen alttestamentlichen und apokryphen Stoffen spielte für Bircks Bewertung bei der Ausarbeitung der Stoffe durchaus eine Rolle: Während die kanonischen Bücher ausschließlich als Beispiele für durchweg vorbildliche Staatswesen oder Herrscher dienen (Ezechias, Joseph), stellen seine Dramatisierungen apokrypher Stoffe das Versagen der weltlichen Obrigkeit in den Mittelpunkt, wie in den Susanna- und den Judithdramen. Dieses Versagen muss schließlich von einem Propheten (dem jungen Joseph) oder von einer frommen Witwe (Judith) ausgeglichen werden, die positive Exempelfiguren im Gegensatz zur Obrigkeit darstellen. Eine Ausnahme ist das Zorobabeldrama, dessen Titelfigur
7.2 Rahmentexte/Binnentexte
283
das erstrebenswerte Beispiel eines weisen und gottesfürchtigen Herrscherberaters verkörpert. Wie vor allem das Josephsdrama zeigt, lieferte Birck in seinen Dramentexten teilweise auch Anleitungen für typologische Deutungsverfahren der alttestamentlichen Figuren. So sollte etwa die Josephsfigur als eine Präfiguration Jesu Christi verstanden werden. An dieser typologischen Deutungsweise zeigt sich, dass die jüdischen Gemeinwesen in Bircks Dramenadaptationen einer christlichen Respublica bereits aufgrund ihrer Organisation mit Gott an der Spitze als Vorbild dienen sollten. Die Werte und Normen in diesem republikanischen Gemeinwesen waren christlich – wozu auch die im Alten Testament überlieferten zehn Gebote zu zählen sind. Daneben führten die Rahmentexte auch pagane Philosophen und Autoren aus der griechischen und römischen Antike, besonders häufig Plato, als moralische Autoritäten an, deren Tugendlehren auch in einem christlichen Gemeinwesen Geltung haben sollten. Ein Vergleich der Dramen in der von Johannes Nysaeus angegebenen Reihenfolge ihrer Entstehung zeigt eine Entwicklung der noch stark monologisch geprägten ersten beiden Dramen hin zu kürzeren Figurenreden und einer stärkeren Dialogisierung der Spauspiele ab dem Basler Susannadrama. Die ursprüngliche Motivation Bircks zum Verfassen von Dramen bestand wohl in einer Verbreitung und Veranschaulichung biblischer Geschichten, während bei den späteren Dramen eine Identifikation der Zuschauer mit den rechtgläubigen Dramenfiguren und teilweise auch eine Identifikation unterschiedlicher Zuschauergruppen mit verschiedenen Dramenfiguren wichtiger wurde.
7.2 Rahmentexte/Binnentexte Während sich Birck in den Binnentexten eng an die biblischen Vorlagen hält, gibt er in den voran- und nachgestellten Rahmentexten Anleitungen zum Verständnis der Dramenhandlungen – dazu zählen auch die Hinweise auf eine typologische Deutung der alttestamentlichen Josephsfigur als eine Präfiguration Jesu Christi. In den Prologen und Epilogen, die i. d. R. dafür vorgesehen waren, in Versform von einem Ausrufer (Ernhold) auf der Bühne gesprochen zu werden, nennt Birck auch Argumente zur Legitimierung von Dramenaufführungen, was darauf schließen lässt, dass es zeitgenössische Kritik an Bühnenaufführungen gab, oder dass Birck aufgrund der ablehnenden Haltung der Kirchenväter verunsichert war. Als Argument für die Inszenierung von Bibeldramen führte Birck u. a. an, diese stellten eine unterhaltsame Ergänzung zur Predigt dar. In den Rahmentexten werden Rezipienten – unterteilt in Gruppen nach Stand, Alter und Funktion im Gemeinwesen – adressiert. Da vom Rhatsherrn bis zur Hausmagd und zum Sol-
284
7 Fazit
daten alle Stände angesprochen werden, kann man annehmen, dass die Stücke für eine Aufführung vor einem breiten, ständisch gemischten Publikum vorgesehen waren. Der Prolog- bzw. Epilogsprecher gibt diesen Gruppen jeweils unterschiedliche Anweisungen, welche Lehre sie aus der jeweiligen Dramenhandlung ziehen sollten, um ihrer Rolle im christlichen Gemeinwesen gerecht zu werden. Wie unterschiedlich die Vorbildfunktion derselben Dramenfigur für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen der Respublica christiana sein kann, zeigt der Epilog des volkssprachlichen Judithdramas besonders eindrücklich, in dem Judiths Tapferkeit Männern zum Vorbild dienen soll, Frauen aber nicht. Die Rahmentexte ermahnen die Rezipienten, die christlichen Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung) zu beachten oder sie führen – wie in der Augsburger Vorrede zum volkssprachlichen Judithdrama – Philosophen aus der griechischen Antike, in diesem Falle Platon, als Autoritäten für tugendhaftes Verhalten an. Explizite Hinweise auf den aktuellen zeitgenössischen Bezug der Dramen geben nur die Rahmentexte – und auch hier bleibt Birck vorsichtig, insbesondere, wenn es sich um den Bezug zu Gruppen mit einem anderen christlichen Bekenntnis handelt als einem evangelischen – so werden Täufer und Altgläubige nie explizit genannt, sondern höchstens vorsichtig umschrieben. Die Dramen vermieden damit jede Form konfessioneller Polemik. Dagegen werden die ‚heidnischen‘ Türken als zeitgenössisches Pendant zu den alttestamentlichen Assyrern zumindest in den in Augsburg entstandenen Rahmentexten ausdrücklich benannt. Die Widmungsreden in Prosa, die nur den lateinischen Dramenübersetzungen vorangestellt sind, gleichen programmatischen Schriften, in denen Birck etwa Forderungen in Bezug auf zeitgenössische Themen stellt, wenn er Eintracht der Christen im Vorgehen gegen die Türken (Judith) oder eine fundierte humanistische Ausbildung nicht nur für Geistliche, sondern auch für die zukünftige Elite im säkularen Staatsdienst (Susanna) fordert. Innerhalb der Binnentexte verzichtete Birck auf explizite Stellungnahmen zu zeitgenössischen Themen. Die in den Dramen enthaltenen biblisch begründeten Aussagen über Aufbau und Funktionsweisen eines christlichen Gemeinwesens mit Gott als höchster Instanz sollten so allgemeine Gültigkeit besitzen. Mit einem Austausch der Rahmentexte konnten die Dramenhandlungen ohne weiteres aktualisiert und einem veränderten politischen Kontext oder den veränderten Ansprüchen einer anderen Rezipientengruppe angepasst werden, wie das Beispiel des in Basel und des später in Augsburg entstandenen Prologs zum volkssprachlichen Judithdrama zeigt.
7.2 Rahmentexte/Binnentexte
285
7.2.1 Die politische Praxis in der Respublica christiana Konsensgestütze Herrschaft Das auffälligste Merkmal aller in Bircks Bibeldramen dargestellten Gemeinwesen ist die konsensgestützte Herrschaft im Gegensatz zur Einherrschaft – sie macht das republikanische Moment der Respublica christiana aus. Selbst die Könige Ezechias, Darius (Zorobabel) und Nebucadnezar (in der lateinischen Susanna) treffen ihre Entscheidungen nicht als Alleinherrscher. Sie folgen vielmehr den Beschlüssen ihrer Berater, die nach denselben Prinzipien zu einem Ergebnis gelangen wie die Rhatsherren in der Stadtrepublik Bethulia (Judith) und die Urtelsprecher im Gericht von Babylon (Susanna). Alle diese Abstimmungen verlaufen nach demselben Muster: Ein Vorsitzender, der selbst keine Stimme abgibt, beruft die Sitzungen ein und stellt den Mitgliedern eine Frage, auf die jeder Stimmberechtigte antwortet und seine Argumente für und wider anführt. Herrscht keine Einstimmigkeit unter den Abstimmenden, so liefern die Ratsmitglieder eine Reihe von Argumenten, die sich entweder dialektisch gegenüberstehen oder die unterschiedliche Aspekte des Gegenstands beleuchten. Am Ende reicht die einfache Mehrheit der bis zu zwölf Stimmberechtigten, um einen Beschluss durchzusetzen. Der Vorsitzende verkündet das Ergebnis der Abstimmung. Im Gegensatz zu dieser konsensgestützten republikanischen Herrschaftsform steht die Tyrannei eines Alleinherrschers, wie etwa die Nebucadnezars im Judithdrama oder die Sanheribs in Ezechias. Die Darstellung von Ratssitzungen, mit denen Birck regelmäßig von den biblischen Vorlagen abweicht, ist ein geeignetes Mittel, um eine Pluralisierung von Meinungen innerhalb eines Gemeinwesens abzubilden. Die Pluralisierung von (religiösen) Auffassungen und Bekenntnissen war eine Erfahrung, die Städte wie Basel und Augsburg in den 1520er und 1530er Jahren prägte, als Altgläubige, Evangelische und Anhänger radikaler reformatorischer Strömungen nebeneinander existierten. Die Abstimmungsrunden in den Bibeldramen bilden eine solche Pluralisierung und Heterogenität innerhalb einer Bürgerschaft ab. Die Respublica christiana in Bircks Schauspielen war jedoch nicht darauf ausgerichtet, verschiedene Meinungen gleichberechtigt nebeneinander bestehen zu lassen – vielmehr sollten den Rezipienten Verfahren gezeigt werden, wie sich unter den pluralen Argumenten die eine Wahrheit finden lasse, die – so Bircks Auffassung – den Willen Gottes darstelle. Die Wahrheit lässt sich am sichersten im Konsens erkennen, wie die einstimmigen Beschlüsse der Räte mit dem ‚richtigen‘ Endergebnis zeigen. Ein weiteres Verfahren, um zur Wahrheit und damit zum göttlichen Wille zu gelangen, ist der Vergleich eines Gegenstandes mit historischen Parallelen. Das zeigen die Argumente der Ratsmitglieder, die eine ‚richtige‘, gottgefällige Meinung vertreten. Die chronologische Reihenfolge beachtend, führen die Figuren in Bircks alttestamentlichen Dramenadaptationen ausschließlich Bei-
286
7 Fazit
spiele aus dem Alten Testament, vornehmlich aus der Genesis, an.Wie auch in der philosophia Christi des Erasmus beschrieben, kann sich christliche Wahrheit nur in der Verbindung von Glauben und dem consensus menschlicher Klugheit ausdrücken. Die Kenntnis der Heiligen Schrift unter den Stimmberechtigten, ihr Glauben an Gott und die Einstimmigkeit in den Beschlüssen führen in den Dramen zur Wahrheit, die dem göttlichen Willen entspricht.
Die Aufgaben eines weltlichen Amtsträgers und das Verhältnis zu den Geistlichen Aus diesem Anspruch an die Mitglieder der Obrigkeit, mit einer fundierten Kenntnis der Heiligen Schrift und tiefem Glauben zur christlichen Wahrheit zu gelangen, ergibt sich ein spezifisches Ideal eines weltlichen Amtsträgers, seiner Ausbildung und seiner Aufgaben. Wie besonders das Ezechiasdrama und das Judithdrama fordern, ist die weltliche Obrigkeit in einer Respublica christiana verantwortlich für die Durchsetzung des ‚richtigen‘ Glaubens, Gottesdienstes und der Kontrolle des religiösen Lebens. Das Josephsdrama nennt die Voraussetzungen und die Anforderungen an die Ausbildung, um ein guter weltlicher Herrscher zu werden. Joseph ist von hoher familiärer Abstammung, genießt eine humanistische Ausbildung in den artes liberales und lebt im tiefen, vertrauenden Glauben auf Gottes Beistand – dies sind die Voraussetzungen dafür, dass ihn die göttliche Inspiration zu einem besonders weisen und weitsichtigen Herrscher und Berater des Königs werden lässt. Die Vorteile einer Philosophenherrschaft nach Platon stellt das Zorobabeldrama dar, in dem der Leibpage alle Berater des König Darius mit seiner von Gott eingegeben Weisheit beeindruckt. Wie von dem Basler Reformator Johannes Oekolampad gefordert, haben die Geistlichen und das weltliche Regiment in einem christlichen Gemeinwesen getrennte Aufgabenbereiche. Das wird besonders im Judithdrama deutlich, in dem der Hohepriester Eliakim als Berater der Führungsschicht von Bethulia auftritt, um den göttlichen Willen richtig zu deuten. Anschließend kehrt er zurück nach Jerusalem – die Aufgabe, den Willen Gottes zu verwirklichen, liegt fortan in den Händen des säkularen Stadtregiments. Den Geistlichen kommt demnach lediglich eine beratende Funktion zu, wenn es darum geht, den göttlichen Willen richtig zu deuten – Aufgabe der weltlichen Obrigkeit ist es, diesen zu verwirklichen. Abgesehen von diesem Beispiel machen die Dramen keine Angaben zu der Rolle, die dem geistlichen Stand in einer christlichen Respublica zukommen soll. Ausführlich stellen die Schauspiele stattdessen die Aufgaben der weltlichen Obrigkeit dar, der in dem Gemeinwesen eine Schlüsselrolle beim Erreichen des höchsten Ziels – den Willen Gottes auf Erden zu verwirklichen – zukommt. Von diesem Schwerpunkt lässt sich ableiten, dass sich der Autor mit seinem dramatischen Werk in
7.2 Rahmentexte/Binnentexte
287
erster Linie an die Obersten von Basel und Augsburg richtete bzw. damit seine Schüler auf eine Laufbahn im Staats- und Verwaltungsdienst vorbereiten wollte. Ihnen kommt in einem christlichen Gemeinwesen die Aufgabe zu, allein den ‚rechten‘ Gottesdienst zuzulassen und jede Form von ‚Götzentum‘ zu unterbinden. In den Susannadramen besteht die Aufgabe der Richter darin, das Gesetz des Mose – und damit die göttliche Gerechtigkeit – in der Welt durchzusetzen. Wenn die Obrigkeit versagt, wie in den Stücken Susanna und Judith, dann deswegen, weil sie sich von Äußerlichkeiten blenden lässt (Susanna) bzw. weil sie die Bürger zu äußerlichen Zeremonien anhält, statt sie mit tiefem, inneren Glauben zu erfüllen (Judith), wie es ihre Aufgabe wäre. Joseph dagegen zeichnet sich durch sein Gottvertrauen, seine Bildung und seine göttliche Inspiration als besonders vorbildlicher Herrscher und Berater aus, da er in der Lage ist, die göttlichen Anweisungen auf Erden zum Wohl des ganzen Landes richtig zu deuten und umzusetzen. Mit diesen positiven und negativen Beispielen für ein weltliches Regiment grenzt Birck die von ihm entworfene Respublica christiana u. a. auch von den Ansichten der Altgläubigen und den Täufern ab. Während die Evangelischen den Altgläubigen ein ‚leeres‘ Zeremonienwesen ohne inneren Glauben vorwarfen, vertraten die Täufer die Ansicht, ein wahrhaft gläubiger Christ könne kein weltliches Amt ausüben.
7.2.2 Bildung Die Ratsmitglieder, die die ‚richtigen‘ Ansichten vertreten, argumentieren häufig mit dem Verweis auf andere Stellen im Alten Testament. Dadurch vermitteln die Dramen die Botschaft, eine genaue Kenntnis der Heiligen Schrift würde dazu beitragen, die ‚richtigen‘ politischen Entscheidungen für eine Respublica christiana zu treffen, mit denen der göttliche Wille auf Erden erfüllt werde. Diesem Bildungsauftrag, insbesondere die Obrigkeit solle über fundierte Kenntnisse der Heiligen Schrift verfügen, kommen die Bibeldramen Sixt Bircks nach, indem sie Kenntnisse von den alttestamentlichen und apokryphen Büchern vermitteln. Im Josephsdrama lässt sich bei der Interpretation des Binnentextes im Hinblick auf die politische Dimension des Dramas feststellen, dass eine humanistische Ausbildung in den Freien Künsten die richtige Erziehung für einen späteren Herrscherberater und Verwalter darstellt und dass ein von Gott inspirierter Herrscher weitsichtiger handeln kann als die vier gelehrtesten, aber nicht inspirierten Herrscherberater. In den Rahmentexten warnt der Eernhold seine Zuschauer und Leser vor jenen Zeitgenossen, die Christentum und weltliches Herrscheramt für nicht vereinbar halten – was damals, wie gezeigt, auf die gerade in Augsburg sehr aktiven Täufer zutraf.
288
7 Fazit
7.2.3 Antike Form, biblischer Inhalt Birck schreibt in seiner Vorrede zur volkssprachlichen Susanna, der Ursprung des Theaters liege bei den Heyden, gemeint ist die Dramentradition der antiken Griechen und Römer, mit denen der Autor aufgrund seiner humanistischen Ausbildung bestens vertraut gewesen sein dürfte. An der antiken Theatertradition der Heiden kritisiert Birck allerdings, damals hätten Laster im Mittelpunkt gestanden – in seinen Dramen sei es nun Gottesfurcht. Birck imitiert somit die antike Form des Dramas, wenn er seine volkssprachlichen Stücke in Szenen mit Chorgesängen unterteilt, besonders aber in seinen lateinischen Dramen, die nach dem antiken römischen Fünf-Akt-Schema aufgebaut sind. Gleichzeitig beabsichtigte Birck, die Theatertradition der ‚Heiden‘ nicht bloß zu adaptieren, sondern auch zu übertreffen, da er die antike Form ausschließlich mit biblischen Inhalten füllte. Birck erfüllt damit das in der Frühen Neuzeit zentrale poetologische Prinzip von imitatio, verbunden mit einer Christianisierung der Inhalte. Auch die Chorgesänge haben eine biblische Vorlage in den Psalmen; teilweise wurden sie von Sixt Birck selbst umgedichtet, teilweise handelt es sich um bekannte Kirchenlieder zeitgenössischer Kirchmusiker. Die vom Autor selbst abgefassten Psalmgesänge sind in sapphischen Odenstrophen gedichtet – auch hier verfolgt Birck konsequent sein Prinzip, antike Formen mit biblischen Inhalten zu füllen. Die Chorgesänge kommentieren die Handlung auf einer Metaebene oder weisen auf den weiteren Handlungsverlauf voraus. Häufig stellen die Chorgesänge kollektive Klagen der Choreuten über Missstände dar, die in der Dramenhandlung offenbar werden – Gott wird angerufen, diese zu ändern. In wenigen Fällen ist angegeben, welche Dramenfigur die Strophen singt, i. d. R. sind die Choreuten jedoch nicht benannt. Nicht alle Chorgesänge sind im Dramentext abgedruckt. Neben den Chorgesängen zwischen Szenen und Akten können auch im Akt Gesänge vorgetragen werden, wie etwa das weltliche Lied, das ein Spilmann im Lager der Assyrer singt und darin Holofernes vor Judiths bevorstehender Tat warnt. Wie im volkssprachlichen Susannadrama angegeben, konnte der Chorgesang von Orgelspiel begeleitet werden. Gerade bei Kirchenliedern, die allgemein bekannt waren, ist es denkbar, dass das Publikum in den Gesang, begleitet von einer Orgel, einstimmte. Wie Birck selbst schreibt, war das Theater somit nicht bloß eine Ergänzung zum Gottesdienst, sondern es enthielt auch liturgische Elemente wie den Gemeindegesang im Gottesdienst.
7.2 Rahmentexte/Binnentexte
289
7.2.4 Die Dramen im Verhältnis zu anderen Theatertraditionen und zeitgenössischen Schauspielen In den Rahmentexten, insbesondere in den Prologen, werden die Bibeldramen durch Stoff und Zielsetzung der Schauspiele von vorreformatorischen weltlichen Fastnachtspielen abgegrenzt. Die Bibeldramen erscheinen hier als der christliche und damit ‚heilige‘ Gegensatz zu profanen vorreformatorischen Theatertraditionen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Bibeldramen aufgrund ihres Aufführungstermins zur Fastnachtzeit – wie aus der Vorrede dieser Tragoedi zur deutschen Judith und aus der Motivik des Zorobabeldrama hervorgeht – geradezu die Funktion haben, das gewohnte Theaterspiel zur Fastnacht zu ersetzen. Die Bibeldramen kamen damit nicht umhin, sich zu den Fastnachtspielen zu positionieren und auf die Erwartungen der Zuschauer einzugehen, sei es, indem sie die Erwartungen erfüllten oder sei es, indem sie sich bewusst von vergangenen Spieltraditionen abgrenzten. Auch wenn einige charakteristische Themen des weltlichen Fastnachtspiels in den Bibeldramen aufgegriffen werden – z. B. Geschlechterverhältnis und Ehe, ständische Ordnung und gesellschaftliche Konflikte sowie religiöse Ausgrenzung – unterscheiden sich die Verfahren der Auseinandersetzung mit diesen Themen im Fastnachtspiel und im Bibeldrama doch erheblich voneinander. Im Gegensatz zum Fastnachtspiel handelt das Bibeldrama die Antworten auf gesellschaftliche Fragen auf der Projektionsfläche alttestamentlicher und apokrypher Stoffe aus, ohne dass dabei Elemente der Verkehrung eingesetzt würden. Als positive Merkmale der ‚neuen‘ Spiele werden besonders die Sakralität der biblischen Stoffe, ihre Historizität und die in ihnen vermittelten christlichen Tugenden hervorgehoben. In die Dramenhandlung baute Birck bisweilen komische Szenen und Scherze ein, um den Unterhaltungswert der Spiele zu steigern – diese reichen jedoch bei weitem nicht an die derben und obszönen Späße eines weltlichen Fastnachtspiels heran. Deutlicher wird die Verbindung zu Fastnachtspielen in der Motivik des Reihenspiels, insbesondere im Zorobabeldrama.
7.2.5 Differenzen der Augsburger Übersetzungen im Unterschied zu den Basler Spielen Allein bei dem volkssprachlichen Susannadrama kann eine Überarbeitung des Textes in Augsburg ausgeschlossen werden, weshalb ein Vergleich dieses Textes mit der in Augsburg angefertigten lateinischen Übersetzung besonders geeignet ist, um typische Bearbeitungstendenzen der Basler und Augsburger Dramenadaptationen auszumachen. Ebenso bieten sich die beiden Vorreden zum volkssprachlichen Judithdrama für
290
7 Fazit
einen solchen Vergleich an. Der Vergleich der beiden Susannadramen sowie der beiden Vorreden hat gezeigt, dass sich Birck in Augsburg auf die Anforderungen des Schultheaters einstellte. Am deutlichsten wird dies bei den lateinischen Selbstübersetzungen der volkssprachlichen Dramentexte, die ausschließlich Bircks Schülern und einem gelehrten Publikum zugänglich waren. Doch auch die Widmungsvorrede An ain jungen Burgerschafft zeigt, dass sich Birck auch mit der Überarbeitung der volkssprachlichen Dramentexte an Schüler wandte. Dafür sprechen u. a. der Hinweis auf den antiken griechischen Philosophen Platon und seine Tugendlehre, wonach Reichtum die Sitten gefährde. Der Philosoph eignete sich sicherlich weniger, um ein ständisches Publikum auf einem öffentlichen Platz anzusprechen, und auch die Mahnung war vermutlich auf die Patriziersöhne des Augsburger St. Anna-Gymnasiums zugeschnitten. Im lateinischen Susannadrama fällt auf, dass auch die ‚heidnischen‘ Götter der griechischen und römischen Antike genannt werden, die nur unter Gelehrten bekannt waren. In den Abstimmungsrunden der Richter werden ‚falsche‘ Positionen ausführlicher dargestellt, da Birck diesem Publikum eher zutraute, ‚schändliche‘ Ansichten als solche zu erkennen. Der auffälligste Unterschied zwischen den Gemeinwesen, in denen die beiden Susannadramen spielen, ist die Tatsache, dass im lateinischen Susannadrama ein König auftritt, der historisch korrekt Nebucadnezar heißt. Mit diesem Eingriff passte Birck das Stück dem Augsburger Kontext an, indem er auf die Präsenz Kaiser Karls V. einging. Selbst König Nebucadnezar regiert in Bircks Drama allerdings – genau wie König Ezechias – nach dem Prinzip der konsensgestützten Herrschaft, wenn er die Mehrheitsbeschlüsse seiner Berater befolgt.
7.3 Résumé Die konsensgestützte christlich-reformierte Respublica christiana ist als ein eklektisches Modell zu chrakterisieren, das Verfahren zur Verwaltung eines Gemeinwesens aus dem Alten Testament, aus der paganen Antike und aus der zeitgenössischen politischen Praxis vor der Einführung der Reformation einbezieht, um daraus jene Verfahrensweisen abzuleiten, die am besten zur Umsetzung des göttlichen Willens in einem christlichen Gemeinwesens beitragen sollen. Alle diese Verfahren, selbst wenn sie aus der paganen antiken Staats-, Rechts- oder Morallehre übernommen sind, werden in Bircks Dramen durch das Alte Testament und seine Apokryphen begründet. Sixt Birck und seine Bibeldramen sind damit ein Beispiel für ein humanistisches, reformatorisches Gemeinwesen, das in Anlehnung an die Theologie der Schweizer und oberdeutschen Reformatoren darauf ausgerichtet ist, den Willen Gottes nach dem Vorbild des alttestamentlichen
7.3 Résumé
291
Volkes Israel auf Erden zu verwirklichen. Die Bibel wird so zur Grundlage eines christlich begründeten Republikanismus – ihre Kenntnis wird zur Voraussetzung, um ein weltliches Amt optimal ausführen zu können. Durch das Medium des Theaters versuchte der Schulmeister Birck, seinen Beitrag zu leisten, um das Gemeinwesen zu verbessern, indem er allen Ständen einer solchen Bürgerschaft die biblischen Stoffe näherbrachte und ihnen ihre Rolle in der Respublica christiana bewusst macht.
Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen ADB
Allgemeine Deutsche Biographie, hg. durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde. Berlin 1875 – 1912 [Nachdruck: Berlin 1967– 1971]. AGBR Dürr, Emil (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519 bis Anfang 1534, 6 Bde. Basel 1921– 1950. ASD ‚Amsterdamer Ausgabe‘ = Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami recognita et adnotatione critica instructa notisque illustrata. Amsterdam 1969 ff. CBQ The Catholic Biblical Quarterly CWE Erasmus von Rotterdam: Collected Works of Erasmus, hg. von Richard J. Schoeck [u. a.], 86 Bde. Toronto [u. a.] 1974 ff. Die Bibel/Einheitsübersetzung Die Bibel. Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen. Stuttgart 1980. EAS Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden, lateinisch und deutsch, hg. von Werner Welzig. Darmstadt 42006. Ez Ezechias = Sixt Birck: Sämtliche Dramen, hg. von Manfred Brauneck (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 67), Bd. 1. Berlin [u. a.] 1969, S. 1– 23. FS Festschrift Grimm DWb Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, 17 Bde. Leipzig 1854– 1971. HBW II Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel. Zürich 1973 ff. HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von Albrecht Cordes, 5 Bde. Berlin 1971– 1998. IASL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur JuD Judith Deutsch = Sixt Birck: Sämtliche Dramen, hg. von Manfred Brauneck (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 67), Bd. 2. Berlin [u. a.] 1976, S. 55 – 165. Jos Joseph = Ebd., Bd. 1. Berlin [u. a.] 1969, S. 71– 158. 2 Killy Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Berlin [u. a.] 2008 – 2012. LexMA Lexikon des Mittelalters 3 LThK Lexikon für Theologie und Kirche, hg. von Walter Kaspar [u. a.], 11 Bde., Freiburg [u. a.] 1993 – 2001. LuJ Luther-Jahrbuch
Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen
NDB
293
Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 23 Bde. Berlin 1953 – 2013. NF Neue Folge 4 RGG Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. von Hans Dieter Betz [u. a.], 8 Bde. Tübingen 42008. RLW Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. von Harald Fricke [u. a.], 3 Bde. Berlin 1997– 2003. SH Sonderheft SusD Susanna Deutsch = Sixt Birck: Sämtliche Dramen, hg. von Manfred Brauneck (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 67), Bd. 2. Berlin [u. a.] 1976, S. 1– 53. SusL Susanna Latein = Ebd., S. 167– 272. TLL Thesaurus Linguae Latinae. Editus Auctoritate et Consilio Academiarum Quinque Germanicarum. Lipsiae 1900 ff. TRE Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause [u. a.], 36 Bde. Berlin [u. a.] 1998 f. UTB Uni-Taschenbücher VL 16 Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620, Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, hg. von Wilhelm Kühlmann [u. a.]. Berlin [u. a.] 2011 f. VL Humanismus Franz Josef Worstbrock (Hg.): Deutscher Humanismus 1480 – 1520. Verfasserlexikon, 2 Bde. Berlin [u. a.] 2008 – 2013. Vul Biblia Sacra. Iuxta Vulgata Versionem. Tomus I: Genesis-Psalmi. Adiuvantibus Bonifatio Fischer OSB, Iohanne Gribomont OSB, H. F. D. Sparks, W. Thiele. Stuttgart 1969. WA „Weimarer Ausgabe“: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, I. Abteilung: Werke. Weimar 1883 – 2009. WA Tr Dgl. II. Abteilung: Tischreden. Weimar 1912– 1921. WA DB Dgl. III. Abteilung: Die deutsche Bibel. Weimar 1906 – 1961. ZB Zürcher Bibel = Die gantze Bibel der vrsprünglichen Ebraischen vnd Griechischen waarheyt nach / auffs aller treüwlichest verteütschet. Getruckt z Zürich bey Christoffel Froschauer / im Jar als man zalt M. D. XXXI [Nachdruck Zürich 1983]. ZfdPh Zeitschrift für Deutsche Philologie Zor Sixt Birck: Sämtliche Dramen, hg. von Manfred Brauneck (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 67), Bd. 1. Berlin [u. a.] 1969, S. 26 – 69.
Literaturverzeichnis Bibelausgaben und Hilfsmittel Biblia Sacra. Iuxta Vulgata Versionem. Tomus I: Genesis-Psalmi, hg. von Bonifatius Fischer OSB [u. a.]. Stuttgart 1969. Die Bibel. Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen. Stuttgart 1980. Die gantze Bibel der vrsprünglichen Ebraischen vnd Griechischen waarheyt nach / auffs aller treüwlichest verteütschet. Getruckt z Zürich bey Christoffel Froschauer / im Jar als man zalt M. D. XXXI [Nachdruck: Zürich 1983]. Georges, Karl Ernst: Ausführliches deutsch-lateinisches Handwörterbuch, 2 Bde. Hannover 81913 [Nachdruck: Darmstadt 2003]. Lehmann, Paul: Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert. In Gemeinschaft mit den Akademien der Wissenschaften zu Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, Wien und der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, hg. von d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 6 Bde. München 1959 ff. Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 6. Weimar 1929. Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 7. Weimar 1931. Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, Bd. 12, Weimar 1961. Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer. Stuttgart 2009.
Primärliteratur Anonymus: Ein kurtz und seer schön spil/von der Gotfrchtigen und keuschen frawen Susanna. Nürnberg: Kunigunde Hergot [um 1535]. Anonymus: Ein schn Biblisch Spyl/beide lehrhafft und lustig/Judith genent. Newlich z Strasburg durch ein Junge Burgerschafft z gemeiner besserung offentlich gespilet/im jar 1564. Straßburg: Thiebolt Berger 1564. Amerbach, Bonifacius/Amerbach, Johannes: Die Amerbachkorrespondenz, hg. von Alfred Hartmann/Beat Rudolf Jenny, 10 Bde. Basel 1942 – 1991. Aristoteles: Politik. Übers. u. mit Anm. versehen von Eugen Rolfes. Mit einer Einleitung von Günther Bien. Hamburg 1990. Berliner Weltgerichtsspiel. Augsburger Buch vom Jüngsten Gericht. Ms. Germ. fol. 722 der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Abbildung der Handschrift mit einer Einleitung und Texttranskription, hg. von Ursula Schulze (= Litterae 114). Göppingen 1991. Birck, Sixt: DIe history von der from(m)en Gottsfrchtigen frouwen Susanna/Im M.CCCCC.XXXII. Jar/offentlich inn Mindren Basel/ durch die jungen Burger gehaltenn. Basel: Thoman Wolff 1532.
Primärliteratur
295
Birck, Sixt: Susanna Comœdia tragica […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1537 [Nachdruck 1541]. Birck, Sixt: Ezechias. Ain nutzliche kurtze Tragedi. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1538 [Nachdruck 1539]. Birck, Sixt: Susanna Comoedia Tragica […]. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. 1538. Birck, Sixt: Susanna Comoedia Tragica […]. Köln: Johann Gymnich I. 1538 [Nachdruck 1539]. Birck, Sixt: De Vera Nobilitate Orationes Duae à duobus Iuvenibus nobilem puellam ambientibus apud Senatum Romanu(m) habitae, autore Bonagarso Pistoriense Iureconsulto, et suae aetatis Oratore clarißimo. Tota Rei Actio In Ludi […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1538. Birck, Sixt: Ioseph. Ain sundere lustige Comedy auß der herrlichen Hystori des Ersten bchs Mosi gezogen/wie der von seinen brdern verkaufft/da von seines Herren frawen deß Ehbruchs halbe(n) flschlich verklagt. Und endtlich von dem Künig inn hohe wirdigkait gesetzt ward. Mit vil nutzparlicher leeren außgesprayt […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1539. Birck, Sixt: Iudith. Ain Nutzliche History/durch ain Herrliche Tragoedi/in spilßweiß für die augen gestelt/Dienlichen/Wie man in Kriegßleüffen/besonders so man von der ehr Gots wegen angefochten wirt/umb hilff z Gott dem Herren flehend rffen soll […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1539. Birck, Sixt.: Zorobabel. Ain Herrliche Tragoedi auß dem dritten Bch Eßdre gezogen. Jn wellichem on andere merckliche nutzbarkait/sonderlich erlernet würt/wie fürstendig es sey/so die Fürsten vnd Oberen die verthdinger der Gttlichen warhait erhalten/und das ain Gotsliger nach Ehren un(d) würdigkait stellen mge […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1539. Birck, Sixt: Iudith Drama Comicotragicum. Exemplum Reipublice rectè institutae. Unde discitur, quomodo arma co(n)tra Turcam sint capienda […]. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. o. J. Birck, Sixt: Comoediae ac Tragoediae aliquot ex novo et Vetere Testamento desumptae […] Susanna Comœdia Tragica […]. Basel: Nikolaus Brylinger 1540. Birck, Sixt: In M. T. Ciceronis libros de Officijs, De Amicitia, De senectute, Commentaria longe eduditissima, nunc(que) in lucem edita. Basel: Johannes Oporinus 1544. Birck, Sixt: ΣΙΒΥΛΛΙΑΚΩΝ ΧΡΗΣΜΩΝ ΛΟΓΟΙ ΟΚΤΩ. Sibyllinorum Oraculorum Libri octo, multis hucus(que) seculis abstrusi, nunc(que) primum in lucem editi […]. Basel: Johannes Oporinus 1545. Birck, Sixt: Ein schn geystlich Spyl/von der from(m)en und Gottsfrchtigen Frouwen Susanna/Gott z lob/und allen frommen Frouwen vnd Jungfrouwen z eeren und bestendigkeit jrer künschheit. Yetzund gemeert/gebessert/und mit vil schnen figuren gezieret. Zürich: Augustin Fries 1545. Birck, Sixt: ΣΥΜΦΩΝΙΑΝ Η ΣΥΛΛΕΞΙΣ ΤΗΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΤΗΣ ΚΑΙΝΗΣ […] Novi Testamenti Concordantiae graecae, opus magno usui omnibus Sacrarum scripturarum vere studiosis futurum […]. Basel: Johannes Oporinus 1546. Birck, Sixt: Eva. Mythologia Philippi Melanchthonis redacta in Actionem ludicram […]. In: Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […] (tomus primus). Basel: Johann Oporinus 1547. Birck, Sixt: Iudith. Drama Comicotragicum. Exemplum Reipublice Rectè Institutæ. Unde discitur, quomodo arma co(n)tra Turcam sint capienda. In: Dramata Sacra. Comoediae
296
Literaturverzeichnis
atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae […] (tomus secundus). Basel: Johannes Oporinus 1547. Birck, Sixt: Sapientia Solomonis. Drama Comicotragicum […]. In: Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […] (tomus secundus). Basel: Johann Oporinus 1547. Birck, Sixt: Susanna Comoedia Tragica […] additum est in fine Carmen […] Iohannis Stigelij piae et foelicis memoriae de ordinatione Magistratus. Wittenberg: Peter Seitz d. J. 1564. Birck, Sixt: Sämtliche Dramen, hg. von Manfred Brauneck, 3 Bde. (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 67). Berlin [u. a.] 1969 – 1980. Birck, Sixt: Iudith. Ain Nutzliche History/durch ain herrliche Tragœdi/in spilßweiß für die augen gestelt/Dienlichen/Wie man in Kriegßleüfften/besonders so man von der ehr Gots wegen ange fochten wirt/umb hilff z Gott dem Herren flehend rffen soll […]. Augsburg: Philipp Ulhart d. Ä. 1539. In: Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts, hg. von Hellmut Thomke (= Bibliothek der frühen Neuzeit 2). Frankfurt/M. 1996, S. 213 – 325. Blaurer, Ambrosius/Blaurer, Thomas [u. a]: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer 1509 – 1548, bearb. v. Traugott Schieß, hg. von der Badischen Historischen Kommission, Bd. 2: August 1538 – Ende 1548. Freiburg i. Br. 1910. Bullinger, Heinrich: Heinrich Bullinger Werke. Zweite Abteilung: Briefwechsel, hg. von Zwingliverein Zürich, 15 Bde. Zürich 1973 – 2013. Bullinger, Heinrich: Ein schn Spil von der geschicht der Edlen Rmerin Lucretiae/unnd wie der Tyrannisch künig Tarquinius Superbus von Rhom vertriben/und sunderlich von der standhafftigkeyt Iunij Bruti/des Ersten Consuls z Rhom/uff Sontag den andern tag Mertzens/jm 1533 jar/z Basel gehallten. Getruckt z Basel/by Thoman Wolff. Anno M. CCCCC. XXXIII. In: Heinrich Bullinger/Hans Sachs: Lucretia-Dramen, hg. von Horst Hartmann (= Textausgaben). Leipzig 1973, S. 38 – 97. Bullinger, Heinrich: Studiorum ratio – Studienanleitung, hg. von Peter Stotz (= Heinrich Bullinger Werke/Sonderband), 2 Teilbde. Zürich 1987. Colpe, Carsten/Holzhausen, Jens (Hgg.): Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung, Darstellung und Kommentierung in drei Teilen, Bd. 1: Die griechischen Traktate und der lateinische ‚Asclepius‘. Übers. u. eingeleitet von Jens Holzhausen (= Clavis Pansophiae 7.1). Stuttgart [u. a.] 1997. Cortés, Hernán: Ferdinandi Cortesii. Von dem Newen Hispanien/so im Meer gegem Nidergang/Zwo gantz lustige unnd fruchtreiche Historien […].Transferiert/in Hochteütsche sprach von Xysto Betuleio un(d) Andrea Diethero von Augspurg/baiden daselbst gemainer Statt Lateinischen Schlmaistern. Augsburg: Philipp Ulhard d. Ä. 1550. Dramata Sacra. Comoediae atque Tragoediae aliquot è Veteri Testamento desumptae, quibus praecipuae ipsius historiae ita eleganter in scenam producuntur […], 2 Bde. Basel: Johann Oporinus 1547. Erasmus von Rotterdam: […] Opera Omnia. Emendatiora et auctiora, ad optimas editiones, praecipue quas ipse Erasmus postremo curavit, summa fide exacta, doctorumque virorum notis illustrata. Recognovit Joannes Clericus, tomus 2: Complectens Adagia, Leiden 1703 [Nachdruck: Hildesheim 1961]. Erasmus von Rotterdam: Opus Epistolarum […], Bd. 6: 1525 – 1527, hg. von Percy S. Allen/Heathcote William Garrod [u. a.]. Oxonii 1926.
Primärliteratur
297
Erasmus von Rotterdam: Opera Omnia Desiderii Erasmi Roterodami. Recognita et adnotatione critica instructra notisque illustrate. Amsterdam [u. a.] 1969 – 2013. Erasmus von Rotterdam: Collected Works of Erasmus, Bd. 8: The Correspondance of Erasmus. Letters 1122 to 1251. 1520 to 1521, übers. v. R. A. B. Mynors, mit Anm. versehen von Peter G. Bietenholz. Toronto [u. a.] 1988. Erasmus von Rotterdam: Collected Works of Erasmus, Bd. 39: Colloquies, übers. u. kommentiert v. Craig R. Thompson. Toronto [u. a.] 1997. Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden, lateinisch und deutsch, hg. von Werner Welzig. Darmstadt 42006. Frischlin, Nicodemus: Susanna, Comoedia nova, sacra et lectu iucunda at(que) utilis: in qua foeminei pudoris exemplum proponitur: scripta à Nicodemo Frischlino Poëta Coronato, Comite Palatino Caesareo. Tübingen: Alexander Hock 1578. Gast, Johannes: Das Tagebuch des Johannes Gast. Ein Beitrag zur Schweizerischen Reformationsgeschichte. Im Auftrag der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft in Basel, bearb. von Paul Burckhardt. Basel 1964. Gengenbach, Pamphilus: Der Nollhart. Disz sind die prophetien sancti Methodij vnd Nollhardi. welche von wort z wort nach jnhalt der matery vnd anzeigu(n)g der figure(n) sind gespilt worden jm.xvc.vnd.xvij. Jor/uff der herren fastnacht von ettlichen ersamen vnd geschickte(n) Burgeren einer loblichen stat Basel. Basel: Pamphilus Gengenbach 1517. Gengenbach, Pamphilus: Der Nollhart. Genauer Abdruck des Textes von 1517 mit den Holzschnitten des Originals, bearb. v. Violanta Uffer (= Schweizer Texte 1). Bern [u. a.] 1977. Gengenbach, Pamphilus: Die Gouchmatt. Ein schn kurtzweilig unnd nutzlich Faßnachtspiel, gedicht zu ehren dem Ehestand, wider die snd des Ehebruchs, und Unkeuscheit. Etwan gespielt von etlichen Ehrsamen Burgern einer lblichen Statt Basel. Straßburg: Christian Müller d. J. (Erben) 1582. Greff, Joachim: Tragoedia des Buchs Iudith jnn Deudsche Reim verfasset durch/Ioachi. Greff. von Zwickaw/nuetzlich zu lesen. Wittemberg: Georg Rhau 1536. In: Ronald William Walker: Joachim Greff′s „Tragoedia des Buchs Iudith“. Text Edition and Introduction to the Text. Phil. Diss. [masch.] Ohio 1978, S. 100 – 223. Gwalther, Rudolf: Argumenta Omnium tam Veteris Quam Novi Testamenti, Capitum: Elegiaco Carmine conscripta […]. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. 1543. Hebel, Samuel: Ein Spil von der Belegerung der Statt Bethulia/und wie sie Gott wunderlich durch ain Witfraw Judith genant/die Holofernem den bersten Hauptman im Lger umbracht/erlset hat/ntzlich und lustig zu lesen/in Reym beschrieben […]. Wien: Caspar Stainhofer 1566. In: Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts nebst Luthers Vorrede zum Buch Judith, hg. von Martin Sommerfeld (= Literaturhistorische Bibliothek 8). Berlin 1933, S. 70 – 100. Hessus, Helius Eobanus: De vera nobilitate. Et priscis Germanorum moribus […]. [Erfurt: Matthes Maler um 1515]. Horaz: Ars poetica/Die Dichtkunst, hg., übers. u. mit einem Nachwort von Eckart Schäfer. Stuttgart 1972. Josephus, Flavius: Jewish Antiquities Books IX – XI with an English Translation by Ralph Marcus. London 1950 [Nachdruck: Cambridge u. a. 1995]. Josephus, Flavius: Contra Apionem Buch I: Einleitung, Text, textkritischer Apparat, Übersetzung und Kommentar v. Dagmar Labow. Stuttgart 2005.
298
Literaturverzeichnis
Josephus, Flavius: Antiquitates Iudaïces: URL: http://egora.uni-muenster.de/ijd/pubdata/Antiq_I-II.pdf, letzter Zugriff: 2. 12. 2013. Jud, Leo: Disz sind die bcher Die bey den alten vnder Biblische gschrifft nit gezelt sind/ auch bey den Ebreern nit gefunden. Neüwlich widerumb durch Leo Jud verteütschet […]. Zürich: Froschauer, Christoph d. Ä. 1529. Kreutz, Matthaeus: Ein kurtzweilige und lustige Comedi/uß der Historien Susanne: Darynn angezeigt wyrt wie ma(n)cherley list der Theufel braucht das er Ehleuten leydt zufüge. Alle(n) liebhaberen des Ehestands nutzlich zu lesenn. Köln: Jaspar von Gennep 1552. Lactantius, Lucius: L. Coelii Lactantii Firmiani Opera, quæ quidem extant, omnia: […]. Accesserunt Xysti Betuleii Augustani pia ac erudite commentaria, nunc primum in lucem edita. Basel: Heinrich Petri 1563. Leu, Urs B./Scheidegger, Christian (Hgg.): Das Schleitheimer Bekenntnis 1527. Einleitung, Faksimile, Übersetzung und Kommentar. Zug 2004. Luther, Martin: De captivitate Babylonica ecclesiae. In: WA 6 (1888), S. 497 – 573. Luther, Martin: Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können. In: WA 19 (1897), S. 616 – 662. Luther, Martin: Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei. In: WA 11 (1900), S. 245 – 281. Luther, Martin: De servo arbitrio. In: WA 18 (1908), S. 551 – 787. Luther, Martin: Vom Kriege widder die Türcken. In: WA 30.2 (1914), S. 81 – 148. Luther, Martin: Eine Heerpredigt widder den Trcken. In: WA 30.2 (1914), S. 160 – 197. Luther, Martin: Die deutschen geistlichen Lieder, hg. von Gerhard Hahn. Tübingen 1967. Oekolampad, Johannes: Quod non sit onerosa christianis confessio, paradoxon […]. Basel: Andreas Cratander 1521. Oekolampad, Johannes: Ein sonderliche lere un(d) beweru(n)g das die beicht aine(m) Christenmenschen nitt burdlich oder schwer sey […]. Augsburg: Sigmund Grimm u. Marx Wirsung 1521. Oekolampad, Johannes: In Iesaiam prophetam hypomnematωn, hoc est, Commentariorum, Ioannis Oecolampadii, Libri VI. Basel: Andreas Cratander 1525. Pantaleon, Heinrich: Prosopographiae Herorum atque illustrium virorum totius Germaniae, Pars Secunda. In hac personarum descriptione omnium tam armis et autoritate, quàm literis & religione totius Germaniae celebrium virorum Vitae & res praeclarè gestae bona fide referuntur […]. Basel: Nikolaus Brylinger 1565. Platon: Sämtliche Werke, Bd. 2: Lysis, Symposion, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros. Übers. v. Friedrich Schleiermacher, hg. von Ursula Wolf. Reinbeck bei Hamburg 332011. Rebhun, Paul: Ein Geistlich spiel/vo(n) der Gotfurchtigen un(d) keuschen Frawen Susannen/gantz lustig und fruchtbarlich zu lesen. Zwickau: Wolfgang Meyerpeck d. Ä. 1536. Ryff, Fridolin: Chronik des Fridolin Ryff 1514 – 1541. In: Basler Chroniken, Bd. 1, hg. von Wilhelm Vischer/Alfred Stern. Leipzig 1872, S. 1 – 229. Schmeltzl, Wolfgang: Comoedia Judith gehalten z Wienn jn Osterreych […] Jn dem 1542 […]. Wien: Johann Singriener d. Ä. 1542. Schroeder, Friedrich-Christian (Hg.): Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von 1532 (Carolina). Stuttgart 2000. Wackernagel, Philipp (Hg.): Das deutsche Kirchenlied. Von der ältesten Zeit bis zum Anfang des XVII. Jahrhunderts. Mit Berücksichtigung der deutschen kirchlichen Liederdichtung im
Sekundärliteratur
299
weiteren Sinn und der lateinischen von Hilarius bis Georg Fabricius und Wolfgang Ammonius, 5 Bde. Leipzig 1864 – 1877 [Nachdruck: Hildesheim u. a. 1990]. Zwingli, Huldrich: Schriften, hg. von Thomas Brunnschweiler/Samuel Lutz, 4 Bde. Zürich 1995.
Sekundärliteratur van Abbé, Derek: Drama in Renaissance Germany and Switzerland. London 1961. Augustijn, Cornelis: Art. „Erasmus, Desiderius“. In: TRE 10 (1982), S. 1 – 18. Augustijn, Cornelis: Erasmus – Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer (= Studies in Medieval and Reformation thought 59). Leiden [u. a.] 1996. Bach, Inka/Galle, Helmut: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker NF 95). Berlin [u. a.] 1989. Baechtold, Jakob: Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz. Frauenfeld 1892. Bautz, Friedrich Wilhelm (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, 34 Bde. Hamm 1975 – 2013. Beck, Hugo: Das genrehafte Element im deutschen Drama des XVI. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu den Wechselbeziehungen zwischen Dichtung und Malerei (= Germanische Studien 66). Berlin 1929. Becker-Cantarino, Barbara: Gewalt und Leidenschaft. Zu Sixt Bircks und Martin Opitz’ Judith. In: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Johann Anselm Steiger (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43), Bd. 2. Wiesbaden 2005, S. 720 – 735. Beise, Arnd: Geschichte, Politik und das Volk im Drama des 16. bis 18. Jahrhunderts. Berlin [u. a.] 2010. Benzing, Josef: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 12). Wiesbaden 21982. Beyer, Hartmut/Meier, Christel [u. a.] (Hgg.): Akteure und Aktionen. Figuren und Handlungstypen im Drama der Frühen Neuzeit (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 23). Münster 2008. Beyer, Franz-Heinrich: Eigenarten und Wirkung des reformatorisch-polemischen Flugblatts im Zusammenhang der Publizistik der Reformationszeit (= Mikrokosmos 39). Frankfurt/M. [u. a.] 1994. Bieberstein, Klaus: Geschichten sind immer fiktiv – mehr oder minder. Warum das Alte Testament fiktional erzählt und erzählen muss. In: Bibel und Liturgie 75 (2002), S. 4 – 13. Bleuler, Anna Kathrin/Jonietz, Fabian [u. a.] (Hgg.): Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450 – 1620) (= Pluralisierung & Autorität 27). Berlin [u. a.] 2011. Bohn, Volker (Hg.): Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik. Frankfurt/M. 1988. Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne: Geschichte des europäischen Theaters, Bd. 1. Stuttgart 1993. Brecht, Martin: Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483 – 1521. Stuttgart 21983. Brecht, Martin: Luther und die Türken. In: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. von Bodo Guthmüller u. Wilhelm Kühlmann (= Frühe Neuzeit 54). Tübingen 2000, S. 9 – 27. Bremer, Kai: Gottes Kraft und das „schwache Weib“. Judith auf der Bühne der frühen Neuzeit. In: Das Buch, ohne das man nichts versteht. Die kulturelle Kraft der Bibel, hg. von Georg
300
Literaturverzeichnis
Steins u. Franz Georg Untergaßmair (= Vechtaer Beiträge zur Theologie 11). Münster 2005, S. 87 – 100. Bremer, Kai: Religiöse Dimension, Geschlechtlichkeit und politisches Moment. Zu Sixt Bircks Judith. In: Daphnis 35 (2006), S. 321 – 334. Brückner, Wolfgang: Populäre Druckgraphik Europas: Deutschland. Vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. München 1975. Brunner, Horst (Hg.): Dulce bellum inexpertis: Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts (= Imagines medii aevi 11). Wiesbaden 2002. Burckhardt, L. August: Geschichte der dramatischen Kunst zu Basel. Basel 1893. Burghartz, Susanna: Ehen vor Gericht. Die Basler Ehegerichtsprotokolle im 16. Jahrhundert. In: Eine Stadt der Frauen. Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (13.–17. Jh.), hg. von Heide Wunder. Basel [u. a.] 1995, S. 167 – 187. Burghartz, Susanna: Geschlecht – Körper – Ehre. Überlegungen zur weiblichen Ehre in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Basler Ehegerichtsprotokolle. In: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiber/Gerd Schwerhoff (= Norm und Struktur 5). Köln [u. a.] 1995, S. 214 – 234. Büsser, Fritz: Art. „Bullinger, Heinrich“. In: TRE 7 (1981), S. 375 – 387. Campi, Emidio: Brutus Tigurinus. Aspekte des politischen und theologischen Denkens des jungen Bullinger. In: Geschichten und ihre Geschichte, hg. von Therese Fuhrer/Kaspar Howald. Basel 2004, S. 145 – 174. Casey, Paul F.: The Susanna Theme in German Literature. Variations of the Biblical Drama (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 214). Bonn 1976. Cummings, Brian: The Literary Culture of the Reformation: Grammar and Grace. Oxford [u. a.] 2002. Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas, Bd. 3. Halle/S. 21923. Danneberg, Lutz: Art. „Kontext“. In: RLW 2 (2000), S. 333 – 336. DeCoursey, Matthew: Three Interpretations of the Lesbian Rule in Early Modern Europe. In: Notes and Queries 58.2 (2011), S. 293 – 295. Delius, Walter: Art. „Jonas, Justus“. In: NDB 10 (1974), S. 593 f. Dellsperger, Rudolf: Art. „Musculus, Wolfgang“. In: NDB 18 (1997), S. 627 f. Denk, Rudolf: Mehrfache Spiegelung: zum deutsch-lateinischen Schultheater im Umkreis Martin Luthers. In: Zugänge zu Martin Luther: Ringvorlesung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zum Lutherjahr 1996, hg. von Reinhard Wunderlich. Frankfurt/M. [u. a.] 1997, S. 129 – 144. Dietl, Cora: Die Dramen Jacob Lochers und die frühe Humanistenbühne im süddeutschen Raum (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 37). Berlin [u. a.] 2005. Dilg, Peter: Art. „Cordus Euricius“. In: VL Humanismus 1 (2008), Sp. 470 – 496. Dingel, Irene (Hg.): Justus Jonas (1493 – 1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation. Leipzig 2009. Dürr, Emil (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519 bis Anfang 1534, 6 Bde. Basel 1921 – 1950. von Eisenhart, August Ritter: Art. „Sichardt, Johannes“. In: ADB 34 (1892), S. 143 – 146. Ehrstine, Glenn: Theater, Culture, and Community in Reformation Bern, 1523 – 1555 (= Studies in Medieval and Reformation Thought 85). Leiden [u. a.] 2002. Ehrstine, Glenn: Performing the Protestant Reformation. In: Medieval Drama. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, hg. von John C. Coldewey. London 2007, S. 197 – 240.
Sekundärliteratur
301
Ehrstine, Glenn: Aufführungsort als Kommunikationsraum. Ein Vergleich der fastnächtlichen Spieltradition Nürnbergs, Lübecks und der Schweiz. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, hg. von Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 83 – 98. Elschenbroich, Adalbert: Art. „Kolroß, Johannes“. In: NDB 12 (1979), S. 477 f. Erdmann, Carl: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart 1935. Fromholzer, Franz: Gefangen im Gewissen. Evidenz und Polyphonie der Gewissensentscheidung auf dem deutschsprachigen Theater der Frühen Neuzeit (= Ethik – Text – Kultur 8). München 2013. Fuchs, Franz (Hg.): Osmanische Expansion und europäischer Humanismus. Akten des interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. Mai 2003 im Stadtmuseum Wiener Neustadt. Wiesbaden 2005. Fuchs, Walther Peter: Das Zeitalter der Reformation (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 8). München 1999. Fudge, Thomas A.: Icarus of Basel? Oecolampadius and the Early Swiss Reformation. In: Journal of Religious History 21 (1997), S. 268 – 284. Füglister, Hans: Handwerksregiment: Untersuchungen und Materialien zur sozialen und politischen Struktur der Stadt Basel in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (= Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 143). Basel [u. a.] 1981. Gäbler, Ulrich: Art. „Oekolampad, Johannes (1482 – 1531)“. In: TRE 25 (1995), S. 29 – 36. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt/M. 1989. Gertz, Jan Christian (Hg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. Göttingen 32009. Gewerbemuseum Basel (Hg.): Johannes Froben und der Basler Buchdruck des 16. Jahrhunderts. Ausstellung im Gewerbemuseum Basel aus Anlass der 500-Jahrfeier der Universität Basel; 19. Juni bis 24. Juli 1960. Basel 1960. Gillet, Joseph Eugene: Über den Zweck des Schuldramas in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. In: The Journal of English and Germanic Philology 17 (1918), S. 69 – 78. Gilmore, Myron Piper: Argument from Roman Law in Political Thought 1200 – 1600 (= Harvard Historical Monographs 15). New York 1941. Goedeke, Karl: Grundrisz zur Geschichte der Deutschen Dichtung aus den Quellen, Bd. 2: Das Reformationszeitalter. 2., ganz neu bearb. Aufl. Dresden 1886. Goez, W.: Art. „Zwei-Schwerter-Lehre“. In: LexMA 9 (1998), Sp. 725 f. Graf, Klaus: Art. „Marschalk von Pappenheim, Matthäus“. In: VL Humanismus 2 (2013), Sp. 204 – 210. Grant, Michael/Hazel, John: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. Aus dem Englischen von Holger Fließbach. Berlin 2009. Greco-Kaufmann, Heidy: Vor rechten lütten ist guot schimpfen. Der Luzerner Marcolfus und das Schweizer Fastnachtspiel des 16. Jahrhunderts (= Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700). Bern [u. a.] 1994. Greco-Kaufmann, Heidy: Inszenierte Politik? Versuch einer Verortung der Luzerner Fastnachtspiele im Kontext theatraler Aktivitäten in der frühneuzeitlichen Stadt. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, hg. von Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 99 – 114.
302
Literaturverzeichnis
Grubmüller, Klaus: Fabel, Exempel, Allegorese. Über Sinnbildungsverfahren und Verwendungszusammenhänge. In: Exempel und Exempelsammlungen, hg. von Walter Haug/Burghart Wachinger (= Fortuna Vitrea 2). Tübingen 1991, S. 58 – 76. Guderian, Hans: Die Täufer in Augsburg. Ihre Geschichte und ihr Erbe. Ein Beitrag zur 2000-Jahr-Feier der Stadt Augsburg. Pfaffenhofen 1984. Guggisberg, Hans R.: Basel in the Sixteenth Century. Aspects of the City Republic before, during, and after the Reformation. St. Louis 1982. Guggisberg, Hans R.: Tolerance and Intolerance in Sixteenth-Century Basle. In: Tolerance and Intolerance in the European Reformation, hg. von Ole Peter Grell/Bob Scribner. Cambridge 1996, S. 145 – 163. Günther: Art. „Voegelin, Johannes“. In: ADB 40 (1896), S. 142 f. Haag, Ernst: Art. „Judit, Judithbuch“. In: 3LThK 5 (1996), Sp. 1054 f. Hagemann, Hans-Rudolf: Art. „Basel“. In: HRG 1 (1971), Sp. 453 – 455. Hagemann, Hans-Rudolf: Basler Rechtsleben im Mittelalter, 2 Bde. Basel 1981 u. 1987. Hall, Stuart George: Art. „Typologie“. In: TRE 34 (2002), S. 208 – 224. Hartfelder, Karl: Art. „Stigel, Johann“. In: ADB 36 (1893), S. 228 – 230. Hartmann, Alfred: Art. „Amerbach, Bonifacius“. In: ADB 1 (1875), S. 247. Hartmann, Alfred: Art. „(Birk) Sixt (Xystus Betul[e]ius)“. In: NDB 2 (1995), S. 256. Hauschild, Wolf-Dieter: Art. „Gnade IV“. In: TRE 13 (1985), S. 476 – 495. Hehl, Ernst-Dieter: Politische Träume und Visionen im Mittelalter. In: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven, hg. von Annette Gerok-Reiter/ Christine Walde. Berlin 2012, S. 197– 215. Hermelink, Heinrich: Die Matrikeln der Universität Tübingen, Bd. 1. Stuttgart 1906. Heusler, Andreas: Basels Gerichtswesen im Mittelalter (= 100. Neujahrsblatt der Gesellschaft zur Förderung des Guten und Gemeinnützigen). Basel 1922. Hieronymus, Frank: En Basileia polei tēs Germanias. Griechischer Geist aus Basler Pressen. Universitätsbibliothek Basel 4. Juli bis 22. August 1992. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – 28. Januar bis 6. März 1993. Gutenberg-Museum, Mainz 8. Juni bis 29. August 1993 (= Publikationen der Universitätsbibliothek Basel 15). Basel 1992. Hieronymus, Frank: Art. „Conrad Schnitt“. In: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D18743.php, letzter Zugriff: 25. 4. 2014. Holstein, Hugo: Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 14). Halle 1886. Holzem, Andreas: Die Wissensgesellschaft der Vormoderne. Die Transfer- und Transformationsdynamik des ‚religiösen Wissens‘. In: Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität, hg. von Klaus Ridder/Steffen Patzold (= Europa im Mittelalter 23). Berlin 2013, S. 233 – 265. Honold, Alexander: Beispielgebend. Die Bibel und ihre Erzählformen. In: Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, hg. von Steffen Martus/Andrea Polaschegg (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, NF 13). Bern [u. a.] 2006, S. 395 – 414. Hörauf-Erfle, Ulrike: Wesen und Rolle der Frau in der moralisch-didaktischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Frankfurt/M. [u. a.] 1991. Huber-Rebenich, Gerlinde/Lütkemeyer, Sabine: Art. „Hessus, Helius Eobanus“. In: VL Humanismus 1 (2008), Sp. 1066 – 1122.
Sekundärliteratur
303
Hundeshagen, Karl Bernhard: Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte und Kirchenpolitik insbesondere des Protestantismus, Bd. 1. Wiesbaden 1864. Immenkötter, Herbert/Wüst, Wolfgang: Augsburg, Freie Reichsstadt und Hochstift. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1600, hg. von Anton Schindling/Walter Ziegler, Bd. 6: Nachträge. Münster 1996, S. 8 – 35. Janning, Volker: Der Chor im neulateinischen Drama. Formen und Funktionen (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 7). Münster 2005. Jenny, Beat R.: Humanismus und städtische Eliten in Basel im 16. Jahrhundert. In: Humanismus und höfisch-städtische Eliten im 16. Jh, hg. von Klaus Malettke/Jürgen Voss. Bonn 1990, S. 319 – 360. Jung, Martin H.: Christen und Juden. Die Geschichte ihrer Beziehungen. Darmstadt 2008. Junghans, Helmar: Justus Jonas und die Erfurter Humanisten. In: Justus Jonas (1493 – 1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, hg. von Irene Dingel (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 11). Leipzig 2009, S. 15 – 37. Jürgens, Heiko: Pompa Diaboli. Die Bekanntschaft der lateinischen Kirchenväter mit dem antiken Theaterwesen. Stuttgart 1972. Kämmel, Otto: Art. „Nesen, Wilhelm“. In: ADB 23 (1886), S. 438 – 441. Kantorowicz, Ernst H.: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur Politischen Theologie des Mittelalters. Aus dem Amerikanischen übers. von Walter Theimer. München 1990. Kaufmann, Thomas: Geschichte der Reformation. Frankfurt/M. [u. a.] 2009. Kaufmann, Thomas: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 67). Tübingen 2012. Keller, Hagen: „Kommune“: Städtische Selbstregierung und mittelalterliche „Volksherrschaft“ im Spiegel italienischer Wahlverfahren des 12.–14. Jahrhunderts. In: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag, hg. von Gerd Althoff/Dieter Geuenich [u. a.]. Sigmaringen 1988, S. 573 – 616. Kettler, Wilfried: Trewlich ins Teütsch gebracht. Lateinisch-deutsches Übersetzungsschrifttum im Umkreis des schweizerischen Humanismus. Bern [u. a.] 2002. Kindermann, Heinz: Theatergeschichte Europas, Bd. 2: Das Theater der Renaissance. Salzburg 1959. Kipf, Klaus: ›Tyrann‹ und ›Tyrannei‹. Die Einbürgerung eines politischen Diskurses in die deutsche Sprache und Literatur (14.–17. Jahrhundert). In: Wort – Begriff – Diskurs. Deutscher Wortschaftz und europäische Semantik, hg. von Heidrun Kämper/Jörg Kilian (= Sprache – Politik – Gesellschaft 7). Bremen 2012, S. 31 – 48. Kirchgässner, Bernhard/Becht, Hans-Peter (Hgg.): Stadt und Theater (= Stadt in der Geschichte 25). Stuttgart 1999. Kisch, Guido: Erasmus’ Stellung zu Juden und Judentum. Tübingen 1969. Kleinschmidt, Erich: Stadt und Literatur in der frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum (= Literatur und Leben, NF 22). Köln [u. a.] 1982. Köberlin, Karl: Geschichte des Humanistischen Gymnasiums bei St. Anna in Augsburg von 1531 bis 1931. Zur Vierhundertjahrfeier der Anstalt. Augsburg 1931.
304
Literaturverzeichnis
Koenigsberger, Helmut G.: Republiken und Republikanismus in der Frühen Neuzeit. Kolloquium zum Thema „Republiken und Republikanismus in der frühen Neuzeit in Europa“ vom 6. bis 9. Mai 1985 in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 1988. Kornhardt, Hildegard: Exemplum. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie. Göttingen 1936. Kruschwitz, Peter: Terenz. Hildesheim 2004. Kühlmann, Wilhelm: Der Poet und das Reich – Politische, kontextuelle und ästhetische Dimensionen der humanistischen Türkenlyrik in Deutschland. In: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. von Bodo Guthmüller/Wilhelm Kühlmann (= Frühe Neuzeit 54). Tübingen 2000, S. 193 – 248. Kühn, Ulrich: Art. „Sola fide“. In: 3LThK 9 (2000), Sp. 701 f. Kuhn, Thomas Konrad: Art. „Oekolampad, Johannes“. In: ADB 19 (1884), S. 435 – 436. Kuhr, Olaf: „Die Macht des Bannes und der Buße“. Kirchenzucht und Erneuerung der Kirche bei Johannes Oekolampad (1482 – 1531) (= Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie 68). Bern [u. a.] 1999. Künast, Hans-Jörg/Müller, Jan-Dirk: Art. „Peutinger, Conrad“. In: NDB 20 (2001), S. 282 – 284. Lähnemann, Henrike: Hystoria Judith. Deutsche Judithdichtungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert (= Scrinium Friburgense 20). Berlin [u. a.] 2006. Lähnemann, Henrike: Art. „Birck, Sixt“. In: VL 16 1 (2011), Sp. 268 – 275. Lebeau, Jean: Salvator Mundi. L′›Exemple‹ de Joseph dans le Théâtre allemand au XVIe siècle, 2 Bde. Nieuwkoop 1977. Lebeau, Jean: Sixt Bircks „Judith“ (1539), Erasmus und der Türkenkrieg. In: Daphnis 9 (1980), S. 679 – 698. Leppin, Volker: Das Theater als Kanzel. Beobachtungen zu einer absichtsvollen Bemerkung Lessings. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 96 (1999), S. 77 – 93. Leppin, Volker: Humanismus und Mönchtum. Überlegungen zu ihrer Bedeutung für ein Verständnis der Wittenberger Reformation. In: Reformation und Mönchtum. Aspekte eines Verhältnisses über Luther hinaus, hg. von Athina Lexutt. Tübingen 2008, S. 79 – 102. Leppin, Volker: Art. „Hut, Hans“. In: 4RGG 3 (2008), Sp. 1964 f. Leppin, Volker: Martin Luther (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance). Darmstadt 2 2010. Levinger, Helene: Augsburger Schultheater (= Theater und Drama 2). Berlin 1931. von Liliencron, Rochus: Die Chorgesänge des lateinisch-deutschen Schuldramas im XVI. Jahrhundert. In: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 6 (1890), S. 309 – 387. Lüdeke, Roger/Richter, Virginia (Hgg.): Theater im Aufbruch. Das europäische Drama der Frühen Neuzeit (= Theatron 53). Tübingen 2008. MacCulloch, Diarmaid: Die Reformation. 1490 – 1700. Aus dem Englischen von Helke Voß-Becher/Klaus Binder [u. a.]. München 2008. Mager, Wolfgang: Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt. In: Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft, hg. von Luise Schorn-Schütte (= HZ, Beihefte NF 39). München 2004, S. 13 – 122. Maissen, Thomas: Die Eidgenossen und das Augsburger Interim. Zu einem unbekannten Gutachten Heinrich Bullingers. Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, hg. von Luise Schorn-Schütte (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 202). Gütersloh 2005, S. 76 – 104.
Sekundärliteratur
305
Maissen, Thomas: Die Geburt der Republic: Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft (= Historische Semantik 4). Göttingen 2008. Mau, Rudolf: Luthers Stellung zu den Türken. In: Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, hg. von Helmar Junghans. Göttingen 1983, Bd. 1, S. 647 – 662 u. Bd. 2, S. 956 – 966. McGrath, Alister E.: Christianity′s Dangerous Idea. The Protestant Revolution – A History from the Sixteenth Century to the Twenty-First. New York 2007. Mecky Zaragoza, Gabrijela: Virgo und Virago. Zwei frühneuzeitliche Judith-Figuren im Vergleich. In: Daphnis 31 (2002), S. 107 – 126. Meier, Christel/Meyer, Heinz [u. a.] (Hgg.): Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 4). Münster 2004. Meier, Ulrich/Schreiner, Klaus: Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften. In: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von dens. (= Bürgertum 7). Göttingen 1994, S. 11 – 34. Menz, Cäsar/Wagner, Hugo (Hgg.): Niklaus Manuel Deutsch. Maler, Dichter, Staatsmann. Bern 1979. Messerschmid, Ernst: Sixtus Birck (1500 – 1554). Ein Augsburger Humanist und Schulmeister zur Zeit der Reformation. Ein Beitrag zur Geschichte des höheren Schulwesens im Zeitalter der Reformation. [Diss. masch.] Augsburg 1923. Metz, Detlef: Das protestantische Drama. Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter. Köln [u. a.] 2013. Meyer, Helmut: Der Zweite Kappeler Krieg. Die Krise der Schweizerischen Reformation. Zürich 1976. Michael, Wolfgang F.: Das deutsche Drama der Reformationszeit. Bern 1984. Michalski, Sergiusz: Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht. In: Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Bob Scribner (= Wolfenbütteler Forschungen 46). Wiesbaden 1990, S. 69 – 124. Moeller, Bernd: Reichsstadt und Reformation. Bearbeitete Neuausgabe. Berlin 1987. Müller, Jan-Dirk: Präsenz des Heils und der Repräsentation. Zur Alterität des Geistlichen Spiels (mit einem Nachwort zu anderen Formen des mittelalterlichen ‚Dramas‘). In: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren, hg. von Anja Becker/Jan Mohr (= Deutsche Literatur. Studien und Quellen 8). Berlin 2012, S. 263 – 284. Mulsow, Martin/Mahler, Andreas (Hgg.): Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte. Berlin 2010. Mulsow, Martin/Stamm, Marcello (Hgg.): Konstellationsforschung (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1736). Frankfurt/M. 2005. Münkler, Marina/Röcke, Werner (Hgg.): Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1). München [u. a.] 2004. Nagler, Johannes: Die Geltung der Carolina in Basel. Festschrift zur Feier des 450-jährigen Bestehens der Universität Basel. Basel 1910, S. 35 – 109. Nitschke, Thomas: Einführung in die politische Theorie der Prämoderne 1500 – 1800 (= Die Politikwissenschaft). Darmstadt 2011. Nordemann, Theodor: Zur Geschichte der Juden in Basel. Jubiläumsschrift der Israelitischen Gemeinde Basel aus Anlass des 150jährigen Bestehens. Basel 1955. Ohly, Friedrich: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977.
306
Literaturverzeichnis
Opitz, Peter: Art. „Bullinger, Heinrich“. In: VL 16 1 (2011), Sp. 396 – 404. Osterkamp, Ernst: Judith. Schicksale einer starken Frau vom Barock zur Biedermeierzeit. In: Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, hg. von Steffen Martus/Andrea Polaschegg (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, NF 13). Bern [u. a.] 2006, S. 171 – 195. Otto, Eckart: Art. „Talion – III. Deutungen“. In: RGG 8 (2008), Sp. 19 f. Parente, James A.: Religious Drama and the Humanist Tradition. Christian Theater in Germany and in the Netherlands 1500 – 1680. Leiden [u. a.] 1987. Pfister, Manfred: Das Drama. Theorie und Analyse. München 1982. Pfeiffer, Judith: Exempelfiguren in den Judithdramen des 16. Jahrhunderts. Verhalten im Bedrohungsfall zwischen der Konfessionalisierung und den Türkenkriegen bei Sixt Birck, Joachim Greff und Samuel Hebel [unveröffentl. Mag.-Arb.]. München 2010. Pfrunder, Peter: Pfaffen, Ketzer, Totenfresser. Fastnachtskultur der Reformationszeit. Die Berner Spiele von Niklaus Manuel. Zürich 1989. Pilger, Robert: Die Dramatisierungen der Susanna im 16. Jahrhundert. In: ZfdPh 11 (1879), S. 129 – 217. Polheim, Karl Konrad: Studien zum Volksschauspiel und mittelalterlichen Drama. Mit einer Fotodokumentation. Paderborn [u. a.] 2002. Purdie, Edna: The Story of Judith in German and English Literature (= Bibliothèque de la revue de littérature comparée 39). Paris 1927. Rädle, Fidel: Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 16 (1997), S. 41 – 60. Rädle, Fidel: Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit. In: Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, hg. von Christel Meier/Heinz Meyer [u. a.] (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 4). Münster 2004, S. 265 – 288. Ragotzky, Hedda: Art. „Fastnachtspiel“. In: RLW 1 (1997), S. 568 – 572. Reed, A. W.: Sixt Birck and Henry Medwall: De vera nobilitate. In: The Review of English Studies 2.8 (1926), S. 411 – 415. Reinhard, Wolfgang (Hg.): Augsburger Eliten des 16. Jahrhunderts. Prosopographie wirtschaftlicher und politischer Führungsgruppen 1500 – 1620. Berlin 1996. Reisenleitner, Markus: Frühe Neuzeit: Reformation und Gegenreformation. Darstellung – Forschungsüberblick – Quellen und Literatur (= Handbuch zur neueren Geschichte Österreichs 1). Innsbruck [u. a.] 2000. Ridder, Klaus: Fastnachtstheater. Städtische Ordnung und fastnächtliche Verkehrung. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, hg. von dems. Tübingen 2009, S. 65 – 81. Roper, Lyndal: The Holy Household. Women and Morals, in Reformation Augsburg. Oxford 1989. Roth, Friedrich: Augsburgs Reformationsgeschichte, Bd. 1. München 21901. Roth, Friedrich: Die Maßregelung der Augsburger Schulmeister wegen des Interims am 31. 8. 1551. In: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 15 (1909), S. 217 – 227. Roth, Friedrich: Der markgräfliche Kanzler Dr. Hieronymus Fröschel und sein Bericht über seine Kämpfe gegen die Konkordie und die Ansbacher Konkordisten (1577 und 1578). In: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 17 (1911), S. 49 – 70 und S. 105 – 123.
Sekundärliteratur
307
Roth, Friedrich: Der Augsburger Jurist Dr. Hieronymus Fröschel und seine Hauschronik von 1528 – 1600. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 38 (1912), S. 1 – 82. Rude, Adolf: Die bedeutendsten Evangelischen Schulordnungen des 16. Jahrhunderts nach ihrem pädagogischen Gehalte (= Pädagogisches Magazin 32). Bad Langensalza 1893. Rüger: Hans-Peter: Art. „Apokryphen – I. Apokryphen des Alten Testaments“. In: TRE 3 (1995), S. 289 – 362. Röll, Walter: Art. „Pellikan, Konrad“. In: VL Humanismus 2 (2013), Sp. 421 – 434. Schade, Richard Erich: Studies in Early German Comedy 1500 – 1650. Columbia 1988. Schade, Richard Erich: Art. „Schultheater“. In: RLW 3 (2003), S. 403 – 405. Scheible, Heinz: Die Reform von Schule und Universität in der Reformationszeit. In: LuJ 66 (1999), S. 237 – 262. Scheitler, Irmgard: Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Materialteil (= Würzburger Beiträge zur Musikforschung 2.1). Tutzing 2013. Scherer, W.: Art. „Birck: Sixt B.“. In: ADB 2 (1875), S. 656 f. Schmidbauer, Richard: Die Augsburger Stadtbibliothekare durch vier Jahrhunderte (= Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 10). Augsburg 1963. Schnabel-Schüle, Helga: Der große Unterschied und seine kleinen Folgen. In: Krisenbewusstsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit, hg. von Monika Hagenmeier/Sabine Holtz. Frankfurt/M. [u. a.] 1992, S. 197 – 214. Schnell, Johannes: Rechtsquellen von Basel. Stadt und Land, Bd. 1,1. Basel 1856. Schöberl, Josef Franz: Über die Quellen des Sixtus Birck. [Diss. masch.] Leipzig 1919. Schorn-Schütte, Luise (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft (= Historische Zeitschrift, Beihefte, NF 39). München 2004. Schorn-Schütte, Luise: Die Reformation. Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung (= C. H. Beck Wissen). München 42006. Schorn-Schütte, Luise: Intellektuelle in der Frühen Neuzeit (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 39). Berlin 2010. Schornbaum, Karl (Hg.): Quellen zur Geschichte der (Wieder)Täufer 2, Markgrafentum Brandenburg (Bayern 1. Abt.) (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 16). Leipzig 1934. Schottenloher, Otto: Erasmus und die Respublica Christiana. In: HZ 210 (1970), S. 295 – 323. Schreiner, Klaus: Abecedarium. Die Symbolik des Alphabets in der Liturgie der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kirchweihe. In: „Das Haus Gottes, das seid Ihr selbst“. Mittelalterliches und barockes Kirchenverständnis im Spiegel der Kirchweihe, hg. von Ralf M. W. Stemmberger/Claudia Sticher [u. a.]. Berlin 2006, S. 143 – 188. Schulz, Georg Michael/Weimar, Klaus: Art. „Chor“. In: RLW 1 (1997), S. 301 – 304. Seebaß, Gottfried: Müntzers Erbe: Werk, Leben und Theologie des Hans Hut (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 73). Gütersloh 2002. Seidel, Andrea: Joachim Greff und das protestantische Schauspiel. [Diss. masch.]. Halle 1994. Sellert, Wolfgang: Art. „Kalumnieneid“. In: HRG 2 (1978), Sp. 1538 – 1540. Simon, Eckehard: Fastnachtspiele inszenieren die Reformation. Luthers Kampf gegen Rom als populäre Bewegung in Fastnachtspielzeugnissen, 1521 – 1525. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, hg. von Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 115 – 138.
308
Literaturverzeichnis
Simon, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 170). Frankfurt/M. 2004. Skehan, Patrick: The Hand of Judith. In: CBQ 25 (1963), S. 94 – 110. Skinner, Quentin: The foundations of modern political thought, 2 Bde. Cambridge [u. a.] 1978. Staehlin, Ernst (Hg): Das Buch der Basler Reformation. Zu ihrem vierhundertjährigen Jubiläum im Namen der evangelischen Kirchen von Stadt und Landschaft Basel. Basel 1929. Staehlin, Ernst: Das Reformationswerk des Johannes Oekolampas. Berlin [u. a.] 1932. Staehlin, Ernst: Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 21). Leipzig 1939. Stayer, James M.: Art. „Täufer“. In: TRE 32 (2001), S. 597 – 617. Stierle, Karlheinz: Geschichte als Exemplum – Exemplum als Geschichte. In: Geschichte – Ereignis und Erzählung, hg. von Reinhart Koselleck/Wolf-Dieter Stempel. München 1973, S. 347 – 375. Stöcklin-Kaldewey, Sara/Wallraff, Martin (Hgg.): Schatzkammern der Universität Basel. Die Anfänge einer 550-jährigen Geschichte. Katalog zur Ausstellung. Basel 2010. Straten, Adelheid: Das Judith-Thema in Deutschland im 16. Jahrhundert. Studien zur Ikonographie, Materialien und Beiträge. München 1983. Sugar, Peter F./Treadgold, Donald W. (Hgg.): A History of East Central Europe, Bd. 6: The Peoples of the Eastern Habsburg Lands, 1526 – 1918. London [u. a.] 1984. Syndikus, Anette: Gespräch und Erkenntnis. Frauenfiguren in den Dialogen des Erasmus von Rotterdam. In: Dichtung – Gelehrsamkeit – Disputationskultur. FS für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag, hg. von Reimund B. Sdzuj. Wien [u. a.] 2012, S. 34 – 57. Szidzek, Christian: Das frühneuzeitliche Verbot der Appellation in Strafsachen. Zum Einfluß von Rezeption und Politik auf die Zuständigkeit insbesondere des Reichskammergerichts (= Konflikt, Verbrechen und Sanktionen in der Gesellschaft Alteuropas/Fallstudien 4). Köln [u. a.] 2002. Talkenberg, Heike: Kommunikation und Öffentlichkeit in der Reformationszeit. In: IASL 19 (1994) Sonderheft 6, S. 1 – 26. Taubes, Jacob (Hg.): Religionstheorie und politische Theologie, Bd. 3: Theokratie. München [u. a.] 1987. Tarot, Rolf: Literatur zum deutschen Drama und Theater des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein Forschungsbericht (1945 – 1962). In: Euphorion 57 (1963), S. 411 – 453. Thomke, Hellmut: Die Zügelung und Unterdrückung des Theaters durch die Obrigkeit in den reformierten Staaten. In: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hg. von Dieter Breuer, Bd. 2. Wiesbaden 1995, S. 631 – 642. Thomke, Hellmut (Hg.): Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts (= Bibliothek der frühen Neuzeit 2). Frankfurt/M. 1996. Thomke, Hellmut: „Jm schimpff man offt die worheit seyt“. Vom reformatorischen Fastnachtspiel zum Bibeldrama. In: „Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein?“ Sprachen und Spiele des Lachens in der Literatur, hg. von Daniel Fulda/Antje Roeben [u. a.]. Berlin 2010, S. 87 – 103. Thomke, Hellmut: Materialität und deren prinzipielle Grenzen in Drameneditionen der Frühen Neuzeit. In: Materialität in der Editionswissenschaft, hg. von Martin Schubert (= Editio, Beihefte 32). Berlin [u. a.] 2010, S. 359 – 368.
Sekundärliteratur
309
Toepfer, Regina: Frühneuzeitliche Wende auf der Frankfurter Bühne? Das ‚Frankfurter Passionsspiel‘ und Paul Rebhuns ‚Susanna‘ zwischen Theater und Kult. In: Zeitsprünge 14 (2010), S. 137 – 161. Toepfer, Regina: „Feci novum!“ Zur Poetik von Thomas Naogeorgs Hamanus-Tragödie und ihrer deutschen Übersetzung von Johannes Chryseus. In: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450 – 1620), hg. von Anna Kathrin Bleuler/Fabian Jonietz [u. a.] (= Pluralisierung & Autorität 27). Berlin [u. a.] 2011, S. 449 – 485. Treffer, Gerd: Franz I. von Frankreich (1494 – 1547). Herrscher und Mäzen. Regensburg 1993. Tschopp, Silvia Serena: Frühneuzeitliche Medienvielfalt. Wege der Popularisierung und Instrumentalisierung eines historisch begründeten eidgenössischen Bewußtseins im 16. und 17. Jahrhundert. In: Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450 – 1700), hg. von Wolfgang Harms/Alfred Messerli. Basel 2002, S. 415 – 440. Tschopp, Silvia Serena: Protestantisches Schultheater und reichsstädtische Politik. Die Dramen des Sixt Birck. In: Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschichte einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg, hg. von Gernot Michael Müller. Berlin [u. a.] 2010, S. 187 – 216. Ukena-Best, Elke: Art. „Birck, Byrck, Birk, Birken, Sixt“. In: 2Killy 1 (2008), S. 555 – 557. Vormbaum, Reinhold (Hg.): Die evangelischen Schulordnungen des sechszehnten Jahrhunderts (= Evangelische Schulordnungen 1). Gütersloh 1860. Wackernagel, Hans Georg (Hg.): Die Matrikel der Universität Basel, Bd. 1: 1460 – 1529. Basel 1951. Wandel, Lee Palmer: Voracious Idols and Violent Hands. Iconoclasm in Reformation Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge 1995. Walton, Robert C.: Zwingli′s Theocracy. Toronto 1967. Walz, Herbert: Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung (= Germanistische Einführungen in Gegenstand, Methoden und Ergebnisse der Disziplinen und Teilgebiete). Darmstadt 1988. Wang, Andreas: Der ‚miles christianus‘ im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit (= Mikrokosmos 1). Frankfurt/M. 1975. Warning, Rainer: Funktion und Struktur. Die Ambivalenz des Geistlichen Spiels (= Theorie und Geschichte der Literatur 35). München 1974. Washof, Wolfram: Drama als Gottesdienst. Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit. In: Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, hg. von Christel Meier/Heinz Meyer [u. a.] (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 4). Münster 2004, S. 159 – 170. Washof, Wolfram: Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 14). Münster 2007. Watanabe O’ Kelly, Helen: Das Verborgene enthüllt. Das weibliche Publikum und die soziale Funktion des deutschen Dramas im 16. Jahrhundert. In: Verbergendes Enthüllen. Zu Theorie und Kunst dichterischen Verkleidens. FS für Martin Stern, hg. von Wolfram Malte Fues/Wolfram Mauser. Würzburg 1995, S. 67 – 75. Weiler, A. G.: Einleitung (zur Vltissima Consvltatio De Bello Tvrcis Inferendo). In: ASD V.3, S. 2 – 28.
310
Literaturverzeichnis
Wertmüller, Hans: Tausend Jahre Literatur in Basel. Basel [u. a.] 1980. Wipf, Jakob: Ein Schulmeisterschicksal aus der Reformationszeit. Hans Fehr, lateinischer Schulmeister in Schaffhausen 1530 – 1541. In: Zwingliana IV/13 (1927), S. 384 – 400. Wolf, Klaus: Theater im mittelalterlichen Augsburg. Ein Beitrag zur schwäbischen Literaturgeschichtsschreibung. In: ZS des Historischen Vereins für Schwaben 101 (2007), S. 35 – 46. Wolf, Werner: Prologe als Paratexte und/oder dramatische (Eingangs‐)Rahmungen? ‚Literarische Rahmung‘ als Alternative zum problematischen Paratext-Konzept. In: Die Pluralisierung des Paratexts in der Frühen Neuzeit. Theorie, Formen, Funktionen, hg. von Frieder von Ammon/Herfried Vögel (= Pluralisierung & Autorität 15). Berlin 2008, S. 79 – 98. Wolgast, Eike: Luther, Jonas und die Wittenberger Kollektivautorität. In: Justus Jonas (1493 – 1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, hg. von Irene Dingel (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 11). Leipzig 2009, S. 87 – 100. Wunder, Heide (Hg.): Eine Stadt der Frauen. Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (13.–17. Jh.). Basel [u. a.] 1995. Wyss, Karl-Heinz: Leo Jud. Seine Entwicklung zum Reformator 1519 – 1523 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 61). Frankfurt/M. [u. a.] 1976. Zeeden, Ernst-Walter: Das Zeitalter der Gegenreformation (= Herder-Bücherei 281). Freiburg i. Br. 1967. Zenger, Erich: Das Buch Judit (= Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 1: Historische und legendarische Erzählungen. Lieferung 6). Gütersloh 1981. Zürcher, Christoph: Konrad Pellikans Wirken in Zürich 1526 – 1556 (= Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte 4). Zürich 1975.
Register Adel 20, 85, 87, 91, 93, 97 Aemulatio 55, 109 Ägypten 58, 68, 91, 187, 199 – 201, 203, 208 – 211, 213 – 215, 217 – 223, 225, 228, 243, 273 Altes Testament 2, 6, 8, 15, 24, 35, 52, 55 f., 58 f., 62, 68 f., 71 – 75, 77, 93, 95 f., 109 f., 125, 127, 129, 132 – 134, 150, 183 f., 187, 190 f., 197, 199, 201, 207, 209, 219, 221, 223 – 225, 228, 245, 279, 281 – 285, 287, 289 f. Altomünster 29 Amerbach, Bonifacius 17 f., 24, 137, 157, 168 Anagnorisis 223 Antike 3, 6, 11 f., 19, 23 f., 27, 34, 36 – 41, 48, 50 f., 66, 70, 81, 83, 90, 108 f., 113 f., 123, 134, 137, 141, 144 – 147, 151, 154 f., 157 f., 168, 170 f., 174, 183 f., 186, 190, 209, 218, 222, 224, 239 f., 244, 281 – 284, 288, 290 Apame 76, 86 Apokryphe 2 f., 8, 11, 15, 52, 55, 75, 77 – 81, 83 – 90, 93, 95, 97 f., 101, 115 f., 120 f., 125, 134 f., 145, 159, 162, 168, 224, 231 f., 235 f., 238, 240, 242 – 247, 254 – 257, 259, 263, 265 f., 270 f., 273 – 275, 279, 281 f., 287, 289 f. Appellation 107, 169 f. Aristoteles 141, 143, 148, 153, 183 Assyrer 56 – 58, 63 f., 66 f., 72, 74, 208, 231, 236, 240, 242, 245, 248, 253 – 255, 258, 260 f., 263, 265 f., 268 – 270, 274, 278 – 280, 284, 288 Astronomie 18, 35, 209, 214 f. Augsburg 1 – 3, 5, 7 f., 12 f., 16 – 20, 29, 36, 41, 43 – 49, 51, 54, 56, 64, 67 – 69, 73, 78 – 80, 83, 87, 96, 98 – 100, 136 – 142, 144, 158, 169, 178, 183 – 187, 193, 195 – 198, 202, 225, 227 f., 230, 235 f., 238 f., 244, 247, 263, 275, 279, 281, 284 f., 287, 289 f. Augsburger Bekenntnis 49 Augsburger Interim 49
Augsburger Kirchenordnung 45 Augsburger Zuchtordnung 139 Augustinus 208 Babylon 65, 75, 77, 91, 94, 96, 102, 151, 158, 168, 171, 177, 183, 230, 243, 248, 253, 285 Babylonisches Exil 74 f., 102, 158 Basel 1 – 4, 7 f., 12 f., 15 – 26, 28 – 39, 41, 43 f., 46 – 48, 50 – 55, 58 – 64, 67 – 74, 78 f., 81, 93, 95 f., 98 f., 101, 103 – 109, 114, 116 f., 121, 123, 128, 132 – 138, 140 f., 157 f., 168, 178, 183 – 187, 189, 193, 195, 208 f., 216, 227 f., 230 f., 236 – 240, 244 f., 247, 251, 254, 275, 279, 281, 283 – 287, 289 Bergpredigt 129, 197 Bildersturm 32, 59 – 62, 64 f., 69 – 71, 74 Binder, Georg 8, 100 Binnentext 14 f., 71, 73 f., 83, 145, 182, 184, 239, 280, 283 f., 287 Birck, Huldrich 18 Blaurer, Ambrosius 17, 46, 48 – 51, 137 f. Botenbericht 8, 56 f., 67, 80, 94, 207, 212, 236, 240, 243, 268, 282 Brenner, Anna 18 Bucer, Martin 7 Bullinger, Heinrich 3, 16 f., 34, 37 – 43, 46, 49 f., 52, 68, 70, 77 f., 81 f., 93, 100, 245, 254, 277 Castellio, Sebastian 51 Chalkis, Jamblichos von 208 Chiliasmus 196 Chor 14, 37, 48, 56, 65 – 68, 79, 89 f., 92 f., 96, 100, 109 f., 113 f., 118, 132, 141, 147, 155 f., 160, 171, 181, 199, 205, 207, 216, 221 f., 230, 237, 242 – 244, 258, 266, 269, 288 Cicero, Marcus Tullius 23, 46, 50, 181 Coccius, Ulrich 101 Cordus, Euricius 19 Corpus Hermeticum 207 – 209, 211, 214 Cortés, Hernán 51
312
Register
Cratander, Andreas 24 f., 30 f., 128 Crocus, Cornelius 186, 204 Dachstein, Wolfgang 65, 96 Darius 76 f., 83 – 85, 285 f. Dialog 19, 58, 90, 132 f., 159, 217 Diether, Andreas 51 Edikt des Kyris 78 Ehe 32, 36, 45, 101 – 107, 110 f., 121 – 123, 127, 132 – 136, 138 – 140, 150 f., 154 f., 158, 165, 167, 169, 180 f., 189, 205 – 207, 217, 289 Ehegericht 16, 32, 53, 103 – 107, 114, 123, 134 f., 138, 140, 281 Ehinger, Daniel 137 Eid 44, 94, 106 f., 120 – 123, 125 f., 135, 161, 164 – 168, 183, 194, 196, 206, 216 Einfluss 10 f., 31, 34, 36, 54, 237, 276 Einrede 164 Eintracht 22, 26 – 28, 41 f., 52, 59 f., 156, 183, 233, 241, 254, 257, 273, 276, 278, 284 Elsass 2, 4 Enchiridion militis christiani 5, 26, 252, 271, 275 Entomius, Johannes 79 Epilog 11, 13 f., 71, 74, 94, 96, 100, 144, 181, 187, 191, 199, 201, 215, 275 f., 283 f. Eschatologie 196, 237 Euripos 176 Exempelfigur 14, 41, 58, 72, 81 f., 97, 126 f., 133, 135 f., 155, 181, 192, 202, 207, 225 f., 228, 257, 278 f., 282 Fastenzeit 61 Fastnacht 35, 61, 230, 237 f., 289 Fastnachtspiel 19, 35 f., 47, 78 f., 98, 108, 148, 182, 220, 237, 289 Fehr, Johannes 137 f. Feind 14, 31, 40, 42, 53, 57 f., 63, 67, 71 f., 179, 194, 226, 231, 235 f., 240, 247 f., 250, 252 f., 255 f., 260, 264 – 267, 269 f., 272 – 274, 278 – 280 Ferdinand I. 51 Fraternität 18, 48 Freier Wille 28, 234 f., 249 f., 274
Frieß, August 100 Frischlin, Nicodemus 101 Froben, Johannes 24 – 26, 251 Frömmigkeit 1, 8, 28, 100, 103 – 105, 116, 127, 129, 132, 134, 149, 152, 193, 201, 225, 231, 238, 259, 282 Fröschel, Hieronymus 17 Fugger, Hans Jakob 49 Gast, Johannes 101, 220 Gebet 35, 57 f., 63 – 65, 69, 102, 125, 132, 136, 154, 180, 211, 220, 231, 240, 243 f., 250 f., 253 f., 256 – 258, 260 – 262, 265 – 267, 269, 273, 275, 278 f. Geistliches Spiel 18 f., 38, 47, 83 Genealogie 85, 201 Gennep, Jasper von 101 Gericht 30, 49, 53, 72, 102, 105 f., 114 – 121, 124, 126 – 130, 135, 141, 151, 154, 156, 158, 161 – 164, 166 f., 171, 173, 175, 178, 183, 185, 196 f., 206, 237, 285 Gewissen 49, 121, 150 f., 158, 162, 164 – 167, 212 Glarean, Heinrich 23, 39, 137 Gnade 1, 24, 53, 97, 129, 144, 156, 163 f., 166 f., 169, 192, 211, 214, 233 f., 248 – 250, 253, 257, 261, 266, 274, 277 Gottesdienst 26, 45, 72 f., 78, 117 f., 136, 166, 196 f., 244, 275, 283, 286 – 288 Gottesdient 59, 62, 70, 84, 144 Götzendienst 57, 62, 68 f., 72 Greiter, Matthäus 65 Grünpeck, Josef 19 Gwalther, Rudolf 3, 46 Gymnich, Johann 100, 137, 204 Heiden 27, 30, 41, 51, 58, 62, 72, 87, 98, 108, 118 f., 123, 128, 134, 143, 157, 183, 197, 203, 211, 214, 226 f., 231, 233 f., 239 f., 255, 257 – 259, 264 f., 267, 270 f., 280, 284, 288, 290 Heiliges Römisches Reich 132, 157, 196 Heilsgeschehen 70 Hergot, Kunigunde 101 Herrscherberater 4, 81, 97, 177, 226, 283, 287 Herwagen, Johannes d. Ä. 208 f.
Register
Hessus, Eobanus 20 Hierokratie 27 Hoch, Alexander 39, 54, 84, 86, 90, 126, 200, 204, 209, 268, 270 Horaz 148, 224 Hoser, Symprecht 186 Hut, Hans 195 – 198, 203, 213 f. Imitatio 55, 109, 288 Immanenz 7, 10, 112, 128, 135 f., 174, 179, 191, 227, 237 Invocatio dei 118 f. Isengrin, Wolfgang 208 Israel 30, 66, 68, 70, 74, 88, 91, 93, 102, 110, 126, 131, 147, 150, 154, 158, 164, 168, 170, 172, 178, 180 f., 187, 201, 203, 230 f., 233, 241 – 243, 260, 262 f., 268, 270, 274, 278, 282, 291 Jerusalem 56, 62, 64, 72, 74 f., 77, 87, 89, 93 – 95, 154, 167, 231, 236, 240, 262, 271, 273, 275, 286 Jesaja 30, 57, 65 – 67, 73, 128 Jonas, Justus 20 Josephus, Flavius 76, 80, 143, 186, 197, 200, 202, 224, 240, 273 Juden 24, 27, 30, 35, 51, 53, 57, 75 – 77, 83, 87 – 91, 93 – 95, 98, 102, 105, 134, 158, 171, 174, 197, 209, 231, 233, 240, 244 – 246, 248 – 250, 253 f., 260, 266, 269, 273, 283 Kalumnieneid 123 Kapitalverbrechen 161, 169, 176 Karl V. 44, 132, 157, 290 Katastrophe 217, 222 f., 227 Keuschheit 37, 40, 101, 103 f., 110, 112, 136, 144, 149, 162 f., 166, 170 f., 174, 179 f., 206 f., 259, 262, 274 Kirchenväter 25, 27, 58, 190, 283 Kirchenzucht 7, 194 Klerus 18 f., 35, 61, 72, 104, 142 f., 192, 215, 224, 226 f. Köln 2, 7, 60, 100 f., 104, 137, 169, 204 Kolroß, Johannes 2, 36 – 39
313
Komödie 2 f., 33, 36, 55, 100 f., 136 f., 141, 144, 186 f., 190, 204, 219, 223 f., 227 f., 232 Konstanz 7, 17, 46, 48, 137 Kontext 5 f., 8, 10, 12, 14 f., 35, 42, 49, 67 – 70, 72, 78 f., 87, 93 – 95, 98, 117, 193, 203, 210, 227, 264, 273, 279, 282, 284, 290 Konzil von Basel 104 Kreutz, Matthäus 101 Laktanz 50, 190, 208 Latein 3, 48, 54, 57, 75, 100, 137 Leo X. 26 Livius, Titus 23, 37 Lucretia 34, 37 – 40, 43, 52, 82, 93, 245 Luther, Martin 4, 7 f., 18 – 20, 23 – 25, 28 f., 36, 45, 49, 52 f., 62, 65 – 68, 73, 75, 77, 90, 92, 100 – 102, 118, 127, 132, 136 f., 231 – 237, 249 – 253, 257, 259 f., 263 f., 274 f., 280 Maximilian I. 19 Meineid 103, 113, 128 – 130, 135, 165, 168 Melanchthon, Philipp 19 f., 36, 143 Menzinger, Johann Friedrich 54 Merian, Margarete 101 Mittelalterliches Recht 157 Monarchie 168, 183, 185 Monolog 66, 68, 72 f., 83, 120 f., 145, 158, 163, 212, 222, 266 Moral 4, 6 f., 13, 24, 29 f., 34, 47, 55, 78 f., 82, 103, 133, 136, 138, 189, 251, 281, 283 Motto 14, 56, 80, 235 Musculus, Wolfgang 45, 50 Myconius, Oswald 17 f., 46 Nächstenliebe 108, 192 Naogeorg, Thomas 109 Nebukadnezar 141, 169 f., 177 f., 230, 239 f., 246 f., 253 Nespitzer, Georg 198 Neues Testament 24, 36, 95, 132, 235 Nysaeus, Johannes 2, 4, 13, 17 f., 20 f., 23 – 25, 33 f., 44, 48, 50, 55, 79, 81, 93, 186, 214, 230 f., 283
314
Register
Oberrhein 21, 194 Oekoloampad, Johannes 16, 24 f., 28 – 32, 46, 52, 59, 62, 105, 108, 128, 195. Oligarchie 22, 239 Oporinus, Johannes 1, 3, 24, 38 f., 48, 50 f., 79 Osmanisches Reich 5, 35, 66, 73, 233 f., 249 – 252, 264, 267, 270, 279 f., 284 Pantaleon, Heinrich 17, 33, 43 Pappenheim, Matthäus 18 Papst 26, 30, 35, 49, 61, 187, 203, 215, 250 Passionsspiele 19, 137 Patrizier 1, 19, 35, 37, 138, 238 Paulus 194, 252 Pellikan, Conrad 24, 100, 187, 203, 215, 245 Performanz 14 Persien 75, 91 Petri, Adam 2, 24 Peutinger, Conrad 21, 198 Phrygio, Paul 105 Pinicianus, Johannes 19 Platon 66, 82 – 84, 96, 239, 283 f., 286, 290 Plautus 36, 38, 144 Polemik 24, 72, 88, 190, 213, 215, 226, 284 Politik 4 – 10, 12 f., 16, 21 – 23, 28, 30 – 32, 34 f., 39 – 44, 47, 49, 52, 60, 63, 66, 79 – 81, 88, 139, 141 – 143, 153, 160, 169, 182, 185, 187, 193, 197, 209, 214, 218, 224, 227 f., 241 – 243, 247, 256 f., 276, 281 f., 284 f., 287, 290 Prolog 13 f., 30, 54, 74, 79, 82 – 84, 100, 107, 130, 144, 187 – 191, 199, 209, 215, 228, 230, 232, 235 – 239, 277, 280, 283 f., 288 – 290 Prophezeiung 24, 51, 57, 65 – 67, 73, 87, 125, 128, 130, 152, 168, 174, 208, 282 Psalm 65, 67, 89, 92, 96, 113 f., 117 – 119, 131 f., 141, 147, 160 f., 171, 175, 181 f., 235, 242, 288 Publikum 11, 15, 19, 34, 36, 40 – 42, 46, 48, 55, 58, 65, 68 – 74, 82 f., 92 – 94, 96 f., 99, 108 – 112, 114, 117, 120, 130, 134 f., 148, 158, 163, 181 f., 184, 188, 191 f., 200, 204, 207, 215 – 217, 221, 223 – 225,
228, 238 – 240, 244, 246, 265, 268 f., 272, 277, 283 f., 287 – 290 Rahmentext 14 f., 71, 74, 79 f., 141, 181, 185 f., 188 f., 226, 235, 280, 283 f., 287, 289 Ratsherrschaft 22 Rebhun, Paul 101 Reformation 1 f., 4, 7 – 9, 11 f., 15 f., 18 – 25, 28 – 37, 39, 41 – 45, 48 – 50, 52 f., 58 – 65, 68 – 70, 72, 74, 77 f., 88, 90, 93, 95, 103 – 105, 107, 118, 134 – 136, 138 – 140, 148, 155, 187, 189, 191, 193, 195, 199, 203, 214, 224 f., 227 f., 237, 252, 281, 285, 290 Regieanweisung 15, 67, 89 f., 92, 110, 112, 119, 125, 131 f., 145, 147, 160, 163, 217, 221 f., 243, 258, 267 – 269, 275 Regula lesbia 153, 167 Rehlinger, Christoph Christoph 49 Reislauf- und Pensionenwesen 42 Religiöses Wissen 9, 11 Republikanismus 1, 6 – 9, 13, 22 f., 28, 36 f., 40 – 42, 44 f., 73, 141, 153, 174, 183, 185, 247, 256, 283, 285 f., 290 f. Respublica christiana 1, 4, 10, 16, 26 – 31, 52, 96, 107, 117, 126 f., 134 – 136, 143, 168, 183, 212, 225, 242, 257 f., 278, 281 – 287, 290 f. Römisches Recht 24, 123, 132, 134, 137, 157, 169, 174, 183 Rotterdam, Erasmus von 5, 16, 23, 25 f., 28, 46, 57, 87, 153, 234, 249, 252, 279 Rüte, Hans von 35, 148 Ryff, Fridolin 60, 69 Sapphische Odenstrophe 37, 113 f., 118, 244, 258, 288 Sattler, Martin 194 Schaffhausen 136 – 138 Schauspieler 71 f., 78, 94, 100 f., 112 f., 163, 228, 244 Schleitheimer Bekenntnis 194 – 196, 198 f., 226 f. Schmalkaldischer Bund 45 Schnitt, Konrad 61, 64
Register
Schweiz 2, 4, 7, 17, 21, 24, 34 – 36, 39, 43 – 48, 52 f., 61, 77, 99 – 101, 132, 137, 148, 157, 183, 189, 193 – 196, 216, 230, 236 f., 273, 276, 281 f., 290 Sichardt, Johannes 23 Simultanbühne 5, 14, 34 f., 38 – 40, 67, 97 f., 101, 103, 107, 110, 112 f., 117, 119, 121, 131 f., 136, 141, 145, 148, 160, 163, 175, 177, 180 f., 185, 188 – 190, 199, 201, 203 – 207, 211, 214 f., 218 – 222, 229, 237, 240, 258, 265, 267, 283 Sitte 8, 24, 29, 31 f., 36, 50, 55, 60, 70, 107 f., 133, 136, 146, 149, 153, 156, 162, 168, 175, 177, 180 f., 189, 198, 202, 290 Skythen 144 Sola fide 37, 250, 274, 279 Sophokles 144 Staat 4, 29, 40 f., 78, 141 – 143, 152 f., 197, 199, 202, 228, 239, 281, 287, 290 Stadion, Christoph von 18 St. Alban 59 St. Anna (Gymnasium) 1, 3, 8, 43 – 45, 48 f., 51, 202, 225, 228, 230, 290 Stauffen im Allgäu 138 Stigel, Johann 100 St. Maria (Domschule) 18 St. Peter 59 Straßburg 7, 36, 45, 65, 96, 232 Straßburger Reformationsordnung 45 St. Theodor (Lateinschule) 33, 55, 99 St. Ulrich 59 Talion 129, 175 f., 178 Täufer 29, 32, 53, 72, 87, 140, 188, 193 – 199, 224 – 228, 284, 287 Terenz 36, 38 f., 46, 50, 54 f., 137, 144 Tertullian 190 Teufel 203, 237, 252 Theater 2 – 7, 9, 13, 15, 17 – 19, 30, 33 – 39, 41, 43 – 48, 54 – 56, 63, 65, 68, 71 – 73, 79, 82 – 84, 91 – 94, 96, 99 – 101, 107 – 109, 112, 116, 118 f., 133, 135 – 137, 141, 143 – 145, 147 – 150, 158, 180 – 182, 184 – 188, 190 – 193, 199, 212, 214, 216, 218, 220, 225, 227 f., 230, 232, 236 – 238, 244, 246, 259, 275 f., 279, 281 f., 284 – 291
315
Themis 170 f. Theokratie 30, 52, 74, 196 f. Tierepik 111, 173 Titelblatt 3, 14, 33, 56, 79 – 81, 99, 186, 230, 235 f. Todesstrafe 103, 110, 112, 125, 128 – 132, 135 f., 150, 161, 166, 168 f., 180 Tragödie 2 f., 48, 55, 109, 136, 181, 190, 224, 231 f. Transzendenz 117, 170 Traum 200, 207, 209 – 213, 217 Trismegistos, Hermes 208 f. Tugend 19, 36, 40, 42, 71, 75, 83 f., 87, 91, 93 f., 97, 108 f., 134, 141, 188, 191, 200 f., 227, 239, 261 f., 274, 284, 289 Typologie 94 f., 186, 191, 217, 223, 227, 283 Tyrannei 27, 40, 52, 60, 66, 68, 161, 246, 278, 285 Ulhart, Philipp 100 Universität Basel 17, 20, 23 – 25, 33, 43, 46, 138 Unschuldsvermutung 116 f. Urteil 30, 50, 85 f., 107, 119, 123 – 130, 152, 154, 164, 175, 177 f. Utopie 6, 10 Vergil 137 Voegelin, Johannes 18 Vogt 77, 217 f., 228 Volkssprache 2 f., 5, 8, 33, 38, 41, 47 f., 54, 66, 81, 83 f., 99 – 101, 109, 111, 136 f., 141, 145, 150, 157, 159, 161, 168, 177, 180, 183, 189, 230, 232, 236 – 238, 244, 259, 271, 278, 284, 288 – 290 Volz, Paul 26 Vulgata 56 f., 75 f., 85, 89, 92, 102, 118 f., 127, 155, 160, 171, 174 f., 177 f., 182, 230 – 233, 236, 243, 259 – 263, 277, 279 Waffen 195, 252 f., 271, 279 Welser, Johannes 1 Wissenburg, Wolfgang 23 Wolfart, Bonifacius 45 Wolff, Thoman 2, 36 – 38, 99, 111
316
Register
Zehn Gebote 134, 249, 283 Zorobabel 2, 33, 36, 47, 54, 75 – 77, 79 – 83, 86 – 91, 93 f., 97, 186, 193, 230, 244, 285 Zünfte 21, 31 f., 41, 44 f., 138 f. Zürcher Bibel 15, 69, 75, 89, 95, 101 – 103, 113, 118 f., 121, 125, 127, 131 f., 160, 178,
182, 201, 215, 221, 223, 231 – 233, 236, 243, 255, 258 – 264, 279 Zürich 3, 16 f., 24, 29, 38 – 43, 45 f., 50, 52, 62, 68, 75 – 78, 81, 100, 136 – 138, 187, 193 f., 235, 245, 277 Zwietracht 22, 158, 183, 233, 278 Zwingli, Huldrich 4, 7, 16, 29 f., 38, 42, 52, 193 f.